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Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

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Archiv 


Mikroskopische Anatomie 


herausgegeben 
von 
v. la Valette St. George in Bonn 
und 
W. Waldeyer in Strassburg. 


Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. 


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Eilfter Band. 


Mit 44 Tafeln und 4 Holzschnitten. 


Bonn, 1875. 


Verlag von Max Cohen & Sohn. 
(Fr. Cohen.) 


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Inhalt. 


Ueber Radiolarien und radiolarienartige Rhizopoden des süssen Wassers. 
Von Dr. Richard Greeff, Prof. in Marburg. Zweiter Artikel. 
Hierzu Tafel I und I. De Er 

Ueber Knochenwachsthum. Eine Kerne an K v. Kölliker von 
Dr. Z. J. Strelzoff in Jekatherinoslaw. (Aus dem patholog. anatom. 
Institut in Zürich.) Hierzu Tafel III und IV. 

Beiträge zur Physiologie der Nieren. Von v. Wittich. Hierzu Taf. IV. 

Rhizopodenstudien. Von Eduard Eilhard Schulze. III. Hierzu 
Tafel V, VI und VII. : Elke Ab 

Untersuchungen über die Bin gliliikdegät der NEN. Von Ru- 
dolf Arndt. Hierzu Tafel VIII. ee? 

Die Heitzmann’schen Haematoblasten. Von Prof. E. N eumann in Kö- 
nigsberg i. Pr. ARE U AR RR EEE OHNE. ERURILTNEEN IR 

Ueber Bindegewebszellen. Von W. Waldeyer. Hierzu Tafel IX. 

Die Gehörorgane der Heuschrecken. Von Oscar Schmidt, Prof. in 
Strassburg. Hierzu die Tafeln X, XI und XH. ER 

Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks.. Von W. Krause, Prof, 
in Göttingen. Hierzu Tafel XII. ENRNTEN RUE TEE 

Bemerkungen über die Nerven der Dura mater. Von Dr. W. T. Alex- 
ander ausBoston. (Aus dem anatomischen Institut zu Strassburg.) 

Studien über die Entwickelung der Knochen und des Knochengewebes. 
Von Dr. Ludwig Stieda. Prof. in Dorpat. Hierzu Tafel XIV. 

Ueber den peripheren Theil der Urwirbel. Von Med. Dr. Felix Ehr- 
lich in Wien. (Aus dem Institute für Embryologie des Prof. Schenk 
in Wien.) Hierzu Tafel XV. Fig. 1—4. 5 a 

Die perivasculären Lymphräume im Centralnervensystem an der Retina. 
Von Dr. R. Riedel, Prosector in Rostock. Hierzu Tafel XV, Fig. 5—9. 

Kittschichten in den Wandungen der Gefässe. Von Dr. Albert Adam- 
kiewicz, Assistent am physiologischen Institut zu Königsberg i. 
Pr. Hierzu Tafel XV. Fig. 10 u. 11. ATAUINIR A. EIER Auman: 

Hyalonema Sieboldi Gray. Von Dr. H. Küstermann aus Lübeck. 
Hierzu Tafel XVI. Ä SNlaers id 

Untersuchungen über die hwiokeidie der torte. Urön E. 
Neumann, Prof. in Königsberg i. Pr. Hierzu Tafel XVII. 

Ueber amöboide Bewegungen des Kernkörperchens. Von Prof. Dr. Th. 
Eimer. Hierzu vier Holzschnitte 

Rhizopodenstudien. Von Franz Eilhard ohnlac ıY. le Tafel 
XVII und XIX. 


Seite 


266 


272 


IV Inhalt. 


Seite 
Die Beziehungen des Flimmerepithels der Bauchhöhle zum Eileiterepithel 


beim Frosche. Von Prof. E. Neumann in Königsberg i. Pr. An- 

hang: Die Drüsen der Froscheileiter. Von demselben (nach in Ge- 

meinschaft mit Herrn H. Grunau angestellten Untersuchungen). 

Hierzu Balel AX: , . ». oa. s De... 0: 
Ein Beitrag zur ersten Anlage der Ku Von Dr. Victor v. 

Mihalkowics, Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut 

zu Strassburg. Hierzu Tafel XXI. . . . . .. 379 
Wirbelsaite und Hirnanhang. Von Dr. Victor v. ee Privail 

docent und Assistent am anatomischen Institut zu Strassburg. Hierzu 

12122) 00.0.4 1 Ripper a une .. 389 
Studien über die Eatckeline nr Baker Meskhn ung Ne 

der Amphibien und Reptilien. Von Dr. Ernst Calberla. (Aus 

dem physiologischen Institut des Herrn Professor Kühne in Heidel- 


berg.) Hierzu Tafel XXIII u. XXIV. 27er 442 
Zur Kenntniss der Fortpflanzung bei Arcella Be Ehrb. ze 0. 

Bütscehli. Hierzu Tafel XV. Fra 2 12 2 ß > Ware 
Untersuchungen über das Riechepithel. Von Dr. A. v. Bars Pr 

in Göttingen. Hierzu Tafel XXVI. . . . . 468 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. Eine kistejeprache Studie von K. 
Goniaew. (Mitgetheilt von Professor Arnstein in Kasan.) Hierzu 


Tatelı XV u AXVERY. 22, 48: nee. er 
Beiträge zur Anatomie des Mensen Kehlkopfs. Von Dr. J. Disse. 
Hierzu Tafel-XXIX u. XXX. . 2 ia 


Ueber den Bau der Najadenkieme. Ein Beitrag zur vergleichenden 
Histiologie und Morphologie der Lamellibranchiaten. Von Carl 


Fosner. Hierzu Tafel XXXI u. XXX. 2.2.2022. 1.22 5 17 
Ueber den feineren Bau der Giftdrüse der Naja haje. Von Dr. Carl 

Emery in Neapel. Hierzw Tafel XXX. ....... ....2.... 72.285568 
Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. Von Dr. Alexander 

Schultz aus Russland. Hierzu Tafel XXXIV. . .. 569 
Rhizopodenstudien. Von Franz Eilhard Schulze. V. Ei Tafel 

REXV WIRRRVE He at: 583 
Ueber die Entwickelungsgeschichte dar Pyrnlena) Eu ie Kowsle 

in; Odessa. Hierzu Tafel XXXVI bis XLbL „=... „1. Sesss 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 
Von Prof. Fr. Merkel in Rostock. Hierzu Tafel XLII u. XLIH. 636 
Ueber die Endkolben der Conjunctiv.. Von Dr. L. R. Longworth, 
Cineinnati, Ohio. (Aus dem anatomischen Institute zu Strassburg.) 
Hierzu. Tafo) -XLEVr-. urn. Naryo 2 Aa nahe a a EEE 
Beiträge zur Mikroskopie. Von G. Valentin . . . 2. 2.2.2... ...661 


Ueber Radiolarien und radiolarienartige Rhizopoden 
des süssen Wassers. 
Von 


Dr. Richard Greeff, 
Professor in Marburg. 


Zweiter Artikel!) 


Hierzu Tafel I und II. 


Die nachstehend mitgetheilten Beobachtungen bilden eine directe 
Fortsetzung der vor einigen Jahren in einem »ersten Artikel« ?) über 
Süsswasser-Radiolarien veröffentlichten. Sie sind auch zum grossen 
Theil zu derselben Zeit und an demselben Orte entstanden wie jene, 
nämlich in Bonn, dessen Umgebung ein ziemlich reiches und bezüg- 
lich der Fundorte mir vielseitig bekanntes Material für Untersu- 
chungen in dieser Richtung bot. i 

Die verhältnissmässig wenigen stehenden Gewässer in der ge- 
birgigen Umgebung von Marburg sind fast alle Seitenbecken der 
Lahn und stehen mit diesem Flusse entweder stets oder zeitweise 
bei Anschwellungen und Ueberschwemmungen in Verbindung. Da- 
durch sind dieselben der Veränderung vielfach unterworfen, bald 
hoch angefüllt und in den Strom hineingezogen, bald niedrig oder 
vollständig ausgetrocknet. Der das Gebirge beherrschende lockere 


1) Die Hauptsresultate dieser Abhandlung sind bereits mitgetheilt in: 
Sitzungsberichte der Gesellsch. zur Beförderung der gesamm- 


ten Naturwissensch. zu Marburg, November 1873 (Sitzung vom 19. 


November). 
2) Dieses Archiv Bad. V, 1869, S. 464, Taf. XXVI u, XXVII. 
Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 11, 1 


2 Dr. Richard Greeff: 


bunte Sandstein wird zudem durch Regengüsse oft in grossen Massen 
ausgewaschen und aus den engen Seitenthälern der Lahn zugeführt, 
wodurch jedesmal das ganze Flussgebiet in kurzer Zeit in einen 
wahren »Red River« verwandelt wird, der das vielleicht eben erst 
an günstiger Stelle in Entwicklung begriffene organische Leben fort- 
führt und dessen rother steriler Schlamm sich niedersenkend immer 
von Neuem den Boden der Gewässer bedeckt. 

Diesen für das Aufkommen eines reicheren Thierlebens, na- 
mentlich für die längere locale Fixirung desselben mehrseitig stören- 
den Einflüssen ist es wohl zuzuschreiben, dass auch für die in Rede 
stehenden kleinen Wesen sich im Allgemeinen hier nur ein unsiche- 
res und wechselndes Beobachtungsmaterial findet. Manche Proto- 
zoen, die anderwärts zu den häufigsten gehören und in der wärmeren 
Jahreszeit stets, meist ununterbrochen das ganze Jahr hindurch, 
anzutreffen sind, finden sich hier nur äusserst selten oder gar 
nicht, wie dieses z. B. für einen Theil der Infusorien-Fauna !) 
gilt, die zu einer grösseren localen Entfaltung in besonderem Maasse 
ruhiger Gewässer, auf humusreichem, warmen Boden und in mehr 
oder weniger weiten Ebenen gelegen, zu bedürfen scheinen. 

Damit soll indessen keineswegs gesagt sein, dass überhaupt 
das kleine Thierleben in Flüssen und Strömen weniger seine Lebens- 
bedingungen finde als in stehenden Gewässern. Unter günstigen 
Umständen, nämlich nach längeren sonnigen und regenlosen Tagen 
und an geschützten Stellen des Ufers, tritt dasselbe gerade im 
fliessenden Wasser in reicher Fülle zu Tage, wie ich früher im 
Rheine und zeitweise auch hier in der Lahn zu beobachten Gele- 
genheit hatte. Zwischen ungeheuern Massen von Diatomeen, die den 
Boden mit einem braunen Ueberzug bedecken, sammelt sich dann 
namentlich eine mannigfaltige Rhizopoden-Fauna mit manchen höchst 
interessanten Formen, die in stehendem Wasser fast durchgehends 
vermisst werden. Immerhin aber heisst es bei diesen Beobachtungen 
die Gelegenheit ungesäumt zu ergreifen, denn ein heute noch so 


1) Merkwürdigerweise scheint unter vielen Andern Stentor polymor- 
phus, der sonst bekanntlich überall so häufig zu sein pflegt, dass er oft (wie 
z. B. im Poppelsdorfer Schlossweiher bei Bonn) den Boden und die Wasser- 
pflanzen (namentlich Ceratophyllum) mit diekem grünem Schleim bedeckt, 
hier vollständig zu fehlen. Stentor coeruleus und Roeselii kommen indessen 
in wenigen stehenden Gewässern, aber auch spärlich vor. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 3 


reich entwickeltes Thierleben an den bezeichneten Stellen ist viel- 
leicht morgen durch eingetretene Regengüsse mit trüber reissender 
Fluth bedeckt oder wird durch dieselbe fortgeschwemmt, um erst 
nach längerer Zeit und an einem andern Ort unter abermals anhal- 
tenden günstigen Umständen wieder aufzutauchen. 

Einen reichlichen Ersatz für die den vorliegenden Beobachtun- 
gen, wie aus Obigem hervorgeht, im Ganzen wenig günstige Mar- 
burger Umgebung fand ich auf einer Excursion nach den einige 
Stunden von Marburg gelegenen »Torfstichen von Schweinsberg«. 
Auf zwanzig Fuss mächtigen Torflagern dehnen sich hier weite 
Wiesengründe aus, von zahlreichen Gräben, Teichen und Tümpeln 
durchschnitten. Das Wasser in diesen Becken hat meist eine grau- 
gelbliche bis hellbräunliche Färbung, der Boden ist tief mit braunem 
flockigem Schlamm bedeckt. In diesen Gewässern traf ich fast alle 
die mannigfaltigen und interessanten, den Protozoen etc. angehörigen 
kleinen Wesen in reicher Menge wieder an, die ich hier bisher ver- 
geblich gesucht oder selten gefunden hatte, so dass ich in den Stand 
gesetzt war, die früher in Bonn gemachten Beobachtungen zum 
Theil noch einmal controliren, zum Theil erweitern zu können. 

An eine Schlussbemerkung jenes ersten Artikels über Süsswasser- 
Radiolarien anknüpfend, will ich nun zuerst einige weitere Betrach- 
tungen und Beobachtungen über dort schon beschriebene Formen 
mittheilen. Dieselben werden zur weiteren Aufklärung des Baues 
und der Lebensgeschichte dieser interessanten Geschöpfe, deren ge- 
naue Erforschung mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft ist, 
beitragen. 


Acanthocystis (viridis) turfacea Carter. 


Aectinophrys viridis Ehrenberg. 
Actinophrys brevieirrhis Perty, Clap.- Lachm. 
Acamthocystis viridis Ehrenberg, Carter !). 


Seit meinen ersten Mittheilungen sind sehr eingehende Beob- 
achtungen von W. Archer?) nicht bloss über Acanthoeystis, sondern 


1) Siehe: R. Greeff, Erster Artikel über Radiolarien und radiolarien- 
artige Rhizopoden des süssen Wassers. Dieses Archiv V. Bd. 8. 481. 

2) On some freshwater Rhizopoda, new or little know. Fasciculus I 
(Extract. from »Quarteriy Journal of mier. Science« 1869 u. 1870) u. Fasci- 
culus II (read before the royal Irish Academy Dez. 12, 1870). 


A Dr. Richard Greeff: 


über die meisten der dort von mir behandelten Formen veröffent- 
licht worden, denen er noch die Beschreibung mancher neuer und 
interessanter Süsswasser-Rhizopoden hinzugefügt hat. Auf einige 
derselben werde ich im Laufe dieser Abhandlung noch Bezug nehmen. 
In seinen Angaben über unsere Acanthocystis turfacea schliesst 
sich Archer im Allgemeinen den von den andern Beobachtern be- 
reits gemachten Mittheilungen an. Er glaubt aber, dass dem Car- 
ter’schen Namen Acanthocystis turfacea vor Acanthocystis viridis 
der Vorzug gebühre. Ich möchte gegen diese Forderung um so 
weniger Einwendung erheben, als ich schon früher ausgesprochen 
habe, dass durch Carter’s wichtige Entdeckung, dass die kürzeren 
Strahlen starre an der Spitze gegabelte Nadeln sind und dass zwi- 
schen diesen erst die längeren beweglichen Pseudopodien hervor- 
treten, der fragliche Rhizopode in jedem Falle erst in seiner wahren 
Natur erkannt worden ist. Die Aufstellung eines neuen Genus war 
dadurch nothwendig und so mag auch die Art-Benennung bleiben. 
Ausserdem ist die Bezeichnung »turfacea«, die mir früher wegen 
ihrer aussergewöhnlichen Bildung unverständlich geblieben war, in 
der That eine zutreffende, in sofern sie das besonders häufige Vor- 
kommen dieses Geschöpfes in Gewässern auf Torfboden anzeigen 
will. Im Uebrigen zweifle ich nicht, dass Acanthocystis turfacea 
mit Actinophrys viridis und Actinophrys brevieirrhis identisch sei, 
wovon man sich durch Vergleich der betreffenden Abbildungen und 
Beschreibungen sowie bei Umschau nach den bekannten hierbei in 
Betracht kommenden Formen unschwer überzeugen wird !). 

Auf eine kurze frühere Angabe Archer’s mich beziehend, 
hatte ich geglaubt, der: von ihm Rhaphidiophrys viridis genannte 
Rhizopode sei Acanthoeystis turfacea aber nicht als solche erkannt 
worden. Aus der später veröffentlichten Abbildung und genauern 
Beschreibung?) ersehe ich indessen, dass Raphidiophrys viridis nicht 
nur ein von Acanthocystis turfacea durchaus verschiedenes Geschöpf 
ist, sondern auch ohne Zweifel eins der interessantesten Süsswasser- 
Radiolarien, das unsere Kenntniss dieser Organismen wesentlich 
erweitert. Wir haben in Raphidiophrys viridis ein unzweifelhaftes 


1) Höchstens könnte noch die später zu beschreibende Heterophrys 
myriopoda Archer als die Ehrenberg’sche Actinophrys viridis gelten 
(vgl. unten S. 21 u. Taf. I Fig. 8). 

2) On some freshwater Rhizopoda Fase. I, p. 6, Pl. VIII, Fig. 2. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 5 


polyzoes Radiolar des süssen Wassers vor uns, das, wie mir scheint, 
fast ohne Bedenken der Gattung Sphaerozoum angeschlossen wer- 
den kann. 

Im Jahre 1871 hat auch A. Schneider einige interessante 
Beobachtungen über Acanthocystis turfacea (viridis) veröffentlicht '). 
Er beschreibt die Entstehung der Acanthocystis turfacea aus einer 
grünen Actinophrys, welche sich in ihrem Bau an Actinophrys Eich- 
hornii anschliesst und sich von dieser nur durch eine Menge grüner 
Bläschen unterscheidet, welche die centrale Masse einschliesst. Diese 
grünen Bläschen lassen deutlich einen Kern und Kernkörper erkennen. 
Sobald die Actinophrys zur Acanthocystis geworden ist, verschwindet 
indessen der Kern. »Die grünen Zellen der ausgebildeten Acantho- 
eystis zeigten«, sagt Schneider, »wie ich ausdrücklich bemerken 
will, keinen Kern mehr«. Diese Wahrnehmung veranlasst Schneider 
zu der Erklärung: »Es sind diese grünen Zellen vollständig analog 
den bekannten gelben Zellen der Radiolarien, wie ja auch im Pflan- 
zenreiche grüne und gelbe Farbstoffe sich vertreten«. 

Zunächst scheint Schneider übersehen zu haben, dass die 
Ansicht einer Homologie der grünen Körper von Acanthocystis mit 
den gelben Zellen der Meeres-Radiolarien keineswegs neu ist, viel- 
mehr von verschiedener Seite mehr oder minder ausführlich behan- 
delt worden ist, ebenso dass Einige, wie es scheint, nicht bezweifelt 
haben, dass diese grünen Körper (die von den Meisten als ChlorophylI- 
zellen eder Chlorophylikörner angesehen werden) aus Zellen hervor- 
gegangen sind oder Zellen repräsentiren. Ich meinerseits habe mehrere 
Male auf die Zusammengehörigkeit beider Gebilde hingewiesen, 
in früherer Zeit dieselbe sogar auf das Bestimmteste ausgesprochen, 
indem ich die fraglichen Körper der Acanthocysten geradezu als 
»gelbe Zellen« bezeichnete?), da ich sowohl gelbgefärbte, als auch 
deutliche Zellformen fand, ja sogar ihre Weiterentwicklung zu eigen- 
thümlichen rhizopodenartigen Wesen und schliesslich zu Actinophryen 
glaubte annehmen zu dürfen. Später habe ich mich indessen mit 
grosser Vorsicht über diese Frage ausgesprochen, namentlich in 
Berücksichtigung der gänzlichen Unkenntniss der Bedeutung der 


1) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, XXI. Bd. 8. 505. 

2) Verhandlungen des naturhistor. Vereins d. preuss. Rheinlande und 
Westphalens; Sitzungsberichte der niederrhein. Gesellsch. f. Natur- u. Heil- 
kunde zu Bonn 1869. Allg. Sitz. vom 7. Juni 1869. 


6 Dr. Richard Greeff: 


gelben Zellen der marinen Radiolarien als auch der grünen Körper 
der Acanthoeysten und ferner der gleichzeitigen ausserordentlichen 
Verbreitung grüner Farbstoffkörper von durchaus ähnlicher Beschaffen- 
heit unter den verschiedensten Süsswasser-Organismen. 

Ich kann desshalb auch heute meine damalige Aeusserung nur 
wiederholen, dass nämlich »der Versuch, die grünen Körner von 
Acanthocystis mit den gelben Zellen der Meeres-Radiolarien in Ver- 
bindung zu bringen, sehr nahe liegt, so lange aber keinen Erfolg 
haben wird, als man nicht über die Genese und Function beider 
Gebilde mehr unterrichtet sein wird«!). An dieser Ansicht vermag 
die Angabe von Schneider, dass die grünen Farbstoffkörper der 
Acanthocystis in der Jugend einen Kern zeigen, der aber später 
wieder verschwindet, selbstredend nichts zu ändern. Schneider 
entzieht übrigens schliesslich selbst seiner eigenen Ansicht durch 
eine weitere Angabe jedwede Stütze. Er sagt, dass die grünen 
Zellen der Acanthocystis zusammenrückend sich mit einer festen 
Haut umgeben hätten, »die zur deutlichen Centralkapsel wurde«. 
Der ganze Körperumfang der Acanthocystis wird von ihm als Cen- 
tralkapsel in Anspruch genommen, wodurch die sämmtlichen grünen 
Zellen natürlich von der Kapselwand umschlossen werden, also eine 
intrakapsuläre Lage erhalten, während doch die »gelben Zellen« 
stets ausserhalb der Centralkapsel liegen. Um diesen Widerspruch 
zu lösen müssten entweder die grünen Körper von Acanthocystis 
als gelbe Zellen, oder die äussere Haut als Centralkapsel aufgegeben 
werden. Wir werden unten sehen, dass in der That, wie ich übri- 
gens auch schon in meiner früheren Abhandlung dargethan habe, 
der äussere Körperumfang keineswegs als Centralkapsel gelten kann 
und dass das eigentliche ihr entsprechende Gebilde sowie die darüber 
früher von mir mitgetheilten Beobachtungen Schneider entgan- 
gen sind. , 

Was nun die von Schneider angegebene Entwicklungsweise 
der Acanthocystis turfacea betrifft, so bezeichnet er drei Stadien. 


1) Nach den interessanten Untersuchungen Cienkowski’s (dieses 
Archiv VII. Bd. 1871: Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien, S. 378), ist 
sogar bezüglich der gelben Zellen der Radiolarien die Frage in den Vorder- 
grund getreten, ob dieselben in der That als integrirende Theile des Orga- 


nismus der. Radiolarien anzusehen sind, oder nicht vielmehr parasitische Ge- 
bilde sind. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 7 


Das erste stellt eine grüne Actinophrys Eichhornii dar. Im zweiten 
Stadium verliert die alveoläre Schicht ihre Structur und wird fein- 
körnig. Das dritte Stadium ist die Acanthocystis turfacea selbst, 
indem der ganze Körperumfang zur Centralkapsel wird und auf der 
letzteren Kieselstacheln auftreten. 

Ich habe in meiner ersten Abhandlung zwei Formen beschrie- 
ben, die den Schneider’schen durchaus zur Seite gestellt werden 
können und bei denen ich ausdrücklich auf den genetischen Zu- 
sammenhang mit Acanthocystis turfacea hingedeutet habe. Die 
eine davon ist auf Tafel XXVII in Figur 55 dargestellt und S. 491 
beschrieben und stimmt vollständig mit dem zweiten Stadium Schnei- 
der’s überein. »Ich bin nicht sicher«, heisst es in meiner Abhand- 
lung, »ob ich dieses Thierchen als einen Jugendzustand von Acantho- 
cystis viridis betrachten soll« etc., und weiterhin: »Man könnte 
versucht sein den ganzen Thierkörper als Centralkapsel und den 
äusseren Sarkodegürtel als extrakapsuläre Sarkode aufzufassen«. 
Hierin sirfd die wesentlichen Charaktere des zweiten von Schneider 
angegebenen Stadiums mit unzweideutigen Worten ausgesprochen. 
Die zweite von mir beschriebene Form (S. 492 Taf. XXVI Fig. 18) 
fällt wiederum mehr oder minder mit dem Endstadium Schneider’s 
zusammen. Auch hier habe ich darauf hingewiesen, »dass man die 
ganze Kugel als Gentralkapsel und die strömende Aussensarkode 
als extrakapsuläre Sarkode ansehen könnte«. 

Allein ich habe mich bisher von der Zusammengehörigkeit 
jener Organismen mit Acanthocystis turfacea nicht überzeugen können. 
Nach meinen Beobachtungen zeigt vielmehr die Letztere bereits 
in sehr kleinen Anfängen die Charaktere der fertigen Form und 
trägt namentlich schon stets Kieselnadeln. Ich habe sie von einem 
Durchmesser von 0,02 bis 0,01 Mm. Schritt vor Schritt verfolgt und 
stets nur Formen mit Kieselnadeln gefunden. In diesen Jugend- 
zuständen fehlten die grünen Körner entweder vollständig oder es 
waren nur sehr wenige, die in einem lebhaften Vermehrungsprocess 
durch Theilung begriffen waren. Sie unterschieden sich aber in 
Nichts von denen der ausgewachsenen Acanthocystis: ziemlich dick- 
häutige Kapseln, deren grünes Pigment in der Kapselwand zu liegen 
scheint, mit einem helleren Inhalt und einem oder einigen dunkel- 
glänzenden Körnern in denselben, wie ich es in meiner Abhandlung 
beschrieben und abgebildet habe. 

Ich glaube desshalb vor der Hand annehmen zu müssen, dass 


8 Dr. Richard Greeff: 


die von mir früher beschriebenen Formen, bei denen ich einen gene- 
tischen Zusammenhang mit Acanthocystis vermuthete, besondere 
Organismen sind, die ausserhalb des Entwicklungskreises der Acantho- 
eystis liegen '). 

Ich habe schon oben erwähnt, dass die äussere Oberfläche der 
Acanthocystis, auf welcher die Kieselnadeln stehen, keineswegs als 
Centralkapsel gelten kann, wenn dieselbe auch unter Umständen 
zu einer festen Haut erhärtet. Im Centrum des Körpers dieses 
Rhizopoden liegt vielmehr ein Gebilde, das weit eher als Homologon 
der Gentralkapsel in Anspruch genommen werden könnte. Ich habe 
dasselbe bereits früher beschrieben?) und später noch wiederholt zu 
beobachten Gelegenheit gehabt. Es gelingt zuweilen dieses Gebilde 
aus dem Innern unverletzt hervorzudrücken und so von den übrigen 
Inhaltstheilen zu isoliren. Wir sehen dann einen verhältnissmässig 
grossen rundlichen, oft unregelmässig umgrenzten Körper (Taf. I 
Fig. 4), dessen äusserer Umfang von einer deutlichen Membran (a) 
umschlossen wird, die nach Zusatz von Alkokol noch schärfer her- 
vortritt. Diese Kapsel umschliesst im frischen Zustande einen glas- 
hellen und gleichartigen Inhalt von anscheinend zäher Consistenz (b), 
in dessen Mitte ein dunklerer aber ebenfalls homogener, meist un- 
regelmässig umgrenzter Körper (c) liegt. Aus dem Centrum dieses 
Letzteren endlich leuchtet eine kleine, helle bläschenartige Höhlung 
hervor, die, wie es scheint, fast genau den Mittelpunkt (der ganzen 
Acanthocystis einnimmt und die die Ursprungsstelle der von Gre- 
nacher zuerst beschriebenen sternförmigen Ausstrahlung feiner 
Fäden ist (Taf. I Fig. 1c). Wie ich bereits in meiner ersten Ab- 
handlung berichtet?), habe ich diese Strahlen von ihrer Ausgangs- 
stelle bis an die Peripherie des Körpers und dann bis zu ihrem 
Eintritt in die äussern Pseudopodien, deren Axenfäden sie bilden, 
verfolgen können. Ich habe aber ebenfalls früher schon darauf 
aufmerksam gemacht, dass die Untersuchung hier mit grossen Schwie- 
rigkeiten verknüpft ist. Da das Centrum des Körpers, in welchem 
die in Rede stehende Ausstrahlung liegt, im gewöhnlichen Zustande 
von den mehr oder minder im Innern angehäuften grünen Körnern 
und den sonstigen Inhaltstheilen umhüllt wird, so tritt die stern- 


1) Erster Artikel S. 488. 
2) Ibid. S. 486, Taf. XXVI Fig. 12. 
3) 8. 487. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 9 


förmige Zeichnung erst deutlich zu Tage, wenn die ganze Acantho- 
eystis unter einem Deckgläschen allmählich hinreichend comprimirt 
und abgeplattet ist und dann ferner erst bei einer guten 400—500- 
fachen Vergrösserung, meistens erst vermittelst eines Immersions- 
systemes. Leicht und sicher lässt sich nun feststellen, dass die 
Strahlen alle von dem erwähnten feinen hellen Centrum austreten 
und bis an den äussern Umfang des oben als Centralkapsel ange- 
sehenen Körpers laufen, denn der Inhalt dieser Kapsel ist durchaus 
homogen und hell, so dass nichts die Untersuchung stört (Taf. I 
Fig. 1c). Ueber diese Centralkapsel hinaus in die die Letztere 
umgebende Inhaltsmasse ist die Verfolgung der Strahlen äusserst 
schwierig. Einerseits hindern die zahlreichen Farbstoffkörper und 
die blassen homogenen Körper sowie die Alveolen und körnigen 
Bestandtheile der Sarkode (Fig. 1) den Einblick, und andrerseits 
durchkreuzen die durch die Compression an und in den Körper 
eingedrückten feinen äusseren Kieselnadeln in mannigfacher, nament- 
lich aber in radiärer Richtung die Oberfläche und können leicht zu 
Täuschungen Anlass geben. Ich glaube mich indessen bei sorgfäl- 
tiger Prüfung davon überzeugt zu haben, dass die Strahlen in der 
That, den ganzen Innenraum durchsetzend, als Axenfäden in die 
äusseren Pseudopodien treten (Fig. 1b etc.).. Zuweilen schien es 
mir, als ob sie auch mit den äusseren Kieselnadeln in Verbindung 
ständen, so dass ich eine Zeitlang den Gedanken verfolgt habe, sie 
seien an der Bildung der Kieselnadeln betheiligt. Jedenfalls ist 
die ganze sternförmige Ausstrahlung vom Centrum bis zur Peri- 
pherie organischer Natur und die wirklichen Kieselnadeln beginnen 
erst auf der Oberfläche des Körpers. 

Von diesen äusseren Kieselgebilden sind bis jetzt zwei ver- 
schiedene Formen beschrieben worden, nämlich längere und kürzere 
radiale Stacheln!). Die längeren und kräftigern lassen einen Längs- 
kanal erkennen und sind an der Spitze kurz gegabelt (Fig. 1a). 
Die kürzeren sind sehr fein und an der Spitze weit gegabelt (Fig. 1c). 
Zu diesen tritt noch eine dritte bisher übersehene Form von Kiesel- 
gebilden, nämlich tangential zur Oberfläche liegende und gegen sie 
leicht gekrümmte kurze und an den beiden Enden etwas zugespitzte 
Nadeln oder Stäbchen, so dass sie nach Form und Lage den Fuss- 
plättchen der grossen Stacheln ähnlich sind. Sie sind namentlich 


1) Erster Artikel $S. 482 Taf. XXVI Fig. 8, Fig. 13 u. Taf. XXVII Fig. 19, 


10 Dr. Richard Greeff: 


an grösseren Individuen deutlich zu sehen, wenn man das ganze Object 
einer Compression aussetzt und schliesslich vorsichtig zerdrückt, wo- 
durch die fraglichen Gebilde neben den Stacheln isolirt hervortreten. 

Durch diese tangentialen Stücke in Verbindung mit den eben- 
falls dicht zusammenstehenden Fussplättchen der radiären Stacheln 
bildet die Oberfläche der Acanthocystis häufig ein mehr oder minder 
zusammenhängendes Gerüst, so dass das innere Protoplasma bei 
seinen Bewegungen sich stellenweise von der Peripherie zurückziehen 
kann, indem es hier und dort durch Fäden oder breitere Fortsätze 
damit zusammenhängt, ähnlich wie die Arcella und Difflugia in 
ihren Gehäusen. Doch habe ich diese Beobachtung bis jetzt bloss 
bei grösseren Individuen gemacht, bei denen ich keine äusseren 
Pseudopodien mehr wahrnahm, die also wahrscheinlich schon im 
Uebergang zur Encystirung begriffen waren. 

Ich habe in meiner ersten Abhandlung über die Süsswasser- 
Radiolarien eine Eneystirung der Acanthocystis beschrieben und dabei 
bemerkt, dass ich längere Zeit geglaubt hätte, die Cyste sei durch 
ein festes zusammenhängendes Gittergehäuse gebildet. Spätere Beob- 
achtungen veranlassten mich indessen, von der Annahme eines festen 
Gitters zurückzugehen, indem es mir schien, als ob dasselbe nur 
scheinbar dadurch hervorgebracht werde, dass die »blassen Körner« 
der Acanthocystis in regelmässiger Anordnung sich an der innern 
Fläche der Cyste fest aneinander gelegt haben. Die encystirten 
Acanthocysten habe ich später wiederholt aufgefunden und bei einer 
nochmaligen Prüfung die Ueberzeugung gewonnen, dass meine ersten 
Beobachtungen und die darüber früher gemachten Angaben voll- 
ständig begründet waren, dass in der That die unter der Oberfläche 
des Körpers d. h. unter den Kieselnadeln sich bildende innere Cyste 
nicht bloss eine zusammenhängende Gitterkugel ist, son- 
dern dass dieselbe auch, wie eine Behandlung mit concentrirter 
Schwefelsäure lehrt, aus Kieselsäure besteht. Dieses Kiesel- 
gehäuse ist indessen, wie es scheint, nicht gleich bei Anfang der 
Eneystirung vorhanden, sondern wird erst später ausgeschieden, 
worauf besonders aufmerksam zu machen ist, da dieser Umstand 
leicht, wie dieses auch bei meinen früheren Beobachtungen der Fall 
war, zu verschiedenem Urtheil Anlass geben kann. 

Nach diesen Erörterungen will ich noch einmal kurz diejenigen 
Beobachtungen, die ich, mit Einschluss der früheren, bisher über 
Acanthocystis turfacea gewonnen habe, zusammenfassen. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 11 


Acanthocystis turfacea Carter ist von mehr oder minder 

kugeliger Gestalt mit einem Körperdurchmesser von 0,1—0,15 Mm. 
Der Innenraum ist in der Regel dicht mit grünen Farbstoffkörpern 
erfüllt, die namentlich die äusseren Schichten einnehmen, so dass 
ohne Compression von den übrigen Inhaltstheilen meist nichts zu 
sehen ist. 
Auf der Oberfläche des Körpers stehen in radiärer Richtung 
nach aussen und dicht zusammengedrängt Kieselstacheln, grössere 
und kleinere. Die grösseren sind ungefähr so lang wie der Durch- 
messer des Körpers und äusserst zahlreich. Sie lassen einen deut- 
lichen inneren Längskanal erkennen, sitzen an ihrer Basis vermittelst 
eines leicht gebogenen rundlichen Fussplättchens auf der Peripherie 
des Körpers und sind an der Spitze sehr kurz gegabelt. Die klei- 
neren Stacheln sind nur ungefähr ein Dritttheil des Körperdurch- 
messers lang, weniger zahlreich als die Ersteren, sehr dünn aber 
mit einer weiten äusseren Endgabel versehen. Ausser diesen radiären 
Kieselstacheln finden sich noch in tangentialer Richtung zum Um- 
fang der Acanthocystis spindelförmige leicht gekrümmte Stäbchen, 
die mit den Fussplättchen der Stacheln ein mehr oder minder zu- 
sammenhängendes Gerüst bilden. 

Zwischen den Kieselstacheln und in der Regel weit über sie 
hinaus nach aussen gestreckt treten fadenförmige Pseudopodien der 
inneren Sarkode hervor, in wechselnder Anzahl, im Verhältniss zu 
der Zahl der Stacheln in der Regel nur wenige. Bei genauerer 
Prüfung erkennt man in ihnen einen hyalinen Axenfaden, der na- 
mentlich an der Basis deutlich ist, und eine körnchenführende be- 
wegliche Rindensubstanz, die oft tropfen- oder perlartig an dem 
Faden sich zusammenschiebt. 

Ausser durch das erwähnte Kieselgerüst ist der äussere Umfang 
der Acanthocystis im gewöhnlichen Zustande von keiner Membran 
oder Kapsel umschlossen. Gegen die Anwesenheit einer solchen 
spricht unter Anderem das zeitweise Hervortreten grösserer Sarkode- 
massen über die Oberfläche hinaus und vor Allem die Aufnahme von 
Nahrung (Infusorien etc.), die nach Art der Actinophryen und an- 
derer Rhizopoden, wie ich mehrere Male zu beobachten Gelegenheit 
hatte, von den äusseren Strahlen umfasst und in den Körper an 
einer beliebigen Stelle eingedrückt werden. 

Inmitten der Acanthocystis liegt ein mehr oder minder kugeliger 
Körper von ungefähr 0,02 Mm. Durchmesser (Centralkapsel) mit 


12 Dr. Richard Greeff: 


einer äusseren Kapsel und einem hyalinen und homogenen Inhalt, 
in welchem noch ein dunkleres Gebilde liegt, aus dessen Mitte end- 
lich ein punktförmiges helles Bläschen hervorleuchtet (Taf. I Fig. 1). 
Von diesem feinen Bläschen, das das Centrum des ganzen Körpers 
der Acanthocystis einzunehmen scheint, treten feine Strahlen nach 
allen Richtungen aus, die dem ganzen Mittelraum ein sternförmiges 
Aussehen geben. Die Strahlen durchsetzen die ganze Kapsel und 
lassen sich bis zu deren äusserem Umfang leicht verfolgen. Sie 
scheinen aber von hier aus weiter durch den Körper der Acantho- 
eystis bis zur äusseren Peripherie vorzudringen, um dann als Axen- 
fäden in die äusseren Pseudopodien einzutreten. 

Der Raum zwischen der im Innern gelegenen Centralkapsel 
und der äusseren Peripherie ist ausgefüllt von körnigem Protoplasma 
mit reichlicher Blasen- oder Vacuolenbildung (extrakapsuläre Sar- 
kode). Die Vacuolen enthalten eine leichtflüssige, wasserklare 
Substanz, wodurch, da sehr viele kleine Bläschen vorhanden sind, 
vielleicht die zuweilen sichtbare äusserst lebhafte Bewegung der 
Sarkodekörnchen erklärlich ist. In der extrakapsulären Sarkode 
liegen die grünen Farbstoffkörper meistens so zahlreich und dicht 
zusammengedrängt, dass die ganze Acanthocystis dadurch eine grüne 
Färbung erhält, zuweilen aber auch in geringer Anzahl oder voll- 
ständig fehlend. Es sind kugelige oder ovale Körperchen mit derber 
Membran, welche der Sitz des grünen Pigmentes zu sein scheint. 
Der Inhalt ist hell und homogen mit einem oder einigen dunkel- 
glänzenden Körnern. Sehr häufig sieht man diese grünen Pigment- 
körner in einem lebhaften Vermehrungsprocess begriffen, meist durch 
Zweitheilung, zuweilen aber auch durch Dreitheilung. Ueber die 
Natur und Beziehung der Pigmentkörper zur Acanthocystis turfacea 
ist bis jetzt nichts Sicheres bekannt. Die von verschiedener Seite 
ausgesprochene Ansicht, dieselben seien homolog den »gelben Zellen« 
der marinen Radiolarien kann bei der gänzlichen Unkenntniss der 
Bedeutung beider Gebilde bisher bloss als eine Vermuthung gelten. 
Es besteht zwischen den gelben Zellen der marinen Radiolarien 
und den Pigmentkörpern der Acanthocystis turfacea nicht einmal, 
abgesehen von der Farbe, eine rein morphologische Uebereinstimmung, 
da die gelben Zellen auf allen Stadien den deutlichen Zellcharakter 
bewahren, während die Pigmentkörper des Acanthocystis densel- 
ben, wenigstens in ausgewachsenem Zustande, nicht mehr zeigen. 
Ausserdem können die Letzteren bei derselben Art in sehr ver- 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 13 


schiedener Anzahl, selbst in verschwindend kleiner vorkommen oder 
ganz fehlen. 

Neben den grünen Körpern sind durchaus blasse, etwas glän- 
zende und durchaus homogene Gehilde im Innern vorhanden, von 
ähnlicher Form wie jene, häufig aber oval oder unregelmässig ge- 
staltet und meistens grösser (Taf. I Fig. 1)').. Ihrer Zahl nach 
sind sie ebenfalls wechselnd, in der Regel weniger als grüne 
Körper, zuweilen aber auch ebenso viel oder mehr als diese. Be- 
sonders bei der gleich zu erwähnenden Encystirung scheinen sie 
stets in grösserer Anzahl sich zu entwickeln. 

Acanthocystis turfacea vermehrt sich durch Theilung. Ausser- 
dem findet zu gewissen Zeiten ein Encystirungsprocess Statt, der 
wahrscheinlich mit der Fortpflanzung in Verbindung steht. Die 
Fussplättchen der radialen Stacheln und die tangentialen spindel- 
förmigen Stäbchen ziehen sich fester zusammen,, indem zu gleicher 
Zeit, wie es scheint, von innen ein kieselhaltiger Kitt ausgeschieden 
wird, so dass die Oberfläche nun noch mehr ein zusammenhängen- 
des zartes Kieselgerüst bildet. Unter dem Letzteren zieht sich der 
Körper der Acanthocystis nach innen kugelig zusammen und um- 
giebt sich mit einer doppelten Cyste, nämlich einer hyalinen Schicht 
von organischer Substanz und einer darauf nach innen folgenden 
kieseligen Gitterkugel?). Innerhalb dieser Kapseln erfolgt eine 
starke Vermehrung der oben erwähnten blassen glänzenden und 
homogenen Körper, die besonders nach aussen zu angehäuft sind. 
Diese farblosen homogenen Körper scheinen die Keimkörner (Sporen) 
der Acanthocystis zu sein, die wahrscheinlich erst im Frühjahr nach 
Öeffnung der Üyste frei werden und vielleicht nach kurzen Ent- 
wicklungsstadien direct zu jungen Acanthocysten werden®). Ob sie 
mit den grünen Körnern in genetischer Verbindung stehen resp. 
aus ihnen sich entwickeln, ist bisher nicht beobachtet. Neben der 
Acanthocystis turfacea und mit ihr in Vorkommen, Form, Grösse, 
Stachelbekleidung und fast allen sonstigen Eigenthümlichkeiten des 
Baues und der Lebenserscheinungen, mit Ausnahme des Besitzes 


1) Erster Artikel S. 485, Taf. XXVI Fig. 11, Taf. XXVII Fig. 19. 

2) Ibid. Taf. XXVII Fig. 15 u. 16. 

3) Die homogenen glänzenden Körper der Acanthocysten scheinen so- 
mit denjenigen zu entsprechen, die ich von Pelomyxa palustris als »Glanz- 
körper« beschrieben habe, s. dieses Archiv Bd. X, S. 65. 


14 Dr. Richard Greeff: 


der grünen Körner, übereinstimmend, findet sich häufig eine Form, 
die ich früher als Acanthocystis pallida bezeichnet habe!) in der 
Vermuthung, sie repräsentire vielleicht eine besondere Varietät. Allein 
ich glaube, dass sie mit Acanthocystis identisch ist, da man auch 
Uebergänge findet von solchen, die der grünen Körper vollständig 
entbehren zu den reichlich damit erfüllten, indem sie in einigen 
nur in verschwindend geringer Anzahl, in andern mehr vorhan- 
den sind. 

Ausser Acanthocystis turfacea sind bisher noch folgende Arten 
derselben Gattung beobachtet worden, nämlich: 


Acanthoeystis spinifera Greeft 2). 


Die radiären Kieselstacheln bestehen aus sehr einfach zuge- 
spitzten (nicht an der Spitze gegabelten) Nadeln, die aber ebenfalls 
mit feinen Fussplättchen auf dem Umfang des Körpers sitzen. Die 
kleineren weitgegabelten Kieselnadeln fehlen. Zwischen den Nadeln 
sieht man die ebenfalls sehr feinen, viel längeren Pseudopodien nach 
aussen treten. Der Innenraum enthält ein verhältnissmässig grosses 
meist central gelegenes kugeliges Gebilde (Centralkapsel), das aus 
dem Innern des lebenden Thieres wie eine helle, homogene, kugelige 
Blase hervorscheint, nach Isolirung und auf Zusatz verdünnter Essig- 
säure oder Alkohol eine Anzahl von rundlichen kernartigen Körpern 
hervortreten lässt. Statt der grünen Körner der Acanthocystis tur- 
facea enthält die A. spinifera intensiv gelb gefärbte, die noch weit 
mehr als jene auf eine Verwandtschaft mit den gelben Zellen der 
marinen Radiolarien hinweisen, so dass ich früher, namentlich da ich 
auch deutliche Zellformen in ihnen glaubte zu erkennen, die directe 
Zusammengehörigkeit der beiden Gebilde aussprach. Bei näherer 
Prüfung treten indessen gegen diese Auffassung dieselben Bedenken 
ein, die ich früher bezüglich der grünen Körner hervorgehoben habe. 

Ich habe in meiner früheren Abhandlung, mit A.spinifera zu- 
sammen, eigenthümliche, sehr kleine rhizopodenartige Wesen mit 
einer gelben öltropfenartigen Kapsel im Innern und zweien an ent- 
gegengesetzten Stellen des Körperumfangs austretenden Pseudopo- 


1) Erster Artikel S.489, Taf. XXVI Fig. 19. 
2) Ibid. S.493, Taf. XXVII Fig. 20 bis 23. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers, 18 


dienbüscheln beschrieben !) und die Möglichkeit eines genetischen 
Zusammenhangs derselben mit den gelben Körnern der A. spinifera 
ausgesprochen. Ich vermag indessen diesen Zusammenhang durch 
weitere Beobachtungen nicht zu begründen, da ich die A. spinifera 
hier in Marburg bisher nicht wieder gefunden habe, während ich 
die erwähnten merkwürdigen Organismen sowohl hier in Marburg 
als überall, wo ich mich um Beobachtungen nach dieser Richtung 
hin bemüht habe, zeitweise sehr häufig angetroffen habe. Es sind 
unzweifelhaft dieselben, die bereits früher, wie ich aus einer Notiz 
von Archer sehe, von J. Barker als Diplophrys Archeri kurz 
beschrieben?) und später auch von Archer selbst beobachtet wor- 
den sind®). Archer beschreibt ausserdem unter dem Namen Cysto- 
phrys oculea einen Rhizopoden®), der, wie ein vergleichender Blick 
auf unsere beiderseitigen Abbildungen zeigt, zweifellos identisch ist 
mit der von mir in meiner ersten Abhandlung Fig. 29 abgebildeten 
aber nicht besonders benannten Form ist. Ich habe damals die 
Zusammengehörigkeit der von mir in Fig. 25 bis 29 behandelten 
Formen hervorgehoben, indem ich annahm, die in Fig. 29 von mir 
dargestellte (Cystophrys oculea Archer’s) sei nur eine gruppenweise 
Vereinigung der in Fig. 26 bis 28 abgebildeten Einzelwesen (Diplo- 
phrys Barker’s). Archer glaubt indessen seine Cystophrys oculea 
stehe in keiner Verbindung mit Diplophrys Archeri, sondern reprä- 
sentire eine eigene Rhizopodenform. Ich kann dieser Ansicht nicht 
beistimmen, muss vielmehr an der früher ausgesprochenen festhal- 
ten, dass nämlich beide zusammengehören resp. in der oben ange- 
führten Beziehung identisch sind. Ich habe, wie ich bereits früher 
berichtet, neben den isolirten Formen auch zwei, drei, vier mit 
einander verbunden und schliesslich ganze Haufen bis zu fünfzig 
und darüber gefunden. Dieselbe Beobachtung habe ich später 
wiederholen können und mich aufs Neue überzeugt, dass die Oysto- 
phrys oculea Archer’s bloss eine wahrscheinlich durch Theilung 
entstandene Golonie der Diplophrys Archeri ist. Auch bezüg- 
lich der eigenthümlichen Ausstrahlung der Pseudopodien stimmen 
die beiden Formen vollständig mit einander überein, denn jeder 


1) S.495, Taf. XXVII Fig. 24 bis 28. 

2) Quart. Journ. of mier. sc. Vol. XVI, pag. 123. 
3) Fasc. I, pag. 43 u. Fasc. II, pag. 31. 

4) Fasc. I, pag. 53, Pl. XI, Fig. 3. 


16 Dr. Richard Greeff: 


Einzelkörper streckt seine eigenen Pseudopodien aus und zwar, wie 
oben bemerkt, büschelweise von zwei verschiedenen meist einander 
entgegengesetzten Punkten. Hierdurch entsteht auch die von ähn- 
lichen Rhizopoden abweichende Ausstrahlung der Pseudopodien, die 
keine allseitig radiäre Richtung einhalten, sondern sich vielfach 
kreuzen und unregelmässig durcheinander laufen. Bei den zu 
grösseren Gruppen vereinigten Individuen verschmilzt natürlich die 
ursprünglich aus jedem Individuum bipolar austretende Sarkode der 
Pseudopodien zum Theil mit den enganliegenden benachbarten, so 
dass es den Schein hat, als träten die Pseudopodien allein und ur- 
sprünglich aus der die einzelnen Individuen verbindenden Sarkode 
hervor. Prüft man aber genauer, so überzeugt man sich, dass das 
beschriebene eigenthümliche Verhältniss der Pseudopodienausstrahlung 
bei den Colonieen (Cystophrys) gerade so stattfindet, als in = Einzel- 
wesen (Diplophrys) !). 

Archer hat die von mir beschriebene Acanthocystis spinifera 
ebenfalls aufgefunden und einige interessante Beobachtungen über 
dieselbe gemacht. Zunächst berichtet er über einen Conjugations- 
Process der A. spinifera?). Doch scheinen mir die Gründe, die ihn 
veranlassen das von ihm beobachtete Object, das aus zweien ver- 
mittelst einer Brücke mit einander verschmolzenen Individuen besteht, 
als eine Conjugation und nicht als Theilung zu deuten, keineswegs 
überzeugend. Die Stellung der Nadeln an dem Isthmus zwischen 
beiden Individuen kann hierfür nicht als Beweis, wie mir scheint, 
angesehen werden, da auch bei einer Theilung eine Anzahl der 
Nadeln eine mehr oder minder verticale Stellung erhalten Kann. 
Ebenso wenig kann das vollständige Ineinanderübergehen, d. h, de 
Mangel einer Demarcationslinie an dem Isthmus als Grund für die 
Conjugation gelten. Entscheidung hierfür bringt meiner Meinung 
nach allein die Beobachtung eines Aneinanderlegens und einer all- 
mählichen vollkommenen Verschmelzung zweier vorher getrennter 
Individuen zu einem Einzigen. 

Sodann bestätigt Archer die von mir beobachtete centrale 
Blase im Innern des Sarkodekörpers von A. spinifera, die er mit 
vollem Rechte glaubt als »Centralkapsel« bezeichnen zu können. 


1) Ich werde unten bei Beschreibung der Elaeorhanis eineta (S. 23) noch 
einmal auf die merkwürdigen diplophrysähnlichen Organismen zurückkommen, 
2) Fasc. II pag. 27, Pl. XI Fig. 7 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 17 


Ausserdem sah er innerhalb dieser Kapsel noch ein kleineres Gebilde, 
das durch Behandlung mit Carminlösung eine intensiv rothe Fär- 
bung annahm und dadurch als kugeliger Körper scharf aus dem 
Innern hervortrat. Er bezeichnet dieses centrale Bläschen als 
»Binnenblase«. Da ich indessen die A. spinifera hier in Marburg 
bisher nicht wieder angetroffen habe, so bin ich ausser Stande auf 
die mancherlei interessanten Fragen, die Archer an die Beobach- 
tung dieser Form knüpft, näher einzugehen. 

Eine weitere von Archer aufgefundene Art der Gattung 
Acanthocystis ist: 


Acanthoeystis Pertyana (Archer) ?). 


Archer giebt dieser Form folgenden Charakter: »Radiale 
Nadeln sehr kurz, Stamm (Basis) derselben verhältnissmässig dick, 
sich verschmälernd (»tapering«), am äusseren Ende zugespitzt; die 
Pseudopodien sehr dünn, ungefähr so lang als der Durchmesser des 
Körpers, kleine Körnchen enthaltend, die sich auf und nieder be- 
wegen; der Körper meistens farblos, aber zuweilen grün, wenn er 
mehr oder weniger mit Chlorophylikörnern erfüllt ist. Der Durch- 
messer des Körpers wechselt zwischen !/goo biS "/soo, die Länge der 
Nadeln von !/sooo DIS ?/s300 eines Zolles«. 

Der Acanthocystis Pertyana Archer’s vermag ich noch eine 
andere bezüglich der Stachelbekleidung jener ähnliche Art anzu- 
reihen, die ich vor einiger Zeit hier in einem mit der Lahn in Ver- 
bindung stehenden Wasserbecken aufgefunden habe. Ich nenne sie 
in Rücksicht auf ihre Färbung: 


Acanthoeystis flava (Greeff). 
(Taf. I Fig. 5.) 


Die radialen Stacheln sind kaum ein Dritttheil des Körper- 
durchmessers lang, an der Basis verhältnissmässig breit, nach 
aussen allmählich sich zuspitzend; sie scheinen mit einem ähnlichen 
Fussplättchen wie die Nadeln der A. turfacea und A. spinifera auf 


1) Fasc. I pag. 2 u. p. 42, Pl. VIH Fig. 1. 
Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd, 11. 2 


18 Dr. Richard Greeff: 


der Oberfläche des Körpers festzusitzen. Zwischen den Stacheln 
treten die feinen, fadenförmigen Pseudopodien in ebenfalls durchaus 
radiärer Richtung weit nach aussen. Der Körper ist 0,03 bis 0,04 
Mm. im Durchmesser, gelblich braun gefärbt, mit einigen rothen 
oder dunkelbraunen Körnern im Innern. Ausserdem sind mehrere 
farblose Körner von ähnlicher Grösse vorhanden. Aus der Mitte 
des Körpers tritt, namentlich bei genügender Compression, ein ku- 
geliger anscheinend hyaliner Körper (Centralkapsel) hervor. 

Ausserdem habe ich sehr häufig kleine und kleinste Formen 
von Acanthocystis gefunden, ähnlich denjenigen, wie sie Archer 
in seiner Abhandlung als muthmassliche Jugendzustände von Acan- 
thocystis spinifera beschreibt und abbildet!). Bei Allen konnte 
ich die kieselige Natur der äusseren sehr feinen Stacheln feststellen 
und somit die Zugehörigkeit zur Gattung Acanthocystis. Die meisten 
derselben habe ich indessen für Jugendzustände der Acanthocystis 
turfacea oder A. spinifera gehalten, bei denen indessen die genaue 
Beschaffenheit der Stacheln, ob nämlich an der Spitze gegabelt oder 
einfach zugespitzt, wegen der grossen Feinheit dieser Gebilde nicht 
immer deutlich erkannt werden konnte. Viele indessen waren, wie 
ich schon oben hervorgehoben habe, unzweifelhafte Jugendformen 
der Acanthocystis turfacea. 


Pompholyxophrys punicea Archer?). 
Hyalolampe fenestrata Greefi°). 
(Taf. I Fig. 6 u. 7.) 


Die mit den vorstehenden Namen bezeichneten und ohne Zweifel 
vollkommen identischen Formen sind, wie es scheint, fast gleichzeitig 
von Archer und mir beobachtet und beschrieben worden. Archer - 
beansprucht für sich die Priorität. Die thatsächliche Begründung 
‚dieses Anspruches möchte ihm indessen schwer werden, da in, der 
That, wie es scheint, die Veröffentlichung fast vollkommen gleich- 
zeitig erfolgt ist, denn sowohl das Heft des Quarterly Journal of 
microscopical Science, in welchem sich die erste Mittheilung über 


1) Fasc. II, Pl. XII Fig. 8. 
2) Fasc. I pag. 19, Pl. VII Fig. 4—5. 
3) Arch. f. mikr. Anat. V. Bd. S. 501, Taf. XXVII Fig. 37. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 19 


die Pompholyxophrys punicea Archer’s befindet, als auch dasjenige 
des M. Schultze’schen Archivs für mikroskop. Anatomie, welches 
meine Beobachtungen der Hyalolampe fenestrata enthält, sind beide, 
wie ich sehe, im October des Jahres 1869 ausgegeben worden. 
Eine wesentliche Differenz in unseren Angaben über dieses 
Geschöpf besteht in der Auffassung der äusseren hyalinen und an- 
scheinend alveolären oder blasigen Rindenschicht des Körpers. 
Archer erklärt diese Schicht für Sarkode mit kleinen, hyali- 
nen Bläschen, ähnlich der alveolären Schicht von Actinophrys. 
Nach meinen früheren Beobachtungen wird die Rinde meiner 
Hyalolampe fenestrata durch eine Kieselschale gebildet, »die wie 
aus einzelnen an einander gelegten Glaskügelchen gebildet zu sein 
scheint«. Auf den ersten Blick glaubte ich ebenfalls ein alveoläres 
blasiges Sarkodenetz vor mir zu haben, aber schon eine genauere 
Betrachtung der Contouren belehrte mich, dass dasselbe von festerem 
Gefüge sein müsse!). Die weitere Untersuchung zeigte, dass weder 
auf Zusatz von Essigsäure, noch Kali, noch selbst Schwefelsäure 
die Rindenschicht verschwand, dass vielmehr die Bläschen ihre Con- 
touren behielten, und so nahm ich an, dass die bläschenartigen Ge- 
bilde aus Kieselerde beständen und, wie mir schien, in Form eines 
Gittergehäuses ähnlich der Clathrulina elegans. 
Nach meinen ersten Mittheilungen habe ich den in Rede stehen- 
den Rhizopoden noch einige Male in Bonn, wo er besonders im 
Anfang des Frühjahrs in gewissen kleinen stehenden Gewässern 
ziemlich häufig war, wieder angetroffen und bei dieser Gelegenheit, 
ausser einigen neuen unten zu erwähnenden Beobachtungen abermals 
constatiren können, dass die Bläschen der Rindenschicht der Pom- 
pholyxophrys punicea Archer aus einer sehr festen widerstandsfähi- 
gen Substanz, keinenfalls aus Sarkode bestehen. Verschiedene 
Reagentien, die sonst eine alveoläre Sarkode alsbald zerstören und 
namentlich die Bläschen oder Vacuolen sofort collabiren machen, 
vermochten an der blasigen Rindenschicht dieses Rhizopoden nichts 
zu ändern. Die kleinen hellen kugeligen Bläschen traten immer 
wieder, wenn auch in zarten Umrissen, hervor. Allein ich bin über 
den Punkt wieder zweifelhaft geworden, ob die Bläschenstructur 
dieser Schicht der Ausdruck von kleinen runden Löchern an der 


1) In meiner ersten Abhandlung steht in Folge eines Druckfehlers irr- 
thümlich »ersterem« statt »festerem« Gefüge. 


20 Dr. Richard Greeff: 


Oberfläche sei, so dass aiso, wie ich glaubte annehmen zu dürfen, 
ein den Körper umschliessendes Gitterwerk vorhanden sei, oder ob 
die Bläschen nicht vielmehr solide kugelige Körper sind. Das Ge- . 
häuse würde in diesem Falle, entsprechend dem in meiner ersten 
Mittheilung wiedergegebenen Eindruck, »wie aus einzelnen aneinan- 
der gelegten Glaskügelchen gebildet«, erscheinen. Diese Auffassung 
würde sich auch der von Archer mehr nähern, der die Bläschen 
für frei und isolirbar erklärt. Es würde dann aber noch immer die 
sehr ins Gewicht fallende Differenz über die Constitution dieser Bläs- 
chen bestehen bleiben. Ich habe in der letzten Zeit mehrfache 
Versuche gemacht die Pompholyxophrys punicea hier wieder aufzu- 
finden, um die obigen Fragen womöglich zur Entscheidung zu 
bringen, aber bisher ohne Erfolg. Dahingegen kann ich aus der 
früheren Zeit eine interessante Beobachtung zur Naturgeschichte 
dieses Rhizopoden hinzufügen, die aber zu gleicher Zeit auch wie- 
derum für meine obige Annahme einer Rindenschicht von fester und 
wahrscheinlich kieseliger Natur spricht. Es ist dieses eine Encysti- 
rung, und zwar vermittelst einer doppelten Cyste, einer äusseren 
und einer inneren (Taf. I Fig. 6). Die äussere wird gebildet durch 
die Rindenschicht des Körpers, die in diesem Falle wenigstens ein 
unzweifelhaftes Kieselgerüst darzustellen scheint, an welchem aber 
die frühere scheinbar alveoläre Structur noch vollständig erhalten 
bleibt (Fig. 6a). Unter dieser äusseren Schale zieht sich der Körper 
des Rhizopoden kugelig zusammen, so dass sein Umfang von der 
äusseren Hülle in der Regel weit zurücktritt (Fig. 6b) und man 
hieraus schon die starre und feste Beschaffenheit dieser Hülle 
erschliessen kann. Dann umgiebt sich der Körper mit einer neueu 
und nach meiner auf die Anwendung verschiedener Reagentien ge- 
gründeten Untersuchung mit einer ebenfalls kieseligen Cyste, die 
bei stärkerer Vergrösserung auf der ganzen Oberfläche wie mit feinen 
regelmässig vertheilten Poren besetzt ist (Taf. I Fig. 7). Dieser 
inneren Oyste liegt die rothbraune Thierkugel dicht an. Den weiteren 
Verlauf dieses Eneystirungsprocesses und seine physiologische Be- 
deutung, die wohl ohne Zweifel, entsprechend der Encystirung ver- 
wandter Organismen, in einem Modus der Fortpflanzung und eines 
gleichzeitigen Schutzes und Erhaltung der Individuen innerhalb eines 
gewissen Zeitraumes zu suchen ist, habe ich nicht verfolgen können, 
da ich, wie schon oben bemerkt, diese Form hier nicht wieder an- 
getroffen habe. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 21 


Heterophrys myriopoda Archer !). 
(Taf. I Fig. 8.) 


Diesen interessanten Rhizopoden habe ich sowohl in Bonn als 
auch kürzlich hier gefunden. Ich zweifle nicht, dass es dieselbe Art 
ist, die ich in meiner ersten Abhandlung S. 492 beschrieben und 
Tafel XXVII Fig. 18 abgebildet, aber nicht besonders benannt habe, 
da ich, wie ich schon oben angeführt, in ihr eine Entwicklungsstufe 
von Acanthocystis turfacea vermuthete. Mit Ausnahme der Kiesel- 
stacheln, die nach meiner damaligen Beobachtung dieser Form 
ebenfalls zukommen, wenn auch in sehr geringer Anzahl und in 
anderem Verhältniss zum Körper, indem sie mit ihrem Basalende 
nicht vermittelst Plättchen der Oberfläche des Körpers aufsitzen, 
sondern in das Innere eintauchen, stimmen alle wesentlichen Cha- 
raktere mit Heterophrys myriopoda Archer’s überein. Da ich 
indessen damals nur ein paar Exemplare, die ich zufällig antraf, 
untersuchen konnte, so ist es immerhin möglich, dass ich einige von 
den stärkeren Pseudopodien der Heterophrys myriopoda für Kiesel- 
nadeln gehalten habe. Kürzlich habe ich die Heterophrys myriopoda 
in den Wasserbecken der Torfwiesen bei Schweinsberg in reichlicher 
Anzahl wieder aufgefunden, indessen niemals an ihnen wieder Kiesel- 
stacheln constatiren können. 

Der Körper dieses Rhizopoden hat ungefähr 0,08 Mm. im 
Durchmesser und ist wie Acanthocystis turfacea mit grünen Körnern 
ganz erfüllt. Die Körner sind im Allgemeinen grösser als bei 
Acanthocystis turfacea und meist lebhafter und heller grün. Bei 
einiger Erfahrung kann man häufig hierdurch schon die beiden 
genannten Formen sofort von einander unterscheiden. Ausser den 
grünen Körnern sind auch, aber meist nur wenige blasse im Innern 
der Heterophrys enthalten und zuweilen einzelne intensiv gelb ge- 
färbte öltropfenartige Körper. Alle diese Gebilde sind in eine be- 
wegliche körnchenreiche Sarkode eingebettet. Einen Nucleus oder 
ein centralkapselartiges Gebilde habe ich bisher im Innern mit 
Sicherheit nicht feststellen können. Auch Archer konnte nichts 
derartiges wahrnehmen. Indessen ist zu berücksichtigen, dass die 
Untersuchung hierauf bei den massenhaft im Innern angehäuften 


1) Fasc. I p. 16, Pl. XI Fig. 4. 


22 Dr. Richard Greeff: 


Körnern sich meist nur durch Zerdrücken des ganzen Körpers unter 
dem Deckglase bewerkstelligen lässt. Die dann nach aussen tre- 
tenden Inhaltstheile sind natürlich bezüglich ihrer vorherigen natür- 
lichen Lage, zum Theil auch ihrer Form, ja ihrer Zugehörigkeit zu 
dem betreffenden Objecte mit grosser Vorsicht zu beurtheilen. 

Der äussere Körperumfang ist von einer zweifachen Sarkode- 
schicht umgeben, zunächst von einem hyalinen sehr schmalen Saum 
(Taf. I Fig. Sa), auf den nach aussen eine breitere, meist leicht 
gelblich gefärbte und körnchenführende Schicht folgt (Fig. Sb). 

Zweierlei Pseudopodien, diesen beiden Schichten bezüglich ihres 
Ursprungs entsprechend, strahlen ringsum von dem Körper der 
Heterophrys: Zunächst eine Menge sehr feiner kurzer Fäden, die 
ausschliesslich der äusseren körnchenführenden Schicht zu entstammen 
scheinen (Fig. 8). Sie treten in radiärer Richtung vom Thierkörper 
nach aussen, zuweilen auch gruppen- oder büschelweise und dann 
oft unter einander divergirend und mit den benachbarten sich kreu- 
zend, wie ich es schon in meiner früheren Abhandlung bei der eben 
erwähnten mit der Heterophrys wahrscheinlich identischen Form 
beschrieben habe. Auch einzelne grüne Körner treten zeitweise, 
aber, wie es scheint, in der Regel durch äusseren Druck veranlasst, 
in die körnige breite Sarkodeschicht, wie ich ebenfalls schon früher 
angegeben habe. 

Ausser diesen zahlreichen feinen Strahlen sieht man noch eine 
geringere Anzahl langer und verhältnissmässig kräftiger Pseudopo- 
dien austreten, die man mit Leichtigkeit durch die äussere breite 
Sarkodeschicht hindurch bis auf die schmale hyaline Zone, die die 
grüne Thierkugel unmittelbar umgiebt, verfolgen kann. Sie ragen 
über die feinen Strahlen, nach aussen sich allmählich zuspitzend, 
um das Doppelte und Dreifache hinaus (vgl. Fig. 8). 

Mit Heterophrys myriopoda und Acanthocystis turfacea zusam- 
men fand ich zuweilen eine Form (Taf. I Fig. 9), die sich zunächst 
an die in meiner ersten Abhandlung (S. 491, Taf. XXVU Fig. 35) 
beschriebene anschliesst. Wie dort wird auch hier der eigentliche 
Körper von einer ziemlich breiten Sarkodeschicht umgeben, die aber 
nicht Körnchen trägt, sondern feine kurze Stäbchen (Fig. 9), im 
Uebrigen aber fast vollkommen mit jener übereinstimmt. Allein ob 
sie in der That identisch sind, vermag ich nicht zu bestimmen, 
ebenso wenig ob die Letztere (Fig. 9) möglicherweise, wie ich es auch 
bei der zuerst beschriebenen vermuthete, eine Entwicklungsstufe von 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 23 


Acanthoeystis turfacea oder Heterophrys myriopoda ist, oder nicht 
vielmehr ein besonderer Organismus. 


Elaeorhanis eineta nov. gen. et nov. spec. 
(Taf. I Fig. 10.) 


Im Centrum des kugeligen Körpers liegt ein glänzendes öltropfen- 
artiges Gebilde, das meist intensiv gelb gefärbt ist, bald dunkelgelb, 
tief orange oder bräunlich, bald hellgelb und zuweilen fast ganz 
farblos. Dieses Centrum wird umschlossen von einer hyalinen Kugel, 
die eine feste kapselartige Begrenzung zeigt und nach aussen noch 
von einer, wie es scheint, dünnen und hellen Sarkodeschicht umge- 
ben ist. Der ganze Umfang dieses so aufgebauten Körpers ist nun 
noch mit einem mehr oder minder zusammenhängenden Gerüst von 
Diatomeen, Sandkörnchen ete. umkleidet (Fig. 10). Durch diesen 
äusseren Mantel treten feine hyaline Pseudopodien strahlenförmig 
nach aussen. Zuweilen schien es mir, als ob neben der Oelkugel, 
zum Theil durch sie verdeckt, noch ein nucleusartiges Gebilde liege, 
ohne dass ich indessen hierüber wegen des äusseren und den Ein- 
blick erschwerenden Gerüstes volle Gewissheit erlangen konnte. Der 
ganze Körper ist mit der äusseren Bekleidung meist nur 0,02 bis 
0,03 Mm. im Durchmesser gross, häufig noch kleiner. 

Das vorstehend charakterisirte merkwürdige Wesen, das ich 
Elaeorhanis einecta genannt habe, ist, wie ich denke, identisch mit 
demjenigen, dessen Archer als eines der dipiophrysähnlichen Or- 
ganismus erwähnt!) und das er auf Taf. XII Fig. 9 und Taf. XIU 
Fig. 10 abbilde. Archer konnte indessen keine Pseudopodien und 
keine andern Bewegungserscheinungen erkennen. Die allerdings auf- 
fallende Aebnlichkeit der Elaeorhanis eineta mit den diplophrysarti- 
gen Rhizopoden, welche letztere ich in meiner ersten Abhandlung 
ausführlich beschrieben habe?) und über die ich auch oben einige 
nachträgliche Bemerkungen angefügt habe (S. 15), brachte mich 
ebenfalls auf die Vermuthung eines genetischen Zusammenhanges 
beider Organismen. Zunächst ist allerdings eins der auffallendsten 
Merkmale, nämlich die in der Mitte des Körpers liegende Oelkugel, 
beiden gemeinsam, ebenso die die Letztere umgebende hyaline scharf 


1) Fasc. II p.32. 
2) Erster Artikel 8. 495, Taf. XXVII Fig. 25—28, 


24 Dr. Richard Greeff:; 


umgrenzte Aussenschicht. Es ist nun leicht denkbar, dass beim 
weiteren Wachsthum resp. behufs Ausbildung zum fertigen Organis- 
mus von der Umgebung eine äussere gerüstartige Bekleidung von 
Diatomeen, Sandstückchen ete. angezogen würde, ja dass von einigen 
Formen Kieselstückchen ausgeschieden würden. Ein Hinderniss gegen 
die Zusammenstellung der beiden Organismen ist aber die durchaus 
verschiedene Ausstrahlung der Pseudopodien, die bei Diplophrys 
bipolar, bei Elaeorhanis durchaus radiär ist. Allein nach Bildung 
einer, wenn ich so sagen darf, extrakapsulären Sarkodeschicht, wie 
wir sie bei Elaeorhanis sehen, könnte die vorher bipolare direct 
der Centralkapsel entströmende Pseudopodienmasse in eine dem 
fertigen Organismus zukommende radiäre Ausstrahlung übergehen. 
Ich habe in Folge dessen die in Rede stehenden Wesen noch einmal 
aufgesucht, um die vermuthete Verbindung womöglich durch die 
Beobachtung festzustellen, ohne indessen meine vorherigen Zweifel 
vollständig beseitigen zu können. Es ist mir zwar geglückt eine 
Diplophrysform aufzufinden, deren äussere hyaline Kapsel noch mit 
einer (extrakapsulären) Sarkodeschicht umgeben war (Taf. I Fig. 11). 
Der äussere Umfang dieser Schicht war ausserdem mit feinen 
körnchenartigen Stäbchen bedeckt, die offenbar keine von aussen 
aufgenommene, sondern der Sarkode zugehörige, d. h. von ihr aus- 
geschiedene Gebilde waren. Aber die Pseudopodien traten, wie man 
aufs deutlichste wahrnehmen konnte, auch hier von zwei entgegen- 
gesetzten Stellen der Kapscl, die äussere Sarkodeschicht durchsetzend, 
büschelartig nach aussen (siehe Fig. 11). 

Bei einer andern Form fand ich die innere Oelkugel in mehrere 
zerlegt, aber noch von einer gemeinschaftlichen hyalinen Kapsel 
umschlossen (Taf. I Fig. 12). Und nun treten nicht zwei entgegen- 
gesetzte Pseudopodienbüschel, sondern mehrere von verschiedenen 
Punkten des Umfangs hervor, so dass es in der That den Anschein 
hat, als ob die Pseudopodieu in den Oelkugeln ihren Ausgangsheerd 
haben. Bei einer andern Diplophrysform indessen, bei der um die 
in der Mitte gelegene grössere, röthlich-braune Oelkugel mehrere 
'kleine Kügelchen gruppirt waren, konnte ich nur eine bipolare Aus- 
strahlung erkennen (Taf. I Fig. 13). 

Mit den diplophrysartigen Organismen zusammen fand ich sehr 
häufig andere, die ich ebenfalls im genetischen Zusammenhang mit 
den Ersteren vermuthete. Sie hatten indessen dnrchaus den Habi- 
tus einer Actinophrys angenommen, namentlich mit dem dieser 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 25 


zukommenden Charakter der gleichmässig radiären Ausstrahlung 
der Pseudopodien. Ich habe Taf. I Fig. 14 eine solche Form ab- 
gebildet: der kugelige oder scheibenförmige Körper, der nur ca. 
0,02 Mm. im Durchmesser hat, ist von einer körnigen Sarkode und 
einigen röthlichen oder gelblichen öltropfenartigen Kugeln, die in 
ihrem Aussehen vollständig denjenigen der Diplophrys, namentlich 
der zuletzt erwähnten (Fig. 12) entsprechen. Im Centrum des Kör- 
pers liegt ein Nucleus mit Nucleolus. Der äussere Umfang zeigt 
zunächst eine ziemlich scharfe Umgrenzung und von ihm treten 
die feinen und einfachen Pseudopodien in radiärer Richtung nach 
aussen. Die Oberfläche des Körpers ist aber ausserdem noch um- 
geben von einer feinen körnigen Sarkodeschicht, die zwischen der 
Basis der Pseudopodien langsam strömend sich bewegt. Eine con- 
tractile Blase konnte ich nicht wahrnehmen. 

Aus den vorstehend angeführten Beobachtungen erhellt, dass 
eine feste Verbindung der oben von mir beschriebenen Elaeorhanis 
eincta mit Diplophrys Archeri, trotz der in einiger Hinsicht grossen 
Uebereinstimmung bisher nicht nachzuweisen ist. Ausser Zweifel 
aber scheint mir, dass, wie ich auch schon früher hervorgehoben, 
Diplophrys Archeri mit Cystophrys oculea zusammengehört, dass 
die Letztere wahrscheinlich bloss eine durch fortgesetzte Theilung 
entstandene Colonie der Ersteren ist. Ob die diplophrysartigen 
Rhizopoden ausgebildete Formen sind oder nur Entwicklungszustände 
anderer, muss die weitere Beobachtung lehren. Die Untersuchung, 
namentlich die Verfolgung der Lebensgeschichte dieser Geschöpfe, 
ist bei der ausserordentlichen Kleinheit und dem plötzlichen Auftre- 
ten und Wiederverschwinden etc. mit sehr grossen Schwierigkeiten 
verknüpft. 

Was indessen unsere Elaeorhanis cincta betrifft, so zweifle ich 
nicht, dass dieselbe eine vollständig entwickelte Form darstellt, die 
trotz ihrer Kleinheit eine auffallende Radiolarienähnlichkeit zur 
Schau trägt. Wir haben eine äussere skeletartige Umhüllung, die, 
vielleicht durch Verschiedenheit der einzelnen Arten bedingt, zum 
Theil zwar von Fremdkörpern (Diatomeen, Sandkörnchen etc.) zu- 
sammengesetzt ist, zum Theil aber auch eigne Bildung sein mag. 
Wir haben ferner eine durch die Lücken des Gerüstes hindurchtre- 
tende radiäre Ausstrahlung der Pseudopodien, eine unter dem Gerüst 
liegende extrakapsuläre Sarkode, und endlich eine grosse Central- 
kapsel mit einem ebenfalls verhältnissmässig grossen central gele- 


26 Dr. Richard Greeff: 


genen ölkugelartigen Körper und wahrscheinlich noch anderen kern- 
artigen Gebilden. 


Pinaciophora fluviatilis nov. gen. et nov. spec. 
(Taf. I Fig. 15, 16 u. 17.) 


Mit dem vorstehenden Namen bezeichne ich eine interessante, 
den Radiolarien, wie mir scheint, ebenfalls sehr nahe stehende 
Rhizopodenform des süssen Wassers, die ich vor einigen Jahren bei 
Bonn im Rheine fand und bereits früher kurz beschrieben habe!). 
Sie scheint bloss im fliessenden Wasser zu leben, denn bei meinen 
vielfachen Untersuchungen der hierher gehörigen Bewohner der 
stehenden Gewässer habe ich niemals eine Spur davon angetroffen. 
Der Körper ist kugelig und hat einen Durchmesser von ungefähr 
0,05 Mm. Seine Oberfläche ist ringsum von einem Gerüst oder, 
wenn man will, einer Schale umgeben, die aus dicht an einander 
liegenden Kieselplättchen oder Täfelchen zusammengesetzt ist. Die 
Täfelchen -haben ungefähr die Gestalt eines Ovals mit zugespitzten 
Enden (Taf. I Fig. 16a,b,c). Sie sind auf ihrer Oberfläche mit 
zahlreichen feinen Löchern versehen, die bei genauerer Prüfung sich 
als Poren erweisen, die die Täfelchen und somit die ganze Schale 
in radiärer Richtung zum Thierkörper durchbohren, ähnlich einem 
Foraminiferengehäuse. Durch diese Poren scheinen die zarten faden- 
förmigen, einfachen und radiären Pseudopodien nach aussen zu treten. 
Die Kieseltäfelchen sind aber nicht zu einem starren Gerüst an 
einander gekittet, sondern liegen nur dicht aber beweglich an ein- 
ander (Fig. 16a), so dass sie sich durch Druck ete. leicht verschieben 
und isoliren lassen (Fig. 16b). Nach innen folgt auf die Kieselhülle 
zunächst eine schmale helle Sarkodeschicht, die die rothbraun gefärbte 
Körpersubstanz umschliesst. Indessen sind Rinden- und Innenschicht 
nicht scharf von einander geschieden, sondern die röthlichen Körn- 
chen der letzteren treten mehrfach in die erstere über (Fig. 15). 
Im Centrum des Körpers liegt eine verhältnissmässig grosse hyaline 
kapselartige Kugel, die ihrerseits ein zweites ebenfalls kugeliges 
und central gelegenes Gebilde von feinkörnigem Inhalt umschliesst 
(Fig. 17). 

1) Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten 
Naturwissensch. zu Marburg, Juni 1871. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 27 


Die hier beschriebene Form bietet ein besonderes Interesse durch 
den besitz eines äusseren Kieselgerüstes, besonders aber durch die 
eigenthümlichen Formverhältnisse desselben. Das Gerüst besteht 
zwar aus einzelnen Stücken, die aber als Täfelchen zu einer kugeli- 
sen Schale an einander gelegt sind. Das Merkwürdigste aber ist, 
dass diese Täfelchen, und somit die ganze Schale, zum Durchtritt 
der Pseudopodien mit feinen Poren durchsetzt ist, ähnlich einem 
Foraminiferengehäuse. 


Chondropus viridis nov. gen. et nov spec. 
(Taf. II Fig. 18.) 


Der kugelige Körper ist erfüllt mit grünen festen Kapseln, die 
bei Compression und stärkerer Vergrösserung eine unregelmässige, 
mehrfach zerklüftete Oberfläche zeigen. Zwischen den grünen Kapseln, 
zumeist, wie es scheint, auf dem äusseren Umfang des Körpers, 
liegen kleine, scharf conturirte Stäbchen und sonstige mehr oder 
minder unregelmässige Stückchen von ebenfalls scharfer Umgrenzung. 
Die diese Gebilde umschliessende Sarkode hat einen gelblichen Schein, 
der namentlich am äusseren Umfang als gelber Randsaum hervor- 
tritt. Ausserdem führt die Sarkode viele dunkelglänzende Körn- 
chen, die in lebhafter Bewegung die Oberfläche umkreisen- Von 
dem äusseren Umfang des Körpers strahlen in durchaus radiärer 
Richtung zarte fadenförmige Pseudopodien hervor, kaum so lang als 
der Durchmesser des Körpers, in welchen die von der Oberfläche 
und aus dem Innern austretenden dunkelglänzenden und verhältniss- 
mässig grossen Körnchen mit auffallend grosser Geschwindigkeit 
auf- und niederlaufen. Ein kern- oder centralkapselartiges Gebilde 
konnte ich im Innern von Chondropus viridis nicht wahrnehmen. 
Der Körper hat einen Durchmesser von 0,04—0,05 Mm. Ich fand 
diesen Rhizopoden im Frühjahr zwischen sandigem, mit Diatomeen 
erfülltem Schlamm aus der Lahn. 


Astrococeus rufus nov. gen. et nov. spec. 
(Taf. II Fig. 19.) 


Der rothbraune kugelige Körper ist von einer hyalinen, farb- 
losen Rindenschicht umgeben, in und auf welcher dunkelglänzende 
Körnchen lebhaft sich bewegen. Die Färbung der Innensubstanz 


28 Dr. Richard Greeff: 


rührt von vielen kleinen Farbstoffkörnchen her. Ausserdem treten 
bei Druck grössere hyaline Körner aus dem Innern hervor, ähnlich 
den blassen Körnern der Acanthocystis, nur kleiner. Ein einzelnes 
grösseres kernartiges Gebilde konnte ich nicht auffinden. Von dem 
rothbraunen Körper strahlen, die hyaline Rinde durchsetzend, feine 
fadenförmige Pseudopodien nach aussen, meist kürzer als der Durch- 
messer des Körpers. An ihnen gleiten durchaus ähnlich wie bei 
Chondropus viridis die dunkeliglänzenden Körnchen der Rindenschicht 
in sehr lebhafter Bewegung auf und nieder. 

Der Körper des Astrococeus rufus hat einen Durchmesser von 
ca. 0,05 Mm. 


Heliophrys variabilis nov. gen. et nov. spec. !) 
(Taf. II Fig. 20 bis 23.) 


Der kugelige oder scheibenförmige Körper (Fig. 20c) ist von 
einer in der Regel weit abstehenden durchaus hyalinen und homo- 
genen Rindenschicht umgeben, die auf ihrer Oberfläche mit feinen 
kurzen stäbchenartigen Körnchen bedeckt ist (Fig. 20, 22 u. 23a). 
Lässt man verdünnte Essigsäure oder Alkohol dem Objecte zufliessen, 
so fällt die hyaline Rindenschicht zusammen, aber die Stäbchen und 
Körnchen bleiben und legen sich dicht an den Körper an. Stärkere 
Agentien, wie z. B. Schwefelsäure, lösen auch diese vollständig. 
Der eigentliche Körper der Heliophrys variabilis besteht aus körni- 
ger Sarkode mit vielen Vacuolen von verschiedener Grösse (Fig. 22 
u. 23d). Meist sind die Vacuolen isolirt, nur selten so dicht zusam- 
mengedrängt, dass sie nach Art der Actinophryen netzförmig zusam- 
menzuhangen scheinen. Keine dieser Blasen zeigt pulsirende Con- 
tractionen. Ausserdem liegen in der Innensubstanz fast stets grüne 
und rothe Körner, aber in wechselnder Menge (Fig. 20 u. 21), so 
dass sie bald sehr reichlich vorhanden sind, bald nur spärlich oder 
vollständig fehlen. Sie scheinen von aufgenommener Nahrung her- 
zurühren. Im gewöhnlichen Zustande ist von kernartigen Gebilden 
im Innern nichts wahrzunehmen. Erst bei hinreichender Compres- 
sion erscheinen mehrere zarte hyaline Kapseln mit einem etwas 


1) Eine kurze Beschreibung dieses Rhizopoden habe ich bereits früher 
in den Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten 
Naturwissensch. zu Marburg, Juni 1871, gegeben. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 29 


dunkleren aber ebenfalls homogenen Centrum (Fig. 22 u. 23c). 
Meist zählte ich 4 oder 5, aber auch mehr, bis 7 oder 8. Bei Zu- 
satz von Essigsäure etc. treten die Kerne noch deutlicher hervor. 
Die von dem Körper ringsum durch die hyaline Rindenschicht nach 
aussen strahlenden Pseudopodien (Fig. 20 u. 22b) sind in gewöhn- 
lichem Zustande “einfach fadenförmig. Zuweilen aber, wie es scheint 
veranlasst durch lebhaftere Bewegungen, treten eigenthümliche Form- 
veränderungen des ganzen Körpers ein. Die kugelige oder scheiben- 
förmige Gestalt geht in eine unregelmässige mehr oder minder ge- 
streckte über (Fig. 21 u. 23). Zu gleicher Zeit treten die Pseudo- 
podien hier und dort in dickerem Strahle hervor und verästeln sich 
nach aussen oft mehrfach, aber immer mit nadelförmig zugespitzten 
Enden (Fig. 21, 23b). Man kann diese Formveränderungen des 
Körpers und der Pseudopodien dadurch hervorrufen, dass man das 
Object einer nicht allzu starken Compression vermittelst eines Deck- 
glases aussetzte. 

Der Durchmesser des ganzen Körpers mitsammt der Rinden- 
schicht beträgt ungefähr 0,06 Mm. 

Heliophrys variabilis findet sich namentlich im Frühjahre und an- 
fangs Sommer sehr häufig in stehenden und auch fliessenden Gewäs- 
sern auf dem schlammigen Grunde oder an Wasserpflanzen kriechend. 


Sphaerastrum conglobatum nov. gen. et nov.. spec. 
(Taf. II Fig. 24 bis 26.) 


Colonieen von actinophrysartigen Rhizopoden, die durch Sar- 
kodestränge mit einander verbunden sind. Die Einzelwesen haben 
einen kugeligen scharf umgrenzten Körper, von dem die Pseudopo- 
dien ausstrahlen, meist nicht allseitig, sondern von den Theilen der 
Oberfläche, die nach aussen gerichtet sind. Um die Pseudopodien 
zieht sich ein breiter heller Sarkodesaum, der in der Regel von 
einem Pseudopodium zum andern eingebuchtet ist und dadurch oft 
wie eine Guirlande die ganze Colonie umzieht (Fig. 24). Zuweilen 
drängt sich diese Aussensubstanz an der Basis oder der Spitze eines 
oder einiger stärkerer Pseudopodien zusammen und zeigt dann 
ein eigenthümliches Gewirr von vielfach verschlungenen Linien 
(Fig. 25 u. 26). 

Der Körper von Sphaerastrum conglobatum besteht aus heller 
homogener Substanz mit vielen gröberen und feinen Körnchen. Im 


30 Dr. Richard Greeff: 


Centrum liegt eine verhältnissmässig grosse, helle Kugel (Fig. 25) 
mit dunklerem Kern, der namentlich bei weiterer Compression deut- 
lich hervortritt (Fig. 26). 

Sphaerastrum conglobatum ist meist zu Colonieen von 10 bis 
20 Individuen verbunden. Der Körper der Einzelthiere hat unge- 
fähr einen Durchmesser von 0,03 Mm. Fundort: Bonn und Mar- 
burg in stehenden Gewässern. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel I und II. 


(Die sämmtlichen Figuren sind, wenn keine besondere Bezeichnung der 
Vergrösserung beigegeben ist, bei ca. 350- bis 400facher Vergrösserung ge- 
zeichnet.) 


Tafel J, Figur 1 bis 17 inel. 


Fig. 1. Acanthocystis turfacea bei hinreichender Deckglascompression, 
so dass die Innengebilde sichtbar werden. Die Figur stellt auf 
diese Weise einen Querschnitt, durch den Mittelpunkt des Körpers 
gehend, dar. Im Centrum liegt Uas centralkapselartige Gebilde ec, 
aus dessen bläschenformigem Mittelpunkt die sternförmige Aus- 
strahlung feiner Fäden hervorgeht. Die Fäden durchsetzen den 
Innenraum und treten als Axenfäden in die Pseudopodien b. Der 
Innenkörper ausserhalb der Centralkapsel ist erfüllt mit grünen und 
blassen Körnern und vacuolen- und körnchenhaltiger Sarkode. Um 
den Innenkörper e legt sich eine schmale Aussenschicht f, ohne 
grüne und blasse Körner, deren Sarkodekörnchen eine sehr lebhafte 
Bewegung zeigen. a lange und an der Spitze kurzgegabelte radiale 
Stacheln, d kurze an der Spitze weitgegabelte Stacheln. 

Fig. 2 u. Fig. 3. Die Centralkapsel von Acanthocystis turfacea nach Behand- 
lung mit Essigsäure. Die sternförmige Zeichnung verschwindet 
hierdurch allmählich. 

Fig. 4. Die Centralkapsel von Acanthocystis turfacea im frischen Zustande 

aus dem Körper isolirt. a die äussere Membran, b die hyaline 

Aussenschicht, ce der etwas dunklere Innenkörper mit dem centralen 

Bläschen. 

Acanthocystis flava Greeft. 


or 


Fig. 


Ueber Radiolarien u. radiolarienartige Rhizopoden d. süssen Wassers. 31 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


6. 


2.12, 


A18. 


. 14. 


219. 


16, 


17. 


18. 
19. 
20. 
21. 


22. 


Eneystirte Pompholyxphrys punica Archer (Hyalolampe fenestrata 
Greeff). a äussere Kieseleyste, b Innenköper mit innerer Kieselcyste. 
Innere mit feinen Poren versehene Kieseleyste von Pompholyxophrys 
punica bei stärkerer Vergrösserung (800facher). 


. Hetereophrys myriopoda Archer. a hyaline den Körper un- 


mittelbar umschliessende Sarkodeschicht. b körnchenhaltige Aussen- 
schicht. Aus der Letzteren strahlen die zahlreichen feinen und kurzen 
Pseudopodien hervor, von der ersteren die langen stärkeren. 


. Eine der Heterophrys myriopoda ähnliche Form, aber ohne kurze 


und feine Pseudopodienausstrahlung. Die Sarkode der Aussenschicht 
ist, statt mit Körnchen, mit feinen stäbchenartigen Körperchen 
durchsetzt. 


. Elaeorhanis cincta (Greeff) (600malige Vergrösserung). 
11. 


Diploprys Archeri mit einer Aussenschicht von Sarkode, die 
ebenfalls wie bei der vorhergehenden Form mit stäbchenförmigen 
Gebilden bedeckt ist (800malige Vergrösserung). 

Diplophrys Archeri mit mehreren Oelkugeln im Innern und 
einer mehrfachen büschelartigen Ausstrahlung der Pseudopodien 
(600malige Vergrösserung). 

Diplophrys Archeri mit einer grösseren und mehreren kleinen 
Oelkugeln im Innern, dabei aber mit bipolarer büschelförmiger 
Pseudopodienausstrahlung (600malige Vergrösserung). 

Ein actinophrysartiger Rhizopode mit Kern und Kernkörper im In- 
nern und mehreren rothbraunen ölkugelartigen Körpern, die den- 
jenigen der vorhergehenden Form ähnlich sind. 

Pinaciophora fluviatilis. a äussere Kieselschale, b Innenkörper, 
e Pseudopodien. 

Kieselgebilde des Gehäuses von Pinaciophora fluviatilis. a die ein- 
zelnen Kieselkörper an einander liegend von der Seite gesehen, so 
dass die von innen nach aussen gehenden Poren sichtbar sind. 
b ein isolirtes Kieselgebilde, ebenfalls von der Seite gesehen. c die- 
selben auf der Fläche gesehen (800- bis 1000fache Vergrösserung). 
Centralkapselartiges Gebilde von Pinaciophora fluviatilis. 


Tafel 1. 


Chondropus viridis (Greeff). 

Astrococcus rubescens (Greefl). 

Heliophrys variabilis (Greeffl). a Aussensarkode mit feinen 
kurzen Stäbchen, b Pseudopodien, ce Körper. 

Heliophrys variabilis. Im Beginn der Formveränderungen des 
Körpers und der Pseudopodien, 

Heliophrys variabilis, unter Deckglascompression gesehen. 
a Aussenschicht, b Pseudopodien, c Kerne, d Vacuolen, 


32 Dr. Richard Greeff: Ueb. Radiolarien u. radiolarienart. Rhizopoden etc. 


Fig. 23. Heliophrys variabilis. Ebenfalls unter Deckglasdruck und 
fortkriechend, wobei der Körper aus der Kugel- oder Scheibenform 
in eine langgestreckte übergeht und auch die anfangs einfachen 
radiären Pseudopodien sich mehrfach verästeln. 

Fig. 24. Sphaerastrum conglobatum. Colonie von vielen Individuen, 
die durch Sarkodestränge mit einander vereinigt sind (SOfache Ver- 
grösserung). 

Fig. 25 u. 26. Einzelne Individuen von Sphaerastrum conglobatum mit bläs- 
chenförmigem Kern und Kernkörper im Centrum und der an den 
Pseudopodien hinaufkriechenden Aussensarkode. 


Ueber Knochenwachsthum. 


Eine Erwiderung an A. v. Kölliker 
von 


Dr. Z. 3. Strelzoff 


in Jekatherinoslaw. 


(Aus dem patholog. anatom. Institut in Zürich.) 


Hierzu Taf. III und IV. 


I. Knochen-Resorption und Expansion. 


In meiner Arbeit über die Histogenese der Knochen !) habe 
ich zu zeigen versucht, dass die typische Gestaltung der Knochen 
durch die selbständige Entwicklung und durch das ungleichmässige 
Wachsthum der das Knochenindividuum zusammensetzenden Theile 
bedingt wird, und dass für die Hypothese einer modellirenden Re- 
sorption keine genügenden Beweise vorliegen. Meine Behauptungen 
basiren auf Untersuchungen der Genese und Topographie der em- 
bryonalen Knochen, welche ich meines Wissens zuerst in der ange- 
gebenen Richtung genauer studirt habe. Rascher als ich erwarten 
konnte, haben meine Beobachtungen in Kölliker?) einen Gegner 
gefunden, der bereits in einem vom 2. November 1873 datirten 


1) Untersuchungen aus dem patholog. Institut zu Zürich, herausgeg. 
von Eberth. 1873. 1. Heft. 

2) Knochenresorption und interstitielles Knochenwachsthum. Verh. d. 
phys, med, Gesellsch. in Würzburg. 1873. V. Bd. 


Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 11. 3 


54 Dr. Z. J. Strelzoff: 


Artikel meine Ende October publicirte Arbeit gerade in einem der 
Hauptpunkte zu widerlegen sucht, indem er die Gestaltung der 
Knochen durch Resorptionsvorgänge geschehen lässt und alle meine 
Angaben, die ich gegen die Resorptionstheorie geliefert habe, für 
irrthümlich und meine Schlussfolgerungen für falsch erklärt. 

Der Angelpunkt der Frage, wie Kölliker sagt, ist das Vor- 
kommen einer normalen und typischen Knochenresorp- 
tion. Die Thatsachen, welche die Resorption beweisen, lassen 
sich nach ihm kurz folgender Weise resumiren: 

1. Die allbekannten Erscheinungen bei der Bildung der von 
Tomes und de Morgan beschriebenen Haversian spaces. 

2. Der endochondral entstandene Knochen wird bei der 
Bildung der Markhöhle und der Markräume aufgelöst. 

3. Mit derselben Bestimmtheit wird eine Resorption von 
Knochengewebe bewiesen durch das regelrechte Schwinden der pe- 
riostalen Knochenlagen im Bereich der Resorptionszonen an den 
Enden der Diaphysen. 

4. Ein Schwinden von Knochengewebe beweisen die mit blos- 
sem Auge schon wahrnehmbaren Erscheinungen bei der Bildung 
und dem Vergehen der Alveolen, die Vorgänge bei dem Zahnwechsel, 
dem Abfallen der Geweihe der Cervina, bei der Bildung der Sinus 
der Schädelknochen, bei Vergrösserung der Löcher und Kanäle in 
Knochen, ferner die Zerstörungen an den in lebende Knochen ein- 
gebrachten Elfenbeinstiften u. s. w. 

5. Das Vorkommen der unter dem Namen Howship’sche 
Grübehen bekannten Erosionen ist als ein vollgültiger Beweis 
einer normal statthabenden Zerstörung von Knochengewebe zu be- 
trachten. Mechanische und Krappversuche sprechen zu Gun- 
sten der Knochenresorption. 

Die von Kölliker angeführten Punkte bieten eine solche un- 
erschöpfliche Quelle für die Discussion der betreffenden Frage, dass 
es ganz unmöglich ist, in der vorliegenden Schrift diesen Gegenstand 
ausführlich zu besprechen. Ich werde mich deshalb darauf beschrän- 
ken, meine früheren Angaben zu vervollständigen und die neuen 
vorläufig mitzutheilen, indem ich hoffe, den betreffenden Gegenstand 
im Laufe dieses Jahres im zweiten Heft der Untersuchungen aus 
dem pathologischen Institut zu Zürich in extenso zu behandeln. 

Bei der Discussion der von Kölliker angeregten Fragen ist es 
nothwendig, zuerst ins Klare zu bringen, worauf die Kölliker’sche 


Ueber Knochenwachsthum. 55 


Resorptionstheorie begründet ist. Ist einmal die Grundlage der 
ganzen Lehre gefunden, so kann man sich noch fragen, ob das 
Fundament selbst feststeht. 

Studirt man die früheren und neuen Schriften von Kölliker 
über die Gestaltung der Knochen aufmerksam, so kann man sich 
überzeugen, dass die neuen Ergebnisse dieses Forschers keine Be- 
weise bringen, um die schon seit einem Jahrhundert existirende 
Hypothese über Knochenresorption ausser Zweifel zu setzen. So 
hat er früher!) aus einer Vergleichung des Scheitelbeins eines 
Foetus oder Neugebornen mit dem eines Erwachsenen gefunden, dass 
das Erstere eine viel stärkere Krümmung besitzt und nicht etwa nur 
wie ein aus der Mitte des Letzteren ausgeschnittenes Stück sich 
verhält. Er hat daraus geschlossen, dass „ohne die Annahme 
örtlicher Aufsaugungsvorgänge an gewissen Stellen 
nicht auszukommen ist“ Man kann nicht verkennen, dass 
Kölliker nur darum zu einem solchen Schlusse kam, weil er den 
Knochen als eine inerte und einer Expansion unfähige Masse be- 
trachtete. Die Grundlage der Resorptionstheorie war also für Köl- 
liker eine Expansionsunfähigkeit der Knochen, welche er 
als allbekannte, nachgewiesene und ganz unzweifelhafte Thatsache 
betrachtete. 

In seiner neuen Schrift ist Kölliker seiner früheren Auffas- 
sung treu geblieben, er sagt nämlich: „Und in der That genügt die 
einfache Vergleichung zweier Knochen aus verschiedenen Altern, 
um die grosse Wichtigkeit der Vorgänge (Knochenresorption) dar- 
zuthun, die wir in dieser Abhandlung ausführlich geschildert 
haben“ ?). 

Wenn ich in eine Schieferplatte ein Loch bohre und etwas 
später finde, dass das Loch grösser geworden ist, so kann dies nicht 
anders, als durch eine Wegnahme der Substanz an den Rändern 
des Loches geschehen sein; — eine einfache Betrachtung mit blos- 
sem Auge genügt schon, um mit Sicherheit zu entscheiden, dass 
ein Substanzverlust an der betreffenden Stelle stattgefunden 
hat. Um meine Angaben über das interstitielle Knochenwachsthum 
zu widerlegen, sagt Kölliker, dass eine einfache Betrachtung der 
Löcher und Kanäle in Knochen mit blossem Auge die Thatsache 


1) Gewebelehre. Leipzig 1867. S. 232. s 
2) Die normale Resorption des Knochengewebes. Leipzig 1873. S. 65. 


36 Dr. Z. J. Strelzoff: 


„unzweifelhaft“ erkennen lässt, dass die Vergrösserung derselben 
durch ein „Schwinden von Knochengewebe“ bedingt wird. 

Es ist klar, dass Kölliker den Knochen in Beziehung auf 
seine Expansionsunfähigkeit der eben angeführten Schieferplatte 
gleichstellt. Er betrachtet diese Unnachgiebigkeit des Knochens als 
Folge seiner Härte. So ist z. B. Kölliker keine Thatsache be- 
kannt, welche für ein interstitielles Wachsthum der fertigen Kno- 
chensubstanz spräche; — „eine andere Frage ist die,‘ sagt Kölli- 
ker, „ob bei junger, in Bildung begriffener Knochensubstanz inter- 
stitielles Wachsthum sich findet, bei einem Gewebe, das mehr weniger 
weich und eben im Erhärten begriffen ist (l. c. S. 66). 

Betrachtet Kölliker die Expansionsunfähigkeit des betreffen- 
den Hartgebildes als unzweifelhaft, so ist damit Alles gesagt, — 
die Knochen können ohne einen Substanzverlust nicht gestaltet wer- 
den, — die Resorption ist eine nothwendige Folge dieser Annahme 
und es bleibt nichts übrig, als die Art und Weise zu suchen, wie 
und an welchen Stellen der Knochen zu Grunde geht. 

Schon vor 20 Jahren wurden die sogenannten Howship’schen 
Lacunen als unzweifelhafte Merkmale der Knochenresorption betrach- 
tet und die Resorptionsvorgänge in dem den Grübchen anliegenden 
Gewebe gesucht (Tomes und de Morgan). 12 Jahre später hat 
Robin!) gefunden, dass die den Knochenflächen anliegenden Ele- 
mente „Myeloplaxen“ sind und zu gleicher Zeit den Umstand er- 
wähnt, dass die Unebenheit der Knochenfläche den Umrissen von 
Myeloplaxen entspricht. Kölliker hat den von Robin entdeckten 
Elementen die von Tomes und de Morgan vermuthete Bedeutung 
zugeschrieben und ist bei seinen Untersuchungen von der Annahme 
der Resorption, als von einer allbekannten Thatsache aus- 
gegangen. 

Soweit ich die Kölliker’sche Resorptionstheorie verstehe, stützt 
sie sich auf folgende Voraussetzungen: 

1. Die Expansionsunfähigkeit der Knochen macht es noth- 
wendig, eine Knochenresorption als einen unentbehrlichen Vorgang 
bei der Gestaltung der wachsenden Knochen anzunehmen. 

2. Ein stattgefundener Substanzverlust hat eine Unebenheit 
der Knochenfläche (Howship’sche Grübchen) zur Folge. 


1) Journal de P’anatomie et de la physiologie normale et pathologique 
de l'homme et des animaux. 1864. S. 9. 


Ueber Knochenwachsthum. 37 


3. Das Knochengewebe wird durch die anliegenden histologi- 
schen Elemente (Myeloplaxen, „Ostoklasten‘) zerstört. 

Nun kann man sich fragen, welcher unter den angeführten 
Sätzen für die Resorptionstheorie am wichtigsten ist? 

Gelingt es Jemandem nachzuweisen, dass die vielkernigen 
Zellen (Myeloplaxen) keine Resorptionsorgane sind, so ist damit 
die Resorptionstheorie nichts weniger als erschüttert und Kölliker 
selbst ist bereit, die von ihm aufgedeckte und so viel besprochene 
Bedeutung der vielkernigen Zellen ins Gebiet der Hypothesen zu 
verweisen, indem er bei der Besprechung der Entstehung Howship’- 
scher Lacunen durch eine Knochenauflösung sagt, „dass es ganz 
gleichgültig ist, ob man das Knochengewebe von den Ostoklasten 
zerstört werden lässt, oder den Zerfall desselben in irgend einer 
anderen Weise auffasst.“ Ein Nachweis von Ostoklasten ist also 
demjenigen der Knochenauflösung gar nicht gleichbedeutend, eine 
Knochenresorption kann möglicherweise ohne Ostoklasten durch 
noch unbekannte Agentien bewirkt werden. Man kann also ersehen, 
dass die wichtigste Thatsache, auf welche die ganze neue Schrift 
Kölliker’s begründet ist, für die Resorptionstheorie nicht be- 
weisend ist. 

Widerlegt man die Bedeutung der Howship’schen Lacunen, 
so verliert die Resorptionstheorie an Gültigkeit gar nicht. Die Re- 
sorptionstheorie hat keineswegs von den Howship’schen Lacunen 
ihren Ursprung genommen, sie existirte schon, als weder von diesen 
Gebilden, noch von einfachen Rauhigkeiten der Knochenfläche die 
Rede war. Um nicht bis auf Hunter zurückzugehen, will ich daran 
erinnern, dass Kölliker (Gewebelehre 1867. S. 232), von einer 
Vergleichung verschieden alter Knochen ausgehend, keinen Anstand 
nahm, die Knochenresorption als einen für die Gestaltung der Kno- 
chen nothwendigen Vorgang zuzulassen, „obwohl das Nähere der 
fraglichen Aufsaugungen unbekannt ist“. Es ist also klar, dass für 
die Feststellung der Resorptionstheorie „das Nähere“ über die Art 
und Weise der Knochenauflösung nicht absolut nothwendig war; — 
das ist ein Detail, eine untergeordnete Frage ; — die Grundlage der 
Resorptionstheorie ist eine ganz andere. 

Es ist nun nicht schwierig zu begreifen, dass, wenn die Köl- 
liker’schen Angaben widerlegt werden können, ohne die Resorptions- 
theorie selbst in Zweifel zu ziehen, dieselben nicht als Grundlage für 
diese Lehre dienen können. Mit dem oben Gesagten glaube ich ge- 


38 Dr. Z. J. Strelzoff: 


zeigt zu haben, dass die Howship’schen Lacunen und Ostoklasten 
nur ein untergeordnetes Zubehör der Resorptionstheorie sind und 
dass die letztere nicht auf dem Vorkommen der genannten Gebilde, 
sondern auf der Annahme beruht, dass der Knochen einer Expan- 
sion unfähig ist. Wenn ich mich in meiner Arbeit gegen die 
Resorptionstheorie so entschieden ausgesprochen habe, so geschah 
es darum, weil ich Erscheinungen beobachtete, welche eine Expan- 
sion der Knochen beweisen und folglich die Annahme, von welcher 
die Resorptionstheorie ausgegangen ist, direct widerlegen. 

Die Hauptergebnisse meiner Untersuchungen über die Knochen- 
entwicklung sind folgende: 

1. In der Methode der doppelten Tinction habe ich ein . 
sicheres Mittel gefunden, den periöstalen von dem endochondralen 
Knochen scharf abzugrenzen und bis zu einem gewissen Entwick- 
lungsstadium die beiden Knochenarten zu verfolgen. Damit ist eine 
Basis für die Topographie des wachsenden Knochens gewonnen. 

2. Die innerste und zugleich auch längste Schicht des 
periostalen Knochens, welche ich perichondrale Grund- 
schicht genannt habe, lässt sich von ihrer Entstehung an bis in 
die spätesten Stadien des embryonalen Lebens verfolgen. 

3. Der endochondrale Knochen wird durch die endo- 
chondrale Grenzlinie von dem perichondralen getrennt; diese 
Linie spielt in der Topographie des wachsenden Knochens eine wich- 
tige Rolle, da sie eine Verfolgung der perichondralen und der 
endochondralen Grundschicht und eine Bestimmung des Durchmessers 
des endochondralen Knochens möglich macht. 

4. Bei der Erweiterung des Tubus medullaris erlaubt die 
endochondrale Grenzlinie zu beobachten, dass die perichondrale so- 
wie die endochondrale Grundschicht keineswegs zerstört, sondern 
mächtiger werden, während die endochondrale Grenzlinie, welche 
die genannten Schichten trennt, fortexistirt und einen Kreis eines 
grösseren Radius darstellt. 

5. Nicht nur die peri- und endochondrale Grundschicht wie 
die endochondrale Grenzlinie, sondern auch die periostalen, secun- 
dären Schichten und die endochondralen Uebergangs- und se- 
cundären Knochenbalken lassen sich in allen Stadien des embryo- 
nalen Lebens als bleibende Gebilde verfolgen und, wenn in einem 
gewissen Entwicklungsstadium die Knorpelreste und die endochon- 
drale Grenzlinie in der Mitte der Diaphyse schwinden und die Ver- 


Ueber Knochenwachsthum. 39 | 


folgung der Knochenschichten unmöglich machen, so kann man die 
betreffenden Gebilde in einiger Entfernung von der Mitte der Dia- 
physe studiren. 

Verfolgt man die endochondralen Knochenbalken eines 
und desselben embryonalen Röhrenknochens an Längs- und suc- 
.cessiven Querschnitten, so beobachtet man die wichtige, bis jetzt un- 
beachtete Thatsache, dass mit der successiven Erweiterung 
der Markräume von den Össificationsrändern gegen die Mitte der 
Diaphyse die endochondralen Knochenbalken mächtiger 
werden (Fig. 9). Da aus der Entwicklungsgeschichte der Knochen 
sich ergiebt, dass alle endochondralen Knochenbalken in einer ge- 
gebenen Höhe zu gleicher Zeit entstehen und desto älter sind, je 
näher dieselben dem mittleren Theil der Diaphyse liegen, so folgt 
hieraus, dass die endochondralen Knochenbalken desto 
dicker werden, je älter sie sind. 

Vergleicht man die Querschnitte des endochondralen Kno- 
chens in verschiedenen Höhen eines und desselben embryonalen 
Knochens, so findet man, dass ihr Durchmesser von den Ossifications- 
rändern bis in die Mitte der Diaphyse successiv abnimmt, wobei die 
sich verdickenden endochondralen Knochenbalken spärlicher 
werden, so dass trotz dieser Dickenzunahme der endochondralen 
Knochenbalken die Gesammtmasse des endochondralen Knochens 
gegen die Mitte der Diaphyse sich vermindert und in der Mitte 
der Diaphyse in Gestalt eines Halbmondes (Fig. 7 u. 8b) sich dar- 
stellt, oder ganz und gar fehlt. Der betreffende endochondrale 
Halbmond ist unter allen endochondralen Balken am dicksten, 
da er der älteste ist. 

Diese successive Verdickung der endochondralen Knochen- 
balken mit der gleichzeitigen Verminderung des Durchmessers 
des ganzen endochondralen Knochens von dem ÖOssificationsrand bis 
in die Mitte der Diaphyse und das Fehlen des endochondralen 
Knochens ganz in der Mitte der Diaphyse findet in der Entwick- 
lungsgeschichte der Knochen ihre Erklärung. Indem ich für das 
Detail der Knochenentwicklung auf meine grössere Arbeit verweise, 
will ich jetzt die eben besprochenen Verhältnisse durch Messungen 
veranschaulichen. 

Die vorliegenden drei Tabellen zeigen die maximale, minimale 
und mittlere Dicke der endochondralen Knochenbalken von der 
Össificationslinie an bis zu dem endochondralen Halbmond an drei 


40 Dr. Z. J. Strelzoff: 


Metacarpusknochen von Schafembryonen aus verschiedenen Stadien 
des embryonalen Lebens. Die Messungen sind an successiven Quer- 
schnitten angestellt, wobei der erste Schnitt in der Höhe der Ossi- 
ficationslinie, der letzte in derjenigen des Halbmondes ge- 
führt und die übrigen in möglichst gleichen Entfernungen von ein- 
ander aus dem intermediären Knochentheil entnommen sind. Die 
endochondrale Grundschicht ist besonders gemessen und an 
jedem Präparat ist nur der grösste und kleinste Durchmesser be- 
stimmt. 


Tabelle I. Metacarpus 16 mm. Länge. 


B 5 Dicke der endochondralen Ueber- || Dicke der endochondr. 
Nr. || _. 5 | gangs- und secundären Balken in Mm. Grundschicht. 
Ian | 
|. 8 2 PER, A. s R 
| N= | Maximale. | Minimale. | Mittlere. | Maximale, | Minimale. 
| 
1 | 100 0,0120 0,0060 0,0084 0 0 
2 100 | 0,0180 0,0060 0,0111 | 0 ) 
3 | 20 | 0,0504 0,0223 0,0347 | 0,0171 0 
4 20 || 0,0627 0,0228 0,0416 0,0342 0 
5 10 || 0,0798 0,0454 0,0522 0,0342 0,0114 
6 3 | 0,0798 | 0,0570 0.0627 | 0,9570 0,0285 
7 17 Endochondraler Halbmond = | 0,1362 0 
Tabelle II. Metacarpus 25 mm. Länge. 
16h IR N. SiEnBohu \U.nauo I xlanır Dr Sau 
N | Dicke der endochondralen Ueber- || Dicke der endochondr. 
Nr. | 5 , gangs- und secundären Balken in Mm. Grundschicht. 
Ei Ta | 
I85 | - Lull, tere] 
N= | Maximale. | Minimale. | Mittlere. | Maximale. | Minimale. 
| | 
1 100 | 0,0120 0,0060 0,0105 0 0 
2 100 | 0,0150 0,0120 0,0135 | 0 0 
3 100 | 0,0390 0,0120 0.0249 0,0114 0 
4 | 50 | 0,0480 0,0210 0,0887 ||. 0,0171. je 
B) 20 || 0,0798 0,0399 | 0,0627 || 0,0342 0,0114 
6 20 0,1140 0,0454 0,0912 | 0,0684 0,0114 
7 10 0,1539 0,0506 0,0969 || 0,0798 0,0221 
8 5 0,1767 | 0,0570 | 0,1425 || 0,1594 | ‚0,0842 
9 1 |  Endochondraler Halbmond = | 0,2451 0 
| 1} 


Ueber Knochenwachsthum. 41 


Tabelle*IlI. . Metacarpus 40 mm. Länge. 


EZ 
® &% | Dicke der endochondralen Ueber- | Dicke der endochondr. 
Nr. I 3 || gangs- und seeundären Balken in Mm. Grurdschicht. 
ar | 
sa| die ee a Er in 
Ne ' Maximale. | Minimale. Mittlere. Maximale. | Minimale. 
( — 
1 100 0,0150 0,0060 0,0117 0 0 
2 100 0,0270 0,0150 0,0195 0 0 
3 50 0,0955 | 0,0228 0,0454 0,0228 0 
4 50 | 0,1140 | 0,0504 |. 0,0718 0,0627 0 
5 20 0,1254 0,0570 | 0,0929 0,0855 0,0228 
6 20 0,1482 0,0684 0,1029 0,1024 0,0342 
Y/ 5 0,1482 0.0684 0,1085 0,1425 | 0,0342 
8 2 | 01482 | 0,0855 | 0,1168 0,1881 0 
9 1 Endochondraler Halbmond = 0,2850 0 


Vergleicht man die drei Tabellen mit einander, so findet man, 
dass, abgesehen von der successiven Verdickung der Knochenbalken 
von den Össificationsrändern bis zu der Mitte der Diaphyse, der 
endochondrale Halbmond desto dicker wird, je älter 
der Knochen ist. Was die endochondrale Grundschicht betrifft, 
so weist die Bezeichnung O an den ersten Schnitten darauf hin, dass 
in der Höhe der Ossificationslinie noch keine endochondrale Grund- 
schicht existirt und erst später bei der fortwährenden Verlängerung 
des Knochens durch die Verschiebung der endochondralen Knochen- 
balken an den betreffenden Stellen gebildet wird. Der endochon- 
drale Halbmond wird dadurch bedingt, dass bei der ersten Entstehung 
des endochondralen Knochengewebes die Knochenbildung nicht genau 
an allen Punkten der betreffenden Querebene des primordialen Mark- 
raumes stattfindet. Es folgt hieraus, dass auch in späteren Ent- 
wicklungsstadien nicht alle Theile des endochondralen Knochens 
an der Spitze des endochondralen Trichters genau in derselben 
Höhe liegen und dass man an den durch die Mitte der Diaphyse 
geführten Querschnitten solche Stellen trifft, an denen die endochon- 
drale Grundschicht keinen vollständigen Ring bildet und in Form 
eines Halbmondes erscheint. Diese Verhältnisse kann man an Quer- 
und Längsschnitten leicht controliren und die Entstehung des Halb- 
mondes im Beginn der endochondralen Kniochenbildung von dem 
primordialen Markraume aus beobachten. 

Führt man durch die dem Halbmonde entsprechende Stelle 
einen Längsschnitt, so sieht man mitunter den endochondralen 
Knochen gegen die Mitte der Diaphyse nicht stumpf, sondern etwas 


42 Dr. Z. J. Strelzoff; 


zugespitzt endigen und führt man durch “die dem dünnsten 
Theile der Spitze entsprechende Stelle einen Querschnitt, so 
kann man einen sehr dünnen Halbmond erhalten, aber man darf 
nicht sogleich schliessen, dass der schmale Halbmond durch eine 
Auflösung des dickeren entstanden ist. 

Ich würde von diesem Detail gar nicht sprechen, wenn nicht 
Kölliker aus dem in der Ulna eines Rindsembryo von ihm beob- 
achteten Halbmonde von endochondralem Knochen einen Beweis für 
die Knochenresorption gesehen hätte. 

Untersucht man den nämlichen Knochen in verschiede- 
nen Entwickelungsstadien, aber zu einer Zeit, wo die endochondrale 
Grenzlinie noch nicht verschwunden ist und eine sichere Orientirung 
erlaubt, so findet man, dass der Durchmesser sowohl, wie die 
Gesammtmasse des endochondralen Knochensan den 
entsprechenden Stellen desto bedeutender sind, je 
älter der zu untersuchende Knochen ist. 

Die abgebildeten drei Querschnitte (Fig. 1, 2 u. 3) stammen 
aus der Mitte der Diaphyse des Femur von verschieden alten Schaf- 
embryonen. Vergleicht man die Präparate mit einander, so kann 
man sich überzeugen, dass der Querdurchmesser der von der peri- 
ostalen Grundschicht gebildeten Röhre mit der Alterszunahme des 
Knochens sich vergrössert. Der Querschnitt Fig. 1 stammt aus 
einem 6 mm. langen Femur. In diesem Stadium ist noch kein 
endochondraler Knochen gebildet, die Diaphysenröhre ist noch mit 
den Resten des verkalkten Knorpels (b) gefüllt, welcher wegen der 
Bildung des primordialen Markraumes (c) in Zerstörung begriffen ist. 


Es beträgt 

Der grösste Durchmesser des ganzen Knochens (Fig. 1) = 1,320 mm. 

Der kleinste > » » » — 0,968 >» 

Der grösste Durchmesser des verkalkten Knorpels —- 25 

Der kleinste » » » » = 0,440 » 
Fig. 2. Femur 12 mm. Länge. 

Der grösste Durchmesser des Querschnittes = La 

Der kleinste » » » = 1144 » 

Der grösste Durchmesser des endochondralen Knochens = 0,660 >» 

Der kleinste » » » » = 0616 >» 
Fig. 3. Femur 27 mm. Länge. 

Der grösste Durchmesser des Querschnittes — 2,552 » 

Der kleinste » » » = 2,420 » 

Der grösste Durchmesser des endochondralen Knochens = 1,124 >» 

Der kleinste » » » » = 1,100 » 


En 


Ueber Knochenwachsthum. 43 


Der mittlere Durchmesser des durch die periostale Grundschicht 

gebildeten Ringes ist in diesen drei Präparaten folgender: 
Fig. Fig. 2. Fig. 3. 
0,506 mm. 0,638 mm. 1,112 mm. 

Fig. 4 u. 5 zeigen den endochondralen Knochen bei stärkerer 
Vergrösserung. Eine einfache Betrachtung genügt, um zu sehen, 
dass die Gesammtmasse des älteren Knochens viel bedeutender, als 
die des jüngeren ist. Zeichnet man diese Bilder mit Camera lucida 
auf ein in gleich grosse Felder getheiltes Papier, so kann man die 
Verhältnisse noch besser beurtheilen. Das endochondrale Knochen- 
gewebe des jüngeren Knochens, mit Syst. 2 von Hartnack gezeich- 
net, nimmt 680, dasjenige des älteren Knochens 1280 Quadratmilli- 
meter ein. Man sieht, dass die endochondrale Grundschicht (b) an 
der Spitze des endochondralen Trichters keinen vollständigen Ring 
bildet; führt man einen Schnitt weiter oben, so findet man wieder 
einen vollständigen Ring, weiter unten erhält man den endochon- 
dralen Halbmond. 

An Längsschnitten der symmetrischen Knochen kann man sich 
überzeugen, dass die perichondrale Grundschicht ganz intact von 
den epiphysären Knorpeln bis in die Mitte der Diaphyse sich fort- 
setzt und durch die endochondrale Grenzlinie von dem endochon- 
dralen Knochen getrennt ist. 

Die Vergrösserung des Durchmessers des endochondralen Kno- 
chens mit der gleichzeitigen Persistenz der endochondralen Grenz- 
linie und der durch die letztere getrennten Knochenchichten erkläre 
ich durch eine Expansion der ganzen Diaphysenröhre. Die Zu- 
nahme der Gesammtmasse des endochondralen Knochens ist ein ge- 
nügender Beweis dafür, dass der letztere nicht zerstört wird. 

Ausser diesen verhältnissmässig groben Erscheinungen, welche 
die Expansion der embryonalen Knochen ausser Zweifel setzen, 
wurde von mir das interstitielle Knochenwachsthum durch den Nach- 
weis der Theilung von Knochenkörperchen und der Zunahme 
der Zwischensubstanz bestätigt. 

Abgesehen von diesen Thatsachen, habe ich noch darauf auf- 
merksam gemacht, dass die Havers’schen Kanäle mit dem Alter der 
Embryonen enger, dass die Knochenbalken, an welchen Kölliker 
Howship’sche Lacunen und Ostoklasten gesehen hat, je älter desto 
mächtiger werden, dass an den Stellen, an welchen nach der 
Resorptionstheorie ein lebhafter Auflösungsprocess vor sich gehen 


„ 
44 Dr. Z. I. Strelzoff: 


soll, constant eine Knochenbildung stattfindet und dass die 
aus der mikroskopischen Betrachtung der Krappknochen gezogenen 
Schlussfolgerungen unbrauchbar sind. 

Betrachtet man nun die in den oben besprochenen fünf Punk- 
ten von Kölliker angeführten Ergebnisse, mit welchen er meine 
Beobachtungen widerlegen will, so kann man leicht ersehen, dass ich 
die betreffenden Punkte bei meinen Untersuchungen wohl ins Auge 
gefasst habe. Das Bestreben Kölliker’s, meine Beobachtungen zu 
entkräften, scheint mir von vorn herein dadurch ganz verunglückt 
zu sein, dass er dieselben mit den Angaben widerlegen will, welche 
ich unriehtig gefunden habe. 


ll. Endochondraler Knochen. 


Wenden wir uns jetzt zu den Thatsachen, welche nach 
Kölliker die Zerstörung des endochondralen Knochens und zu 
gleicher Zeit eine vollständige Grundlosigkeit meiner Beobachtungen 
beweisen. Er sagt: „Verfolgt man einen beliebigen Röhrenknochen 
des Menschen oder von Säugern bei verschieden alten Embryonen 
an successiven (Querschnitten vom ÖOssificationsrande der Diaphyse 
bis zur Mitte, so ergibt sich erstens bei jedem Knochen ein Zeit- 
punkt, in welchem die Gesammtmasse des endochondralen Knochens 
— ungeachtet der Dickenzunahme, die dessen Lagen erleiden — 
vom Ende gegen die Mitte immer mehr abnimmt, während zugleich 
die Markräume je länger je mehr an Grösse gewinnen.“ (8. 3.) 

Die Thatsache ist ganz richtig. Abgesehen davon, dass Köl- 
liker nicht erklären will, wie eine successive Verdickung der 
endochondralen Knochenbalken mit deren Zerstörung sich ver- 
einigen kaun, macht er genau denselben Fehler, welchen schon 
Hassall gemacht hat. Er verfolgt nämlich die successiven Quer- 
schnitte eines und desselben Knochens, findet, dass in der Mitte der 
Diaphyse viel wenige# endochondraler Knochen, als gegen die 
Gelenkenden vorhanden ist und schliesst, dass der endochondrale 
Knochen zu Grunde geht. 

Das von Kölliker beobachtete Bild findet in der Entwicke- 
lungsgeschichte der Knochen seine Erklärung: Der in der Mitte der 
Diaphyse befindliche endochondrale Knochen ist zur Zeit entstanden, 
wo an der betreffenden Stelle die Ossificationslinie sich fand; 
zur Zeit also, wo der endochondrale Knochen nur in Bildung be- 


Ueber Knochenwachsthum. 45 


sriffen, wo der ganze Knochen sehr klein war und der Durchmesser 
des endochondralen Gebiets nicht mehr als derjenige des primor- 
dialen Markraumes betrug. Die Gesammtmasse des endochondralen 
Knochens, welche im Beginn der endochondralen Knochenbildung 
entsteht und später die mittlere Partie der Diaphyse einnimmt, ist 
sehr unbedeutend und dem Diameter des primordialen Markraumes 
entsprechend; mit dem fortwährenden Knochenwachsthum wird die 
Anzahl der Granulationsräume durch das Wachsthum des Knorpels 
und durch die Einschiebung neuer Knorpelzellensäulen zwischen die 
schon vorhandenen (d.h. durch die Verwandlung der Knorpelzellen- 
säulen des zweiten in diejenigen des ersten Systems) successiv ver- 
srössert (s. meine Arbeit S. 14), wodurch der Durchmesser des en- 
dochondralen Knochens mit der fortwährenden Verlängerung des 
Knochens beständig in der Richtung gegen die Ossificationslinie zu- 
nimmt. Vergleicht man jetzt die successiven Querschnitte des be- 
treffenden Knochens mit einander, so findet man gerade dasselbe 
Bild, welches Kölliker gesehen hat. Will Kölliker den betref- 
fenden Gegenstand genauer verfolgen, so wird er sich selbst über- 
zeugen, dass das von ihm Gesagte keineswegs die Zerstörung des 
endochondralen Knochens beweist. 

Weiter sagt Kölliker: „In anderen Knochen schwindet in 
einem gewissen Alter das endochondrale Gewebe im Innern ganz und 
gar und ist es gar nicht schwer, das allmähliche Vergehen dieses 
Knochens zu verfolgen, da derselbe immer durch eine scharfe von 
Strelzoff und mir!) beschriebene Linie von der periostalen Kno- 
chenrinde getrennt ist und auch stets noch leicht nachweisbare 
Knorpelreste enthält. Dieses Schwinden der Knorpelreste und des . 
endochondralen Knochens bei der Bildung der Markhöhle und der 
Markräume betrachte ich als eine der gesichertsten Thatsachen der 
Östeogenese und werden, da Str. dasselbe beharrlich leugnet, An- 
dere zwischen uns zu entscheiden haben.“ (l. c. S.- 3.) 

Aus dem Gesagten schliesse ich, dass Kölliker den Schwund 
der endochondralen Grenzlinie und der Knorpelreste eben: so wenig 


1) In seiner Abhandlung über die normale Resorption des Knochen- 
gewebes spricht Kölliker von der betreffenden Linie, ohne zu erwähnen, 
dass in meiner früheren Mittheilung (Centralblatt 1873. Nr. 18), welche er 
kennt und aus anderen Gründen eitirt, diese Linie von mir beschrieben und 
als endochondraie Grenzlinie bezeichnet worden ist. 


46 Dr. Z. J. Strelzoff: 


verfolgt hat, wie das Schicksal des endochondralen Knochens. Die 
endochondrale Grenzlinie schwindet gar nicht dadurch, dass 
die durch dieselbe getrennten Knochenschichten zu Grunde gehen, 
sondern dadurch, dass die endochondrale und perichondrale Grund- 
schicht mit einander verschmelzen. Die Verschmelzung der bei- 
den Knochenschichten lässt sich in allen Stadien dieses Processes 
verfolgen und findet nicht an allen Punkten der endochondralen 
Grenzlinie, sondern stellenweise Statt, so dass einige Segmente dieser 
Linie übrig bleiben. Manchmal schwindet die endochondrale Grenz- 
linie in ihrer ganzen Ausdehnung viel früher, als die Knorpelreste 
der endochondralen Grundschicht. An einem solchen Präparat sieht 
man, dass der Tubus medullaris von einem Ring des endochondra- 
len Knochens (endochondrale Grundschicht) umgeben ist und dass 
zwischen dem periostalen und endochondralen Knochen keine Grenze 
mehr existirt: die endochondrale Grenzlinie ist durch die 
Verschmelzung der beiden Knochen verloren gegangen. 

Was die verkalkten Knorpelreste betrifft, so muss ich 
besonders hervorheben, dass, wenn man in der Mitte der Diaphyse 
keine Knorpelreste findet, dies noch nicht den Untergang des endo- 
chondralen Knochens beweist. Erstens kann man als eine allgemeine 
Regel gelten lassen, dass in der Mitte der Diaphyse kein endo- 
chondraler Knochen existirt. Diese Stelle entspricht dem primordia- 
len Markraume, in welchem auf eine gewisse Strecke kein Knochen 
gebildet wird. Zweitens wird der endochondrale Knochen in einem 
gewissen Entwicklungsstadium dadurch unkennbar, dass die Knor- 
pelreste schwinden, während der endochondrale Knochen 
selbst sich erhält. Das Schwinden der genannten Gebilde be- 
ginnt an der Stelle, an welcher der Knochen am ältesten ist, d. h. 
in der Mitte der Diaphyse. Findet man in der Mitte der Diaphyse 
keine Knorpelreste mehr und ist die endochondrale Grenzlinie auch 
verschwunden, so empfehle ich, bevor man daraus auf die Auflösung ° 
des endochondralen Knochens schliesst, an den Längsschnitten des 
betreffenden Knochens sich zu orientiren. 

Als Kölliker in den Metacarpusknochen menschlicher Em- 
bryonen von 6 Monaten keine Knorpelreste in der Mitte der Diaphyse 
fand, so war für ihn „kein Zweifel möglich“, dass der ganze endo- 
chondrale Knochen an der betreffenden Stelle geschwunden ist. 

Ein grober Beweis dafür, dass die Knorpelreste nicht durch 
eine Zerstörung des endochondralen Knochens verloren gehen, ist 


Ueber Knochenwachsthum. 47 


der Umstand, dass dieselben manchmal früher als die endochon- 
drale Grenzlinie schwinden, deren Vorhandensein die Natur 
der zwischen ihr und dem Tubus medullaris liegenden 
Knochenschicht verräth, welche keine Knorpelreste mehr 
enthält (endochondrale Grundschicht). In Beziehung auf die ele- 
mentaren Vorgänge, welche den Schwund der Knorpelreste begleiten 
und welche an und für sich das interstitielle Knochenwachsthum 
beweisen, verweise ich auf meine Arbeit S. 35. 

Nachdem ich gesehen habe, dass die periostale und endochon- 
drale Grundschicht, sowie die dieselben trennende endochondrale 
Grenzlinie bei der fortwährenden Erweiterung des Tubus medullaris 
persistiren, war meine Aufmerksamkeit auf die übrigen Knochen- 
balken gerichtet. Aus einer Vergleichung der Quer- und Längs- 
schnitte an den entsprechenden Stellen verschieden alter embryonaler 
Knochen hat sich ergeben, dass mit der successiven Erweiterung 
des Tubus medullaris die endochondralen Knochenbalken gegen die 
periostale Grundschicht verschoben werden und endlich mit der- 
selben verschmelzen. 

Eine genaue Prüfung der von mir beschriebenen Verhältnisse 
lehrt, sagt Kölliker (8. 4), dass die Vorgänge beim Schwinden 
des endochondralen Kernes unmöglich in dieser Weise ablaufen kön- 
nen. Die von ihm geführten Beweise sind folgende: 

a) „Einmal zeigt eine Verfolgung der periostalen Knochenrinde 
von den Gelenkenden gegen die Mitte zu, dass dieselbe (perichon- 
drale Grundschicht, Vrf.) überall durch eine scharfe Linie (endo- 
chondrale Grenzlinie, Vrf.) gegen den endochondralen Kern (endo- 
chondrale Grundschicht, Vrf.) sich abgrenzt, welche Grenzlinie bis 
in die Mitte des betreffenden Knochens zu verfolgen ist, so dass es 
als eine ganz sichere Thatsache betrachtet werden kann, dass in 
der ganzen Länge des Knochens nichts Fremdes zu der periostalen 
Knochenrinde hinzukommt.“ & 

Kurz gesagt, hat Kölliker folgende sehr wichtige Thatsachen 
gesehen: die perichondrale Grundschicht ist von der 
endochondralen durch die endochondrale Grenzlinie 
getrennt und alle diese Gebilde lassen sich in der 
Länge des ganzen Knochens verfolgen. 

Meine Untersuchungen über die Knochenbildung haben mich 
zu dem Versuch geführt, eine Topographie des wachsenden 
Knochens zu begründen. Es ist selbstverständlich, dass die Reali- 


48 Dr. Z. J. Strelzoff: 


sirung dieses Gedankens nur dadurch möglich geworden ist, dass 
die verschiedenen Knochenschichten sich verfolgen lassen. Aus meiner 
früheren Arbeit und selbst aus dieser kleinen Schrift kann der un- 
befangene Leser ersehen, dass ohne eine genaue Bezeichnung der 
die Knochenarchitectur zusammensetzenden Gebilde eine Discussion 
der uns jetzt beschäftigenden Frage kaum möglich ist. Das eben 
angeführte Kölliker’sche Citat ist für mich dadurch interessant, 
dass es die von mir entworfene Topographie der embryonalen Kno- 
chen bestätigt. Wenn Kölliker die von mir eingeführte Ter- 
minologie aufs Sorgfältigste vermeidet, so hat er von seinem Gesichts- 
punkte aus Recht, weil mit der Topographie des wachsenden Kno- 
chens die Resorptionstheorie selbst mit ihren Resorptionsflächen, 
Lacunen und Ostoklasten zu Grunde geht. Wenn man aber die 
eitirte Stelle aufmerksam ansieht, so kann man zwischen den Zeilen 
lesen, dass die wichtigsten Elemente, welche die Knochen- 
architeetur zusammensetzen, in dem betreffenden Ci- 
tate mit verschiedenen Umschreibungen genannt sind. 
Will Kölliker mit der Bestätigung meiner Angaben über die 
Knochentopographie die Thatsache wa dass die Knochen- 
balken bleibende Gebilde sind ? 

b) „Zweitens sind bei so jungen Knochen“, sagt Kölliker, 
„im endochondralen Knochengewebe überall noch die Reste der 
früheren Knorpelsubstanz in ganz guter Entwicklung vorhanden 
und namentlich durch Hämatoxylin leicht kennbar und hat man es 
daher in seiner Gewalt, den kleinsten Rest solchen Knochens zu 
erkennen.“ (8. 4.) 

Die Thatsache ist ganz richtig, nur kann ich nicht begreifen, 
was Kölliker damit widerlegen will? Er hat nur so viel gesagt, 
dass das endochondrale Knochengewebe junger embryonaler Knochen 
noch überall Knorpelreste enthält, worin ich mit ihm ganz einver- 
standen bin. , Ich will noch hinzufügen, dass dem immer so ist, da 
ein vollständiger Schwund der Knorpelreste nur an den Knochen- 
balken stattfindet, welche mit der periostalen Rinde verschmolzen 
sind (endochondrale Grundschicht), — die endochondralen, secundä- 
ren und Uebergangsbalken enthalten immer Knorpelreste. 

Seine Betrachtungen schliesst Kölliker folgender Weise: „Bei 
dieser Lage der Dinge ist klar, dass, wenn einmal mit Sicherheit 
sich ergiebt, dass die Masse des endochondralen Knochens von den 
Gelenkenden gegen die Mitte der betreffenden Knochen so abnimmt, 


Ueber Knochenwachsthum. 49 


dass schliesslich nur kleine Reste desselben übrig bleiben, diese Ab- 
nahme durch eine Resorption dieses Knochens zu Stande kommen 
kann.“ (S. 4.) 

Solchen Einwänden gegenüber verweise ich auf meine Arbeit, 
welche Kölliker über den Schwund der Knorpelreste ebenso wie 
über die Ursachen, welche die betrefiende Vertheilung des endo- 
chondralen Knochengewebes bedingen, orientirt haben wird. Um zu 
sehen, dass der endochondrale Knochen mit dem periostalen ver- 
schmilzt und endlich in die periostale Rinde übergeht, empfehle ich 
Kölliker ein sehr leichtes und am wenigsten complicirtes Unter- 
suchungsobject, nämlich den von ihm schon gesehenen und von mir 
in dieser Schrift besprochenen endochondralen Halbmond. 
Bei seiner Entstehung und in sehr jungen Knochen liegt dieses Ge- 
bilde im Tubus medullaris, d. h. im Gebiet des endochondralen 
Knochens (Fig. 6. b., Fig. 7. b.), so dass sein convexer Rand (ec) 
ein Segment des Kreises bildet, der den Contour des Tubus medul- 
laris darstellt. In späteren Entwicklungsstadien liegt der ver- 
dickte endochondrale Halbmond jenseits des Tubus medullaris 
(Fig. 6.B., Fig. 8. b.), so dass sein concaver Rand das betreffende 
Segment bildet. Er findet sich jetzt im Gebiet des periostalen 
Knochens (Fig. 8.a.), wo manchmal dieses Gebilde an der betreffen- 
den Stelle die ganze Dicke der Knochenwand ausmacht. In den 
intermediären Entwicklungsperioden kann man alle Stadien dieser 
Verschiebung beobachten und sich überzeugen, dass die Knochen- 
theilchen während der Expansion der Knochen eine Ortsverände- 
rung erfahren, abgesehen davon, dass der endochondrale Halbmond 
zur periostalen Rinde wird. Schwindet nun die endochondrale Grenz- 
linie (Fig. 8.c.) und gehen die in dem Halbmonde enthaltenen 
Knorpelreste ebenfalls zu Grunde, so sind keine Spuren von endo- 
chondralem Knochen mehr nachzuweisen. In der Höhe der Ossifica- 
tionslinie existirt keine endochondrale Grundschicht; — die dünne 
periostale Grundlamelle grenzt daselbst unmittelbar an die Mark- 
räume des endochondralen Knochens und die endochondrale Grund- 
schicht kommt nur an den älteren Abschnitten des Knochens zur 
Ausbildung. Woher die weiter untenliegende endochondrale Grund- 
schicht stammt, welche sich successiv verdickt und in der Form 
eines Halbmondes in der Mitte der Diaphyse erscheint, hat Kölli- 
ker nicht erklärt. 

Endlich führt Kölliker als schlagendsten Beweis der Zerstö- 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11, 4 


50 Dr. Z. J. Strelzoff: 


rung des endochondralen Knochens an, dass die sich successiv 
verdickenden endochondralen Knochenbalken Ostoklasten und 
Howship’sche Grübchen in grosser Zahl besitzen. 

So weit gehen die Angaben von Kölliker, welche nach ihm 
meine Beobachtungen über die Entwicklungsgeschichte des endo- 
chondralen Knochens widerlegen. Resumiren wir die von Kölli- 
ker angeführten Thatsachen, welche die Zerstörung des endo- 
chondralen Knochens beweisen, so sind sie folgende: 

1. Eine viel geringere Menge oder ein vollständiges Fehlen 
des endochondralen Knochens in der Mitte der Diaphyse und eine 
Verminderung der Gesammtmasse des endochondralen Knochenge- 
webes von den Ossificationsrändern gegen die Mitte der Diaphyse. 

2. Nachweis der Howship’schen Grübchen und Ostoklasten 
in denselben. 

Was den ersteren Satz betriftt, so glaube ich schon genug 
darüber gesprochen zu haben, den zweiten anlangend, so muss ich 
auch jetzt, wie früher, als einen Beweis dagegen anführen, dass die 
mit den Kölliker’schen Lacunen und Ostoklasten ver- 
sehenen endochondralen Knochenbalken bei der fort- 
währenden Knochenentwicklung mächtiger werden, an- 
statt sich zu verdünnen oder zu schwinden. 


Ill. Perichondraler Knochen. 


Ich habe darauf aufmerksam gemacht (s. meine Arbeit S. 76), 
dass das periostale Knochengewebe nicht an allen Punkten der 
wachsenden Knochen gleichmässig abgelagert wird, sondern an man- 
chen Stellen die periostale Rinde fehlt und der endochondral eut- 
standene Knochen unmittelbar an das Periost grenzt; — solche 
Stellen habe ich aplastische Flächen genannt. 

Im Gegensatz zu meinen Angaben behauptet nun Kölliker, 
„dass bis anhin keine Gegenden an Knochen bekannt sind, an denen 
während der Entwicklung der endochondrale Knochenkern bloss 
liegt, ausgenommen diejenigen, an denen die periostale Rinde durch 
Resorption verzehrt wurde.‘“ Dabei macht er mir den Vorwurf, ich 
hätte eine genaue Vergleichung verschiedener Entwicklungsstadien 
unterlassen, denn ich würde dann die vollständige „Grundlosigkeit“ 
meiner Annahme gefunden haben, da meine aplastischen Flächen in 
früheren Entwicklungsstadien mit der periostalen Rinde bedeckt 
seien. \ 


Ueber Knochenwachsthum, 51 
» 


Was diesen Satz betrifft, so kann er kaum ernstlich gemeint 
sein. Dass ich die allerfrühesten Stadien der Knochenentwicklung, 
welche bis jetzt noch nicht genau beschrieben worden sind, unter- 
sucht habe, davon kann man aus den ersten Blättern meiner Arbeit 
sich überzeugen, wo ich über die Bildung des primordialen Mark- 
raumes und Entstehung der periostalen Grundschicht spreche. Wenn 
ich die periostale Grundschicht von ihrer ersten Bildung bis in die 
späteren Stadien des embryonalen Lebens verfolgt und dieselbe als 
ein bleibendes Gebilde beschrieben habe, so ist es schwierig anzu- 
nehmen, dass von mir eine genaue Verfolgung gerade der Schicht 
vernachlässigt wurde, welche mir als Basis für die Begründung der 
Knochentopographie und der Expansionstheorie diente. 

Es fragt sich nun, worin der Fehler liest? Kölliker hat 
den 19 mm. langen Radius eines 13,5 Cm. langen Rindsembryo un- 
tersucht und am dritten Viertheile von oben gerechnet meine apla- 
stische Fläche gefunden !). Um die Richtigkeit meiner Angaben zu 
controliren, hat er den 10,5 mm. langen Radius eines Rindsembryo 
von 8,4 Cm. Länge in successive Querschnitte zerlegt und gefunden, 
dass der Radius überall von den Ossificationsrändern an bis zur Mitte 
eine periostale Knochenrinde besitzt. Kölliker sagt: „Wären die 
der Beinhautlagen entbehrenden Stellen der Vorderarmknochen des 
Embryo von 13,8 Cm. wirklich aplastische Stellen, wie Str. meint, 
so müssten dieselben auch an jüngeren Knochen zu finden sein, es 
zeigt jedoch die Untersuchung dieser gerade das Gegentheil.“ (S. 9.) 

Das ist die schlagendste und (abgesehen von den Howship’- 
schen Lacunen und Ostoklasten) die einzige Thatsache, mit welcher 
Kölliker meine Ergebnisse über die aplastischen Flächen wider- 
lege will. 

Die von Kölliker an den Vorderarmknochen beobachtete 
Thatsache mag ganz richtig sein, die Erklärung derselben und die 
von ihm gezogenen Schlussfolgerungen sind jedoch irrthümlich. Un- 
tersucht man die Röhrenknochen in verschiedenen Stadien ihrer 


1) Kölliker behauptet, dass der von mir abgebildete Querschnitt (l. e. 
Taf. II. Fig. 8) nicht von dem oberen, sondern von dem unteren Ende des 
Radius stammt. Man kann also an eine Verwechslung denken. Ich habe 
noch keine Gelegenheit gehabt, den von Kölliker mir zugeschriebenen Fehler 
zu eontroliren, da aber dieser Umstand für die uns jetzt beschäftigende Frage 
ohne Bedeutung ist, so lasse ich zur Zeit denselben unerörtert. 


52 Dr. Z. J. Strelzoff: 
Eu 


Entwicklung, so sieht man, dass zur Zeit der Entstehung des pri- 
mordialen Markraumes, wo noch keine endochondrale Knochenbildung 
stattfindet, die periostale Rinde schon vorhanden ist. Ich habe dieses 
Stadium abgebildet (1. c. Taf. I. Fig. 2) und folglich gesehen, dass 
der periostale Knochen in einer Periode, wo von den aplastischen Flä- 
chen noch keine Rede sein kann, die ganze Diaphyse umgiebt. Ich habe 
ausdrücklich Folgendes gesagt: „In diesem Stadium trifft man aber 
nie die geringsten Spuren von endochondral entstandenem Knochen. 
Die ganze, knöcherne Diaphyse besteht nur aus der, den primordia- 
len Markraum umhüllenden, von der osteoplastischen Schicht des 
Perichondriums gelieferten, primitiven Knochenrinde“ (l. e. 8. 8). 
Bei dem fortwährenden Knochenwachsthum kommt ein Zeitpunkt vor, 
wo die periostale Rinde an gewissen Stellen der Länge nach zu. 
wachsen aufhört oder sehr langsam wächst, während die Bildung 
des endochondralen Knochengewebes dem periostalen vorauseilt. Der 
schnell wachsende endochondrale Knochen wächst so aus dem ihn 
umgebenden periostalen Knochencylinder hervor und kommt an den 
Stellen mit dem Periost in unmittelbare Berührung, an welchen keine 
Knochenbildung von dieser Membran aus stattfindet. Diese nackte, 
aplastische Fläche bewahrt auch später relativ dieselbe Lage, weil 
je nachdem der endochondrale Knochen der Länge nach wächst, 
die gegen die Mitte der Diaphyse gerichtete Region der aplastischen 
Fläche mit dem periostalen Knochen bedeckt wird, indem dieser 
gegen die Epiphyse vorrückt. 

Die von Kölliker an zwei verschieden alten Radiis beobach- 
tete und als eine Neuigkeit beschriebene Thatsache hat schon mir 
dazu gedient, um das ungleichmässige Wachsthum des endochon- 
dralen und perichondralen Knochens nachzuweisen. Ich habe «diese 
Verhältnisse von drei verschieden alten Scapulae abgebildet. Wenn 
Kölliker in einem sehr frühen Entwicklungsstadium dieses Kno- 
chens meine aplastische Fläche nicht gefunden hat, so kann das 
auch richtig sein, wenn er aber mit diesem Befund meine Angaben 
widerlegen will, so mag dies davon abhängen, dass er den betreffen- 
den Gegenstand noch nicht genügend verfolgt hat. 

In meiner Arbeit habe ich schon gesagt, dass die Erscheinun- 
gen bei der Bildung des primordialen Markraumes und der perio- 
stalen Grundschicht an platten Knochen mit denjenigen an cy- 
lindrischen Knochen identisch sind (l. c. S. 9). Der perlostale 
Knochen der Scapula wird also früher, als der endochondrale gebildet 


Ueber Knochenwachsthum. 53 


und in einem sehr frühen Entwicklungsstadium geht die periostale 
Rinde von dem Gelenk- bis zu dem basilaren Knorpel, gerade so, 
wie an Röhrenknochen, wobei man die periostale Grundschicht sehr 
gut verfolgen kann. Später kommt es zu einem Stadium, im wel- 
chem der endochondrale Knochen an dem basilaren Rande schnel- 
ler, als die periostale Rinde wächst, wodurch der endochondrale 
Knochen in der Nähe des basilaren Ossificationsrandes zu Tage 
tritt. Je nachdem der Knochen weiter sich entwickelt, vergrössern 
sich die aplastischen Flächen wegen des raschen Wachsthums des 
endochondralen Knochens und werden zu gleicher Zeit mehr und 
mehr mit dem periostalen Knochen in der von mir beschriebenen 
Reihenfolge (l. ec. Taf. IV. Fig. 17, 18 u. 19) bedeckt. Da die apla- 
stischen Flächen bei der fortwährenden Verlängerung des Knochens 
nicht bis zum Ossificationsrande, sondern nur auf eine gewisse Strecke 
mit der periostalen Rinde bekleidet werden, so habe ich hieraus den 
Schluss auf das ungleichmässige Wachsthum der beiden Knochen- 
arten gezogen. Bei der Besprechung des Radius habe ich schon ge- 
sagt: „Eine solche vollständige Aplasie einerseits und eine verhält- 
nissmässig starke Entwicklung des Knochengewebes anderseits be- 
dingt ein ungleichmässiges Wachsthum des Knochens, welches fast 
an allen Knochen in verschiedenem Grade zu beobachten ist und 
mit der Formveränderung und der Gestaltung des wachsenden Kno- 
chens in Zusammenhang steht (l. ce. S. 75). 

Das angeführte Schema (Fig. 11) zeigt, wie die Querschnitte 
der von mir abgebildeten Scapulae ungefähr geführt sind. Die durch 
die Querlinie (d) angedeuteten Höhen betrachte ich als ungefähr 
entsprechende Stellen. Untersucht man die Scapula ce an der Stelle d, 
so findet man alle Fossae, welche an der Scapula « blossliegen, mit 
der dieken periostalen Rinde bedeckt. Untersucht man aber dieselbe 
Scapula (ec) an der Stelle e, so erhält man gerade dasselbe Bild, 
wie an der Scapula « in der Höhe d. Mit diesen Abbildungen 
wollte ich zeigen, dass die dem Mitteltheile des Knochens zugewen- 
dete Region der entblössten endochondralen Fläche nach und nach 
mit der periostalen Rinde bedeckt wird, d. h. dass die Bildung des 
endochondralen Knochens in einem gewissen Entwicklungsstadium 
derjenigen. der periostalen Rinde vorausgeht. 

Alles, was Kölliker an den Scapulae gesehen hat, ist richtig, 
aber er hat auch hier meine Angaben missverstanden. Er hat 
mir zugeschrieben, dass ich die aplastischen Flächen an älteren 


54 Dr. 2. J. Strelzoff: 


Scapulae (c) Fäugne, indem er sagt: „Somit fehlen entgegen Str. 
an älteren Scapulae die blossliegenden Partieen des endochondralen 
Knochens nicht, sondern es haben dieselben nur ihre Lage verändert 
und sind weiter gegen die Basis Scapula gerückt.“ (S. 12.) 

Ich habe erstens noch keine Scapula ohne aplastische Flä- 
chen gesehen (das allerfrüheste Stadium ausgenommen) und weiss 
noch nicht, ob in späteren Entwicklungsstadien die ganze Scapula 
mit dem periostalen Knochen bedeckt wird. Zweitens, wenn Köl- 
liker beobachtet hat, dass an älteren Scapulae die aplastischen 
Flächen „weiter gegen die Basis Scapulae gerückt sind“, so kann 
dies dadurch geschehen, dass dieselben mit der periostalen Rinde 
nach und nach bedeckt werden, indem der endochondrale Knochen 
fortwächst. Ich muss aber betonen, dass diese Verschiebung nur 
scheinbar ist; die relative Lage bleibt ungefähr dieselbe. 

Einen Hauptirrthum hat Kölliker bei der Beurtheilung der 
aplastischen Flächen der langen Knochen begangen, wie eine Ver- 
sleichung zweier Frontalschnitte des Humerus verschieden alter 
Schafembryonen zeigt (Fig. 9 u. 10). An dem jüngeren Knochen 
(Fig. 10) reicht die periostale Rinde bis zum epiphysären Knorpel (a), 
an dem älteren aber liegt der endochondrale Knochen unter dem 
Caput Humeri an einer Seite bloss (Fig. 9, A). Vergleicht man 
die Kölliker’schen entsprechenden Stellen « (Fig. 10) und A (Fig. 9) 
an Längs- oder Querschnitten, so findet man an der Stelle A aller- 
dings eine Lücke in der periostalen Rinde; dies beweist indess noch 
nicht, dass der früher an der Stelle « vorhanden gewesene Knochen 
verloren gegangen ist, da ja die für die Stelle « (Fig. 10) entspre- 
chende Höhe keineswegs in A (Fig. 9), wie Kölliker glaubt, son- 
dern weiter unten zu suchen ist. Berücksichtigt man dies, so 
kann man sich überzeugen, dass die Knochenrinde gar nicht ver- 
loren gegangen ist. 

Um mich zu widerlegen, hebt Kölliker !) hervor, dass an 
Längsschnitten der Röhrenknochen die aplastischen Flächen nicht 
bis zum epiphysären Knorpel reichen, sondern immer in einiger Ent- 
fernung von demselben vorkommen und dass zwischen der aplasti- 
schen Fläche und dem Gelenkknorpel eine periostale Knochenlamelle 
sich findet, welche Kölliker ‚Endlamelle‘“ nennt. Er glaubt also, 
dass seine äusseren Resorptionsflächen (meine aplastischen Flächen) 


1) Die normale Resorption des Knochengewebes. S. 39. 


Ueber Knochenwaehsthum. 55 


„niemals das allerletzte Ende der Diaphysen betrefien“. Die 
aplastische Fläche soll von allen Seiten mit dem periostalen Knochen 
umgeben sein. Diese Erscheinung deutet nach Kölliker auf 
einen Substanzverlust hin. Solche Bilder habe ich auch gesehen. 
Führt man aber einen Querschnitt in der Höhe der „Endlamelle‘, 
so findet man, dass die periostale Rinde keinen vollständigen Ring 
bilde. Die von Kölliker gesehene Endlamelle wird nämlich da- 
durch bedingt, dass die aplastischen Flächen sehr oft etwas abge- 
rundet sind; führt man nun einen Längsschnitt durch die Mitte 
dieser Flächen, so trifft man keine Endlamelle. Geht der Schnitt 
so durch die aplastische Fläche, dass er ein Segment von ihr trennt 
und den dieselbe bogenförmig umgebenden periostalen Knochen an 
zwei Stellen des Bogens der Länge nach schneidet, so erhält man 
zwei Segmente des Knochenbögens, von denen das obere, dem epi- 
physären Knorpel anliegende die Kölliker’sche Endlamelle dar- 
stellt und das untere mit der gegen die Mitte der Diaphyse sich 
fortsetzenden periostalen Rinde ein Continuum bildet. 

Mit periostalem Knochen rings umgebene aplastische Flächen 
habe ich nicht beobachtet und, wenn so etwas vorkommt, so stellt 
sich die Frage, ob solche Bilder durch eine Zerstörung des peri- 
chondralen Knochens oder durch eine Knochenbildung am oberen 
Ende der aplastischen Fläche entstehen. Was aber die Behauptung 
Kölliker’s betrifft, dass die entblössten endochondralen Flächen 
niemals das äusserste Ende der Diaphysen betreffen, so ist die- 
selbe — um die eigenen Worte meines verehrten Gegners zu ge- 
brauchen — vollständig grundlos. Ich verweise ihn auf die Objecte, 
welche ihm am besten bekannt und von ihm abgebildet sind, näm- 
lich auf das obere Ende der Tibia (Taf. VIII, Fig. 8, 9), obere 
Ende des Humerus (S. 68) und auf die von ihm so viel besprochene 
Scapula und bitte ihn, an den betreffenden Stellen seine „End- 
lamelle“ darzustellen. 

Kölliker findet, ich hätte keine Beweise geführt, dass die mit 
dem Periost in Berührung kommenden endochondralen Flächen 
aplastische sind, indem er sagt: ‚Da ferner Str. mir vorwirft, 
ich sei den Beweis schuldig geblieben, dass an den betreffenden Flä- 
chen wirklich vorhandener Knochen zerstört worden sei, so hätte er 
doppelte Veranlassung gehabt, seine Behauptungen möglichst durch 
Thatsachen zu stützen, was jedoch nicht geschehen ist.‘ (S. 6.) 

Die einzige Thatsache, welche Kölliker angeführt hat, dass 


56 Dr. Z. J. Strelzoff: 


die periostale Rinde an den betreffenden Stellen zu Grunde geht, 
ist der Nachweis der Howship’schen Lacunen und Ostoklasten an den 
endochondralen Knochenbalken (dritter Beitrag S. 12). Was meine 
Beweise betrifft, so habe ich dieselben aus der ganzen Entwicklungs- 
geschichte der Knochen entnommen und wenn Kölliker meine 
Angaben nicht stichhaltig findet, so wird er mir verzeihen, wenn 
seine Lacunen und Ostoklasten mich nicht ganz befriedigen. Meine 
Annahme, dass die betreffenden Stellen keine Resorptionsflächen 
sind, glaube ich durch folgende Thatsachen gestützt zu haben: 


1. Aus der ganzen Entwicklungsgeschichte der Knochen ergiebt 
sich, dass die, die Architectur der embryonalen Knochen bildenden 
Elemente bleibende Gebilde sind, und dass die Knochengestaltung, 
abgesehen von der selbständigen Entwicklung der den einzelnen Kno- 
chen constituirenden Theile und von der ungleichmässigen Knochen- 
ablagerung, durch Expansion der Knochensubstanz bedingt wird, 
welche nach verschiedenen Richtungen verschieden intensiv vor sich 
geht. Für das Detail verweise ich auf meine Arbeit (l. e.). Ist 
meine Auffassung des Knochenwachsthums richtig, so kann von 
den Resorptionsflächen keine Rede mehr sein. Um sie als irrig zu 
erklären, muss man erst die von mir beobachteten Thatsachen Schritt 
für Schritt widerlegen und dann die „vollständige Grundlosigkeit“ 
meiner Annahme beweisen. Dass dies noch nicht geschehen ist, kann 
man aus dem ersehen, was Kölliker bis jetzt gesagt hat. 


2. Was die aplastischen Flächen selbst betrifft, so sieht 
man bei sorgfältigem Studium verschieden alter embryonaler Kno- 
chen Folgendes: 


a) Die Ablagerung der periostalen Knochenschichten ist an 
manchen Knochen nicht an allen Punkten der Diaphyse gleichmässig. 
Als Folge dieser ungleichen Knochenablagerung geschieht es sehr 
oft, dass der endochondrale Knochen excentrisch liegt. Dass 
diese Lagerung nicht durch eine Wegnahme, sondern durch eine 
ungleichmässige Anbildung entstanden ist, davon kann man sich 
überzeugen, wenn man die entsprechenden Stellen des nämlichen 
Knochens aus verschiedenen Entwicklungsstadien mit einander ver- 
gleicht. 


b) Diese excentrische Lage des endochondralen Knochens steht 
mit den aplastischen Flächen in Zusammenhang. Die letzteren liegen 
immer an der Seite des Knochens, an welcher der endochondrale 


Ueber Knochenwachsthum. 57 


Knochen am nächsten der Knochenoberfläche sich findet, d. h. wo 
die Knochenablagerung sehr träge ist. 

c) Verfolgt man junge embryonale Knochen an Längsschnitten, 
so findet man, dass die an der Seite der künftigen aplastischen Fläche 
liegende periostale Knochenwand mit der gleichzeitigen Entstehung 
der aplastischen Fläche an Dicke zunimmt (Fig. 9 u. 10.) 

d) An Querschnitten sieht man, dass die periostalen Knochen- 
balken, weiche die aplastische Fläche umgrenzen, keineswegs in Zer- 
störung, sondern in Wachsthum begriffen sind: sie sind mit Osteo- 
blasten bedeckt und setzen sich in die von mir beschriebenen Zellen- 
stränge fort. 

e) Man kann nie an einem älteren Knochen die aplastische 
Fläche an einer Stelle finden, an- welcher bei einem jüngeren Kno- 
chen die periostale Rinde vorhanden war. Die Behauptung Kölli- 
ker’s beruht somit auf einer irrigen Auffassung der entsprechenden 
Stellen verschieden alter Knochen. 

f) Kölliker, welcher behauptet, dass Resorptionsflächen mit 
der periostalen Rinde nach und nach bedeckt werden, hat die ein- 
fache Thatsache nicht ins Klare gebracht, wie eine Wegnahme und 
ein bald darauf folgender und an derselben Stelle stattfindender An- 
satz die Knochen typisch gestaltet, ohne dieselben zu verunstalten. 
Da der Wachsthumsvorgang nach der Resorptionstheorie ein grob 
mechanischer ist, und gerade so, wie man bei der Gestaltung pla- 
stischer Bilder verfährt, geschehen soll, so kann man nicht verstehen, 
warum ein Ansatz an der Stelle für die Knochengestaltung noth- 
wendig ist, an welcher aus denselben Gründen eine Schicht Knochen- 
substanz weggenommen wurde. Bei der Gestaltung plastischer Bilder 
würde ein solches Verfahren ad absurdum führen. 

3. Es existiren solche Diaphysenenden, welche wäh- 
rend des Wachsthums des Knochens nie eine entblösste 
endochondrale Fläche besitzen. Als Beispiel führe ich das von mir 
schon besprochene und abgebildete untere Ende des Humerus (l. c. 
Taf. HI, Fig. 16) an. In allen Stadien des embryonalen Lebens umgiebt 
eine dünne periostale Knochenschicht das ganze untere Diaphysenende 
dieses Knochens. Berücksichtigt man die Configuration des unteren 
Gelenkendes des Humerus und betrachtet man das Wachsthum der 
Knochen und die typische Gestaltung derselben von dem Gesichts- 
punkte der Resorptionstheorie aus, so muss nicht nur die betreffende 
periostale Knochenschicht in einer grossen Ausdehnung, sondern auch 


58 Dr. Z. J. Strelzoff: 


der endochondrale Knochen bis zu einer beträchtlichen Tiefe zu 
Grunde gehen, gerade so, wie dies, Kölliker schematisch abge- 
bildet hat (1. c. S. 68). Weist man durch eine directe Beobachtung 
nach, dass nicht nur der endochondrale Knochen keineswegs zu 
Grunde geht, sondern dass die dünne periostale Rinde fortexistirt 
und dass in beiden Fossae die Knochenbildung am reichlichsten ist, 
so genügt dies an und für sich, um die ganze Resorptionstheorie 
und folglich die Kölliker’schen Resorptionsflächen zu widerlegen. 
Ich wundere mich, dass Kölliker, welcher alle meine Fehler so 
sorgfältig corrigirte, die Fossae Humeri vergessen hat. 

Bei dieser Gelegenheit will ich besonders hervorheben, dass das 
neue Kölliker’sche Schema über das Knochenwachsthum viel schlim- 
mer, als das frühere ist. Es war schwierig, den früheren idealen 
Knochen (Gewebelehre S. 224) durch Untersuchungen zu controliren, 
was aber den von Kölliker abgebildeten Humerus betrifft, so 
kann ich bestimmt sagen, dass das Schema gar nicht den wirklichen 
Verhältnissen entspricht. Ich empfehle dem für diesen Gegentand 
sich interessirenden Leser, das untere Diaphysenende des betreffen- 
den Knochens in verschiedenen Entwicklungsstadien zu untersuchen. 

Noch einen kleinen Lapsus memoriae Kölliker’s erlaube ich 
mir zu berichtigen. Auf Seite 5 seiner Erwiderung heisst es: „Diese 
letztere von mir aufgedeckte Thatsache (dass der endochondrale 
Knochen unmittelbar an die Beinhaut zu liegen kommt) gibt Str. 
zu, aber er behauptet, es habe an solchen Stellen niemals eine pe- 
riostale Knochenlage bestanden und nennt solche Stellen aplastische. 
Kölliker hat wahrscheinlich vergessen, dass ihm die aplastischen 
Flächen noch unbekannt waren, als er am Neujahr 1873 das pa- 
thologische Institut in Zürich besuchte, wo ich die Ehre hatte, die 
druckfertigen Abbildungen jener Flächen ihm zu demonstriren und 
die Methode ihrer Darstellung mitzutheilen. 

Die Thatsachen, welche nach Kölliker die Zerstörung des 
periostalen Knochens bewirken, sind also folgende: 

1. Vorhandensein der periostalen Rinde an den Diaphysen- 
enden jüngerer Knochen und zwar an den Stellen, welche er irr- 
thümlich für die entsprechenden Höhen hält. 

2. Nachweis der Howship’schen Lacunen und Ostoklasten 
in denselben. 

Werfen wir jetzt einen Rückblick auf die factische Seite der 
von Kölliker gelieferten Angaben, so stimmen die Bilder, welche 


Ueber Knochenwachsthum. 59 


er an doppelttingirten Präparaten gesehen hat, mit denjenigen, welche 
ich beobachtete, vollständig überein. Wenn Kölliker sagt, dass 
unsere Arbeiten in ihren Ergebnissen in einem solchen Gegensatze 
zu einander stehen, wie dies kaum sonst bei anatomischen Unter- 
suchungen vorgekommen ist, so stehen die Ergebnisse unserer spä- 
teren Mittheilungen in einem solchen Einklang, wie dies selbst bei 
anatomischen Untersuchungen sehr selten geschieht und mag auch 
Kölliker die von ihm beobachteten Thatsachen zur Zeit ganz an- 
ders als ich erklären, so darf ich doch vielleicht hoffen, dass er bei 
der Berücksichtigung der von mir gelieferten Angaben auch in der 
Deutung der Bilder noch mit mir übereinstimmen wird. 

Alles bis jetzt Gesagte bezieht sich auf Punkt 2 und 3 der 
Kölliker’schen Erwiderung, die übrigen Punkte anlangend, so wird 
er mich entschuldigen, wenn ich für dieses Mal die Milchzähne 
und Elfenbeinstifte mit Stillschweigen übergehe, aus dem ein- 
fachen Grund, weil weder die ersteren, noch die letzteren im Wachs- 
thum begriffen sind und mit den sich entwickelnden Knochen nichts 
zu thun haben. Was die mechanischen Versuche betrifft, so bin 
ich an der Ausführung derselben bis jetzt gehindert worden; aus 
der Literatur aber kenne ich so viel, dass dieselben widersprechende 
Resultate geliefert haben und darum nicht brauchbar sind. In Be- 
ziehung auf die anderen Fragen, nämlich auf die Expansionsfähig- 
keit der Knochen junger Thiere, Krappfütterung, Vergrösse- 
rung der Löcher und Kanäle in Knochen, Bildung der Haversian 
spaces, habe ich eine Reihe von Untersuchungen angestellt, welche 
für die Resorptionstheorie sehr traurige Resultate gegeben haben, die 
ich im Folgenden kurz mittheilen will. 


IV. Krappfütterung. 


Bestimmt man die Länge der Röhrenknochen bei verschieden 
alten Tauben, so findet man, dass die Knochen in den drei ersten 
Lebenswochen ungemein schnell der Länge nach wachsen und zwi- 
schen der dritten und vierten Woche fast ihre definitive Länge er- 
reichen. Der Femur einer 2 Tage alten Taube ist 15 mm., der 
einer 26 Tage alten Taube 40 mm. und derjenige eines ganz alten 
Thieres 43 mm. lang. 

Untersucht man die Knochen junger Tauben mikroskopisch 
an Längsschliffen, so findet man, dass die Vertheilung der Knochen- 
körperchen in dem periostalen Knochen ganz eigenthümlich ist: 


60 Dr. Z. J. Strelzoff: 


in den centralen Partien der Balken sind die Knochenkörperchen 
reihenweise und der Knochenaxe mehr oder weniger parallel an- 
geordnet, an den Knotenpunkten der Knochenbalken aber liegen die- 
selben haufenweise und so nahe nebeneinander, dass die zwischen 
denselben befindliche Knochengrundsubstanz auf ein Minimum redu- 
eirt ist. Betrachtet man diese Colonien von Knochenkörperhöhlen 
aufmerksam, so bemerkt man, dass an manchen Stellen zwei oder 
drei solcher Höhlen in eine gemeinschaftliche, grosse, unregelmässige 
Höhle zusammentfliessen, während andere noch durch kurze, dicke 
Brücken zusammenhängen; feine und langgestreckte Ausläufer exi- 
stiren hier gar nicht. Diese Erscheinung ist am besten an Tauben 
vom 1. bis 12. Tage zu beobachten. 


Das weitere Schicksal der betreffenden Stellen, welche ich pro- 
liferirende Knotenpunkte der Knochenbalken nenne, ist fol- 
gendes: die Abstände zwischen den Knochenkörperchen nehmen mit 
dem Alter» der Thiere zu und werden endlich eben so gross, wie 
diejenigen, welche die Knochenkörperhöhlen in den mittleren Partien 
der Balken trennen. Die proliferirenden Knotenpunkte habe ich, 
wenn auch sehr spärlich, sogar bei 40 Tage alten Tauben gesehen. 
In diesem Alter aber trifft man an einigen, von mir noch nicht genau 
bestimmten Stellen in Proliferation begriffene Knochenterrito- 
rien, die aller Wahrscheinlichkeit nach für das Knochenwachsthum 
eine örtliche Bedeutung haben. 


- Was die mittleren Partien der periostalen Knochenbalken be- 
trifft, so vergrössern sich die Entfernungen zwischen den Knochen- 
körperchen mit dem Alter der Thiere. Aus den 6 Tausend Mes- 
sungen, welche ich bei 30 verschieden alten Tauben in der mittleren 
Region der Diaphyse des Femur angestellt habe, ergiebt sich, dass 
die Entf@nungen zwischen den Knochenkörperchen der Länge des 
Knochens nach, während der drei ersten Lebenswochen, d. h. zur 
Zeit, wo die Knochen vorwiegend der Länge nach wachsen, succes- 
sivzunehmen und am 21. Tag des Lebens fast ihre definitive 
(Grösse erreichen. Die mittlere Entfernung zwischen den Knochen- 
körperchen beträgt bei den 2 Tage alten Tauben 0,0018 mm., bei 
den 21 Tage alten Tauben — 0,01923 mm. und während der späteren 
Lebensperioden schwankt dieselbe zwischen 0,01497 — 0,02269 mm., 
welche letztere Grösse den alten Tauben angehört. Die Theilung 
der Knochenzellen und dieZunahme der Knochengrund- 


Ueber Knochenwachsthum. 61 


substanz wird also so lange beobachtet, als der Kno- 
chen überhaupt wächst. 

Kölliker findet, dass meine Beobachtungen über die Zunahme 
der Knochengrundsubstanz in den embryonalen Knochen „brauchbar“ 
sind. Es scheint mir, dass Kölliker sich selbst widerspricht: die 
betreffenden Beobachtungen sind auf der Topographie des Kno- 
chens begründet und beziehen sich keineswegs, wie Kölliker sagt, 
auf relativ wenig von einander entfernte Stellen, sondern auf alle 
Regionen des perichondralen und endochondralen Knochens. Sind 
die Knochenbalken keine bleibenden Gebilde, so zerfallen meine Be- 
obachtungen in Nichts ; — findet Kölliker die betrefienden Angaben 
brauchbar, so muss er die Topographie des Knochens anerkennen, 
um consequent zu sein, 

Die Frage, ob die Havers’schen Kanäle mit dem Alter der 
Thiere erweitert werden, habe ich ebenfalls durch Messungen zu 
beantworten gesucht. Da die Havers’schen Kanäle in verschiede- 
nen Höhen des Knochens verschieden breit sind und sehr oft schräg 
geschnitten werden und darum einen verschiedenen Durchmesser 
zeigen, so habe ich an jedem Kanal den kleinsten Durchmesser be- 
stimmt und die Messungen an Querschliffen in der Höhe des Fo- 
ramen nutritium an der Ulna von 12 verschieden alten Tauben an- 
gestellt. Es ergiebt sich aus den 2400 Messungen, dass die Durch- 
messer der Havers’schen Kanäle an der betreffenden Stelle mit dem 
Alter der Taube successivabnehmen. An den 2 Tage alten Tauben 
schwankt der Durchmesser dieser Kanäle zwischen 0,114—0,027 mm., 
bei den alten Tauben zwischen 0,015—0,003 mm. und in den inter- 
mediären Stadien findet man successive Uebergänge zwischen den 
zwei angeführten Extremen. 

Für das Studium der Krappfütterung habe ich ebenfalls 
Tauben benutzt und im Ganzen 45 Versuche angestellt. Von vorn 
herein will ich bemerken, dass die an Krappknochen zu beobach-‘ 
tenden Erscheinungen 3 Stadien des Knochenwachsthums 
unterscheiden lassen. 

1. Das erste Wachsthumsstadium dauert ungefähr die vier 
ersten Lebenswochen. Da die Knochen während dieser Zeit vorwie- 
gend der Länge nach. wachsen, will ich diese Periode das Sta- 
dium des Längenwachsthums nennen. In diesem Stadium findet 
man an Krappknochen stets die gleichen Erscheinungen, mögen 
die Thiere nur kurze oder längere Zeit gefüttert worden sein. 


62 Dr. Z. J. Strelzoff: 


An den 24 Stunden mit Krapp gefütterten Tauben sieht man 
Folgendes: makroskopisch sind alle Knochen überall gleichmässig 
und in ihrer ganzen Masse mehr oder weniger intensiv gefärbt. Bei 
der mikroskopischen Untersuchung ergiebt sich jedoch, dass die Ha- 
vers’schen Kanäle sowie die äussere und innere Knochenfläche mit 
einem äusserst dünnen rothen Saume, der wie eine feine rothe Linie 
erscheint, umgeben sind. Die übrige Knochensubstanz ist ungefärbt. 
Die rothen Säume werden von der farblosen Knochensubstanz nicht 
scharf abgegrenzt, da die Färbung an den äusseren Contouren der 
Säume etwas diffus wird, so dass das Gefärbte in das Farblose un- 
merklich übergeht. 

Untersucht man die Knochen einer Taube aus demselben 
Wachsthumsstadium, welche etwa 1—2 Wochen mit Krapp ge- 
füttert wurde, mikroskopisch, so findet man, trotz der Verdickung 
der Knochen und Verengerung der Havers’schen Kanäle, genau 
dasselbe Bild: die rothen Säume sind ebenso fein wie früher. 
Diese Thatsache genügt schon, um eine vollständige Unzuverlässig- 
keit der aus den Krappversuchen von Kölliker über die Ablage- 
rungs-, Resorptions- und indifferenten Flächen gezogenen Schluss- 
folgerungen nachzuweisen. 

2. Das zweite Stadium des Knochenwachsthums dauert eben- 
falls circa 4 Wochen. In diesem Stadium, welches also mit dem 
zweiten Lebensmonate zusammenfällt, wachsen die Knochen vorwie- 
gend der Dieke nach. Die Erscheinungen, welche man an den 
Krappknochen im Stadium des Dickenwachsthums beobach- 
tet, sind ganz verschieden von denen des ersten Stadiums. 

Wird eine junge, eirca 2 Wochen alte Taube mit Krapp gefüt- 
tert und ungefähr in der Mitte des zweiten Wachsthumsstadiums 
untersucht, so ergiebt sich Folgendes: makroskopisch und an den 
Flächen betrachtet, scheinen die Knochen an allen Punkten gleich- 
mässig gefärbt zu sein. Sägt man einen Röhrenknochen der Quere 
nach durch, so findet man, dass die ganze Knochenmasse roth ist, 
wenn auch nicht ganz gleichmässig, so dass man an dem nämlichen 
Knochen und bei sonst gleichen übrigen WIEBBEEEUERER folgende 
Möglichkeiten treffen kann: 

a) Die innere Knochenschicht ist viel intensiver (purpurroth). 
als die äussere (scharlachroth) gefärbt und bildet die von den fran- 
zösischen Forschern so genannte „virole coloree‘‘ — rothe Zone, 
welche in diesem Falle also die innere ist. 


Ueber Knochenwachsthum. 65 


b) Die rothe Zone kommt intermediär vor, und die äus- 
sere und innere Knochenschicht sind weniger intensiv gefärbt. 

c) Zwei rothe Zonen sind vorhanden: eine innere, dickere 
und eine äussere, schmale; die intermediäre Knochenschicht aber 
ist weniger intensiv gefärbt. 

d) Alle Schichten des Querschnitts scheinen gleichmässig 
gefärbt zu sein und die rothe Zone ist entweder schwierig oder gar 
nicht mit Sicherheit nachzuweisen. 

Bringt man aber die aus der Mitte der Diaphyse angefertigten 
Querschliffe unter das Mikroskop, so ergiebt sich, dass die Bilder, 
trotz der eben beschriebenen makroskopischen Verschiedenheit, ziem- 
lich gleich sind. Man unterscheidet immer eine streifige und eine 
diffuse Färbung. 

Die streifige Färbung erscheint in Gestalt sehr. feiner ro- 
ther Linien, von denen die einen die Havers’schen Kanäle ring- 
förmig umgeben, welche ich darum Havers’sche Streifen oder 
Ringe (Fig. 12 i) nennen will, während die anderen parallel der 
äusseren Knochenfläche gehen und als generelle Streifen (c, d, 
e, f, g) bezeichnet werden können. Diese zwei Systeme von 
Streifen sind nur dem zweiten Wachsthumsstadium 
eigenthümlich. 

Die diffuse Färbung ist nie selbständig. Sie kommt da- 
durch zu Stande, dass die genannten Streifen nie scharfe Contouren 
besitzen und durch eine diffuse Färbung unmerklich in die farb- 
lose Knochensubstanz übergehen. Die diffuse Färbung ist desto be- 
deutender, je dicker der Schliff ist, an sehr feinen Schliffen schwindet 
dieselbe fast vollständig. Die makroskopisch sichtbare in- 
tensive Färbung der Knochen hängt hauptsächlich von 
der Ausbreitung und Intensität der diffusen Färbungab. 

Wenden wir uns zu der mikroskopischen Betrachtung unseres 
Querschliffes, so finden wir, dass die gauze Knochenwand in zwei un- 
gefähr gleich dicke Schichten getheilt zu sein scheint: eme innere (a) 
und eine äussere (b). Inder äusseren Schicht verlaufen 4 bis 5 
generelle Streifen der Knochenoberfläche parallel (c, d, e,f, g). Der 
am tiefsten liegende generelle Streifen (g) grenzt die innere von der 
äusseren Schicht ab und der äusserste ist an der Seite des Knochens, 
welche dem Foramen nutritium entspricht, am meisten von der 
Knochenoberfläche entfernt; an der dem Ernährungsloch entgegen- 
sesetzten Seite berührt derselbe die Knochenoberfläche oder ist der 


64 Dr. Z, J. Strelzoff: 


letzteren sehr nahe. Die zwischen den genannten Streifen liegende 
Knochensubstanz ebenso wie die Knochenoberfläche selbst bleiben 
farblos. Die Havers’schen Kanäle dieser Schicht sind je mit 
einem Ring umgeben, welcher vom Rande des entsprechenden Ka- 
nals entfernt liegt; die zwischen diesen (Havers’schen) Ringen 
und den Lumina der Havers’schen Kanäle befindliche Knochen- 
substanz erscheint ungefärbt. 

Die innere Knochenschicht (a) besitzt keine generellen Strei- 
fen. Die Havers’schen Kanäle sind je mit einem oder mehreren 
concentrischen Havers’schen Ringen umgeben (i). Die Knochen- 
substanz, die zwischen den concentrischen Ringen und zwischen dem 
innersten Ring und dem Lumen des Havers’schen Kanals liegt (e), 
bleibt farblos. 

In allen Stadien des Kuochenwachsthums ist eine 
vollständige Integrität der Havers’schen Ringe zu con- 
statiren. Erinnert man an die von mir oben angeführten Mes- 
sungen, so kann man sich überzeugen, dass die Bildung der von 
Tomes und de Morgan beschriebenen Haversian spaces 
durch Zerstörung der Wandungen der Havers’schen 
Kanäle anwachsenden Knochen nie stattfindet und dass 
dieser Prozess, wenn auch nicht „aus der Luft gegriffen“, wie Köl- 
liker mir zumuthet, doch einem pathologischen Präparat entnom- 
men ist, wobei ich Kölliker auf Seite 129 der Tomes-de Mor- 
gan’schen Schrift verweise. 

Kehren wir zu der weiteren Betrachtung unseres Präparats 
zurück, so bemerken wir, dass die intensivere Färbung der inneren 
Knochenschicht von einer grösseren Zahl der Havers’schen Ringe und 
von einer bedeutenderen Verbreitung der diffusen Färbung abhängt. 
Dieser letzte Umstand erklärt die früher besprochene makrosko- 
pisch sichtbare, innere rothe Zone. Manchmal kommt es auch 
vor, dass die diffuse Färbung zwischen den zwei oberflächlichen ge- 
nerellen Streifen so intensiv ist, dass man noch eine dünne äussere 
rothe Zone makroskopisch unterscheiden kann. Werden die Tauben 
während der Krappfütterung krank, so kann man nie eine so brillante 
und intensive Färbung der Knochen gewinnen; die streifige Färbung 
wird blass und die diffuse weniger intensiv. Die innere Knochen- 
schicht findet man in diesem Falle verhältnissmässig blass gefärbt 
und die Färbung an der Stelle des inneren generellen Streifens (g) 
etwas stärker, wodurch die Erscheinung der makroskopisch sichtbaren, 


\ 


Ueber Knochenwachsthum. 65 


intermediären-rothen Zone bedingt wird. Manchmal ist die 
Färbung an dieser letzteren Stelle nicht intensiver, als an den an- 
deren, dann ist die intermediäre Zone kaum oder gar nicht zu un- 
terscheiden. Die Verschiedenheit in der relativen Lage der rothen 
Zone wird durch die Intensität und Extensität der diffusen Fär- 
bung bedingt, ist zufällig und scheint von der Individualität der 
Thiere und den hygienischen Verhältnissen abzuhängen. Die 
Verbreitung der streifigen Färbung ist allein charak- 
teristisch. 

Verfolgt man die Bildung der beiden von mir beschriebenen 
Knochenschichten genau, so kann man sich überzeugen, dass die 
innere (innere rothe Zone) die älteste ist und theils dem embryo- 
nalen Leben, theils dem ersten Wachsthumsstadium angehört. Alles 
was zwischen dem tiefsten generellen Streifen (g) und der Knochen- 
oberfläche (A) liegt und die beschriebene äussere Schicht darstellt, 
ist während des zweiten Wachsthumsstadiums entstanden. 

Alle generellen Streifen bilden sich von der Knochenfläche 
aus und zwar in folgender Weise: auf dem Querschliffe erscheint 
die Knochenfläche matt und granulirt. Betrachtet man die betref- 
fende Stelle mit starker Vergrösserung (Immersionslinse 10 oder 11 
von Hartnack), so findet man, dass die Ausläufer der Knochen-: 
körperchen an der Knochenoberfläche ungemein reichlich entwickelt 
sind, so dass der ganze Knochenrand wie mit einem Geflecht von 
Ausläufern übersponnen zu sein scheint. Bald darauf erfolgt eine 
Ablagerung der Knochensubstanz an diese granulirt aussehende 
Fläche und das betreffende Geflecht von Ausläufern ist jetzt von der 
Knochenfläche um so viel abgerückt, als der neu abgelagerte Kno- 
chen beträgt. Bei den mit Krapp fortgefütterten Thieren bleibt die 
eben erwähnte neu abgelagerte Knochenschicht (k) farb- 
los und die Färbung verbreitet sich nach der Richtung des betref- 
fenden Geflechts, welches ich geflechtartigen Saftkanal oder 
Saftkanalgeflecht nenne. Bei schwacher Vergrösserung erscheint 
dieses als ein feiner rother Streifen, der eben nichts anderes, als der 
früher besprochene äusserste generelle Streifen (c) ist. Bald nach- 
her findet die Bildung eines anderen geflechtartigen Saftkanals ge- 
rade in der eben beschriebenen Weise statt, wobei der Saftkanal 
selbst gefärbt wird, während die auf denselben abgelagerte Kno- 
chenschicht farblos bleibt. Auf solche Weise entstehen während 
des ganzen zweiten Wachsthumsstadiums 6 bis 7 geflechtartige 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 5 


66 Dr. Z. J. Strelzoff: 


Saftkanäle, welche im Beginn ihrer Bildung geradlinig und pa- 
rallel der Knochentläche verlaufen. 

Verfolet man nun die Bildung der Havers’schen Streifen, 
so überzeugt man sich, dass der von mir eben beschriebene Vorgang 
genau in derselben Weise an den Rändern der Havers’schen Kanäle 
sich abspielt und die gebildeten geflechtartigen Saftkanäle, durch 
eine Ablagerung farbloser Knochensubstanz von den Havers’schen 
Kanälen aus vom Rande abgerückt werden, bis etwa drei oder vier 
concentrische Kanäle entstehen, welche in Gestalt feiner rother Li- 
nien die früher beschriebenen Havers’schen Streifen oder Ringe 
darstellen. Die zwei Systeme von geflechtartigen Saftkanälen werde 
ich nach dem Ort ihres Vorkommens als generelle und Havers- 
sche Saitkanäle unterscheiden ; — die ersteren entsprechen also 
den generellen, die letzteren den Havers’schen Streifen. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass während des zweiten 
Wachsthumsstadiums Saftkanäle sich entwickeln, in deren Richtung 
die Färbung sich verbreitet, während die an diese Kanäle abgelager- 
ten Knochenschichten farblos bleiben. Die Entstehung der 
generellen und Havers’schen Saftkanäle ist dem zweiten 
Wachsthumsstadium eigenthümlich. 

Das weitere Schicksal der geflechtartigen Saftkanäle an- 
langend, so wird ein grosser Theil derselben bald nach ihrer Ent- 
stehung geschlossen, so dass nur ein rother Streifen an Stelle 
des früheren Saftkanals übrig bleibt. Ein jeder Krappstreifen 
deutet also darauf hin, dass an der betreffenden Stelle 
ein Saftkanal vorhanden ist oder vorhanden war. 

Andere geflechtartige Saftkanäle dagegen entwickeln sich weiter. 
In diesem letzteren Falle werden die das Saftkanalgeflecht zusam- 
mensetzenden Ausläufer viel mächtiger, so dass der ganze Saft- 
kanal in Gestalt einer Dornkrone erscheint. Die geflechtartigen 
sowohl wie die dornkronenförmigen Saftkanäle stehen mit den 
Ausläufern der benachbarten Knochenkörperchen in Verbindung und 
die diffuse Färbung ist an der Stelle des Saftkanals am intensiv- 
sten, an welcher die Ausläufer am reichlichsten entwickelt sind. 
Die diffuse Färbung wird durch die Ausläufer der Kno- 
chenkörperchen verbreitet. Diese sind also gewissermassen 
die Quellen, welche die Saftkanalgeilechte versorgen. Man kann als 
eine allgemeine Regel gelten lassen, dass an den generellen Saftkanälen 
die diffuse Färbung an demjenigen Ufer am intensivsten ist, welches 


Ueber Knochenwachsthum. 67 


dem Tubus medullaris zugewendet ist. Die Havers’schen Saftkanäle 
anlangend, so werden ihre äusseren Ufer mehr als die inneren diffus 
sefärbt. In diesem letzten Falle ist die diffuse Färbung manchmal so 
verbreitet, dass die ganze zwischen den benachbarten Havers’schen 
Ringen liegende Knochensubstanz diffus gefärbt ist, während die 
zwischen den Ringen und Lumina der Havers’schen Kanäle gele- 
sene Knochensubstanz ungefärbt bleibt. Dadurch erscheint die 
ganze Knochenmasse in zweierlei verschiedene Territorien ge- 
theilt: in die ungefärbten, zwischen den Lumina Havers’scher Ka- 
näle und Havers’schen Ringen liegenden — canaliculäre Kno- 
cehenterritorien (l) — und in die gerötheten, zwischen den be- 
nachbarten Havers’schen Ringen befindlichen — intercanalieu- 
läre Knochenterritorien (m). Die beiden Knochenterritorien 
sind durch den Havers’schen Ring (i Saftkanal) von einander ge- 
trennt; — sind mehrere coneentrische Saftkanäle vorhanden, so wird 
der äusserste an der Grenze der beiden Territorien liegen. Da 
ich des Havers’schen Kanals, welcher die beiden Knochenterritorien 
trennt, später noch gedenken werde, so bezeichne ich denselben als 
interterritorialen Saftkanal. 

Für die Geschichte des Knochenwachsthums ergiebt die Krapp- 
fütterung eine sehr wichtige Thatsache, welche darin besteht, dass 
während des Knochenwachsthums eine Verschiebung 
der Knochentheilchen in einersehr grossen Ausdehnung 
stattfindet. Dieser Vorgang, welcher allen Stadien der Knochen- 
entwicklung eigenthümlich ist, lässt sich während der Bildung der 
generellen Streifen in seiner ganzen Grossartigkeit beobachten. 

Schon früher habe ich erwähnt, dass das oberflächliche Saft- 
kanalgeflecht geradlinig und parallel der Knochenoberfläche ver- 
läuft. Je nachdem neue Knochenschichten auf das jüngst entstan- 
dene Saftkanaigeflecht apponirt werden, findet eine Bildung von 
Havers’schen Kanälen an der Knochenoberfläche statt. Diese Kanäle 
werden in der Richtung gegen den Tubus medullaris verscho- 
ben, wobei der generelle Saftkanal von dem wandernden Havers- 
schen Kanal nach und nach vorgeschoben wird. Betrachtet man 
einen topographischen Querschliff, so findet man, dass der früher 
geradlinige generelle Streifen (c) jetzt wellenförmig verläuft (d), und 
in jeder gegen die Knochenoberfläche geöffneten Schleife einen 
halbabgeschnürten Havers’schen Kanal enthält. Etwas später 
werden die Havers’schen Kanäle durch den generellen Streifen ganz 


68 Dr. Z. J. Strelzoff: 


abgeschnürt (o) und endlich von demselben abgelöst (p), so 
dass die zwischen der Knochenoberfläche und dem betreffenden ge- 
nerellen Streifen entstandenen Havers’schen Kanäle jetzt zwischen 
dem letzteren und dem Tubus medullaris liegen. Entsteht ein neuer 
genereller Saftkanal und werden während der Ablagerung neuer 
Knochenschichten neue Havers’sche Kanäle gebildet, so wiederholt 
sich derselbe Process genau in derselben Weise, wobei die einmal 
abgeschnürten und abgelösten Havers’schen Kanäle sehr oft durch 
den tiefer gelegenen generellen Streifen nochmal abgeschnürt 
werden (p). | 

Dieser Vorgang, welcher ein Beweis der Expansion der 
Knochen bei jungen Thieren ist, hat einerseits Verdünnung und 
anderseits Verdickung der Knochenschichten an gewissen Stellen 
zur Folge und spielt bei der Gestaltung der Knochen eine wichtige 
Rolle. Wenn Kölliker eine Verdünnung der älteren Scapulae in 
der Mitte ‘der Fossa infraspinata beobachtet hat, so beweist dies 
also noch gar nicht, dass der Knochen an der betreffenden Stelle 
zu Grunde geht. 

Für das Studium der Wachsthumserscheinungen an den Rän- 
dern der Löcher und den Wänden der Kanäle habe ich die 
Ernährungslöcher der Röhrenknochen gewählt, an welchen 
man ein Loch und zu gleicher Zeit einen Kanal findet. Es ergiebt 
sich aus dergleichen Studien an Krappknochen, dass die Wand 
eines jeden Ernährungskanals (C) ebenso wie die Kno- 
chenoberfläche (A) sich verhält, indem während des ganzen 
zweiten Wachsthumsstadiums eine reichliche Knochenablagerung 
neben der Bildung genereller Streifen an der freien Fläche des Er- 
nährungskanals stattfindet. Diese Erscheinung ist deshalb leicht zu 
beobachten, weil die Wand des Gefässkanals mit der übrigen Kno- 
chenwand gemeinschaftliche generelle Streifen hat, d. h. jeder 
generelle Streifen (c, d, e, f, g), welcher mehr oder weniger parallel 
der Knochenoberfläche (sei es geradlinig oder wellenförmig) verläuft, 
am Rande des Foramen nutritium (D) eine Biegung macht und pa- 
rallel der freien Fläche des Ernährungskanals (C) sich fortsetzt. 
Hieraus geht hervor, dass die Wand dieses Kanals ebensoviel gene- 
relle Streifen, wie die schon früher beschriebene äussere Schicht der 
Knochenwand, besitzt. 

Da. die während des zweiten Wachsthumsstadiums abgelagerten 
Knochenschichten (b) durch die generellen Streifen charakterisirt 


Ueber Knochenwachsthum. 69 


werden und der am tiefsten liegende generelle Streifen (g) die Grenze 
des dem ersten Wachsthumsstadium angehörenden Knochens markirt, 
so kann man die Dicke der während des zweiten Wachsthumsstadiums 
abgelagerten Knochenschichten genau durch Messungen bestimmen. 
Es ergibt sich aus diesen Untersuchungen, dass die dünnste wäh- 
rend der betreffenden Periode entstandene Knochenlage der dem Fo- 
ramen nutritium entgegengesetzten Seite der Knochenoberfläche ent- 
spricht, die mächtigste Knochenmasse aber an den Rand des 
For. nutr. (D) abgelagert wird, während auf den freien Flächen 
des Ernährungskanals (C) so viel Knochensubstanz wie 
an den übrigen Punkten der Knochenoberfläche auftritt. 
Die Resultate meiner mikroskopischen Untersuchungen der Krapp- 
knochen sind also von denjenigen, welche Kölliker bei der Be- 
trachtung der Knochen mit blossem Auge erhalten hat, ganz ver- 
schieden, und wenn er an den betreffenden Stellen die Gebilde ge- 
sehen hat, welche er Howship’sche Grübchen und Ostoklasten 
nennt, so ist dieser Umstand für seine Lacunen- und Ostoklasten- 
theorie noch schlimmer. 

3. Es kommt endlich ein Stadium vor, in welchem weder ge- 
nerelle noch Havers’sche Streifen gebildet werden und keine Kno- 
chenablagerung auf die Knochenflächen stattfindet. Dieses apla- 
stische Stadium beginnt ungefähr am Ende des zweiten Lebens- 
monats der Tauben. Füttert man eine Taube in diesem Stadium 
mit Krapp, so werden die Knochen, obwohl viel langsamer, als 
früher, doch fast ebenso intensiv und in ihrer ganzen Masse ge- 
färbt. Mikroskopirt man solche Knochen, so erhält man die 
gleichen Bilder, wie im ersten Wachsthumsstadium: die Havers- 
schen Kanäle und die Knochenoberflöchen sind mit feinen rothen 
Säumen umgeben. Dieses Stadium dauert ungefähr 2 Monate lang. 
Trotz der Aplasie der Knochenflächen verdicken sich die Knochen 
mit dem Alter der Thiere. 

4. Am Ende des vierten und im Anfang des fünften Lebens- 
monats kommt noch ein Stadium vor, welches ich Stadıum der 
Seneszenz nenne. Füttert man die Tauben in diesem Alter mit 
Krapp, so kann man auch eine ziemlich intensive Färbung der 
Knochen gewinnen. Die Bilder sind aber von denen des vorigen 
Stadiums fast nicht zu unterscheiden. Das Stadium der Seneszenz 
wird dadurch charakterisirt, dass die meisten von den generellen 
ebenso wie von den Havers’schen Saftkanälen mit der Hinter- 


70 Dr. Z. J. Strelzoff: 


lassung einer matt glänzenden, ziemlich groben, mehr 
weniger wellenförmig oder zackig verlaufenden Linie 
geschlossen werden. An den Stellen der früher besprochenen 
interterritorialen Saftkanäle bleiben jetzt die von Tomes und de 
Morgan beschriebenen und als Beweis für eine stattgehabte Kno- 
chenzerstörung und eine darauf erfolgte Knochenablagerung ange- 
führten Linien übrig. Bei den mit Krapp gefütterten Tauben sind 
diese interterritorialen Linien roth tingirt, aus dem einfachen 
Grunde, weil die Ufer des an den betreffenden Stellen vorhanden 
gewesenen Saftkanals gefärbt waren. 

In Beziehung auf die interterritorialen Linien und die Havers- 
schen Kanäle betrachte ich folgende Thatsachen als festgestellt : 

1. Diese Linien sind weder bei Embryonen noch in den drei 
ersten von mir beschriebenen Stadien des Knochenwachsthums zu 
beobachten. 

2. Dieselben erscheinen an Stelle der vorhanden gewesenen 
interterritorialen Saftkanäle. 

3. Bei den mit Krapp gefütterten Tauben sind sie roth gefärbt. 

4. Der Durchmesser der Havers’schen Kanäle nimmt mit 
dem Alter der Thiere ab. | 

5. Die Havers’schen Ringe und Säume sind in allen Wachs- 
thumsstadien intact. 

Einen der schlagendsten Beweise, welche Kölliker zu Gun- 
sten der Knochenzerstörung angeführt hat, betrachte ich somit als 
widerlegt. 

Werfen wir jetzt auf die von mir beschriebenen Wachsthums- 
stadien der Knochen einen Rückblick, so finden wir, dass die Krapp- 
bilder immer in Gestalt äusserst feiner rother Streifen erscheinen, 
von welchen aus eine diffuse Färbung sich verbreitet und ohne 
scharfe Grenze in die Umgebung unmerklich sich verliert. Gleich- 
mässig gefärbte und von den farblosen scharf abge- 
srenzte Knochenschichten werden bei den mit Krapp 
fortgefütterten Tauben nie beobachtet. 

Setzt man eine mit Krapp gefütterte Taube auf gewöhnliche 
Nahrung, so erhält man natürlich bei der Untersuchung ihrer Kno- 
chen verschiedene Bilder, je nach dem Wachsthumsstadium, in wel- 
chem die Krappfütterung angestellt wurde und nach der Dauer der 
beiden Versuchsperioden. Pausirt man mit der Krappfütterung vor 
dem Beginn des zweiten Wachsthumsstadiums und untersucht man 


Ueber Knochenwachsthum. 71 


die Knochen nach einiger Zeit, so findet man immer die innere 
rothe Zone, welche theils dem embryonalen Knochen, theils dem des 
ersten Wachsthumsstadiums entspricht, wie schon früher erwähnt 
wurde, und so viel von der äusseren Knochenfläche entfernt ist, als 
die neue, während des zweiten Wachsthumsstadiums abgelagerte 
Knoehenschicht beträgt. Ist die intensive Färbung der Knochen 
wegen der Erkrankung der Thiere oder wegen anderer Ursachen 
nicht recht gelungen, so ist die Zone schmal, blass und inter me- 
diär gelegen. Eine solche Wanderung der rothen Zone, wie Flou- 
rens beschrieben hat, existirt in Wirklichkeit nicht und, wenn 
Kölliker glaubt, dass eine äussere rothe Zone zu einer inneren 
werden kann und ‘damit meine Angaben zu widerlegen sucht, so ist 
dies nicht richtig. Der von ihm eitirten und mir bekannten ober- 
flächlichen Arbeit von Philipeaux und Vulpian liegt nur eine 
makroskopische Betrachtung der Knochen zu Grunde. Das einzige, 
was geschehen kann, ist eine Umwandlung einer äusseren in eine 
intermediäre Zone. Diese letztere Erscheinung findet dann statt, 
wenn die erste Darreichung des Farbstofis mit dem zweiten Wachs- 
thumsstadiam zusammenfällt. Setzt man die Krappfütterung aus, 
aber noch zu einer Zeit, wo das betreffende Stadium noch nicht ab- 
gelaufen ist und untersucht man die Taube in dem dritten Wachs- 
thumsstadium, so findet man eine rothe Zone, welche von der Kno- 
chenoberfläche so viel abgerückt ist, wie die Knochenschicht, welche 
nach der Aussetzung der Krappfütterung abgelagert wurde, beträgt. 
Weder eine äussere noch eine intermediäre rothe Zone 
kann zu einer inneren werden. 

Ich muss noch die Thatsache betonen, dass die während der 
Aussetzung der Krappfütterung abgelagerten Knochenschichten 
keineswegs ungefärbt bleiben. Wenn bei den mit Krapp gefütterten 
und auf gewöhnliche Nahrung gesetzten Tauben die eben bespro- 
chene rothe Zone zu einer intermediären wird, so erscheint die 
Knochenschicht, welche diese Zone von der Knochenobertläche trennt. 
welche also während der Aussetzung des Farbstoffs angebildet wor- 
den ist, obwohl viel weniger intensiv, doch gefärbt. Füttert man 
eine junge Taube mit Krapp und setzt die Krappfütterung zur Zeit 
aus, wo die Sehnen noch nicht verknöchert sind und untersucht man 
die Taube, wenn sie ausgewachsen ist, so findet man die Sehnen- 
knochen roth. Diese Erscheinung erklärt Kölliker dadurch, dass 
meinen Versuchsthieren eine colossale Menge des Farbstofis beige- 


72 Dr. Z, J. Stvwelzoff; 


bracht sein müsste; — in Wirklichkeit aber sind die Verhältnisse 
sanz umgekehrt: giebt man den Tauben viel Krapp, so werden 
sie krank, bekommen Darmeatarrh, die Knochenentwicklung bleibt 
zurück und die Färbung des ganzen Skelets ist blass. Die Krapp- 
wurzel ist für die jungen Tauben giftig und bei den an der Ver- 
giftung durch Krapp gestorbenen Thieren ist die rothe Farbe der 
Knochen hell und schmutzig. 

Die rothe Farbe der Krappknochen geht bei den auf gewöhn- 
liche Nahrung gesetzten Tauben durch eine Decoloration verloren. 
Als das einfachste und beste Untersuchungsobjekt empfehle ich die 
früher besprochenen, roth gefärbten interterritorialen Linien, 
welche man an einem und demselben mikroskopischen Präparat in 
allen Stadien der Entfärbung beobachten kann. 

Zu dieser kurzen Schilderung meiner Krappversuche kann ich 
noch die Thatsache hinzufügen, dass die generellen und Havers- 
schen Streifen eine Orientirung erlauben und die verschiedenen 
Knochenschichten als bleibende Gebilde verfolgen lassen. 

Das sind in Kurzem die Hauptergebnisse meiner Untersuchun- 
sen über Expansion der Knochen, Haversian Spaces, Löcher 
und Kanäle in Knochen und Krappfütterung. Wenn dieselben 
zur Zeit in einem direkten Widerspruch mit denjenigen von Köl- 
liker stehen, so darf ich hoffen, dass nach einer genauen Prüfung 
derselben Kölliker auch mit mir wenigstens in der factischen 
Seite meiner Arbeit übereinstimmen wird; — was aber die Deutung 
der Bilder betrifit und wie Kölliker dieselben erklären wird, das 
kann ich schon jetzt voraussehen. Er sagt nämlich: so bald be- 
stimmte Thatsachen für das interstitielle Knochenwachsthum vor- 
liegen (d. h. mit anderen Worten, so bald die Knochenexpan- 
sion nachgewiesen ünd damit die vollständige Grundlosigkeit der 
Hypothese über Knochenresorption dargethan ist), so wird er auch 
ein interstitielles Knochenwachsthum „neben der Appostion und Re- 
sorption“ anerkennen, wobei selbst bei dieser Lage der Dinge 
das interstitielle Wachsthum nur „bis zu einem gewissen Grade als 
Factor‘ bei der Gestaltung der Knochen figuriren soll. 

Findet Kölliker eine „erstaunliche Schwierigkeit“, mich zu 
überzeugen, so habe ich nach dem eben angeführten Passus alle 
Hoffnung verloren, für ihn genügende Beweise zu finden. | 

Zürich, Ende Februar 1874. 


Ueber Knochenwachsthum. 


I 
IS») 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel III und IV. 


Fig. 1. Femur 6 mm. Länge. Querschnitt durch die Mitte der Diaphyse. 
(Schafembryo). Syst. 1. v. H. 
a. Periostaler Knochen. 
b. Verkalkter Knorpel. 
ce. In Bildung begriffener primordialer Markraum. 
d. Havers’sche Kanäle. 
e. Periost. 
Fig. 2. Femur 12 mm. Länge. (@uerschnitt durch die Mitte der Diaphyse 
(Schafembryo). Syst. 1. v. H. 
a. Periostaler Knochen. 
b. Endochondraler Knochen (die blauen Flecke sind verkalkte 
Knorpelreste). 
c. Endochondrale Grenzlinie. 
. Fig. 3. Femur 27 mm. Länge. Querschnitt durch die Mitte der Diaphyse. 
(Schafembryo). Syst. 1. v. H. 
a. Periostaler Knochen (das Detail ist weggelassen). 
b. Endochondraler Knochen. 
e. Endochondrale Grenzlinie. 
Fig. 4 u.5. stellen den an den Figg. 2 u. 3 abgebildeten endochondralen Kno- 
chen bei stärkerer Vergrösserung dar, Syst. 2. v. H. 
a. Endochondrale Grenzlinie. 
b. Endochondrale Grundschicht. 
c. Endochondraler Uebergangsbalken. 
d. Endochondraler secundärer Balken. 
Fig. 6. Endochondraler Halbmond. Schematische Figur. 
a. A. Periostaler Knochen. 
b. B. Endochondraler Halbmond. 
c. C. Convexe Seite desselben (endochondrale Grenzlinie). 
Fig. 7. Metacarpus 27 mm. Länge. (uerschnitt durch die Mitte der Dia- 
physe (Schafembryo). Syst. 1. v. H. 
a. Periostaler Knochen. 
b. Endochondraler Halbmond liegt im Tubus medullaris, d. h. im 
Bereich des endochondralen Knochens. 
. @. Eindochondrale Grenzlinie (convexe Seite des Halbmonds). 
Fig. 8. Metacarpus 40 mm. Länge. Querschnitt durch die Mitte der Dia- 
physe (Schafembryo). Syst. 1. v. H. 
a. Periostaler Knochen (das Detail ist weggelassen). 
b. Endochondraler Halbmond liegt jenseits des Tubus medullaris, 
d. h. im Bereich des periostalen Knochens. 
c. Endochondrale Grenzlinie. 


74 


Fig. 9. 


Fig. 10. 


Fig. 11. 


Dr. Z. J. Strelzoff: Ueber Knochenwachsthum. 


Humerus 23 mm. Länge. Frontaler Längsschnitt durch die obere 
Hälfte (Schafembryo). Syst. 1. v. H. 

a. Periostaler Knochen. 

b. Endochondraler Knochen. 

c. Endochondrale Grenzlinie. 

d. Verkalkungsrand. 

A. Aplastische Fläche (Stelle, wo die periostale Rinde fehlt und 

der endochondrale Knochen an das Periost angrenzt). 

Humerus 12 mm. Länge. Frontaler Längsschnitt durch die obere 
Hälfte (Schafembryo). Syst. 1. v. H, 

a. Periostaler Knochen 

b. Endochondraler Knochen 

ce. Endochondrale Grenzlinie. 

d. Verkalkungsrand. 
Schematische Figur von 3 verschieden alten Scapulae. Die Linie d 


| das Detail ist schematisırt. 


zeigt ungefähr die Höhe, von welcher die von mir abgebildeten 
drei Querschnitte von Scapula stammen. (Taf. IV. Figg. 17,18 u. 19. 
Unters. aus d. pathol. Institut zu Zürich. 1873. 1. Heft.) 


. Krapppräparat. Querschliff der Ulna in der Höhe des Foram. nutr. 


von einer 5l Tage alten Taube, welche zur Zeit der ersten Darrei- 
chung der Krappwurzel 16 Tage alt war und 35 Tage mit Krapp 
gefüttert wurde. 

A. Aeussere Knochenfläche. 

B. Innere Knochenfläche. 

C. Canalis nutritius, 

D. Rand des Foramen nutr. 

a. Innere Knochenschicht. 

b. Aeussere Knochenschicht. 

C. 

d. 
> Generelle Streifen. 


e. 
T. 
8. 
ı. Havers’sche Streifen. 

k. Allerjüngste Knochenschicht. 

l. Canaliculäre Knochenterritorien. 

m. Intereanalieuläre Knochenterritorien. 

n. Halbabgeschnürte Havers’sche Kanäle. 
o. Fast abgeschnürte Havers’sche Kanäle. 
p. Abgelöster Havers’scher Kanal. 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 
Von 
v. Wittich. 


Hierzu Taf. IVa. 


Heidenhain’s Beiträge zur Anatomie und Physiologie der 
Nieren veranlassen mich eine Reihe von Beobachtungen nachträglich 
zu veröffentlichen, die ich vor einer Reihe von Jahren an Kaninchen 
und Katzen, angeregt durch die Arbeiten Chrzonzewski’s, zu 
machen Gelegenheit fand, und welche sich an ältere von mir im 
Jahre 1856 über die Nieren der Vögel gemachte Angaben anschliessen 
sollten. Die letzteren hatten die directe Betheiligung der Nieren- 
zellen der gewundenen Harnkanälchen an der Ausscheidung der 
wesentlichen Bestandtheile des breiigen Vogelharns unzweifelhaft 
erwiesen, sie hatten aber auch gezeigt, dass, wie es Heidenhain 
jetzt auch für die Säugethiernieren bestätigt, nie alle Abschnitte der 
Niere gleichzeitig funetioniren, man die Drüsenzellen gleichzeitig an 
verschiedenen Stellen des Organs in den verschiedensten Stadien 
der Erfüllung mit harnsauren Salzen findet, während andre noch 
vollständig frei von denselben sind; dass die die Glomeruli umge- 
bende Kapsel sich dagegen gar nicht an der Ausscheidung der 
_ Harnbestandtheile zu betheiligen scheine. Auch letztere Angabe 
bestätigt Heidenhain für die Ausscheidung des indigoschwefel- 
sauren Natron, wenn auch aus seinen Beobachtungen nicht mit der 
Evidenz wie aus meinen hervorgeht, dass den Zellen der Kapseln 
nicht die gleiche Bedeutung für die normalen Bestandtheile des 
Harns zukomme, wie den Zellen der Tubuli contorti. 


76 v. Wittich: 


Nach der Veröffentlichung der Arbeiten Chrzonzewski’s 
schien mir in der Ausscheidung des Carmins ein ebenso sichtbares 
Beobachtungsobject gefunden zu sein, um auch bei Säugethieren den 
Antheil der verschiedenen Drüsentheile an der Ausscheidung ver- 
folgen zu können, wie es die festen Harnbestandtheile des Vogelharns 
gaben. Die Resultate meiner in Folge dessen angestellten Versuche 
wollten mir jedoch in einem Punkte mit früheren Beobachtungen 
nicht recht stimmen, gaben mir aber nichts desto weniger That- 
sachen, dieneben den von Heidenhain veröffentlichten wohl geeignet 
sein dürften, einen tieferen Blick in die Vorgänge der Harnsecretion 
zu thun. Ich stehe daher nicht an meine jetzt schon alten, aber 
immer noch nicht veralteten Beobachtungen nachträglich zu ver- 
öffentlichen, zumal sich aus ihnen ergiebt, dass die von Heidenhain 
gefundenen 'Thatsachen nicht für alle in den Harn übergehenden 
Substanzen gültig zu sein scheinen, und als Heidenhain selbst 
die von mir in Anwendung gebrachte Methode als unzuverlässig 
aufgab, während sie mir ganz vortreffliche Präparate verschaffte. 

Kaninchen wie Katzen ertragen die Injection von Carminam- 
moniak nach meinen Erfahrungen ganz vortrefilich, wenn man die 
Lösung in den Verhältnissen darstellt, d. h. wenn man die Menge 
des Carmin zum Ammoniak genau so nimmt, wie sie Chrzonzewski 
angab, eine etwas stärkere Verdünnung schadet durchaus nicht. Ich 
erinnere mich keines Todesfalles nach der Injection, auch habe ich 
nie, ganz gleichgültig ob ich die herausgenommene Niere in reinem 
oder angesäuertem Alkohol (natürlich in kleinere Stücke geschnitten) 
erhärtete, eine so starke postmortale Imbibition der Gewebstheile 
beobachtet, dass sie irgendwie störend auf die Beobachtung wirken 
können, ja die zuweilen beobachteten postmortalen Imbibitionen sind 
gerade für das Verständniss ungemein lehrreich. 

Spritzt man einem Kaninchen 5 Cem. der Lösung in die Vena 
jugularis und lässt etwa 15 Minuten bis zum Tode vergehen, so 
findet man nicht nur die freigelegten Uretheren, sondern meistens 
auch die Blase bereits mit roth gefärbtem Secret erfüllt. Die Thiere 
entleeren auch in dieser Zeit während des Lebens bei Druck auf 
die Blase meistens einen ganz unzweifelhaft gefärbten Harn. Die 
mikroskopische Untersuchung der in saurem Alkohol erhärteten 
Präparate ergab mir in meinen älteren Versuchen (von denen mir 
noch heute damals gefertigte Schnitte vorliegen) folgendes: Die 
Oberfläche der Glomeruli ist fast ausnahmslos diffus geröthet, und 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 77 


einzelne körnige Ausscheidungen unregelmässiger Form lagern auf 
ihnen, von einer intensiveren Färbung der Kerne der Gefässknäuel 
oder der sie bedeckenden Zellenschicht ist nichts vorhanden. Zwi- 
schen den Glomeruli und ihrer Kapsel befindet sich ein ungefärbter 
Raum, die Epithelien der letzteren sind nirgend imbibirt. 

Es hat seine grosse Schwierigkeit, um zu einer vollen klaren 
Einsicht darüber zu kommen, ob die Carminfärbung der Glomeruli 
nur von ihrem Inhalte, oder ob sie von gefärbten Massen auf ihrer 
Oberfläche herrührt. Bilder, wie sie Chrzonzewski (Virchow’s 
Arch. Bd. 31, Taf. IX Fig. 6) giebt, in welchen die rothen Massen 
ganz unabhängig von den Glomeruli der innern Fläche der Kapsel 
aufliegen, sind mir nie zur Beobachtung gekommen. Die Schwierig- 
keit der Entscheidung steigert sich, wie mich neuere Versuche be- 
lehrten, noch dadurch, dass die Gefässwindungen der Glomeruli 
ihren Inhalt nachweislich viel fester halten, als alle andern Gefässe. 
Lässt man ein Kaninchen unmittelbar nach der Injection verbluten, 
so findet man nicht selten allein in den Gefässknäueln die injicirte 
Masse, während alle übrigen Gefässe fast vollständig leer sind. 
Allein in solchen Fällen lässt sich der rothe Inhalt genau in den 
einzelnen Schlingen verfolgen, deren einzelne stark, andere schwächer, 
noch andere gar nicht gefüllt sind, während in späteren Stadien 
der Secretion die ganze Oberfläche des Glomerulus diffus geröthet 
erscheint. An eine postmortale Imbibition ist hier wohl kaum zu 
denken, da keineswegs, wie das sonst hierbei der Fall zu sein pflegt, 
die Kerne der Gefässe gefärbt sind. In seltenen Fällen erstreckt 
sich auch die diffuse Röthung etwas über die Gontouren der Glome- 
ruli, die Kapsel erscheint dann wenigstens theilweise erfüllt. Vor 
Allem aber sind die oft zu beobachtenden körnigen Carminausschei- 
dungen, die mir entschieden auf der Oberfläche der Glomeruli zu 
liegen scheinen, welche dafür sprechen, dass auch jene diffuse Fär- 
bung aussen aufliest. Zu vollkommener Gewissheit über das Ver- 
hältniss der rothen Färbung zu den Windungen der Giomeruli bin 
ich erst in neuester Zeit bei einem Kaninchen gekommen, dem ich 
nach einander Carminammoniak und indigoschwefelsaures Natron 
in das Blut injieirte und die Nierengefässe vor dem Herausnehmen 
mit concentrirter Lösung von Chlorkalium nach Heidenhain’s 
‘ Vorschlag ausspritzte. In überraschend klarer Weise zeigte sich 
hier, dass auch die ihres farbigen und blutigen Inhalts beraubten 
Glomeruli diffus geröthet waren, dass aber nie die Kerne der 


78 v. Wittich: 


Gefässwandung vorwiegend geröthet erschienen, wie es bei einer 
postmortalen Imbibition stattfinden würde. 

Die Lumina der |gewundenen Harnkanälchen sind fast durch- 
weg mit carminhaltigen Massen erfüllt, zuweilen nur in Form einer 
das Lumen scharf begränzenden, auf den Drüsenzellen lagernden 
Schicht, während letztere selbst vollständig farblos erscheinen, zu- 
weilen ist das ganze Lumen mit blassröthlicher homogener Masse 
erfüllt, die sich nur mit feiner körniger Punktirung gegen die 
Zellen abgrenzt. Hier und da findet man aber auch vollkommen 
farblose Kanälchen. Die soeben erwähnte feinkörnige Auflagerung 
findet sich übrigens auch in Nieren, die in säurefreiem Alkohol 
erhärtet wurden, kann also nicht wohl einer postmortalen Fällung 
durch Säure ihre Entstehung verdanken, sie schickt übrigens oft 
unregelmässig strahlenförmige feine körnige Ausläufer zwischen die 
einzelnen Zellkörper, ohne dass letztere selbst irgend etwas von 
dem Farbstoff aufnahmen. Es scheint mir nicht undenkbar, dass 
jene feinen Ausläufer den Zwischenräumen der von Heidenhain 
beschriebenen Stäbchen folgen. 

Die Sammelröhren sind meistens stark mit Carmin gefüllt, der 
als ein feinkörniger Niederschlag auf deu dieselben auskleidenden 
Zellen lagert, zum Theil aber auch bereits als compactere Massen 
auftritt. Die gerade verlaufenden Kanälchen der Farrein’schen 
Pyramiden zeigen in dieser Anfangszeit der Secretion nur sehr ver- 
einzelt eine Erfüllung mit Carmin, auch ihre Zellen sind farblos, 
die Mehrzahl der Kanäle selbst leer. 

So weit gingen meine älteren Beobachtungen. Es ergab sich 
aus ihnen, dass die Ausscheidung des Carmins, wie es bereits 
Uhrzonzewski beschrieb, ziemlich gleichmässig in den Kapseln 
der Glomeruli beginnt, und von hier 'aus die ausgeschiedenen Massen 
ohne directe Betheiligung der Drüsenzellen in die Tubuli eontorti, 
von ihnen in die Tubuli reeti vorrücken, während nach meinen 
früheren Beobgehtungen es doch zum Wenigsten äusserst wahrschein- 
lich war, dass, wie die harnsauren Salze, so auch die übrigen we- 
sentlichen Harnbestandtheile bei Säugethieren zunächst in die Drü- 
senzellen der Tubuli contorti angehäuft und von ihnen ausgeschieden 
wurden. Es schien mir nicht unwahrscheinlich, dass, wie das bereits 
von Bowman angegeben wurde, die Glomeruli hauptsächlich das 
Harnwasser lieferten, welches unter obwaltenden Umständen den 
leieht diffusibeln Farbstoff mit sich nahm, während die eigentlichen 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 79 


physiologischen Ausscheidungsstoffe, zu welchen man den künstlich 
ins Blut gebrachten Farbstoff nicht wohl zählen kann, erst eine 
Betheiligung des Protoplasmas der Drüsenzellen erforderten. In 
dieser Deutung, welche ich der Differenz meiner früheren Beobach- 
tungen zu geben versuchte, machten mich Heidenhain’s Beobach- 
tungen schwankend, und meinen eigenen Präparaten misstrauend, 
wiederholte ich meine Versuche an Kaninchen und Tauben, allein 
im Wesentlichen mit gleiehen Resultaten, wie sie mir die älteren 
gegeben hatten. Was zunächst die Menge der von mir injieirten 
Massen betrifft, so habe ich fast in allen Fällen nur 5—7 Cem. 
hierzu verbraucht, weil ich mich überzeugte, dass sie ausreichen, 
um die Hautdecken der Thiere fast momentan intensiv zu färben. 

Um aber die Schnelligkeit, mit welcher die Ausscheidung des 
Farbstoffes selbst bei nur geringer Menge desselben erfolgt, kennen 
zu lernen, wurde ein durch Urari vergiftetes Kaninchen unter 
künstlicher Respiration erhalten, und ihm durch einen Schnitt in 
der Linea alba die Bauchhöhle eröffnet, die Baucheingeweide vor- 
sichtig nach rechts herübergelagert, so dass der linke Urether 
bequem beobachtet werden konnte, während die von einem Assistenten 
hohl gehaltenen Bauchdecken ein Betrockenen der Baucheingeweide 
verhinderten. Nach dieser Vorbereitung injieirte ich in die rechte 
Vena jugularis sehr langsam 5 Gem. Carminlösung, während ich 
gleichzeitig stets den Urether im Auge behielt und nach einem 
Secundenzähler die Zeit bis zum Eintreten rothen Harns in den 
Urether bestimmte. Fast momentan röthete sich die Wandung des 
letzteren durch Erfüllung der in ihm verlaufenden Gefässe, nach 
Verlauf aber von 40 bis 50 Secunden trat die erste Flüssigkeitswelle 
aus dem Nierenbecken in den Urether und schob eine deutlich roth- 
gefärbte Säule von einigen Millimetern vor sich her. 

Tauben scheinen die Injection von Carminlösung viel schwerer 
zu ertragen; schon nach Einführung von kaum 3 Cem. der Lösung 
wurden mir dieselben meistens asphyctisch und starben. Sie erholen 
sich aber, wie ich bald einsah, von ihrer Asphyxie, wenn man schnell 
durch Einblasen von Luft durch den Schnabel wenige Minuten hin- 
durch künstliche Respiration einleitet, aber auch dann erscheinen 
die Thiere anfangs noch wie im trunkenem Zustande, m welchem 
sie sich schwer auf den Füssen halten, den Kopf leieht vornüber 
sinken lassen, ihn plötzlich wieder erheben und eine grosse Neigung 
zeigen sich hinzukauern. Bevor ich diesen relativ doch günstigen 


80 v. Wittich; 


Effect der künstlichen Athmung kannte, starb mir eine Taube 
während der Einspritzung, bei Eröffnung des Abdomens erwiesen 
sich aber beide Uretheren bereits gefüllt mit roth gefärbtem breiigen 
Harn, während die mikroskopische Untersuchung der Niere im We- 
sentlichen denselben, wenn auch nicht so eclatanten Zustand zeigte, 
wie die Nieren in späterer Zeit nach der Einspritzung. Letztere 
wurde in dem vorliegenden Falle allerdings sehr langsam ausge- 
führt, dauerte aber doch kaum eine volle Minute; also auch hier 
diffundirte der Farbstoff bereits innerhalb der ersten Minute in die 
Harnkanälchen. 

Um ferner die Zeit kennen zu lernen, welche die dem Thier- 
körper einverleibte Farbmasse braucht um vollständig auszuscheiden, 
habe ich Kaninchen, denen 5 Cem. Carminlösung injieirt waren, so 
lange beobachtet, bis ihre Hautdecken und der von ihnen entleerte 
Harn wieder normale Färbung zeigten. Die injieirte Lösung enthielt 
annähernd wohl 0,5 Grm. Garmin. Am vierten Tage nach der 
Einspritzung waren die Hautdecken kaum noch gefärbt, während 
dder Harn noch intensiv roth die Blase verliess, und zwar nicht wie 
in den ersten 24 Stunden körnig, sondern in Form einer rothen 
Lösung. Erst am siebenten Tage war der Harn von normaler gelber 
Färbung, und erwies sich auch spectroscopisch frei von Carmin, 
während der Harn des sechsten Tages, obwohl nur blassroth, den 
Absorptionsstreifen des Carminammoniaks zeigte. Eiweiss enthielt 
der Harn nachweislich weder am ersten noch an den folgenden 
Tagen. Indigolösung scheint den Thierkörper viel früher zu ver- 
lassen; bei einem Kaninchen, dem ich ungefähr 8 Cem. einer intensiv 
blauen Lösung von indigoschwefelsaurem Natron in die Vena jugu- 
laris injieirte, waren bereits nach 24 Stunden Ohren und Hautdecken 
vollkommen farblos, der entleerte Harn aber noch blau. Leider 
starb das Thier nach Verlauf dieser Zeit- ganz plötzlich (an einer 
Trombose der Hirngefässe), so dass ich das Verschwinden des Indigo 
im Harn nicht verfolgen konnte, allein die mikroskopische Unter- 
suchung der Nieren ergab nur noch Blaufärbung der Tubuli recti, 
während die gewundenen Kanälchen vollkommen frei von Indigo 
sich erwiesen. 

Was nun den Zustand der Nieren nach der Injeetion betrifft, 
so richtet sich derselbe wesentlich nach der Länge der Zeit, welche 
zwischen letzterer und der Tödtung (des Thieres verfloss. Schon 
unmittelbar nach der Einspritzung findet man zahlreiche, aber 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 81 


durchaus nicht alle Harnkanälchen in der Ausscheidung begriffen, 
während nur ganz vereinzelte gerade verlaufenden Kanälchen der 
Pyramiden roth gefüllt sind. Je länger man mit der Tödtung des 
Thieres wartet, desto mehr verbreitet sich der Ausscheidungsprocess 
üher die ganze Corticalschicht des Organs, desto zahlreicher füllen 
sich die Sammelröhren und die Tubuli recti, bis schliesslich fast 
sämmtliche Kanälchen, gewundene wie gestreckte, gleichmässig roth 
erfüllt scheinen. 

Wie bei Kaninchen, ebenso gestalten sich die Vorgänge in den 
Nieren von Tauben nach Einspritzung der Carminlösung ins Blut. 
Hier wie bei jenen lehrt aber die mikroskopische Untersuchung 
feiner Schitte, 1. dass die Harnkanälchen, besonders bei Beginn der 
Secretion, nie synchronisch an letzterer sich betheiligen, 2. dass die 
rothe Masse stets im Lumen der gewundenen wie geraden Harn- 
kanälchen ganz in der Weise liegt, wie ich es als Ergebniss meiner 
älteren Beobachtungen bereits oben beschrieb, immer waren die 
Drüsenzellen farblos, und wenn auch die früher erwähnte feinkörnig- 
strahlig nach aussen gehende Auflagerung den Zellen scheinbar 
eine diffuse Röthung gab, so beschränkte sich letztere doch stets 
auf die dem Lumen zugewendete Schicht, nie waren die eigentlichen 
Zellkörper, ihre Kerne, gefärbt, wie bei Einspritzung von indigo- 
schwefelsaurem Natron nach Heidenhain’s Angaben (die ich aus 
eigener Anschauung nur bestätigen Kann). 

In der Mehrzahl der Fälle fand sich auch, oft vereinzelt, zu- 
weilen allgemein, jene diffuse Röthung der Glomeruli, und selbst in 
Fällen, wo eine offenbare postmortale Imbibition die Wandungen 
grösserer Gefässe, die Kerne benachbarter Capillaren intensiv gefärbt 
hatte, war eine gleiche Färbung der Kerne der Glomeruli nicht zu 
beobachten. 

Ich glaube nun nicht, dass das Ansammeln des ausgeschiedenen 
Carmins in den Höhlungen der gewundenen Kanälchen, das Farblos- 
bleiben der Protoplasmen derselben eine postmortale Erscheinung, 
bedingt durch die geringe Tinctionsfähigkeit der letzteren, sei. Feine 
Schnitte in Alkohol erhärteter Nieren, in Carminammoniak gelegt, 
imbibiren letzteres so ungemein schnell und energisch, dass die 
Präparate meist gleichmässig roth und nur die Kerne etwas inten- 
siver gefärbt erscheinen. Vielmehr scheint es, als ob das Carmin 
mit dem Transsudat aus den Glomerulis tritt und von hier aus in 
die Tubuli contorti gelangt, auf der gewiss zähen Oberfläche ihrer 

Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 6 


82 v. Wittich: 


Zellen haftet, und wohl gar durch die schon von Chrzonzewski 
betonte saure Beschaffenheit des Nierenparenchyms hier bereits aus 
seiner Lösung gefällt wird. Um jedoch eine genaue Einsicht in die 
Art der Gewebsfärbung von den Blutgefässen aus zu gewinnen, 
habe ich folgenden Versuch angestellt. 

Einem todten Kaninchen wurde in die Aorta thoracica dicht 
über dem Zwerchfell eine Canüle eingebunden, letztere durch Caut- 
choukschlauch mit einem durch einen Hahn verschliessbaren Trichter 
in Verbindung gesetzt und dieser mit einer concentrirten ammoniaka- 
lischen Lösung von Carmin gefüllt. Der Trichter wurde mit Hülfe 
einer Klemme etwa 400 Mm. über der Canüle festgestellt, so dass 
nach Eröffnung des Hahns die gefärbte Flüssigkeit annähernd unter 
einem Drucke von 29 Mm. Quecksilber in die Gefässe der Bauch- 
eingeweide strömte. Die letzteren füllten sich äusserst langsam, 
und nachdem etwa nach Verlauf einer halben Stunde 50 Cem. ab- 
geflossen waren, wurden die Nierengefässe, wie die Uretheren unter- 
bunden, die Nieren selbst in mit Essigsäure angesäuerten Alkohol 
geworfen. Die mikroskopische Untersuchung erwies die Uretheren 
leer, dagegen eine sehr vollständige Injection der Blutgefässe, be- 
sonders der Glomeruli, die Kerne jener wie dieser intensiv roth, die 
Zellen der Tubuli contorti grossentheils diffus geröthet, ihre Kerne 
nur hier und da stärker gefärbt, nur in ganz vereinzelten Fällen 
erwiesen sich die Lumina der Harnkanälchen mit blassrother Masse 
erfüllt. Das Gesammtbild aber war ein durchaus wesentlich anderes, 
wie nach Einspritzung des Carmins in die Vene lebender Thiere. 

Von ganz besonderem Interesse war es mir, bei Tauben das 
Verhältniss der eigentlichen physiologischen Harnbestandtheile zu 
der Ausscheidung des Farbstoffes kennen zu lernen. Bevor ich 
jedoch hierauf eingehe, muss ich wenige Worte über die Herstellung 
der hierzu erforderlichen mikroskopischen Präparate sagen. 

Um das Verhalten des Farbstoffs zu den Drüsenzellen, seine 
von diesen unabhängige Anhäufung im Lumen klar zu machen, hat 
es sich mir am meisten bewährt, feine Schnitte der in Alkohol erhär- 
teten Niere in Creosot quellen zu lassen und nach Entfernung des 
überschüssigen Creosots in eine Auflösung von Canadabalsam in 
Chloroform zu legen. Die durch das Creosot bewirkte meistens 
allzu energische Aufhellung der Präparate wird durch die letztere 
Lösung etwas gemildert, die Contouren wieder schärfer. Man ist 
bei diesem Verfahren, welches sich schon durch seine ungemeine 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 83 


Schnelligkeit, wie dadurch empfiehlt, dass die Gewebe nicht so 
schrumpfen, wie bei andern Aufhellungsmitteln, gegen jede postmor- 
tale Imbibition der Schnitte gesichert, wie ich sie oft bei Einlagerung 
der Schnitte in Essigsäure und Glycerin eintreten sah. Dieselbe 
Methode eignet sich aber nicht, um in Vogelnieren die Erfüllung 
der Drüsenzellen mit feinkörnigen Harnbestandtheilen zu beobachten. 
Letztere kennzeichnen sich am besten an in verdünnter Essigsäure 
gequollenen Schnitten durch ihre geringere Durchsichtigkeit bei 
durchfallendem, durch ihren Silberglanz bei auffallendem Lichte. 
Bei letzterer Untersuchung erkennt man am leichtesten die in der 
Secretion begriffenen Drüsenzellen, die wie ein weissglänzender breiter 
Ring das offene dunkle Lumen umstehen, während die nicht secer- 
nirenden Zellen, oder vielmehr die von Harnbestandtheilen freien 
kein Licht reflectiren; es lässt sich also auf einer Schnittfläche sehr 
wohl übersehen, wie viel der Kanälchen in der Secretion begriffen 
sind. In den gerade verlaufenden Sammelröhren füllt der grob- 
körnige breiige Harn allein das Lumen aus und erscheint bei 
durchfallendem Lichte dunkel, fast schwarz, bei auffallendem silber- 
glänzend. Beides, Dunkelheit im durchfallenden, Silberglanz bei 
auffallendem Lichte, rühren von den meist kantigen Partikelchen 
her, die eben sehr viel Licht reflectiren, wenig durchlassen. Durch- 
tränkt man aber ein solches Präparat mit Creosot und Canadabalsam, 
so hebt man dadurch den optischen Effect der einzelnen Partikelchen 
auf, dasselbe erscheint schnell, fast gleichmässig durchsichtig. Es 
empfiehlt sich daher die Untersuchung der Präparate in Essigsäure 
und Glycerin, zumal eine etwa eintretende postmortale Imbibition 
als solche sehr wohl durch andere Creosotpräparate von derselben 
Niere controlirt werden kann. 

Die Durchmusterung solcher Präparate ergiebt nun ausnahms- 
los: Ansammlung des Carmins im Lumen der Kanälchen, während 
die ersten Anhäufungen der Harnbestandtheile in den Drüsenzellen 
erfolgt. In den mit breiigem Harn erfüllten geraden Kanälchen 
wechselt oft streckenweis jener mit zusammengeballtem Carmin. 

Es kam nun bei der entschiedenen Differenz in dem Verhalten 
des indigoschwefelsauren Natron und dem des Carmins zur Niere 
darauf an, den Versuch zu machen, gleichzeitig oder bald hinter 
einander beide Farbstoffe ein und demselben Thiere zu injiciren. 
Ich habe nur einen Versuch der Art gemacht, diesen aber mit dem 
glücklichsten Erfolge. 


84 v. Wittich: 


Einem curarisirten Kaninchen wurden während künstlicher Re- 
spiration in die rechte Vena jugularis 5 Cem. Carminammoniak 
injieirt und nach Verlauf von 15 Minuten, während welcher Zeit 
sich die Blase mit roth gefärbtem Harn bereits füllt, in die linke 
Vena jugularis ebenso viel einer concentrirten Auflösung von indigo- 
schwefelsaurem Natron eingespritzt. Die Respiration wurde noch 
eine halbe Stunde lang unterhalten, alsdann eingestellt und das 
Thier so ganz getödtet. Vorher wurden ihm noch etwa 5 Cem. Blut 
aus der eröffneten Jugularis entleert und dasselbe zur Gerinnung 
aufgestellt. Von der Aorta abdominalis aus wurde hierauf so lange 
gesättigte Lösung von Chlorkalium in die Nierenarterien injieirt, 
bis die aus der Vene abfliessende Flüssigkeit farblos war, die Nieren 
alsdann, in kleine Stücke zerschnitten, in Alkohol erhärtet. Ma- 
kroskopisch beschränkte sich die blaue Farbe fast nur auf die Cor- 
ticalschicht, während die Pyramiden intensiv roth gefärbt waren; 
doch waren auch in jener ganz umfangreiche Flecken intensiv roth, 
ihre Umgebung gleich intensiv blau. Uretheren und Blase enthielten 
auch keinen Indigo !). 

Die mikroskopische Untersuchung feiner von der erhärteten 
Niere gefertigter Schnitte zeigte im Ganzen eine äusserst spärliche 
Erfüllung der gewundenen Harnkanälchen mit Carmin, nur in jenen 
erwähnten rothen Flecken der Corticalschicht prävalirte dieselbe, 
wo sie sich aber nachweisen liess, da füllte dasselbe in früher be- 
schriebener Form, d. h. bald feinkörnig, bald gelöst das Lumen aus, 
während die Zellen absolut frei von demseiben waren. Die Glome- 
ruli und hier auch der freie Raum der Kapsel waren trotz der 
Ausspritzung der Nierenarterie mit Chlorkalium meistens gleich- 
mässig geröthet — während nie eine Blaufärbung gefunden wurde. 
Das Indigo füllte zum Theil in Form zusammengeballter Krystalle, 


1) Ich habe in späteren Versuchen mit indigoschwefelsaurem Natron 
die Benutzung des schon von Chrzonzewski empfohlenen Chlorkaliums, 
um jenes zu fällen, aufgegeben, und mich einer concentrirten Lösung von 
Chlorkaleium bedient. Dasselbe fällt wie jenes das Indigo und bietet den 
Vortheil, dass es sich mit Alkohol mischt, während derselbe das Chlorkalium 
fällt, die Nierenschnitte daher sich bei ihrer Erhärtung durch und durch mit 
kleinen, die Durchsichtigkeit sehr beeinträchtigenden Krystallen bedecken. 
Da übrigens das indigoschwefelsaure Natron allein schon durch absoluten 
Alkohol gefällt wird, so ist selbst die vorhergehende Ausspritzung mit oder 
die Bettung in Chlorcaleciumlösung durchaus überflüssig. 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 85 


oft gemischt mit Carmin, die Höhlungen der Kanäle aus, zum Theil 
fand es sich als feinkörnige, meist blassblaue Substanz in den Zellen 
der gewundenen Kanälchen, und umstand so oft als ein blauer Kranz 
den intensiv roth gefärbten Inhalt. Die Kerne der Zellen meistens 
intensiv blau, ganz wie es Heidenhain beschreibt und abbildet. 

Während also die Resultate dieses Versuches im Wesentlichen 
die Angaben Heidenhain’s nur bestätigen, stellt sich die Ver- 
schiedenheit der Carminausscheidung noch deutlicher heraus. Weder 
hier noch in andern Fällen bei alleiniger Carmineinspritzung habe 
ich je Bilder von einer so intensiven Färbung der Zellen und ihrer 
Kerne zu Gesicht bekommen, wie nach Injection von Indigo, nur 
habe ich weder in dem so eben beschriebenen Falle, noch in andern, 
in denen ich allein das Indigosalz den Thieren einverleibte, eine 
Blaufärbung der Glomeruli gesehen, während sie nach Carmin fast. 
ausnahmslos roth erscheinen. 

Die letztere Thatsache brachte mich auf den Verdacht, dass 
möglicherweise das Indigosalz entweder sehr schnell im Blute bereits 
reducirt werde, oder aus seiner Lösung an irgend einer Stelle des 
Organismus ausgefällt werde, während gleiche Veränderungen mit 
dem Carminammoniak nicht vorgehen, das somit in den Windungen 
der Glomeruli haftende carminhaltige Serum noch post mortem 
transsudire. Um hierüber ins Klare zu kommen, richtete ich meine 
Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit des Blutes nach der Injection. 
Nach Einverleibung von Carminammoniak büsst das Blut wenige 
Minuten nachher noch seine Gerinnungsfähigkeit ganz ein. Selbst 
nach 24stündigem Stehen hatte sich in einem Falle kein Biutkuchen 
gebildet, das über den gesenkten Blutkörperchen stehende Serum 
war intensiv carminrotb gefärbt. Blut, welches 2—3 Stunden nach 
der Einspritzung dem verblutenden Thiere entnommen wurde, gerann 
sehr langsam und bildete noch nach 2! Stunden eine wenig steife 
Gallerte, über welcher sich kein Tropfen Serum gesammelt hatte, 
erst nachdem die Gallerte von den Gefässwandungen gelockert ward, 
sammelte sich ein wenig intensiv carminroth gefärbtes Serum. Nach 
hintereinander folgender Injection von Carmin und Indigo zeigte 
sich die Gerinnungsfähigkeit ebenso geschwächt, wie nach reiner 
Carmineinspritzung, das spärlich gesammelte Serum zeigte spectro- 
skopisch Indigo und Carmin in Lösung. Auch nach alleiniger Ein- 
spritzung von Indigolösung schien die Gerinnung des Blutes verzögert, 
das sich sammelnde Serum aber war intensiv blau gefärbt, entfärbte 


86 v. Wittich: 


sich aber, von dem Blutkuchen abgegossen, nach etwa 24 Stunden, 
so dass nur noch die oberflächlichste mit der Luft in Berührung 
stehende Schicht blau gefärbt blieb. War somit erwiesen, dass bei 
einfacher Indigoeinspritzung letzterer im Serum gelöst blieb, so 
ergab sich doch eine postmortale Reduction desselben, allein der 
Umstand, dass diese immer erst einige Stunden nach dem Stehen 
des abgegossenen Serums eintrat, während das frisch sich ansam- 
melnde Serum jene Reduction noch nicht zeigte, lässt es mir sehr 
wahrscheinlich erscheinen, dass wir es mit Folgeerscheinungen der 
Zersetzung des Serums zu thun haben. Frisches Blutserum, mit 
wenig indigoschwefelsaurem Natron gefärbt, redueirt den Indigo 
gleichfalls erst in etwa 24 Stunden. Schüttelt man übrigens das 
entfärbte Serum mit Luft, so bläut es sich von Neuem, um sich 
auch wieder nach Verlauf einiger Zeit zu entfärben, und selbst nach 
fünftägigem Stehen liess sich dieser Wechsel der Farbe immer von 
Neuem hervorrufen. 

Nach alledem glaube ich, dass man das Fehlen der blauen 
Farbe in den Glomeruli nicht wohl auf eine stattgehabte Reduction 
des Indigo oder auf ein Verschwinden desselben im Serum durch 
Ausfällung zurückführen kann, um so weniger, als die nachfolgende 
Ausspritzung der Nierengefässe mit concentrirtem Chlorkalium eher 
ein Fixiren des Indigos in den Gefässwindungen, als sein Verschwin- 
den bewirken musste. Die diffuse Röthung aber selbst nach Aus- 
spritzen der Nierengefässe halte ich demnach für den Ausdruck 
eines physiologischen Vorganges, bedingt durch eine gleichmässige 
Durchtränkung der den Glomerulus bekleidenden Epithelzellen und 
durch theilweise Ansammlung des Transsudats in der Kapsel. Um 
zu der Einsicht zu kommen, dass man es nicht mit einer postmor- 
talen Imbibition zu thun habe, vergleiche man nur die Präparate 
mit künstlich post mortem gewonnenen Imbibitionspräparaten. In 
letzteren sind vorwiegend die Kerne der Gefässwandungen intensiv, 
die Wandungen selbst fast gar nicht gefärbt, während in jenen der 
ganze Glomerulus diffus roth, keine Kerne besonders markirt sind. 

Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass die ganze Versuchs- 
methode innerhalb des Organismus durch die plötzliche Belastung 
des Blutes mit den eingespritzten Farbstoffen und durch die in 
jenem dadurch bewirkte Veränderungen unzweifelhaft Verhältnisse 
erzeugt, die nicht als vollständig normale aufgefasst werden können, 
die Thiere sich vielmehr trotzdem, dass sie den Eingrift sehr wohl 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 87 


überleben und durch Ausscheidung der fremdartigen Substanzen 
ganz zur Norm wieder zurückkehren, in einem pathologischen Zu- 
stand befinden. Es kam mir daher darauf an, die Zustände der 
Nieren kennen zu lernen bei indirecter Zuführung der Farbstoffe. 
Schon Chrzonzewski hat Versuche über die Ausscheidung des 
Carminammoniak nach Einspritzung in den Magen, per anum oder 
in den Peritonealsack gemacht, und nach ihnen Carmininjection der 
Harnkanälchen bekommen. Genaueres über einen etwaigen graduellen 
Unterschied dieser Versuche von denen bei directer Einspritzung 
giebt er jedoch nicht an. 

Aus meinen in dieser Richtung angestellten Versuchen kann 
ich zunächst angeben, dass auch die Injection einer ammoniakalischen 
Carminlösung, so wie des indigoschwefelsauren Natrons durch die 
Trachea in die Lungen von Kaninchen, sehr wohl ertragen wird. 
Herr Berthold, der im vergangenen Sommer bei mir über die 
pathologischen Veränderungen des Lungengewebes nach Einführung 
fremder Substanzen Beobachtungen anstellte, hat einzelnen Thieren 
bis zu 10 Cem. der Carminlösung, allerdings äusserst langsam, 
tropfenweis in die Lungen fliessen lassen, ohne dass die Thiere etwas 
anderes als in der ersten Stunde ein starkes rasselndes Athmen 
zeigten, das sehr bald vollkommen verschwand. Gleichzeitig zeigte 
sich, dass die Thiere bereits nach 15 Minuten, aber auch noch nach 
24 Stunden, bei Druck auf die Blase einen intensiv rothen Harn 
entleerten. 

Ich habe nun bei Kaninchen und Tauben theils Einspritzungen 
in den Oesophagus (resp. Kropf), theils in die Lungen (Kaninchen) 
gemacht, die Thiere sitzen lassen bis sie roth harnten, sie so nach 
Verlauf etlicher Stunden getödtet und die Nieren in angesäuertem 
Alkohol erhärtet. Die Versuche gaben mir bei Einführung des 
Carmins in den Magen nicht die Constanz, die ich nach der Angabe 
früherer Beobachter erwartete; zuweilen harnten die Thiere bereitsnach 
!/y—1 Stunde roth, oft selbst nach 3 Stunden nicht; in einem Falle, 
in welchem ich einem kräftigen Kaninchen ca. 10 Cem. per os ein- 
gefüllt hatte, stellten sich sehr bald diarrhoeische Entleerungen ein, 
und nur vorübergehend, am dritten Tage, entieerte dasselbe einen 
äusserst blassrothen Harn. Am vierten Tage starb das Thier, der 
Harn in der Blase war durchaus frei von Carmin, die Untersuchung 
der Nieren ergab durchaus negative Resultate. Ich weiss mir die 
Inconstanz der Erfolge dieses Verfahrens vorläufig nur durch die 


88 v. Wittich; 


Annahme zu erklären, dass die saure Beschaffenheit des Magensaftes 
die Lösung des Carmins aufhob. Magen- und Darmcontenta waren 
denn auch in solchen Fällen, wenn sie früh genug untersucht wur- 
den, bevor das Carmin den Darm mit den Faeces verlassen hatte, 
auffallend stark roth gefärbt. In allen Fällen aber, in welchen 
Ausscheidung des Carmins durch die Nieren erfolgte, war der mi- 
kroskopische Befund durchaus derselbe, und im Wesentlichen auch 
derselbe wie nach Injection direct ins Blut. 

Gewöhnlich waren die Nieren, trotz der Erfüllung der Uretheren 
(bei Kaninchen auch der Blase) mit carminhaltigem Harn, nur äusserst 
blass roth gefleckt, die mikroskopische Untersuchung wies aber die 
unzweifelhafte Erfüllung einer, wenn auch nicht grossen Zahl der 
gerade verlaufenden Kanälchen mit zusammengeballten Carminmassen, 
ebenso die zwar spärliche Ansammlung sehr blass roth gefärbter 
Massen im Lumen vereinzelter gewundener Kanälchen nach, eine 
Färbung der Drüsenzellen habe ich nie beobachtet, ebenso wenig 
aber auch eine deutliche Färbung der Glomeruli wahrgenommen. 
Abgesehen von letzterer Thatsache erscheint der Unterschied des 
Befundes von dem nach directer Einspritzung ins Blut nur ein 
quantitativer. Das von einer resorbirenden Fläche erst aufge- 
nommene Carmin gelangt muthmasslich doch zunächst in die Lymph- 
gefässe, von hier mit verhältnissmässig geringer Geschwindigkeit 
ins Blut. Bei Einspritzung in den Darmtractus kommt auch wohl 
ein Theil gar nicht zur Aufsaugung, sondern verlässt mit den Fä- 
calmassen den Darm, das Carmin tritt also in sehr viel diluirterem 
Zustande schon mit dem Blute in die Niere ein, bietet der letzteren 
demnach viel weniger Material zur Ausscheidung, während bei der 
directen Einspritzung ins Blut die Massen fast unmittelbar der aus- 
scheidenden Oberfläche zugeführt werden. Bedenkt man ferner, dass 
meistens doch mit der Einspritzung von 5 Cem. eine nicht zu unter- 
schätzende Blutdrucksteigerung einhergeht, zumal in den bei weitem 
meisten Fällen die ganze Operation ziemlich unblutig verläuft, ein 
Präventivaderlass von mir nie gemacht wurde, so lässt sich eine 
gesteigerte Function der Niere hieraus allein, und eine massigere 
Ausscheidung des Carmins, eine allgemeinere Betheiligung des Pa- 
renchyms gar wohl erklären. 

Was das Farblosbleiben der Glomeruli betrifft, so glaube ich, 
erklärt sich dasselbe ebenfalls aus der geringeren Masse des aus- 
geschiedenen Farbstofis. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 89 


ein nur äusserst wenig gefärbtes Transsudat in den Kapseln 
der Glomeruli ansammelt, dass dasselbe bei langsamem Passiren 
der Tubuli contorti nicht nur eine Concentrirung, sondern auch eine 
theilweise Ausfällung des gelösten Farbstoffs erfährt, und dass beides 
zum Sichtbarwerden des letzteren in den Höhlungen der Kanäle 
beiträgt, während seine diluirte Beschaffenheit in den Kapseln ihn 
unkenntlich macht. Eins aber geben die Versuche mit voller Klar- 
heit, die Ungleichzeitigkeit, in welcher sich die einzelnen 
Abschnitte der Niere an der Ausscheidung betheiligen, 
jenes schon früher von mir behauptete ungleichzeitige 
Functioniren der gewundenen Harnkanälchen. 

Die indirecte Einführung des Indigos durch Einspritzung per 
anum oder durch den Kropf bei Tauben hat mir weniger gute Re- 
sultate gegeben. Stets trat nach 1—2 Stunden Entleerung blau- 
gefärbten Harns ein, immer aber waren die Nieren fast gar nicht 
oder nur sehr wenig blau gefärbt und büssten ihre Farbe, obwohl 
ihre Gefässe mit Chlorcaleiumlösung ausgespritzt wurden, nach 24- 
stündigem Liegen in Alkohol fast vollständig ein. Die mikroskopi- 
sche Untersuchung wies nur äusserst spärliche Erfüllung der Harn- 
kanälchen mit Indigo nach, eine Ansammlung desselben in den 
Zellen liess sich nie beobachten. Auch hier ist es wohl denkbar, 
dass der Indigo in so geringen Mengen in den Zellen vorhanden, 
in dünner Schicht daher nicht mehr erkennbar war. 

Sehr viel sicherere Resultate erhielt ich an Kaninchen bei Ein- 
führung des Indigos in die Trachea, auch erfolgt hier die Ausschei- 
dung durch den Harn augenscheinlich viel früher als nach Aufnahme 
durch die Darmschleimhaut. Ein Kaninchen, dem ich durch eine 
rechtwinklig gebogene, in die Trachea gebundene Glasröhre äusserst 
langsam tropfenweis eine starke Indigolösung einbrachte (es erhielt 
so während einer Stunde 13 Cem.), entleerte bereits nach 20 Minuten 
bei Druck auf die Blase einen stark blau gefärbten Harn. 15 Mi- 
nuten nach Beendigung (also 1'!/, Stunde nach Beginn) der Ein- 
spritzung wurde das Thier durch Erstickung getödtet, die Nieren, 
welche entschieden blau fleckig waren, herausgenommen und in 
kleine Stücke geschnitten, zwei Stunden lang in concentrirte Lösung 
von Chlorealeium gelegt und alsdann in absolutem Alkohol erhärtet. 
Feine Schnitte zeigten eine im Ganzen spärliche Erfüllung der ge- 
wundenen Harnkanälchen, eine stärkere der gestreckten und deren 
Anfänge in den Ferrein’schen Pyramiden. Meistens fand sich der 


90 v. Wittich: 


Indigo auch in dem Lumen der gewundenen Kanälchen, während 
deren Drüsenzellen kaum blassblau gefärbt schienen, ihre Kerne nie 
jene intensive Färbung zeigten, wie sie Heidenhain abbildet, und 
wie ich sie selbst nach Einspritzung des Farbstoffs ins Blut beob- 
achtete. Eine Thatsache, die ich bei diesen Nieren zu beobachten 
Gelegenheit fand, macht es mir jedoch zweifelhaft, ob jene intensive 
Färbung der Kerne nicht doch eine postmortale Erscheinung sei. 
Sehr oft sah ich nämlich auch die Kerne der gerade verlaufenden 
Kanälchen intensiv gefärbt, während kaum daran zu denken ist, 
dass auch ihre Zellen sich an der Ausscheidung betheiligen. Diese 
postmortale Imbibition ist trotz der Behandlung der Niere mit con- 
centrirter Chlorkaliumlösung sehr wohl denkbar. Fügt man zu 
einer Lösung von indigoschwefelsaurem Natron wenige Tropfen der 
Chlorkaliumlösung, so verursacht diese einen ziemlich voluminösen 
Niederschlag, allein die Flüssigkeit wird nicht vollständig dadurch 
entfärbt, ein Theil des Indigosalzes bleibt noch gelöst, um erst bei 
Mehrzusatz von Uhlorkalium vollständig ausgefällt zu werden. Legt 
man nun noch so dünne Scheiben der Indigo enthaltenden Niere in 
Chlorkalium, so bedarf es doch immer erst einer gewissen Zeit, bis 
letzteres auch in die tieferen Schichten diffundirt, während welcher 
aber die abgestorbenen Protoplasmen ihre volle Imbibitionsfähigkeit 
für Farbstoffe geltend machen können. Schon bei der Untersuchung 
von Nieren solcher Thiere, welchen Indigo direet in das Blut injieirt 
worden, war es mir aufgefallen, dass nur die gewundenen Harn- 
kanälchen bestimmter Schichten eine so intensive Blaufärbung ihrer 
Protoplasmen und Kerne zeigten, wie sie Heidenhain beschrieb 
und abbildete. Macht man Flächenschnitte parallel der Nierenkapseln, 
so sind es meistens die nicht ganz oberflächlichen, in denen jene zu 
Tage tritt, während in den dicht unter der Kapsel gelegenen meistens 
nur inselförmig die Lumina der sogenannten Schaltstücke mit Kry- 
stallinischem Indigo erfüllt, die benachbarten gewundenen Kanälchen 
aber fast vollständig farblos sind. Sollte nicht auch hier trotz der 
Anwendung des Chlorkaliums jene Blaufärbung ein postmortales 
Phänomen sein? Sicherlich durchtränkt das Chlorkalium zunächst 
die oberflächlichen Schichten, die tiefern um so langsamer, als diese 
durch ihre Gewebsflüssigkeit einen neuen Concentrationsgrad der 
Kaliumlösung bedingt. Spaltet man die Niere, bevor man sie in 
letztere legt, der Länge oder Quere nach, und fertigt dann Schnitte 
von den oberflächlichsten der Einwirkung jenes direct ausgesetzten 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 91 


Lagen, so fehlt oft die Blaufärbung der Zellen und ihrer Kerne, 
während sie in den tieferen Schichten wieder deutlich wird. Ich 
glaube nicht, dass ich in meinen Versuchen solche Stadien von un- 
zureichender Einführung des Indigosalzes ins Blut vor Augen hatte, 
wie sie Heidenhain erwähnt, da die Nieren in fast allen Fällen 
durchaus gleichmässig gefärbt waren, die Lumina der gewundenen 
Kanälchen auch meistens Indigo führten, also jedenfalls in lebhafter 
Seeretion begriffen waren. 

Noch einiger Allgemeinerscheinungen bei directer wie indirecter 
Einführung von Farbstoffen möchte ich hier Erwähnung thun. Zu- 
nächst des Verhaltens der Leber. Ich habe oft Indigoeinspritzungen 
ins Blut gemacht (bei Kaninchen und Tauben), ohne auch nur eine 
Andeutung von Blaufärbung der Leber zu finden, während die 
Nieren von Indigo strotzten; in andern Fällen, bei Tauben, war die 
Leber intensiv gefärbt, während die Nieren viel weniger sich an der 
Ausscheidung betheiligten. In fast allen Fällen, in denen ich den 
Indigo durch die Lungen dem Körper einverleibte, fehlte jede Spur 
der Ausscheidung durch die Leber, während die Nieren sich unge- 
mein schnell und energisch an derselben betheiligten. Nach Ein- 
bringung des Farbstoffs durch den Magen oder per rectum blieb die 
Ausscheidung durch die Nieren meistens, jedoch nicht immer, aus, 
während eine Ausscheidung durch die Leber nie erfolgte. Am 
sichersten und auch noch in anderer Beziehung interessant war der 
Erfolg nach Einspritzung ins Peritoneum. Während ich nämlich 
nach indireeter Einführung nie eine Färbung der Haut wie der 
Conjunctiva beobachtete, erfolgt dieselbe nach Einspritzung ins Pe- 
ritoneum bei Tauben meistens ungemein schnell. Schon nach Ver- 
lauf einer halben Stunde, deutlicher noch nach einer Stunde, er- 
scheinen die Thiere fast so intensiv gefärbt, wie nach unmittelbarer 
Injection ins Blut. Bei Kaninchen, denen ich wohl 20 Cem. Indigo- 
lösung in den Peritonealsack injieirte, färbten sich die Hautdecken 
nie. Aber auch hier ist die Betheiligung der Organe eine verschie- 
dene; zuweilen führen die Nieren nur wenig Indigo, während die 
Leber intensiv gefärbt ist. Fängt man das Blut solcher Thiere, 
denen Indigo in die Trachea oder ins Peritoneum injieirt wurde, 
auf, so sammelt sich über dem Blutkuchen stets ein mehr oder 
weniger blaugrünes, also indigohaltiges Serum. Von dem Peritoneum 
ist es hinlänglich erwiesen, dass dasselbe einen Lymphsack bildet; 
es darf uns daher kaum überraschen, dass seine Erfüllung mit 


92 v. Wittich: 


Indigo fast ebenso wirkt, wie die direete Einspritzung ins Blut. 
Auffallend aber bieibt es immer, dass die Einspritzung ins Perito- 
neum bei Kaninchen nicht den gleichen Erfolg hat. Bei Tauben 
trat derselbe schon nach Einspritzung von 5 Cem. ein, während 
Kaninchen selbst nach Injection von 20—25 Cem. wohl sehr schnell 
(meistens schon nach 15 Minuten) einen ungemein intensiv blauen 
Harn entleerten, selbst aber keine Färbung der Hautdecken zeigten. 
Weniger sicher ist das Verhältniss der Lungen zu den Lymphbahnen. 
Im Jahre 1870 hat, soviel ich weiss, Sikorski zuerst in einer 
vorläufigen Mittheilung in dem Centralblatt für die med. Wissen- 
schaften pag. 818 die Ansicht ausgesprochen, dass die Lungenalveolen 
direct mit den Lymphgefässen communiciren. Eine ausführlichere 
Angabe über seine Untersuchungen, wie er sie in Aussicht stelite, 
habe ich nicht zu Gesichte bekommen. Später hat 1872 Buhl in 
seinen Briefen über Lungenentzündung u. s. w. dieselbe Ansicht 
aufgenommen und sie pathologisch verwerthet. Nach meinen eigenen 
Erfahrungen scheint manches für die Richtigkeit derselben zu spre- 
chen. Zunächst ist es auffallend, dass wenn man Kaninchen gefärbte 
Lösungen in die Trachea einspritzt (sie vertragen dieselbe recht gut 
und in nicht unerheblichen Mengen), die Ausscheidung des Farbstoffs 
ungemein schnell erfolgt, und dass, wenn man die Thiere 1—2 Stun- 
den darauf tödtet, die Lungen oft ganz unverhältnissmässig wenig 
von letzterem enthalten. Tödtet man die Thiere durch Erstickung 
vor Eröffnung des Thorax (Zubinden der Trachea), entfernt die 
Lungen in diesem lufterfüllten Zustand vorsichtig und legt sie, mit 
einem angehängten Gewicht beschwert, in absoluten Alkohol, so sind 
sie meistens nach 24 Stunden fest genug, um feine Schnitte von 
ihnen fertigen zu lassen. In diesen überzeugt man sich nur leicht, 
dass bei weitem der geringere Theil als feste Partikel in den Lungen- 
alveolen liegen, dass ihre Epithelzellen vollkommen ungefärbt sind, 
dass die Hauptmasse des Farbstofis ein äusserst unregelmässiges 
Netz in dem interstitiellen Gewebe bildet, zuweilen gestaltet sich 
jenes sogar, so besonders in dem die grösseren Blutgefässe beglei- 
tenden Bindegewebe zu einer ziemlichen Regelmässigkeit. Bisher 
ist es mir jedoch nie geglückt, auch die ausserhalb der Lunge im 
Thorax verlaufenden Lymphgefässe deutlich gefärbt zu finden. Ichkann 
die in dieser Richtung von mir angestellten Untersuchungen noch 
nicht als abgeschlossen ansehen, manches aber, wie aus dem Gesagten 
ersichtlich, spricht sehr für die Richtigkeit der von Sikorski 


Beiträge zur Physiologie der Nieren. 95 


gemachten Angabe. Sind wir aber berechtigt, die Lungenalveolen 
gleich dem Peritoneum als Erweiterungen oder Anfänge der Lymph- 
bahnen zu betrachten, dann erklärt sich der nachweislich unverän- 
derte Uebergang des Indigo ins Blut, seine sichere und schnelle 
Ausscheidung durch die Nieren gar wohl. 


Nach Allem, was ich über die Ausscheidung der direct oder 
indireet eingebrachten Farbstoffe mittheilte, ergiebt sich, dass das 
Carminammoniak sich niemals, das indigoschwefelsaure Natron bei 
Einspritzung ins Blut stets bei indireeter Einführung wenigstens 
spurweis in den Drüsenzellen nachweisen lässt. Sind wir aber hier- 
aus wohl berechtigt den Schluss zu ziehen, dass sich diese an der 
Ausscheidung des Uarmins gar nicht betheiligen? Der Entdecker 
der Imbibitionsmethode, Gerlach, hat bereits darauf aufmerksam 
gemacht, das an lebenden Zellen das Carmin gar nicht haftet, und 
dass selbst in den abgestorbenen sich zunächst die Zellenkerne, 
später erst die Zellenmasse färbt, und doch muss der Farbstoff erst 
letztere passiren, um jene zu treffen; es bleibt daher immer wohl 
denkbar, dass auch während des Lebens das Garmin die Drüsen- 
zellen durchsetzt, in ihnen aber nicht die für seine Fixirung günsti- 
gen Bedingungen vorfindet. Anders allerdings müsste sich dann das 
Protoplasma dem Indigo gegenüber verhalten, auch im Leben müsste 
jenes die Bedingungen enthalten, diesen länger festzuhalten. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IVa. 


a, a, Längsverlaufende gewundene Harnkanälchen in verschiedenen Stadien 
der Füllung. 
- b, b, b, Querschnitte gewundener Härnkanälchen in verschiedenen Stadien 
der Füllung. 
e Malpighi’sches Gefässkneuel mit Kapsel. 
d Gefülltes gestrecktes Harnkanälchen. 
e Querschnitt eines gewundenen Harnkanälchens nach gleichzeitiger 
(oder schnell folgender) Einspritzung von Carmin und Indigo ins Blut. 


Rhizopodenstudien. 
Von 
Franz Eilhard Schulze. 


II. 


Hierzu Taf. V, VI und VI. 


Euglypha, Dujardin. 


Im Jahre 1841 hat Dujardin!) die von ihm neu aufgestellte 
Gattung Euglypha mit folgenden Worten characterisirt: »Animal s6- 
eretant un tet diaphane, membraneux, resistant, de forme ovoide 
allongee, arrondi a une extremite et termine ä l’autre extremite 
par une tres large ouverture trouquee, ä bord dentele, orne de 
saillies ou d’impressions regulieres en series obliques. Expensions 
filiformes nombreuses simples.« Innerhalb dieser Gattung führt er 
zwei Species auf, nämlich Eugl. tuberculata, Duj., welche mit rund- 
lichen äusseren Höckern der Schale, und Eugl. alveolata, Duj., welche 
mit regelmässigen, vier- oder sechseckigen Eindrücken der Schale 
versehen sein soll. Am Hinterrande der Schale hat er zuweilen 
mehrere (bis zu fünf) stachelähnliche Fortsätze bemerkt. Uebrigens 
giebt er die Möglichkeit zu, dass die beiden von ihm als Arten 
unterschiedenen Formen vielleicht nur den Werth von Varietäten 
haben mögen, also zu einer Species zusammengezogen werden 
können. 

Von Ehrenberg, welcher seit jener Zeit eine Anzahl leerer 
Eugiypha-Schalen mit, wie es scheint, sehr verschiedenen Skulptur- 
und Structurverhältnissen beschrieben und (leider nur ungenügend) 


1) Infusoires p. 251. 


Rhizopodenstudien. 95 


abgebildet hat'), wurde jedoch die Gattung Euglypha nicht anerkannt, 
sondern die dazu gehörigen Formen zu der älteren Gattung Difflugia. 
gezogen. 

Perty hat im Jahre 1852?) sechs Arten, nämlich Eugl. tuber- 
culata, Dujardin, E. alveolata, Duj., E. laevis, Perty, E. setigera, 
Perty und als Species dubiae E. curvata, Perty und E. minima, 
Perty aufgeführt und zum Theil mit ebenfalls ungenügenden Abbil- 
dungen dargestellt. 

Claparede und Lachmann haben später?) nur eine Art, 
welche sie als Euglypha tuberculata, Dujardin bezeichnen, auffinden 
können, in welcher sie übrigens einen Kern und eine pulsirende 
Vacuole erkannten. Sie vermuthen jedoch, dass sowohl Eugl. alveolata, 
Duj. als auch Eugl. laevis, Perty und Eugl. setigera, Perty mit der 
Eugl. tuberculata Dujardin’s identisch seien und dass weder die 
von Perty als Eugl. curvata bezeichnete Form, noch die durchaus 
fragliche Eugl. minima Perty’s überhaupt in diese Gattung gehören. 

Unterdessen hatte Carter?) in England und zum Theil auch 
in Indien (Bombay) die ven ihm als Euglypha alveolata, Dujardin 
bezeichnete gemeine Form, sowie drei neue in dasselbe Genus ge- 
stellte seltenere Arten Eugl. compressa, Carter, Eugl. spinosa, Carter 
und Eugl. globosa, Carter studirt und bei allen vieren im hinteren 
Theile des Weichkörpers einen hellen kugeligen Kern mit Kernkör- 
perchen aufgefunden, die Schale aber aus regelmässig geordneten 
Platten zusammengesetzt gesehen. Zur Gattung Euglypha glaubte 
Carter auch noch das von Dujardin als Trinema acinus beschrie- 
bene Thier stellen zu müssen und gab demselben den Namen Eu- 
glypha pleurostoma. 

Fast gleichzeitig hatte auch Wallich’) an der in mehreren 
Varietäten beobachteten Eugl. alveolata, Duj. die Zusammensetzung 
des Panzers aus sich mit den Randtheilen deckenden Platten erkannt, 


1) z. B, in den Abhandlungen der Berliner Akademie vom Jahre 1841 
»Verbreitung und Einfluss des mikroskopischen Lebens in Nord- und Süd- 
Amerika« und zuletzt noch in dem »Bericht der zweiten deutschen Nordpol- 
fahrt«, Bd. II, Abth. 1, 1874. 

2) Zur Kenntniss der kleinsten Lebensformen, p. 187 u. Pl. VIH. 

3) Etudes sur les infusoires et rhizopodes. 1868. p. 456—457. 

4) On freshwater rhizopods of England and India. Annals of natural 
hist. 1864, Vol. XIII, p. 18, und 1865, Vol. XV, p. 290. 

5) Annals of natural history. 1864, Vol. XIII, p. 215. 


96 Franz Eilhard Schulze: 


und die mit ähnlichem Panzer versehene Trinema acinus, Duj. 
(= Difflugia enchelys, Ehrenberg), sowie Schlumberger’s Cypho- 
deria margaritacea und M. Schultze’s Lagynis baltica zur Gattung 
Euglypha gezogen. 

Wenn wir die Ausdehnung des Gattungsbegriffes Euglypha nach 
dem von Dujardin aufgestellten Character (ohne Berücksichtigung 
der von ihm noch nicht erkannten feineren Structureigenthümlich- 
keiten) begrenzen wollen, so haben wir zunächst alle diejenigen 
Formen auszuschliessen, deren Schale nicht eine »breite quer abge- 
stutzte Oeffnung mit gezähntem Rande« besitzt, also jedenfalls die 
mit glatter kreisrunder Schalenöffnung versehene Trinema acinus, 
Duj., Cyphoderia margaritacea, Schlumberger. Anders steht es mit 
Eug]. globosa, Carter und Eugl. spinosa, Carter. Zwar besteht 
hier nach der Angabe des Entdeckers eine spaltenförmige glatt- 
randige Oeffnung, aber es ist mir aus weiter unten mitzutheilenden 
Gründen sehr wahrscheinlich, dass wenigstens bei Eugl. globosa der 
von Carter beschriebene und auch von mir gesehene häutige glatt- 
randige, die spaltenförmige Oefinung umgebende Saum nicht den 
gewöhnlichen eigentlichen Mündungsrand darstellt, sondern nur ein 
accessorisches Gebilde ist, während der eigentliche Mündungsrand 
der Schale selbst wahrscheinlich auch hier gezackt ist. Etwas Aehn- 
liches findet sich wahrscheinlich auch bei Fugl. spinosa, Carter, 
welche ja bis auf die Bildung der Mündung der Eugl. compressa, 
Carter, sehr gleicht. 

Demnach bleiben, wenn wir mit Claparede und Lachmann 
annehmen, dass Eugl. alveolata, Duj., laevis Perty und setigera 
Perty von Eugl. tuberculata, Duj. nicht wesentlich verschieden sind, 
und wenn wir die von Ehrenberg nur in leeren Schalen beobach- 
teten und bei verhältnissmässig geringer Vergrösserung gezeichneten 
Formen hier nicht berücksichtigen, als sicher nur folgende beiden 
Arten, Eugl. alveolata, Duj. und Eugl. compressa, Carter, und als 
nachweislich hierhergehörig Eugl. globosa, Carter und Eugl. spinosa, 
Carter übrig. 

Von diesen habe ich nun selbst drei, nämlich Eugl. alveolata, 
compressa und globosa, studiren können. 


Rhizopodenstudien. 97 


Euglypha alveolata, Dujardin. 
Taf. V, Fig. 1 und 2. 


Wenngleich mir wie Clapar&de und Lachmann die von 
Dujardin als besondere Arten unterschiedenen Eug]. alveolata und 
tuberculata nicht wesentlich different zu sein scheinen, so will ich 
doch zur Bezeichnung der vereinigten Formen nicht wie jene beiden 
Forscher den Speciesnamen tuberculata, sondern mit Carter und 
Wallich die Bezeichnung alveolata wählen, und zwar deshalb, weil 
die in Fig. 9 und 10 auf Pl. 2 der Infusoires von Dujardin dar- 
gestellten Schalen seiner Eugl. alveolata besser den Bau der meisten 
von mir gesehenen Panzer wiedergeben, als die in Fig. 7 und 8 
weniger deutlich gezeichneten Schalen seiner Eugl. tuberculata. Die 
Annahme rundlicher Buckel bei dieser letzteren scheint mir ebenso 
wie die vertiefter Facetten bei Eugl. alveolata auf einer optischen 
Täuschung zu beruhen, welche übrigens besonders bei der Betrach- 
tung lebender Thiere leicht entstehen kann. Auch lehrt eine Ver- 
gleichung der Randconturen an den Figuren 7, 8 und 9 von Du- 
jardin, von denen die beiden ersten seiner Eugl. tuberculata, die 
letztere seiner Eugl. alveolata entspricht, dass beide Formen etwas 
nach aussen vorspringende Panzerstücke zeigen und nicht etwa die 
letztere da Vertiefungen besitzt, wo die erstere Vorsprünge hat. 

Nach meiner Beobachtung stellt der Panzer von Euglypha 
alveolata ein glashelles, sackförmiges, drehrundes, nach hinten zu 
sich ein wenig erweiterndes, dann aber mit einer halbkugeligen 
Wölbung blind endigendes starres Gehäuse dar, an dessen quer ab- 
gestutztem vorderen Ende sich eine grosse runde Oeffnung findet. 
Die Länge desselben beträgt etwa 0,06, die grösste Breite 0,025, 
die Oeffnungsweite 0,018 Mm. 

Nach der Angabe von Carter und Wallich ist der ganze 
Panzer aus schräg laufenden Reihen rundlicher oder ovaler Platten 
zusammengesetzt, welche sich mit ihren Rändern theilweise decken. 
Ich kann diese interessante Entdeckung der englischen Forscher 
durchaus bestätigen. Die entweder ganz kreisrunden oder mehr 
elliptischen, durchschnittlich circa 0,0045 Mm. breiten dünnen Kiesel- 
platten sind in schräg laufenden parallelen Spiralen angeordnet. 
Sie decken sich gegenseitig mit ihren Rändern in der Weise, dass 
immer der dem blinden hinteren Ende der Schale zugewandte Rand- 
theil jeder Platte etwas mehr nach aussen, der der Schalenöffnung 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 7 


98 Franz Eilhard Schulze: 


zu gelegene dagegen mehr nach innen vorspringt, und demnach der 
Hinterrand jeder Platte den Vorderrand der nächst hinteren Platte 
oder Platten dachziegelförmig deckt. Am besten kann man sich 
von dieser Lagerungsweise der Platten überzeugen, wenn man eine 
leere Schale durch Druck auf das Deckgläschen zersprengt und an 
den Rissstellen die Art und Weise beobachtet, wie sich die Platten 
bei verstärktem Drucke von einander abheben. Stets wird man die 
der Oeffinung näher liegende, also vordere Platte mit ihrem hinteren 
Rande von den dahinter liegenden Platten nach aussen sich abheben 
sehen. Auch spricht das Bild, welches man bei der Betrachtung 
des Seitenprofiles oder des optischen Längsschnittes einer leeren 
Schale erhält, durchaus für diese Auffassung, obgleich wegen des 
starken Lichtbrechungsvermögens der Platten eine Entscheidung 
hiernach allein kaum zu treffen wäre. 

In Betreff der Plattenform bemerkt Carter, dass er an den 
in England studirten Exemplaren von Eugl. alveolata die Platten 
ganz kreisrund gefunden habe, so dass bei der theilweisen Ueber- 
lagerung der Randparthien regulär sechsseitige, durch lancettförmige 
Zonen geschiedene Flächen entstanden, während bei den in Bombay 
beobachteten die Platten mehr längsoval waren und deshalb die 
gebildeten Facetten weniger regulär erschienen. Ein solches Diffe- 
riren ist mir an den Thieren auch ein und desselben Fundortes häufig 
vorgekommen. Gewöhnlich erschienen an den in Rostock, in Ra- 
benau bei Dresden und in Graz von mir untersuchten Exemplaren 
die Facetten, entsprechend der ganz oder annähernd kreisrunden 
Begrenzung der Platten- mehr oder minder regulär sechseckig (Fig. 1), 
zuweilen aber fast ganz viereckig (Fig. 2). Aehnliche Unterschiede 
finde ich schon in den Abbildungen Dujardin’s, l.c. Fig. 9 und 10, 
angedeutet; sie sind auch nicht selten an ein und demselben Panzer 
wahrzunehmen, indem die der Oeffnung näher gelegenen Facetten 
viereckig, die hinteren sechseckig erscheinen. Gewöhnlich liegen 
die sechseckigen so, dass eine Seite rechtwinklig zur Längsaxe der 
Schale gerichtet ist (Fig. 1); jedoch scheint auch der Fall bisweilen 
vorzukommen, dass eine Seite der Längsaxe parallel liegt. 

Ein besonderes Interesse nehmen die zur Begrenzung der kreis- 
förmigen Mündung dienenden Platten in Anspruch. Ihre Zahl scheint 
nicht constant zu sein. Gewöhnlich konnte ich neun zählen, zuweilen 
fand ich auch weniger. Sie ragen mit einer vorderen Spitze, deren 
bei stärkeren Vergrösserungen feingefügt erscheinende Seitenränder 


Rhizopodenstudien. 99 


einen breiten gothischen Bogen formiren, frei vor, und lassen ent- 
sprechende Kerben zwischen sich, durch welche die Pseudopodien 
vorgestreckt werden. 

Schon von Dujardin wurden an dem hinteren gewölbten 
Endtheile der Schale bei einzelnen Individuen mehrere (bis fünf) 
frei vorspringende lange spitze Zacken bemerkt. Mit Recht wurden 
dieselben trotz ihrer Auffälligkeit wegen der Unbeständigkeit ihres 
Vorkommens, sowie wegen der Variabilität ihrer Zahl und Stellung 
weder von ihm noch von den meisten späteren Beobachtern als 
Kennzeichen einer besonderen Art, sondern nur als variable Bildungen 
ohne typische Bedeutung angesehen. Es sind schmale, von einem 
etwas dickeren Basaltheile allmählich spitz auslaufende Fortsätze 
des aussen vorspringenden Endtheiles einzelner, etwa auf der Grenze 
zwischen der Seitenwand und der hinteren halbkugeligen Wölbung 
des Panzers gelegener Platten. Die meisten Zacken stehen fast in 
gleicher Höhe und in annähernd gleichem Seitenabstande von ein- 
ander, und ragen, den Durchmesser ihrer Basalplatte um das Vier- 
oder Fünffache an Länge übertreffend, nach hinten und etwas nach 
aussen gerichtet, etwa in der Verlängerung der von vorne nach 
hinten sich allmählich erweiternden Seitenwandung des Panzers frei 
über die halbkuglig gewölbte hintere Endfläche desselben vor. Ge- 
wöhnlich sind sie ganz gerade, bisweilen auch wohl ein wenig nach 
innen gebogen. Bei den von mir beobachteten Thieren fehlten sie 
entweder gänzlich oder sie waren in verschiedener Zahl, von 1—6, 
vorhanden; zuweilen waren einzelne ganz oder zum Theil abgebro- 
chen. Carter hat einmal bei einem Thiere zwölf solcher Zacken 
gesehen. 

Als ein besonders interessanter, auch schon von den früheren 
Beobachtern bemerkter Umstand verdient hervorgehoben zu werden, 
dass man gar nicht selten innerhalb eines völlig wohlgebildeten 
Panzers, möge derselbe nun den Weichkörper des Thieres noch ent- 
halten oder leer sein, eine grössere Zahl isolirter Platten der näm- 
lichen Form und Grösse liegen sieht, wie sie den Panzer selbst 
zusammensetzen. Diese inneren, wahrscheinlich zur Bildung einer 
neuen Schale bestimmten Platten finden sich bei lebenden Thieren 
der Oberfläche des Weichkörpers unmittelbar aufliegend, in einer 
einzigen, der Panzerfläche annähernd parallelen Schichte. In den 
leeren Schalen, wo man sie häufig findet, liegen sie gewöhnlich 
weniger ordentlich, oft zu Paqueten zusammengeschoben, in den 


100 Franz Eilhard Schulze: 


mittleren Regionen nahe der Seitenwandung. Es scheint mir nicht 
unwahrscheinlich, dass von Zeit zu Zeit eine Neubildung der ganzen 
Hülle mit Abwerfung der älteren, gleichsam eine Art Häutung, 
stattfindet. 

In Betreff des Weichkörpers ist zunächst zu bemerken, dass 
derselbe die starre Kieselhülle nicht vollständig ausfüllt, sondern 
sich nur mit mehreren spitzen Fortsätzen an dessen Innenwand an- 
heftet. Ein verhältnissmässig weiter Zwischenraum findet sich zwi- 
schen ihm und der Schale, besonders im vorderen Dritttheil, wo der 
Weichkörper verschmächtigt erscheint; dagegen liegt er dem Mün- 
dungsrande der Schale stets unmittelbar an. 

An dem ganzen Protoplasmaleibe lassen sich drei Regionen 
unterscheiden, welche indessen keineswegs scharf von einander ge- 
trennt sind, eine hintere mit wenig getrübter, fast hyaliner Masse, 
in deren Mitte der grosse wasserhelle kugelige Kern; dann eine 
mittlere, durch viele sröbere dunkle Körnchen und etwa aufgenom- 
mene Nahrungsmittel getrübte und meistens ganz undurchsichtige 
Zone, welche bisweilen noch den vorderen Theil des Kernes ver- 
deckt; und endlich ein vorderer, etwas dünnerer Abschnitt mit 
geringer feinkörniger Trübung, welcher die eine oder mehrere pul- 
sirenden Vacuolen enthält und häufig auch noch Nahrungsmittel 
einschliesst. 

Eine nähere Besprechung verdient der Kern und die pulsirende 
Vacuole. Ersterer ist von auffallender Grösse (etwa 0,01 Mm. 
Durchmesser) und ganz wasserhell. In dem hinteren durchsichtige- 
ren Theile des Protoplasmakörpers grenzt sich seine Peripherie 
scharf und deutlich ab. Eine doppelt conturirte Kernmembran wird 
jedoch erst durch Essigsäure nachweisbar. In den meisten Fällen 
habe ich mich vergeblich bemüht, am lebenden Thiere ein Kern- 
körperchen zu entdecken; nur hin und wieder waren etwa im Mittel- 
punkte des Kernes einige, 2—4, kleine dunklere rundliche, nebeneinan- 
der liegende Körperchen zu sehen, welche dann nach Essigsäurezusatz 
scharf und deutlich hervortraten und wohl als Kernkörperchen ge- 
deutet werden müssen. 

Die pulsirende Vacuole (denn so und nicht »Blase« muss ich 
sie ihrer Membranlosigkeit wegen nennen) ist kugelig gestaltet. Sie 
pflegt in dem vorderen Abschnitt des ganzen Weichkörpers, doch 
nahe der dunkleren Mittelzone, zu liegen. Ich konnte mich nicht 
nur von ihrem regelmässigen Pulsiren überzeugen, sondern auch 


Rhizopodenstudien. 101 


durch eine Reihe von Zählungen die Zeit, welche von einer Systole 
bis zur nächsten verstreicht, genau bestimmen. Dieselbe betrug bei 
einer Temperatur von 16° Reaumur ziemlich constant 90 Secunden. 
Innerhalb einer Viertelstunde differirte der Puls nur um höchstens 
2—3 Secunden. Die Art der Pulsation stimmt durchaus mit der 
bei anderen Rhizopoden bekannten überein. Auf ein fast plötzliches 
Collabiren folgt ein allmähliches Sammeln heller Flüssigkeit an der 
nämlichen Stelle, bis nach dem Erreichen des höchsten Füllungs- 
grades wieder ein schneller Collapsus eintritt und so fort. 

Die aus der vorderen grossen Panzeröffnung zwischen den 
Zacken hervortretenden Pseudopodien fand ich durchaus hyalin und 
körnchenlos, sich häufig spitzwinklig theilend und in feine Spitzen 
auslaufend, ohne Neigung zum Verschmelzen. Sie werden gewöhn- 
lich in grösserer Anzahl hervorgetrieben und vermitteln eine ziem- 
lich schnelle Fortbewegung des Thieres. 


Euglypha compressa, Carter. 
Taf. V. Fig. 5 und 4. 


Carter beschreibt in dem erwähnten Aufsatze »über Süss- 
wasserrhizopoden Englands und Indiens« (Annals of natural history. 
1864. Vol. XII) eine seitlich stark comprimirte Euglypha, von deren 
Gehäuse er Folgendes aussagt: »terminating in a sutural edge all 
round, except at the aperture which is 10—12 dentic, composed of 
elongated hexagonal scales in juxtaposition, except at the aperture 
where theire free ends are pointed, furnished with about 20 hairs or 
the sutural line.« Er giebt ihr den Namen Euglypha compressa. 

In dem grösseren Bassin des zoologischen Gartens in Graz habe 
ich im vorigen Herbste einige Male ein Thier gefunden, welches 
zweifellos, wie besonders die Vergleichung der Abbildungen zeigen 
wird, ‚dieser Art angehört, an dem ich aber doch Einiges von der 
Carter’schen Beschreibung abweichend fand. Dieser 0,1 Mm. lange, 
halb so breite und circa 0,028 Mm. dicke Rhizopode war zwar an 
dem Seitenrande ziemlich schmal, aber eine Naht, von der Carter 
spricht, habe ich an dieser Kante nicht finden können. Die Zahl 
der um die lancettförmige Mündung frei vorstehenden Zacken fand 
ich etwas grösser als Carter, etwa 15—16. Auch die Anzahl der 
neben der schmalen Seitenkante jederseits in unregelmässigen Ab- 
ständen und verschiedener Richtung, aber in ziemlich gerader Reihe 


102 Franz Eilhard Schulze: 


stehenden langen, schmalen und spitzen Stacheln übertraf bei meinen 
Exemplaren die von Carter angegebene (20) ziemlich bedeutend. 

Von den zum Aufbau des Panzers verwandten Platten sagt 
Carter, dass sie langgezogen sechseckig seien und seitlich mit ihren 
Rändern aneinanderstossen. Der Eindruck, welchen ich bei aller- 
dings nur ungünstigen Beobachtungsverhältnissen gewonnen habe, 
war, dass auch hier wie bei Euglypha alveolata rundliche Platten 
sich mit ihren Rändern theilweise decken und dadurch sechseckige 
Facetten mit lancettförmigen Zwischenzonen gebildet werden. 

Hinsichtlich der Formation und des inneren Baues des Weich- 
körpers stimmen meine Beobachtungen mit Carter’s Wahrnehmungen 
fast vollständig überein. Hier wie bei Eugl, alveol. liess sich im 
hinteren wenig getrübten Theile ein grosser wasserheller kugeliger 
Kern erkennen; der mittlere Abschnitt erschien durch viele stark 
lichtbrechende Körnchen sowie durch Nahrungsstoffe stark getrübt, 
der vordere wiederum heller und mehr von der Schale zurück- 
gezogen, während er an der Mündung derselben ihr stets direct 
anlag. Im Innern des deutlich abgegrenzten Kernes konnte ich 
nicht, wie Garter, ein einziges dunkles Kernkörperchen, sondern 
nur mehrere blasse rundliche Gebilde erkennen. Die entweder ein- 
fach oder doppelt vorhandene pulsirende Vacuole fand sich an der 
Grenze zwischen dem mittleren und vorderen Abschnitt des Weich- 
körpers. Die Pseudopodien waren hyalin, körnchenlos, spitzwinklig 
getheilt, sehr dünn und lang. 


Euglypha globosa, Carter. 
Taf. V, Fig. 5—8. 


Wenngleich das von Carter als Euglypha globosa beschrie- 
bene Thier wegen des eigenthümlichen membranösen, keilförmigen, 
glattrandigen Saumes, welcher von dem Oeffnungsrande des kugelig 
gestalteten, aus rundlichen, etwas übergreifenden Platten zusammen- 
gesetzten Panzers vorsteht, zunächst gar nicht der durch einen 
zackigen Mündungsrand ausgezeichneten Gattung Euglypha anzu- 
gehören scheint, so glaube ich doch, wie schon oben erwähnt wurde, 
Grund zu der Annahme zu haben, dass jener membranöse Saum 
nicht etwas Beständiges, sondern nur eine accessorische, vielleicht 
für eine Art Ruhezustand bestimmte Bildung sei. Zu dieser Ueber- 
zeugung führte mich einerseits der Umstand, dass ich neben der 


Rbizopodenstudien. 103 


gesäumten Form in dem nämlichen Teiche eine andere von der 
gleichen Grösse und übereinstimmendem inneren Baue auffand, 
welcher der Saum fehlte und welche statt dessen die charakteristi- 
schen Mündungszacken einer Euglypha zeigte (Taf. 1, Fig. 7), sowie 
ferner das schon von Carter besonders hervorgehobene beständige 
Fehlen von Pseudopodien an den gesäumten Thieren, während solche 
bei den gezacktrandigen Formen in der bekannten spitzwinklig ge- 
theilten Gestalt und körnchenlos gesehen wurden. 

Bei beiden Formen ist der Panzer drehrund und weicht von 
der Kugelform nur durch das etwas ausgezogene Vorderende ab. 
Die Maasse der Länge und Breite sind 0,04 und 0,034 Mm. Die 
Gestalt der einzelnen Platten ist bei beiden annähernd kreisförmig, so 
dass durch ein gleichmässiges Uebereinandergreifen der Randpartien 
ziemlich reguläre sechseckige Facetten gebildet werden. Auffallend 
war es mir, dass bei einem, auf Taf. V in Fig. 5 abgebildeten, 
saumführenden Thiere diese Sechsecke so orientirt waren, dass eine 
Seite quer zur Längsaxe gerichtet war, während bei der saumlosen 
gezacktrandigen Form eine Seite der Sechsecke der Längsaxe parallel 
lag. Doch erscheint dieser Unterschied schon aus dem Grunde nicht 
gewichtig, weil Carter bei der Abbildung seiner mit einem Saume 
versehenen Eugl. globosa die Sechsecke gerade so zeichnet, wie ich 
sie bei meiner saumlosen sah. 

Während nun bei ungesäumten Thieren der Panzer vorne quer 
abgestutzt mit einer rundlichen, von eirca neun freien Endzacken 
gebildeten Mündung endet, geht bei der anderen das zu einer lang- 
gezogenen Ellipse seitlich zusammengedrückte Vorderende des Platten- 
panzers in ein helles membranöses, structurloses Volum über, welches 
eine von beiden Seiten keilförmig zusammengedrückte, nach dem 
freien Ende zu keilförmig verbreiterte Gestalt hat (Taf. V, Fig. 5u. 6) 
und an der vorderen zugeschärften Kante entweder eine sehr schmale 
Spalte erkennen lässt oder ganz geschlossen erscheint. Auch den 
inneren Weichkörper sah ich bei den mit keilförmigem Mundsaume 
ausgerüsteten Thieren stark zusammengezogen, bei den anderen 
nur am vorderen Dritttheil etwas contrahirt. Bei beiden liessen 
sich übrigens die schon bei Eugl. alveolata und compressa erwähn- 
ten drei differenten Regionen deutlich unterscheiden, deren hinterste 
mehr gleichmässig hyaline stets den grossen hellen kugeligen Kern 
enthielt, in dem ich jedoch das von Carter erwähnte eentrale dunkle 
Kernkörperchen nicht wahrnehmen konnte, Nur bei der gezackt- 


104 Franz Eilhard Schulze: 


randigen Form fand ich auf der Grenze zwischen der dunkelkörnigen 
mittleren und der durchsichtigeren vorderen Schicht eine pulsirende 
Vaeuole, sowie einzelne Nahrungsmittel, bei der anderen konnte ich 
hiervon ebenso wenig wie Carter etwas entdecken. Auch dies 
scheint mir darauf hinzuweisen, dass jener, die Oeffnung ganz oder 
theilweise verschliessende keilföürmige Saum nur eine für einen 
Ruhezustand gebildete Schutzkappe darstellt. Sallte sich diese meine 
Vermuthung nicht bestätigen — und gegen dieselbe spricht einiger- 
massen das Fehlen einer solchen Schutzkappe bei nahe verwandten 
Arten — so könnte das mit diesem Saume versehene Thier wohl 
‘als Repräsentant einer eigenen Gattung hingestellt werden. 

Ich will noch darauf aufmerksam machen, dass wir in der 
Euglypha globosa (Carter) möglicher Weise die Sphenoderia Schlum- 
berger’s!) vor uns haben. Mit Sicherheit lässt sich dies wegen 
der fehlenden Abbildungen nicht behaupten. 

Ueber die von Carter beschriebene?) Euglypha spinosa, welche, 
abgesehen von dem nicht ganz deutlich dargestellten vorderen Mün- 
dungsrande, mit der Euglypha compressa sehr übereinstimmt, kann 
ich mich nicht äussern, da sie mir nicht zu Gesicht gekommen ist. 
Vielleicht haben wir in dieser Form nur eine Varietät oder einen 
Ruhezustand von Eugl. compressa zu sehen. 


Trinema, Dujardin. 


Mit der Gattung Euglypha stimmt die von Dujardin im 
Jahre 18363) gegründete Gattung Trinema zwar hinsichtlich der 
Panzerstructur und der Weichkörperbildung fast vollständig überein, 
unterscheidet sich aber von derselben wesentlich durch die Formation 
und Lage der kreisförmigen Panzeröffnung. Diese ist ohne vorste- 
hende Zacken, fast ganz glattrandig und liegt nicht am Vorderrande, 
sondern an der Seite. 


Trinema acinus, Dujardin. 
Taf. V, Fig. 9-11. 


Das unter dem Namen Difflugia enchelys von Ehrenberg 
im Jahre 1838 in seinem grossen Infusorienwerke beschriebene und 

1) Annales des sciences natur. 3 serie. Tom. III, p. 254. 

2) Ann. 1865. Vol. XV, p. 290 und Pl. X, Fig. 13. 

3) Ann. des sciences nat. 1836. 


Rhizopodenstudien. 105 


daselbst Taf. IX, Fig. 4 abgebildete Thier war schon von Dujardin 
im Jahre 1836 als einzige Art seiner neugegründeten Gattung Tri- 
nema unter dem Speciesnamen acinus ziemlich treffend geschildert. 
Später, 1857, ist es von Carter zur Gattung Euglypha gezogen 
und als Euglypha pleurostoma bezeichnet worden, während Wallich 
den Namen Euglypha euchelys wählte Von Claparede und 
Lachmann wurde-dagegen in den Etudes sur les infusoires et les 
rhizopodes die alte von Dujardin herrührende Bezeichnung wieder 
aufgenommen, auch die Dujardin’sche Gattungscharacteristik mit 
Ausnahme der bestimmten Pseudopodienzahl gebilligt, indessen die 
Specialdiagnose auf folgende Eigenthümlichkeit gegründet: »Trinema, 
munie de trois v6esicules contractiles formant une rangee transver- 
sale ä l’&quateur de l’animal, en avant des nucleus.« 

Die Form des circa 0,035 Mm. langen und 0,019 Mm. breiten, 
aus glashellen rundlichen und mit ihren Rändern sich gleichmässig 
überlagernden Platten gebildeten Panzers ist zwar schon von Du- 
jardin als eine länglich ovoide, vorne etwas gerader gestreckte 
und hier mit einer schrägen seitlichen Oefinung versehene, im All- 
gemeinen richtig geschildert, indessen muss noch besonders hinzu- 
gefügt werden erstens, dass stets eine bedeutende Abflachung an 
einer (beim Kriechen dem Boden aufliegenden also) unteren Seite 
vorhanden ist, und zweitens, dass die Richtung der runden Oefinung 
zur Längsaxe des Thieres bei den verschiedenen Individuen sehr 
varürt. Bald liegt dieselbe nämlich ganz in der Flucht der flachen 
Unterseite, bald stellt sie mehr eine schräge Abstutzung des Vor- 
derrandes dar. Es ist wahrscheinlich, dass diese Richtung und Lage 
der Apertur von dem Alter und der Entwicklung des Thieres ab- 
hängt, wie auch Claparede und Lachmann meinen, welche 1. c. 
p. 456 behaupten, dass bei jungen Individuen die Oeffnung mehr 
terminal und schräge zur Längsaxe gestellt, bei älteren ganz seitlich 
und dieser letzteren parallel gelegen sei. 

Die circa 0,007 Mm. weite kreisrunde Oeffnung selbst wird 
durch den nach innen umgeschlagenen Randtheil der umliegenden 
Platten begrenzt und stellt demnach ein ganz kurzes Röhrenstück 
dar, welches nach innen zu quer abgestutzt endet, nach aussen sich 
trompetenartig erweitert. Bei der Betrachtung des Thieres von unten 
zeigt der Oeffnungsrand ein Abwechseln heller und dunkler Abschnitte, 
deren letztere den Eindruck kleiner nach innen gerichteter Vor- 
sprünge machen. 


106 Franz Eilhard Schulze: 


Der dem Panzer nicht überall anliegende Weichkörper lässt 
die nämlichen drei Zonen erkennen, wie der von Euglypha. Der 
grosse wasserhelle kugelige Kern, welcher auch hier in dem hinteren 
Abschnitte gelegen ist, lässt zuweilen ein deutliches centrales Kern- 
körperchen erkennen. Von der Richtigkeit der von Claparede 
und Lachmann mit so grosser Bestimmtheit gemachten Angabe, 
dass für diese Species der Besitz von drei contractilen Blasen cha- 
racteristisch sei, welche noch dazu in einer Querreihe vor dem Kerne 
liegen sollen, habe ich mich nicht überzeugen können. Ich fand 
im Gegentheile, dass die Zahl der allerdings stets vorhandenen aber 
verhältnissmässig kleinen pulsirenden Vacuolen sehr wechselt. Oft 
sah ich nur eine, häufig auch zwei oder drei. Als bemerkenswerth 
fiel mir auf, dass sie gewöhnlich nicht in der vorderen Zone oder 
etwa auf der Grenze zwischen dieser und der mittleren, sondern in 
der dunkelkörnigen Mittelzone dicht neben dem Kerne zu finden waren. 

Die Pseudopodien sind sehr fein und oft spitzwinklig getheilt. 
Zuweilen sieht man nur ein einziges, häufig zwei oder drei, selten 
mehr; doch ist ihre Zahl keineswegs bestimmt begrenzt. 


Cyphoderia. margaritacea, Schlumberger. 
Taf. V, Fig. 12—22. 


Unter einigen im Jahre 1845 in den Annales des sciences nat. 
3 serie. Tom. II, leider ohne Abbildungen von Schlumberger 
kurz characterisirten Süsswasserrhizopopen befindet sich auch ein 
in den Vogesen und im Jura gefundenes und Öyphoderia margari- 
tacea genanntes Thier, dessen Bau und dessen Beziehung zu ähn- 
lichen später von anderen Autoren erwähnten Formen, besonders 
wohl wegen des Mangels der Abbildungen bei dem Schlumberger’- 
schen Aufsatze, lange Zeit unklar geblieben ist. 

Die Characteristik der Gattung Cyphoderia, wie Schlumber- 
ger sie gegeben hat, lautet: »Animal seeretant une coque mem- 
braneuse, resistante, ovoide, allongee en avant, r&courbee et r&trecie 
en forme de con, ornde de saillies en series obliques; ouverture eir- 
culaire oblique, expensions trös longues, filiformes, tr&s delices ä& 
V’extr&mit& simples ou rameuses.« Als für die einzige Speeies Cyph. 
margaritacea fügt er noch Folgendes hinzu: »Animal & tete r&sistant 
diaphane jaunäftre, ornde de nombreuses series obliques r&gulieres 
de petites perles. Longueur 0,066—0,14, largeur 0,03—0,064 mm.« 


Rhizopodenstudien. 107 


Uebrigens macht er auf das Variiren der Schalenform aufmerksam. 
Bei einzelnen Individuen erschien der Hals ganz rudimentär, bei 
anderen zeigte das hintere Ende statt der spnst gewöhnlichen breiten 
Abrundung einen abgestutzten kleinen schmalen Vorsprung. 

Leere Schalen der von Schlumberger bezeichneten Form, 
aber ohne »perlenähnliche Höcker«, dagegen mit leicht gezähnelter 
Mündung beschrieb und zeichnete dann im Jahre 1852 Perty') als 
eine Species dubia der Gattung Euglypha unter dem Namen Eu- 
elypha (?) curvata. Er hatte dieselbe bei Genf in Gräben und an 
Potamogeton natans, sowie am Simplon in einer Höho von 4—5000 
Fuss unter Moos in Quellen gefunden. 

In seinem 1854 erschienenen Werke ȟber den Organismus 
der Polythalamien« gab M. Schultze eine mit Abbildungen ver- 
sehene Darstellung eines von ihm in der Ostsee bei Greifswald auf- 
gefundenen und Lagynis baltica genannten Thieres, dessen Schale 
er l.e.p.56 als membranös, elastisch, retortenförmig, dessen Weich- 
körper er als farblos, durchsichtig, zu einer grossen Schalenöffnung 
wenige äusserst feine, hier und da verästelte Fortsätze aussendend 
und die Schale selten ganz ausfüllend bezeichnete. Auf die Aehn- 
lichkeit der Form mit Perty’s Euglypha curvata machte er noch 
besonders aufmerksam. In den zugehörigen Abbildungen, 1. c. 
Taf. I Fig. 7 und 8, ist die Schale als durchaus hyalin und ganz 
structurlos dargestellt. f 

Stein?) hält die Cyphoderia marg. Schlumb., welche er sowohl 
bei Prag als in Sachsen und Preussen häufig in Torfsümpfen fand, 
für identisch mit der Lagynis Schultze’s. An der Schale be- 
merkte er eine »mosaikartige Zusammensetzung aus feinen runden 
Körnchen«. 

Ferner erwähnt Fresenius?) der Cyphoderia margaritacea 
Schlumberger’s aus der Umgegend von Frankfurt und Walldorf. 
Er beschreibt sie kurz und fügt 1. c. Taf. XII Fig. 283—36 einige 
von Dr. A. Schmidt in Frankfurt herrührende Zeichnungen hinzu. 


1) Zur Kenntniss der kleinsten Lebensformen. 1852. p. 187 u. Taf. VIII, 
Fig. 21 a und b. 

2) Ueber Süsswasserrhizopoden. In den Sitzungsberichten der Böhmi- 
schen Akademie. Januar 1857. 

3) Abhandlungen der Senkenbergischen Gesellschaft. 1858. II. Band, 
p. 225. 


108 Franz Eilhard Schulze: 


Von dem Gehäuse des Thieres sagt Fresenius: »Die Facettirung 
ist sehr deutlich und elegant; bei starken Vergrösserungen macht 
dieselbe den Eindruck eines »Netzwerkes mit rundlichen sechseckigen 
Maschen. Das Gehäuse füllt das Thier mehr oder weniger aus.« 

Eine sehr ausführliche Beschreibung der im südlichen Devon 
häufig gefundenen Cyphoderia marg. Schlumb. hat Carter!) im 
Jahre 1864 geliefert. Er stimmt zwar hinsichtlich der Schalenform 
mit Schlumberger überein, weicht aber in der Auffassung des 
feineren Baues derselben wesentlich von der Darstellung des Ent- 
deckers umd der späteren Beobachter ab, indem er angiebt, dass 
die Schale aus regulär sechseckigen, mit ihren Seitenrändern ein- 
ander deckenden Platten zusammengesetzt sei und einen zackenlosen, 
aber mit rosenkranzartigen Verdickungen versehenen kreisrunden 
Mündungssaum besitze. In dem hinteren Theile des inneren Weich- 
körpers fand er einen hellen kugeligen Kern mit deutlichem cen- 
tralen Kernkörperchen, sowie viele oblonge oder elliptische Körper- 
chen. Eine pulsirende Vacuole konnte er in dem Körper selbst nicht 
entdecken, spricht aber von einer solchen, welche er in einem der 
fingerförmigen Protoplasmafortsätze bemerkt haben will, die von der 
Oberfläche des Weichkörpers zur Innenseite der Schale ziehen, um 
sich hier anzuheften. 

In ähnlicher Weise fasst Wallich?) den Schalenbau des näm- 
lichen, von ihm als Euglypha margaritacea benannten Thieres auf, 
indem er sagt: »In Euglypha margaritacea the line of fractures as 
invariably traverses the spaces between the disces, proving that they 
are the thickest and strongest portious of the structure.« Ferner 
giebt Wallich an, es seien diese »minute chitinoid dises so arran- 
ged, that each one is united to those surrounding it by six equi- 
distant connecting bands«. 

Meine Ueberzeugung, dass die sämmtlicheu hier kurz zusam- 
mengestellten Beschreibungen von Schlumberger, Perty, M. 
Schultze, Stein, Fresenius, Carter und Wallich sich auf 
eine und dieselbe, höchstens nach der Lokalität ein wenig nach 
dieser oder jener Richtung variirende Art beziehen, habe ich aus 
der Untersuchung von Thieren gewonnen, welche aus sehr verschie- 
denen Gegenden stammen, nämlich aus der Umgegend von Graz, 


1) On freshwater Rhizopodes of England and India, in den Annals of 
nat. hist. III. ser. 1864. Vol. XII. 
2) Annals of natural history. III ser. Vol. XIII. 1864. 


Rhizopodenstudien. 109 


aus Rabenau bei Dresden, aus Rostock, aus der braakwasserhaltigen 
Warnemündung, aus der Ostsee vor Warnemünde und aus dem Kieler 
Hafen; und welche, obwohl nach mehreren Richtungen etwas diver- 
sgirend, doch eine im Wesentlichen gleiche Organisation sowohl der 
Schale als des Weichkörpers zeigen. Ich werde daher den vom ersten 
Entdecker gegebenen Namen beibehalten, wenngleich dessen der 
Abbildungen entbehrende Beschreibung weder sehr genau noch ganz 
zutreffend erscheint. 

Die Form und Grösse des Thieres variirt bemerklich nach dem 
Fundorte. Während die im Süss- und Braakwasser lebenden Thiere 
einen langgestreckten retortenförmigen Körper von 0,12—0,13 Mm. 
Länge (Taf. V Fig. 12—18) besitzen, bei dem sich die grösste Dicke 
zur Länge wie 1 zu 3 oder selbst wie 1 zu 4 verhält, erscheinen 
die in der freien Ostsee, !/; Meile von Warnemünde in neun Faden 
Tiefe und am Grunde des Kieler Hafens lebenden weit gedrungener 
und auch absolut kürzer, nur etwa 0,08 Mm. lang (Taf. V Fig. 19 
und 20). Wenn übrigens die von M. Schultze dargestellte Form, 
welche er in der Ostsee bei Greifswald, also wahrscheinlich vor der 
Ausmündung des Rick in den Greifswalder Bodden antraf, in ihrer 
äusseren Gestalt weniger mit meiner Ostseeform als mit meiner 
Braakwasser- und Süsswasserform übereinstimmt, so spricht dies 
doch keineswegs weder gegen meine Ueberzeugung von der Zuge- 
hörigkeit der von M. Schultze beschriebenen Thiere zu der von 
mir und Anderen beobachteten Cyphoderia, noch gegen die Abhän- 
gigkeit der Gestalt vom Salzgehalte des Wassers; denn in dem 
durch die Insel Rügen geschützten Greifswalder Bodden ist das 
Wasser schon ganz erheblich salzärmer als in dem offenen Meere 
vor dem westlich gelegenen Warnemünde oder in dem der Nordsee 
noch weit näher liegenden Kieler Hafen. Es dürfte wohl der durch- 
schnittliche Salzgehalt des Wassers in der Warnemündung, in welche 
das freie Meer aus- und einfluthet, sich nicht sehr von demjenigen 
des Greifswalder”Boddens vor der Rickmündung unterscheiden. 

Die grössten Exemplare habe ich in Rabenau bei Dresden und 
in der Umgegend von Graz gefunden. 

Indessen kann man auch an demselben Orte verschieden grosse, 
schwächer und stärker gebogene Individuen, Exemplare mit kürzerem 
oder mit längerem Halse, sowie mit einem mehr oder minder schräge 
abgestutzten Vorderende und einem mehr oder weniger gewölbten 
Hinterende finden. 


110 Franz Eilhard Schulze: 


Dass der Panzer aus einer chitinartigen Masse und nicht etwa 
aus Kieselsäure besteht, lehrt das Verhalten desselben gegen Fluss- 
säure, von welcher derselbe durchaus nicht angegriffen wird. 

Die eigentliche Structur des Panzers ist, wie schon aus den 
sehr differirenden Angaben der verschiedenen Forscher entnommen 
werden kann, ganz leicht zu ermitteln. Dass der Panzer nicht 
structurlos ist, davon kann man sich zwar bei Anwendung starker 
Vergrösserungen sehr bald überzeugen, aber wie die vorhandene 
Structur beschaffen ist, das lässt sich trotz der sehr scharfen und 
deutlichen Zeichnung, welche am Besten an leeren Schalen wahr- 
zunehmen ist, schwer herausbringen. Das Bild, welches man bei 
Anwendung von 3/IX Hartnack & limmersion erhält, habe ich in 
Fig. 12 und 13 der Taf. V wiederzugeben versucht. Man sieht eine 
gleichmässige Gitterzeichnung mit regelmässigen sechseckigen Ma- 
schen, deren eine Seite rechtwinklig zur Längsaxse des Thieres ge- 
richtet ist. Die Balken dieses scheinbaren oder wirklichen Gitter- 
werkes erscheinen, wenn man gerade auf dieselben einstellt, dunkel, 
während die von ihnen umschlossenen sechseckigen Felder hell aus- 
sehen. Sobald man aber den Tubus ein wenig hebt, werden die 
Gitterbalken hell, dagegen die Sechsecke dunkel. Bisweilen lässt 
sich in den Ecken und auch wohl gerade in der Mitte jedes einzelnen 
Grenzbalkens je ein kleiner dunkler Punkt oder Kreis wahrnehmen. 
Den sechseckigen Facetten kommen bisweilen buckelförmige äussere 
Vorsprünge zu, welche schon in der Ansicht von der Fläche, deut- 
licher noch am Rande des Panzers in der Seitenansicht erkannt 
werden und die Vorstellung eines Perlenbesatzes erweckt haben mö- 
gen. Doch habe ich die Höcker durchaus nicht bei allen Thieren 
beobachtet. Deutlich ausgebildet fanden sie sich nur an den in 
Rabenau bei Dresden und in der Umgegend von Graz gesammelten 
Exemplaren; sie fehlten dagegen gänzlich im Süsswasser bei Rostock 
sowie bei den im Braakwasser und in der Ostsee gefundenen In- 
dividuen. 

Die am unversehrten Thier zu beobachtende Zeichnung des 
Panzers kann nun ebensowohl auf eine Gitternetzbildung als auf 
eine Zusammensetzung des Gehäuses aus seitlich zusammenstossen- 
den oder sich mit den Seitenrändern ein wenig deckenden Platten 
bezogen werden. Das erstere ist von Fresenius, das letztere von 
Carter und Wallich geschehen. Wallich führt zur Begründung 
seiner Ansicht noch besonders den Umstand an, dass er beim Zer- 


Rhizopodenstudien. 111 


brechen der Schale die Risslinien stets zwischen den Platten hin- 
laufen sah, während bei Schalen mit wahrer Gitternetzbildung, wie 
z. B. der Schale von Arcella, jeder Riss quer durch die sechseckigen 
Maschen hindurchgehe. 

Ich muss gestehen, dass ich selbst lange zweifelhaft war, ob 
ich ein Gitternetz von Verdickungsleisten an der Innenseite einer 
dünnen Membran oder eine Zusammensetzung aus Platten annehmen 
solle. Erst die sorgfältige Betrachtung der Bruchstücke zerdrückter 
Schalen und die Beobachtung des Entstehens von Rissen während 
der Compression selbst hat mich zu der bestimmten Ueberzeugung 
geführt, dass der Panzer auch hier aus in schrägen Reihen ange- 
ordneten Platten besteht, welche in einzelnen Fällen mit den Seiten- 
rändern etwas dachziegelförmig (Taf. V Fig. 12—15) übereinander- 
greifen, ähnlich wie bei Euglypha und Trinema, in anderen Fällen 
dagegen mit ihren Seitenrändern einfach aneinanderstossen (Taf. V 
Fig. 16). Der Umstand, dass an allen Bruchstücken stets die spitzen 
Ecken der einzelnen Platten an den Rändern vorstehen, und dass 
bei einem Risse, wie dem in Fig. 16 dargestellten, die Vorsprünge 
des einen Randes genau den entsprechenden Lücken des andern 
Randes gegenüberstehen und durchaus in diese hineinpassen, entfernt 
wohl jeden Zweifel. Uebrigens muss ich bemerken, dass ich es 
seiner Zeit versäumt habe, dasselbe Experiment mit den aus der 
Ostsee und dem Kieler Hafen erhaltenen Thieren anzustellen. In- 
dessen wird wohl kaum ein Bedenken bestehen können, auch für 
jene etwas kleinere Varietät den nämlichen Schalenbau aus der 
Uebereinstimmung des Bildes der unversehrten Panzer zu folgern. 

An dem rundlichen oder schwach oval verzogenen Mündungs- 
rande der Schale sieht man gewöhnlich ein Abwechseln heller und 
dunkler Partien, welche bei schwächerer Vergrösserung eine rosen- 
kranzähnliche Zeichnung bedingen. 

An den grossen Rabenauer und Grazer Exemplaren konnte 
ich diese Zeichnung bei Anwendung starker Vergrösserung auf die 
etwas verdickten Endzacken der vordersten die Mündung umgeben- 
den Platten zurückführen (Taf. V Fig. 12 u. 13). 

Sehr eigenthümlich, jedoch, wie es scheint, von früheren Beob- 
achtern nicht bemerkt, ist ein sehr zarter und völlig structurloser, 
kurzer membranöser Ringsaum, welcher von dem derben und 
etwas zackigen Rande gewöhnlich schräge nach aussen und vorne 
absteht (Taf. V Fig. 17—20), aber auch bisweilen etwas nach hinten 


112 Franz Eilhard Schulze: 


umgeschlagen sein kann (Taf. V Fig. 12 und 13). Am entwickelt- 
sten sah ich diesen Ringsaum bei einem vom Grunde der Ostsee 
stammenden Thiere, welches an einem Steinchen mit der Oeffnung 
wie angesaugt festsass (Taf. V Fig. 20). 

Schon M. Schultze hat darauf aufmerksam gemacht, dass 
der Weichkörper bei seiner Lagynis baltica selten das Gehäuse ganz 
ausfüllt, und dass sich von dem verdickten hinteren Theile des 
sackförmigen Protoplasmaleibes häufig vier fingerförmige oder leicht 
zugespitzte Fortsätze nach hinten erstrecken. In der That sieht 
man gerade den hintersten Binnenraum der Schale oft leer, d. h. 
nur mit Wasser erfüllt und nur von einigen, gewöhnlich vier und 
dann meistens ziemlich regelmässig gestellten schmalen spitzen 
Fortsätzen durchsetzt, welche von dem breiten Hinterende des mehr 
nach vorne gedrängten Weichkörpers bis an den hinteren Schalen- 
theil hinziehen, um sich hier mit ihren spitzen Enden zu inseriren 
(Taf. V Fig. 18). Jedoch können auch gar nicht selten beliebige 
Zahl- und Stellungsverhältnisse dieser Zacken beobachtet werden. 
Eine durchaus constante Verbindung zwischen Weichkörper und 
Schale besteht nur an dem inneren Mündungsrande der letzteren. 

Zuweilen erscheint auch der Weichkörper so voluminös, dass 
er die Schale mehr oder minder vollständig ausfüllt. Fast stets ist 
der vordere Theil des ganzen Protoplasmaleibes gegen den hinteren 
bedeutend verschmächtigt. 

In der Mitte des kolbig verdickten hinteren Theiles finde ich 
stets einen grossen hellen kugeligen Kern, in welchem sich stets 
ein oder einige dunkele rundliche Kernkörperchen entweder schon 
im lebenden Thiere erkennen oder doch durch Anwendung wenig 
eingreifender Reagentien, z. B. schon durch Zusatz von Glycerin, 
deutlich machen lassen. Vor dem Kerne und häufig auch um ihn 
herum liegen rundliche oder eckige Körnchen ven starkem Licht- 
brechungsvermögen, welche auch bisweilen eine besondere dunkele 
Mittelzone des ganzen Weichkörpers formiren. In der vorderen, 
durch dunkele Körnchen weniger getrübten Partie des Protoplasmas 
zeigen sich in der Regel eine oder mehrere (gewöhnlich zwei) pul- 
sirende Vacuolen von verschiedener Grösse. 

Von dem der Schalenmündung anhaftenden vordersten Ende 
des Weichkörpers strahlen die nach meiner Beobachtung stets körn- 
chenlosen, sich meistens mehrfach spitzwinklig theilenden und in 
feine Endspitzen auslaufenden Pseudopodien ab. Zuweilen habe ich 


Rhizopodenstudien. 113 


an denselben auch spindelförmige oder unregelmässig knotige An- 
schwellungen, indessen nur selten anastomotische Verschmelzungen 
beobachtet. 

Von M. Schultze wurde als eine eigenthümliche Veränderung 
des Weichkörpers ein Zusammenziehen desselben zu einem kugeligen, 
noch den Kern enthaltenden, aber bedeutend verkleinerten Gebilde 
beschrieben, welches in der Mitte der im Uebrigen leeren Schale 
lag, 1. c. Taf. I Fig. 8. Eine solche Kugel als einziger Ueberrest 
des Weichkörpers in der sonst leeren Schale ist auch mir gar nicht 
selten vorgekommen, indessen habe ich keinen directen Anhalt für 
die von M. Schultze ausgesprochene Vermuthung gewinnen können, 
dass man in derselben einen der Vermehrung vorausgehenden Ruhe- 
zustand sehen könne. 

Von den aus der Kieler Bucht stammenden Exemplaren sah 
ich einige Male je zwei mit den Mündungen genau aneinander haf- 
ten, eine Erscheinung, welche man bekanntlich bei Difflugien sehr 
häufig antrifft, deren Bedeutung jedoch trotz verschiedener Hypo- 
thesen bisher noch nicht mit genügender Sicherheit hat festgestellt 
werden können. Ich komme auf dieselben unten bei der Besprechung 
der Gattung Pleurophrys noch einmal zurück. 


Cyphoderia truncata, nov. spec. 
Taf. V Fig. 21 und 22. 


In dem schlammigen Bodensatze eines Ostseewasseraquariums, 
in welchem nebst verschiedenen Pflanzen eine Anzahl Kruster längere 
Zeit lebend erhalten waren, fand ich einen bisher noch nicht be- 
schriebenen Rhizopoden, den ich nicht anstehe in die Gattung 
Cyphoderia zu stellen, da er einen ganz ähnlich structurirten ') Panzer 
wie die so eben beschriebenie Art und auch eine runde glattrandige 
Panzeröffnung besitzt, und sich nur dadurch von Cyphoderia mar- 
garitacea wesentlich unterscheidet, dass die Axe des Thieres nicht 
wie dort eine gebogene, sondern eine gerade Linie darstellt und 
die Ebene der Schalenmündung durchaus rechtwinklig zu ihr ge- 
richtet ist. 


1) Leider kann ich mich nur auf das durchaus gleiche Aussehen 
des unversehrten Panzers beziehen, da mir augenblicklich die Gelegenheit 
fehlt, mich durch Zertrümmerungsversuche auch hier von dessen Zusammen- 
setzung aus Platten sicher zu überzeugen. 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 11. ; 8 


114 Franz Eilhard Schulze: 


Die Gestalt des starren Panzers lässt sich einem einfachen 
drehrunden Kolben vergleichen, dessen oberes Ende ziemlich steil 
gewölbt ist, dessen grösste Breite etwa auf der Grenze zwischen 
dem oberen und mittleren Drittel liegt und dessen Durchmesser 
ziemlich continuirlich bis zum unteren quer abgestutzten Ende ab- 
nimmt. Geringe Variationen in der äusseren Form sind übrigens 
auch hier nicht selten. So kann z. B. die grösste Breite auch 
gerade in der Mitte liegen. Wenn ich die Form des Panzers dreh- 
rund nannte, so ist dies nur im Allgemeinen zu verstehen, denn es 
treten an seiner ganzen Oberfläche hier und da zwar nur kleine, 
aber wie es scheint für die Art typische Störungen in der Gleich- 
mässigkeit der Biegung als unregelmässig vertheilte lokale Abfiachun- 
sen und dellenartige Vertiefungen der Schale auf, welche niemals 
vermisst wurden. Die Entfernung vom Scheitelpol bis zur Mündung 
beträgt etwa 0,07, der grösste Dickendurchmesser 0,03, die Weite 
der kreisrunden Oefinung 0,012 Mm. 

Die Schale zeigt die nämliche Gitternetzbildung mit regulär 
sechseckigen Maschen, wie diejenige von Cyphoderia margaritacea. 
Auch der Bau des Mündungsrandes verhält sich ähnlich. Zwar 
konnte ich nur selten eine Andeutung von dem dort oft so ent- 
wickelten hyalinen Randsaume erkennen, fand aber stets ganz die- 
selbe Reihe von rechtwinklig zum Rande und in gleichen Abständen 
von einander gestellten, sich nach hinten keilförmig zuspitzenden 
dunkeln Linien. Auch hier habe ich mich bei der Betrachtung der 
Mündung von der Fläche sicher davon überzeugen können, dass diese 
dunkeln Linien nach innen in das Oeffnungslumen vorspringenden 
leistenförmigen Verdickungen entsprechen, dass also hier ebenfalls das 
Gitternetzwerk der Schale aus nach innen vorspringenden Verdickungs- 
balken der ursprünglich gleichmässig membranösen und hyalinen 
Schale besteht. 

Die oben erwähnten Abflachungen und dellenartigen Vertiefungen 
der Schalenoberfläche rühren von kleinen Einbiegungen der Schale 
her, welche wahrscheinlich früheren oder noch bestehenden Anhaf- 
tungen von Weichkörperfortsätzen an deren Innenwand entsprechen, 
durch deren einfachen Zug nach innen sie erzeugt und dann bei 
stärkerer Festigung der Schale conservirt sind. 

Der besonders in seinem hinteren und mittleren Abschnitte 
mit mehr oder minder dunkeln Körnchen reich durchsetzte Proto- 
plasmakörper liess stets mehrere solcher zackenförmigen, mit der 


Rhizopodenstudien. 115 


Spitze an die Schaleninnenfläche sich anheftenden Fortsätze erkennen, 
welche jedoch, entsprechend dem meistens nur geringen Abstande 
des Weichkörpers von der Schale, nicht so schmal und lang wie bei 
den meisten Exemplaren von Cyphoderia margaritacea, sondern nur 
kurz waren und sich mit sehr breiter Basis erhoben. — In dem 
hinteren Theile des Weichkörpers sah ich gewöhnlich einen hellen 
kugeligen Kern durchschimmern; zum Erkennen der wahrscheinlich 
vorhandenen pulsirenden Vacuolen aber reichte die geringe Durch- 
sichtigkeit des mittleren und vorderen Körperabschnittes nicht aus. 

Die Pseudopodien erschienen wie bei sämmtlichen bisher be- 
sprochenen Monothalamien gleichmässig hell, körnchenloös und mei- 
stens spitzwinklig getheilt, schliesslich in feine Spitzen auslaufend. 
Hin und wieder konnten knotige Anschwellungen wahrgenommen 
werden. 


Platoum parvum, nov. gen. et nov. spec. 
Taf. VI Fig. 1—4. 


In demselben Ostseewasseraquarium, in welchem die eben be- 
schriebene Cyphoderia truncata sich zeigte, wurde noch eine andere 
bisher nicht bekannte einhäusige Rhizopodenform aufgefunden, welche 
dem Gesammtbilde ihrer Eigenschaften nach etwa zwischen den bei- 
den Gattungen Cyphoderia und Gromia stehen kann. Mit der ersteren 
hat sie die Eigenthümlichkeit gemein, dass der Weichkörper die, 
wenn auch nicht absolut starre, so doch ziemlich feste elastische 
Schale nicht völlig ausfüllt. Mit den Gromien theilt sie die völlige 
Strueturlosigkeit sowie eine gewisse Biegsamkeit der glashellen Schale. 

Das Thierchen hat die Gestalt eines an einem Ende stark 
zugespitzten, am anderen breit gewölbten und etwas seitlich zu- 
sammengedrückten Eies; danach habe ich den Namen Platoum 
(von srAerög und wov) gebildet. Der Grad der seitlichen Abplat- 
tung scheint nicht immer gleich (Taf. VI Fig. 4a und b) und zum 
Theil von Contractionen des inliegenden Weichkörpers abhängig zu 
sein. Oft sah ich auch an der einen Seite eine convexe Wölbung, 
welcher auf der andern eine entsprechende Einziehung gegenüber- 
stand, wodurch also eine Flächenkrümmung des ganzen Thieres 
bedingt wurde (Taf. VI Fig. 3). 

In der durchaus hyalinen und ganz structurlosen, ziemlich 
derbhäutigen elastischen Schale findet sich an dem spitzeren Einde 


116 Franz Rilhard Schulze: 


eine kleine kleisrunde Oeffnung mit etwas verdicktem Randsaume, 
aus welcher die Pseudopodien hervorgestreckt werden. Bisweilen 
liegt diese Endöffnung etwas schräge zur Längsaxe, in der Regel 
durchaus rechtwinklig. Der in seiner Ausdehnung sehr wechselnde 
Weichkörper zeigt hier wie bei den meisten bisher besprochenen 
Monothalamien in dem ziemlich körnchenfreien hinteren dicken End- 
theile einen grossen hellen kugeligen Kern, dessen Kernkörperchen 
schwer oder gar nicht zu erkennen ist. Dann folgt eine mit dunkelen 
Körnchen reich durchsetzte Mittelzone und eine hellere verschmäch- 
tigte Vorderparthie. Auf der Grenze zwischen den beiden letzten 
Abschnitten liessen sich zuweilen ein oder zwei kleine pulsirende 
Vacuolen beobachten. Die Pseudopodien unterscheiden sich nicht 
von den bei Euglypha, Trinema und Cyphoderia beschriebenen. 


Gromia, Dujardin. 


Die von Dujardin im Jahre 1835 begründete!) Gattung 
Gromia ist den bisher erwähnten Rhizopoden gegenüber wesentlich 
characterisirt durch die unelastische weiche membranöse Hülle, 
welche dem Weichkörper stets dicht anliegt; ferner durch das Fehlen 
der pulsirenden Vacuolen, und endlich durch die annähernd kugelige, 
seltener sackförmige oder eiförmige Gestalt. 


Gromia oviformis, Dujardin. 


Von den drei Gromien, welche ich genauer untersuchen konnte, 
will ich zunächst Gromia oviformis, Duj. erwähnen. Ich habe dieses 
in der äusseren Gestalt ausserordentlich wechselnde sackförmige 
Thier in Grundproben, welche vor Warnemünde aus acht Faden 
Tiefe entnommen waren, gar nicht selten angetroffen. Ich wunderte 
mich über diesen Fund um so mehr, als bisher, so viel ich weiss, 
in der Ostsee trotz vielen Suchens überhaupt noch keine Gromien 
gefunden wurden. Die Thiere waren bis zu 1 Mm. lang, sahen 
dunkelbraun aus und entwickelten auf dem Objectträger ein grosses, 
weit verzweigtes und vielfach anastomosirendes Netzwerk feiner 
Pseudopodien. In Betreff des Baues und der Structurverhältnisse 


1) Annales des sciences natur. 2. serie. 1835. Tom. III und IY. 


Rhizopodenstudien. 137 


verweise ich auf die gründliche Darstellung, welche M. Schultze 
in seinem mehrfach genannten Werke p. 45 und Taf. I Fig. 1-6, 
sowie Taf. VII Fig. 8—-12 von dieser, wie es scheint in allen euro- 
päischen Meeren häufigen Species gegeben hat. 


6romia granulata, nov. spec. 
Taf. VI Fig. 5 und 6. 


In den verschiedensten stehenden und schwach fliessenden 
Süsswassern bei Rostock und Graz habe ich an Üeratophyllum und 
anderen Wasserpflanzen gar nicht selten eine ganz helle farblose und 
durchscheinende Gromie von breitsackförmiger Gestalt und einer Länge 
von 0,04—0,07 Mm. angetroffen. Die dünne, völlig glashelle mem- 
branöse Hülle liegt dem Weichkörper überall dicht an, und da sie 
so weich und unelastisch ist, dass sie allen Formveränderungen des 
Protoplasmaleibes folgt, so kann die äussere Gestalt des Thieres 
innerhalb gewisser Grenzen, von der Kugelform bis zum langgezo- 
genen Ellipsoide oder bis zur Eiform, mannigfach wechseln. Die 
Hülle ist an der Mündung in unregelmässige Falten zusammen- 
gezogen, so dass man die wahre Gestalt der Oefinung erst dann 
sehen kann, wenn man den Inhalt durch Zusatz verdünnter Essig- 
säure aufgehellt, aufgebläht und theilweise zum Austritt gebracht 
hat. Alsdann glättet sich die ganze Membran, nimmt eine mehr 
birnförmige Gestalt an und zeigt an dem vorgezogenen schmaleren 
Vorderende eine scharf- und glattrandige Oeffnung (Taf. VI Fig. 6). 

Der von dieser weichen chitinigen Hülle umschlossene Weich- 
körper zeigt ein homogenes helles Protoplasma, durchsetzt von 
vielen stark lichtbrechenden Körnchen, welche besonders in der 
Rindenschicht in ziemlich gleichmässigen Abständen geordnet stehen 
und dadurch den Anschein einer gleichmässigen Punktirung oder 
Durchlöcherung der Hülle hervorrufen können (Taf. VI Fig. 5). In 
dem hinteren Abschnitte findet sich stets ein grosser, oft bis 0,03 Mm. 

im Durchmesser haltender, ganz wasserheller und mit einer zarten 
Membran versehener Kern, in dessen Mitte entweder ein mässig 
grosses, kugeliges, stark lichtbrechendes Kernkörperchen oder mehrere 
weniger deutliche dunkele Körperchen gesehen werden. In dem mitt- 
leren und vorderen Theil des Protoplasmakörpers sind oft Nahrungs- 
mitte] verschiedener Art, wie Diatomeen, Algen etc. angehäuft. Aus 
der Oeffnung mit faltigem Rande strecken sich glashelle, körnchenlose, 


118 Franz Eilhard Schulze: 


fadenförmige Pseudopodien hervor, welche sich wiederholt spitz- 
winklig theilen, leicht netzartig mit einander verschmelzen und sehr 
weit ausbreiten können. Häufig sind auch hier spindelförmige oder 
knotige Anschwellungen wahrzunehmen. Beim Einziehen tritt oft 
ein plötzliches Erschlaffen mit welliger Kräuselung des Fadens ein, 
der sodann zu einem einfachen Klumpen zusammenschmilzt und 
vollends in den Körper aufgenommen wird. Interessant war es mir 
zu sehen, wie bisweilen kleine lappenförmige Protoplasmafortsätze 
zwischen den fadenförmigen Pseudopodien aus der Oeffnung hervor- 
treten, aber bald wieder zurückgezogen werden (Taf. VI Fig. 5). 

Obwohl nun diese von mir eben geschilderte und als Gromia 
granulata besonders benannte Form von der Beschreibung und bild- 
lichen Darstellung, welche Dujardin von seiner Gromia fluviatilis 
in den Infusoires p. 255 und Pl. I Fig. 1a und b gegeben hat, 
in vieler Beziehung abweicht, so ist es doch nicht ganz unmöglich, 
dass beide nur verschiedene Entwicklungsgrade ein und derselben 
Species sind. Ich vermag dies deshalb nicht zu entscheiden, weil 
ich solche Süsswasserformen, wie sie Dujardin loc. eit. beschrieben 
und gezeichnet hat, niemals selbst gesehen habe. 


Gromia socialis, Carter. 
Taf. VI Fig. 7—13. 


Schneider beschrieb!) im Jahre 1854 unter dem Namen 
Difflugia enchelys (Ehrenberg) einen kleinen Rhizopoden von Eiform 
mit dünner glasheller, membranöser Hülle, einem deutlichen hellen 
bläschenförmigen Kerne mit Kernkörperchen im hinteren helleren 
Theile des Weichkörpers, und mit einem aus der Oeffnung hervor- 
ragenden breiten Protoplasmafortsatze, dem Fusse, von welchem die 
Pseudopodien ausstrahlten. Er sah oft zwei Individuen durch ihre 
Protoplasmafortsätze vereinigt und glaubte eine Vermehrung durch 
Knospung annehmen zu dürfen. — Zwei Jahre später beschrieb 
Fresenius?) den nämlichen Rhizopoden, welchen er in einem Ge- 
wächshauskübel aufgefunden hatte, unter dem Namen Arcella hyalina 
(Ehrenberg). Er fand an demselben eine zarthäutige durchsichtige 


1) Müller’s Archiv p. 204 und Taf. IX Fig. 17—21. 
2) Abhandlungen der Senkenberg. Gesellschaft. Bd. U, p. 211 und 
Taf. XII Fig. 1—24. 


Rhizopodenstudien. 119 


Hülle mit deutlicher Mündung. Im hinteren Theile des Weichkör- 
pers sah er den hellen runden Kern mit Kernkörperchen und beob- 
achtete häufig mehrere Tbiere in seitlicher Verbindung, gleich als 
ob sie in einer Längstheilung begriffen seien. Die Länge des Kör- 
pers bestimmte er zu YYar—'/ı Mm. 

Derselben Art gehört meiner Ansicht nach auch das von 
Archer im Jahre 1860 unter dem Namen Gromia socialis beschrie- 
bene !) Thier an, von dem jener Forscher als besondere Eigenthüm- 
lichkeit hervorhebt, dass häufig zwei oder mehrere Exemplare zu- 
nächst durch ihre Pseudopodien und später noch enger verschmelzen, 
so dass förmliche Colonien entstehen können. Als »specific charac- 
ters« führt Archer im Vol. X derselben Zeitschrift p. 124 folgende 
auf: »Very minute, often occurring socially, body bluish, granular, 
with a distinet, sharply marked white nucleus, pseudopodia elongate, 
branched, slender, reticulosely incorporated with each other, and 
often mutually with those proceeding from other individuals, and 
showing irregularly shaped expansions and carrying along in a 
slowish current minute opaque granules; test hyaline, colourless, 
orbicular or broadly elliptie.« 

Ein kleiner Süsswasserrhizopode, welchen ich bei Rostock, bei 
Dresden und auch bei Graz in den verschiedensten Teichen, Bassins, 
Pfützen etc. zwischen Wasserflanzen antraf; stimmt mit den eben 
erwähnten Beschreibungen so wesentlich überein, dass ich nicht 
umhin kann, ihn als zu der nämlichen Art gehörig zu betrachten 
und einzelne Differenzen entweder auf die verschiedene Auffassung 
der Beobachter oder auf lokale Variationen zu beziehen. 

Da die von Schneider gewählte Benennung sich auf ein 
Thier mit seitlicher Oeffnung bezieht, welches Ehrenberg in sei- 
nem grossen Infusorienwerke beschrieben und abgebildet hat und 
welches wahrscheinlich die Trinema acinus Dujardin’s, keinenfalls 
aber die hier in Rede stehende Form ist, ausserdem auch der Gat- 
tung Difflugia ganz andere Charactere zukommen, so ist wohl nicht 
daran zu denken, jenen Namen beizubehalten. Aber auch die Be- 
zeichnung Arcella hyalina (Ehrenberg), welche Fresenius vor- 
schlug, scheint mir unstatthaft, einmal weil das von Ehrenberg 
unter diesem Namen beschriebene und abgebildete Thier so wenig 


1) Quarterly journal of microsc. science. 1869. Vol. IX p. 390 und 
Taf. XX Fig. 7—11. 


120 Franz Eilhard Schulze: 


characteristisch dargestellt ist, dass es auch ebenso gut einen an- 
deren Rhizopoden darstellen kann, und weil unser Thier keineswegs 
in die Gattung Arcella gehört. Es bleibt demnach der von Archer 
gewählte Name, welcher mir auch deshalb passend erscheint, weil 
das Thier wirklich mit den bekannten Gromien in den wichtigsten 
Bauverhältnissen übereinstimmt, also zur Gattung Gromia gehört. 

Die Gestalt der mir zu Gesicht gekommenen Exemplare dieser 
Art wechselte zwischen der Kugel-, Ei- und quer elliptischen Form. 
Gewöhnlich zeigte sich vor der Schalenöffnung ein kleiner unregel- 
mässig begrenzter Vorstoss, gebildet von vorgetretener Protoplasma- 
masse, aus welchem die Pseudopodien hervorstrahlten. Der Durch- 
messer des ganzen Thieres variirte zwischen 0,03—0,04 Mm. Bei 
keinem andern beschalten Rhizopoden habe ich die Hülle so zart 
und weich gefunden wie bei diesem. Sie zeigt weniger den Cha- 
racter des Chitines als einer ejweissartigen Masse. Im Gegensatze 
zu den Angaben von Schneider und Archer sah ich sie stets 
dem Weichkörper unmittelbar anliegen. Vielleicht erklärt sich in- 
dessen die Angabe jener beiden Forscher, nach welcher der körnige 
Protoplasmaleib oft von der Schale zurückgezogen, diese nicht ganz 
erfülle, durch den Umstand, dass sehr häufig die äussere Rinden- 
partie des Weichkörpers ganz durchscheinend ist, so dass die körnige 
Masse erst in einer gewissen Entfernung von der Schaleninnenwand, 
und zwar bisweilen ziemlich scharf begrenzt gesehen wird. 

An dem von der Schale umschlossenen Weichkörper lassen sich, 
wie bei vielen der oben beschriebenen Süsswasserrhizopoden, drei 
hintereinander liegende Zonen unterscheiden, eine hinterste fast 
körnchenlose, in welcher der grosse wasserhelle Kern, dann die durch 
Einlagerung vieler stark lichtbrechender Körnchen ausgezeichnete 
mittlere oder Aequatorialzone, und endlich die vordere, zwar nicht 
ganz helle, aber doch nur von wenigen feinen Körnchen durchsetzte, 
in welcher die etwa aufgenommenen Nahrungsmittel, kleine Diato- 
meen, Algen etc. gefunden werden. Pulsirende Vacuolen habe ich 
hier niemals gesehen. 

Der eben erwähnte Kern fällt ausser durch seinen wasserklaren 
Inhalt auch durch das stets central gelegene grosse und stark 
lichtbrechende Kernkörperchen sofort in die Augen. Er pflegt ent- 
weder ganz kugelförmig oder quer oval zu sein und hat oft eine 
Breite von circa 0,02 Mm. Seine äussere Grenze ist gewöhnlich 
scharf ausgeprägt; dass sie aber wirklich von einer Membran gebildet 


Rhizopodenstudien. 121 


wird, erkennt man erst deutlich beim absterbenden Thiere oder 
nach der Einwirkung sehr verdünnter Essigsäure an der alsdann 
sichtbar werdenden doppelten Contur. Die einfach kreisrunde glatt- 
randige Oeffnung der Schale wird gewöhnlich von der schon oben 
erwähnten vorstehenden Protoplasmamasse verlegt. Letztere hat 
meistens die Form einer Halbkugel oder eines an der Spitze abge- 
rundeten niederen Kegels, stellt aber auch häufig nur einen ganz 
unregelmässigen, fortwährend seine Form ändernden Klumpen dar. 
Bisweilen ist dieser vorragende Theil des Protoplasmakörpers durch- 
aus hyalin und gleichmässig lichtbrechend, Taf. VI Fig. 13, meistens 
aber lässt er in sich feine Körnchen, auch wohl eine Anzahl kleiner 
mit heller Flüssigkeit erfüllter Vacuolen wahrnehmen, welche ihm 
nicht selten ein schaumiges Aussehen verleihen. Von Pulsation 
habe ich aber an diesen Vacuolen niemals etwas bemerken können. 

Die zahlreiclten, nach meiner Beobachtung durchaus körnchen- 
losen und glashellen Pseudopodien, welche von jenem Protoplasma- 
vorsprunge abgehen, entspringen entweder etwas verbreitert oder 
sogleich ganz dünn und fadenförmig aus demselben, theilen sich 
alsdann meistens mehrfach spitzwinklig und strecken sich hier und 
da einmal anastomosirend mehr oder minder lang aus, um schliess- 
lich äusserst fein zugespitzt zu enden. Während sie beim Fort- 
kriechen des Thieres über feste Körper sich an deren Oberfläche 
vollständig anlegen, können sie, wenn die kleine Gromie frei im 
Wasser schwimmt, eine ganz eigenthümliche, regelmässige und 
‚höchst zierliche Stellung einnehmen, indem sie von der seitlichen 
Peripherie des Protoplasmavorstosses aus unter fast gleichem Winkel 
zur Längsaxe des Thieres in der Fläche eines mehr oder minder 
flachen Trichtermantels nach hinten und aussen radiär abstrahlen. 
Zwei solcher frei schwimmenden Gromia socialis habe ich auf Taf. VI 
in Fig. 7 und 8 abgebildet. 

Eine sonderbare, allen bisherigen Beobachtern aufgefallene 
Eigenthümlichkeit unseres Thieres ist seine Neigung, mit anderen 
seiner Art zu kleinen Gesellschaften zu verschmelzen. Zwei Indi- 
viduen, welche sich nahe kommen, lassen zunächst einzelne Pseudo- 
podien zusammentliessen, so dass unregelmässige Fadennetze entstehen, 
wie sie von Archer loc. cit. Pl.XX Fig. 7 abgebildet sind; alsdann 
nähern sich die Thiere durch allmähliches Verkürzen dieses Verbin- 
dungsnetzes immer weiter, bis sie schliesslich mit den Mündungen 
nahe aneinanderliegen und die aus diesen frei vorstehenden Proto- 


122 Franz Eilhard Schulze: 


plasmaballen selbst zur Verschmelzung kommen. Dabei pflegen 
übrigens die beiden Körper selten so gelagert zu sein, dass sie sich 
mit ihren Mündungen gerade gegenüberstehen (eine Stellung, welche 
Schneider loc. cit. Fig. 20 abgebildet und als Copulationsact ge- 
deutet hat), sondern gewöhnlich seitlich gegeneinander gedrängt 
zu liegen, welche Verbindungsweise auch von Fresenius (loe. eit. 
Taf. XII) angegeben ist. Zu diesen zwei so verbundenen Thieren 
kann nun noch ein drittes m ähnlicher Weise hinzutreten (Taf. VI 
Fig. 12), dann ein viertes und noch mehrere, bis schliesslich ein 
ganzer Ballen entsteht, welcher etwa wie eine Traube von Hasel- 
nüssen aussieht. Gewöhnlich beschränkt sich allerdings eine solche 
Colonie auf 2—3 Glieder. Von der verschmolzenen Protoplasma- 
masse, welche zwischen den nebeneinander gelegenen Mündungen 
.der so vereinten Thiere gelegen ist, strahlen dann die Pseudopodien 
nach allen Richtungen zwischen den Schalen dürch nach aussen. 
Zu der Annahme, dass in dieser Vereinigung zweier oder mehrerer 
Individuen ein zur Vermehrung in Beziehung stehender Copulations- 
act zu sehen sei, habe ich durchaus keine Anhaltspunkte finden 
können. Dagegen scheint es mir nach einzelnen Wahrnehmungen 
nicht unwahrscheinlich, dass eine einfache Zweitheilung der Gromia 
socialis vorkommt. Ich habe nämlich nicht selten sehr in die Breite 
gezogene Thiere mit einer mehr oder minder tiefen, die zwei Seiten- 
hälften von einander trennenden ringförmigen Längseinschnürung 
gesehen, welche bald nur einen breitgezogenen mittleren Kern, bald 
in jeder der beiden Abtheilungen einen besonderen deutlich ent- 
wickelten Kern zeigten (Taf. VI Fig. 11). Da die äussere Hülle 
sehr weich ist, so kann ich in ihr kein Hinderniss für die Annahme 
einer bis zur schliesslichen Theilung gehenden Abschnürung sehen, 
wenngleich eine solche noch nicht direct beobachtet wurde. 


Pleurophrys, Claparede u. Lachmann. 
Taf. VI Fig. 1—8. 


Die Gattung Pleurophrys wurde von Claparede und Lach- 
mann!) mit folgender Characteristik begründet: »Les Pleurophrys 
sont chez les Actinophryens ce que sont les Difflugies chez les 
Amoebeens. Elles sont revetues d’une coque, munie d’une seule 


1) Etudes sur les infusoires et les rhizopodes. p. 454. 


Rhizopodenstudien. 123 


ouverture et formee par des substances &trangeres agglutindes au 
moyen d’un ceiment organique.« Als einzige Species haben sie in 
dieser neuen Gattung Pleurophrys sphaerica aufgeführt, deren Schale 
nach der loc. cit. Taf. 22 Fig. 3 gegebenen Abbildung aus Sand- 
körnchen aufgebaut ist. | 

Darauf hat Archer!) (allerdings mit einigen bedenken) drei 
Arten in diese Gattung gestellt, von denen er die eine für identisch 
mit der von Claparede und Lachmann beschriebenen Form 
hält, aber wohl mit Unrecht, denn sie ist seiner eigenen Beschrei- 
bung nach ganz bedeutend grösser als jene und mit einer eigen- 
thümlich feinkörnigen braunen Hülle versehen, welche doch gar sehr 
von der aus Kieselstückchen zusammengesetzten Schale der Pleuro- 
phrys sphaerica Clapare&de’s abweicht. Die beiden anderen, von 
Archer unter dem Namen Pl. amphitrematoides und Pl. fulva be- 
schriebenen Formen habe ich wiedergefunden und glaube, dass sie 
mit Recht in dieser Gattung untergebracht sind. 


Pleurophrys amphitrematoides, Archer. 
Taf. VII Fig. 1. 


Einmal habe ich in Rostock ein Thier gesehen, welches bis 
auf die fehlenden Chlorophylikörner vollständig dem in Fig. 2 der 
Taf. XX der Archer’schen Arbeit abgebildeten glich, also auch 
einen eiförmigen, unten abgestutzten, mit Diatomeen und einigen 
Kieselstückchen beklebten Panzer und aus dessen Oeffnung hervor- 
ragende hyaline, körnchenlose, spitzwinklig getheilte Pseudopodien 
besass; indessen möchte ich annehmen, dass die Benutzung von 
Diatomeenschalen durchaus nichts Typisches hat und dass die vielen 
gleichgestalteten und auch im Uebrigen gleichgearteten Rhizopoden, 
welche mir sowohl hier in Graz als auch in Rostock vorgekommen 
sind, deren Schale aber nur mit Sandkörnchen besetzt oder aus 
solchen aufgebaut erschien, zu der nämlichen Species zu rechnen sind. 

Ob nun dieses abgestutzt eiförmige Thier, dessen Länge circa 
0,06 Mm. beträgt, sich wirklich wesentlich von der als kugelig ge- 
schilderten Pleurophrys sphaerica Clapar&de’s unterscheidet, weiss 
ich nicht zu sagen; einstweilen habe ich es unter dem von Archer 
gewählten Namen aufführen zu müssen geglaubt. 


1) Quarterly journal of microscop. science. Vol. X, p. 17. 


124 Franz Eilhard Schulze: 


In Betreff des Weichkörpers kann ich nur angeben, dass ich 
zuweilen eine grössere Anzahl von rundlichen, ziemlich stark licht- 
brechenden Körnern in demselben wahrgenommen habe, welche den 
von Archer gesehenen Chlorophylikörnern bis auf die mangelnde 
Farbe durchaus glichen. Die Schale scheint aus einer zarten mem- 
branösen Grundlage zu bestehen, an welcher die Sandkörnchen 
aussen angeklebt sind. Die Pseudopodien fand ich so wie Archer 
sie beschreibt, hyalin, körnchenlos und mehrfach spitzwinklig ge- 
theilt. Uebrigens möchte ich auf die in dieser Beziehung abwei- 
chende Darstellung Clapar&de’s der Pseudopodien von Pl. sphae- 
rica, die er einfach fadenförmig und körnchenführend nennt, deshalb 
wenig Gewicht legen, weil auch nicht selten ungetheilte Pseudopo- 
dien vorkommen und die Körnchen an denselben überhaupt etwas 
sehr Unbeständiges zu sein scheinen. 


Pleurophrys fulva, Archer. 
Taf. VII Fig. 2 u. 3. 


Die dritte der von Archer aufgeführten Pleurophrysarten 
wurde von ihm ihrer braunrothen Färbung wegen als Pl. fulva be- 
zeichnet. Sie ist kleiner als die vorige, hat aber ähnliche Gestalt 
und eine mit Kieselstückchen mehr oder weniger dicht besetzte Schale. 
Archer ist der Ansicht, die braunrothe Färbung komme der orga- 
nischen Grundlage des Panzers zu, welcher die farblosen Sandkörner 
eingefügt oder angeklebt seien. Obwohl ich hier auch eine solche 
membranöse organische Hülle, welcher die Kieselstückchen aussen 
angeklebt sind, ähnlich wie bei Pl. amphitrematoides erkannt habe, 
so finde ich dieselbe doch durchaus farblos. Die braunrothe Färbung 
rührt vielmehr von einer Anzahl rundlicher glatter Körner her, 
welche in grösserer oder geringerer Menge dem Weichkörper in 
dessen mittlerem und vorderem Theile eingelagert sind. Als An- 
deutung des wohl als vorhanden anzunehmenden Kernes habe ich 
zuweilen in dem hinteren Theile einen rundlichen hellen Fleck mit 
einer kleinen centralen, wahrscheinlich einem Kernkörperchen ent- 
sprechenden dunkleren Stelle gesehen. 

Wie schon Archer bemerkte, sind bei dieser Art »Conjuga- 
tionszustände« zweier Individuen häufig zu beobachten. Dabei liegen 
die Thiere mit ihren rundlichen Schalenöffnungen genau aufeinander 


Rhizopodenstudien. 125 


und kann man zuweilen Strömungen der körnchenreichen Weichmasse 
aus einer Schale in die andere hinüber und herüber gehen sehen. 


Pleurophrys compressa, nov. spec. 
Taf. VIL Fig. 4 u. 5. 


Zu den Rhizopoden, welche eine mit Hülfe fremder Körper 
hergestellte einkammerige Schale besitzen und aus deren einziger 
Oeffnung fadenförmige Pseudopodien hervorstrecken, gehört auch 
eine platt zusammengedrückte ovale Form, welche ich (allerdings 
nur in einem Exemplare) im Bodensatze eines alten Wallgrabens 
bei Rostock gefunden und auf Taf. VII Fig. 4 und 5 abgebildet 
habe Die Länge des Thieres betrug 0,075, die Breite 0,04, die 
Dicke 0,01 Mm. Obwohl die vielen kleinen Kieselstückchen, welche 
einer zarten membranösen Hülle aufgeleimt zu sein scheinen, den 
Einblick in das Innere sehr erschwerten, so liess sich doch in dem 
hinteren Drittel des Weichkörpers ein der Form, Grösse und Lage 
nach einem Kerne wohl entsprechender rundlicher heller Fleck 
wahrnehmen. Die an dem schmaleren Ende (vielleicht nicht ganz 
in der Mittellinie) gelegene Oeffnung, deren Form an dem einen 
untersuchten Exemplare nicht ganz deutlich zu sehen war, liess 
einige zu Theilungen und netzförmigen Anastomosen geneigte feine 
hyaline Pseudopodien hervortreten. 


Pleurophrys lageniformis, nov. spec. 
Taf. VII Fig. 6-8. 


Zur Gattung Pleurophrys glaube ich endlich noch einen Rhizo- 
poden stellen zu müssen, welchen ich bei Warnemünde an dem vom 
Meere direct bespülten flachen Strande östlich von der Ostmoole in 
von lebenden Algen abgespültem Sande gar nicht selten antraf, und 
welchen ich wegen seiner an die Foraminiferengattung Lagena er- 
innernden Form PI. lageniformis nennen will. Seine Länge betrug 
0,06—0,07, seine grösste Breite circa 0,04 Mm. 

Zwar gestattete die aus dicht aneinander geleimten Sandkörn- 
chen bestehende Hülle die directe Wahrnehmung eines Kernes im 
Innern des Weichkörpers nicht, indessen muss ich nach den an zer- 
trümmerten Thieren gemachten Wahrnehmungen das Vorhandensein 
eines solchen wenigstens für wahrscheinlich halten. Der gewöhnlich 


126 Franz Eilhard Schulze: 


drehrunde, seltener etwas gebogene Körper zog sich nach vorne in 
einen mehr oder minder weit verlängerten Hals aus, an dessen 
quer abgestutztem äussersten Ende die runde, bisweilen von beweg- 
lichen Sandkörnchen umlagerte Oeffnung lag. Aus dieser letzteren 
strahlten eine Anzahl feiner, sich reichlich netzartig verbindender 
fadenförmiger Pseudopodien aus. 


Plagiophrys. (Claparede und Lachmann.) 


Die Gattung Plagiophrys wurde von Claparede und Lach- 
mann in ihrer Gruppe der Actinophryna für solche schalenlose 
Formen gegründet, deren fadenförmige Pseudopodien nur von einer 
bestimmten Stelle abgehen. Sie führten zwei Arten auf und be- 
zeichneten dieselben nach der Form des Körpers als Pl. eylindrica 
und Pl. sphaerica. Von diesen beiden Arten habe ich die erstere 
selbst gesehen und will das Wenige, was ich beobachten konnte, 
hier mittheilen. 


Plagiophrys eylindriea, Claparede u. Lachmann. 
Taf. VII Fig. 9. 


Sowohl in Rostock als hier in Graz habe ich an Ceratophyllum 
und anderen Süsswasserpflanzen bisweilen unregelmässig sackförmige, 
mit einem hinteren gewölbten und vorderen quer abgestutzten Ende 
versehene Rhizopoden von circa 0,05 — 0,07 Mm. Länge gefunden, 
an deren halbweichem opaken Körper nichts von einer Schale zu 
sehen war. Die fast ganz undurchsichtige feinkörnige Körpermasse 
schien von einer halbweichen zähen Consistenz zu sein; sie liess 
sich durch Druck in jede beliebige Form bringen. Freilich sprechen 
Clapar&de und Lachmann hier und da von einem »peau«, aber 
schon Archer hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Darstel- 
lung jener Forscher in Betreff dieser »peau« genannten Hülle inso- 
fern unklar blieb, als man nicht wissen kann, ob sie nur eine etwas 
dichtere Rindenschicht, welche continuirlich in die tiefer gelegene 
Masse übergeht, oder eine besondere abgesetzte Membran annehmen. 
Da sie übrigens wiederholt die Gattung Pleurophrys als »sans coque« 
bezeichnen und, mit Actinophrys zusammen, den beschalten Actino- 
phrya gegenüberstellen, so muss ich wohl das erstere als ihre An- 
sicht annehmen. 


Rhizopodenstudien. 127 


Leider ist die Körpermasse des Thieres viel zu undurchsichtig, 
um den wahrscheinlich vorhandenen Kern am lebenden Thiere deut- 
lich erkennen zu lassen. Selbst mit Hülfe verschiedener Reagentien 
sowie durch Zerquetschen des Thieres gelang es mir nicht, den 
Kern mit Sicherheit nachzuweisen, wenngleich eine hellere Stelle im 
hinteren Theile mit Wahrscheinlichkeit auf das Vorhandensein eines 
solchen hinweist. 

Von dem gewöhnlich quer abgestutzten und ein wenig zusam- 
mengezogenen vorderen Ende gehen hyaline fadenförmige und spitz- 
winklig verästelte Pseudopodien ab, welche hier und da Verschmel- 
zungen eingehen. 

Ob das vonArcher im Quarterly journal of microscop. science 
Vol. XI p. 146 ff. beschriebene und daselbst auf Taf. VII in Fig. 
11—16 abgebildete Thier, bei dem es ihm gelungen ist, mit Hülfe 
von Essigsäurebehandlung und Carmintinction einen Kern nachzu- 
weisen, wirklich mit der Plagiophrys sphaerica, Clap. u. Lachm. 
identisch ist, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls steht dasselbe 
dieser letzteren so nahe, dass auch für diese der Besitz eines Kernes 
um so wahrscheinlicher wird. 


Diplophrys Archeri, Barker. 
Taf. VII Fig. 10—15. 


Während bei den bisher besprochenen Rhizopodengattungen 
die fadenförmigen Pseudopodien nur von einer einzigen gewöhnlich 
durch die eine Schalenöffnung in ihrer Lage bestimmten Stelle des 
Weichkörpers abgehen, finden sich auch andere, bei welchen zwei 
bestimmte Pseudopodienursprungsstellen vorhanden sind. Eine der- 
artige schon seit mehreren Jahren bekannte Form ist die zuerst von 
Barker!) beschriebene, später von Greeff?) und besonders von 
Archer?) genauer studirte Diplophrys Archeri, Barker, ein kleines 
Thier mit kugligem glatten Körper von 0,01—0,02 Mm. Durchmesser, 
von welchem an zwei sich ziemlich diametral gegenüberstehenden 
Polen je ein Büschel sehr feiner hyaliner und meistens ungetheilter 
gerader Pseudopodien ausstrahlt. 


\ 


1) Dublin mieroscop. Club Minutes. 19. Dec. 1867. 

2) Dieses Archiv Bd. V, p. 494 u. Taf. XXVI, Fig. 26—28. 

3) Quarterly journal of microse. seience. Vol. X, p. 101—103 u. Vol. XI, 
p. 144 ff, u. Pl. Vi u. VI. 


128 Franz Eilhard Schulze: 


Die gewöhnliche kugelige Form kann übrigens durch eine geringe 
Streckung in der Polaxe auch zu einer mehr ellipsoiden werden. 

Ob die glatte scharfe äussere Contur des Körpers nur die 
Grenze des Protoplasmas oder eine besondere abgegrenzte Membran 
bezeichnet, ist auch hier schwer zu entscheiden, doch scheint mir 
das letztere wahrscheinlicher. Archer ist gleichfalls geneigt, 
»a definite integument« anzunehmen und Greeff spricht von 
einer »hyalinen Blase«. 

Im Innern des sehr hellen, nur ganz leicht körnig getrübten 
Protoplasmas fällt vor Allem ein glänzender und stark lichtbrechen- 
der kugeliger, glatt begrenzter Körper von sehr verschiedener Grösse 
auf. Derselbe zeichnet sich gewöhnlich durch schöne Bernsteinfarbe 
aus, seltener ist er ganz blassgelb oder gar farblos; zuweilen zeigt 
er ein leuchtendes Rubinroth. Seinem optischen Verhalten nach 
muss man ihn für einen Oeltropfen resp. eine Fettkugel halten. 
Gerade so wie in einer gewöhnlichen Fettzelle des Wirbelthierkör- 
pers der Fetttropfen je nach dem Ernährungszustandes des Thieres 
die Zelle mehr oder minder vollständig ausfülll, nach längerem 
Hungern wohl gar auf ein oder wenige Körnchen herabsinkt, wobei 
dann der für gewöhnlich nur schwer sichtbare, weil ganz zur Seite 
gedrängte Zellkern allmählich mit dem zunehmenden Schwunde des 
Fetttropfens immer deutlicher hervortritt, so variirt auch bei Diplo- 
parys Archeri die Grösse der Oelkugel und man erkennt den Kern, 
wenn die Oelkugel fast den ganzen Körper des Thieres ausfüllt, 
nur schwer, oder findet ihn vollständig plattgedrückt an einer Seite 
liegend. Nimmt aber die Oelkugel nur einen kleinen Theil des 
Körpers ein, so lässt sich der Kern gewöhnlich sehr leicht wahr- 
nehmen als ein kugeliges oder ellipsoides Bläschen mit wasserklarem 
Inhalte und mit centralem, mässig stark lichtbrechenden Kernkör- 
perchen. 

Greeff giebt 1. c. p. 495 an, dass er diese mit doppeltem 
Pseudopodienbüschel und glänzendem Inhaltskörperchen versehenen 
Rhizopoden auch zu Colonien vereinigt angetroffen habe und spricht 
die Vermuthung aus, dass sie von gewissen gelblichen Körpern ab- 
stammen, welche er im Innern seiner Acanthocystis spinifera in 
Menge fand und zuweilen durch deren Stachelhaut nach aussen 
durchbrechen sah. 

Beides hält Archer für unrichtig. Die von Greeff beobach- 
teten und loc. cit. Fig. 25 und 29 dargestellten Colonien sieht er 


Rhizopodenstudien. 129 


als zu seiner Cystophrys oculea gehörig an und beruft sich dabei 
besonders auf die beträchtlich geringere Grösse der aggregirten 
Kugeln im Gegensatz zu den isolirt lebenden, sowie ferner auf den 
Umstand, dass bei den Colonien eine gemeinsame Protoplasmamasse 
die einzelnen öltropfenhaltigen Kugeln vereinige, und endlich darauf, 
dass er bei kleineren Colonien die Pseudopodien nicht von den Ku- 
geln, sondern gerade von den Zwischenräumen derselben habe aus- 
gehen sehen. Zu der Annahme einer Abstammung der Diplophrys 
von den gelben Körnern der Acanthocystis spinifera (Greefi) aber 
sei durchaus kein genügender Grund vorhanden, da beide Gebilde 
durchaus verschieden gebaut und Uebergänge zwischen denselben 
keineswegs nachgewiesen seien. Dagegen hält Archer es nicht für 
unwahrscheinlich, dass gewisse von ihm entdeckte isolirt lebende 
kugelige Wesen, welche in der Mitte einen gelbröthlichen fettglän- 
zenden Körper, ähnlich dem bei Diplophrys gefundenen, enthalten 
und ringsum mit Sandkörnchen, Diatomeen oder anderen fremden 
Körpern besetzt sind, in einer bestimmten Beziehung zu Diplophrys 
Archeri stehen, wenngleich es ihm nicht gelang, an denselben Pseu- 
dopodien wahrzunehmen. 

In Betreff der streitigen, auch von mir gar nicht selten ange- 
troffenen Colorien muss ich die von Archer besonders hervorgeho- 
bene und auch schon von Greeff in seinen Abbildungen ausgedrückte 
Thatsache anerkennen, dass in demselben die gelbe Oeltropfen führen- 
den kugligen Körper bedeutend kleiner erscheinen, als die meisten 
der isolirt lebenden Diplophrys Archeri, und dass namentlich bei 
srossen Haufen sämmtliche Kugeln in eine gemeinsame Protoplasma- 
masse eingebettet sind, von welcher die Pseudopodien radienartig 
nach allen Seiten ausstrahlen, ohne noch zu den einzelnen Kugeln 
bestimmte Beziehungen zu zeigen; indessen scheint mir aus beiden 
Umständen um so weniger eine wesentliche Differenz gefolgert wer- 
den zu dürfen, als erstens die einzelnen Kugeln der aus weniger 
zahlreichen und dann auch gewöhnlich etwas grösseren Elementen 
zusammengesetzten Colonien sich ausser in der Grösse durch gar 
Nichts von dem Körper einer Diplophrys unterscheiden, ja sogar 
oft sehr deutlich den Kern erkennen lassen, und zweitens bei vielen 
zu Colonien zusammentretenden Rhizopoden die Pseudopodien zu 
einer gemeinsamen, die einzelnen Glieder verbindenden und umhül- 
lenden Protoplasmamasse verschmelzen, von welcher dann die ein- 
zelnen Scheinfüsschen in einer zur ganzen Colonie concentrirten 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 9 


Dr 


130 Franz Eilhard Schulze: 


Richtung abgehen, z. B. bei Raphidiophrys viridis. Uebrigens habe 
ich, wenn nur wenige ’(der Diplophrys an Grösse nahe kommende) 
Kugeln vereinigt waren, gar nicht selten die Pseudopodien noch 
ganz deutlich von den einzelnen Kugeln abgehen sehen. Sollte es 
nicht ganz wohl denkbar sein, dass die zu Colonien vereinigten 
kleineren Kugein eben noch junge Formen, vielleicht eine junge 
Brut sind, welche, allmählich wachsend, sich zunächst in kleinere 
Haufen trennen und schliesslich gänzlich isoliren? Dass dann mit 
der grösseren Isolirung auch eine bessere Ernährung und in Folge 
dieser eine Grössenzunahme der Individuen erfolet, würde leicht 
begreiflich sein. Ich sehe deshalb keinen Grund, die von Greeff 
in Fig. 25 und 29 seiner Taf. XXVII im V. Bande dieses Archives 
dargestellten Bildungen für etwas anderes anzusehen, als Greeff 
selbst, nämlich für Colonien von Diplophrys Archeri, und möchte 
auch Archer’s Cystophrys oculea für eine solche halten. Weniger 
plausibel finde ich die Hypothese Greeff’s von der Entwicklung 
der Diplophrys Archeri aus den gelben Körnern von Acanthocystis 
spinifera; denn wenn auch Greeff angiebt, dass die bisweilen gelb- ' 
elänzend erscheinenden Körner jener Heliozoe unter Umständen 
nach dem Austritte einen hellen Hof zeigen, so ist damit doch ihre 
Umbildung in die mit doppeltem Pseudopodienbüschel und einem 
Kerne versehene Diplophrys Archeri keineswegs wahrscheinlich 
gemacht. Dagegen halte ich die Vermuthung Archer’s, dass Di- 
plophrys Archeri sich später mit fremden Körpern, Sandkörnchen, 
Diatomeenschalen und dergleichen bekleide und daraus sich förm- 
liche Kugelgehäuse bauen könne, für zutrefiend und kann selbst 
einige Beobachtungen mittheilen, welche für diese Annahme sprechen. 
Während nämlich Archer nur einfache, mit fremden Körpern be- 
setzte Kugeln beobachtete, welche zwar im Innern einen den röth- 
lich gelben Fettkugeln der Diplophrys gleichenden glänzenden Körper 
und eine diesen umhüllende Protoplasmaschicht besassen und schon 
dadurch sehr an Diplophrys Archeri erinnerten, aber niemals einen 
Kern und Pseudopodien erkennen liessen, habe ich in einigen Fällen 
auch jene beiden letzteren Bildungen mit Sicherheit an derartigen 
erst theilweise incrustirten Kugeln wahrnehmen können. Die in 
Fig. 13—15 auf Taf. VII wiedergegebenen Zeichnungen, welche nach 
in Rostock lebend beobachteten Thieren angefertigt wurden, dürften 
die Aehnlichkeit solcher Gebilde mit grösseren Exemplaren von Di- 
plophrys Archeri und den wahrscheinlichen Modus ihrer Entstehung 


Rhizopodenstudien. 131 


aus derselben am Besten veranschaulichen. Das in Fig. 13 darge- 
stellte Thier, welches erst wenige kleine Sandstückchen nebst einer 
körnigen Masse an der Oberfläche seines kugeligen Körpers ange- 
häuft hatte, liess in seinem Innern neben einem mässig grossen 
gelblichen Fetttropfen einen deutlichen Kern mit Kernkörperchen 
erkennen und zeigte eine Anzahl feiner gerader Pseudopodien, von 
welchen einige nicht ganz radiär, sondern mehr zu einem Büschel 
vereint, die meisten allerdings streng radiär gestellt erschienen. Bei 
einem anderen Exemplar (Fig. 14) war die Menge der angelagerten 
Fremdkörper schon beträchtlicher, der Kern deshalb nicht mehr 
deutlich zu sehen und alle Pseudopodien waren radiär gerichtet. 
Endlich fand sich noch ein mit Kieselstückchen ganz dicht besetztes, 
auch mit durchaus radiären Pseudopodien versehenes Thier, aus 
dessen Mitte aber doch auch noch eine kleine gelbrothe Fettkugel 
hervorleuchtete !). 

Aus der grossen vieldurchforschten Abtheilung der Foramini- 
feren im engeren Sinne will ich hier nur einige von mir bei Warne- 
münde in der Ostsee und im Braakwasser aufgefundene und näher 
studirte Formen erwähnen. Dieselben dürften schon ihres Vorkom- 
mens an einer Stelle wegen, an welcher man bisher kaum Foramini- 
feren vermuthet hat, specielleres Interesse verdienen. 

Wenn man von der bereits oben genannten Gromia oviformis 
absieht, so waren es im Ganzen vier Foraminiferenarten, welche ich 
bei Warnemünde angetroffen habe, von denen zwei am Grunde des 
Meeres, etwa '/s Meile von der Küste entfernt, in einer Tiefe von 
8—9 Faden im Sande, zwei dagegen im Braakwasser der Warnow- 
mündung in den von den Pfählen abgekratzten Massen vorkamen. 

Die beiden Meeresformen gehören zu den Foraminifera perforata 
Carpenter’s; es sind die allbekannten, in der Nordsee so ausser- 


1) Diese Worte waren schon geschrieben, als mir eine neue Mittheilung 
von Greeff »über Radiolarien und radiolarienartige Rhizopoden des süssen 
Wassers« aus den Sitzungsberichten der Marburger naturw. Gesellschaft vom 
November 1873 durch die Güte des Herrn Verfassers zuging, in welcher eine 
neue Heliozoenform unter dem Namen Elaeorhanis ceincta auf p. 57 beschrie- 
ben wird, welche wohl mit dem zuletzt besprochenen und auf. Taf, VI in 
Fig. 13—15 dargestellten Thiere identisch ist. Jedenfalls verdient der von 
mir vermuthete Zusammenhang dieser Form mit Diplophrys Archeri noch 
eingehende Prüfung. 


132 Franz Eilhard Schulze: 


ordentlich häufigen, von Ehrenberg!) schon im Jahre 1839 lebend 
studirten Polystomella striatopunctata, Fichtel u. Moll = 
Geoponus stella borealis, Ehrenberg, und Nonionina depressula, 
Walker u. Jakob = Nonionina germanica, Ehrenberg. 

Die beiden im Braakwasser gefundenen gehören dagegen zu 
den nur mit einer grossen Panzeröffnung versehenen Foraminifera 
imperforata Carpenter’s. 

Sie allein sollen hier eingehender besprochen werden. 


Spiroloeulina hyalina, nov. spec. 
Taf. VI Fig. 14, 15 und 16. 


In einem Aquarium, welches seit etwa einem Jahre mit Pflanzen 
und Thieren von den Pfählen der Warnowmündung besetzt war, 
entdeckte ich in dem schlammigen Bodensatze zahlreiche glashelle 
Schalen einer langgezogenen Spiroloculina aus sehr verschiedenen 
Entwicklungsstadien. Da ich eine solche Form in der mir zugäng- 
lichen Litteratur nicht beschrieben finde, sie also für neu halten 
muss, so nenne ich sie Spiroloculina hyalina wegen ihrer völlig 
durchsichtigen glashellen Schale. 

Leider konnte ich eben nur die Schalen und keine lebenden 
Thiere erlangen, und muss mich daher auf die Beschreibung der 
ersteren beschränken. 

Die in einer Ebene aufgewundenen, je eine halbe Windung 
ausmachenden Kammern sind seitlich etwas zusaınmengedrückt, am 
hinteren Ende schwach aufgetrieben, nach vorne zu beträchtlich 
verengert. Daher kommt es, dass die ganze Schale in der Seiten- 
ansicht (Taf. VI Fig. 14) eine leicht S-förmige Biegung zeigt. 

Die etwa halbkreisförmige glatte Mündung wird zum Theil 
verlegt durch einen von der Aussenfläche der vorletzten Windung sich 
in das Mündungslumen erhebenden Zahn, dessen hinterer oberer 
Rand allmählich ansteigt, während der vordere ziemlich steil und 
nur mit einer kleinen Convexität abfällt. Da alle Schalen ganz 
durchsichtig sind, so kann man an einem jeden älteren Exemplare 
nicht nur die letztere, sondern auch die sämmtlichen früher gebil- 
deten Kammern und ihre Verbindung genau erkennen. Ausserdem 


1) Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften. Jahrgang 
1839 und 1841. 


Rhizopodenstudien. 133 


konnten die so gemachten Wahrnehmungen auch noch durch die 
Untersuchung jüngerer Entwicklungsstufen controlirt werden. 

Es zeigt sich nun, dass die allererste Kammer aus einer läng- 
lich birnförmigen Kapsel mit umgelegter halbröhrenförmiger Fort- 
setzung besteht, welche letztere gegen das Ende zu sich beträchtlich 
verengt. An die Oeffnung dieser ersten Kammer — in der ich 
übrigens weder bei älteren noch bei ganz jungen Individuen einen 
Zahn bemerkt babe — legt sich nun die zweite Kammer in der 
Weise an, dass der von aussen etwas abgeschrägte Rand der ersten 
älteren von dem in entsprechender Weise von innen abgeschrägten 
Anfangstheile der zweiten gedeckt wird. Auch bei dieser letzteren 
verengt sich das anfangs stark aufgetriebene Halbrohr, indem es 
sich um den hinteren Theil der ersten Kammer herumlegt, allmählich 
sowohl von oben als auch seitlich, so dass das letzte, die halb- 
kreisförmige Oeffnung begrenzende Ende erheblich schmaler erscheint 
als der Hintertheil der ersten Kammer. Die zweite Kammer pflegt 
mit ihrem Vorderende die erste kaum oder gar nicht zu über- 
ragen und bei allen übrigen später gebildeten bleibt das Vorderende 
sogar ein wenig zurück hinter dem hinteren Ende der vorhergehen- 
den Windung. 

In der Mündung der zweiten Kammer findet sich wie bei allen 
folgenden ein Zahn von der oben beschriebenen Art. 

Jede folgende Kammer fügt sich nun (einer halben Windung 
entsprechend) in der nämlichen Ebene der ihr vorhergehenden an, 
indem sie zunächst den hinteren Theil der gerade unter ihr gelegenen 
zweitletzten Kammer kappenartig halb umfasst und sich dann über 
diese, sie zum Theil deckend, hinzieht, um auch noch auf das hin- 
tere Ende der letzten ihr unmittelbar vorhergehenden Kammer 
überzugreifen (Taf. VI Fig. 16). 

Von den gewöhnlichen Bauverhältnissen der Gattung Spiro- 
loculina weicht die hier beschriebene Art insofern ab, als die ein- 
zelnen Kammern die vorhergehenden ziemlich weit umfassen und 
mit ihrem Vorderende nicht über den Schalenrand hinausragen, ja 
diesen nicht einmal erreichen. Man könnte daher zweifelhaft sein, 
ob sie auch wirklich zu der Gattung Spiroloculina und nicht viel- 
mehr zu der Gattung Quinqueloculina zu stellen sei, wenn nicht das 
Aufwickeln der sämmtlichen Kammern in einer Ebene entschieden 
dagegen spräche. Immerhin mag man in dieser Form eine Annähe- 
rung an den Bau der Quinqueloculina finden. 


134 Franz Eilhard Schulze: 


Quinqueloenlina fusca, Brady. 
Taf. VI Fig. 19—20. 


Im Jahre 1865 berichtete Brady!) von einer im Braakwasser 
der englischen Küste häufigen Quinqueloculina, welche statt der 
sonst bei den Milioliden vorkommenden porzellanartigen Kalkschale 
ein hauptsächlich aus Sandkörnchen zusammengesetztes bräunliches 
Gehäuse mit chitiniger Grundlage und geringem Kalkgehalte besitze. 
Er hielt dieselbe zunächst für identisch mit der von d’Orbigny 
aus dem Sande von Cuba und Jamaica?) beschriebenen Quinque- 
loculina agglutinans d’Orbigny, überzeugte sich jedoch später?®), dass 
diese Braakwasserform von der Qu. agglutinans d’Orbigny’s durch- 
aus verschieden ist, nannte sie darauf Quinqueloculina fusca und 
beschrieb sie näher unter Hinzufügung einiger Abbildungen. 

Eine von mir im Schlicke der Warnowmündung, besonders in 
dem Pflanzenüberzuge der Pfähle sehr häufig gefundene braune 
Quinqueloculina mit Sandgehäuse stimmt mit der Qu. fusca Brady’s 
hinlänglich überein, um sie als zu der nämlichen Species gehörig 
anzusehen. Einige Abweichungen, auf welche ich gelegentlich spe- 
ciell aufmerksam machen will, finden wahrscheinlich in der schon 
von Brady besonders hervorgehobenen grossen Variabilität dieser 
Art ihre Erklärung. Dass übrigens die nämliche Form, welche ich 
im Ostseebraakwasser antraf, auch an der englischen Küste vor- 
kommt, davon habe ich mich bei Gelegenheit der Pommeraniaexpe- 
dition im Jahre 1872 selbst überzeugen können, indem ich im 
Schlick des Hafens von Yarmouth ganz ähnliche Schalen fand, wie 
in Warnemünde. 

Die von mir studirten Thiere haben im, entwickelten Zustande 
eine ziemlich langgestreckte Form, mit fast parallelen Seitenrändern, 
stark gewölbtem Hinterende und ziemlich quer abgestutztem Vorder- 
ende. Sie sind etwa 0,28 Mm. lang und 0,15 Mm. breit; doch 


1) Catalogue of the recent Foraminifera of Northumberland and Dur- 
ham; in den Natur. hist. Transactions of Northumberland and Durham. Vol. I. 
1865, p. 87—9. AREre 

2) Ramon de la Sayra. Hist. phys. de l’isle de Cuba. Foraminiferes 
par A. d’Orbigny. p. 195 u. Taf. XII Fig. 11—13. 

3) Brakish-water Foraminifera in den Annals of natur. hist. 1870. 
Vol. IV, p. 286 u. Pl. XI Fig. 2a. 


‚, Rhizopodenstudien. 135 


kommen zuweilen auch erheblich grössere und häufig kleinere Exem- 
plare vor, Die einzelnen Kammern springen rundlich vor, zeigen 
einen fast halbkreisförmigen Querschnitt und sind gewöhnlich ganz 
in der für die Gattung Quinqueloculina ursprünglich von d’Orbigny 
als typisch hingestellten Weise so zu einander gelagert, dass man 
bei der Betrachtung des Thieres von dem hinteren oder vorderen 
Ende stets fünf äussere rundliche Vorsprünge sieht und bei der 
Seitenansicht zwischen den beiden zuletzt angelegten, also grössten 
Kammern, einerseits zwei, andrerseits eine Kammer wahrnimmt, wie 
das auch in den von Brady gegebenen Zeichnungen ausgedrückt ist. 
Das hintere Ende jeder Kammer setzt sich durch eine etwas über- 
greifende kuppenartige Erweiterung von der vorhergehenden ab. 
Das quer abgestutzte Vorderende reicht etwa bis zum Hinterende 
der vorhergehenden Windung. Die annähernd halbkreisförmige End- 
öffnung zeigt niemals einen besonders abgesetzten vorspringenden 
Randwulst, wie Brady ihn in seinen Zeichnungen darstellt, dagegen 
finde ich in derselben sehr häufig einen deutlich entwickelten Zahn, 
den Brady weder zeichnet noch erwähnt. Die jüngsten mir bekann- 
ten Formen besitzen eine Schale, welche nur aus einer kugeligen 
Centralkapsel und einer von dieser abgehenden und sich in einer 
vollständigen Windung um dieselbe in einer Ebene herumlegenden 
Röhre besteht (Taf. VI Fig. 20). 

In Betreff des Materiales, aus welchem die ganze Schale auf- 
gebaut ist, stimmen meine Wahrnehmungen durchaus mit denjenigen 
Brady’s überein. Es sind keineswegs die Sandkörnchen allein, 
welche die Schale zusammensetzen, sondern es findet sich eine chitin- 
artige organische Grundlage mit einem geringen Gehalte an kohlen- 
saurem Kalke, an oder in welche mehr oder minder zahlreiche 
Sandkörnchen verschiedener Grösse eingefügt sind. An jüngeren 
Schalen ist der Sandbesatz im Allgemeinen spärlicher als bei älteren. 
Bei manchen Exemplaren ragen die einzelnen Körnchen deutlich 
über die Oberfläche hervor, bei andern bleiben sie mehr im Niveau 
der letzteren und lassen dadurch die ganze Schale mehr glatt er- 
scheinen, wie dies bei den von Brady untersuchten Thieren Regel 
gewesen zu sein Scheint. 

Die rothbraune Färbung des ganzen Thieres rührt wahrschein- 
lich zum grössten Theile von der inneren Weichmasse her, doch mag 
auch die organische Grundlage des Panzers ein wenig gefärbt sein. 

Das lebende Thier pflegt durch die eine Panzeröffnung eine 


136 Franz Eilhard Schulze: 


Anzahl langer fadenförmiger Pseudopodien hervorzustrecken, welcho 
sich vielfach theilen und mit einander anastomosiren, auch häufig 
knotige oder spindelförmige Anschwellungen erkennen lassen. Deut- 
liche Körnchen wurden durchaus nicht immer angetroffen. 

In Betreff der Natur des inneren Weichkörpers bin ich über 
die von M. Schultze an Milioliden gemachten Wahrnehmungen im 
Allgemeinen nicht hinausgekommen und will nur das hier noch 
erwähnen, dass ich trotz vieler Bemühungen nur einmal im Innern 
der nach dem Zertrümmern des Panzers hervortretenden körnigen 
Sarkode ein ovales bläschenförmiges Gebilde gesehen habe, welches, 
mit einem nucleusartigen Centralkörper versehen, wohl für einen 
Kern gehalten werden konnte. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel V bis VII. 


TatelV. 


Fig. 1. Leere Schale einer Euglypha alveolata, Duj., aus Rabenau bei Dres- 

den. Vergr. °°0/,. Einstellung auf die Oberfläche. 

Eine lebende Euglypha alveolata aus dem grösseren Bassin des bo- 

tanischen Gartens in Graz. Vergr. °%/,. Einstellung auf die Mitte 

des Körpers. 

Fig. 3. Euglypha compressa, Carter, aus einem Teiche bei Graz. Vergr. °%%/,. 
Ansicht des lebenden Thieres von der Seitenkante. Man sieht den 
im hinteren Theile des Weichkörpers gelegenen hellen Kern und 
eine pulsirende Vacuole durchschimmern. 

Fig. 4. Euglypha compressa, Carter, aus einem Teiche bei Graz. Vergr. 3%%/,. 
Ansicht des lebenden Thieres von der flachen Seite. Einstellung 
auf die Mitte des Körpers. Man erkennt deutlich den grossen 
wasserhellen Kern mit einigen dunkelen Körperchen in der Mitte; 
ferner eine grössere und zwei kleinere pulsirende Vacuolen, sowie 


Fig. 


td 


einige als Nahrung aufgenommene Diatomeen. 

Fig. 5. Euglypha globosa, Carter, aus einem Teiche bei Graz. Vergr. °%%,. 
Einstellung auf die Oberfläche. Der grosse helle Kern schimmert 
durch. Pulsirende Vacuolen sind nicht zu bemerken. Pseudopo- 
dien fehlen. 

Fig. 6. Der vordere Theil einer Schale von Euglypha globosa, Carter, in 
der Ansicht von der schmalen Kante des Mündungssaumes. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


. ‚10, 


Ball. 


ul2, 


„13. 


. 14. 


nor 


16. 


17. 


18. 


19. 


Rhizopodenstudien. 137 


Euglypha (wahrscheinlich auch globosa, Carter), ohne Mündungssaum, 
aus dem nämlichen Teiche, aus welchem Nr. 5 und 6 stammen. 
Vergr. 80%,. Einstellung auf die Oberfläche. Der grosse helle Kern 
und eine pulsirende Vacuole schimmern durch. 


. Ansicht des nämlichen in Fig. 7 von der Seite dargestellten Thieres 


vom hinteren Ende. Vergr. °%/,. Einstellung auf die Mitte. 


. Trinema acinus, Dujardin, aus einem Bassin des botanischen Gartens 


in Graz. Vergr. °%0/,. Einstellung auf die Mitte. Der im hinteren 
Theile des Weichkörpers gelegene helle Kern mit Kernkörperchen, 
sowie die daneben und etwas davor liegende pulsirende Vacuole sind 
deutlich zu erkennen. 

Trinema acinus, Dujardin, ebendaher. Vergr. °°%/,. Ansicht von 
der Seite. Einstellung auf die Oberfläche. 

Trinema acinus, Dujardin, ebendaher. Vergr. °%/,. Ansicht von 
der Seite. Einstellung auf die Mitte. 

Cyphoderia margaritacea, Schlumberger, aus Rabenau bei Dresd en 
Vergr. 00/),. Leerer Panzer. Ansicht von der Seite. Einstellung 
auf die Oberfläche. 

Cyphoderia margaritacea, Schlumberger, aus Rabenau bei Dresden 
Vergr. 60/,. Im Weichkörper bemerkt man den hellen Kern und 
zwei pulsirende Vacuolen. 

Bruchstück eines zerdrückten Panzers einer Cyphoderia margaritacea 
aus Rabenau bei Dresden. Vergr. 3%],. 

Bruchstück eines zerdrückten Panzers von Üyphoderia marg. aus 
Rabenau bei Dresden. Die abgerundet sechseckigen Platten tragen 
leistenförmige, in V-Form gestellte Verdickungen und decken sich 
mit ihren Rändern ein wenig dachziegelförmig. Vergr. 1200. 
Bruchstück eines zerdrückten Panzers von einer Cyphoderia marga- 
ritacea aus dem Wallgraben bei Rostock. Die regulär sechseckigen 
Platten liegen mit ihren Seitenrändern aneinander und decken sich 
wenig oder gar nicht. In der Mitte läuft eine Spalte durch. 
Voergr.\21090/,. 

Cyphoderia margaritacea, Schlumberger, aus dem Wallgraben bei 
Rostock. Einstellung auf die Mitte. Man erkennt den Kern mit 
deutlichkem Kernkörperchen und mehrere pulsirende Vacuolen. 
Nergr. 2092. 

Cyphoderia margaritacea, aus der Warpowmündung (Braakwasser). 
Ansicht schräge von der Seite und etwas von unten. Im Weich- 
körper wird der Kern mit Kernkörperchen sichtbar, sowie einige 
pulsirende Vacuolen. Vergr. *°/.. 

Cyphoderia margaritacea, zwei mit den Panzeröffnungen aneinander 
haftende Exemplare aus dem von Pfahlmuscheln (Mytilus edulis) 
der Kieler Bucht abgespülten Schlicke. Man erkennt die Kerne. 
Mergr, 22%/,. 


138 Franz Eilhard Schulze: 


Fig. 20. Cyphoderia margaritacea aus einer Sandprobe, welche !/, Meile vor 
Warnemünde von dem 9 Faden tiefen Grunde der Ostsee entnom- 
men war. Das Thier sitzt mit seinem ausgezeichnet grossen mem- 
branösen Mundsaum einem Steinchen auf. Vergr. 20/,. 

Fig. 21. Cyphoderia truncata, nova species, aus einem Ostseewasseraquarium. 
Ein heller Kern schimmert durch, Vergr. °],. 

Fig. 22. Cyphoderia truncata, leere Schale aus einem Ostseewasseraquarium. 
Vergr. °°/,. Einstellung auf die Oberfläche der Schale. 


Tafel VI. 


Fig. 1 u. 2. Platoum parvum, nov. gen., nov. spec., aus einem ÖÜstsee- 
wasseraquarium. Vergr. °°%/,. Von der flachen Seite gesehen. Ein- 
stellung auf die Mitte. 

Fig. 3. Ein Thier derselben Art aus dem nämlichen Aquarium, von der 
schmalen Seite gesehen. Die eine Seite der hyalinen Schale ist 
stark eingezogen. Der Weichkörper zu einem kleinen Klumpen 
eontrahirt. Vergr. °%/,. 

Fig. 4a u. b. Optische Querschnitte des Panzers von zwei Individuen der- 
selben Art. Vergr. °%%],. 

Fig. 5. Gromia granulata, spec. nov., aus dem Wallgraben bei Rostock. 
Vergr. °°0/,. Einstellung auf die Mitte. 

Fig. 6. Eine Gromia granulata nach Behandlung mit sehr verdünnter Essig- 
säure. Vergr. °%/,. Die hyaline membranöse Hülle ist ausgedehnt 
und lässt die rundliche Endöffnung erkennen. Kernmembran und 
Kernkörperchen ist sehr deutlich geworden. 

Fig. 7 u. 8. Gromia socialis, Archer, aus der Warnow bei Rostock, frei im 
Wasser schwebend. Vergr. ®%%,,. 

Fig. 9. Zwei Exemplare von Gromia socialis, Archer, aus der Warnow bei 
Rostock in seitlicher »Conjugation«e, von oben (hinten) gesehen. 
Vergr. *9]\. 

Fig. 10. Eine quer verzogene kriechende Gromia socialis Archer aus einem 
Bassin des botanischen Gartens in Graz. Vergr. °°0,. 

Fig. 11. Eine anscheinend in der Theilung begriffene Gromia soeialis Archer, 
aus einem Bassin des botanischen Gartens in Graz. Vergr. °],. 

Fig. 12. Drei in seitlicher »Conjugation« begriffene Exemplare von Gromia 
socialis, Archer, aus einem Bassin des botanischen Gartens in Graz. 
Vergr. 197,. 

Fig. 15. Eine Grömia soeialis, Archer, kriechend, aus einem Bassin des bo- 
tanischen Gartens in Graz. Vergr. °°%],. 

Fig. 14. Spiroloculina hyalina, von Warnemünde. Leere Schale. Ansicht von 
der Seite und etwas schräge. Vergr. °0).. 

Fig. 15. Jüngste beobachtete Spiroloeulina hyalina von Warnemünde, leere 
Schale, a) Ansicht von der Seite, 

b) Ansicht von oben. Vergr. °°/,. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Rhizopodenstudien. 139 


. 16. Zweikammerige Schale einer Spiroloculina hyalina von Warnemünde, 


a) in der Ansicht von der Seite, 
b) Ansicht von oben. Vergr. °%/,. 


. 17. Leere Schale einer Quinqueloculina fusca, Brady, von Warnemünde. 


Ansicht von der Seite. Vergr. *9/,. 


. 18. Leere Schale einer Quinqueloculina fusca, Brady, von Warnemünde, 


Ansicht vom hinteren Ende. Vergr. *°/.. 


. 19. Lebende Quinqueloculina fusca, Brady, von Warnemünde, mit ausge- 


streckten Pseudopodien. Vergr. *],. 


. 20. Leere Schale der jüngsten beobachteten Quinqueloculina fusca, Brady, 


von Warnemünde. Vergr. °0/ı. 


Tafel VII. 


1. Pleurophrys amphitrematoides, Archer, aus der W arnow bei Rostock 
Vergr. °%/,. Einstellung auf die Oberfläche, 

2. Pleurophrys fulva, Archer, aus der Warnow bei Rostock. Vergr. °°%/,. 
Einstellung auf die Mitte. 

3. Zwei Individuen von Pleurophrys fulva, Archer, in »Conjugation«, 
aus der Warnow bei Rostock. Vergr. °°/,. Einstellung auf die Mitte. 

4. Pleurophrys compressa, spec. nov., aus dem Wallgraben von Rostock, 
von der schmalen Kante gesehen. Vergr. °%%],. 

5. Dieselbe Pleurophrys compressa in der Ansicht von der flachen 
Seite. Einstellung auf die Oberfläche. Der helle Kern schimmert 
durch, ©’ Versry, =001,. 

6, 7 u. 8. Pleurophrys lageniformis, spec. nov. aus der Ostsee bei Warne- 
münde von der Ostseite der Ostmoole. Vergr. °°/,. Einstellung 
auf die Oberfläche. 

9. Plagiophrys cylindrica, Clap. u. Lachm., aus einem Bassin des bo- 
tanischen Gartens in Graz. Vergr. 8%/,. Einstellung auf die Ober- 
fläche. 

10a u. b. Zwei Exemplare von Diplophrys Archeri (Barker), aus der 
Warnow bei Rostock. Vergr. °%].. 

lla u. b. Zwei Diplophrys Archeri (Barker), mit sehr grossen Fett- 
tropfen. Vergr. '100%],. 

12. Vier conjugirte Diplophrys Archeri, Barker. Vergr. °%],. 

13. Elaeorhanis eincta, Greeff, vielleicht Diplophrys Archeri, mit Körn- 
chen und einzelnen Sandstückchen besetzt. Neben dem Fetttropfen 
ist der helle ovale Kern sichtbar. Vergr. °%°],. 

14. Elaeorhanis eineta, Greeff, ähnlich der vorigen, aber mit grösserem 
Feittropfen und dichterer Bekleidung von Körnchen und Sand- 
stückchen. Vergr. °%%/,. 

15. Elaeorhanis eineta, Greeff, mit einem sehr kleinen Fetttropfen im 
Innern. Vergr. °].. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der 
Spinalganglien. 
Von 
Rudolf Arndt. 


Hierzu Taf. VIII. 


Um die Charaktere gewisser Formen nervöser Substanz genauer 
studiren zu können, unternahm ich es, wie früher über die Ganglien- 
körper des Nerv. sympathicus, so jetzt über die der Spinalganglienzellen 
eingehendere Untersuchungen anzustellen. Wie damals, so benutzte 
ich auch dieses Mal dazu die ganze Wirbelthierreihe, und Glieder 
aus jeder ihrer Klassen wurden den betreffenden Untersuchungen 
unterworfen. Vom Menschen kamen die Ganglia Gasseri, jugularia | 
Vagi und intervertebralia zur Durchforschung, vom Hunde und 
Meerschweinschen die Ganglia Gasseri und intervertebralia allein, 
vom Kaninchen blos die letzgenannten, von der Taube und Krähe 
(Corvus cornix) dagegen blos die erstgenannten, und endlich vom 
Frosch (Rana temporaria) und von der Plötze (Leuciscus erythroph- 
thalmus) lediglich die intervertebralia. 

Die Resultate all dieser Untersuchungen, welche sich danach 
über die sämmtlichen Spinalganglien bei acht sehr differenten Species 
erstreckten, zeigten schliesslich eine so grosse Uebereinstimmung, 
dass ich mich glaubte in Betreff weiterer Nachforschungen beschei- 
den zu dürfen. Ich schloss meine Untersuchungen ab, und was ich 
durch sie herausbekommen zu haben glaube, erlaube ich mir auch 
dieses Mal wieder hierorts zur Kenntnissnahme und etwaigen Prü- 
fung vorzulegen, zumal auch bei ihm gar Manches von dem abweicht, 
was frühere Forscher davon entdeckt und berichtet haben. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 141 


Die zur Untersuchung in Anwendung gezogenen Methoden 
waren wie die hinsichtlich der sympathischen Ganglienkörper bekannt 
gemachten auch sehr verschieden. Die Objeete wurden möglichst 
frisch in Humor aqueus, Serum, Jodserum, Zuckerwasser, lprocent. 
Kochsalzlösung zerzupft, oder sie wurden dem ebenfalls gelegentlich 
der sympathischen Ganglienkörper schon angegebenen Macerations- 
verfahren in lprocent. Essigsäure oder '/sprocent. Salzsäure, in 
lproeent. Lösung des neutralen oder !/sprocent. Lösung des doppelt 
chromsauren Ammoniak unterworfen ; oder sie wurden mit Carmin, 
Indigearmin, Anilin, Hämatoxylin, Jod, Gold, Silber, Palladium, 
Osmium gefärbt und dann, je nach dem, in verdünnten Säuren, 
Glycerin, essigsaurem Kali, Eau de Javelle weiter hergerichtet; oder 
sie wurden endlich auch mit stärkeren Mineralsäuren, mit gesättigter 
Oxalsäurelösung, mit Alkalien, Aether, Benzin, Chloroform u. dgl. m. 
behandelt. 

So different nun auch die angeführten Methoden sein mochten, 
z. B. die möglichst rasche Behandlung mit Humor aqueus des eben 
getödteten Thieres und die etwa 24 Stunden in Anspruch nehmende 
mit Palladiumchlorid und nachfolgender Beize mit Eau de Javelle, 
und so different auch die Bilder auf den ersten Blick erscheinen 
mochten, welche danach zur Anschauung kamen, im Grunde genom- 
men war ihre Wirkung, wenn man sie nur zu reguliren sich ange- 
legen sein liess, doch nicht so gewaltig verschieden und verhielt sich 
gleich der, wie wir sie früher bei den sympathischen Ganglienkör- 
“ pern kennen gelernt haben. Ohne deshalb hier noch einmal näher 
auf sie einzugehen, werde ich nur gelegentlich, wenn es mir gerade 
von Belang zu sein scheint, auf sie zurückkommen und verweise im 
Uebrigen der Kürze wegen auf die hinsichtlich der sympathischen 
Ganglienkörper selbst gemachten Angaben !). 

Die Ganglienkörper der Spinalganglien liegen einzeln oder in 
Gruppen zwischen den sonstigen Bestandtheilen des jeweiligen Gan- 
glion, also zwischen einer Menge bald mehr, bald weniger derben 
Bindegewebes, einer Menge breiteren und schmaleren Nervenfasern 
und einer Anzahl von Gefässen, die theilweise in jenem, theilweise 
zwischen diesen verlaufen. Das Bindegewebe stammt von Perineu- 
rium her und bildet das Stroma des Ganglion. Die Nervenfasern 


1) Untersuchungen über die Ganglienkörper d. Nerv. sympathic. Dieses 
Archiv Bd. X. 


142 Rudolf Arndt: 


kommen vorzugsweise aus den hinteren Rückenmarkswurzeln — die 
vorderen Wurzeln ziehen bekanntlich am Ganglion blos vorüber — ; 
aber eine nicht ganz unerhebliche Anzahl von Fasern dürfte dem 
Ganglion auch eigenthümlich sein und in ihm entweder endigen 
oder entspringen. Wo die Ganglienkörper einzeln liegen, scheinen 
sie blosse Interpolationen in den Verlauf von Nervenfasern zu sein, 
welche das Ganglion einfach durchsetzen. Wo sie dagegen in Gruppen 
liegen, sind sie entweder in Reihen angeordnet, die zwischen den 
Bündeln der genannten Nervenfasern liegen, oder sie bilden Häufchen, 
die mehr in Bindegewebe gehüllt, eine selbstständigere Entwicklung 
erfahren haben und jenen Faserzügen blos angelagert sind. Wo das 
letztere geschieht, zeigen die Ganglienkörper sehr häufig zu einan- 
der das von v. Bärensprung') beschriebene Verhalten, nämlich 
zu vier, fünf, sechs oder noch mehr Läppchen zu bilden, welche an 
einem Stiel von Nervenfasern sitzen, die mit den einzelnen Zellen 
in Zusammenhang stehen, d. h. in dieselben einmünden, oder aus 
ihnen entspringen. Dieser Stiel von Nervenfasern, ‘oder anders ge- 
sagt, dieses so entstandene Bündel derselben legt sich früher oder 
später an ein ganz gleichartig entstandenes an, verschmilzt im wei- 
teren Verlaufe auch noch mit einem dritten oder vierten, und nach- 
dem das geschehen, vielleicht auch noch wieder mit einem stärkeren, 
das sich in ganz derselben Weise formirt hat und durch seine 
Elemente, die Fasern, ebenso mit Ganglienkörpern in Verbindung 
steht wie jenes. Auf diese Weise entsteht dann aber ein trauben- 
förmiger Bau solcher Ganglienkörpergruppen, und dieser ist oftmals 
in so ausgesprochener Weise vorhanden, dass man v. Bärensprung 
vollständig Recht geben muss, wenn er denselben mit dem einer 
Drüse vergleicht. Dagegen ist es meines Erachtens zu weit gegangen, 
wenn man den Bau des ganzen Spinalganglion mit dem einer trau- 
benförmigen Drüse vergleichen will. Denn ein derartiger Bau einer 
bestimmten Ganglienkörpergruppe wiederholt sich nicht bei allen 
solchen Gruppen eines Ganglion, sondern erfährt an verschiedenen 
Stellen verschiedene Abweichungen, unter anderen z. B. auch in der 
Weise, dass jeder Körper für sich und unabhängig von seinen Nach- 
barn mit den vorüberziehenden Nervenstämmen in Verbindung tritt, 
und ausserdem kommen eben auch noch statt der Häufchen jene 


l) von Bärensprung, Beiträge zur Kenntniss d. Zoster. 3, Folge. 
Charite-Annal. XI, p. 98 u. 99 und Taf. III Fig. 2. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 143 


Reihenbildungen vor, deren wir bereits Erwähnung gethan haben. 
Man sehe z. B. nur in dem Ganglion Gasseri der Krähe und Taube 
nach, und man wird diese Angabe, wie ich glaube, auf das Ueber- 
zeugendste bestätigt finden. Hat man jedoch diese Thiere nicht 
gerade zur Hand, so wird man die nöthigen Unterlagen dafür auch 
bei den bequemer zu erlangenden Säugern finden, sobald man sein 
Augenmerk nur genauer darauf richtet. 

Der Bau eines Spinalganglion würde sich danach aber etwa 
so machen, dass je nach seiner Grösse an ein oder mehrere Nerven- 
faserbündel, welche von der Peripherie in die hinteren Wurzeln 
streben, sich eine Masse von Ganglienkörpern anlagern, die bald zu 
Läppchen vereinigt, bald in Reihen gelagert oder auch einzeln, einer 
Menge gleichfalls von der Peripherie aufstrebender Fasern zum 
scheinbaren Ende beziehungsweise Anfange dienen. Dabei ist indessen 
nicht ausgeschlossen, dass daneben nicht einzelne wenige solcher 
Ganglienkörper auch einmal in eine zu den hinteren Wurzeln selbst 
aufsteigende Faser eingeschaltet sein sollten. Das kommt aller 
Wahrscheinlichkeit nach vor; allein die Bedeutung eines solchen Gan- 
glienkörpers dürfte doch wesentlich verschieden sein von der der 
grossen Mehrzahl. Welcher Art sie am Ende sein möchte, haben 
wir keinen Grund zu erörtern. Dennoch glauben wir mit Bidder 
annehmen zu dürfen, dass sie sich kaum über den Werth einer ein- 
fachen Unterbrechung erheben dürfte und dass der Ganglienkörper 
selbst kaum mehr als einem bedeutungslosen Zufalle sein Dasein zu 
verdanken hätte (cf. Fig. 1). 

Jeder der in Rede stehenden Ganglienkörper besitzt seine eigene 
Hülle oder Kapsel, welche bald weiter, bald knapper ihn umschliesst. 
- Ganz besonders eng liegt sie bei den Vögeln und Fischen an; aber 
auch bei Säugern, z. B. neugeborenen Hunden, sah ich dasselbe. 
Diese Hülle oder Kapsel ist bindegewebiger Natur, zuweilen ausser- 
ordentlich kernreich, zuweilen verhältnissmässig kernarm. Sie ist 
leicht zerreisslich und mit den Kapseln benachbarter Körper ver- 
klebt oder verwachsen. Und je nachdem dieses geschehen ist, lässt 
sie sich bald leichter, bald schwerer, bald gar nicht sammt ihrem 
Inhalte isoliren. Dass sie aber niemals sich mit demselben, zum 
wenigsten bei Säugern isoliren liesse, wie Schwalbe!) meint, das 
beruht, meinen Erfahrungen nach, auf einem Irrthume. 


1) G. Schwalbe, Ueb. d. Bau d. Spinalganglien u. s. w. Dieses Arch. 
Bd. IV, p. 56, 


144 Rudolf Arndt: 


Wenn die Kapsel sehr kernreich ist, so scheint sie öfters bei- 
nahe nur durch eine Ansammlung. dicht gedrängter Kerne gebildet 
zu werden. Wenn sie kernarm ist, so besteht sie aus einem bald 
zarteren, bald derberen Häutchen, in welchem hier und da selbst 
Andeutungen von’ Fibrillenbildungen hervortreten und in das die 
einzelnen Kerne wie eingesprengt erscheinen. Diese Kerne sind von 
verschiedener Grösse, länglich oder rund, lassen meistens, zumal 
nach Einwirkung von Essigsäure, wonach sie schrumpfen, verbogen 
und eckig werden, eine grössere Anzahl dunkler Kernkörperchen 
erkennen, erscheinen öfters aber auch, und besonders nach Anwen- 
dung von Ueberosmiumsäure auf sie, vollkommen homogen, allenfalls 
etwas körnig. Im Uebrigen zeigen sie alle Charaktere, welche uns 
sonst von ’Bindegewebskörpern bekannt sind. Sie treten in wech- 
selnder Mächtigkeit auf und bilden in den Kapseln hier eine ein- 
fache und dort eine mehrfache Lage. Wo Ersteres sich ereignet, 
haben wir wohl ausnahmslos es mit runden Kernen -zu thun, wo 
Letzteres Statt hat, sehen wir dagegen sowohl runde als auch läng- 
liche. Die runden Kerne aber liegen dann immer zu innerst, dicht am 
Ganglienkörper selbst, und die länglichen in den obersten Schichten, 
an der Peripherie oder nahe derselben. Die bezüglichen Angaben 
von Schwalbe!) kann ich demgemäss nicht anders als bestätigen. 
Aber auch an ein und derselben Kapsel kommen Verschiedenheiten 
in der Vertheilung und Anordnung der Kerne vor, indem sie an der 
einen Stelle mehr gehäuft und an der anderen mehr zerstreut liegen. 
Die dichteste Anhäufung habe ich immer am Abgange der Ganglien- 
körperfortsätze gesehen (cf. Fig. 2, 3, 6, 7). 

Dass es sich bei diesem verschiedenen Verhalten der Kapseln 
nur um Verschiedenheiten der Entwicklung ihrer Elemente handelt, 
liegt wohl auf der Hand. Da wo sie sehr kernreich sind, anschei- 
nend nur aus Kernen gebildet werden, haben ihre einzelnen Zellen 
nur eine sehr geringe Ausbildung erfahren. Sie haben ihren em- 
bryonalen Charakter bewahrt. Ihr Protoplasma ist spärlich geblieben 
und hat sich gewissermassen nur zu einer Art Kitt entwickelt, der 
die Kerne unter einander verbindet und allenfalls noch eine lockere 
Verklebung mit der Nachbarschaft, d. i. den anliegenden Kapseln 
anderer Körper herbeiführte.e Wo hingegen die Kerne zerstreut 
liegen, in ein deutliches Häutchen eingebettet, da ist es zu einer 


1) 1. c. p. 56. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 145 


wirklichen Bindegewebsbildung und zwar mit zum Theil deutlich 
fibrillärem Charakter gekommen. Da sind die zu äusserst gelegenen 
Zellen mit einander zu soliden Häutchen verschmolzen und öfters 
gleichzeitig mit denen der benachbarten Kapseln verwachsen. Da 
haben die zuinnerst gelegenen Zellen sehr gewöhnlich eine beson- 
dere, blättchenartige Ausbildung erfahren, doch ohne mit einander 
zu verschmelzen, und sind zu dem Endothel der Kapseln geworden, 
auf das uns vor nicht langer Zeit erst Fraentzel wieder aufmerk- 
sam gemacht hat, nachdem seine bereits durch Valentin, Henle, 
Remak, Robin, Rudolf Wagner und Schramm erfolgte Ent- 
deckung in Vergessenheit gerathen war!). Dass darum die Kapseln 
nicht immer gleich leicht zu isoliren sind, ist klar. Von dem Grade 
ihrer Verwachsung mit der Nachbarschaft wird das abhängen. Ebenso 
ist ersichtlich, dass ihr Endothel nicht immer in gleichem Maasse 
von Deutlichkeit vorhanden zu sein braucht, ja dass es sogar fehlen 
kann. Von dem Grade der Entwickelung und der Menge der Zel- 
len, welche an dem Aufbau der Kapseln sich betheiligt haben, wird 
dieses wieder abhängen. Es wird das Endothel als solches fehlen 
bei allen aus protoplasmaarmen, mehr embryonalen Zellen bestehen- 
(len Kapseln, weil es bei denselben nicht zu den nothwendigen Diffe- 
renzirungen gekommen ist; und ebenso wird es fehlen, bei allen 
nur aus einer Zellenlage bestehenden Kapseln, wie ich sie bei der 
Plötze, der Krähe und Taube, dem neugeborenen Hunde gesehen 
habe, weil da das Material mangelte, aus welchem es hervorgehen 
konnte. Will man indessen, so kann man in einem solchen Falle 
(las einfache Häutchen auch als eine dem Endothel entsprechende 
Bildung betrachten und so die für alle Fälle noch nicht erreichte 
Uebereinstimmung herbeiführen. Allein ob man dadurch gerade viel 
gewönne, ist wohl zweifelhaft. Viel wesentlicher scheint mir zu 
sein, dass durch diese Verhältnisse erklärt wird, warum über das in 
Rede stehende Gebilde, das doch unter Umständen so deutlich ausge- 
prägt ist, noch überhaupt so manche Controverse bestehen kann, 
und wie sowohl die einschlägigen Auseinandersetzungen Arnold ’s?) 
als auch Schwalbe’s?°) ihre volle Richtigkeit haben. 


De. :G. Schwalbe.l,. c.. p. 59. 

2) J. Arnold, Ein Beitrag zu der feineren Struktur der Ganglien- 
zellen. — Virchow'’s Arch. Bd. XLI p. 198. 

3) G. Schwalbe. l. ce. p. 57. 


Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 11. 10 


146 Rudolf Arndt: 


Wo die Ganglienkörper in Gruppen liegen und Läppchen bil- 
den, sind die letzteren, wenn vielleicht auch nicht immer, so doch 
nachweislich oft noch von einer zweiten gemeinschaftlichen Scheide 
umgeben, ganz in der Art, wie das von den sympathischen Ganglien- 
körpern ‘berichtet worden ist). Es ist dadurch hier wie dort die 
Möglichkeit gegeben, eine Capsula vaginalis propria und communis 
zu unterscheiden und wollen wir dieses auch hinfort thun. Diese 
Uapsula vaginalis communis zeigt nun je nach dem Verhalten der 
Capsula vaginalis propria auch ein verschiedenes Verhalten. Sie 
ist fibrös, wenn jene einen fibrösen Charakter besitzt und besteht 
aus sehr kernreichem Bindegewebe, d. i. aus einer Ansammlung 
protoplasmaarmer, mehr embryonaier Zellen, wenn jene daraus be- 
steht; die Ganglienkörper scheinen dann in einem Haufen von Kernen 
zu liegen, der in voller Wucherung begriffen ist und leicht zu der 
Annahme verleiten kann, dass ein irritativer Process oder gar eine 
Neubildung vorliege. Ich habe dieses Verhalten beim Menschen 
allerdings nur bei zwei paralytischen Geisteskranken gesehen, aber 
ausserdem auch bei Thieren, unter anderen beim Frosch. Ich bin 
deshalb auch nicht geneigt anzunehmen, dass bei den betreffenden 
Menschen ihm ein Reizzustand zu Grunde gelegen und es sich um 
eine sogenannte Kernwucherung gehandelt habe, sondern glaube, 
dass viel eher eine Bildungshemmung seine Ursache war, und dass 
diese vielleicht auch im Nervensysteme auf einem gewissen Punkte 
eingetreten war und die Widerstandslosigkeit desselben mit sich 
brachte, durch welche seine endliche Paralyse bedingt ward. 

Die Ganglienkörper an sich sind von verschiedener Grösse und 
sehr mannigfaltiger Gestalt, in ihrem feineren Bau aber von über- 
raschender Gleichmässigkeit. Ihre Grundform ist die einer unregel- 
mässigen, mehr oder weniger flachen Scheibe. Doch kommen ins- 
besondere unter den kleineren Körpern auch mehr birnen- oder 
keulenförmige vor, und daneben auch solche, die durch scharfe Kan- 
ten und Ecken ausgezeichnet sind, eine deutlich polyedrische, na- 
mentlich tetraedrische Form besitzen. Ausserdem giebt es jedoch 
auch noch hin und wieder vereinzelte, welche sich weder in diese 
noch in jene Kategorie einreihen lassen, sondern ganz eigenthüm- 
liche Gestalten haben und sich zuweilen durch eine wahre Monstro- 
sität auffällig machen. 


DACH 02252. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganelien. 147 


Nach meiner Meinung sind die spinalen Ganglienkörper zum 
Wenigsten bipolar. Ich glaube indessen mit Koelliker'), dass 
unter ihnen auch manche multipolare vorhanden sind und unter diesen 
wieder vorzugsweise solche, welche neben zwei stärkeren, sehr bald 
bemerkbaren Fortsätzen noch eine Anzahl feinerer aussenden, die 
indessen einestheils schon wegen ihrer Feinheit und Blässe leicht 
übersehen und andererseits auch noch leicht abgerissen und zerstört 
werden und darum nur ausnahmsweise zur Wahrnehmung kommen. 
Ich habe nichtsdestoweniger darauf hinweisende, sehr instruktive 
jilder in den Intervertebral-Ganglien des Menschen gesehen und 
eines derselben, das mit Anilinblau behandelt und sehr deutlich 
war, in Fig. 16 abzubilden gesucht. Es entspricht vollständig 
den Bildern, welche Max Schultze von zwei sympathischen 
Ganglienkörpern des Menschen in Stricker’s Handbuch der mikro- 
skopischen Anat. p. 128 entworfen hat, und zeigt ausser zwei stär- 
keren, nahe zusammenliegenden Fortsätzen noch eine Anzahl dün- 
ner, blasser, welche vom Ganglienkörper mit breiter Basis entspringen 
und sich rasch verjüngend nach der Kapsel streben, um zwischen 
deren Elementen sich zu verlieren. Meinem Dafürhalten nach, das 
ich allerdings durch Nichts weiter zu stützen vermag, möchten diese 
Fortsätze wohl die Anfänge feiner Ausläufer, beziehungsweise Nerven- 
fasern sein, welche eine Verbindung mit anderen, namentlich in ein 
und demselben Läppchen und von derselben OGapsula vaginalis com- 
munis eingescheideten Körpern herstellen und damit den Kommis- 
surenfasern entsprechen, welche bei den sympathischen Ganglien- 
körpern von Courvoisier?) beobachtet worden sind. 

Derartige Bilder sind nun freilich blos selten zu sehen. Da- 
gegen präsentiren solche, an denen zwei Fortsätze unterschieden 
werden können, sich überaus häufig und kommen, wie ich glaube, 
immer zur Erscheinung, wenn ihr Substrat, der Ganglienkörper, 
intakt ist. Allerdings gehört dazu, dass ausser diesem selbst, auch 
noch seine Kapsel erhalten sei, weil sonst mit ihr seine Fortsätze, 
oder wenigstens einer derselben leicht abreissen. Allein es ist diese 
Kapsel ja auch, wie schon erwähnt, gar nicht so schwer zu erhalten. 


1) Koelliker, Gewebelehre 5. Auflage. p. 319. 
2) Courvoisier, Beobachtungen über den sympath. Grenzstrang. — 


Dies. Arch. Bd. II p. 26 u. Ueber d. Zellen d. Spinalganglien u. s. w. — 
Dies. Arch. Bd. IV. p. 137. 


148 Rudolf Arndt: 


Wenn man das Präparat nur vorsichtig zerzupft, und nicht zu ge- 
waltig zerrt und reisst, insbesondere nachdem man es vorher einige 
Zeit in der einen oder der anderen Weise hat maceriren lassen, 
wird sie an einigen Körpern immer vorhanden sein, und wenn nicht 
anders, so an den Rändern oder in den Lücken der nicht ganz zer- 
zupften Theile. Jedoch auch an kapsellosen Körpern bekommt man 
sie mitunter noch zu sehen und vorzugsweise dann, wenn dieselben 
eine leichte Härtung erfahren haben und es gelang, die Kapsel 
mittelst Chemikalien zu zerstören, ohne dass sie selbst gleichzeitig 
wesentlich angegriffen wurden. Bei den überaus weichen und zar- 
ten Körpern des Ganglion Gasseri der Vögel hat mir deshalb die 
Behandlung mit Silbernitrat, Gold- und Palladiumchlorid, haupt- 
sächlich wenn auf die letztere eine Beize, mit Eau de Javelle er- 
folgte, ganz vortreffliche Dienste geleistet. Silber, sowie Gold und. 
Palladium härten nämlich in den angegebenen Verbindungen die 
Ganglienkörpersubstanz, vielleicht auch das zugehörige Bindegewebe. 
Indessen nur letzteres wird von Eau de Javelle, wenn dieselbe nicht 
zu lange einwirkt — 15—20 Minuten — wesentlich angegriffen und 
zerstört. Die Ganglienkörpersubstanz bleibt in dieser kurzen Zeit 
unberührt von ihr und lässt, wenn man vorsichtig mit ihr umgeht, 
nun auch ihre zarten Ausläufer auf eine gewisse Strecke hin ganz 
frei erkennen. Und da sieht man denn so oft deren zwei, dass 
diese Zahl, wenn nicht noch eine grössere, auch bei den schwer isolir- 
baren Körpern des Ggl. Gasseri der Vögel die Regel zu bilden 
scheint. 

Die ausgesprochenste Bipolarität spinaler Ganglienkörper, die 
für die Fische von Rudolf Wagner und Bidder schon längst 
erwiesen, halte ich somit für alle Thierklassen als ausgemacht. 
Ich halte es für beinahe ebenso unzweifelhaft, dass auch etliche 
dieser Ganglienkörper multipolar sind; allein giebt es auch uni- 
polare? Von den neueren Beobachtern spricht Arnold!) sich dar- 
über nicht bestimmt aus, hält es aber allem Anscheine nach für 
zweifelhaft. Koelliker?) dagegen hält dieselben für die vorherr- 
schenden Formen, Schwalbe?) sieht sie wenigstens für die ge- 
wöhnlichen an. Bei Säugern und Vögeln hat er nur zwei Mal 


1) J. Arnold I. c. p. 200. 
2) Koelliker |. ce. p. 318. 
3) G. Schwalbe l. c. p. 50. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 149 


bipolare zu Gesicht bekommen. Courvoisier!) und Fraentzel?) 
endlich halten sie für die einzig vorkommenden. Doch hat Fraentzel 
offenbar auch solche mit zwei Fortsätzen gesehen, hat nur dem 
einen Fortsatze nicht die Qualität einer Nervenfaser beilegen wollen. 
Auch Vulpian sieht nach dem Zeugnisse von Henle diese Ganglien- 
körper für unipolar an, und Henle?°) selbst kommt nach alledem 
zu dem Schlusse, dass der Hauptsache nach die unipolaren Körper 
als die den Spinalganglien der höheren Wirbelthiere eigenthümlichen 
Ganglienkörperformen zu betrachten seien, da die bipolaren Körper 
allem Anscheine nach blos auf die Spinalganglien der Fische sich 
beschränken. Was mich betrifft, so muss ich zugeben, dass die uni- 
polaren Formen in allen Präparaten die am zahlreichsten vertrete- 
nen sind; allein die Präparation ist der Grund davon. Ob es wirk- 
lich unipolare Ganglienkörper, welche mit Nervenfasern in Zusam- 
menhang stehen, in den Spinalganglien giebt, lasse ich für jetzt 
dahin gestellt sein. Dass die grosse Anzahl der unipolaren Körper 
aber, welche man zu Gesicht bekommt, Kunstprodukte sind, d.h. 
verstümmelt, das unterliegt für mich keinem Zweifel. Entscheidend 
für die Frage der Unipolarität der spinalen Ganglienkörper kann 
nur ihre Isolirung mitsammt der zugehörigen Kapsel sein. Jeder 
aus seiner Kapsel herausgerissene Körper ist ein Torso, hat zum 
Mindesten Einbusse an seinen Fortsätzen erlitten und ist darum 
zur Entscheidung jener Frage absolut ungeeignet. In seiner Kap- 
sel erhalten, lässt aber fast jeder wohl entwickelte Körper wenig- 
stens zwei Fortsätze erkennen, allerdings manchmal erst nach vielen 
Manipulationen, nach Heben und Senken des Tubus, nach Abblenden 
oder Verstärken des Lichtes, nach Anwendung schiefer Beleuchtung, 
Anwendung aufhellender Chemikalien, Drücken und Quetschen des 
Präparates u. a. m. 

Die beiden Hauptfortsätze des Ganglienkörpers, durch welche 
seine Bipolarität bedingt wird, entspringen für gewöhnlich sehr nahe 
bei einander, aber nicht vom Rande des Körpers, wie so häufig 
angegeben wird, sondern von einer seiner Flächen — er ist ja mei- 
stentheils eine Scheibe — und zwar aus der Nähe des Kernes. In 


1) Courvoisier 1. c. Bd. IV. p. 134. 

2) O0. Fraentzel, Beitrag zur Kenntniss von der Struktur d. spinalen 
und sympath. Ganglienzellen. Virchow’s Archiv. Bd. XXXVIN. p. 541. 

3) Henle, Handbuch der system. Anat. d. Mensch. Bd. III, 2, p. 22. 


150 Rudolf Arndt: 


vielen Fällen tritt nun jeder Fortsatz für’sich ab und zieht seines 
Weges weiter, eingeschlossen in eine besondere Scheide, welcher er 
als Fortsetzung der Kapsel mitgenommen hat. In anderen Fällen 
dagegen nähern sich die beiden Fortsätze und treten dicht anein-‘ 
ander liegend von dem Körper ab. Auch hierbei kann noch jeder 
seine eigene Scheide von Hause aus von der Kapsel mitnehmen, die 
dann mit der des anderen nur mehr oder weniger verklebt ist und 
dabei die verschiedensten Lagen zu ihr einnimmt, unter andern sich 
auch einmal mehr oder weniger spiralig um sie herumdreht (Fig. 
6, 4). Sehr häufig indessen geschieht auch, dass in einem solchen 
Falle die Fortsätze nur eine einzige, also gemeinschaftliche Scheide 
von der Kapsel mitnehmen und in dieser eng aneinander gedrückt, 
bald nebeneinander, bald übereinander, bald umeinander gewunden 
weiter laufen (Fig. 10, 11, 15). Wie weit sie in dieser Lage in- 
dessen verharren, weiss ich nicht. In manchen Fällen jedoch treten 
sie schon nach kurzer Zeit wieder auseinander, nehmen jeder von 
der gemeinschaftlichen Scheide sein Theil mit und ziehen, nachdem 
das geschehen, allein fürbass (Fig. 15). 

Die Scheide der Fortsätze trägt immer die Charaktere der 
Kapsel an sich d. h. ist mehr fibrös, wenn diese fibrös ist und be- 
steht mehr aus embryonalen Zellen, wenn auch diese daraus besteht. 
Ist die Kapsel mit einem deutlichen Endothel ausgekleidet, so 
scheint dieses, ganz so wie bei den sympathischen Körpern, auch 
auf die Scheide der Fortsätze überzutreten, ohne aber erkennen zu 
lassen, wie weit ungefähr es sie begleitet. Ob die feinen, den Kom- 
missurenfasern Courvoisier's verglichenen Fortsätze auch Schei- 
den haben, oder blos durch Kanäle der Kapseln ziehen, bin ich 
ausser Stande anzugeben. 

Die beiden in Rede stehenden Fortsätze verlaufen, und unter 
den zuletzt erwähnten Umständen kann es ja gar nicht anders sein, 
in der Regel nach ein und derselben Richtung d. i. peripher. Hie 
und da kommt aber auch einmal ein entgegengesetztes Verhalten 
zur Beobachtung und die beiden Fortsätze gehen diametral ausein- 
ander. Merkwürdig indessen ist dabei, dass sie dann nicht auch 
gleich diametral entgegengesetzt vom Ganglienkörper entspringen, 
wie das gemeiniglich angegeben wird und anderwärts auch wirklich 
öfters vorkommt, sondern dass ihr Ursprung auch in solchem Falle 
nahe beieinander stattfindet, und ihr entgegengesetzter Verlauf erst 
durch die abwegige Umbiegung des einen von ihnen eintritt, wäh- 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 15] 


rend der andere die ursprüngliche Richtung unverändert einhält. 
Bisweilen findet die Umbiegung schon in der Kapsel statt, und der 
betreffende Ganglienkörper kann oppositipol erscheinen, wie das 
Uourvoisier nennt. Sonst ist er, um dieselbe Terminologie bei- 
zubehalten, geminopol. Gewöhnlich aber macht sie sich erst nach 
dem Durchtritt durch die Kapsel, und der bezügliche Fortsatz geht 
dann in einem weiteren oder engeren Bogen, wie ein Haken von 
dem Körper ab (Fig. 9). Mitunter ist dabei der Bogen so klein, 
unter welchem das geschieht, dass er mit seiner Scheide der Kapsel 
sanz eng anliegt und dem Ganzen dadurch das Aussehen eines 
zierlichen Ammoniten verleiht (Fig. 8). Uebrigens kommen aber 
dann und wann auch wirklich oppositipole Ganglienkörper zur Beob- 
achtung. Einen noch aus anderen Gründen merkwürdigen Körper 
dieser Art traf ich in einem Intervertebral-Ganglion eines Paraly- 
tikers. Er war grösstentheils aus seiner Kapsel herausgerissen und 
liess über das Verhältniss seiner Fortsätze zu ihm auch nicht den 
geringsten Zweifel. Fig. 13 ist sein Conterfei, welches ich möglichst 
treu wieder zu geben mich bemüht habe. 

Am meisten muss ich dem Allen zur Folge mich an Bidder 
anschliessen, der schon 1847!) ganz ähnliche Beobachtungen ge- 
macht hat, in dem er fand, dass unter seinen bipolaren spinalen 
Ganglienkörpern, namentlich bei Säugern, Körper vorkämen, an 
denen beide Fortsätze oft ganz nahe beieinander entsprängen und 
wenigstens auf eine gewisse Strecke hin auch denselben Verlauf hät- 
ten. Demnächst muss ich aber auch Rudolf Wagner’) bis zu 
einem gewissen Grade Recht geben, weil auch er die Bipolarität der 
fraglichen Körper erkannt und behauptet hat, obschon er sie durch- 
weg für oppositipol und einfach in den Verlauf der sensibelen Ner- 
ven des Ganglions eingeschaltet erachtete. Wenig oder gar nicht 
dagegen bin ich im Stande mich mit den Ansichten der Forscher 
zu befreunden, welche gegen die vorherrschende Bipolarität dieser 
Körper aufgetreten sind, oder sie gar für durchweg unipolar er- 
klärt haben. 

Zwar will ich zugeben, dass unter Umständen auch unipolare 


1) Bidder, Die Lehre v. d, Verliältniss d. Ganglienkörper zu d. Ner- 
venfasern. Leipzig 1847. p. 31. 

2) R. Wagner, Handwörterbuck der Physiclogie. Bd. Il. 1. Sym- 
pathischer Nerv, Ganglienstruktur u. Nervenendigungen. p. 361. 


152 Rudolf Arndt: 


Körper aufstossen können: allein dann sind das Umstände beson- 
derer Art und bedürfen deshalb auch noch der ganz besonderen 
Rücksichtnahme. Dass Verstiimmelungen der Körper eine Unipolarität 
vorzutäuschen vermögen, ist schon erwähnt worden und soll nicht 
weiter in Betracht kommen. Dagegen muss ich daran erinnern, dass 
sowohl Fraentzel!) als auch Gourvoisier?) bereits von zwei 
Zellen in einer Kapsel berichtet haben, und dass ich®) von den 
sympathischen Körpern gezeigt habe, dass bei ihnen nicht blos ganz 
dasselbe vorkomme, und die unter ihnen sich findenden Doppel- 
körper bedinge, sondern dass daselbst auch mehrere Körper zuwei- 
len miteinander mehr oder weniger verschmolzen in ein und dersel- 
ben Kapsel lägen, ja dass die entwickelten sympathischen Körper 
wohl überhaupt durch ein solches Verschmelzen von mehreren Zellen 
hervorgegangen sein möchten. Letzteres dürfte nun freilich bei den 
spinalen Ganglienkörpern, soweit meine Untersuchungen reichen, 
wohl kaum der Fall sein. Die spinalen Ganglienkörper dürften der 
Regel nach nur aus einer einzigen Zelle sich entwickeln. Trotzdem 
kommen Ausnahmen vor, und auch sie zeigen sich als aus meh- 
reren Zellen entstanden. Beim Meerschweinchen glaube ich das 
sowohl im Ganglion Gasseri als auch in den Intervertebralganglien 
Grund gehabt zu haben anzunehmen (Fig. 15—21). Und wie nun 
bei den sympathischen Ganglienkörpern, welche in ihrer vollen Ent- 
wickelung wir nur als bipolare oder multipolare kennen gelernt haben, 
die etwaigen unipolaren uns nur als anomal entwickelte Formen 
gegolten haben, namentlich als die nicht zu normalen Körpern ent- 
wickelten Bestandtheile der Doppelkörper oder der nur so obenhin 
verbundenen zahlreichen Körper einer einzigen stets unipolar erschei- 
nenden Kapsel, so werden wir auch hier die uns begegnenden wirk- 
lich unipolaren Körper in gleicher Weise zu beurtheilen haben. Die 
erwähnten Doppelkörper kommen in den Spinalganglien vor. Beim 
Meerschweinchen habe ich sie bestimmt gesehen (Fig. 17). Fraen- 
tzel‘) sah sie bei menschlichen Embryonen, Courvoisier?°) beim 


1) O0. Fraentzel, 1. c. p. 550. 

2) Courvoisier, Il. c. Bd. IV. p. 186. 

3) Untersuchungen über die Ganglienkörper d. Nerv. sympathie. — 
Dies. Arch. Bd. X. p. 232. 

4) OÖ. Fraentzel, ]l. c. p. 550. 

5) Courvoisier, l. c. Bd. IV. p. 136 u. Fig. 8. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 155 


Frosche. Bei diesen Doppelkörpern habe ich indessen an jedem 
einzelnen Körper nur immer je einen Fortsatz erkennen können. 
Nach Courvoisier braucht das aber noch gar nicht einmal der 
Fall zu sein. Der eine dieser Körper kann sogar fortsatzlos sein. 
Einzelne der ab und zu auftauchenden, meines Erachtens aber im- 
mer seltenen, unverstümmelten, unipolaren Körper dürften deshalb 
als ehemalige Bestandtheile solcher, Doppelkörper anzusehen sein, 
welche bei der Präparation zerfielen. 

Es giebt jedoch ausserdem noch eine andere Art solcher uni- 
polaren Körper und auf diese ist um so mehr aufmerksam zu 
machen, als sie in der That Veranlassung geben können, den Glau- 
ben an das häufigere und gewissermassen normale Vorkommen der 
unipolaren Körper überhaupt zu befestigen. Hie und da sieht man 
nämlich mit ihren Kapseln isolirte Körper, die, wie man sie auch 
drehen und wenden, ziehen und zerren mag, doch immer nur einen 
Fortsatz erkennen lassen. Es sind das meist kleine Körper, welche 
aber nicht selten in einer grossen weiten Kapsel liegen und ihren 
Fortsatz auch in einer grossen und weiten Scheide bergen. Auf- 
fällig ist mir indessen dabei stets gewesen, dass dieser Fortsatz sich 
überaus rasch verjüngte und in einen dünnen Faden auslief und 
niemals so breit abgebrochen endete, wie das sonst der Fall zu sein 
pflegt (Fig. 14). Ich habe diese Ganglienkörper bei verschiedenen 
Thieren, beim Frosch, beim Meerschweinchen, beim Hunde und auch 
beim Menschen gesehen, habe sie aber für rudimentäre Formen ge- 
halten und glaube, dass sie solche sind, welche sich aus irgend 
einem Grunde nicht mit Nervenfasern verbunden haben. Es wären 
danach also auch sie Produkte einer anomalen Entwickelung und 
deshalb für die Bestimmung dessen, was das Normale, weil Gewöhn- 
liche, nicht von Belang. 

Ob übrigens die Fortsätze der Doppelkörper sich je mit Ner- 
venfasern verbinden, muss offene Frage bleiben. Gesehen habe ich 
es niemals, und wahrscheinlich dünkt es mir auch durchaus nicht 
zu sein. Es scheint eben, dass ein spinaler Ganglienkörper, damit 
er seinen physiologischen Zweck erfülle, mit zwei Nervenfasern in 
Verbindung stehe, wovon die eine wohl als zutretende, die andere 
als abtretende gedacht werden muss, und dass er somit ein Organ 
vorstelle, in welchem zugeführte Erregungszustände so verarbeitet 
werden, dass sie zu specifischen Erregungen anderer Organe wer- 
den, nämlich derer, welche die abtretenden Fasern innerviren. Die 


154 Rudolf Arndt: 


spinalen Ganglienkörper würden danach denn auch lediglich als 
Reflexapparate zu gelten haben und nicht als automatische, was 
sie sein müssten, wären sie unipolar. Und da die Doppelkörper, 
anomale Bildungen überhaupt, nach ihrer Organisation — sie sind 
meist deutlich getrennt (Fig. 17) — nicht Reflexaktionen zu ver- 
mittein geeignet erscheinen, so glaube ich auch nicht, dass sie mit 
Nervenfasern in Verbindung stehen, sondern dass ihre Fortsätze 
ebenso wie die der zuletzt besprochenen unipolaren Körper frei 
endigen. 

Wir haben noch in keiner Weise sogenannter apolarer Ganglien- 
körper gedacht. Es scheint mir aber hier der Ort zu sein, ihrer 
noch besonders zu erwähnen, da keiner der neueren Untersucher 
der Spinalganglien, ausser Courvoisier sie noch annimmt und 
meinen Erfahrungen nach sie nichtsdestoweniger da sind. Doch 
Gourvoisier nimmt sie auch nur in gewissem Sinne an. Es sind 
für ihn seine sogenannten Beizellen, fortsatzlose Körper, welche mit 
einem unipolaren in eine und dieselbe Kapsel eingeschlossen liegen 
und unter anderem auch einmal unsere Doppelkörper bilden helfen. 
Ich zweitle nicht, dass die Courvoisier’schen Beobachtungen be- 
trefis dieser Körper richtig sind. Ich habe sie aber unter ganz 
anderen Verhältnissen gesehen, und auf diese will ich näher ein- 
gehen, weil sie mir vornehmlich auch wieder für pathologische Fälle 
von grosser Bedeutung zu sein scheinen. 

Neben den bisher beschriebenen Gebilden findet man ganz ge- 
wöhnlich und zwar beim Menschen, beim Hunde, Kaninchen, Meer- 
schweinchen, Frosch — wie es bei den Fischen und Vögeln ist, muss 
ich zweifelhaft lassen — in grösseren oder kleineren Haufen eigen- 
thümliche, den Kapseln der Ganglienkörper ähnliche Bildungen, die 
bald eine mehr rundliche, in sich völlig abgeschlossene Form be- 
sitzen, oder auch mit ein, zwei oder noch mehr schlauchförmigen 
Verlängerungen zusammenhängen (Fig. 25, 26, 27). Diese Bildun- 
gen erinnern ausserordentlich lebhaft an die Zellenkapseln und Zel- 
lenschläuche, wie sie im Nerv. sympathicus vorkommen. Allein nie- 
mals sind in ihnen Nervenzellen angehäuft, sondern meistens sind 
sie leere Schläuche ohne all und jeden Inhalt. Je nach der Ent- 
wickelung, welche ihre Elemente, die sie bildenden Zellen erfahren 
haben, sehen sie recht verschieden aus. “Gewöhnlich präsentiren 
sie sich als aus kernhaltigen Häutchen zusammengesetzt. Bisweilen, 
und das vorzugsweise beim Frosch, erscheinen sie aber auch blos 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 155 


als ein Convolut protoplasmaarmer, embryonaler Zellen, also ganz 
wie die ächten Ganglienkörperkapseln und deren Fortsetzungen auf 
die Fortsätze des zugehörigen Körpers, je nach der Entwickelung, 
welche sie erfahren haben. In diesen kapselähnlichen Gebilden nun 
entdeckt man ab und an einen den Ganglienkörpern ähnlichen Kör- 
per. Doch ist derselbe stets viel kleiner als die wahren Ganglien- 
körper, hat immer eine rundliche Gestalt und ist all und jeden Fort- 
satzes baar. Diese Körper nun halte ich für wirklich apolar, aber 
wie die oben erwähnten unipolaren ebenfalls für das Resultat einer 
anomalen Entwickelung und wohl vor Allem einer Bildungshenimung, 
einer Verkümmerung, z. Th. in Folge ihrer engen Lage, welche 
ihnen nicht gestattete, an Umfang zuzunehmen. Und umsomehr 
glaube ich dazu berechtigt zu sein, als diese Körper bisweilen blos 
aus einem Kerne und einem dünnen hyalinen Mantel um denselben 
als einziges Produkt des ursprünglichen Protoplasmas bestehen (Fig. 
27). Von den Kapselkernen unterscheiden sich diese Kerne durch 
ihre Grösse und ihren stärkeren Glanz, und vornehmlich schön tritt 
dieser Unterschied hervor, wenn man das Präparat mit Ys pÜt. 
Salzsäure behandelt und dann mit Fuchsin gefärbt hat. Die in 
Frage gekommenen Kerne sind dann feurig leuchtend. Andere 
apolare Ganglienkörper, wie sie im Nerv. sympathicus so häufig 
vorkommen und die ich als einfache oder hypertrophirte Nerven- 
bildungszellen bezeichnet habe, existiren nach meinen bisherigen 
Beobachtungen in den Spinalganglien nicht. 

Danach aber drängt sich in dieser Beziehung noch eine Frage 
auf, nämlich: Was haben die Kapseln und Schläuche zu bedeuten, 
in denen die verkümmerten, unipolaren Körper fehlen? Genaueres 
darüber in Erfahrung zu bringen, ist mir nicht möglich gewesen 
und der Vermuthung allein ist daher nur Raum gegeben. Ich denke 
mir zunächst, dass es Gebilde sind, in denen die ursprünglich vor- 
handene Nervenzelle, welche gewissermassen zur Entwickelung eines 
Ganglienkörpers bestimmt war und sich in eimer Anzahl solcher 
Kapseln auch wirklich bis zu einem gewissen Grade entwickelte, 
aber dann auf der einmal erreichten Stufe stehen blieb, dass diese 
bier zu Grunde ging. Sie entartete, zerfiel, wurde resorbirt. Allein 
das ist eben nur eine Vermuthung, die ich augenblicklich am Meis- 
ten hege. Denn es kann zu ihrer Bildung ja noch manches Andere 
den Anstoss gegeben und beigetragen haben. Wichtig indessen ist 
und bleibt, dass diese Gebilde in ganz normalen Ganglien gesunder 


156 Rudolf Arndt: 


Thiere und Menschen gefunden worden sind und deshalb gelegent- 
lich der Beurtheilung etwaiger pathologischer Processe berücksich- 
tigt werden müssen. Sie tragen hauptsächlich darum, dass sie ge- 
häuft vorkommen, viel zu dem Zustandekommen des schon erwähn- 
ten Bildes einer Kern- resp. Bindegewebswucherung bei, dürfen aber 
nichtsdestoweniger doch nicht zur Annahme einer solchen benützt 
werden, weil sie physiologische Bildungen sind. 

Die Fortsätze der Ganglienkörper der Spinalganglien sind nach 
den meisten neueren Autoren markhaltig und zwar von ihrem Ur- 
sprunge an. Nach Bidder!), Courvoisier?) soll das Mark 
der Fortsätze sich mitunter sogar schon über ihrer Ursprungs- 
stelle am Ganglienkörper selbst zeigen und diesen somit wenigstens 
theilweise überziehen. Dass die Fortsätze markhaltig sind, unter- 
liegt gar keinem Zweifel. Sie sind es häufig mit einer Klarheit und 
Entschiedenheit, wie es spinale Nerven nur sein können (Fig. 4, 
5, 8a). Dass der von Bidder und Courvoisier entdeckte theil- 
weise Marküberzug an manchen Ganglienkörpern auch existirt, ist 
ebenso wenig fraglich (Fig. 24). Dennoch muss ich erklären: die 
spinalen Ganglienkörper haben auch marklose Fortsätze. Schon Ar- 
nold®) hat solcher Erwähnung gethan und glaubt, dass von den 
beiden Fortsätzen, die er Gelegenheit gehabt hatte an ein und dem- 
selben Ganglienkörper wahrzunehmen, der eine immer einer blassen 
Faser ähnlich war, während der andere sich mehr wie ein Axen- 
cylinder verhielt. Arnold hat ganz Richtiges gesehen; aber es 
ist nicht allgemein gültig. Der wahre Sachverhalt, von dem sich 
jeder vornehmlich an Macerationspräparaten überzeugen kann, ist 
der, dass 1. es Ganglienkörper giebt, an denen beide Fortsätze mark- 
haltig sind, von denen es jedoch der eine bisweilen mehr als der 
andere ist (Fig. 5). Dass 2. es Ganglienkörper giebt, an denen 
beide Fortsätze marklos sind (Fig. 16), und dass endlich 3. auch 
Ganglienkörper vorkommen, an denen der eine Fortsatz marklos und 
der andere markhaltig ist, die also eine Mittelstellung zwischen 1 
und 2 einnehmen (Fig. 13). Was das spätere Schicksal der mark- 
losen Fortsätze indessen ist, ob sie in marklose Nervenfasern über- 
gehen oder markhaltige werden, ist mir unbekannt geblieben. So 
1) Bidder, 1. ec. conf. Fig. 1, 5, 8. 

2) Courvoisier, l. c. Bd. IV p. 138. 
3) J.. Arnold, l.;c.:p. 200. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 1 


Qu 
SI 


weit ich sie verfolgen konnte, zeigten sie sich stets als einfache Ver- 
längerungen oder Ausläufer der Ganglienkörpersubstanz, aus der 
sie gleichsam mit konisch sich verbreitender Wurzel entsprangen. 

Was nunmehr die Substanz betrifft, aus welcher die Ganglien- 
körper bestehen, so ist sie im grossen Ganzen gleich der, aus wel- 
cher auch die sympathischen Körper geformt sind, nur mit dem 
Unterschiede, der dadurch gegeben wird, dass die sympathischen 
Körper zusammengesetzte Körper sind und die spinalen einfache. 
Die spinalen Ganglienkörper zeigen sich deshalb nur aus den klei- 
nen sphäroiden Körpern gebildet, welche bei den sympathischen 
Körpern die Centralsubstanz ausmachen, und haben mich niemals 
etwas von den Ellipsoiden erkennen lassen, welche bei jenen die 
Lateralsubstanz zusammensetzen. Obgleich damit die Sache klar 
gelegt zu sein scheinen dürfte, sebe ich mich dennoch genöthigt, 
noch einmal näher auf das Verhalten der ganzen fraglichen Sub- 
stanz einzugehen, zumal bei ihr noch Manches nachgetragen wer- 
den muss von dem, was sich im Verlaufe der weiteren Unter- 
suchungen ergeben hat. 

‚Knüpfe ich demgemäss an das an, was sich bei den Unter- 
suchungen der Substanz der sympathischen Ganglienkörper heraus- 
gestellt hat, so muss ich sagen, auch die Substanz der spinalen 
Ganglienkörper besteht aus kleinen, weisslich glänzenden, sphäroiden 
Körperchen, welche durch eine matt gräuliche, elastisch dehnbare 
Substanz untereinander verbunden sind und in ihrem Innern einen 
zerklüfteten Hohlraum enthalten, der von einem dunklen Kügelchen 
differenter Substanz eingenommen wird. Die sphäroiden Körperchen 
sammt ihrem Inhalte, die ich nunmehr »Elementarkügelchen 
der Ganglienkörpersubstanz« nennen will, sind Differenzirungs- 
punkte des Protoplasmas der einstigen Bildungszellen, und die sie 
verklebende Substanz Reste dieses Protoplasmas in mehr oder weni- 
ger verändertem Zustande. Die Elementarkügelchen liegen also 
gewissermassen eingebettet in dieses Protoplasma und als optischen 
Ausdruck des dadurch bedingten Verhaltens bekommen wir ein 
feines grauliches Netzwerk zu sehen, das die lichte, aber von dun- 
keln, gewimperten Körperchen durchsetzte Substanz nach allen 
Richtungen durchzieht. Haben sich kleine Stücke oder gar blos ein- 
zelne Kügelchen von der Körpermasse losgerissen, was bei einem 
minder vorsichtigen Verfahren leicht geschieht, so sieht man jedes 
einzelne Kügelchen von dem Protoplasma, wie von einem zarten, 


158 Rudolf Arndt: 


matten Hofe umgeben, welcher gewöhnlich noch einige fadenförmige 
Verlängerungen nach verschiedenen Richtungen aussendet (Fig. 28, 
29). Ob man in den Kügelchen dann auch noch das dunkle, an- 
scheinend gewimperte Körperchen sieht oder nicht, hängt von der 
Einstellung ab. 

Die Elementarkügelchen liegen nun aber durchaus nicht gleich- 
mässig angeordnet in der Masse des Protoplasma, so dass etwa immer 
eines dicht neben das andere gefleit wäre, sondern, und das ist für 
(die sympathischen Ganglienkörper nachzutragen, sie liegen in ihm 
der Hauptsache nach zu Gruppen vereinigt. Drei, vier, sechs und 
noch mehr derselben, welche unter sich durch ein feines Protoplasma- 
netz zu einem Häufchen verbunden sind, werden noch von einem 
besonderen Protoplasmamantel umgeben und erst durch diesen wieder 
mit anderen, ganz gleich verbundenen und von einem gleichen Pro- 
toplasmamantel umhüllten verklebt (Fig. 28). Es entstehen auf 
diese Weise in der Ganglienkörpersubstanz anscheinend zwei Netz- 
formen, ein engmaschiges und ein weitmaschiges. Der Natur der 
Sache nach wird das letztere an der Oberfläche und am Kerne, wo 
ihm in demselben eine Unterlage gegeben ist, von der es sich scharf » 
abheben kann, am deutlichsten zu erkennen sein. Es ist das auch 
thatsächlich der Fall, und die betreffende Beobachtung von Ar- 
nold!) erhält dadurch ihre volle Bestätigung. In gleicher Weise 
erhalten dadurch viele Körper die eigenthümliche netzige Zeichnung, 
welche manche Darsteller ihnen verliehen haben und die unter An- 
deren sehr schön von Koelliker in seiner Gewebelehre in Fig. 215 
p. 316, einen Körper des Ganglion Gasseri des Kalbes, und in Fig. 
132 p. 255 einen sympathischen Ganglienkörper des Frosches dar- 
stellend, wiedergegeben worden ist. 

Nur nach den Fortsätzen hin und um den Kern herum zeigen 
(die Elementarkügelchen eine mehr gleichmässige Lagerung und las- 
sen Reihenbildungen erkennen. In der Nähe des Kernes sind dies 
sehr scharfe Kurven, welche den Kern selbst theilweise kreisförmig 
umgeben (Fig. 13). Nach den Fortsätzen zu sind es dagegen 
ziemlich schwache Kurven oder auch gerade Linien, die aus der 
Nähe des Kernes auftauchend sich immer dichter und dichter anein- 
ander legen, sich zu immer wenigeren sammeln und schliesslich auf 
eine geringere Zahl reducirt, aber fast parallel untereinander ange- 


I), Arnald, lies pr 200: 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 159 


ordnet, in den entsprechenden Fortsatz übergehen (Fig. 13). Ich 
habe diese Verhältnisse sehr schön an den Ganglienkörpern der In- 
tervertebralknoten eines Tabikers gesehen, welcher durch mehr als 
drei Jahre bettlägerig gewesen war, weil er seine Beine nicht zu 
brauchen vermochte. Ich habe sie aber auch bei Kaninchen gefun- 
den (Fig. 12), und in allen Fällen machten sie den Eindruck, als 
ob sich aus der Ganglienkörpermasse in der Nähe des Kernes zwei 
Ströme dunkler Lineamente sammelten, von denen der eine in den 
einen, der andere in den anderen Fortsatz abfloss.. Es würde das 
so viel bedeuten, als dass das unregelmässig netzige Protoplasma 
um den Kern herum sich zu regelmässigen Zügen anordnet, welche 
nach den Fortsätzen hin vielfach miteinander verschmelzen, und 
schliesslich zu einigen wenigen verschmolzen, in diesen selbst als 
die sogenannte parallele Strichelung auftreten, welche bereits von den 
verschiedensten Beobachtern darin erkannt worden ist. Denn diese 
sogenannte Strichelung, «die durch dunkle Linien und Striche bedingt 
wird, welche wieder der Mehrzahl nach von ebenso dunklen Körn- 
chen ausgehen, muss meines Erachtens als optischer Ausdruck der 
ganzen Züge angesehen werden, welche wir niemals in toto zu über- 
sehen vermögen, sondern immer nur in einzelnen Theilen, wie.es 
gerade die Anordnung der Elementarkügelchen in ihrem Nebenein- 
ander und Uebereinander erlaubt. 

Da nun der eine Fortsatz als Ende des zutretenden, der andere 
als Anfang des abtretenden Nerven zu denken ist, so würde anzu- 
nehmen sein, dass jener durch den einen Strom von Lineamenten, 
um den Ausdruck beizubehalten, in das netzförmige Protoplasma 
der Ganglienkörpersubstanz sich auflöste, dieser durch das andere 
sich aus ihm sammelte. Der netzförmige Theil des Protoplasma der 
Ganglienkörpersubstanz wäre danach also eingeschoben zwischen 
die beiden mehr linear angeordneten Theile desselben, d. i. die Ein- 
strahlung der Fortsätze, und wäre denn damit allerdings auch als 
der eigentliche Functionsträger der Ganglienkörper anzusehen. 

Ausser den beschriebenen Bestandtheilen der Ganglienkörper- 
substanz, die ich für wesentliche, sie immer constituirende halte, 
finden sich in ihr aber auch noch manche andere, mehr zufällige ab- 
gelagert. Ich bin indessen nicht über alle ins Klare gekommen. 
Ich erwähne darum von ihnen auch blos kurz die Courvoisier- 
schen Degenerationskügelchen, die sich ganz unter denselben Ver- 
hältnissen wie bei den sympathischen Körpern finden, ferner sehr 


160 Rudolf Arndt: 


srosse rundliche oder längliche, je nach der Einstellung röthlich oder 
srünlich schillernde Körper, welche ich in grösserer oder geringerer 
Zahl bei Winterfröschen antraf und endlich das gelbbraune Pigment, 
das wegen seiner Lagerung,mir von Bedeutung zu sein schien. 

Es wird dieses Pigment nicht überall vorgefunden. Ich habe 
es nur in den Ganglienkörpern des Menschen und Kaninchen ge- 
sehen und selbst bei denen des Frosches vermisst, in dessen sym- 
pathischen Körpern es doch einen so regelmässigen Bestandtheil 
abgiebt. Was ist der Grund davon? Am Alter der T'hiere kann 
es nicht gelegen haben. Die untersuchten Frösche waren grosse, 
ausgewachsene Thiere. Die Plötze, die grösste, deren ich habhaft wer- 
den konnte, ein über fusslanges Geschöpf; die Meerschweinchen, alte, 
nicht mehr tragende Weibchen. Es scheint nicht immer denselben 
Ursprung zu haben, besteht das eine Mal mehr aus gelblichen Kü- 
gelchen, in deren Innerem ein dunkles Körnchen abgelagert ist, 
also möglicher Weise aus veränderten Elementarkügelchen der 
Ganglienkörpersubstanz, das andere Mal mehr aus unregelmässigen, 
vielfach verbogenen, wie geschrumpften Schollen, über deren muth- 
massliche Entstehung ich mir nicht schlüssig geworden bin. Was 
indessen an dem besagten Pigment interessant ist, das bekanntlich 
niemals in der Ganglienkörpersubstanz zerstreut, sondern stets auf 
einen, nur selten auf zwei Haufen angesammelt vorkommt, es liegt 
unter allen Umständen am Uebergange der Einstrahlung der Ganglien- 
körperfortsätze in das netzförmige oder reticuläre Protoplasma des 
Körpers selbst. Da nun dieser Uebergang immer in der Nähe des 
Kernes erfolgt, wie wir das eben kennen gelernt haben, so ist es 
natürlich, dass man es auch immer m der Nähe dieses gefunden 
und es schliesslich auch mit ihm in irgend einen, wenn auch noch 
so lockeren Zusammenhang gebracht hat. Wenn zwei Häufchen 
vorhanden sind, so können dieselben auch einmal confluiren (Fig. 13), 
(las Charakteristische der Erscheinung trüben und den Anschein 
erwecken, als ob dadurch Ausnahmen von jener Regel herbeigeführt 
würden, oder diese überhaupt in Frage zu ziehen sei. Allein ein 
genaueres Zusehen wird vor einem möglichen Irrthume bewahren 
und das eine Häufchen als aus zweien bestehend erkennen lassen, 
von denen jedes dann mit seiner Hauptmasse an dem angegebenen 
Orte liegt. — Man sollte glauben, dass aus diesem Befunde sich 
Bestimmungen in Bezug auf die Qualität der einzelnen Fortsätze 
müssten machen lassen. Denn da in der Regel nur ein Pigment- 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 161 


häufchen vorhanden ist, so muss dieses zu dem bezüglichen Fortsatze 
in ganz bestimmtem Zusammenhange stehen. Indessen es ist mir 
bis jetzt nicht gelungen, Sicheres darüber auszumitteln. Dennoch 
habe ich den Eindruck gewonnen, als ob da, wo zweierlei Fortsätze 
sind, ein markhaltiger und ein markloser oder markarmer, das Häuf- 
chen an der Einstrahlung des markhaltigen beziehungsweise mark- 
reicheren gelegen war. 

Hinsichtlich des chemischen Verhaltens der Ganglienkörper- 
substanz hätte ich nicht so viel dem hinzuzufügen, was wir von ihr 
bereits durch die sympathischen Körper kennen gelernt haben. Doch 
will ich ausdrücklich hervorheben, wiewohl es sich so ziemlich von 
selbst versteht, dass, wo damals von Grundsubstanz schlechtweg ge- 
sprochen wurde, sowohl die Summe der Elementarkügelchen gemeint 
war, welche als besonderen Begriff wir erst heute fixirt haben, als 
auch das weiche Protoplasma, in das sie eingebettet sind. Da nun 
aber diese beiden Substanzen sich gegen die verschiedenen Rea- 
sentien verschieden verhalten, so ist es natürlich, dass unsere bei 
den sympathischen Körpern gemachten Angaben, so weit wir das 
bis jetzt können, präcisirt werden müssen. 

Wir hatten schon damals die Elementarkügelchen als den we- 
niger reactionsfähigen Theil der Grundsubstanz hingestellt. Wir 
müssen das heute wiederholen und erklären, dass sie im Ganzen ge- 
nommen sich doch recht indifferent verhalten, und dass die haupt- 
sächlichsten Veränderungen in der Ganglienkörpersubstanz bedingt 
werden durch die Veränderungen, welche ihr weiches Protoplasma 
und die dunkelen Körnchen in den Elementarkügelchen erleiden. 
Alle Färbemittel wirken vorzugsweise, oft ganz allein, nur durch 
ihren Einfluss auf jene. Erst nach längerer Zeit und bei stärkerer 
Concentration der Färbemittel werden auch die Elementarkügelchen 
affıcirt und von manchen Stoffen in ganz anderer Weise. So wer- 
den sie durch Ueberosmiumsäure so gut als gar nicht, durch Silber 
gewöhnlich nur gelb oder gelbbraun, in seltenen Fällen auch grau- 
lich durch Chlorgoldnatrium gradatim blass lila, dunkel lila, violett 
mit einem Stich ins Röthliche, durch Chlorgoldkalium in derselben 
Weise aber mit einem Stich ins Grauliche, durch Palladiumchlorid, 
und das scheint mir von grosser Wichtigkeit zu sein, einfach gelb 
gefärbt, während das weiche Protoplasma und die in ihnen gelege- 
nen dunklen Körperchen sich schwärzen. 

Daneben scheinen die Elementarkügelchen auch sonst sich nur 

Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd. 11, u 


162 Rudolf Arndt: 


wenig zu verändern, dagegen das genannte Protoplasma offenbar zu 
erhärten, schrumpfen und so obenhin besehen, zu festen Fäden zu 
erstarren. Natürlich können diese aber nicht da sein, weil es ja 
nicht fadenförmige Züge sind, in denen es sich ausbreitet, sondern 
mantelförmige Umhüllungen um die einzelnen und dann wieder zu 
Gruppen vereinigten Elementarkügelchen. Die anscheinend faden- 
förmigen Bildungen sind darum aber nichts Anderes, als der Aus- 
druck eines Querschnittes davon, wie er gerade durch die Einstel- 
lung des Tubus gegeben ward. An allen durch die zuletzt genann- 
ten Mittel hergerichteten Präparate lassen sich deshalb auch die 
Verhältnisse, denen das Protoplasma untersteht, ganz besonders gut 
studiren, namentlich wenn die betreffenden Agentien ziemlich con- 
centrirt waren und durch längere Zeit einzuwirken vermochten. 
Ich habe Silbernitrat und Palladiumchlorid in 1 pCt. und Goldkalium- 
oder Natriumchlorid sowie Ueberosmiumsäure in !/; pCt. Lösung 
durch 24 Stunden und länger angewandt und war mit den gewon- 
nenen Resultaten durchaus zufrieden. Die die Elementarkügelchen 
zu Gruppen vereinigenden Protoplasmazüge traten breit und knotig 
hervor. Die Elementarkügelchen der Gruppen selbst waren sehr zu- 
sammengedrängt und erschienen in ihrer Gesammtheit als grössere 
glänzende sphäroide Körper mit einem helleren Mittelpunkte. Dieser 
rührte aber nicht von einem besonderen dort befindlichen Körper 
her, sondern war einfache Brechungserscheinung. Seine verschwim- 
menden Contouren einerseits, sein Verschwinden und Ersetztwer- 
den durch die Elementarkügelchen mit ihren dunklen Körperchen 
und dem sie verkittenden Netzwerke andererseits, sobald man zweck- 
entsprechend die Einstellung änderte, hewies das hinlänglich. Die 
auf solche Weise vorgetäuschten soliden sphäroiden Körper bilden 
nun einen Theil derjenigen, welche mir schon bei den sympathischen 
(anglienkörpern auffällig gewesen waren!) und mich in manche 
/weifel versetzt hatten. Zum Theil hatte ich geglaubt, sie mit den 
Ellipsioden jener Körper in Zusammenhang bringen zu können, zum 
Theil sie als gewöhnliche Elementarkügelchen ansehen zu dürfen. Das 
war nun aber nicht richtig und die Fig. 15, 18, 19, welche jener 
Arbeit beigegeben sind, sind demgemäss umzudeuten. Die dort als 
einfache sphäroide Körper, d. i. als Elementarkügelchen gedeuteten 
Körper sind als Gruppen derselben aufzufassen, welche als solche 


Dil.ie. p., 218. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 163 


nur nicht sogleich erkannt wurden, weil die Präparation dafür un- 
günstig eingewirkt hatte. Von den Ellipsoiden unterscheiden sich 
diese Gruppenkörper bei einiger Aufmerksamkeit leicht. Die Ellip- 
soiden als Transformationen einer Zelle, hauptsächlich ihres Kernes, 
zeichnen sich stets durch 1 oder 2 scharf contourirte Kernkörper- 
chen aus. Die Gruppenkörper haben nichts dem Analoges aufzu- 
weisen. Uebrigens gaben zersetzende Flüssigkeiten in zweifelhaften 
Fällen auch noch leicht Aufschluss. Denn da die Elementarkügel- 
chen sehr viel resistenter sind als das Protoplasma, so werden sie 
von diesen auch ungleich später angegriffen und aufgelöst, und das 
geschieht selbst dann noch, wenn härtende Flüssigkeiten, Gold, 
Silber, Palladium zuvor auf dasselbe eingewirkt haben. Durch Al- 
kalien, Aether, Chloroform, Benzin, Opalsäure, vor Allen durch Eau 
de Javelle wird man sich davon zur Genüge überzeugen können. 
Die spinalen Ganglienkörper haben gewöhnlich blos einen Kern. 
Nur selten kommen deren auch zwei oder gar dreivor. Doch habe 
ich zwei Kerne wiederholt beim Meerschweinchen und Hunde, so- 
wohl dem neugeborenen als auch dem erwachsenen gesehen und in 
vereinzelten Fällen wie Courvoisier!) auch beim Frosche. Ein- 
mal traf ich selbst beim Meerschweinchen sogar drei Kerne in einem 
Körper an. Die Kerne sind verhältnissmässig gross und im Allge- 
meinen der Grösse der Ganglienkörper entsprechend, d. i. sie sind 
grösser in grossen und kleiner in kleineren Körpern. Sie sind ausser- 
ordentlich dünn und flach und deshalb oftmals nur schwierig zu 
erkennen. Beim Menschen, beim Hunde, beim Meerschweinchen 
habe ich häufig Ganglienkörper angetroffen, weiche kernlos zu sein 
schienen und erst bei längerer Betrachtung oder nach Färbung mit 
Fuchsin sich als kernhaltig zu erkennen gaben. — Der grösste Theil 
der Kerne erscheint einfach contourirt. In jedem Präparate trifft 
man aber auch etliche an, die unzweifelhaft doppelte Contouren be- 
sitzen. Ich erachte auch hier, wie bei den sympathischen Körpern 
als wesentlichsten Grund dafür eine nicht ganz richtige Einstellung 
des Tubus und einen Falz, der längs des Kernrandes hinzieht und 
bei frei gewordenen Kernen, die auf der Kante stehen, auch wohl 
zu erkennen ist. Die Substanz der Kerne scheint im Allgemeinen sehr 
solid zu sein. Feinkörnig, beinahe homogen erschien sie mir beim 
Menschen, Meerschweinchen, Frosch, mehr grobkörnig, zumal in 


1) Courvoisier, 1. c. Bd. IV. p. 133. 


164 Rudolf Arndt: 


Ösmium- und Silberpräparaten beim erwachsenen Hunde. Bei Men- 
schen und der Taube liess sie hin und wieder die radiäre Anordnung 
ihrer Elementarbestandtheile erkennen, auf die Koelliker zuerst 
hingewiesen hat und die wir bei den sympathischen Körpern gleich- 
falls kennen gelernt haben !). Sie ist allem Anscheine nach auch 
hier sehr quellungsfähig und zeigt dasselbe Vermögen sich mit Farb- 
stoffen zu imbibiren und durch Säuren und Alkalien aufzuhellen, das 
wir auch dort zu beobachten Gelegenheit gehabt haben. 

Der Regel nach hat jeder Kern nur ein Kernkörperchen, das 
seiner Grösse proportional ist und bei einigem Umfange noch wie- 
der ein kleineres Körperchen, den Mauthner’schen Nucleolulus in 
sich enthält. Viele Kerne haben aber auch mehrere Kernkörper- 
chen und zählte ich deren drei wiederholt beim neugeborenen 
Hunde in Osmium- und Silberpräparaten, vier beim Meerschwein- 
chen in Präparaten, die mit carminsaurem Ammoniak und !/s pCt. 
Essigsäure behandelt worden waren, zwei bei der Taube und Krähe 
in frischen mit Humor aqueus hergestellten Objecten. Ausserdem 
giebt es aber auch noch Kerne, welche ein grösseres und mehrere 
kleinere, bis 4—6 Kernkörperchen enthalten und sah ich solche von 
der Plötze in Präparaten, welche mit 1 pCt. Kochsalzlösung zube- 
reitet worden waren, als auch bei der Taube in den mittelst Humor 
aqueus hergestellten. Fäden indessen sah ich den Kern nie durch- 
setzen und muss ich mich deshalb auch ’hier den sogenannten Kern- 
fäden gegenüber einfach negirend verhalten. 

Der Kern liegt kaum einmal im Mittelpunkte des Ganglien- 
körpers, sondern, um den Gourvoisier’schen Ausdruck zu gebrau- 
chen, wohl immer excentrisch. Mitunter liegt er wie in einem hel- 
leren Raume, und es dürfte nicht unmöglich sein, dass die zu concen- 
trischen Kreisen resp. Hülsen oder Schalen um den Kern angeord- 
neten Elementarkügelchen und Protoplasmazüge den Grund für diese 
Erscheinung abgäben. Doch wage ich darüber augenblicklich noch 
kein bestimmtes Urtheil zu fällen und spare mir dasselbe für einen 
andern Ort auf. 

Wo zwei Kerne vorhanden sind, sind dieselben meist verschie- 
den geartet. Einer von ihnen erscheint entweder noch matter als 
gewöhnlich und macht den Eindruck, als ob er dünner und atropisch 
geworden sei, oder er ist um vieles kleiner, mit nur einem dunklen 


Ele. +P.,222; 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 165 


Punkte als einzigem Kernkörperchen versehen und sieht aus, als 
ob er verkümmert oder verschrumpft wäre. Jenes habe ich beim 
Hunde wahrzunehmen geglaubt, dieses beim Meerschweinchen (Fig. 
20). Ich bin der Meinung, dass Ganglienkörper, wo dergleichen 
vorkommt, aus zwei Bildungszellen hervorgegangen sind, wie die 
Doppelkörper, deren wir schon oben gedacht haben, dass bei ihnen 
aber eine vollständige Verschmelzung und vorwiegende Entwickelung 
der einen Zelle stattfand, während bei den Doppelkörpern beide 
Zellen getrennt blieben und sich ziemlich gleichmässig ausbildeten. 
Natürlich nehme ich eine ganz gleiche Entwickelung auch für den 
Körper mit drei Kernen an, der in Fig. 21 abgebildet ist und einem 
Intervertebralknoten des Meerschweinchens entstammt, und bin der 
Meinung, dass seine sehr unregelmässige, ja geradezu monströse 
Gestalt nicht zum Wenigsten für diese Ansicht spricht. Entschei- 
dende Untersuchungen sind indessen darüber nicht anzustellen, weil 
einkernige Ganglienkörper die Regel bilden und mehrkernige doch 
mehr nur zufällige Gebilde sind, auf deren Anwesenheit nicht immer 
zu rechnen ist. 

Courvoisier!) hat uns noch mit einer besonderen Art von 
Kernen in den spinalen Ganglienkörpern bekannt gemacht, den soge- 
nannten Polarkernen. Es seien das kleine, den Kapselkernen 
sehr ähnliche, nur weniger glänzende Körperchen, die mit 1—2 hel- 
len Pünktchen (Nucleoli) aber ohne Saum gewesen seien, der als 
Zellsubstanz hätte gedeutet werden müssen. Dieselben haben zu 
ein bis zwölf um die Abgangsstelle der Nervenfasern herumgelegen 
und seien eben deshalb Polarkerne von ihm genannt worden. Auch 
ich habe entsprechende Gebilde gesehen (Fig. 23), bin aber ausser 
Stande gewesen, zwischen ihnen und unzweifelhaften Kapselkernen 
wesentliche Unterschiede feststellen zu können. Man muss sich nur 
erinnern, dass 1. nicht alle Kapseln eines Ganglion dieselbe Ent- 
wickelung erfahren haben, dass vielmehr eine grosse Anzahl der- 
selben aus Zellen gebildet wird, welche einen beinahe embryonalen 
Charakter bewahrt haben, während andere von eigentlichen Zellen 
kaum mehr etwas erkennen lassen, dass 2. nicht einmal in ein und 
derselben Kapsel alle Kerne auf die gleiche Entwickelungsstufe ge- 
langt sind, die inneren öfters rund geblieben sind, während die äusse- 
ren länglich wurden, und man wird begreiflich finden, dass ein 


1) Courvoisier l. c. p. 132. 


166 Rudolf Arndt: 


Unterschied, der blos durch geringeren Glanz bedingt, nicht zwingen 
kann, an die Existenz zweier Kernarten weiter zu glauben. Ich 
halte jene Kerne deshalb einfach für Kapselkerne, welche bei der 
Präparation sich von der Kapsel trennten und am Ganglienkörper 
haften blieben. Auch Schwalbe!) nimmt an, dass dergleichen 
vorkomme. Warum aber jene Kerne gerade am Abgange der 
Fortsätze haften bleiben, ergiebt sich daraus, dass dort überhaupt 
die meisten Kerne liegen, und dass durch den Abgang der Fortsätze 
die bequemsten Haftstellen für sie geschaffen wurden (Vgl. Fig. 22—24). 

Die spinalen Ganglienkörper erscheinen sonach den sywpathi- 
schen gegenüber als verhältnissmässig einfache Körper. Während 
diese der Regel nach aus Zellencomplexen hervorgegangen und auch 
Zellencomplexen entsprechend zu sein scheinen, stammen jene nur 
von einer einzigen Zelle ab und sind auch blos einer Zelle äqui- 
valent. Darin liegt denn aber auch der hauptsächlichste, ja ich 
möchte sagen, der einzige durchgreifende Unterschied zwischen bei- 
den Ganglienkörper-Arten, und alle übrigen scheinen ihm gegenüber 
nur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Es ist möglich, dass 
weitere Untersuchungen noch dem einen oder anderen von diesen 
letzteren ein grösseres Gewicht verleihen werden. Zur Zeit jedoch 
müssen wir wohl darauf verzichten so Etwas zu unternehmen, wol- 
len wir nicht den Verdacht zu künsteln auf uns laden. Und wir 
halten das für um so mehr gerathen, als doch auch in mancher 
Hinsicht zwischen beiden Arten eine grosse Uebereinstimmung herrscht 
und das feinste Detail beider sich mit den zu Gebote stehenden 
Hültsmitteln geradezu als das Nämliche erwiesen hat. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VII. 


Fig. 1. Schema der Zusammensetzung eines Spinalganglion, bestehend aus 
Nervenfasern und Ganglienkörpern mit meistentheils nach derselben 
Richtung (peripher) abgehenden Fortsätzen. a. Ganglienkörper und 
Längsreihen, b. einzeln oder zu lockeren Bündeln vereinigt, c. zu 
traubenförmigen Läppchen angeordnet, d. interpolirter Ganglien- 
körper, e. Ganglienkörper mit anscheinend nach entgegengesetzter 
Richtung verlaufenden Fortsätzen. 

Fig. 2. Ganglienkörper mit zwei dicht aneinander liegenden Fortsätzen in 


1) G. Schwalbe, 1. c. p. 56. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 


11: 


12. 


13. 


Untersuchungen über die Ganglienkörper der Spinalganglien 167 


sehr kernreicher Bindegewebskapsel. Aus dem Ganglion Gasseri ho- 
minis. Serumpräparat. Vergr. 1000%/,. 

Ganglienkörper mit zwei dicht aneinander liegenden Fortsätzen und 
etwas weniger kernreicher Kapsel. Ebendaher. Vergr. !0%/,. 
Ganglienkörper mit zwei markhaltigen Fortsätzen, die aus der Nähe 
des Kernes entspringen, in ähnlicher Bindegewebsscheide. Aus 
einem Intervertebralganglion des Meerschweinchens. Carminpräpa- 
at. iVergr:e 2000, 

Ganglienkörper mit zwei markhaltigen Fortsätzen, die aus der Nähe 
des Kernes entspringen, und einem Pigmentflecken an der Wurzel 
des einen Fortsatzes in einer verhältnissmässig kernarmen Kapsel. 
Serumpräparat. Vergr. 1900],. 


. Ganglienkörper mit zwei markhaltigen Fortsätzen, welche aus der 


Nähe des Kernes entspringen, in einer nur wenig kernhaltigen, 
theilweise zerrissenen Scheide. Aus einem Intervertebralganglion 
des Meerschweinchens. — Carminpräparat mit Essigsäure behandelt. 
Mergr.K00h: 

Ganglienkörper aus einem Intervertebralganglion des Meerschwein- 
chens. Carminpräparat mit Essigsäure behandelt. Vergr. 1000/,. 


. Ganglienkörper mit zwei Fortsätzen, einem geraden markreichen a. 


und einem gebogenen, markarmen b. -— Aus dem Ganglion Gasseri 
hominis. Serumpräparat. Vergr. 1000),. 


. Ganglionkörper mit einem geraden und einem hakenförmig geboge- 


nen Forisatze. Aus einem Intervertebralganglion des Meerschwein- 
chens. Carminpräparat mit Essigsäure behandelt. Vergr. !10%/,. 
Kleiner Ganglienkörper mit zwei dicht zusammengedrängten mark- 
haltigen Fortsätzen in einer einzigen Scheide. Auseinem Intervertebral- 
ganglion eines alten Kaninchens. Kochsalzpräparat. Vergr. !°%/,. 
Ganglienkörper mit zwei markhaltigen, stellenweise um einander 
gedrehten Fortsätzen in ein und derselben Scheide. Aus einem 
Intervertebralganglion der Plötze. Kochsalzpräparat mit Fuchsin 
gefärbt. ‚Vergr. ?909].. 

Ganglienkörper mit zwei markhaltigen Fortsätzen in ein und der- 
selben Scheide, mit deutlichen Einstrahlungen der Fortsätze in die 
Ganglienkörpersubstanz und einem Pigmenthäufchen an der einen 
der Einstrahlungsstellen. Aus einem Intervertebralganglion des Ka- 
ninchens. Kochsalzpräparat. Vergr. 100/,. 

Ganglienkörper mit einem markhaltigen Fortsatze a. und einem mark- 
losen b. sowie deren Einstrahlungen in die Ganglienkörpersubstanz, 
welche um den Kern herum concentrisch geschichtet erscheint. Der 
markhaltige Fortsatz a. degenerirt. Am marklosen Fortsatze b. 
noch ein Stück Kapsel. Pigmenthaufen aus zwei Häufchen zusam- 
mengeflossen. Präparat aus einem Intervertebralganglion eines Ta- 
bikers mittelst doppelt chroms. Ammoniaks hergestellt. Vergr. 1000/,. 


168 R. Arndt: Untersuch. über die Ganglienkörper der Spinalganglien. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fie. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


14. 


15. 


16. 


28. 
29. 


Unipolarer Ganglienkörper mit sich allmählich verjüngendem Fort- 
satze in weiter Scheide. Aus einem Spinalganglion des Meerschwein- 
chens. Carminpräparat mit Essigsäure behandelt. Vergr. 1900/,. 
Ganglienkörper mit zwei markhaltigen, sich stellenweise umwinden- 
den Fortsätzen in derselben Scheide, die sich später theilt um 
jeden der sich trennenden Fortsätze besonders einzuscheiden. Aus 
dem Ganglion jugulare Vagi hominis. Präparirt in neutralem chrom- 
sauerem Ammoniak. Vergr. 1000). 

Ganglienkörper mit zwei langen blassen Fortsätzen und einer An- 
zahl kurzer, lanzettförmiger, welche in der Kapsel enden. Aus 
einem Intervertebralganglion eines Tabikers. Präparat mit neutr. 
chromsauer. Ammoniak und Anilinblau hergestellt. Vergr. !00%/,. 


. Hüllenloser Doppelkörper aus dem Ganglion Gasseri des Meerschwein- 


chens. Carminpräparat. Vergr. 190]... 


. 19. Hüllenlose Ganglienkörper mit zwei Kernen, wahrscheinlich durch 


Verschmelzung zweier Bildungszellen entstanden. Carminpräparat 
ebendaher. Vergr. !%00],. 


. Hüllenloser Ganglienkörper mit zwei Kernen, von denen der eine 


verstümmelt ist. Carminpräparat ebendaher. Vergr. 100],. 


. Hüllenloser Ganglienkörper mit drei Kernen, wahrscheinlich durch 


Verschmelzung von drei Zellen entstanden. Aus einem Interverte- 
bralganglion des Meerschweinchens. Vergr. !%000],. 


. Ganglienkörper mit anhaftenden Kernen und faserartigen Theilen 


seiner Kapsel. Aus dem Ganglion Gasseri des Meerschweinchens. 
Carminpräparat. Vergr. !%0%],. 


. Ganglienkörper mit anhaftenden Kapselkernen am Abgange eines 


Fortsatzes. (Polarkerne.) Ebendaher. Carminpräparat. Vergr. !900,. 


. Ganglienkörper mit anhaftenden Kapselkernen und einem markhal- 


tigen Fortsatze, dessen Mark sich bis auf den Ganglienkörper selbst 
hinzieht. Ebendaher. Carminpräparat. Vergr. 1000/,. 


. Drei faser- resp. schlauchförmige Bindegewebsbildungen ohne weiter 


erkennbaren Inhalt. Aus dem Ganglion Gasseri des Meerschwein- 
chens. Präparirt in neutralem chromsauerem Ammoniak. Vergrös- 
serungs 1900/,. 


. Kapselartige Bindegewebsbildung ohne weiter erkennbaren Inhalt. 


Aus dem Ganglion jugulare Vagi hominis. Präparirt in neutralem 
chromsauer. Ammoniak. Vergr. 1000/,. 


. Kapselartige Bindegewebsbildung mit einem grcssen runden Kerne, 


der von einem liehten Hofe umgeben ist, in ihrer Mitte. (Rudimen- 
tärer Ganglienkörper.) Salzsäurepräparat mit F uchsin gefärbt. Ver- 
grösserung !%/,. 

Ganglienkörpersubstanz. Palladiumpräparat. Vergr. 1900). 
Ganglienkörpersubstanz. Vergr. 1000,,. 


et Bu er ee re ee 


Die Heitzmann’schen Haematoblasten. 
Von 


Prof. E. Neumann in Königsberg in Pr. 


C. Heitzmann hat vor Kurzem in mehreren Aufsätzen !) 
Beobachtungen über Blutbildung im Knorpel, Knochen und anderen 
Geweben mitgetheilt, welche wohl unzweifelhaft nicht von mir allein 
mit einigem Befremden aufgenommen worden sind. Obwohlich vorläufig 
nicht in der Lage bin, Herrn Heitzmann in alle Details seiner 
Beobachtungen zu folgen, und an denselben Kritik zu üben, so kann 
ich doch nicht unterlassen, hier meinen Standpunkt denselben gegen- 
über darzulegen, da Heitzmann in einer der erwähnten Abhand- 
lungen (Untersuch. über d. Protopl. II. die Lebensphasen des Protopl. 
p. 9) meine am Knochenmarke hinsichtlich der Entwicklung von Blut- 
körpern gewonnenen Erfahrungen?) zu seinen Befunden in eine Be- 
ziehung bringt, welche von einem völligen Missverständnisse meiner 
Angaben zeugt. Er identificirt nämlich die von mir beschriebenen 
Uebergangsformen zwischen farbigen und farblosen Blutkörpern mit 
seinen Gebilden »haematoblastischer Substanz«. Hiergegen muss ich 
mich verwahren und kann darin nur eine Verdunklung der von mir 
ermittelten Thatsachen erblicken, welche der neuen, nach meinem 
Dafürhalten todtgebornen Haematoblastenlehre sehr fernstehen. 


1) Heitzmann, Studien am Knorpel und Knochen; über die Rück- 
und Neubildung von Blutgefässen im Knochen und Knorpel. Wiener Medic. 
Jahrb. 1872 u. 73. — Untersuchungen über das Protoplasma I—V. Wiener 
Akad. Bericht Bd. 67 und 68. 


2) E. Neumann, Bedeutung des Knochenmarks für die Blutbildung. 
Archiv für Heilkunde Bd. X. 


170 E. Neumann: 


Um die letztere würdigen zu können, ist es durchaus erfor- 
derlich, die eigenthümlichen Anschauungen zu kennen, zu welchen 
Heitzmann in Betreff der verschiedenartigen, theils durch Alters- 
unterschied, theils durch pathologische Prozesse (Entzündung) be- 
dingten Zustände des Protoplasma’s gelangt ist, und es sei mir da- 
her gestattet, dieselben zunächst in einigen Worten vorzuführen. 

Nach H. stellt »das jüngste Protoplasma ein compaktes Klümp- 
chen dar, sieht homogen aus, hat eine gelbe Farbe von ver- 
schiedener Intensität und Nuaneirung, starken Glanz und die 
Eigenschaft, sich mit Garminlösung tief roth und nach Behandlung 
mit Goldchlorid violett zu färben, so dass die gelbe Farbe neben 
der violetten erhalten bleibt«. Die späteren Veränderungen bestehen 
in der Ansammlung von Flüssigkeit in Vacuolen, wodurch das ur- 
sprünglich compakte Protoplasma zu einem Fach- oder Maschen- 
werk auseinandergetrieben wird. Dies geschieht zuerst an der Pe- 
ripherie und das noch nicht differencirte compakte, gelbe Centrum 
erscheint sodann als Kern; erfolgt die Bildung des Fach- oder 
Maschenwerkes auch im Kerne, so können auch hier wieder com- 
pakte kleine Gentren als Kernkörperchen zurückbleiben (»Zel- 
lenschema der Autoren«); endlich, wenn die Differeneirung das ganze 
Klümpchen betroffen hat, auch Kern und Kernkörperchen nicht 
mehr sichtbar sind, befindet sich das Protoplasma auf dem Ueber- 
gange zur Bildung einer Grundsubstanz. Dieselben Veränderungen 
macht das Protoplasma, so lehrt uns H. weiter, bei der Entzündung 
durch, jedoch in umgekehrter Reihenfolge, es kehrt dabei in den 
durch compakte Beschaffenheit, starken Glanz und gelbe Farbe 
charakterisirten Jugendzustand zurück und zwar in der Weise, dass, 
wo Kern oder Kernkörperchen noch erhalten waren, diese zuerst 
und die sie umgebende Substanz erst später sich verjüngen, dass 
hingegen, wo Kern oder Kernkörperchen im Protoplasma fehlen, 
durch die Verjüngung desselben in gewissen Centren neue Kern- 
körperchen resp. Kerne entstehen (so z. B. in dem in die Grund- 
substanz nach H. stets eingeschlossenen Protoplasma). 

Hieran schliesst Heitzmann nun folgende Theorie der Ent- 
wicklung von rothen Blutkörpern: das Protoplasma in dem er- 
wähnten Jugendzustand ist »haematoblastische Sub- 
stanz«, kleine Klümpchen dieser Substanz, von H. als Haemato- 
blasten bezeichnet, können direct (!) zu rothen Blutkörpern werden; 
somit ist die Möglichkeit der Entwicklung dieser überall gegeben, 


Die Heitzmann’schen Haematoblasten. 171 


wo sich jugendliches Protoplasma befindet, sei es, dass noch von 
der Entwieklungszeit dasselbe als solches verblieben ist wie z. B. 
an den Ostificationsrändern in den Zellen des Knorpels oder dass 
es in Folge eines Entzündungsprocesses aus vorgeschrittenen Le- 
bensphasen in seinen Jugendzustand zurückgekehrt ist. Die Blut- 
bildung erfolgt entweder insulaer, wenn die Haematoblasten frei 
. zwischen andern Protoplasmamassen liegen oder intravasculaer, wenn 
eine peripherische Schicht haematoblastischer Substanz durch Bil- 
dung einer grösseren Vacuole sich zu einer hellen Blase, der ersten 
Anlage eines Gefässschlauches, umbildet. Die Haematoblasten ge- 
hen aus der haematoblastischen Substanz durch einfache »Absplit- 
terung« oder »Zerklüftung« hervor; über ihre sehr wechselnde 
Form erfahren wir, dass sie theils »Leistchen«, theils »mit feinen 
Spitzen versehene Klümpchen«, theils »Scheibehen« oder »Klümp- 
chen, von traubigem Aussehen«, oder endlich »dünne von kleinen 
Vacuolen durchbrochene Plättchen« vorstellen, in allen Uebergängen 
zu »Körpern vom Aussehen rother Blutkörper mit deutlicher Dop- 
pelcontour (in Chromsäure - Präparaten!) und einer napfförmigen 
Vertiefung«. Sie werden in ihrem Aussehen durch Chromsäure und 
Holzessig nicht wesentlich verändert, sind auch nach Alkohol-Ter- 
perthinbehandlung vollkommen gut kenntlich und färben sich, wie 
die haematoblastische Substanz, in Goldchlorid violett mit Erhaltung 
des gelben Glanzes. 

Es ist nun in der That ebenso leicht, den Nachweis zu führen, 
dass diese Heitzmann’schen Haematoblasten mit den von mir in 
dem Knochenmarke aufgefundenen Entwicklungsstufen von rothen 
Blutzellen Nichts gemein haben. — H. selbst würde darüber sicher 
nicht einen Augenblick in Zweifel geblieben sein, wenn er es der 
Mühe werth gefunden hätte, letztere nach den von mir angegebenen 
Vorschriften aufzusuchen — als es schwierig ist, sich vorzustellen, dass 
aus solchen Proteus-artig in ihrer Form wechselnden Bildungen die 
so typisch gestalteten Blutzellen hervorgehen können. 

In ersterer Hinsicht wird es genügen, wenn ich, ohne die von 
mir am angeführten Orte gegebene ausführliche Beschreibung mei- 
ner Uebergangstormen zwischen farblosen und farbigen Blutkörpern 
zu wiederholen, darauf hinweise, dass ich die Identität derselben 
mit denjenigen Bildungen betont habe, welche bei Embryonen all- 
gemein als in der Entwicklung begriffene rothe Blutzellen anerkannt 
sind, nämlich mit den kernhaltigen rothen Blutzellen. Während 


172 E. Neumann: 


also die Anwesenheit eines oder mehrerer Kerne (resp. Kernrudi- 
mente) ein integrirendes Attribut meiner Uebergangsformen ist, stellt 
Heitzmann als charakteristisch für seine Haematoblasten gerade 
ihre ganz homogene, nicht differeneirte Beschaffenheit hin. Jene 
stellen meist kugelrunde, seltener ellipsoidische Massen dar und 
haben stets schön abgerundete Contouren, die Haematoblasten da- 
gegen zeichnen sich durch die Mannichfaltigkeit ihrer Formen oder, 
man könnte sagen, durch ihre grosse Formlosigkeit aus, indem ihre 
Form ebensowenig einem Gesetz unterliegt, wie die Form von Split- 
tern, in welche eine an sich homogene Substanz zertheilt wird. 
Derselbe Unterschied gilt in Betreff der Grösse, ich finde, dass meine 
Uebergangsformen innerhalb nicht weit auseinanderliegender Grenzen 
(0,006 hr 0,009 Mm.) schwanken, unter den Splittern der haemato- 
blastischen Substanz finden sich natürlich, wie Heitzmann’s Ab- 
bildungen lehren, neben sehr grossen auch sehr kleine Splitter. 
Diese werden uns ferner stets als stark glänzende Gebilde vorge- 
führt, ich finde dagegen die in der Entwicklung begriffenen rothen 
Blutkörper meistens (vom Kern abgesehen) nicht durch stärkere 
Lichtbrechung, sondern nur durch ihre Farbe von der umgebenden 
(wässrigen) Flüssigkeit unterschieden, demnach ohne Glanz und von 
zarten Contouren. 

Nicht minder müssen letztere auf die von Heitzmann seinen 
Haematoblasten zugeschriebene beneidenswerthe Widerstandsfähig- 
keit gegen Reagentien verzichten; ich bin ausser Stande, jene an 
anderen Präparaten, als solchen, welche dieselben in ihrem natür- 
lichen Medium enthalten, mit Sicherheit aufzufinden. Ich will 
zwar nicht leugnen, dass es durch ein besonders darauf gerichtetes 
Studium gelingen wird, dieselben in gewissen Reagentien, wie z. B. 
Glycerin, Ueberosmiansäure, Chromsäure, chromsauren Salzen etc. 
in ganz bestimmten Concentrationen in einem kenntlichen, nur wenig 
oder doch in charakteristischer Weise veränderten Zustande zu 
conserviren, wie es ja bekannt ist, dass auch die kernlosen rothen 
Blutkörper in den genannten Mitteln ganz gut erhalten werden 
können. Jedenfalls sind jene Körperchen aber viel empfindlicher 
als die letzteren und viel zarter anzugreifen, während Heitzmann 
bei der Behandlung seiner Haematoblasten mit Reagentien durch- 
aus nicht scrupulös sein durfte; um sie in ihrem frischen, leben- 
den (?) Zustande zu sehen, bedient er sich eines Zusatzes von 
!/sproc. Kochsalzlösung oder verdünnter Müller’scher Flüssigkeit, 


Die Heitzmann’schen Haematoblasten, 173 


er findet, dass dieselben in Knochen, die durch Chromsäure oder 
Holzessig entkalkt werden, nicht wesentlich verändert sind und 
scheint selbst auf den Grad der Concentration dieser Flüssigkeiten 
keinen besonderen Werth zu legen, da er sich über denselben wenig- 
stens aller Angaben enthält; auch Salzsäure zeigte sich brauchbar, 
um Studien über Haematoblasten anzustellen und Alkohol-Terpenthin- 
Behandlung that denselben keinen Abbruch. Jedenfalls erfreuen 
sie sich also im Gegensatz zu meinen Uebergangsformen einer recht 
kräftigen und zähen Constitution. 

Eine besondere Berücksichtigung verdient die von Heitzmann 
seinen Haematobiasten zugeschriebene gelbe Färbung, da sie hierin 
allerdings einen Berührungspunkt mit den von mir beschriebenen 
Bildungen zu haben scheinen. Es kann mir natürlich nicht in den 
Sinn kommen, zu behaupten, dass dieser Angabe Heitzmann’s 
eine optische Täuschung zu Grunde liege, aber es wird erlaubt sein, 
in Frage zu stellen, ob die von ihm gesehene gelbe Färbung seiner 
Haematoblasten durch Blutfarbstoff bedingt war. Dieser Zweifel 
hat, wie mir scheint, seine volle Berechtigung in dem Umstande, 
dass, wie angeführt, Heitzmann nicht nur den Haematoblasten, 
sondern überhaupt jedem Protoplasmakörper in seinem ursprüng- 
lichen Zustande sowie den Kernen und Kernkörperchen in gewissen 
Entwicklungsstadien des Protoplasma’s eine gleiche gelbe Färbung 
zuschreibt. Nun ist es wohl jedem Mikroskopiker bekannt, dass 
das Protoplasma der Zellen, namentlich wenn man es in ganz fri- 
schem Zustande untersucht, wie z. B. farblose Blut- oder Eiter- 
körperchen im Humor aquens, dass ferner die Kerne und die Kern- 
körperchen in vielen Fällen einen leicht gelbliehen Schimmer dar- 
bieten und dass dieser um so mehr hervortritt, je stärker der Glanz 
dieser Gebilde Zwischen diesem ins Graue spielenden gelblichen 
Schimmer und dem grünlichen Gelb des Blutfarbstoffes finde ich 
aber einen durchaus specifischen Unterschied, zu dessen Feststellung 
es einer genaueren physikalischen, etwa spektroskopischen Unter- 
suchung durchaus nicht bedarf, vorausgesetzt, dass die untersuchten 
Körper sich wirklich in ihrem natürlichen, durch keine Reagentien 
veränderten Zustand befinden. Unterscheidet man zwischen diesen 
beiden verschiedenen Arten gelber Färbung nicht, so kommt man 
als unmittelbare Consequenz der Heitzmann’schen Lehren zu dem 
parodoxen Resultat, dass die Zellen des embryonalen Leibes bei 
ihrem ersten Aufbau sämmtlich gelb sind und der Eintritt der 


174 E. Neumann: 


Blutbildung sich durch Beschränkung der gelben Färbung auf ge- 
wisse Zellen charakterisirt, während doch die Embryologen gerade 
in dem Auftreten einer gelben Färbung in der bis dahin ungefärb- 
ten Embryonalanlage den Beginn der Blutbildung erkennen und 
darüber sehr genaue Zeitangaben zu machen im Stande sind. 

Dass Heitzmann in der Beurtheilung der gelben Färbung 
nicht skeptisch genug verfahren ist, folgere ich auch daraus, dass 
er die gelbe »haematoblastische Substanz« sich durch Carmin inten- 
siv roth färben lässt, während doch der Blutfarbstoffl, wie man es 
an den rothen Blutkörpern sieht, eine Imbibition mit Carmin be- 
kanntlich ausschliesst. Ueber das Goldchlorid fehlt es mir an 
hinreichender eigener Erfahrung, doch ist mir auch aus den Angaben 
anderer Autoren nicht bekannt, dass sie durch dasselbe eine »vio- 
lette Färbung mit Erhaltung der gelben Farbe« an den gefärbten 
Blutzellen eintreten sahen, wie Heitzmann es bei der »haemato- 
blastischen Substanz« fand. Ebenso spricht die Behauptung des- 
selben, dass die Kerne resp. Kernkörperchen in dem »Zellenschema 
der Autoren« sowie die ersten Anlagen der Blutgefässe aus gelber 
haematoblastischer Substanz beständen, gegen die Identifieirung dieser 
mit der gelben Substanz der Blutkörperchen. Kerne oder Kern- 
körperchen, welche die eigenthümliche grünlich gelbe Farbe der 
Blutkörperchen darboten, sind bisher noch von keinem zuverläs- 
sigen Autor beschrieben worden und Bizzozero, der bei seinen 
ersten Bemühungen, meine Angaben zu prüfen, dergleichen im Kno- 
chenmarke zu finden wähnte), hat sich später ?) davon überzeugen 
müssen, (was Heitzmann entgangen zu sein scheint), dass die im 
Knochenmarke vorkommenden Uebergangsformen, meiner Beschrei- 
bung entsprechend, einen farblosen Kern und eine gelbe 
Zellsubstanz besitzen. Was aber die jungen Gefässanlagen — 
nach H. durch Vacuolenbildung ausgehöhlte haematoblastische Sub- 
stanz — betrifft, so liegen gerade darüber aus neuester Zeit zahl- 
reiche sorgfältige Untersuchungen vor, ohne dass auch nur ein 
anderer Untersucher an denselben die gelbe Farbe des Blutfarb- 
stoffes bemerkt hätte. 

So wenig ich nun Positives über die eigentliche Bedeutung der 
H.’schen Haematoblasten zu sagen vermag, so sicher scheint es mir 


1) Bizzozero, Gazetta mediea Italiana. — Lombardia 1868. Nr. 46, 
2) Derselbe, sul midollo delle ossa Napoli 1869. 


Die Heitzmann’schen Haematoblasten, 175 


nach dem Obigen, dass wir in ihnen keine in Bildung begriffenen 
rothen Blutkörper vor uns haben. Auf eine Blutbildung dürfen wir 
nach allen vorliegenden gesicherten Erfahrungen einstweilen nur da 
schliessen, wo wir die aus dem Embryo seit lange bekannten kern- 
haltigen rothen Blutzellen finden, von denen ich nachgewiesen habe, 
dass sie während des ganzen Lebens im rothen Marke der Knochen 
vorkommen. An den Orten und unter den Verhältnissen, wo nach 
Heitzmann eine Blutbildung stattfindet, kann ich sie nicht sta- 
tuiren. An den Ostificationsrändern der Knorpel, wo übrigens vor 
Heitzmann schon Aeby!) »kernartige Gebilde, von denen die 
allmählichsten Uebergänge, namentlich auch in Bezug auf die Ab- 
plattung, bis zum fertigen Blutkörperchen sich vorfinden« beschrieb, 
habe ich, wie bereits an anderem Orte?) erwähnt ist, vergeblich 
nach kernhaltigen rothen Blutzellen gesucht, ebenso wenig ist mir 
ihre Auffindung gelungen in dem fungösen Gewebe, welches sich 
bei der Entzündung der Knochen, Knorpel oder Beinhaut bildet 
oder in irgend welchen anderen Entzündungsheerden. Für das ent- 
zündete Knochenmark habe ich sogar ein Verschwinden der normal 
in ihm vorkommenden Uebergangsformen constatiren können ?). Den 
Carmalt-Stricker’schen Erfahrungen an der Frosch - Cornea 
(Wien. Med. Jahrb. 1871) kann ich deshalb keinen entscheidenden 
Werth in dieser Frage beimessen, weil sie nur an Goldpräparaten 
gewonnen sind. 


1) Aeby, über die Symphysis ossium pubis d. Menschen nebst Bemer- 
kungen zur Lehre vom hyalinen Knorpel und seiner Verknöcherung. Zeitschr. 
f. rationelle Medizin 3. Reihe Bd. IV. p. 54. 

2) E. Neumann, Bemerkungen über das Knorpelgewebe u. d. Ossi- 
fieationsprocess. Archiv f. Heilkunde. Bd. XI. p. 424. 

3) Vgl. meine vorläufige Mittheilung im Centralbl. f. d. medizin. Wiss. 
1869 Nr. 19. 


Ueber Bindegewebszellen. 
Von 
Ww. Waldeyer. 


Hierzu Taf. IX. 

Seit der bekannten Publication Ranviers!) über den Bau 
der Sehnen und des lockeren Bindegewebes hat die Lehre von der 
Form und Gestalt der Bindegewebszellen eine nicht unwesentliche 
Aenderung erfahren. Das »spindelförmige Bindegewebskörperchen« 
Virchows hat der »cellule plate« Ranviers weichen müssen. 
Namentlich haben Schweigger-Seidel, Schwalbe und dessen 
Schüler, ferner W. Flemming, Axel Key, G. Retzius u. A. 
nachgewiesen, dass die protoplasmaarmen platten Zellen Ranviers 
in den verschiedensten Abtheilungen der Bindesubstanzen die herr- 
schenden Formen sind, und es ist soweit gekommen, dass man bei 
der Erwähnung einer Bindegewebszelle, wie früher an ein spindel- 
förmiges Körperchen, so jetzt an eine platte dünne protoplasmaarme 
Zelle denkt. 

Ranvier selbst?) hat in der letzten Zeit seine Untersuchungen 
auf verschiedene Formen des Bindegewebes, namentlich auch auf die 
Bindesubstanz des Centralnervensystems, ausgedehnt. Die kürzlich 
dort von Boli®) als verbreitetste Zellenform der Bindesubstanz 
angesprochene sogenannte »Deiters’sche Zelle« erkennt er nicht an, 
sondern findet auch hier überall seine platten Zellen. Es sind 


1) Des elements cellulaires de tendons ete. Archives de Physiologie 
1869. Bd. II p. 471. 

2) Sur les &l&ments conjonctifs de la moelle epiniere. Compt. rend. 
LXXVII. Nr. 22. p. 1299. 

3) Histologie und Histogenese der nervösen Üentralorgane. Berlin 1873, 


Ueber Bindegewebszellen. 177 


übrigens, wie hier, um Missverständnissen zu begegnen, noch kurz 
bemerkt sein mag, die platten Zellen der Sehnen und der übrigen 
Bindesubstanzgebilde schon lange vor Ranvier bekannt gewesen. 
Henle und Koelliker erwähnen sie bereits in ihren Lehrbüchern ; 
besonders ist einer Publication Hoyers: »Ein Beitrag zur Histo- 
logie bindegewebiger Gebilde«, Arch. für Anat. und Physiol. von 
Reichert und Du Bois-Reymond 1865, zu gedenken, in der 
sie gut beschrieben werden. Weitere historische Notizen in dieser 
Beziehung enthält die unter W. Krause’s Leitung gearbeitete Dis- 
sertation von Adickes: »Zur Histologie des Bindegewebes. Göt- 
tingen 1872«. 

Die Irrthümer, welche Ranvier in seiner ersten Beschreibung 
der platten Sehnenzellen begangen hatte, sind zum Theil von Boll!) 
zum Theil von Grünhagen?) cerrigirt worden. Ranvier er- 
kennt dieselben in seiner neuesten Arbeit über diesen Gegenstand 3) 
an und liefert nunmehr eine Beschreibung der Sehnenzellen, welche 
sich im Wesentlichen an Grünhagen’s Darstellung anschliesst. 

Demnach sind die Sehnenzellen keine einfachen Platten, son- 
dern sind mit blattförmigen Anhängen versehen, stellen also, wie 
man einfach sagen könnte, »zusammengesetzte Platten« dar. Ich 
komme weiter unten auf die genauere Beschreibung dieser inter- 
essanten Zellenform zurück. 

Der Erste, welcher dieser Zellenform bei den Bindesubstanzen 
gedenkt, ist meines Wissens Koelliker; er spricht wenigstens in 
seinem Handbuche der Gewebelehre, 5. Auflage 1867 p. 74, von 
»ganz unregelmässig abgeplatteten, mit blatt- oder hautförmigen 
Abzweigungen versehenen Bindegewebszellen«. Von späteren Auto- 
ren sind ausser Grünhagen und Ranvier noch Bizzozero‘), 
der gleichzeitig mit Ranvier auch die platten Sehnenzellen be- 
schrieben hat, und neuerdings Stefanini°’)zu erwähnen. Ranvier 
fügt in seiner vorerwähnten neuesten Publication den Sehnenzellen 


1) Dieses Archiv Bd. VI. 

2) Notiz über die Ranvier’schen Sehnenkörper. Dieses Archiv Band 
IX. 1873. 

3) Archives de physiologie normale et pathologique par Brown- 
Sequard, Charcot, Vulpian. I. Ser. T. 1, p. 181. 1874. 

4) Rendiconti del R. istituto Lombardo 19 Agosto 1869 e 24 Febr. 1870. 
— S. a. Molesehotts Untersuchungen Bd. 11. Hft. 1. 1872. 

5) Sulla struttura del Tessuto tendineo. Torino, 1874. 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 11, 12 


178 W. Waldeyer: 


noch die Zellen einer anderen Localität, die der Schenkelfascie bei 
Fröschen hinzu. Von diesem Theile seiner Arbeit wird später noch 
die Rede sein. 

Im Nachfolgenden beabsichtige ich das Ergebniss einer Reihe 
von Untersuchungen über die Bindesubstanzen mitzutheilen, welche 
wesentlich die Form der gewöhnlichen platten Bindegewebszellen, das 
Verhalten ihrer Kerne und die Beschreibung einer besonderen Art 
von Bindesubstanzzellen zum Gegenstande haben. Ich wünschte da- 
mit hauptsächlich einer zu weit getriebenen Generalisirung der An- 
schauung, dass die reifen fixen Bindegewebszellen überall nur als 
einfache schmächtige, schleierähnliche Platten auftreten, mich gegen- 
über zu stellen. 


I. Die sogenannten platten Zellen des fibrillären Bindegewebes. 


Unter dieser Bezeichnung fasse ich die Zellen des lockeren 
flbrillären Bindegewebes und des geformten fibrillären Bindegewebes, 
der Sehnen und der fibrösen Häute, zusammen, welche sämmtlich bis 
auf die Sehnenzellen und die Zellen der Schenkelfascie vom Frosch 
(s. vorhin die Notiz über Ranviers neueste Arbeit) noch keine 
richtige Schilderung ihrer Form erfahren haben. Wie vorhin er- 
wähnt, stellen die Sehnenzellen keine einfachen rechtwinkligen Plat- 
ten dar, wie sie früher von Ranvier, Ponfick!) u. A. beschrie- 
ben wurden, sondern es sind complicirte Gebilde, die man am 
besten wohl als »zusammengesetzte Platten« bezeichnet und mit 
der Form eines »Schaufelrades« vergleicht, nur dass die Zusam- 
mensetzung nicht so regelmässig ist, wie bei diesem. Eine klare 
Vorstellung von der Form dieser Zellen gewinnt man auch auf 
folgende Weise: Man öffne ein Buch derart, dass man seine Blät- 
ter in 4—5—6 Gruppen auseinanderhält, die unter verschiedenen 
Winkeln aufeinanderstossen; das Ganze macht dann im Grossen 
ungefähr denselben Eindruck, wie eine Sehnenzelle im Kleinen. Man 
hat es also nicht mit einer Platte zu thun, sondern mit mehre- 
ren, die in verschiedener Weise unregelmässig aneinander gefügt 
sind. An den Rändern sind diese Platten nicht geradlinig abge- 
schnitten, sondern laufen in zahlreiche feine Fäden, oft von beträcht- 
licher Länge, aus, die bei zwei benachbarten Zellen auch unterein- 


1) Zum feineren Bau der Sehne, Centralblatt f. die med. Wissensch. 1872. 


Ueber Bindegewebszellen. 179 


ander organisch verwachsen sein (anastomosiren) können. Ich gehe 
hier nicht specieller auf den Bau der Sehnenzellen ein, da in Kur- 
zem von einem meiner Laboranten, Dr. Alexander, die Textur- 
verhältnisse der Sehne näher erörtert werden sollen, sondern be- 
schränke mich auf den Bau der fixen Bindegewebszellen in den 
fibrösen Häuten und im sog. lockeren Bindegewebe. 

Es hat sich mir durch eine grosse Anzahl von Untersuchungen 
frischer und in verschiedener Weise behandelter Präparate heraus- 
gestellt, dass der soeben kurz geschilderte Bau der Sehnenzellen 
wiederkehrt bei den sogenannten fixen Zellen der fibrösen Häute und 
auch des lockeren Bindegewebes. In der That sind diese Zellen 
weder einfache kernhaltige Platten noch Spindeln, sondern zusam- 
mengesetzte Platten, deren eine, die wir kurz als »Haupt- 
platte« bezeichnen wollen, für gewöhnlich den Kern trägt. Die 
übrigen Platten sind weniger umfangreich und erscheinen wie klei- 
nere Flügel, die unter spitzem oder nahezu rechtem Winkel an die 
Hauptplatte angesetzt sind, und die ihrerseits, ebenso wie die Ränder 
der Hauptplatte, in viele kleine fadenförmige Fortsätze auslaufen. 
Wo Bindegewebsfibrillenbündel vorhanden sind, schmiegen diese sich 
in die Hohlkehlen ein, welche zwischen zwei aneinanderstossenden 
Platten oder Flügeln bestehen. Niemals liegen jedoch die Zellen 
den Bündeln selbst unmittelbar an, sondern sind durch eine mehr 
oder minder stark entwickelte interfasciculäre, bez. interlamelläre 
Kittsubstanz von der eigentlichen Fibrillenmasse getrennt, so dass 
die Zellen selbst wieder in Hohlräume dieser Kittsubstanz (Saft- 
räume, v. Recklinghausen) eingesargt sind. Auch über dieses 
Verhältniss der Bindegewebszellen zur fibrillären und interfibrillären 
bez. interfasciculären Grundsubstanz wird binnen Kurzem in einer 
andern Mittheilung ausführlicher verhandelt werden. 

Bei der Flächenansicht frischer Präparate sind die verschiede- 
nen winklig aneinander gefügten Platten der Zellen meist nur sehr 
schwer zu sehen, wie es ja begreiflich ist. Doch erkennt man bei 
einiger Aufmerksamkeit sehr bald an zarten, quer, schräg oder längs 
zur Oberfläche der gerade en face liegenden Platte (wir wollen diese 
der Einfachheit wegen als Hauptplatte bezeichnen) verlaufenden 
Linien die Kantenzeichnungen der winklig angesetzten Neben- 
platten. Dieselben erscheinen meist als Striche oder Linien, viel- 
fach aber auch deutlich, bei etwas schräger Lage, als in der Ver- 
kürzung gesehene Platten. 


180 W. Waldeyer: 


Die Zahl derselben kann sehr wechseln; meist sind nur we- 
nige Nebenplatten vorhanden, 2—3; über 5—6 Nebenplatten kommt 
man selten hinaus; in manchen Fällen ist nur eine Nebenplatte zu 
sehen. Es giebt auch Zellen, an denen man keine Nebenplatten 
erkennt; doch ist das nicht die Regel. 

Isolirt man die Zellen, nachdem dieselben in situ gefärbt sind, 
so zeigen sich die verschiedenen Platten stets sehr deutlich. Das 
Verfahren, welches sich hierbei mir am Besten erprobt hat, ist fol- 
gendes: Man bringe das zu untersuchende Gewebe in einem leicht 
gespannten, möglichst der natürlichen Spannung entsprechenden 
Zustande mit einer Schutzleiste (um allen Druck zu vermeiden) in 
Serum unter das Deckglas. Dann setze man vom Rande her einige 
Tropfen gut bereiteten Ranvier’schen Pikrocarmins hinzu, schütze 
vor Verdunstung und lasse das Präparat unter dem Deckglase sich 
recht intensiv färben. Nachher wasche man das Pikrocarmin mit 
einem durch Fliesspapier erzeugten Strome verdünnten, möglichst 
neutralen Glycerins aus. Mitunter kann man dann schon, falls die 
Färbung gut gelungen ist, an den so in situ erhaltenen Zellen recht 
gut die Plattenzusammensetzung erkennen; oder man zerzupft vor- 
sichtig mit scharfen Staarlanzen, wobei man immer eine Anzahl von 
Zellen isolirt erhält. An solchen isolirten Gebilden kann man sich 
dann ohne Mühe von der Richtigkeit der vorher gegebenen Beschrei- 
bung überzeugen. Nur ist auf einen Umstand Rücksicht zu neh- 
men, den nämlich, dass die isolirten Zellen sehr häufig arg verstüm- 
melt und verunstaltet erscheinen; die Platten sind zerknittert, ein- 
gerollt, zum Theil abgerissen, gefaltet, wie das bei der Zartheit 
dieser Bildungen nicht anders sein kann, wenn man die verhältniss- 
mässig rohe Procedur erwägt, wie sie auch das schonendste Zer- 
zupfen immer noch darstellt. 

Das, was von Boll (l. c.) als. velastischer Streifen« an den 
Sehnenzellen beschrieben worden ist, stellt nichts anderes vor, als 
die Kantenansicht einer Nebenplatte (die Hauptplatte wieder als 
en face erscheinend gedacht). Der beste Beweis für die Richtigkeit 
dieser Auffassung liegt darin, dass man an jeder Sehnenzelle meh- 
rere solcher Streifen sehen kann, welche an Zahl den Nebenplatten 
entsprechen, und dass dieselben Streifen auch an den Bindegewebs- 
zellen der Dura mater, der Cutis, der Cornea, des lockeren Binde- 
gewebes etc. erscheinen, wenn auch nicht mit solcher Regel- 
mässigkeit. 


Ueber Bindegewebszellen. 181 


Die reifen fixen Zellen des Bindegewebes sind sehr protoplasma- 
arın; nur in der Nähe des Kerns gewahrt man in etwas mehr aus- 
geprägter Weise jene feine Körnung, welche für das frische Proto- 
plasma, ich möchte sagen, charakteristisch ist; weiterhin verliert 
sich diese Körnung mehr und mehr, ‘und die Platten erscheinen 
stellenweise ganz homogen. Der Theil des Protoplasma’s, welcher 
um den Kern gelegen ist, färbt sich gewöhnlich auch etwas dunkler. 

Was die Form der Kerne anlangt, so finde ich dieselben im 
unversehrten Zustande stets eilipsoidisch, bald mehr oder weniger 
langgestreckt, mit scharfem Contour, den ich nicht immer als dop- 
pelten erkennen konnte. Die Kernkörperchen sind klein, aber 
scharf ausgeprägt. Ich habe bis jetzt in keiner fixen Bindegewebs- 
zelle, sobald sie in keiner Weise verstümmelt war, die Kerne und 
Kernkörperchen vermisst. Im frischen Zustande der Zellen wird 
man zuerst durch die glänzenden, scharf gezeichneten Kernkörper- 
chen auf die Kerne geführt, deren Contour gewöhnlich durch das 
umgebende Protoplasma etwas verdeckt wird. Das beste Mittel, um 
die Kerne und Kernkörperchen gut sichtbar zu machen und dauernd 
zu fixiren, ist die vorhin angeführte Färbung mit Pikrocarmin unter 
dem Deckglase. Die Grösse der Kerne unterliegt bei den verschie- 
denen Bindegewebsformen keinen bedeutenden Schwankungen. 


11. Die fixen Hornhautzellen. 


Die fixen Hornhautzellen — Hornhautkörperchen der Autoren 
— haben bei ihrer grossen Wichtigkeit immer eine Art Ausnahme- 
stellung unter den Bindegewebszellen eingenommen. Trotz der vie- 
len Untersuchungen, deren Object sie seit Jahrzehnten waren, ist 
keineswegs eine Einigung über ihre wahre Gestalt erzielt. Ver- 
gleicht man die zahlreichen Abbildungen, welche von den Hornhaut- 
zellen existiren, so kommen die grössten Differenzen zum Vorschein, 
welche namentlich in den beiden Fragen gipfeln: Sind die Hornhaut- 
zellen platte protoplasmarme Körper, wie sie Schweigger-Sei- 
del!) schildert, oder entsprechen sie dem von Stricker und 
neuerdings von Rollett?) aufgestellten Bilde, demzufolge sie 
mit einem immerhin ansehnlichen Protoplasmaleibe begabte Kör- 


1) Berichte der königl. Gesellschaft der Wissensch. Leipzig 1870. 
2) Stricker’s Handbuch der Gewebelehre Artikel: »Cornea«. 


182 W. Waldeyer: 


per repräsentirten, welche die sogenannten Saftlücken und das 
ganze Saftkanalsystem der Hornhaut durchweg ausfüllten? Fer- 
ner: Welches ist die wahre Gestalt der Kerne der Hornhaut- 
zellen ? 

Die erste dieser Fragen habe ich in einer kürzlich erschie- 
nenen Publication!) dahin zu beantworten gesucht, dass die Horn- 
hautzellen weder dem einen noch dem anderen Extrem entsprechen, 
sondern platte Körper vorstellen, welche um den Kern noch eine 
deutlich nachweisbare Menge von feinkörnigem Protoplasma besitzen, 
gegen die Peripherie aber in eine mehr homogene Platte auslaufen, 
an der deutliche Fortsätze auftreten, die mit denen benachbarter 
Zellen zum Theil verschmelzen, zum Theil frei enden, so dass bei 
Weitem nicht alle Saftkanälchen mit Fortsätzen der Hornhautzellen 
ausgefüllt sind. 

Gegenwärtig kann ich diese Darstellung durch eine, wie mir 
scheint, nicht unwesentliche Angabe ergänzen, dass nämlich die Horn- 
hautzellen im Grossen und Ganzen von dem vorhin geschilderten 
Baue der Sehnen- und Bindegewebszellen nicht abweichen. Diesel- 
ben sind ebenfalls mit zarten Nebenplatten besetzt; die Kerne lie- 
gen im Centrum, nahe der Vereinigungsstelle der Platten ; letztere 
selbst — meist 2—3 Nebenplatten an einer Hauptplatte — werden 
an den Rändern ganz dünn und schleierartig, und sind dort mit 
Fortsätzen, wie mit franzenförmigen Anhängen, versehen. (Vgl. Figg. 
3 und 4 Taf. IX.) 

Die Kerne der Hornhautzellen bieten für ihre richtige Auf- 
fassung nicht wenig Schwierigkeiten. Es ist bekannt, dass diesel- 
ben, namentlich an Goldchloridpräparaten, aber auch nach Carmin- 
oder Hämatoxylintinctionen, in äusserst wechselnden Formen auftre- 
ten. Bald erhält man rundliche Kerne, bald ganz langgezogene, 
wie lange schmale Stäbchen erscheinende, die oft noch an einem oder 
an beiden Enden keulenförmig verdickt sind, bald sind die frag- 
lichen Kerne halbmondförmig gekrümmt, in anderen Fällen mit zwei 
und mehreren Ausbuchtungen versehen, so dass sie eine Kreuzform 
annehmen; kurz, es ist unmöglich eine allgemein gültige Beschrei- 
bung der Kerne der Hornhautzellen zu geben. 


1) S. Handbuch der Augenheilkunde, herausgegeben von Alfred 
Graefe und Th. Saemisch. Bd. I Abth. I. Artikel: Conjunctiva, Sklera, 
Cornea. 


Ueber Bindegewebszellen. 183 


Aehnliche Formen, wie wir sie bei den Hornhautkernen finden, 
beschreibt Ranvier sehr treu von den Kernen der Schenkelfascie 
bei Fröschen!). Er erklärt diesen Formenwechsel durch die Lage- 
rung der Kerne zwischen den einander rechtwinklig kreuzenden Binde- 
gewebsbündeln dieser Fascie. Die Kerne sollten sich den von den 
verschiedenen Seiten vorbeistreichenden Bündeln adaptiren und, eng 
zwischen denselben eingeklemmt, gewissermassen Einbuchtungen von 
Seiten der Bündel erfahren, so dass die Kerne im Kleinen die Form 
der zusammengesetzten Zellenplatte wiederholten. Das mag für 
manche Formen zutreffend sein, erklärt aber nicht alle in genügen- 
der Weise. Ich habe die Schenkelfascie der Frösche, sowie eine 
Anzahl anderer fibröser Membranen ebenfalls untersucht. Die Schen- 
kelfascie bietet in der That eine. auffallende Aehnlichkeit in der 
Disposition ihrer Fibrillenbündel mit der Hornhaut. Bei der einen 
wie bei der anderen Membran sind nahezu gleich starke Fibrillen- 
bündel in rechtwinklig einander kreuzenden Lagen angeordnet; ein 
Unterschied besteht nur darin, dass die Hornhaut aus viel mehr 
übereinanderliegenden Schichten solcher sich kreuzender Bündel zu- 
sammengesetzt ist. Man könnte also, falls man die Form der Kerne 
von der Anordnung der Fibrillenbündel abhängig sein lässt, die von 
Ranvier für die Schenkelfascie gegebene Erklärung der auffallen- 
den Kernformen auch auf die Kerne der Hornhautzellen übertragen. 
Doch reicht diese Annahme allein nicht aus. 

Bei den Hornhautzellen habe ich mich überzeugt, dass eine 
ganze Reihe von Momenten in Betracht kommen, welche die ver- 
schiedene Gestaltung der Kerne bedingen. Dahin gehören: Zerrun- 
gen und Dehnungen der Zellen, Einfluss der verwendeten Reagentien, 
die Stellung, in welcher man die Kerne zur Ansicht bekommt, der 
Einfluss, welchen die an den Zellen sitzenden Nebenplatten haben, 
die (bei Tinctionspräparaten) oft sehr dunkle Färbung des proto- 
plasmatischen Antheils der Zellen, welche die Kerne ganz oder zum 
Theil verdeckt oder grösser erscheinen lässt, als sie wirklich sind, 
und endlich wirkliche Einbuchtungen oder winklige Stellungen der 
Kerne im Sinne Ranviers, bedingt durch die hart vorbeistreichen- 
den Fibrillenbündel. 

Bevor wir diese Dinge im Einzelnen kurz besprechen, mag 
voraufgeschickt werden, dass die Kerne der meisten Horn- 


1) Archives de physiologie etc. I. Ser. T. 1.1. c. 


184 W. Waldeyer: 


hautzellen einfache ovale Formen haben, wie die Kerne 
der gewöhnlichen Bindegewebszellen und der Sehnenzellen. Weit- 
aus die meisten haben ferner kleine, scharf conturirte, glänzende, 
kuglige Kernkörperchen. In dieser Beziehung unterscheiden sich 
also die Hornhautzellen nicht von den übrigen platten Binde- 
gewebszellen. 


Am frischen Präparate erscheinen die Kerne ganz hell inmit- 
ten des äusserst feinkörnigen Zellenprotoplasma; die Kernkörperchen 
zeigen hier einen leicht gelblichen Glanz; sie fallen gewöhnlich dem 
Beobachter zuerst ins Auge. 


Die Kerne der Hornhautzellen sind auch nicht grösser als die 
der Sehnenzellen oder der Zellen des lockeren Bindegewebes; dage- 
gen erscheinen sie stets auffallend gross, und namentlich mit den 
wechselnden eingebuchteten Formen, in Goldchloridpräparaten. Ver- 
gleichende Messungen der Kerne frischer, ohne Reagens betrach- 
teter Hornhautzellen und der Kerne von Goldchloridpräparaten 
(einfaches Goldchlorid, Goldchloridnatrium und Goldchloridkalium) 
erweisen die. Man muss daher annehmen, dass das Goldehlorid 
eine leichte Quellung der Kerne verursacht, wobei denn auch die 
Form derselben unter Umständen alterirt werden kann. 


Zerrungen und Dehnungen der Hornhäute lassen die Zellen 
sowie die Kerne nach einer Richtung hin oft ausserordentlich ver- 
längert erscheinen. Man kann solche Bilder verstümmelter Kerne 
sehr leicht künstlich darstellen ; auch treten dann häufig gekrümmte 
und eingebuchtete Kernformen auf. Mit besonderer Vorsicht sind 
auf Grund dieser Wahrnehmungen jene Bilder zu deuten, welche 
man von den Hornhautzellen nach Application von Entzündungs- 
reizen erhält. Ein guter Theil der in der Nähe der Applications- 
stelle verändert erscheinenden Hornhautzellen hat seine Form ein- 
fach den mechanischen Eingriffen zu verdanken. 


Was die Stellung betrifft, in welcher man die Kerne zur An- 
sicht bekommt, so ist darüber nur kurz zu bemerken, dass die Flä- 
chenansicht der Zellen, die uns die regelmässigen ovalen Kernformen 
zeigt, nicht immer bei der Betrachtung der Hornhaut von einer 
ihrer beiden Flächen her gewonnen wird; manche Kerne sind auch 
so gestellt, dass sie dem Beschauer unter dieser Anordnung der 
Cornea ihre Kanten zuwenden und dann als schmale, mitunter 
leicht gekrümmte Stäbchen erscheinen. 


Ueber Bindegewebszellen. 185 


Vergrössert können die Kerne erscheinen durch Quellung, wie 
wir es vorhin von Goldchloridpräparaten bemerkten, ferner durch 
die an den Hornhautzellen sitzenden Nebenplatten, so wie durch 
tiefe Färbung des protoplasmatischen Antheiles der Hornhautzellen. 
Durch alle drei Momente kann auch die gewöhnliche ovale Kern- 
form im mikroskopischen Bilde bedeutend verändert werden. Wenn 
eine Nebenplatte so von der Hauptzellplatte, in der der Kern liegt, 
abgeht, dass sie den Kern kreuzt, und man gerade auf die scharfe 
Kaute der Nebenplatte sieht, so verdeckt diese natürlich den Kern- 
contour, und es kann letzterer, da man bei dieser Ansicht die An- 
heftungslinie der Nebenplatte an die Hauptplatte nicht immer genau 
zu sehen vermag, dadurch in verzerrter Form erscheinen, dass ein 
Theil der Basis der Nebenplatte noch mit als zum Kern gehörig 
angesehen wird. Bei verzerrt erscheinenden Kernen muss man im- 
mer diese Verhältnisse im Auge haben. — Um den Kern der Horn- 
hautzellen herum befindet sich gewöhnlich eine grössere Menge von 
Protoplasma, während die mehr peripherischen Theile der Zellen 
als dünne schleierartige Platten erscheinen. Diese dünnen, kaum 
mehr protoplasmahaltigen Platten färben sich in Carmin oder in 
Haematoxylin nur äusserst schwach, der den Kern umgebende Pro- 
toplasmahof mitunter aber so tief, dass er den Kern verdeckt. So 
kann man leicht jenen Protoplasmahof für den Kern nehmen, 
Eindrücke und Reliefs desselben auf den Kern beziehen, wäh- 
rend der letztere darin verborgen steckt und seine einfache ovale 
Form hat. Auch dieses Verhältniss muss bei der Beurtheilung von 
Hornhautpräparaten berücksichtigt werden. 

Eine Anzahl Kerne freilich zeigen in der That Einbuchtungen, 
und meist deshalb, weil sie zum Theil in der Hauptplatte, zum Theil 
in einer oder in zwei Nebenplatten liegen; der Kern ahmt also 
gewissermassen die Form der Zellen, welche wieder durch die eigen- 
thümliche Anordnung der Fibrillenbündel bedingt ist, nach. 

Nach dem im Vorhergehenden gemachten Mittheilungen dürfte 
sich als allgemeines Resultat ergeben, dass die Grundform der soge- 
nannten fixen Bindegewebszellen bei allen Abtheilungen der mit Fi- 
brillen versehenen Bindesubstanz weder die einer Spindel noch die 
einer rechteckigen planen oder umgerollten Platte, sondern die eines 
zusammengesetzten Plattensystems ist. Gewöhnlich tritt eine der 
Platten als die dominirende hervor — wir nennen sie die »Haupt- 
platte«e —; an diese sind stets eine oder mehrere »Nebenplat- 


186 W. Waldeyer: 


ten«, wie seitlich unter verschiedenem Winkel abgehende Flügel, 
angesetzt. Die Peripherie der Haupt- so wie der Nebenplatten 
läuft stets in eine Anzahl feiner fadenförmiger Fortsätze aus. 

Wenn wir soeben zwischen Haupt- und Nebenplatte unterschie- 
den haben, so ist damit nicht gesagt, dass unter allen Umständen 
eine der Platten durch ihre Grösse sich als ein dominirendes Ge- 
bilde hervorthun müsse. Mitunter sind auch die ein Zellenindividuum 
zusammensetzenden Platten alle von ziemlich gleicher Grösse, so 
dass es rein willkürlich bleibt, welche von diesen wir als Haupt- 
platte, welche wir als Nebenplatten bezeichnen wollen. 

Wodurch die eben geschilderte Zellenform bedingt werde, ist 
endgültig nicht leicht zu entscheiden. Wie es Ranvier (l. c.) für 
die Sehne und die Schenkelfascie vom Frosch wahrscheinlich zu ma- 
chen gesucht hat, liegt es nahe, einen Einfluss der sich bildenden 
Fibrillenbündel auf die Form der Zellen anzunehmen. Es ist klar, 
dass ein Zellkörper von Anfangs rundlicher Form, der zwischen 
mehreren aneinanderstossenden Fibrillenbündeln steckt, sich in einen 
Körper mit hohlkehlenartigen Ausschnitten verwandeln muss, wenn 
die Fibrillenbündel stetig wachsen und den weichen Zellenkörper 
zwischen sich einklemmen. Jedes Fribillenbündel passt dann in einen 
der hohlkehlenartigen Ausschnitte hinein. Damit bleibt die An- 
nahme eines Saftkanalsystems (Saftlücken mit Saftkanälchen) nach 
v. Recklinghausen vollständig vereinbar, wenn wir auch für 
einen Theil der Ausläufer der Saftlücken den Namen »Saftspal- 
ten« statt »Saftkanälchen« adoptiren müssen. 


III. Grosse protoplasmareiche Bindegewebszellen. 


In seiner bekannten Arbeit »Ueber Eiter- und Bindegewebs- 
körperchen« Virchow’s Archiv 28. Bd. 1863 p. 157 ff. spricht 
v. Recklinghausen p. 176 von den Bindegewebszellen im Omen- 
tum und der Pleura junger Kaninchen. In diesen Häuten finde 
man, ausser den Wanderzellen, grosse rundliche Zellen und andere 
sehr grosse Zellkörper von spindelförmiger Gestalt, oder auch etwas 
ramificirt. In der Abbildung werden diese Zellen viel mehr dunkel 
und grobkörnig gezeichnet als die übrigen. 

Später hat Kühne!), ohneder Angabe v. Recklinghausen’s 


1) Untersuchungen über das Protoplasma. Leipzig, 1864. 


Ueber Bindegewebszellen. 187 


zu gedenken, aus dem intermusculären Bindegewebe des Frosches 
eine Zellform beschrieben, die nach der Schilderung und nach den 
Abbildungen, welche Kühne davon entwirft, wohl mit den grossen 
dunkelkörnigen Zellen v. Recklinghausen’s zusammengestellt 
werden muss. Er sagt p. 1121. c.: »Die dritte Form der hierher 
gehörigen Körperchen des Bindegewebes zeichnet sich aus durch 
die grobkörnige Beschaffenheit, ihr trübes Aussehen im durchfallen- 
den und ihr glänzend weisses Aussehen im auffallenden Licht. Diese 
Massen finden sich vorzugsweise in einer Richtung untereinander 
zu Strängen vereinigt und sind nur sehr selten zu Gruppen nach 
verschiedener Richtung angeordnet. An vielen sieht man einen 
deutlichen bläschenartigen Kern mit glänzenden Kernkörperchen, 
bei andern dagegen zeigt sich an Stelle des Kerns nur ein heller 
Hof, dessen Erscheinung wahrscheinlich bedingt wird durch einen 
im Innern der trüben körnigen Masse versteckt liegenden durch- 
sichtigen Kern. Körperchen von dieser Beschaffenheit kommen auch 
einzeln vor. In der Regel hängen sie aber zu längeren wurstförmi- 
gen Strängen verschmolzen miteinander zusammen.« 

Einige Jahre später schildert Cohnheim!), ebenfalls ohne auf 
‘ Receklinghausen’s Angaben zu recurriren, die Bindegewebszellen 
im Zungengewebe des Frosches. Er erinnert vorweg daran, dass es 
vergebene Mühe sein würde, alle die sonderbaren und an Grösse wie 
an Gestalt ungemein variirenden Formen der Bindegewebszellen 
dieser Localität zu beschreiben. Doch könne man, 1. c. p. 344, mit 
Rücksicht auf die Beschaffenheit der Zellsubstanz ohne Schwierigkeit 
zweierlei Arten unterscheiden — eine, und dazu gehöre die grosse 
Mehrzahl der Körperchen, mit sehr blassem und mattem, 
äusserst feinkörnigen Protoplasma und eine zweite, nume- 
risch viel schwächer vertretene, mit grobgranulirtem Proto- 
plasma und deshalb viel stärker glänzend ; letztere seien zuwei- 
len zu kleinen Gruppen vereinigt. Kerne könnten bei der Mehr- 
zahl der Körperchen bei frischer Untersuchung ohne Zusatz von 
Reagentien nicht nachgewiesen werden. Dagegen nehme man in 
einigen von den blassen feingranulirten und in allen grobgranulirten 
von Anfang an helle, meist ovale, zuweilen auch mehr stäbchen- 
förmige Flecke wahr, die ganz den Habitus von Kernen haben; 


1) Ueber das Verhalten der fixen Bindegewebszellen bei der Entzün- 
dung. Virchow’s Arch, 45. Band p. 333. 


188 W. Waldeyer: 


indess einen deutlichen Contour konnte Cohnheim an ihnen nicht 
nachweisen, vielmehr machten diese Stellen eigentlich den Eindruck 
von Lücken im Zellkörper. Einige Male befand sich mitten in 
diesem hellen Flecke ein solider elliptischer Körper von der Grösse 
eines gewöhnlichen Nucleus, dessen Contour aber sehr evident von 
dem des hellen Flecks unterschieden werden konnte. Essigsäure 
liess in einer Anzahl Körperchen unzweifelhafte Kerne zum Vor- 
schein kommen, bei vielen andern aber nicht. Einzelne Zellen be- 
kamen nur etwas harte Contouren, in andern entstanden körnige 
Niederschläge, die gewöhnlich an irgend einer Stelle sich etwas dich- 
ter zusammenballten, als überall sonst, und dadurch wohl den An- 
schein eines Kerns erzeugen konnten. 

Auch Boll!) spricht von rundlichen protoplasmareichen 
Bindegewebszellen an verschiedenen Orten im Bindegewebe ; die Grösse 
dieser Zellen sei mitunter eine sehr beträchtliche. Er vergleicht 
bereits diese Zellen mit den interstitiellen Zellen des Hodens, legt 
jedoch, da seine Arbeit wesentlich die platten Bindegewebszellen 
verfolgt, kein besonderes Gewicht auf diese Formen. 

Hierher gehören auch wohl die freilich als »zarte« beschrie- 
benen meist rundlichen Zellen Köllikers, s. Handb. d. Gewebel. 
p. 75. 5. Aufl., welche namentlich in der Haut des Scrotums in der 
Nähe von Gefässen und Nerven vorkommen sollen. 

Wir finden ferner bei Rollett?) grobkörnige grosse Zellen 
von mehreren Arten des Bindegewebes beschrieben, jedoch ohne 
weitere Berücksichtigung der Aehnlichkeit dieser Zellen mit beson- 
deren Zellenformen anderer Localitäten. v. Biesiadecki?) notirt 
kurz grössere rundliche protoplasmareiche Zellen aus dem Unter- 
hautzellgewebe, ebenso Klein *) aus den serösen Häuten. 

Auf die Angaben von Sigmund Mayer’) komme ich nach- 
her zurück. 


1) Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Gewebe 
I. Abth. Dieses Archiv Bd. VII. 1871. p. 322. 


2) Artikel: »Bindesubstanzen« Stricker’s Handbuch der Gewebe- 
lehre 1868. 


3) Strieker’s Handbuch der Gewebelehre Artikel: Haut, Haare, Nä- 
gel, p. 583. 
4) Ibidem. Artikel: seröse Häute p. 621. 


5) Beobachtungen und Reflexionen über den Bau und die Verrichtun- 


Ueber Bindegewebszellen. 189 


Aus der kurzen obigen Zusammenstellung, der vielleicht noch 
manche unbeachtet gebliebene Einzelbemerkung verschiedener Auto- 
ren anzureihen wäre, geht hervor, dass im Bindegewebe eine, 
wenn nicht der Zahl, so doch der Verbreitung nach ebenso wichtige 
Gruppe von Zellen vorkommt, wie die vorbin beschriebenen plat- 
ten Zellen, ich meine grosse, mehr rundliche protoplasmareiche 
Zellen. Vielleicht darf man diesen Zellen vorläufig den Namen: 
»Embryonalzellen des Bindegewebes« oder kurzweg „Plas- 
mazellen« geben, da sie, wie auch bereits von verschiedenen 
Seiten hervorgehoben ist, in der That mehr den embryonalen Zellen 
der Bindesubstanz gleichen und sich durch ihren Reichthum an 
körnigem Protoplasma vor den »Plattenzellen« des Bindegewe- 
bes auszeichnen. Die bisherigen Beobachtungen stehen aber ver- 
einzelt da, und so hat die Anerkennung dieser Plasmazellen als 
einer besondern Formengruppe sich bis jetzt keine rechte Geltung 
verschaffen können. 

Schon vor einigen Jahren, bei Gelegenheit von Untersuchungen 
über die Entwicklung der Carcinome !), wurde ich auf jene grossen 
grob granulirten Bindegewebszellen aufmerksam. Ich beachtete sie 
namentlich in Rücksicht auf diejenigen Zellen, welche im Hoden als 
Adventitialbeleg der Blutgefässe vorkommen, die Zwischensub- 
stanzzellen des Hodens, und auf die Zellen, welche die soge- 
nannten Schläuche der Steiss- und Carotidendrüsen bilden. Bald 
darauf fand ich grosse rundliche protoplasmareiche Zellen in der 
Haut der Augenlider und habe sie seither mit v. Biesiadecki im 
Unterhautzellgewebe überall, wenn auch weniger reichlich als in der 
Lidhaut, getroffen. Dr. Alexander, welcher in meinem Labora- 
torium arbeitete, sah sie in reichlicher Menge längs der Blutgefässe 
in der Dura mater von kleinen Säugethieren, namentlich von Ratten 
(vgl. Fig. 1 Taf. IX). Ich habe ferner seröse Häute und andere 
fibrröse Häute darauf untersucht und bin überall auf diese Zellen- 
formen gestossen. Die Abbildung (Fig 2) giebt z. B. eine solche 
grobgranulirte runde Zelle aus dem Omentum einer Maus wieder. 
An der Dura und Pia mater (Fig. 1) sowie im Gehirn zeigt 
sich zugleich auch eine Eigenthümlichkeit, welche ziemlich häufig 


gen des sympathischen Nervensystems. Wiener akad. Sitzungsber. 1872. 
Abth. II Bd. I p. 117. 
1) Die Entwicklung der Carcinome. Virchow’s Arch. 55. Bd. 


190 W. Waldeyer: 


in die Erscheinung tritt, dass nämlich diese Zellen in der Nähe 
der Blutgefässe zu liegen pflegen; so viel ich sehe, sind die 
Arterien bevorzugt; sie kommen aber auch bei den Venen und 
Capillaren vor. 

Ist es schon an und für sich beachtenswerth, dass neben den 
platten Bindegewebszellen diese runden Formen, die man wohl von 
den gewöhnlichen Wanderzellen unterscheiden muss — sie sind viel. 
grösser als diese letzteren und zeigen auch für gewöhnlich keine 
amöboiden Bewegungen — als allgemeines Vorkommniss registrirt 
werden müssen, so können wir denselben ein noch erhöhtes Inter- 
esse durch den Vergleich mit anderen Zellenformen abgewinnen, die 
bisher auch als Einzelgruppen isolirt dastanden, und somit der wei- 
teren Forschung kaum Angriffispunkte darboten. 

Auf Grund mehrfacher Untersuchungen glaube ich noch fol- 
sende Zellen in die Kategorie der grossen runden protoplasmarei- 
chen Bindesubstanzzellen — der Plasmazellen — setzen zu dürfen: 

1) Die Zellen der sogenannten Zwischensubstanz des Hoden. 

2) Die Zellen der Steissdrüse. 

3) Die Zellen der Carotidendrüse. 

4) Grosse runde Zellen, welche nicht selten als adventitieller 

Beleg an den Hirngefässen gefunden werden. 

5) Die Zellen der Nebenniere. 

6) Die Zellen des Corpus luteum. 

7) Die sogenannten Decidua- oder Serotinazellen der Placenta. 

Charakteristisch für alle diese Zellenformen ist, dass sie sich 
aus den bindegewebigen Zellen entwickeln und in einem eigenthüm- 
lichen Zusammenhange mit den Blutgefässen stehen; sie sind näm- 
lich stets dicht um die Blutgefässe angeordnet, die sie wie mit 
Scheiden bekleiden. Sehr evident zeigen das die Zellen der vorhin 
unter Nr. 1—4 aufgeführten Gebilde; ich kann es mir ersparen, 
von denselben hier eine ausführliche Schilderung zu geben, da sie 
bereits vielfach beschrieben worden sind. Die des Hodens, an 
denen diese Verhältnisse am klarsten vorliegen, z. B. neuerdings 
von Hofmeister, Wiener akad. Sitzungsberichte 1872, ferner von 
v.Mihalkovics!). Ueber die Zellen der Steissdrüse und Carotiden- 
drüse giebt die bezügliche Abhandlung Eberth’s in Stricker’s 


1) Untersuchungen über den Bau des Hodens. Leipzig 1873. (Sitzungs- 
berichte der Königl. Akad. der Wissenschaften.) 


Ueber Bindegewebszellen. 191 


Handbuch der Gewebelehre, deren Resultaten ich durchweg zustim- 
men kann, gute Auskunft. Ich habe bereits in meiner vorhin er- 
wähnten Arbeit über die Entwicklung der Carcinome diese Zellen 
in eine Kategorie zusammengestellt, und hat v. Mihalkovies sich 
dem angeschlossen. Die Formen dieser Zellen weichen auch durchaus 
nicht ab von den vorhin beschriebenen, im Bindegewebe überall 
verstreuten runden Zellen. 


Aehnlich verhält es sich auch mit den Zellen der Neben- 
niere. Wie v. Brunn gezeigt hat!), sind die Nebennierenzellen 
ihrer Entwicklung nach bindegewebiger Natur und stehen in inni- 
ger Verbindung mit den Blutgefässen, namentlich mit den Venen, 
die von ihnen, gleichwie von einer zelligen Adventitia, umgürtet 
werden. Die Markzellen der Nebennieren und die meisten Rinden- 
zellen zeigen auch grosse Formähnlichkeiten mit den vorhin be- 
schriebenen Plasmazellen. Noch mehr tritt das bei den Nebennieren 
niederer Wirbelthiere hervor, welche bekanntlich nach Leydig’s 
‘ Untersuchungen?) keine compakte Massen bilden, sondern zerstreute 
Zellenhaufen, welche den Blutgefässen und den Strängen und Ganglien 
des sympathischen Nervensystems aufsitzen, so dass wir hier Ueber- 
gangsformen zwischen einem compakten Organ und den zerstreuten 
Zellen hätten. Freilich zeichnen sich die Markzellen der Neben- 
niere durch die von Henle entdeckte Eigenschaft, sich m chrom- 
sauren Salzen gelbbraun zu färben, aus, was den andern hier auf- 
geführten Zellen abgeht; diese Eigenschaft berechtigt aber noch 
nicht zu einer durchgreifenden Trennung. 


Sigmund Mayer hat (l.c.) die dem Sympathicus der Frösche 
ansitzenden Zellen als nervöse gedeutet, stellt sie aber doch mit 
der Nebenniere, für deren bekannte Auffassung als nervöses Organ 
er wieder plaidirt, zusammen. Ich neige mich mehr dazu, alle diese 
Zellen in eine innige Beziehung zum Gefässapparate zu bringen, 
und bin dabei durch die anatomischen und entwicklungsgeschicht- 
lichen Verhältnisse gestützt. Dass Beziehungen zum Nervensystem 
bestehen, will ich nicht leugnen, doch möchte ich vor der Hand 


2) Ueber den Bau und die Entwicklung der Nebennieren. Dieses 
Arch. Bd. VII. 

1) S. Lehrbuch der Histologie und Anatomisch-histol, Untersuchungen 
über Fische und Reptilien. Berlin 1853. 


192 W. Waldeyer: 


diese Zellen des Frosch-Sympathicus und der Nebennieren nicht mit 
gangliösen Apparaten zusammenstellen. 

Neuere Untersuchungen über die Entwicklung des Corpus 
luteum und das Verhalten seiner eigenthümlichen Zellen haben mir 
ergeben, dass diese Zellen am Besten hierher zu rechnen sind. 
Dasselbe gilt von den bekannten grossen Decidual- oder Serotina- 
Zellen der Placenta. Letztere entwickeln sich stets um die mütter- 
lichen Blutgefässe, namentlich um die Arterien herum, und zeigen 
ganz die Formen der grossen protoplasmatischen Bindegewebszellen. 
Sie zeichnen sich, neben ihrer bedeutenden Grösse, dadurch aus, 
dass sie häufig mehrkernig sind, so wie durch einige andere Eigen- 
thümlichkeiten, welche ich demnächst an einem anderen Orte genauer 
zu erörtern gedenke. Die Zellen des Corpus luteum entwickeln sich 
auch als Adventitialzellen der Blutgefässe, welche von ihnen später 
eingescheidet werden, und haben auch in der Form die meiste Aehn- 
lichkeit mit den runden protoplasmareichen Bindegewebszellen. 

Noch auf eine Beziehung muss hier aufmerksam gemacht wer- 
den, welche diese Zellen zum Fettgewebe und zur Fettbildung 
haben. 

Ohne mich auf die Frage, ob die gewöhnlichen Fettzellen aus- 
schliesslich aus den platten Bindegewebszellen (Flemming) oder 
aus besonderen protoplasmareicheren runden Zellen hervorgehen 
(Toldt), hier einlassen zu wollen — ich glaube, dass Beides der 
Fall ist — muss ich doch hervorheben, dass die grossen runden Zel- 
len der Bindesubstanzen, die Plasmazellen, es sind, welche besonders 
gern Fett aufnehmen. Und zwar geschieht das in zweierlei Weise. 
Einmal nehmen sie Fett in grossen Tropfen auf und wandeln sich 
dabei in echte Fettzellen um. Es ist ja bekannt, dass die in der 
Fettzellenbildung befindlichen Zellen protoplasmareicher sind als die 
übrigen Bindegewebszellen, und es ähneln auch die Zellen des Fett- 
körpers der Frösche, wenn sie ihr Fett verloren haben, nicht den 
Plattenzellen, sondern den Plasmazellen des Bindegewebes. Ich 
glaube also bestimmt annehmen zu dürfen, dass aus den in Rede 
stehenden runden Zellen echte Fettzellen werden können. Weiter- 
hin aber nehmen diese Zellen auch sehr gern das Fett in zahl- 
reichen kleineren Tropfen auf und erscheinen dann als grobgranu- 
lirte fettige Klumpen, ähnlich wie bei einer fettigen Degeneration, 
nur dass die Fettpartikel bei der letzteren meist sehr viel feinkör- 
niger sind. So bildet sich im Augenlide und in der Haut durch 


Ueber Bindegewebszellen. 193 


derartige Verfettung der genannten Plasmazellen das jüngst so viel 
discutirte Xanthelasma. So ist es bekannt, wie die Zellen der 
Steiss- und Carotidendrüse, der Nebenniere, des Corpus luteum und 
der Placenta fast regelmässig in späteren Perioden ihrer Existenz 
diese Form der Verfettung zeigen. Darin liegt eine weitere Aehn- 
lichkeit zwischen diesen bisher isolirt dastehenden Zelleneomplexen. 

Sind die Schlüsse, welche ich aus meinen Untersuchungen ge- 
zogen habe, richtig, so würden wir nicht Anstand zu nehmen ha- 
ben, eine besondere Art von Bindesubstanzzellen, die vorläufig in 
naher Beziehung zum Blutgefässsysteme zu stehen scheint, aufzu- 
stellen und sie den übrigen Gruppen, vielleicht unter der Bezeich- 
nung: »perivasculäres Zellengewebe« anzureihen. Dasselbe 
würde gewisse Aehnlichkeiten mit dem »cytogenen Gewebe« dar- 
bieten; hier wie dort würden wir verstreute und isolirte Zellen neben 
Zellencomplexen, die besondere Organe bilden, haben: Wanderzellen, 
farblose Blutkörper und Lymphdrüsen mit der Milz einerseits ; zer- 
streute Plasmazellen und Nebenniere, Steissdrüse, Zwischengewebe 
des Hodens u. s. f. andererseits. Vielleicht giebt es im thierischen 
Körper noch mehrere dergleichen perivasculärer Organe bez. Ge- 
webe; ob diese Vermuthung berechtigt ist, und welche physiologische 
Bedeutung diesen Zellen und Organen zukommt, müssen weitere Un- 
tersuchungen, deren Resultat der Natur der Sache nach kein rasch 
entscheidendes sein kann, uns lehren'). 


Strassburg, Elsass, 7. August 1874. 


1) Inzwischen hat bereits v. Brunn in einer gleichzeitig mit den vor- 
stehenden Untersuchungen angestellten Arbeit gezeigt, dass ein der inter- 
stitiellen Substanz des Hodens gleiches Gewebe auch in der Milchdrüse und 
in der Submaxillardrüse vorkommt. Ob in der ausführlichen neueren Arbeit 
von Asp über die Speicheldrüsen Aehnliches mitgetheilt ist, kann ich nicht 
aussagen, da mir die Originalabhandlung bis jetzt nicht zugängig war. Die 
Referate erwähnen Nichts dergleichen. 


13 


194 


W. Waldeyer: Ueber Bindegewebszellen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX. 


. Dura mater der Ratte: 1. Arterie. 2, 3, 4, Grosse protoplasma- 


reiche Zellen. 


. Protoplasmareiche runde Zelle aus dem Omentum der Maus. (Hart- 


nack VII. Oc. 3.) 


. Hornhautzellen vom Kalbe. Verschiedene Stellung des Kerns; in 


einer Zelle ist derselbe nicht sichtbar. Bei a und b Kanten von 
Nebenplatten an zwei Zellen sich kreuzend. (Die grösste Zelle mit 
Hartnack X. Oe. 3, die übrigen mit VIII. Oc. 3 gezeichnet.) 


. Hornhautzellen vom Kalbe. Pikrocarminpräparat. Bei a und b tritt 


die platte Gestalt der Fortsätze hervor. Kerne deutlich sichtbar. 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 


/ 


Von 
Oscar Schmidt, 
Prof. in Strassburg. 


Hierzu die Tafeln X, XI und XI. 


en = 


In meiner, für einen weiteren Kreis von Lesern bestimmten 
»Descendenzlehre und Darwinismus« (II. Aufl. 1874 S. 138 ff.) habe 
ich nachdrücklicher, als sonst wohl geschehen, auf die interessante 
aber sehr schwierige Erscheinung der »Convergenz« hingewiesen. 
Wir verstehen darunter, kurz gesagt, das Hervortreten von morpho- 
logischen Aehnlichkeiten und Uebereinstimmungen in Reihen ver- 
schiedenen Ursprungs, also die Bildung von Schein-Homologien, wie 
ich deren u. a. in meiner letzten Spongienarbeit auseinandergesetzt. 
Von der reinen Convergenz sind alle diejenigen Fälle der Mimiery 
ausgeschlossen, in welchen man berechtigt ist oder hoffen darf, die 
Erklärung in der natürlichen Zuchtwahl zu finden, wo also der 
Vortheil der einen Partei in der allmäligen Anschmiegung an die 
andere liegt. Vielmehr sind die convergenten Reihen vollkommen 
unabhängig von einander, wie z. B. die sich bis zum Verwechseln 
ähnlich werdenden Formenreihen der Renieren und Chalineen. 
Wir trennen die Convergenzen von den Analogien, indem für letztere 
wesentlich das physiologische Moment bestimmend ist und man von 
analogen Formen und Organen spricht, ohne dass man nothwendig 
an morphologische Aehnlichkeit zu denken hat. Gleichwohl sind 
convergente Thier- und Pflanzenformen oder Organe das Resultat 
von Anpassungen, wobei durch ausserhalb des Organismus liegende 
Verhältnisse ursprünglich verschiedenes oder auch indifferentes Ma- 


terial einander morphologisch entgegengeführt wird. 
Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 11, Y 


196 Oscar Schmidt: 


Die Frage, in wie weit die histiologischen Elemente ihre Ueber- 
einstimmung in den verschiedenen Classen der gleichen Abstammung 
oder den plastischen Einflüssen äusserer Agentien auf die indifferente 
protoplasmatische Grundlage verdanken, ist kaum gestellt, etwa 
Boll’s ausgezeichnete Arbeit über die Histiologie des Mollusken- 
typus ausgenommen (dieses Arch. 1869).“ Vielmehr hat man die 
ausgedehnteste Homologie der histiologischen Elemente als etwas 
selbstverständliches angenommen, wie vor allem aus den zahlreichen 
und zum Theil so bewundernswerthen Arbeiten über die feinere 
Anatomie der Sinneswerkzeuge hervorgeht. 


Ich komme damit zum Motiv zu den Untersuchungen, die 
ich in den folgenden Blättern niederlege. Es hat Niemand behauptet, 
dass die Acridier und die Locustinen wirklich homologe Gehör- 
werkzeuge besässen; gleichwohl hat keiner der Untersucher es unter- 
lassen, diese Organe bis in die histiologischen Speeialitäten hinein 
zu vergleichen, und zwar aus dem Gesichtspunkte, dass der physio- 
logische Effect auf denselben morphologischen und mechanischen 
Voraussetzungen beruhe hier wie dort. Für mich galt es fast eine 
Umdrehung des Gedankenganges. Da unbedingt von einer wahren 
Homologie des Gehörorgans der Acridier mit dem der Locustinen 
nicht die Rede ist, etwaige Uebereinstimmungen vielmehr nur Con- 
vergenzen sein können, so war zu untersuchen, wie weit in den 
beiden verschiedenen Fällen aus gleichem Material unter dem Ein- 
fluss der acustischen Bedürfnisse und Gesetze und der geschlecht- 
lichen Zuchtwahl Aehnliches hervorgebracht worden ist. 


Diesen factischen Bestand herzustellen war aber deshalb nicht 
überflüssig, weil die vorhandenen Beschreibungen nicht vollständig 
befriedigend sind. Leydig’s Darstellung des Gehörorgans von 
Oedipoda coerulans aus dem Jahre 1855 (Arch. f. Anat.) ist nicht 
ergänzt worden. Ueber die Locustinen liegt Hensen’s Arbeit vor 
(Zeitschrift für wiss. Zoologie 1866). Auch diesen anerkannten Meister 
auf dem Gebiete der Sinneswerkzeuge der wirbellosen Thiere er- 
gänzen und verbessern zu wollen, dürfte misslich erscheinen, wenn 
es nicht ein Object beträfe, dessen Untersuchung, wie Hensen sagt, 
»unausstehlich« ist, und auch die äusserste Geduld erschöpft. 

Ueber die Methode ist der Angabe Hensen’s kaum etwas 


hinzuzufügen. Auch ich habe die besten Bilder von frischen und 
von in sauerm chromsauerm Kali kurze Zeit, 15 bis 24 Stunden, 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 197 


gehärteten Objecten erhalten. Tinctionen in Picrocarmin, Hyperos- 
miumsäure leisteten keine erheblichen Dienste. 


Acridier. 


Untersucht wurden vorzugsweise Parapleurustypus, Stenobothrus 
rufus und Oedipoda coerulans.. Am bequemsten sind die Gehör- 
organe der ersten dieser Arten zu behandeln, weil der Trommelring 
oder der Rahmen, zwischen welchem das 'Trommelfell ausgespannt 
ist, fast gar keine, der Ohrmuschel zu vergleichende Duplicatur 
bildet. Diese äussere, das Trommelfell von oben deckende Tasche 
ist zwar bei Oedipoda kleiner als bei Stenobothrus, bei jenem aber 
sind alle Chitintheile derber oder mehr pigmentirt, so dass, wenn 
man bei Stenobothrus die Tasche rings ablöst, das Ohr im Ganzen 
leichter und verständlicher zu übersehen ist. 

Der Trommelring, richtiger Trommelbogen (Fig. 1.2.R) 
ist nie vollständig geschlossen; seine beiden Schenkel sind vielmehr 
nach unten und hinten durch die gewöhnliche, wenn auch verdickte 
und durch eigenthümliche, zum Theil hohle Zapfen verstärkte Chitin- 
bedeckung ergänzt. Sowohl an diese Zapfen als an die Bogen- 
schenkel setzen sich Muskeln, durch welche die Schenkel einander 
genähert und die Spannung des Trommelfelles gemindert werden 
kann. So weit der eigentliche Trommelbogen reicht, ist das Trommel- 
fell plötzlich und scharf als dünne Membran gegen ihn abgesetzt 
und wird entweder nur von einem schmäleren Falze oder vorsprin- 
genden, oft gekehlten Rande eingefasst (Fig. 3), oder von der 
taschenartigen Hervorragung des Ringes mehr oder weniger über- 
deckt. Zwischen den Schenkelenden liegt das Stigma, das mit 
einem, übrigens bei sämmtlichen Stigmen sich findenden Fortsatze 
mindestens bis zum Rande des Trommelfelles ragt. Die Bedeutung 
dieses Hackens (Fig. 4), dessen Form und Grösse nach der Species 
wechselt, ist mir nicht klar. Er dient wohl als Muskelansatz-Stelle. 
Da er allen Stigmen eigen, ist eine besondere Beziehung desjenigen 
des Ohr-Stigmas kaum anzunehmen. 

Das Trommelfell besteht, abgesehen von der Matrix, aus 
zwei Schichten. Die äussere trägt feine Tüpfel und Papillen oder 
feine Zähnchen auf leistenähnlichen Falten, und diese Faltung oder 
Streifung ist im Wesentlichen concentrisch oder parallel den Schen- 
keln des Trommelbogens geordnet. Auch die untere Schichte zeigt 
eine feine Streifung. Ist schon dieses Verhältniss an sich für die 


198 Oscar Schmidt: 


Leitung der Schallwellen sicher von Wichtigkeit, so kommt hinzu 
die verschiedene Dicke der Trommelhaut. Dieselbe ist am stärksten 
im unteren Theile, also in der Nähe .des Stigma und entlang der 
von diesem ausgehenden ziemlich geraden unteren Begränzung. An 
dieser Region passirt der Hörnerv vorüber. Hier ist auch der 
aräoläre Beleg am stärksten, jene Masse von Zellen und zellen- 
artigen Körpern, welche in einem röthlich oder schwärzlich pigmen- 
tirten Maschennetze enthalten sind und sich in einem Bogen um 
die sogenannten Hornvorsprünge hinziehen. Es ist möglich, dass 
in diesen Maschen auch zum Theil Nervenendigungen enthalten sind. 
Allein vor allem gehört dieser Beleg der Matrix an, zumal derselbe 
auch ausserhalb des Bereiches der Gehörwerkzeuge den Chitinpanzer 
begleitet. 

Wir kommen nun zu den wichtigen heilen, welche, die »Horn- 
vorsprünge« des Trommelfelles genannt, schon mit unbewaffnetem 
Auge wenigstens undeutlich sichtbar, dennoch bisher nur unvoll- 
kommen beschrieben worden sind. Man hat auszugehen von dem 
unregelmässig kegelförmigen Gebilde, das Leydig den Vereinigungs- 
höcker nennt. Dieser Kegel entsteht für sich als eine von aussen 
zugängliche trichterförmige Vertiefung, wie man an Larven mit- noch 
unvollständigen Organen sieht (Fig. 2 k. Fig. 5). Ueber die Höh- 
lung hinaus erstreckt sich ein hackiger Fortsatz, der später ver- 
schwindet. Auch verengert sich beim Imago der Eingang in die 
Kegelhöhle zu einem fast dreiseitigen Loche, und die Höhle weitet 
sich aus, indem sie zugleich nach der einen Seite hin, der in der 
Verlängerung des Acusticus liegenden, röhrenartig verlängert ist. 
Dadurch entsteht natürlich am Kegel ein seitlicher Vorsprung. So- 
wohl die Gestalt der Innenwand der Haupthöhle als die Form des 
Seitenjoches (j) mit der Nebenröhre erleidet nach den Gattungen 
kleinere Veränderungen. Die Nebenröhre ist z. B. bei Stenobothrus 
rufus bedeutend länger als bei Parapleurus typus. Das Seitenjoch 
endigt ganz eigenthümlich. Die Seitenwandungen springen nämlich 
weiter vor und bilden eine Rinne, deren offene Seite natürlich vom 
Trommelfell abgewendet ist, wie Fig. 1 zeigt. Die oben beschriebenen 
Theile verdienen den Namen Vorsprünge; sie sind wirkliche Ein- 
stülpungen des Trommelfelles nach einwärts mit sehr verdickten 
Wandungen, an welche sich, wie wir unten sehn werden, das 
Ganglion eng anlegt. Ganz anders der auf der andern Seite des 
Kegels liegende Theil, b in Leydig’s Abbildungen, bei uns f. Das 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 199 


ist kein Vorsprung nach Innen, sondern eine flache längliche, nach 
aussen gewölbte Grube mit verdickten scharfen Rändern. Auch 
bildet der Boden der Grube an dem gegen das Centrum des Trommel- 
fells liegenden Rande eine Furche, welcher eine nach aussen offene 
und sichtbare Falte entspricht. Das Verhältniss wird aus der Com- 
bination unserer Abbildungen 1 und 7 klar werden. In der ersten 
sieht man die Grube f von innen. Fig. 7 ist ein schematischer 
Durchschnitt, A Aussen-, I Innenseite. Mit v!, v2 und v? sind drei 
an den Längsseiten der Grube sich markirende Kanten bezeichnet, 
deren Lage zu einander und zum Kegel aus den Abbildungen zu ' 
ersehen. Ob die Kegelhöhle auch mit der Furche der Grube in 
offenem Zusammenhange steht, ist mir nicht klar geworden. Das 
Gehörorgan der Larven zeigt, dass die Grube isolirt angelegt wird; 
dann aber werden die beiden Theile auf das innigste verbunden, 
und Kegel, Seitenjoch und Grube bilden ein System von Höhlungen 
und Wölbungen, in und an welche die Ausstrahlungen des Gehör- 
ganglions sich legen. 

Es bleibt noch ein sogenannter Hornvorsprung übrig, d in 
Leydig’s Abbildungen, t der unsrigen und mit seinem Zubehör in 
Fig. 8. Schon Siebold hat angegeben, dass ein Theil des häutigen 
Labyrinthes sich dorthin begiebt, und Leydig lässt diese dreiseitige 
auffallende Stelle von feinen Hautcanälen durchzogen sein. Dies 
bedarf wesentlicher Berichtigungen. In dem noch unvollendeten Organ 
der Larve (Fig. 2) erscheint t als ein rundlicher, nach innen vor- 
tretender Höcker. -Im Imago ist daraus eine dreiseitige flache Blase 
oder Kapsel geworden durch Auseinanderweichen der beiden oben 
erwähnten Schichten des Trommelfelles (Fig. 8 a. i). Es ist nicht 
schwer, die Kapsel zu isoliren und dann zu sprengen, wobei die 
Innenwand radiäre Risse bekommt, da die Wölbung nach innen ge- 
richtet ist. Auf der Kapsel nimmt die innere Schichte des Trommel- 
felles eine andere Structur an; sie allein, und nicht, wie Leydig 
meint, die ganze Dicke des Trommelfelles an dieser Stelle ist von 
feinsten Canälchen durchzogen, welche strahlig sich um das Centrum 
anordnen. Ihre Beziehungen zum Nervenapparat sind unten zu er- 
wähnen. Die Höhlung der Kapsel geht in eine Röhre über und 
letztere öffnet sich zu einer Rinne oberhalb des interpolirten und in 
einer Erweiterung der Rinnen liegenden Ganglions gi. Die Rinne 
erstreckt sich bis an den Fuss des Kegels, und so ist zwischen 
sämmtlichen, dem knöchernen Labyrinth entfernt vergleichbaren . 


200 OÖsear Schmidt: 


Chitintheilen unseres Gehörorganes ein continuirlicher Zusammenhang 
hergestellt. 

Es wird sich nun der Mühe verlohnen, auch den nervösen 
Theil des Apparates näher zu betrachten. Der Hörnerv (ac) tritt 
hinter dem Stigma von unten und hinten in das Bereich des 
Trommelfelles ein und schwillt zu einem ansehnlichen Ganglion an 
(Fig. 6. 9 g). Dasselbe ist länglich und erscheint je nach der Be- 
handlung und Frische des Präparates prall oder etwas geschrumpft 
und dann gewöhnlich mit einer mittleren Einschnürung, wie in 
Fig. 6. Das Ganglion ist reich an Zellen und bekanntlich sind von 
verschiedenen Forschern stiftartige Endigungen entdeckt, welche 
nach der Grubenseite des Chitinkegels gerichtet sind und zum Theil 
diese Wand direct berühren. Unsere Abbildung 10 zeigt solche 
Elemente, wobei ich bemerken muss, dass ich einen solchen Pinsel 
oder Bündel von Stiften, wie Leydig ihn abbildet, nie wahrge- 
nommen. Aber auch über das Seitenjoch und in die Grube ver- 
breitet sich das Ganglion mit seiner aus dem Neurilemm des 
Acusticus hervorgehenden Scheide, und in der Grube und ihrer 
Furche habe ich ganz ähnliche stiftartige und kolbenförmige Endi- 
gungen gefunden, wie am Kegel (Fig. 11). Leydig sagt: »In der 
Vereinigung von b und e (d. i. des Seitenjoches und der Grube) 
entstehen polygonale Aushöhlungen, wo der N. acusticus endet; 
bei f (im Kegel) sind sie mit Luft gefüllt«. Der Durchschnitt des 
Kegels von Stenobothrus zeigt nur inwendig, also auf der der Haut- 
oberfläche angehörigen concaven Seite Grübchen, von welchen Poren- 
canäle sich bis zur andern Seite erstrecken (Fig. 12). An einem 
Schnitte des Kegels von Oedipoda vermisse ich diese Vertiefungen. 
Sie kommen auch in der äusseren Furchenfalte vor, sind aber hier 
Haargrübchen. Jedenfalls hat Leydig Recht, wenn er das Ganglion 
sich unmittelbar an den Kegel und Nachbarschaft anlegen lässt. 
Hensen vermuthet einen, nur an ganz frischen Präparaten nach- 
weisbaren, von »Labyrinthwasser« ausgefüllten Zwischenraum zwischen 
Ganglion und den harten Theilen, durch welche Flüssigkeit die 
Uebertragung der Schallwellen auf die Stifte stattfinden möchte. 
Diese Vorstellung ist entschieden zu beseitigen. 

Ich habe schon oben mich dahin ausgesprochen, dass das 
Pigmentnetz mit den darin eingebetteten Zellen im Wesentlichen 
der Matrix des ‚Trommelfelles zuzutheilen ist. Ich muss es aber 
unentschieden lassen, ob dazwischen und zwar zunächst in der Um- 


Hi 
® 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 201 


sebung der Labyrinththeile, wie wir sie der Kürze halber nennen 
wollen, auch Nervenelemente liegen. Wenigstens lässt sich das 
Neurilemm vom Ganglion aus nach beiden Seiten hin direct in das 
Pigmentnetz verfolgen. Wir werden auch gleich sehen, dass der 
Nervenapparat ausgedehnter und complicirter ist, als es bisher schien. 

Sowohl von Siebold als Leydig zeichnen einen Fortsatz des 
Ganglions zu den in meinen Abbildungen mit t bezeichneten, von 
uns als hohl erkannten Körper. Der zu dieser Kapsel führende 
Nerv entspringt mit einer breiten Wurzel (Fig. 9) in dem inneren 
Winkel zwischen Kegel und Grube und senkt sich unmittelbar am 
Kegel in die oben erwähnte feine Rinne des Trommelfells. Er 
schwillt zwischen Kegel und Kapsel, aber näher am Kegel, zu einem 
länglichen, bei den meisten untersuchten Arten sehr deutlichen, bei 
Oedipoda jedoch unklaren, zelligen Ganglion an (gi). Bis oberhalb 
dieses kleinen Zwischenganglions ist er nach dem Innern der 
Trommelhöhle zu nur von der Nerven-Scheide bedeckt, die mithin 
auf dieser Strecke die Rinne ergänzt. Die Fortsetzung verläuft 
von hier an in der von der inneren Schichte des Trommelfelles zur 
Röhre geschlossenen Verlängerung der Rinne und tritt in die drei- 
seitige Kapsel ein (Fig. 8), indem der Nerv in dieser in ein, wie 
es scheint, sehr complicirtes, aber höchst schwierig zu behandelndes 
Ganglion übergeht. In demselben befinden sich, wie man am leich- 
testen sieht, isolirte Zellen, ferner, wie ich fast sicher an 
Schnitten und gesprengten Kapseln erkannt zu haben glaube, stift- 
förmige Endigungen, endlich feinste faserförmige Fort- 
sätze, welche in die oben schon besprochenen, von Leydig er- 
kannten Hautcanälchen eintreten. Man überzeugt sich hiervon, wenn 
man unter wechselndem Drücken auf das isolirte Object die Ver- 
schiebungen der Canälchen und ihres Inhaltes im Zusammenhange 
mit dem Ganglien-Körper beobachtet und ferner die Veränderungen, 
welche mit dem Bilde bei dem allmäligen Eintrocknen und dem Zu- 
sammenziehen des Ganglions vor sich gehen. 

Diese Erkenntniss ist von grossem Werthe, indem wir nunmehr 
über die Kapsel hinaus geleitet werden und uns an sehr selten ge- 
lingenden, aber sicheren Präparaten überzeugen, dass das drei- 
seitige Ganglion keineswegs ein peripherisches Ende 
des Nervenapparates ist, sondern ein Sammelcentrum 
für anderweitige zahlreiche peripherische Elemente. 
In der Regel, auch wenn man vorsichtig an die Bloslegung der 


202 Oscar Schmidt: 


Innenseite des Trommelfelles geht, ist keine Spur von Fortsätzen 
oder Anhängen am dreiseitigen Ganglion und seiner Chitinkapsel 
zu bemerken. Zweimal aber ist es mir geglückt, bei einer Menge 
von 60 bis 80 Präparationen, einen grossen Theil einer zarten 
Membran zu erhalten, welche zwischen der Matrix des Trommel- 
felles und der Tracheenblase sich hinzieht und mit der Kapsel zu- 
sammenhängt. Diese Membran ist die Trägerin feiner Fäden, welche 
von der Peripherie des Trommelfelles kommen, in ihrem Verlaufe 
spindelförmige Zellen aufnehmen und in die Canälchen der Kapsel- 
wand sich verlieren (Fig. 8 z). An dem einen der beiden günstigen 
Präparate verlief zwischen den Fäden auch eine zarte Röhre (g) 
mit feinkörniger Masse. Erst mit der Auffindung dieses 'Verhält- 
nisses lässt sich die Bedeutung des dreiseitigen Ganglions ermessen. 
Wenn wir alle dargelegten Umstände erwägen, ist wohl nicht zu 
zweifeln, dass die beschriebenen zarten Fäden mit ihren Zellen die 
nervösen Leitungsapparate sind, welche in dem Umkreise des 
Trommelfellrahmens von den Schallwellen affıcirt werden, obschon 
wir ihre äussersten Anfänge nicht kennen. So lange dieser Leitungs- 
apparat nicht bekannt war, wusste man mit dem isolirten dreiseitigen 
Flecke oder »Hornvorsprung« wenig oder nichts anzufangen. Seine 
Ausdehnung ist so unverhältnissmässig Klein gegen die grosse, leer 
erscheinende Fläche des Trommelfelles oberhalb und seitlich des- 
selben, dass man ihm keine rechte Bedeutung beimessen konnte. 
Nachdem wir in der Kapsel ein fein organisirtes Ganglion gefunden, 
in dem sich von allen Seiten die centripetalen Fäden vereinigen, 
erscheint es als einer der wichtigsten Theile des ganzen Gehör- 
apparates. 

Ueber die Tracheenblase, auf welche man so grosses Ge- 
wicht gelegt hat, nur wenige Worte. Ihre Bedeutung scheint mir 
überschätzt worden zu sein, weil immer nach einer Parallele mit 
der Tracheenblase der Locustinen gesucht wurde. Legt man den 
Thorax von innen bloss mit alleiniger Entfernung des Darmcanals 
und der hinein reichenden Geschlechtsorgane, so erblickt man die 
Öhrgegend beiderseits von einer flächenhaft ausgebreiteten Tracheen- 
blase bedeckt. Ein Theil derselben legt sich auch über das Trommel- 
fell, ohne sich irgendwo näher mit ihm oder seinem Ringe zu ver- 
binden. Diese weite Tracheenblase ermangelt auch der elastischen 
spiraligen Verdickungen, welche sie besonders zur Resonanz und 
Schallleitung geeignet machen würden. Ich kann nicht gerade be- 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 203 


haupten, dass sie gar nichts mit dem Gehörapparat zu thun habe, 
jedenfalls aber, dass es höchstens sehr wenig ist. Kaum anders 
wird es mit den Tracheenstämmen sein, die vom Stigma entspringen 
und an der untern Seite des Trommelfelles verlaufen. 

So weit bin ich mit den Acridiern gekommen. Ob eine Ver- 
gleichung einer grösseren Anzahl von Arten uns weiter bringt, wird 
sich zeigen. Höchst auffallend ist der gänzliche Mangel der Organe 
bei einzelnen Mitgliedern der Familie. Ich habe mir vergeblich 
die grösste Mühe gegeben, eine Spur davon bei der Zwerggattung 
Tettix (Schrankii) aufzufinden, die sich also entweder von der Stamm- 
form abzweigte vor der Bildung des Gehörorgans, oder in welcher 
eine gänzliche Rückbildung eintrat. 


Loecustinen. 


Auch von dieser Familie gab es in meiner nächsten Umgebung 
im Schwarzwald (Kappelrodeck bei Achern), wo ich diese Unter- 
suchungen anstellte, Vertreter in grosser Anzahl. Verwendet wurden 
Locusta viridissima, ein seltnes Thamnothrizon, das in den meisten 
Kennzeichen mit apterus stimmt, aber in der Grösse (nach Fischer’s 
Angabe in den Orthoptera europaea) die Mitte hält zwischen apterus 
und cinereus; ferner Xiphidium fuscum und Phaneroptera falcata. 
Letztere ist ein ausgezeichneter Repräsentant der Locustinen mit 
offenen, d. h. nicht von Hautduplicatoren -bedeckten Trommelfellen. 

Zunächst wollen wir statt der sehr schematisch gehaltenen 
Abbildungen der Schnitte bei Hensen a. a. O. 1, 2, 3 einige ge- 
nauere Schnitte und Flächenbilder geben, nachdem wir uns über die 
Bezeichnung von Oben und Unten, Vorderseite und Hinterseite ver- 
ständigt haben. Wenn das Vorderbein, dessen Tibia das Gehörorgan 
enthält, im Ruhezustand seitlich ausgestreckt ist, so ist das eine 
Trommelfell nach vorn, d. h. nach der Seite des Kopfendes zu, 
das andere nach hinten gewendet. In diesem Sinne gebrauchen 
wir »Vorder«- und »Hinterseite« des Beines und Gehörorganes, WO- 
gegen Hensen die offenbare Oberseite des Beines, an welcher 
die Gehörleiste liegt, mit »vorn«, die Unterseite aber, welche bei 
der gewöhnlichen Ruhestellung nach unten und dem Leibe zu blickt, 
mit »hinten« bezeichnet. Wie in der einen Abtheilung (Typus 


' Meconema und Phaneroptera) die membranae tympani offen zu Tage 


liegen, in der anderen aber (Typus Locusta viridissima) von einer 
Hautduplicatur bis auf eine enge Spalte überwölbt sind, ist von 


204 Oscar Schmidt: 


meinen Vorgängern auseinandergesetzt. Aber unzulässig ist es jeden- 
falls, den Raum zwischen diesen Deckblättern und den Trommel- 
fellen (so in unsern Figuren 17, 18, 19) mit Hensen Paukenhöhle 
zu nennen, da, wenn man nach analogen Theilen sucht, die Blätter 
m den ÖOhrmuscheln und den taschenförmigen Duplicaturen der 
Acridier entsprechen. Phaneroptera und die anderen Gattungen 
tympanis non obtectis besitzen diesen Raum gar nicht abgegränzt. 

Die Trommelfelle sind an verschiedenen Stellen von sehr 
verschiedenartigem Aussehen und Dicke. Nur die innere, der Trachea 
angehörige Schichte (tr) ist überall gleichmässig. Die äussere, dem 
Hautscelet angehörige Schichte (s) ist oben (a) dick, schuppig und 
undurchsichtig pigmentirt, verdünnt sich aber nach unten (b) zu 
einer feinen durchsichtigen Membran. Fig. 13 giebt das rechte Ge- 
hörorgan von Phaneroptera von vorn. Vom vordern Trommelfell 
ist nur der dicke Basaltheil gezeichnet, während man von dem hin- 
teren Trommelfell den anderen dünneren Theil b sieht. Ob die 
Trommelplatte von Meconema überall am Rande am dünnsten ist, 
wie Hensen angiebt, muss ich dahin gestellt sein lassen. Vielleicht 
meint Hensen nur, dass die dicke Vorderschiene der Tibia beim 
Umschlag zum Trommelfell sich gegen die dünne Cuticularschicht 
der Platte scharf absetzte, die aber gerade hier auf sehr reichlicher 
Matrix ruht. 

Nach Siebold sollte die Tracheenblase, auf welcher die 
Leiste der Hörstifte liest, eine einfache Erweiterung der grossen in 
die Tibia eintretenden Trachea sein. Hensen sagt, diese Trachea 
verdoppele sich. Jedoch ist auch hiermit und mit dem von Hensen 
gezeichneten Querschnitt das Verhältniss nicht richtig und voll- 
ständig ausgedrückt. Schon am unverletzten Beine von Phaneroptera 
springt zwischen den beiden Trommelplatten eine Leiste mit freiem 
Rande (c‘) in die Augen, welche weiter unten in eine den Ohrraum 
mitten durchsetzende Scheidewand übergeht (c). Wir wollen diese ganze 
Mittelplatte den Steg nennen. Diese Entstehung ist an einer 
Reihe von Querschnitten zu verfolgen (15. 15 und 16 bis 19). Es 
ist nicht eine einfache Theilung der grossen Trachea. Von oben her 
senkt sich eine Falte der Tracheenwand in den im Querschnitt 
runden oder abgerundet vierseitigen Raum der Trachea ein, dem 
von unten eine bogen- oder dachförmige Erhebung der Tracheen- 
wand entgegenkommt bis zur Vereinigung. Dabei ist zu bemerken, 
dass eine mit den Hautbedeckungen zusammenhängende und der 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 205 


äusseren Trommelfellschicht entsprechende Cuticula (Fig. 17. 19 ]) 
die untere Tracheenwand begleitet, wie mir scheint und ich Fig. 17 
gezeichnet habe, auch die obere, von wo sie in die Stegfalte mit 
einer feinen Schichte von Bildungsgewebe übergeht. So ist also nur 
auf einer verhältnissmässig kurzen Strecke die Gehörblase in zwei 
unsymmetrische Längsräume getheilt, die ich jedoch nicht so un- 
gleich finde, wie Hensen. Auch beschränkt sich die Asymmetrie 
wesentlich auf den obern Theil. Sie wird dadurch verursacht, dass, 
wie Hensen angegeben, der Gehörnerv nicht in der Mittellinie, 
sondern seitlich in die Gehörregion eintritt und seitlich die Stift- 
leiste begleitet. Dadurch wird die Falte und der ganze obere Theil 
des Steges auf die andere Seite gedrängt. Gegen das untere Ende 
des Ohres sieht man eine kurze schiefe, von Tracheenwandung ge- 
bildete Röhre, welche wie ein Loch in den Tracheen erscheint 
(Fig. 13. 20. f). Hier nämlich verengern sich in seltsamen, mir 
nicht völlig klaren Biegungen die Räume der durch den Steg ge- 
theilten Tracheenblase und bilden eine die Tibia weiter versorgende 
Haupttrachee von ungefähr demselben Kaliber, wie unter dem 
Knie. Uebrigens ist die Tracheenwand unter dem Anfangstheile der 
Gehörleiste oft noch ganz symmetrisch und nicht eingesenkt, sondern 
nach aussen gewölbt. 

Wir gehen nun auf den Nervenapparat und seinen nächsten 
Zubehör über. Dass die Hörleiste, diese ausgezeichnete Reihe 
von Stiften und ihren stützenden und deckenden Nebentheilen 
(Fig. 21 L) nicht blos eine Fortsetzung des Nerven ist, sondern 
von demselben bis an ihr Ende begleitet wird, ist Hensen’s 
Entdeckung. Doch ist seine Abbildung über den Zusammenhang 
namentlich am Anfange der, Leiste (a. a. O. Fig. 5), nicht befrie- 
digend. Der Nerv bildet hier ein Ganglion (Fig. 21 g), und mit 
diesem hängt eine gekrümmte Reihe dichtgedrängter Stifte mit 
Nebenorganen zusammen, welche Hensen alseinen unklaren Haufen 
von Zellen zeichnet und »eine zweite Art von Hörstifte« nennt. 
Das ist deshalb unrichtig, weil auch an diesen Stiften die Theile 
nachweisbar sind, wenn auch unklarer, wie an den folgenden, die 
in gerader Linie aneinander gereiht sind. Ich will gleich hier eine. 
Angabe Leydig’s berühren, welche von Hensen als absolut irrig 
hingestellt wird. Nach Jenem sollen nämlich die Hörstifte nicht 
in einer, sondern in zwei Reihen vorhanden sein. Unter meinen 
sehr zahlreichen Präparaten ist mir dieser Fall ein einziges Mal bei 


206 Osear Schmidt: 


Phaneroptera falcata vollkommen deutlich, ohne dass eine Täuschung 
unterlaufen konnte, vorgekommen. Es handelt sich mithin um 
eine seltene Varietät, auf welche Leydig gerade gestossen ist. 

Die Form der Hörleiste in ihrer Ganzheit wird durch die 
chitinöse Hülle bestimmt, welche eine Fortsetzung des Neurilemms 
des Nerven und Ganglions ist und in eben so viele Querfächer ge- 
theilt ist, als Stifte vorhanden. Nur in der obern gedrängten 
Querreihe der Stifte scheinen diese Fachwände zu mangeln. Hensen 
sagt (a. a. 0. S. 145): »Die Gehörleiste ruht mit breiter Basis auf 
der Trachea. Der freie Theil der Leiste ist mit einer dünnen Chitin- 
membran überzogen. Diese bildet an den Seiten der Leiste ver- 
dickte Streifen. Sie lassen sich leicht abziehen; nur der Chitin- 
überzug auf der Mitte der Leiste lässt sich nicht gut entfernen.« 
Danach würde also die Leiste nach unten gar keine eigene Hülle 
besitzen. Meine Beobachtungen sind anders. Ich finde zwar auch, 
dass ganz ähnlich, wie Hensen angiebt, die Hörleiste von oben 
durch eine Membran bedeckt wird, deren Umschlag nach beiden 
Seiten hin von den Stiften absteht und in die Breite sich ausdehnt, 
bis er sich auf der Trachea verliert. Dazu kommt aber ein zweiter 
seitlicher Umschlag, welcher eine nach unten sich verengende keil- 
förmige Rinne bildet, deren Schneide auf der Trachea ruht (Fig. 
22. 23). Unser Bild 24 zeigt einen Theil der Leiste von oben, einen 
andern seitlich verdrückt; in 25 ist die Leiste so gequetscht, dass 
der schmale verticale Theil auch in die horizontale Lage gebracht 
wurde. Es geht aus diesen Präparaten, wie ich sie oft gehabt, her- 
vor, dass bis zur Kante der Leiste jeder Stift sein besonderes Fach 
hat und von seinen Nachbarn völlig isolirt ist. Das letztere ging 
übrigens schon aus Hensen’s Beobachtungen hervor, seit der die 
Hörleiste begleitende Nerv mit seinen queren Verbindungen zu den 
Stiften das Bild einer Klaviatur gab. Am obern breiten Theile der 
Leiste ist die Rinne auch dem Ganglion gegenüber durch einen 
starken Fortsatz befestigt; unten steht sie durch eine Membran 
mit den benachbarten Tracheenwandungen in Verbindung. 

Zu den, den einzelnen Stift stützenden und deckenden Organen 
gehören nach Hensen vier Zellen, eine Deckzelle, zwei Seiten- 
zellen und eine »Basalzelle«. Am auffallendsten ist die Deck- 
zelle (de). Sie bedeckt den Kopf des Stiftes in Form eines abge- 
rundet vierseitigen Polsters, reicht jedoch an den den benachbarten 
Stiften zugewendeten Seiten nicht so weit herab, als (nach unserer 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 207 


Bezeichnung der Regionen des Beines) au der Vorder- und Hinter- 
seite. Sie liegt im natürlichen Zustande und auch oft in den mit 
verschiedenen Reagention behandelten Präparaten dem Stift un- 
mittelbar auf, wird aber auch nicht selten sammt ihrer Hülle abge- 
hoben, namentlich nach kürzerer Einwirkung von Kali bichr. (Fig. 
26 A. 22. 23). Diese Fälle bestätigen vollends, was alle übrigen 
Beobachtungen mich lehrten, dass die Membran der. Deckzelle mit 
der Hülle des Stiftes nichts zu thun hat. Ich muss also Hensen 
widersprechen, wenn er sagt (a. a. O. S. 199): »Wie ich mit Mühe 
zu sehen glaube, bildet die Hülle — des Stiftes — auch hier wieder 
eine Duplicatur und zwar in der Weise, dass die Hülle der über- 
liegenden Zelle zur Membran des Stiftes wird von da an, wo sie 
damit in Berührung tritt, dabei aber bis zu jenem Höcker des 
Kopfes hin verläuft und sich hier zurückschlägt und zur engeren 
Hülle des Stiftes wird.« Die Bilder 22 und 23 sind getreu ge- 
zeichnet, was ich wegen des auffallenden Querstriches durch die 
Deckzelle hervorhebe. Dieser Streifen kapn nur der Querwand des 
Stiftfaches angehören. 

Die Seitenzellen (Fig. 22. 3) habe ich einige Male in aus- 
gezeichneter Klarheit gesehen. Sie liegen, wie Hensen angiebt, 
innerhalb der von Hensen allein gekannten Seitenmembran der 
Leiste. Allein eben so sicher ist, dass sie sich ausserhalb des 
schmalen unteren Theiles der eigentlichen Leiste befinden. Ich muss 
noch weiter gehen; sie scheinen mir als paarige grosse Zellen, welche 
den ganzen Raum zwischen der Oberwand der Trachea und der 
schiefen Fläche unterhalb der Deckzeile ausfüllen, nicht constant 
zu sein, sondern häufig durch kleinere blasige Zellen ersetzt zu 
werden (Fig. 26. c. bl). 

Ich stehe auch mit Hensen’s Angabe über die »Basalzelle« 
in Widerspruch. Da ich sie als einen Theil der Nervenleitung in 
Anspruch nehme, ist sie weiter unten näher zu betrachten. 

Hensen’s wesentlichstes Verdienst in seiner Arbeit über das 
Gehörorgan der Locusta ist, den Verlauf des Hörnerven neben der 
Hörleiste und den seitlichen Zusammenhang der Stifte mit diesem 
Nerven nachgewiesen zu haben. Meine Beobachtungen dienen zur 
Bestätigung dieser schönen Entdeckung; nur in einigem Detail 
dieser schwierig im Zusammenhang zu übersehenden Verhältnisse 
. weiche ich ab. Das Gebilde, welches in seiner Totalität Hörstift 
. genannt wird, besteht aus einer sehr festen Hülle und einer feinen 


208 Oscar Schmidt: 


Nervenfaser, dor Chorda Hensen’s, die aus einem im Dache der 
Hülle liegenden Köpfchen hervorgeht (Fig. 26). Der Behauptung 
Hensen’s, dass die Hülle des Stiftes ‚durch einen Umschlag der 
Membran der Deckzelle gebildet werde, bin ich schon oben entgegen- 
getreten. Nicht durch eine solche, nicht vorhandene Continuität, 
sondern durch eine Art von Verwachsung;ider Deckzellenmembran 
mit dem Hüllendache werden beide eng mit einander verbunden, so 
dass ein Abheben nur nach Einwirkuug ivon Reagentien stattfindet. 
An der Hülle unterscheidet man schärfer, als Hensen’s Zeich- 
nungen angeben, das Dach und die Seitenwandungen, und zwar 
lässt Hensen diese Trennung deshalb nicht hervortreten, weil er 
Leydig’s Angabe, die Stifte seien vierkantig, entschieden abweist. 
Er beruft sich auf das ausnahmslos kreisrunde Bild, welches man 
bei der Ansicht der Stifte von oben hat (a. a. O. Fig. 10 B). Die 
doppelt conturirten vier Pyramidenkanten können allerdings blosser 
optischer Effekt sein und sind es wohl in der Regel. Allein abge- 
macht ist damit die Sache noch nicht. Fig. 26 C gebe ich einen 
Stift mit Deckzelle von Locusta viridissima, ganz frisch im Blute 
des Thieres untersucht, und in D einen von Xiphidium fuscum nach 
90stündigem Liegen in Kal. bichr. Hier ist an eine Täuschung 
nicht zu denken, die Bilder waren scharf und klar und hönnen nicht 
auf Rechnung eines Lichteffekts gebracht werden. Dort geht das 
Dach in vier Zähnchen, hier in vier Lappen aus, und die Gestalt 
des zugespitzten Theiles des Stiftes kann unmöglich eine andere 
als eine, in dem einen Falle ziemlich scharf, im andern abgerundet 
vierkantige mit Einbuchtungen der Flächen sein. Dass diese 
Formen nicht die Regel, ist eben so gewiss, ich weiss aber nicht, 
wie diese Ausnahmen aufzufassen. Zur Erläuterung meiner Bilder 
Fig. 26 E. F muss ich eine längere Stelle aus Hensen’s Abhand- 
lung eitiren: »Bei der Verfolgung der Chorda (d. h. des vom 
Köpfchen ausgehenden Fadens, Fig. 26 B) fällt mir auf, dass in der 
Spitze des Stiftes der Faden sehr scharf und dunkel erscheint, 
weiterhin aber weniger scharf hervortritt. Dabei ist aber gerade 
die Spitze des Stiftes besonders dickwandig, ein Verhalten, das 
Siebold auf seinen genauen Zeichnungen zu markiren nicht unter- 
lassen hat. Dieses Aussehen der Chorda brachte mich dazu, jenes 
verdickte Ende des Stiftes genauer zu betrachten. Doch mühte ich 
mich vergebens ab, bis ich ein schönes System "/s‘ in die Hände 
bekam, mit dem sich unerwartet das Räthsel, was für mich bis 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 209 


dahin diese Stifte zu umhüllen schien, löste. Es zeigte sich nämlich, 
dass jene verdickte Stelle daher rührt, dass die Membran des Stiftes 
hier verdoppelt ist. Die äussere Membran, an der Spitze ange- 
langt, schlägt sich nach innen um und läuft wieder zurück. So 
lange die Spitze verdickt und glänzend ist, so lange liegen beide 
Membranen unmittelbar an einander und sind möglicher Weise ver- 
klebt, von da an, wo diese glänzende Verdickung aufhört und wo 
gleichzeitig die Chorda etwas mehr verdickt scheint, löst sich die 
innere Membran von der äusseren. ab, wird zarter und läuft, als 
weit abstehende Hülle die Chorda begleitend, bis zum verdickten 
Kopf des Stiftes hin.« 

Hensen erschliesst scharfsinnig die wirkliche Existenz dieses 
»inneren Tubus« nur aus den durch die äussere Hülle schimmernden 
Linien und Schatten. »Ein directer Beweis wäre nur dann zu 
führen, wenn die äussere Wand des Stiftes zerrissen werden könnte.« 
Nun, diese Bedingung ist in meinem Präparat Fig. 26 E vollkommen, 
in F so weit erfüllt, dass der innere Tubus in seinem ganzen Ver- 
lauf bis in das Dach des Stiftes zu verfolgen ist. Leider ist in 
beiden Präparaten, die man natürlich nur dem glücklichen Zufall 
verdankt, die Chorda herausgerissen. E ist von Xiphidium fuscum, 
G von Phaneroptera falcata. Ob Hensen mit Recht glaubt, dass 
der innere Tubus das körnige Köpfchen im Dache des Stiftes um- 
hüllt, kann ich nicht entscheiden. 

Ueber die Chorda, das im Stift verlaufende Nervenende, mit 
ihrer knopfförmigen Anschwellung, dem Köpfchen (Fig. 26 B), 
habe ich nichts Neues zu sagen, nachdem ich oben ausgeführt, dass 
ich Hensen nicht beistimme über den Ursprung des Stiftes, inso- 
weit er die Hülle der Chorda ist. Ich glaube vielmehr, dass die 
Entwicklungsgeschichte uns den ganzen Stift als eine einzige Zelle 
zeigen wird. Die Deutung des Bildes eines Stiftes von oben (26 G) 
hat Hensen gegeben. Der Centralpunkt ist die Chorda, der innere 
Kreis der Umfang des Chordaköpfchens, der äussere die Stifthülle ; 
darüber liegt die im Horizontal-Durchsehnitte fast vierkantige Deck- 
zelle. Dieses Bild passt nur bei der Voraussetzung, dass mindestens 
das Dach des Stiftes ein Rundgewölbe ist. Die Stifte 26 C. D 
müssen von oben anders aussehen. 

Wir haben nun die Chorda bei ihrem Austritt aus der Spitze 
des Stiftes zu verfolgen. Nach Hensen (a. a. 0. Fig. 12. 13) würde 
sie an einem stielartigen Fortsatze der sogenannten Basalzelle in 


210 Öscar Schmidt: 


Form eines feinsten Fadens, wie im Stift, hinabsteigen, um dann 
in den quer verlaufenden Fortsatz überzugehen. Obgleich Hensen 
sagt: »Ich konnte lange nicht volle Sicherheit darüber erlangen, 
ob die Chorda sich etwa mit dem Kern der Basalzelle!) verbinde 
oder nicht, bekam aber dann Präparate, aus denen hervorging, dass 
sie an ihm vorbei und in den Fortsatz der Ganglienzelle hineingeht« 
— muss ich doch anderer Meinung sein und die ganze Basalzelle 
Hensen’s in die Nervenbahn einbeziehen. Ich habe an mehreren, 
besonders aber an einem ausgezeichnet gelungenen Schnitte. von 
Xiphidium (ein Theil davon Fig. 27) gesehen erstens: dass der 
Schlauch, den Hensen als Fortsetzung der Basalzelle auffasst, eine 
Hülle um die Verlängerung der Chorda bildet (27. 28 u), zweitens: 
dass dieser Nervenfaden sich bis in die Zelle erstreckt, drittens: dass 
der von dieser Basalganglionzelle (v) zur »Ganglionzelle« füh- 
rende Quernerv (w) aus der Basalganglionzelle hervorgeht. Der 
Schnitt war der Art ausgefallen, dass am breiten oberen Ende die 
Stifte mit den erwähnten Theilen im continuirlichen Zusammenhange 
verfolgt werden konnten. Gegen das Ende der Hörleiste fehlt der 
Theil a und sitzt der Stift unmittelbar auf der Basalganglionzelle 
auf. Nichts anderes als diese Basalzellen sieht man in dem schmalen 
unteren Seitentheile der Rinne der Gehörleiste, in jedem Fache eine 
(Fig. 24 v). Hier muss eine Durchbohrung stattfinden, wie auch 
die Fig. 23 beweist. Da aber die Querfaser wahrscheinlich un- 
mittelbar an der, der Trachea angehefteten Kante austritt, so wird 
die directe Beobachtung des feinen Loches kaum möglich sein. 

Sehr häufig findet sich, beobachtet bei Xiphidium und Phane- 
roptera, eine Zelle (x) in der Querfaser interpolirt. Ich glaube, über- 
zeugt sein zu können, dass wir es nicht mit einem Kerne des 
Neurilemm zu thun haben, wie die Hensen’schen Abbildungen 
deren viele zeigen; doch bleibt immerhin das nicht constante Vor- 
kommen auffallend. 


1) Ich bin nicht zur völligen Klarheit gekommen, welches Gebilde 
Hensen denn eigentlich „‚Basalzelle“ nennt, da seine Abbildungen mit den 
Textworten im Widerspruch zu sein scheinen. Einmal scheint es, dass, was 
ich als Zelle mit feinem Kern auffasse, Hensen’s „birnförmiger Kern“ ist, 
während in seiner Fig. 13 der Theil e in der Figurenerklärung „Basalzelle“ 
genannt wird. Für mich besteht kein Zweifel, dass Zelle der richtige Aus- 
druck; dann kann aber von einem birnförmigen Kern derselben nicht die 


Rede sein. 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 211 


Die Querbänder führen in die von Hensen entdeckten Gang- 
lionzellen, welche wir zur Unterscheidung von den Basal-Ganglion- 
zellen die Seiten-Ganglionzellen nennen (y). Auch die Quer- 
reihe von Stiften im Kopfe der Hörleiste (21. de) hat einen Haufen 
ihr zugehöriger Seiten-Ganglionzellen. An mehreren dieser Organe 
im Präparat von Xiphidium bemerkte ich jederseits ein kleines 
zellenartiges Gebilde (27. 29 z), das mit einem kurzen Stiel mit 
der Seiten-Ganglionzelle zusammenhängt und in einen nicht weiter 
zu verfolgenden Faden übergeht. Da sich eine Seiten-Ganglionzelle 
mit diesen Anhängen isoliren liess, so kann ein Irrthum nicht ob- 
walten. Die Verbindung der Seiten-Ganglionzellen mit dem Nerven- 
strange hat Hensen beschrieben. Beiläufig sei erwähnt, dass ich 
den Tibialnerven von Locusta viridissima weit unter dem Bereich 
des Gehörganges mit einer Reihe grosser Zellen belegt fand (Fig. 31), 
welche innerhalb der Nervenscheide zu liegen schienen und jeden- 
falls nicht mit Scheidenkernen verwechselt werden konnten. 

Ich habe nun das Thatsächliche meiner Beobachtungen mitge- 
theilt. Es geht daraus hervor, dass die Gehörorgane der beiden 
Gruppen der Acridier und Locustinen nur in den allgemeinsten 
Umrissen sich vergleichen lassen. In keiner Abtheilung der Thier- 
welt sind die Bedingungen zur Herstellung und Hervorbringung von 
Hörwerkzeugen so günstig, wie bei den Gliederthieren. Richtiger 
kann man auch sagen, nirgends seien die Vorbedingungen zum 
Hören so ausgeprägt in der allgemeinen Beschaffenheit des Körpers, 
als im Gliederthier. Und hierin liegt offenbar der Grund, so paradox 
es auf den ersten Blick erscheinen mag, dass wir bei den aller- 
meisten Gliederthieren entweder vergeblich nach Hörwerkzeugen 
suchen oder sie in der einfachsten Form als Hörhaare finden. Die 
Hörhaare und überhaupt die Gehörorgane der Krebse sind Ver- 
theidigungs- und Spürorgane und stehen wahrscheinlich nie in Be- 
ziehung zum Verkehr der Geschlechter. Ob ein wirkliches Hören, 
nach dem gewöhnlichen Begriff, stattfindet, ist sehr fraglich. Ihnen 
reiht sich die Mehrzahl der Insecten an, bei denen Modifikationen 
von Haaren und Hautnerven diese Theile als geeignet zur Ver- 
mittlung von Gehörs- oder ähnlichen Empfindungen erscheinen 
lassen. Bei den Acridiern und Locustinen treffen wir nun auf aus- 
gezeichnete, den Verkehr der Geschlechter erleichternde und, nach 
Graber’s interessanten Untersuchungen, offenbar durch die ge- 


schlechtliche Zuchtwahl hervorgebrachte Tonapparate und mit ihnen 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 15 


212 Oscar Schmidt: 


ganz specifisch ausgebildete Hörwerkzeuge. Wie nun, um einen 
Vergleich für die Beurtheilung herbeizuziehen, nach Fritz Müller’s 
lichtvoller Darstellung in den verschiedenen Familien der Land- 
krabben, die Kiemen unabhängig von einander verschieden modifieirt 
wurden, so in den beiden Heuschreckenfamilien das gemeinschaft- 
liche Material. Dass hier wie dort der Hörnerv Endigungen haben 
muss, dass Ganglionzellen vorhanden, dass die Chitinbedeckungen 
trommelfellartige Scheiben bilden, Tracheen als Leitungs- und Re- 
sonanzapparate in Verwendung kommen, versteht sich von selbst. 
Allein hiermit ist die Vergleichung geschlossen. Und wenn Hensen 
die Hörstifte nicht nur innerhalb der Insecten im Speciellen ver- 
gleicht, sondern sogar mit dem Hörhaar der Krebse schematisch 
zusammenstellt, so erscheint mir das durchaus gewaltsam und un- 
statthaft. Denn was soll damit ausgedrückt werden? Vor allen 
Dingen nicht eine wahre aus der Descendenz ableitbare Homologie. 
Dann könnte es nur eine von den acustischen Gesetzen abhängige 
Convergenz sein. Ich muss mir allerdings denken, da das Nerven- 
system, Ganglionzellen und Fasern, für alle Gliederthiere gemein- 
schaftliches Erbtheil ist, dass Nervenendigungen innerhalb der Ab- 
theilung und darüber hinaus durch Schallwellen in ähnlicher oder 
gleicher Weise affıcirt und modifieirt werden, also Aehnlichkeit durch 
Anpassung, also Converganz resultirt oder resultiren kann. Diese 
Uebereinstimmung ist aber nicht einmal bei den beiden Heuschrecken- 
familien eingetroffen, denn die Hörstifte der Acridier sind ja durch- 
aus andere, als die der Locusten; und vollends auf den weiteren 
Verlauf des Nervenendes nach dem Centrum, das Einschieben von 
Ganglionzellen u. s. w. können doch unmöglich jene physikalischen 
Verhältnisse entscheidend bis zur scheinbaren Homologie einwirken. 
Das lehrt auch der von uns untersuchte Fall. 

Wir kennen sowohl von den Acridiern als den Locustinen nur 
die fertigen Gehörorgane. Es wird sich herausstellen, wie ich 
wenigstens in dem einen Falle nachweisen konnte, dass sie in den 
Larven vor Eintritt der Geschlechtsthätigkeit noch unvollendet sind, 
und vielleicht giebt uns die embryonale und frühe postembryonale 
"Entwicklung Fingerzeige, wie die Erwerbung dieser so interessanten 
Organe vor sich gegangen ist. 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 213 


Nachtrag. 


Nach dem Abschlusse dieser Arbeit erfahre ich, dass Herr 
Professor Graber in Gratz eben auch Untersuchungen, und zwar 
weit umfangreichere, über denselben Gegenstand vollendet hat, welche 
demnächst veröffentlicht werden. Ich würde die meinigen wohl kaum 
publiciren, wenn mein verehrter Freund mir nicht schriebe, dass er 
in den wesentlichsten Punkten zu anderen Resultaten gelangt sei, 
als Hensen, und, im Anschluss an denselben, ich. Was ich nur 
als frommen Wunsch aussprechen konnte, Einblick in die Genesis 
der fraglichen Organe, scheint von Graber erreicht worden zu sein, 
und ich sehe daher mit Spannung seiner Monographie entgegen. 

Strassburg, 12. November 1874. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. X, XI und X. 


1. Linkes Ohr von Stenobothrus rufus von innen (ohne Ganglion); R Trom- 
melbogen; st Stigma; k kegelförmiger Vorsprung; j Seitenjoch des- 
selben; f nach aussen gewölbte Grube; v Kanten der Grube (vergl. 
Fig. 7) t dreiseitige flache Kapsel; gi Zwischenganglion; a c Hörnerv. 

2. Linkes Ohr einer Larve, wahrscheinlich Parapleurus typus; Buchstaben 
wie in 1. 

3. Ein Stück aus dem oberen Rande des Ohres von Oedipoda coerulans; 
man sieht den vorspringenden Theil des Ringes und den Ansatz 
des Trommelfelles. 

4. Das am Ohre liegende Stigma von Parapl. typus. 

5. Der Kegel aus Fig. 2, von aussen. 

6. Kegel und Umgebung mit den Nerven-Theilen von Parapleurus typus. 
g Ganglion des Acusticus. 

7. Schematischer Durchschnitt der Grube f. A Aussenseite; I Innenseite. 

8. Die dreiseitige Kapsel t und Zubehör von Parapleurus typus; o offene 
Rinne; gi Zwischenganglion; e geschlossene Röhre; a Aussenwand; 
i Innenwand des Trommelfelles; z Ganglionzellen ; g Nervenröhre (?). 

9. Ganglion mit sehr ausgeprägtem Lobus des Kapselnerven;; von Parapleurus 
typus. 

10. Ganglionzelle und Stifte aus dem Ganglion von Parapl. typus. 


214 Oscar Schmidt: 


1l. Kolben (Nervenendigungen) und Ganglionzelle mit zwei Fortsätzen aus 
der Grube von Par. typus. 
12. Durchschnitt des Kegels von Stenobothrus rufus. 


13. Das Gehörorgan von Phaneroptera falcata, rechtes Bein, von vorne, mit 
Hinwegnahme des durchsichtigen Theiles des vorderen Trommelfelles. 
F Oberschenkel; T Tibia; a oberer diekerer Theil des vorderen 
Trommelfelles; b dünnerer unterer Theil des hinteren Trommel- 
felles; ce Steg; c‘ Stegrand; d untere Einbuchtung der Tracheen- 
wand; f Lumen der Röhre, gebildet durch die Faltungen der zwei- 
getheilten Tympanaltrachea da, wo dieselbe zur grossen Tibialtrachea 
wird; w äusserer Chitinrand. 

14. Querschnitt des Ohres von Phaneroptera falcata, unterhalb des Knies 
ab wie in 13; te Tracheenwand. 

15. Querschnitt weiter unten; s äussere Schichte des Trommelfelles, dem 
Ilautscelet angehörig; c Steg, aus der Faltung der oberen Tracheen- 
wand hervorgehend; c‘ Stegrand. 

16 bis 19. Durchschnitte von Thamothrizon (apterus?), die Bildung des Steges 
und das Verhältniss der durch die Tympanaltrachea begränzten 
Räumen zeigend; p Raum der äusseren Ohrmuschel, gebildet durch 
den Hautumschlag m; t Chitinschichte, welche von der äusseren 
Haut bei Bildung der unteren Stegfalte auf die Tracheenwand über- 
geht. Die anderen Buchstaben wie oben. 

20. Steg und unmittelbar damit zusammenhängende Tracheentheile von Pha- 
neroptera falcata, von der Seite. Die Kante g ist durch den Längs- 
schnitt entstanden und gehört, wie auch d und e, dem Tracheen- 
boden an, respective dem Umschlage vom Stege oder den dach- 
föormig sich von unten zum Steg erhebenden Tarcheenblättern, welche 
zum Trommelfell werden. 


21. Gehörganglion und Gehörleiste von Phaneroptera falcata. G Ganglion, 
L die chitinisirte Rinne, in welcher die Reihe der Nervenstifte, de, 
liegt; de‘ die oberen, in eine Querreihe zusammengedrängten Stifte; 
g ein Theil der zu den oberen Stiften gehörigen Ganglionzellen. 
Die Fortsetzung des aus dem Ganglion entspringenden Nerven und 
die übrigen Ganglionzellen sind nicht gezeichnet.) 

22. Querschnitt durch den oberen Theil des Gehörorganes von Phaneroptera 
falcata noch oberhalb des Steganfanges. de Deckzelle. Der Streifen 
ist der Ausdruck des Randes der Querwand des Stiftfaches. s Seiten- 
zellen; g’ Seitenganglionzelle. 

23. Die Leiste im Querschnitt und etwas von der Seite. x die Ganglionzelle 
eines Querbandes. Die punctirte Seiten-Ganglionzelle y war im 
Präparat abgerissen. 


24. 


28. 


29. 


30. 
31. 


Die Gehörorgane der Heuschrecken. 215 


Stück aus dem unteren Theile der Rinne, theils von oben, theils zur 
Seite gelegt. Man sieht die Stiftfächer. v Basalganglionzelle (Basal- 
Stützzelle Hensen’s) von Phaner. falcata. 


. Aehnliches Stück von Locusta viridissima. 
26. 
OZE 


Stifte. (Näheres im Text.) 

Aus einem Längsschnitt der Hörleiste von Xiphidium fuscum. g Seiten- 
Ganglionzelle; w Querband; x Ganglionzelle des Querbandes; v Basal- 
Ganglionzelle; u Faser, welche die Basal-Ganglionzelle mit der im 
Stifte verlaufenden Chorda verbindet. 

Stifte in Verbindung mit den Basal-Ganglionzellen von Phaneroptera 
falcata. 

Eine Seitenganglionzelle im Zusammenhange mit dem Nerven, der Quer- 
faser und den Nebenzellen, von Xiphidium fuscum. 

Ein die Fig. 28 ergänzendes Präparat, wobei die Fächer nicht hervortreten. 

Ein Stück Tibialnerv mit eigenthümlichen Ganglionzellen von Locusta 
viridissima. 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 


Von 


W. Krause, 


Professor in Göttingen. 


Hierzu Taf. XIII. 


Es gibt einen fünften Ventrikel der Centralorgane, wenn man 
den der Medulla oblongata als V. quartus bezeichnet. Der fünfte 
liegt am unteren Ende des Conus medullaris und kann Ventriculus 
terminalis des Rückenmarks genannt werden. 

Seit längerer Zeit ist es bekannt, und leicht zu bestätigen, 
dass sich der Centralkanal am Uebergange in das Filum terminale 
bei Säugethieren der vorderen Längsspalte nähert, beim Menschen 
aber der hinteren. Dann soll sich der Kanal eine Strecke weit beim 
Menschen in die hintere, beim Rinde etc. in die vordere Längsspalte 
öffnen. Gleichwohl leuchtete ein, dass ein so fundamentaler Unter- 
schied unter den Säugern nicht wahrscheinlich sei. Die Sache musste 
anders zusammenhängen. 

Anatomie. Beim Menschen ist im oberen Theile des Filum 
terminale die Höhle des Centralkanals eylindrisch. Am Uebergange 
in das untere Ende des Conus wird dieselbe zu einer transversalen, 
der hinteren Peripherie des letzteren näher gerückten Spalte (Fig. 1). 
Diese Spalte entspricht dem untersten Ende des Ventriculus termi- 
nalis. Nach aufwärts am Rückenmark wird der Ventrikel rasch 
tiefer (in der Richtung von vorn nach hinten) und breiter (von 
links nach rechts); derselbe hält sich gewöhnlich näher an die 
hintere Peripherie (Fig. 4) und seine Form gleicht auf dem horizon- 
talen Querdurchschnitt einem Dreieck (Fig. 2), dessen Basis vorn 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 217 


gelegen und dessen Spitze nach hinten gerichtet ist. Am oberen 
und unteren Ende vermindert sich der transversale wie der Dicken- 
durchmesser, und der frontale sowohl als der sagittale Längsdurch- 
schnitt des Ventrikels erscheint daher als spindelförmige Spalte. 
Nach oben läuft sie spitz zu; nach unten erfolgt die Verschmälerung 
allmäliger. Die Länge von oben nach unten (Fig. 8) beträgt beim 
Erwachsenen mehrere (bis S—10) Mm.; die Breite von links nach 
rechts 0,5—2,0, gewöhnlicher 0,6—1,0; die Tiefe (oder Höhe) von 
vorn nach hinten 0,4—1,1 Mm. Der Ventrikel ist daher auf Quer- 
schnitten gehärteter Präparate sehr bequem mit freiem Auge sicht- 
bar. Jedoch erklärt es sich aus der Seltenheit unmittelbar nach 
dem Tode zu untersuchender Objecte, sowie aus der Zartheit seiner 
hinteren Wand, wie ein solch relativ grosses Gebilde unbekannt 
bleiben konnte. An seinem:oberen Ende geschieht der Uebergang 
des Ventriculus terminalis in den Centralkanal des Conus medullaris, 
welcher daselbst, wie man weiss, eine mediane Längsspalte des 
letzteren darstellt, vermittelst einer allmälig beginnenden und succes- 
sive nach oben zunehmenden schnabelförmigen Vertiefung der Basis 
seiner Höhlung in der Richtung nach vorn (Fig. 3). Nach und 
nach wandelt sich das querliegende Dreieck in ein solches um, 
dessen Spitze nach vorn, dessen kurze Basis nach hinten gelegen 
ist und zugleich erscheint seine Hinterwand häufig in der Richtung 
von hinten her eingedrückt, so dass die Hinterwand oder das Dach 
des Ventriculus terminalis zwei seitliche nach hinten und lateral- 
wärts gebogene Spalten oder Hörner zeigt (Fig. 3. Fig. 6). 

Präparirt man unterhalb der Austrittsstelle des N. coccygeus 
(die untersten Fasern der vorderen Wurzel treten bekanntlich einige 
Mm. tiefer aus der Substanz des Conus, als die hintere Wurzel) 
aus dem Rückenmark unmittelbar nach dem Tode die Pia mater 
von der Hinterfläche des frischen Markes ab, so zeigt sich am un- 
teren Ende des Conus eine Stelle, wo dies anscheinend sehr leicht 
geht und dann eine löngitudinale Höhlung zum Vorschein kommt. 
Diese gehört dem seiner Länge nach eröffneten Ventrikel an. 

An gehärteten Präparaten fällt die Stelle, wo der Ventrikel 
sich befindet, dem freien Auge durch Faltungen auf, welche die 
Pia bildet, sobald das unterste Ende des Conus nach hinten gebogen 
wird. Nach diesem Experimente ist freilich das Präparat für. die 
mikroskopische Untersuchug nicht mehr zulässig; gleichwohl wurden 
mehrere für die Constatirung des Factum verwendet. Scheinbar 


218 W. Krause: 


bildet allein die Pia mater das Dach. Unter dem Mikroskop zeigt 
sich aber bei starken Vergrösserungen, dass die hintere Begrenzung 
des Ventrikels nicht nur von der Pia, sondern auch von dem ge- 
wöhnlichen Flimmer-Epithel des Centralkanals und einer zwischen 
beiden liegenden dünnen Rückenmarksschicht: Substantia gelatinosa 
und Rest der Hinterstränge gebildet wird (Fig. 1—7). In dieser 
Höhe des Rückenmarks sind zwar die weissen Markstränge (Fig. 4) 
continuirlich unter einander verschmolzen; die grauen Hörner aber 
existiren noch und wenigstens die vorderen enthalten deutliche 
multipolare Ganglienzellen von 0,014 Mm. Durchmesser. 

Der Ventriculus terminalis ist in allen Lebensaltern vorhanden 
und wird noch bei 70jährigen Personen angetroffen. Gegen das 
40. Lebensjahr beginnt derselbe öfters zu obliteriren. Die Obliteration 
kann den ganzen Hohlraum oder einen Theil betreffen. Meistens 
wird sein Dach von hinten her gleichsam eingedrückt: die Figur 
seines oberen Endes (Fig. 3. Fig. 6) kehrt weiter abwärts in ver- 
grössertem Massstabe wieder. Oder die Obliteration beginnt vorn 
und schreitet nach hinten fort; oder der Ventrikel zerfällt in mehrere 
kleine Höhlen, die von vorn nach hinten auf einander folgen. Die 
Mitte bleibt natürlicherweise länger offen als das obere und untere 
Ende, da erstere den grösseren Binnenraum enthält. 

Ueber die Obliteration des Oentralkanals selbst im ganzen Rücken- 
mark ist noch zu bemerken, dass sie sehr leicht festzustellen ist, falls 
man das letztere unmittelbar nach dem Tode herausnimmt und in 
zweckmässiger Weise härtet. Wenn einige Male die Erfahrung ge- 
macht wurde, dass die Obliteration sich als scheinbare erweist und 
nur durch unvorsichtige Härtung (Torsion des Rückenmarks, Ge- 
rinnselbildung, beginnende Fäulniss, Ablösung des Epithels, nament- 
lich aber durch schiefe Schnittführung) entstanden ist, so pflegen 
Manche im Anfange geneigt zu sein, die Obliteration überhaupt für ein 
Kunstproduct anzusehen. Dieses Stadium der Erkenntniss durchgemacht 
zu haben, erzählen mehrere Untersucher des Rückenmarks von sich. 

Indessen ist es an Carmin-Präparaten nicht schwer, die Capillar- 
gefässe zu sehen, welche die obliterirten Stellen des Centralkanals 
durchziehen. Es kommt auch nicht selten und namentlich im Sacral- 
mark vor, dass der Centralkanal doppelt, d. h. an einer Stelle seines 
Querschnitts obliterirt ist. Verdoppelung wurde zuerst von Gall!) 


1) Gall et Spurzheim Anat. et physiol. du systeme nerv. 1810. T. I 
S. 71. Bei Spina bifida. 


a a rn 


- 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 219 


beschrieben, während den Beobachtungen!) eines dreifachen Kanals 
die Verwechslung mit der damals nicht bekannten paarigen Central- 
vene des Rückenmarks zu Grunde liegt. Die Obliteration ist als 
Altersveränderung aufzufassen; sie wird zwischen dem 30. und 40. 
Jahre häufig, obgleich der Centralkanal noch bei 70—80jährigen 
Leuten in seiner ganzen Länge offen getroffen wird. Uebrigens be- 
ruht das scheinbare Fehlen der Obliteration bei Säugethieren vielleicht 
auf dem Umstande, dass letztere fast immer in jugendkräftigem 
Zustande untersucht resp. getödtet zu werden pflegen. Es kann 
dabei freilich auch um eine Eigenthümlichkeit des Menschen sich 
handeln, gerade wie beim Ventrikel des Lobus olfactorius?). 


1) Calmeil, Journ. de progres. 1828. T. XI. S. 80. 

2) Das im Bulbus selbst gelegene Vorderende des weissen Tractus ol- 
factorius enthält nämlich in seiner Längsaxe ein gefässreiches netzförmiges 
Bindegewebe. Dies ist der Rest des obliterirten embryonalen Ventriculus 
lobi olfactorii. Die betreffende jedenfalls dem offenen Ventriculus lobi olfac- 
torii des Säugethierhirns homologe Substanz ist von Meynert (Vierteljahrs- 
schrift für Psych. 1867. Taf. IV. Fig. 10) anfangs als eine achte Schicht des 
Bulbus olfactorius und zwar als Ganglienzellenschicht beschrieben, von Henle 
(Nervenlehre, 1873. S. 342) als zweite Schicht bezeichnet. Verkennung dieser 
Verhältnisse hat natürlich dazu beigetragen, ein Verständniss des Bulbus 
olfactorius zu erschweren. In letzterer Hinsicht mag beiläufig noch Folgendes 
bemerkt werden. Die Hauptmasse des Bulbus selbst ist graue Gehirnsubstanz 
mit Pyramidenzellen; seine Körnerformation den Donders’schen Körnern 
(W. Krause, Med. Centralbl. 1873. S. 818) des N. opticus gleichzusetzen, 
insofern die Körner dem weissen Nervenplexus des Tractus olfactorius ange- 
hören. Die Rinde des Bulbus aber dürfte einem Intervertebralganglion ho- 
molog sein. Denn die von Leydig (1852) zuerst bei Selachiern gesehenen 
Glomeruli olfactorii sind nicht nur Aufknäuelungen der Olfactoriusfasern 
(Meynert, 1868), auch keine isolirten Klumpen feinkörniger Grundsubstanz 
(M. Schultze, 1863), noch weniger mit Querschnitten von Nervenstämmchen 
zu verwechseln (Henle, 1875), sondern sie bestehen vielmehr aus bipolaren 
von endothelialen Scheiden umgebenen Ganglienzellen, was wenigstens beim 
Schaf (Müller’sche Flüssigkeit, Alkohol, Carmin, Nelkenöl, Canadabalsam) 
gut zu sehen ist. Ihre Structur erinnert am meisten an den vorderen oder 
lateralen Kern der vorderen Acusticuswurzel, der ebenfalls als ein Spinal- 
ganglion aufzufassen ist. Aus der Bulbusrinde entspringen als peripherische 
Nervenzweige die Nn. olfactorii, um die Foramina ceribrosa des Siebbeins zu 
passiren. Nicht der Bulbus, sondern die Glomeruli olfactorii würden mithin 
das Intervertebralganglion eines vordersten Schädelnerven repräsentiren, der 
nur eine sensible Wurzel besitzt. 


220 W. Krause: 


Varietäten. Seit Huber (Comment. de medull. spinal. 
Gotting. 1741) auf zuweilen vorhandene kleine rundliche Anschwel- 
lungen am Ende des Conus medullaris aufmerksam machte, die ein- 
fach oder zu zwei übereinander vorkommen, sind solche von älteren 
Anatomen öfters präparirt. So sagte C. Krause (Handb. d. menschl. 
Anatomie. 1838. S. 830), dass der Conus zuweilen an seiner äussersten 
Spitze zu einem kleineren durch flache seitliche Eindrücke abge- 
grenzten Knötchen anschwelle. Diese Anschwellungen sind nichts 
Anderes als der erweiterte, für das freie Auge im frischen Zustande 
als rundlicher gallertiger Knopf erscheinende Ventriculus terminalis, 
der dabei die gleich zu erwähnende (Fig. 5) Regenschirmform seines 
Querschnitts durch seine ganze Länge beibehält. Bei einem 5jährigen 
Knaben mass die Höhlung von links nach rechts 0,8 Mm.; von vorn 
nach hinten 1,1 und dazu kam noch eine spaltförmige Erstreckung 
nach vorn in der Medianebene von 1 Mm. In anderen Fällen nähert 
sich bei Kindern der Centralkanal, ohne überhaupt eine makroskopisch 
‚sichtbare Anschwellung zu bilden, nach abwärts der hinteren Längs- 
spalte und dann folgt eine kurze Strecke, auf welcher der Quer- 
schnitt die Profilansicht eines nach hinten gerichteten Regenschirmes 
oder Hutpilzes wiedergibt. Der Stiel ist der vordere Theil des 
Centralkanals; nach rückwärts geht derselbe in eine Querspalte 
oder queren nach hinten convexen Sinus über. Weiter abwärts ver- 
kürzt sich der nach vorn gerichtete Spalt, die vordere Begrenzungs- 
fläche bildet eine Ebene und das Bild gleicht bei etwas geringeren 
absoluten Dimensionen dem beschriebenen (Fig. 5). Uebrigens wurde 
die Regenschirmform eine Strecke weit auch bei einem 22jährigen 
Mädchen angetroffen. — Im ersten Lebensjahre scheinen die abso- 
luten Dimensionen nicht geringer zu sein, als beim Erwachsenen. 
Die Wandungen sind aber sehr zart, was die Untersuchung etwas 
erschwert. Bei einem !/sjährigen Kinde war die aus Epithel, Sub- 
stantia gelatinosa und Pia bestehende Hinterwand nicht dicker, als 
der Flächendurchmesser einer Epithelialzelle der Mundhöhle (0,06 Mm). 
Bei etwas älteren Kindern und bei Greisen scheint die Höhle weiter 
zu sein, als durchschnittlich im 20. bis 40. Lebensjahre. So fand 
sich an einem 76jährigen Manne die grösste Breite = 2 Mm., die 
grösste Tiefe (von vorn nach hinten) betrug an derselben Stelle 0,05, 
weiter abwärts aber 0,7 Mm. Auch kommt es bei älteren Personen 
vor, dass der Ventrikel in seiner ganzen Ausdehnung auf dem Quer- 
schnitt die Form zeigt, welche sonst seinen obersten Theil zu 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 2231 


characterisiren pflegt. Es ist nämlich die Tiefe beträchtlicher als 
die Breite (0,8—1,1:05 bei einem 38jährigen Manne) und zugleich 
liegt die grösste Breite oder die Dreiecksbasis an der hinteren Wand 
(Fig. 7). Ausnahmsweise kommt es auch vor, dass die gelatinöse 
Substanz am Dache eine beträchtlichere Dicke erreicht, als gewöhn- 
‚lich (Fig. 1). In diesem Fall ist der Conus von hinten nach vorn 
dicker als von links nach rechts. Einmal wurde eine mehr rundlich- 
‚cylindrische Form des 1 Mm. weiten Ventrikels in seiner ganzen 
Längen-Ausdehnung beobachtet. Am oberen Ende kann sich auf 
Frontalschnitten ein kurzer, nach oben blind endigender und dem 
Centralkanal im Conus paralleler Nebengang erstrecken. 

Vergleichende Anatomie. Die scheinbare Eröffnung des 
Centralkanals in die Fissura longitudinalis anterior bei Säugethieren 
erklärt sich jetzt einfach aus dem Umstande, dass das Dach des 
Ventrieulus terminalis bei geschwänzten Thieren dicker ist, weil 
hier noch mehr sensible, die Haut des Schwanzes versorgende Nerven- 
fasern vorhanden sind. Beim Menschen sind die den Hintersträngen 
entsprechenden Parthien der weissen Substanz am Ventrikel sehr 
‚dünn, bei den Säugethieren erscheinen sie aus dem angegebenen 
Grunde verhältnissmässig dieker. Die hinteren Wurzeln verlaufen 
nach ihrem Eintritt, wie bekannt, längs der Hinterhörner überhaupt 
theilweise absteigend und auch vordere Wurzelfasern biegen im 
Vorderhorn nach unten um. Die gallertige Anschwellung, welche 
der Ventrikel bei Säugethieren dem freien Auge darbietet, wurde 
von Remak!) als constant, ihre Bedeutung aber nicht erkannt. 

Nicht zu verwechseln ist der Ventriculus terminalis mit dem 
Sinus rhomboidalis der Vögel. Letzterer liegt im Sacralmark (nicht 
im Conus), enthält einen geschlossenen Centralkanal und ist über- 
haupt nichts weiter als das enorm verdickte gallertige Bindege- 
webe des Septum longitudinale posterius. 

Vom Frosch gibt Reissner?) an, dass der Centralkanal an 
den unteren d. h. ventralen Umfang des Rückenmarks gelange. 
Dasselbe fand Grimm?) bei der Kreuzotter. Bei Fischen sind 


1) Arch. f. Anat. und Physiol. 1841. S. 515. 

2) Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier, 
1864. S. 5. 

3) Arch. f. Anat. und Physiol. 1861. S. 506. 


222 W. Krause: 


kuglige (Barbe) oder spindelförmige (Hecht) Anschwellungen!) am 
unteren Rückenmarksende von 2 Mm. Durchmesser resp. 1 Mm. 
Dicke und 10 Mm. Länge bekannt. Und sogar bei Amphioxus 
lanceolatus hat Quatrefages?) eine am Ende des Filum terminale 
gelegene Ampulle beschrieben, welche das 0,05 messende Filum um 
das Vierfache an Dicke übertrifft. 

Es wird eine dankbare Aufgabe sein, mit Hülfe der unten 
mitzutheilenden Untersuchungsmethoden den Ventriculus terminalis 
durch die ganze Wirbelthierreihe zu verfolgen. 

Entwicklungsgeschichte. Wahrscheinlich ist der Ventri- 
culus terminalis als persistirender Rest des unteren Endes vom 
Sinus rhomboidalis der Säugethier-Embryonen zu betrachten. Ge- 
wöhnlich wird letzteres Gebilde ausschliesslich als Repräsentant der 
Lenden-Anschwellung angesehen. Nach Untersuchung menschlicher 
Embryonen aus dem zweiten und dritten Monate, sowie eines frischen, 
82 Tage nach Beginn der letzten Menstruation abgegangenen ist 
dies jedoch nicht der Fall. Sogar der dreimonatliche Embryo hat 
zwar eine Erweiterung des Centralkanäls an dieser Stelle, aber 
keine merkliche den Ursprüngen der Nerven für die untere Extre- 
mität entsprechende Anschwellung der nervösen Rückenmarkssubstanz 
selbst. Vielmehr sind die betreffenden Extremitäten und ihre Nerven 
nicht grösser, als die vorderen. Das Filum terminale wächst auch 
nicht als Hervortreibung?) des Sinus rhomboidalis nach unten aus, 
sondern sein unterstes Ende ist bei einem solchen Embryo bereits 
vorhanden und durch seine Anheftung an den Schwanzwirbeln fixirt. 
Es muss also das ganze Filum in die Länge wachsen, während der 
Sinus rhomboidalis sich bis auf den als Ventrieulus terminalis be- 
zeichneten Rest zurückbildet. Letzterer kann sich hydropisch er- 
weitern und entweder jene schon von Huber gesehenen Anschwel- 
lungen bilden oder sogar die als Hydrorhachis interna ceystica be- 
zeichnete Form der Spina bifida sacralis darstellen. Ein solcher 
Fall scheint bereits von Hutchinson) beschrieben worden zu sein. 


1) Stilling, Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. 
1859. S. 1116. 

2) Annal. des sc. natur. 3=e Ser. Zool. T. IV. 1845. S. 223. Pl. X. 
Fig. 1 und 2. 

3) Kölliker, Entwicklungsgeschichte, 1861. S. 252. 

4) New London medical journ. Bd. I. S. 338. 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 223 


Hieraus würde ferner das häufigere Vorkommen von Spina bifida 
am unteren Ende des Rückenmarks zu deduciren sein, obgleich 
nicht jede derartige Geschwulst auf einer Erweiterung des Üentral- 
kanals beruht. 

Historisches. Die eigenthümlichen Formen des letztge- 
nannten Kanals in der Gegend, wo sich derselbe nach Stilling 
(l. e. Taf. III) beim Erwachsenen in die Fissura longitudinalis poste- 
rior öffnen sollte, erklären sich leicht aus Schrumpfung des Conus- 
endes in stärkerer Chromsäure-Lösung und Compression in dem als 
Einschlussmittel von Stilling benutzten gehärteten Kalbsrücken- 
mark. Ebenso entsteht eine T-förmige Gestalt durch Wirkung des 
Alkohols, den Clarke!) anwendete. Beide Forscher beschrieben 
richtig, dass sich der Centralkanal in der fraglichen Gegend beim 
Menschen der hinteren Längsspalte des Rückenmarks nähert. Jene 
Formen lassen sich aus den hier abgebildeten (Fig. 1—7) leicht ab- 
leiten und zwar aus symmetrischer Compression resp. Schrumpfung 
durch Wasser-Entziehung. Die früheren Untersuchungsmethoden ge- 
statteten wahrscheinlich nicht, das Epithel des Ventrikels in unver- 
letztem Zustande zu erhalten. 

Am Conus selbst und am Ventrikel kommen seitliche Asymme- 
trien nicht vor — abgesehen natürlich von den Fällen, wo letzterer 
theilweise obliterirt ist, und dem zuweilen vorkommenden Ersatz 
einer seitlichen Dreieckskathete (Fig. 4) durch eine gebrochene Linie, 
so dass ein unregelmässiges Viereck entsteht. Die scheinbar vor- 
handenen Asymmetrien sind stets auf schiefe Schnittführung und 
namentlich auf Torsion des Rückenmarks zurückzuführen, falis bei 
der Erhärtung nicht dafür gesorgt wurde (s. unten, Untersuchungs- 
methoden), die Längsaxe des Marks eine gerade Linie bilden zu 
lassen. 

Nach der Auffindung des Ventriculus terminalis ist auch die 
letzte der angenommenen Communicationen zwischen centraler Ge- 
"hirn- und Rückenmarkshöhle und Subarachnoideal- resp. Arach- 
noidealraum (Subduralraum) als Kunstproduct dargethan, wie es 
mit den Foram. Bichati und Magendii schon früher geschehen war: 
die aus dem embryonalen Centralkanal sich entwickelnden Räume 
sind allseitig geschlossen. Die Höhle des Septum pellueidum aber 


1) Philosoph. transact. 1859. Taf. XXIUI. Fig. 21. 


224 W. Krause: 


ist bekanntlich kein Theil der Centralhöhle, kein fünfter Hirn- 
ventrikel, sondern nichts weiter als ein zwischen nicht verdickten 
Abschnitten der medialen Wände beider Grosshirnhemisphären abge- 
kammerter Theil, der an der Aussenfläche des embryonalen 
Medullarrohrs sich bildet. Demzufolge wird sie nicht von Flimmer- 
Epithel ausgekleidet, sondern erhält eine endotheliale Bedeckung. 


Function. Das beschriebene Gebilde des menschlichen Körpers _ 


gehört zu den rudimentären Organen, wie z. B. die Vesicula prosta- 
tica, und seine Bedeutung muss innerhalb der embryonalen Entwick- 


lungsperioden gesucht werden. Zu jener Zeit unterhalten wahr- 8 


scheinlich die Cilien des Centralkanals eine Circulation der embryonalen 
Cerebrospinalflüssigkeit, die für den Stoffwechsel der Centralorgane 
wirksam sein mag, insofern nämlich die genannte Flüssigkeit Lymphe 
oder ein ähnliches mehr wässriges Product darstellt. So leicht die 
Cilien an den Epithelien des Ventriculus terminalis dargestellt werden 
können, wollte es bei einigen Versuchen doch nicht gelingen, sie in 
Bewegung zu sehen (Immersion Hartn. XI, Cerebrospinalflüssigkeit). 
Es ist aber sehr wohl möglich, dass die an Chromsäure-Präparaten 
häufig verklebten Haare, welche dem freien Zellenrande aufsitzen, 
später nicht mehr flimmern. Diese Cilien sind nämlich den Stäbchen 
und Zapfen der Retina homolog. Sie sind schon in fötaler Zeit auf 
dem Epithel der eingestülpten primären Augenblase vorhanden und 
metamorphosiren sich später in die eigenthümlichen Formen der als 
Sinnes-Epithel bezeichneten Stäbchenschicht. In Wahrheit aber sind 
erst Stäbchenschicht und äussere Körnerschicht zusammen genommen 
dem Epithel der primären Augenblase (und auch des Labyrinth- 
bläschens nach Waldeyer!) homolog. Beide Schichten gemein- 
schaftlich repräsentiren das Epithel der ursprünglich vordern Wand 
der primären Augenblase; ihre Grenze gegen die der grauen und 
weissen Substanz der Centralorgane gleichwerthigen Retina-Schichten 
wird von den Zellen der Membrana fenestrata gebildet. Dieses 
Zellennetz ist neuerdings von Rivolta, Golgi und Manfredi 
bestätigt, auch von Schwalbe?) abgebildet. Homologe Bindege- 
webszellen werden in der Substantia gelatinosa centralis des Rücken- 
marks reichlich gefunden. Die Körner der äusseren Körnerschicht 


1) Stricker’s Handbuch der Gewebelehre, 1872. S. 983. 
2) Handbuch der Augenheilkunde von Graefe und Saemisch. 1874. 
Bd. I. S. 393. Fig. 27. 


a 
u 
2 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 225 


entsprechen den Kernen der Epithelialzellen des Centralkanals, die 
langen Ausläufer der letzteren den Stäbchen- und Zapfenfasern. 
Gleichwie die Stäbchen- und Zapfenkörner!) quergestreift sich zeigen, 
sind die Kernkörperchen der Epithelialzellen wenigstens im Central- 
kanal der Wiederkäuer zu einer Säule?) über einander geschichtet. 
Die Membrana limitans externa ist einfach eine Cutieularbildung: 
ein von den Stäbchen resp. Zapfen perforirtes Ausscheidungsproduet 
der embryonalen Epithelialzellen der primitiven Augenblase und 
gleichwerthig dem radiär gestreiften Saum am freien Ende von 
Cylinder-Epithelien (z. B. des Dünndarms). Die Membrana fenestrata 
der Retina aber ist genetisch die zu Tage tretende Neuroglia der 
grauen Substanz in der Wandung der primitiven Augenblase und 
die Zellen jener gefensterten Membran hängen mit denjenigen des 
Bindegewebes der Augenblase (bindegewebige Radialfasern) zusammen. 
Diese Radialfasern können mithin in die äussere Körnerschicht sich 
nicht fortsetzen, was die directe Beobachtung bestätigt. Mit Rück- 
sicht auf die besprochenen Homologien erscheint es folglich nicht 
undenkbar, dass die Cilien des Ventriculus terminalis beim Er- 
wachsenen nicht mehr schwingen. 

Was die Untersuchungsmethoden anlangt, so kam es 
darauf an, Sicherheit zu erlangen, dass die Form des Ventrikels 
sich durch die nothwendige Härtung nicht geändert habe. Als Prüf- 
stein wurde gefordert, dass die epitheliale Auskleidung in Continuität 
erhalten, jede Zelle in ihrer Lage sei. Die Erfahrung hatte nämlich 
gelehrt, dass stärkere Verbiegungen der Innenwand unvermeidlich 
Verschiebungen des Epitheliallagers oder Trennungen in demselben 
bewirkten. Die Abwesenheit von solchen musste daher als Vorbe- 
dingung erscheinen. 

Unerlässlich ist es, das Rückenmark in den ersten Stunden 
nach der genau bekannten Todeszeit herauszunehmen. Innerhalb 
der ersten zwölf Stunden konnte jedoch keine Differenz constatirt 
werden: das Epithel war überall in situ. Schon nach zwölf Stunden 
pflegt im Sommer die Erhärtung nicht mehr zu gelingen. 

Die Herausnahme aus dem Wirbelkanal geschah mit jener 
Vorsicht, die bei Untersuchungen an den Centralorganen niemals 
hintangesetzt werden darf. In senkrecht stehenden Glascylindern 


1) W. Krause, Membrana fenestrata der Retina. 1868. Taf. II. 
2) Kölliker, Gewebelehre. 1867. Fig. 192, vom Mens chen. 


226 W. Krause: 


wurde das Sacralmark nebst Cauda equina mit unversehrter, jedoch 
oben und unten offener Dura aufgehängt. Das obere Ende der 
letzteren wurde am Kork des Gefässes befestigt; an ihr unteres 
Ende ein Schneidezahn oder ähnliches Ding befestigt. Lässt man 
den beschwerenden Körper weg, so sind in Folge des elastischen 
Zuges, welchen die entspannte Pia mater, A. spinalis anterior etc. 
ausüben, Torsionen des Filum um seine Längsaxe, Verbiegungen 
und davon abhängige scheinbare Asymmetrien auf dem Querschnitt 
unausbleiblich. 


Das Glasgefäss wurde dann mit H. Müller’scher Flüssigkeit 
gefüllt, um die Epithelien sicher zu conserviren. Nach 24 Stunden 
wurde erstere mit Iprocentiger Chromsäure-Lösung vertauscht, nach 
weiteren 24 Stunden das Filum nebst Conus isolirt nebst dem 
Schneidezahn darin suspendirt, und am vierten Tage die Chrom- 
säure-Lösung gewechselt. Einige Tage später, sobald Erhärtung 
eingetreten war, wurde die Chromsäure mit Wasser ausgezogen, 
und nun mit Spiritus, sodann mit absolutem Alkohol behandelt. 
Unter mindestens zweimaligem Wechseln des letzteren waren jeden- 
falls 8 Tage seit dem Tode verstrichen. 


Das abgetrocknete Präparat wurde in Paraffin eingebettet, das 
sehr wenig über seinen Schmelzpunkt erhitzt war, und vorher das 
Filum nahe unter dem Ventrikel glatt querdurchschnitten. Eine 
cylindrische Form wurde dem erstarrten Paraffin durch Eingiessen 
in eine vorbereitete Papierhülse gegeben. Unter diesen Umständen 
füllt sich der Cenrtralkanal des Filum und der Ventrikel gewöhnlich 
mit Paraffin. Nach dem Erkalten ward der Paraffineylinder aus 
seiner Papierhülse ausgeschält, abgetragen, bis das Filum auf dem 
Querschnitt erschien und dann 24 Stunden trocken aufbewahrt. 


Successive mit hohlgeschliffenem oft gewechseltem Rasirmesser 
angefertigte feine Querschnitte des Präparates wurden mit Benzol, 
Brönner’schem Fleckwasser (Frankfurt a. M.) auf dem Objectglas 
von Paraffin und von überschüssigem Benzol befreit. Dann kann 
man sie einfach mit Canadabalsam, der in gleichen Theilen Chloro- 
form gelöst ist, bedecken. Oder der Schnitt wurde mit Carmin ge- 
färbt, ausgewaschen, mit Alkohol, Nelkenöl oder Canadabalsam ent- 
wässert. Die Form des Ventrikels erkennt man leicht mit ganz 
schwachen Vergrösserungen; ob die Epithelien noch in ihrer Lage, 
entscheiden Immersionssysteme. 


Der Ventrieulus terminalis des Rückenmarks. 297 


Die bekannten anderweitigen Härtungs- und Einbettungsmethoden 
etc. wurden sämmtlich durchprobirt und schliesslich die angegebene 
als die sicherste erkannt. Es würde zu weitläufig sein, hier alle 
Versuche aufzuführen und mögen nur folgende erwähnt werden. 
Einbetten des Filum in Rückenmark, das in Alkohol erhärtet war 
(Stilling, 1859); Bestreichen desselben mit Kautschuk in Chloro- 
form gelöst (Bidder und Kupffer, 1857); Einbetten in Trans- 
parentseife (Flemming); Anwendung von absolutem Alkohol allein 
oder von concentrirterer Chromsäure; oder zuerst von verdünnterer, 
statt der Müller’schen Flüssigkeit; Ueberosmiumsäure ; 2procentiges 
doppelchromsaures Ammoniak ; Behandlung des carminisirten Schnittes 
mit Alkohol, der 25 °/, Essigsäure enthielt (Clarke, 1851), oder 
Mischung der Carminlösung mit Glycerin (Dean, 1861); Häma- 
toxylin, etc. ete. Obgleich für die gewöhnlichen Zwecke das Rasir- 
messer vollkommen ausreicht, so war es doch für die Entscheidung 
der Frage, ob sich der Gentralkanal in die Fissura longitudinalis 
an irgend einer Stelle öffnet oder nicht, unumgänglich, über solche 
durchaus continuirliche Reihen von Querdurchschnitten zu verfügen, 
welche die ganze in Betracht kommende Gegend des Conus und 
das Filum in Segmente zerlegt enthielten. Dabei ist zu bemerken, 
dass es sich jedesmal um eine sehr grosse Anzahl solcher Schnitte 
handelte, die alle gleichmässig fein sein sollten. 

Um dies zu erreichen, schien es nothwendig, ein Microtom zu 
benutzen, dessen Gang von der Führung durch die menschliche 
Hand absolut unabhängig wäre, so dass die durch eine beliebige 
Kraft bewirkte Drehung einer Kurbel Schnitte von bekannten Dicken 
lieferte. Nach dem Vorschlag von Dr. J. Rosenbach wurde zu- 
nächst eine stählerne Kreisscheibe mit Rasirmesser-scharfem Rande 
construirt, deren Rotation um eine senkrechte centrale Axe den 
Schnitt bewirken sollte. Die Idee scheiterte jedoch in der Praxis 
an dem Umstande, dass wenigstens die Göttinger Industrie keine 
Mittel besitzt, scheinbar unmerkliche Durchbiegungen nach der 
Fläche des schneidenden Randes beim Härten und Schleifen der 
Stahlscheibe zu verhüten. Die Schneide lief nicht in einer mathe- 
matischen Ebene und in Folge davon lieferte das Kreismesser lauter 
Schnitte, die zwar dem freien Auge sehr vollkommen, unter dem 
Mikroskop aber terassenförmig abgestuft erschienen. 

Die maschinenmässige Schnittführung wurde daher durch fol- 


senden Apparat (Fig. 9) erreicht. Als Grundlage diente ein ge 
Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 11. 16 


228 W. Krause: 


wöhnlicher Hand-Support, wie er in der kleinen Mechanik von jedem 
Mechanieus auf der Fussdrehbank gebraucht wird und wegen der 
fabrikmässigen Herstellung verhältnissmässig billig zu haben ist. 
Zwei auf einander rechtwinklig stehende Schrauben laufen in horizon- 
taler Ebene. Die eine feinere (f) hat 1,35 Mm. Ganghöhe: sie dient, 
die Dicke der Schnitte festzustellen. Wird die zugehörige Kurbel 
(F} um 7° gedreht, so fällt der Schnitt 0,026 Mm. dick aus; bei 
14° Drehung 0,05—0,06 Mm. dick u. s. w. Die Bruchtheile der 
Drehung sind eventuell auf einer in 50 (oder 100) Theile getheilten 
Scheibe, welche hinter der Kurbel befestigt werden kann, abzulesen, 
wobei ein Theilstrich ca. = 7°; die Scheibe wurde in der Abbildung 
weggelassen. Der gröberen Schraube (g) wurde 3 Mm. Ganghöhe 
gegeben; sie führt das Präparat (p) an dem senkrecht feststehenden 
Messer (m) vorüber. Letzteres muss um so länger sein, je umfang- 
reichere Schnitte angefertigt werden und je mehr durch Zug anstatt 
durch Druck gewirkt werden soll. Für den in Paraffin eingeschmol- 
zenen Conus reichte das abgebildete Rasirmesser aus, dessen Klinge 
aus ihrem Heft genommen und mittelst des Loches, welches jede 
Klinge besitzt, an dem eisernen Winkelstück (s#) befestigt wurde. 
Für andere Zwecke, grössere Organe etc. kann man vermöge der 
Schraube (») z. B. 16 Cm. lange hohlgeschliffene Klingen statt des 
Rasirmessers anschrauben. Noch längere Klingen könnte man, wie 
empfohlen worden ist, nach Art eines Sägeblattes in eine Bogensäge 
einspannen. Durch einen Irrigator oder aus freier Hand vermag 
die Klinge mit Alkohol betropft zu werden, welcher von ihrem 
freien Ende in eine darunter gestellte Porcellanschale abtliesst. Das 
Präparat (p) befindet sich in einer messingenen Hülse, in welcher 
es von zwei, durch je zwei Schrauben gegen einander beweglichen 
metallenen Backen festgekiemmt wird. Die Hülse sitzt an einem 
horizontalen eisernen Stiel, der mittelst einer Klemme (k) so fest- 
geschraubt wird, dass derselbe die Bewegung der Schraubenmutter 
(von f) mitmacht und so dem Messer sich nähert. Das Festschrauben 
geschieht durch die senkrechte Schraube (s) mit Hülfe eines 
Schraubenschlüssels. Endlich wird die eiserne Fussplatte des ganzen 
Microtoms!) durch zwei nicht abgebildete Schraubenzwingen am 
Tischrande fixirt; ebensowohl kann man ersteren auch senkrecht 
aufstellen, so dass die Messerklinge horizontal liegt. 


1) Her Mechanikus A pel in Göttingen liefert den Apparat für 48 Thaler. 


Der Ventriculus terminalis des Rückenmarks. 229 


Beim Gebrauche ist die Feinheit der Schnitte selbstverständlich 
am meisten von der Druck- und Zugfestigkeit abhängig, die dem 
zu schneidenden Präparat seiner Natur nach durch die vorbereitenden 
Behandlungsmethoden gegeben werden kann. Daher reicht es für 
gewöhnliche Zwecke aus, durch Drehung die Kurbel Z' ohne Grad- 
zählung einzustellen und dann mit der Kurbel @ die Schnitt- 
führung zu bewirken. Letztere ist mithin nur von der Schraube g 
selbst abhängig: Maschinenarbeit verdrängt die Handarbeit. 

Ueber die Dimensionen ist zu bemerken, dass der Apparat in 
der Abbildung etwa auf ein Drittel verkleinert ist; die Länge der 
Schraube (g) beträgt 25 Cm., die der Schraube (f) halb so viel. 
Das Winkelstück (st) ist mit seinem oberen Ende ein wenig von 
der Schraube (f) abwärts geneigt, so dass die der letzteren zuge- 
kehrte Fläche des benutzten Rasirmessers genau senkrecht zu stehen 
kommt. Die Schneide ist 7 Cm. lang, das Winkelstück 14 Cm. hoch. 
Die Messinghülse, in welcher das Präparat (») steckt, kann mit 
anderen von beliebiger Form und Dimensionen vertauscht und die 
Schärfe des Messers vermittelst der Schraube (r) mehr oder weniger 
gegen den Horizont geneigt werden. Je mehr das Messer der 
Horizontalen sich nähert, um so mehr schneidet es durch Zug statt 
durch Druck und in der überwiegenden Benutzung der Zugwirkung 
liegt der Vortheil dieses Microtoms. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII. 


Fig. 1—7. Querschnitte des Ventriculus terminalis im Conus medullaris. In 
allen mikroskopischen Abbildungen ist die weisse Substanz dunkler 
gehalten, als die graue. Die hintere Fläche des Rückenmarks liegt 
nach der oberen Grenze der Tafel; am unteren Rande der Präparate 
erscheinen A. und Vn. spinales anteriores in Querschnitt. Methoden 
s. im Text (S. 225). 

Fig. 1-3. Von einem 31ljährigen Manne. Vergr. 25. Fig. 1. Etwas oberhalb 
des unteren Endes. Fig. 2. Aus der Mitte. Fig. 3. Etwas unter- 
halb des oberen Endes des Ventrikels. 

Fig. 4. Von einem 21jährigen Mädchen. Carminpräparat. Vergr. 40. Aus 
der Mitte des Ventrikels. W Weisse Substanz. 


230 


Fig. 6. 
Fig. 7. 
Fig. 8. 


Fig. 9. 


W. Krause: Der Ventriceulus terminalis des Rückenmarks. 


Von einem 5jährigen Knaben, dessen Conus dem freien Auge eine 
gallertige Anschwellung zeigte. Vergr. 25. 

Aus dem oberen Ende des Ventrikels von Fig. 4. Vergr. 25. 

Von einem 38jährigen Manne. Oberer Theil. Vergr. 25 

Unteres Ende des Conus medullaris eines 17jährigen Mädchens in 
natürlicher Grösse. Der Ventriculus terminalis ist durch einen Fron- 
talschnitt an dem gehärteten Präparat seiner Länge nach geöffnet. 
Ansicht von hinten her. c Hintere Wurzel des N. coceygeus. 
Microtom; !/, der natürlichen Grösse. 


Bemerkungen über die Nerven der Dura mater. 


Von 
Dr. W. T. Alexander 


aus Boston. 


(Aus dem anatomischen Institut zu Strassburg.) 


Seit den bekannten Untersuchungen vonHoyer!) und Cohn- 
heim?) über die Nervenverbreitung in der Cornea, namentlich seit 
der für die Histologie so wichtigen Einführung der Goldchlorid- 
präparate durch den Letzteren, sind in verschiedenen Geweben und 
Organen des thierischen Körpers feinste Nervennetze nachgewiesen 
worden, denen man die Bedeutung »terminaler Netze« zuschreiben 
muss, insofern wenigstens, als isolirte anderweite Nervenendigungen 
an den betreffenden Lokalitäten entweder gar nicht oder nur spär- 
lich bislang gefunden wurden. 

Man kann nicht in Abrede stellen, dass ein terminales Nerven- 
netz für die physiologische Betrachtung immer etwas Unbequemes 
und Schwieriges hat; viel einfacher gestalten sich in dieser Be- 
ziehung isolirte Nervenenden mit bestimmten Endorganen, wie sie 
uns die specifischen Sinnesorgane darbieten. Wenn nun auch durch 
die Untersuchungen von Klein?), Chrschtschonowitsch‘), 


1) Ueber den Austritt von Nervenfasern in das Epithel der Hornhaut. 
Reicherts und Du Bois-Reymonds Archiv 1866. 

2) Ueber die Endigung der sensibelen Nerven in der Hornhaut. Central- 
blatt für die med. Wissenschaft. Berlin 1866 und Virchow’s Archiv 38. Bd. 

3) On the peripheral distribution of non medullated nerve fibres. Quar- 
terly Journ. of microse, Science. October 1871. 

4) Beiträge zur Kenntniss der feineren Nerven der Vaginalschleimhaut. 
Wiener akad. Sitzungsber. Math. naturw. Klasse. Abth. II, Februar 1871. 
63. Band. 


232 Dr. W. T. Alexander: 


Elin!), Helfreich?), Morano°), Langerhans*), Kölliker°), 
Engelmann‘), J. Arnold’), Waldeyer°) u. A., namentlich aller 
derjenigen, welche die Hornhautnerven zum Gegenstande ihrer Stu- 
dien wählten, die Existenz terminaler Nervennetze unzweifelhaft 
sicher gestellt erscheint, so dürften doch, besonders mit Rücksicht 
auf die physiologischen Folgerungen und darauf, dass erst an ver- 
hältnissmässig wenigen Orten des Körpers solche Netze mit Sicher- 
heit nachgewiesen sind, weitere Beiträge in dieser Richtung will- 
kommen sein. Wir wählten für eine weitere Untersuchung der Art 
die Dura mater cerebralis und spinalis, unter anderem auch des- 
halb, weil über die Nerven der letzteren noch gar nichts Sicheres 
bekannt ist?), die Nerven der ersteren wenigstens noch nicht mit 
den so wesentlich verbesserten neueren technischen Hülfsmitteln 
untersucht worden sind. 


1) Nerven der Mundschleimhaut. Dieses Archiv Bd. VII. p. 382. 

2) Ueber die Nerven der Conjunctiva und Sklera.. Würzburg 1870. 

3) Ueber die Nerven der Conjunetiva. Archiv für Ophthalmologie 
Bd. XVII. Abth. II. p. 228. 

4) Ueber die Nerven der menschlichen Haut. Vircho w’s Archiv. 44. Bd. 
1868. 


5) Ueber die Nervenendigungen in der Hornhaut. Würzburger naturw. 
Zeitschr. 1866. 


6) Ueber die Hornhaut des Auges. Leipzig 1867. Dissert inaug. 


7) Die Endigung der Nerven in der Bindehaut ete. Virchow’s Arch. 
24. Bd. 


8) Artikel: Cornea. Sklera, Lider und Conjunctiva im Handbuch der 
Augenheilkunde von Graefe und Saemisch. 1874. Bd. I. 

9) Die, so weit mir bekannt, einzige positive, aber, wie es scheint, fast 
vergessene Angabe über Nerven der Dura mater spinalis findet sich bei 
Rüdinger: »Ueber die Verbreitung des Sympathicus in der animalen Röhre, 
dem Rückenmark und Gehirn. München 1863. Rüdinger beobachtete in 
dem unmittelbar zum Rückenmark gehörenden Theile der Dura feine, den 
Gefässen folgende Nervenfasern. In dem Handbuche der Anatomie von 
Quain-Hoffmann wird zwar, S. 1148, kurz bemerkt, dass die »harte 
Rückenmarkshaut solche Fäden (d. h. Nerven) von Rückenmarksnerven er- 
halte«; eine genauere Angabe findet sich jedoch nicht. Kölliker und Frey 
in ihren bekannten Lehrbüchern der Gewebelehre geben ausdrücklich an, 
dass in der Dura mater spinalis bis jetzt noch keine Nerven gesehen worden 
seien. Ebenso spricht sich Sappey, Traite d’anatomie. 2 ed. T. III. p. 24, aus. 


Bemerkungen über die Nerven der Dura mater. 233 


Die. trefflichen Arbeiten Fr. Arnold’s!), Purkyne’s’) und 
Luschka’s?°) lassen eine erneute Beschreibung des makroskopischen 
Verhaltens der Nerven der Dura mater cerebralis überflüssig er- 
scheinen. Eine mikroskopische Untersuchung blieb aber um so mehr 
noch nothwendig, als unter Anderem auch Luschka |. ce. sub Nr. 3 
p- 50 als Ergebniss seiner Forschungen über diesen Gegenstand den 
Satz aufstell: »Die harte Hirnhaut besitzt keine ihrem 
Gewebe eigenthümliche Nerven.« Bekanntlich lässt er die 
von Arnold und ihm makroskopisch nachgewiesenen Nervenfäden 
zu den Blutleitern verlaufen. Ein Entscheid über diese schon von 
A. v. Haller angeregte Frage konnte aber nur auf dem Wege einer 
genauen mikroskopischen Analyse gewonnen werden. 

Als Untersuchungsobject diente die Dura von Hunden, Meer- 
schweinchen, Kaninchen, Ratten, Mäusen, Tauben und Fröschen; am 
besten eigneten sich die kleineren Nagethiere: Ratten und Mäuse, 
was vor allem auf die grössere Zartheit und Durchsichtigkeit der 
betreffenden Membran bei diesen T'hieren zurückzuführen ist. Bei 
ihnen lässt sich auch leicht die Dura mater durch Wegbrechen des 
Schädels in toto gewinnen, also in verhältnissmässig grosser Ueber- 
sichtsfläche auf dem Objectträger ausbreiten. — Die Untersuchung 
geschah mittelst des Goldchloridnatriums nach der von E. Klein 
unter Anwendung erwärmter Weinsäure vorgeschlagenen Methode 
An gut gelungenen Präparaten müssen bei hell gebliebenem Grund- 
gewebe die Nerven dunkelmahagoniroth erscheinen und sich scharf 
bis in ihre feinsten Verzweigungen abheben. Auch die Blutgefässe 
treten bei dieser Behandlungsweise trefflich hervor. 

Mittelst dieses Verfahrens lassen sich nun in der Dura aller 
der genannten Geschöpfe zweierlei Arten von Nervenfasern nach- 
weisen, die ich kurz als Gefässnerven und eigene Nerven 
des Duragewebes bezeichnen will. 

Die Arterien der Dura werden gewöhnlich bis in ihre nur 
mikroskopisch noch sichtbaren Verzweigungen hin von zwei feinen 
Nervenstämmchen, die parallel mit dem Gefässe verlaufen, begleitet. Je 


1) Dissert. de, parte cephalica nervi sympathiei in homine. Heidel- 
bergae 1826. S. a. Icones nervor. capitis edit. II. 

2) J. Müller’s Archiv 1845: Mikroskopisch-neurologische Beob- 
achtungen. 
3) Die Nerven in der harten Hirnhaut. Tübingen 1850. — S. a. Der 
Nervus spinosus des Menschen. Müllers Archiv 1853. 


234 Dr. W. T. Alexander: Bem. über d. Nerven d. Dura mater. 


weiter zur Peripherie hin, desto geringer ist die Anzahl der Nerven- 
fasern, bis endlich nur noch eine markhaltige Primitivfaser als 
Satellit des betreffenden Gefässes auftritt. Von diesen Fasern zweigen 
sich marklose Fädchen ab, welche zur Gefässwand selbst hintreten 
und sich an derselben verlieren; es gelang mir jedoch nicht, über 
die Art und Weise der Endigung ins Klare zu kommen. Mitunter 
umspinnen diese feinen Fäden das Gefässrohr wie mit einem dichten 
Geflechte. 

Die eigenen Nerven der Dura gehen entweder von den stär- 
keren Stämmen direct ab, oder von den die Gefässe begleitenden 
Nerven. Am besten fand ich dieselben entwickelt an der Convexität 
der Dura und in der mittleren Schädelgrube. Man sieht hier von 
Strecke zu Strecke eine noch markhaltige Nervenfaser sich unter 
einem grösseren oder kleineren Winkel von dem Hauptstämmchen 
abzweigen, über eine grössere oder kleinere Strecke ungetheilt ver- 
laufen, dann sich unter wiederholter Theilung in marklose Nerven- 
fasern auffasern, welche untereinander zu einem mitunter ganz eng- 
maschigen Netze verbunden sind. Dieses Netzwerk liegt in dem 
Gewebe der Dura selbst und hat mit den Gefässen nichts zu thun. 
Ob essich, wie ich glaube, hier um ein ächtes Netzwerk handelt, 
oder um ein blosses Geflecht, konnte nicht mit Sicherheit entschieden 
werden. Einen Zusammenhang der Nervenfädchen mit den zelligen 
Elementen der Dura habe ich nicht zu constatiren vermocht. 

Oft erwiesen sich grössere Strecken desselben Präparats nerven- 
frei, während andere daneben ein gut entwickeltes Nervennetzwerk 
zeigten; niemals war dasselbe jedoch so dicht, wie wir es von der 
Cornea kennen. 

Dasselbe Verhalten der Nerven fand ich in der 
Dura materspinalis, und konnte somit die Angabe Rüdingers, 
s. o0., auch durch die mikroskopische Untersuchung bestätigt werden. 

Ein gewisses Interesse haben die Resultate dieser Untersuchun- 
gen dadurch, als uns von der Dura mater wohl nur Druck- und 
Schmerzempfindungen bekannt sind; es lässt sich, da hier ander- 
weite Nervenendigungen fehlen, überhaupt hier sehr einfache Ver- 
hältnisse vorliegen, annehmen, dass die terminalen Nervennetze vor- 
zugsweise es sind, durch welche diese Empfindungen vermittelt 
werden. 


Studien über die Entwickelung der Knochen 
und des Knochengewebes. 


Von 
Dr. Ludwig Stieda, 
Prof. in Dorpat. 


r (Hierzu Tafel XIV.) 


Bereits vor drei Jahren veröffentlichte ich eine Abhandlung »die 
Bildung des Knochengewebes«, Leipzig Engelmann 1872, in welcher ich 
den Nachweiszu liefern suchte, dass das Knochengewebe genetisch durch- 
aus unabhängig vom Knorpelgewebe sei. Es waren dies die Resultate 
von Untersuchungen, welche mich schon lange beschäftigt und welche 
durch die damalige Publication einen zeitweiligen Abschluss erhalten 
hatten. Fortgesetzte Studien, welche ich mit besonderer Rücksicht 
auf einige mit meiner oben citirten Abhandlung ziemlich gleichzeitig 
erschienene Arbeiten anderer Autoren unternommen habe, führten 
mich neuerdings zu Ergebnissen, welche einer Mittheilung werth 
sein dürften. 


1. Zur Literatur der Lehre von der Bildung der Knochengewebe. 


Als Hauptresultate meiner früheren Untersuchungen stellte ich 
folgende Behauptungen auf: 

Das Knochengewebe ist genetisch niemals vom Knorpel- 
.gewebe abzuleiten. Das Knochengewebe entsteht überall, auch 
in den sogenannten knorpeligen Skelettheilen, aus einem zur Gruppe 
der Bindesubstanzen (Stützsubstanz) gehörigen Gewebe (Osteoblasten). 
Das Knorpelgewebe hat nur eine provisorische Bedeutung; es 
atrophirt und an seine Stelle tritt das neugebildete 


236 Dr. Ludwig Stieda: 


Knochengewebe. Ich hatte damals in der von mir gegebenen 
historischen Skizze darauf hingewiesen, dass, abgesehen von älteren 
Autoren, wie Nesbitt, die Ansicht von der genetischen Unab- 
hängigkeit des Knochengewebes vom Knorpelgewebe der Jetztzeit 
insofern nicht fremd sei, als einzelne Autoren eine Unabhängigkeit 
der Genese des Knochengewebes wohl vermuthet, aber nirgends 
direct und sicher ausgesprochen hatten. — Durch eine Mittheilung 
Koelliker’s (Dritter Beitrag zur Lehre von der Entwickelung der 
Knochen in den Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Ge- 
sellschaft zu Würzburg 1873) ist nun dargethan, dass schon viel 
früher, im Jahre 1563, Christian Loven in Stockholm in einer 
schwedisch veröffentlichten ausführlichen Abhandlung die genetische 
Unabhängigkeit des Knochengewebes vom Knorpeigewebe zu be- 
weisen versucht hat. Die Ergebnisse der Untersuchungen Loven’s 
sind leider nicht in die deutschen Jahresberichte über die Fort- 
schritte der Anatomie übergegangen und desshalb unbekannt ge- 
blieben. Durch Kölliker veranlasst, hat Love&n denjenigen Ab- 
schnitt seiner umfangreichen Abhandlung, welcher sich mit der 
Resorption des Knochengewebes beschäftigt, in’s Deutsche über- 
tragen (Verhandlungen der physik.-mediein. Gesellschaft zu Würzburg 
N. F. Bd. IV. 1873), die übrigen Abschnitte nicht. Ich hoffe daher 
nichts Ueberfiüssiges zu thun, wenn ich hier in Kürze die Fach- 
genossen auch mit demjenigen Theil der betreffenden Arbeit bekannt 
mache, welcher von der Entwickelung des Knochengewebes 
handelt. | 

Loven’s Abhandlung ist unter dem Titel: »Studien und 
Untersuchungen über das Knochengewebe mit besonderer Rücksicht 
auf die Entwickelung« im Medicinsk Archiv utgifvet af Lä- 
rarne vid Carolinska Institutet I. Bd., 3. Heft, Stockholm 
1863 abgedruckt. Das erste Capitel (Einleitung und Geschichte) 
behandelt die Frage nach der Bildung des Knochengewebes historisch 
mit gründlicher Ausführlichkeit. Zum Schlusse spricht Lov&n seine 
eigene Ansicht aus: die Rolle des Knorpels bei der Bildung der 
Knochen ist nur eine Form bestimmende, der primordiale Knorpel 
ist in den allermeisten Fällen gleichsam nur eine Gussform für das 
theils in, theils um den Knorpel abgelagerte Knochengewebe. Das 
zweite Capitel beschäftigt sich mit der Untersuchung der Entwicke- 
lung des hyalinen Knorpels und der Verknöcherung desselben; 
Loven kommt zum Resultat, dass der Knorpel durch den Ver- 


Studien über die Entwiekelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 237 


kalkungsprocess untergehe, um für ein völlig neues Gewebe, für 
das ächte Knochengewebe Raum zu schaffen. Die Zerstörung 
und die nachfolgende Resorption des verkalkten Knorpels werde da- 
durch eingeleitet, dass Blutgefässe von aussen aus dem periostalen 
Bildungsblastem in das Innere des Knochenknorpels eintreten: so 
komme die Bildung der primären Markräume und des foetalen 
Markes zu Stande. Die Frage, wo das Gewebe, welches an die 
Stelle des verkalkten Knorpels trete, — das foetale Mark — her- 
stamme, ob es von aussen eindringe oder ob es an dem Platz, wo 
man es finde, entstehe, beantwortet Lov&n folgendermassen: »Ich 
bin der Ansicht, dass das Mark ein Gewebe ist, weiches haupt- 
sächliech durch Invasion von aussen entsteht, dass das Gewebe 
theils auflösend vordringt, theils auch die Elemente des ihm in den 
Weg tretenden Gewebes in sich einverleibt.« Bemerkenswerth ist 
hierbei, dass Loven sich doch nicht ganz von der bisherigen An- 
' sicht der Betheiligung des Knorpelgewebes bei der Bildung des 
Markes befreien kann; er lässt das Mark nur hauptsächlich durch 
Invasion von aussen entstehen, lässt aber auch die Elemente des 
Knorpels dem Mark einverleibt werden. An einer andern Stelle 
sagt der Autor daher auch: Ich wage nicht zu verneinen, dass die 
Knorpelzellen nicht zur Bildung des Markes beitragen, aber ich 
glaube, dass die Rolle des Knorpels bei diesem Process eine viel 
untergeordnetere ist, als man sich im Allgemeinen vorstellt. 

Dass es dem Autor aber mit der Betheiligung des Knorpels kein 
rechter Ernst ist, geht daraus hervor, dass er nirgends angiebt, wie 
er die Betheiligung sich denkt und dass er immer von der wesent- 
lich Form bestimmenden kolle des Knorpels spricht. Das 
dritte Kapitel handelt von der Bildung des ächten Knochengewebes. 
Das ächte Knochengewebe trete je nach der verschiedenen Lokalität 
verschieden auf: 

1) unmittelbar oder frei in einem Bildungsblastem (in ter- 
membranöse Knochenbildung) ; 

2) gebunden an gewisse durch das Knorpelskelet präformirte 
Räume (intracartilaginöse Knochenbildung). 

Als zwischen diesen beiden Arten der Knochenbildung gleichsam 
in der Mitte stehend sei die periostale Knochenbildung auf- 
zufassen, welche an der Oberfläche des primordialen Skelets erfolge 
und sich eigentlich genau so wie die intermembranöse Knochen- 
bildung verhalte. 


238 Dr. Ludwig Stieda: 


Aber, {fügt Lov&n dann hinzu, die Ungleichheit in Betreff 
der Lokalität und Anordnung hat wesentlich eine organologische 
Bedeutung, keine histologische; das ächte Knochengewebe wird in 
seiner reinen und unvermischten Form überall auf gleiche Weise 
gebildet, so dass in dieser Hinsicht kein wesentlicher Unter- 
schied zwischen der intracartilaginösen und intermembranösen Ossi- 
fication besteht. | 

Die freie (intermembranöse) Knochenbildung tritt früher auf, 
als die intracartilaginöse; bei Menschen und bei denjenigen Säuge- 
thieren, welche eine Clavieula haben, erscheint in diesem nicht 
knorpelig präformirten Skelettheil das erste Knochengewebe; bei 
denjenigen Säugethieren dagegen, welche keine Olavicula besitzen, 
erscheint im Unterkiefer das erste Knochengewebe. (Ich komme 
weiter unten auf einige Detailangaben Love&n’s in Betreff der 
Bildung der knöchernen Unterkiefer zurück.) Hier am Unterkiefer 
könne man sehr bequem die Bildung des ächten Knochengewebes, 
wie dasselbe netzförmig auftrete, beobachten ; so wie im Unterkiefer 
entstehe das Knochengewebe auch in andern nicht knorpelig prä- 
formirten Skelettheilen, z. B. den platten Knochen des Hirnschädels. 

Ehe der Verfasser die intracartilaginöse Knochenbildung 
beschreibt, erörtert er die Frage, ob zuerst die periostale Knochen- 
bildung an der Oberfläche oder die intracartilaginöse im Innern des 
verkalkten Skelets beginne, d. h. welche der Bildungen früher auf- 
trete. Er entscheidet sich endlich dahin, dass die periostale Knochen- 
bildung früher stattfinde, als die intercartilaginöse und zwar der 
Art, dass zuerst der Knorpel verkalkt und dann sich eine dünne 
Knochenlamelle bildet, welche den verkalkten Knorpel einschliesst; 
dabei wird hervorgehoben, dass diese erste Knochenlamelle eine 
vollständige Scheide ist, welche nicht durchbrochen ist, wodurch 
der eingeschlossene verkalkte Knorpel völlig von den ausserhalb der 
Knochenscheide befindlichen Blastem-Zellen des Periosts getrennt ist, 
Lov&n nennt die Scheide die primäre Periostlamelle; auf 
diese lagere sich dann allmälig die neugebildete Knochensubstanz 
auf. Beim Weiterwachsthum schreitet die Scheide längs der Dia- 
physe allmälig vor; man findet dabei, dass die Lamelle sich stets 
nur wenig über die innere Knorpel-Verkalkung hinaus erstrecke. 

Was endlich die intracartilaginöse Knochenbildung betrifft, 
so ist derselben eine Zerstörung des verkalkten primordialen Knorpels 
durch das von aussen, vom periostalen Blastem, eingedrungene ge- 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 239 


fässreiche Bindegewebe vorausgegangen. Wie aber dringen die Blut- 
gefässe ein, da doch eine feste Scheide das Periost vom Knorpel 
trenne? Es sind zwei Möglichkeiten vorhanden, einerseits könnten 
bei fortgesetztem Wachsthum der Periostlamelle einige Stellen offen 
bleiben, und dadurch würde den Blutgefässen der Weg gewiesen, 
andrerseits aber könnten die Blutgefässe durch Resorption des schon 
gebildeten Knochengewebes sich einen Weg bahnen. Loven ent- 
scheidet sich (mit Recht) für den letzten Modus, weil er in viel 
späteren Perioden in der Scheide Oeffinungen gefunden hat, welche 
deutliche Zeichen trugen, dass sie durch Resorption entstanden 
seien. — Dies gilt jedoch nur für die langen Röhrenknochen. — 
“Hiermit ist aber keineswegs gesagt, dass bei allen Knochen die 
Bildung einer periostalen Scheide dem Eindringen von Blutgefässen 
vorangehe; vielmehr bieten die kurzen Knochen ein Beispiel vom 
Gegentheil; die Wirbel sind schon von Blutgefässe führenden Ka- 
nälen durchzogen, ehe noch eine Spur von Knochengewebe an der 
Oberfläche zu bemerken ist, ja ehe noch eine Verkalkung des Knor- 
pels eingetreten ist. — Sobald nun das gefässreiche Bindegewebe 
in die durch Schwund des Knorpels hervorgerufenen Markräume 
eintritt, so findet eine Absetzung von Knochengewebe an den 
Wänden jener Räume statt. 

Im weitern Verlauf erörtert Loven die Ansichten derjenigen 
Autoren, welche einen directen Uebergang der Knorpelzellen in 
Knochenkörperchen behauptet haben und bestreitet die Angaben der- 
selben. Zum Beweis für die von ihm behauptete genetische Unab- 
hängigkeit des neugebildeten Knochengewebes vom Knorpelgewebe 
führt er die Leichtigkeit an, mit welcher beide Gewebe von einander 
getrennt werden können. An einem mit Chromsäure oder Salzsäure 
behandelten Röhrenknochen kann man nämlich durch vorsichtiges 
Ziehen — am besten unter Wasser — den Knorpel leicht von dem 
hineingewachsenen Knochen trennen; die Oberfläche des Knochens 
ist dann mit einer Unzahl langgestreckter Papillen bedeckt, welche 
bei Betrachtung mit dem unbewaffneten Auge an die Zotten der 
Darmschleimhaut erinnern. 

Love&n fasst dann die Resultate seiner mit der Bildung des 
Knochengewebes sich beschäftigenden Untersuchungen folgender- 
massen zusammen: Aus einem Blastem, welches zahlreiche dicht 
aneinander gedrängte, durch Proliferation der Bildungszellen des 
Markgewebes oder des foetalen Bindegewebes gebildete Elemente 


240 Dr. Ludwig Stieda: 


zusammensetzen, schiesst eine hyaline, eigenthümlich glänzende 
resistente Zwischensubstanz an; dies geschieht in einer durch die 
Lokalität bedingten ungleichen Form — entweder als ein mehr oder 
minder weitläufiges Netzwerk zwischen den Zellen (z. B. Unterkiefer 
— intermembranöse Verknöcherung) oder als netzförmig durch- 
brochene Lamelle (bei der periostalen und weniger deutlich bei der 
intracartilaginösen Ossification). 

Zum Schluss dieses Kapitels beschreibt Lov&n die Structur 
des ausgebildeten Knochengewebes, der Knochenkörperchen, der 
Lacunen, ihren Ausläufern und der Grundsubstanz. Hierüber zu 
berichten, finde ich hier keine Veranlassung; nur in Betreff der 
Umwandlung der Bildungszellen in Knochengewebe hebe ich hervor, 
dass Loven die Grundsubstanz durch Auftreten einer hyalinen 
Zwischensubstanz zwischen den Zellen entstehen lässt, nicht 
durch Metamorphose des Zellenprotoplasmas. 

Das letzte Kapitel bespricht die normale Resorption des 
Knochengewebes; da dasselbe, wie ich oben schon bemerkte, in 
deutscher Sprache in den Verhandlungen der physik.-medie. Gesell- 
schaft zu Würzburg 1573 abgedruckt ist, so ist ein Referat hier 
überflüssig. 

An den Bericht über die schwedische Abhandlung knüpfe 
ich einen kurzen Auszug aus einer russischen Arbeit, welche 
sich gleichfalls mit der Entwickelung des Knochengewebes beschäftigt : 
Gregory Uranossow, Beiträge zur Lehre von der Entwickelung 
des Knochengewebes aus Knorpel. Moskau 1872; 66 Seiten, 3 
Tafeln; 8°. (Dissertatio inauguralis pro gradu doctoris.) 

Uranossow schickt seinen unter Professor Babuchin’s 
Leitung angestellten Untersuchungen eine ausführliche historische 
Einleitung voraus; die einschlägige Literatur ist bis auf die neueste 
Zeit berücksichtigt worden, nur Loven’s Mittheilungen sind dem 
Verfasser unbekannt geblieben. Uran osso w untersuchte Embryonen 
von Hühnern, Säugethieren und vom Menschen; bei der Darstellung 
seiner Ergebnisse geht er aus von der Betrachtung des Verknöche- 
rungsrandes der Diaphyse eines Röhrenknochens. Er constatirt dabei 
vor Allem, dass die in das Knochenmark hineinragenden Knorpel- 
zellen keine Spur von T'heilung oder Vermehrung zeigen, und zieht 
daraus den Schluss, dass die Bildung der Markzellen aus Knorpel- 
zellen höchst zweifelhaft sei. Die Frage, woher denn bei der 
Verknöcherung die Zellenmassen und die darin enthaltenen Blut- 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 241 


gefässe stammen, beantwortet der Verfasser auf Grund seiner ins- 
besondere an Röhrenknochen vorgenommenen Untersuchungen (an 
Embryonen vom Menschen, Schwein, Hund und auch Huhn) in fol- 
gender Weise: An Röhrenknochen bildet sich zwischen dem Knorpel 
und dem Perichondrium eine besondere Schicht (Billroth’s Cambium) ; 
in dieser entwickelt sich an der dem Knorpel zugekehrten Seite eine 
Lage Osteoblasten, und letztere verwandelt sich in eine wirkliche 
Knochenschichte, welche wie ein Futteral den Knorpel einschliesst. 
Anfangs sei die erste Knochenschieht mitunter nicht ganz voll- 
ständig; es sei sowohl auf Quer- als auf Längsschnitten nur an 
einer Seite die Gegenwart derselben erkennbar. Während sich 
nun auf der ersten Schichte neue Knochenmassen ablagern und da- 
zwischen Markräume bildeten, geht mit dem eingeschlossenen Knorpel 
(abgesehen von der bei Hühnern fehlenden Kalkablagerung) eine 
Veränderung vor sich, welche man nur als regressive Metamorphose. 
deuten könne; die Knorpelzellen werden aufgesogen und verschwinden, 
und in den dadurch zu Stande gekommenen Raum dringen von 
aussen Blutgefässe und Zellenmassen, welche letzteren unmittelbar 
mit den Zellenmassen der Markhöhlen der periostalen Rinde in Zu- 
sammenhang sind, d. h. von ihnen abstammen. Aus diesen von 
aussen eingedrungenen Zellen (ÖOsteoblasten) entwickele sich nun 
das Knochengewebe. Der Knorpel und dessen zellige Ele- 
mente seien bei derBildung des Knochengewebes nicht 
betheiligt; der Knorpelspiele eine passiveRolle, indem 
er durch Atrophie dem sich entwickelnden Knochenge- 
webe Platz mache. 

Lov&n einerseits und Uranossow andrerseits stimmen in 
den Endresultaten ihrer Forschungen sowohl mit einander als auch 
mit mir überein, und da neuerdings auch Kölliker (Dritter Bei- 
trag zur Lehre von der Entwickelung der Knochen, Würzburger 
Verlagshandlung 1873) die Richtigkeit der Ansicht von der gene- 
tischen Unabhängigkeit des Knochengewebes vom Knorpel anerkannt 
hat, so dürfte man hoffen, dass diese Ansicht bald allgemein zur 
Geltung kommen würde. 

Um so auffallender ist es daher, dass in einer ziemlich gleich- 
zeitig mit Uranossow’s und meiner zur Veröffentlichung gelangten 
Mittheilung ein Autor (Strelzoff) zu ziemlich entgegengesetzten 
Resultaten — nach einer Richtung wenigstens — gekommen ist. 
Strelzoff arbeitete in Zürich bei Eberth und hat seine Unter- 


242 Dr. Ludwig Stieda: 


suchungen sowohl in einigen vorläufigen Mittheilungen (Medicinisches 
Centralblatt 1872, Nr. 29, und 1373 Nr. 18), als auch in einer aus- 
führlichen Abhandlung (Ueber die Histogenese der Knochen in den 
Untersuchungen aus dem pathologischen Institut zu Zürich, I. Heft, 
Leipzig, Engelmann 1873) niedergelegt. 

Gegenüber der von Loven, Uranossow, Kölliker und mir 
behaupteten einheitlichen Entstehung des Knochenge- 
webes, ohne Betheiligung des Knorpelgewebes, stellt 
Strelzoff folgende Sätze auf: 

Die Bildung des Knochengewebes geht nicht überall auf gleiche 
Weise vor sich. — Es giebt zwei Typen der Ossification: einen 
neoplastischen und einen metaplastischen. Der neoplastische 
Ossificationstypus erscheint in zwei Formen, als perichondraler 
und endochondraler. Mit dem Ausdruck »perichondrale 
Ossification« bezeichnet Strelzoff die Bildung des Knochengewebes 
durch Vermittelung des Perichondriums oder des Periostes; hier 
bietet Strelzoff nichts Neues als einen anderen Namen. Unter endo- 
chondralem Ossificationstypus versteht Strelzoff die sogenannte 
intracartilaginöse Knochenbildung; hier kommt er zu Resultaten, 
welche in erfreulicher Weise mit denen Loven’s, Uranossow’s, 
Kölliker’s und meinen eigenen übereinstimmen. Strelzoff er- 
klärt sich für einen völligen Untergang der Knorpelzellen und für 
die Ableitung oder Abstammung der Bildungszellen des Knochen- 
gewebes (Osteoblasten) vom Perichondrium oder Periosteum. Der 
metaplastische Ossificationstypus tritt ebenfalls in zwei Formen 
auf: als cartilaginöser und als bindegewebiger. Bei der. 
cartilaginösen Ossification geht das Knorpelgewebe direct in Knochen- 
gewebe über, die Knorpelzellen verwandeln sick in die Knochen- 
körperchen. Die bindegewebige Ossification, die directe Verwand- 
lung von Bindegewebe in Knochen käme normal bei Säugethieren 
nicht vor. 

Durch diese »cartilaginöse metaplastische Ossifieation« Strel- 
zoff’s wird der allgemeine Satz von der Unabhängigkeit des 
Knochengewebes vom Knorpelgewebe in genetischer Beziehung — 
wiederum bedeutend eingeschränkt. — Ob die Einschränkung richtig 
ist, das soll weiter untersucht werden. 

Es haben in der neuesten Zeit noch einige Autoren sich aber- 
mals für eine Abstammung des Knochengewebes vom Knorpelgewebe 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 243 


ausgesprochen, nämlich Brunn und Klebs. (Brunn, Beiträge 
zur Össificationslehre, Reichert’s Archiv, Jahrgang 1874, pag. 1, 
und Klebs, Beobachtungen und Versuche über Cretinismus, im 
Archiv für experim. Pathologie, II. Bd. p. 425.) Beide Autoren 
nehmen im Wesentlichen den Standpunkt H. Müller’s ein und 
bringen meiner Ansicht nach keine neuen Gründe zur Aufrecht- 
erhaltung der alten Lehre. Da ich bereits an einem andern Orte 
alles gesagt habe, was ich gegen eine Abstammung der Knochen- 
körperchen vom Knorpelgewebe im Sinne H. Müller’s zu sagen 
wusste, so finde ich keine Veranlassung, mich darüber auszulassen. 

Anders muss ich mich zu der Behauptung Strelzoff's, dass 
normaler Weise ein directer Uebergang von Knorpelgewebe in Knochen- 
gewebe, eine directe Verwandlung von Knorpelzellen in Knochenkörper- 
chen stattfände, verhalten. Strelzoff nämlich gibt an, dass diese Ver- 
wandlung am Unterkiefer und der Spina scapulae von ihm be- 
obachtet sei und widerspricht damit denjenigen Angaben, welche 
bisher über die Verknöcherung der in Rede stehenden Skelettheile 
bekannt waren. Hierin lag für mich ein Grund, die Entwickelung 
des knöchernen Unterkiefers und der Scapula einer eingehenden 
Untersuchung zu unterwerfen. 

Auf den nachfolgenden Blättern theile ich die Resultate meiner 
Untersuchungen und Beobachtungen mit; ich werde daraus, wie ich 
gleich im Voraus bemerke, den Schluss ziehen, dass ein meta- 
plastischer Össificationstypus im Sinne Strelzoff's, eine 
directe Umwandlung des Knorpels in Knochen nicht 
existirt, dass vielmehr im Unterkiefer, wie in der Spina scapulae 
der Säugethiere die Bildung des Knochengewebes ebenso vor sich 
geht, wie in andern Skelettheilen. 


2. Die Bildung des knöchernen Unterkiefers bei Säugethieren. 


Es würde hier zu weit führen, wollte ich über alle früheren 
Arbeiten ausführlich referiren. Jedoch darf ich sie nicht ganz mit 
Stillschweigen übergehen, da dieselben zur Orientirung in Betreff ge- 
wisser streitiger Fragen nothwendig sind. Ich will es versuchen, 
möglichst kurz zu sein. 

Alle Autoren, welche bisher die Bildung des Unterkiefers unter- 
sucht haben (Reichert Ueber die Visceralbogen der Wirbelthiere, 
in Müller’s Archiv 1837 p. 120. Kölliker Entwickelungsgeschichte 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd 11, 17 


244 Dr. Ludwig Stieda: 


» 


des Menschen, Leipzig 1861, p. 271. Magitot et Robin, Mem. sur 
un organ transitoire de la vie foetale design& sous le nom de Carti- 
lage de Meckel in Annales des Sciences naturelles IVe serie Zoologie 
Tome XVII 1862 pag. 213. Bruch Beiträge zur Entwickelungsge- 
schichte des Knochengewebes 1855 p. 153. Lovenl.c. Semmer 
Untersuchungen über die Entwickelung des Meckel’schen Knorpels. 
Dorpat 1862 u. s. w.), stimmen darin überein, dass der knöcherne 
Unterkiefer der Säugethiere unabhängig vom Meckel’schen Knorpel 
entstehe. Im Einzelnen weichen die Angaben der Autoren über 
das Verhalten des Meckel’schen Knorpels zum Unterkiefer von 
einander ab, indem einige Autoren von einer völligen Atrophie des 
Knorpels reden, andere dagegen den Knorpel ossificiren und nach- 
träglich in den Bestand des knöchernen Unterkiefers eintreten lassen. 
Seit den Arbeiten Kölliker’s hat man die Beziehung des Unter- 
kiefers zum Meckel’schen Knorpel der Art aufgefasst, dass man 
sagt: der Unterkiefer ist nicht knorpelig präformirt, sondern 
ist ein Deckknochen oder Belegknochen, d. h. der Unterkiefer ver- 
hält sich so zum Meckel’schen Knorpel, wie die platten Schädel- 
knochen zum knorpeligen Primordialeranium (vergl. Kölliker Ent- 
wickelungsgeschichte p. 217). Weitere Forschungen ergaben, dass 
der Unterkiefer sich nicht ganz wie die Deckknochen verhalte, indem 
im Laufe der Entwickelung auch Knorpelgewebe auftritt, was bei 
den platten Schädelknochen nie der Fall ist. Reichert (l. ec.) macht 
die Angabe, dass nach Beendigung des Wachsthums der Processus 
condyloideus sich überknorpele; nach Kölliker, Loven und 
Gegenbaur zeigen sich an einigen Stellen des Unterkiefers Knorpel- 
massen, welche später verknöchern. Gegenbaur (Jenaische Zeit- 
schrift Band III, Leipzig 1867, pag. 304—306) hat sich sogar ver- 
anlasst gesehen, in Folge des Auftretens von Knorpel im Unter- 
kiefer — den Unterkiefer und das Schlüsselbein zu einer besondern 
zwischen secundären und primären Knochen stehenden Kategorie 
zusammenzufassen. Abgesehen von den im Detail vielfach von ein- 
ander abweichenden Mittheilungen der genannten Autoren darf als 
sicher gelten, dass der ursprünglich »intermembranös« angelegte 
knöcherne Unterkiefer bei seiner Weiterentwickelung auch Knorpel- 
bestandtheile zeige. 

Hiervon weichen die Resultate Strelzoff’s weit ab. Nach 
ihm (l. c. p. 46) ist es »höchst wahrscheinlich, dass der 
ganze Unterkiefer knorpelig präformirt ist«; hier am 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 245 


Unterkiefer finde normal eine direkte Knorpelverknöcherung statt.« 
— Der Gegensatz zwischen der bisher geläufigen Ansicht und der 
Strelzoff’s in Betreff der Bildung des Unterkiefers ist gross. 
Hatte man früher den Unterkiefer als Typus der Bildung eines 
Knochens auf intermembranöser Grundlage aufgeführt und die Be- 
theiligung des Knorpelgewebes als unbedeutend bezeichnet, so soll 
nun nach Strelzoff der Unterkiefer knorpelig präformirt sein und 
der Knorpel sich direct in Knochen verwandeln. 

Eine erneute Untersuchung der Entwickelung des knöchernen 
Unterkiefers hat auf folgende Fragen Rücksicht zu nehmen: 

1) Wie ist das Verhalten des Meckel’schen Knorpels zum 
knöchernen Unterkiefer ? 

2) In wie weit ist das Knorpelgewebe bei der Anlage des 
Unterkiefers betheiligt? 

3) Gehen die Knorpelbestandtheile des Unterkiefers wirklich 
direct in Knochengewebe über? 

Ich untersuchte die Bildung des Unterkiefers nur an Säuge- 
thier-Embryonen (Katze, Maus, Kaninchen, Schwein), weil mensch- 
liche Embryonen mir leider nicht zu Gebote standen. Die Unter- 
suchungen wurden meist so angestellt, dass ich die gehörig gehär- 
teten und meist auch mit Carmin gefärbten Embryonen in Serien 
von Schnitten zerlegte. Ich schnitt hauptsächlich in zwei Richtungen : 
quer zur Längsaxe des Kopfes, wodurch der Unterkiefer ebenfalls 
quer getroffen wurde, oder der Länge nach, so dass die Schnitt- 
richtung mit der Längsaxe des Kopfes zusammenfiel und der Unter- 
kiefer in seiner Längenausdehnung getroffen wurde. Bei grössern 
Embryonen, welche in toto nicht in Carmin gefärbt werden konnten, 
wandte ich mit Erfolg die Färbung der einzelnen Schnitte mit 
Hämatoxylin an. Dass ich, so weit es nöthig war, auch die anato- 
mische Präparation und die Lupe zu Hülfe nahm, ist selbstverständlich. 


a. Untersuchungen an Katzen-Embryonen. 


Die jüngsten Embryonen, welche ich zu untersuchen Gelegen- 
heit hatte, besassen eine Länge von 2 Centimeter. Der Meckel’sche 
Knorpel war beiderseits deutlich zu erkennen, jedoch waren die 
Endstücke vorn nicht mit einander verschmolzen, sondern noch ge- 
trennt. Es zeigte sich jedoch bereits die erste knöcherne Anlage 
des Unterkiefers. Die knöcherne Anlage erschien als eine dünne 
Lamelle, welche in einiger Entfernung lateral vom Meckel’schen 


246 Dr. Ludwig Stieda: 


Knorpel sich befand; entsprechend der geringen Ausdehnung des 
ganzen Unterkiefers hatte die Lamelle nur eine sehr geringe Höhe 
und hörte hinten eine Strecke vor dem hinteren Ende desMeckel’schen 
Knorpels auf. Die Lamelle zeigte nur eine einzige Reihe Knochen- 
körperchen, an welche sich eine Reihe Osteoblasten nebst allmäligen 
Uebergängen zu den Zellen des angrenzenden Bildungsgewebes an- 
lehnte. 

In dem nächstfolgenden Stadium, welches mir vorlag, hatte der 
Embryo eine Länge von 4,5 Cent., der Kopf allein eine Länge von 
1,5 Centimeter. — Die beiden Mecekel’schen Knorpel sind in der 
Mittellinie zu einer unpaarigen kegelförmigen Masse (Fig. 2.d‘) ver- 
schmolzen. Ausser der bereits im ersten Stadium bemerkbaren 
Knochenlamelle, welche sich jetzt bedeutend vergrössert hat (Fig. 1a), 
ist noch eine zweite (Fig. 1b) sichtbar; die zweite liegt zwischen 
der ersten Lamelle und dem Meckel’schen Knorpel (Fig. Id), dem 
letzteren nahe an. Ich werde in Zukunft die dem Meckel’schen 
Knorpel anliegende Lamelle die mediale, die weiter entfernte die 
lateralenennen. Die laterale ist, wie bemerkt, die ältere, die mediale 
die jüngere. Die mediale Lamelle ist bedeutend kürzer als die 
laterale, welche namentlich hinten eine grosse Strecke die mediale 
überragt. Beide Lamellen gehen an ihren unteren Rändern in 
einander über, so dass der knöcherne Unterkiefer die Gestalt einer 
nach oben geöffneten Rinne oder eines Halbkanals hat. In den 
Halbkanal ragen von oben her die ersten Zahnkeime (Fig. 1 u. 2e) 
hinein, zwischen den letzteren und dem Boden der Rinne erscheinen 
die Blutgefässe und Nerven. Die laterale Lamelle lässt in dem sie 
umgebenden Bildungsgewebe hinten bereits die erste bindegewebige 
Anlage des Proc. condyloideus (Fig. 2 ff) und des Angulus maxillae 
erkennen. 

Bei einem nur etwas älteren Embryo (Länge des Körpers 
5,5 Ct., Länge des Kopfes 2 Ct.) sind sehr wesentliche und be- 
merkenswerthe Veränderungen eingetreten: der Meckel’sche Knorpel 
beginnt zu atrophiren und in der lateralen Lamelle erscheinen 
zwei deutliche Knorpelmassen (Knorpelkerne), einer im Angulus 
und einer im Proc. condyloideus des Unterkiefers. Ich muss etwas 
näher auf dieses Stadium eingehen. Der knöcherne Unterkiefer 
lässt noch wie früher die beiden Lamellen erkennen, jedoch ist der 
Abstand zwischen beiden viel grösser als früher und zugleich hat 
die Masse des Knochens durch Wachsthum von aussen her sich 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 247 


vermehrt. In der nach oben offenen Rinne des einen Halbkanal 
bildenden Unterkiefers liegen die in der Entwickelung schon be- 
deutend vorgeschrittenen Zahnkeime. An der den Zahnkeimen zu- 
sekehrten Fläche des knöchernen Halbkanals zeigen sich zahlreiche 
Ostoklasten (im Sinne Kölliker’s) als Beweis der hier stetig 
stattfindenden Resorption des alten Knochengewebes, während von 
aussen her an die bereits gebildete Knochenmasse neues Knochen- 
gewebe sich angelagert hat. Die medianwärts zunehmende, d.h. 
also dicker werdende mediale Lamelle tritt dabei direkt an den 
Meckel’schen Knorpel heran und da derselbe der weitern Aus- 
breitung des Knochengewebes im Wege ist, so wird er zur Atrophie 
gebracht. — Da der Schwund des Meckel’schen Knorpels in Folge 
des Zusammenstossens mit der medialen Knochenlamelle nicht in 
der ganzen Länge desselben auf ein Mal erfolgt, sondern allmälig 
von der Mitte aus nach vorn (später auch nach hinten) rückt, so 
hat man Gelegenheit, an einem und demselben embryonalen Stadium 
an einer Serie hinter einander folgender Querschnitte die verschiedenen 
Stufen der Atrophie des Knorpels zu beobachten. Ich könnte mich 
hierüber kurz dahin äussern, dass die Atrophie des Meckel- 
schen Knorpels genau ebenso erfolge, wie die Atrophie des 
Knorpels in den sogenannten knorpelig präformirten Skelettheilen. 
Allein da vielfach die Autoren von einem Schwund des Meckel- 
schen Knorpels oder von einer Verknöcherung desselben ge- 
sprochen haben, ohne Angaben über die Art und Weise des Schwun- 
des zu machen, so empfiehlt es sich, den Vorgang der Atrophie 
etwas näher zu beschreiben. 

An der Stelle, wo das Knochengewebe an das‘ Gewebe des 
Meckel’schen Knorpels stösst, treten die Erscheinungen der Atrophie 
nicht sogleich in der ganzen Dicke des Knorpels auf, sondern 
schreiten allmälig von der Seite her vor. Dort, wo wirkliches 
Knochengewebe dem Knorpelgewebe anliegt (Fig. 5a), beginnt vor 
Allem eine Ablagerung von Kalkkrümeln in der Grundsubstanz 
des Knorpels (Verkalkung) (Fig. 5d), während zugleich die Knorpel- 
zellen grösser und durchsichtiger werden, sich aufblähen, kurz, die- 
jenigen Veränderungen erleiden, welche einem endlichen Zerfall 
der Zellen vorausgehen. Während dieser Veränderungen im lateralen 
Theil des Knorpels ist der mediale Theil noch gut erhalten und 
man sieht alle die gewöhnlichen Uebergänge zwischen den unver- 
änderten Knorpelzellen (Fig. 5e) und den veränderten, welche der 


248 Dr. Ludwig Stieda: 


regressiven Metamorphose anheimfallen. — Im weiteren Verlauf der 
Entwickelung (vergl. Fig. 3, 4 u. 5) wird dann durch Hülfe von 
Östeoklasten die Knochenrinde, welche dem Knorpel anlag, zerstört 
(Fig. 5b) und dadurch dem von aussen anrückenden jungen Bildungs- 
gewebe (Markgewebe) mit Blutgefässen der Zugang zum Knorpel- 
gewebe eröffnet. Während die aufgeblähten Knorpelzellen endlich 
der Resorption verfallen und somit verschwinden und nur die dünnen 
Balken der Grundsubstanz noch eine Zeit lang stehen bleiben, wird 
der dadurch frei gewordene Raum durch das hineingewucherte 
Bildungsgewebe eingenommen (Fig. 3 u. 4c). Durch Vermittelung 
des jungen Bildungs- oder Markgewebes entsteht dann an der Stelle 
der früheren Meckel’schen Knorpel Knochengewebe, welches anfangs 
wegen der hie und da noch stehenden Knorpelgrundsubstanz ein 
anderes Aussehen hat, als das umgebende Knochengewebe. 

In Betreff der auftretenden Knorpelkerne habe ich folgendes 
zu bemerken: der eine Knorpelkern entspricht dem Winkel, der 
andere dem Gelenkfortsatz des Unterkiefers. Beide nicht sehr be- 
trächtliche Knorpelmassen sind zum Theil durch Bindegewebe, zum 
Theil durch Knochengewebe von einander getrennt und stehen mit 
dem Meckel’schen Knorpel in keinem Zusammenhang. Besonders 
hervorzuheben ist, dass beide Knorpelkerne nach einer Richtung 
hin, der obere Kern besonders nach oben, der untere nach hinten 
und unten nicht scharf vom anliegenden Bildungsgewebe sich ab- 
grenzen lassen; es zeigen sich hier vielmehr allmälige Uebergänge 
der Knorpelzellen zu den anliegenden indifferenten Bindegewebe- 
zellen. Ich fasse dies als ein Zeichen des noch immerfort währenden 
Wachsthums’ des Knorpels auf. Dort, wo das Gewebe der Knorpel- 
kerne dagegen an das schon gebildete Knochengewebe stösst, da 
zeigt das Knorpelgewebe die Erscheinungen der Atrophie. Das 
sich am Proc. condyl. hier wie auf späteren Stufen der Entwickelung 
darbietende Bild gleicht genau dem bekannten Bild des sogenannten 
Verknöcherungsrandes an der Diaphyse eines Röhrenknochens. Dies 
Bild hat die Autoren zu der Ueberzeugung geführt, hier wachse der 
Unterkiefer durch »Ossifiecirung« des Knorpels. Ich deute das 
Bild so, dass der fortwachsende Knorpel immerfort durch das nach- 
rückende Knochengewebe zum Schwund gebracht wird. — Ver- 
änderungen an den Knorpelzellen, welche auf eine directe Ver- 
wandlung derselben in Knochenzellen sich beziehen liessen, habe ich 
nirgends beobachtet. 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 249 


Die Embryonen des ältesten Entwickelungsstadiums, welche 
ich untersuchte, hatten eine Körperlänge von 8, eine Kopflänge von 
3 Centimeter. Der Meckel’sche Knorpel hat an Grösse zuge- 
nommen; der vordere und hintere Theil ist noch unverändert. In 
der Mitte ist er breit, völlig geschwunden, und neugebildetes Knochen- 
gewebe ist an seine Stelle getreten, wie bereits oben bemerkt. Durch 
seine charakteristische Anordnung kenntlich, lässt das Knochenge- 
webe leicht den früheren Platz des Meckel’schen Knorpels auf- 
finden. In gewissen Entfernungen davon nach hinten und vorn trifft 
man auf Ansichten des Knorpels, wie ich dieselbe schon früher schil- 
derte. In Figur 4 ist ein solches Stadium des Meckel’schen Knor- 
pels abgebildet; man ersieht hier auch die bedeutende Zunahme, 
welche der knöcherne Unterkiefer bereits erlangt hat. — Die 
Knorpelkerne im Angulus und im Processus condyloideus sind auch 
bedeutend gewachsen; sie zeigen wie im früheren Stadium nach 
der einen Richtung die Zeichen des Wachsthums, nach der andern 
die Zeichen der Atrophie in Folge des nachrückenden Knochenge- 
webes. Das Doppelgelenk zwischen dem Gelenkkopf des Unter- 
kiefers und der Schädelbasis ist bereits angelegt: der Knorpelkern 
des Processus condyloideus reicht aber mit seinem knorpeligen Ge- 
webe nicht bis an die Oberfläche des Gelenks, d. h. der Gelenk- 
kopf ist nicht überknorpelt. Zwischen dem Knorpelkern des 
(Gelenkfortsatzes und der Oberfläche des Gelenkkopfes liegt eine 
mehrfache Schicht spindelförmiger, kernhartiger Zellen, welche den 
Zellen des Perichondriums gleichen ; zwischen ihnen und den Knorpel- 
zellen existiren Uebergangsformen. Die entsprechende Gelenkfläche 
des Schläfenbeins, sowie der Meniscus lassen auch kein Knorpelge- 
webe, sondern ebenfalls spindelförmige Bindegewebszellen erkennen. 


b. Untersuchungen an Mäuse-Embryonen. 


Mir standen 3 verschiedene Entwickelungsstadien zu Gebote. 
An dem jüngsten Embryo (Länge des Körpers 1 Centim., des Kopfes 
0,5 Centim.) war von einer knöchernen Anlage des Unterkiefers 
‚keine Spur; dagegen war der Meckel’sche Knorpel schon unzweifel- 
haft zu unterscheiden; knorpelige Skelettheile waren im Uebrigen 
wenig erkennbar. 

Bei den Embryonen der folgenden Stufe (Länge des Körpers 
1,3, des Kopfes 0,7 Centimeter) fand ich den Unterkiefer schon in 
allen seinen Theilen angelegt, während der Meckel’sche Knorpel 


250 Dr. Ludwig Stieda: 


völlig ausgebildet, aber durchaus intact war. Jeder Meckel’sche 
Knorpel stellt sich dar als ein langer nahezu cylindrischer Strang, 
welcher von dem noch knorpeligen Hammerkopf nach vorn ragt. 
In der Mittelebene treffen die beiden Knorpel zusammen und bilden 
ein unpaariges knopfförmiges Mittelstück (Fig. 6). Seitlich vom 
Meckel’schen Knorpel befinden sich zwei Knochenlamellen, welche 
ich, wie bei der Katze, als mediale und laterale unterscheide. 
Vorn ist nur die mediale vorhanden, wo sie sich unter den Meckel- 
schen Knorpel lagert; weiter nach hinten umfasst sie den Knorpel 
von der lateralen Seite her; der Querschnitt der Lamelle ist halb- 
mondförmig. Die laterale Knochenlamelle ist ebenfalls gekrümmt, 
sie beginnt etwas hinter dem vordern Anfang der medialen, ragt 
aber hinten weit über das hintere Ende der medialen Lamelle 
hinaus. Zwischen beiden unten mit einander zusammenhängenden 
Lamellen liegen die Zahnkeime, sowie die Blutgefässe und Nerven. 
Die laterale Lamelle besitzt sowohl im Winkel, als im Gelenkfortsatz 
einen verhältnissmässig nicht kleinen Knorpelkern. Beide Kerne 
stehen weder unter einander, noch mit dem Meckel’schen Knorpel 
in Beziehung, sondern sind durch Knochengewebe getrennt. Das 
Knorpelgewebe zeigt bereits die deutlichen Kennzeichen der be- 
sinnenden Atrophie. 

Bei den Embryonen des dritten und ältesten Stadiums betrug 
die Körperlänge 1,8, die Kopflänge 0,9 Centimeter. Der Meckel’sche 
Knorpel ist bedeutend gewachsen, jedoch nicht mehr unversehrt. 
Das Wachsthum ist besonders vorn bemerkbar, indem das unpaarige 
Mittelstück zu einer beträchtlichen nach unten geöffneten Halbrinne 
geworden ist. Eine kleine Strecke nach hinten beginnt derMeckel’sche 
Knorpel zu atrophiren (Fig. 8); dann ist er eine kurze Strecke ganz 
verschwunden und ist erst hinten unverändert sichtbar. Das Knochen- 
sewebe hat sich sehr bedeutend vermehrt; auf Querschnitten er- 
scheint es als ein grossmaschiges Netz (Fig. 7b) auf horizontalen 
Schnitten als Längsstreifen. Die mediale Lamelle, welche bereits 
bei den Embryonen der vorangehenden Stufe dem Meckel’schen 
Knorpel in einer gewissen Ausdehnung direct anlag, bringt ihn hier 
zum Theil zum Schwunde, zum Theil ist sie schon an die Stelle 
des resorbirten Knorpels getreten. Man findet hier bei Durch- 
musterung einer Schnittserie von vorn nach hinten alle Stadien der 
Atrophie des Meckel’schen Knorpels, bis sich endlich statt des 
Knorpels ausgebildetes Knochengewebe zeigt. Dort, wo die mediale 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 251 


Knochenlamelle den Knorpel zum Schwund bringen will, hat sie ihn 
erst ganz eingeschlossen (Fig. 7d); es bietet sich somit hier auf 
Querschnitten ein anderes Bild als bei der Katze. Da mit dem 
Wachsthum des knöchernen Unterkiefers auch die Zahnkeime im 
Wachsen fortschreiten, so beobachtet man an den einander zuge- 
kehrten Flächen der beiden Knochenlamellen die deutlichen Zeichen 
der hier stattfindenden Resorption des Knochengewebes. Es ist 
hier der Ort, wo man bequemer und leichter als anderwo Ostoklasten 
in grosser Menge anzutreffen vermag. — Im Winkel und im Gelenk- 
fortsatz des Unterkiefers sind die schon früher erwähnten Knorpel- 
kerne deutlich wahrzunehmen. Der eigentliche Gelenkkopf besteht 
aus Bindegewebe; Knorpelgewebe ist noch nicht erkennbar. 


ec. Untersuchungen an Kaninchen-Embryonen. 


Leider hatte ich nur ein einziges Stadium zu untersuchen Ge- 
legenheit. Die Embryonen hatten eine Körperlänge von 8, eine 
Kopflänge von 3 Centimeter. 

Der Meckel’sche Knorpel ist nicht mehr in seiner ganzen 
Ausdehnung erhalten. Vorn existirt noch das beide Knorpel ver- 
einigende Mittelstück und hinten ist der Knorpel gleichfalls noch 
deutlich erkennbar. Nur in seinem mittleren Abschnitt ist er zum 
Theil im Zustande der Atrophie, zum Theil ist er bereits durch 
Knochengewebe ersetzt. Eine Gliederung des knöchernen Unter- 
kiefers in eine laterale und eine mediale Lamelle ist nur hinten 
noch: möglich, vorn sind beide zu einem die Schneidezähne ein- 
schliessenden Kanal verwachsen. Auch hier finden sich — abge- 
sehen vom Meckel’schen Knorpel — noch andere Knorpelkerne 
und zwar je einer im Processus condyloideus, je einer im Angulus 
maxillae und zwei vorn in der Gegend der Symphyse. Der Knorpel- 
kern im Gelenkfortsatz hat annähernd schon die Gestalt des spä- 
teren knöchernen Theiles; nach unten stösst das Gewebe des Kernes 
unter Vermittelung einer atrophirenden Schicht an das Knochen- 
gewebe. Hier wie am Winkel zeigt der Unterkiefer an betreffenden 
gelungenen Schnitten genau das Bild eines in die Länge wachsenden 
Röhrenknochens mit allen den hier anzutreffenden Schichten. Nach 
oben reicht das Knorpelgewebe nicht bis an die Gelenkfläche, sondern 
ist bedeckt von einen bindegewebigen Perichondrium, welches aus 
spindelförmigen Zellen zusammengesetzt ist. Seitlich geht es ohne 
scharfe Grenze in das Periost des unten bereits knöchernen Ab- 


252 Dr. Ludwig Stieda: 


schnittes des Unterkiefers über. Der Knorpelkern im Angulus ist 
sehr klein. 

Bemerkenswerth ist, dass sich auch vorn zwei kleine kugelige 
Knorpelkerne vorfinden. Sie liegen symmetrisch zu beiden Seiten der 
Mittelebene oberhalb der Symphyse der beiden Meckel’schen Knorpel. 


d. Untersuchungen an Schweins-Embryonen. 


Obgleich mir auch vom Schwein nur ein einziges Stadium 
(Körperlänge des Embryo 5 Otm., Kopflänge 2 Ctm.) zu Gebote 
stand, war das bei der Untersuchung erzielte Resultat mir sehr 
wichtig. Im Wesentlichen finde ich ein Verhalten, wie es etwa 
dem zweiten von mir beschriebenen Stadium der Katzen-Embryonen 
gleichkommt. Der Meckel’sche Knorpel weist gerade wie anderswo 
das Mittelstück auf, ist in seiner ganzen Ausdehnung noch völlig 
intact und unberührt vom Knochengewebe. Der Unterkiefer 
ist fast in allen seinen Theilen schon knöchern ange- 
legt, ohne dass nur eine Spur von Knorpelkernen sich 
in ihm zeigt. Ich hebe dies ausdrücklich hervor, weil nach un- 
bestreitbaren Angaben anderer Autoren auch beim Schwein Knorpel- 
kerne im Unterkiefer — offenbar aber erst in späteren Stadien der 
Entwickelung — mit Leichtigkeit sich nachweisen lassen. Eine 
Unterscheidung zweier knöcherner Lamellen ist nicht, oder nur sehr 
gezwungen möglich. Eine senkrecht stehende Lamelle, welche der 
lateralen (Katze) entsprechen würde, finde ich wohl; aber eine mediale 
vermag ich nicht genügend abzugrenzen. Als Analogon der medialen 
Lamelle muss das unregelmässige netzförmige Knochengewebe an- 
gesehen werden, welches sich zwischen der lateralen Lamelle und 
dem Meckel’schen Knorpel befindet. 


Fasse ich aus meinen hier mitgetheilten Beobachtungen das- 
jenige zusammen, was bei den untersuchten Säugethieren in Betreff 
der Entwickelung des Unterkiefers Gemeinschaftliches sich findet, 
so kann ich — mit besonderer Berücksichtigung der oben gestellten 
Fragen — folgendes sagen: 

1. Der knöcherne Unterkiefer entsteht in seinen 
ersten Anfängen unabhängig vom Meckel’schen Knorpel 
auf bindegewebiger Grundlage : das Knochengewebe bildet 
sich durch Vermittelung der aus dem indifferenten Bildungsgewebe 
entstandenen Osteoblasten. Wo im weiteren Verlauf der Entwicke- 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 253 


lung das Knochengewebe mit dem Gewebe des Meckel’schen Knor- 
pels zusammenstösst, da geht das Knorpelgewebe durch 
Atrophie zu Grunde — an die Stelle tritt neugebildetes Knochen- 
gewebe. Das Knochengewebe des Unterkiefers erscheint zuerst als 
eine senkrechte Lamelle lateral vom Meckel’schen Knorpel: die 
laterale Lamelle; später entsteht eine zweite Lamelle zwischen 
der ersten und dem Meckel’schen Knorpel: die mediale La- 
melle. Letztere ist es, welche das Gewebe des Meckel’schen 
Knorpels zum Schwunde bringt. Beide Lamellen verwachsen unten 
mit einander zu einer oben offenen Rinne, in welche von oben her 
die Zahnkeime hineinwuchern. Die laterale Lamelle bildet den An- 
gulus maxillae und die beiden nach oben gerichteten Fortsätze. 

3. Ausser dem bereits erwähnten atrophisch werdenden Meckel- 
schen Knorpel treten im Verlauf der Bildung des knöchernen Unter- 
kiefers an einzelnen Stellen Knorpelmassen auf. Ich nenne sie 
accessorische Knorpelkerne. Solcher Kerne sind: 

je ein Kern im Gelenkfortsatz, 
je ein Kern im Winkel des Unterkiefers, 
je ein Kern vorn im Proc. alveolaris. 

Die vordern Kerne habe ich nur bei Kaninchen gefunden; 
nach anderen Autoren finden sie sich auch bei andern Säugern. 
Die genannten Knorpelkerne entwickeln sich aus demselben indiffe- 
renten Bildungsgewebe, aus welchem die Osteoblasten entstehen. 

3. Die accessorischen Knorpelkerne haben nur 
eine provisorische Bedeutung; sie gehen unter, indem das 
neu sich bildende Knochengewebe sie zur Atrophie bringt. Die 
Atrophie des Knorpelgewebes der genannten Kerne geschieht unter 
denselben Erscheinungen, unter denen das Knorpelgewebe der knorpelig 
präformirten Röhrenknochen schwindet. — Ein directer Ueber- 
gang des Knorpelgewebes in Knochengewebe, eine Um- 
wandlung der Knorpelzellen in Knochenkörperchen 
findet hier am Unterkiefer ebensowenig wie anderswo 
‘unter normalen Verhältnissen statt. 

Vergleiche ich die gewonnenen Resultate mit denen anderer, 
so habe ich im Allgemeinen die Angaben aller zu bestätigen ver- 
mocht; nur mit den Mittheilungen Strelzoff’s weiss ich meine 
Resultate nicht zu vereinigen. 

Die Angaben Kölliker’s, Reichert’s und Loven’s sowohl 
in Betreff der Bildung des knöchernen Unterkiefers auf bindege- 


254 Dr. Ludwig Stieda: 


webiger Grundlage (intermemhranöse Verknöcherung der Autoren), 
als auch in Betreff des späteren Auftretens besonderer Knorpel- 
massen sind durch mich bestätigt. Dass die Autoren von einer 
Verknöcherung der später erscheinenden Knorpelmassen reden, 
während ich von einer Atrophie derselben gesprochen habe, be- 
deutet keinen Gegensatz: es ist das ein Ausdruck, welcher sich auf 
die damaligen Anschauungen über die Bildung des Knochengewebes 
aus dem Knorpel gründet. In ähnlicher Weise verhält es sich mit 
jenen Angaben, dass der Meckel’sche Knorpel zum Theil ossifieire: 
— die Veränderungen, welche der Meckel’sche Knorpel während 
seiner Atrophie erleidet, sind von den Autoren als Vorgänge der 
Verknöcherung aufgefasst. 


Einige Autoren, z. B. Semmer (l. c. pag. 73), sprechen aber 
von einer Atrophie des Meckel’schen Knorpels im Gegensatz zu 
seiner Verknöcherung, ohne jedoch den Vorgang der Atrophie auch 
nur im Entferntesten zu beschreiben. Dies ist mir ein Beweis, dass 
sie von dem Wesen der Atrophie des Knorpelgewebes auch nicht 
die geringste Ahnung gehabt haben. Sie haben hier nur einen 
Schwund des Meckel’schen Knorpels angenommen, oder ver- 
muthet, weil sie nichts ınehr von ihm zu Gesichte bekommen 
konnten. — Hier füllen meine Untersuchungen eine wesentliche Lücke 
aus, indem sie den Nachweis liefern, dass die Zellen des Meck el’schen 
Knorpels genau so verschwinden, wie die Zellen in anderen atro- 
phirenden Knorpeln. 


Bei Besprechung der Knorpelmassen des Unterkiefers reden 
einzelne Autoren von einer »Ueberknorpelung des Gelenkfortsatzes«. 
Das ist nicht genau. Ich habe bei Gelegenheit der Detailbeschrei- 
bung schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Knorpel im Ge- 
lenkfortsatz während des Wachsthums nicht bis an die Oberfläche 
des Gelenkkopfes reicht, sondern hier durch eine Schicht Bindege- 
webe (Perichondrium)- bedeckt ist. Etwas Aehnliches finde ich noch 
bei ausgewachsenen Katzen und Kaninchen: weder die Gelenkfläche 
des Unterkiefers, noch die des Schläfenbeins, noch die des Meniscus 
ist überknorpelt. Die oberflächlichste Schicht wird überall von 
einem äusserst feinfibrillären Bindegewebe gebildet, in welchem nur 
vereinzelte Knorpelgewebe sich befinden. Dabei hat das Gewebe 
keineswegs den Charakter und das Aussehen von Faser- oder Netz- 
Knorpel. Unter der bindegewebigen Lage befindet sich dann eine 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 255 


dünne Schicht Knorpel und dann folgt das gewöhnliche Knochen- 
gewebe!). 

Ich muss noch die durchaus abweichenden Ansichten Strelzoff’s 
in Betreff des Unterkiefers einer Kritik unterziehen. Die Resultate 
Strelzoff’s beschränken sich im Wesentlichen darauf, dass er 
(1. ce. pag. 46) »in einem gewissen Entwickelungsstadium« 
bei Schweinen (welche Grrösse die Embryonen hatten, ist nicht mit- 
getheilt) im Unterkiefer Knorpel und »nach einiger Zeit« (soll 
wohl heissen bei älteren Embryonen?) »Knochen, welcher aus prä- 
formirtem Knorpel entstanden ist«, gefunden hat. — Dann schreibt 
er: »Die Verknöcherung des Unterkiefers scheint sehr früh zu er- 
folgen, wenigstens fand ich bei einem 5,5 Centimeter langen Schweins- 
embryo das vordere Ende des Processus alveolaris schon verknöchert. 
Berücksichtigt? man den Umstand, dass die ganze hintere Hälfte 
dieses Unterkiefers knorpelig war, und dass bei Menschenembryonen 
das vordere Ende des Alveolarfortsatzes auch aus Knorpel besteht, 
so ist es höchst wahrscheinlich, dass der ganze Unter- 
kiefer knorpelig präformirt ist. Diese Wahrscheinlichkeit 
gewinnt an Werthnoch dadurch, dass man an dem jungen Knochen 
die characteristischen, weiter unten zu besprechenden Merkmale 
entdeckt, welche seine Entstehung aus dem Knorpel verrathen.« 

Strelzoff stützt demnach die Annahme, dass der Unter- 
kiefer knorpelig präformirt sei, auf zwei von ihm gemachte Beob- 
achtungen: 1) das Vorkommen von Knorpelgewebe in dem noch 
sich entwickelnden Unterkiefer und 2) das Vorkommen von Knochen- 
gewebe, welches die Merkmale der directen Entwicklung aus Knor- 
pel trägt. Wie steht es mit der Richtigkeit beider Beobachtungen 
und mit den daraus gezogenen Schlüssen ? 

1) Dass man in gewissen Entwickelungsstufen des Embryo 
verschiedener Säugethiere im Unterkiefer Knochengewebe findet, ist 
unzweifelhaft richtig; allein daraus den Schluss zu ziehen, dass der 
ganze Unterkiefer knorpelig präformirt ist, ist unerlaubt. Strelzoff 
ist aber zu seinem irrigen Schlusse gelangt, weil er die erste knö- 
cherne Anlage des Unterkiefers insehr jungen Embryonen gar nicht 


1) Die Thatsache, dass die zum Unterkiefergelenk gehörigen Gelenk- 
flächen eine bindegewebige Bedeckung haben, ist für den Menschen von 
Kölliker bereits festgestellt (Gewebelehre 5. Auflage pag. 200). Die Kenniniss 
davon scheint jedoch wenig verbreitet, da viele Hand- und Lehrbücher der 
Anatomie keine Notiz darüber bringen. 


256 Dr. Ludwig Stieda: 


beobachtet hat. An jungen noch kleinen Embryonen hätte er sich 
mit grosser Leichtigkeit davon überzeugen können, dass — abge- 
sehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Meck el’schen 
Knorpel — gar kein Knorpelgewebe im Unterkiefer existirt, wohl 
aber unzweifelhaft ächtes Knochengewebe, entstanden aus dem 
indifferenten Bildungsgewebe durh Vermittelung von Östeoblasten. 
Strelzoff macht (l. e. pag. 46) Kölliker den völlig unbegrün- 
deten Vorwurf, Kölliker hätte die früheren Entwickelungsstufen 
des Unterkiefers nicht untersucht; diesen gegründeten Vorwurf muss 
sich Strelzoff selbst machen. 

3) Strelzoff behauptet, dass in dem sich entwickelnden Unter- 
kiefer eine direete Umwandlung des Knorpels in Knochen statt- 
fände. Da die Existenz vom Knorpel in späteren Entwickelungs- 
stadien des Unterkiefers unbezweifelbar ist, so wäre dadurch die 
Möglichkeit einer Verwandelung gegeben. Strelzoff beschreibt 
auf pag. 46-48 seiner Abhandlung in ausführlicher Weise seine 
Ansichten und Beobachtungen 'an den zelligen Elementen des Knor- 
pels und des Knochens; aus welchen er den Schluss eines direeten 
Uebergangs der Knorpelzellen in Knochenkörperchen zieht. Ich 
halte eine Wiedergabe für unnöthig. Ich muss gestehen, dass ich nach 
häufigem Durchlesen dieses Passus und nach vielfachen Vergleichen 
meiner eigenen Präparate auch nicht das (Geringste gefunden habe, 
was mich von der Richtigkeit der Strelzoff’schen Angabe überzeugt 
hätte. Strelzoff ist hier unbedingt auf eine ganz falsche Fährte 
gerathen, wie und wodurch weiss ich nicht; die Knochenbildung am 
knorpeligen Angulus und an dem knorpeligen Theile des Unter- 
kiefers erfolgt genau so, wie in den knorpelig gebildeten Röhren- 
knochen, genau so, wie Strelzoff es selbst am Röhrenknochen 
beschrieben hat. 

Zum Schluss muss ich noch Strelzoff’s Bemerkungen in Be- 
treff des Meckel’schen Knorpel beleuchten. Strelzoff bezeichnet 
die Ansicht, dass der Unterkiefer zum Meckel’schen Knorpel in 
demselben Verhältnisse stehe, wie die platten Schädelknochen zum 
knorpeligen Primordialeranium als Irrthum und schreibt dann (]. e. 
pag. 45): »Der Meckel’sche Knorpel betheiligt sich nicht bei der 
Knochenbildung und hat mit der primordialen Schädelbasis keine 
Analogie, da er ein rudimentäres Organ ist, welches in früheren 
Stadien des embryonalen Lebens schwindet.« Diese Aeusserung, 
dass der Meckel’sche Knorpel sich nicht bei der Knochenbildung 


’ 
Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 257 


betheiligen soll, ist mir ein Beweis, dassStrelzoffder Entwickelung 
des Unterkiefers keineswegs die nöthige Aufmerksamkeit geschenkt 
hat — wie konnten ihm sonst jene Bilder entgehen, welche die 
älteren Autoren veranlassten, eine Verknöcherung des Meckel’schen 
Knorpels anzunehmen? Dass er aber solche Bilder, wie ich sie im 
Sinne habe und wie sie in Fig. 4 und 5 abgebildet sind, nie ge- 
sehen hat, geht aus seinen eigenen Worten klar und deutlich her- 
vor. In der Anmerkung 5 auf Seite 45 schreibt Strelzoff: »Die 
regressive Metamorphose, welche ichvom Verkalkungs- 
rande beschrieben, habe ich nie an dem Meckel’schen 
Knorpel beobachtet. Die fernern Vorgänge, welche seinen 
Schwund begleiten, bestehen, aller Wahrscheinlichkeit nach, darin, 
dass die peripheren Knorpelzellen sich verlängern, spindelförmig 
werden und in das umgebende Bindegewebe sich auflösen.« Diesen 
letzten Bemerkungen muss ich durchaus widersprechen und mit 
Hinweis auf das bereits Gesagte wiederholen, dass der Meckel’sche 
Knorpel bei seinem Schwund sich gerade so verhält wie der Ver- 
kalkungsrand eines knorpelig präformirten Skelettheils. 


3. Die Bildung des knöchernen Schulterblatts. 


Nach der geläufigen Ansicht entwickelt sich das knöcherne 
Schulterblatt der Säugethiere und des Menschen nicht anders, als 
die andern knorpelig präformirten Knochen; man spricht desshalb 
gewöhnlich von einer Verknöcherung des knorpeligen Schulterblatts 
im Sinne der älteren Auffassung. — Auch in dieser Beziehung ist 
Strelzoff zu einem ganz neuen und überraschenden Resultat ge- 
langt (l. ce. pag. 49): »Denselben Vorgang (Umwandlung der Knorpel- 
zellen in Knochenzellen) habe ich an der Spina des Schulter- 
blattes von Schaf- und Rindsembryonen beobachtet. Spina und 
Körper der Scapula, welche knorpelig vorgebildet sind, ossificiren 
nicht nach demselben Typus; die erste entwickelt sich ganz 
vollständig und ihre knorpelige Anlage geht direct 
in Knochen über, während der letztere die zwei beschriebenen 
»Formen des neoplastischen Ossificationstypus darstellt.« 

Ich habe zur Prüfung der Resultate Strelzoff’s die Bildung 
des Schulterblattes an verschiedenen Entwickelungsstadien von Em- 
bryonen (Maus, Katze, Kaninchen, Schaf und Schwein) untersucht 
und kann meine Beobachtungen in wenig Worte zusammenfassen: 


258 Dr. Ludwig Stieda: 


Der histologische Vorgang, durch welchen das ursprünglich 
knorpelig präformirte Schulterblatt (Corpus und Spina) in ein 
knöchernes übergeführt wird, ist genau derselbe, wie man ihn 
bei Röhrenknochen beschreibt. Nach Einleitung der regressiven 
Metamorphose des Knorpels wird durch Vermittelung der Osteo- 
blasten Knochengewebe gebildet, welches an die Stelle des geschwun- 
denen Knorpels tritt. Eine eingehende Beschreibung oder Schilde- 
rung der Entwickelung des Schulterblatts kann ich füglich hier über- 
gehen, da dieselbe nichts besonders Interessantes darbietet. 


Strelzoff hat das unbestreitbare Verdienst, unabhängig von 
anderen Autoren, den genauen Nachweis geführt zu haben, dass die 
Ansicht Heinrich Müller’s von der Betheiligung des Knorpelge- 
webes bei der Ossification, von der Entwickelung des Knochenge- 
webes aus Abkömmlingen der Knorpelzellen nicht richtig ist, dass 
vielmehr das Knorpelgewebe durch regressive Metamorphose zur 
Atrophie geführt werde und dass an die Stelle desselben durch 
Wucherung der zelligen Elemente des Perichondriums neue Zellen 
(Osteoblasten) treten, aus welchen das neue Knochengewebe entsteht. 
Dass gleichzeitig mit Strelzoff andere Autoren zu denselben Re- 
sultaten gelangten, dadurch wird das Verdienst Strelzoff’s nicht 
im Geringsten geschmälert. Leider hat aber Strelzoff es bei 
diesem Resultat nicht belassen. Neben die neoplastische Össi- 
fication hat er die sog. metaplastische Ossification gestellt 
und eine directe Umwandlung des Knorpels in Knochen behauptet. 
Ich hoffe, in den mitgetheilten Zeilen den Beweis geliefert zu haben, 
dass es gar keinen metaplastischen Ossificationstypus 
im Sinne Strelzoff’s giebt. 


4. Ueber die normale Resorption des Knochengewebes beim 
Wachsthum der Knochen. 


Mit der Frage nach der Bildung des Knochengewebes ist die 
Frage nach dem Wachsthum der sich bildenden Knochen eng ver- 
bunden und es ist selbstverständlich, dass Untersuchungen in Be- 
treff der ersten Frage auch zu Ergebnissen in Betreff der zweiten 
führen. 

In Bezug auf das Wachsthum der Knochen stehen sich noch 
heute zwei Ansichten gegenüber. Nach der einen Ansicht ver- 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 259 


grössern sich die Knochen durch Apposition neuen Gewebes, 
nach der andern Ansicht durch interstitielles Wachsthum 
oder, wie man früher sagte, durch Intuscusseption. Die erste 
Ansicht war allmälig mehr in den Vordergrund getreten, die zweite 
fast vergessen. Wolff (Ueber die innere Architeetur der Knochen 
und ihre Bedeutung für die Frage vom Knochenwachsthum. Virchow’s 
Archiv Bd. 50 pag. 389. Berlin 1870) suchte neuerdings die Lehre 
vom interstitiellen Knochenwachsthum durch neue Gründe zu be- 
weisen. Ich habe mich schon einmal gegen Wolff für das 
Knochenwachsthum durch Apposition ausgesprochen. Vor Kurzem 
ist nun auch Strelzoff (l. ec.) gegen die Lehre vom appositionellen 
Wachsthum aufgetreten und hat eine neue Erklärung der Wachs- 
thums-Erscheinungen gebracht. Da ich mit dieser neuen Erklärung 
auch nicht einverstanden bin, so ergreife ich die Gelegenheit, die 
Lehre vom Knochenwachsthum durch Apposition gegen die Angriffe 
Strelzoff’s zu vertheidigen. 

Bei der Erklärung des Knochenwachsthums durch Apposition 
neuen Gewebes hat man stets die Resorption des alten Gewebes 
zu Hülfe genommen — ohne genaue histologische Nachweise über 
die bei der Resorption stattfindenden Vorgänge zu haben. Der 
Modus der Resorption war unbekannt, wenngleich man die Resorp- 
tion als sicher annahm. Auf den bis jetzt dunkeln Modus der 
typischen Resorption der Knochen ist durch die treffliche Arbeit 
Kölliker’s (Die normale Resorption des Knochengewebes. Leipzig 
1873. 4°.) ein helles Licht geworfen. Kölliker lieferte den Nach- 
weis, dass vielkernige Zellen, die sog. Ostoklasten, den Schwund 
des Knochengewebes bewirken. Ich habe im Laufe der letzten Zeit, 
speciell bei Untersuchung des sich bildenden Unterkiefers, vielfach 
Veranlassung gehabt, die Angaben Kölliker’s in Betreff der 
Ostoklasten zu prüfen und muss dieselben durchaus bestätigen. 
Auf Grund eigener Untersuchungen halte ich die Ostoklasten, welche 
zum Theil aus demselben Bildungsmaterial wie die Osteoblasten, 
zum Theil aus den Osteoblasten selbst hervorgehen, für die Ursache 
der Resorption des Knochengewebes. Es muss für’s Erste noch 
dahin gestellt bleiben, wie man sich die Einwirkung der Ostoklasten 
auf das starre Knochengewebe zu denken hat. Vielleicht, dass 
Rustizky (Untersuchungen über Knochenresorption und Riesen- 
zellen, Virchow’s Archiv Bd. 59 pag. 202) Recht hat, wenn er ver- 


muthet, es werde die Resorption durch eine den Zellen innewohnende 
Archiv £f. mikrosk, Anatomie, Bd. 11. 18 


260 Dr. Ludwig Stieda: 


Säure eingeleitet. Da ich den ausführlichen und nach allen Rich- 
tungen zum Abschlusse gelangten Mittheilungen Kölliker’s keine 
neuen Thatsachen hinzuzufügen vermag, so begnüge ich mich mit 
der Anerkennung und Bestätigung. Nachdem schon vor Kölliker’s 
Arbeiten die vielkernigen Zellen des Knochengewebes von einzelnen 
Autoren gesehen waren und auch bereits nachträglich von anderen 
Autoren die Bedeutung der Ostoklasten für die Resorption zugegeben 
ist, liess sich erwarten, dass diese Lehre kaum auf Widerstand 
stossen würde. Und doch ist dies geschehen. 

Strelzoff hat gegen die Ostoklasten als Ursache der Knochen- 
resorption und gegen das Knochenwachsthum durch Apposition Protest 
eingelegt (1. c. 70—87) und ist damit in directen Gegensatz zu den 
Ergebnissen Kölliker’s gekommen. »Weil,« wie Kölliker schreibt, 
(Knochenresorption und interstitielles Knochenwachsthum. Verhandl. 
der physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg, V. Bd. 1873) »Strel- 
zoff in seinen Behauptungen mit aussergewöhnlicher Bestimmtheit 
und grossem Selbstvertrauen auftritt und nicht Jeder in der Lage 
sich befindet, ein auf eigene Untersuchungen gestütztes Urtheil 
über alle in Frage kommenden wesentlichen Verhältnisse zu haben«, 
so sah Kölliker sich veranlasst, die Angaben Strelzoff’s einer 
eingehenden Prüfung zu unterziehen. — Das Resultat der Prüfung 
fällt nicht sehr günstig aus, indem der grösste Theil der Behaupt- 
ungen und Annahmen Strelzoff’s für irrig und nicht stichhaltig 
erklärt wird. Strelzoff hat auf Seite 69 und 70 die Thatsachen, 
welche, wie er sagt, mit den Ansichten Kölliker’s nicht überein- 
stimmen, d.h. gegen die Ostoklasten als Organe der Resorption 
sprechen, in sechs Punkten zusammengestellt. Gehe ich die sechs 
Punkte durch, so komme ich zur Ueberzeugung, dass das Hauptmotiv 
Strelzoff’s zur Negirung der Ostoklasten als Organe der Resorption 
im fünften Punkte liegt. Derselbe lautet (l. c. pag. 70): »Die Er- 
weiterung der Markräume und die Formveränderung 
des wachsenden Knochens können durch die von mir 
beschriebenen Vorgänge erklärt und durch die directe 
Beobachtung bestätigt werden.« 

Strelzoff bedarf der Ostoklasten nicht zur Erklärung der 
Phänomene des Knochenwachsthums, weil er eine andere Erklärung 
und Auffassung liefern zu können glaubt. Will man aber, so urtheile 
ich, Strelzoff von der wirklichen Bedeutung der Ostoklasten über- 
zeugen, SO muss man nachweisen, dass die von ihm gegebene Be- 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 261 


schreibung des Wachsthums der Knochen und die daran sich knüp- 
fende Auseinandersetzung der Vorgänge unrichtig ist. 

Wie lässt nun Strelzoff den Knochen wachsen ? 

An allen knorpelig präformirten Skelettheilen — so schildert 
es Strelzoff — wird zuerst eine äussere primitive Knochen- 
rinde gebildet, welche er die Grundschicht des perichon- 
dralen Knochens nennt und auf welche er allmälig von aussen 
neue Lamellen sich ablagern lässt. Gleichzeitig mit der Bildung der 
»Grundschicht« oder »der knöchernen Kruste« ist die im Innern 
des Knorpels beginnende Kalkablagerung auch bis an die Oberfläche 
gedrungen. »Hat die Kalkablagerung die Oberfläche des Knorpels 
erreicht, so werden die peripheren Knorpelhöhlen eröffnet und mit 
Bildungszellen, welche von der innern Schicht des Perichondriums 
stammen, gefüllt« (l. c. pag. 8). Durch Vermittelung der einge- 
drungenen Bildungszellen wird nun in dem von der perichondralen 
Knochenrinde eingeschlossenen Raum auch Knochengewebe gebildet 
und zwar wird dasselbe auf die noch stehen gebliebenen verkalkten 
Balken der Knorpelgrundsubstanz abgesetzt. Der histologische Vor- 
gang ist hier derselbe wie bei der Knochengewebsbildung vom Peri- 
chondrium, jedoch ist die Anordnung des sog. endochondralen Knochen- 
gewebes eine andere und zwar sehr characteristische. Auf gewissen 
Entwickelungsstufen von Röhrenknochen existirt statt des ursprüng- 
lichen Knorpels im Innern des perichondralen Knochens nur sog. 
endochondrales Knochengewebe: als Grenze zwischen dem perichon- 
dralen und endochondralen Knochen existirt eine sog. endochondrale 
Grenzlinie. (Richtiger Grenzlamelle zu nennen.) 

Bis so weit vermag ich, abgesehen von einigen untergeordneten 
Differenzen, nichts gegen diese Schilderung Strelzoff’s einzuwenden, 
sie stimmt auch mit den Resultaten Loven’s und Uranossow’s. 
In der weiteren Schilderung, welche Strelzoff liefert, treten dann 
erst principielle Gegensätze zu den geläufigen Ansichten auf. Die 
Thatsache, dass in gewissen späteren Stadien oder allendlich im 
fertigen Knochen kein endochondrales Knochengewebe existirt 
und auch keine endochondrale Grenzlamelle zu sehen ist, wird 
von den Anhängern der Appositions- und Resorptionstheorie erklärt 
durch die allmälig erfolgte Aufsaugung des endochondralen Knochen- 
gewebes unter Vermittelung der Ostoklasten und durch den Ersatz 
mittelst Markgewebes. Dieser Annahme der Zerstörung des endo- 
chondralen Knochengewebes tritt nun Strelzoff schroff entgegen 


262 Dr. Ludwig Stieda: 


(l. ce. pag. 33): »Das endochondrale Knochengewebe behält sein 
characteristisches Aussehen auch in den allerspätesten Stadien 
seiner Entwickelung. Meine Bestrebungen (den Zerstörungsprocess 
am Knochen zu verfolgen) betrachte ich nicht als vergeblich, da 
ich mich überzeugt habe, dass keine Spur von Zerstörung 
an embryonalen Knochen nachzuweisen ist« (l. c.p. 34). 

Die Bildung des sogenannten Markraumes gebe ich mit Strel- 
zoff’s eigenen Worten (l. c. pag. 37): »Ein Rückblick auf die 
Bildung von Knochenbalken und Markräumen am perichondralen 
und endochondralen Knochengewebe der Röhrenknochen ergiebt, dass 
diese Balken bleibende Gebilde sind, deren weiteres Schicksal 
genau verfolgt werden kann. Der perichondrale Knochen ist durch 
die typische Anordnung seiner Grund- und secundären Balken 
characterisirt. Auch der endochondrale Knochen besteht aus Grund-, 
Uebergangs- und secundären Balken, welche während des 
Wachsthums ihre Lage ändern, indem die secundären in die 
Uebergangsbalken und diese in die Grundbalken sich umwandeln, 
welche endlich zur compacten Knochenrinde werden.« 
Auf Seite 38: »Durch eine solche Verschiebung der endo- 
chondralen Knochenbalken wird, abgesehen von den andern, 
schon erwähnten Ursachen, die Erweiterung der Tubus me- 
dullaris bedingt.« — Strelzoff erklärt hiernach mit dürren 
Worten die bei dem Knochenwachsthum so bedeutungsvolle That- 
sache des Ersatzes des anfangs gebildeten endochondralen Knochen- 
gewebes durch Mark durch eine Verschiebung oder, wie er 
an einer andern Stelle sagt, durch eine Wanderung der endo- 
chondralen Knochenbalkens. 

Wenn ich nun in der Abhandlung Strelzoff’s naca einer 
positiven Begründung der Verschiebung oder Wanderung 
der endochondralen Knochenbalken suche, so finde ich gar keine 
Thatsachen angeführt, welche direct die »Wanderung« erweisen. 
Und doch hätten Thatsachen hingestellt werden müssen, um die 
so auffallende Behauptung zu unterstützen. Ich finde auch nicht 
das geringste Moment, welches irgendwie im Sinne einer Verschie- 
bung oder Wanderung der Knochenbalken gedeutet werden könnte 
und sehe mich daher genöthigt, die Hypothese Strelzoff’s für 
unbegründet zu erklären. Ich behaupte im Gegentheil, es findet 
beim Knochenwachsthum keine Verschiebung und keine 
Wanderung der endochondralen Knochenbalken statt. 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 263 


Strelzoff bewegt sich in einer eigenthümlichen, wie mir 
scheint, nicht ganz richtigen Schlussfolgerung in Betreff des Knochen- 
wachsthums. Sein Hauptgrund für die Verwerfung der Ostoklasten 
als Resorptionsorgane ist ihm die Möglichkeit, das Knochenwachs- 
thum durch eine andere Erklärung — Verschiebung oder Wanderung 
der Knochenbalken — zu deuten. Und der Hauptgrund zur Be- 
kräftigung der Annahme einer Verschiebung ist (l. c. pag. 44): »Es 
ist unmöglich die typische, einem jeden Knochen eigenthüm- 
liche und in allen Stadien «des fötalen Lebens zu beobachtende An- 
ordnung der Knochenbalken durch die Knochenresorption 
zu erklären«, und ferner; »Endlich ist es ganz unmöglich, 
durch die Knochenauflösung die Persistenz der Grundbalken 
des perichondralen und endochondralen Knochens mit gleichzeitiger 
Erweiterung des Tubus medullaris zu erklären.« 

Ich will zum Schluss nur auf eine Thatsache noch hinweisen: 
Strelzoff deutet mit Recht auf den Gegensatz zwischen dem 
perichondralen und dem endochondralen Knochengewebe, auf die 
Existenz einer endochondralen Grenzlamelle. Es kann keinem 
Zweifel unterliegen, dass dieser Unterschied (cf. Fig. 8 Taf. II der 
Abhandlung Strelzoff’s und Fig. S meiner früheren Schrift) wirk- 
lich in gewissen und zwar jüngeren Entwickelungsstufen von Em- 
bryonen existirt. Auf späteren Entwickelungsstufen eines und des- 
selben Knochens zu einer Zeit, in welcher der Knochen auch nicht 
im Entferntesten seine endliche Grösse erreicht hat, sondern noch 
immerfort wächst, ist weder vom endochondralen Knochen, noch 
von der endochondralen Grenzlamelle eine Spur sichtbar; viel- 
mehr ist nur eine einzige Art Knochengewebe erkennbar, die, 
welche Strelzoff als perichondrale bezeichnet hat. — Wie 
soll, frage ich, das vollständige Verschwinden durch eine Ver- 
schiebung oder Wanderung erklärt werden? Die Resorption er- 
klärt die erörterte Thatsache bequem und leicht. 

Die Einwürfe Strelzoff’s werden die Lehre von der Appo- 
sition und Resorption des Knochengewebes beim Wachsthum nicht 
beeinträchtigen, sie werden nur dazu dienen, dieselbe zü befestigen, 
indem sie Veranlassung zu erneuten Studien geben werden. Und 
dass erneute Studien auf diesem Gebiete auch Strelzoff zur Ueber- 
zeugung der Existenz einer normalen Knochenresorption führen 
werden, das hoffe ich. 


264 


Fig. 1. 


Fig. 2. 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


Fig. 5. 


Fig. 6. 


Dr. Ludwig Stieda: 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV. 


Querschnitt durch den Unterkiefer eines Katzen-Embryo von 4,5 
Ctm. Länge. Vergr. 20fach. 

a = laterale, 

b mediale Lamelle des Unterkiefers, 

e Zahnkeim, 

d = der Meckel’sche Knorpel im Querschnitt. 


Horizontalschnitt (Flächenschnitt) durch den Kopf eines Katzen-Em- 
bryo von 4,5 Ctm. Länge. Vergr. 6fach. 

a, b, ec, d wie bei Figur 1. 

d‘ Mittelstück des Meckel’schen Knorpels. 

f Anlage des Proc. condyloideus. 


Aus einem Flächenschnitt des Kopfs eines Katzen-Embryo von 5,5 
Ctm. Vergr. 80fach. — Der linke Meckel’sche Knorpel im Begriff 
zu atrophiren. 

a, a, normales Knorpelgewebe, 
b verkalktes Knorpelgewebe, 
ce Bildungsgewebe, welches von aussen in den Knorpel eindringt. 


Aus einem Querschnitt des Unterkiefers eines Katzen-Embryo von 
8 Ctm. Länge. Vergr. 8S0Ofach. Der Meckel’sche Knorpel im Be- 
griff zu atrophiren. 

a die laterale, 

b die mediale Knochenlamelle des Unterkiefers, 

ce Fortsätze desMarkgewebes, welche von aussen in den Knorpel 
eindringen. 


Aus einem Querschnitt durch den Unterkiefer eines Katzen-Embryo 
von 5,5 Ctm. Länge. Vergr. 350fach. Der querdurchschnittene 
Meckel’sche Knorpel zeigt die characteristischen Kennzeichen der 
Atrophie. 

a, a, a Knochengewebe, 

b Ostoklast, 

c, ec, e Osteoblastenschicht, 

d verkalkte Knorpelgrundsubstanz, welche vergrösserte aufge- 

blähte Zellen einschliesst, 
e, e Knorpelgewebe. 


Mittelstück des Meckel’schen Knorpels aus einem Flächenschnitt des 
Kopfes eines Mäuse-Embryo von 1,3 Ctm. Länge. Vergr. 80fach. 


Studien über die Entwickelung der Knochen u. d. Knochengewebes. 265 


Fig. 7. Aus einem Querschnitt des Unterkiefers eines Mäuse-Embryo von 

48 Ctm. Länge. Vergr. 80fach. 

a laterale, 

b mediale Knochenlamelle, 

d der von der medialen Lamelle umwachsene Meckel’sche Knorpel. 
c Zahnkeim. 

Fig. 8. Aus dem Querschnitt des Unterkiefers eines Mäuse-Embryo von 
1,38 Ctm. Länge. Vergr. 350fach. Meckel’scher Knorpel im Be- 
ginne der Atrophie. ? 

a Knorpelgewebe, 
d verkalkte Knorpelgrundsubstanz, welche aufgeblähte Zellen ein- 
schliesst. 


Ueber den peripheren Theil der Urwirbel. 


Von 
Med. Dr. Felix Ehrlich 


in Wien. 


(Aus dem Institute für Embryologie des Prof. Schenk in Wien.) 


Hierzu Taf. XV. Fig. 1—4. 


Durch die neueren Forschuugen bezüglich des Verhaltens der 
einzelnen anatomisch bedeutenden Bestandtheile im Embryo der 
Wirbelthiere wurde dargethan, dass die Urwirbel bald nach ihrem 
Auftreten eine Reihe von Veränderungen durchmachen, welche der 
Differenzirung der Gewebe im Embryo vorhergehen. Zu diesen Ver- 
änderungen ist zunächst die Angabe Remak’s!) zu zählen, nach 
welcher ein Urwirbel in drei Abschnitte von aussen nach inneh 
zerfällt. 

Der äusserste dieser Abschnitte diene als Grundlage. für die 
Muskeln (Muskelplatte), aus dem mittleren gehen die Elemente des 
Knochensystems hervor und der innerste Abschnitt liefere die Grund- 
lage für die Ganglien und speciell für die Intervertebralganglien. 

Durch eine Reihe von Jahren war diese Lehre allgemein an- 
genommen worden und schliesst sich ihr auch Kölliker?) in seiner 
Entwicklungsgeschichte an. 


1) Remak, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere. 
Berlin 1855. 

2) Kölliker, Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren 
Thiere. Leipzig 1861. 


Ueber den peripheren Theil der Urwirbel. 267 


Wesentlich verändert wurde diese Angabe von Schenk!). 
Nach dieser unterscheidet man zunächst an jedem  Urwirbel einen 
centralen und peripheren Theil. Der erstere wird allmälig massen- 
hafter, wobei die Formation der Urwirbelmasse um die einzelnen 
in dem Embryo angelegten Höhlen vorgeschoben wird. Dieser Theil 
der Urwirbel wird, wie derselbe Forscher angiebt, zum Aufbaue von 
Knochen, Knorpeln, Muskeln und der übrigen Gewebe, welche um 
die angelegten Höhlen zu finden sind, verwendet. 

Der periphere Theil der Urwirbel präsentirt sich als aus läng- 
lichen Zellen bestehend, welche in radiärer Richtung zum Kerne 
der Urwirbel stehen. Von diesem Theile berichtet Schenk weniger 
ausführlich. 

Oellacher?), der sich in seinen trefflichen Arbeiten über die 
Entwickelung der Knochenfische bezüglich der Verwendung des 
Kernes der Urwirbel den Angaben Schenk’s anschliesst, ist der 
Meinung, dass aus dem peripheren Theile der Urwirbel möglicher 
Weise Horngebilde hervorgehen; lässt aber diese Angabe als un- 
entschieden dahingestellt. 

Götte?) zeigte beiBombinator igneus, dass der periphere Theil 
der Urwirbel zu subcutanem Gewebe transformirt wird und lässt 
das metamorphosirte xewebe nach unten gegen die Bauchfläche des 
Embryo mit der Chorda dorsalis sich vereinigen, während nach 
oben der periphere Theil der Urwirbel mit den umgebenden Ge- 
bilden des Centralnervensystems sich verbindet. 

Bezüglich der Veränderungen des centralen Theiles der Ur- 
wirbel für Bombinator igneus schliesst er sich den Angaben Schenk’s 
und Oellacher’s an. Diese Angaben bildeten den Ausgangspunkt 
für die vorliegenden Untersuchungen, welche ich hier folgen lasse. 
Wenn man an den Embryonen von künstlich gezüchteten Forellen 
(salmo fario) vom 30. Tage angefangen aufwärts, Querschnitte in 
der Höhe des Mitteldarmes anfertigt, so sieht man anfangs, dass 
der centrale Theil der Urwirbelmasse (U; Fig. 1) um die einzelnen 


1) Schenk, Beitrag zur Lehre von den Organanlagen im motorischen 
Keimblatte. Wiener Sitzungsberichte der k. Akad. 1868. 

2) Oellacher. Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische. 
Leipzig 1872. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. XXII und XXIV. 

8) Götte, Ueber die Entwickelung des Bombinater igneus. Archiv 
für mikroskopische Anatomie Bd. V. 


268 Dr. Felix Ehrlich: 


angelegten Höhlen, die auf dem Querschnitte zu beobachten sind, 
sich ausgebreitet hat. Man sieht an dem vorliegenden Schnitte die- 
selbe zunächst um das Centralnervensystem (C), um die Chorda 
dorsalis (Ch), ferner um die Ausführungsgänge der Urnieren (Un) 
und endlich um den Darmkanal (D) gelagert. 

Der periphere Theil der Urwirbel (Uz) dagegen umgiebt beider- 
seits längs des Embryonalleibes den Kern der Urwirbel. 

Am Rückentheile des Embryo sehen wir die radiär stehenden 
Elemente des peripheren Theiles zu beiden Seiten des Nervensystems 
umbiegen und in der Richtung nach der centralen Fläche des 
Embryo ziehen. Hier kann man die (irenze des peripheren Theiles 
nicht genau bestimmen, es scheint, als würden die Elemente in 
jenen des Kernes der Urwirbel sich allmälig verlieren. 

An der ventralen Seite sieht man das absteigende Stück des 
peripheren Theiles der Urwirbel vor dem Ausführungsgange des 
Wolff’schen Körpers vorübergehen und in der Richtung gegen die 
breite Chorda dorsalis (Ch) ziehen. Hier verliert sich derselbe in 
ähnlicher Weise, wie an der Seite des Nervensystems im Kerne der 
Urwirbel. Wir sehen somit, dass der periphere Theil der Urwirbel, 
welcher anfangs den ganzen Urwirbel umgiebt, denselben in diesem 
Stadium nur nach aussen zu beiden Seiten des Embryo gegen das 
Nervenhornblatt begränzt, während die Innenseite des Kernes der 
Urwirbel dem Centralnervensysteme (C), der Chorda (Ch), dem Ur- 
nierengange (Un), der Aorta und der intermediären Zellenmasse 
von Oellacher!) anliegt. 

In den weiter vorgerückten Stadien beobachtet man, dass die 
einzelnen Elemente des peripheren Theiles der Urwirbel ihre Form 
geändert haben. Während man in jüngeren Stadien den Längs- 
durchmesser der Zelle radiär zur Chorda stehen sah, beobachtet 
man, wie in Fig. 2 zu sehen ist, dass der Längsdurchmesser der 
einzelnen Elemente, die den peripheren Theil bilden, parallel zur: 
Oberfläche des Embryo liegt. Die Elemente besitzen einen ovalen 
Kern und Kernkörperchen. 

Nach innen vom peripheren Theile sieht man rundliche hellere 
Gebilde (r), welche bereits dem Kerne der Urwirbel angehören. 

Gegen die dorsale Seite zu findet man den Gebilden der Ur- 


I). ce. 


Ueber den peripheren Theil der Urwirbel. 269 


wirbel anliegend, die Elemente des peripheren Theiles dichter an ein- 
ander gelagert, so dass man auf dem Querschnitte an dieser Stelle 
noch eine Verdickung desselben zu Gesicht bekommt. 

An dem lateralen Theile des Embryo beobachtet man Ein- 
senkungen (E Fig. 2) des peripheren Theiles der Urwirbel, welche in 
den Kern der Urwirbel hinein sich erstrecken und an einigen Stellen 
sogar den sceletogenen Theil der Chorda erreichen. Fig. 2 stellt 
zwei derartige Einsenkungen dar, wovon die eine E, die Chorda er- 
reicht, während die zweite sich im Kerne der Urwirbel verliert. 
Diese Einsenkungen bilden, wie man sich aus der Reihenfolge von 
Querschnitten überzeugen kann, zusammenhängende membranöse 
Scheidewände, welche einzelne Zellenmassen der Urwirbel zwischen 
sich fassen. Aus eben diesen Scheidewänden zwischen den Gebilden 
des Urwirbelkernes, welche anfangs aus zelligen Elementen zu- 
sammengesetzt sind, werden später Faserzüge, zum Theile auch 
Züge, welche homogen sind, so dass man genöthigt ist, anzunehmen, 
es seien sowohl die faserigen als auch die homogenen Züge aus den 
Elementen des peripheren Theiles der Urwirbel hervorgegangen. 

Ueberdies beobachtet man an Fig. 2, dass jene Gebilde, welche 
zwischen der Chorda und dem Nervensystem nach aussen liegen 
(m), bereits knorpelig umgebildet sind. An manchen Präparaten 
beobachtet man nicht selten, dass die besprochenen Septa bis an diese 
knorpelige Zellenmasse reichen, die man als Anlage des bleibenden 
Wirbelkörpers anzusehen hat. 

Die einzelnen Septa, welche zwischen den bereits zu Muskeln 
metamorphosirten Elementen des Kernes der Urwirbel liegen, zeigen 
eine Reihe von Fortsätzen, welche zu einer Vervielfältigung der 
Septa führen. Die dadurch entstandenen kleinen Septa bestehen 
aus äusserst feinen homogenen Zügen, welche an den Stellen, wo 
sie von den Hauptzügen abgehen, etwas diekwandiger sind; weiter 
entfernt davon aber verdünnt sich allmälig die Wandung und die 
Septa werden immer kleiner, bis sie in ihrem Umfange dem Um- 
fange eines Muskelbündels gleichkommen. 

Fig. 3, welche einem Querschnitte durch den Embryonalleib 
eines 10 Tage nach dem Ausschlüpfen aus der Eischale alten 
Forellenembryo entspricht, zeigt die weiteren Veränderungen des 
peripheren Theiles der Urwirbel. Aus ihr entnehmen wir eine Be- 
stätigung für das Gesagte bezüglich der grösseren und kleineren 
Septa in den Gebilden des Kernes der Urwirbel. Zugleich werden 


270 Dr. Felix Ehrlich: 


wir auch sehen, dass die grösseren Faserzüge als Fascien zwischen 
der bei den Fischen verhältnissmässig stark ausgebildeten Rücken- 
muskulatur liegen, während die feineren homogenen Septa, welche 
von diesen abstammen, als umhüllende Gewebszüge für die Muskel- 
faserbündel dienen. Wir sehen an Fig. 3 den Querschnitt des 
Centralnervensystems (C), an welchem bereits in diesem Stadium 
das Cylinderepithel, die Ganglien der grauen Substanz und die mark- 
losen Fasern der weissen Substanz zu beobachten sind. Unter 
demselben liegen die geschrumpfte Chorda (Ch), überdies Gefäss- 
lumina und Durchschnitte des Wolff’schen Körpers. Unterhalb 
dieser Gebilde ist der Querschnitt des Darmkanals (D) zu sehen, 
welcher an einem kurzen Mesenterium hängt. 

Die Urwirbelmasse (U), welcne zu beiden Seiten des Nerven- 
systems und der Chorda liegt, ist von mehreren Septa (S) durch- 
brochen. Die Gebilde, welche zwischen den Septa liegen, lassen es 
deutlich erkennen, dass sie Querschnitte von Muskelbündeln sind, 
deren Fibrillen sich zumeist so anordnen, dass dieselben theils rings 
herum um eine centrale Höhlung stehen, theils hufeisenförmig ge- 
krümmt sind — Fig. 4 Um diese Züge von Muskelfaserbündeln 
. (Mf) gehen die kleinen homogenen Septa, welche auf dem Quer- 
schnitte ein bienenwabenähnliches Gefüge geben, in welchem die 
Muskelfaserbündel liegen. Die Wandung der einzelnen Fächer ist 
homogen und trägt zuweilen einen oder mehrere Kerne. Es scheint 
dieses Gewebe jenen Zügen zu entsprechen, welche Löwe!) neuerer 
Zeit um die Fibrilleneylinder am ausgebildeten Muskel und den 
Sehnen beschrieben hat. 

Die grösseren Faserzüge verschmelzen nach innen mit den 
faserigen Zügen, welche das Centralnervensystem umgeben (n). An 
den Stellen, wo dieselben theils unter einander zwischen den Mus- 
keln sich verbinden, oder wo sich dieselben mit den umhüllenden 
Faserzügen des Nervensystems vereinigen, sind sie dicker, und ihre 
Faserzüge stehen dichter aneinander. An dem Schnitte (Fig. 3) be- 
obachtet man noch seitlich eine spitz hervorragende Masse der Ur- 
wirbel, welche vom äusseren Keimblatte überzogen ist. Sie stellt 
uns die Anlage einer Flosse vom Forellenembryo dar. Nachdem 
sich der Seitenplattentheil des Embryo von beiden Seiten an der 
Bauchfläche vereinigt hat, kommt die seitlich gelegene Flosse wahr- 


1) Löwe, Centralblatt für medicinische Wissenschaften. Berlin 1874. 


Ueber den peripheren Theil der Urwirbel. t 271 


scheinlich an die Bauchfläche des Embryo zu liegen, und bildet in 
dieser Lage eine Bauchflosse. K 

Aus den Schilderungen an den oben erwähnten Präparaten 
geht nun zur Genüge hervor, dass dem peripheren Theile der Ur- 
wirbel bezüglich seiner Verwendung zum Aufbaue der thierischen 
Gewebe eine andere Bestimmung zukomme, als den Gebilden im 
Kerne der Urwirbel. Die Elemente im peripheren Theile der Ur- 
wirbel werden zu Bindegewebszügen metamorphosirt, die nicht nur 
die subeutanen Gebilde liefern (Götte), sondern auch als grössere 
Septa die Muskelmasse am Rücken des Wirbelthieres durchziehen 
und hier die Fascien bilden. Die kleineren Septa, welche von jenen 
ausgehen, dienen als fächerige Gebilde um die einzelnen Muskel- 
faserbündel. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XV. 
Fig. 1—4. 


C Centralnervensystem. 

Ch Chorda dorsalis (durch Schrumpfung in ihrer Form geändert). 

I intermediäre Schicht. 

U, Kern der Urwirbel. 

U, peripherer Theil der Urwirbel. 

Un Urnierengang. 

D Darm. 

W Wolff’scher Körper. 

m Knorpelmasse der Wirbelkörper. 

N Gewebe aus den Gebilden des mittleren Keimblattes, welche das 
Centralnervensystem umgeben. 

E und E, Septa aus dem peripheren Theile der Urwirbel. 

S Vereinigungsstelle dieser Septa. 

E,ı Extremität (Flosse). 

Mf Muskelfaserbündel auf dem Querschnitte. 


Die perivasculären Lymphräume im Central- 
nervensystem und der Retina. 


Von 
Dr.B. Riedel, 
Prosector in Rostock. 


Hierzu Tafel XV, Fig. 5—9. 


Die Entdeckung von Lymphräumen im Gehirne und Rücken- 
marke (His!) hat von neuem die Aufmerksamkeit der Beobachter 
auf die Gefässadventitia dieser Organe gelenkt. 

Sie ist im Laufe der Zeit sehr verschieden beschrieben worden, 
in Betreff sowohl ihrer Structur als auch ihrer Ausdehnung über 
einen grösseren oder kleineren Theil der Gefässe. 

Die ersten drei Beobachter, Kölliker?), Virchow?°), und 
Robin®), beschrieben sie als eine hyaline vollkommen structurlose 
Memhran. Kölliker lässt sie grössere und kleinere Arterien um- 
hüllen, aber nicht mehr auf Capillaren und Venen übergehen. 

Virchow, der sie zuerst als eine normaler Weise lose die 
Gefässe umgebende Haut erkannte, sah sie zuweilen sich auf Ge- 
fässe von capillarem Character fortsetzen, Robin bis zu solchen, 
deren Durchmesser 0,003 Mm. betrug. Erst His?) fand Kerne in 


1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. XV. p. 127. 1865. 
2) Mikroskopische Anatomie II. I p. 500. 1850. 
38) Virchow’s Archiv. III. 1851. p. 445. 
4) Segond. le systeme capillaire sanguin. Paris 1853. 
Robin. Compt. rend. de Biol. 1855. p. 142. 
Journal de la Physiologie de l’homme et des animaux 1859. p. 537. 
5) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. X. 1860 p. 340. 


Die perivascul. Lymphräume im Centralnervensystem u. d. Retina. 273 


ihr auf; er verfolgte sie bis zu den feinsten Capillaren von 0,002 
Durchmesser. 

Ein weiterer Fortschritt in der Kenntniss der Adventitia wurde 
durch Frommann') eingeleitet, der im Rückenmarke zahlreiche län- 
gere und kürzere Reiser von ihr abgehen sah, die sich in der um- 
gebenden Neuroglia verloren. Aehnliche Rauhigkeiten beschrieb 
wenige Jahre später Roth?) von den Gehirngefässen; doch ent- 
sprangen hier die Reiser mit dreieckigen Füsschen und wurden zu- 
gleich als Ausläufer von im umgebenden Gewebe gelegenen Stern- 
zellen erkannt. Kowalewsky,Golgi°), Butzke®), Iljaschenko) 
bestätigten diesen Befund. 

In einer andern Richtung ging Eberth®) vor; mittelst Ar- 
gentum nitricum gelang es ihm, auf der Adventitia die characte- 
ristische Endothelzellenzeichnung nachzuweisen. Axel Key und 
Retzius?) nehmen sogar zwei Endothel-Zellenstrata an, die einer 
mittleren aus derberen Bindegewebsbalken bestehenden Schicht 
aufliegend als directe Fortsetzungen der Pia intima die Adveutitia 
der Gehirn- und Rückenmarksgefässe darstellen. 

Ganz isolirt steht endlich die Ansicht von Boll®) da, derzu- 
folge die Bindegewebszellen mit dem grössten Theile ihrer Aus- 
läufer pinselförmig auseinandergebreitet der structurlosen kern- 
haltigen Adventitia mehr oder weniger fest selbst bis zur voll- 
kommenen Verschmelzung anhaften sollen, während ein oft derberer 
Fortsatz als Stiel der sogenannten Pinselzelle frei in’s Gehirn-Pa- 
renchym hineinragen soll. 

Ebensowenig wie über die Structur der Adventitia sind die 
Autoren darüber einig, in welchem Verhältnisse sie zu den His’schen 
perivasculären Lymphräumen steht. His selbst nimmt den Raum 
zwischen Adventitia und umliegendem Parenchym, das Kanäle bildet, 


1) Untersuchungen über die normale und pathologische Anatomie des 
Rückenmarkes. II. Th. 1867. 
2) Virchow’s Archiv 46. 1869. p. 343. 
3) Rivista celinica. Nov. 1871. 
4) Archiv für Psychiatrie 1872, p. 575. 
5) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. XXIL. 1872. p. 299. 
6) Virchow’s Archiv. 49. p. 48. 
7) Virchow’s und Hirsch’s Jahresbericht. 1870. p. 28. 
Schultze’s Archiv. 1873. p. 308. 
8) Archiv für Psychiatrie. IV. Band. 


274 Dr. B. Riedel: 


die im Rückenmarke wenigstens von einem Endothel ausgekleidet 
waren, als den wahren Lymphraum an; ihm folgen Eberth, Ober- 
steiner u. a. Axel Key und Retzius, Golgi und Boll sehen 
den Raum zwischen dem eigentlichen Gefässe und der Adventitia 
als Lymphraum an. Beide Parteien stützen sich auf die Resultate 
von Injectionen, beide auf das Vorkommen von Lymphkörperchen 
in diesen Räumen. 

Alle die aufgeführten Meinungsverschiedenheiten liessen eine 
erneute Untersuchung des Gegenstandes wünschenswerth erscheinen. 

Zunächst war es nöthig, zum Studium der Gefässe und ihrer 
Adventitia eine möglichst schonende Isolationsmethode zu finden. 
Es gelang dies durch Combination der Wirkungen von Osmium- 
säure- und Ammoniaklösungen. Kleine mit der Scheere abgetragene 
Stückchen Gehirnsubstanz blieben 12—24 Stunden in 1/0 %/o Os- 
miumsäure-Lösung liegen und dann ebenso lange in ammoniaka- 
lischer Carmin-Lösung. Je nach dem Procentgehalte an Ammoniak 
isoliren sich Gefässe, Ganglien, Bindegewebszellen mehr oder weniger 
vollständig. 

Es war zunächst leicht, bei erwachsenen Thieren sich davon 
zu überzeugen, dass eine Adventitialscheide sämmtliche Gefässe von 
ihrem Ein- resp. Austritte aus dem Gehirne an mit Einschluss der 
Capillaren umgiebt; wo bei letzteren die Entscheidung, ob eine 
Scheide vorhanden sei oder nicht, zweifelhaft war, da gaben die 
kleinen, zwischen Adventitia und Capillarmembran gelegenen gelb- 
lichen Körnchen, auf die ich weiter unten noch ausführlich zurück- 
komme, nach kürzerem oder längerem Verfolgen des Gefässes Sicher- 
heit dafür, dass nirgends die Scheide fehlt. Bei dieser Isolations- 
methode erscheint die Adventitia structurlus mit eingelagerten 
Kernen, nicht so bei Anwendung von Arg. nitric.-Lösung nach dem 
Eberth’schen Vorgange. 

Benutzt man ein nicht mehr ganz frisches Gehirn, dessen Ge- 
fässe sich leicht mittelst der abgezogenen Pia extrahiren lassen, 
so gelingt der Nachweis einer Endothelzeichnung auf der Adventitia 
(Fig. 1). Dass ausser diesem Zellstratum noch ein weiteres Element 
an dem Aufbau der Adventitia Theil nimmt, wie das Eberth, wenn 
ich ihn recht verstehe, glaubt, ist mir nicht wahrscheinlich. Prä- 
parate, in denen nach Eberth’s Schilderung kleine Blasen, die 
später sich als aus dünnen unregelmässigen kernhaltigen Plättchen 
zusammengesetzt erweisen, von der unterliegenden Adventitia sich 


Die perivascul. Lymphräume im Centralnervensystem u. d. Retina. 275 


abzuheben scheinen, kamen mir freilich auch vor, doch war es 
wahrscheinlich, dass diese Blasen die ganze Adventitia repräsentirten 
und der feine, die zurückbleibende Adventitia anscheinend dar- 
stellende Contour dem nicht abgehobenen ober- resp. unterhalb der 
Blase gelegenen, bei derselben Einstellung noch eben mit sicht- 
baren Theile des Endothelstratum angehört. Die Endothelzeich- 
nung trat auf der Adventitia sowohl grösserer als kleinerer Gefässe 
hervor, so dass die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass sie sich 
überall aus Endothelien zusammensetzt. 


Die Aussenfläche der Gefässscheiden zeigte die bekannten mit 
dreieckigen Füsschen aufsitzenden Fasern, die häufig noch im Zu- 
sammenhange mit jenen von Roth erwähnten Zellen isolirt werden 
konnten, wie sie besonders von Jastrowitz!)(Fig. 2) und Boll (Fig. 2) 
als Gebilde mit langen unverzweigten Fortsätzen sehr getreu in der 
Zeichnung wiedergegeben sind. Sonderlich characteristische Ver- 
schiedenheiten an ihnen zu sehen, die erlaubt hätten, mehrere Arten 
von Zellen zu unterscheiden, wie das Iljaschenko thut, war mir 
nicht vergönnt, ebenso wenig Zellen mit 2—3, höchstens 5 Aus- 
läufern, die derselbe Autor erwähnt. 

Oft sitzen sie mit einem, oft mit zwei Fortsätzen an der Ad- 
ventitia fest. Ein unmittelbares Angelagertsein der Zellen an die 
Gefässwand kam selten, ein Verwachsensein, so, dass ein besonders 
derber Fortsatz von der Adventitia abgeht, kam nie zur Beobachtung. 

Schnittpräparate bestätigten den an isolirten Gefässen erhobenen 
Befund. Als beste Erhärtungsflüssigkeit erwies sich die Gerlach ’’sche 
2procentige saure chromsaure Ammoniaklösung; die Schnitte nach 
vorgängiger Einlagerung in Palladiumchlorid, in ammoniakalischem 
Carmin gefärbt, zeigten am anschaulichsten die enorme Entwicklung 
der Bindegewebszellen und deren Verhältniss zur Gefäss-Adventitia. 

Fig. 3 erläutert am besten das Gesagte. Andere Präparate, 
besonders aus der obersten Rindenschicht, zeigten die Zellen dichter 
an das Gefäss hinangerückt, ohne jedoch jemals mit ihm zu ver- 
schmelzen. Bei jungen Thieren sind die Ausläufer der Zellen kürzer, 
desshalb liegen letztere den Gefässen näher, um erst nach und 
nach durch die stärker sich entwickelnde Gehirnsubstanz von ihnen 
weiter abgedrängt zu werden. 


1) Archiv für Psychiatrie III. 1872. p. 162. 
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 11. 19 


276 Dr. B. Riedel: 


Kehre ich jedoch zurück zu den Isolationspräparaten, so lehrten 
diese noch eine zweite Art von Fortsätzen der Adventitia kennen, 
" die bis jetzt gänzlich unbekannt geblieben sind und eine ganz andere 
Bedeutung haben, als die vorher beschriebenen. Fig. 4 und 5 geben 
eine Anschauung davon; es sind directe Fortsetzungen der Adventitia, 
die, ohne ein Blutgefäss einzuschliessen, die Lymphscheide grösserer 
und kleinerer Gefässbezirke mit einander verbinden, meist in Form 
directer Anastomosen, zuweilen auch Kleine Plexus (Fig. 5) bildend. 

Sie sind schon bei uninjieirten Blutgefässen kenntlich, noch 
- deutlicher allerdings an Injectionspräparaten, in denen sie als leere 
Schläuche besonders leicht zu finden sind. Dass sie durchgängig 
sind, beweist bei Erwachsenen das Vorkommen jener schon oben 
erwähnten zwischen Media und Adventitia normaler Weise befind- 
lichen Körnchen auch in ihnen. Kerne habe ich bis jetzt noch 
nicht in ihnen wahrgenommen, wohl aber pflegt dort, wo sie ab- 
sehen, ein Kern in der Adventitia zu liegen. Sie kommen nur an 
Capillar-Adventitien vor, können eine Länge von 0,1—0,15 Mm. er- 
reichen und werden so häufig beobachtet, dass fast jedes mit seinen 
Verzweigungen isolirte grössere Gefäss sie zur Anschauung bringt. 
Bei neugeborenen Thieren erscheinen sie als ganz zarte Gebilde, 
übereinstimmend mit der geringen Entwicklung, die das Lymph- 
scheidensystem, das dann den Gefässen überall eng anliegt, zu jener 
Zeit hat. 

Nach Auffindung dieser Lymphanastomosen erscheint es nicht 
mehr ganz correct, diese Membran als Gefässadventitia aufzufassen 
und zu bezeichnen, sondern sie muss als Wandung eines selbst- 
ständigen Lymphgefässsystems betrachtet werden; damit vernoth- 
wendigt sich auch die Annahme, dass diese Lymphgefässe in Ueber- 
einstimmung mit denen anderer Organe eine gänzlich aus Endothelien 
zusammengesetzte Wand besitzen. Sicherer als jede Injection dürfte 
dieser Befund auch die Richtigkeit der Ansichten von Axel, Key 
und Retzius in Betreff des wirklichen Lymphraumes beweisen, 
gegenüber der von His vertretenen. 

Im Rückenmarke gestalten sich die Verhältnisse im Wesent- 
lichen analog. Die Lymphscheide fehlt auch, so weit ich sehen 
Konnte, nirgends, Lymphanastomosen kommen ebenso vor wie im 
Gehirne, nur ist die Zahl der von der Scheide abgehenden feinen 
Reiser sehr gering und gelang es mir nicht, dieselben im Zusammen- 
hang mit den ja im Rückenmarke so zahlreich vorhandenen Binde- 


Die perivascul. Lymphräume im Centralnervensystem u. d. Retina. 277 


gewebzellen su isoliren, ebensowenig leisteten Schnittpräparate. In 
Betreff dieser Bindegewebszellen sei mir hier eine Bemerkung ge- 
stattet: Der neueste deutsche Bearbeiter des Rückenmarkes, Boll, 
erkennt nur eine Sorte von Bindegewebszellen im Rückenmarke an, 
und auch diese wird wieder von Rauvier?!) in der von Boll be- 
schriebenen Form geläugnet. Es ist nun nichts leichter, als sich 
sowohl nach Anwendung von !/ıo °/o Osmiumssäure-Lösung oder 
noch besser nach 24--48stündiger Einwirkung von Müller’scher 
Lösung (nach Prof. Merkel’s Vorschrift), beide Male mit nach- 
folgender Maceration in ammoniakalischer Carminlösung davon zu’ 
überzeugen, dass die von Boll abgebildeten Zellen (seine Fig. 1 
a, b, c und Fig. 2) zu Dutzenden im Zerzupfungspräparate umher- 
schwimmen. Daneben kommen, wenn auch sehr selten, Zellen vor, 
deren Ausläufer sich verzweigen, wie sie Deiters in seinem be- 
kannten Werke abgebildet hat. Schliesslich finden sich — beim 
Menschen wenigstens — noch platte, mit 3—5 kurzen Fortsätzen 
versehene, oft in Reihen angeordnete Zellen, den Nervenfasern der 
weissen Substanz aufliegend, wie sie von Frommann abgebildet sind 
(seine Taf. II, Fig. 3 und 4), nur dass natürlich hier keine Kern- 
fasern zu entdecken waren. Ganz analoge Gebilde sind übrigens 
kürzlich auch von Michel?) im Chiasma von Thieren sowohl wie 
vom Menschen beschrieben und abgebildet. 

In der Retina hatte His?) gleich von Anfang an den Raum 
zwischen Gefäss und Adventitia als Lymphraum angesprochen und 
auch durch Arg. nitricum die Zusammensetzung der Scheide aus 
Endothelien bewiesen; er fand sie überall, nur nicht an den grossen 
Arterien, denen Kölliker gerade früher eine structurlose Adventitia 
zugeschrieben hatte. 

Der neueste Bearbeiter, Schwalbe®), fand Lymphscheiden 
nur um Venen und Capillaren. In derselben Weise wie im Gehirne 
wurde auch hier eine vollständige Isolation der Gefässe bewerk- 
stelligt; es zeigte sich die Angabe Schwalbe’s als durchaus zu- 


1) Comptes rend. 77. p. 1299. 

2) Gräfe’s Archiv Bd. XIX. p. 155. 

3) Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel. IV. Theil. 
II. Heft. 1866. p. 256. 

4) Bericht der math.-phys. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft 
der Wissenschaft. 1872. 1. Juli. 


278 Dr. B. Riedel: 


treffend, nur ist noch hinzuzufügen, dass auch hier Anastomosen 
zwischen den die Capillaren umgebenden Scheiden existiren und 
zwar in ziemlich ausgedehnter Weise. 

Was nun den schon öfter erwähnten Inhalt dieser Lymphge- 
fässe anlangt, so besteht er, wenn ich zuerst das Centralnerven- 
system berücksichtige, bei erwachsenen Wirbelthieren resp. Menschen 
gewöhnlich aus grösseren und kleineren gelblichen Körperchen, die 
auf Zusatz von Osmiumsäure sich schwarz färben ; einzelne wenige 
grössere, aber auch geschwärzte lassen auf Zusatz von Essigsäure 
einen Kern erkennen. Ueber ihren Character, ob normal, ob patho- 
logisch, ist schon viel gestritten. 

Kölliker!) und sein Schüler Pestalozzi?), welche sie bei 
der Beschreibung von Aneurysmata spuria erwähnen, hielten sie 
für Zersetzungsproducte des nach Zerreissung der inneren Gefäss- 
häute unter der Adventitia angesammelten Blutes. Dem gegenüber 
macht Virchow?) daraufaufmerksam, dass die Präexistenz zelliger 
Elemente zwischen Media und Adventitia in Form von einfachen 
rundlichen granulirten Zellen die Entscheidung erschwere, ob die 
hier sonst noch vorkommenden Fettkörnchenzellen und Fettaggregat- 
kugeln wirklich aus Extravasat hervorgehen. 

Daniel von Stein) fand diese Massen beim Menschen unter 
62 Fällen 53 Mal; selbst bei einem durch äussere Gewalt plötzlich 
um’s Leben gekommenen wurden sie beobachtet; an ein bestimmtes 
Alter scheinen sie nicht gebunden, doch weist auch er auf einen 
aetiologischen Zusammenhang mit dem Aneurysma spurium hin. 
Er nennt sie Pigment, das aus einer eigenthümlichen Umwandlung 
von Fett hervorgehe. 

Robin beschreibt sie als normalen Befund bei Individuen, die 
das 40.—45. Lebensjahr überschritten haben, während Wedl?°), 
Sankey u. A. sie für pathologisch erklärten, eine Auffassung, der 


1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. I. 1848. p. 260. 

2) Ueber Aneurysmata spuria der kleinen Gehirnarterien und ihren 
Zusammenhang mit Apoplexie. Inaug.-Diss. Würzburg 1849. 

s) 1. c. 

4) Nonnulla de pigmento in parietibus cerebri vasorum obvio. Diss. inaug. 
Dorpat 1858. (Referat: Virchow’s Archiv. 16. p. 564.) 

5) Beiträge zur Pathologie der Blutgefässe. Sitzungsberichte der K.K. 
Akademie. 1859. 27. p. 265. 


Die perivascul. Lymphräume im Centralnervensystem u. d. Retina. 279 


Westphal!) energisch entgegentrat. Boll erwähnt nur beim 
Menschen das Vorkommen von unregelmässigen kleinen und grösseren 
Anhäufungen eines gelblich-rothen bis goldgelben Pigmentes. Einerlei 
nun, welchen chemischen Character diese Massen besitzen, ob sie 
dem reinen Fette näher oder ferner stehen; so haben sie in den 
circa 50—60 Gehirnen der verschiedensten Säugethiere, die ich 
darauf untersuchte, niemals gefehlt, vorausgesetzt, dass die Thiere 
ein gewisses Alter erreicht hatten. Bei Fleischfressern ist die An- 
häufung dieser Massen im Allgemeinen eine stärkere, grobkörnigere 
als bei Pflanzenfressern; dem entsprechend treten sie bei ersteren 
auch schon in früherer Jugend auf als bei letzteren. 

Mit dem Ernährungszustande des Individuums stehen sie nicht 
im Zusammenhange; wohlgenährte Thiere zeigten sie ebenso gut, als 
abgemagerte; Thiere, die mitten in der Verdauung getödtet wurden, 
ebenso häufig, als solche, die 3 Tage gehungert hatten. Parallel 
geht aber der Grösse der einzelnen Körnchen und ihrer Menge die 
Anhäufung anscheinend gleicher Molecüle in den Ganglienzellen. 
In früher Jugend haben diese bekanntlich nur einen einfach fein- 
körnigen Inhalt, der auf Osmiumsäurezusatz keine Farbenreaetion 
giebt; dem entsprechend erscheint der Lymphraum leer. Mit dem 
Auftreten der ersten feinen durch Osmium schwarz gefärbten Körnchen 
in den Ganglien stellen sich gleich feine Molekel in den Lymph- 
räumen ein; einzelne kleine Körnchen ballen sich anscheinend 
nach und nach zu immer grösseren Klumpen zusammen und über- 
ragen dann allerdings die in den Ganglien liegenden an Grösse oft 
bedeutend. Im Alter kann also in Bezug auf die Grösse der 
Körnchen der anfangs vollständige Parallelismus schwinden. In 
manchen Fällen, besonders beim Menschen, sind die in den Ganglien- 
zellen gelegenen Massen, deren normales Vorkommen ebenfalls von 
Westphal gegenüber Meschede?) betont wird, fast ebenso grob- 
körnig als der grösste Theil der in den Lymphräumen gelegenen. 

Ein weiterer Beweis für die Abhängigkeit der in den Lymph- 
scheiden gelegenen Massen von den in den Ganglien befindlichen wird 
durch die Lymphscheiden der Retina geliefert. In dieser Membran fand 
sich bei den von mir untersuchten Thieren kaum eine Andeutung 
von Molekeln in den Ganglien; entsprechend sah man auch nur 
1) Archiv für Psychiatrie. Bd. I. p. 67. 
2) Virchow’s Archiv. 34. p. 81. 


280 Dr. B. Riedel: 


minimale Mengen in den Lymphscheiden. Ferner kaun man andere 
Wirbelthier-Klassen, z. B. Fische, heranziehen; die von mir unter- 
suchten Thiere (Pleuronectes solea) hatten sehr gut ausgebildete 
Lymphscheiden, aber nur wenige Körnchen darin entsprechend der 
Beschaffenheit der Ganglienzellen. 

Endlich lassen sich auch noch pathologische Befunde ver- 
werthen. Unter den von L. Meyer!) angegebenen Fällen von 
Geisteskranken, die nicht an Dementia paralytica litten, fanden sich 
zwei (Fall 26 und 28), deren Ganglienzellen ohne Fett und Pigment 
mit vielen Vacuolen versehen waren; entsprechend fanden sich keine 
Körnchen in den Gefässen. Beide Fälle demonstriren auch sehr 
deutlich, dass der Fettgehalt des Körpers im Allgemeinen nicht im 
Zusammenhange mit diesen Anhäufungen steht, da im Fall 26 ein 
exquisites Schwinden des Fettpolsters constatirt wurde, während im 
Fall 28 der Panniculus adiposus gut entwickelt war. So scheint 
also diese Lymphscheide zum Theil bestimmt, das in den Ganglien 
aufgehäufte Fett resp. Pigment fortzuschaffen; dem entsprechend 
findet man dasselbe auch in der Cerobrospinalflüssigkeit wieder?), 

Wenn nun durch die oben angeführten Beobachtungen als be- 
wiesen anzunehmen ist, dass die sogenannte Gefässadventitia die 
Wandung eines vollständigen Lymphgefässnetzes repräsentirt, so ist 
damit doch noch nicht gesagt, dass das von His als Lymphraum 
angesehene Spatium zwischen Lymphscheide und Gehirnsubstanz im 
Leben nicht als Raum existire. Die Thatsache, dass rundliche 
Körperchen, die mit mehr oder weniger Recht als Lymphkörperchen 
bezeichnet werden, hier ebenso wie im epicerebralen Raume und in 
den für die Ganglienzellen bestimmten Vacuolen vorkommen, ist 
gar nicht wegzuläugnen, und zwar finden sie sich schon, wenn inner- 
halb der engen Lymphscheide bei jugendlichen Individuen nur feine 
Körnchen vorkommen und keine kernhaltigen Körperchen. Dies 
Factum mahnt doch dringend zur Vorsicht bei Constatirung von 
Kunstproducten. Räume müssen jedenfalls hier vorhanden sein, 


1) Archiv für Psychiatrie. III. 1872. p. 1. 

2) Bei einem darauf untersuchten Rindsembryo von 17 Ctm. Länge 
ging dagegen ein kolossaler Transport von Fetttröpfehen durch die Gefässe 
des Gehirns selbst, deren Lymphscheiden noch nicht deutlich kenntlich waren, 
ebenso durch die Gefässe der Pia, während die Gefässe des Mesenteriums frei 
von Fett waren. 


Die perivascul. Lymphräume im Centralnervensystem u. d. Retina. 281 


durch die Lymphe passiren kann, vorausgesetzt, dass die darin 
vorkommenden rundlichen Körperchen wirklich identisch sind mit 
Lymphkörperchen. Eine freie Communication aller dieser Räume 
mit einander so, dass Injectionsflüssigkeit selbst bis in die unmittel- 
bare Umgebung der Ganglien (Obersteiner) vordringt, braucht 
man bei der Wanderungsfähigkeit der Lymphkörperchen ja gar 
nicht anzunehmen. Sie drängen sich durch das Gewebe auch auf 
nicht präformirten Wegen und lagern sich ab wo Platz ist, d. h. 
um Ganglienzellen ebenso wie um Lymphscheiden. 

Schliesslich erfülle ich eine angenehme Pflicht, wenn ich Herrn 
Prof. Merkel, dem alle für diese Arbeit nöthigen Präparate zur 
Prüfung vorlagen, meinen besten Dank für die freundliche Unter- 
stützung bei derselben ausspreche. 


Rostock, im August 1874. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV. Fig. 5—9. 


5) Kleine Gehirnarterie; Endothel der Adventitia durch Arg. nitr. 
dargestellt. 

6) Isolationspräparat. Lymphscheide in Verbindung mit Bindegewebs- 
zellen. 

7) Schnittpräparat aus dem Grosshirnmark des Menschen; dieselben 
Zellen. 

8) Einfache Lymphanastomose mit eingelagerten Körnchen. Injieirte Blut- 
gefässe dunkel schraffirt. 

9) Kleiner Plexus von Lymphgefässen. Injieirte Blutgefässe dunkel 
schraffirt. 


Kittschichten in den Wandungen der Gefässe. 


Von 


Dr. Albert Adamkiewicz, 
Assistent am physiologischen Institut zu Königsberg i. Pr. 


(Hierzu Tafel XV, Fig. 10 und 11.) 


Werden einem frisch getödteten Kaninchen entnommene Stücke 
von Arterien oder Venen mit einer Lösung von salpetersaurem Silber 
in der üblichen Weise nach v. Recklinghausen!) behandelt, so 
tritt der Regel nach auf der Innenfläche der Gefässe unter dem be- 
kannten Mosaik der Endothelien noch ein zweites Lager brauner 
Silberlinien auf. — Sie durchziehen als dicht gedrängte Streifen die 
Gefässwand in der Tiefe und heben sich um so schärfer gegen die 
Zeichnung der Endothelien ab, als sie deren zur Gefässaxe längs- 
gestellten ovalen Felder fast rechtwinkelig Kreuzen. Die grosse 
Manmnichfaltigkeit ihrer Configuration gestattet sie nur als unvoll- 
kommene, regellose und langmaschige Netze zu beschreiben, die 
durch eine spitzwinkelige Verzweigung der braunen Stränge ent- 
stehen, und sehr schmalen, langgedehnten und unregelmässig be- 
grenzten Querzonen zwischen ihren dunkeln Einfassungen Raum 
lassen. 

An den grossen Gefässen lassen sich diese Zeichnungen meistens 
leicht und mit grosser Sicherheit hervorrufen; in den kleineren sieht 
man sie weniger vollkommen und zuweilen nur im schwer nach- 
weisbaren Bruchstücken, die sich durch ihren eigenthümlichen Glanz 


1) Die Lymphgefässe und ihre Beziehung zum Bindegewebe. Berlin 
1862. S. 11. 


Kittschichten in den Wandungen der Gefässe. 283 


und durch ihr Lichtbrechungsvermögen dem Auge verrathen. Denn 
es pflegen dunkle Contouren die Silberstränge zu beiden Seiten mit 
grosser Schärfe gegen die Umgebung abzusetzen und dadurch deren 
centralen Theil auf das deutlichste hervorzuheben, der bei einer be- 
stimmten Einstellung des Mikroskops als eine glänzend helle Linie 
zwischen schwarzen Begrenzungen erscheint. 

Ueber die Lage dieser Silbernetze geben Zerzupfungspräparate 
grösserer Arterien sichere Auskunft. Hat man die Endothelien 
von ihrer Innenwand abgestreift, so sieht man die durch das Silber- 
salz nur selten bräunlich gefärbte gefensterte Haut mit ihren zahl- 
reichen Lücken frei hervortreten. Sie bildet fast regelmässig zur 
Richtung des Gefässes parallel verlaufende, mehr oder weniger breite 
Wülste, deren Rücken dem Lumen des Gefässes zugekehrt sind und 
die gegen die Muscularis hin muldenförmig ausgebauchten Mem- 
branzonen als seitliche Begrenzungen dienen. Liegt sie in grösserer 
Ausdehnung unter dem Mikroskop, so zeigt sie hier und dort Risse, 
die nie anders als in querer Richtung die Continuität der elastischen 
Innenhaut unterbrechen. Durch die Lücken und Risse hindurch 
treten die quergestellten Elemente der Media zu Tage, die undeut- 
licher auch durch die intacte Membran hindurchschimmern. 

Gerade zwischen beiden, der Tunica muscularis und der Mem- 
brana fenestrata befindet sich das Couvolut der beschriebenen Silber- 
netze. Es macht zuweilen den Eindruck, als wären sie Verdickungen 
an der der Muscularis zugewandten Seite dieser Membran. Doch 
folgen sie den nach vorn gebuchteten Wülsten, die dieselbe bildet, 
für gewöhnlich nicht, und documentiren noch dadurch ihre Unab- 
hängigkeit von der elastischen Haut, dass sie durch deren Lücken 
und Rissstellen frei und scharf hervortreten. 

Besonders instructiv sind Bilder, in denen die Media in grösserer 
Ausbreitung gewissermassen das Podium bildet, auf dem die übrigen 
Gebilde in schöner Isolation und klarer Anordnung neben jeinander 
ruhen. (Vgl. Taf. XV, Fig. 10.) Die elastische Membran liegt 
dann mit ihren Wülsten, Lücken und Rissen, meist an den Rändern 
zierlich eingerollt, auf der Media locker auf, und die welligen Silber- 
streifen treten unter den scharf begrenzten Rändern jener Membran 
hervor, um fast isolirt auf dem Muskellager zu endigen. 

Das zarte Netz, das in den Venen die elastische Innenhaut 
vertritt, entzieht ihren Bildern eine gleiche Schärfe und Klarheit. 


284. Dr. Albert Adamkiewicz: 


Nach längerem Aufenthalt der Präparate in Glycerin gewinnen 
die Silberstränge eine grosse Widerstandsfähigkeit gegen chemische 
Reagentien. Die Isolation derselben wird dadurch wesentlich er- 
leichtert, da sie nun selbst durch Essig- und Schwefelsäure unter- 
stützt werden kann, die die übrigen Gewebe schnell aufhellen und 
zerstören. Sie stellen sich dann als sehr breite und dicke Fäden ein- 
zeln und in ganzen Büscheln dar (vgl. Taf. XV, Fig. 111), die durch die 
Unregelmässigkeit ihrer Contour, die Unbeständigkeit ihrer Gestaltung 
und die Tiefe ihrer Silberfärbung einen gewissen Gegensatz zu 
elastischen Elementen darbieten, während sie sich von den feinen 
glatten und unverzweigten Silberstrichen der Media, den Nieder- 
schlägen in der Kittsubstanz der glatten Muskeln (v. Reck- 
linghausen), durch ihre Isolirbarkeit, Stärke und Anordnung 
unterscheiden. Ihnen fehlt die Präcision der Form, die den prä- 
formirten Gebilden eigen ist, und das mangelnde Gleichmass in 
ihrer ganzen Erscheinung trägt das Gepräge ihrer zufälligen Ent- 
stehung an sich. Die Art derselben lässt sich aus der Natur ihrer 
Substanz leicht erschliessen. Und da dieselbe trotz ihrer grossen 
Widerstandsfähigkeit gegen Essig-, Schwefel- und Salzsäure sich in 
Ammoniak und unterschwefligsaurem Natron leicht löst und dadurch 
ihren albuminösen Charakter verräth, so muss sich jene als das 
Product von Gerinnungen nothwendigerweise ergeben, die das Silber- 
salz in einer eiweissartigen, wahrscheinlich als Kitt die elastische 
Membran mit derihr benachbarten Media verklebenden, 
Schicht erzeugt hat. Der Tiefenwirkung des Salzes kann dabei die 
elastische Haut keine Grenzen setzen. Wies ja doch Schweigger- 
Seidel?) darauf hin, dass dies selbst die dicke Tunica propria 
testis nicht vermag, durch welche hindurch auf deren Inhalt der 
Einfluss des Silbers in keiner Weise gestört wird. Die grosse Be- 
ständigkeit in der Querstellung jener Silberalbuminfäden aber muss 
sich aus der natürlichen Tendenz ausgeschnittener Gefässe, sich 
vorzüglich der Länge nach zu verkürzen, leicht erklären. Denn die 
durch sie erzeugte Querfaltung der mittleren Gefässhaut bestimmt 
unbedingt die Lagerung der coagulirenden Schichten. Es lässt sich 
dieser causale Zusammenhang dadurch unmittelbar beweisen, dass 


1) Isolirte Silberstränge bei stärkerer Vergrösserung. 
2) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig vom Jahr 1866. 
Seite 165. 


Kittschichten in den Wandungen der Gefässe. 285 


man das frisch mit Silber imbibirte Gewebe in wasserarmem Wein- 
geist stark schrumpfen lässt. So mannichfaltig unter diesen Be- 
dingungen die Gefässmembranen verzerrt werden, so vielgestaltig 
werden die Gerinnungsfiguren, dienun in der Gefässwand sich zeigen. 

Natur und Charakter der beschriebenen Silberbilder sind in 
mehrfacher Beziehung einer Beachtung wohl werth. Wie sie einer- 
seits für manche zuweilen schwer verdächtigte!) Eigenthümlichkeit 
und Inconstanz in der Wirkung der Silbermethode das materielle 
Substrat kennen lehrt, so zeigt sie anderseits doch auch, dass ein- 
fache Producte der Gerinnung in Form und Anordnung in hohem 
Grade beständig sein können. Vor Allem aber stellen sie die 
Existenz albuminöser Schichten fest, denen wahrscheinlich die Func- 
tion eines Kittes in derselben Weise zwischen ganzen Gewebslagern 
zukommt, wie sie zwischen den Gewebselementen, den Zellen, jenem 
eiweissartigen Bindemittel eigen ist, das beispielsweise Kölliker, 
Moleschott und Reichert in den Interstitien der glatten Muskeln 
undRollett zwischen den Fibrillen desBindegewebes dargestellt haben. 

Auf die Gegenwart einer dünnen Eiweissschicht unter den 
Endothelien der serösen Häute hat bereits vor mehreren Jahren 
Schweigger-Seidel?) aufmerksam gemacht. Auch unter denen 
der Blut- und Lymphgefässe ist eine Schicht nachweisbar, die unter der 
Einwirkung des Silbers sich bräunt und in mannichfaltigen Formen 
gerinnt, die die Reactionen des Silberalbumin zeigt und sich leicht 
frei darstellen lässt, wenn die Endothelzellen selbst durch Essigsäure 
und vorsichtige Anwendung des Ammoniak zerstört und fortge- 
schwemmt werden. Diese Schicht scheint jedoch noch eine höhere 
Bedeutung neben der eines einfachen Kittes zu besitzen. Wahrschein- 
lich muss sie im Sinne Tourneux’s?) auch als ein protoplasmati- 
sches Keimlager aufgefasst werden, aus dem erst die Endothelplatten 
hervorgehen. 


1) Vgl. Adler: Zeitschrift für rationelle Med. Bd. XXI. S. 160. Fe- 
dern: Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1866. S. 468. Harpeck, 
Hartmann: Du Bois’ und Reichert’s Archiv. 1866. S. 222 und 235. 
Robinski, Feltz: Robin’s Journal de l’Anat. etc. 1869. S. 184 und 1870. 
Seite 71. 

2) L. c. S. 165. 

3) Robin’s Journal de l’Anat. etc. 1874. p. 68. 


Königsberg, Februar 1874. 


Hyalonema Sieboldi Gray. 


Von 
Dr. H. Küstermann 


aus Lübeck. 


— 


(Hierzu Tafel XVI.) 


Das naturhistorische Museum in Lübeck erhielt vor kurzem 
vier Exemplare Hyalonema Sieboldi von der Insel Enosima bei Joko- 
homa, welche mir geeignet erscheinen, einen neuen Lichtstrahl auf 
die noch nicht bis zu allseitiger Anerkennung aufgeklärte Ent- 
stehungsweise und Verwandtschaft dieses wunderbaren Gebildes zu 
werfen. 

Der ganze Schwammkörper ist leider an keinem unserer Exem- 
plare erhalten, wohl aber zeigen drei mit einer lederartigen Polypen- 
rinde überzogene Individuen an ihrem zugespitzten Ende zwischen 
den langen Kieselfäden einen Filz von zarten Kieselnadeln, die auf 
ein früheres Vorhandensein des Schwammes schliessen lassen. 

Das vierte Exemplar ist ohne Polypenüberzug und an seinem 
verjüngten Ende auf künstliche Weise zusammengehalten durch 
spiralige Umwicklung mit häutigen Pflanzengebilden, die im Wasser 
gallertartig aufquellen und sich durch ihre mehrschichtige feinzellige 
Structur als zur Gattung Ulva L. gehörig ausweisen. 

Unter den drei mit Polypenrinde versehenen Hyalonemen sind 
nun wiederum zwei, welche durch einen beachtenswerthen Zufall 
schon bei makroskopischer Besichtigung die Ueberzeugung auf- 
drängen, dass die langen in lockerer Spirale gewundenen Kiesel- 
fäden das Primäre sind, womit die mit Polypenköpfchen besetzte 
Rinde in durchaus keinem organischen Zusammenhange steht. Diese 


Hyalonema Sieboldi Gray. 287 


tragen nämlich ziemlich am Ende des Polypenüberzuges jede ein 
Haifischei, welches mit seinen langen Haftfäden den Kieselstrang 
umwindet und zwar so, dass die Eifäden den Kieselnadeln direct 
aufliegen. Bei dem Exemplare, welches Fig. 1 in !/; der natürlichen 
Grösse darstellt, setzt sich die Polypenrinde, welche oberhalb der 
Eifadenspirale eine geschlossene Röhre um den Kieselstrang bildet, 
nur an einer Seite über die Eifäden fort (Fig. 2, natürliche Grösse), 
an einer Stelle (Fig. 2a) eine nur 1 Millim. breite Brücke über den 
etwa 2 Millim. weiten Abstand zwischen zwei Eifadenumwindungen 
bildend, ein andermal (Fig. 2b), eine etwas abstehende Eifaden- 
krümmung von allen Seiten umhüllend, um dann unterhalb des 
Haifischeies (Fig. 2c) wieder zu einer den Kieselstrang allseitig um- 
schliessenden Manschette zusammenzufliessen. Während die Polypen- 
rinde ober- und unterhalb der Eifadenspirale mit wohl entwickelten 
Köpfchen dicht besetzt ist, sind auf der sich über die Fäden hin- 
ziehenden Partie nur ein paar kümmerliche, kaum vorragende 
Köpfchen zu bemerken. 

Bei dem andern Exemplare wulstet sich die Polypenrinde vor 
den hier dichter aneinanderliegenden Eifadenumwindungen auf, um 
sie nur an einer Stelle zu überwallen, ohne sich jedoch unterhalb 
derselben wieder zu einer den Kieselstrang umschliessenden Röhre 
zu erweitern. 

Wie diese Erscheinungen nach der noch 1866 von Gray auf- 
rechterhaltenen Theorie‘), wonach der Kieselstrang Axe und Pro- 
duct des Polypenüberzuges sein soll, zu erklären sei, scheint mir 
unerfindlich. 

Unser viertes, künstlich zusammengehaltenes Exemplar führt 
zu einem Aufschluss über den auf den ersten Blick befremdenden 
Umstand, dass fast alle?) nach Europa gebrachten Hyalonemen mit 
einer mehr oder weniger vollständigen Polypenrinde überzogen sind. 
Diese ist nämlich das Mittel, wodurch die unter sich keinen Zu- 
sammenhalt habenden langen Kieselfäden vor dem Zerfallen bewahrt 
bleiben. Noch lebende Exemplare werden durch den Schwamm- 


1) Vergl. Ueber Hyalonema von Max Schultze. Archiv für mikros- 
kopische Anatomie, III. Bd. 1867. p. 206. 


2) M. Schultze vermisste den Polypenüberzug an drei der Leydener 
Exemplare. M. Schultze, Die Hyalonemen, Bonn 1860. p. 6. 


288 Dr. H. Küstermann: 


körper, dessen Spuren nie fehlen, an einem Ende zusammengehalten !). 
Abgestorbene dagegen werden bald in einzelne Fäden zerfallen; es 
sei denn, dass sie durch den parasitischen Polypen mit einem Ver- 
bande umgeben wurden, oder dass die mit dem Zerfallen drohenden 
Exemplare durch künstliche Umwicklung eine verkäufliche Form 
erhielten. Grund genug, dass fast alle in den Handel kommenden 
Hyalonemen einen Polypenüberzug haben, während vielleicht den 
meisten noch auf dem Meeresgrunde befindlichen Individuen solcher 
Ueberzug fehlt. 

Die mikroskopische Untersuchung unserer Hyalonemen war im 
ganzen nur eine Bestätigung des von M. Schultze in seiner treff- 
lichen Monographie bereits durch Wort und Bild bekannt gemachten. 
Nur auf folgende Punkte glaube ich noch aufmerksam machen zu 
sollen: 

Während M. Schultze an den von ihm untersuchten Exem- 
plaren die Spitzen an beiden Enden der langen Kieselfäden stets 
abgebrochen fand ?), fielen mir gleich bei Durchmusterung der Baum- 
wolle, in welche unsere Hyalonemen in Japan verpackt worden 
waren, durch Zufall einige Nadelsegmente in die Hand, die sich 
durch ihren characteristischen Häckchenbesatz als Endstücke von 
langen Kieselfäden zu erkennen gaben, und zwar als letzte Spitzen 
des dem Schwammkörper gegenüberliegenden Endes. Später ent- 
deckte ich auch inmitten des besterhaltendsten Kieselstranges noch 
einige bis zum äussersten Ende unversehrte Nadeln, wodurch sich 
offenbarte, dass die besprochenen Nadeln an dem freien Ende nicht, 
wie M. Schultze am angeführten Orte vermuthet, in eine feine 
Spitze auslaufen, sondern mit einem Knöpfchen enden (Fig. 3. ?5%/,), 
welches an der der Nadel zugekehrten Seite die Rudimente von 
wahrscheinlich vier Ankerspitzen erkennen lässt. 

Dicht vor dem Ankerknöpfchen hat die abgebildete Nadel einen 
Durchmesser von 0,04 Mm., während der grösste Durchmesser des 
Ankers 0,085 Mm. beträgt. Der Centralkanal, oder nach Kölliker?°) 
besser Centralfaden, hört 0,019 Mm. vor dem Ende der Nadel auf 


1) Auf solche Weise scheint das von M. Schultze in seiner oben 
eitirten Monographie p. 8 beschriebene und Tafel I abgebildete Exemplar vor 
dem Auseinanderfallen geschützt zu sein. 

2) Die Hyalonemen. p. 13. 

3) Kölliker, Icones histiologicae. I. Abth. p. 59. 


Hyalonema Sieboldi Gray. 289 


und trägt kurz vor seinem Ende ein rechtwinkliges Fadenkreuz, 
dessen vier Arme circa 0,003 Mm. lang sind. 

Wenn irgend etwas, so scheint mir diese Beobachtung für die 
nahe Verwandtschaft von Hyalonema Sieboldi und Euplectella asper- 
gillum zu sprechen; denn auch diese läuft in einen Schopf langer 
Kieselnadeln aus, die ebenfalls eine Strecke vor ihrem Ende mit 
Widerhäckchen besetzt sind und als Endapparat einen Anker tragen, 
der sich von dem des Hyalonema nur durch die Sechszahl seiner 
schlankeren Arme und das dreiaxige Fadenkreuz unterscheidet. Das 
andere Ende der langen Kieselnadeln, welches oft noch vom Schwamm- 
körper eingehüllt gefunden wurde, war auch bei unsern Hyalonemenv 
stets abgebrochen. 

Bei der auf diesen Punkt gerichteten Untersuchung entdeckte 
ich einen langen Kieselfaden, der sich etwa 50 Mm. vor seinem zu- 
gespitzten Ende gabelt. Interessant ist die Stelle kurz vor der 
Gabelung, wo statt des einen Centralfadens zwei unter sehr spitzem 
Winkel auseinander laufende Fäden auftreten (Fig. 4). 

Es macht diese Stelle den Eindruck, als ob mit der abge- 
brochenen Spitze einer langen Nadel seitlich mehrere sehr kleine 
sternförmige und vorn zwei stabförmige Nadeln verschmolzen wären, 
die dann später mit der ursprünglichen Nadel noch durch mehrere 
gemeinsame Verdickungsschichten überzogen wurden. Der Vergleich 
mit der Pfropfstelle eines Baumastes liegt um so näher, als auch 
der Verlauf der Schichtungslinien lebhaft an die Figuren erinnert, 
welche die Jahresringe auf einem ästigen Brette bilden. 

Eine Unterbrechung des Centralfadens fand ich auch noch bei 
einer andern langen Kieselnadel mehr in der Mitte derselben (Fig. 5), 
in welcher neben dem zur Seite gebogenen einen Fadenende zwei 
andere Fäden anfangen, von denen aber der eine alsbald wieder 
aufhört. 

Vielleicht könnten die beiden besprochenen von mir in Canada- 
balsam aufbewahrten Präparate in den Händen eines geschickteren 
Beobachters einen Beitrag zur Bildungsgeschichte der Kieselnadeln 
liefern, wozu auch die mannigfaltigen Missbildungen geeignet sein 
dürften, die ich an den kleinen kreuz- und sternförmigen Nadeln 
in den Resten des Schwammkörpers zu bemerken Gelegenheit hatte. 

Verschmelzung ursprünglich selbstständiger Kieselgebilde durch 
später an- und zwischengelagerte Kieselsubstanz findet auch in 
andern Spongien statt. Ich habe solche häufig in dem sogenannten 


290 Dr. H. Küstermann: 


Flickgewebe von Euplectella aspergillum beobachtet. G. O. Sars 
sagt über solche Verkittung mehrerer Nadeln in den Stämmen und 
Zweigen der seltsamen und zugleich seltenen Cladorhiza abyssicola 
M. Sars, die bei den Lofoten aus einer Tiefe von 300 Faden 
heraufgeholt wurde!): 

»Closer investigation shews that the whole sponge is supported, 
and receives its form by means of numerous very long siliceous spi- 
cula of the form called by Bowerbank fusiformi-acuate, which lie 
longitudinally close together, and are united with each other by a 
cementing substance in close and solid fascicles.« 

In derselben Schrift lese ich auch die Beschreibung von Hya- 
lonema longissimum M. Sars, welches bei den Lofoten nicht selten 
in einer Tiefe von 120—300 Faden gefischt wird, in deren Einleitung 
Sars von einem Hyalonema boreale spricht, dessen nahe Verwandt- 
schaft mit Hyalonema Sieboldi aus Japan Professor Lov&n gezeigt 
und durch deren Bekanntmachung derselbe die zahlreichen Miss- 
verständnisse über die Natur des letzteren vollständig berichtigt 
habe. Leider war mir Loven’s hierauf bezügliche Schrift nicht 
zugänglich, doch möchte ich auf die Gefahr hin, bereits besser Ge- 
sagtes zu wiederholen, eine Bemerkung nicht unterdrücken, zu 
welcher die Vergleichung von Hyalonema longissimum mit Hyalonema 
Sieboldi auffordert. Wenn es mir auch etwas gewagt erscheint, die 
beiden obengenannten Schwämme unter einem Gattungsbegriff zu- 
sammenzufassen, so ist doch auf jeden Fall die Familienverwandt- 
schaft derselben eine so nahe, dass es gerechtfertigt erscheint, unsere 
Vorstellung von dem einen durch Vergleiche mit dem andern zu 
ergänzen und zu berichtigen. Dies zugegeben, müssen wir die Aus- 
drücke »oben« und »unten«, wie sie bisher auf Hyalonema Sieboldi 
angewandt wurden, vertauschen. Der Schwammkörper ist das obere 
freischwimmende Ende des Hyalonema, während sich die entgegen- 
gesetzten Enden der langen Glasfäden mit ihren Häckchen und 
Ankern unten am Meeresgrunde festnestelten. Dies lehrt eine Be- 
trachtung der Figuren 6 und 7. 


Figur 6 ist eine Copie der Abbildung von Hyalonema lon- 
gissimum aus der citirten Schrift von Sars. Fig. 7 zeigt uns ein 


1) On some remarkable forms of animal life from the great deeps off 
the Norwegian coast by G. 0. Sars. Christiania 1872. p. 66. 


Hyalonema Sieboldi Gray. 291 


H. Sieboldi des Leidener Museums nach der Zeichnung von M. 
Schultze®!) in 1/; natürlicher Grösse, 

H. longissimum war mit dem unteren Stielende am Boden be- 
festigt und kehrte die konisch ausgestülpte Ausflussöffnung (osculum) 
nach oben. Ebenso verankert sich Euplectella aspergillum mit 
ihrem Haarschopfe im Meeresgrunde und zeigt mit der Siebplatte 
nach oben. 

Wie sollte dies bei H. Sieboldi umgekehrt sein, dessen abge- 
stutztes Schwammende ebenfalls grössere mit dem Innern commu- 
nicirende Ausflussöffnungen aufweist, von denen nicht anzunehmen 
ist, dass sie dem Boden aufgesessen haben. 

Für diese Annahme spricht auch der Umstand, dass der Schwer- 
punkt des Kieselschopfes, dessen spec. Gewicht grösser als 1 ist, 
bedeutend mehr nach dem mit Ankern ausgerüsteten Ende hinliegt, 
als nach dem Schwammkörper, welcher gewiss kaum ein ebenso hohes 
spec. Gewicht als die Kieselsubstanz besass. Wie aber ist die aus 
Fig. 1 und 2 ersichtliche Richtung der Haifischeier an unsern Hya- 
lonemen mit meiner Ansicht über das Oben und Unten desselben in 
Einklang zu bringen? Anfänglich war ich nach einem Versuche mit 
einer getrockneten Selarchiereischale, welche mehrere Tage in ge- 
wöhnlichem Wasser schwimmend blieb, geneigt, die Aufwärtskrüm- 
mung der Eier durch den Auftrieb des Wassers zu erklären. 

Da machte mir aber Herr Dr. Dorner die gütige Mittheilung, 
dass nach seinen Erfahrungen im Hamburger Aquarium die Haifisch- 
eihülsen auch nach dem Ausschlüpfen der Jungen unverändert an 
ihrer Stelle hängen bleiben, also specifisch schwerer sind, als See- 
wasser. Die Windung der Eifäden von oben nach unten ist aller- 
dings solchem specifischen Gewichte entsprechend; wie es aber zu- 
geht, dass die Eier selbst, nach oben gebogen sind, bleibt unerklärt, 
man müsste denn annehmen, dass sie beim Umfallen des absterben- 
den Hyalonema ihre Aufwärtskrümmung erhalten hätten. 

Hoffentlich gelingt es, diesem Wunsche möchte ich zum Schluss 
noch Ausdruck geben, Herrn Peacock in Jokohama, dem unser 
Museum seine schönen Hyalonemen verdankt, durch Uebersendung 
eines Spiritusexemplares, die endliche Feststellung der Naturgeschichte 
des interessanten Thieres zu ermöglichen. 


1) M. Schultze, Die Hyalonemen. Taf. H. Fig. 2. 


Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd 11, 20 


Untersuchungen über die Entwicklung der 
Spermatozoiden. 


Von 
E. Neumann, 


Prof. in Königsberg ı. Pr. 


(Hierzu Taf. XVII.) 


1. Die Entwicklungsvorgänge bei Rana temporaria !). 


Die reifen Samenfäden unseres braunen Grasfrosches stellen 
sich bekanntlich als äusserst zarte, an beiden Enden zugespitzte 
Nadeln dar, an welchen man leicht einen hinteren fadenförmigen, 
oft etwas eingebogenen und geschlängelten und einen vorderen, etwas 
diekeren, zugleich starreren und stärker glänzenden Theil unter- 
scheidet. Beide Theile, gewöhnlich als Schwanz und Kopf unter- 
schieden, scheinen, im frischen Zustande untersucht, ohne auffällig 
markirte Grenze ineinander überzugehen, dennoch lässt, sich bei 
genauerer Betrachtung aus der Differenz des Durchmessers und des 
Lichtglanzes der Punkt bestimmen, wo die Verbindungsstelle beider 
sich befindet und es lässt sich ferner constatiren, dass die scharfe 
vordere Spitze des Kopfes sich in Etwas von dem übrigen ceylin- 
drischen Theile desselben unterscheidet, sie ist blasser, nicht so stark 
glänzend und häufig in verschiedenen Winkeln von ihm abgebogen 
und leicht hakenförmig gekrümmt. Zuhülfenahme von Reagentien 
verschafft uns in der That die Ueberzeugung, dass die Samenfäden 
der Rana temporanea dieselbe dreifache Gliederung in ihrer Structur 
besitzen, wie sie Schweigger-Seidel?) für eine grössere Zahl von 


1) Vergleiche meine vorläufige Mittheilung im Centralbl. f. medizin. 
Wissenschaft. 1868. Nr. 24. 

2) Schweigger-Seidel über die Samenkörperchen und ihre Entwick- 
lung. Archiv f. mikrosk. Anatomie. I p. 309. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 295 


Wirbelthieren nachgewiesen und als allgemeingültiges Gesetz ab- 
strahirt hatte, auch sie bestehen, um mich der bekannten Terminologie 
des genannten Forschers zu bedienen, aus einem Kopf, einem Mittel- 
stücke und einem Schwanz, wobei allerdings zu bemerken, dass das 
Verhältniss dieser drei Theile zu einander ein wesentlich anderes 
ist, als es Schweigger-Seidel für Rana esculenta angegeben hat. 

Da es bisher andern Untersuchern nicht geglückt zu sein 
scheint, die erwähnte Zusammensetzung an den Samenfäden unserer 
Froschspecies warzunehmen (Schweigger-Seidel selbst erwähnt 
sie nicht), so muss ich anführen, dass ich ein gutes Mittel, um die 
drei Abschnitte auf’s schärfste gesondert hervortreten zu lassen, in 
einer dünnen wässrigen Haematoxylin-Lösung (bereitet durch Mischung 
einer Solutio Extr. Gampechiani mit Alaunlösung), welche ich dem 
frischen Sperma auf dem Öbjectglase zufüge, gefunden habe. Der 
Vortheil, den dieselbe darbietet, ist ein doppelter: 1) färbt dieselbe 
ausschliesslich das Mittelstück und zwar mit grosser Leichtigkeit, 
so dass dasselbe in wenigen Minuten eine intensiv blaue Farbe an- 
nimmt und 2) quillt das Mittelstück dabei zu einem cylindrischen 
oder walzenförmigen Körper von 0,002 bis 0,003 Mm. Durchmesser 
auf, während es ursprünglich eine kaum messbare Dicke besitzt; 
zugleich verliert es seinen Glanz, seine Contouren werden blass und 
gewöhnlich geht es aus der gestreckten Form in eine geschlängelte 
über, indem es unter Bildung zahlreicher wellenförmiger Biegungen 
und Knickungen gleichsam zusammenschnurrt und sich natürlich 
alsdann verkürzt. Die ungefärbt bleibenden und keine Spur von 
Quellung zeigenden Endstücke, Kopf und Schwanz, zeichnen sich 
nunmehr, gerade umgekehrt wie in natürlichem Zustande, durch 
einen etwas stärkeren Glanz und schärfere Umrisse vor dem blassen, 
gequollenen Mittelstücke aus, an dessen kolbig abgerundeten Enden 
sie sich inseriren, der Kopf als kurzer, leicht gekrümmter spitzer 
Haken, der Schwanz als dünner, gleichmässig breiter, meist hie 
und da geknickter Faden. Die Verbindungslinie beider stellt die 
imaginäre Achse des gequollenen Mittelstückes dar. In dieser Um- 
gestaltung bietet der Samenfaden das in Fig. 1 B dargestellte Bild 
dar, während Fig. 1A dem natürlichen Zustande entspricht !). 

Was nun die Längenverhältnisse der drei Abschnitte betrifft, 
so zeigt sich in der starken Entwicklung des Mittelstückes auf 


1) Es sei hier noch bemerkt, dass das Anilin-Roth in Bezug auf Fär- 
bung des Mittelstückes dieselben Dienste leistet, wie das Haematoxylin. 


294 E. Neumann: 


Kosten des Kopfes ein auffälliger Contrast zu den Samenfäden der 
Rana esculenta, bei welchen das Mittelstück einen nur winzigen, 
zwischen Kopf und Schwanz eingeschalteten Theil darstellt. Fol- 
gende Zusammenstellung von Maassen, bei welcher ich für die letz- 
tere Species die Daten der citirten Abhandlung von Schweigger- 
Seidel entnehme, wird am besten den Unterschied zeigen: 


Kopf. Mittelstück. Schwanz. 
R. esculenta 0,0140 0,0025 0,040 
R. tempor. 0,0066 0,0330 0.045 


Diese letzteren Maasse sind zwar keineswegs constant, indessen 
betreffen die Abweichungen, wie ich finde, fast ausschliesslich Mittel- 
stück und Schwanz, welche ich selbst eine Länge von 0,048 resp. 
0,06 erreichen sah, während der kleine Kopf jedenfalls nur inner- 
halb sehr enger Grenzen schwankt '). 

Fragen wir nach der Bedeutung der einzelnen Theile der Samen- 
fäden der R. temp., so ergiebt sich schon aus dem Gesagten hin- 
reichend, auf wie grosse Schwierigkeiten die Deutung derselben imSinne 
Schweigger-Seidel’s stösst. Seine an den Samenfäden der Rana 
esculenta gemachten Beobachtungen haben denselben bekanntlich zu 
der Ansicht geführt, dass jeder Samenfaden eine eigenthümlich modi- 
fieirte Zelle darstellt, indem das Köpfchen aus dem Zellkern, das 
Mittelstück aus der Zellsubstanz hervorgehen und der Schwanz einem 
Wimperhaar entsprechen soll. Die von Schweigger-Seidel für 
R. esculenta angegebenen Reaktionen der Samenfäden und ihrer ver- 
schiedenen Abschnitte würden mit dieser Auffassung allerdings in 
Einklang zu bringen sein, nicht so unsere Erfahrungen bei der 
R. temporanea. Abgesehen davon, dass der Kern der Bildungszellen 
der Samenfäden auf’s Aeusserste verkümmert sein müsste, wenn er 
sich schliesslich auf das von mir als Kopf beschriebene Kleine 
Häkchen reduciren sollte, welches an Dicke den Schwanz kaum 
übertrifft, so spricht namentlich der Umstand, dass das Haemato- 
xylin, welches sonst alle Kerngebilde lebhaft färbt, den Kopf völlig 
farblos lässt, dagegen das Mittelstück stark imbibirt, gegen die Gleich- 


1) Ankermann (Einiges über die Entwicklung und Bewegung der 
Samenfäden des Frosches. Zeitschr. f. wissensch. Zool. VII. p. 129), der nur 
zwischen Kopf (Griff) und Schwanz unterscheidet, indem er, wie es bisher 
immer geschehen ist, das Mittelstück ersterem zurechnet, hat für dieselben 
Maassbestimmungen gegeben, welche offenbar suf einem Irrthum beruhen. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 295 


stellung des ersteren mit einem Zellkerne; viel eher liesse sich an 
die Möglichkeit denken, dass das Mittelstück den Zellkern reprä- 
sentirt, während das Köpfchen der Rest des’ Protoplasmas der Zelle 
wäre, so dass also beide Theile umgekehrt sich verhielten, wie bei 
R. escul., eine Möglichkeit, welche übrigens schon Schweigger- 
Seidel (l. c.) für die Samenfäden des Triton taeniatus andeutet. 
Von Entscheidung für die Auffassung der genannten Theile muss 
jedenfalls das sein, was uns das Studium der Entwicklung der Samen- 
fäden lehrt. 


Ohne mich auf genauere historische Angaben über ältere die 
Genese der Samenkörper betreffende Ansichten einzulassen, sei hier 
nur daran erinnert, dass Ankermann in seiner unter Leitung 
meines geehrten Collegen v. Wittich angefertigten Dissertation !) 
der Erste gewesen zu sein scheint, welcher die Entwicklung der ein- 
zelnen Samenfäden aus kernhaltigen Zellen ableitete (»der Kern 
wächst zum Griff (i. e. Kopf) aus und verlässt zum Theil die Zelle, 
während an dem anderen noch in der Zelle verbleibenden Ende des- 
selben der Schwanz sich ansetzt«). In ganz ähnlicher Weise hat 
Schweigger-Seidel am Schluss seines erwähnten Aufsatzes den 
Vorgang der Entwicklung skizzirt, leider freilich ohne ausführlichere 
Mittheilung seiner betreffenden Beobachtungen: »im Samen, welcher 
dem Hoden entnommen, bemerkt man langgestreckte Zellen, in deren 
eines Ende sich der stäbchenförmige Kern eingelagert hat, während 
das andere zu einem Wimperhaar auswächst,; die eigentliche Zell- 
substanz schwindet bei der weiteren Ausbildung immer mehr, bis 
von ihr nur noch ein kleines, zwischen Wimperhaar und Kern ein- 
geschobenes Stückchen (i. e. das Mittelstück) übrig bleibt.« Diesen, 
auf die Samenfäden der Rana escul. sich beziehenden Angaben der 
beiden genannten Autoren schliessen sich im Wesentlichen die neuern 
Resultate v. la Valette St. George’s?) bei Rana temporaria an, 
auch hier sollen nach ihm die Samenkörper aus Zellen hervorgehen, 
»indem der Kern heller, länger und schmäler werdend in den dickeren 
Theil des Samenfadens übergeht, während der Faden, wenn auch 


l) Ankermann de moturum et evolutione filorum spermaticorum Regi- 
monti 1854. Vgl. auch Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1. c. 

2) v. la Valette St. George, Entwicklung der Samenkörperchen 
beim braunen Grasfrosch, Centralblatt für die medicinische Wissenschaft: 
1868. Nr. 40, sowie in Stricker’s Gewebebelehre, Artikel „Hoden‘“. 


296 E. Neumann: 


schon frühe mit dem Kerne in Verbindung, aus der Zellsubstanz 
hervorgeht.« Von der Unterscheidung eines besonderen Mittelstückes 
ist bei v. la Valette St. George nicht die Rede, vielmehr geht 
aus seiner Darstellung und der beigefügten Abbildung (Stricker 
l.c. p.541) deutlich hervor, dass er das von mir beschriebene wirk- 
liche Mittelstück, d. h. den dickern Theil des Samenkörpers, für den 
Kopf gehalten, und dass er demnach, nach Analogie der Schweigger- 
Seidel’schen Angaben über Rana esculanta, an der Grenze zwischen 
diesem dickeren Theil unddem Schwanze nach dem Mittelstücke gesucht 
hat, wo denn auch die Abbildung einige Andeutungen davon zeigt. 

Diesen Ansichten gegenüber ist von anderen Seiten her für 
die Entwicklung der Samenfäden beim Frosche ein besonderes Ge- 
wicht gelegt worden auf das leicht constatirbare Faktum, dass man 
innerhalb der Hoden sehr constant die Samenfäden zu Bündeln, oder 
richtiger gesagt, zu pinselartigen Büscheln vereinigt findet in der 
Art, dass sie mit ihren Köpfen in eine Protoplasma-Masse einge- 
pflanzt erscheinen, während die Schwänze, wie die Haare eines Pinsels, 
entweder einfach auseinanderweichen, oder (und das ist der häufigste 
Fall) in nach aussen gekrümmtem Verlauf sich mit ihren Enden 
wieder einander nähern, so dass das ganze Büschel in der Mitte 
oder etwas unterhalb derselben spindelförmig ausgebauscht erscheint. 
Schon Remak!) erkannte, dass diesen Samenfädenbüscheln ausserdem 
ein grosser Zellenkern zukommt, der am Kopfende der Fäden seine 
Lage hat und er scheint dieselbe daher als Zellen zu deuten, inner- 
halb deren sich die Samenfäden gebildet hätten, ohne jedoch Näheres 
über den Bilduugsmodus anzugeben. Später sind die Auffassungen 
der verschiedenen Untersucher in Betreff dieser Gebilde sehr aus- 
einandergegangen. A’nkermann (l. c.), der den Zellkern bei 
ihnen übersah, bezieht sie auf regressive Umbildungen, welche die 
Samenfäden im Falle der Nichtentleerung durch die Vasa eflerentia 
. im Hoden erleiden, er nimmt an, dass die Griffe der Samenfäden 
dabei einfach »durch eine von den Hohlräumen des Testikels abge- 
sonderte glutinose Masse verklebt würden.« Bemerkenswerth sind 
die von ihm beschriebenen weiteren Stadien dieses angeblichen Rück 
bildungsprozesses, worauf ich später noch zurückkomme. Kölliker‘) 


1854. p. 253. 
2) Kölliker, Physiologische Studien über die Samenflüssigkeit. Zeit- 
schrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. VII. p. 201. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 297 


protestirt gegen diese Ankermann’sche Rückbildungstheorie und 
restituirt vielmehr die Remak’sche Ansicht, dass es sich um einen 
Entwicklungsvorgang handelt: in Zellen, welche mit einer grösseren 
Zahl von Kernen versehen seien, sollen diese Kerne, mit Ausnahme 
eines unverändert zurückbleibenden, sich zu Samenfäden umbilden 
und diese alsdann in Form von Büscheln schliesslich aus der Zelle 
hervortreten, um später unter Umständen, im Zusammenhange mit 
der Zelle, aus der sie hervorgegangen, bleibend, eine Rückbildung 
zu erfahren. Ich selbst habe in meiner ersten vorläufigen Mit- 
theilung bemerkt, dass ich diese Entstehungsweise der Samenfäden- 
büschel aus vielkernigen Mutterzellen nicht hätte constatiren können, 
sprach mich vielmehr dahin aus, dass sie einer partiellen Zerspaltung 
und Differenzirung des Zellprotoplasmas ihren Ursprung verdanken, 
und verglich sie mit den Cilien der Flimmerepithelien. v. la Va- 
lette St. George endlich erklärt das Zustandekommen der Sper- 
matozoidenbüschel in der Weise, dass die kleinen Zellen, durch deren 
Metamorphose er, wie angegeben, die einzelnen Samenfäden entstehen 
lässt, immer in grosser Zahl zunächst in einer »Hodenkugel« einge- 
schlossen sind, welche ausser dieser Zellbrut noch einen oder meh- 
rere Kerne enthält; nachdem die Membran dieser »Hodenkugel« ge- 
platzt ist, würde alsdann das noch nicht verbrauchte Protoplasma 
derselben die Samenkörper im Bündel verkleben, an deren einem 
Ende man die Kerne eingelagert findet. 

Ich gebe in Folgendem nunmehr eine ausführlichere Darstellung 
meiner Untersuchungen. Ich wählte zu denselben Frösche, welche 
in den ersten sonnigen Frühlingstagen aus ihren Schlupfwinkeln 
hervorgekommen, dem Begattungsgeschäft oblagen. Wenn sich 
gegen diese Wahl a priori bemerken liesse, dass in dieser Periode 
eine Entwicklung von Samenfäden sich nicht mehr erwarten liesse, 
dieselben vielmehr fertig gebildet nur ihrer Entleerung harrten, so 
wird dies durch die Beobachtung, wie wir sehen werden, keineswegs 
bestätigt, dieselbe führt uns Bilder vor, welche nur auf eine noch 
fortgehende Entwicklung neuer Samenfäden bezogen werden können. 
Die von mir angewandten Untersuchungsmethoden bezweckten theils 
eine Isolation der einzelnen Elemente, theils eine für die Schnitt- 
führung geeignete Erhärtung. Ersteres erreichte ich durch Mace- 
ration in dünnen Chromsäure-Lösungen oder Jodserum oder durch 
Einlegen in 1°), Ueberosmium-Säurelösungen; für die Erhärtung 
ist ebenfalls letztere Methode brauchbar, da der Hoden dabei in 


298 E. Neumann: 


24 Stunden eine für die Anfertigung feiner Schnitte sehr angenehme 
Consistenz gewinnt, während dies in Müller’scher Flüssigkeit viel 
langsamer, aber ebenfalls in einer die Structurverhältnisse vortreff- 
lich conservirenden Weise gelingt. 

Betrachten wir zunächst die durch Zerzupfen gewonnenen Iso- 
lationspräparate, so lassen sich, wie ich finde, zwei Kategorieen 
zelliger Gebilde, welche sich hauptsächlich durch die verschiedene 
Beschaffenheit ihrer Kerne unterscheiden, auseinanderhalten; die 
Kerne der einen sind annähernd rund, gross (im Durchmesser 
zwischen 0,013 bis 0,02 Mm. schwankend), und mit gleichfalls sehr 
grossem (0,002 bis 0,003 Mm.), glänzendem, meist einfachem, häufig 
aber auch mehrfachem Nucleolus versehen; die Kerne der andern 
sind länglich oval (durchschnittlich von 0,016 Mm. Länge und 0,005 
Mm. Breite) und haben einen oder mehrere kleine punktartige Kern- 
körperchen. Was die zu diesen beiden Kernarten gehörigen Zellen 
betrifft, so ist die Form derselben im Allgemeinen der Kernform 
analog, zu den rundlichen Kernen gehören Zellen von annähernd 
kugliger Gestalt (Fig. 2), zu den länglichen Kernen Zellen, welche 
eine langausgezogene Spindelform besitzen (Fig. 3). Die ersteren 
haben runde oder etwas eckige Umrisse, welche den Kern nur in 
geringem Abstande umfassen, so dass letzterer demnach von einem 
schmalen und zwar blassen, seltener granulirten Protoplasma-Saum 
umgeben erscheint. Oft liegen diese Zellen zu 2, 3, 4 und mehr 
bisquit- oder semmelartig zusammen und bilden Zellketten oder sie 
setzen mehr rundliche Gruppen zusammen, von denen es mitunter 
schwer zu entscheiden ist, ob sie aus vollständig separirten Zellen 
bestehen oder vielmehr eine grössere Zelle mit mehreren Kernen 
darstellen. Sicher ist das Vorkommen letzterer ebensowohl als der 
Befund von Zellen mit grossen, in Theilung begriffenen (d. h. einge- 
schnürten) Kernen, so dass wir wohl annehmen dürfen, dass diese 
Zellen in einem lebhaften Proliferationsprozess sich befinden. Sie 
entsprechen offenbar den runden Hodenzellen der Säugethierhoden 
und wenn ich in meiner ersten vorläufigen Mittheilung dieselben mit 
den sogleich näher zu beschreibenden Zellen der zweiten Art in eine 
Entwicklungsreihe gebracht und sie als Vorbildungsstufen der letz- 
teren betrachtet habe, so halte ich gegenwärtig eine solche Um- 
bildung derselben nicht für wahrscheinlich; wenn auch beide Zellen 
vielleicht auf eine gemeinsame ursprüngliche Form zurückzuführen 
sind, so hat sich doch zu der Entwicklungsperiode, von der wir 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 299 


handeln, bereits ein deutlicher, durch keine Uebergangsformen ver- 
mittelter Gegensatz zwischen ihnen differenzirt. 

Für die Zellen mit länglichen ovalen Kernen will ich in Ueber- 
einstimmung mit der .von v. Ebner für die entsprechenden Zellen 
des Säugethierhodens gewählte Terminologie die Bezeichnung Sper- 
matoblasten gebrauchen; die Berechtigung hierzu wird sich, wie ich 
hoffe, aus der Beschreibung von selbst ergeben. Abgesehen von 
dem in Bezug auf Grösse und Aussehen ‘sehr constant bleibenden, 
nur geringen Schwankungen unterworfenen Kern ist die Beschaffen- 
heit der Zellen selbst eine ausserordentlich variable und, wie es 
scheint, einer schnell vorschreitenden Entwicklung unterworfene. Es 
gelingt leicht, eine Reihe von Formen zu finden, von denen es kaum 
zweifelhaft sein dürfte, dass sie sich in folgender Weise chronologisch 
ordnen lassen: 

1. Einfache Spindelzellen (Fig. 3a—d) von sehr verschiedenen 
Dimensionen, nicht selten erreichen sie eine ganz erstaunliche Länge 
von 0,35 Mm. und darüber, andere besitzen kaum den dritten oder 
vierten Theil dieser Ausdehnung, zwischen diesen Extremen sind 
alle Mittelglieder vertreten. Der ovale Kern liegt constant nicht 
in der Mitte der Zelle, sondern theilt dieselbe vielmehr in zwei un- 
gleiche Abschnitte, einen kürzeren und zugleich schmäleren und einen 
längeren und zugleich breiteren. Der erstere bleibt in seiner Dicke 
immer gegen den Zellkern zurück und zieht sich meist in einen 
dünnen Faden aus, dessen Ende den Eindruck macht, als ob es 
abgerissen wäre, der entgegengesetzte Theil der Zelle ist meist 
etwas breiter als der Kern, namentlich in seiner Mitte, wo er meist 
etwas spindelförmig aufgetrieben ist, und spitzt sich gegen das Ende 
hin lanzettförmig zu, bisweilen ist aber auch er sehr schmal und 
von dem vordern Fortsatz in seinem Durchmesser nur wenig unter- 
schieden; dieses letztere Verhältniss findet man namentlich an den 
ganz langen Zellen (Fig. 3d). Charakteristisch für diese Zellen ist 
ihre Neigung zur Ablagerung kleiner, hellbräunlicher, glänzender Fett- 
tröpfchen, fast constant findet man solche in dem kürzeren Zell- 
fortsatz, in dessen fadenförmigem Theil sie perlschnurartig aneinander- 
gereiht erscheinen, während sie in der Nähe des Kernes unregel- 
mässige Gruppen bilden; auch an der Basis des langen Fortsatzes 
bilden sie häufig grössere Haufen, so dass der Kern alsdann ringsum 
von ihnen umlagert ist. Dagegen bleibt, der übrige Theil des breiten 
Fortsatzes stets frei von fettigen Einlagerungen. 


300 E. Neumann: 


2. Daneben finden sich sodann Zellen, welche, im Uebrigen 
von gleicher Beschaffenheit wie die ersterwähnten, dadurch von 
ihnen sich unterscheiden, dass der breite Fortsatz in seinem oberen 
Theile eine feine lineare Strichelung zeigt (Fig. 3e, f). Dieselbe er- 
streckt sich entweder über die ganze Breite dieses Fortsatzes oder 
nimmt nur einen Theil derselben ein; ferner beginnt sie erst in 
einer gewissen Entfernung vom Kerne. Betrachtet man die Striche 
genauer, so scheinen sie öfters aus linear aneinandergereihten 
Pünktchen zusammengesetzt. Je schärfer diese Strichelchen hervor- 
treten, desto mehr nähern sich diese Zellen der dritten Form: 

3. den bekannten Zellen, welche Büschel von Samenfäden tragen 
(Fig. 3g, h). Ueber die Vorgänge, durch welche die Differenzirung 
der vorhin nur als feine Striche angedeuteten Bildungen zu den 
vollständig ausgebildeten Spermatozoiden zu Stande kommt, lässt 
sich nur soviel sagen, dass man sehr gewöhnlich die langen Mittel- 
stücke der Fäden in dem breitesten mittleren Theile des Zellfort- 
satzes bereits als glänzende, scharf gesonderte Stäbchen vorfindet, 
während die die Spitze des Fortsatzes einnehmenden Schwänze durch 
das hyalina Protoplasma noch verklebt sind und nur undeutlich sich 
markiren ; erst später tritt die pinselförmige Zerspaltung der Spitze 
in die einzelnen Schwanzfäden ein. Das kurze, oben beschriebene 
zugespitzte Kopfstück habe ich an Samenfäden, welche noch im Zu- 
sammenhange mitihrer Bildungszelle sich befinden, nicht deutlich unter- 
scheiden können, die in das Protoplasma der Zellen eingepflanzten 
Mittelstücke gehen vielmehr ohne scharfe Abgrenzung, allmälig er- 
blassend, in dasselbe über, als wenn sie mit ihm zusammenflössen. 
Sehr verschieden zeigt sich die Entfernung dieser Samenfädenbüschel 
von dem Zellkerne ; neben Zellen, bei denen eine lange (bis 0,033 Mm.) 
schlanke Protoplasma-Säule die Verbindung herstellte (Fig. 3g), fanden 
sich andere, wo die Samenfäden mit ihren Kopfenden bis unmittelbar an 
den Kern stiessen, ja wohl selbst noch über denselben hinüber reichten, 
so dass derselbe zwischen ihnen eingeschoben erschien (Fig. 3h) 
(schon Remak |. ce. giebt an, dass »die pfriemenförmigen Vorder- 
enden der Samenfäden den Kern umgeben«). Das Zellprotoplasma 
zeigt übrigens auch bei diesen Zellen der dritten Kategorie, ebenso 
wie bei den Zellen ad 1 und 2, in der Umgebung des Kernes und 
in dem schmalen, dem Samenfädenbüschel abgewandten Zellfortsatz 
meist eine fettige Granulirung; der Kern selbst ist in Bezug auf 
Grösse und Form gleichfalls unverändert. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden, 301 


Als eine. besondere Varietät der Spermatoblasten führe ich denn 
schliesslich noch diejenigen Formen an, wo nicht ein grösseres Bündel 
von Samenfäden in Verbindung mit der Zelle steht, sondern der 
breite Zellfortsatz nur einen einzelnen oder zwei, drei Samenfäden 
einschliesst, während der übrige Theil des Protoplasmas hyalin und 
homogon erscheint. Vor dem Irrthum, dass es sich hier nur um 
einzelne, den Zellen zufällig anheftende Fäden handelt, glaube ich 
mich genügend geschützt zu haben, und ich möchte diese Formen 
entweder auf eine nur partiell bleibende oder auf eine nur langsam 
vorschreitende, successive Differenzirung des Protoplasmas zu Samen- 
fäden beziehen. 

Gehen wir jetzt, um die Beschreibung zu vervollständigen, zur 
Betrachtung der natürlichen Zusammenfügung der geschilderten 
Zellen über, wie dieselbe sich auf Durchschnitten gehärteter Hoden 
ergiebt. 

In meiner ersten vorläufigen Mittheilung hatte ich angegeben, 
dass die runden Zellen in einfacher oder mehrfacher Schicht der 
Wandung der Samenkanälchen anliegen, während die lang ausge- 
zogenen Spindelzellen (mit oder ohne Samenfädenbüschel) den inneren 
Raum derselben einnehmen und mit ihren breiten, nach innen ge- 
richteten Fortsätzen in der Achse der Kanälchen zusammenstossen. 
Diese Angabe muss ich in einem wesentlichen Punkte berichtigen. 
Die letzteren Zellen nämlich, die Spermatoblasten in ihren verschie- 
denen Entwicklungsstufen, bilden nicht eine den runden Zellen nach 
innen hin aufgelagerte Zellschicht, was sich auch wegen ihrer Form 
schwer begreifen liesse, sondern sie schieben sich vielmehr mit ihren 
kürzeren, schmalen Fortsätzen, die nach aussen gerichtet sind, 
zwischen die mehrfach übereinander geschichteten runden Zellen ein 
und reichen mit denselben bis an die Wandung des Samenkanälchen 
heran, während sie nur mit ihren breiten Fortsätzen die runden 
Zellen nach innen hin überragen. Man erkennt an Osmium-Prä- 
paraten bei Betrachtung der Querschnitte der Samenkanälchen deut- 
‘lich, dass jene durch die schwarz gefärbten Fetttröpfchen leicht 
kenntlichen schmalen Zellfortsätze gewissermassen den Fuss der 
Zellen bilden, mittelst dessen sie der bindegewebigen Umgrenzung 
der Kanälchen (eine isolirbare Tunica propria habe ich nicht dar- 
stellen können) aufsitzen und zwar in der Weise, dass derselbe sich 
an seiner Basis etwas verbreitert und sich zwischen die Rundzellen 
und die Wand einschiebt (Fig. 4). Es bestätigt sich somit hierdurch 


302 E. Neumann: 


die bereits oben ausgesprochene Vermuthung, dass an den Isolations- 
präparaten der kurzen Zellfortsätze immer von ihrer natürlichen Ver- 
bindung abgerissen sind, indem ihnen eben dieses kegelförmig ver- 
breiterte Ende fehlt. Eine weitere Ergänzung und Bestätigung des 
Angegebenen ergeben die Flächenansichten der Samenschläuche 
(Fig. 5). Die runden (oder vielmehr rundlicheckigen) Zellen er- 
scheinen an Stellen, wo Spermatoblasten sich befinden — und das 
ist in der ganzen Ausdehnung der Samenkanälchen bis zu ihrer 
Einmündung in das Netz der Ausführungsgänge der Fall mit ein- 
ziger Ausnahme ihres der Oberfläche des Hodens zugekehrten Fundus 
— nicht unmittelbar .aneinandergefügt, wie wir es bei Epithelien 
zu sehen gewohnt sind, sondern zwischen ihnen bleiben Lücken, die 
mit fettiggranulirtem Protoplasma ausgefüllt sind; diese Lücken 
stehen meist durch schmale, gleichfalls von einer Reihe von Fett- 
tropfen eingenommene Ausläufer miteinander in Verbindung, so 
dass dadurch ein Netzwerk zwischen den Zellen entsteht. Einen 
Kern habe ich in diesem peripherisch gelegenen Theile der Sper- 
matoblasten nicht nachweisen können. 

In Betreff der Vertheilung der Spermatoblasten in den Samen- 
kanälchen sei noch bemerkt, dass ihre Füsse meist nur durch die 
Breite einer Rundzelle voneinandergeschieden sind, doch ist es auch 
nicht selten, etwas breitere, von zwei oder drei runden Zellen aus- 
gefüllte Zwischenräume zwischen ihnen zu sehen. Die breiteren 
centralen Zellfortsätze resp. Samenfädenbündel treten dagegen viel 
näher zusammen und berühren sich meist unmittelbar, indem sie 
sich dabei, wie es ihre den Radius des Querschnittes bedeutend über- 
treffende Länge erfordert, natürlich nach der Längsaxe der Kanälchen 
umbiegen. 

Schwierig ist die Frage zu beantworten, welche der beiden be- 
schriebenen Zellarten man als das eigentliche Epithel der Samen- 
schläuche zu betrachten hat. Wie es scheint, besteht hier gegen- 
über den Verhältnissen beim Säugethierhoden ein Unterschied. 
Während sich hier, wie wir später sehen werden, nachweisen lässt, 
dass die Spermatoblasten selbst das Epithel darstellen, so spricht 
dagegen beim Frosche die Art und Weise des Ueberganges der 
Samenschläuche in die Vasa efferentia; derselbe stellt sich nämlich 
so dar, dass die Spermatoblasten aufhören und die rundlichen Zellen 
unter geringer Aenderung ihrer Form (sie bilden kurze Cylinder 
von 0,01 Mm. Länge und 0,006 Breite) zu einer geschlossenen 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 305 


Epitheldecke zusammentreten (Fig. 4d). Ebenso verhalten sich auch 
in dem der Peripherie des Hodens zugekehrten Fundus der Samen- 
schläuche, wo, wie erwähnt, Spermatoblasten öfters fehlen, die runden 
Zellen ganz wie Epithelien. Selbstverständlich ist damit allerdings 
nicht ausgeschlossen, dass auch die Spermatoblasten aus dem Epithel 
hervorgehen und nur in eigenthümlicher Richtung entwickelte Indi- 
viduen desselben darstellen. 

Schliesslich noch eine Bemerkung. Während ich in den ver- 
schiedenen Formen der von mir als Spermatoblasten bezeichneten 
Zellen den Ausdruck einer in der angegebenen Reihenfolge zur 
Bildung fertiger Samenfäden vorschreitenden Entwicklung sehe, 
könnten Andere versucht sein, sie auf eine regressive Metamorphose 
der auf irgend eine andere Weise entstandenen Samenfäden zu be- 
ziehen. In der That sind dahin gehende Aeusserungen bereits von 
ein Paar Autoren gemacht worden. Ankermann (l. c.) erwähnt 
»zellenähnliche Massen, die die Samenfäden nicht mehr contourirt 
enthalten, sondern bei denen statt derselben nur noch eine Zeichnung 
von feinen undeutlichen Strichen zu sehen ist und schliesslich solche, 
die nichts mehr von Samenfäden erblicken lassen, sondern nur von 
einer körnigen Substanz, vielleicht Fett, erfüllt sind, aber in ihrer 
länglichen Form jenen gleichen«, und deutet dieselben als Rück- 
bildungsphasen der Samenfäden, welche, zu Bündeln vereinigt, von 
einer glutinosen Masse umhüllt werden und innerhalb derselben zu 
Grunde gehen sollen. Kölliker ferner (l. c. Taf. XII Fig. 5) sah 
gleichfalls »sehr verlängerte Zellen mit Andeutungen von Samen- 
fäden im Innern und schönem Kern« und »ähnliche Zellen ohne 
Spur von Samenfäden« und bezieht dieselben auf eine Rückbildung 
der Samenfäden im Innern ihrer Bildungszellen. Zur Widerlegung 
dieser Ansichten führe ich Beobachtungen an, welche ich an Hoden 
kurze Zeit (8—14 Tage) nach beendigter Kopulation gemacht habe. 
Dass hier die Rückbildung schon bedeutende Fortschritte gemacht 
hat, ist aus der sehr erheblichen Verkleinerung der Hoden ersicht- 
lich; dem entsprechend ist der Durchmesser der einzelnen Samen- 
schläuche (von etwa 0,16 Mm., wie er früher gefunden wird, auf 
0,12 und darunter) reduzirt. Die früher geschilderten Structurver- 
hältnisse haben sich dahin geändert, dass die jetzt noch stärker mit 
Fett durchsetzten Spermatoblasten ihre centralen Fortsätze verloren 
haben und dass in den meisten Schläuchen Samenfäden gänzlich 
fehlen; wo sie noch zu finden sind, stehen sie ausser Zusammen- 


304 E. Neumann: 


hang mit den Zellen, erfüllen einfach das Lumen des Kanälchens 
und befinden sich in völlig intaktem Zustande mit scharfen Con- 
touren. Gerade also hier, wo man es nach der von mir bekämpften 
Ansicht erwarten musste, finden wir jene von Ankermann und 
Kölliker bereits gesehenen, von mir ad 1 und 2 genauer be- 
schriebenen Zellformen nicht, während sie in dem geschwellten Hoden 
während der Kopulationszeit sehr reichlich sind. Es bleibt hiernach 
nur übrig, wie ich es bereits früher ausgesprochen habe, sie als 
Entwicklungsformen zu betrachten und die Entstehung der Samen- 
fäden abzuleiteu aus einer im Protoplasma der Spermatoblasten sich 
vollziehenden Differenzirung (oder, wenn man will, »Prägung«) 
und einer nachherigen Zerspaltung, Vorgänge, die wohl auch der 
Entstehung der gewöhnlichen Flimmerhaare zu Grunde liegen. Eine 
Betheiligung des ursprünglichen Zellkernes findet dabei ebensowenig 
statt als ein Auftreten neuer Kerne, wie wir letzteres bei den Sper- 
matobilasten des Säugethierhodens finden werden. 

v. la Valette St. George hat vor einiger Zeit (l. c.) die 
Vermuthung ausgesprochen, dass meine von den seinigen so sehr 
abweichenden Resultate in der Anwendung entstellender Reagentien 
begründet wären. Die obigen Angaben über meine Untersuchungs- 
methoden werden mich von diesem Verdacht befreien und es dürfte 
daher wohl vielmehr der Grund der Differenz in der Wahl einer 
verschiedenen Jahreszeit liegen. Obwohl ich eine fortlaufende Unter- 
suchungsreihe über die im Sommer und Herbst von Neuem erfol- 
gende Samenbildung bisher nicht habe anstellen können, so glaube 
ich mich doch davon überzeugt zu haben, dass sich hier allerdings 
abweichende Verhältnisse vorfinden. 


2. Die Entwicklungsvorgänge bei der Ratte. 


Die vortreffliche Arbeit von V. v. Ebner, »Untersuchungen 
über den Bau der Samenkanälchen und die Entwicklung der Sper- 
matozoiden« !), beschäftigt sich vorzugsweise mit dem Hoden der 
Ratte und hat hier zu Resultaten geführt, welche auf ein analoges 
Entwicklungsgesetz hinweisen, wie ich es bei Rana temporanea ge- 
funden hatte. Dass meine eigenen Untersuchungen an der Ratte 


1) Erschienen in Rollett’s Untersuchungen aus dem Institute für 
Physiologie und Histologie in Graz, Heft 2, und als Monographie Leipzig 1871, 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 305 


im Wesentlichen zu Gunsten v. Ebner’s ausfielen, habe ich bereits 
in meiner zweiten vorläufigen Mittheilung!) kundgegeben. Eine 
detaillirtere Mittheilung meiner Untersuchungsresultate wird, hoffe 
ich, dazu beitragen, um mehreren von anderer Seite ausgesprochenen 
Bedenken zu-begegnen. — Um sofort auf den eigentlichen Streitpunkt 
einzugehen, so ist der principielle Gegensatz, in welchem v. Ebner 
zu allen bisherigen Untersuchungen steht, darin ausgesprochen, dass 
er nicht die bekannten runden Zellen, welche der Menge nach den 
Hauptinhalt der Samenkanälchen ausmachen, als die Bildungsorgane 
der Samenfäden betrachtet, sondern diese Rolle vielmehr anderen 
Zellen zuertheilt, welche, von Sertoli?) zuerst für den mensch- 
lichen Hoden beschrieben, bisher als accessorische Gebilde von 
untergeordneter Bedeutung aufgefasst worden waren, indem sie ge- 
wissermassen ein Gerüst für die samenbereitenden Elemente abgeben 
sollten (Stützzellen Merkel’s?). Nach v. Ebner bilden diese Zellen 
mit ihren anastomosirenzen Ausläufern bei der Ratte ein der Tunica 
propria dem Samenkanälchen unmittelbar aufliegendes flach ausge- 
breitetes Netz, von ihm als »Keimnetz« bezeichnet, in dessen Knoten- 
punkten grössere, mit Nucleolis versehene Kerne sich befinden und 
nach welchem Fortsätze senkrecht nach innen in die Kanälchen 
hineinragen. Diese Fortsätze, v. Ebner’s »Spermatoblasten«, in 
seltenen Fällen durch bogenförmig in das Kanallumen hineingewölbte 
quere Verbindungsstränge im Zusammenhange stehend, sollen nach 
innen in verbreiterte, gelappte Enden auslaufen, aus welchen die 
Spermatozoiden« hervorgehen, indem das Protoplasma eines jeden 
Lappens (8—12) sich zu Kopf und Mittelstück verdichtet und einen 
Faden, den Schwanz, hervorwachsen lässt. Die zwischen den Sper- 
matoblasten befindlichen Rundzellen lässt v. Ebner einer allmäligen 
Auflösung entgegengehen und dadurch wohl zur Bildung der Flüssig- 
keit des Sperma, nicht aber seiner körperlichen Bestandtheile bei- 
tragen. Sertoli hat in einer neueren Mittheilung*) dieser Dar- 
stellung gegenüber die Vermuthung ausgesprochen, dass die Ver- 


1) Centralblatt für die medizinische Wissenschaft. 1872. Nr. 56. 

2) Sertoli Dell’ esistenza di particolari cellule ranificate nei canalicoli 
semiciferi. Cfr. Henle’s Jahresbericht 1864. p. 120. 

3) Merkel, Nachrichten der G. A. Universität zu Göttingen. 1869. 
Nr. 1, sowie auch in Reichert’s und Du Bois’ Archiv. 1871. p. 1. 

4) Sertoli Osservazioni sulla struttura dei Canalicoli seminiferi del 
testicolo. Cfr. Henle’s Jahresbericht. 1871. p. 70. 


306 E. Neumann: 


bindung der Samenfäden mit den Stützzellen keine genetische, son- 
dern nur eine zufällige und mechanische sei, und Merkel!) hat 
sich in ähnlicher Weise geäussert, indem er die Samenfäden aus 
der Umbildung kleiner Rundzellen hervorgehen lässt, welche in 
nischenförmigen Ausbuchtungen an den centralen Enden der Stütz- 
zellen ihren Sitz haben. Wir werden hiernach bei unseren Unter- 
suchungen insbesondere zu prüfen haben, inwieweit sich aus den- 
selben auf eine wirkliche organische Verbindung zwischen Stützzellen 
und Samenfäden im Sinne v. Ebner’s, und nicht auf ein bloss 
appositionelles Verhältniss schliessen lässt. 

Die von mir vorzugsweise benutzte Untersuchungsmethode be- 
stand in dem Einlegen der frischen Hoden in Müller’sche Flüssig- 
keit, die sich nach meinen Erfahrungen hier vortrefflich bewährt, 
und im Zerzupfen der Präparate in Glycerin nach einigen Wochen 
resp. Monaten, meist unter gleichzeitiger Benutzung des Haema- 
toxylin als Färbungsmittel. Auf Anfertigung feiner Durchschnitte, 
wie sie v. Ebner vorzugsweise benutzt hat, legte ich, obwohl ich 
von ihnen auch zur Controlle Gebrauch machte, weniger Werth, 
da sie mir zur Entscheidung der erwähnten Frage nicht genug 
Sicherheit zu geben schienen. 

In Betreff der Tunica propria der Samenkanälchen, welche sich 
in den Zerzupfungspräparaten da, wo sie von ihrem Inhalte befreit 
ist, als eine dünne glashelle Membran darstellt, sei zunächst die 
Bemerkung erlaubt, dass ich, wie v. Ebner, eine zellige Zusammen- 
setzung derselben nachweisen konnte, Silberlösungen markiren die 
Contouren der Zellen, Haematoxylin lässt ihre grossen, meist ovalen 
platten Kerne von durchschnittlich 0,012 Mm. Länge und 0,008 Mm. 
Breite deutlich hervortreten, während die Zellgrenzen als helle Linien 
auf blassblauem Grunde erscheinen; dennoch dürfte ihre Struktur 
vielleicht eine complicirtere sein, ich glaube mich überzeugt zu 
haben, dass sie aus zwei Schichten besteht, einer inneren zelligen 
Schicht und einer äusseren homogenen Glashaut, wenigstens habe 
ich bisweilen an den abgerissenen Enden der Schläuche die durch 
die Zellen bedingte Mosaikzeichnung schon vor dem freien Rande 
aufhören gesehen, als ob die innere Schicht etwas zurückgewichen 
oder tiefer abgerissen wäre. An den Kernen der Zellen fiel mir 


1) Merkel, Ueber die Entwicklungsvorgänge im Innern der Samen- 
kanälchen. Reichert’s und Du Bois’ Archiv 1871. p. 644. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 307 


häufig auf, dass sie von einer Seite her mehr oder weniger tief 
eingeschnürt erschienen (Fig. 6a,a), auch sah ich öfters zwei Kerne 
beieinanderliegen, die aus der Halbirung eines einfachen Kernes 
hervorgegangen zu sein schienen (Fig. 6b). Ich möchte diese Be- 
funde auf eine bei zunehmender Ausdehnung der Kanälchen erfol- 
gende Vermehrung der ihre Wand zusammensetzenden Zellen be- 
ziehen. 

Von dem Inhalte der Samenkanälchen betrachten wir zuerst 
denjenigen Theil, welchen v. Ebner als Wandschicht, oder, wie ich 
nachzuweisen suchen werde, weniger glücklich als »Keimnetz« be- 
zeichnet hat. Es gelingt an Zerzupfungspräparaten leicht, diese 
peripherische Schicht theils der Tunica propria noch aufliegend, theils 
isolirt in kleineren oder grösseren Bruchstücken zu erhalten. Ich 
muss betonen, dass ich dieselbe niemals, wie v. Ebner es darstellt, 
als ein aus anastomosirenden Balken gebildetes, durchbrochenes 
Netzwerk, sondern immer als eine zusammenhängende, continuir- 
liche, aus Zellen zusammengesetzte Membran gefunden habe. Diese 
Zellen, die unzweifelhaft als das eigentliche Epithel der Drüsen- 
schläuche aufzufassen sind, haben, wie man sowohl an den völlig 
isolirten, einzeln herumschwimmenden Exemplaren (Fig. 7A und B) 
als auch an den noch im Zusammenhang befindlichen Fetzen der 
Epithelmembran (Fig. 8, 9, 10) sieht, eine eckig polygonale Gestalt, 
am häufigsten stellen sie sich als ziemlich regelmässige Sechsecke 
dar, der mit deutlichem Nucleolus ausgestattete ovale Kerne lagert 
in ihrer Mitte, und ist sehr constant von 2, 3 oder 4 grösseren 
und bisweilen auch einigen kleineren farblosen, fettglänzenden 
Tröpfchen umgeben; da Osmiumsäure die letzteren dunkelbraun 
färbt, so scheint mir kein Grund, an ihrer wirklichen Fettnatur zu 
zweifeln, zumal v. Ebner auch ihre Löslichkeit in Alkalien consta- 
tirt hat. Ein eigenthümlich charakteristisches Aussehen erhalten 
diese Zellen ferner dadurch, dass ihr Protoplasma nicht gleichmässig 
über die ganze Fläche vertheilt ist, sondern vielmehr, wie es Fig. 7B 
zeigt, um den Kern zu einem Hofe zusammengedrängt ist, von 
welchem nach den Ecken der Zelle sich verschmälernde Fortsätze 
ausstrahlen. In den zwischen diesen Fortsätzen gelegenen halb- 
kreisförmigen Theilen der Zellen ist ihre Substanz so blass und 
wenig lichtbrechend, dass man sie leicht übersehen und der Zelle 
eine sternförmig ästige Gestalt zuschreiben kann, ein Irrthum, der 


allerdings bei den ganz isolirten Zellen durch die Beachtung der 
Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 11, 21 


308 E. Neumann: 


feinen, zwischen den Enden der Fortsätze befindlichen Grenzlinien 
leichter vermieden werden kann, als bei den im Zusammenhang be- 
findlichen Zellen, wo die blassen wie halbkreisförmige Ausschnitte 
sich ausnehmenden Theile benachbarter Zellen ohne sichtbare Grenz- 
linie zu kreisförmigen Figuren zusammentreten und alsdann in der 
That in täuschender Weise uns das von v. Ebner geschilderte Bild 
eines aus sternförmigen Zellen zusammengesetzten Netzwerkes mit 
runden Maschen entgegentritt, wie es Fig. 9 darstellt, in welcher 
bei a, a, a, a keineswegs Lücken zwischen den Zellen, sondern viel- 
mehr die blassen durchsichtigen Theile der Zellplatte sich befinden. 
Dass diese Deutung allein die richtige sein kann, ergiebt sich aus 
den auch hier am Rande deutlich hervortretenden Contouren der 
Zellplatten und ich vermuthe, dass v. Ebner dadurch zu seiner 
entgegengesetzten Auffassung gelangt sein mag, dass er vielleicht 
seine Präparate mit Terpenthin oder Nelkenöl untersucht hat, wo- 
durch zarte Contouren bis zur Unkenntlichkeit vernichtet werden. 
Uebrigens wird v. Ebner zugeben müssen, dass es schwer ver- 
ständlich ist, wodurch in gewissen Stadien der Spermatozoiden-Ent- 
wicklung, wo seinen Angaben zufolge (p. 13) die Wandschicht fast 
ausschliesslich aus dem Keimnetz gebildet wird, und die früher da- 
selbst noch vorhandenen Elemente nach innen gerückt sind, die an- 
geblich vorhandenen Lücken in dem Netze ausgefüllt werden sollen. 
Fig. 8, in welcher man die Epithelien an vielen Stellen mit scharf 
gezeichneten Grenzlinien aneinanderstossen sieht, und die Zellen- 
mosaik unverkennbar ist, obwohl auch hier an einer Stelle (a) eine 
runde Lücke scheinbar eingebrochen ist, dürfte vielleicht gerade 
diesen Stadien entsprechen. 

Die Bedeutung der hellen Stellen in der Epithelmembran er- 
giebt sich leicht aus den Figuren 3 und 9, sie stellen die Lager- 
stätten anderer kleinerer Elemente dar, v. Ebner’s »grob granu- 
lirte Zellen«, welche von innen her gewissermassen in das Proto- 
plasma der Epithelien eingedrückt sind, so dass sie nur durch eine 
sehr dünne Schicht des letzteren von der Tunica propria der Ka- 
nälchen geschieden sind. Nach v. Ebner würden diese Zellen durch 
das Epithellager vollständig durchgedrückt sein, so dass sie mit der 
Tunica propria in unmittelbarem Contact stünden; ich kann das 
dem Gesagten zufolge nicht zugeben und weitere Gründe dagegen 
werden sich aus der Betrachtung der Profilbilder ergeben. Zur 
Erläuterung der Figuren füge ich noch hinzu, dass die Kerne der 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 309 


'Epithelzellen in regelmässigen Abständen von durchschnittlich 0,018 

Min. vertheilt sind, welche Entfernung natürlich zugleich dem Durch- 
messer der Zellplatten entspricht, sie sind von länglich ovaler Ge- 
stalt, etwa 0,013 Mm. lang und 0,010 Mm. breit (v. Ebner giebt 
ihren Durchmesser auf nur 7—-7,5 Mikrom. an) und färben sich in 
Haematoxylia viel blasser als die kleineren, runden, granulirten Kerne 
der aufgelagerten Zellen, deren Durchmesser nur 0,005—6 beträgt 
und welche, 4—6 an der Zahl, jeden Epithelkern umgeben. 

Schon an den Flächenansichten der Epithelmosaik kann man 
sich ferner bei genauer Betrachtung davon überzeugen, dass die 
Zellen nach innen gerichtete Fortsätze besitzen; man bemerkt näm- 
lich öfters, wenn dieselben dicht oberhalb der Zellplatie abgerissen 
sind, ihre Reste im optischen (uerschnitt oder in verkürzter Profil- 
ansicht als stark glänzende kreisförmige resp. eylindrische, die 
Zellen deckende oder sie überragende Gebilde, wie es Fig. 10 bei 
e, e, e zeigt. An jedem Zerzupfungspräparat bieten sich nun aber 
zahlreiche Zellen dar, bei welchen diese Fortsätze ihren Zusammen- 
hang mit den Zellplatten bewahrt haben und die sich dann natür- 
lich immer im reinen Profilbilde darstellen. 

Betrachten wir bei solchen Zellen die eigentliche Zellplatte, 
oder, wie wir sie mit Rücksicht auf die von ihnen ausgehenden 
Fortsätze passend bezeichnen können, die Fussplatte, so sehen wir, 
dass dieselbe sich gegen den Fortsatz im Allgemeinen konisch zu- 
gespitzt und an den Seitenrändern bogenförmige Ausschnitte zeigt, 
in denen häufig noch die erwähnten kleinen runden Zellen haften 
(Fig. 11); unterhalb der letzteren schiebt sich, in Uebereinstimmung 
mit dem früher bemerkten, der verdünnte Rand der Fussplatte ein, 
so dass sie auf denselben ruhen. Machen wir uns hiernach in Ver- 
bindung mit den Flächenbildern eine Vorstellung von der stereo- 
metrischen Form der Fussplatten, so werden wir kaum irren, wenn 
wir dieselben als 4—6kantige Pyramiden mit concav eingedrückten 
Seitenflächen bezeichnen. 

Während die bisher geschilderten Verhältnisse sich bis auf 
unwesentliche Differenzen in allen mit Spermatozoiden erfüllten 
Samenkanälchen als ziemlich constant erweisen, so finden wir in 
dem Verhalten der Fortsätze eine um so grössere Mannichfaltigkeit, 
von der es nicht zweifelhaft, sein kann, dass sie auf einer fort- 
laufenden Reihe stattfindender Entwicklungs- und Rückbildungsvor- 
gänge beruht, wie es v. Ebner richtig dargestellt hat, der demnach 


310 E. Neumann: 


sich veranlasst gesehen hat, acht verschiedene Stadien zu unter- 
scheiden. Da es mir weniger auf eine erschöpfende Detailbeschrei- 
bung als auf die Sicherstellung des Prineips der Entwicklung der 
Samenfäden ankommt, so beschränke ich mich auf eine Erläuterung 
der beigefügten Abbildungen, welche mir die Hauptetappen in dem 
Entwicklungsgange vorzustellen scheinen. Ein Vergleich mit den 
v. Ebner’schen Abbildungen und Beschreibungen zeigt sofort die 
grosse Uebereinstimmung des von mir Gesehenen. Als den wesent- 
lichsten Differenzpunkt möchte ich bezeichnen, dass es mir nie ge- 
lungen ist, von der Abgangsstelle des Fortsatzes von der Fussplatte 
der Zelle den von v. Ebner erwähnten grossen, nach oben spitz 
ausgezogenen Kern zu finden. Meine Präparate, welche den Kern 
in der Fussplatte selbst stets auf’s Deutlichste durch Haematoxylia 
gefärbt zeigten, liessen einen zweiten Kern an der Basis des Fort- 
satzes nicht wahrnehmen, wie ein solcher nach v. Ebner wenigstens 
in den meisten Stadien vorhanden sein soll. Wie dieser abweichende 
Befund zu erklären ist, darüber kann ich vorläufig keinen Auf- 
schluss geben. 

Die an der Fussplatte senkrecht aufsteigenden Fortsätze er- 
scheinen nun anfänglich (Fig. 11, 12, 13) als schlanke Säulen von 
beträchtlicher Länge (0,03—0,04 Mm.). Dieselben sind nie regel- 
mässig cylindrisch, sondern zeigen innen an den Seitenwänden flache 
concave Ausschnitte mit dazwischen vorspringenden spitzigen Zacken. 
Offenbar handelt es sich hierbei um ein ähnliches Verhältniss,. wie 
bei der Bildung der concaven Eindrücke der Fussplatten durch die 
kleinen aufgelagerten Rundzellen. Auch an den Zellsäulen sind ge- | 
wissermassen die Abdrücke der zwischen ihnen eingeschalteten runden 
Zellen, auf die ich noch zurückkomme, wahrnehmbar. Wir dürfen 
uns wohl vorstellen, dass die Lücken zwischen diesen Zellen voll- 
ständig von den Säulen mit ihren zackigen Ausläufen in natürlichem 
Zustande ausgefüllt werden, ohne dass etwa mit Flüssigkeit erfüllte 
Interstitien bestehen. \ 

Wichtiger für unser Problem ist die Frage, wie ist das der 
Axe des Samenkanälchens zugewandte Ende des Fortsatzes be- 
schaffen? In Fig. 11 sehen wir dasselbe in eine grössere Zahl läng- 
licher, kolbig abgerundeter Lappen auslaufen, deren jeder an seiner 
Basis ein kleines, rundes, stark glänzendes und in Haematoxylin sich 
stark imbibirendes, kernähnliches Gebilde trägt; in Fig. 13 hat das 
letztere seine runde Gestalt verloren und einen kleinen, nach unten 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 311 


gerichteten, zugespitzten Sporn erhalten, der Beginn der Umbildung 
desselben zum Spermatozoiden. Kopf, Fig. 12, deute ich als eine 
Zelle mit verstümmeltem Fortsatze, von welchem die Lappen sich 
abgelöst haben; ein Paar solche, ausser Zusammenhang mit der 
Zellsäule befindliche Lappen, welche ganz das Aussehen kleiner 
Zellen mit excentrisch gelegenem Kern haben, zeigen die Fig. 11 
und 13. 

Wir haben hier diejenigen Bilder vor uns, die den Gegnern 
v. Ebner’s hauptsächlich zum Objecte ihrer Polemik gedient haben. 
Während dieser die beschriebenen Lappen als integrirende Bestand- 
theile der Zellfortsätze betrachtet und dieselben aus letzteren ge- 
netisch ableitet, so fassen Sertoli und Merkel, wie bereits an- 
geführt, die Lappen als selbständige kleine Zellen auf, welche den 
inneren Enden der Fortsätze nur anhaften, nicht aber aus ihnen 
hervorwachsen; Fig. 12 würde nach diesen Autoren das natürliche 
Ende der Zellfortsätze repräsentiren. Nachdem v. Ebner bereits 
vor Kurzem!) in gebührender Weise die etwas leichtfertigen Ein- 
wendungen Merkel’s gegen seine Darstellung einer Kritik unter- 
worfen, möchte nur Folgendes noch anzuführen sein: 

Dass eine wirkliche organische Verbindung, ein Continuitäts- 
verhältniss zwischen den kleinen zellähnlichen Lappen und den 
Enden der perpendiculären Epitheifortsätze stattfindet, ergiebt sich 
1) daraus, dass die Substanz beider ohne sichtbare Grenze ineinander 
übergeht und dasselbe feingranulirte Aussehen hat; — wenn 
Merkel sagt, dass der am peripherischen Ende der »Samenzellen« 
gelegene Kern durch einen membranösen Ueberzug gegen die Stütz- 
zellen in leicht kenntlicher Weise abgegrenzt ist, so kann ich das 
nicht bestätigen und wird auch aus seinen eigenen Abbildungen 
nicht besonders wahrscheinlich; — 2) aus dem Umstande, dass 
man die Zellsäulen auch bei künstlich erzeugten oder zufällig 
hervorgerufenen Bewegungen ihren Zusammenhang mit den lappen- 
förmigen Anhängen bewahren sieht, was jedenfalls, wie bereits 
v. Ebner bemerkt hat, nicht auf Rechnung einer »verklebenden« 
Wirkung der Müller’schen Flüssigkeit zu schieben ist, von der 
den Histologen sonst Nichts bekannt ist; 3) daraus, dass im weiteren 
Fortschritte der Ausbildung der Spermatozoiden die Köpfe derselben 


1) v. Ebner, Bemerkungen zu Merkel’s Abhandlung „über die Ent- 
wicklungsvorgänge etc.“ in Du Bois’ und Reichert’s Archiv. 1872, p. 250. 


312 E. Neumann: 


in unzweifelhafter Weise in eine sie gemeinsam umhüllende Pro- 
toplasma-Masse eingepflanzt erscheinen, eine Thatsache, die Merkel’s 
Beobachtung gänzlich entgangen zu sein scheint, für die er wenigstens 
auch nicht eine Andeutung einer Erklärung giebt, während sich 
eine solche nach der v. Ebner’schen Auffassung in einfachster 
Weise ergiebt. 

Es bliebe hiernach, wie mir scheint, nur die Frage zu erwägen, 
ob es vielleicht statthaft ist, die bestehende Verbindung zwischen 
den Fortsätzen der Epithelien und den zellähnlichen Lappen als 
eine secundäre zu betrachten in der Art, dass letztere nicht, wie 
v. Ebner annimmt, aus ihnen hervorwachsen, sondern vielmehr, 
ursprünglich unabhängig von ihnen, als selbständige Kleine Zellen 
im Innern der Samenkanälchen sich entwickeln und erst später mit 
den Enden der Fortsätze verwachsen? Es würde die Annahme eines 
solchen Verschmelzungsprocesses zwischen zwei zelligen Gebilden 
so verschiedener Qualität jeder bekannten Analogie entbehren, und 
ich meinerseits würde mich zu einer solchen nur dann verstehen, 
wenn kein anderer Ausweg offen stünde. Jedenfalls lässt sich das 
häufige Vorkommen kleiner Zellen in den Samenkanälchen, welche 
den an den Zellsäulen befestigten zellähnlichen Lappen mehr oder 
weniger vollständig gleichen, viel ungezwungener und natürlicher 
daraus erklären, dass man, ganz abgesehen von einer artifiziellen 
Ablösung der Lappen bei der Präparation, an die v. Ebner allein 
gedacht zu haben scheint, eine durch einen physiologischen Vor- 
gang erfolgende Aufhebung der Verbindung statuirt und somit an- 
nimmt, dass die aus den Fortsätzen hervorwachsenden Lappen zum 
Theil in dauerndem Zusammenhang mit dem Mutterboden bleiben 
und hier ihre weitere Entwicklung durchmachen, zum Theil als 
selbständige kleine Zellen sich ablösen, um später entweder dem 
Untergange entgegenzugehen oder vielleicht ebenfalls eine Umbildung 
zu je einem Samenfaden zu erfahren. 

Ueber diese angedeutete Möglichkeit werden weitere Unter- 
suchungen zu entscheiden haben; vorläufig kann ich in Ueberein- 
stimmung mit v. Ebner als gesicherte Thatsache nur gelten lassen, 
dass die erste Anlage der sich entwickelnden Spermatozoiden in 
lappenförmigen Anhängen sich zeigt, welche mit den senkrecht nach 
innen gerichteten Fortsätzen der Epithelien der Samenkanälchen in 
unmittelbarer Verbindung sich befinden. Verfolgen wir nunmehr die 
weiteren Schicksale dieser Entwicklungsanfänge der Spermatozoiden. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 313 


In Fig. 14 sehen wir die lappenförmigen Anhänge in Folge 
einer bedeutenden Verkürzung der Zellsäulen an die Fussplatte, die 
unverändert geblieben ist, viel näher heran gerückt, das kernähnliche 
Gebilde an der Wurzel der Lappen hat bereits vollständig die 
hakenförmige Gestalt der Spermatozoiden-Köpfe angenommen, nur 
ist die Krümmung des Hakens nicht so stark wie in den reifen 
Samenfäden, das abgerundete Ende ferner der Lappen ist mit einem 
Faden versehen, also auch der Schwanz der Samenfäden bereits 
entwickelt, wenn auch noch zarter und blasser als zuvor. Bei ge- 
nauer Betrachtung erkennt man endlich die Anlage des Mittelstücks 
als einen feinen, den Lappen durchziehenden, Schwanz und Kopf 
verbindenden Faden. Fig. 15 zeigt einen noch weiteren Fortschritt 
der Entwicklung, die Zellsäule ist vollständig verschwunden, die 
noch immer ziemlich gerade gestreckten Köpfe der Samenfäden sind 
direkt in das Protoplasma der Fussplatte eingesenkt, ebenso sind die 
Lappen auf geringe Reste reducirt, welche dem nunmehr als 
eylindrisches glänzendes stabförmiges Gebilde hervortretenden Mittel- 
stücke, und zwar vorzugsweise dem oberen Ende desselben, anhaften, 
die Schwänze sind länger, stärker lichtbrechend und starrer ge- 
worden. Fig. 16 endlich stellt die fertigen, aus ihrer Verbindung 
mit der Fussplatte losgelösten Spermatozoiden dar, der Kopf er- 
scheint jetzt stark sichelförmig gekrümmt (man könnte vermuthen, 
in Folge einer elastischen Retraktion, die früher durch das um- 
hüllende Protoplasma verhindert war), der von der Sichel umschrie- 
bene Halbkreis ist noch von körnigem Protoplasma, das sich erst 
im Nebenhoden abzustossen scheint, ausgefüllt, ebenso hat sich noch 
ein Rest desselben an der Uebergangsstelle zwischen Mittelstück 
und Schwanz erhalten und bedingt eine kleine knopfförmige Auf- 
treibung des ersteren; gar nicht selten sind auch, wie man es bei b 
sieht, zwei Samenfäden mit ihren Köpfen untereinander durch etwas 
Protoplasma verbunden und stellen alsdann eine Zwillingssperma- 
tozoid dar (Fig. 16 b), welches durch seine vollständig congruente 
Symmetrie den Gedanken an eine zufällige Verklebung von zwei ur- 
sprünglich getrennten Einzelindividuen ausschliesst. Da ich bei an- 
deren Autoren Maassbestimmungen der einzelnen Theile der Spermato- 
zoiden nicht angegeben finde, so füge ich hier noch als Resultat meiner 
Messungen an, dass ich die Länge des Kopfes (vom Mittelstücke bis zur 
Umbiegungsstelle des Häkchens) = 0,009 Mm., die Länge des 
Mittelstückes = 0,045 Mm. und die des Schwanzes = 0,09 Mm., die 


314 E. Neumann: 


Länge des ganzen Samenfadens also = 0,144 Mm. finde, was von 
Schweigger-Seidel’s Angaben für die Samenfäden der Maus 
(0,008—0,023—0,085, Summa 0,116) nur in Betreff der stärkeren Ent- 
wicklung des Mittelstückes erheblich differirt. 

In meiner zweiten vorläufigen Mittheilung habe ich eine kleine 
Modification in der v. Ebner’schen Terminologie vorgeschlagen, 
auf die ich hier nunmehr zurückkommen muss. Die von diesem 
Autor für die Wandschicht gewählte Bezeichnung als »Keimnetz« 
werden wir, so sehr wir anerkennen, dass dieselbe die eigentliche 
Keimstätte für die sich entwickelnden Samenfäden abgiebt, die in 
ihr gewissermassen wurzeln, desshalb verwerfen müssen, weil die- 
selbe nicht der zu Grunde liegenden Voraussetzung, aus einem durch 
Zellen gebildeten Netzwerke zu bestehen, entspricht, sondern viel- 
mehr aus von einander abgegrenzten, mit ihren Rändern aneinander- 
stossenden epithelialen Zellplatten zusammengesetzt ist. Wenn v. Eb- 
ner ferner die senkrecht aufstrebenden Fortsätze dieser Zellen mit 
den Spermatozoiden-Anlagen als Spermatoblasten bezeichnet, so muss 
dies theils irrige Vorstellungen von der Selbständigkeit dieser Theile 
erwecken, die doch mit den Fussplatten der Zellen solidarisch ver- 
bunden sind, theils widerspricht diese Bezeichnungsweise auch dem 
Usus, dem wir bei der Anwendung analoger Termini, wie Osteoblasten 
Odontoblasten etc. folgen. Wie wir mit letzterem Worte z. B. die 
an der inneren Grenze des Zahnbeins befindlichen Zellen mitsammt 
ihren die Zahnbeinkanälchen erfüllenden  Fortsätzen, nicht aber 
letztere allein, obwohl sie gerade in nächster Beziehung zur Bildung 
des Zahnbeines stehen, meinen, so scheint es mir durchaus wün- 
schenswerth, der engen Zusammengehörigkeit der epithelialen Zell- 
platten mit den, die Samenfäden liefernden Säulen dadurch Aus- 
druck zu geben, dass wir beide gemeinschaftlich unter der Bezeich- 
nung der Spermatoblasten zusammenfassen und demnach consequenter 
Weise auch da von Spermatoblasten sprechen, wo die Fortsätze 
fehlen und nur die der Tunica propria anliegenden Fussplatten der 
Zellen vorhanden sind, sei es nun, dass die Spermatozoiden-Bildung 
überhaupt ruht, wie in früheren Lebensperioden, oder dass dieselbe 
gerade in dem Stadium angelangt ist, wo die fertig ausgebildeten 
Samenfäden abgestossen sind und das Heranwachsen eines neuen 
Fortsatzes und somit einer neuen (Generation von Samenfäden be- 
vorsteht. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 315 


Die bei der Entwicklung des Fortsatzes stattfindenden Vor- 
gänge vor dem Zeitpunkte, wo derselbe bereits die in Fig. 11 dar- 
gestellten Lappen trägt, zu verfolgen, ist mir leider nicht gelungen, 
nur möchte ich bemerken, dass, wenn wir ein Recht haben, die an 
der Basis der Lappen befindlichen ersten Anlagen der Köpfe der 
Samenfäden als Kerne zu bezeichnen (woran nach Aussehen und 
Reactionen kaum zu zweifeln ist), die Entstehung dieser Kerne 
jedenfalls nicht aus dem wandständigen Kerne der Fussplatte abzu- 
leiten sein dürfte; denn obwohl ich nicht bloss meistens, wie 
v. Ebner sich ausdrückt, sondern immer gefunden habe, dass die 
Fortsätze der Spermatoblasten sich über einem Kerne erheben, so 
ist der letzte doch stets von so constanter, regelmässiger Gestalt 
und Grösse und ohne jegliche Spur eines Proliferationsvorganges, 
dass es äusserst gezwungen erscheinen müsste, ihm eine Betheiligung 
bei der Bildung der Kerne in den Lappen, die durch eine weite Ent- 
fernung von ihm getrennt sind, zuzuschreiben. Wir haben es hier 
vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer freien Kern- 
bildung zu thun, einem Vorgange, zu dessen Annahme wir ja auch 
in vielen anderen Fällen hingedrängt werden. 

Was die zweite, bisher nur beiläufig erwähnte Art von zelligen 
Elementen in den Samenkanälchen betrifft, die bekannten Rundzellen, 
welche nach v. Ebner’s Hypothese kein epitheliales Gebilde, son- 
dern eingewanderte Blutkörperchen vorstellen, so unterscheidet man 
leicht die kleinen, in die Fussplatten der Spermatoblasten einge- 
drückten Zellen (Fig. 8, 9, 10, 11d), welche dadurch charakterisirt 
sind, dass sie fast ganz von einem Kerne ausgefüllt sind und sich 
demnach im Ganzen in Haematoxylin stark färben, und grössere 
zwischen den Zellsäulen eingeschaltete Zellen (Fig. 14a), deren 
Grösse zwischen 0,009 bis 0,024 Mm. schwankt, die ferner in der 
Regel einen einfachen runden granulirten Kern von 0,005 bis 0,008 
Mm. Durchmesser, nicht selten aber auch zwei, drei und mehr Kerne 
einschliessen, und öfters kettenartig zusammenhängen. Dass aus 
diesen letzteren grösseren Zellen durch fortschreitende Theilung 
wiederum kleinere, noch weiter nach innen gelegene zellartige Gebilde 
mit wandständigen, stark glänzenden Kernen hervorgehen, davon 
habe ich mich wegen des Mangels an Uebergangsformen nicht über- 
zeugen können und es dürfte hierin ein neuer Hinweis auf die Berech- 
tigung der bereits oben ausgesprochenen Vermuthung zu finden sein, 
dass diese kleinen eigenthümlichen Zellen nichts Anderes als Sper- 


316 E. Neumann: 


matoblasten-Lappen sind, welche sich von ihrem Stamme abgelöst 
haben und denen wir alsdann die Fähigkeit, auch im isolirten Zu- 
stande sich in Samenfäden umzuwandeln, im Sinne derjenigen Autoren, 
welche die letzteren als veinstrahlige Wimperzellen« bezeichnet haben, 
nicht werden absprechen können. Mit dieser Annahme würde, wie 
mir scheint, der anscheinend so schroffe Zwiespalt zwischen der 
älteren Ansicht und den Beobachtungen v. Ebner’s in befriedi- 
gender Weise ausgeglichen werden. 


Principiell übereinstimmend mit den beschriebenen Befunden 
bei der Ratte fand ich die Entwicklungsvorgänge im Hoden des 
Hundes und des Kaninchens; die Abweichungen beziehen sich 
auf unwesentliche Details. Ich beschränke mich auf einige Angaben 
hinsichtlich des letzteren Thieres. Auch hier lassen sich die beiden 
durchaus verschiedenen Zellarten, Spermatoblasten und Rundzellen, 
leicht unterscheiden; erstere bilden im Allgemeinen lange, der Tunica 
propria aufsitzende und an das Kanallumen heranreichende, radiär 
im Umfange der Samenschläuche postirte Säulen, — letztere, die 
Rundzellen, sind zwischen diese Säulen derart eingeschaltet, dass 
sie allerseits von concaven Ausschnitten derselben umschlossen wer- 
den. Was zunächst die letzteren Zellen anbetrifft, so finde ich die- 
selben in ihrer Grösse zwischen 0,01 bis 0,03 Mm. schwankend, die 
meisten (Fig. 17a und Fig. 18a) haben ein fein granulirtes Pro- 
toplasma, andere, insbesondere die grösseren (Fig. 17b) erscheinen 
mehr homogen und glasig, von colloidem Glanze und häufig mit 
facettenartigen Eindrücken versehen, in welche kleinere Zellen ein- 
gelagert sind; ihr Kern unterscheidet sich von dem Kerne der 
Spermatoblasten stets durch den Mangel eines deutlichen Kern- 
körperchens, ist rundlich und gleichfalls etwas körnig. Sie sind auf 
Querschnitten durch die Samenkanälchen zu 4—6 in der Richtung 
des Radius zwischen den Säulen der Spermatoblasten übereinander 
aufgereiht. Letztere selbst (Fig. 19a, b, c) wiederholen in allen 
wesentlichen Punkten die Eigenthümlichkeiten der Spermatoblasten 
der Ratte, nur geben sie in noch auffälligerer Weise den Eindruck, 
als ob durch sie alle zwischen den Rundzellen übrigbleibenden Inter- 
stitien ausgefüllt würden und sich auf’s Genaueste in ihren Formen 
denselben anschmiegten, gewissermassen plastische Abgüsse der 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 317 


Lücken zwischen ihnen darstellten. Wir unterscheiden von ihnen 
wiederum 1) die Fussplatte, 2) die Zellsäule, 3) die lappenförmigen 
centralen Enden. An den Fussplatten, welche mit ihren Rändern 
aneinandertsossen und eine continuirliche epitheliale Auskleidung 
der Tunica propria bilden, vermissen wir die im Rattenhoden con- 
stanten Fetttröpfchen, dagegen ist übereinstimmend mit letzteren 
die wandständige Lage des Kernes, seine ovale Form (längster 
Durchmesser 0,01 Mm.), sein hyalines, bläschenähnliches Aussehen 
und die Anwesenheit eines glänzenden, in der Mitte des Kernes ge- 
legenen Kernkörperchens. Sieht man die Fussplatte im Zusammen- 
hänge von der Fläche her (Fig. 18), so hat man bei oberflächlicher 
Betrachtung ganz den Eindruck eines durchbrochenen Netzwerkes 
kernhaltiger strahliger Zellen, des v. Ebner’schen »Keimnetzes«, 
doch überzeugt man sich auch hier, dass die anscheinenden runden 
Lücken zwischen den Zellen vielmehr halbkugligen grubigen Ver- 
tiefungen in den Fussplatten, herrührend von den in dieselben ein- 
gedrückten Rundzellen, angehören; die scheinbaren strahligen Aus- 
läufer der Zellen sind demnach nichts Anderes als kammartig vor- 
springende Leisten der Fussplatten, die sich netzförmig verbinden 
wie die Scheidewände der einzelnen Zellen einer Bienenwabe. Fig. 18 
zeigt die grubigen Vertiefungen theils leer, theils mit den Rund- 
zellen (a) erfüllt. Ausnahmsweise mag es allerdings vorkommen, 
dass einzelne Rundzeilen durch wirkliche Lücken in den Fussplatten 
der Spermatoblasten hindurch mit der Tunica propria in Berüh- 
rung treten. 

Die von der Fussplatte aus pfeilerartig gegen das Centrum 
der Kanälchen strebenden Zellsäulen der Spermatoblasten erreichen 
eine Höhe von 0,05—6 Mm., sind sehr schmal und erscheinen im 
ganzen Umfange ihrer Seitenfläche mit flacheren und tieferen con- 
caven Einschnitten versehen und demnach in der Profilansicht mit 
zahlreichen theils kegelförmigen theils kammartigen Leisten und 
Vorsprüngen besetzt; häufig scheint es so, als ob die Pfeiler be- 
nachbarter Spermatoblasten durch diese Vorsprünge miteinander in 
anastomotischer Verbindung ständen und auf diese Weise vollständig 
abgeschlossene runde Hohlräume zwischen ihnen vorhanden wären, 
welche die Rundzellen beherbergen. Die centralen Enden der Sper- 
matoblasten ferner lassen ebenso deutlich, wie dies bei den gleichen 
Theilen der Ratte der Fall ist, den unmittelbaren, continuirlichen 
Uebergang der kolbigen Lappen, welche die Anlage der Spermato- 


318 E. Neumann: 


zoiden darstellen, in das Protoplasma der Säulen erkennen; die Zahl 
der einzelnen Lappen beträgt S—10, sie bilden ein dichtgedrängtes 
Büschel, indem sie mit ihren unteren, die Köpfe der Samenfäden 
enthaltenden zugespitzten Enden gegen den etwas verbreiterten 
Pfeilerkopf convergiren und nach oben nur wenig auseinanderweichen. 
Die erste Entstehung der Spermatozoiden-Köpfe habe ich nicht ver- 
folgen können. 

Von den Spermatoblasten des menschlichen Hodens habe 
ich bereits in meiner zweiten vorläufigen Mittheilung (l. c.) eine 
kurze Beschreibung gegeben; ich füge hier einige Abbildungen von 
ihnen nach Präparaten aus Müller’scher Flüssigkeit bei, welche 
von kräftigen, jungen, plötzlich verstorbenen Männern herrühren. 
Wie Fig. 20 zeigt, ist die Fussplatte der Zellen hier kernlos und 
seht nach oben zunächst in einen schmalen Fussständer über, 
welcher in der Profilansicht beiderseits bogenförmig ausgeschnitten 
erscheint; hierauf folgt ein breiterer, einen oder zwei mit Nucleolus 
versehene helle Kerne einschliessender Zellkörper, welcher gleich- 
zeitig stets durch die Anwesenheit einer grösseren Zahl gelblicher 
fettglänzender Körnchen im Umfange der Kerne ausgezeichnet ist 
und häufig auch concave Einschnitte zeigt. In den oberen Theil 
dieses Zellkörpers, an welchem ich eine deutliche Zerspaltung in 
Lappen, wie bei den erwähnten Thierspecies nicht habe erkennen 
können, sind die Samenfäden mit ihren Köpfen eingepflanzt. An 
frischen Präparaten erhält man die menschlichen Spermatoblasten 
immer nur bruchstückweise, sie lassen sich jedoch auch hier von 
den hellglänzenden, pigmentfreien Rundzellen, deren Kern erst durch 
Reagentien sichtbar zu machen ist, leicht durch die grossen ovalen, 
mit Kernkörperchen versehenen, ohne Weiteres sichtbaren Kerne, 
durch die gelben Fettkörner und durch das sehr blasse, hyaline 
Aussehen ihres Protoplasmas unterscheiden; aus letzterer Eigen- 
schaft erklärt es sich wohl, dass sie bisher von den meisten Be- 
 obachtern übersehen oder verkannt und nur die viel augenfälligeren 
Rundzellen den Beschreibungen des zelligen Inhalts der Samen- 
kanälchen zu Grunde gelegt wurden. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 319 


3. Das Epithel des Nebenhodens. 


Obwohl bereits vor längerer Zeit von O. Becker!) manche 
Eigenthümlichkeiten des Epithels des Nebenhodens beim Menschen 
und bei Thieren richtig erkannt und die Angaben desselben von 
anderen Forschern (Kölliker, Henle) bestätigt wurden, so ist 
doch, so viel mir bekannt, noch von keiner Seite der Versuch ge- 
macht worden, eine Parallele zwischen den epithelialen Zellen des 
Hodens und des Nebenhodens zu ziehen. Dass eine solche jedoch 
wohl berechtigt ist und dass in den Zellen des Nebenhodens der- 
selbe Typus, wenn auch in minderer Ausbildung sich wiederholt, 
wie wir ihn im Hoden kennen gelernt haben, mögen die nachfol- 
genden Bemerkungen erweisen, durch welche ich zugleich darzuthun 
hoffe, dass das Studium des Nebenhodenepithels für die richtige 
Auffassung der verschiedenen zelligen Hodenelemente und ihrer Be- 
theiligung bei der Samenbildung nicht ohne Bedeutung ist. 

Meine Aufmerksamkeit richtete sich insbesondere auf jenen 
oberen, aus dem Zusammenfluss der Vasa efferentia (Coni vasculosi) 
hervorgegangenen Abschnitt des gemeinschaftlichen Nebenhoden- 
kanals, an welchem Becker die besonders mächtige Entwicklung 
seines Epithels hervorhob. Becker fand dasselbe beim Menschen 
in seinem höchst entwickelten Zustande, insbesondere dann, wenn 
der Hoden gleichzeitig in voller Thätigheit ist und von Samen strotzt, 
zusammengesetzt aus »völlig cylindrischen, gerade abgestutzten, 
äusserst zartwandigen Zellen« von bedeutender Länge (0,042—0,056 
Mm.), versehen mit grossen, immer unterhalb der Mitte befindlichen 
Kernen und »mit den längsten Cilien, die im Menschen beobachtet 
sind«; von den kleinsten kaum bemerkbaren Fortsätzen an sah er 
die Cilien in jeder Längenverschiedenheit bis zu der enormen Länge 
von 0,035 Mm. Als zweite Eigenthümlichkeit der Cilien erwähnt 
Becker ihre Eigenschaft, »leicht zusammenzukleben, so dass es 
oft den Anschein hat, als wenn aus dem Innern der Zelle ein -solider 
Kegel hervorrage, nicht aber der Rand der Zelle mit Cilien besetzt 
sei.« Dass diese Kegel jedoch aus äusserst feinen Cilien zusammen- 
gesetzt sind, erkannte Becker deutlich an Hoden, welche, durch 
Kälte gegen Fäulniss geschützt, einige Tage gelegen hatten. Unter- 

1) 0. Becker, Ueber Flimmerepithelium und Flimmerbewegung im 
Geschlechtsapparate der Säugethiere und des Menschen in Moleschott’s 
Untersuchungen etc. II. 1857. 


320 E. Neumann: 


halb der so beschaftenen Flimmerzellen glaubte Becker »mehrere 
Schichten kleiner Zellen, deren Kern ihre Höhle fast ganz ausfüllt«, 
erkannt zu haben und er nennt daher das Epithel in dem in Rede 
stehenden Theil des Nebenhodenkanals ein »mehrfach geschichtetes«. 
Aehnlich lautet die Beschreibung Kölliker’s!), nur spricht der- 
selbe nicht von mehreren, sondern von einer einfachen Lage kleiner 
rundlicher Zellen unterhalb der mächtig entwickelten »walzenförmigen« 
Zellen mit 0,022—0,033 Mm. langen Cilien und auch Henle?) sagt, 
dass sich unter den grossen, von ihm als »kegelförmig« bezeichneten 
Flimmerzellen »eine einfache Schicht kleiner kugliger Zellen, deren 
Kerne kaum 0,005 Mm. messen«, befinde. 

Meinen Beobachtungen zufolge sind alle diese Angaben insofern 
nicht zutreffend, als die langen Säulen der bewimperten Zellen die 
ganze Breite des Epithelsaumes einnehmen, indem sie mit ihrem 
centralen Ende an das Kanallumen angrenzen, mit dem entgegen- 
gesetzten peripherischen Ende aber der fibro-muskulösen Wandschicht 
aufsitzen. Die kleinen Rundzellen, welche, wie ich mit Kölliker 
und Henle finde, nur eine einzelne Lage bilden und welche bei 
einem Durchmesser von 0,006—8 Mm. Kerne von 0,005 Mm. um- 
sehliessen, sind demnach nicht unterhalb jener langen Zellen ge- 
legen, sondern zwischen dieselben eingeschaltet oder vielmehr in 
halbkreisförmige Ausschnitte derselben, welche sich unmittelbar über 
ihrem Fussende befinden, eingedrückt. An den im Zusammenhange 
isolirten Cylinderzellen erscheinen demnach die leeren Lagerstätten 
der kleinen Rundzellen als kreisförmige Lücken in den peripherischen 
Theilen der Zellpalissaden (Fig. 2la), die einzelne Zelle aber zeigt 
in ihrer Form eine unverkennbare Aehnlichkeit mit der Form der 
Spermatoblasten, der breite cylindrische Zellkörper steht mittelst 
einer schmalen, von concaven Bogenlinien begrenzten Säule mit einer 
wiederum breiteren Fussplatte in Verbindung (Fig. 21b), doch ruhen 
die Rundzellen nicht oberhalb dieser Fussplatten, sondern sie treten 
durch Lücken zwischen denselben mit der Tunica fibrosa der Ka- 
nälchen in Berührung und man sieht sie letztern öfters noch an- 
haften, nachdem die langen Cylinderzellen herausgefallen sind (Fig. 
22). Aehnlich sind die Verhältnisse im Nebenhoden der Kaninchen, 
nur finde ich hier die Rundzellen grösser (0,013—0,016 Mm.) und 


1) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. 5. Aufl. p. 525. 
2) Henle, Splanchnologie. p. 363. 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 321 


mit gelblichen Fettgranulis erfüllt, sie befinden sich theils (Fig. 
23a, b) zwischen den langen Cylinderzellen, wie beim Menschen, 
theils (Fig. 236) gewissermassen von unten her in die Fussenden 
derselben eingedrückt und von ihnen kappenartig umschlossen. 

Auch hinsichtlich der Beschaffenheit der Kerne, die sich 
übrigens keineswegs constant unterhalb der Mitte der cylindrischen 
Zellen befinden, wie Becker behauptet (vgl. Fig. 21a), gleichen die 
letzteren den Spermatoblasten des Hodens, sie sind oval, bläschen- 
artig hyalin und mit deutlichen Kernkörperchen versehen, während 
die Kerne der Rundzellen körnig und rund sind. Bisweilen finden 
sich zwei Kerne in verschiedener Höhe der Zelle. Besonders be- 
achtenswerth aber erscheint mir das Verhalten der sogen. »Cilien«, 
es stellen dieselben, wie Becker es beschrieben, einen kegelförmigen, 
gestreiften, an den Enden öfters aufgefaserten Anhang der Zelle 
von mässiger Länge dar, der nicht immer deutlich durch einen 
Basalsaum von dem Protoplasma der Zelle selbst abgegrenzt ist. 

Dass es sich hier, wie Becker meint, um eine einfache » Ver- 
klebung« ursprünglich getrennter feiner Härchen handelt, scheint 
mir sehr fraglich, da letztere weder im frischen Zustande noch nach 
Behandlung mit Reagentien (Müller’sche Flüssigkeit) gesondert 
hervortreten; viel wahrscheinlicher ist mir die Auffassung jener An- 
hänge als ursprünglich compacter Masse, in welcher eine Differen- 
zirung und Zerspaltung in einzelne Cilien nur in unvollkommener 
Weise zu Stande kommt. Jedenfalls dürfte der Gedanke kaum ab- 
zuweisen sein, dass sie gewissermassen eine Mittelstellung einnehmen 
zwischen den Cilien gewöhnlicher Flimmerzellen und den grossen 
Spermatoblasten-Lappen des Hodens, aus denen sich die Sperma- 
tozoiden entwickeln. 

Vergleichen wir hiernach Hoden und Nebenhoden, so werden 
wir sagen müssen, dass ersterer seiner hervorragenden physiologischen 
Funktion entsprechend, zwar höher entwickelte und mannichfacher 
. differenzirte Zellformationen besitzt, als der Nebenhoden, dass beide 
aber nach gemeinschaftlichem Plane angelegt sind, und wir können 
hinzufügen, dass, wie Becker hervorgehoben hat, auch die physio- 
logische Entwicklung beider Hand in Hand geht, insofern zur selben 
Zeit, wo die Samenbildung im Hoden in Blüthe steht, auch das 
Epithel des Nebenhodens seine höchste Entwicklung erfährt, während 
das Epithel der als einfache Ausführungswege dienenden Vasa 
efferentia von der Geburt ab bis in’s späte Alter fast völlig sta- 


322 E. Neumann: 


tionär bleibt. Denken wir uns im Nebenhoden die Rundzellen in 
grösserer Zahl vertreten und zwischen den Öylinderzellen vielfach 
übereinandergethürmt und denken wir uns gleichzeitig die »Cilien« 
der letzteren zu Spermatoblasten-Lappen herangewachsen, so wäre 
damit der Uebergang zur wirklichen Hodenstructur gegeben. Ob 
ein solcher Uebergang unter gewissen Umständen sich wirklich reali- 
sirt und somit der Nebenhoden auch functionell befähigt werden 
kann, vicariirend für den Hoden einzutreten, dürfte weiterer Nach- 
forschungen werth sein. 


Erst nach Vollendung vorstehend mitgetheilter Untersuchungen 
und während der Abfassung des Manuscripts lernte ich die neuer- 
dings aus Ludwig’s Laboratorium hervorgegangene von V. von 
Mihalkovics veröffentliehte Arbeit »Beiträge zur Anatomie und 
Histologie des Hodens« (Berichte der math.-physik. Klasse der Kgl. 
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften Juli 1873) kennen und 
erlaube ich mir, hiermit nachträglich in Bezug auf einen Punkt, in 
welchen unsere beiderseitigen Beobachtungen divergiren, noch Fol- 
gendes beizufügen: 

Mihalkovics erklärt die von Sertoli und Merkel be- 
schriebenen, verästelten Zellen im Innern der Samenkanälchen, 
sowie das damit identische »Keimnetz« v. Ebner’s für Kunstpro- 
ducte, entstanden »durch die Gerinnung einer die Zwischenräume 
der Samenzellen ausfüllenden zähen Flüssigkeit.« Ich zweifle nicht 
daran, dass Mihalkovics in den von ihm untersuchten Hoden ein 
solches Gerinnungsprodukt vor sich gehabt hat ; es scheint mir aber, dass 
seine Beschreibung desselben als bestehend aus »soliden, von zwei 
scharfen Contouren begrenzten, homogenen, glänzenden Balken, 
die ein Netzwerk mit rundlichen Maschen und verdickten Knoten- 
punkten bilden« wenig passt auf die Gebilde, welche jene Autoren 
beschrieben und als zellige Elemente gedeutet haben; für diese sind 
die in regelmässiger Anordnung eingelagerten Kerne, das körnige, 
protoplasma-artige Aussehen, die blassen, unbestimmten Contouren 
charakteristisch und diese Eigenschaften stellen in der That ihre 
Zellennatur fest. Dass Mihalkovics nicht erkannt hat, dass 
die Spermatoblasten sich unter der Form ästiger Zellen dar- 
stellen können, dürfte daraus sich erklären, dass bei den von ihm 
vorzugsweise untersuchten Kater- und Eberhoden, über welche mir 


Untersuchungen über die Entwicklung der Spermatozoiden. 323 


keine Beobachtungen zu Gebote stehen, die Spermatoblasten die ein- 
fachere Säulenform beizubehalten scheinen und nicht, wie ich es 
bei den von mir untersuchten Thierspecies finde, durch die zwischen 
sie eingepressten Rundzellen zu einem maschigen Fachwerk um- 
gestaltet sind. Ich habe meinerseits in den Fodenkanälchen nie- 
mals ein aus »glänzenden homogenen Balken« zusammengesetztes 
Netzwerk gesehen, welches mir den Verdacht eines Gerinnungspro- 
ductes erweckt hätte und kann ein solches natürlich auch nur in 
solchen Hoden auftreten, bei denen die Zellen sich nicht unmittelbar 
berühren, sondern Zwischenräume bestehen bleiben, die von der 
Samenflüssigkeit ausgefüllt werden. Wohlbekannt ist mir dagegen 
ein solches artificielles Netzwerk aus Durchschnitten gehärteter 
Nebenhoden, wo dasselbe das Lumen des Kanals ausfüllt und wo 
an der Bildung desselben ausser dem geronnenen Inhalte auch die 
mit demselben verschmelzenden grossen Gilienlappen participiren. 
(Fig. 24.) 
Königsberg i. Pr., August 1874. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII. 


Fig. 1—5. Aus dem Hoden von Rana temp, 

Fig. 1A. Reifer Samenfaden im natürlichen Zustande, 1b Samenfaden nach 
Aufquellung des Mittelstückes a in wässriger Haematoxylin-Lösung. 

Fig. 2 a, b, ce Rundzellen aus den Samenschläuchen, Osmium-Präparat. 

Fig. 3. Spermatoblasten ebendaher, Osmium. 
a, b, c, d verschiedene Formen einfacher Spindelzeilen. 
e, f Spindelzellen, deren breiterer Fortsatz eine lineare Strichelung 
die erste Anlage der Spermatozoiden erkennen lässt. 
g, h Spindelzellen, deren breiter Fortsatz ein Spermatozoiden- 
Büschel trägt. 

Fig: 4. Schnitt aus dem in Osmium-Säure gehärteten Hoden eines in der 
Kopulation begriffenen Frosches. 
a, a Durchschnitte von zwei Samenschläuchen, die durch einen 
schmalen, von fettigen Granulis durchsetzten Bindegewebsbalken b 
von einander getrennt sind. 
ce Rundzellen, d Spermatoblasten. 
« Querschnitt eines Ausführungsganges. 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bad. 11. 22 


E. Neumann: Untersuch. über d. Entwicklung d. Spermatozoiden. 


5. Flächenansieht eines Samenschlauches. 
a Rundzellen, b das fettig granulirte Protoplasma der Fussenden 
der Spermatoblasten zwischen ersteren. 


&.6—16. Aus den Hoden der Ratte. Präparate aus Müller’scher Flüssigkeit. 
. 6. 'Tuniea propria der Samenkanäle mit ihren Kernen. 
. 7. Fussplatte isolirter Spermatoblasten. 


” 


Dieselben im Zusammenhange. 

a Scheinbare Lücke zwischen denselben, 
b, b Kerne der Fussplatten, 

c, ec, e kleine Fetttröpfehen in denselben, 
d, d, d aufgelagerte kleine Rundzellen. 


. 9. Aehnliehes Präparat, die Rundzellen (d, d) nur theilweise erhalten, 


bei a, a, a scheinbare Lücken, den Eindrücken der herausgefallenen 
Rundzellen entsprechend. 


,, 10. Aehnliches Präparat, bei e, e, e die kurz abgebrochenen perpen- 


dieulären Fortsätze der Spermatoblasten. 


', 11—15. Die verschiedenen Entwicklungsstadien der Spermatoblasten. 

. 16. Fertige Spermatozoiden, b ein Zwillings-Spermatozoid. 

. 17—19. Aus dem Hoden des Kaninchen. Müller’sche Flüssigkeit. 

. 17. a Kleinere granulirte, b, b grössere glasige Rundzellen mit fazetten- 


artigen Vertiefungen. 


. 18. Fussplatten der Spermatoblasten, ein scheinbares Netzwerk bildend. 


a, a aufgelagerte Rundzellen, 
b, b die Kerne der Spermatoblasten. 


. 19. Profilansicht der Spermatoblasten, 


a ein einfacher Spermatoblast mit büschelförmiger Spermatozoiden- 
Anlage, 


b drei aneinanderstossende Spermatoblasten, von denen zwei kurz ab- 
gebrochen sind, 


«@, « zwischen die Säulen derselben eingeschaltete Rundzellen. 


g. 20. Verschiedene Formen der Spermatoblasten des Menschen — 


Müller’sche Flüssigkeit. 


. 21. Grosse Cylinderepithelien des Nebenhodenkanals des Menschen, a im 


Zusammenhange, b isolirt, bei $ die kegelförmigen Cilienlappen. 


y. 22. Querschnitt durch denselben, die Cylinderepithelien sind herausge- 


fallen, die zurückgebliebene Rundzellen («) der Tunica fibrosa anhaftend 


. 23. Nebenhodenepithel des Kaninchen, « fettiggranulirte, zwischen die 


Cylinderzellen eingedrückte Rundzelle, #, $ die grossen Cilienlappen. 


. 24. Querschnitt durch den Nebenhodenkanal der Ratte, das Lumen mit 


netzförmig geronnenem Inhalt erfüllt. 


A > 


Ueber amöboide Bewegungen des Kernkörperchens. 
Von 


Prof. Dr. Th. Kimer. 


Hierzu vier Holzschnitte. 


Vor Kurzem hat Herr Alexander Brandt amöhoide Be- 
wegungen des Keimflecks aus den Eiern von Blatta orientalis be- 
schrieben !) und spricht die Vermuthurg aus, es werde sich dieses 
Verhalten bald als eine sehr verbreitete Grundeigenschaft «des Kern- 
körperchens überhaupt herausstellen. 

Ich bin in der Lage, in Folgendem einen Beitrag zum Nach- 
weise der Berechtigung dieser Vermuthung zu liefern, welcher sich 
sründet auf Beobachtungen, die ich schon vor 5 Jahren gemacht 
habe, bisher jedoch desshalb nicht veröffentlichte, weil sie von mır 
beabsichtigten weiteren Mittheilungen über das thierische Ei einge- 
fügt werden sollten. 

Im November 1871 gewahrte ich an den in indifferenten Flüs- 
sigkeiten (so viel ich mich erinnere, in der Augenflüssigkeit und in 
Jodserum) untersuchten Keimfiecken der Eier von Welsen (Silurus 
glanis), welche damals ein Würzburger Fischer in stattlichen Exem- 
plaren lebend aus der Donau erhalten hatte, zuerst Bewegungs- 
erscheinungen. 

An einem der grossen (0,034 Mm.) Keimflecke erschien zu- 
nächst eine uhrglasähnliche Erhebung, welche sich langsam zu einer 


1) Im 4. Hefte des X. Bandes dieses Archivs und in den Mem. de 
Pacad. imperiale des sciencex de St. Petersbourg. VII. Ser. T. XXT. 1874. 


326 Th. Eimer: 


bedeutenderen, zuletzt zipfelartig sich ausziehenden Hervorragung 
vergrösserte, wieder verkleinerte und verschwand. Dafür trat an 
ae einer anderen Stelle des Keimflecks 

= a a eine ähnliche Erhebung auf; andere 
SATUNO Male waren ihrer 3 und 4 gleich- 

zeitig vorhanden, erscheinend und 
schwindend in langsamem Wechsel. 
Dasselbe sah ich in der Folge 

an zahlreichen anderen Keimflecken 
der Eier des Welses und ebenso an 
denen des Karpfen. Zuweilen zeig- 
Oo Dig ten dieErhebungen ein etwas helleres 

ner Aussehen als die Hauptmasse des 

von u een none u Le0ke, wie WERL AUS EEE 
chen (0,027 Mm.), Kf Keimfleck. hung auf die stoffliiche Zusammen- 
setzung von dieser etwas verschieden wären, ähnlich den Fortsätzen 
von Amöben oder jenen der farblosen Blutkörperchen. Und öfters 
erschienen dann die Erhebungen von 

PN der ursprünglichen Kugel oder El- 
Same lipsoidform des Keimbläschens wie 
durch eine zarte Scheidewand ge- 
trennt, so dass der Verdacht rege 


7 wurde, es handle sich in solchen 
Fällen um einen Diffusionsvorgang, 
Fig. 2. Yig.s. um so mehr, als ähnliche Bilder 


Keimbläschen eines Kar- Keimflecke 


pfeneien,, DIR Sranss Köılıiimsfeinem. DE Untersuchung, ‚der Keimflecken 
en Den in ungeeigneten Flüssigkeiten, sowie 
auch als Leichenerscheinung sehr gerne auftreten. Dagegen sprach 
jedoch der auch hier stattfindende stetige Wechsel der Erscheinung, 
an Haan A ihr Entstehen und Schyinden, bald an der, 
{ .) ®& \ / bald an jener, bald nur an einer Stelle, dann wie- 
we r Y” der an verschiedenen zugleich, ferner der Um- 
EN RE einem Stand, dass auch hier die Fortsätze, gleich Pseu- 
nderhufseretnen roman. dopodien, langsam aus- und eingezogen wurden. 
In Folge des Auftretens dieser Fortsätze an verschiedenen 
Stellen der Kugeloberfläche beobachtete ich zuweilen Lageveränder- 
ungen des ganzen Keimflecks, theilweise Drehungen desselben, eine 
Wirkung der Störung der Gleichgewichtslage des in der flüssigen 
Masse des Keimbläschens schwebenden Korperchens. 


Ueber amöboide Bewegungen des Kernkörperchens,. 327 


Seinen eigenen Beobachtungen schliesst A. Braun Angaben 
von R. Wagener, Stein, Leydig, Claus, Landois und von 
la Valette St. George über unregelmässige Formen der Keim- 
flecke an, welche durch Contractilität ihre Erklärung finden. Das- 
selbe gilt für die Beobachtungen, welche ich über die Kernkörper- 
chen der grossen Kerne des Granulosaepithels der Ringelnatter im 
VIII. Bande S. 236 dieses Archivs!) mitgetheilt und dort in Fig. 26, 
Taf. XII abgebildet habe. Ich sagte dort: „Wenn zwei Kernkör- 
perchen sich eben von einander getrennt hatten, so waren sie hie 
und da wie durch etwas protoplasmaartige Masse noch zusammen- 
gehalten, welche offenbar durch die beiden von einander sich 
entfernenden Gebilde als weiche Masse ausgezogen wurde, um später 
doch noch zwischen beiden sich zu theilen. 

Die zwei neugebildeten und noch nahe aneinander liegenden 
Kernkörperchen liefen oft an einer Seite eigenthümlich spitz aus, 
wie die zwei Theilprodukte, in die man einen zähen Pechtropfen 
auseinandergezogen sich denkt.“ 

Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir noch auf ein Missver- 
ständniss hinzuweisen, zu welchem die Darstellung meiner Auffas- 
sung vom Baue des Zellkernes Auerbach Veranlassung gegeben 
zu haben scheint, indem derselbe an mehreren Stellen seines diesem 
Körper gewidmeten Buches?) sich in dem Sinne äussert, als ob ich 
dem Kern ein „festes, mehrschaliges Gefüge“ zuschreibe, welcher 
Auffassung er dann die gegenüberstellt, es sei die Grundsubstanz 
des Kerns eine sehr weiche, wenn nicht flüssige Masse). Beim Wie- 
derdurchlesen meines Aufsatzes‘) kann ich Anhaltspunkte für jenes 
Missverständniss nicht finden, es seien denn die Worte, mit welchen 
ich die verschiedenen von mir am Kern beschriebenen Schichten 
bildlich als „Schalen“ bezeichne?). Dass ich mir aber diese Schalen 

1) Th. Eimer, Unters. über die Eier der Reptilien 1. 

2) Auerbach, Organologische Studien, I. Heft, zur Charakteristik und 
Lebensgeschichte der Zellkerne, Breslau 1874. 

SW2=JBUN: 137.,8.08;: O. 

4) Th. Eimer, Zur Kenntniss vom Baue des Zellkerns. Dieses Arch. 
Bd. VIII. S. 145 ff. 

5) In demselben Sinne möchte ich an Stelle der Bezeichnung »Körn- 
chenkreis«, welche nur auf optische Durchschnittsbilder sich bezieht, da wo 
es sich um die Berücksichtigung des körperlichen Verhaltens handelt, den 
Namen »Körnchenschale« vorschlagen; dieser Ausdruck würde dann auch den 
von Auerbach gewählten »Sphäre« zu decken vermögen. 


325 Th. Eimer: Ueber amöboide Bewegungen des Kernkörperchens. 


fest dächte, finde ich nirgends augedeutet. Die Thatsache, dass ich 
Theilungs- und Knospungsvorgänge des Kernkörperchens einschliess- 
lich zweier dieser „Schalen“, nämlich des hellen, um das letztere 
liegenden Hofs und darauffolgenden Körnchenkreises beschreibe, deu- 
tet vielmehr auf das Gegentheil und weichen meine Ansichten in 
der That in dieser Beziehung durchaus nicht von denjenigen Auer- 
bach’s, welche ja aus guten Gründen die allgemein üblichen sind, ab. 


Rhizopodenstudien!‘). 
Von 
Franz Eilhard Schulze. 
TV: 


(Hierzu Tafel XVIII u. XIX.) 


Aus der Gruppe der Rhizopoden mit breit abgerundeten lappen- 
_ oder fingerförmigen Pseudopodien gedenke ich hier nur einige weniger 
bekannte Formen näher zu besprechen. 


Quadrula symmetriea, m. — Difflugia symmetrica, Wallich. 
Taf. XVIII Fig. 1-6. 


Sowohl hier bei Graz als in Rabenau bei Dresden habe ich 
am Grunde verschiedener Süsswassersammlungen ziemlich häufig 
einen Rhizopoden mit einem aus lauter quadratischen glashellen 
Platten zusammengesetzten Gehäuse angetroffen, welchen ich lange 
Zeit für neu hielt, bis ich gelegentlich fand, dass Wallich in 
seinem Aufsatze: »On the extent and causes of structural variation 
among the Difflugian Rhizopodes«?) unter dem Namen Difflugia 
 symmetrica mit wenigen Worten und einer Abbildung, Fig. 26, ein 
Thier kurz dargestellt hat, welches höchst wahrscheinlich mit dem 


1) Auf die inzwischen erschienenen, mir aber erst nach Abfassung dieses 
Aufsatzes zugegangenen Arbeiten von Hertwig und Lesser (dieses Archiv, 
Supplementheft zum X. Bande) sowie von Greeff (dieses Archiv, XI. Band, 
1. Heft) über zahlreiche Rhizopoden, welche mit den von mir studirten zum 
Theil identisch, zum Theil sehr nahe verwandt sind, gedenke ich in einem 
folgenden Artikel bei Gelegenheit einer vergleichenden kritischen Uebersicht 
näher einzugehen. 


2) Annals of natur. history Bd. VIII. 1864. p. 215. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 23 


330 Franz Eilhard Schulze: 


von mir beobachteten identisch ist. Da aber die Gattung Difflugia 
doch nur solche lobosa umfasst, welche ein aus fremden Körpern 
gebildetes oder mit denselben besetztes, jedenfalls aber kein aus 
Platten zusammengesetztes Gehäuse besitzen, so scheint mir für 
unsere Form die Aufstellung einer neuen Gattung unbedingt noth- 
wendig. Nach der viereckigen, annähernd quadratischen Gestalt 
der zum Aufbau des Gehäuses verwandten Platten habe ich den 
Gattungsnamen Quadrula gebildet. 

Hinsichtlich der äussern Form gleicht das Thier einer seitlich 
comprimirten und an dem schmaleren Ende quer abgestutzten Birne 
mit gerader Längsaxe. Die Länge beträgt 0,084—0,01 Mm.; 
die etwa auf der Grenze zwischen hinterem und mittlerem Drittel 
gelegene grösste Breite 0,04—0,05 Mm., die ebendaselbst gemessene 
grösste Dicke 0,023—0,03 Mm. Ein zur Längsachse senkrecht ge- 
führter Durchschnitt (Querschnitt) würde überall eine reine Ellipse 
darstellen, wie das auch die Ansicht vom vorderen oder hinteren 
Ende schon direct zeigt (Taf. XXVII, Fig. 3 und 4). Die am Vorder- 
ende befindliche Mündung wird von zwei den flacheren Seiten entspre- 
chenden Lippen mit etwas convexem Rande und zwischenliegenden (den 
schmaleren Seitenrändern entsprechenden) seichten Auskehlungen ge- 
bildet (Fig. 2). Der Panzer besteht aus einer grossen Anzahl völlig 
structurloser und glasheller Platten, welche mit den Seitenrändern 
genau aneinanderstossen und der Oberfläche des Thieres entsprechend 
gebogen sind. Die Form dieser Platten ist meistens ganz oder an- 
nähernd quadratisch, indessen können hie und da auch verzogen 
viereckige ja ausnahmsweise wohl gar dreieckige vorkommen, wenn 
es die Biegung der Fläche oder die ganze Anordnung für das. voli- 
ständige Aneinanderschliessen erfordert. 

Die Grösse der Platten variirt bedeutend nach der Körperregion, 
auch wohl nach den Individuen. Die grössten Platten von circa 
0,012 Mm. Seitenlänge, welche zugleich auch die am regelmässigsten 
geformten zu sein pflegen, kommen gewöhnlich an der Breitseite in 
der mittleren Region oder auch unmittelbar am Mündungsrande vor, 
die kleinsten dicht oberhalb dieser Mündungsrandplatten. Hinsicht- 
lich der Plattenanordnung muss man regelmässig gebaute Panzer 
von solchen unterscheiden, welche einen abnormen und dabei ge- 
wöhnlich unsymmetrischen Bau zeigen. Bei einem normal gebauten 
Panzer sieht man die Platten in ganz oder annähernd rechtwinklig 

sich schneidenden Längs- und Querreihen so angeordnet, dass die 


Rhizopodenstudien. 331 


Grenzlinien gewöhnlich ganz herumlaufen, wobei sich meistens eine 
Längslinie gerade in der Mitte des schmalen Randes findet, während 
die Mitte der breiten Fläche von einer Plattenlängsreihe eingenommen 
zu werden pflegt. (Vgl. Fig. 1, 2, 3 und 5.) Die Zahl der Längs- 
und Querreihen scheint ziemlich zu variiren. Durchschnittlich sind 
10—12 annähernd parallele Querreihen und jederseits 6—8 Längsreihen 
vorhanden. Eine eigenthümliche Störung dieser Symmetrie findet sich 
dicht hinter den die Mündung umsäumenden Marginalplatten. 
Während nämlich diese letzteren stets eine geschlossene Reihe 
grosser gleichmässig quadratischer Platten darstellen, welche am 
freien Rande durch eine Art von verdickter Randleiste ausgezeichnet 
sind, so zeigt sich dicht hinter denselben eine Querreihe, welche 
keilförmig auslaufend, aus allmählich kleiner werdenden Platten be- 
steht. Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dass die kleinsten Platten 
der zweiten Reihe die zuletzt gebildeten, die jüngsten sind, und dass 
gerade an dieser Stelle beim Wachsthum des Thieres neue Platten 
angelegt werden. 

Sind nun auch die in so regelmässiger Weise gebauten Panzer 
die bei Weitem häufigsten, so kommen daneben doch auch zahlreiche 
Anomalien vor. Oft liegen die Platten an der einen Flachseite des 
Panzers in regelmässigen Längs- und Querreihen geordnet, während 
an der andern einige Reihen schräge ziehen und desshalb eine An- 
zahl von Platten nicht die gewöhnliche Quadratform zeigen sondern 
als Trapezoide oder Dreiecke die übrig bleibenden Lücken füllen. 
Bisweilen ist auch der hintere Theil des Panzers, in anderen Fällen 
der vordere allein unregelmässig gebildet. 

Bei verhältnissmässig geringem Druck kann man jede, besonders 
aber die leeren Schalen in ihre Bestandtheile, die einzelnen Platten, 
zersprengen. 

Häufig findet man auch in leeren Schalen eine Anzahl freier 
oder zu Paqueten zusammengeschobener Platten. 

Der durch gröbere und feinere Körnchen ziemlich gleichmässig 
getrübte Weichkörper füllt das Gehäuse gewöhnlich nicht vollständig 
aus. Durch den zwischen beiden Theilen übrig bleibenden, mit 
heller Flüssigkeit erfüllten Raum ziehen einige dünne Protoplasma- 
stränge quer hindurch, welche mit etwas breiterer Basis von dem 
hinteren breitern Theile des Weichkörpers ausgehen, sich ziemlich 
gleichmässig zuspitzen und mit ihrem äusseren spitzen Ende sich 
an die Panzerwand inseriren. 


532 Franz Eilhard Schulze: 


In dem voluminöseren hinteren Theile des Weichkörpers liegt 
ziemlich central ein grosser heller kugliger Kern mit einem deutlich 
erkennbaren dunkelen ebenfalls kugeligen Kernkörperchen in der 
Mitte. Vor dem Kerne aber etwas seitwärts sieht man ein oder 
mehrere, gewöhnlich zwei pulsirende Vacuolen. 

Die etwa aufgenommenen Nahrungsmittel pflegen sich in dem 
mittleren Abschnitte des Leibes anzuhäufen. 

Von dem stets dem Mündungsrande der Schaale anliegenden 
Vorderende des Weichkörpers gehen die breiten fingerförmigen und 
mit stumpf-abgerundeten Enden versehenen Pseudopodien ab, welche 
entweder ganz einfach sind oder sich ein- höchstens zweimal gablig 
theilen. 

Ich finde die Masse, aus welcher die Pseudopodien bestehen, 
nicht durchaus hyalin, sondern mit sehr vielen äusserst feinen Körn- 
chen durchsetzt, welche besonders in der Mitte deutlich wahrnehm- 
bar sind, aber auch in den Randpartien keineswegs fehlen. 


Pseudochlamys patella, Clapare&de und Lachmann. 
Taf. XVIH. Fig. 7—14. 


In den Etudes sur les infusoires et les rhizopodes haben 
Claparede und Lachmann imJahre 1368 einen bis dahin unbe- 
kannten Rhizopoden unter dem Namen Pseudochlamys patella be- 
schrieben und abgebildet, welcher wegen des Besitzes einer nicht 
festen und starren, sondern sehr elastischen, biegsamen, dem Gehäuse 
einer flachen Patella gleichenden Schale als eine Uebergangsform 
zwischen den nackten und gepanzerten »Amoebeens« hingestellt wurde, 

Das Thier scheint weit verbreitet und überall häufig zu sein; 
wenigstens habe ich es sowohl bei Rostock als bei Graz in vielen 
Exemplaren im schlammigen Bodensatze der verschiedensten Süss- 
wässer angetroffen. Der kurzen aber genauen Schilderung der Ent- 
decker stimme ich im Allgemeinen bei, glaube aber noch einige 
nicht unwichtige Einzelheiten hinzufügen zu können. 

Die gewöhnlich ziemlich flach ausgebreitete uhrglasförmige 
Schale besteht aus einer chitinartigen Substanz und ist nicht über- 
all gleich stark, sondern in der Mitte am dicksten und läuft nach 
dem kreisförmigen Rande zu in eine ganz dünne Membran aus. 
Wie schon Clapar&de und Lachmann hervorhoben, ist sie unge- 


Rhizopodenstudien. 333 


wöhnlich biegsam, so dass sie in der mannichfachsten Weise sowohl 
von dem Thiere selbst als auch durch äussere Einwirkungen gefaltet 
und gebogen werden kann. Dies gilt aber ganz besonders von der 
dünneren Randpartie, welche sehr häufig eingerollt, auch wohl nach 
innen oder nach aussen ganz oder theilweise umgeschlagen werden 
kann. In den Figuren 8—14 der Taf. XVIII habe ich einige solcher 
Faltungs- und Biegungszustände wiederzugeben versucht. Die hell- 
bräunliche Färbung kann in der Intensität ausserordentlich verschie- 
den sein; bald ist sie kaum zu bemerken, bald ziemlich stark aus- 
geprägt, stets aber in dem mittleren Theile am deutlichsten, so dass 
die Randpartie gewöhnlich fast farblos erscheint und leicht übersehen 
werden kann. 

Mit starken Vergrösserungen habe ich zuweilen, besonders 
deutlich an dem mittleren Theile eine sehr feine Gitterzeichnung 
mit kleinen, regulär sechseckigen Maschen wahrgenommen (Taf. XVIII, 
Fig. 13), ähnlich derjenigen, welche am Gehäuse von Arcella so aus- 
geprägt zu sehen ist. Ich halte sie durch feine Verdickungsleisten 
der concaven Innenfläche bedingt. 

Der Weichkörper des Thieres ist von platter Kuchenform und 
mit der eben beschriebenen Schale in der Weise verbunden, dass er 
mit seiner oberen Fläche dem mittleren Theile der concaven Schalen- 
seite unmittelbar anliegt, während der Schalenrand, wie das auch 
Clapar&de und Lachmann in Fig. 6 auf Taf. 22 ihres Werkes 
darstellen, im Allgemeinen frei bleibt. Indessen habe ich in den 
meisten Fällen auch eine eigenthümliche Verbindung des Weichkör- 
pers mit dem peripherischen Theile der Schale wahrgenommen, ver- 
mittelt durch eine Anzahl schmaler und spitz auslaufender Proto- 
plasmastränge oder Fäden, welche von dem Seitenrande des kuchen- 
förmigen Hauptkörpers sich allmählig verschmälernd ziemlich radiär 
zu dem Schalenrande hinziehen und sich hier mit ihren Endspitzen 
inseriren (Fig. 8, 9, 10 und 14). Es stellen diese Protoplasmafäden 
gleichsam die Muskeln dar, mit welchen das Thier die Randtheile 
seiner Schale regieren kann. Bisweilen scheinen übrigens diese 
Stränge auch fehlen zu können, wenigstens habe ich sie bei ganz 
ruhig auf einer glatten Unterlage festsitzenden Thieren, wie sie in 
Fig. 7 und 11 abgebildet sind, nicht bemerkt. 

In Mitten des mit gröberen und feineren Körnchen durch- 
setzten Protoplasmaleibes lässt sich meistens sehr deutlich auch schon 
ohne Anwendung von Reagentien, jedenfalls aber mit deren Hülfe 


334 Franz Eilhard Schulze: 


ein rundlicher Kern erkennen. Um einen stärker lichtbrechenden 
und gänzlich homogenen kugligen Körper findet sich ein heller Hof, 
welcher sich nach aussen ziemlich scharf abgrenzt. Ich betrachte 
das Ganze als einen Kern, sehe daher in dem inneren homogenen 
Körper einen Nucleolus. Selten nur fand ich zwei derartige Kerne 
nebeneinander. (Fig. 8.) 

Pulsirende Vakuolen kommen bei Pseudochlamys, wie auch 
Clapar&ede und Lachmann angeben, gewöhnlich mehrfach in 
der Randpartie des kuchenförmigen Protoplasmakörpers vor. Zu- 
weilen formiren sie einen förmlichen Ring. 

Ausser den vorhin erwähnten spitzen Haftfäden, welche zur 
Schale ziehen, finden sich am Rande und an der Unterfläche des 
Weichkörpers als pseudopodienartige Fortsätze zunächst eigenthüm- 
lich rundliche, knollig aussehende kurze homogene Vortreibungen 
(Fig. 14); ausserdem aber wird zu Zeiten, besonders bei ausser- 
gewöhnlichen Anstrengungen ein — selten mehrere — langer finger- 
förmiger heller und homogen erscheinender Fortsatz von der Unter- 
fläche hervorgetrieben, welcher in seiner Form durchaus den lappen- 
artigen Pseudopodien der Arcellen und Difflugien gleicht. Der Ver- 
muthung CGlaparede’s und Lachmann’s, dass jene Thiere, an 
welchen diese seltener zu beobachtenden Fortsätze auftreten, viel- 
leicht zu einer anderen Species gehören, kann ich keineswegs bei- 
stimmen. Es lässt sich nämlich durchaus kein Unterschied zwischen 
den ruhig dasitzenden oder sich langsam über eine glatte Fläche 
hinschiebenden fortsatzlosen Thieren und denjenigen auffinden, welche 
in kritischen Situationen (etwa wenn sie auf dem Rücken liegend 
sich wieder aufrichten wollen oder durch absichtlich von mir er- 
zeugte Strömungen hin und her getrieben oder umgewälzt werden) 
gelegentlich einen solchen fingerförmigen Fortsatz ausstrecken, sich 
mit demselben festhalten oder aufrichten und ihn darauf wieder 
einziehen. 

Einmal sah ich zwei Exemplare mit ihren Bauchflächen an- 
einanderhaften und mehrere fingerförmige Fortsätze durch die Spalte 
zwischen den beiden Schalen vorschieben. 


. Rhizopodenstudien. 335 


Hyalosphenia, Stein. 
Taf. XVII, Fig. 15—22. 


Im Jahre 1857 wurde von Stein!) eine neue Rhizopodengattung 
Hyalosphenia aufgestellt und nach einer bei Prag aufgefundenen 
Species. folgendermassen characterisirt: »Gehäuse oval, nach vorne 
zu sehr stark keilförmig abgeplattet, am vorderen Ende gerade ab- 
gestutzt, ohne lippenartige Ränder, seiner ganzen Ausdehnung nach 
glasartig durchsichtig und farblos, ohne alle Spur polygonaler Ein- 
drücke. Zu der engen Oeffinung wird immer nur ein einziges finger- 
förmiges Pseudopodium hervorgestreckt. Das Thier kann sich plötz- 
lich und gewandt in den Grund des Gehäuses zurückziehen, wobei 
aller Zusammenhang mit der Gehäusemündung aufgehoben wird.« 

Eine in diese Gattung Hyalosphenia Steins gehörige Rhizo- 
 podenform habe ich einmal im Wallgraben bei Rostock und dann 
in grosser Menge in einem Bassin des botanischen Gartens hier in 
Graz gefunden. 

Da ich nun gerne wissen wollte, ob diese Grazer Art mit der 
von Stein bei Prag entdeckten, aber noch nicht abgebildeten, als 
Hyalosphenia cuneata bezeichneten Species identisch sei, sandte ich 
einige Zeichnungen an Herrn Regierungsrath Stein in Prag, welcher 
darauf die Güte hatte, mir Zeichnungen der von ihm studirten Form 
mitzutheilen. Die Vergleichung dieser letzteren führte sofort zu 
der auch von Herrn Regierungsrath Stein ausgesprochenen Ueber- 
zeugung, dass beide Formen als zwei durchaus verschiedene Species 
zu betrachten seien. 

Ich nenne die von mir beobachtete Art Hyalosphenia lata 
und werde sie hier etwas näher beschreiben. 


Hyalosphenia lata, nov. spec. 
Taf. XVII. Fig. 15—18. 


Die Gestalt der ganz glashellen und völlig structurlosen dünnen 
membranösen chitinartigen Schale ist die einer ziemlich stark seit- 
lich comprimirten und am dünneren Ende quer abgestutzten Birne. 


1) Sitzungsberichte der K. Böhmischen Akademie der Wissenschaften. 
Januar 1857. 


336 Franz Eilhard Schulze: \ 


Ihre Länge beträgt circa 0,06 Mm., die in der Nähe des hinteren 
Endes gelegene grösste Breite circa 0,035, also fast ?/; der Länge; 
jedoch nimmt die Breite nach dem quer abgestutzten nur 0,0126 
Mm. breiten Vorderende zu ziemlich stark ab. Auch die Dicke ist 
in der Nähe des Hinterendes am stärksten, nahe an 0,015 Mm., 
dagegen am Vorderende nur 0,004 Mm. Ein zur Längsaxe senk- 
recht gelegter Durchschnitt würde demnach eine Ellipse darstellen, 
wenn nicht besonders in der Mitte und am Hinterende des Thieres 
sich in der Nähe des Seitenrandes jederseits noch eine Längseinziehung 
fände, wodurch der Querschnitt mehr dem Längsschnitt einer Citrone 
ähnlich wird. (Fig. 17.) Dagegen stellt die am vorderen abgestutzten 
Ende gelegene Oeffnung in der That eine reine Ellipse dar; sie wird 
übrigens von einem schwach verdickten und zuweilen ein wenig nach 
aussen gebogenen Rande umsäumt. 

Der Weichkörper füllt die Schale nicht vollständig aus, sondern 
ist von ihr durch einen besonders an dem schmalen Randtheile er- 
heblichen mit heller Flüssigkeit gefüllten Raum getrennt, welcher 
von ähnlichen fadenförmigen Protoplasmasträngen, wie wir sie schon 
bei der oben besprochenen Quadrula und auch bei Pseudochlamys 
kennen gelernt haben, durchsetzt wird. Diese auch hier zur Anheftung 
an den hinteren Theil der Schale dienenden, spitz endigenden dünnen 
Stränge scheinen besonders von dem schmalen Rande auszugehen, 
während der breite Seitenrand der Schale bedeutend näher, vielleicht 
hie und da auch direct anliegt. (Fig. 17.) 

Ausserdem ist eine constante Verbindung des Weichkörpers 
mit der Schale am Mündungsrande zu finden. Ein solches plötz- 
liches Sichzurückziehen des Weichkörpers vom Mündungsrande in 
das Innere der Schale, wie Stein es an seiner H. cuneata beobachtete, 
habe ich hier niemals wahrgenommen. 

Das homogene helle Protoplasma des Körpers wird von vielen 
ziemlich gleich grossen Kügelchen oder Körnchen von mattem Glanze 
durchsetzt. Es enthält in dem breiten hinteren Abschnitte einen 
0,011 Mm. dicken kugeligen Kern mit einigen verhältnissmässig 
grossen, dunkel erscheinenden kugeligen Kernkörperchen, deren Zahl 
bis auf 6 und mehr steigen kann. Neben und vor dem Kerne be- 
merkt man gewöhnlich zwei in der Nähe des Seitenrandes gelegene 
pulsirende Vakuolen. Etwaige Nahrungskörper liegen in dem mitt- 
leren Abschnitt des Leibes vor dem Kerne. 

Aus der Schalenöffnung werden grosse am Ende breit abge- 


Rhizopodenstudien. 337 


rundete fingerförmige Pseudopodien hervorgestreckt, gewöhnlich nur 
einer, zuweilen aber auch zwei oder’drei, welche dann an der Basis 
zusammenzuhängen pflegen. Wie bei Quadrula fand ich auch hier 
die Pseudopodien von vielen sehr feinen Körnchen durchsetzt, deren 
fliessende Bewegung besonders in der Axenregion der längeren Fort- 
sätze leicht zu sehen war. 


Während die drei zuletzt besprochenen Rhizopoden in der Form 
ihrer abgerundet finger- oder lappenförmigen Pseudopodien unter- 
einander ebenso übereinstimmen wie die früher behandelten unter 
sich in der Bildung ihrer dünnen langgestreckten fadenförmigen mehr 
oder weniger zum Verschmelzen geneigten Scheinfüsschen, so sind 
mir auch Rhizopoden begegnet, deren zur Bewegung und Nahrungs- 
aufnahme dienende vorstreckbare Körperfortsätze sich weder zu 
den fingerförmigen, noch zu den ausgesprochen fadenförmigen Pseudo- 
podien stellen liessen, sondern eigenartige Formcharactere anderer 
Art aufwiesen. 

Ich werde mir erlauben, einige dieser hinsichtlich ihrer Pseudo- 
podienform von den grossen Hauptgruppen abweichende Rhizopoden, 
wenn sie auch zum Theil schon bekannt sind, noch besonders zu 
besprechen. 


Cochliopodium pellueidum, Hertwig u. Lesser. 
Amphizonella vestita, Archer. 
Taf. XIX. Fig. 1-5. 


Im Jahre 1871 hat Archer eine ebensosehr durch genaue Be- 
schreibung als durch sorgfältige und geradezu künstlerische Aus- 
führung der Abbildungen ausgezeichnete Darstellung!) von einem 
kleinen Süsswasserrhizopoden gegeben, welchen er in die von Greeff?) 
gegründete Gattung Amphizonella stellte und A. vestita nannte, 
obwohl dieses Thier, wie Archer selbst erwähnt, entschieden 


1) Quarterly journal of microscop. science. Vol. XI. Jahrgang 1871. p. 
107 und Taf. VI. 1—5. 


2) Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. II. p. 323. 


338 Franz Eilhard Schulze; 


die grösste Aehnlichkeit mit der schon im Jahre 1856 von Auer- 
bach!) beschriebenen Amoeba bilimbosa und Amoeba actinophora 
hat, ja höchst wahrscheinlich mit einer dieser Formen identisch ist, 
und ausserdem die Zugehörigkeit zu der wenig scharf characterisirten 
Gattung Amphizonella Greeffs zweifelhaft erscheinen muss?). 

Es handelt sich um ein in der äusseren Gestalt sehr veränder- 
liches, im Allgemeinen wohl als sackförmig zu bezeichnendes Thier 
von höchstens 0,04 Mm. Durchmesser, an welchem sich die Schale, 
der von ihr dicht umschlossene Weichkörper und die eigenthüm- 
lichen Pseudopodien unterscheiden lassen. 

Von vorne herein muss ich mich gegen die schon von Auer- 
bach für seine Amoeba bilimbosa und Amoeba actinophora ange- 
nommene und auch von Archer vertretene Ansicht wenden, als decke 
die Schale den Binnenkörper allseitig und gleichmässig — sei also 
ein geschlossener Sack, welcher nur hie und da von kleineren 
oder grösseren Weichkörperfortsätzen durchbrochen werde. Ich kann 
dieser Auffassung nach längerem und sorgfältigem Studium nicht 
mehr beipflichten, habe vielmehr, nachdem ich selbst längere Zeit 
hindurch von dieser Ansicht eingenommen war, schliesslich die Ueber- 
zeugung gewonnen, dass die Hülle, über deren Natur gleich weiter 
gesprochen werden soll, eine mit einer verhältnissmässig grossen 
Oefinung versehene Kappe darstellt, welche nur wegen ihrer, be- 
sonders in der Randpartie ganz ausserordentlich grossen Weichheit 
und Biegsamkeit in so mannigfacher Weise durch den ihr stets dicht 
anliegenden Protoplasmakörper gefaltet, zusammengelegt und aus- 
gebreitet werden kann, dass die verschiedensten und zum Theil 
sehr täuschenden Gestalt- und Lageveränderungen der Oefinung zu 
Stande kommen. 

Häufig, wenn ich an mehreren Stellen der Oberfläche zu- 
gleich Pseudopodien hervortreten sah, und zunächst an ein Durch- 
treten derselben durch verschiedene besondere Oefinungen gedacht 
hatte, konnte ich mich bei Umwälzen des Thieres davon über- 
zeugen, dass diese scheinbar selbstständigen Schalenöffnungen 


1) Zeitschrift für wissensch. Zoologie. Jahrgang 1856. Bd. VII. p. 274. 

2) Ich werde hier Hertwig und Lesser’'s Bezeichnung, Cochlio- 
podium pellucidum annehmen. Da dies aber erst bei der Correctur die- 
ser Arbeit möglich ward, so kann sich auch der folgende Text noch nicht 
auf die Arbeit von Hertwig und Lesser beziehen. 


Rhizopodenstudien. 339 


Nichts als Theile der einen grossen Oeffnung waren, welche da- 
durch von einander scheinbar isolirt waren, dass sich zwischen 
ihnen die gegenüberstehenden Mantelrandtheile so dicht um die 
Basis der Pseudopodien und zwischen diesen letztern aneinanderge- 
legt hatten, dass man die Spalte kaum bemerken konnte. Oft wird 
auch die ganze Mantelöfinung durch vollständiges Aneinanderlegen 
des Randsaumes scheinbar, niemals aber durch wahre Verschmelzung 
wirklich geschlossen. Wenn man in einem solchen Falle nicht bei 
langsamem Herumwälzen den Körper von allen Seiten betrachtet und 
so den meistens keilförmig vorstehenden, lippenartig zusammenge- 
legten Mündungsrand ermittelt, sondern das etwas auf der Seite 
liegende Thier allein von oben betrachtet, so kann man leicht zu 
der falschen Annahme einer allseitig geschlossenen Kapsel verleitet 
werden. Damit will ich nun keineswegs behauptet haben, dass ein 
Durchbrechen der Hülle von den Pseudopodien nicht hin und wieder 
einmal vorkommen könne. Dieser Vorgang ist von Archer zu 
genau beschrieben, als dass ich ihn, auch ohne ihn selbst constatiren 
zu können, anzweifeln möchte. Ich will nur darauf hinweisen, dass 
die Schale keine allseitig geschlossene Kapsel formirt, sondern eine 
grosse beständige Oeffnung besitzt. 

Am Besten kann man die Gestalt und die ganze Formation 
der Schale an den gar nicht selten zu findenden leeren Hülsen stu- 
diren, besonders wenn diese in faulenden, durch Bildung von Schwe- 
felmetallen geschwärzten Bodensätzen blauschwarz tingirt sind. Stets 
sieht man kappenförmige, häufig etwas gefaltete Gebilde mit einer 
grossen Oeffnung und ziemlich glatten, nur durch die Faltelung ge- 
buchtet erscheinenden Rande (Fig. 5). Ganz dieselbe Schalenform 
habe ich auch häufig an solchen lebenden Thieren gesehen, welche 
ich in der reinen Seitenansicht dann beobachten konnte, wenn sie 
sich nicht auf einer festen Unterlage angeheftet hatten, sondern etwa 
bei freiem Umhertreiben mit den Pseudopodien nach einem Halte 
ausgriffen (Fig. 2). 

Eine ganz eigenthümliche und wie es scheint von Archer 
durchaus missverstandene Erscheinung bietet das auf einer platten 
festen Unterlage, etwa auf dem Objectträger angeheftete oder lang- 
sam hinkriechende Thier. .Es legt sich bei diesem die weiche Rand- 
partie der Hülse flach ausgebreitet an die Unterlage so dicht an, 
dass eben nur noch die Pseudopodien darunter vorgeschoben werden 
können, während sich der ganze mittlere Theil als eine convexe 


340 Franz Eilhard Schulze: 


Kuppe erhebt, das Ganze also etwa die Gestalt eines sogenannten 
»Südwesters«, eines Matrosenhutes aus geölter steifer Leinewand, er- 
hält. Da man nun in solchen Fällen das Thier gewöhnlich grade 
von oben oder von unten sieht, so setzt sich der flach ausgebreitete 
Randtheil der Schale als ein hellerer Ringsaum ziemlich scharf von 
der verhältnissmässig dunkel erscheinenden Mittelparthie des Körpers 
ab (Fig. 3). Dabei kann dieser Randsaum bald ringsum ziemlich 
gleichweit aufliegen, bald an irgend einer Seite etwas weiter vorstehen. 
Archer sieht nun diesen flach aufliegenden Randtheil der Schale, 
wie besonders deutlich auch aus seiner Abbildung Fig. 3 und der 
dazu gehörigen Beschreibung hervorgeht, als einen »more or less deep 
halo of very pellueid sarcode matter« oder eine »changeable very 
subtile hyaline bluish sarcode envelope, showing faint vertical lines 
in its substance« an. 

Schwierig ist die Beurtheilung der Schalenstructur. Zwar kann 
man sehr deutlich zwischen dem scharfen äusseren und dem ihm 
durchaus parallelen inneren Grenzcontur ein System feiner, in gleichen 
Abständen stehender und senkrecht zu beiden Flächen gerichteter 
Linien erkennen, ob aber diese Linien wirklich die Schale durch- 
setzenden Poren entsprechen oder nur der Ausdruck einer Zusammen- 
setzung derselben aus kleinen dicht aneinanderliegenden Prismen sind, 
ist hier ebenso schwer zu entscheiden, wie etwa am Quticularsaum der 
Dünndarmepithelien. Bei der Betrachlung von der Fläche erkennt 
man allerdings nur in gewöhnlich deutlich radiär gerichteten Reihen 
stehende dunkele Punkte, und eine Zerlegung der Schale in einzelne 
Prismen ist mir niemals gelungen; trotzdem halte ich es für nicht 
unmöglich, dass die ganze Hülle aus kleinen prismatischen Stückchen 
zusammengesetzt ist. Einen Besatz der äusseren Schalenfläche mit 
feinen radiär gerichteten Härchen, welchen Archer an einigen 
Exemplaren fand, an anderen vermisste, habe ich niemals wahr- 
nehmen können. 

Zur Characteristik des von der Schale eng umschlossenen Weich- 
körpers will ich nur bemerken, dass dessen Protoplasma mit ver- 
schieden grossen Körnchen durchsetzt erscheint und sich in der Mitte 
der hinteren Partie stets ein wohlausgebildeter heller kugeliger Kern 
mit einem centralen ziemlich grossen dunkelen kugeligen Kernkör- 
perchen erkennen lässt. Ferner kommen zerstreut, gewöhnlich aber 
auf den hinteren und mittleren Körpertheil beschränkt eine Anzahl 
stark lichtbrechender Körperchen von eckiger, an Krystalle erinnern- 


Rhizopodenstudien. 341 


der Form vor, wie sie ähnlich Auerbach bei seiner Amoeba bilimbosa 
beschrieben hat und welche wohl identisch sind mit den von Archer 
erwähnten »elliptischen Körperchen«. Chlorophylikörnchen, welche 
Archer sehr häufig im Innern des Thieres antraf, habe ich daselbst 
nur selten gesehen und für aufgenommene Nahrungskörper gehalten. 

Endlich sind noch die in sehr verschiedener Zahl vorkommen- 
den, bisweilen indessen auch ganz vermissten pulsirenden Vakuolen 
zu erwähnen. Die Form der gleichmässig hyalinen, im Ganzen 
nur kurzen Pseudopodien, welche, gewöhnlich dem Mantelrande eng 
anliegend und oft von ihm mehr oder minder vollständig umschlossen, 
aus der grossen Schalenöfinung hervortreten, ist nicht ganz leicht 
zu characterisiren. Im Allgemeinen könnte man sie wohl noch am 
Ehesten keilförmig nennen, indem sie mit verhältnissmässig breiter 
Basis aus dem Vordertheile des Körpers hervorgehen und gewöhn- 
lich zugespitzt auslaufen; indessen bleibt dabei für viele specielle 
Gestaltungsdifferenzen Spielraum. Während man zum Beispiel in 
vielen Fällen eine völlig gleichmässige, ganz rein keilförmige Zu- 
spitzung von der Basis bis zum Ende ausgeprägt findet, sieht man 
in anderen ein Pseudopodium bis zu einer bestimmten Stelle ziem- 
lich gleichmässig dick bleiben und dann erst in eine oder mehrere 
dünne Spitzen auslaufen, welche nicht immer in der Verlängerung 
des dickeren Basaltheiles liegen, sondern häufig ziemlich schräge 
abstehn. Zwei oder mehrfache Theilungen der Pseudopodien werden 
nicht selten beobachtet, dagegen keine netzförmigen Verschmelzun- 
gen. Oft kommen auch knotige Verdickungen am Ende eines breiten 
mehr cylindrischen Basaltheiles vor, von welchen dann erst die 
schmale Endspitze abgeht. 

Schliesslich will ich noch bemerken, dass mir ebenso wie 
Archer das Cochliopodium als ein träges Thier erschienen ist, 
dessen Bewegungen nur langsam erfolgen, und welches lange Zeit 
ruhig auf einem Fleeke gleichsam angesaugt festsitzen kann, ohne 
überhaupt Pseudopodien auszustrecken. 


342 Franz Eilhard Schulze: 


Pelomyxa palustris, Greeff. 
Taf. XIX. Fig. 6, 7 und 8. 


Der wunderbare Riesenrhizopode des süssen Wassers, welchen 
Greeff im Jahre 18701) entdeckt und jüngst in einer trefflichen 
Monographie?) unter dem Namen Pelomyxa palustris genau beschrie- 
ben hat, ist mir auch seit längerer Zeit bekannt und Gegenstand 
näheren Studiums gewesen. Ich habe das interessante Thier in dem 
schlammigen Bodensatze eines breiten mit fast stagnirendem Wasser 
halberfüllten vegetationsreichen Grabens, des sogenannten »Kumm- 
grabens« bei Rostock in grosser Menge und von wechselnder Grösse 
bis zu 2 Mm. Durchmesser angetroffen, hier bei Graz aber bisher 
noch nicht aufgefunden. Bei einiger Aufmerksamkeit und Uebung 
erkennt man zwischen den auf einer Glasplatte flach ausgebreiteten 
schwarzen Modertheilen leicht die durch weissliche Färbung auf- 
fälligen kuglig zusammengezogenen Thiere. Unter den vielen, von 
mir untersuchten Pelomyxen fand ich keine schwärzlichen oder dunkel- 
graubraunen Exemplare, wie Greeff sie als besonders häufig schil- 
dert, sondern stets nur solche von weisslicher oder lichtgelber Farbe. 

In Betreff der mannichfachen wechselvollen aber doch characteri- 
stischen Bewegungen sowie in Betreff des feineren anatomischen 
Baues der Pelomyxa will ich von vorne herein auf die ausgezeichnet 
naturgetreue Darstellung Greeffs hinweisen; ich kann dies um so 
eher, als meine eigenen Beobachtungsresultate fast genau mit den 
von Greeff publicirten übereinstimmen. Ich werde mich deshalb 
hier nur darauf beschränken, auf einige Punkte näher einzugehen, 
welche mir von speciellerem Interesse waren. Dies gilt "zunächst 
von der eigenthümlichen Form der Pseudopodien. Die flachwellen- 
förmigen Erhebungen oder stärker gerundeten bis halbkugeligen 
Wülste, in welchen die hyaline Rindenmasse sich verdickt und oft 
gleichsam vorquillt, stellen die hier gewöhnlichste Pseudopodienform 
dar, während die lang ausgezogenen, welche mehr an die Pseudo- 
podien von Arcella, Quadrula etc. erinnern und von Greeff inFig. 9 
seiner Abhandlung dargestellt sind, zwar auch vorkommen können, 


1) Verhandl. des naturh. Vereines der preuss. Rheinlande und West- 
falens 1870, und Sitzungsber. der Niederrhein. Gesellsch. für Natur- und 
Heilkunde in Bonn vom 7. Nov. 1870. 

2) Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. X, 1. Heft. 


Rhizopodenstudien, 343 


aber nur, wie auch schon Greeff hervorhob, unter besonderen ab- 
normen Bedingungen, wie z.B. lange andauerndem Drucke etc. Die 
sanz zarten, feinstrahligen kurzen und spitzen, zur Oberfläche stets 
senkrecht gerichteten und sehr dichtstehenden, nach Gr ee ff »zotten- 
förmigen« Fortsätze, welche hin und wieder an dem beim Kriechen 
hintersten Ende auftreten und den ganz ähnlichen Bildungen am 
Hinterende der bekannten Amoeba villosa (W allich) = A. princeps 
verglichen werden können, scheinen sich ebenfalls nur unter ge- 
wissen nicht gewöhnlichen Bedingungen zu bilden. 

Es bleibt demnach als eigentliche typische Pseudopodienform 
der Pelomyxa nur jene zuerst erwähnte von der Gestalt flacher 
oder bis zu halbkreisförmiger Grenzcontur sich vorbauchender 
Wellen übrig. 

Greff’s Ansichten über die Natur der die Vakuolen, Glanz- 
körper, Körnchen, Stäbchen und Kerne sowie endlich die Nahrungs- 
theile enthaltenden flüssigen inneren Substanz und der zäheren, 
ganz hyalinen, allein zur Pseudopodienbildung verwandten und wahr- 
scheinlich allein contractilen Rindenschicht halte ich im Allgemeinen 
für richtig. Wenn ich auch in der inneren Körpermasse eine der 
Molekularbewegung vollständig gleichende zitternde und schwin- 
gende Bewegung der kleinsten Körnchen und Stäbchen nicht wahr- 
genommen habe, so konnte ich doch aus der leichten Beweglichkeit, 
dem plötzlichen Hin- und Herstürzen dieser Partikelchen auf eine 
grössere Dünnflüssigkeit dieser inneren Masse im Gegensatz zur 
Rindenschicht schliessen. Dabei ist allerdings das oft plötzliche 
Eindringen von Vakuolen und Körnchen in eine eben vorgequollene 
Welle des Rindenplasmas sehr auffällig, und wohl nur aus einer 
schon von Greeff angenommenen zeitweiligen Mischung oder Durch- 
dringung beider Substanzen der zähflüssigen, contractilen und der 
inneren dünnflüssigerer zu erklären. 

Die sonderbaren kleinen Stäbchen, welche durch die ganze 
Binnenmasse zwischen den zahllosen Vakuolen zerstreut liegen, aber 
in besonders dichter Anhäufung stets an der Oberfläche der Glanz- 
körper vorkommen, war ich anfangs geneigt für aufgenommene Bac- 
terien zu halten. In der That ist ihre Aehnlichkeit mit manchen 
dieser Wesen sehr gross, jedoch bin ich später wegen der ausser- 
ordentlich wechselnden Länge und der gänzlich fehlenden eigenen 
Bewegungfähigkeit von dieser Auffassung zurückgekommen und sehe 
sie jetzt mit Greeff für dem Pelomyxa-Körper eigenthümliche Bil- 


344 Franz Eilhard Schulze: 


dungen an, wie sie allerdings bei anderen Rhizopoden nicht bekannt 
sind. Einen Längskanal und Querstreifung, welche Greeff ver- 
muthet, habe ich an den Stäbchen nicht wahrgenommen. 

Von den sehr mannichfachen durch Greeff eingehend geschil- 
derten Erscheinungsformen der stets in grosser Zahl vorhandenen 
Kerne habe ich in Fig. 6 einige abgebildet, welche den Kerncharacter 
recht bestimmt ausdrücken. 

Ueber die Bedeutung und das Schicksal jener stark licht- 
brechenden, homogenen, kugeligen Gebilde, welche ähnlich den Kernen 
im Innern des Körpers zwischen den Vakuolen unregelmässig zer- 
streut liegen und von Greeff zunächst unter dem indifferenten 
Namen »Glanzkörper« beschrieben, dann aber als Zoosporen gedeutet 
werden, habe ich keine für diese letztere Auffassung bestimmenden 
positiven Beobachtungsergebnisse mitzutheilen. Ebensowenig ist es 
mir trotz mancher Bemühungen gelungen, ausser einer gelegentlichen 
Constatirung von Selbsttheilung des ganzen Thieres irgend welche 
Wahrnehmungen zu machen, welche sich auf die Fortpflanzung bezögen. 

Bei der absoluten Körpergrösse des Thieres und der eigen- 
thümlichen Beschaffenheit des inneren Körperparenchymes schien 
mir grade hier eine Untersuchung über die Art der Bewegung der 
einzelnen Körpertheile und ihrer Lageveränderung zu einander 
während des Kriechens leichter ausführbar als bei den meisten an- 
deren Rhizopoden. Ich hielt es für möglich, durch genaue Beach- 
tung des Weges, weichen die einzelnen Theilchen während des 
Kriechens nehmen, wenigstens eine allgemeine Vorstellung über die 
Richtung und den Sitz der bewegenden Kräfte zu gewinnen. 

Betrachtet man eine an aufgenommenen Nahrungs- oder son- 
stigen Fremdkörpern besonders arme und deshalb auch besonders 
helle und durchscheinende Pelomyxa, während sie ganz unbehindert 
in gleichmässiger bestimmt gerichteter Kriechbewegung begriffen ist, 
bei einer mässigen etwa 100fachen Vergrösserung, und richtet dabei 
seine Aufmerksamkeit ausschliesslich auf den Weg, welchen die ein- 
zelnen Formtheile der inneren alveolenreichen Masse zurücklegen, 
so überzeugt man sich alsbald, dass zwar im Grossen und Ganzen 
das Strömen der einzelnen Theilchen in der Richtung geschieht, in 
welcher das Thier kriecht, dass aber im Einzelnen sehr verschieden 
gerichtete, ja sogar an gewissen Stellen rückläufige Bewegungen vor- 
kommen, an anderen Stillstand zu beobachten ist. 

Um nun dieses verschiedenartige Verhalten der einzelnen Theile, 


Rhizopodenstudien. 345 


und das Gesetzmässige, welches ich in demselben erkannt zu haben 
glaube, an einem einfachen Beispiele leicht verständlich darlegen zu 
können, habe ich nach einem im Umriss einfach birnförmig gestal- 
teten Thiere, welches ich während stetigen Vorwärtskriechens in der 
nämlichen graden Richtung längere Zeit hindurch beobachten konnte, 
die Bewegungen resp. Ruhezustände der geformten Theile für alle 
Regionen möglichst genau durch Pfeile und Kreuzchen in der Fig, 8 
angegeben. Durch die Richtung der Pfeile wird die Richtung der 
Bewegung, durch ihre Länge die Schnelligkeit der Bewegung, durch 
die kleinen Kreuze Ruhezustand ausgedrückt. Es sind übrigens in 
der Zeichnung nur die in einer Horizontalebene, nicht aber zugleich 
die darunter und darüber befindlichen Partikel berücksichtigt. Auf 
diese Weise finden sich nun in der Zeichnung Fig. 8 auf Taf. XIX 
folgende Thatsachen graphisch ausgedrückt. In der gewählten (etwa 
der Mitte der Höhe des Thieres entsprechenden) Horizontalebene 
bemerkt man die gleich nach innen von der dünnen hyalinen Rin- 
denschicht am hinteren schmaleren Ende a gelegenen geformten 
Theile sich anfangs langsam, allmählig etwas schneller in Bewegung 
Setzen und zwar so, dass die median gelegenen Theile ziemlich 
grade nach vorne, die mehr seitwärts befindlichen auch 
nach vorne, aber dabei etwas schräge medianwärts ziehen. Durch 
die so erzeugte Verchmälerung des Stromgebietes scheint denn auch 
die besonders in der mittleren Region deutlich wahrzunehmende Be- 
schleunigung der Stromgeschwindigkeit bedingt zu sein. Während 
in dem ganzen hinteren Theile keine ruhenden Partikelchen zu be- 
merken sind, sondern alle, auch die der hyalinen Rindenzone zunächst 
liegenden Theile in, wenn auch langsamem, so doch beständigem Vor- 
rücken begriffen sind, so lassen sich von der mite und f bezeichneten 
Gegend an bis etwa zu der mit g und h markirten Region nach 
einwärts vor der hyalinen Rinde ruhende Elemente in zunächst 
schmaler, allmählig an Breite zunehmender Lage wahrnehmen. 
Von der Innenseite des hinteren schmalen Theiles dieser ruhenden 
Massen lösen sich jedoch stets noch einige Theilchen ab, um in den 
hier grade sehr schnell fliessenden Strom der centralen Masse mit 
hineingezogen zu werden. 

An dem mit c und d bezeichneten mittleren Theile der ruhen- 
den Seitenmassen geht der Strom vorüber, ohne Theilchen mitzu- 
nehmen, während dagegen an die Medianseite der davor gelegenen 
vorderen Partie der ruhenden Masse einzelne Theilchen von dem 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 24 


346 Franz Eilhard Schulze: 


mittleren Strome abgelagert werden. Das Letztere findet in aus- 
sedehntem Maasse an dem breiten, nach aussen zu etwas abgeschrägten 
Vorderrande der ruhenden Masse statt, imdem hier durch einen 
jederseits rückläufigen Strom von vorne her Material zugeführt wird. 
Diese an den Seiten der vorderen Körperpartie des kriechenden 
Thieres rücklaufende Strömung muss zunächst sehr auffällig er- 
scheinen. Sie lässt sich aber verstehen, wenn man berücksichtigt, 
dass der zwischen den ruhenden Seitenmassen hervorquellende Strom 
in der hyalinen Rindenschicht des ganzen vorderen Körpertheiles 
ein wenn auch nachgiebiges, so doch nicht unwirksames Hinderniss 
für das Gradeausfliessen findet und so jederseits zu einer Wirbel- 
bewegung genöthigt wird, welche nur deshalb keine vollständige ist, 
weil die im Bogen zurückgeführten Theile der ausströmenden Masse 
sich an die ruhende Masse, welche die vordere Canalöffnung umgiebt, 
einfach anlegen und so das Wachsen dieser ruhenden Zone am Vor- 
derende bewirken, aber nicht wieder in ‘den ausfliessenden Strom 
hineingezogen werden. Verfolgt man die zwischen den ruhenden 
Massen ec und d hervordringenden Theilchen, so sieht man, dass die 
grade in der Mitte befindlichen ziemlich genau gradeaus geführt 
werden, bis an das vorderste Ende des ganzen Thieres. Je weiter 
seitlich die Theilchen des Stromes sich befinden, um so weniger weit 
werden sie vorgeschoben — um so kürzer ist auch im Allgemeinen 
ihr bogenförmiger Lauf, so dass die am Meisten seitwärts gelegenen 
sich sogar schon an die Innenseite des vorderen Theiles der ruhen- 
den Seitenmasse, von deren hinterem Theile sie sich eben erst ab- 
selöst hatten, wieder anlegen, und diese einfach von innenher verdicken. 

Wenn sich die hier gegebene Darstellung der im Pelomyxa- 
Körper beim Kriechen des Thieres beobachteten Bewegungserschei- 
nungen zunächst nur auf eine etwa in der Mitte der Höhe des 
Thieres gelegene Horizontalebene beziehen, so lassen sich durch 
aufmerksames Studium die nämlichen — nur hinsichtlich der Lage 
der Strömungsebene abweichenden — Erscheinungen auch für die 
ganze darüber gelegene obere Hälfte des Thierkörpers feststellen, 
indem man direct wahrnehmen kann, dass von dem hinteren Ende 
des Thieres die geformten Theile zunächst nach vorne, dabei etwas 
nach innen und unten convergirend, ziehen, dann unter die als 
eine gewölbte Gürtelzone aufzufassende ruhende Masse gelangen, 
unter deren vorderem Rande zunächst nach vorne zu hervor- 
dringen, dann nach oben umbiegen und zum grossen Theile wieder 


. Rhizopodenstudien. 347 


etwas zurücklaufend sich an den Vorderrand der ruhenden Gürtel- 
zone anlegen. 

Ob das Nämliche auch an der unteren dem Objectträger auf- 
liegenden abgeplatteten Seite stattfindet, konnte ich durch die directe 
Beobachtung nicht entscheiden, halte es jedoch für sehr wahrschein- 
lich, und stelle mir demnach vor, dass die ruhende Masse, wenn sie 
auch wahrscheinlich unten dünner ist als oben und an den Seiten, 
doch wirklich gürtelförmig den Mitteltheil des Körpers umgiebt, und 
dass der aus der Vorderöffnung des so gebildeten Rohres hervor- 
quellende Strom sich nicht blos nach denSeiten und nach oben, son- 
dern auch nach unten bogenförmig umbiegt. Sollte sich übrigens 
die untere, der Unterlage direct aufliegende Masse in ihrer Bewe- 
gung nicht ebenso verhalten wie die seitlichen und oberen Partien, 
so müsste man wohl annehmen, dass die ruhendeZone unten unter- 
brochen wäre, und demnach keinen geschlossenen Gürtel, sondern 
einen der Unterlage mit den beiden Seitenschenkeln breit aufliegen- 
den Bogen darstelle. 

Sucht man sich nun auf Grundlage der mitgetheilten Beobach- 
tungen eine Vorstellung von der Triebkraft und dem Modus der 
Fortbewegung des ganzen Thieres zu machen, so scheint mir fol- 
gende Vorstellung den Thatsachen am Besten zu entsprechen. 

Nimmt man zunächst mit Greeff an, dass die Fähigkeit der 
Contraction, d. h. also der activen Verkürzung in einer Richtung 
mit gleichzeitiger Verbreiterung in den darauf senkrechten, auch hier 
besonders, vielleicht sogar ausschliesslich der von den Vakuolen, 
Stäbchen, Kernen etc. freien hyalinen Rindenschicht eigen sei, wäh- 
rend die innere dünnflüssigere Masse eine mehr (oder völlig) passive 
Rolle spiele, so wird man zunächst in der verhältnissmässig breiten 
hyalinen Kappe, welche den hinteren Körpertheil, e a f der Fig. 8, 
umfasst, eine energische Zusammenziehung in centripetaler Richtung 
voraussetzen dürfen, durch welche die in ihr enthaltene Binnenmasse 
direckt in der Richtung der Pfeile nach vorne und etwas nach innen 
geschoben wird. Indem nun die bei e una f und die dicht davor 
gelegenen hinteren Theile der ruhenden Zone durch Contraction der 
daselbst befindlichen äusseren hyalinen Rindenlage am Ausweichen 
gehindert, vielleicht hinten sogar langsam etwas nach innen gedrückt 
werden, entsteht die oben beschriebene enge Stromgasse mit ruhen- 
der Wandung, während die dünne contractile Rinde des ganzen Vor- 
dertheiles des Thieres dem vorquellenden Strome nur jenen geringen 


348 Franz Eilhard Schulze: 


Widerstand entgegensetzt, welcher zu der rückläufigen Wirbelbe- 
wegung Anlass giebt. 

Um nun zu verstehen, wie es kommt, dass, wenn einmal die 
am hinteren Ende a befindliche contractile Kappe sich vollständig 
contrahirt hat, dennoch ein stetes Nachdrücken von hinten her statt- 
finden kann, wird man wohlan ein Fortführen der erschöpfend con- 
trahirten hintersten Rindentheile mit dem Strome der inneren weicheren 
Masse und einen gleichzeitigen Ersatz derselben durch die sofort an 
ihre Stelle von der Seite her nachrückende contractile Rinden- 
masse der mehr nach vorne zu gelegenen bisher ruhenden Partie denken 
müssen. Zu der Annahme einer derartigen Aufnahme der einen 
Substanz von der anderen mit gelegentlichem Wiederausscheiden der- 
selben scheinen auch noch einige andere Thatsachen zu drängen, 
so z.B. das oft zu beobachtende fast plötzliche Hervorbrechen einer 
verhältnissmässig grossen Menge hyaliner contractiler Substanz aus 
dem Innern an einer Stelle, wo eben vorher kaum ein schmaler 
Randsaum derselben zu entdecken war. 

Wenn nun ein Thier in der oben geschilderten Weise unter 
meinen Augen während mehrerer Minuten mit ziemlich gleich blei- 
bender länglich ovaler Gestalt sich in derselben Richtung fortbewegte, 
so gehört doch ein so einfacher Fall zu den Seltenheiten. Gewöhn- 
lich wechselt die Gestalt und die Bewegungsrichtung so mannigfach 
und unregelmässig, dass an ein genaues Bestimmen des Weges der 
einzelnen Theilchen, wie es in diesen und ähnlichen Fällen möglich 
war, kaum zu denken ist. Dennoch möchte ich annehmen, dass 
auch dann das Kriechen in der nämlichen Weise bewerkstelligt wird, 
dass es sich also um ein Vorschieben der mehr passiv sich ver- 
haltenden Binnenmasse durch Contraction einzelner Rindenpartien 
handelt. 


Plakopus ruber, nov. gen. nov. spec. '). 
Taf. XIX, Fig. 9-16. 


Unter den mir bekannten kernhaltigen nackten acyttaren Rhi- 
zopoden, welche in die weite Gruppe der Amoeben gestellt werden 
können, zeichnet sich durch besonders eigenthümliche Pseudopodien 
vor Allen eine, wie ich glaube, bisher noch nicht beschriebene Form aus. 


1) Wahrscheinlich identisch mit Hyalodiscus rubicundus, von Hertwig 
und Lesser; siehe Supplem. zu diesem Archiv 1874, p. 49 und Taf. I. Fig. 5. 


Rhizopodenstudien. 349 


Das wunderbare Wesen, welches ich in den sogenannten Leon- 
hardsteichen bei Graz auffand und längere Zeit in Zimmeraquarien 
lebend erhalten habe, sendet nämlich Pseudopodien von der Form 
ganz dünner Membranen aus, welche nicht nur an der Ober- 
fläche anderer Körper, etwa des Objectträgers, sich flach ausbreiten, 
sondern auch frei durch das Wasser vorgeschoben werden. 
Ich werde es deshalb Plakopus (zzAo& —= Platte und zzoüg —= Fuss) 
nennen und nach der intensiv rothen Färbung den Speciesnamen 
ruber hinzufügen. 

Von dem in seiner Gestalt ausserordentlich veränderlichen, 
gewöhnlich auf der Unterlage sich mehr oder minder flach ausbrei- 
tenden Körper, dessen Durchmesser meistens 0,2—0,3 bisweilen sogar 
0,6 Mm. und darüber beträgt, wird entweder eine grosse sehr dünne 
saumartige Platte nach einer Seite hin der Unterlage anliegend vor- 
geschoben (Fig. 10.), oder es treten mehrere unter verschiedenen 
Winkeln zu einander gestellte und in mannigfacher Weise mit 
einander verschmelzende Lamellen hervor, welche meistens 
trichter- oder kappenförmige Hohlräume mit weiter, nach 
aussen gerichteter Mündung umschliessen. 

Es ist nicht ganz leicht, die höchst mannigfachen und com- 
plieirten Reliefbildungen zu beschreiben oder in Abbildungen dar- 
zustellen, welche durch diese sich erhebenden und mit einander 
sich verbindenden dünnen lamellösen Pseudopodien formirt werden. 
Vielleicht vermögen die in Fig. 9—10 gegebenen Darstellungen eine 
annähernd richtige Vorstellung zu erwecken. 

Eine Scheidung in eine hyaline. gleichmässig lichtbrechende 
Rindenschicht, aus welcher die Pseudopodien sich formiren und 
eine von jener umschlossene, mit geformten Theilen verschiedener 
Art dnrchsetzte innere Leibesmasse lässt sich hier zwar im Allge- 
meinen auch constatiren, ist jedoch nicht immer durch eine scharfe 
Grenzlinie markirt. 

In der, wie es scheint, ziemlich dünnflüssigen hyalinen Grund- 
lage der innnern Hauptmasse des Thieres lassen sich folgende Form- 
elemente unterscheiden. Zunächst fallen zahlreiche gefärbte Körn- 
chen in die Augen. Es sind unregelmässig rundliche Stückchen 
von sehr verschiedener Grösse, deren kleinste wie ein feiner Staub- 
nebel zwischen den grösseren vertheilt liegen. 

Die Farbe ist gewöhnlich ein lebhaftes Zinnober- oder Ziegel- 
roth, welches bisweilen ins Braunrothe, nicht selten auch ins Grün- 


350 Franz Eilhard Schulze: 


liche, ja selbst in reines Grün übergeht. Grade der letztere Um- 
stand scheint mir besonders interessant, weil daraus vielleicht ein 
Schluss auf die Herkunft und Bedeutung dieser Gebilde zu ziehen 
ist. InFig. 11 und 12 der Taf. XIX habe ich diesen Uebergang von 
Roth in Grün oder wie man wahrscheinlich richtiger sagen müsste, 
von Grün in Roth wiederzugeben versucht. Man sieht einige inten- 
siv grüne Körnchen, daneben matt braungrüne, dann rothbraune und 
endlich auch ganz hellrothe. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass 
ursprünglich Chlorophyllkörner ähnliche Gebilde da waren, deren Farb- 
stoff auch hier die bei den Pflanzen ja so häufige Metamorphose in Roth 
durchmacht. — Neben diesen farbigen Partikelchen kommen viele 
ungefärbte ähnlicher Form zwischen den ersteren diffus zerstreut vor. 

Als besonders wichtig ist das Vorhandensein von einem oder 
einigen Kernen hervorzuheben, welche gewöhnlich im lebenden Thiere 
nur schwer erkennbar sind, dagegen nach Einwirkung von Kali bi- 
chromieum-Lösung oder von Essigsäure deutlich hervortreten. Ein 
verhältnissmässig grosses kugeliges Kernkörperchen wird von einem 
nicht sehr breiten hellen rundlichen Hofe umgeben, dessen äussere 
Grenze nur selten scharf markirt ist. Die Lage des Kernes wechselt 
bei den Bewegungen des Thieres ähnlich wie bei den bekannten 
Amöben. 

In wechselnder Zahl und sehr verschiedener Grösse treten end- 
lich die mit heller Flüssigkeit erfüllten rundlichen Vakuolen auf, 
deren Pulsiren nicht immer deutlich zu beobachten war. Selten nur 
erschienen sie einzeln und isolirt, gewöhnlich in solcher Menge und 
so dichtgedrängt, dass manche Körpertheile ein schaumiges Aus- 
sehen gewannen. 

Kriecht das Thier einfach platt ausgebreitet auf der Unterlage 
hin, so setzt sich die mit den oben erwähnten Elementen durchsetzte 
Binnenmasse gewöhnlich in einfacher und deutlicher Weise gegen 
die an einer Seite meistens verschwindend geringe, an der andern 
in Form einer grossen dünnen Pseudopodienlamelle vorgeschobene 
hyaline oder vielleicht ganz ausserordentlich feinkörnig getrübte 
Rindensarkode ab (Fig. 10). Wenn dagegen, wie das meistens der 
Fall ist, durch in anderer Richtung sich erhebende membranöse 
Pseudopodien die Oberfläche des ganzen Thieres ein complicirtes 
Fachwerk darstellt, so wird auch jene Grenze complieirter und ist 
bisweilen nur schwierig erkennbar. 

Gewöhnlich erstreckt sich die innere Masse sammt ihren 


Rhizopodenstudien. 351 


Farbstoffkörnchen mehr oder minder weit hinein in die auf dem 
optischen Durchschnitte zackenförmigen Septa der trichter- oder 
srubenförmigen Vertiefungen, welche zwischen den sich verbinden- 
den membranösen Pseudopodien übrig bleiben, und gewinnt dadurch 
bei der Betrachtung von oben im durchfallenden Lichte eigenthüm- 
lich zackige Conturen (Fig. 9 und 11—14). Bisweilen kann übrigens 
auch eine von gefärbten Körnchen freie, aber Vakuolen haltende 
Masse in die vorgeschobenen Pseudopodienplatten eintreten, wie dies 
in Fig. 9 dargestellt ist. 

Zwar habe ich schon die wesentlichsten Charactere der eigen- 
thümlichen membranösen Pseudopodien angedeutet, will jedoch hier 
noch einmal besonders hervorheben, dass sie nach allen Richtungen, 
auch grade senkrecht nach oben als ganz dünne, meistens glatt- 
wandige Platten vorgestreckt werden, und, indem sie an den Seiten- 
rändern mit anderen benachbarten zusammenfliessen, an der Ober- 
fläche des Thieres ein System von oft ziemlich tiefen Nischen bil- 
den. Während nun, wie erwähnt, die freien Ränder dieser zarten 
Membranen in den meisten Fällen ganz glatt erscheinen, sah ich 
sie zuweilen etwas gezackt, wie zerfressen, und einmal konnte ich 
mit Hülfe meines stärksten Systemes bei gutem Lichte an einer 
Stelle einzelne ganz ausserordentlich feine spitze fadenförmige Fort- 
sätze über den Rand einer der Unterlage aufliegenden Pseudopodien- 
lamelle hinausragen sehen (Fig. 9); da ich aber später mehrmals 
vergeblich nach dieser Erscheinung gesucht habe, so kann ich sie 
auch nicht für etwas Gewöhnliches halten und glaube sie jenen 
kurzen feinen spitzen Härchen vergleichen zu müssen, welche als 
sogenannter zottiger Besatz zuweilen bei Amoeba princeps und an- 
deren zu beobachten sind. 

Züchtungsversuche mit Plakopus ruber, welche einerseits in 
grösseren Glasgefässen, andererseits auf dem Objectträger in der 
feuchten Kammer gemacht wurden, schlugen fehl, so dass ich über 
die Vermehrung des Thieres Nichts Bestimmtes ermitteln konnte. 
Indessen will ich doch nicht unterlassen, hier auf eine Bildung auf- 
merksam zu machen, welche ich häufig mit vielen lebhaft sich be- 
wegenden Plakopus zugleich antraf, nämlich scharf begrenzte kuglige 
Körper, etwa vom Durchmesser der kleineren Thiere, welche von 
einer dünnen hellen Membran umschlossen waren und im Innern 
eine grosse Menge ähnlicher rothbraun gefärbter Körnchen, wie sie 
bei Plakopus vorkommen, ausserdem aber eine Anzahl dunkelbrauner 


352 


Franz Eilhard Schulze: 


kugeliger Körper enthielten, welche an Grösse etwa dem Kernkör- 
perchen unseres Thieres entsprachen und zuweilen in einer äquato- 
rialen Gürtelzone gelagert waren (Fig. 15). ; 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVIN und XIX. 


IS) 


ı 


10. 


11% 


12. 


13. 


14. 


Taf. XVII. 


Quadrula symmetrica aus Rabenau bei Dresden, von der breiten 
Seite gesehen. Vergr. 400:1. 

Leere normal gebaute Schale einer Quadrula symmetrica, schräge 
von der Seite gesehen. Vergr. 400:1. 

Leere, normal gebaute Schale einer Quadrula symmetrica von oben 
gesehen. Vergr. 400:1. 

Umriss der unteren Oeffnung einer Schale von Quadrula symmetrica. 
Vergr. 400:1. { 

Leere normal gebaute Schale einer Quadrula symmetrica von der 
flachen Seite gesehen, mit einigen abgelösten isolirten Platten im 
Innern. Vergr. 400:1. 

Unregelmässig gebaute Schale einer Quadrula symmetrica, von der 
flachen Seite gesehen. Vergr. 400:1. 

Pseudochlamys patella, Clap. et Lachm. ohne Haftfäden und Pseu- 
dopodien, vollständig ruhend, flach ausgebreitet. Vergr. 400:1. 
Pseudochlamys patella mit Haftfäden und etwas gefaltetem Randsaume 
der Schale. Im Innern ein Kern und zwei pulsirende Vakuolen. 
Vergr. 400:1. 

Pseudochlamys patella in der Ansicht von unten mit gefalteter Schale 
und ausgestreckten fingerförmigen Pseudopodien. Vergr. 400:1. 
Pseudochlamys patella in der Seitenansicht mit gefalteter Schale. 
Die Haftfäden und die knolligen Pseudopodien treten deutlich hervor. 
Vergr. 400:1. 

Pseudochlamys patella flach ausgebreitet in der Ansicht von oben 
mit deutlichem Kern und 4 pulsirenden Vakuolen. Vergr. 500:1. 
Leere Schale einer Pseudochlamys patella mit umgeklapptem Rande, 
in der Seitenansicht. Vergr. 500:1. 

Leere Schale einer Pseudochlamys patella in der Seitenansicht. Der 
mittlere Theil zeigt eine feine Gitterzeichnung. Vergr. 500:1. 
Pseudochlamys patella mit zusammengefalteter Schale, deutlichen 
Haftfäden, vielen knolligen und einem langen fingerförmigen Pseudo- 
podium. Vergr. 500:1. 


Pe Re 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Rhizopodenstudien. 353 


15. Hyalosphenia lata aus einem Bassir des botanischen Gartens in Graz, 
in der Ansicht von der flachen Seite mit ausgestrecktem fingerförmi- 
gem Pseudopodium. Vergr. 500:1. 

16. Umriss der unteren Schalenöffnung einer Hyalosphenia lata. Vergr. 
500:1. 

17. Hyalosphenia lata in der Ansicht von oben; Einstellung auf die Ge- 
gend des Kernes. Vergr. 500:1. 

18. Hyalosphenia lata in der Ansicht von der flachen Seite mit einem 
etwas getheilten fingerförmigen Pseudopodium. Vergr. 500:1. 


Taf. XIX. 

1. Cochliopodium pellucidum in der Ansicht von der Seite, mit fast 
völlig zusammengelegtem Schalenrande und zwei ausgestreckten Pseu- 
dopodien Vergr. 600:1. 

2. Cochliopodium pellucidum in der Ansicht von der Seite, mit weit ge- 
öffneter Schalenmündung und vielen ausgestreckten Pseudopodien. 
Vergr. 600:1. 

3. Cochliopodium pellucidum, flach auf dem Objectträger ausgebreitet, 
kriechend in der Ansicht von oben. Vergr. 600:1. 

4. Cochliopodium pellueidum mit durch Zusammenlegen des Schalenran- 
des geschlossener Oeffnung. Ansicht von der Seitenkante. Vergr. 600:1. 

5. Leere Schale eines Gochliopodium pellucidum. Vergr. 600:1. 

6. Kleiner Randtheil einer Pelomyxa palustris, Greeff, mit dünner 
Rindenschichte, ohne Pseudopodien, mit vielen Vakuolen von verschie- 
dener Grösse, einigen Kernkörperchen haltigen Kernen und drei mit 
Stäbchen umlagerten Glanzkörpern. Vergr. 600:1. 

7. Kleiner Randtheil einer Pelomyxa palustris ohne deutlich erkennbare 
Kerne mit flach wellenförmigen Pseudopodien. Vergr. 800:1. 
8—14. Plakopus ruber in verschiedenen Zuständen und von verschie- 

dener Grösse. Vergr. 500:1. 

9. Ein sehr grosses Exemplar mit deutlichem Kern, vielen Vakuolen 
und membranösen Pseudopodien sowie einigen spitzen Haftfäden. 

10. Eine sehr einfache Form mit einer grossen membranösen, beim 
Kriechen auf der Unterlage sich vorschiebenden Pseudopodienplatte. 

11 und 12. Thiere mit mehreren verschieden gerichteten membranösen 
Pseudopodien und verschieden (grün bis ziegelroth) gefärbten Körn- 
chen. 

13 und 14. Thiere mit vielen, deutliche Nischen umrahmenden Pseudopo- 
dien und zinnoberrothen Körnchen. 

15. Ein kugelförmiger Körper mit braunrothen Körnchen und einer An- 
zahl rundlicher, in einer Gürtelzone angeordneter kernähnlicher 
Körperchen. Vielleicht ein Ruhezustand von Plakopus. Vergr. 500:1. 

16. Plakopus ruber nach längerer Einwirkung einer Lösung von Kali 
biehromicum. Der Kern ist deutlich hervorgetreten. Vergr. 500:1. 


Die Beziehungen des Flimmerepithels der Bauchhöhle 
zum Eileiterepithel beim Frosche. 


Von 


Prof. E. Neumann in Königsberg i. Pr. 


Anhang: Die Drüsen der Froscheileiter. 
Von Demselben 
(nach in Gemeinschaft mit Herrn H. Grunau angestellten Untersuchungen). 


Hierzu Taf. XX. 


Das zuerst von Mayer (Froriep’s Notizen 1832 und 1836) 
beobachtete, später insbesondere durch die Arbeiten von L. Thiry!) 
und Schweigger-Seidel und Dogiel?) bekannt gewordene Vor- 
kommen von Flimmerzellen auf dem Peritoneum der Frösche hat 
in neuerer Zeit ein erhöhtes Interesse gewonnen durch die Bezie- 
hung, in welche dasselbe von Waldeyer°) zu seiner Lehre vom 
Keimepithel gebracht worden. Während die früheren Beobachter 
keinen Zweifel daran gehabt zu haben scheinen, dass diese Flimmer- 
zellen der übrigen nicht fliimmernden Epithelbekleidung des Perito- 
neum in genetischer Beziehung völlig gleichwerthig seien und dass 
dieselben demnach nur eigenthümlich modifieirte Endothelien im 
His’schen Sinne seien, lehrt Waldeyer, dass dieselben vielmehr 
mit dem ächten Epithel des Genitalapparats gemeinsamen Ursprungs 


1) Thiry über das Vorkommen eines Flimmerepithelium’s auf dem 
Bauchfell des weiblichen Frosches. Goettinger Nachrichten 1862. p. 171. 

2) Schweigger-Seidel und Dogiel über die Peritonealhöhle der 
Frösche. etc. Arbeiten aus d. physiologischen Anstalt zu Leipzig vom J. 
1866. p. 68. 

3) Waldeyer, Eierstock und Ei. p. 72 u. p. 122. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 355 


seien, indem es sich um eine »flächenhafte Fortsetzung der Genital- 
schleimhaut« in die Bauchhöhle hinein handele. Obwohl diese Be- 
hauptung sich auf keine, an Batrachiern angestellten embryologischen 
Untersuchungen stützt, hat sich ihr doch Rollett!) ohne Weiteres 
angeschlossen und Waldeyer selbst hat kürzlich gelegentlich eines 
Referates?) seine Auffassung von Neuem geltend gemacht gegen- 
über E. Klein°), welcher die Bildung »flimmernder Endothelzellen« 
beschreibt. 

Als meine ursprünglich in anderer Absicht vorgenommenen 
Untersuchungen des Froschperitoneums mich dahin führten, dem 
bedeckenden Zellstratum meine Aufmerksamkeit zuzuwenden, schien 
es mir hienach besonders geboten, der erwähnten Frage näher zu 
treten. 

Es sei zunächst daran erinnert, dass wir den angeführten Ar- 
beiten von Thiry und von Schweigger-Seidel und Dogiel 
den Nachweis verdanken, dass das Vorkommen des peritonealen 
Flimmerepithels auf weibliche Frösche beschränkt ist. Ueber 
seine topographische Verbreitung sind hauptsächlich nur mit Rück- 
sicht auf die ihm zugeschriebene Funktion, die Eier in die Tuben 
zu befördern, genauere Untersuchungen angestellt, im Uebrigen sind 
die Angaben in dieser Richtung unvollständig. Leydig*) fand 
Flimmerung am Ueberzug der Bauchmuskeln und an Mesovarium. 
Thiry (l. c.) constatirte, dass die untere Bauchwand vom Becken 
bis zur Herzspitze, sowie der vorderste, aus zwei trichterförmigen 
Räumen, in deren Grunde die Tubenostien liegen, bestehende Ab- 
schnitt der Bauchhöhle mit Flimmerstreifen bedeckt ist, welche in 
der Mittellinie der Bauchdecken und im Umfange der Tubenostien 
am dichtesten zusammentreten. Schweigger-Seidel und Do- 
giel, mit Thiry’s Arbeit unbekannt, beschränkten ihre Beobach- 
tungen auf die Scheidewand zwischen Bauchhöhle und Cysterna Iym- 


1) Rollet, Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie u. Histo- 
logie in Graz. Heft 2. p. 135. 

2) Jahrbücher f. d. gesammte Mediein von Virchow und Hirsch. 
1872. I. p. 42. 

3) E. Klein on Remack’s ciliated vesicles and corneous filaments of 
the frog Quarterly Journal of microscopical sciences XII. p. 43. 

4) Leydig, Lehrbuch d. Histologie d. Menschen u. d. Thiere 1857 
p- 325. 


356 E. Neumann: 


phatica magna und fanden die Bauchhöhlenseite derselben mit Gruppen 
von Flimmerzellen bedeckt, welche zum Theil eine Beziehung zu 
den von ihnen daselbst aufgefundenen Stomata zu haben schienen. 
Nach Waldeyer endlich ist die vordere und seitliche Bauchwand, 
ein Theil der Mesenterien und das Mesovarium mit Flimmerzellen- 
inseln, die meist durch schmale Brücken zusammenhängen, versehen. 

Ich kann diese Angaben dahin ergänzen, dass auch die Leber 
bei erwachsenen weiblichen Fröschen eine Flimmerdecke trägt, und 
ich befinde mich hierin im Widerspruche zu Thiry, welcher, während 
die übrigen Untersucher dieses Organ gar nicht berücksichtigt haben, 
ausdrücklich die Anwesenheit von Flimmerzellen auf der Leber in 
Abrede stellt. Die einfachste Methode, sich von ihrer Existenz zu 
überzeugen, besteht in der Abtragung der an den meisten Lappen 
spitz zugeschärften Leberränder in Form schmaler Streifen, die man 
in eine passende Zusatzflüssigkeit überträgt. Dem Rande entlang 
zeigt sich sofort das schönste Wimperspiel. Zugleich sind diese eine 
Profilansicht der Zellen gewährenden Präparate sehr geeignet, die 
gewöhnlichen Flächenansichten zu ergänzen. Zur Darstellung der 
letzteren macerirte ich die ausgeschnittene Leber entwederin Müller’- 
scher Flüssigkeit oder Chromsäurelösungen oder ich behandelte sie 
mit Argentum nitricum; hienach liess sich die Zellendecke leicht 
in zusammenhängenden Fetzen gewinnen, in letzterem Falle mit 
scharfer Abgrenzung der einzelnen Zellen durch die bekannten schwarzen 
Silberlinien und mit deutlicher Erhaltung der Flimmerhärchen, welche 
als zarte Strichelchen erschienen. 

Fig. 1 stellt das gewöhnlich zur Anschauung kommende Bild 
des Leberrandes, frisch in Humor aqueus untersucht, dar. Von dem 
dunkelkörnigen Leberparenchym hebt sich ein durchsichtiger blasser 
zelliger Grenzsaum deutlich ab, welcher grossentheils mit einer fort- 
laufenden Reihe von Flimmerhärchen besetzt ist; nur hie und da 
fehlen letztere auf kürzeren Strecken. Der äussere Contour dieses 
Grenzsaumes stellt sich als eine flache Wellenlinie dar, die langge- 
streckten plateauartigen Wellenberge werden durch die flimmernden 
Theile des Zellstratum, die kürzeren Wellenthäler durch die flim- 
merlosen Theile repräsentirt, nirgends findet sich ein schroffer Ab- 
fall von Berg zu Thal, sondern überall erscheinen die Uebergangs- 
stellen sanft abgeflacht und meist mit gegen die Vertiefungen hin 
kürzrer werdenden Flimmerhärchen besetzt. Eine deutliche Ab- 
grenzung der einzelnen Zellen ist bei dieser Untersuchungsweise 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 357 


natürlich nicht wahrnehmbar, nur die Entfernung der alsbald her- 
vortretenden Zellenkerne von einander lässt über die Grössenverhält- 
nisse der Zellen urtheilen. In den flimmerlosen Theilen der Zell- 
decke liegen sie weiter auseinander als in den flimmernden; dort 
bilden sie flache uhrglasförmige Erhebungen des äusseren Contours, 
hier treten sie nicht an der Oberfläche hervor, sondern erscheinen 
in die feinkörnige, protoplasmatische Substanz der Zellen völlig ein- 
gebettet, sind auch weniger lang und schmal als dort. — Von 
Maassen sei angeführt, dass ich bei einer grossen weiblichen Rana 
esculenta, welche ich im Januar untersuchte, die Höhe der Flimmer- 
zellen im Profil des Leberrandes (abgesehen von den Cilien selbst) 
auf 0,006 Mm. bestimmte, die 0,012 langen und 0,003 hohen Kerne 
nahmen die tieferen Theile der Zellen ein und lagen mit ihren durch 
Nucleoli markirten Mittelpunkten, 0,015 Mm. auseinander. In anderen 
Fällen habe ich immer annähernd übereinstimmende Resultate durch 
die Messung erhalten. 

Gehen wir von dem Bilde des Leberrandes zur Betrachtung 
beliebiger, von der Oberfläche der Leber entnommenen Flach- 
schnitte über, so wiederholen sich an den Rändern derselben, 
falls sie in Humor aqueus flach ausgebreitet worden, dieselben 
Ansichten und man gewinnt die Ueberzeugung, dass sich das 
Flimmerepithel über die ganze Oberfläche der Leber mit den er- 
wähnten Unterbrechungen ausbreitet, ein Faktum, welches in An- 
betracht der nach Thiry’s Beobachtungen kaum zweifelhaften phy- 
siologischen Funktion der peritonealen Flimmerströmung nichts auf- 
fälliges haben kann; da nämlich die Tubenostien sich im vordersten 
Theile der Banchhöhle befinden, so müssen die Eier, um zu ihnen 
zu gelangen, nothwendig bei der Leber, sei es an ihrer vorderen 
oder hinteren Fläche vorbeipassiren und es wird somit die Wirkung 
der von Thiry an dem parietalen Peritoneum des vorderen Ab- 
schnittes der Bauchhöhle nachgewiesenen Flimmerung wesentlich unter- 
stützt werden müssen durch die Flimmerung des correspondirenden 
visceralen Theiles der Leberserosa. Eine genauere Betrachtung der 
anatomischen Verhältnisse lehrt uns sogar eine sehr direkte Beziehung 
der Leber zu den Tubenostien kennen. Der obere (vordere) Leber- 
rand hat bekanntlich in der Mittellinie einen tiefen Einschnitt, in 
welchen das Herz eingeschoben ist, und ist in der ganzen Ausdeh- 
nung dieses Einschnittes mit dem Pericardium durch eine kurze 
Peritonealduplicatur verbunden. An den beiden Endpunkten dieser 


358 E. Neumann: 


Insertionslienie auf der Aussenfläche des Herzbeutels befinden sich 
die Tubenostien, deren vordere, mit sichelförmig ausgeschnittenem 
Rande endigende Wand als unmittelbare Fortsetzung jener Bauch- 
fellfalte erscheint, während die hintere Wand ohne sichtbare Ab- 
grenzung in den peritonealon Ueberzug des Herzbeutels übergeht. 
Hienach werden also die Eier von der Leberoberfläche direkt in 
die Ostien hineingleiten müssen, vorausgesetzt, dass, wie es in der 
That Versuche, die wir nach dem Vorgange Thiry’s mit auf die 
Leber aufgetragenen Farbstoffkörnchen anstellten, ergeben haben, 
die Richtung der Flimmerströmung nach oben (vorne) gewandt ist. 

Zur Beschreibung des Zellstratums auf der Leberoberfläche 
zurückkehrend, bemerke ich, dass die flimmernden Zellen an Silber- 
präparaten bei der Flächenansicht sich in der Regel als fünf- oder 
sechseckige, von geraden Linien begrenzte Polygone (Fig. 3) dar- 
stellen, deren in verschiedenen Richtungen gezogene Durchmesser 
meistens nicht erheblich differiren und durchschnittlich 0,015 bis 0,02 
Mm. lang sind!). Im Vergleich mit der oben angegebenen Höhe 
der Zellen von 0,006 Mm., welche bisweilen noch mehr herabsinkt, 
müssen wir die Zellen demnach als stark abgeplattet bezeichnen ?). 
Dasselbe gilt von den Zellkernen ; sie erscheinen auf Flächenansichten 
eiförmig oval mit etwa 0,012 Längen- und 0,008 Breitendurchmesser, 
während auf dem Profilbilde, wie erwähnt, die Höhe (Dicke) derselben 
nur = 0,003 Mm. sich ergiebt. Der Gegensatz dieser Flimmer- 
zellen zu den dazwischen gelegenen flimmerlosen Zellen markirt sich 
an gelungenen Silberpräparaten sehr scharf; abgesehen von der 
durch die Flimmerhärchen bedingten feinen Strichelung ist insbe- 
sondere die sehr viel bedeutendere Grösse der flimmerlosen Zell- 
platten unterscheidend; nicht selten erreichen letztere mit ihrem 
längsten Durchmesser das 6—8 fache der Flimmerzellen; oft ist 
ihre Form ausserdem sehr unregelmässig in die Länge gestreckt, 


1) Dass die Grösse der einzelnen Zellen innerhalb der von ihnen ge- 
bildeten Gruppen von der Mitte gegen die Peripherie abnimmt, wie Thiry 
angiebt, kann ich weder für die Leber noch für andere flimmernde Theile 
des Peritoneum bestätigen. 

2) Es beruht auf einem Irrthume, wenn F.Boll ein Referat im Centralbl. 
f. d. mediein. W. (1871 p, 597) mit der Bemerkung schmückt, Schweigger- 
Seidel und Dogiel hätten die Flimmerzellen auf dem Froschperitoneum 
als »echte Cylinderepithelien« beschrieben. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 359 


und ihre in der Regel von fein geschlängelten, schwarzen Linien 
umsäumten Ränder bogenförmig ausgeschnitten oder convex gewölbt. 
Auch über die Verbreitung der beiden Zellarten geben die Silber- 
bilder eine sehr deutliche Anschauung; an verschiedenen Stellen 
findet man in dieser Beziehung ein wechselndes Verhalten. Bald 
erscheint die feinere Mosaik der Flimmerzellen nur hie und da 
durch eine einzelne grosse flimmerlose Zelle oder durch kleine 
Gruppen solcher unterbrochen (Fig. 4), bald bilden die Flimmerzellen 
nur grössere, untereinander nicht zusammenhängende, sehr unregel- 
mässig geformte Inseln oder langgestreckte Züge, bald endlich er- 
scheinen sie nur einzeln zerstreut inmitten der ein continuirliches 
Stratum bildenden flimmerlosen Zellen (Fig. 5). Während der letz- 
tere Fall, wie sich schon aus dem am frischen Präparate Beobach- 
teten ergiebt, bei der Froschleber (und ebenso bei der Krötenleber) 
nur als Ausnahme gelten kann, fand ich ihn als Regel bei einigen 
Exemplaren von Triton cristatus, die ich untersuchte, und hier zeigt 
sich auch an den Leberrändern das Vorkommen der Cilien meist 
auf einzelne flachgewölbte Hügel beschränkt, deren Breite dem 
Durchmesser einer einzelnen Zelle entsprach (Fig. 2). 

Von besonderer Bedeutung in Rücksicht auf die Eingangs er- 
wähnte Auffassung Waldeyer’s von dem peritonealen Flimmer- 
epithel als »Keimepithel« im Gegensatz zu dem flimmerlosen »Endo- 
thel« erschien die Prüfung des gegenseitigen Lagerungsverhältnisses 
beider. Waldeyer sagt darüber (l. c. p. 122), »überall, wo Keim- 
epithel in der eigentlichen Peritonealhöhle später erhalten bleibt, 
wie z. B. bei den Batrachiern, erscheint dasselbe dem bindegewebigen 
Peritonealendothel aufgelagert, so dass letzteres eine tiefere 
Zellenlage repräsentirt.« Ich komme später darauf zurück, dass 
es schon nicht richtig ist, von einem Erhaltenbleiben des Keim- 
epithels in der Peritonealhöhle der Frösche zu sprechen, und will hier . 
nur die Frage erörtern, ob wirklich an den Stellen, wo wir später 
Keimepithelim Sinne Waldeyer’s, d. h. Flimmerepithel finden, unter- 
halb derselben sich noch ein tieferes »endotheliales« Zellstratum vor- 
findet. Auf welche Beobachtungen diese Behauptung sich stützt, 
führt Waldeyer nicht an und es blieb daher die Berechtigung der- 
selben um so mehr zu prüfen, als die früheren Beobachter im Gegen- 
theil augenscheinlich die flimmernden Zellen als zwischen die flimmer- 
losen Zellen einrangirt und mit ihnen, so zu sagen, in Reihe und 
Glied stehend betrachtet hatten. Meine eigenen Beobachtungen haben 


360 E. Neumann: 


mir keinen Zweifel gelassen, dass diese leztere Darstellung in der 
That dem wirklichen Sachverhalt entspricht. 

Schon das Profilbild des Leberrandes spricht gegen Waldeyer. 
Niemals habe ich an demselben unterhalb der Flimmerzellen eine 
zweite tiefere Zelllage wahrnehmen können, die sich doch durch 
ihre Kerne zu erkennen geben müsste. Ausserdem müsste die 
äussere Begrenzungslinie der Zelldecke, falls es sich um eine Auf- 
lagerung der Flimmerzellen handelte, überall da wo die flimmer- 
losen Zellen zu Tage treten, stufenförmige Absätze zeigen, während 
in Wirklichkeit an diesen Uebergangsstellen ein ganz allmähliges 
Auf- und Absteigen, und somit eine flach wellenförmige Beschaffen- 
heit der Oberfläche vorhanden ist. Noch entscheidender aber sind 
die Fläschenansichten des Zellenmosaik auf Silberpräparaten. Ich 
will keinen besonderen Werth darauf legen, dass sich an denselben 
niemals an den Stellen, wo Flimmerzellen sich befinden, zwei ein- 
ander deckende schwarze Silbernetze zeigen, wie es die Uebereinander- 
lagerung der beiden Zellschichten nach Waldeyer erwarten liesse; 
es liesse sich dieser Umstand allenfalls daran erklären, dass das 
Silber nur die Grenzlinie der oberflächlichen Zeilschicht schwärzt und 
auf die tiefer gelegene diesen Einfluss nicht übt. Betrachten wir 
aber die durch die Silberlinien erzeugte Zeichnung etwas genauer, 
und fassen namentlich die Stellen in’s Auge, wo die beiden Zellarten 
aneinander stossen, so ergiebt sich aus folgenden Verhältnissen zur 
Evidenz, dass dieselben wirklich mosaikartig ineinander gefügt sind: 

1. Die an die Flimmerfelder zunächst anstossenden flimmerlosen 
Felder unterscheiden sich in Grösse und Form nicht von den weiter 
abgelegenen. Bildeten die Flimmerzellen eine höhere Zelllage, so 
müssten an ihrer Peripherie nur Segmente der flimmerlosen Zellen 
durch die Silberlinien hervortreten, entsprechend den von den 
Flimmerzellen nicht verdeckten Theilen derselben ; es würden hier also 
kleinere Felder von sehr unregelmässiger Form vorhanden sein müssen. 

2. Die Ecken der peripherisch gelegenen Flimmerzellen erscheinen 
stets eingeschoben in .den einspringenden Winkel, welcher durch den 
Zusammenstoss von zwei flimmerlosen Zellen gebildet wird, die Grenz- 
linie der letzteren tritt an die Ecke der Flimmerzellen heran, und 
vereinigt sich mit den beiden Seitenlinien derselben. Besonders deut- 
lich ist dieses Verhältniss da, wo nur einzelne zerstreute Flimmer- 
zellen eingeschaltet erscheinen. Wären die Flimmerzellen aufgelagert, 
so könnte eine solche regelmässige Beziehung ihrer Umrisse zu den 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 361 


Grenzlinien der darunter gelegenen Zellen nicht stattfinden, es könnte 
dann nur vom Zufall abhängen, ob die Ecken der Flimmerzellen 
an der Peripherie mit den Grenzlinien der benachbarten Zellen 
zusammentreffen oder ob sie zwischen den Grenzlinien in diese Nachbar- 
zellen selbst einspringen. 

Ich verweise auf die Figur 5, welche die berührten Verhältnisse 
hinreichend erläutert. Der Waldeyer’schen Darstellung nach liesse 
sich vielmehr das fingirte Bild Fig. 5 A erwarten. 


Noch haben wir, um für die Beurtheilung der Bedeutung des 
peritonealen Flimmerepithels das nothwendige thatsächliche Material 
zu gewinnen, einen Punkt, dessen Feststellung gewissen Schwierig- 
keiten unterliegt, zu erörtern, ich meine das Verhältniss des Tuben- 
epithels zum peritonealen Epithel an den Tubenostien, wo der Ueber- 
gang beider ineinander stattfindet. 

Die Beschaffenheit des Tubenepithels ist, soweit mir bekannt, 
bisher nur in ungenügender Weise beschrieben worden. A. Bött- 
cher giebt in einer kleinen Abhandlung ȟber den Bau und die 
Quellungsfähigkeit der Froscheileiter« (Virchow’s Archiv Bd. 37 
p. 174) an, dass das Epithel eine einfache Lage von Cylinderzellen 
darstelle, welche in frischem Zustande hell und durchsichtig aussähen 
und mit langen Wimpern besetzt seien. Eine beigefügte Abbildung 
entspricht dieser Angabe. Ich kann nicht umhin, dieselbe als eine 
schematische zu betrachten, in Wirklichkeit ist die Structur der 
epithelialen Decke in den Froschtuben, wie ich finde, eine sehr viel 
complieirtere. Vor Allem ist Böttcher die Verschiedenheit des 
Epithels auf den longitudenalen, von der Tubenschleimhaut gebildeten 
Falten und in den dazwischen gelegenen Vertiefungen, in welchen 
sich die Drüsenmündungen befinden, entgangen. Das Flimmer- 
epithel beschränkt sich auf die erwähnten Falten, wie sich sowohl 
an Querschnitten gut gehärteter Tuben, als auch an dem im Zu- 
sammenhange von der Innenfläche abgestreiften Epithel nach Be- 
handlung mit Müller’schen Flüssigkeit oder mit Silberlösungen 
erkennen lässt. Namentlich an letzteren Präparaten tritt deutlich eine 
regelmässige Abwechslung ziemlich gleich breiter Streifen hervor, 
von denen die einen (Fig. 6, aa) aus grösseren flimmernden, die 
anderen (Fig. 6 b) aus flimmerlosen kleineren Zellen zusammengesetzt 


sind; letztere enthalten in regelmässigen Abständen den Drüsen- 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11, 25 


362 E. Neumaan; 


mündungen entsprechend runde Lücken (ec, ce), in deren Umfange die 
Zellen eine concentrische Anordnung annehmen. Beiläufig sei be- 
merkt, dass an dem abgelösten und flach ausgebreiteten Epithel 
natürlich sowohl die Abstände zwischen den Drüsenreihen als auch 
die Entfernungen der einzelnen Drüsen einer Reihe viel beträchtlicher 
erscheinen, als in deren natürlichem Situs, in welchem die Drüsen 
durch die faltige Zusammenschiebung der Schleimhaut dicht anein- 
anderrücken; es bildet nämlich die Schleimhaut zwischen den Drüsen 
auch kleine Querfältchen, die in Verbindung mit den Längsfalten 
der Innenfläche den Eileiter das schon ältern Forschern (z. B. 
Rathke) bekannte bienenwabenähnliche Aussehen geben. 

Auf dem in Fig. 6 abgebildeten, das abgestreifte Tubenepithel 
darstellenden Silberpräparate bilden die Zellen der Flimmerstreifen 
polygonale hellbräunliche, von schwarzen Linien umsäumte Felder 
von durchschnittlich 0,02 Mm. Durchmesser, zwischen denen zahl- 
reiche kleine (zwischen 0,004 und 0,006 Mm. sehwankende) völlig 
farblose Kreise (d, d, d) eingeschaltet sind, begrenzt durch bogen- 
förmige Ausschitte der Zelleontouren. Es erinnern diese hellen Kreis- 
figuren sofort an die vielfach an anderen Epithelien beschriebenen 
Stomata und in der That erweisen sie sich bei controlirender Un- 
tersuchung von Präparaten aus Müller’scher Flüssigkeit als solche; 
sie stellen nämlich die offenen Mündungen von Becherzellen dar, 
welche zwischen den Flimmerepithelien in ähnlicher Weise einge- 
schaltet sind, wie es F. E. Schulze in seinem bekannten Aufsatze 
»Ueber Epithel- und Drüsenzellen« (Archiv f. mikroskop. Anatomie, 
Bd. II, p. 137) durch zahlreiche vortreffliche Abbildungen, die sich 
auf Präparate der verschiedensten Organe beziehen, illustrirt hat, 
wobei er allerdings auffallender Weise bemerkt, dass er auf der 
Genitalschleimhaut Nichts dergleichen gefunden habe (p. 197). Die 
beste Anschauung geben Seitenansichten der Zellen, wie eine solche 
in Fig. 7 wiedergegeben ist. An den mit etwa 0,003 Mm. langen 
Cilien besetzten eigentlichen Epithelzellen unterscheidet man hier 
einen oberen, breiten, den Zellkern einschliessenden und mit glän- 
zendem Basalsaum versehenen Zellkörper, der sich nach unten konisch 
zuspitzend, in einen scheinbar fadenförmigen Fortsatz ausläuft; 
letzterer stellt sich bei Betrachtung der Zellen in verschiedenen La- 
gen als der optische Durchschnitt des stark abgeplatteten unteren 
Theiles derselben heraus, welcher sich zwischen die Becherzellen ein- 
schiebt und den zwischen diesen übrigbleibenden Raum erfüllt. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 363 


Sehr merkwürdig und vielleicht an keiner andern Schleimhaut bis- 
her beobachtet ist der Reichthum an Becherzellen, von welchem man 
an den vorhin beschriebenen Silberpräparateu nur deshalb eine un- 
vollkommenere Vorstellung bekommt, weil der grösste Theil derselben 
nach oben hin blind abgeschlossen ist und durch die aneinander- 
stossenden breiten basalen Theile der Flimmerepithelien überwölbt 
wird. Untersucht man dagegen Isolationspräparate aus Müller’scher 
Flüssigkeit, an denen sich übrigens der Zusammenhang ganzer Zellrei- 
hen oft erhält (Fig. 7), so überzeugt man sich, dass die Einschaltung 
einer Becherzelle zwischen je zwei Flimmerepithelien ein ganz con- 
stanter Befund ist, so dass die Zahl beider ungefähr als eine gleiche 
zu schätzen ist; niemals habe ich Flimmerzellen gesehen, die in 
ihrer ganzen Länge aneinandergefügt waren, immer berührten sie 
sich nur mit ihrer Basis, so dass die glänzenden Basalsäume und 
der Flimmersaum gewölbeähnlich über die von den Becherzellen ein- 
genommenen nischenförmigen Räume zwischen den Epithelien hinweg- 
liefen, nur hie und da gelang es in der Profilansicht der Epithel- 
decke mit Deutlichkeit die Ausmündung eines offenen Halses der 
Becherzellen an der Oberfläche zu constatiren, Was die Form der 
letztern betrifft, so erscheinen die oben abgeschlossenen Zellen fast 
eiförmig abgerundet, bei den geöffneten bemerkt man einen als 
schmalen, kurzen Ring erscheinenden Aufsatz, welcher sich zwischen 
die Basalsäume der Flimmerzellen einschiebt, so dass die Zelle dem- 
nach die besonders von Eimer!) für die Becherzellen des Dünn- 
darms beschriebene Krugform annimmt. Bei einer Höhe von durch- 
schnittlich 0,03 Mm. (entsprechend der Höhe der Flimmerzellen) 
misst ihre Breite 0,016—0,02 Mm. Ihre Wand erscheint an Prä- 
paraten aus Müller’scher Flüssigkeit als glänzende, scharfgezeich- 
nete Contourlinie, der Inhalt blass und feinkörnig, ein 0,008 Mm. 
grosser Kern ist in die Wandung in verschiedener Höhe, meist un- 
' gefähr in der Mitte eingefügt. Bemerkenswerth sind gewisse, wie es 
scheint, constante Anhänge, welche der nach abwärts gerichtete 
Fundus der Becherzellen zeigt, meist sah ich nur einen kleinen 
spitz ausgezogenen Zipfel oder Sporn (Fig. 7), öfters ging derselbe 
aber auch über in einen längeren Faden und in einem Falle, (bei 
einem Frosch, dessen Tube nach dem Hindurchgange der Eier in 
der Brunstzeit theilweise noch in stark aufgequollenen Zustande 


1) Eimer, über Becherzellen, Virehow’s Archiv, Bd. 42. p. 490 


364 E. Neumann: 


sich befand) setzte sich der Fnndus vieler Becherzellen m einen 
ziemlich breiten, ebenfalls offenbar hohlen Schlauch fort, innerhalb 
dessen (ebenso wie in den erwähnten fadenförmigen Anhängen) als- 
dann meist ein Kern sichtbar war (vgl. Eimer l. c. p. 536), wäh- 
rend die Zelle selbst Keinen Kern enthielt (Fig. S). Das Schicksal 
dieser Fortsetzungen der Becherzellen im subepithelialen Bindegewebe, 
in welches sie sich offenbar einsenken, zu verfolgen, war ich nicht 
im Stande. 

Das beschriebene Bild des Epithels ändert sich in dem vor- 
dersten Abschnitte der Tuben; /, bis Y/g Centimeter unterhalb 
der abdominalen Ostien derselben hören die Drüsen und auch die 
Faltenbildungen auf, und die nunmehr glatte Innenfläche der Tuben 
erscheint hier mit einer gleichmässigen, flimmernden Epitheldecke 
versehen, deren Elemente in unmerklichem Uebergange die Charaktere 
der früher beschriebenen peritonealen Flimmerzellen annehmen. An 
Silberpräparaten, welche die Tubeno stien mitsammt dem anstossen- 
den parietalen und pericardialen Abschnitte des Peritoneums, sowie 
die oben erwähnte zum Leberrande tretende, die Fortsetzung der 
vorderen Tubenwand darstellende Bauchfellfalte umfassen, lässt sich 
in Betreff dieses Ueberganges noch folgendes Näher feststellen: an 
der vorderen Tubenwand setzt sich das Flimmerepithel von der 
Innenfläche über den freien Rand hinüber auf die Aussenfläche fort 
und schneidet dicht unterhalb desselben in einer schräge von innen 
und oben nach unten und aussen gerichteten Linie ab, indem hier 
das grosszellige, flimmerlose Peritonealepithel beginnt, welches im 
ganzen weitern Verlauf die Tuben von aussen bekleidet; von der 
Innenfläche der hinteren Wand aus verbreitet sich das Flimmer- 
epithel über die ganze Aussenfläche des Herzbeutels und geht 
von hier aus auf die vordere Bauchwandung über, es wird in dieser 
ganzen Ausdehnung nur durch schmale Züge flimmerloser grösserer 
Epithelplatten unterbrochen; die von der medialen Ecke des Ostiums 
als Fortsetzung der vorderen Tubenwand zur Leber tretende Peri- 
tronalduplicatur endlich ist an ihrer ganzen inneren, dem Tubenostium 
zugewandten Fläche mit Flimmerepithel bedeckt, welches von hier 
aus auf die Oberfläche der Leber übergeht und hier die früher be- 
sprochene Anordnung annimmt. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 365 


Gehen wir nunmehr an die Verwerthung der mitgetheilten 
Thatsachen, so haben wir uns vor Allem einiger der Entwicklungs- 
geschichte der Batrachier entnommener Erfahrungen zu erinnern, 
es betreffen dieselben theils die in den verschiedenen Entwicklungs- 
perioden wechselnde Gestaltung der die Leibeshöhle auskleidenden 
Zellschicht, theils die Entstehungsweise der Eileiter. In ersterer Be- 
ziehung lehren die von Götte!) bei Bombinator igneus angestellten 
Untersuchungen, dass bei dem ersten Auftreten der serösen Höhle 
im Embryo eine einfache gleichmässige Schicht kurzeylindrischer 
Zellen dieselbe austapeziert (l. ec. Fig. 12, 13, 15), in ähnlicher Weise, 
wie es durch Schenk?) für das Hühnchen festgestellt ist. Diese 
mit Waldeyer’s Beschreibung des Keimepithels übereinstimmende 
Beschaffenheit verliert sich in einer vorläufig nicht näher bestimm- 
baren Zeitperiode und wir finden alsdann bei jungen Fröschen bei- 
derlei Geschlechts eine durchweg sogenannte endotheliale Ausklei- 
dung des Bauchraums. Ein neuer Wechsel tritt zur Zeit der Ge- 
schlechtsreife auf, jetzt erst nämlich entwickeln sich bei den Weibchen 
an den vorhin benannten Orten die Flimmerzellen auf dem Peritoneum 
und es entsteht so eine früher nicht vorhandene Differenzirung in 
zwei charakteristisch unterschiedene Zellformen, welche sich gemein- 
sam an der Bildung der peritonealen Epitheldecke betheiligen. 

Ich kann nicht umhin, hier zu bemerken, dass Waldeyer auf- 
fallender Weise die letztere Thatsache, die erst in die Zeit der Ge- 
schlechtsreife fallende Entwicklung der Flimmerzellen, übersehen zu 
haben scheint, obwohl bereits Thiry sowohl als Schweigger-Sei- 
del und Dogiel ausdrücklich darauf hingewiesen haben. Auf p. 221 
seines Buches heisst es: »ich will für jetzt nicht entscheiden, ob das 
Keimepithel von Anfang an, auch beim Hühnchen, die ganze Peri- 
tonealhöhle auskleidet. — — — Bei den Batrachiern bleibt ja ohne- 
dies ein grosser Theil der Bauchhöhle mit Flimmerepithel bekleidet« 
und in demselben Sinne sagt Waldeyer an der schon vorhin 
eitirten Stelle: ȟberall, wo Keimepithel in der eigentlichen Peritoneal- 
höhle später erhalten bleibt z. B. bei den Batrachiern — —«?°). 


1) Goette, Untersuchungen über die Entwicklung des Bomb. igneus 
im Archiv f. mikroskop. Anatomie Bd. V. 90. 

2) Schenk, Beitrag z. Lehre von den Organanlagen im motorischen 
Keimblatt. Wiener Acad. Schriften Bd. LXVII. p. 189. 

3) Auch Kapff (Untersuchungen über das Ovarium und dessen Be- 


566 E. Neumann: 


Ich kann mich im Widerspruche mit diesen Angaben nur den vor- 
hin genannten Autoren anschliessen und möchte noch hinzufügen, 
dass sich bei jungen, noch nicht geschlechtsreifen Fröschen nicht nur 
leicht die gänzliche Abwesenheit von Flimmerepithelien in der Bauch- 
höhle nachweisen lässt, sondern dass es mir bei darauf gerichteter 
Aufmerksamkeit auch nicht gelungen ist, bei dergleichen Thieren 
auf dem Peritoneum irgend welche Zellen aufzufinden, welche nicht 
den Charakter des gewöhnlichen platten Endothels der serösen Häute 
hatten und sich etwa von ihnen durch geringeren Umfang, grössere 
Höhe und protoplasmatische Beschaffenheit unterschieden, Zellen, die 
somit als noch unentwickelte, d. h. noch nicht mit Cilien besetzte 
Ueberreste eines Keimepithels im Gegensatze zu den übrigen endo- 
thelialen Zellen hätten angesprochen werden können. Man über- 
zeugt sich hiervon am besten durch einen Vergleich junger männ- 
licher und weiblicher Thiere; bei beiden erhält man völlig die gleichen 
Bilder eines gleichmässigen grosszelligen Endothelmosaik, wenn man 
die Oberfläche solcher Organe, welche bei erwachsenen weiblichen 
Thieren Flimmerepithel tragen, mit Silberlösungen behandelt. 

Eine fernere, für unser Thema bedeutungsvolle entwicklungs- 
geschichtliche Thatsache verdanken wir gleichfalls den bereits oben 
angeführten Untersuchungen Goette’s bei Bombinator igneus. Wie 
dieser Forscher nachweist und wie es neuerdings eine in Waldeyer’s 
Laboratorium in Strassburg ausgeführte Arbeit Ro:miti’s!) für eine 
andere Species (Bufo einereus) bestätigt, ist die erste Anlage des 
primitiven Urogenitalcanals der Batrachier, welcher bei den weib- 
lichen Thieren sich weiterhin zur Tube gestaltet, zurückzuführen auf 
eine zur Zeit, wo die so eben erst durch eine Spaltung des mittleren 
Keimblatts entstandene Peritonealhöhle noch von einem kurzen Cylin- 
derepithel ausgekleidet ist, erfolgende taschenförmige Ausstülpung 
dieses Epithels, welches sich demnach direkt fortsetzt und in unver- 
ziehungen zum Peritoneum in Reichert ’s und du Bois’ Archiv 1872 p. 553) 
scheint von derselben irrigen Voraussetzung auszugehen, wenn er sagt: »wo 
die Abflachung (des ursprünglichen Cylinderepithels der Bauchhöhle) nicht 
gleichmässig geschieht, wie bei vielen niederen Wirbelthieren, bleiben in- 
selförmige Partien in der Bauchhöhle zurück, welche das ursprüngliche 
höhere Epithel auch später noch tragen«, 

1) Romiti über den Bau und die Entwicklung des Eierstocks und des 
Wolff’schen Ganges in M. Schultze’s Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. X, 
p- 200. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zumBileiterepithel b. Frosche. 367 


änderter Qualität übergeht in das Epithel, welches den ursprünglich 
blind abgeschlossenen Tubenkanal umschliesst. Genauere Angaben 
über die fortschreitende histologische Entwicklung der Tube fehlen, 
doch lässt sich soviel leicht constatiren, dass die flimmernde Epithel- 
decke der Tubenschleimhaut und ihr drüsiger Bau bereits zu einer 
Zeit völlig ausgebildet wird, wo wir die Innenfläche der Peritoneal- 
höhle noch frei von Flimmerepithel und mit einer einfachen Schicht 
endothelialer Zellen bedeckt finden. 

Diese Befunde in Verbindung mit den vorhin angegebenen bei 
erwachsenen Fröschen führen nun, wie mir scheint, mit logischer 
Nothwendiekeit zu folgenden Schlussfolgerungen: 

1) Das kurzeylindrische Epithel, welches ursprünglich in gleicher 
Weise Bauchhöhle und Tubenanlagen auskleidet, nimmt im weitern 
Verlaufe in beiden genannten Theilen eine verschiedene Entwicklungs- 
richtung; während es sich in der Bauchhöhle allmählig abflacht und 
zu einer platten endothelialen Zellschicht sich gestaltet, gewinnt es 
in der Tube den Charakter eines echten Schleimhautepithels und 
wird theilweise flimmernd. 

3) Das abgeplattete Endothel der Bauchhöhle nimmt später 
zur Zeit der Geschlechtsreife ebenfalls zum grossen Theile (soweit 
es dem physiologischen Zwecke der Eibeförderung entspricht) eine 
mit dem Epithel des vordersten Tubenabschnittes übereinstimmende 
Beschaffenheit an und wird zu einem Flimmerepithel. 

3) Eine genetische Verschiedenheit zwischen peritonealem 
Flimmerepithel und Endothel im Sinne Waldeyer’s, welcher nur 
ersteres auf die ursprüngliche kurzceylindrische Auskleidungsschicht 
der Bauchhöhle zurückführt, letzteres dagegen als hervorgegangen 
aus dem bindegewebigen Substrat nach Atrophie der ursprünglichen 
Zelldecke betrachtet, existirt nicht; beide sind vielmehr, wie es auch 
Kapff (l. c.) behauptet und Romiti am Schlusse seines oben er- 
wähnten Aufsatzes wenigstens als möglich zugegeben hat, genetisch 
völlig identisch. 

Die Begründung dieser Sätze lässt sich nach dem bereits Ge- 
sagten in wenige Worte zusammenfassen. Nachdem wir constatirt 
haben, dass in dem Jugendalter des weiblichen Frosches das ur- 
sprünglische Cylinderepithel der Bauchhöhle durchweg durch ein 
plattes Endothel ersetzt ist und dass während dieser Periode sich 
an keiner Stelle der gesammten Oberfläche des Peritoneums Reste 
jenes Epithels in unverändertem Zustande nachweisen lassen, wie 


368 E. Neumann: 


Waldeyer vorausgesetzt hatte, so bleibt uns zur Erklärung dieses 
Wechsels nur die Wahl zwischen der Annahme einer allmähligen Um- 
wandlung sämmtlicher cylindrischer Epithelzellen zu platten endo- 
thelialen Zellen oder der Annahme einer nach völligem Schwunde 
jenes Epithels stattfindenden Entwicklung des Endothels aus dem 
bindegewebigen Substrat in der ganzen Ausdehnung der Bauchhöhle. 
Verfolgen wir nun die Consequenzen dieses letzteren Falles, so würde 
sich ergeben, dass die später zur Zeit der Geschlechtsreife auftreten- 
den Fliimmerzellen, da sie eben als in situ zurückgebliebene Reste 
jenes Epithels nicht aufgefasst werden können, nur dadurch in einen 
genetischen Zusammenhang mit denselben gebracht werden können, 
dass man sich den Vorgang ihrer Bildung als ein Hinüberwuchern 
des Tubenepithels von den Ostien aus über das Peritoneum und die 
daselbst mittlerweile entstandenen Endothelzellen vorstellt. Hiegegen 
spricht aber der oben geführte Nachweis, dass die Flimmerzellen 
den Endothelzellen nicht aufgelagert, sondern zwischen dieselben ein- 
rangirt sind, so dass sie gemeinschaftlich mit ihnen eine einfache 
Zellschicht mosaikartig zusammensetzen. Ueberdies ist, worin alle Be- 
obachter übereinstimmen, ein continuirlicher Zusammenhang zwischen 
dem Epithel der Tubenostien und den Flimmerzellen des Peritoneums 
keineswegs allgemeine Regel, sehr häufig bilden letztere völlg isolirte, 
rings vom Endothel eingeschlossene Inseln, in welcher Beziehung 
namentlich die ganz vereinzelt stehenden Flimmerzellen bei Triton 
von Interesse sind. Es bleibt daher nur übrig, die Flimmerepithelien 
des Bauchfells aus den früher an ihrer Stelle vorhandenen Endo- 
thelien hervorgehen zu lassen und es würde sich somit, falls wir 
letzter nicht ebenso wie das Tubenepithel auf das ursprüngliche 
Cylinderepithel zurückführen, sondern vielmehr aus dem bindegewebi- 
sen Substrat desselben ableiten, ein histogenetischer Gegensatz zwi- 
schen Tubenepithel einerseits und peritonealem Flimmerepithel 
und Endothel andrerseits herausstellen; eine Auffassung, die sich 
wegen des ganz unmerklichen, continuirlichen Uebergangs der epi- 
thelialen Tubenbekleidung in die Flimmerdecke des Peritoneums 
verbietet. 

Eine weitere Frage beträfe die Art nnd Weise der Bildung der 
Flimmerzellen aus den Endothelien. Da die ersteren beträchtlich 
kleiner sind als letztere, so dürfte es wahrscheinlich sein, dass es 
sich dabei nicht um eine direkte Umwandlung handelt, sondern dass 
ein Vermehrungsprocess der Zellen damit verbunden ist in der Art, 


te u 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 369 


dass zwei oder mehr Flimmerzellen von einer einzelnen Endothel- 
zelle abstammten. Es würde hiegegen auch nicht der Einwand er- 
hoben werden können, dass, wie angegeben, ganz einzeln stehende 
Flimmerzellen vorkommen, da ja der Fall statuirt werden darf, dass 
von den aus der Theilung einer Endothelzelle hervorgehenden jungen 
Zellen nur eine einzelne zur Flimmerepithelzelle sich entwickelt, 
während die übrigen den Character von Endothelzellen beibehalten. 
Eine wichtige Stütze erhält die Annahme eines der Entstehung der 
Flimmerzellen zu Grunde liegenden Proliferationsprocesses jedenfalls 
in den von E. Klein (l. c.) angeführten Beobachtungen; derselbe 
fand nämlich nicht nur in Fällen chronischen Peritonits bei Frosch- 
weibchen eine aussergewöhnlich grosse Verbreitung des Flimmer- 
epithels auf dem Peritoneum, sondern es gelang ihm auch, die Ent- 
stehung von Flimmerzellen im Innern von Endothelien durch eine 
eigenthümliche endogene Produktion bei der Bildung der von Remak 
beschriebenen Flimmereysten des Froschmesenteriums zu verfolgen. 
Ich brauche nicht besonders zu bemerken, wie diese letztere Beobach- 
tung, und ebenso Klein’s Angabe, einmal einen Lymphsinus im 
Peritoneum gleichfalls von Wimperepithel ausgekleidet gefunden zu 
haben, jedenfalls für die oben dedueirte Möglichkeit einer Entste- 
hung von Wimperzellen aus Endothelien schwer ins Gewicht fällt, 
und halte ich es nicht für gererechtfertigt, wenn Waldeyer (Jahres- 
bericht 1. ec.) Klein’s in diesem Sinne gehaltene Deutung der That- 
sachen in Zweifel zieht. 


Zum Schluss kann ich nicht umhin, auf die principielle Be- 
deutung hinzuweisen, welche die gewonnenen Resultate in Anspruch 
nehmen dürften. Die Mehrzahl der Histologen, wenigstens in Deutsch- 
land, hat sich gegenwärtig dem von His (die Häute und Höhlen 
des Körpers p. 15) gemachten Vorschlage angeschiossen, die »Zellen- 
schichten, welche den Binnenräumen des mittleren Keimblatts zuge- 
kehrt sind« und »die Zellenschichten, welche aus den beiden Grenz- 
blättern hervorgegangen sind« durch besondere Namen zu unter- 
scheiden, die ersteren als Endothelien (unächte Epithelien), die letz- 
tere als Epithelien sensu strietiori (echte Epithelien) zu bezeichnen. 
Es liegt dieser Unterscheidung die Ansicht zu Grunde, dass beide 


370 E. Neumann: 


Zellarten, abgesehen von ihrem verschiedenen embryonalen Ursprunge, 
auch in späteren Zeiten ein gewisses chararakteristisches morpholo- 
gisches Gepräge an sich tragen. His selbst hat eine kurze Skizze 
der ihnen eigenthümlich zukommenden Merkmale entworfen und 
seine Nachfolger haben im Vertrauen darauf nicht selten es unter- 
nommen, aus der Beschaffenheit der fertigen Zellen auf ihren em- 
bryonalen Ursprung zurückzuschliessen; beruht doch zum Theil 
Waldeyer’s Lehre vom Keimepithel auf einer solchen Voraus- 
setzung. Vergeblich hatte Henle in seinen Jahresberichten (1865 
p. 23, 1869 p. 23) wiederholt dagegen protestirt, dass man den 
Epithelien und Endothelien im His’schen Sinne bestimmte, sie unter- 
scheidende Formen zuschrieb; »wenn man bezweifeln wollte«, so 
schreibt er, »ob das einfache Pflasterepithelium der Schleimhäute 
z. B. der Paukenhöhle und das Epithelium der serösen Häute gleich 
platt seien, so wird doch Niemand einen Unterschied aufzufinden im 
Stande sein zwischen dem Flimmerepithelium der Schleimhäute und 
den flimmernden Streifen, die sich zum Behufe der Fortbewegung 
der Eier in der Wand seröser Höhlen finden«. 

Die vorliegenden Untersuchnngen zeigen, dass Henle’s Be- 
denken durchaus begründet sind und dass namentlich letzteres Bei- 
spiel sehr zutreffend gewählt ist. Wir sind durch dieselben zu der 
Annahme gezwungen worden, dass ein und dieselbe embryonale, dem 
mittleren Keimblatt angehörige Zellschicht sich zum Theil nach dem 
Typus eines Schleimhautepithels, zum Theil nach dem Typus des 
Epithels seröser Häute ausbildet und wir haben ferner nachgewiesen, 
dass aus Zellen von dem letzteren Charakter zu einer gewissen 
Zeit wiederum Zellen hervorgehen, die sich in Nichts von Schleim- 
hautepithelien unterscheiden. 

Wenn wir diesen Thatsachen gegenüber die His’sche Termino- 
logie beibehalten wollen, so werden wir den Ausweg benutzen 
müssen, dass wir als unterscheidendes Kriterium zwischen Endothel 
und Epithel entweder ausschliesslich die histogenetischen Verhält- 
nisse der Zellen betrachten und die Form der Zellen dabei ausser 
Acht lassen oder dass wir umgekehrt die morphologische Beschaffen- 
heit der Zellen ohne Rücksicht auf den embryonalen Ursprung als 
massgebend ansehen. Da nun die Durchführung des ersteren Ge- 
sichtspunktes augenscheinlich grossen Schwierigkeiten begegnen würde, 
wegen unserer noch durchaus unzureichenden Kenntniss der Entwick- 
lung der Gewebe, so dürfte der zweite Vorschlag sich sehr empfehlen. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 371 


Wir würden alsdann, wie schon Ranvier!) in seiner Qlassification 
der Epithelien es gethan hat, als Endothelien einfach alle platten 
einschichtigen Zelllagen bezeichnen, an welchem Orte des Körpers 
sie sich auch finden mögen und welches auch ihr Ursprung sei. 
Auch die pathologische Histologie wird mit den am Frosch- 
peritoneum gemachten Erfahrungen rechnen müssen und demnach 
auf den von Waldeyer?) noch kürzlich als Fundamentalsatz hin- 
gestellten Ausspruch: »dass, sobald die erste Differenzirung der Fur- 
chungszellen und ihre Trennung in die blattförmigen Keimanlagen 
vollzogen ist, von da ab keine einzige genetische Vermischung der 
verschiedenen Zellenformen und Zellenarten mehr geschieht«, nicht 
unbedingt bauen dürfen. Gerade in Bezug auf die epithelialen 
Gebilde lassen sich pathologische Thatsachen anführen, die demselben 
mit Bestimmtheit widersprechen. Ohne mich auf das schwierige 
und verwickelte Gebiet der pathologischen Geschwulstbildungen, in 
Bezug auf welche (speciell die Carcinome) diese Frage hauptsächlich 
discutirt worden ist, einzulassen, sei hier nur an die viel klarer vor- 
liegenden Verhältnisse bei entzündlichen Veränderungen erinnert. 
Wer einen Zweifel daran hat, dass die Epithelien seröser Häute 
unter pathologischen Einflüssen mit den Epithelien der Schleimhäute 
übereinstimmende Charaktere annehmen können, der betrachte die 
in E. Wagner’s Schrift »das tuberkelähnliche Lymphadenom« auf 
Taf. I, Fig. 3 gegebene Abbildung einer Pleura im Zustande chroni- 
scher Entzündung, welche im Texte (p. 23) in folgender Weise er- 
läutert wird: die Epithelauskleidung der Lymphgefässe und die der 
Pleuraoberfläche verhielt sich vollkommen gleich, nur dass dort das 
Epithel meist einfach, höchstens doppelt, hier stets zwei- bis vier- 
schichtig war. Dasselbe erinnerte in keiner Beziehung 
andas Epithel normaler Lymphgefässe. Im Allgemeinen 
hatten die Epithelien die grösste Aehnlichkeit mit dem soge- 
nanntenÜUebergangsepithelder Harnwege. An der Pleura- 
oberfläche fielen vorzugsweise mehr oder weniger eylindrische 
Zellen auf, freilich mit so verschiedenartiger Gestalt, dass manche 
den Flimmerzellen der Trachea, andere dem Darmepithel, noch an- 


1) Ranvier, Epithelium Nouveau Dietionnaire de medecine et de chi- 
rurgie practiques cfr. Referat im Centralbl. f. d. mediein. Wiss. 1871. p. 496. 

2) Waldeyer die Entwicklung der Careinome II in Virchow’s Ar- 
chiv Bd. 41, Separatabdr. p. 11. 


372 E. Neumann: 


dere den Zellen des Rete Malpighi u. s. w. glichen, während wieder 
andere mit keiner physiologischen Cylinderzelle zu vergleichen waren. 
Diese Zellen lagen an der Pleuraoberfläche zu unterst, hatten meist 
einen, selten zwei, bisweilen drei bis vier Kerne, während die höher- 
liegenden mehr rundlich eckig, grösser und mit grösserem Kern ver- 
sehen waren«!). 


Anhang. 
Die Drüsen der Froscheileiter. 


Wir haben bereits in dem grossen Reichthum der Epithelbe- 
deckung der Froscheileiter an Becherzellen eine für die Produktion 
eines Secrets von Seiten der Schleimhaut, wie wohl unzweifelhaft an- 
zunehmen, bestimmte Einrichtung kennen gelernt, demselben Zwecke 
dient ein ausserordentlich entwickelter Drüsenapparat, bestehend 
aus dicht gedrängten, cylindrischen, öfters im unteren Theile gabel- 
förmig gespaltenen Drüsenschläuchen, welche fast die ganze Dicke 
der Eileiterwanduug ausmachen. Schon der Umstand, dass diese 
Drüsen, entsprechend den verschiedenen Phasen des Geschlechtslebens, 
in regelmässiger Periodieität zwischen progressiver Entwicklung und 
regressiver Metamorphose fiuctuiren, verleiht ihnen ein besonderes 
Interesse, ausserdem aber bieten sie noch einige andere bemerkens- 
werthe Eigenthümlichkeiten dar, auf welche theilweise bereits A. Bött- 
cher in seinem oben citirten Aufsatze aufmerksam gemacht hat. 
Dieselben betreffen die Zellen, welche das Epithel dieser Drüsen- 
schläuche darstellen und denen die Eileiter die merkwürdige Eigen- 
schaft verdanken, durch Imbibition von Wasser, wie Böttcher 
nachgewiesen, auf mehr als das Hundertfache ihres natürlichen Ge- 
wichts aufschwellen zu können. 


1) Sehr entschieden hat sich, wie ich nachträglich ersehe, neuerdings 
auch Fr. Tourneux in seinem Aufsatz »Recherches sur l’epithelium des 
sereuses (Robin Journal de l’anatomie et de la physiologie 1874 No. 1) 
gegen die gebräuchliche Unterscheidung zwischen Endothelien und Epithelien 
ausgesprochen. Er nennt dieselbe eine »distinetion absolument arbitraire« 
undsagt: »Si nous n’acceptons pas cette denomination, c’est qu’en realit& les 
tissus designes depuis longtemps de&jäa sous le nom d’epitheliums et ceux, aux- 
quels on pretend reserver le nom d’endothelium, ne se distinguent par au- 
cum caractere typique«. 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 373 


Es füllen diese Zellen, in einfacher Schicht die Tunica propria 
der Drüsen (eine, soviel ich sehe, structurlose, homogene Glashaut) 
bekleidend, das Drüsenlumen fast vollständig aus, so dass nur in 
der Mitte ein enger Centralcanal übrigbleibt; bei einer ziemlich dick- 
wandigen, in Alkohol erhärteten Tube z. B. war der Durchmesser 
desselben 0,012 Mm. bei einer Breite des Querschnitts der Schläuche 
von 0,1Mm. Die Form der Drüsenzellen lässt sich leicht aus ihren 
Durchschnitten in verschiedenen Ebenen constatiren. Stellt man den 
Tubus auf die Oberfläche der Tunica propria ein, so erscheinen (so- 
wohl am frischen Präparate in Humor aqueus als nach vorheriger 
Härtung) die Grundflächen der Zellen gegeneinander abgeplattet, 
sie bilden entweder ziemlich reguläre gleichseitige oder etwas ver- 
schobene, ungleichseitige Sechsecke, auf dem kreisförmigen Quer- 
schnitt eines Drüsenschlauches werden die Grenzlinien der Zellen 
durch Radien gebildet, welche vom Oentralcanal gegen die Peripherie 
divergiren, jede Zelle erscheint hier also als ein dreieckiger Kreis- 
sector mit fehlender Spitze (entsprechend dem Centralkanal); der 
longitudinale Durchschnitt der Drüseuschläuche endlich lehrt uns, 
dass die Zellen im Drüsenfundus gleichfälls durch gegen den Central- 
canal convergirende Linien abgegrenzt sind, während in dem cylin- 
drischen Theile des Drüsenschlauches die Grenzlinien parallel und 
zwar entweder senkrecht oder meistens etwas schräge zur Tunica 
propria verlaufen, indem der dem Centralcanal zugewandte Theil 
der Zelle etwas höher steht, als der der Wandung anliegende, sie 
stellen hier demnach Rechtecke oder Parallelogramme dar, die mit 
ihren Langseiten zusammenstossen; häufig sind letztere nicht ganz 
gerade gestreckt, sondern bilden flache Bogenlinien mit nach oben 
gerichteter Convexität. 

Zur näheren Erforschung der Structur der Zellen untersuchten 
wir zunächst Zerzupfungspräparate gutentwickelter Tuben in Humor 
aqueus. Besonders auffallend ist an solchen Präparaten der Befund 
eigenthümlicher kleiner kugliger Körperchen (Fig. 9), welche in 
grosser Zahl die Zusatzflüssigkeit erfüllen und die, wie man sich 
leicht überzeugt, als ausgetretener Inhalt der Drüsenzellen zu be- 
trachten sind. Dieselben liegen theils einzeln zerstreut, theils häufig 
in langen perlschnurartigen Reihen theils zu kleineren und grösseren 
unregelmässig gestalteten Gruppen vereinigt. Die Grösse dieser Kör- 
perchen ist eine sehr ungleiche in ein und demselben Präparat, im 
Allgemeinen jedoch lässt sich sagen, dass man sie um so mehr ent- 


374 E. Neumann: 


wickelt antrifft, je dicker und transparenter die zur Untersuchung 
gewählte Tube ist und um so kleiner, je collabirter und opaker das 
Aussehen der Tuben. Im ersteren Falle erreichen sie die Grösse 
der menschlichen rothen Blutkörperchen, im letzteren gehen sie her- 
unter bis auf die Grösse der gröberen Granulationen im Protoplasma. 
Immer erscheinen sie als farblose, helle, scharf umschriebene Bläs- 
chen, deren Lichtbrechungsvermögen im umgekehrten Verhältnisse 
zu ihrem Volumen zu stehen scheint, die grösseren unter ihnen sind 
blass und wenig lichtbrechend, die kleineren stark glänzend und 
dunkelrandig, fast wie Fetttröpfcehen. In den ersteren markirt sich aus- 
serdem ziemlich constant ein central oder excentrisch gelegenes, kleines 
glänzendes Pünktchen, das sich etwa wie ein Kernkörperchen inner- 
halb eines Kerns ausnimmt. Offenbar handelt es sich hier um die- 
selben Gebilde, welche Böttcher, der die Untersuchung frischer 
Präparate versäumt zu haben scheint, an durch Chromsäure oder Aleco- 
hol erhärteten Tuben als die Drüsenzellen zusammsetzende »polygo- 
nale Stücke« beschreibt, indem ihre Contouren hier allerdings durch 
gegenseitigen Druck polygonal abgeplattet erscheinen; es sind zu- 
gleich diejenigen Gebilde, auf welche die enorme Quellungsfähigkeit 
der Eileiter zurückzuführen ist. Ich werde sie in Ermangelung eines 
ihre noch unbekannte chemische Natur bezeichnenden Ausdruckes 
vorläufig Colloidkugeln nennen. Dass sie aus einer weichen dehn- 
baren Substanz bestehen, sieht man leicht daran, das sie, ähnlich 
den rothen Blutkörperchen, wenn sie durch Strömungen in Bewe- 
gung gesetzt werden, sich häufig lang ausziehen, um später wieder 
ihre kuglige Gestalt anzunehmen. 

Wie schon gesast, es ist die Substanz dieser Colloidkugeln, welche 
bei der Quellung der Eileiter Wasser imbibirt. Man würde jedoch 
irren, wenn man erwartete, bei Zusatz von Wasser dieselben allmählig 
an Umfang zunehmen und die gequollenen Klümpchen schliesslich 
zusammenfliessen zu sehen. Ich finde vielmehr, dass dieselben unter 
der Einwirkung einer wässrigen Zusatzflüssigkeit, nachdem sie vorher 
erblasst und ihre Contouren wegen Abnahme der Brechungskraft 
schwer kenntlich geworden sind, häufig aber auch ohne ein solches 
voraufgegangenes Erblassen plötzlich dem Blicke sich entziehen, 
ohne dass ich jemals eine Aufquellung beobachtet hätte. Es macht 
der Vorgang dieses plötzlichen Verschwindens der Kügelchen durchaus 
den Eindruck, als ob eine zarte, sie umhüllende Membran beim Ein- 
tritt der Endosmose platzte und dieselben nunmehr ihren Inhalt in 


Beziehungen d. Flimmerepithels d, Bauchh. zun Eileiterepithel b. Frosche. 375 


die umgebende Flüssigkeit austreten liessen. Allerdings habe ich 
die geborstenen Membranen nie nachweisen können und ebensowenig 
vermag ich bestimmt anzugeben, ob sich dabei die vorhin erwähnten 
kleinen glänzenden Körnchen im Innern der Colloidkügelchen erhalten. 

Suchen wir nunmehr diese eigenthümlichen Massen in ihren 
natürlichen Behältern, den Hohlräumen der Drüsenzellen, zu beobachten, 
so finden wir sie hier gewöhnlich keineswegs so deutlich markirt, 
als in isolirtem Zustande. Sie liegen nämlich innerhalb derselben 
so dicht aneinander gepresst, dass der Inhalt nicht in Kügelchen 
gesondert, sondern als eine homogene, mattglänzende Substanz er- 
scheint, in der nur die erwähnten kleinen stärker glänzenden, wie 
kleinste Fetttröpfehen sich darstellenden Körnchen sich hervorheben. 
(Fig. 10.) Nur in denjenigen Zellen, aus welchen ein Theil des 
Inhalts hervorgetreten ist und die zurückgebliebenen Kügelchen sich 
demnach dissociirt haben, treten ihre Umrisse ebenso deutlich, wie 
in freiem Zustande hervor. Es ist hier also ein ähnliches Verhält- 
niss, wie es die rothen Blutkörperchen darbieten; bei dichter An- 
einanderpressung, wie z. B. bei der venösen Stauung), fliessen diesel- 
ben zu einer anscheinend continuirlichen homogenen Masse zusammen, 
die sich erst bei Aufhebung des Druckes wieder in die einzelnen 
Elemente auflöst. Die Form, welche die Zellen aus den Drüsen- 
schläuchen in Humor aqueus annehmen, ist übrigens stets eine ab- 
gerundete, kugel- oder eiförmige, ein scharfliniger Umriss deutet 
auf die Anwesenheit einer umschliesenden Membran hin und diese 
tritt um so deutlicher hervor, je mehr Inhaltsmasse verloren gegangen 
ist, sie hebt sich alsdann als ein zartes hyalines Häutchen, wie ein 
weiter, die Inhaltsreste umhüllender Mantel, ab. An solchen Zellen 
erkennt man auch öfters den Kern als ein ovales, granulirtes und 
mit Nucleolus versehenes Körperchen von etwa 0,008 Mm. Länge 
und 0,05 Mm. Breite. 

Weitere Aufschlüsse über die Beschaffenheit unsrer Zellen er- 
hieit ich an Präparaten aus Müller’scher Flüssigkeit (Fig. 11). 
Nach der auch in diesem Medium erfolgenden Quellung der Bileiter 
mit Zerstörung der Colloidkügelchen erscheinen die Zellen als grosse 
helle, annähernd runde Blasen, in denen sich durch Häimatoxylin 
sehr leicht und constant ein (seltener zwei oder drei) Kerne nachweisen 
lassen. Im Umfange des Kernes erscheint etwas glänzendes Proto- 


1) Cohnheim, über venöse Stauung, Virchow’s Archiv Bd. 41. 


376 E. Neumann: 


plasma als schmaler Hof angesammelt, von dessen Peripherie feine 
zackige Strahlen ausgehen, welche durch ihre Anastomosen häufig ein 
die ganze Zelle überziehendes feines Netz zu bilden scheinen. Der 
Kern liegt stets der Zellenmembran dicht an und zwar (wie Durch- 
schnitte erhärteter Tuben lehren) demjenigen Theile derselben, 
welcher, am meisten peripherisch gelegen, die Tunica propria berührt. 
Der Zellinhalt selbst ist jetzt ganz hyalin und blass, er enthält je- 
doch meist zerstreute glänzende Körnchen, deren Identität mit den 
Körnchen der Colloidkugeln wahrscheinlich ist. 

Am merkwürdigsten ist das Verhalten der sehr deutlichen 
Zellmembran ; dieselbe ist (wenn nicht an allen, so doch an der 
grossen Mehrzahl der Zellen) nicht geschlossen, sondern zeigt eine 
grosse, runde, scharfrandige Oeffnung. Wendet die Zelle diese Oeff- 
nung nach oben, so erscheint ihr Rand als eine kreisförmige, der Peri- 
pherie der Zelle concentrische Linie; ist die Oeffnung dagegen mehr 
zur Seite gewandt, so zeigt sie natürlich eine längliche ovale Gestalt 
und wird in der Profilansicht einer dünnen Convexlinse in ihren Um- 
rissen ähnlich. Niemals erscheint die Zelle an der Stelle der Oefi- 
nung zu einem Halse ausgezogen. Dass das Ostium dem Drüsen- 
kanal zugewandt ist, geht theils aus seiner dem Kern (bei Profil- 
ansicht der Zelle) entgegengesetzten Lage hervor, theils daraus, dass 
man an Querschnitten der Drüsenschläuche an erhärteten Präparaten 
öfters die Zellen sich direkt in den Centralcanal öffnen sieht. 

Es kann hiernach keinem Zweifel unterliegen, dass wir die 
Drüsenzellen der Tube den Becherzellen zuzuzählen haben und 
wir haben hier somit einen Beleg dafür, dass, wofür bisher noch 
kein Beispiel bekannt ist, Drüsen ganz aus Becherzellen zusammen- 
gesetzt sein können. Unter den vonF. E. Schulze (l.c.) aus den 
verschiedensten Organen sorgfältig beschriebenen und abgebildeten 
Becherzellen dürften die meiste Analogie mit unseren Zellen die aus 
der Epidermis von Fischen und Amphibien von ihm dargesteliten 
darbieten (vgl. seine Tafel VI Fig. 4,5, 6; Taf. VIIFig. 7; Taf. VIII 
Fig. S u.a.). Aus der Anwesenheit einer Oefinung in der Zellmem- 
bran erklärt sich nun auch eine auffallende Erscheinung, dass näm- 
lich beim Aufquellen der Eileiter der Durchmesser der eizelnen 
Zellen durchaus nicht in entsprechender Weise zuzunehmen scheint; 
so fand ich in einer Tube die Zellen frisch in Humor aqueus von 
durchschnittlich 0,03 bis 0,045, nach dem Quellen von 0,045 bis 0,06 
Mm. Durchmesser. Jedenfalls entleert sich sofort bei der Aufquellung 


Beziehungen d. Flimmerepithels d. Bauchh. zum Eileiterepithel b. Frosche. 377 


ein Theil des Inhalts- durch das offene Stoma, was sich bisweilen 
direkt durch die Anwesenheit einer aus dem letzteren hervorragenden 
wasserhellen Masse nachweisen lässt. 

Ich brauche nicht zu bemerken, dass wir in dem geschilderten 
Drüsenapparat (und wahrscheinlich auch in den Becherzellen der 
Oberfläche der Schleimhaut, in welcher ich im frischen Zustande 
gleichfalls bisweilen die beschriebenen Colloidkugeln erkannt zu 
haben glaube) die Quelle für die Gallerthülle zu suchen haben, 
mit welcher sich die Froscheier bei ihrem Durchgange durch die 
Tuben bekleiden. In einem Falle, wo ich in denselben noch einige 
zurückgebliebene Eier antraf, konnte ich die Zusammensetzung der- 
selben aus den colloiden kugligen Körperchen noch constatiren, jedoch 
schon in dem untersten erweiterten drüsenlosen Theile der Eileiter, 
wo die Eier vor der Ausstossung längere Zeit verweilen, waren die- 
selben nicht mehr vorhanden, die Gallerte wird hier durch eine ganz 
homogene Masse gebildet !). 

In Betreff der Rückbildung, welche die Eileiter nach der Laich- 
zeit erfahren, hat Böttcher (l. c.) bereits bemerkt, dass es sich 
dabei wesentlich um einen fettigen Degenerationsprocess handelt, 
welcher in den Drüsenzellen eintritt. Dieselben schrumpfen dabei 
zu rundlichen oder unregelmässig eckigen, den bekannten Fett- 
körnchenzellen ähnlichen Gebilden von durchschnittlich 0,016 Mm. 
Durchmesser zusammen, in deren Innerem man neben dem Kern 
häufig noch einen hellen, vacuolenartigen Raum findet. Ich muss 
jedoch hinzufügen, dass auch die Becherzellen zwischen den Flimmer- 
epithelien an dieser Veränderung Theil nehmen, in ihrem Fundus 
sowie in dem mit demselben zusammenhängenden Fortsatze treten 
gleichfalls Fetttröpfchen auf, welche sich gegen den oberen, hell 
bleibenden Theil der Zelle durch eine nach oben concave Bogen- 
linie abgrenzen. Das Flimmerepithel selbst dagegen bleibt intakt. 


1) Remak (Unters. über die Entwicklung d. Wirbelthiere p. 128) 
bemerkte an der äusseren Hülle der frisch gelegten Froscheier nach Härtung 
in einer Kupfervitriolmischung ein »netzförmiges Gefüge«, das er nicht zu 
deuten wusste. Vielleicht hängt dasselbe mit der angegebenen Entstehung 
derselben aus einzelnen Kügelchen zusammen. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 11. 26 


378 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


.BA. 


10. 


11. 


E. Neumann: Beziehungen des Flimmerepithels etc. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX. 


Flimmerepithel des Leberrandes vom Frosch — frisch in Humor 
aqueus. 

Dasselbe von Triton cristatus. 

Flächenansicht isolirter Flimmerepithelien von der Leberoberfläche 
des Frosches aus Müller’scher Flüssigkeit. 

Silberpräparat des Flimmerepithels der Bauchhöhle mit eingelagerten 
grösseren flimmerlosen Zellen — Frosch. 

Silberpräparat ebendaher, einzelne Flimmerzellen zwischen flimmer- 
losen Zellen eingeschaltet. 

Fingirtes Präparat, welches der Voraussetzung entsprechen würde, 
dass die Flimmerzellen den flimmerlosen Epithelien aufgelagert wären. 
Silberpräparat des Tubenepithels, vom Frosche aa Flimmerstreifen, 
den Längsfalten der Tubenschleimhaut entsprechend, b flimmerloser 
Streifen aus der Rinne zwischen den Falten, c, c2 Drüsenostien, d, d,d 
Stomata der zwischen den Flimmerzellen vorhandenen Becherzellen. 
Profilansicht des Tubenepithels des Frosches aus Müllerscher Flüssigkeit, 
a, a die Flimmerzellen, b, b b die dazwischen befindlichen Becherzellen, 
welche theils geschlossen sind, theils sich zwischen den Flimmerzellen 
an der Oberfläche der Schleimhaut öffnen. 

Isolirte Becherzellen ebendaher mit langen theils fadenförmigen, theils 
röhrenförmigen hohlen Fortsätzen, welche Kerne einschliessen. 
Colloidkügelchen aus dem Drüsenepithel der Tuben — frisch in 
Humor aqueus. 

Drüsenepithelzelle der Tube, die Colloidkügelchen dicht zusammen- 
gepresst, ihre Contouren undeutlich, in der Mitte eine helle Stelle 
dem Zellkern entsprechend — frisch in Humor aqueus. 

a,b,c die Drüsenzellen aus Müller’scher Flüssigkeit, das weite kreis- 
runde Stoma (theils von oben theils seitlich sich darstellend) sowie 
der Kern deutlich sichtbar, die Colloidkügelchen zerstört. 


Ein Beitrag zur ersten Anlage der Augenlinse. 


Von 


Dr. Victor v. Mihalkovics, 


Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut zu Strassburg. 


(Hierzu Tafel XXI.) 


Hinsichtlich der ersten Anlage der Augenlinse finden wir in der 
Literatur zwei sich gegenüber stehende Ansichten vertreten: nach 
der Einen soll sich die Linse bei manchen Wirbelthieren aus einer 
etwas verdickten Delle des äussern Keimblattes, die sich dann von 
Letzterem in Gestalt einer Hoblkugel abschnürt, bilden (Huschke, 
Vogt, Remak, Babuchin, Lieberkühn, Kessler), während 
die zweite Ansicht angiebt, das Linsenbläschen entstehe aus einer 
Verdickung des äusseren Keimblattes, in der später eine Spaltung 
oder Aufhellung der centralen Zellen eintritt (Ammon, Barkan, 
Schenk, Götte, J. Arnold). Für das Hühnchen ist man so 
ziemlich einig, dass der Modus der Entwicklung nach der erst ge- 
schilderten Art geschieht, hingegen wird noch neuerdings für die 
Batrachier von Götte!) und für den Rindsembryo von J. Arnold?) 
das letztere angegeben. Eigenthümlicher Weise wird für andere 
Säugethiere z. B. Mäuseembryonen, von Kessler?) die Bildung in 
Form eines abgeschnürten Bläschens beschrieben. 


1) Götte, Kurze Mittheilungen aus der Entwicklungsgeschichte der 
Unke. Archiv f. mikroskop. Anat. IX. Bd. 1873. 

2) Graefe und Saemisch, Handbuch der Augenheilkunde, Leipzig 
1874. Artikel Linse von J. Arnold. Ferner: Beiträge znr Entwicklungsge- 
schichte des Auges von J. Arnold. Heidelberg 1874. 

3) Kessler, Untersuchungen über die Entwicklung des Auges am 
Hühnchen und Triton. Dorpat, Dissert. 1871. 


380 Vietor v. Mihalkovics: 


Ich erspare mir eine genauere Anführung der verschiedenen 
Ansichten bezüglich der Vögel und Säugethiere, da diese bei dem 
letzten Bearbeiter dieses Gegenstandes, J. Arnold, sehr sorgsam 
zusammengestellt sind, und werde hier nur auf jene Angaben näher 
eingehen, welche Letzterer anführt, weil sie mich zur Veröffent- 
lichung nachstehender Zeilen veranlassten. 

J. Arnold stellte seine Untersuchungen an Rindsembryonen 
an und behauptet, die erste Anlage der Linse bestehe in einer so- 
liden Wucherung des äusseren Keimblattes, entsprechend der Aus- 
dehnung der primären Augenblase. Diese Wucherung lasse zu 
einer gewissen Zeit (Embryonen von 9 Mm. Länge) drei Schichten 
erkennen : eine innere quergestreifte, eine äussere längsgestreifte und 
eine mittlere körnige. Die Zellen der letzteren hellen sich dann auf, 
schmelzen ein und so entstehe das Linsenbläschen. An gleicher 
Stelle gibt aber J. Arnold zu, dass er diese Beobachtung nur für 
Rindsembryonen aufrecht erhalte, dass dagegen bei anderen Säugern 
vielleicht eine andere Art der Entwicklung stattfinden möge, näm- 
lich die der Einstülpung, wie sie Kessler für Mäuseembryonen schon 
beschrieben hat, über die aber von anderen Säugethieren keine ein- 
gehenderen Angaben vorliegen. 

Ich bin in der Lage diesen Befunden einige weitere Details hin- 
zufügen zu können und zwar nach Durchmusterung successiver 
Schnitte von Köpfen vieler Kaninchenembryonen von den jüngsten 
Entwicklungsstadien an aufwärts, die ich Behufs Untersuchungen 
über Gehirnentwicklung angefertigt habe, und deren Resultate dem- 
nächst publieirt werden sollen. Ich beschreibe meine Beobachtungen 
über Linsenentwicklung hier besonders deshalb, weil sie mich auf’s 
klarste überzeugt haben, dass die Bildung der Linse auch bei Säuge- 
thieren nach der Art der Einstülpung geschieht, wenn auch in Etwas 
modificirter Weise; und dass bei der weiteren Bildung nur die active 
Schicht Götte’s (das Sinnesblatt Striker’s) betheiligt ist, während 
die passive Schicht (Hornblatt, Stricker) eine eigenthümliche 
Wucherung am Grunde des Linsengrübchens eingeht, die aber für 
die weitere Bildung der Linse ohne Bedeutung ist, indem ihre Zellen 
zerfallen und zu Grunde gehen. Diese Angaben werde ich durch 
Erläuterungen nach den beigefügten Abbildungen einiger Präparate 
auf Taf. XXI zu erweisen suchen. 

Fig. 1. zeigt uns einen Horizontalschnitt durch das Zwischen- 
und Vorderhirnbläschen eines 7 Mm. langen Kaninchen embryo’s. 


Ein Beitrag zur ersten Anlage der Augenlinse. 381 


Gleich hinter dem Vorderhirnbläschen (Hemisphärenbläschen, das 
zu dieser Zeit einfach ist, weil die Bildung der Sichel noch nicht 
begonnen hat), folgt nach einer Einschnürung der unterste Theil 
des Zwischenhirnbläschens (Region des 3. Ventrikels); von dessen 
vordersten Theile führt der:0,1 Mm. weite Opticusstiel in die secun- 
däre Augenblase, deren Retinalblatt bereits verdickt ist (0,05 Mm.). 
Ihr gegenüber liegt das flache Linsengrübchen, bestehend aus zwei 
Schichten, einer tieferen 0,04 Mm. dicken radiär gestreiften, und 
einer äusseren 3 « messenden, die aus 1—2 Lagen platten Zellen 
zusammengesetzt ist. Am Rande des Grübchens gehen beide 
Schichten in die entsprechenden dünneren Lagen des Hautsystems 
über. 

Dieses Präparat zeigt also deutlich, dass die erste Anlage der 
Linse in einer Einstülpung von Seite des äusseren Keimblatts be- 
steht. Zugleich soll hier zu Gunsten der Angaben Sernoff’s, 
Lieberkühn’s und J. Arnold’s gegen Kessler bemerkt sein, 
dass zwischen Linsenanlage und secundärer Augenblase eine dünne 
Lage des mittleren Keimblattes liegt, die später mit der Linse in 
die sekundäre Augenblase eingestülpt und zur Anlage der Linsen- 
kapsel und des Glaskörpers wird. 

Fig. 2 ist nach einem Schnitte durch den Kopf eines 9 Mm. 
langen Kaninchenembryo’s gezeichnet, wo der Schnitt zwischen 
der frontalen und horizontalen Richtung geführt wurde. Die sekun- 
däre Augenblase besitzt die bekannte handschuhfingerartige Form, 
deren kurzer Stiel an der Basis des Zwischenhirns mündet. Die 
untere Wand des Opticusstieles geht direkt in das Retinalblatt über 
die obere in das Pigmentblatt; eine eigentliche Choroidealspalte (Re- 
tinalspalte) ist noch nicht vorhanden. (Das Präparat entspricht 
in letzterer Hinsicht dem Schema Fig. 1A auf Taf. I von einem zwei 
Tage bebrüteten Hühnchen bei Lieberkühn!). Das Linsengrüb- 
chen ist tiefer, das Epithel des Sinnesblattes dicker (0,05 Mm.) ge- 
worden, die Ränder des Grübchens beginnen sich gegen- 
seitig zuzuneigen. An dem Präparate ist gut zu sehen, dass 
die aktive Schicht des äusseren Blattes, sich am Rande des Linsen- 
grübchens verdickend, ohne Unterbrechung in die verstärkte radiär 
gestreifte tiefe Schicht der Linsenanlage übergeht, während .die 
hellen platten Zellen der passiven Schicht sich bis an den Grund 


1) Das Auge des Wirbelthierembryo. Cassel 1872. 


382 Victor v. Mihalkovics: 


des Grübchens fortsetzen, wo sie zu einem kleinen Häufchen von 
0,05 Mm. Höhe zusammengeballt sind. Zwischen Linsenanlage und 
Retinalblatt der secundären Augenblase sieht man die eingestülpten 
spindelartigen Zellen mit dem Gewebe der Kopfplatten in direktem 
Zusammenhang. Unten, der zukünftigen Retinalspalte entsprechend, 
ist dieses Gewebe stärker und enthält ziemlich weite Gefässe, die 
eine Strecke in den Glaskörperraum aufwärts ziehen. Aehnliche, 
verhältnissmässig weite Gefässe sind überall längs der äusseren Ober- 
fläche des Gehirns und Pigmentblattes der sekundären Augenblase 
zu sehen, was auf einen sehr frühen regen Stoffwechsel dieser Ge- 


bilde hinweist. Im weiteren Lauf der Entwicklung nimmt dieser, 


Gefässreichthum noch zu, ich wollte hier nur darauf aufmerksam 
machen (wie es auch von Lieberkühn und J. Arnold angegeben 
wird), dass diese Gebilde schon sehr früh mit einem äusserst starken 
Gefässnetz belegt sind). 

Was aus den angesammelten Zellen der Hornschicht am Grunde 
der Linseneinstülpung wird, zeigt uns der Durchschnitt durch das 
Auge eines 12 Mm. langen Kaninchenembryo’s (Fig. 5). Hier 
hat sich die Linse schon vollständig abgeschnürt und zeigt eine un- 
regelmässig kuglige Form, deren 0,05 Mm. dicke Wandschicht aus 


1) Eigenthümlicher Weise bildet sich das Pigment im äusseren Blatte 
der secundären Augenblase nicht in nächster Nähe des Gefässnetzes zuerst, 
wie ich dies bei dem in Fig. 3 abgebildeten 12 Mm. langen Kaninchenembryo 
(auch bei einem ebenso grossen Katzenembryo und Lachsembryonen von 
30—34. Entwieklungstage) sehe, sondern im entgegengesetzten Theil der 
kubischen (bei Lachsembryonen mehr platten) Zellen des Pigmentbtattes, also 
in jenem Theil, der dem Retinalblatt der sekundären Augenblase unmittelbar 
anliegt. Hier sind die Zellen schon mit Pigmentkörnchen angefüllt, während 
der äussere, den Gefässen zugewendete Theil noch kein Pigment enthält. Diess 
scheint mir beweisend dafür, dass das Pigment in den Zellen des Pigment- 
blattes selbst gebildet wird, dass also die Zellen des äusseren Blattes der 
sekundären Augenblase direkt zum Pigmentepithel der Retina umgewandelt 
werden, und dieses Letztere nicht an Stelle des äusseren Blattes tritt, wie 
es J. Arnold in seinem schon öfters ceitirten Werke (p. 57) vermuthungs- 
weise angiebt. Während der Vergrösserung der Augenblase werden. dann 
die kubischen Zellen mehr und mehr platt und das Protoplasma, was sie 
früher in der Höhe besassen, wird in die Breite ausgezogen. Bei Lachsem- 
bryonen (Salmo salar) ist es interessant zu sehen, wie die pigmenthaltigen 
Protoplasmafortsätze zwischen die Cylinderzellen der äusseren Lagen des 
Retinalblattes hineinwuchern. 


u 


Ein Beitrag zur ersten Anlage der Augenlinse. 383 


mehreren Lagen radiär gestellter eylindrischer Zellen besteht, während 
das Centrum von 3—4 u grossen rundlichen, etwas dunkeln 
Zellen eingenommen wird. Letztere sind die am Grunde des Linsen- 
grübchens angesammelten Zellen der Hornschicht (passiven Schicht) 
von früherher, sie sind also etwas gequollen und dunkelgekörnt 
geworden und füllen die Linsenhöhle fast vollständig aus, nur hie 
und da spärliche Zwischenräume frei lassend. 

Welche Bedeutung diese, schon von Ritter gesehenen Zellen 
bei der Linsenbildung spielen, ist unschwer einzusehen. Ich glaube, 
sie dienen als Modell, als Ausfüllungsmasse, um die sich die aktive 
Schicht des oberen Keimblattes zu einer Kugel formt. Freilich muss 
ich anderseits die Antwort schuldig bleiben, warum die Zellen der 
Hornschicht gerade am Boden des Linsengrübchens proliferiren, denn 
die Verdickung der activen Schicht geht doch nicht überall mit einer 
Wucherung der passiven Schicht einher, und warum nicht dasselbe 
auch bei Vogelembryonen geschieht (s. unten). 

Darüber was weiterhin mit diesen Zellen vorgeht (Ritter, 
liess aus ihnen die Linsenfasern entstehen), zeigen mir meine Prä- 
parate am Kaninchenembryo genau dasselbe, was J. Arnold beim 
Rindsembryo beschreibt: sie hellen sich auf, ihre Kerne gehen zu 
Grunde und sie zerfallen bei der bald folgenden Verdickung der 
hinteren Linsenwand. Sie spielen also bei der Linsenbildung nur 
eine transitorische Rolle und haben keine weitere Bedeutung. 

Auch die Entwicklung der Linsenfasern und der am hinteren 
Pole der Linse vorhandenen, mit hellen kugligen Gebilden gefüllten 
Räume fand ich genau so, wie es J. Arnold beschreibt, darum 
halte ich es für überflüssig, weitere Beschreibung und Abbildungen 
zu geben und verweise auf das dort Angeführte. 

Als Resultate dieser kurzen Erörterung möchte ich also er- 
stens anführen, dass die Linsenfasern und das Linsenepithel umge- 
wandelte cylindrische Zellen des Sinnesblattes sind, folglich an der 
Zusammensetzung der ausgebildeten Linse keinerlei Elemente der 
gewesenen Hornschicht mehr betheilist sind. Als zweiten Punkt 
muss ich den Satz aufstellen, dass die Linsenbildung beim Kanin- 
chenembryo in Form einer Einsenkung des äusseren Keimblattes 
und Abschnürung zu einem mit Zellen gefüllten Bläschen geschieht. 

Wie verhält sich aber dieser Befund mit der Angabe J. Arnold’s 
von einer soliden Wucherung? Darüber gaben mir Schnitte vom 
Kopfe eines 11 Mm. langen Rindsembryo folgenden Aufschluss: 


384 Vietor v. Mihalkovicez: 


Die Linsenbildung war hier gerade in demselben Stadium be- 
griffen, wie es bei meiner Fig. 2 der Fall ist. Die Linse bestand 
aus einer halbkugelförmigen Einsenkung des Sinnesblattes, deren 
Vertiefung von den gewucherten Zellen des Hornblattes ganz aus- 
gefüllt war. Der einzige Unterschied bestand darin, dass beim Rinds- 
embryo die Hornzellen das Linsengrübchen nicht nur ausfüllen, 
sondern sogar etwas darüber hinaus prominirten. An Schnitten, 
die die Peripherie der Linsenanlage trafen, schien es, als wenn eine 
solide Wucherung vorhanden wäre, indem die oberen Zelllagen des 
Sinnesblattes quer getroffen waren und für eine körnige Masse im- 
ponirten. Schnitte von der Mitte der Linsenanlage zeigten aber 
klar, dass die Angabe J. Arnold’s von der soliden Wucherung 
nicht in dem Sinne zu nehmen ist, wie er es angiebt, d. h. dass 
hier 3 Schichten vorhanden wären: eine innere quergestreifte, eine 
äussere längsgestreifte und mittlere körnige, wo dann durch Auf- 
hellung der Letzteren das Linsenbläschen entstünde, denn diese 
Angabe giebt keine genügende Erklärung davon, wie die aus cy- 
lindrischen Zellen bestehende Aussenwand des Linsenbläschens ent- 
steht, die gerade so beschaffen ist, wie die dem Retinalblatt zuge- 
kehrte Hälfte, indem sie doch nicht aus den platten lichten oder 
gekörnten (den Hornzellen) entstehen kann, die nach J. Arnold 
selbst nur zum Zugrundegehen bestimmt sind. Ich finde also 
für die Linsenbildung der Säugethiere den einfachen Ausdruck der 
soliden Wucherung nicht correct genug, denn es entsteht von 
Seite des Sinnesblattes eine vollständige Einsenkung 
und Abschnürung inForm einer Kugel, die von der Bildung 
des Linsenbläschens bei Vögeln durchaus nicht verschieden ist, nur 
geht bei Säugern Hand in Hand mit der Einsenkung eine Wucherung 
der Hornzellen in der Linsengrube vor sich, die den Innenraum 
der Kugel mehr (bei Rindsembryonen z. B.) oder weniger (bei Ka- 
ninchenembryonen) ausfüllt. Nur auf diese Art ist es erklärlich, 
dass ein Bläschen zu Stande kommt, dessen äussere Hälfte aus den- 
selben Elementen besteht und denselben Ursprung hat, wie die 
innere !). 


1) Lieberkühn (o. c.) scheint der eigentliche Modus der Linsenent- 
wicklung bei Säugethieren darum entgangen zu sein, weil er keine Objecte 
von passender Grösse an Schnitten untersuchte. In Fig. 27 (Schaafembryo von 


Ein Beitrag zur ersten Anlage der Augenlinse. 385 


Schliesslich möchte ich noch Einiges über die erste Anlage 
der Krystalllinse bei Vögeln und Fischen berichten. Von Batrachiern 
besitze ich keine Erfahrungen. 

Dass die Anlage der Linse bei Vögeln in einem sich vom 
Epiblast abschnürenden hohlen Bläschen besteht, wie das zuerst 
von Huschke beim Hühnchen gesehen wurde !), darüber sind jetzt 
alle Autoren so ziemlich einig. Auch ich konnte hier keine der- 
artige Wucherung der Hornzellen am Grunde des Linsenbläschens 
wahrnehmen, wie bei Säugethierembryonen, überzeugte mich aber, 
dass die eigentliche Wand des Linsenbläschens auch hier nur vom 
verdickten Sinnesblatte gebildet wird, während die platten Horn- 
zellen zwar mit eingestülpt werden, aber zu keinem soliden Zapfen 
heranwuchern, sondern angequollen in 1—2 Lagen einige Zeit lang 
an der Innenwand des abgeschnürten Bläschens zn schen sind. Im 
Uebrigen ist das Innere der Hohlkugel von Flüssigkeit erfüllt. Beim 
Beginn der Linsenfaserbildung zerfallen diese Zellen in kleine Kügel- 
chen und gehen schliesslich zu Grunde. Für den Vogel passt also 
die herkömmliche Beschreibung, die Linsenanlage bestehe in einer 
hohlkugelartigen Abschnürung vom Epiblast, treffend zu. 

Anders ist es bei den Fischen. Hier besteht die Linsen- 
anlage aus einem soliden Zapfen. Die Angaben der Autoren stimmen 
aber darin nicht überein. So hat diess z. B. C. Vogt bei Core- 
gonus Palaea (Cuv.) ganz übersehen 2), denn er beschreibt die Lin- 
senbildung gerade so, wie sie beim Hühnchen von Huschke ge- 
sehen wurde. — Schenk meint ?), das Linsengrübchen sei bei 
Fischen nahezu verschwindend klein, so dass man zuweilen statt 
eines Grübchens eine Zellenmasse findet, die nur aus den tieferen 
Zelllagen des äusseren Keimblattes besteht, während die oberfläch- 
lichste einzellige Schicht unverändert vor der Linsengrube vorüber- 
zieht, ohne sich an der Bildung dieses Organes zu betheiligen. 
Während der späteren Bildung hat Schenk in den Linsenfasern 
eine Kernzone nie wahrnehmen können. — Oellacher giebt von 


6 Mm. Länge) ist noch gar keine Linsenanlage da, während Fig. 28 (Maul- 
wurfembryo von 5 Mm. Länge) die Linsenanlage schon als vollkommen ab- 
geschnürte Blase zeigt. 

1) Meckel’s Archiv 1832. p. 3. 

2) Embryologie des Salmones. 1842. p. 76. 

3) Lehrbuch der vergleichenden Embryologie 1874. p. 45. 


386 Vietor v. Mihalkovics: 


der Bachforelle an !), dass die Linse am 31. Entwicklungstage aus 
dem Sinnesblatte zuerst als eine nach aussen concave, nach innen 
convexe, dann halbkugelige, endlich kugelige Wucherung entsteht, 
die eine Zeit lang noch durch einen Stiel mit dem Sinnesblatt zu- 
sammenhängt. 

Ich untersuchte auf diesen Gegenstand Lachsembryonen 
(Salmo salar), und fand, dass die Linsenbildung hier nach derselben 
Art vor sich geht, wie bei den Säugethieren. Es bildet sich näm- 
lich gegen den 22.—24. Entwicklungstag eine flache Delle, bestehend 
aus den beiden Zelllagen des Epiblasts, dann biegt sich das Sinnes- 
blatt gegen den 24.—26. Tag in Form einer conischen Einstülpung 
gegen die primäre Augenblase, und enthält im Centrum einen 
schmalen Zapfen von Hornzellen, der noch eine Zeit lang mit der 
Hornschicht des Epiblast’s in Verbindung steht. Durch Vereinigung 
der Ränder schnürt sich die solide Linsenanlage ab und birgt so 
in ihrem Innern die platten Zellen der Hornschicht. Letztere ver- 
grössern sich dann zu schönen kernhaltigen Zellen, die das solide 
Centrum der Fischlinse bilden. Während sich fernerhin die schlanken 
Zellen der Aussenwand zu einem niederen Cylinderepithel umformen, 
wachsen jene der hintern Wand zu den Linsenfasern aus, indem sie 
sich in mehreren Lagen concentrisch schichten, und die grossen 
kernhaltigen Zellen der Hornschicht so zu sagen umschachteln. 
Letztere fand ich auch noch am 46. Entwicklungstage im Centrum 
der Linse wohl conservirt. 

Aus dem Erörterten ist zu sehen, dass die Linsenanlage auch 
bei Fischen in einer Einstülpung von Seite des Sinnesblattes be- 
steht, deren Lumen von den hineingewucherten Zellen der Horn- 
schicht ausgefüllt wird. Im Wesen ist der Vorgang mit jenem bei 
Säugethieren vorkommenden gleich, die Linsenfasern entstehen auch 
hier nur aus den Zellen des Sinnesblattes. 


Zur Erhaltung schöner Präparate und Wahrung der natür- 
lichen Lagerungsverhältnisse verfahre ich folgendermassen: Die auf 
einen Tag in Ys—!/; °/uger Chromsäure-, nachher einige Wochen in 


1) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische. Leipzig 
1872. III.—V. Cptl. p. 81. 


Ein Beitrag zur ersten Anlage der Augenlinse. 387 


Müller’scher Lösung erhärteten Embryonen werden in toto mit 
Thiersch’schem Karmin gefärbt, und dann auf 24—48 Stunden 
in Alkohol gelegt. Jetzt bringt man sie auf einige, Minuten in de- 
stillirtes Wasser (damit der Alkohol entzogen werde, sonst schrumpft 
der Kopf im Leim zu sehr), dann in Leimglycerin (1 Th. Gelatine, 
1 Th. Glycerin), der in lauem Wasserbade Ys—1 Stunde flüssig 
erhalten wird, bis der Leim in ‚die Hohlräume eingedrungen ist. 
Nachdem diess geschehen, wird in ein in Alkohol erhärtetes 
Leberstückchen ein Loch geschnitten, Leim hineingegossen und der 
Kopf des Embryo in passender Lage hineingelegt. Nach dem Er- 
starren bringt man das ganze Stück auf 2—3 Tage in starken 
Alkohol, bis der Leimglycerin hart geworden, und schneidet dann 
mit einer scharfen Klinge. Die Schnitte werden sammt dem an- 
haftenden Leim in Glycerin gelegt, worin sie bis zur vollständigen 
Aufhellung zu verweilen haben. Der anhaftende Leim schadet der 
Aufhellung und der Durchsichtigkeit des Präparates nicht und man 
hat den Vortheil, Alles in der natürlichen Lage erhalten zu finden. 
Bei geübter Anwendung dieser Methode überzeugt man sich unter 
anderm z. B., dass die primäre Augenblase nach aussen zu gleich 
von Anfang an eine gewölbte Oberfläche hat, und keine derartig 
eingebuchtete, wie sie J. Arnold auf Fig. 1 von einem 6 Mm. 
langen Rindsembryo angiebt, ferner, dass sich die Wände hohler 
Gebilde durch Schrumpfung nicht aneinander legen, wie es daselbst 
bei Fig. 2 am Augenblasenstiel offenbar geschehen sein muss, denn 
bei dem älteren Embryo von Fig. 3 ist der Stiel noch weit offen. 

Für ganz kleine Embryonen, z. B. Hühnchen vom 1.—2. Be- 
brütungstag, fand ich das Einbetten in Wachsölgemisch, nach vor- 
heriger Aufhellung in Terpentinöl, für besser. Als Schneideflüssig- 
keit bediene man sich da des Terpentinöls, beim Leimglycerin des 
Alkohols. 


Strassburg i. E., Mitte Dezember 1874. 


383 Victor v. Mihalkovics: Ein Beitr. zur erst. Anlage d. Augenlinse. 


Fig. 1. 


Fig. 2. 


Fig. 3. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXI. 


Horizontalschnitt durch den Kopf eines 7 Mm. langen Kaninchen- 
embryo’s. Hartnack Oec. 3. Obj. 4. Zeigt die verdickte Linsen- 
delle, die aus zwei Schichten, einer tiefen cylindrischen und einer 
oberflächlichen, aus platten Zellen bestehenden, zusammengesetzt ist. 
Zwischen Linsenanlage und sekundärer Augenblase liegt eine dünne 
Schicht des mittleren Blattes. 

Fronto-Horizontalschnitt durch das Auge eines 9 Mm. langen Ka- 
ninchenembryo’s. Hartnack Oc. 3. Obj. 4. Das Linsengrübchen 
hat sich vertieft und an dessen Grunde ein Ballen von Hornzellen 
angehäuft. Die spindelartigen Zellen im Glaskörperraum stehen in 
unmittelbarer Verbindung mit jenen der Kopfplatten. Von da ziehen 
viele Gefässe in den Glaskörperraum hinein. Das Pigmentblatt der 
Augenblase ist bedeckt von einem Gefässnetz. 

Horizontalschnitt durch das Auge eines 12 Mm. langen Kaninchen- 
embryo’s. Hartnack Oc. 3. Obj. 4. Die Wand des abgeschnürten 
Linsenbläschens . besteht aus mehreren Lagen ceylindrischer Zellen. 
Im Inneren enthält es die aufgequollenen Zellen der Hornschicht. 
Das Pigmentblatt der secundären Augenblase ist umgeben von einem 
starken Gefässnetz, das an der Umschlagstelle ununterbrochen in 
den Glaskörperraum hineinzieht. Der dem Retinalblatt zugewen- 
dete Theil der Zellen enthält schon schwarzes Pigment, während 
der grössere äussere Theil noch pigmentfrei ist. 


EN 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 
Von 


Dr. Victor v. Mihalkovics, 
Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut in Strassburg. 


Hierzu Taf. XXII. 


Wenn ich zwei, in ihrem Bau von einander derartig abwei- 
chende Organe, wie Wirbelsaite und Hirnanhang, in derselben Ab- 
handlung bespreche, so geschieht diess wesentlich aus zwei Gründen. 
Erstens zeigen Präparate über das Eine auch die Verhältnisse des 
Anderen, die nothwendigen Abbildungen können also zu beiden ver- 
wendet werden. Der zweite wichtigere Grund ist aber der, dass 
das Ende der Wirbelsaite von mehreren Autoren in genetischen 
Zusammenhang mit der Hypophyse gebracht wurde, indem die Einen 
meinten, der Hirnanhang entwickle sich ganz (Reichert, His) oder 
wenigstens theilweise (Dursy) aus dem vordersten Ende der Chorda 
dorsalis, während Andere der Wirbelsaite bei der Bildung des Hy- 
pophysensäckchens nur eine mechanische Rolle zuschrieben (W. 
Müller). Wollte ich mich also über die Wahrheit einer dieser 
Angaben überzeugen, so mussten Hirnanhang und Kopftheil der 
Chorda dorsalis zusammen untersucht werden. Dabei stellte sich 
sehr bald heraus, dass der Hirnanhang eine ganz andere Ursprungs- 
stätte hat, als diess bisher, ausser von zwei Autoren (A. Goette 
und Balfour), allgemein angegeben wurde, dass nämlich das Epi- 
thel der Drüsenschläuche nicht von dem unteren, sondern von dem 
oberen Keimblatt abstammt. Nun entschloss ich mich, die Ent- 
wicklung des Hirnanhanges bei höheren Wirbelthieren, besonders 


390 Victor vw Mihalkovies: 


bei Säugern (Kaninchenembryonen), deren ganz junge Exemplare 
mir reichlich zu Gebote standen, von den ersten Anfängen bis zum 
endgültigen Abschluss durchzuarbeiten. Da ich bei Säugethieren 
Einiges, in W. Müller’s sorgsamer Arbeit nicht Erwähntes fand 
(formelle Umwandlungen des Hypophysensäckchens), und auch wenig 
Abbildungen über diese Klasse der Wirbelthiere von ihm angeführt 
werden, so glaube ich durch die Veröffentlichung nachstehender 
Untersuchungen zur Kenntniss der Hypophysenentwicklung auch 
etwas beigetragen zu haben. Ich versuchte dabei den etwas ver- 
wickelten Vorgang womöglich kurz, immer mit Zuhilfenahme natur- 
getreuer Abbildungen, zu geben, damit nicht durch die vielen Wieder- 
holungen, wie sie W. Müller von kaum in der Entwicklung ver- 
schiedenen Embryonen gibt, die Uebersichtlichkeit des Ganzen leide. 

Ueber die frühesten Verhältnisse der Wirbelsaite am Schädel- 
grunde bei Säugethieren besitzen wir von Dursy nur ungenügende 
Angaben. Die jüngsten Embryonen, die er untersuchte, waren 12 
und 15 Mm. lange Rindsembryonen. Doch sind bei diesen die Ver- 
hältnisse am Schädelgrunde im Vergleich zur primitivsten Form 
schon verändert. Da mir viel jüngere Säugethierembryonen zu Ge- 
bote standen, so ist es erklärlich, dass ich hinsichtlich der Uranlage 
des Spheno-ethmoidaltheils des Schädels mit ihm nicht einverstanden 
bin. Ein knopfförmiges Ende der Wirbelsaite fand ich auch nicht. 
Endlich sind in der bisherigen Litteratur über die successiven Umwand- 
lungen der Chorda am Schädelgrunde keine Abbildungen vorhanden, so 
dass ich auch in dieser Hinsicht eine Lücke auszufüllen hoffe. Ob 
sich meine Vermuthung hinsichtlich des epithelialen Ursprungs der 
Wirbelsaite bestätigen wird, müssten Untersuchungen über deren 
Entwicklung bei niederen Thieren, vielleicht Ascidien, aufklären. 

Hirnanhang und Kopftheil der Wirbelsaite sind eingebettet in 
den Schädelgrund. Der Verständlichkeit halber war ich gezwungen, 
manches über die erste Anlage des Schädelgrundes anzuführen, doch 
habe ich mich in dieser Hinsicht nur auf das Nothwendigste be- 
schränkt. 


1. Abstammung der Chordazellen. 


Die Wirbelsaite entwickelt sich an der Stelle des Axenstranges, 
und zwar wie es angegeben wird, aus Elementen des mittleren 
Keimblattes. 

Mehrere Gründe bewegen mich in der Wirbelsaite ein Epithel- 


Bi 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 391 


gebilde zu vermuthen, dessen Elemente”möglicherweise durch Ver- 
mittlung des Axenstranges von dem äusseren Keimblatte abstammen. 
Diess lässt sich zwar ebenso wenig strenge beweisen, wie die Her- 
kunft des Keimepithels aus dem äusseren Keimblatte, doch die 
späteren Umwandlungen der Wirbelsaite sprechen zu Gunsten dieser 
Annahme. Auf jeden Fall steht das Gewebe der Chorda den Epi- 
thelgeweben näher, als dem Knorpel, dem es bisher zugereiht wurde. 
Ich fasse meine Gründe in Folgendem zusammen: 

a) Die Wirbelsaite ist gleich bei ihrem ersten Auftreten durch 
scharfe Contouren von den Gebilden des mittleren Keimblattes ge- 
trennt; sie ist sogar durch zwei, mit Flüssigkeit gefüllte Spalten 
von den Urwirbelplatten geschieden. Nur äusseres (Epiblast) und 
unteres Keimblatt (Hypoblast) berühren sie. Diess ist jedenfalls 
auffallend, denn alle übrigen Organe des mittleren Keimblattes 
(Mesoblast) haben ihren Keim in den Urwirbelplatten oder gehen 
von den Gefässen und Blutanlagen (als Wanderzellen) aus. Auch 
während der späteren Entwicklung findet sich bei keinem Organe 
eine derartige scharfe Trennung der Anlage vom umliegenden Ge- 
webe, wie hier, überall findet sich an der Peripherie des werdenden 
Khorpels oder Knochens ein allmähliger Uebergang, es finden sich 
an der Grenze anfangs Zellen, die weder zu einem, noch zu dem 
anderen gerechnet werden können. Warum die scharfe Grenze 
zwischen den Zellen der Chorda und den Zellen der Urwirbelplatten, 
warum ihre abweichende Gruppirung ? 

b) Die Zellen der Wirbelsaite mischen sich auch später nie 
mit den Zellen des Mesoblast’s, im Gegentheil sie sondern sich von 
ihnen durch eine glashelle Scheide, durch eine Hülle, wie wir sie 
überall dort auftreten sehen, wo Epithel an Bindegewebe grenzt. 
Diese Hülle ahmt in all ihren Verhältnissen den Bau der Linsen- 
kapsel oder der Grundmembran (basements membranes) nach. 

c) Abkömmlinge des mittleren Keimblattes sind dadurch cha- 
rakterisirt, dass sich zwischen ihren Zellen im Laufe der Entwicklung 
Intercellularsubstanzen ansammeln. Es muss auffallend sein, dass 
nichts Aehnliches bei der Chorda geschieht. Man findet nie die 
geringste Spur einer Zwischensubstanz zwischen den Zellen der 
Wirbelsaite. Dursy’s Ansicht hinsichtlich der Absonderung einer 
hellen Intercellularflüssigkeit ist ganz verfehlt, wie wir im weiteren 
Laufe dieser Abhandlung sehen werden, auch ist sie von W. Müller 
längst widerlegt. 


392 Vietor v. Mihalkovics: 


d) Die primitive Gestalt der Chordazellen ist Epithelien nicht 
unähnlich. Bei Vögeln sind sie anfangs cylindrisch und radiär ge- 
stellt, bei Säugethieren ganz klein, kubisch oder polygonal eng an- 
einander gelegen, und behalten diese Gestalt auch noch dann, wenn 
die übrigen Zellen des Mesoblast’s bereits mit Fortsätzen versehen 
sind. Später vergrössern sich die Zellen, quellen auf und werden 
hell. Ich fasse diesen Prozess als eine Degeneration der Chorda- 
zellen, als Vacuolenbildungen im Protoplasma, die mit schleim- oder 
gallertartigen Massen gefüllt sind, auf. Derartige Umwandlungen 
kommen meist nur bei Epithelien vor. Epithelien sind im Stande, 
die sonderbarsten Formumwandlungen einzugehen, sie können sogar 
die Formen von Bindegewebszellen nachahmen, wie z. B. die Zellen 
des Schmelzorganes. 

e) Die Chordazellen gehen dort, wo sie einem länger anhal- 
tenden Drucke ausgesetzt sind, eine Veränderung ein, die der Ver- 
hornung von Epithelien nicht unähnlich ist, ihre Kerne verschwin- 
den, sie selbst werden zu dünnen Schüppchen abgeplattet, die bei 
fortschreitendem Drucke durch Atrophie gänzlich zu Grunde gehen. 

Die Zellen der Chorda fallen also gleich von Anfang an ge- 
sondert aus dem Axenstrange heraus, und mischen sich auch später 
nie mit den umwachsenden Gebilden des mittleren Blattes. Diese 
Gründe bewegen mich ihre Herkunft aus einem der epithelialen 
Keimblätter und zwar aus dem Epiblast durch Vermittlung des 
Axenstranges abzuleiten, wo wir seit den Untersuchungen von Wal- 
deyer wissen, dass die Zellen des äusseren und mittleren Keim- 
blattes miteinander gemischt sind. Ich glaube sie von der tieferen 
Lage des äusseren Blattes, von dem Sinnesblatt Strikers ableiten 
zu müssen, denn nur Zellen dieser Lage sind zu Formveränderungen 
und Umwandlungen fähig, wie wir diess von den übrigen Sinnes- 
zellen (auch der Linse) kennen. 

Ich hatte diese Ansichten hinsichtlich des Ursprungs der Chorda- 
zellen schon lange zu Papier gebracht, als ich eine eben erschienene 
Abhandlung von Balfour über die Entwicklung der Selachier zu 
Händen bekam !). Darin findet sich die eigenthümliche Angabe, 
dass die Chorda aus dem Hypoblast entsteht. Da diese Abhandlung 


1) A preliminary account of the development of the elasmobranch 
fishes. Quarterly Journal of microscop. Science, Oct. 1874. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 393 


Balfour’s noch weniger bekannt sein dürfte, will ich das Hieher- 
bezügliche davon entnehmen. 

Balfour giebt an, dass beim Haifischkeim nach Ausbildung 
der drei Keimblätter ein Mesoblast in der Mittellinie des Embryo- 
nalschildes nicht vorhanden ist, dass sich also da das obere und 
untere Keimblatt berühren. Dieser Linie entlang entsteht dann 
an der oberen Fläche des Hypoblasts eine stabartige Verdickung 
und zwar am Kopfende zuerst und schreitet von hier nach hinten 
vor. Diese Verdickung ist die Anlage der Chorda dorsalis. Sie 
bleibt noch einige Zeit am Hypoblast hängen, trennt sich dann von 
ihr zuerst am Kopfende ab und die Trennung schreitet von da all- 
mählig nach hinten vor. Dass diese Erhebung wirklich dem Hy- 
poblast angehört und nicht etwa der von den übrigen Autoren be- 
schriebene Axenstrang ist, davon hat sich Balfour an Osmiumsäure- 
präparaten überzeugt. Ein Axenstrang wurde vorgetäuscht durch 
Ankleben der weichen Hypoblastzellen an den Epiblast. — Zur 
Deutung dieses sonderbaren Factums giebt Balfour zwei Mög- 
lichkeiten an: a) Bei Selachiern spaltet sich der Mesoblast an beiden 
Seiten der Mittellinie in Form von zwei Platten aus einem anfangs 
gemeinsamen unteren Keimzellenstratum ab. Betrachtet man nun 
die stabartige Chordaverdickung auch als eine Abspaltung von diesem 
gemeinsamen Zellenstratum, welches auch die Hypoblastanlage in 
sich begreift, die nur etwas später vor sich geht, als die der beiden 
seitlichen Mesoblastblätter, dann kann man die Chorda auch bei 
den Selachiern als ein Mesoblastgebilde ansehen. Huxley, dem 
Balfour seine Präparate zeigte, hält diese Auffassung der Dinge 
für die richtige. — b) Die Chorda stammte bei unseren Ahnen in 
der That vom Hypoblast ab, wie die Selachier noch heute lehren, 
hat aber im Laufe der Vervollkommaung bei den höheren Verte- 
braten ihre Lage geändert, und ist ein Mesoblastgebilde geworden. 
Ray Lancaster, den Balfour auf den hypoblastischen Ursprung 
der Chorda aufmerksam machte, bemerkte, man könnte eine Paral- 
lele ziehen zwischen der Chorda und dem Endostyl der Tunicaten. 

Aus diesen Angaben Balfour’s ist zu ersehen, dass er bei 
Haifischembryonen an Stelle des Axenstrangs eine Zellanhäufung 
setzt, die vom Hypoblast abstammt. Selachierembryonen standen 
mir zur Zeit leider nicht zu Gebote, so dass ich zur Frage direkt 
nicht sprechen kann. An Hühnerembryonen, die ich mehrfach un- 
tersuchte, habe ich nie gesehen, dass der Axenstrang mit dem Hy- 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 11, 2m 


394 Victor v. Mihalkovics: 


poblast in irgend welcher Verbindung wäre. An der Stelle des 
Axenstranges bildet der Mesoblast mit dem Epiblast eine solide 
Masse, so dass man keine Grenze zwischen beiden wahrnehmen 
kann, dagegen ist der Axenstrang vom Hypoblast immer scharf 
geschieden und letzterer besteht überall nur aus einer platten 
Zelllage. Ich halte also meine Behauptung für höhere Wirbelthiere, 
dass die Chorda, — wenn überhaupt ein Epithelgebilde, dann durch 
Vermittlung des Axenstranges nur auf den Epiblast zurückzuführen 
ist, aufrecht. 

Ich muss hier noch einer vermuthungsweise hingestellten An- 
gabe von Gegenbaur hinsichtlich des Chordaursprungs gedenken. 
In seinem »Grundriss der vergleichenden Anatomie« !) heisst es: 
»Die erste Anlage der Chorda findet unmittelbar unter dem centralen 
Nervensysteme statt, und scheint wie dieses aus dem äusseren Keim- 
blatte (Eetoderm) gesondert, welches also auch bei Wirbelthieren 
an der Bildung der Stützorgane betheiligt ist«. Meines Wissens 
hat Gegenbaur diese Ansicht nie an einer andern Stelle ausge- 
sprochen und auch mit keinen weiteren Beweisen gestützt, so dass es 
mir unerklärlich ist, nach welchen Folgerungen er zu diesem Schlusse 
kommt. 


2. Die ersten Lagerungsverhältnisse der Wirbelsaite, 


Betrachten wir die ersten Lagerungsverhältnisse der Chorda 
nach der Abschnürung der Medullarröhre, so sehen wir sie nur mit 
Gebilden von epithelialer Herkunft in Verbindung: oben mit dem 
Grunde der Medullarröhre, unten mit dem Hypoblast. Rechts und 
links ist sie von den Urwirbeln und den primitiven Aorten durch 
zwei weite, mit heller Flüssigkeit gefüllte Spalten getrennt. Die 
Wirbelsaite steht also mit den Urwirbeln in gar keinem Zusammen- 
hange. 

Bei Säugethieren ist die Chorda verhältnissmässig viel schwächer, 
als bei Vögeln, ihre Zellen sind ganz klein (bei Kaninchenembryonen 
von 5 Mm. Länge, 4 u Durchmesser), gegenseitig polygonal abge- 
plattet, mit Kernen versehen, ein Unterschied zwischen peripheren 
und centralen Zellen besteht nicht. 


1) Pag. 480. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 395 


Bei Vögeln besteht die Chorda in den frühesten Stadien aussen 
aus länglichen, radienartig angeordneten cylindrischen Zellen, die 
sich mit Karmin stärker färben, und aus centralen, sich weniger fär- 
benden, kleinen rundlichen Zellen. Diese eigenthümliche Anordnung 
bewog His !), den Querschnitt der Wirbelsaite mit dem Durchschnitt 
eines Drüsenausführungsganges zu vergleichen, doch erkannte schon 
W. Müller ?), dass ein centraler Gang in der Wirbelsaite nicht existirt. 
Die Peripherie der äusseren Zellen besitzt lineare scharfe Contouren, 
was nicht etwa von einer umgebenden feinen Hülle abzuleiten ist, denn 
ähnliches findet sich an der Peripherie des Centralnervensystems. 

Wir sehen also, dass die Wirbelsaite anfangs mit den Ele- 
menten des Mesoblasts in gar keinem Zusammenhange steht. Woher 
stammt nun das embryonale Bindegewebe, das später die Chorda 
umschliessend zum Aufbau der bleibenden Wirbel verwendet wird? 

Durch Untersuchungen von His bei Vögeln, und W. Müller 
bei Batrachiern wissen wir, dass das, die Wirbelsaite umwachsende, 
embryonale Bindegewebe von der Adventitia der primitiven Aorten 
herstammt. Von da wandern die Zellen in Gestalt zweier dünner 
Zapfen gegen die Mittellinie und vereinigen sich zuerst an der 
Bauchseite der Chorda, den Zusammenhang derselben mit dem 
Drüsenblatt lösend.. Wenn diess geschehen ist, umwachsen diese 
Zellen die Chorda auch an der Rückenseite, sich zwischen ihr und 
der Medullarröhre einschiebend. So kommt die Wirbelsaite in eine 
bindegewebige Scheide zu liegen, die zur Anlage der Wirbelkörper 
und Zwischenwirbelbänder wird. 

Aehnlich ist der Vorgang am Kopftheil des Embryo, wo das 
zum Aufbau der Kopfwirbelkörper dienende embryonale Bindegewebe 
von der bindegewebigen Scheide der Wirbelarterien und deren un- 
paaren Fortsetzung, der a. basilaris, herstammt (W. Müller). Be- 
vor diess vor sich geht, ist die Wirbelsaite von den Kopfplatten 
durch ähnliche, aber etwas schmälere Räume wie am Rumpfe von 
den Urwirbelplatten, getrennt. Mit der Ausbildung der aa. verte- 
brales umwächst das embryonale Bindegewebe die Chorda am Kopf- 
theil ebenso, wie wir es am Rumpfe früher geschildert haben, 


1) W. His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthier- 
leibs. Leipzig 1868. p. 118. 

2) W. Müller, Ueber den Bau der Chorda dorsalis. Jena’sche Zeit- 
schrift. Bd. VI. 3. 


396 Vietor v. Mihalkovices: 


d. h. dasselbe schiebt sich zuerst zwischen Wirbelsaite und Darm- 


drüsenblatt, dann zwischen Wirbelsaite und Medullarröhre ein, bis 
es die Chorda gänzlich umhüllt. Ä 

Dieses embryonale Bindegewebe umwächst die Chorda am Kopf- 
theil bis zu ihrem vordersten Ende, und selbst noch darüber hinaus. 
Einen länger sich erhaltenden Zusammenhang zwischen Ende der 
Wirbelsaite mit dem Darmdrüsenblatt und Vorderhirnbasis, wie es 
von Dursy!) und W. Müller (l. ec.) beschrieben wurde, fand ich 
nicht. 


3. Primitives vorderes Ende der Wirbelsaite. 


Um den Einfluss des vorderen Endes der Wirbelsaite auf die 
Bildung des Hypophysensäckchens kennen zu lernen, musste ich 
vor Allem mit den ersten Lagerungsverhältnissen der Wirbelsaite 
am Schädelgrund ins Reine kommen, namentlich bestimmen, wie 
weit sich die Chorda am Kopf erstreckt, und wie sie vorn endet. 

Zu diesem Zwecke verwendete ich Hühner- und Gänseem- 
bryonen. Namentlich letztere fand ich wegen der Grösse der Or- 
gane vortheilhafter. Die Embryonen wurden mit schwacher Ueber- 
osmiumsäure (Yıo°/o) gefärbt, in Alkohol entwässert, dann mit Nel- 
kenöl auigehellt. Bei dieser Behandlung färbten sich die Zellen 
der Wirbelsaite bedeutend schwärzer, als die übrigen Gewebe, so 
dass man sie an der Basis der Medullarröhre ganz gut durch- 
schimmern sah. 

Nach zwei derartigen Präparaten sind Fig. 1 und 2 gezeichnet. » 

Fig. 1 zeigt den Kopf und vorderen Rumpftheil eines 46 Stunden 
bebrüteten Gänseembryos von der Dorsalfläche. Die aufwärts gebogenen 
Medullarplatten sind am Kopf eben im Begriffe sich zu vereinigen, doch ist 
auch hier noch eine schmale Spalte zwischen ihren zugeneigten Rändern vor- 
handen, durch die man auf den Grund der zukünftigen Medullarröhre sieht. 
In der Gegend des späteren Vorder- (v) und Hinterhirnbläschens (h) ist die 
Medullarröhre ganz offen. In der Mittellinie zieht die am Nacken 0,03, an 
der Schädelbasis 0,01 Mm. dicke und schwarz gefärbte Chorda (ch) vom 
Rumpftheil in die Anlage der Schädelbasis hinein, sich dort etwas verjüngend 
und endet am Grunde des noch offenen Vorderhirnbläschens mit einer conisch 
sich verjüngenden Spitze, 0,1 Mm. weit vom vorderen freien Ende der Medul- 
larröhre entfernt. Die Wirbelsaite ist rechts und links von einem hellen Saum 


1) E. Dursy, Zur Entwickelungsgeschichte des Kopfes. 1869. p. 15. 


rn En 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 397 


begleitet, ein Ausdruck der mit Flüssigkeit gefüllten Längsspalten zwischen 
Chorda und Urwirbeln. Urwirbel zeigte der Embryo 6 Paare, die Kopfdarm- 
höhle war eben in Bildung begriffen. 

Fig. 2 ist nach dem Kopf und vorderen Rumpftheil eines68 Stunden 
bebrütetenGänseembryos gezeichnet. Die Ueberosmiumfärbung gelang 
so schön, dass man bei verchiedener Einstellung des Mikroskops die ein- 
zelnen Zellen der verschiedenen Lagen gut erkannte. Urwirbel waren 
11 Paare entwickelt. In der Tiefe sieht man das Herz (c) und die primitiven 
grossen Gefässe (a) durchschimmern. Die Medullarröhre ist schon geschlossen, 
nur vorn ist eine schmale Spalte vorhanden , der entsprechend die Medullar- 
platten in das Sinnesblatt umbiegen. Die Gehirnröhre ist durch zwei Ein- 
schnürungen in drei Abtheilungen geschieden: an dem weiten Vorderhirn- 
bläschen (v) zeigen sich seitwärts die Ausstülpungen der werdenden Augen- 
blasen. Dann folgt das trichterartige Mittelhirnbläschen (m), endlich nach 
einer bedeutenden Einschnürung das spindelartig ausgezogene Hinterhirn- 
bläschen (h). Die Wirbelsaite (ch) beschreibt schwache wellenartige Biegun- 
gen, ist 0,01 Mm. stark, und endet vorn unter dem Vorderhirnbläschen mit 
einer conisch sich verjüngenden Spitze, 0,15 Mm. vom nicht geschlossenen 
Theil der Hirnröhre entfernt. 

Derartige Präparäte zeigen, dass die Wirbelsaite das ursprüng- 
liche vordere Ende der Medullarröhre gleich von Anfang an nicht 
erreicht, sondern jenseits dessen an der Basis des zukünftigen Vor- 
derhirn- respectiveZwischenhirnbläschens mit einer conisch sich ver- 
jüngenden Spitze endet. Eine knopfartige Anschwellung des Chorda- 
endes, wie es Dursy angibt und abbildet!), fand ich nicht. Dursy 
beschreibt den angeblichen »Chordaknopf« bei Säugethier- und Vögel- 
embryonen. Schon bedeutend früher hatte Aehnliches Leydig von 
den Selachiern (Acanthias) behauptet), was aber dann von Gegen- 
baur in Abrede gestellt wurde®). Nach dem, was ich an Gänse- 
und Kaninchenembyonen gesehen, schliesse ich mich ganz der An- 
sicht Gegenbaur’s an. 


4. Primitive Schädelbasis. 


Es ist hier am Orte darüber zu berichten, welchen Theilen 
des späteren Schädels der chordahaltige, und welchen der chordalose 
Theil der embryonalen Schädelbasis entspricht. 

1) 1. c. Atlas Taf. II, Fig. 13. 
2) Beiträge zur mikr. Anat. und Entwicklungsgesch. der Rochen und 
Haie. Leipzig 1852. 
3) Das Kopfskelet der Selachier. Leipzig 1872. 


398 Vietor v. Mihalkovics: 


Nach den Angaben Dursy’s!) erstreckt sich die Chorda in 
den frühesten Stadien der Entwicklung bis zum vorderen Ende der 
Urwirbelplatten, wo sie mit einem knopfartig angeschwollenen Ende 
aufhört. Dieser sogenannte Chordaknopf ist mit den Medullar- 
platten und Darmdrüsenblatt fest verbunden, und bildet die Quer- 
axe, um welche die Schlussplatte und Decke der bald geschlossenen 
Medullarröhre sich bei fortschreitendem Wachsthum nach abwärts 
wölbt, kurz sie dient als Hauptfactor bei der Bildung der Kopfbeuge. 
Indem sich das vordere Ende der Medullarröhre vor dem Chorda- 
knopf nach abwärts wölbt, wird die ursprüngliche Schlussplatte zur 
Basis des Vorderbirn-, respective späteren Zwischenhirnbläschens. 
Da der Chordaknopf der späteren Hypophysengegend entspricht, der 
Knopf aber ursprünglich am vordersten Leibesende lag, so folgt, dass 
die primitive Schädelbasis mit dem hinteren Keilbein abschliesst, 
d.h. die primitive Schädelbasis besteht nur aus einem dem späteren 
Hinterhaupts- und hinteren Keilbeine entsprechenden Gegend (Spheno- 
oceipitaltheil), der vordere Theil (Spheno-ethmoidaltheil) ist eine 
spätere Bildung, der sich erst bei Einstellung der Kopfbeuge entwickelt. 

Diese Ansichten Dursy’s mussten fallen, sobald bewiesen 
wurde, dass das Ende der Wirbelsaite sich nicht bis zum ursprüng- 
lichen vorderen Ende der Embryonalanlage erstreckt. Fig. 1 ist 
zwar vom Einwande nicht frei, die Wirbelsaite könne noch später 
vorwachsen, darum untersuchte ich auch entwickeltere Embryonen 
wie Fig. 2. Hier ist noch gar keine Kopfbeuge vorhanden, der 
Embryo ist ganz gestreckt, das Medullarrohr ist vorn 
noch nicht geschlossen und doch erreicht die Wirbel- 
saite das vordere Ende des Vorderhirnbläschens nicht. 
Das kann sie aber auch nicht, denn an der Seitenwand des ersten 
Hirnbläschens sind die Ausstülpungen der primitiven Augenblasen 
schon vorhanden; würde also die Wirbelsaite jenseits dieser bis zum 
vordersten Leibesende reichen, dann müsste sie die Gegend des 
späteren Chiasma n. opticorum überschreiten. Jenseits der Hypo- 
physengegend erstreckt sich die Wirbelsaite aber nie. 

Wir können also au der embryonalen Schädelbasis gleich von 
Anfang an zwei Abtheilungen unterscheiden: einen chordafreien und 
einen chordahaltigen, die Grenze zwischen beiden bildet das conisch 
zugespitzte Chordaende. Der chordahaltige Theil ist der werdende 


1). 1. ep: b8. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 399 


Spheno-oceipital- der chordafreie der Spheno-ethmoidaltheil. Der 
erstere ist gleich von Anfang an unverhältnissmässig länger und 
stärker, wie der letztere, denn die Ursprungsstätten ihres Bindege- 
webes: die aa. vertebrales sind um diese Zeit schon entwickelt, wäh- 
rend die inneren Carotiden, deren bindegewebige Scheide für den 
Spheno-ethmoidaltheil dieselbe Rolle spielt, wie die aa. vertebrales 
und basilaris für den Spheno-oceipitaltheil, sich erst beim Auswachsen 
der Hämisphärenbläschen bilden. Ursprünglich besteht der Spheno- 
ethmoidaltheil nur aus spärlich zerstreuten spindelförmigen Zellen 
zwischen Medullarröhre und Sinnesblatt, im Uebrigen scheinen letztere 
ganz aneinander zu liegen (vgl. Fig. 3e). 


d. Kopftheil der Wirbelsaite nach Einstellung der Kopfbeuge. 


Unsere nächste Aufgabe wird es sein, zu erörtern, wie sich der 
Kopftheil der Wirbelsaite nach der Einstellung der Kopfbeuge zur 
Medullarröhre und Kopfdarm verhält. 

Zu diesem Zwecke fertigte ich Längsschnitte von Gänse- und 
Kaninchenembryonen an, bei denen die Kopfbeuge sich eben einge- 
stellt hat, wo die Axe des Vorderhirnbläschens mit jenem des 
Hinterhirns einen rechten Winkel bildete. 

Fig. 3 zeigt den medianen Längsschnitt eines 5Mm. langen Kanin- 
chenembryo’s. Es sind vom Schnitte getroffen: die Hirnröhre, primitive 
Schädelbasis, Kopfdarm und das Herz. Die Gehirnröhre hat ihre gerade 
Richtung schon aufgegeben, ihr vorderes, retortenartig erweitertes Ende ist 
nach abwärts gekrümmt. Der horizontal liegende längliche Theil, dessen 
Decke oben verdünnt ist (Stelle des späteren Sinus rhomboidalis), ist das 
Hinterhirn (h), dann folgt nach einem tiefen Einschnitt an der Basis das 
Mittelhirn (m), dessen Grenzen an einem Längsschnitt nicht sicher anzugeben 
sind (weil die Einschnürungsgrenzen seitlich liegen), endlich das Vorderhirn- 
bläschen (v). Das Vorderhirnbläschen sendet nach unten gegen die Schädel- 
basis eine weite Ausstülpung («), an der sich später das Chiasma n. opti- 
corum bildet (dieser Bucht entsprechend liegen seitwärts die primitiven 
Augenblasen). Die ganze Medullarröhre besteht aus runden, dicht gedräng- 
ten kernhaltigen embryonalen Zellen. Die Schädelbasis besteht aus zwei 
Theilen: einem chordahaltigen und einem chordafreien, an der Grenze zwischen 
beiden tritt die dicke Rachenhaut (r), parallel mit der Längsaxe des Kopf- 
darms (f) zum Herzen (c) hinunter. Der chordahaltige Theil ist der unver- 
hältnissmässig stärkere, er besteht entsprechend der Axe der Hirnröhre aus 
einem hinteren langen horizontalen, und vorderen kürzeren senkrechten Theil. 
Die Grundlage bildet ein aus länglichen und spindelförmigen Zellen bestehen- 


400 Vietor v. Mihalkovics: 


des Gewebe. Die Wirbelsaite (ch) ist 9—10 u. dick, läuft zwischen Hinter- 
hirn und Darmdrüsenblatt, von beiden durch spärliche spindelförmige Zellen 
getrennt mit schwach wellenförmigen Biegungen nach Vorne, krümmt sich 
über dem blinden Ende des Kopfdarms halbbogenförmig nach abwärts, und 
endet bei der Abgangsstelle der Rachenhaut ohne alle Verdiekung schwach 
abgerundet, dasHornblatt berührend !)., Auch der vordere, nach abwärts ge- 
bogene Theil der Chorda ist in embryonalem Bindegewebe eingebettet, beson- 
ders ist dieses oberhalb der Chordakrümmung zu einem länglichen, die Grenze 
zwischen Hinter- und Mittelhirnbläschen stark einkeilenden Fortsatz (k), dem 
mittleren Schädelbalken Rathke’s angehäuft. Vor der Abgangsstelle der 
Rachenhaut berührt das Vorderhirnbläschen beinahe das Hornblatt, nur 
spärlich zerstreute spindelartige Zellen finden sich zwischen ihnen, die später 
zur Anlage der Hirnhäute und des Spheno-ethmoidaltheils des Schädels werden. 
Letzterer ist unverhältnissmässig kurz (e) und schwach und erstreckt sich ohne 
näher bestimmbare Grenzen gegen die Stirne, 

An diesem Embryo hat sich die Kopfbeuge bereits eingestellt. 
Die Chorda umkreist das blinde Ende des Kopfdarms und endet bei 
der Abgangsstelle der Rachenhaut. Ihr Ende berührt das Hornblatt, 
ohne mit demselben in continuirlichem Zusammenhang zu stehen. 
Von der Basis des Vorderhirnbläschens ist es durch zwischenge- 
schobene spindelartige Zellen getrennt, steht also mit ihr in gar 
keinem Zusammenhange. 

Besitzt die Wirbelsaite überhaupt einen Einfluss bei der Aus- 
bildung der Kopfbeuge oder ist sie dabei nur passiv betheiligt? 

Dursy beschreibt die Bildung der Kopfbeuge folgendermassen: 
Das knopfförmig angeschwollene Ende der Chorda erreicht das ur- 
sprüngliche vordere Leibesende und ist dort mit Darmdrüsenblatt 
und Medullarröhre fest verwachsen. Wenn sich jetzt die Decke des 
Medullarrohrs stärker entwickelt als die Basis, krümmt sie sich vor 
dem Chordaknopf unter stumpfem, bald rechten, dann spitzen Winkel 
nach abwärts, wobei der festhaftende Knopf die quere Drehaxe 
bildet. 

Abgesehen von der Unzulässigkeit eines Chordaknopfes, gibt 


1) Der Schnitt selbst, nach dem das Präparat gezeichnet wurde, enthielt 
die Chorda nicht, denn die wellenartigen Biegungen verhindern, dass man 
die ohnedies dünne Wirbelsaite auf einem Längsschnitt erhalte. Die Chorda 
wurde in die Zeichnung nach einem ähnlichen, mit Ueberosmiumsäure ge- 
färbten ganzen Kaninchenembryo eingetragen, bei dem man nach Aufhellung 
die Verhältnisse in der Seitenlage des Embryo so sah, wie es die Zeichnung 
zeigt. 


. Wirbelsaite und Hirnanhang. 401 


diese Ansicht keine genügende Erklärung darüber, warum sich die 
Medullarröhre bei stärkerem Wachsthum gerade nach abwärts gegen 
den Spheno-oceipitaltheil des Schädels krümmt. Da nun die Wirbel- 
saite auch das vordere Leibesende nicht erreicht, und keinerlei 
Chordaknopf zu finden ist, muss man für diesen Vorgang eine andere 
Erklärung suchen. Ich glaube diese in Folgendem zu finden: 

Der Anstoss zur Einstellung der Kopfbeuge‘ geht von der 
Rachenhaut aus. Die Rachenhaut ist um diese Zeit stark entwickelt, 
erstreckt sich vom Chordaende (späteren Hypophysengegend) bis 
zum embryonalen Brustkorb (Herz) und geht seitwärts in die An- 
lagen der Visceralbögen über. Dieses relativ starke Organ ist gleich 
nach der Ausbildung des Herzens durch ‘dessen Pulsation und Ab- 
wärtsrücken einer fortwährenden Dehnung ausgesetzt und zieht das 
vordere Ende der Medullarröhre — die Basis des Vorderhirnbläs- 
chens — nach abwärts. Die Knickungsstelle an der Schädelbasis 
fällt mit den Bögen der primitiven Aorten zusammen (vgl. Fig. 2). 
Dabei krümmt sich das Vorder- und Mittelhirnbläschen sammt dem 
_ Spheno-ethmoidaltheil des Schädels und einem kleinen Theile des 
Spheno-oceipithaltheils bogenförmig um das blinde Ende des Kopf- 
darms abwärts. In der Höhe des Kopfdarmendes liegen die vorderen 
Enden der Aortenbögen, diese bilden die quere Axe, um welche die 
im Wachsthum zurückbleibende und an das Herz fest angeheftete 
Rachenhaut das Vorderhirnbläschen nach abwärts zieht. Die Rachen- 
haut allein ist aber nicht im Stande die Kopfbeuge fertig zu bringen, 
bald wirkt auch der mittlere Schädelbalken mit. Es entwickeln sich 
nämlich die aa. vertebrales in der ursprünglichen Richtung der pri- 
mitiven Aorten und aus ihrer bindegewebigen Scheide bildet sich 
der mittlere Schädelbalken. Die weiteren Veränderungen der Rachen- 
haut werde ich bei der Entwicklung der Hypophyse besprechen. 

Die Gestalt der Wirbelsaite an der Schädelbasis nach Entste- 
hung der Kopfbeuge ist also die eines gebogenen Hirtenstabes, dessen 
Ende bis an den Winkel reicht, wo sich die Rachenhaut an die 
Schädelbasis anheftet (Fig. 3)!). Diese hakenförmige Krümmung 


1) Auch W. Müller lässt das vordere Ende der Chorda hakenförmig 
nach abwärts gekrümmt sein. »Indem das vordere Ende des zum Medullar- 
rohr theilweise sich umwandelnden oberen Keimblatts bei den Cranioten das 
vordere Ende der Chorda im Wachsthum überflügelt, wölbt es sich vor letz- 
terem nach abwärts, um die zukünftige Zwischenhirnbasis zu bilden. Dabei 
wird das vordere Ende der Chorda leicht abwärts gebogen. Wächst es zu 


402 Victor v. Mihalkovies: 


macht die Annahme eines etwaigen Chordaknopfes erklärlich. Be- 
trachtet man nämlich einen Embryo, bei dem die Kopfbeuge eben 
in Entwicklung begriffen ist, von der Dorsalfläche, dann decken sich 
beide Schenkel der hakenförmigen Krümmung selten, so dass man 
oberhalb des blinden Kopfdarmendes einen dunkeln Zellhaufen sieht, 
der mit der Wirbelsaite in continuirlichem Zusammenhang steht. 
Dieser Zellklumpen liegt in der Ansicht von der Dorsalfläche gerade 
vor dem blinden Ende des Kopfdarms, er ist der von manchen Au- 
toren erwähnte Chordaknopf. 

Wie unten bewiesen werden wird, entsteht das Hypophysen- 
säckchen aus jenem Winkel des Hornblatts, wo Rachenhaut und 
Spheno-ethmoidaltheil des Schädels zusammenstossen. Das Ende 
der Chorda dorsalis muss also schon aus aprioristischen Gründen 
vor dem blinden Ende des Kopfdarms gesucht werden, denn auch 
später noch findet man das Ende der Wirbelsaite in unmittelbarer 
Nähe der Schlundtasche. 

Nach der Entstehung der Kopfbeuge sind die Verhältnisse an 
der embryonalen Schädelbasis so weit gediehen, dass die Bildung 
der Hypophyse ihren Anfang nehmen kann. Von nun an sind Hypo- 
physe und Ende der Chorda eine Zeit lang in unmittelbarer Nähe, und 
können bei der weiter fortschreitenden Entwicklung der Schädel- 
basis abwechselnd besprochen werden. Ich verlasse also vorderhand 
die Wirbelsaite und gehe zur Schilderung der Hypophysenbildung 
über. 


6. Anlage der Hypophyse. Hypophysenwinkel. 


Hinsichtlich der ersten Herkunft der Hypophyse waren bis vor 
kurzem zwei Hauptansichten vertreten. Nach der einen Ansicht 


dieser Zeit noch verhältnissmässig rasch, so erfährt es eine hakenförmige 
Krümmung« 1. ec. p. 416. Wie sich aber diese Krümmung hinsichtlich des 
blinden Kopfdarmendes verhält, wird nicht näher angegeben. — Eine ähnliche 
hackenförmige Abwärtskrümmung beschreibt Gegenbaur (l.c.) bei Selachier- 
embryonen. Die Chorda soll bei solchen (Acanthiasembryonen von 15—35 Mm. 
Länge) im mittleren Schädelbalken liegend sich plötzlich ventralwärts krümmen 
und unter der Basis des 3. Ventrikels mit einer feinen Spitze enden (also ohne 
Anschwellung). Die betreffende Abbildung (Taf. XXI Fig. 4) scheint aber nach 
einem extramedianen Durchschnitt gezeichnet zu sein, denn sie enthält kein 
Hypophysensäckchen, welches da schon entwickelt sein sollte. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 403 


ist die Hypophyse ein Epithelgebilde; sie entwickelt sich aus dem 
abgeschnürten blinden Ende des Vorderdarms (H. Rathke, 
W. Müller). Nach der andern wäre sie ein Abkömmling des 
mittleren Keimblattes, da sie sich aus dem verkümmerten Ende der 
Chorda (Reichert, His), oder aus einer Wucherung der weichen 
Hirnhaut bildet (Reichert ’s spätere Ansicht). Dursy versuchte 
eine Vereinigung beider Ansichten: das Epithel der Hypophyse soll 
sich aus dem blinden Ende des Vorderdarms, das gefässhaltige Stroma 
aus dem Chordaknopf bilden. 

Neuestens bezeichnet Götte!) in einer kurzen vorläufigen Mit- 
theilung den Winkel des Hornblattes vor der Anheftung der Rachen- 
haut an die Schädelbasis als jene Stelle, die später nach Dureh- 
reissung jener Haut ganz in den Bereich des Munddarms gezogen, 
zum Hypophysensäckchen wird ?). 

Um mich von der Wahrheit einer dieser Ansichten zu über- 
zeugen, fertigte ich mediane Längsschnitte von Köpfen an, wo die 
Rachenhaut noch nicht geschwunden war; ferner solche, wo dieser 
Process eben im Werden ist. 

Einen derartigen Längsschnitt mit noch nicht geschwundener Rachen- 
haut zeigt Fig. 5 an einem 5 Mm. langen Kaninchenembryo. Die Ver- 
hältnisse des Medullarrohres und der Schädelbasis wurden früher schon be- 
sprochen, es erübrigt dazu einiges über Vorderdarm und Rachenhaut hinzu- 
zufügen. — Der Kopfdarm (s) erstreckt sich in gerader Richtung unter dem 
Spheno-oceipitaltheil (0) des Schädels einerseits, Rachenhaut (r) und Herzen 
(ec) anderseits bis zum vorderen umgebogenen Ende des Spheno-oceipitaltheils. 
Ihre Wand besteht aus einer 6 u hohen Lage von niedrigen kubischen 


1) Diese Angabe Götte’s lautet wörtlich: »Seitlich entstehen aus der 
Sinnesplatte die beiden Geruchsplatten, das Mittelstück geräth durch die 
Vorwölbung des Vorderhirns unter dieses und wächst dann zwischen diesem 
und dem anliegenden Epithel der hinteren Mundhöhle erst trichterförmig, 
dann in Gestalt eines scheinbar soliden Zapfens nach hinten aus. Das Ende 
desselben bleibt entweder oder wird doch sehr bald hohl und verwandelt sich, 
während die übrige Anlage, derStiel des angeschwollenen Endes verkümmert, 
in dem Hirnanhang.« Archiv f. mikr. Anatomie, IX. Bd. p. 397. 

2) Ich habe diese Ansicht Götte’s schon im vorigen Jahre bestätigt 
und näher beschrieben im »Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1874 Nr. 20«. 
Bald darauf wurde sie auch von Balfour für die Selachier angenommen. 
Er beschreibt aber den Vorgang nicht näher, sondern erwähnt nur kurz, die 
Entwicklung der Hypophyse bei Selachiern so gefunden zu haben, wie Götte 
bei den höheren Wirbelthieren. Quarterly Journal of microscop. Science Oct. 
1874. 


404 Victor v. Mihalkovies: 


Epithelien, pur an der blinden Kuppe des Kopfdarms (y) ist das Epithel ver- 
dickt und mehrschichtig (0,012 Mm.). Diese Verdickung des Epithels mag 
nicht wenig dazu beigetragen haben, dass man diese Stelle als Ursprungs- 
stätte des Hypophysensäckchens betrachtet hat. Die vordere Wand des Kopf- 
darms (y) liegt schräge von oben nach unten und hinten, so dass dadurch 
oben ein etwas abgerundeter spitzer, nach unten gegen die Rachenhaut zu ein 
stumpfer Winkel entsteht. Die Rachenhaut (r) verlässt die Schädelbasis an 
der Grenze zwischen Spheno-ethmoidal und Spheno-oceipitaltheil, gerade an 
der Stelle, wo die Wirbelsaite endet. Hier ist sie etwas dicker und zieht sich 
verdünnend zum Herzen. Ihre ganzeLänge beträgt 0,1 Mm. Sie besteht aus 
Hornblatt, Darmdrüsenblatt und etwas embryonalem Bindegewebe, letzteres 
wird gegen das Herz spärlicher. Das Hornblatt besteht aus einer Lage 
niederer kubischer 7 «u. hohen kernhaltigen Epithelien. Sie zieht von der 
unteren Fläche des Spheno-ethmoidaltheils des Schädels auf die Rachenhaut, 
und von da schlägt sie auf das Amnion (s) über. j 

Gleich zu beschreibende, etwas ältere Embryonen werden zeigen, 
dass sich die Hypophyse aus einem epithelialen Säckchen entwickelt. 
Dieses Säckchen wird aber nicht vom blinden Ende des Kopfdarms 
abgeschnürt, wie es bisher fast allgemein angenommen wurde, son- 
dern von jenem Winkel, wo das Hornblatt von der Schädelbasis 
auf die Rachenhaut umbiegt (Fig. 3 h). Ich werde diese Stelle 
künftighin Hypophysenwinkel nennen. Hier endet die Wirbel- 
saite sanft abgerundet, das Hornblatt berührend. 


7. Durchriss der Rachenhaut. Bildung des Trichters. 


Die Rachenhaut erhält sich nicht lange, sie reisst durch. 


Fig. 4 ist nach dem medianen Längsschnitt eines 6 Mm. langen 


Kaninchenembryo’s gezeichnet, wo die Rachenhaut eben durchgerissen 
ist, so dass Kopfdarm (f) und Mundbucht (n) communieirten. Man sieht an 
der Communicationsöffnung noch die unebenen Ränder der Durchrissstelle, 
das Epithel des Hornblattes geht noch nicht ununterbrochen in jenes des Darm- 
drüsenblattes über. Die beiden Stümpfe (r, r,) der durchgerissenen Rachen- 
haut sind noch vorhanden, der obere (r,) ist 0,04 Mm. lang, hat aber nicht 
mehr die ursprüngliche horizontale Lage, sondern ist gegen die Schädelbasis 
hin geneigt, so dass der früher offene Hypophysenwinkel zu einer kleinen 
blinden Bucht (h) geworden ist. Die Verhältnisse der Schädelbasis sind noch 
dieselben wie früher, die Wirbelsaite (ch) zieht, die blinde Bucht des Vorder- 
darms umkreisend, bis an den oberen Stumpf der durchgerissenen Rachen- 
haut heran und endet ganz nahe beim Hornblatte. Die Medullarröhre hat sich 
im Verhältniss zum früheren Stadium insofern verändert, dass an der Basis 


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ER NET ee eu a u 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 405 


des Vorderhirnbläschens (v), gerade gegenüber dem Stumpfe der Rachenhaut, 
eine kleine Ausstülpung (i), der werdende Trichter, sich gebildet hat. 

Das Reissen der Rachenhaut ist die Folge einer zu starken 
Dehnung derselben, welche folgendermassen zu Stande kommt: Die 
Rachenhaut (Fig. 3r) bestand ursprünglich aus drei Schichten: gegen 
die Mundbucht zu aus dem Hornblatt, gegen den Kopfdarm aus dem 
Darmdrüsenblatt, dazwischen aus wenig embryonalem Bindegewebe. 
Im Laufe der Ausbildung des Herzens und stärkeren Waehsthums 
der Medullarröhre unterliegt sie einer Dehnung, in Folge dessen sie 
dünner wird. Diese Verschmächtigung kommt hauptsächlich auf 
Rechnung der mittleren Schichte zu Stande, diese zieht sich inner- 
halb der Rachenhaut nach beiden Seiten und auch nach oben und 
unten hin ganz zurück, bis sich die zwei Epithelblätter berühren. 
- Letztere sind dann nicht mehr im Stande, der Dehnung einen Wider- 
stand zu leisten, die Rachenhaut reisst in der Mitte durch. Der 
obere Stumpf derselben, der in seinem obersten Theil das Chorda- 
ende enthält, geht aber nicht zu Grunde, sondern gibt seine ur- 
sprüngliche Richtung auf und nähert sich dem Spheno-ethmoidaltheil 
des Schädels (Fig. 4 rı). Dadurch wird der ursprüngliche Winkel 
vor der Rachenhaut zu einer kleinen Bucht (h) umgewandelt, und 
dieser Vorgang leitet die Bildung des Hypophysensäckchens ein. 

Mit diesem Vorgang gleichzeitig geht die Bildung des Trichters 
vor sich. 

Dursy und W. Müller leiten die Bildung des Trichters 
von dem Zusammenhang des Chordaendes mit der Vorderhirnbasis 
ab. Die Wirbelsaite bleibt im Längenwachsthum im Verhältniss 
zur Medullarröhre zurück und zieht die Verbindungsstelle zu einer 
kleinen Falte: dem werdenden Trichter aus. Später wird dann der 
Zusammenhang des Vorderhirns mit dem Chordaende durch Zwischen- 
wachsen embryonaler Bindesubstanz gelöst und das fernere Aus- 
wachsen des Trichters geht dann spontan vor sich. 

Nachdem ich gezeigt, dass ein Chordaknopf nicht existirt, ferner 
das Ende der Chorda gleich von Anfang an in gar keiner Verbin- 
dung mit dem Vorderhirnbläschen steht, muss die Bildung des 
Trichters von anderen Uıinständen abgeleitet werden. Ich glaube 
dass dies folgendermassen geschieht: Nach dem Reissen der Rachen- 
haut (Fig. 4), biegt sich deren oberer Stumpf gegen den Spheno-eth- 
moidaltheil der Schädelbasis und leitet den Vorgang zur Bildung 
des Hypophysensäckchens ein. Das Chordaende berührt noch immer 


406 Vietor v. Mihalkovics: 


das Hornblatt an der hinteren Wand des werdenden Hypophysen- 
säckchens und verhindert deren Rückbildung. Während der obere 
Stumpf der Rachenhaut nach aufwärts biegt, drückt die Wand des 
entstehenden epithelialen Säckchens die Basis des Vorderhirnbläs- 
chens ein und es entsteht hier jetzt eine Falte zwischen oberem Ende 
des Hypophysensäckchens und mittlerem Schädelbalken, der primitive 
Trichter (i). Dieser ist also sonst nichts, als eine eingeknickte 
Stelle des Vorderhirnbläschens und ist im Anfang unverhältnissmässig 
gross. Der primitive Trichter entspricht nicht allein dem späteren 
Trichterfortsatz (processus infundibuli cerebri), sondern auch dessen 
Umgebung (tuber cinereum). Der eigentliche Trichterfortsatz bildet 
sich später aus einem Theile des primitiven Trichters durch selbst- 
ständiges Auswachsen. 


8. Bildung der Hypophysentasche. 


Indem sich der obere Stumpf der Rachenhaut gegen den Spheno- 
ethmoidaltheil des Schädels erhebt, wird der daselbst gelegene offene 
Winkel eingeengt und der eingeknickte Theil des Hornblattes zu 
einer sagittal comprimirten Tasche umgewandelt, die man Hypo- 
physentasche oder Schlundtasche heisst. 

Diese nächste Formumwandlung zeigt Fig. 5 an einem 3'/, Tage be- 
brüteten Gänseembryo, Die Abbildung erstreckt sich bloss auf die 
uns interessirende Parthie des Schädels, also Spheno-oceipital und Spheno- 
ethmoidaltheil der Schädelbasis und die anliegenden Parthien des Central- 
nervensystems. Die Basis des Hinterhirns (h!) ist 0,08 Mm. dick, radiär ge- 
streift, geht über dem mittleren Schädeibalken (k), sich verdünnend, in die 
Basis des Mittelhirns (m) und dieses in jenes des Zwischenhirns (z) über. 
Letzteres schickt einen stumpfen konischen Fortsatz (i), den Trichter, in die 
Substanz des mittleren Schädelbalkens hinein. Die Schädelbasis besteht aus 
länglichen embryonalen Zellen, ist unter dem Hinterhirn 0,06 Mm. dick, und 
erstreckt sich von da als mittlerer Schädelbalken (k) an Dicke zunehmend 
zwischen Hinter- und Zwischenhirn hinein. Der Spheno-ethmoidaltheil des 
Schädels besteht noch immer aus wenigen zerstreuten spindelartigen Zellen 
zwischen Hornblatt und Zwischenhirnbasis. Die Wirbelsaite (ch) ist 0,02 Mm. 
dick, läuft gestreckt im Spheno-oceipitaltheil nach aufwärts, macht oben am 
Grunde des mittleren Schädelbalkens eine starke Biegung und endet haken- 
förmig sich verjüngend beim Hornblatte. Sie besitzt einen scharfen Saum und 
besteht aus hellen protoplasmareichen kernhaltigen Zellen. Unterhalb der 
Knickungsstelle des Schädels sind zwei Blindsäcke vorhanden, der vordere (h) 
ist 0,1 Mm. tief und mündet unten mit einer weiten Oefinung in den Mund- 


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Wirbelsaite und Hirnanhang. 407 


darm. Der hintere (f) ist weniger tief. Zwischen beiden liegt ein kleiner 
Stumpf, an dessen Ende die Epithelüberzüge noch nicht continuirlich zu- 
sammenhängen. Das Epithel des Vorderdarms (d) ist 9 « dick, besteht 
aus niederen cylindrischen Zellen. 

Einen in der Entwicklung etwas mehr vorgeschrittenen Kaninchen- 
embryo (12 Mm. lang) zeigt Fig, 6. Die Zeichnung bildet einen medianen 
Längsschnitt der Schädelbasis ab (der mittlere Schädelbalken ist nur theilweise 
ausgezeichnet). Die Verhältnisse des Centralnervensystems sind noch diesel- 
ben wie früher, die Basis des Hinterhirns (h) ist 0,2 Mm. dick, radiär ge- 
streift, an ihrer unteren Fläche hat sich eine feinkörnige, zellenlose Schichte 
angesammelt, die eine feine Längsstreifung zeigt. In der Mitte ist sie etwas 
geknickt (p), eine Stelle, die der späteren Brückenbeuge entspricht. Die Basis 
des Zwischenhirns (z) ist 0,2 Mm, dick, schickt den kleinen, conisch sich ver- 
jüngenden Triehterfortsatz (i) nach unten. Sie besteht aus dicht gefügten 
rundlichen Zellen, die an der Peripherie etwas aufgehellt sind. Im Spheno- 
oceipitaltheil (0) zieht die 6 « dicke a. basilaris (b) nach aufwärts und setzt 
sich oben im mittleren Schädelbalken (k) fort. An der Knickungsstelle der 
Schädelbasis liegt in schiefer Richtung, sich der untern Fläche des Zwischen- 
hirns anschliessend, die Hypophysentasche (h), aus einer 0,03 Mm. dicken 
Lage von geschichteten Cylinderepithelien bestehend. Die Wände der Tasche 
sind einander so sehr genähert, dass nur eine 8 « weite Spalte zwischen 
ihnen frei geblieben ist. Diese mündet unten in den Munddarm. Die Pari- 
pherie des Säckchens besitzt scharfe Contouren, ist vom anliegenden Zwischen- 
hirn durch eine ganz dünne Lage spindelartiger Zellen getrennt. Das obere 
abgerundete Ende des Säckchens legt sich an die vordere Wand des Trichters 
an und ist von demselben ebenfalls durch spindelartige Zellen geschieden. 
Aus eben solchen Zellen besteht der Spheno-ethmoidaltheil des Schädels, der 
sich schon zu verstärken beginnt. Die Wirbelaite (ch) ist 8 « stark, biegt 
oben mit einer hakenförmigen Krümmung nach abwärts und endet sanft ab- 
gerundet 0,03 Mm. weit von der hinteren Wand des Hypophysensäckchens. 
Ihre Ränder sind von einer glashellen Linie begleitet, ein Ausdruck der sich 
bildenden Chardascheide. 

Der offene Hypophysenwinkel hat sich zu einer Tasche umge- 
staltet, die durch ein schmales Lumen mit der Rachenhöhle commu- 
nicirt. Die meisten Autoren, die über Hypophysenbildung schrieben, 
‚kannten die Tasche, — Rathke schon im Jahre 1838!), — nur 
Reichert?) läugnet ihre Existenz. 

Die Bildung dieser Tasche kann man sich vom Zusammenhang 
der Chorda dorsalis mit dem Darmdrüsenblatt allein nicht erklären. 

Wäre dieses das mechanische Moment, so müsste sich die 


1) Archiv für Anatomie und Physiologie. 1838. Bd. V. p. 482. 
2) Der Bau des menschlichen Gehirns. Leipzig 1861. II. Theil p. 19. 


408 Vietor v. Mihalkovies: 


Chorda an den obern Winkel des Säckchens anheften. Das ist auch 
bei Vögelembryonen der Fall (Fig. 5). Bei Kaninchenembryonen 
endet aber die Chorda unter der untern Hälfte der hintern Taschen- 
wand, weit von dessen oberer Wölbung entfernt (Fig. 6). Sie kann 
also keine ziehende Wirkung auf die Tasche ausüben, sie könnte 
höchstens jene Stelle der hintern Wand, wo sie endet, nach 
rückwärts ziehen, was aber nicht geschieht. Die Bildung der 
Tasche beruht wesentlich auf der Beugung des oberen Stumpfes 
der durchgerissenen Rachenhaut gegen den Spheno-ethmoidaltheil 
des Schädels, dadurch flacht sich die blinde Bucht des Vorderdarms 


ab, die hakenförmige Biegung des Chordaendes erhält sich aber- 


noch eine Zeit lang. Der Zusammenhang derselben mit der hin- 
teren (bei Vögeln oberen) Wand des Säckchens wird später durch 
Zwischenwachsen embryonalen Bindegewebes gelöst und so der Zu- 
sammenhang zwischen Chordaende und Hypophysensäckchen aufge- 
hoben. | 

Jene Stelle, wo die hintere Wand des Säckchens in das Epi- 
thel des Vorderdarms umbiegt, entspricht der Durchrissstelle der 
Rachenhaut (Fig. 6 x), hier liegt die Grenze zwischen Mund- und 
Kopfdarm. Wenn frühere Forscher das Schlundsäckchen vom Darm- 
drüsenblatt abstammen liessen, geschah diess wesentlich aus dem 
Grunde, weil sie die Durchrissstelle der Rachenhaut vor die Mün- 
dung der Hypophysentasche verlegten. 


9. Abschnürung der Hypophysentasche. 


Die folgenden Veränderungen bestehen in der Abschnürung 
der Hypophysentasche. Ihr unterer Theil wird zu einem dünnen 
Gange comprimirt, der später ganz atrophirt und dann liegt das 
abgeschnürte Säckchen an der Basis des Zwischenhirns, vor dem 
Trichter. 

Diesem Processe geht bei Säugern die Abflachung der oberen 
Wölbung der Tasche voran. Sie wird wesentlich bewirkt durch das 
‚stärkere Längenwachsthum und Druck von Seite des Trichters. 

Bei einem 16 Mm. langen Kaninchenembryo (Fig. 7) zeigt sich 
die Abschnürung folgendermassen: Das Centralnervensystem bietet dieselben 
Verhältnisse wie früher (bei Fig. 6), nur ist die Basis des Hinterhirns (h,) 
dicker, der Trichterfortsatz (i) länger (0,2 Mm.) geworden. Die Schädelbasis 
besteht aus locker gefügten spindelförmigen Zellen, die sich am Spheno- 


i 
| 


a 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 409 


ethmoidaltheil (e) bedeutend angehäuft haben, so dass dessen Dicke 0,18 Mm. 
beträgt. Die Grenze zwischen Spheno-ethmoidal- und Spheno-oceipitaltheil 
bildet das Hypophysensäckchen (h). Im Spheno-oceipitaltheil zieht die a. 
basilaris (b) zum mittleren Schädelbalken (k) hinauf (letzterer ist wegen Raum: 
ersparniss nicht ganz abgebildet). In der Umgebung der a. basilaris ist das 
Bindegewebe etwas lockerer gefügt, als weiter unten. Die untere Fläche 
der Schädelbasis ist durch das 0,01 Mm. hohe cylindrische Epithel (d) des 
Vorderdarms bedeckt. Der obere Theil des Hypophysensäckchens ist in den 
Winkel eingekeilt, der die vordere Wand des Trichterfortsatzes mit der hin- 
teren Wand der Zwischenhirnbasis bildet. Das Gebilde besteht aus zwei 
Theilen: einem oberen säckchenartigen, 0,25 Mm. hohen, 0,1 Mm. breiten, 
mit einer centralen Höhle versehenen (h}, und einem unteren 0,13 Mm. langen, 
0,012 Mm. breiten drüsengangähnlichen Abschnitt (2), der unten mit dem 
Epithel des Vorderdarms in continuirlichem Zusammenhang steht. Die Wand 
des Säckchens ist 0,03 Mm. stark, zeigt eine radiäre Streifung und besteht 
aus mehreren Lagen dicht aneinander liegender cylindrischer kernhaltigen 
Zellen. Nach der Peripherie und gegen das Lumen besitzt das Säckchen 
einen scharfen Saum. Die Längsaxe der Tasche ist in der Mitte unter einem 
stumpfen Winkel geknickt, ihr oberer, in den Winkel zwischen Trichterfort- 
satz und Zwischenhirnbasis eingekeilter Theil liegt senkrecht, der untere ist 
schief nach vorwärts geneigt. Vom untern Theil des Säckehens zieht der 
0,012 Mın. weite Gang (g) senkrecht nach abwärts, besteht aus niederen ku- 
bischen Epithelien und besitzt ein sehr schmales centrales Lumen In der 
nächsten Umgebung des Säckchens ist das Bindegewebe etwas dichter ge- 
lagert. Die 0,01 Mm. starke Wirbelsaite (ch) zieht in der Mitte des Spheno- 
oceipitaltheils mit schwachen Biegungen nach aufwärts, beschreibt oben eine 
bogenförmige Krümmung und endet 0,04 u weit von der hinteren Wand 
des Säckchens abgerundet, unmittelbar über dem Anfang des EHypophysen- 
ganges. Sie besteht noch immer aus nur 4—5 Mm. grossen protoplasma- 
haltigen kernführenden Zellen. An der Peripherie ist die Chorda mit einer 
1—2 u starken glashellen Scheide umgeben, die gegen das umgebende Binde- 
gewebe scharfe Contouren besitzt und mit platten Zellen bedeckt ist. 

Das Hypophysensäckchen besitzt zur Zeit seiner Abschnürung an einem 
Längsschnitte eine unregelmässig ovale Gestalt. Ein Querschnitt zeigt (Fig. 8), 
dass es ein sagittal comprimirtes Gebilde ist, dessen Seitenränder etwas 
nach vorne geneigt sind. Der hinteren concaven Wand liegt der Trichter- 
fortsatz (1) an, vom Säckchen durch spindelförmige Zellen getrennt. Vor 
den vorwärts gekrümmten Rändern liegen die Querschnitte der beiden inneren 
Carotiden (ec, c,). 

Wie die Abbildungen zeigen, beginnt in diesem Stadium die Ab- 
schnürung der unten offen gewesenen Tasche zu einem Säckchen. Der 
obere Theil der Tasche erhält sich unverändert, der untere wird zu 
einem drüsengangähnlichen Ausführungsgang. Welche Einflüsse diesen 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd 11, 28 


410 Vietor v. Mihalkovies 


Prozess bewirken, warum sich der obere Theil als Tasche erhält, 
während der untere zu Grunde geht, darüber führt W. Müller in 
seiner öfters eitirten Abhandlung als Hauptgrund den Druck einer 
starken Arterie gegen die hintere Wand des Säckchens an, die in 
diesem Stadium beide inneren Carotiden verbindet, später aber atro- 
phirt. Die sich ansammelnde Adventitia dieses Gefässes soll auf die 
hintere Wand einen derartigen Druck ausüben, dass in Folge dessen 
das Säckchen zu einem Gang comprimirt wird. 

Die Angaben W. Müller’s beziehen sich auf Hühnerembryonen. 
Bei solchen fand ich diesen Communicationsast ebenfalls constant 
(Fig. 9 c2), aber nicht bei Kaninchenembryonen. Auch W. Müller 
erwähnt ihrer nicht bei Säugethierembryonen, von denen er in den 
frühesten Stadien überhaupt keine Abbildungen gibt. Der jüngste 
Schweinsembryo, den er abbildet ist 15 Mm. lang !), daran ist aber 
von der besprochenen Arterie keine Spur vorhanden. Ich fand nicht 
einmal bei entsprechend jüngeren Kaninchenembryonen ein ähnliches 
Gefäss, so dass der Grund der Abschnürung wohl aus anderen Ver- 
hältnissen abgeleitet werden muss. 

Ich glaube diesen Vorgang allein mit der stärkeren Entwick- 
lung des Spheno-ethmoidaltheils des Schädels in Zusammenhang 
bringen zu können. Der obere Theil des Säckchens bleibt immer 
in unmittelbarer Nähe des Trichters. Wenn mit der stärkeren Aus- 
bildung des Spheno-ethmoidaltheils das Bindegewebe unter der 
Zwischenhirnbasis sich anhäuft, muss sich der untere Theil des 
Säckchens entsprechend der Verdickung verlängern, er zieht sich 
zu einem dünnen Gange aus. Dieser dünne Gang erhält sich noch 
verhältnissmässig lange, und geht erst dann zu Grunde, wenn von 
Seiten der sich vereinenden beiden Keilbeinknorpeln ein stärkerer 
Druck auf sie ausgeübt wird. 

Der beschriebene Entwicklungsmodus beweist, dass das Hypo- 
physensäckchen seine ursprüngliche Lage an der Zwischenhirnbasis 
von jeher bewahrt, folglich stets über der Anlage der Schädelbasis 
gelegen ist. Es liegt gleich bei der ersten Anlage der Schädelbasis 
über dem Bindegewebe der werdenden Keilbeine H. Rathke be- 
schrieb den Vorgang der Säckehenbildung als eine Wucherung des 
Schlundepithels durch die Schädelbasis zum Zwischenhirn hinauf; 
die hinaufgewucherte Tasche soll dann abgeschnürt werden. Ganz 


1) ©. c. Taf. I. Fig. 6. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 411 


richtig bemerkt W. Müller, dass der Vorgang nicht auf einer 
derartigen Wucherung beruht, sondern mit einem Verbleiben des 
Vorderdarmendes (nach ihm, nach uns des Epiblast’s im Hypophysen- 
winkel) an Ort und Stelle (unter der Zwischenhirnbasis) in Zusam- 
menhang zu bringen ist. 


10. Veränderungen der Wirbelsaite während der Abschnürung 
des Hypophysensäckchens. Chordascheide. 


In den bisher Auseinandergesetzten wurde erwähnt, dass die 
Wirbelsaite nach der Ausbildung der Kopfbeuge im Spheno-oeccipi- 
taltheil des Schädels liegend, das blinde Ende des Vorderdarms 
bogenförmig umkreist und am Hypophysenwinkel unmittelbar das 
Hornblatt berührend aufhört (Fig. 5). Das Ende liegt jedoch dem 
Hornblatte nur an, ein unmittelbarer Uebergang zwischen den Zellen 
beider Gebilde findet nicht statt. Dieses Anliegen des Endes erhält 
sich auch noch während der Umbildung des Hypophysenwinkels zur 
Hypophysentasche (Fig. 5). Sobald an letzterem sich die zwei 
Wände aneinandergelegt haben, wächst zwischen Chordaende und 
Säckchenepithel embryonales Bindegewebe und löst den Zusammen- 
hang zwischen beiden (Fig. 8); die Chorda besteht in diesen Stadien 
aus eng aneinandergelagerten protoplasmareichen vieleckigen kern- 
haltigen Zellen, und liegt im embryonalen Bindegewebe der Schädel- 
basis eingebettet. Eine Scheide ist noch nicht da. 

Während die Abschnürung des Hypophysensäckchens im Gange 
ist, erleidet die Chorda zwei Veränderungen. Erstens geht ihr 
vorderes, hakenförmig gekrümmtes Ende eine S-artige Biegung ein, 
zweitens bildet sich an ihr eine glashelle Scheide aus. Diese zwei 
Veränderungen sollen uns jetzt beschäftigen. 

Die hakenförmige Krümmung des Chordaendes erhält sich so 
lange, bis sich die Kopfbeuge auszugleichen beginnt, was zeitlich 
mit der Abschnürung des Hypophysensäckchens zusammenfällt. Wenn 
diess geschieht, hebt sich der vor dem mittleren Schädelbalken lie- 
gende Theil des Kopfes, womit sich auch der vorderste Theil der 
Chorda nach aufwärts krümmt (Fig. 7), so dass jetzt das vordere 
Chordaende eine S-artige Biegung beschreibt. Die Queraxe, um 
die sich der Kopf nach aufwärts bewegt, schneidet die Mitte der 
S-artigen Biegung. 

Bei Vögeln (Fig. 5) liegt das Ende der Chorda der oberen 


412 Vietor v. Mihalkovics: 


blinden Bucht der Hypophysentasche an, während sie bei Kanin- 
chenembryonen weiter unten endet (Fig. 6). Wenn sich jetzt der 
mittlere Schädelbalken verdickt, so wird beim Huhn das Ende der 
Chorda zu einer langen feinen Spitze ausgezogen, das alsbald atro- 
phirt. Dasselbe geschieht bei Säugethieren, nur ist die plötzlich 
sich verdünnende Chordaspitze so kurz, dass sie sich der Aufmerk- 
samkeit leicht entzieht. 

Fig. 9 zeigt den Längsschnitt von der Schädelbasis eines 5!/, Tage 
bebrüteten Hühnchens. Im Spheno-oceipitaltheil (0) des Schädels steigt 
die 0,1 Mm. starke Wirbelsaite (ch) mit starken Biegungen zum mittleren 
Schädelbalken (k) nach aufwärts, biegt sich dann hakenförmig hinunter, und 
zieht sich zu einer 0,18 Mm. langen feinen Spitze aus, die bis zum Epithel 
des Hypophysensäckchens (h) verfolgt werden kann. Die Spitze der Chorda 
liegt im Bindegewebe des mittleren Schädelbalkens und besteht aus schüpp- 
chenartigen platten Zellen. Die übrigen Chordazellen sind vergrössert, ihr 
Inhalt etwas aufgehellt, noch immer kernhaltig. 

Hinsichtlich der Chordascheide der höheren Wirbelthiere 
sind in jüngster Zeit zwei Ansichten publieirt worden, die eine von 
Dursy, die andere von W. Müller. Die verschiedenen Chorda- 
scheiden der niederen Wirbelthiere, der Selachier und Knochenfische, 
übergehe ich ganz, weil ich darüber keine Erfahrungen besitze. 

Nach Dursy existirt bei Säugethieren und Vögeln keine 
eigentliche Chordascheide, sondern der helle Saum, der die Chorda 
umgibt, rührt von einem mit Flüssigkeit gefüllten Kanal her, der von 
dem Chordastrang nicht ganz ausgefüllt ist. Die umgebende hyaline 
Knorpelsubstanz bildet die Wand des Kanals. Diese Flüssigkeit 
wird von den Chordazellen selbst abgesondert. Die abgesonderte 
Flüssigkeit sammelt sich anfangs zwischen den einzelnen Zellen an, 
plattet sie zu einem Zellnetzwerk ab, bricht dann einzelne davon 
durch und sammelt sich um den Chordastrang herum an. Dursy 
will sich hiervon an feinen Durchschnitten überzeugt haben, an 
welchen der Chordastrang aus dem Kanal sehr leicht herausfällt. 
Dickere Durchschnitte können keine Aufklärung geben, weil an 
ihnen die abgeplatteten Chordazellen für feingranulirte Interzellu- 
larsubstanz gehalten werden, oder als Wände der vergrösserten 
Chordazellen imponiren. Uebrigens scheint Dursy selbst aus dieser 
Erklärung nicht alle Erscheinungen der Chordascheide ableiten zu 
können, denn er sagt: die Flüssigkeit besässe doch eine gewisse 
Consistenz oder klebrige Beschaffenheit, sonst müsste die Chorda aus 
dem Kanale an allen Schnitten herausfallen oder sich excentrisch 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 413 


lagern !). An einer andern Stelle ?) erklärt er eine etwaige Chorda- 
scheide bedingt durch eine theilweise Aufhellung der centralen Zellen, 
während die peripheren ihr granulirtes Aussehen bewahren ; letztere 
ahmen dann eine Chordascheide nach. 

W. Müller hält die Angaben Dursy’s für unrichtig. Nie 
bildet sich eine Flüssigkeit zwischen den Chordazellen. Die Chorda- 
scheide ist eine doppeltbrechende feste Hülle, eine Outicularbildung, 
die von den peripheren Zellen abgesondert wird, darum nennt er 
sie Cutieula chordae. Bei niederen Thieren ist sie von radiären 
Porenkanälchen durchzogen. 

Auch ich halte die Theorie Dursy’s für falsch, denn ich sehe 
die Chordascheide schon früher gebildet, bevor eine die Flüssigkeit 
abgrenzende Wand vorhanden ist. Vögel sind zur Bestimmung 
dieser Frage nicht zu verwenden, weil sich die Chordascheide ver- 
hältnissmässig spät entwickelt und immer dünn bleibt. Desto ge- 
eigneter sind dazu Kaninchenembryonen. Bei diesen bildet sich die 
Chordascheide in einem Stadium, wo die Schädelbasis noch ganz 
häutig ohne alle Knorpelbildung dasteht (Kaninchenembryonen von 
12—-14 Mm. Länge). Sie zeigt sich dann als glasheller Saum um 
den Chordastrang (Fig. 6), der nach aussen zu scharfe Ränder be- 
sitzt. Die Scheide liegt unmittelbar im embryonalen Bindegewebe, 
wo sollte da eine, die ansammelnde Flüssigkeit abgrenzende Wand 
vorhanden sein! — Dursy bezeichnet als solchen die Intercellular- 
substanz des Knorpels. Diese ist aber noch gar nicht ausgebildet, 
so dass seine Ansicht schon aus diesem Grunde unhaltbar ist. Dass 
man an Schnitten nach dem Herausfallen der Chorda keine doppelten 
Contouren am zurückgebliebenen Kanal findet, beweist nur, dass 
die Chordascheide mit dem umliegenden Bindegewebe nicht sehr 
fest verbunden und sammt dem Chordastrang herausgefallen ist. 

Welcher Natur ist nun die Chordascheide? Ist sie wirklich 
eine Cutieularbildung, wie es W. Müller angibt, die von den peri- 
pheren protoplasmareichen Chordazellen, der sogenannten epithel- 
artigen Lage nach Gegenbaur, abgesondert wird? 

Sollte sich meine Vermuthung bestätigen, dass die Chorda epi- 
thelialer Herkunft ist, dann würde diess ganz gut mit der cuticu- 
laren Natur der abgesonderten Scheide stimmen. Doch glaube ich 


1) O0. ent: 
2) 0. c. p. 21. 


414 Vietor v. Mihalkovics: 


von dieser Ansicht abgehen zu müssen, weil ich die Chordascheide 
für eine ähnliche Bildung betrachte, wie die Linsenkapsel. Von 
letzterer hat J. Arnold bewiesen !), dass sie keine Cuticularbildung 
sei, sondern aus einer eigenthümlichen Umwandlung des umgebenden 
dichten Bindegewebes entstehe, indem die Zellen sich aufhellen und 
miteinander verschmelzen. Aehnliches glaube ich bei der Chorda 
gefunden zu haben. Bevor noch eine Scheide da ist, lagern sich 
die Bindegewebszellen an die Peripherie der Chorda und platten 
sich ab. Besonders bei Lachsembryonen (Salmo salar) vom 20.— 
30. Entwicklungstage sieht man an sehr feinen Schnitten schön um 
die periphere epithelartige Lage der Chordazellen die platten Binde- 
gewebszellen sich anlagern und zur Chordascheide werden. Aehn- 
liches sah ich bei Kaninchenembryonen auch noch später, während 
sich die Scheide verdickt. Ich glaube also, dass die Chordascheide 
auch eine Bindegewebsbildung ist, wie die Linsenkapsel, entstanden 
durch Aufhellung, Abplattung und Verschmelzung der Bindegewebs- 
zellen. Die Chordascheide ist glashell, so dass man bei Säugern 
nach ihrer Ausbildung gar keine Kerne oder zellenartigen Gebilde 
in ihr sieht. 

Nachdem die Chordascheide ausgebildet ist, verdickt sie sich 
fortwährend und erhält sich auch in der knorpligen Schädelbasis, 
wovon ich später sprechen werde. 


11. Umwandlung des Hypophysensäckehens in Drüsenschläuche. 


Wir haben bisher bei der Bildung der Hypophyse zwei Stadien 
unterscheiden können. Die erste bestand in der Umbildung des 
Hornblattes zur Hypophysentasche, die zweite in der Abschnürung 
dieser Tasche zu einem Säckchen. Nun folgt das dritte Stadium, 
(das Auswachsen des Taschenepithels zu drüsenartigen Schläuchen. 
Das Wesen dieses Vorganges ist bei Säugern und Vögeln dasselbe, 
aber die Formveränderungen sind bei Säugethieren etwas compli- 
eirter. In W. Müller’s Abhandlung beziehen sich die Abbildungen 
meist auf Vögel ?), ich gebe mehr Zeichnungen von Säugethieren, 


1) Handbuch der gesammten Augenheilkunde, v. Graefe und Sae- 
misch 1874. Artikel »Linse« von J. Arnold. 

2) Von Säugern sind nur 2 Abbildungen gegeben: auf Taf. 1. 
Fig. 6 (18 Mm. langer Schweinsembryo) und auf derselben Taf. I. Fig. 7 
(von einem 4 Ütr. langen Schaafembryo). 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 415 


und erwähne von Vögeln nur soviel, als zum Verständniss des 
Unterschiedes zwischen Säugern und Vögeln nothwendig ist. 


Bei Hühnerembryonen erhält sich die Form der Hypophysentasche 
bis zum 5. Tage der Bebrütung unverändert, sie communicirt bis dahin, 
unten trichterartig ‚erweitert, mit dem Vorderdarm. Nun verdickt 
sich an beiden Wänden das Epithel und wächst in kleinen zapfen- 
artigen Vorsprüngen gegen das umgebende Bindegewebe vor. 


Diese Veränderungen zeigt Fig. 9 von einem 5'/, Tage bebrüteten 
Hühnchen. Die Länge des Hypophysensäckchens (h) beträgt 0,45 Mm., 
ihre Weite im obern Theil 0,05 Mm., das Epithellager der Wand 0,02 Mm. 
Letzteres steht gegen das Bindegewebe in kleinen zapfenartigen Erhebungen 
vor. Zu ihrer hinteren Wand zieht oben durch das embryonale Bindegewebe 
die fein ausgezogene Chordaspitze. Weiter unten liegt der quere Verbin- 
bindungsast zwischen beiden Carotiden (c,). Hinter der Mündung der Hy- 
pophysentasche hat sich das ursprüngliche Ende des Kopfdarms als eine 
kleine Grube (f,) erhalten. 

Die kleinen zapfenartigen Erhebungen wachsen dann zu so- 
liden Schläuchen in das umgebende Bindegewebe hinein, welches in 
den Zwischenräumen der Schläuche sammt Gefässen zurückbleibt 
und zum gefässreichen Stroma der Drüse wird. 


Bei einem 8 Tage bebrüteten Hühnchen zeigt sich diess folgen- 
dermassen (Fig. 10): An der Schädelbasis sind Spheno-ethmoidal- (e) und Spheno- 
oeeipitalknorpel(o) schon ausgebildet und ihre Grenzen durch dichteres Anliegeu 
der umgebenden Bindegewebszellen als Perichondrium scharf markirt. Die Scheide 
der Basilararterie (b) und der mittlere Schädelbalken (k) bestehen aus locker ge- 
fügten spindelartigen Zellen. Im Spheno-oceipitalknorpel zieht die 0,07 Mm. 
dicke Wirbelsaite (ch) in einem flachen Bogen nach aufwärts, berührt oben 
das Perichondrium, bettet sich wieder in den Knorpel ein und endet an der 
hinteren Fläche der werdenden Sattellehne, unmittelbar am Perichondrium. 
Von einer fein ausgezogenen Spitze im Bindegewebe wie früher, ist nichts 
mehr zu sehen. Die beiden Keilbeinknorpel stehen 0,3 Mm. weit von ein- 
ander entfernt und fassen den comprimirten Gang der Hypophyse (g) und 
dahinter den Querast der Carotiden (c,) zwischen sich. Die untere Fläche 
der Schädelbasis wird vom cylindrischen Epithel des Munddarms bedeckt. 
Oben ragt der kleine conische Trichterfortsatz (i) hinter dem obern Ende 
der Hypophyse herunter, von diesem durch lockeres Bindegewebe getrennt. 
— Die Hypophyse (h) bildet einen unregelmässig viereckigen Körper, dessen 
Längsaxe schief nach oben und rückwärts gerichtet ist. Die ursprüngliche 
Höhle und Wand des Hypophysensäckchens hat sich noch erhalten, erstere 
ist aber verkleinert und von letzterer ragen in das umgebende Bindegewebe 
bis 0,15 Mm. lange, 0,02 Mm. dicke solide Schläuche hinein, die aus ähn- 
lichen kubischen und unregelmässig vieleckigen kernhaltigen Zellen bestehen, 


416 Vietor v. Mihalkovics: 


wie die Wand des Säckchens; um die Höhle des Säckchens ist das Epithel 
eylindrisch. Das Bindegewebe um die Hypophyse ist gefässreich und ragt 
überall zwischen die Schläuche hinein. Der Hypophysenengang (g) ist 0,55 Mm. 
lang, 0,03 Mm. breit, besteht aus niederen kubischen Epithelien und besitzt 
ein deutlich sichtbares centrales Lumen. Unten steht es in Verbindung mit 
dem Epithel des Munddarms. 

Diese zwei Abbildungen zeigen, dass sich die Fortsätze aus 
der Wand des Hypophysensäckchens durch Auswachsen des Epi- 
thels zu soliden Schläuchen entwickeln. Die Ursache der Schlauch- 
bildung sucht W. Müller vom umgebenden gefässreichen Binde- 
gewebe abzuleiten. In diesem liegen viele kleine Aeste der nahe- 
liegenden inneren Carotiden, welche sich sammt ihrer Adventitia an 
die Wand des Hypophysensäckchens anlegen, so dass dessen Epithel 
während der Vermehrung nothwendig in kleinen zapfenartigen Er- 
hebungen auswachsen muss. Die Zapfen verlängern sich dann zu 
soliden Schläuchen und nehmen das gefässreiche Bindegewebe in 
ihren Zwischenräumen auf. Gleichzeitig mit diesem Vorgang ver- 
engt sich das ursprüngliche Lumen des Hypophysensäckchens, bis 
sich nur Reste desselben erhalten. 


Ich verlasse jetzt die Bildung der Hypophyse bei Vögeln, weil 
mit ihr keine wesentliche Veränderung mehr vor sich geht. Die 
beiden Keilbeinknorpel vereinigen sich, der Gang atrophirt, die 
Drüsenschläuche verlängern sich und damit ist der Prozess beendet. 
Etwas verwickelter ist der Vorgang bei Säugethieren. 


Die letzte Abbildung, die ich von einem 16 Mm. langen Ka- 
ninchenembryo gab (Fig. 7), zeigte, dass die Längsaxe des Hypo- 
physensäckchens in einem stumpfen Winkel nach unten und vorn 
geknickt war. Die nächste Veränderung ist nun die, dass das Epi- 
thel am unteren Theile des Säckchens an der Stelle, wo es sich 
mit dem Gang verbindet, zu einem soliden Fortsatz nach vorn und 
oben auswächst. 

Fig. 11 zeigt diesen Fortsatz von einem 2Ctr. langen Kaninchen- 
embryo. Die Gesichtskopfbeuge ist ihrer Ausgleichung nahe, Spheno-ocei- 
pital- und Spheno-ethmoidaltheil bilden miteinander einen, gegen früher sehr 
stumpfen Winkel. Der Trichterfortsatz (i) ist 0,22 Mm. lang, 0,07 Mm. breit, 
besitzt im Innern einen schmalen centralen Gang, besteht innen aus cylin- 
drischen, diesen anliegend aus rundlichen Zellen; die äusserste Schicht bildet 
eine homogene feingranulirte Masse, in die vom umgebenden Bindegewebe 
Gefässe hineinziehen. Die Scheide der a. basilaris (b) ist 0,04 M. dick, der 
mittlere Schädelbalken (k) bedeutend verdünnt, in gänzlichem Uebergang zur 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 417 


Adventitia der Basilararterie begriffen. An der Schädelbasis sind Spheno- 
oceipital- (0) und Spheno-ethmoidalknorpel (e) deutlich zu erkennen, ihre 
Peripherie durch das anliegende Perichondrium vom umgebenden Bindege- 
webe scharf getrennt. Am hinteren Keilbeinknorpel erhebt sich ein zungen- 
artiger Fortsatz als werdende Sattellehne (d,) nach aufwärts. Die beiden 
Knorpel haben sich einander so sehr genähert, dass nur eine 0,02 Mm. schmale 
Spalte zwischen ihnen geblieben ist, in der der 0,015 Mm. dünne Hypophy- 
sengang (g) gegen den Schlund zieht. Die Wirbelsaite (ch) liegt im untersten 
Theil des Spheno-oceipitalknorpels, das Perichondrium unmittelbar berührend, 
verlässt dann das Perichondrium, bettet sich in den Knorpel ganz ein und 
endet nach zwei schwachen bogenförmigen Biegungen am Grunde der Sattel- 
grube scharf abgerundet, und das Perichondrium berührend. Sie besteht 
aus einem von 4—5 uw grossen protoplasmareichen Zellen gebildeten 
Strange, und einer 2—3 u dicken glashellen Scheide; letztere begleitet 
den Strang bis zum Perichondrium und ragt in dieses hinein. Die Hypo- 
physe (h) ist einem Halbmond nicht unähnlich und besteht aus einem dickeren 
mittlern Theil und zwei flügelartigen Fortsätzen. Im Körper und im hintern 
Theil hat sich die Höhle des gewesenen Hypophysensäckchens erhalten, der 
vordere nach aufwärts gekrümmte Fortsatz (p,) ist solid. Unmittelbar um 
das scharf contourirte Lumen liegen einige Lagen cylindrischer Epithelien, 
dann folgen rundliche und vieleckige Zellen, die gegen das Bindegewebe 
ebenfalls mit einem scharfen Saum aufhören. Aus ähnlichen Zellen besteht 
der Fortsatz (p,). Entsprechend der Stelle, wo das vorwärts geneigte Lumen 
des Säckchens aufhört, beginnt der 0,01 Mm. dünne Hypophysengang (g) und 
zieht in der schmalen Spalte zwischen beiden Keilbeinknorpeln in schwachen 
Biegungen nach abwärts, wo er mit dem Epithel der Rachenhöhle in Ver- 
bindung steht. Ein centrales Lumen ist nicht mehr zu sehen. — Die nächste 
Umgebung um die Hypophyse bildet ein dichtes gefässreiches Bindegewebe: 
besonders in jener Aushöhlung sind viele Querschnitte grosser Gefässe vor- 
handen, die zwischen beiden Seitenflügeln des gebogenen Gebildes liegt. 


Um zu sehen, was mit dem nach vorwärts gekrümmten Fort- 
satz der Hypophysenanlage geschieht, müssen wir einige ältere Em- 
bryonen beschreiben; die Vergleichung mit den jüngeren wird dann 
den ganzen Prozess klar machen.’ 


Bei einem Kaninchenembryo von 3 Ctr. Länge (Fig. 12) sieht 
man an einem medianen Längsschnitt der Schädelbasis folgendes: Die Scheide 
der Basilararterie (b) ist sehr schwach, der mittlere Schädelbalken (k) auf 
einen verhältnissmässig kleinen konischen Fortsatz reducirt. Beide bestehen 
aus spindelartigen Zellen und feinen Bindegewebsfibrillen. Der Trichterfort- 
satz (i) ist 0,25 Mm. lang, 0,08 Mm. breit, nach unten zu etwas kolbig er- 
weitert, im Innern mit einem schmalen centralen Lumen versehen. Hier 
liegen cylindrische Zellen, deren lange Ausläufer in die nächstfolgende Lage 
von rundlichen Zellen hineinragen. An der Peripherie folgt eine feingranu- 


418 Vietor v. Mihalkovies: 


lirte zellenlose Masse. Spheno-ethmoidal- (e) und Spheno-oceipitalknorpel (0) 
sind schon vereinigt, von der schmalen Spalte zwischen ihnen und dem 
Drüsenausführungsgang sieht man nichts mehr. Der vordere Keilbeinknorpel 
hat einen hügelartigen Aufsatz, so dass durch diesen und die knorplige Sattel- 
lehne die Sattelgrube gebildet wird. Die Wirbelsaite (ch) hat- ihren gleich- 
mässigen Durchmesser verloren, ist bei der S-artigen Biegung am Grunde 
der Sattellehne am dicksten (0,04 Mm.), und endet mit einer nach abwärts 
gekrümmten feinen Spitze 0.07 Mm. weit vom Periehondrium der Sattelgrube. 
Die Hypophyse (b) liegt in der flachen Sattelgrube, ihre Gestalt hat sich 
von jener im vorigen Stadium nicht viel verändert, nur der zungenförmige 
Fortsatz nach vorn ist etwas länger und anders geworden. Im hinteren 
Theil der Drüse ist die centrale Höhle noch ganz enthalten, davon geht nach 
vorn in den Fortsatz eine kleine Verlängerung hinein. Der zungenförmige 
Fortsatz (p,) ist in gänzlicher Umwandlung begriffen zu 0,015 Mm. dicken, 
soliden und gewundenen Drüsenschläuchen. Im Zwischengewebe liegen die 
Durchschnitte weiter Arterien. Eine ähnliche Umwandlung zeigt die vordere 
Wand der gewesenen Tasche, auch von dieser sprossen ähnliche Drüsen- 
schläuche vor. Durch diesen Vorgang ist die Mulde an der obern Fläche 
der Hypophyse kleiner als früher, und die Gefässe, die darin lagen, sind in 
die Zwischensubstanz der Drüsenschläuche hineingezogen. Unverändert im 
Vergleich zum vorigen Stadium ist also nur die hintere Wand der Tasche 
geblieben, die innen aus einigen Lagen cylindrischen, aussen aus rundlichen 
Zellen besteht. Sie ist von der vorderen Wand des Trichterfortsatzes (i) 
durch zwischenliegendes Bindegewebe getrennt. Am Grunde der Sattelgrube 
liegt ein reiches Venengeflecht. 

Durch Vergleichung dieser Figur mit Fig. 11 ergibt sich der 
Entwicklungsmodus bei Säugethierembryonen und durch Vergleichung 
mit Fig. 10 das Abweichende von Vögelembryonen. Wir sahen, 
dass beim Vogel (Fig. 10) die Bildung der Drüsenschläuche von 
beiden Wänden des in Abschnürung begriffenen Hypophysensäck- 
chens ausgeht, und dadurch bewirkt wird, dass Aeste der inneren 
Carotiden gegen das Epithel Schlingen treiben, welch letzteres dann 
zu schlauchartigen Bildungen auszuwachsen genöthigt ist. Bei Säuge- 
thierembryonen bilden sich die Drüsenschläuche ebenfalls aus dem 
Epithel des Hypophysensäckchens, jedoch nur an gewissen Stellen, 
und diesem Vorgang geht eine Aufwärtsbeugung des unteren Theiles 
und Auswachsen zu einem soliden Zapfen (Fig. 11 pı) voran. Erst 
wenn diess geschehen ist, bildet sich der Fortsatz und die vordere Wand 
des Säckchens zu drüsenartigen Schläuchen um (Fig. 12 pı). Dabei 
sind Aeste der inneren Carotiden betheiligt, besonders jene, die in 
der Mulde der halbmondförmig gebogenen Hypophyse ein starkes 
Geflecht bilden. Indem das Epithel sich vermehrt, wächst es 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 419 


zwischen die Gefässschlingen in Form drüsenschlauchartiger Gebilde 
hinein und nimmt die Gefässe sammt Adventitia in ihr Inneres auf. 

Die letzte Veränderung besteht in der Ausfüllung der oberen 
Delle durch Drüsenschläuche und in der Abschnürung der Schläuche 
zu isolirten Gebilden. 

Wenn diess geschehen ist, sieht die Hypophyse so aus, wie es Fig. 13 
von einem 4 Cm. langen Kaninchenembryo zeigt. An der Schädel- 
basis ist der Verknöcherungsprozess an den betreffenden Stellen der Keil- 
beine und Hinterhauptsbeine bereits im Gange, nur die mittlere Gegend 
(Gegend der Sattellehne) ist noch knorpelig. In letzterer liegt die bedeutend 
veränderte Chorda (s. davon später). Mittlerer Schädelbalken (k) und a. 
basilaris sind wie früher, ersterer bildet einen mit breiter Basis auf dem 
Trichter aufsitzenden bindegewebigen Fortsatz. Die Hypophyse (h) liegt in 
der Sattelgrube, einen horizontal liegenden, nach unten convexen Körper 
bildend, dessen vorderes Ende zu einem kleinen, gegen das Chiasma gerich- 
teten Fortsatz (p,) ausgezogen ist. Sie besteht aus gewundenen, 0,018 — 
0,03 Mm. weiten und verschieden langen Schläuchen, die aussen von einer 
feinen Drüsenm@nbran umgeben sind, im Innern polygonale und rundliche 
4—5 u grosse kernhaltige Zellen zeigen. Oft sind die Zellen radienförmig 
angeordnet, doch berühren sie sich meist so sehr, dass ein schmaler centraler 
Gang kaum zu erkennen ist. Zwischen den Drüsenschläuchen liegt spär- 
liches Bindegewebe und äusserst zahlreiche Gefässe, die jeden Schlauch um- 
spinnen. In dem kleinen Fortsatz nach vorn (p,) sind die Drüsenschläuche 
mehr regelmässig und parallel angeordnet. Im hinteren, dem Infundibulum 
(i) anliegenden Theil der Drüse hat sich die ursprüngliche Höhle noch er- 
halten und bildet eine schräg nach rückwärts ziehende, 0,03 Mm. weite 
Spalte, von der nach unten eine schmale Nebenspalte zwischen die Drüsen- 
schläuche hineinzieht. Offenbar ist diess der Rest der nach vorn geneigt 
gewesenen Höhle (vergl. Fig. 11). Die hintere Wand der früheren Hypo- 
physentasche hat ihr radiär gestreiftes Aussehen noch behalten und besteht 
aus cylindrischen und runden Zellen, — ähnlich sind die Zellen der vorderen 
Wand, nur bilden sie eine dünnere Lage. Die hintere, nach oben gekehrte 
Wand der Hypophyse liegt dem Trichterfortsatz (i) an, von diesem durch 
spärliches Bindegewebe getrennt. Der Trichterfortsatz erstreckt sich bis zur 
vorderen Wand der Sattellehne, ist nach unten keulenförmig verdickt, solid 
und enthält nur im untersten Theile einige kleine Höhlen. Der Trichter be- 
steht aus spindelartigen Zellzügen und Fibrillen, die sich in vieler Richtung 
durchkreuzen, — dazwischen aus rundlichen Zellen. 

Die Mulde der früher halbmondförmig gekrümmten Hypophyse 
ist also mit Drüsenschläuchen ganz ausgefüllt, die Hypophyse bildet 
einen soliden Körper, an dem nach vorn gegen das Chiasma ein 
kleiner konischer Fortsatz zieht. Die. hintere Fläche des Drüsen- 
körpers ist concav und umgibt halbmondförmig den Trichterfortsatz. 


420 Victor v. Mihalkovics: 


Nur im hintern Theil der Drüse haben sich Reste der ursprüng- 
lichen Höhle erhalten. ‘Der grösste Theil der Drüsenschläuche ist 
von seiner Ursprungsstätte abgeschnürt, bildet gewundene, nur mit 
einem schmalen centralen Gang versehene Epithelschläuche, um- 
geben von einer zarten membrana propria. Die Abschnürung der 
Drüsenschläuche wird durch das gefässreiche Bindegewebe bewirkt, 
indem es den Zusammenhang der auswachsenden Schläuche mit der 
Ursprungsstätte trennt, wenn erstere eine gewisse Länge erreicht 
haben. Die Arterien erhält dann die Drüse von naheliegenden 
kleinen Aesten der inneren Carotiden, die zumeist in den zungen- 
förmigen Fortsatz eintreten, die Venen münden in das Geflecht am 
Boden der Sattelgrube. 


12. Der Trichterfortsatz. 


Es erübrigt noch Einiges über den hintern Lappen der Hypo- 
physe, den sog. Trichterfortsatz (processus infundibuli cerebri) an- 
zuführen. 

Die erste Bildung des Trichterfortsatzes beim Kaninchenem- 
bryo wurde schon beschrieben und erwähnt, dass dieser zuerst eine 
eingeknickte Stelle der Zwischenhirnbasis sei (Fig. 4), eingekeilt 
zwischen Hypophysentasche und mittleren Schädelbalken. Diese 
eingeknickte Stelle bleibt dann im Wachsthum im Verhältniss zur 
Zwischenhirnbasis zurück und bildet eine Zeit lang einen kleinen 
conischen Fortsatz über dem blinden Ende des Hypophysensäckchens 
(Fig. 5, 6 u. 9), von diesem durch spärliches gefässhaltiges Binde- 
gewebe getrennt. Sie besteht aus ähnlichen runden kernhaltigen 
Zellen, wie das centrale Nervensystem in den ersten Stadien über- 
haupt. Wenn sich dann der Fortsatz verlängert, rückt er an der 
hintern Wand des Säckchens herunter und drückt diese eine Strecke 
weit ein (Fig. 7). Der Fortsatz besitzt jetzt noch immer einen 
schmalen centralen Gang, um den sich die Cylinderzellen radiär ge- 
stellt haben, während die äusseren rund geblieben sind. An diese 
Schichten legt sich während der nächstfolgenden Verlängerung des 
Trichterfortsatzes aussen eine feingranulirte homogene Masse an, in 
der gar keine Kerne oder zellenähnliche Bildungen zu sehen sind, 
in das aber vom umgebenden Pialgewebe viele kleine Gefässe 
hineinziehen. Gleichzeitig beginnt der Fortsatz seine conische Ge- 
stalt aufzugeben, er verdickt sich unten keulenförmig (Fig. 12 u. 13). 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 421 


Der centrale Hohlgang obliterirt durch Verwachsen der Wände, 
nur unten erhalten sich Reste derselben, bedeckt von Cylinderepi- 
thelien (Fig. 13). Mit dem Einwachsen von Blutgefässen aus dem 
angrenzenden Pialgewebe häufen sich in der Substanz des Fort- 
satzes spindelartige Zellen mehr und mehr an, und ordnen sich in 
Bündel. Durch diese Wucherung des adventitiellen Gefässgewebes 
sehen die ursprünglichen rundlichen Zellen des Öentralnervensystems 
mehr „und mehr zu Grunde, und erhalten sich nur in einzelnen 
Nestern haufenweise. 

Ich leite also mit W. Müller die Umwandlung des Trichter- 
fortsatzes zu einem bindegewebigen Anhang des Centralnervensystems 
als bedingt von der Wucherung des adventitiellen Gefässgewebes 
her. W. Müller vergleicht die bündelartige Anordnung dieser 
Zellen mit dem Bau von Spindelzellensarkomen. So lange im Trichter- 
fortsatz keine Gefässe zu sehen sind, behält er die ursprüngliche 
Structur des Centralnervensystems bei, sobald diese hineinwuchern, 
wandelt er sich langsam zu einem bindegewebigen Anhang des Üen- 
tralnervensystems um. 

So zeigen sich die Verhältnisse des Trichterfortsatzes bei Säuge- 
thieren. Bei Vögeln dagegen ist die Wucherung des Bindegewebes 
keine so bedeutende, wie bei Säugern, und es erhalten sich die ur- 
sprünglichen rundlichen Bildungszellen des Gentralnervensystems in 
langen Zügen. Dadurch sieht der Trichterfortsatz eigenthümlich, 
wie aus gewundenen Gebilden zusammengesetzt aus. 

Der Trichter des Vogels hat also seine embryonale Structur 
mehr bewahrt, als jener der Säugethiere. Je tiefer wir in der 
Wirbelthierklasse heruntersteigen, um so mehr findet diess statt. 
Bei Fisehen soll der Trichter ein unverkennbarer Hirntheil sein. 


13. Die letzten Veränderungen der Wirbelsaite 
in der Schädelbasis. 


Wir verliessen die Wirbelsaite dort, wo sie als ein aus proto- 
plasmareichen polygonalen kernhaltigen Zellen gebildeter Strang in 
der häutigen Schädelbasis eingebettet an der hintern Wand der 
Hypophysentasche abgerundet aufhörte (Fig. 6). Sie war begleitet 
von der sehr schmalen hellen Chordascheide. Dort erwähnte ich 
auch die Gründe, warum die Chordascheide als eine feste Hülle, 


4923 Vietor v. Michalkovices: 


und nicht als ein mit Flüssigkeit gefüllter Kanal wie es Dursy 
will, aufgefasst werden muss. f 

Wenn sich nachher das umgebende embryonale Bindegewebe 
durch Ansammlung einer hellen Intercellularsubstanz zu Knorpel 
umzubilden anfängt, legt sich letzterer um die Chorda bei Kanin- 
chenembryonen derartig an, dass die untere Chordafläche mit dem 
Perichondrium des linterhauptbeins in fortwährender Berührung 
bleibt und nur dessen obere und seitliche Fläche in den Knorpel 
eingebettet wird (Fig. 11). Der vordere Theil der Chorda erhebt 
sich aus dem Knorpel und endet nach zwei wellenartigen Biegungen 
nahe dem Perichondrium der Sattellehne. Jenseits des Perichon- 
driums der Sattellehne erstreckt sich die Chorda nach Atrophirung 
ihrer Spitze nie !). Die Chordazellen sind jetzt 4—5 u gross, polygonal, 
eng aneinander liegend, ohne alle Intercellularsubstanz. Die Scheide 
ist 2—3 gu dick, die nächsten Knorpelzellen liegen ihr flach an. 

Die Chorda hatte bisher überall einen gleich weiten Durch- 
messer. Jetzt beginnt sie sich an einzelnen Strecken zu verdicken, 
an andern zu verdünnen (Fig. 12), und zwar verdickt sie sich be- 
sonders an der ersten bogenförmigen Biegung, während das vor- 
derste Ende sich fein zuspitzt und unweit des Perichondriums in 
der Intercellularsubstanz des Knorpels unkenntlich verliert. Die 
Uhordazellen sind an den Stellen der Verdickungen vergrössert, ihr 
Inhait heller geworden, aber noch immer kernhaltig. 

Bei eintretender Verknöcherung schwillt die zweite S-artige 
Biegung der Chorda zu einer, in seltenen Ausnahmsfällen auch zu 
zwei quergestellten Scheiben an. An der Stelle der Scheiben musste 
also die Knorpelsubstanz weichen. Hätte Dursy hinsichtlich seines 
Chordakanales Recht, so liesse sich annehmen, dass der Chorda- 
strang zuerst den Kanal ausfüllt, — die Chordascheide verdickt 
sich aber an dieser Stelle im Verhältniss mit der Vergrösserung 


1) Dasselbe behauptet Dursy. Um so eigenthümlicher finde ich bei 
ihm eine Angabe (0. c. p. 35), wonach bei einem 2,2 Cm. langen Rindsem- 
bryo, wo die Schädelbasis schon knorplig war, und nur mehr ein schmaler 
Bindegewebsstrang beide Knorpel trennte, die Chorda bis dahin ein- 
drang und nach zwei korkzieherartigen Windungen zugespitzt unter dem 
vorderen Lappen der Hypophyse endete. »Er hatte sich also bereits von 
seinem Endkopf abgeschnürt, von welchem um diese Zeit nichts mehr zu 
sehen war«c. Ich fand, dass die Chorda sich nie bis zum Bindegewebsstreif 


zwischen beiden Knorpeln erstreckt (vel. Fig. 7 u. 11). 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 423 


der Scheiben, eine Erscheinung, die eben nicht zu Dursy’s Gunsten 
spricht. 

Fig. 13 zeigt den gewöhnlichen Fall mit einer Scheibe bei einem 
4 Cm. langen Kaninchenembryo. An der knorpeligen Schädelbasis 
hat die Knochenbildung an zwei Stellen begonnen: der vordere, an der Basis 
der Sattelgrube gelegene Kern bildet den Verknöcherungskern des hinteren 
Keilbeinkörpers (s,), der hintere jenen des Hinterhauptbeinkörpers (0). An 
der Peripherie beider sieht man die periostale Knochenablagerung. Zwischen 
beiden Kernen ist die Gegend der Sattellehne noch knorplig. Beim Ueber- 
gang gegen die Knochenkerne sind die Knorpelzellen reihenweise geordnet 
und werden immer grösser. Die Wirbelsaite ist im Verknöcherungskern des 
Hinterhauptbeins ganz unkenntlich, man erkennt sie erst dort, wo sie jen- 
seits der Verknöcherungsgrenze austritt. Hier hat die Chorda einen Durch- 
messer von 6 u, schlägt dann eine nach aufwärts gewendete Richtung ein 
und verdickt sich zu einer 0,075 Mm. breiten Scheibe. Dann verjüngt sie 
sich und bildet an der Basis der Sattellehne einen grossen, nach abwärts 
gewendeten Bogen. Der vordere Schenkel des Bogens verdünnt sich all- 
mählich und endet mit einer fadenförmigen Spitze in der Intercellularsub- 
stanz des Knorpels. Die Chordascheide ist 6—9 u dick und am stärksten 
(0,012 Mm.) um die scheibenförmige Verdiekung des Chordastranges. 

Fig. 14 zeigt einen Fall mit zwei knotenförmigen Verdickungen, von 
einem ähnlichen Embryo, wie vorhin. ch, entspricht der für gewöhnlich 
vorkommenden Soloscheibe, ch, ist die ausnahmsweise vorkommende Ver- 
diekung. Solche Fälle mit zwei Verdiekungen müssen aber sehr selten sein, 
denn ich fand unter vielen Präparaten nur diesen einzigen. 

Die Chordazellen sind jetzt der Scheibe entsprechend sehr 
vergrössert, ihr Inhalt hell homogen, die Kerne grösstentheils zu 
Grunde gegangen. An den dünneren Stellen sind die Zellen platt. 
Der Rand des Chordastranges ist nicht mehr so lineal gerade wie 
früher, sondern einzelne der Zellen stehen gegen die Chordascheide 
vor, so dass der Strang jetzt eine unebene gezackte Contour be- 
sitzt 1). 

Dabei ist zu bemerken, worauf Dursy aufmerksam gemacht 
hat, dass das Verhältniss der Chorda zum hinteren Keilbein ein 
anderes ist, als zum Hinterhauptsbein. Bei letzteren liegt die Chorda 
theilweise wenigstens im Verknöcherungskern und geht auch dort 


1) Auch Dursy kennt diese unebene Contour der Chorda, beschreibt 
sie aber höchst eigenthümlich. .»Die Chorda verliert ihre gleichmässige Be- 
grenzung, wird zerfetzt und zerbröckelt, macht jetzt den Eindruck 
eines in Rückbildung und Zertrümmerung befindlichen Gebildes« (O. ce. p. 25). 


424 Vietor v. Michalkovics: 


zu Grunde. Der Verknöcherungskern des hinteren Keilbe'ns liegt 
aber vom Chordaende weit weg, er nähert sich ihr erst später 19: 

Die Chordazellen vergrössern sich an den erweiterten Stellen, 
an den dünnen flachen sie sich zu platten Schuppen ab. An ersterer 
Stelle erhalten sie sich so lange, bis die Verknöcherung dahin fort- 
schreitet. An letzterer Stelle gehen sie sammt der umgebenden 
Scheide zu Grunde. Wie diess geschieht, lässt sich an noch so 
feinen Schnitten nicht erkennen. Dursy will sie auch in den Ver- 
knöcherungskernen der Wirbelkörper an feinen Längsschnitten eine 
Zeit lang erkannt haben, und folgert daraus, dass die Chorda nicht 
vor der Verknöcherung zu Grunde geht, wie es Gegenbaur für 
die Säuger behauptet hat. Im Epistropheus und Zahnfortsatz fand 
ich dasselbe, allein im Hinterhauptsbein konnte ich die Chorda bei 
Kaninchenembryonen im Knochenkern nicht erkennen. Gewiss ist, 
dass sich die Chordazellen nie mit den Knorpelzellen mischen, sie 
gehen im Knorpelgewebe einfach zu Grunde. Die Chordazellen 
waren also gleich. von Anfang an vom Bindegewebe getrennt und 
bleiben es auch bis zu Ende, was ich ebenfalls mit ihrer eigen- 
thümlichen, vielleicht epithelialen Natur in Zusammenhang bringe. 

Welche Bedeutung besitzen die scheibenförmigen Erweite- 
rungen hinter der Sattellehne? 

Wenn Eine vorhanden ist, so liegt diese gerade an der Stelle 
der späteren Synchondrosis spheno-oceipitalis. Schon H. Müller?) 
wusste, dass die Synchondrosis spheno-oceipitalis einer Zwischenwirbel- 
scheibe gleichwerthig ist. In beiden erhält sich die Wirbelsaite, 
nur geht sie in der Synchondrosis spheno-oceipitalis bei eintretender 
Verknöcherung zu Grunde, während sie sich in den Zwischenwirbel- 
scheiben erhält. 

Wie sich die ausnahmsweise vorkommenden zwei Verdickun- 
gen mit der Theorie der Zwischenwirbelscheiben vertragen, ob sie 
bloss einer oder zwei Zwischenwirbelscheiben entsprechen, weiss 


1) H. Müller meinte, dass die Chorda in den Verknöcherungskern des 
hinteren Keilbeinkörpers eintritt. Dursy machte auf den Irrthum aufmerk- 
sam. 0. c. p. 40. 

2) H. Müller: »Ueber das Vorkommen von Resten der Chorda dorsalis 
bei Menschen nach der Geburt und über ihr Verhältniss zu den Gallertge- 
schwülsten am Clivus« Zeitschrift f. rat. Medizin v. Henle u. Pfeufer, 
R. 3. Bd. II. 1858. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 425 


ich vorderhand nicht genauer anzugeben. Der Analogie nach zu 
schliessen, müsste das letztere angenommen werden. Das seltene 
Vorkommen derselben könnte dann als ein ee auf Ahnen 


angesehen werden. 

Eine ähnliche scheibenförmige Verdickung findet sich oberhalb der 
Spitze des Zahnfortsatzes. Fig. 13 zeigt auch den Längsschnitt der zwei 
ersten Halswirbel von einem 4 Ctr. langen Kaninchenembryo. Die 
Verknöcherungskerne des hintern Keilbeins und Hinterhauptbeins sind in 
Bildung begriffen. Der zweite Halswirbel besitzt zwei Verknöcherungskerne, 
den untern für den Körper (e,), den oberen für den Zahnfortsatz (d,). Vor 
dem Zahnfortsatz liegt der Durchschnitt des vorderen Atlasbogens (a,). Die 
Wirbelsaite durchzieht alle Verknöcherungskerne vom Körper des Epistro- 
pheus?bis zur Sattellehne und ist nur im Hinterhauptsbein ganz unkenntlich. 
Man sieht an ihr 3 scheibenförmige Verdiekungen: eine an der Stelle der 
späteren Synchondrosis spheno-oceipitalis (ch,), die zweite im Bindegewebe 
oberhalb des Zahnfortsatzes (ch,), die dritte zwischen Zahnfortsatz und Körper 
des Epistropheus (ch,). 


Anhang. 
Die Chorda des Amphioxus lanceolatus. 


Die nicht übereinstimmenden Angaben, welche in letzter Zeit 
von drei Seiten (W. Müller, Stieda, Kossmann) über die 
Chorda des Amphioxus veröffentlicht worden sind, veranlassten mich 
dieses interessante Organ ebenfalls zu untersuchen. Herr Prof. Wal- 
deyer hatte die Güte mir mehrere in Alkohol, Pikrinsäure und 
Müller’scher Lösung erhärtete Thiere, die er vor 1!/; Jahren in 
Neapel gesammelt, zu überlassen. Die in Alkohol, besonders aber 
in Müller’scher Lösung erhärteten Exemplare fand ich zur Unter- 
suchung besonders günstig, während die in Pikrinsäure und nachher 
ın Alkohol gelegenen etwas verschwommene Bilder darboten. 

Ich werde mich bei der Beschreibung zuerst an das halten, 
was ich selbst gesehen und nachher zur Vergleichung darüber be- 
richten, was die Ansichten anderer Autoren betrifft. 

Der Querschnitt der Amphioxuschorda ist elliptisch, mit grösse- 
rem Höhen- als Breitendurchmesser. Sie misst bei Thieren von 
45 Mm. Länge 0,65 Mm. in der Höhe, 0,45 Mm. in der Breite. 
An Alkoholpräparaten nimmt der Höhendurchmesser zu und das 

Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 11. 39 


496 Vietor v. Mihalkovies: 


Gebilde (respective die Scheide) besitzt oft an der dorsalen und 
ventralen Fläche einen bogenförmigen Vorsprung. An Chromsäure- 
präparaten behält der Stab mehr die natürliche elliptische Form. 

Man muss an der Chorda die Scheide und den Inhalt oder 
die eigentliche Chordasubstanz unterscheiden. 

Die Scheide ist ziemlich stark (bei 45 Mm. langen Thieren 
0,02 Mm.) und zeigt an Querschnitten eine concentrische Schichtung. 
Sie besteht aus Fasern, die ich für bindegewebige erkläre, weil man 
an manchen Stellen, besonders oben von den dorsalen, das Rücken- 
mark umschliessenden Platten aus, eine direkte Fortsetzung der 
Bindegewebsfasern in die Fasern der Chordascheide wahrnehmen 
kann. Nach Aussen zu liegt an der concentrisch geschichteten 
Scheide ein dünner Belag von meist der Länge nach verlaufenden 
Fasern (sceletogene Chordascheide), der an der dorsalen und ven- 
tralen Fläche des Organs sich zu einem stark prominirenden Rande 
verstärkt. In der Mitte ist das Band am höchsten (0,01 Mm.), 
seitwärts plattet es sich ab. Es färben sich diese Längsstreifen 
mit Tincetionsmitteln gerade in derselben Nuance roth oder blau wie 
die concentrische Chordascheide und an Längsschnitten erkennt man, 
dass sie aus sagittal verlaufenden Fasern bestehen. Zellen oder 
kernähnliche Gebilde konnte ich in der Scheide nirgends erkennen. 
An Querschnitten findet man regelmässig Bündel von Fasern, die 
als Fortsetzungen der gleich zu beschreibenden Fasern der Chorda- 
substanz die Scheide vis-A-vis der Anheftung der Dorsalplatten durch- 
setzen, respective in die Chordascheide hineingesteckt sind. Ueber 
dieses sonderbare Factum geben besonders Längsschnitte Auskunft 
An Sagittalschnitten, die in der Länge der Anheftung der Dorsal- 
platten geführt werden, sieht man ausser einer regelmässigen feinen 
Querstrichelung in der Chordascheide in nicht ganz regelmässigen 
weiteren Abständen (0,03—0,05 Mm.) grössere Löcher, (4—6 u) 
eigentlich Substanzunterbrechungen der Chordascheide, in welche 
Faserbündel der Chordasubstanz hineingesteckt sind. Ausser diesen 
grösseren Löchern, die aber nur beiderseits längs der Anheftung 
der Dorsalplatten vorkommen, ist die Chordascheide überall in ganz 
kleinen (2 «) Abständen von feinen hellen Linien durchsetzt 
(nicht zu verwechseln mit den von W. Müller beschriebenen Poren- 
kanälchen), deren Bedeutung mir unklar geblieben ist. 

An der Chordasubstanz selbst sind zwei Bestandtheile zu 
unterscheiden: die aus Fasern gebildeten Chordascheiben und eigen- 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 427 


thümliche Zellen an der dorsalen und ventralen Fläche des Organs, 
dicht der Innenfläche der Chordascheide anliegend. Es befinden 
sich nämlich an letzteren Stellen zerstreut platte Zellen in einer 
Lage, deren obere Fläche unmittelbar der Innenfläche der Chorda- 
scheide anliegt, während die Ränder und die untere Fläche sich in 
eine Anzahl von Fortsätzen auszieht, welche theils mit jenen der 
benachbarten Zellen anastomosiren, so dass ein ganz regelmässiges 
Netzwerk, etwa dem reticulären Bindegewebe ähnlich, zu Stande 
kommt, theils sich lange ausziehend jenseits dieses Netzes den 
horizontalen oder etwas schräg verlaufenden Fasern der Chorda- 
scheiben beigesellen. Von der Fläche gesehen sind diese Zellen 
durchschnittlich 5 u breit, 10 « lang. Die erwähnten Fortsätze 
der Zellen sind besonders gut an Alkoholpräparaten zu sehen, wo 
sich die dorsale Seite der Chorda oft zu einem buckelförmigen Auf- 
satz erhebt und so ein ovaler Raum von 0,014 Mm. Höhe und 
0,06 Mm. Breite zwischen Chordascheide und Chordaplatten entsteht, 
in welchem an Querschritten die anastomosirenden Fortsätze der 
Zellen leicht zu erkennen sind. Die Zellen und das Netzwerk lassen 
sich auch schön an horizontalen Flächenschnitten zur Ansicht brin- 
gen, die mit Haematoxylin gefärbt werden. An solchen erkennt 
man, dass die Zellen in die Länge, also parallel der Chorda, ge- 
streckt sind und keine continuirliche Lage bilden, sondern zerstreut 
daliegen. An Schnitten aus höherer Ebene erhält man mehr Zellen, 
an solchen aus tieferer Ebene mehr Netzwerk. Aehnliche Zellen 
liegen auch an der ventralen Fläche des Organs, nur sind sie hier 
kleiner und in geringerer Zahl vorhanden. 

Die grösste Masse der Chordasubstanz besteht aus vertical 
liegenden Querscheiben von 4 «u Dicke, zwischen welchen mit 
zäher Flüssigkeit gefüllte Spalten vorhanden sind. Die Flüssigkeit 
gerinnt bei Alkoholeinwirkung und färbt sich dann mit Haema- 
toxylin intensiv blau. Aus letzterem Umstande vermuthe ich, dass 
es eine collagene Substanz ist. Die Scheiben bestehen aus hori- 
zontal liegenden Fibrillen, welche gerade oder gebogen zwischen 
beiden Innenflächen der Scheide befestigt und in der vertikalen 
Richtung des Organs durch eine Kittsubstanz zu Scheiben verklebt 
sind. Kerne oder ähnliche Körper sind in den Fibrillen weder an 
der Anheftungsstelle, noch im übrigen Verlaufe vorhanden. An 
Chrompräparaten ordnen sich die Fibrillen in Bündel. Tinctions- 
mittel, besonders Karmin, wirken auf die Scheiben kaum ein, wäh- 


428 Vietorv. Mihalkovics: 


rend die Scheide sich intensiv färbt. An Sagittalschnitten erkennt 
man die Zusammensetzung der Scheiben aus quer durchgeschnittenen 
Fibrillenbündeln, man sieht aber auch, dass die Ränder der Schei- 
ben lineal scharfe Contouren besitzen, und an manchen Stellen hat 
es fast den Anschein, als wären die Oberflächen der Scheiben mit 
feinen Membranen belegt. Man findet nämlich an Sagittalschnitten 
Stellen in den Scheiben, wo die Faserbündel fehlen und die Scheiben 
bloss aus einer ganz dünnen hellen Substanz bestehen. Zur Er- 
klärung solcher Bilder bleibt nichts übrig, als anzunehmen, dass da 
bloss Kittsubstanz vorhanden ist, die den schmalen Zwischenraum 
zwischen den beiden sich fast berührenden Membranen ausfüllt. 
Wie zu sehen, ist die Chorda des Amphioxus ganz anders be- 
schaffen, wie jene der übrigen Wirbelthiere. Versucht man eine 
Parallele zu ziehen, so müssen Scheide und Inhalt beider mit einander 
verglichen werden. Die Scheide der Amphioxuschorda ist ebensowenig 
eine Cuticularausscheidung, wie jene der höheren Wirbelthiere, son- 
dern eine Bindegewebsbildung. Eine andere und zwar wichtigere 
Frage ist aber die, welche von den Chordabestandtheilen des Amphi- 
oxus der Chordasubstanz der höheren Wirbelthiere entspricht? In 
dieser Beziehung hat letzthin Kossman.n die Ansicht ausgesprochen !), 
dass die eigentliche Chorda des Amphioxus jene erwähnte Zellenlage 
an der dorsalen Seite des Organs wäre, während die Chordascheiben 
als cuticulare Chordascheide aufgefasst werden müssen, welche sich 
unsymmetrisch an der ventralen Seite des Organs angelagert hat. 
Ich glaube, dass diese Ansicht nicht genügend begründet ist, 
denn abgesehen davon, dass jene Zellen schon bei W. Müller ganz 
gut beschrieben sind ?), der auch ihre Fortsätze erkannte, was Koss- 
mann entgangen ist, ferner ähnliche Zellen trotz dem Absprechen 
Kossmanns an der ventralen Fläche des Organs vorkommen, so 
ist letzteres Verhalten mit der Kossmann’schen Hypothese nicht 
in Einklang zu bringen und könnte eine endgültige Aufklärung über 
diesen Punkt nur die Entwickelungsgeschichte geben, deren Resul- 
tate aber bis jetzt, nach den Angaben von Kowalevsky zu schliessen, 
mit dem ausgebildeten Gewebe der Chorda nicht in vollen Einklang 
zu bringen sind. Wenn wir dessenungeachtet nach einer Erklärung 


1) Kossmann, Bemerkungen über die sogenannte Chorda des Amphi- 
oxus. Verhandl. der Würzb. phys.-med. Gesellschaft Bd. VI. 

2) W. Müller, Ueber den Bau der Chorda dorsalis, Jena’sche Zeit- 
schrift, Bd. VI. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 439 


suchen,. so halte ich die Ansicht von W. Müller, der auch Stieda 
sefolgt ist, für viel annehmbarer, dass nämlich die Wirbelsaite des 
Amphioxus aus Zellen entstanden ist, die sich an der dorsalen und 
ventralen Fläche des Organs mehr weniger erhalten haben, während 
die übrigen zu langen Fasern ausgezogen wurden und ein Theil ihres 
Protoplasma sich zu einer festen Intercellularsubstanz formte, die 


die Fasern zu Scheiben verkittet. 

Eigenthümlich lautet die Beschreibung der Entwicklung der Amphioxus- 
Chorda von Kowalewsky!), die ich hier kurz erwähnen will, weil sie bis 
jetzt die einzige, auf direkter Beobachtung basirte Angabe ist. Bei 20—24- 
stündigen Embryonen besteht die Chorda nach Kowalevsky ‚aus; einer 
Reihe von kleinen Zellen, in deren centraler Parthie kleine stark lichtbrechende 
Körnchen erscheinen, welche allmählig wachsend zu grösseren unregelmässigen 
Körpern werden. Später hat sich schon eine Chordascheide gebildet (wie?) 
und die stark lichtbrechenden Körnchen im Centrum der homogenen Substanz 
wachsen allmählig aus. »Zu gleicher Zeit erscheinen in der homogenen Sub- 
stanz neue ähnliche Körper, welche sich anfangs ganz in der Nähe der Scheide 
bilden und dann allmälig auswachsen und sich zwischen die existirenden ein- 
schieben. Auf der entgegengesetzten Seite der Chorda geht derselbe Prozess 
vor sich und die entgegenwachsenden Substanzen verschmelzen; auf solche 
Weise entsteht endlich eine Reihe von Plättchen, welche die Chorda zusammen- 
setzen.« Kowalevsky beschreibt diesen Modus der Entwickelung nach Be- 
obachtungen an ganzen Embryonen und nicht an Schnittpräparaten; so lange 
letztere nicht versucht werden, kann die Kenntniss über die Entwicklung der 
Amphioxuschorda nicht als abgeschlossen betrachtet werden. 

.Von den Ansichten der übrigen Autoren will ich nur noch drei er- 
wähnen, die in letzter Zeit publieirt worden sind, nämlich’die von W. Müller, 
Stieda und Kossmann. { 

W. Müller (o. c.) gab unter den Dreien die erste und meiner An- 
sicht nach die beste Beschreibung von der Chorda des Amphioxus. Nur in 
der Auffassung der Chordascheide kann ich ihm nicht folgen, die er als ‘eine 
Cuticularbildung betrachtet und halte ich mit Stieda jene zwei Reihen von 
Lücken an der dorsalen Seite nicht für Porenkanälchen, sondern für Löcher 
in der Chordascheide, in denen Bündel von Chordascheibenfasern ' stecken. 
W. Müller beschreibt aber ganz richtig die dorsalen und ventralen Vor- 
sprünge an der äusseren Seite der Chordascheide, die alle übrigen Autoren 
fälschlich für Artefakte erklären, ferner ist er der Erste, der die verästelten 
Zeilen an der dorsalen und ventralen Innenfläche der Chordascheide, ferner 
die Zusammensetzung der Scheiben aus Fibrillen und den Mangel von Kernen 
in diesen erkannte. 


1) Entwicklungsgeschichte des Amphioxus lanceolatus. Me&moires de 
’Acad. imp. des sciences de St. Petersbourg 1867. VII. Serie. Tome XI. No. 4. 


430 Vietor v. Mihalkovies: 


Stieda!) beschreibt die Zellen an der dorsalen und ventralen Fläche 
ebenfalls, gibt aber eine Abbildung davon (Taf. IV. Fig. 22), welche mit 
dem wahren Sachverhalte gar nicht übereinstimmt, indem er nämlich an der 
dorsalen Innenfläche der Chordascheide keine ramificirten Zellen, sondern 
horizontal liegende Fasern abbildet, die sich in Nichts von den übrigen Fasern 
der Chordascheiben unterscheiden. Im Verlaufe der zu Fasern ausgestreckten 
Zellen beschreibt Stieda hie und da Kerne, was ich nicht sehen konnte. 
Die Zusammensetzung der Scheiben aus langgestreckten faserähnlichen Zellen 
nimmt er gerade so an, wie W. Müller. Die von W. Müller beschrie- 
benen schlitzförmigen Oeffnungen in der Scheide fasst er in der Weise auf, 
wie auch ich es beschrieb. An jüngeren Exemplaren sah Stieda sternför- 
mige Zellen, die ganz unregelmässig über den Querschnitt zerstreut, vorherr- 
schend aber im Mittelstück lagen. Diese hält er für die letzten Reste der 
ursprünglichen Bildungszellen der Chorda. Es sollen sich nämlich nicht alle 
Zellen der ursprünglichen Chordasubstanz mit einem Male zu Faserzellen um- 
wandeln, sondern allmählig, so dass sich einzelne längere Zeit erhalten. Die 
Vorsprünge an der dorsalen und ventralen Fläche hält Stieda für Artefacte, 
hervorgebracht durch die ungleiche Einwirkung des Alkohols. Ich habe diese 
Vorsprünge regelmässig gesehen und für Längsbänder erklärt. Die Chorda- 
scheide hält Stieda für zusammengesetzt aus ringförmigen Faserzügen. 

Was endlich Kossmann’s Arbeit betrifft (o. c.), so ist darüber nach 
dem bisher Aufgezählten nur noch Weniges zu berichten. Er meint die 
eigentliche Chorda des Amphioxus in den Zellen an der Dorsalseite erkannt 
zu haben. Die Querscheiben der Chordasubstanz hält Kossmann für äqui- 
valent der cuticularen Chordascheide der übriger Wirbelthiere, die Chorda- 
scheide der Autoren für eine Elastica. Die erwähnten Zellen liegen nach 
ihm in 1—2 Lagen und besitzen keine Fortsätze. An der ventralen Seite 
des Organs sollen ähnliche Zellen nicht vorkommen. Bei schonender Behand- 
lung war der Raum, den die Chordazellen ausfüllen, fast oval. In gewissen 
Abständen greift ein aus der Vereinigung mehreren Fibrillen bestehender 
Stamm von Cuticularsubstanz um das aus Zellen bestehende Chordarudiment 
herum, das wären die Porenkanälchen von W. Müller in der Cuticula. Diese 
Vorsprünge muss ich ganz in Abrede stellen und verweise auf das schon Auf- 
geführte, wonach die Chordazellen verästelt und auch an der ventralen Fläche 
des Organs vorhanden sind. In Fig. 2 auf Taf. IV zeichnet Kossmann die 
Zellen einem Epithel ähnlich eng aneinander liegend und unverästelt ab. Solche 
Präparate erhielt auch ich an Pikrinsäureobjecten, da aber an diesen die 
übrigen Gewebe etwas verschwommene und undeutliche Bilder darboten, halte 
ich diese kubische Form der Zellen für ein Artefakt, hervorgebracht durch die 
Zusammenpressung von Seite der gequollenen Querscheiben. An Präparaten 
aus Müller’scher Lösung oder Alkohol ist immer an der dorsalen und ven- 


1) Studien über den Amphioxus lanceolatus. Mem. de l!’Acad. imp. des 
sciences de St. Petersbourg 1873. VII. Serie Tome XIX. No. 7. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 431 


tralen Fläche ein elliptischer Raum vorhanden, in der die Fortsätze der ver- 
ästelten Zellen liegen. 

Wie aus den Erörterten zu sehen, ist die Chorda des Amphi- 
oxus wesentlich verschieden von jener der übrigen Wirbelthiere, so 
dass man mit Recht fragen kann, ob diese beiden Organe gleich- 
werthig sind. Physiologisch können sie wohl gleichbedeutend sein, 
. ob sie es aber auch morphologisch sind, das könnte nür die Ent- 
wicklungsgeschichte zeigen. Die kurzen Angaben von Kowalevsky 
sind in dieser Beziehung mangelhaft. Er gibt bloss an (o. c.), dass 
die Chorda des Amphioxusembryo sich anfangs als ein Strang von 
Zellen zeigt, dessen Entstehung er nicht erforschen konnte, der aber 
wahrscheinlich aus den Zellen des oberen Muskelblattes stammt. 
Es ist also hinsichtlich der ersten Anlage der Amphioxuschorda so 
viel wie Nichts bekannt. Darum schliesse ich hier mit der ein- 
fachen Bemerkung, dass die Entscheidung dessen, welche von den 
Chordabestandtheilen des Amphioxus den Chordazellen der übrigen 
Wirbelthiere entspricht, ob die Chordascheiben (W. Müller, Stieda), 
oder bloss jene Zellen an der dorsalen Seite des Organs (Kossmann), 
so lange nicht gefällt werden kann, bis die ganze Entwickelung der 
Amphioxuschorda, besonders aber die Bildung der Chordascheiben 
näher gekannt sein wird. 


Schlussbemerkungen. 


I. Die Chorda. 


Die Wirbelsaite ist wahrscheinlich ein Epitelge- 
bilde, dessen Elemente durch Vermittlung des Axen- 
stranges aus dem äussernKeimblatt abstammen. Dafür 
spricht unter Anderem ihre scharfe Trennung von den Gebilden des 
mittleren Keimblattes, die sich auch später immer erhält, die glas- 
helle Scheide, wie man sie überall an der Grenze zwischen Binde- 
gewebe und Epithelien antrifft, der gänzliche Mangel einer Inter- 
cellularflüssigkeit, dieeigenthümlichen Formumwandlungen der Chorda- 
zellen und endlich die einem degenerativen Prozesse ähnliche Um- 
wandlung des Zellinhaltes. 


432 Victor v. Mihalkovics: 


Welche Bedeutung ein derartig getrenntes, von den Elementen 
des Mesoblasts umwachsenes Gebilde besitzen mag, da es selbst bei 
der Wirbelbildung gar nicht interessirt ist, darüber giebt uns die 
vergleichende Anatomie Aufschluss. Es ist ein Erbstück von 
unsern Ahnen, das im Laufe der Vervollkommnung 
für höhere Wirbelthiere überflüssig geworden ist. 

Je niederer ein Wirbelthier, um so stärker ist seine Chorda, 
bei den wirbellosen Ascidien mag sie eine feste Körperaxe mehr 
weniger ersetzen. Wenn für uns die Wirbelsaite überhaupt noch 
eine Bedeutung hat, so muss diese in den frühesten Entwicklungs- 
stadien gesucht werden, wo der weiche Embryonalkörper eine cen- 
trale Axe, um die sich die Primitivorgane symmetrisch anlagern, 
nothwendig hat. Die Wirbelsaite gelangt nur darum in das Innere 
der Wirbelkörper, weil sich die Wirbelsäule als Stützpfeiler des 
Körpers, nach der bilateralen Ausbildung der Organe, in der Axe 
des Körpers anlagert, und nicht weil irgend welcher Zusammenhang 
bei der Bildung der Wirbelsäule mit der der Chorda stattfindet. 

Die Wirbelsaite erreicht nie das vordere Leibesende, sie endet 
immer dahinter am Boden des Vorderhirnbläschens conisch sich zu- 
spitzend. Der davor liegende Theil der Schädelbasis: der Spheno- 
ethmoidaltheil ist also gleich von Anfang an gegeben und besteht 
aus spärlich zerstreuten spindelartigen Zellen zwischen Hornblatt 
und Vorderhirnbläschen. 

Während der Ausbildung der Kopfbeuge wird das vordere Ende 
der Chorda auch gebogen, und sie erstreckt sich jetzt, das blinde 
Ende der Vorderdarms umkreisend, im obersten Theil der Rücken- 
haut bis an’s Hornblatt. Das Anliegen des Chordaendes an das 
Hornblatt erhält sich so lange, bis die Hypophysentasche ausgebildet 
ist und zieht sich während dessen ihr Ende in Folge der Dehnung 
zu einer feinen Spitze aus. Letztere atrophirt dann im Bindege- 
webe gänzlich und die Chorda endet jetzt abgerundet am Perichon- 
drium der Sattelgrube. Während der Rückbildung der Kopfbeuge 
krümmt sich der vordere hakenförmig gebogene Theil der Chorda 
nach aufwärts, so dass die Chorda jetzt eine S-artige Biegung hinter 
dem Hypophysensäckchen beschreibt. 

Indessen bildet sich auch die Chordascheide als eine feste 
homogene Hülle umfden Chordastrang aus, entstehend aus aufge- 
hellten und verschweissten Bindegewebszellen. Sie ist schon zu einer 
Zeit vorhanden, wo die Schädelbasis noch ganz bindegewebig ist. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 433 


Der Spheno-occipitalknorpel legt sich bei Kaninchenembryonen !) 
um die Chordascheide derartig an, dass letztere an der unteren 
Fläche des Knorpels mit dem Perichondrium immer in Berührung 
bleibt, nur das vordere Chordaende wird vom Knorpel ganz aufge- 
nommen, sie beschreibt darin zwei stärkere wellenförmige Biegungen 
und endet am Perichondrium der Sattelgrube abgerundet. Nun ver- 
dickt sich die Wirbelsaite durch Aufhellung und Vergrösserung ihrer 
Zellen an der Stelle der zweiten Biegung zu einer, manchmal zu 
zwei flachen Scheiben, während ihr vorderstes Ende fadenförmig zu- 
gespitzt unweit des Perichondriums in der Intercellularsubstanz des 
Knorpels endet. Hier sind die Zellen platt, in der Längaxe des 
Organs gelagert. Der dem Perichondrium anliegende Theil der 
Chorda atrophirt bei der Verknöcherung des Hinterhauptbeinkörpers, 
der vordere Theil erhält sich aber noch lange, weil sich der Knochen- 
kern des hinteren Keilbeinkörpers vor der Wirbelsaite anlegt. Die 
quergestellte Scheibe — wenn nur eine vorhanden ist — entspricht 
der späteren Synchondrosis spheno-oceipitalis. Diese Stelle ist mor- 
phologisch einem Zwischenwirbelgelenk gleichwerthig. 

Ich erwähnte vorhin, dass die Chorda das vordere Körperende 
nie erreicht, nicht einmal in den ersten Entwicklungsstadien und 
dass man an der Schädelbasis gleich von Anfang an einen chorda- 
haltigen und chordalosen Theil unterscheiden muss. Hieran knüpfe 
ich einige vergleichend-anatomische Bemerkungen. Der chordahal- 
tige und der chordalose Theil der Schädelbasis sind morphologisch 
einander nicht gleichwerthig. Der chordalose Theil ist, wie 
es Gegenbaur darlegte?), ein späterer Erwerb, der sich 
erst mit der Ausbildung der Grosshirnlappen, Seh- und 
Geruchsorgane aus dem älteren chordahaltigen Theil 
hervorgebildethatund so als prävertebraler demälteren 
vertebralen Abschnitt gegenüber zu stelllen ist. Obgleich 
nun der prävertebrale Schädeltheil als ein später Erwerb zu be- 
trachten ist, findet man dessen Anlage bei der Bildung des Wirbel- 
thierembryo, — zwar nur in Rudimenten, — dennoch gleich von 
Anfang an gegeben und kann ich in dieser Beziehung Dursy 
(o. c.) nicht zustimmen, wenn er den Spheno-ethmoidaltheil erst bei 


1) Bei Rindsembryonen liegt die Chorda ganz im Spheno-occipitalknorpel 
darin. 
2) Das Kopfskelet der Selachier. Leipzig 1872. 


434 Vietor v. Mihalkovies: 


der Einstellung der Kopfbeuge durch Beugung des vorderen Schädel- 
theils über den angeblichen Chordaknopf nach abwärts vorwachsen 
lässt. Ich stütze diese meine Ansicht kurz durch Folgendes: Die 
Anlage des Vorderhirnbläschens birgt in ihren Seitenwänden die 
Anlagen der Augenblasen gleich von Anfang an, respektive die ganze 
Seitenwand des eben gebildeten Vorderhirnbläschens geht in die 
Bildung der primären Augenblasen über, indem die Abschnürung 
von hinten und oben, und nicht von vorn und unten her erfolgt. 
Ist diess richtig, wovon man sich durch Verfolgung der Bildung der 
primären Augenblasen leicht überzeugen kann, dann folgt als zweiter 
Schluss, dass die Verbindungsbrücke an der Basis der eben beginnen- 
den Ausbuchtungen der Stelle des späteren Chiasma n. opticorum 
entspricht, also einer Stelle, die vor dem Spheno-oceipitaltheil der 
Schädelbasis sich befindet und unter sich die sehr schwachen An- 
lagen des Spheno-ethmoidaltheils liegen hat. Letzterer ist also schon 
bei der ersten Abgliederung des embryonalen Medullarrohres in die 
drei primitven Hirnabtheilungen gegeben. 

Daraus folgt, dass, obgleich der Spheno-ethmoidaltheil als ein 
späterer Erwerb anzusehen ist, dieser Erwerb doch schon seit 
uralter Zeit dem Spheno-occipitaltheil langsam zugelegt 
wurde, bis er in die bleibenden Anlagen des Wirbelthier- 
leibes überging. Wenn wir beim Amphioxus keinen dem Spheno- 
ethmoidaltheil des Kopfes homodynamen Theil finden, so beweist 
diess eben nur, dass hier die Formation des Kopfes auf der nieder- 
sten Stufe der Wirbelthierbildung stehen geblieben ist. 

Ist die Chorda wirklich nur ein Erbstück von den Urwirbel- 
thieren, dessen Ausdehnung die Länge des ursprünglichen Wirbel- 
thierleibes anzeigt, dann giebt sie uns einen der-wichtigsten Schlüssel 
zur Lösung der Frage der Schädelwirbeltheorie, sie gibt uns den 
bedeutendsten Wink, bis wie weit man im Schädel Wirbelrudimente 
zu suchen hat. Das Ende der Chorda markirt das Ende des aus 
der Concrescenz von einer gewissen Summe von Wirbeln aufgebauten 
Schädeltheils, was davor liegt, lässt gar keinen Vergleich mit Wir- 
belsegmenten zu, ist aus dem chordahaltigen Schädeltheil hervorge- 
wachsen und hat sich durch Anpassung an neue Verhältnisse (Gross- 
hirnlappen, Seh- und Geruchsorgane) aus jenem heraus differenzirt 
(Gegenbaur). Ich glaube bei der Lösung dieser Frage von der 
Chorda den Haupt- und dabei auch den einfachsten Aufschluss er- 
warten zu können, einen mindestens ebenso bedeutungsvollen, als 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 435 


durch die Vergleichung der Kopfnerven mit Spinalnerven. Bei 
letzteren liegen die. Verhältnisse durch die verschiedensten Verschie- 
bungen weniger klar zu Tage, während die Chorda im Laufe der 
Öntogenie ihre ursprünglichen Verhältnisse reiner gewahrt hat. Wenn 
wir wissen, es gehöre zum Charakteristikum eines jeden Wirbels 
oder Wirbel gleichwerthigen Stückes, dass es entweder für immer, 
oder wenigstens während der Entwicklung von der Chorda durch- 
setzt ist, so sind wir berechtigt die chordahaltigen Schädeltheile als 
aus Wirbelanlagen hervorgegangene zu betrachten, trotzdem dass 
hier im Laufe der Entwicklung keine Segmentirung wahrzunehmen 
ist. Uebrigens ist der Segmentirung selbst zur Defi- 
nition eines Wirbels kein allzu grosses Gewicht beizu- 
messen. Die ganze Wirbelsäule ist nach der ersten Anlage der 
definitiven Wirbel ein continuirlicher Stab, in der die Segmentirung 
erst später auftritt (Gegenbaur) und die Bestimmung der Wirbel- 
zahl kann zu dieser Zeit nur durch die Zahl der Urwirbel, eigent- 
lich durch die Zahl der daraus hervorgehenden Nerven und tiefen 
Rückenmuskeln gegeben werden. Ist das Verhalten der letzteren 
in den rippengleichwerthigen Stücken des Schädels eine eben solche 
wie in der Wirbelsäule, und ist dazu der solide Stab in einem 
Theile des Schädels von der Chorda durchzogen, dann liegt gar 
keine Schwierigkeit vor, auch diesen Theil der Schädel- 
basis Wirbeln gleichwerthig zu erachten, mag sie aus 
einer Concrescenz von einzelnen Wirbeln entstanden, 
oder überhaupt gar nie segmentirt gewesen Sein. 

Wir müssen also am Schädel den Spheno-ethmoidaltheil als 
den später erworbenen und aus keinen Wirbelanlagen entstandenen 
vom Spheno-oceipitaltheil, dem älteren und aus Wirbeln gleichwer- 
thigen Stücken gebildeten wohl unterscheiden. Wenn wir zu diesem 
Schluss unter anderen Belegen das Vorhandensein der Chorda an 
der Schädelbasis verwerthen können, so giebt uns diese leider keinen 
Aufschluss darüber, aus wie viel Wirbeln gleichwerthigen Stücken 
sich der Spheno-oceipitaltheil aufgebaut hat. Von den charakter- 
istischen Anschwellungen zwischen je zwei Wirbelkörpern in der 
Wirbelsäule haben sich im vertebralen Theil der Schädelbasis bei 
Säugethieren nur eine, in Ausnahmsfällen zwei erhalten. Wenn 
Gegenbaur die minimale Zahl der im vertebralen Theil einge- 
gangenen Wirbeln nach Vergleichung der Hirnnerven mit Spinal- 
nerven und nach der Zahl der Kiemenbögen bei Selachiern auf 9 


436 Vietor v. Mihalkovies: 


angiebt, so sehen wir davon bei Säugethieren durch die Chorda 
nur noch mehr zwei, höchstens drei angedeutet. Auch hier mag 
eine fortwährende Reduction der Chordascheiben statt- 
gefunden haben, bis dass die Zahl auf 2—3 herabge- 
sunken ist. Vielleicht liessen sich bei der Entwicklung niederer 
Wirbelthiere noch mehr scheibenartige Erweiterungen im Spheno- 
occipitaltheil auffinden und dann nebst den übrigen Kriterien zur 
Bestimmung der ursprünglichen Schädelwirbelzahl verwerthen. 

Eine andere hier zu erörternde Frage ist die, wie weit bei den 
niedersten Wirbelthieren der von der Chorda durchsetzte kiemen- 
tragende Theil des Körpers eine Vergleichung mit dem Hals und 
Kopf der höheren Wirbelthiere zulässt. Ist die Chorda ein Erb- 
stück, das im Laufe der Ontogenie an Länge weder zu- noch ab- 
genommen hat, dann müssen auch die niedersten ‚Wirbelthiere einen 
dem Kopftheil homodynamen Körpertheil besitzen. Sind die Visce- 
ralbögen der’ höheren Wirbelthiere den Kiemenbögen des Amphioxus 
gleichwerthig, wovon abzugehen trotz der grösseren Zahl beim 
Amphioxus kein Grund vorhanden ist, dann muss auch der kiemen- 
bogentragende Theil des Amphioxuskörpers dem entsprechenden 
'Körpertheile der höheren Wirbelthiere homodynam sein. Da dieser 
Körpertheil des Amphioxus von der Chorda ganz durchzogen ist, 
so können wir dessen vorderen Theil (der hintere wäre dem Halse 
gleichwerthig, dessen Grenze gegen den Kopf zu nicht anzugeben 
ist) als Vorläufer des Spheno-oceipitaltheils der höheren Wirbel- 
thiere betrachten. Dabei ist natürlich nur die Anlage der Schädel- 
basis, und nicht die der ganzen Schädelkapsel als gegeben zu er- 
achten. Auch dieser Vergleich giebt uns also einen Beleg dafür, 
dass der vertebrale Theil des Kopfes der ältere, der ur- 
sprüngliche ist, und der prävertebrale Theil als eine 
spätere Bildung aufzufassen ist. 


Il. Die Hypophyse. 


Man kann in der Bildung der Hypophyse vier Stadien unter- 
scheiden: 1) die Bildung des Hypophysenwinkels, 2) die Umwand- 
lung des hier liegenden Hornblattes zur Hypophysentasche, 3) die 
Abschnürung der Tasche und endlich 4) die Bildung von Drüsen- 
schläuchen. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 437 


Nach Entstehung der Kopfbeuge bildet das Hornblatt am 
Spheno-ethmoidaltheil des Schädels und der Rachenhaut einen offenen 
Winkel (Hypophysenwinkel). Diese Stelle bildet die Anlage zur 
Bildung der Hypophyse, das Epithel der letzteren stammt 
also vom äusseren Keimblatte ab. 

Wenn die Rachenhaut durchgerissen ist, nähert sich ihr oberer 
Stumpf dem Spheno-ethmoidaltheil der Schädelbasis, wodurch der 
Hypophysenwinkel zu einer kleinen Tasche umgewandelt wird. Diese 
liegt zwischen Zwischenhirnbasis und mittleren Schädelbalken. Wenn 
sich jetzt der Spheno-ethmoidaltheil des Schädels stärker entwickelt, 
wird der untere Theil der Tasche zu einem langen Gang ausge- 
zogen, der eine Zeit lang noch mit der Rachenhöhle communicirt, 
dann aber beim Verwachsen beider Keilbeinknorpel ganz atrophirt. 
Das abgeschnürte Säckchen, dessen Wand aus geschichtetem Cylin- 
derepithel besteht, liegt also immer über der Anlage beider Keil- 
beinknorpel. 

Während die Abschnürung des Säckchens im Gange ist, wächst 
dessen Epithel zu soliden schlauchartigen Bildungen aus. Bei Vögeln 
geschieht diess an beiden Wänden des Säckchens, der ursprüngliche 
Hohlraum verkleinert sich und geht allmählich zu Grunde. Bei 
Säugethieren (Kaninchen) biegt sich zuerst der untere Theil des 
Säckchens etwas nach vorn und aufwärts um, und wächst dann zu 
einem soliden Fortsatz aus. Die Hypophyse hat jetzt im Längs- 
schnitt eine halbmondförmige Gestalt. Die Entwicklung der schlauch- 
artigen Bildungen geht von diesem zungenähnlichen Fortsatz und 
der vorderen Taschenwand aus und schreitet fort, bis die Mulde 
des Halbmondes ganz ausgefüllt ist. Dabei sind Aeste der inneren 
Carotiden betheiligt, die gegen das Epithel Schlingen treiben, so 
dass letzteres während der Vermehrung nur zu schlauchartigen 
Bildungen auswachsen kann. Dadurch kommt das umliegende ge- 
fässreiche Bindegewebe in das Innere des Drüsenkörpers zu liegen, 
es wird zum interstitiellen Gewebe der Drüsenschläuche. Die Schläuche 
werden dann aus dem Zusammenhang mit der Entwicklungsstätte 
durch zwischenwachsende Gefässe getrennt. 

In der fertigen Drüse (im sog. Vorderlappen des Hirnanhanges) 
erhalten sich Reste der ursprünglichen Höhle. Ferner besitzt diese 
nach vorn gegen das Chiasma zu eine zungenförmige Verlängerung 
 paralleler Drüsenschläuche, in die einige Aeste der inneren Caro- 
tiden eintreten. 


438 Vietor v. Mihalkovies: 


Der Hinterlappen des Hirnanhanges besteht aus dem Trichter- 
fortsatz. Der Trichter ist eine zwischen Hypophysentasche und 
mittleren Schädelbalken eingeknickte Stelle des Vorderhirnbläschens. 
Dann wächst der Trichterfortsatz zu einem langen, nach unten 
kolbig sich erweiternden Gebilde aus, in welchem nachher die ur- 
sprünglichen Bildungszellen des Centralnervensystems durch Wuche- 
rung des adventitiellen Gefässgewebes fast ganz zu Grunde gehen. 
Diess findet bei niederen Wirbelthieren in beschränkterer Weise 
statt, so dass der Trichterfortsatz bei diesen seinen ursprünglichen 
Bau als Theil des Centralnervensystems theilweise behält. 

Eine physiologische Deutung der Hypophyse lässt sich zur Zeit 
schwer geben. Ich verweise in dieser Beziehung auf W. Müller‘). 
Bei der Bildung der Drüse sind hauptsächlich starke Aeste der in- 
neren Carotiden betheiligt, diese umspinnen die Epithelschläuche 
und scheinen zur Drüse in einem ähnlichen Verhältniss zu stehen, 
wie die Aeste der Carotiden und Subelavia zur Schilddrüse W. 
Müller meint, die Drüse müsse ganz bestimmte Functionen er- 
füllen, weil sie bei sämmtlichen Cranioten im Wesentlichen denselben 
Bau zeigt. 

Ich mache hier auf einen anderen Punkt aufmerksam, der 
entwicklungsgeschichtlich von Interesse ist. Eine Hypophyse besitzen 
nur jene Thiere, deren Schädel ausser dem vertebralen auch aus 
einem prävertebralen Theil besteht. Der Amphioxus besitzt keine 
Hypophyse, die Myxinoiden haben eine solche schon. Nun entspricht 
aber die Hypophysenanlage einer eingeknickten Stelle des Epiblasts 
zwischen Spheno-ethmoidal- und Oceipitaltheil, deren Abschnürung 
durch die stärkere Ausbildung der Schädelbasis eingeleitet wird. 
Das Epithel der eingeknickten Hypophysentasche stammt vom Epi- 
thel der Mundbucht ab, also von einem Epithel, aus dem die 
Speicheldrüsen entstehen. Ich meine, wollte man überhaupt einen 
Vergleich zwischen Hypophyse und anderen Drüsen ziehen, so könnte 
dieses mitBezugnahme der primären Anlage noch vielleicht 
am natürlichsten mit den Speicheldrüsen geschehen. In einem ge- 
wissen Stadium der Entwicklung macht sie gänzlich den Eindruck 
einer Drüse, deren Ausführungsgang in die Mundhöhle mündet, 
nur ist sie nicht acinös, wie die Speicheldrüsen, sondern tubulös. Man 
könnte dann die Hypophyse auch als ein Ahnenstück betrachten, 


1) 0. ce. p. 421. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 439 


als eine Drüse, die ursprünglich in die Mundhöhle mündete, und 
die sich zu gleicher Zeit mit der Ausbildung des Spheno-ethmoidal- 
theils des Schädels angelegt hat. Die Entwicklungsgeschichte zeigt 
noch Stadien, wo das Gebilde ganz wie eine in die Mundhöhle mün- 
dende Drüse aussieht. Später wurde die Drüse als ein in die Mund- 
höhle secernirendes Gebilde überflüssig, der Gang von Seite der 
massig sich anlagernden Schädelbasis comprimirt, und die Drüse gab 
inzwischen ihre ursprüngliche physiologische Function auf. 

Dass sie aber auch jetzt noch irgend welche Bedeutung haben 
muss, geht aus der einfachen Durchmusterung der verschiedenen 
Wirbelthiere hervor, die ergiebt, dass die Hypophyse sich bei 
höheren Wirbelthieren nicht nur nicht redueirt, sondern im Gegen- 
theil zunimmt. 


Ich halte es für eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Wal- 
deyer, der mich bei den hier dargelegten Untersuchungen mit 
Rath und Material auf’s reichlichste unterstützte, hier meinen Dank 
auszusprechen. 


Strassburg i. E., im Oktober 1874. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI. 


Bezeichnungen. 
a Aortenbogen, 
a, vorderer Atlasbogen, 
b art. basilaris, 
« Stelle des Chiasma n. opticorum, 
ce Herz, 
cı Carotis interna, 
c, Verbindungsast der inneren Carotiden, 
ch Chorda dorsalis, 
ch, ch, ch; Chordaknoten, 
d Epithel des Schlundes, 
d, Sattellehne, 
d, Zahnfortsatz, 


440 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


a 


Victor v. Mihalkovics: 


e Spheno-ethmoidaltheil, 

e, Epistropheus, 

f Kopfdarm, 

f, blindes Ende des Kopfdarms, 

g Ausführungsgang der Hypophyse, 
h Hypophysis, 

h, Hinterhirnbläschen, 

i Infundibulum, 

k mittlerer Schädelbalken, 

m Mittelhirn, 

m, Chiasma n. opticorum, 

n Mundbucht, 

o Spheno-oceipitaltheil, 

p Brückenbeuge, 

pı Hypophysenfortsatz, 

r Rachenhaut, 

r, r, oberer und unterer Stumpf der durchgerissenen Rachenhaut, 
s Amnios, 

s, hinteres Keilbein. 

v Vorderhirnbläschen, 

x Stelle der durchgerissenen Rachenhaut, 
y blindes Ende des Kopfdarms, 

z Zwischenhirn. 


Kopf und Hals eines 46 Stunden bebrüteten Gänseembryos vom 
Rücken betrachtet. Ueberosmiumsäurepräparat, Einschluss in Ca- 
nadabalsam. Hartnack Oc. 1. Obj. 4, Tubus eingeschoben. 


Dasselbe von einem 68 Stunden lang bebrüteten Gänseembryo. 
Behandlung wie vorhin. Hartnack Oe. 1. Obj.4, Tubus eingeschoben. 


Medianer Sagittalschnitt vom Kopfe eines 5 Mm. langen Kanin- 
chenembryo’. Behandlung: Härtung in Müller’scher Flüssigkeit, 
nachher in Alkohol, Tinetion mit Karmin, Einbettung in Glycerin- 
leim, endlich Einschluss des Schnittes in Glycerin. Hartnack Oe. 1. 
Obj. 4, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt vom Kopfe eines 6 Mm. langen Kanin- 
chenembryo’. Behandlung und Vergrösserung wie vorhin. 
Medianer Sagittalschnitt von der Schädelbasis eines 3'/, Tage be- 
brüteten Gänseembryo’'. Behandlung wie vorhin. Hartnack 
Oe. 2. Obj. 4, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt der Schädelbasis eines 12 Mm. langen Ka- 
ninchenembryo’s. Behandlung: Härtung in Müller’scher Flüssig- 
keit, nachher in Alkohol, Einbettung in Wachsölgemisch, Tinetion 
des Schnittes in Karmin und Einschluss in Canadabalsam. Hart- 
nack Oe. 1. Obj. 4, Tubus eingeschoben. 


= 


Fu u 


U 


— ee Fu a Da 


A re u 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


7. 


10. 


11: 


12. 


13. 


14. 


Wirbelsaite und Hirnanhang. 441 


Medianer Sagittalschnitt von der Schädelbasis eines 16 Mm. langen 
Kaninchembryo’s. Behandlung wie vorhin. Hartnack Oc. 1, 
Obj. 3, Tubus eingeschoben. 

Horizontalschnitt (Querschnitt) durch die Hypophyse eines 16 Mm. 
langen Kaninchenembryo’s. Behandlung wie bei Fig. 6. Hart- 
nack Oc. 1. Obj. 3, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt durch die Schädelbasis eines 5'/, Tage be- 
brüteten Hühnchens. Behandlung wie bei Fig. 6. Hartnack 
Oc. 1. Obj. 3, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt von der Schädelbasis eines 8 Tage be- 
brüteten Hühnchens. Behandlung wie bei Fig. 6. Hartnack 
Oc. 3. Obj. 1, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt von der Schädelbasis eines 2 Ctr. langen 
Kaninehenembryo’s. Behandlung wie bei Fig. 6. Hartnack 
Oc. 2. Obj. 4, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt von der Schädelbasis eines 3 Ctr. langen 
Kaninchenembryo’s. Behandlung wie bei Fig. 6. Hartnack 
Oc. 1, Obj. 4, Tubus eingeschoben. 

Medianer Sagittalschnitt von der Schädelbasis und den zwei obersten 
Halswirbeln eines 4 Otr. langen Kaninchenembryo’s. Behandlung 
wie bei Fig. 6. Hartnack Oc. 2. Obj. 1, Tubus eingeschoben. 
Medianer Sagittalschnitt durch die Gegend der Sattellehne eines 
4 Ctr. langen Kaninchenembryo’s. Behandlung wie bei Fig. 6. 
Hartnack Oc. 1. Obj. 4, Tubus eingeschoben. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 30 


Studien über die Entwicklung der quergestreiften 
Muskeln und Nerven der Amphibien und Reptilien. 


Von 
Dr. Ernst Calberla. 


(Aus dem physiologischen Institut des Herrn Professor Kühne in Heidelberg.) 


(Hierzu Taf. XXIII und XXIV.) 


Bei Gelegenheit einer Untersuchung über die intramuskuläre 
Endigung der Nerven in den quergestreiften Muskeln der Amphi- 
bien !), die ich im vorigen Sommer vorgenommen hatte, welche 
besonders auf das Verhalten der Kerne an dem intramuskulären 
Nervenende gerichtet war, hatte ich die Ansicht ausgesprochen, 
dass diese Kerne als die persistirenden Kerne der Zellsubstanz, aus 
der sich in den früheren Entwicklungszuständen die intramuskulären 
Theile der Nerven gebildet haben, anzusehen seien. Eine ganz 
sichere Begründung dieser Ansicht war mir damals aus Mangel an 
Untersuchungsmaterial unmöglich. Diesen Sommer war ich in der 
glücklichen Lage, wenigstens von zwei Arten Amphibien, von Bom- 
binator und Rana esculenta, Larven jeden Alters in grosser Anzahl 
zur Verfügung zu haben. Es wurde mir dadurch möglich, den da- 
mals doch mehr vermuthungsweise ausgesprochenen Satz sicher 
begründen zu können. Bei dieser Untersuchung kam ich natürlich 
mit den speciellen Verhältnissen der Muskel- und Nervenentwicklung 
in engste Berührung. Die Frage war ja auch nur durch das ge- 
naueste Studium der Muskel- und Nervenentwicklung zu lösen. Was 


1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 


Ernst Calberla: Entwicklung d. quergestr. Muskeln u. Nerven etc. 443 


die ungemein reichhaltige Literatur über die Entwicklung der quer- 
gestreiften Muskelfaser betrifft, so findet man in der fleissig ge- 
schriebenen Inauguraldissertation von G. Born (Berlin 1873) eine 
sehr klare und umfassende Darstellung. Ich will in Folgendem 
nur die Hauptansichten über die Muskelentwicklung kurz wieder- 
seben. Es lassen sich die Ansichten der Forscher in drei Abthei- 
lungen trennen; in die, welche die Muskelfaser oder das Primitiv- 
bündel aus einer Summe von Embryonalzellen entstanden ansehen, 
in die, welche die Muskelfaser als das Differenzirungsprodukt einer 
einzigen Zelle betrachten, und in die, welche sich von dem cellu- 
laren Ursprung des Primitivmuskelbündels emanzipiren. 

Schwann !) lässt, zum Theil gestützt auf Untersuchungen von 
Valentin (Entwicklungsgeschichte p. 268), das Primitivbündel aus 
einer Reihe von Embryonalzellen, die miteinander verschmelzen, in 
denen erst dann die contractile Substanz sich ablagert, entstehen. 
Ebenso betrachtet Koelliker?) in seinen früheren Mittheilungen 
die Entstehung der Muskelfaser; nach ihm stellen die Wände der 
verschmolzenen Zellen das Sarkolemm dar. Hieran reihen sich die 
Ansichten von Reichart?) und Holst. Diese Forscher lassen 
die Muskelfaser aus langen, etwas geschlängelt verlaufenden Zellen, 
die einen Kern besitzen und die in grosser Anzahl mit einander 
verschmelzen, entstehen. Zwischen den Zellen finden sie eine Bil- 
dungsmasse, mit deren Verschwinden die Querstreifung deutlich her- 
vortritt. Margo*) lässt von cylindrischen oder spindelförmigen, 
ein Kernbläschen enthaltenden Kernen, seinen »Sarcoplasten«, die 
quergestreiften Muskeln entstehen. An den Sarcoplasten tritt Quer- 
streifung auf und verschmilzt eine grössere Anzahl davon zu Pri- 
mitivbündeln. Bei Reichart ist das Sarkolemm das Produkt der 
interstitiellen Zwischensubstanz, bei Margo ein Produkt des um- 
gebenden Blastems. Wittich °), der sich ganz an die Margo’- 
schen Ansichten anschliesst, betont besonders das spindelförmige 
Uebereinanderliegen der quergestreiften, kernhaltigen Zellen im 


1) Mikrosk. Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur 
und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin 1839. 

2) Annales des sciences naturelles 1846, III. serie ete. 

3) Müller’s Archiv 1847. 

4) Wiener Sitzungsberichte 1859. 

5) Königsberger medicin. Jahrbuch 1862. 


444 Ernst Calberla: 


Muskelbündel. Deiters!) findet die quergestreifte Muskelfaser entstan- 
den aus einer, sowie aus mehreren Zellen. Er lässt die quergestreifte 
Substanz an die äussere Zellwand sich ansetzen, es bildet sich ein 
Saum von quergestreifter Substanz. Dieser Saum wird dicker, wächst 
in die Länge aus, er stellt eine Fibrille dar. Mehrere solcher Fi- 
brillen verbinden sich, sie schliessen dann zum Theil die Bildungs- 
zellen ein. Das Sarkolemm ist nach ihm als eine erhärtete Schicht 
des Bindemittels der Fibrillen anzusehen. Der quergestreifte Saum 
soll sich leicht von der Zelle ablösen lassen. Deiters neigt sich 
der Ansicht zu, die quergestreifte Substanz als Intercellularsubstanz 
aufzufassen. Nach Remack 2) entstehen die Wirbelthiermuskeln aus 
kernhaltigen, mit Keimkörnern erfüllten Zellen, die sich verlängern 
und nach Theilung des Kernes in querer Richtung sich in der Längs- 
richtung theilen. Durch fortschreitende Theilung vermehren sich 
alsdann die Kerne in den verlängerten Zellen und auch diese theilen 
sich noch mehrfach. Die Kerne bilden am innern Rande der cylin- 
drischen Zellen eine von feinen Körnchen umgebene Längsreihe, 
während die grobe Körnermasse den andern, nach aussen gewen- 
deten Theil der Zelle einnimmt. An der Oberfläche dieses äussern 
Theils der Zelle erscheint zuerst und zwar sobald die Larve inner- 
halb der Keimhaut die ersten Krümmungen zeigt, eine dünne, ho- 
mogene, quergestreifte Schicht von Muskelsubstanz, wie es scheint, 
an der Innenfläche der Zellmembran abgelagert. Diese Schicht ver- 
dickt sich bei der freien Larve auf Kosten der Keimkörnerschicht 
und gelangt so bis zu dem andern, von den Körnern eingenommenen 
Rande der verlängerten Muskelzelle, welche nunmehr ein vollstän- 
diges, quergestreiftes, sog. Muskelprimitivbündel darstellt. Lebert?°) 
lässt die Muskelfaser aus Zellen, die er »organoplastische Körper- 
chen« nennt, entstehen. Diese Körperchen liegen in einer körnigen 
Zwischensubstanz. Im Innern dieser Körperchen entsteht die quer- 
gestreifte Substanz. Die Muskelanlagen liegen dann dicht neben- 
einander und tritt erst später eine Theilung im Bündel ein. Koel- 
liker schliesst sich in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 
1858. p. 169 den Remack’schen Anschauungen an. F.E. Schulze‘) 


1) Müller’s Archiv 1862. 

2) Froriep, No. 768, 1845. Remack, Untersuchungen über die 
Entwicklung der Wirbelthiere 1855 (Abbildungen). 

3) Annales des sciences nat. III. Serie, tome onzieme 1847. 

4) Müller’s Archiv 1862. 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 445 


lässt die Muskelfaser aus einer einzigen Zelle entstehen. Er findet 
die quergestreifte Substanz scharf begrenzt von dem körnigen Pro- 
toplasma an der äussern Seite der feinkörnig gewordenen Zelle 
liegen. 

Zu dieser ersten Fibrille von quergestreifter Substanz fügt 
sich eine zweite und mehr hinzu. Zu gleicher Zeit hat sich“ der 
Kern mehrfach getheilt. Die Fibrillen bilden eine Rinne, in der die 
Kerne liegen. Bald schliesst sich die Rinne zu einem Cylinder. 
Die vielfach getheilten Kerne liegen zwischen den Fibrillen und 
sind von einem Reste Protoplasma umgeben. Es sind dies die 
sog. Muskelkörperchen. Einige Kerne liegen an der Aussenseite 
des Muskels dicht unter dem Sarkolemm. Er versucht für die 
Muskeln am Froschlarvenschwanze durch Vergleichung ihrer Grösse 
in verschiedenen Entwicklungsstadien direkt zu beweisen, dass sie 
durch Auswachsen einer Zelle gebildet werden. Weismann!) 
schliesst sich für die Stammmuskeln der Wirbelthiere der soeben 
geschilderten Ansicht an. Dagegen constatirt er, dass die Herz- 
muskulatur der Wirbelthiere und die Muskelfasern niederer Thiere 
aus einer Vereinigung von Zellen, in denen sich quergestreifte Sub- 
stanz ablagert, zusammensetzen. Max Schultze) schliesst sich 
in Betreff der Entwicklung der Herzmuskulatur an Weismann 
an. Die Stammmuskelfasern der Wirbelthiere lässt er aus einer 
einzigen sich theilenden Zelle entstehen. Weismann ) findet beim 
erwachsenen Thiere noch eine andere Art der Neubildung. Er trennt 
dieselben in zwei Gruppen, die er als Zweitheilung und Randabspaltung 
bezeichnet. Ehe es zu diesen Theilungen kommt, findet eine Kern- 
wucherung statt. Es bilden sich zwei Reihen von Kernen; die Muskel- 
faser wird so in zwei Fasern getrennt, welche dann wieder demselben 
Theilungsprocess anheim fallen. Er isolirt aus der Oberschenkelmus- 
kulatur des Frosches Muskelfasern, die sich mitten in der Zweitheilung 
befinden. Als Randabspaltung bezeichnet Weismann den Vorgang, 
wo nur ein ganz schmaler Theil der Muskelfaser mit wenigen Kernen 
sich vom Rand der Muskelfaser ablöst. Zu der dritten Reihe von 
Forschern, die sich mehr oder weniger gegen den cellularen Ur- 


1) Zeitschrift f. ration. Medicin, III. Reihe, Bd. X. pag. 263 u. 204. 
2) Müller’s Archiv 1861. p. 41. 

3) Archiv f. Anatomie 1861. p. 1. 

4) Zeitschrift für ration. Mediein III. Reihe, Bd. X. p. 266. 


446 Ernst Calberla: 


sprung des Primitivmuskelbündels aussprechen, gehört zunächst 
Ch. Robin !). Er findet als erste Anlage Kerne, die grösser 
sind, als die Hauptmasse der Embryonalkerne; solche Kerne ver- 
löthen sich mit einander, zwischen denselben bildet sich in einer 
ursprünglich homogenen, blassen Masse nach mehrfachen Meta- 
morphosen die quergestreifte Substanz. In ähnlicher Weise stellt 
J. B. Clarke?) die Bildung der Muskelfaser dar. Auch er lässt 
die Fibrillen aus einer fibrillären Zerfaserung des zwischen Kernen 
sich befindenden Blastems die Muskelfaser entstehen. Dabei backen 
die zwischenliegenden Kerne mit den Fibrillen zu cylindrischen und 
spindelförmigen Massen zusammen. Auch Rouget ?) schildert die 
Bildung der Muskelfaser auf ähnliche Weise. Im Anschluss hieran 
erwähne ich noch die Arbeit von G. R. Wagener *). Er findet 
die erste Anlage der Muskelfaser in feinen Fäden, die zwischen 
den Wirbelplatten ausgespannt sind, zwischen die dann Keile von 
Embryonalkernen hineinwachsen, welche sich dann vereinigen und 
die Fibrillen in Bündel theilen. Es besteht dann ein hohles Bündel, 
in dessen Innerm Kerne in körniger Masse liegen. Aussen sitzen 
Embryonalkerne, von einem Hof von Protoplasma (Grundsubstanz) 
umgeben, wie Beeren auf. Weismann ) betrachtet das Sarkolemm 
als eine Differenzirung der Zellwandung. Leydig‘) betrachtet das 
Sarkolemm als eine Cuticularbildung, als das Abscheidungsprodukt 
einer Matrix, die bei Insekten granulirt und kernhaltig, bei den 
Wirbelthieren aber nur kernhaltig ist. Leydig bekennt sich (I. c.) 
zu der Ansicht, dass das Primitivmuskelbündel aus einer Vereinigung 
embryonaler Muskelzellen entsteht. Born (l. c.) schliesst sich für 
die Entstehung der quergestreiften Muskelfaser ganz der von F. 
E. Schulze (l. c.) vertretenen Ansicht an. Er beschreibt hell- 
glänzende, stark lichtbrechende Körnchen oder Stäbchen, die, ring- 
förmige Gruppen bildend, sich in der contractilen Substanz finden; 
mit Carmin färben sie sich lebhaft roth. Er bringt diese Körperchen 
in Beziehung zu der Ernährung der Muskelfaser. Er betrachtet 


1) Gazette med. de Paris 1855. 

2) Quart. jour. of sed. 62 u. 63. 

3) Journal de physiologie 1863. 

4) Entwicklung der Muskelfaser (Marburg und Leipzig) 1869. 
5) Zeitschrift f. rat. Mediein Bd. XXIII. p. 26. 

6) Bau des thierischen Körpers 1864. p. 68. 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 447 


sie als eine Ansammlung von Nahrungsmaterial, welches dem Wachs- 
thum des Muskels dient. In späteren Zuständen des Muskels finden 
sie sich in der Rückbildung, oder sie sind gar nicht mehr vorhan- 
den. Born wendet sich auf Grund eingehender Untersuchungen 
gegen die Abspaltungstheorie Weismann’s. 

Ich gebe nun kurz die Ansichten über die Entwicklung der 
peripherischen Nerven, soweit sie für die Darstellung meiner Unter- 
suchung nöthig sind. Seit Schwann nehmen wir an, dass die pe- 
ripherischen Nerven sich durch Verschmelzung von spindelförmigen 
oder cylindrischen Zellen bilden. Das Zustandekommen von Ver- 
zweigungen stellte man sich so dar, dass sternförmige, mit drei 
oder mehr Ausläufern versehene Bildungszellen mit den schon ge- 
bildeten Nervenfasern verschmelzen. Die Zellmembran sollte zum 
Neurilemm werden, zwischen dasselbe und die Zellsubstanz sollte 
sich die Markscheide ablagern. Koelliker !) spricht sich dahin aus, 
dass die Markscheide sich auch durch eine chemische Umwandlung 
der äussern Schichte des Zellinhaltes bilden könne. Remack (|. e.) 
betrachtet zuerst die peripheren Nerven als feine Fasern, entstanden 
als Fortsätze vom Spinalganglion. Hensen?), der sich zuerst für 
die Entwicklung der Nerven an Ort und Stelle aus Zellen aus- 
sprach, spricht sich in einer weitern Abhandlung?) für das centri- 
fugale Wachsthum des Axencylinders aus. Er gibt an, dass die 
vom Centrum ausgehende feine Faser, der Axencylinder, von Zellen 
mit Kern eingescheidet wird. Diese Zellscheide soll das Neurilemm 
bilden. Er lässt das Ende des peripheren Nerven mit den Epithel- 
zellen der Froschoberhaut sich verbinden. Anastomosen der Nerven 
im Froschlarvenschwanze verneint er. Eberth ) wendet sich gegen 
die Hensen’sche Angabe, dass die Nerven in den Epithelzellen 
endigen. Nach ihm finden sich im Froschlarvenschwanze vielfache 
Anastomosen von Nervenfasern. Dieselben stehen mit feinen Aus- 
läufern von spindelförmigen Zellen, denen er dadurch gewissermassen 
einen Antheil an der Bildung der peripheren Nerven zuerkennt, in 
Verbindung. Eberth spricht sich hierüber — er gibt an, nur 
ältere Larven untersucht zu haben, nicht mit Bestimmtheit aus. 


1) Gewebelehre 1852 ff. 

2) Archiv f. pathologische Anatomie Bd. XXX. 
3) Archiv f. pathologische Anatomie Bd. XXXI. 
4) Archiv f. mikroskop. Anatomie Bd. II. p. 490. 


448 Ernst Calberla: 


Aehnlich sind die Angaben von Babuchin'!, Hensen hat in 
seiner letzten Abhandlung (l. c.) die Hypothese aufgestellt, dass 
die Nervenfaser aus der Verbindung zweier nebeneinanderliegenden 
Zellen entstände, indem dieselben auseinandergezogen würden; die 
eine würde zur Nervenzelle im Spiralganglion, die andre zur Epi- 
thelzelle und stelle so die Verbindung beider, den peripheren Nerven 
dar. Ranvier?), der in neuerer Zeit die feineren Verhältnisse der 
peripheren Nerven genauer studirt hat, findet in gewissen Abständen 
des peripheren, markhaltigen Nerven Abschnürungen des Markes 
und an der Nervenstrecke zwischen zwei Abschnürungen stets einen 
Kern. Er bringt diese Einschnürungen mit zugehörigem Kern in 
Verbindung mit der Entstehung der Nervenscheide. Die Angaben 
über die Entstehung der Nervenendigung in den quergestreiften Mus- 
keln sind sehr spärlich; nur Engelmann?) führt an, dass er die 
Kerne an dem intramuskulären Nervenende als die persistirenden Kerne 
der Zellsubstanz ansieht, aus der in früheren Entwicklungszuständen 
die intramuskulären Theile der Nerven sich gebildet haben. 

Ich wende mich nun zu dem Ergebniss meiner Untersuchungen. 
Als Material stand mir eine grosse Zahl Embryonen jeden Alters 
von Rana escul., Bombinator ign., Triton eristatus und Salamandra 
maculosa, ausserdem eine Anzahl Embryonen von Tropidonotus 
natrix (jüngste Stadien) und Coronella laevis (ältere Stadien) zur 
Verfügung. Ich habe meine Untersuchungen vorwiegend an den 
mir am reichlichsten zu Gebote stehenden Froschembryonen, da ich 
mehrfach frisch befruchteten Laich erhalten und so auch die frühe- 
sten Stadien untersuchen konnte, angestellt. Die Untersuchung der 
übrigen Embryonen, besonders die der Schlangen, habe ich mehr 
zur Controle des bei Rana Gefundenen benutzt. Die Differenz, die 
sich zwischen den Batrachiern und den Ophidiern findet, die in der 
Verschiedenheit ihrer intramuskulären Nervenendigung begründet 
ist, werde ich am Schluss berichten. Die Untersuchung der Em- 
bryonen wurde meist frisch vorgenommen. Ich gebrauchte dann 


1) Medicinisches Centralblatt 1868. p. 755. 
2) Ranvier, comptes rendus, 13. Novembre. 
Ranvier, archives de physiol. T. IV. 427. 
Ranvier, comptes rendus LXXV u. LXXVI, vergleiche auch Key 
und Retzius, Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. IX. p. 308. 
3) Engelmann, Untersuchung über den Zusammenhang von Nerv 
und Muskelfaser, Leipzig 1863. 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 449 


als Zusatzflüssigkeit 3/4°/o Kochsalzlösung oder dieselbe Lösung, 
der ich dann auf 20 Theile ein Theil 1°/, Osmiumsäure zusetzte. 
Diese letztere Zusatzflüssigkeit bewirkt, dass die leicht gerinnbaren 
Muskeln etwas erstarren, ohne dass durch Färbung oder zu inten- 
sive Einwirkung der Osmiumsäure die feineren Strukturverhältnisse 
vernichtet werden. 

Zur Maceration wendete ich zuerst Natronlauge, dann Salpeter- 
säure, theils rein, theils in Verbindung mit chlorsaurem Kalı, 
auch verschiedene Concentrationen von Schwefelsäure an, ohne je- 
doch günstige Resultate zu erzielen. Dann versuchte ich Müller’- 
sche Lösung, verschiedene Salze und Concentrationen von Chrom- 
säure. Den besten Erfolg zeigte die Czerny’sche Combination von 
Speichel mit Müller’scher Lösung. Ich legte mir hierbei die Frage 
vor, wodurch die guten Resultate der Czerny’schen Macerations- 
flüssigkeit bewirkt werden, ob das Ptyalin oder die Salze hierbei 
das Wirksame seien. Ich bereitete mir eine Salzlösung, die in 
ihrem Salzgehalt den genauesten Analysen des Speichels nachge- 
bildet war. Ich verwendete diese Lösung in den verschiedensten 
Combinationen mit chromsaurem Salz und erhielt bei gewissen Ver- 
hältnissen beider Flüssigkeiten die gleichen, wenn nicht bessere 
Resultate als mit der Czerny’schen Lösung. Ich gebe hier die 


Zusammensetzung einer Salzlösung : 4,2 
Chlorkalium 1,8 Schwefels. Magnesia 0,4 
Chlornatrium 1,2 Rhodannatrium 0,1 
Phosphors. Natron 0,8 Kohlensaurer Kalk 0,4 
Chlorcaleium 0,4 Phosphors. Kalk 02° 

42 5,3 


5,3 auf 556 Ce. Wasser. 

In diese Lösung leitete ich bis zur Sättigung Kohlensäure ein; 
zur Darstellung der Macerationsflüssigkeit nahm ich zwei Theile 
Salzlösung, zwei Theile Wasser und ein Theil Müller’sche Lösung 
und liess darin den Embryo einen oder zwei Tage liegen. Ich fertigte 
mir dann eine einfacher gebildete Salzlösung an, die aus 


Chlorkalium 0,4 
Chlornatrium 0,3 
Phosphors. Natron 0,2 
Chlorcalcium 0,2 


1,1 auf 100 Theile Wasser 
gebildet war, leitete Kohlensäure bis zur Sättigung ein, mischte 


450 Ernst Calberla: 


dann die Salzlösung mit Wasser und Müller’scher Lösung in dem- 
selben Verhältniss wie die erstbereitete Salzlösung und erhielt 
dieselben guten Resultate. Die Müller’sche Flüssigkeit habe ich 
mehrfach, besonders zur Maceration jüngerer Embryonen durch die 
gleiche Menge einer 21/,0/, Lösung von einfach chromsaurem Amo- 
niak ersetzt. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass der Speichel 
in der Özerny’schen Combination ganz gut durch eine Salzlösung 
von oben genannter Concentration ersetzt werden kann. Die besten 
Macerationsresultate erhielt ich, wenn ich die Lösung kurz vor 
Gebrauch mit Kohlensäure sättigte '). Es liess sich dann die Epi- 
dermisschicht ungemein leicht mit Hülfe einer Lanzennadel abheben 
und nun mittelst Nadeln und ganz feiner Scheere die seitwärts der 
Chorda ausgespannte Muskelanlage isoliren. Durch Schütteln liessen 
sich die Muskelfasern und Muskelbildungszellen ohne die geringste 
Insulte in ihrer ganzen Länge isoliren. Die Präparate, die ich 
aufheben wollte, legte ich in eine concentrirte Lösung von essig- 
saurem Kali; waren es frische Präparate, so setzte ich sie 5 bis 
10 Minuten der Einwirkung einer 1/, °/, Osmiumsäure aus. Durch 
nachfolgende Färbung mit Garmin erhielt ich mehrfach sehr schöne 
Bilder. Die specielle Präparationsmethode bestand darin, dass ich 
den Embryo von Eihülle und Dottersack mittelst Scheere und Nadel 
befreite, dann mit Hülfe von Lanzennadeln die zum Theil flimmernde 
äussere Zellschicht entfernte und nun die Seitenplatten zu isoliren 
versuchte. Bei den jüngsten Embryonen bis zu 6 Tagen ist dies sehr 
schwer. Mit weiterer Ausbildung der Chorda gelingt die Isolirung 
der zwischen den Wirbelplatten befindlichen Muskeln sehr leicht. 


Zerzupft man ein Froschei etwa 24 Stunden nach dem Beginn 
der Furchung, so findet man eine Anzahl grösserer und kleinerer 
Furchungskugeln von ungemein hellem Glanze, die ganz das Aus- 
sehen von Fettkörnern haben. 12 Stunden später finden sich an 
der nun eine etwas ovale Form angenommenen Embryonalanlage 
an den Seiten sehr lebhaft flimmernde Zellen. Macht man sich 
jetzt ein Präparat, so findet man, dass die Furchungs- oder Keim- 


1) Vielleicht verhindert die langsam entweichende Kohlensäure die zu 
schnelle Einwirkung der Salzlösung. 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 451 


zellen das Bestreben haben, zusammenzubacken. Macht man etwa 
48 Stunden nach Beginn der Furchung von der nun ganz ovalen Em- 
bryonalanlage ein Präparat in der Art, wie ich es beschrieben, so 
findet man die hellglänzenden Keimzellen zu längeren Balken an- 
geordnet, ohne dass neben diesen hellglänzenden Zellen ein körniges 
Protoplasma sich findet. Zur Beobachtung dieser Stadien ist es 
vortheilhaft, entweder kein Deckglas, oder nur mit Anwendung von 
Schutzleisten das Deckglas aufzulegen (Fig. 1). In den Keimzellen 
konnte ich auch nach Behandlung mit Essigsäure und andern Rea- 
gentien nie Kerne nachweisen. 

Man findet nun, wenn man verschiedene Präparate aus einem 
und demselben Laich anfertigt, entsprechende, wenn auch ge- 
ringe, so doch constatirbar verschiedene Stadien der Entwick- 
lung, die allerdings kaum über 12 Stunden auseinanderliegen. Ver- 
gleicht man nun in derartigen Präparaten die Keimzellenbalken, die 
aus den Seitenplatten stammen, so fällt einem die verschiedene 
Helligkeit dieser Zellgruppen auf. Ein je späteres Stadium man 
untersucht, desto mehr findet sich der Inhalt der Keimzellen ge- 
trübt. Dieselben werden dabei kleiner, es kommt zwischen ihnen 
zur Ansammlung eines körnigen Protoplasmas und kann man den 
Umwandlungsprocess der Keimzellen in dasselbe sehr gut beob- 
achten.: Es bilden nun diese Keimzellen Protoplasmabalken, etwa 
0,015—0,033 Mm. lange zellenähnliche Gebilde, die keine scharfe 
Begrenzung besitzen (Fig. 1). 

Es enthalten diese Zellen noch zahlreiche Furchungskugeln, 
eingebettet in ein sehr feinkörniges Protoplasma. Dieser Differen- 
zirungsprocess wickelt sich bis zum Ende des 4. Tages in dieser 
Art ab (Fig. 2). Mit dem Verschwinden der Furchungskugeln im 
körnigen Protoplasma tritt sehr bald ein schärfer begrenzter, matter, 
mit feinen Körnchen, unter denen eines durch seine Grösse sich be- 
merklich macht, erfüllter Kern auf. Derselbe vergrössert sich und 
bewirkt oft eine Hervorragung am Rande der Muskelbildungszelle. 
Meist findet in ihrer Umgebung eine schnellere Umwandlung der 
Furchungszellen in körniger Substanz, als an den Polen der Zelle 
. statt. Am Beginn des 5. Tages sieht man an dem einen Rande 
der Zelle eine Anzahl schärfer als die übrigen glänzenden Körn- 
chen, noch vollkommen regellos geordnet. Von der Mitte dieses 
Tages bemerkt man mit ungemeiner Schärfe, dass diese eben ge- 
nannten grösseren Körnchen sich in einer geraden Reihe an dem 


452 Ernst Calberla: 


einen Rande der Zelle angeordnet haben. Noch ist keine Quer- 
streifung vorhanden (Fig. 3); kurze Zeit darauf (ein oder zwei Stun- 
den) hat sich neben jedes dieser in einer Reihe angeordneten Körn- 
chen ein zweites gruppirt. Sie treten dieht zusammen und die 
Querstreifung ist da (Fig. 4). An dem Kern der Zelle ist das Kern- 
körperchen deutlich zu erkennen. An diese zwei Reihen Körnchen, 
welche die Querstreifung bilden, lagert sich bald eine 3. Reihe an. 
Behandelt man in diesem Stadium diese Muskelprimitivzellen mit 
salzsaurem Alkohol, so zerfällt der schmale Saum quergestreifter 
Substanz in 2, 3 oder mehr feinste Fibrillen. Die Differenzirung 
ist leicht verständlich; die Furchungszellen verschwinden und neue 
Fibrillen quergestreifter Substanz lagern sich ab. Durch Carmin- 
färbung erhält man in diesem Stadium sehr instructive Präparate 
(Fig. 5). Man sieht nun vom 6. und 7. Tage an mehrere dieser 
Muskelprimitivzellen, die nach aussen noch keine scharfe Begren- 
zung besitzen, sich zusammenlagern. Dabei kommen die Kerne 
sehr oft nebeneinander zu liegen (Fig. 6). Es tritt mit der weitern 
Ausbildung des Saumes quergestreifter Substanz eine Zweitheilung 
der Kerne ein, der eine — es ist meist der kleinere — scheint das 
Licht stärker zu brechen. An ihm ist das Kernkörperchen immer 
später zu erkennen, als am andern. Es haben sich nun am 8. Tage 
5, 6 und mehr solcher Muskelprimitivzellen mit einander vereinigt. 
Nur selten lassen diese Zellencomplexe an einem oder dem andern 
Pol durch ein Auseinanderweichen der Zellen ihre Entstehung er- 
kennen. Die Muskelprimitivzellen sind fest miteinander durch fein- 
körniges Protoplasma verkittet; zwischen ihnen finden sich die bei- 
den Kernsorten, die grösseren in grösserer Anzahl und regelmässiger, 
in ein oder zwei Reihen geordnet (Fig.7, 8). Während am 6. Tage 
die Länge etwa zwischen 0,15 bis 0,25 Mm. schwankte, hat sie am 
11. Tage, vom Beginn der Furchung an gerechnet, schon bis 0,3 Mm. 
zugenommen. Die Breite der Zellen beträgt am 6. Tage etwa 
0,010 Mm., am 11. Tage 0,12 Mm.; die Breite der quergestreiften 
Substanz hat vom 6. Tage von 0,001 Mm. um das Doppelte zuge- 
nommen. Während die Hauptmasse der Muskeln sich in diesem 
Stadium befindet, finden sich dazwischen noch Zellen der frü- 
heren Stadien. Die Kerne, die in diesem Muskelprimitivzellencom- 
plex liegen, sind von einem Hofe körnigen Protoplasmas umgeben. 
Ich betrachte diesen Zellencomplex als die Muskelfaser oder das 
Muskelprimitivbündel der Autoren. Vom 15. Tage an gelingt die 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 453 


Isolirung der einzelnen Primitivzellen nur mit Hülfe von Reagentien 
und der Zerreissung eines Theils der Muskelfaser. An der äussern 
Oberfläche des Muskelbündels findet sich ein Theil der kleineren 
Zellen, die sich bei der früher erwähnten Zelltheilung gebildet haben. 
Untersucht man in diesem Stadium das Muskelbündel mit stärker 
eingreifenden Reagentien — besonders eignet sich hiezu Kalilauge 
— so lässt sich das Vorhandensein eines Sarkolemmaschlauches, 
der an beiden Polen in eine feingestreifte, ungemein zierliche Sehne 
übergeht, mit absoluter Sicherheit nachweisen. Das Sarkolemm ist 
zu dieser Zeit noch sehr dünn und stärkeren Reagentien gegenüber 
nicht sehr widerstandsfähig. Ein Theil dieser eben erwähnten klei- 
neren Zellen scheint in dem Sarkolemmaschlauch zu liegen. Ich 
schreibe diesen Zellen den grössten Antheil an der Bildung des 
Sarkolemmaschlauches zu, indem das früher in ihrer Umgebung 
befindliche Protoplasma durch Erhärtung in eine Cuticularsubstanz, 
als welche ich das Sarkolemm betrachte, übergegangen ist. Die 
Querstreifung, die sich immer mehr verbreitet hat, durchzieht nun 
in breiten Bändern, an denen die Krause’sche Zwischenmembran 
deutlich zu sehen ist, von einander durch die grössern Bildungs- 
zellen und das in ihrer Umgebung angesammelte Protoplasma ge- 
trennt. Nach 20 Tagen sind die Muskelbündel 0,015 Mm. bis 
0,03 Mm. breit. Ihre Länge beträgt 0,45 bis 0,55. Frisch unter- 
sucht sieht man in diesem Stadium in der quergestreiften Substanz 
nur die Kerne der Muskelbildungszellen, die den Muskelkörperchen 
der Autoren entsprechen; eine scharfe Abgrenzung der Muskelpri- 
mitivzellen ist nur schwer zu erkennen; obgleich man, wenn man 
mit starken Systemen arbeitet, ganz gut die oben geschilderte Structur 
erkennen kann. Reagentien, besonders Salzlösungen, wie die von 
mir oben angegebene, geben sehr schöne Bilder. Betrachtet man in 
diesem Stadium etwa am 20. oder 21. Tage ein frisches Muskel- 
bündel, welches man so wenig als möglich insultirt hat, so sieht 
man (Fig. 7 und S) an der Peripherie eine hellglänzende, dabei oft 
unregelmässig geformte, mit spärlichen Körnchen durchsetzte Kern- 
masse liegen. Auch bei Zerzupfungspräparaten erhält man dieselben 
Bilder und sieht man dann an der Stelle, wo diese hellglänzende 
Masse dem Muskelbündel anliegt, im Innern zwischen den einzelnen 
Bändern quergestreifter Substanz mehrere der früher erwähnten, 
kleinen und hellglänzenden Kerne, die sich bei der Theilung der 
Kerne der Muskelprimitivzellen gebildet hatten, liegen. Die aussen 


454 Ernst Calberla: 


anliegenden, hellglänzenden Massen sieht man öfters (Fig. 9) in 
Verbindung mit feinen Nervenfasern. Meist ist die Stelle, wo die- 
selben den Muskeln anlagern, feiner granulirt, als der übrige Theil. 
Diese hellglänzenden Massen, die aussen dem Muskel anliegen, 
kann man schon vom 14. Tage an beobachten, allein die optischen 
Differenzen sind zu dieser Zeit so gering, dass ihre feineren Ver- 
hältnisse sich ganz der Beobachtung entziehen. Ueber die Bildung 
der Sehnen kann ich nur das Eine anführen, dass etwa vom 
10. Tage an die Enden der Muskelprimitivzellencomplexe in ein 
feines, kurzes Fädchen auslaufen, das nach und nach breiter wird, 
und dabei eine feine Längsstreifung zeigt. Ich verlasse hier die 
Muskelentwicklung und gehe zur Besprechung der Nervenentwick- 
lung über. Die mehrfach erwähnten hellen Massen, die mit Nerven 
zusammenhängen, werde ich am Schlusse eingehender noch be- 
sprechen. Betrachtet man den Schwanztheil einer eben aus dem Ei 
seschlüpften Larve (es geschieht dies meist am 4. oder 5. Tage), so 
sieht man, wenn man sie frisch in toto unter das Mikroscop bringt, 
die erste Anlage der hellglänzenden Chorda, umgeben von Pigment- 
zellen, daneben ein schmaler Saum gallertartiger Substanz, in der 
sich wenige kleinere vielstrahlige Zellen zu bilden scheinen. Die 
Oberfläche ist mit einer Lage polygonaler, sehr weicher, mit feinem 
Pigment angefüllter Zellen bedeckt. Ein grosser Theil dieser Zellen 
besitzt Wimpern. Meist lässt sich diese Schicht schwer abtrennen. 
Legt man es dagegen nur wenige Stunden in eine Macerationsflüssig- 
keit, so lässt sich diese äussere Zellschicht leicht ablösen. Man 
findet dann unter ihr die erwähnte gallertige Substanz mit den 
spärlichen vielstrahligen Zellen. Vom 10. oder 14. Tage an braucht 
man die äussere Zellschicht nicht mehr abzulösen, sie ist dünner 
geworden und lässt eine direkte Untersuchung des darunter- 
liegenden Gewebes im lebenden Zustande der Larve mit grosser 
Leichtigkeit zu. Man sieht dann in der gallertartigen Grundsub- 
stanz die Bildung von Blut- und Lymphgefässen, dazwischen eine 
ungemeine Anzahl der nun grösser gewordenen, hellglänzenden, viel- 
strahligen Zellen, die zum Theil durch ihre Protoplasmafortsätze 
mit einander zusammenhängen. Bald bemerkt man, dass einzelne 
dieser mit einander zusammenhängenden Zellen einen Theil ihrer 
Fortsätze verschwinden lassen (Fig. 10). Dabei werden sie hell- 
glänzender und erhalten an der Peripherie eine schärfere Begrenzung. 
Man sieht nun ferner, dass in dem Gewebe neben der Chorda feine, 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 455 


helle Fäserchen auftreten, die sich mit den in der eben erwähnten 
Weise differenzirten Zellen verbinden. Diese feinen Fäserchen ent- 
springen von dem Centralnervensystem. Die Zellen verlieren sehr 
schnell ihre Grösse, dagegen werden die verbindenden Fasern breiter. 
In den Zellen kommt es nach und nach — man kann die einzelnen 
Stadien sehr gut verfolgen — zur Bildung eines Kernes (Fig. 11). 
Oft sieht man in der Zelle, dass die Bildung des Kerns nur in der 
halben Peripherie stattgefunden hat. Sind die Kerne abgeschlossen, 
so erhalten sie eine feine Granulirung, wodurch sie sich schärfer 
von dem übrigen Zellinhalt abheben. Es haben sich also die vom 
Centrum ausgewachsenen Nervenfasern mit ursprünglich den Binde- 
gewebszellen gleichwerthigen Zellen verbunden und diese sind an 
Ort und Stelle in Nervenfasern umgewandelt worden. Betrachtet 
man Larven von etwa 25—30 Tagen, so sieht man, dass die Zahl 
der Knotenpunkte, die den ehemaligen Nervenbildungszellen ent- 
sprechen, vom Centrum nach der Peripherie zugenommen hat. Es 
haben sich zahlreiche Anastomosen der einzelnen Zellfasern gebildet. 
An der Peripherie einiger Nervenbildungszellen finden sich kleine, 
runde Pigmentkörnchen, die eine lebhafte Bewegung zeigen. Auch 
die Zellsubstanz der Nervenbildungszelle scheint noch formverände- 
rungsfähig zu sein. Man sieht oft, selbst in kürzerer Zeit, dass die 
früher runde Zellmasse in eine der gabeligen Theilung entsprechende 
dreieckige Form übergegangen ist. Die Ausläufer der am meisten 
peripher gelegenen Zellen scheinen sich zwischen den Epidermis- 
zellen zu verlieren. Nie konnte ich einen Zusammenhang dieser 
Endfasern mit den genannten Zellen, wie Hensen (l. c.) es be- 
schreibt, finden. Auch die vollkommensten Isolirungen gaben mir 
immer Bilder, die im Widerspruch zu denen von Hensen stehen. 
Bringt man einen Embryo des genannten Alters, in Fliesspapier 
eingewickelt, den Schwanz auf einem Objectträger mit einem Deckel- 
glas bedeckt, in die feuchte Kammer, so bleibt das Thier einige 
Stunden am Leben. Bringt man nun nach etwa 3—4 Stunden das 
Objekt unter das Mikroskop, so sieht man, dass an den geschil- 
derten Nervenfasern, besonders in der Umgebung der Kerne sich 
ungemein zierliche Varicositäten gebildet haben (Fig. 12). Dieselben 
haben ganz das Aussehen zusammengelaufenen Nervenmarkes, ob- 
gleich ihre Lichtbrechung noch nicht sehr intensiv ist. Vergleicht 
man Embryonen verschiedenen Alters, die auf dieselbe Weise be- 
handelt sind, miteinander, so findet man, dass mit dem Alter des 


456 Ernst Calberla: 


Embryo auch die Stärke der Lichtbrechung zunimmt. Wir haben 
es hier mit der Bildung der Markscheide zu thun. Meist findet 
sich dieses sich bildende Nervenmark, wenn es zu den Tröpfchen 
und Kügelchen zusammenläuft, nicht blos in der Umgebung des 
Kernes der Nervenbildungszelle. Es finden sich diese Marktropfen 
auch in der Richtung auf die nächste Zelle hin, doch nie mit 
dem Nervenmark der andern Zelle vereinigt. Es muss ein Wi- 
derstand, eine Einschnürung vorhanden sein, die das Zusammen- 
fliessen verhindert. Das Ganze sieht aus, wie die Einschnürung am 
Nerven des ausgewachsenen Thieres, wie Ranvier (l. c.), sowie 
Key und Retzius (l. c.) sie abbilden. Dabei erkennt man an 
diesen eingeschnürten Stellen eine schärfere Abgrenzung nach Aussen. 
Es hat sich die äussere Zellschicht incl. dem gebildeten Kern in 
dieSchwann’sche Scheide umgewandelt. Bei so behandelten Objekten 
kann man dann auch sehr gut das Vorhandensein eines Axencylin- 
ders constatiren. Ob nun der Axencylinder durch centrifugales Aus- 
wachsen in dievon mirals Nervenbildungszellen bezeichneten Zellen zur 
Peripherie gelangt ist oder ob er sich an Ort und Stelle gebildet hat, 
ist schwer zu entscheiden. Ich pflichte der letzten Anschauung bei, 
gestützt darauf, dass es sich ganz evident nachweisen lässt, dass 
zu derselben Zeit, wo die feine, centrifugal auswachsende Faser sich 
mit den peripher gelegenen Zellen verbindet, die letzteren schon 
unter einander verbunden sind. Meine Ansicht über die Bildung 
der peripheren Zellen geht, wie aus dem Dargestellten ersichtlich 
ist, darauf hinaus, dass ich mich für eine Entstehung des Nerven 
an Ort und Stelle in Verbindung mit einem Zusammentreten eines 
Ausläufers vom Centralorgan ausspreche. 

Ich wende mich nun zu dem Muskelbündel, das ich verlassen 
habe bei der Besprechung der hellen, mit den Nerven in Verbin- 
dung stehenden, an der Aussenseite des Muskels sich befindlichen 
Masse. Ich stehe nicht an, dieselbe mit dem im Innern des Muskels 
gelagerten, hellglänzenden Kerne, dessen Entstehung und Lage ich 
oben geschildert habe, als die Anlage der Endigung des Nerven im 
Muskel zu bezeichnen. Es spricht dafür einmal ihr Zusammenhang 
mit peripherischen Nerven; ferner, untersucht man etwas ältere 
Larven von Tritonen und besonders von Salamandra maculosa, so 
sieht man Folgendes: hier sind dann im Innern des Muskels nur 
ein oder zwei Kerne gelagert, entsprechend der geringen Breite des 
Muskels, und geht hier (Fig. 13) von der aussen gelegenen hellen 


Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven d. Amphibien u. Reptilien. 457 


Masse ein Fortsatz bis zu einem dieser Kerne und über diesen 
hinaus in die Muskelsubstanz. Es ist dies ein Verhalten der Ner- 
venendigung, wie ich sie früher (l. ec.) für das erwachsene Thier ge- 
schildert habe. Je älter eine Larve ist, desto mehr verkleinert sich 
die aussen am Muskel gelegene Substanz. In derselben treten 
(Fig. 14) vom 40. Tage an ein oder zwei Kerne auf, die sich durch 
nichts von den beim erwachsenen Thier an derselben Stelle befind- 
lichen Kernen unterscheiden. 

Was die Verhältnisse der Muskel- und Nervenentwicklung bei 
den Ophidiern betrifft, so findet sich kein fundamentaler Unterschied 
von dem, wie ich sie von den Amphibien geschildert habe. Vor- 
wiegend liegt der Unterschied einmal in den Grössenverhältnissen — 
die Muskelfasern sind weit schmäler, die Kerne weit kleiner, als 
sie sich bei den Amphibien finden —, doch erfolgt die Bildung auf 
die nämliche Art und Weise. Die Kerne liegen in den ersten Sta- 
dien bis zu 4 Wochen in der Mitte des Muskelgliedes, nur einzelne 
in der Peripherie Einige der letztern, die sehr klein, aber hell- 
elänzend sind, finden sich an einem Punkt der Peripherie vereinigt, 
an dieser Stelle liegt aussen wieder eine hellglänzende, mit peripher 
verlaufenden Nerven zusammenhängende Masse. Ich konnte bei 
mehreren meiner Embryonen beobachten, dass in dieser Masse eine 
Anzahl von Kernen sich zu differenziren schien. Wir haben also 
hier das Nervenende im Muskel, den Nervenhügel in seiner ersten 
Bildung vor uns, und erklärt sich in der Verschiedenheit der Ner- 
venendigung bei den Reptilien von denen der Amphibien die, wenn 
auch geringe, so doch vorhandene Differenz in der Muskel- und 
intramuskulären Nervenentwicklung (Fig. 17). 

Ich lasse also die Muskelfaser der genannten Thiere sich aus 
einer Summe von Muskelbildungszellen (Primitivzellen), in denen 
sich eine Anzahl feinster Fibrillen ausscheidet, zusammensetzen. 
Die Kerne der Muskelbildungszellen, die sich theilen, stellen eines- 
theils — es sind dies die grösseren -— die Muskelkörperchen dar 
und entspricht dann ein Kern einer Anzahl Fibrillen; anderntheils 
— es sind dies die kleineren hellglänzenden — stehen sie einmal 
in Beziehung zur Sarkolemmabildung, und zweitens stellen sie mit 
dem sie umgebenden Protoplasma das Bildungsmaterial des intra- 
muskulären Nervenendes dar. Dasselve entwickelt sich auch an 
Ort und Stelle und tritt jedenfalls vor Bildung des Sarkolemma- 
schlauches mit dem extramuskulären Nervenende in Verbindung. 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Pd. 11, sl 


458 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Ernst Calberla: Entwickl. d. quergestr. Muskeln u. Nerven etc. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII u. XXIV. 


ppm 


= 10. 


Im. 


Furchungszellen zu einem Balken angeordnet. Erste Anlage der 
Muskelprimitivzellen. 

Erste Anlage der;{Muskelprimitivzellen. a. Kern mit Kernkörperchen. 
Erstes Stadium der sich bildenden quergestreiften Masse. 

Zweites Stadium. Zwei Fibrillen neben einander abgelagert. 
Muskelprimitivzelle mit sehr deutlich quergestreifter Masse. (Krause’- 
sche Zwischenmembran.) 

Aneinandergelagerte Muskelprimitivzellen. (Figur 1 bis 6 sind bei 
Immersion 10. Ocular 3 (Hartnack) gezeichnet.) 

Muskelfaser, an der man noch sehr gut ihre Zusammensetzung aus 
Muskelprimitivzellen erkennt. a. Muskelkern. b. Die kleineren 
Kerne, die bei der Theilung der Kerne der Muskelprimitivzelle 
entstanden sind. c. Die aussen angelagerte Masse, aus der sich das 
Nervenende differenzirt. Objectiv 9 (mit Correction), Ocular 3. 
Alle Abbildungen 1—7 von Rana esculenta. 

Muskelfaser eines Embryo von Coronella laevis (4. Woche). Bezeich- 
nung wie in Fig. 7. Vergrösserung wie Fig. 7. 

Muskel von Bombinator igneus (4. Woche) mit herantretenden Nerven, 
Objectiv 8. Ocular 3. (Hartnack.) 
Entwicklung der Nerven im Froschlarvenschwanze. a. Epithelzellen. 
b. Bindegewebskörperchen. c. Beginnende Differenzirung des Kerns 
in den Nervenbildungszellen. d. Centrales Ende. Immersion 10. 
Ocular 2. 

Entwicklung der Nerven im Froschlarvenschwanz. a. Pigmentzelle. 
b. Kern der Nerven. c. Nervenendigung am Muskel. Obj. 9 (mit 
Correction). Ocul. 1. 


. Nerv nach Aufbewahrung in der feuchten Kammer. b. Kern des 


Nerven. Obj. 9. Ocul. 1. 


. Nervenendigung im Muskel einer älteren Larve von Triton cristratus. 


a. Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel. 


. Dasselbe wie Fig. 13. Fig. 13 und 14 sind bei Immersion 10. 


Oeular 3, gezeichnet. 


Zur Kenntniss der Fortpflanzung bei Arcella 
vulgaris Ehrb. 


Von 
©. Bütschli. 


Hierzu Tafel XXV. 


Seit einiger Zeit haben sich die Rhizopoden einer erhöhten 
Aufmerksamkeit zu erfreuen, die namentlich schon in systematischer 
Beziehung reichliche Früchte getragen hat, nicht ganz so jedoch in 
Betreff der Fortpflanzungs- und Entwicklungserscheinungen, wie dies 
übrigens in der Natur der Dinge begründet ist und mit dem heutigen 
Stande unserer Kenntnisse aufs innigste zusammenhängt. Doch sind 
grade diese Verhältnisse bei den in Frage stehenden niedrigsten 
thierischen Organismen von der allerwichtigsten principiellen Bedeu- 
tung, nicht allein für die betreffende Organismengruppe selbst, son- 
dern für unsre gesammten Kenntnisse von dem Wesen der Zelle, 
dem Grundsteine aller Morphologie. 

Ich beabsichtigte ursprünglich nicht, die nachstehend zu be- 
sprechenden Beobachtungen vereinzelt mitzutheilen, sondern im Zu- 
sammenhang mit ausgedehnteren Forschungen über die Fortpflanzungs- 
erscheinungen der Infusorien. Ich werde dazu jedoch jetzt veran- 
lasst, durch die rege Theilnahme, die den Rhizopoden von verschie- 
denen Seiten in letzter Zeit geschenkt wird und den Umstand, dass 
die Untersuchungen über die Infusorien noch eine geraume Zeit bis 
zu einem gewissen Abschluss erfordern werden. 

Die neuesten Mittheilungen über die Arcellen haben R. Hertwig 
und E. Lesser!) gemacht. Von Fortpflanzungserscheinungen haben 


1) Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen in M, 
Schultze’s A. f. mikr. Anatomie Bd, X. Supplementheft. p. 97—99. 


460 OÖ. Bütschli: 


sie einmal Encystirung und dann auch Theilung beobachtet, letztere 
in ähnlicher Weise, wie Ülaparede una Lachmann!), die diesen 
Vorgang jedoch für eine Art Häutung halten zu müssen glaubten. 
Das Vorkommen einer wirklichen Gonjugation, wie früher vonCohn 
angegeben wurde, glaubten sie dagegen in Abrede stellen zu müssen. 
Es findet sich nun aber gewiss auch Conjugation bei der Arcella 
vulgaris und diese Conjugation hat, wenn auch nicht immer, so doch 
häufig einen eigenthümlichen Fortpflanzungsprocess im Gefolge. 

Hertwig und Lesser geben an, dass von den in der ver- 
meintlichen Conjugation befindlichen Individuen stets das Eine eine 
tiefbraune, das Andre eine sehr helle Schale besitze, die letztere 
daher als eine neugebildete betrachtet werden müsse. Letzteres ist 
richtig, es kommen aber auch Verbindungen von zwei und auch drei 
Individuen vor, die sämmtlich tief braun gefärbte Schalen besitzen, 
wo also nur an eine Verbindung gleichwerthiger Individuen, nicht 
aber an eine Theilung oder Häutung gedacht werden kann. 

Die erste Beobachtung über die jetzt zu beschreibende, im Ge- 
folge der Oonjugation eintretende Fortpflanzung, machte ich grade 
an drei mit einander conjugirten Thieren, die ich am 12. October 
Mittags antraf und zur weiteren fortlaufenden Beobachtung in einem 
kleinen Uhrgläschen in einigen Tropfen Quellwasser isolirte. Die 
drei in fester Verbindnng mit einanderstehenden Thiere (Fig. 1) zeigten 
eine gewisse Regelmässigkeit in der gegenseitigen Stellung ihrer 
Schalen, jedes der Thiere hatte nämlich den Schalenrand gegen 
die Schalenöffnung eines der andern Thiere gelehnt. Dass auch die 
eigentliche Leibesmasse der Arcellen in wahrer Verbindung stand, 
dass dieselben nicht nur etwa äusserlich aneinander hafteten, zeigte 
sich sehr deutlich bei der Trennung der Thiere, die nur kurze Zeit 
nach ihrer Isolation in dem Uhrgläschen erfolgte. Man sah nämlich 
dann deutlich breite Protoplasmabrücken sich noch zwischen den 
Schalenöffnungen der Thiere ausspannen, die schliesslich in der Mitte 
durchrissen und theils dem einen, theils dem andern Thiere folgten. 
Während der in Fig. 1 abgebildeten Vereinigung der 3 Thiere war 
theils wegen den ein Hinderniss bietenden Schalen, theils desshalb, 
weil ich die Thiere nicht ernstlich stören wollte, nicht viel von dem 
Verhalten ihrer Protoplasmakörper zu sehen, aus welchem Grunde 
auch auf Fis. 1 nur das Stellungsverhältniss der Schalen zu einan- 


1) Clapar&de und Lachmann. KFitudes sur les infusoires, T. Ip. 445. 


Zur Kenntniss der Fortpflanzung bei Arcella vulgaris. 461 


der angegeben ist. Nachdem sich die Thiere im Laufe des Nach- 
mittags vollständig von einander entfernt hatten, zeigte sich an 
ihnen weiter nichts auffallendes. Am folgenden Morgen hingegen 
zeigte das eine der Thiere das in Fig. 2 wiedergegebene interessante 
Verhalten. Der Protoplasmakörper desselben hatte sich ziemlich 
beträchtlich von der Schale zurückgezogen und in der ihn umgeben- 
den Flüssigkeit wimmelten viele Vibrionen umher, ohne dass jedoch 
die Lebensthätigkeit des Thieres aufgehört hätte, obschon es keine 
Pseudopodien mehr aussendete. Auf der Rückenseite!) der Proto- 
plasmascheibe lag, dieser dicht angeschmiegt, eine Doppelreihe stumpf- 
eckiger, zellenartiger, protoplasmatischer Körper. Dieselben bildeten 
flache, dem Protoplasmakörper des Thieres dicht angeschmiegte 
Scheiben, die jedoch, wie ınan bei randlicher Stellung derselben er- 
kennen konnte, mit dem Protoplasmakörper der Arcella, in dem ich 
nur einen Kern mit Deutlichkeit beobachtete, nicht mehr in Zu- 
sammenhang standen. Im Uebrigen war die Beschaffenheit ihres 
Protoplasmas dem der Arcella ganz gleich. Bewegungen habe ich 
am Morgen des 13. an diesen Körpern noch nicht wahrgenommen. 
Gegen Mittag jedoch konnte man leicht erkennen, dass ein Theil 
der Körper sich lebhaft amöboid bewegte und zwischen dem Proto- 
plasmakörper der Mutter und ihrer Schale herumkroch, womit natür- 
lich auch die oben beschriebene Anordnung der fraglichen Körper 
verloren ging. Fernerhin liess sich jetzt auch an vielen eine pul- 
sirende Vacuole mit aller wünschenswerthen Deutlichkeit wahrnehmen. 
Mit geringerer Sicherheit glaube ich auch die Theilung eines Kör- 
pers gesehen zu haben. 

Um 5 Uhr Nachmittags hatte sich der Protoplasmakörper des 
Thieres ganz in die eine Hälfte der Schale hinübergezogen (Fig. 3) 
und der grösste Theil der kleinen, sehr beweglichen Amöben befand 
sich nun in der andern Schalenhälfte. Bei genauem Zusehen ergab 
sich nun, dass eine derselben sich schon aussen auf der Schale dicht 
neben der Mündung befand. Ich setzte nun die Beobachtung an- 
haltend fort und konnte zu meinem grossen Vergnügen innerhalb 1!/. 
Stunden noch 7 andere zur Schalenöffnung herauskriechen sehen. 
Dieselben trieben sich eine Zeit lang auf der Schale umher, um sich 
von dieser zu entfernen, sobald sie einen geeigneten Stützpunkt für 


1) Wenn man unter der Bauchseite die die Oeffnung tragende Schalen- 
fläche versteht. 


462 0. Bütschli: 


ihre Weiterbewegung fanden. Um 8 Uhr Abends fand sich, dass 
noch eine neunte Amöbe ausgekrochen war. 

Die kleinen Amöben enthalten eine contractile Vacuole und einen 
schwer sichtbaren, als heller Fleck sich markirenden Kern; sie be- 
wegen sich durch Vorsehieben kurzer, sehr stumpfer Fortsätze, 
die sich kaum hie und da an einer Stelle einbuchten und etwas 
lappig werden, gewöhnlich ist nur ein einziger solcher Fortsatz in 
Thätigkeit. 

Die kleinen Amöben selbst, die ich für die Brut der Arcella 
zu halten mich berechtigt glaube, konnte ich nicht in ihrer ferneren 
Entwicklung verfolgen, da hierzu jedenfalls die Zucht unter dem 
Deckgläschen unzureichend ist und die Kleinheit ihre anhaltende 
Verfolgung unmöglich macht. 

Zunächst will ich jedoch des Schicksals der beiden andern aus 
der Conjugation hervorgegangenen Arcellen gedenken. — Am Abend 
des 13. Oct., also etwa 30 Stunden nach aufgehobener Conjugation, 
zeigte das zweite der Thiere an dem Rande seines Protoplasmakör- 
pers sich grade gegenüber liegend je zwei der uns bekannten Fort- 
pflanzungskörper, die dicht zusammenstanden. Im Gegensatz zu der 
raschen Entwicklung, die die Fortpflanzungskörper des erstbeschrie- 
benen Thieres erfuhren, zeigten nun die des zweiten einen recht 
langsamen Entwicklungsgang, hingegen blieb in diesem Falle die 
Arcella selbst sehr beweglich, indem sie beständig eine mässige Zahl 
von Fortsätzen ausgestreckt hatte. Im Laufe des 14. nahm ich keine 
namhaften Veränderungen wahr; am 15. Morgens hingegen hatte 
sich die Zahl der Fortpflanzungskörper auf 7 erhöht (Fig. 4), von 
welchen jedoch noch keiner eine contractile Vakuole oder amöboide 
Bewegung zeigte. Drei deutliche Kerne liessen sich im Sarkodeleib 
des Mutterthieres wahrnehmen und das Spiel seiner nicht grade 
zahlreichen contractilen Vacuolen deutlich verfolgen. — Dieselben 
Verhältnisse zeigte das Thier noch am Morgen des 16. October. Die 
weitere Entwicklung dieses Thieres konnte nicht verfolgt werden, 
da es durch einen unglücklichen Zufall abhanden kam. 

Das dritte der conjugirten Individuen starb bald nach der 
Trennung der Thiere ab, ohne dass sich an ihm eine Entwicklung 
von Fortpflanzungskörpern gezeigt hätte. 

Ich habe nun noch eine Anzahl conjugirter Paare isolirt, über 
die ich jetzt noch kurz berichten will. Am 14/8. wurde ein Paar isolirt, 
die Thiere trennten sich wiederum sehr bald und zeigten im Laufe 


Zur Kenntniss der Fortpflanzung. bei Arcella vulgaris. 463 


des 15. keine weitere Entwicklung. Am 16. Morgens fand ich das 
eine Thier in einer eigenthümlichen Verfassung, die auch von Cla- 
par&de undLachmann schon beobachtet wurde; es war nämlich 
ein höchst beträchtlicher Theil des Protoplasmakörpers des Thieres 
als eine breite scheibenförmige Masse aus der Schale herausgekrochen 
(Fig. 5) und hatte sogar einige Vacuolen mit sich geführt. Als das 
Thier nun den 16. Abends wieder untersucht wurde, lag dicht neben 
ihm eine helle, dünne kreisrunde Schale (oder besser Platte) ohne 
weitere Structur, ohne eine Andeutung einer Oeffnung und von dem- 
selben Durchmesser wie die Schale der Arcella. Protoplasma be- 
fand sich an ihr nicht und das Protoplasma der Arcella hatte sich 
vollständig wieder in seine Schale zurückgezogen. Leider ging das 
Thier sammt seinem Gefährten bald darauf zu Grunde, so das eine 
weitere Entwicklung nicht festzustellen war. Es kann nun nicht 
wohl einem Zweifel unterliegen, dass ich hier den leider durch irgend 
welchen Umstand gestörten und daher unvollendet gebliebenen Vor- 
gang der Häutung, wie ihn Clapar&de und Lachmann auffassen, 
oder der Theilung nach Hertwig und Lesser, beobachtet habe. 
Jedenfalls ist es von Interesse, diesen Vorgang wenigstens in seinem 
Beginn an einem Thier fortlaufend constatirt zu haben. 

Am 16. Oct. isolirte ich wiederum ein Paar conjugirter, tief- 
brauner Arcellen, die sich ebenfalls wieder sehr bald trennten. Am 
folgenden Morgen enthielt jedes der Thier in seiner Schale eine sehr 
ansehnliche Gasblase, die bei dem einen nahe die Hälfte der Schale 
ausfüllte. Plötzlich brach bei diesem Thier das Protoplasma in 
einem breiten Strom aus der Schalenöffnung hervor, ähnlich wie in 
dem vorhin beschriebenen Fall, die Gasblase wurde dabei mitgerissen, 
so dass dieselbe sich fast vollständig ausserhalb der Schale befand, 
im Protoplasma war sie jedoch jedenfalls nicht eingeschlossen. Am 
Abend desselben Tages war das Protoplasma jedes der Thiere voll- 
ständig in die Schale zurückgezogen, die Gasblase unverändert noch 
vorhanden. 

In Bezug auf die Entwicklung von Gasblasen innerhalb der 
Schale, erlaube ich mir nun noch folgende Mittheilung. Ich traf 
sehr häufig auf Arcellen mit solchen Gasblasen, die sehr verschiedene 
Grösse besitzen können, häufig jedoch, wie in dem oben erwähnten 
Falle einen sehr ansehnlichen Durchmesser erreichen. In Bezug auf 
die chemische Beschaffenheit dieses Gases muss ich die Beobachtung, 
dass dasselbe von Kalilauge allmählich und stetig bis auf den 


464 O0. Bütsechli: 


letzten Rest absorbirt wird, für entscheidend halten. Es kann 
unter den vorliegenden Umständen kaum zweifelhaft sein, dass wir 
es wohl mit Kohlensäure zu thun haben, dennoch muss es sehr 
auffallend erscheinen, dass diese Kohlensäureblasen so lange der 
Absorption durch das die Arcella umspülende Wasser widerstehen 
sollten. 

Indem wir wieder zu den beiden besprochenen, aus der Con- 
jugation hervorgegangenen Arcellen zurückkehren, muss ich zunächst 
hervorheben, dass den Morgen des 18. Oct. die Gasblasen in beiden 
Thieren völlig verschwunden waren, ausserdem hatte sich das Proto- 
plasma sehr vermindert oder contrahirt, die Thiere selbst bewegten 
sich aber noch sehr munter. Neben dem Protoplasmakörper des 
einen fanden sich nun aber auch wieder drei höchst deutliche Fort- 
pflanzungskörper. Die grosse Reduction, die der Protoplasmaleib 
dieses Thieres schon erfahren hatte, lässt die Möglichkeit nicht voll- 
ständig von der Hand weisen, dass hier vielleicht schon junge Brut 
während der Nacht sich entfernt hatte, wiewohl in diesem Falle 
die Entwicklung eine ungemein rasche gewesen wäre. Durch ein 
plötzlich eintretendes Unwohlsein wurde ich nun leider verhindert, 
vor dem 20. Oct. wieder nach den Thieren zu sehen, wo beide ab- 
gestorben waren. 

Zum Schlusse der Mittheilung des Beobachteten will ich noch 
kurz der eigenthümlichen Formen gedenken, die ich mehrfach sah 
und in Fig. 6 abgebildet habe. Die Schale dieser Arcellen hat in 
einer, durch die Axe der normalen Schale gehenden Ebne eine mehr 
oder weniger beträchtliche Krümmung erfahren, so dass die Schalen- 
öffnung sich unterm tiefsten Punkt der concaven Einkrümmung befindet. 
Ich glaubte ursprünglich hier vielleicht einen Theilungszustand vor mir 
zu haben, indem sich ja durch Halbirung in der Symmetrieebene 
aus diesen Formen zwei nahezu normale Arcellen erzeugen liessen, 
doch hat eine mehrere Tage lang fortgesetzte Beobachtung eines 
derartigen Thieres nicht den geringsten Anhaltspunkt für diese An- 
schauung ergeben, das Thier zeigte nicht die geringste Veränderung. 

Die von mir im Vorstehenden geschilderte Fortpflanzungsweise 
der Arcella vulgaris durch eine Amöbenbrut leidet an einer Beob- 
achtungslücke, es ist nämlich die Frage nach der ersten Entstehung 
der Fortpflanzungskörper eine offene geblieben, wie wohl jedermann 
geneigt sein wird, dieselben auf die einfachste Weise durch einen 
Abschnürungs- oder Sprossungs-Process aus dem Protoplasmakörper 


Zur Kenntniss der Fortpflanzung bei Arcella vulgaris. 465 


der Mutter hervorgehen zu lassen. Die sichere Beobachtung dieses 
Punktes wäre namentlich auch desshalb von hoher Wichtigkeit, um 
dadurch jeden Zweifel, dass wir es hier etwa mit Parasiten zu thun 
hätten, die sich innerhalb der Arcellaschale entwickelten, zu bannen. 
Der Parasitismus hat in der Frage nach der Fortpflanzung der Pro- 
tozoön schon grosse Verwirrungen angerichtet, so auf der einen 
Seite den ersten Anstoss zu der irrigen Meinung, dass die In- 
fusorien Spermatozoen entwickelten und andrerseits die vermeint- 
liche Fortpflanzung der Infusorien durch acinetenartige Embryonen, 
auf die Häckel noch neuerdings seine morphologischen Ansichten 
über die Infusorien basirte. 

Da nun die Beobachtung über die erste Entstehung der Fort- 
pflanzungskörper der Arcella noch nicht entschieden hat, so ist es 
jedenfalls von Wichtigkeit, wenn wir in der Lebensgeschichte anderer, 
verwandter Organismen einen ähnlichen Fortpflanzungsprocess an- 
treffen und dies ist nach meiner Auffassung in einem ziemlichen 
Grade der Fall bei der Fortpflanzung der Noctiluca miliaris durch 
Zoosporen, wie uns die Untersuchungen von Cienkowski!) gelehrt 
haben. Hier sehen wir das Protoplasma des Mutterthieres hügel- 
artige Emporstülpungen bilden, die sich ihrerseits noch mehrfach 
theilen und zu einer Art Scheibe auf der Oberfläche der Mutter 
vereinigt sind. In ganz ähnlicher Weise können und müssen wir 
wohl uns die Entstehung der Fortpflanzungskörper bei unserer 
Arcella vorstellen. 

Schliesslich wird bei Noctiluca aus den Fortpflanzungskörpern 
eine geisselnde Zoospore, bei Arcella jedoch eine kleine recht beweg- 
liche Amöbe, die sich vom Mutterthier entfernt. Als Hauptargumente 
für die Ableitung der Fortpflanzungskörper vom Protoplasma des 
Mutterthiers lassen sich noch anführen, die starke Reduction, die 
dasselbe nach der Ausbildung der Brut stets zeigt (vgl. Fig. 3), die 
übereinstimmende Beschaffenheit beider, und dann schliesslich, dass 
sich die Fortpflanzungskörper in unter dem Deckgläschen isolirten 
Arcellen eingestellt haben, die vorher keine Spur von ihnen zeigten. 
Die Conjugation aber scheint, wenn auch häufig, so doch nicht immer 
dem Eintreten dieser Fortpflanzungserscheinung voraus zu gehen?). 


1) Cienkowski, Ueber Noctiluca miliaris, Sur. Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. 9. p. 47. 


2) Die spärlichen Beobachtungen, welche über die Fortpflanzung der 


466 O0. Bütschli: 


Könnte man die jungen amöbenartigen Arcellen auf ihrem 
ferneren Lebenspfade verfolgen und ihre Ausbildung zu beschalten 
Amöben belauschen, so wäre dies gewiss der beste Weg, jeden Zweifel 
zu heben und es würde sich dabei auch die nicht unwichtige Frage 
lösen, wie sich die Amöbe allmählich die Arcellaschale bildet. Dies 
wäre jedenfalls von grossem Interesse, denn ich kann die Zweifel, 
die mir darüber aufgetaucht sind, ob solche Formen wie die Pseudo- 
chlamys patellaClaparede undLachmann’s und die Arcella pa- 
tens derselben Forscher nicht doch in den Entwicklungskreis der 
Arcella vulgaris gehören, nicht ganz unterdrücken. 

In Betreff des Schalenbaues der Arcella vulgaris will ich mir 
hier am Schlusse noch eine Bemerkung erlauben. Die Schale der 
Arcella ist nämlich, wie man sich nur schwer am lebenden Thier, 
leicht jedoch an in einem gewissen Zerfall begriftenen leeren Schalen 
überzeugen kann, deutlich aus zwei Lagen aufgebaut. Die, aus 
hexagonalen Feldchen sich zusammensetzende hübsche Zeichnung der 
Arcellaschale gehört nämlich einer äusseren Schichte an, die einer 
inneren, der Zeichnung entbehrenden Schicht aufsitzt. Man findet 
nämlich leere Schalen, von welchen die äussere gefelderte Schicht 
theilweise abgefallen ist und überzeugt sich dabei, dass dies in der 
Weise geschieht, dass die einzelnen hexagonalen Feldchen sich sowohl 
von einander, als auch von ihrer Unterlage lösen ; häufig bekommt 
man noch ganz vereinzelt der tieferen Schalenschicht aufsitzende 
hexagonale Feldchen der äusseren Schicht zur Ansicht. Es muss 
also die äussere gefelderte Schicht, als aus einer dichten Aneinan- 
derreihung niederer und nach den Untersuchungen Hertwig und 
Lesser’s hohler hexagonaler Prismen zusammengesetzt, aufgefasst 
werden, die durch die zerstörenden Einflüsse langer Maceration 
wieder aus ihrem innigen Verband gelöst werden können. 


Frankfurt a. M., December 1874. 
eigentlichen Foraminiferen vorliegen, namentlich die von M. Schultze und 
Str. Wright, lassen sich mit der beschriebenen Fortpflanzung von Arcella 
leicht in Einklang bringen. 


Fig. 


Fig. 2 
Fig. 3 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Zur Kenntniss der Fortpflanzung bei Arcella vulgaris, 467 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXV. 


Die in Conjugation befindlichen Thiere von Arcella vulgaris am 12. 
Oct. 1874. Mittags. 


Eines der Thiere am Morgen des 13. von der aboralen Seite gesehen. 
Dasselbe Thier den 13. um 5 Uhr Nachmittags, von der oralen Seite 
gesehen; x eine schon aus der Schale gekrochene kleine Amöbe. 
Ein zweites Individuum aus der dreifachen Conjugation Fig. 1, von 
der aboralen Seite gesehen, am 15. Oct. Morgens. 

Ein aus der Conjugation hervorgegangenes Thier, das einen grossen 
Theil seines Protoplasmakörpers aus der Schale austreten hat lassen 
und im Begriff steht eine neue Schale zu bilden. 


Ein Thier mit eigenthümlicher, abnorm gebauter Schale. 


Untersuchungen über das Riechepithel. 


Von 


Dr. A. v. Brunn, 
Prosector in Göttingen. 


Hierzu Taf. XXVI. 


Von den neueren Untersuchern der Riechschleimhaut hat Exner 
(Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wissenschaften z. Wien, Bd. LXIH 
und LXV) die Angaben Max Schultze’s (Untersuchungen über 
d. Bau d. Nasenschleimhaut. Halle 1862), dass das Epithel derselben 
aus zwei streng von einander zu sondernden Elementen, den sog. 
Epithelial- und Riechzellen bestehe, für irrig erklärt, während Hoff- 
mann (Onderzoekingen over den anatomischen bouw van de mem- 
brana olfactoria. Amsterdam 1866), Babuchin (Stricker’s Hand- 
buch der Lehre von den Geweben, Bd. H. Leipzig. 1872) und 
Martin (Studies from the physiological laboratory in the University 
of Cambridge, Part. I, 1873) demselben in allen wesentlichen Punkten 
beistimmen. Meine Untersuchungen haben ebenfalls Resultate er- 
geben, die mit den Angaben vonM.Schultze übereinstimmen und 
denen vonExner bezüglich dieser Frage diametral entgegengesetzt 
sind; sie haben mich noch einige neue, von den bisherigen Beob- 
achtern nicht oder wenig erwähnte Unterscheidungsmerkmale zwischen 
beiden Zellarten kennen gelehrt und mir ausserdem die Kenntniss 
einer bisher nicht beschriebenen Membrana limitans olfactoria, einer 
äusseren Begrenzungshaut der Riechschleimhaut, verschafft, deren 
Beziehungen zu den Enden der geruchpercipirenden Elemente denen 
analog sind, die sich bei der Membrana limitans externa der Netz- 
haut finden. 

Die Differenz zwischen M.Schultze und Exner ist in kurzen 
Worten folgende: 


A. v. Brunn: Untersuchuigen über das Riechepithel. 469 


Während Schultze, gestützt auf die verschiedenen Formver- 
hältnisse der »Epithelial- und Riechzellen« eine fundamentale Diffe- 
renz zwischen beiden annimmt, aus der varicösen Beschaffenheit der 
Fortsätze der letzteren schliesst, dass sie als nervöse Elemente zu 
betrachten seien und die Hypothese aufstellte, dass die Olfactorius- 
fibrillen direct in die centralen Forisätze jener übergehen, — will 
Exner die beiden Zellarten nicht von einander trennen, sondern 
behauptet, dass eine vollständige Kette von Uebergangsformen zwi- 
schen beiden existire; er erklärt beide für Endorgane des Riech- 
nerven, dessen Fasern sich einerseits in ein subepitheliales — proto- 
plasmatisches? — Netzwerk auflösen sollen, aus dem andrerseits 
alle Zellen des Epithelstratums hervorgehen. Ich schildere zunächst 
die Formen und Lagerung der Elemente der Epithelschicht, wie man 
dieselben übereinstimmend in den Riechschleimhäuten der von mir 
untersuchten Säugethiere — Hund, Katze, Kaninchen, Schaf, Kalb 
findet, und werde nur bei der Beantwortung von Fragen, für die 
sich die Riechschleimhaut der benutzten Amphibien (Rana temporaria 
und Salamandra maculosa) besonders eignet, die Untersuchung von 
solchen speciell zu Grunde legen. 

Alle Zellen der Epithelschicht durchsetzen die ganze Dicke 
derselben und ihre Länge, sofern sie vollkommen erhalten sind, ist 
demnach mit der Mächtigkeit der Schicht identisch; dieselbe differirt 
je nach der Species vielfach, sie beträgt beim 

Hund 0,10—0,12, 

Kalze 0,13, 

Kaninchen 0,12, 

Schaf 0,12, 

Kalb 0,13, 

Frosch 0,14, 

Salamander 0,22—0,28 Mm. 

Die Riechzellen sind bipolare Zellen, jederseits in einen 
fadenförmigen Fortsatz übergehend; der centrale derselben ist bei 
weitem dünner als der peripherische und an allen Zellen von un- 
gefähr gleicher Dicke, die Stärke des peripherischen ist verschieden, 
zwischen 0,001 und 0,0005 bei Säugethieren, 0,0053—0,001 beim 
Salamander. Die Körper der Riechzellen sind von der Oberfläche 
der Schleimhaut sehr verschieden weit entfernt, bald liegen sie un- 
mittelbar auf dem subepithelialen Gewebe auf, bald viel näher der 
Oberfläche, doch nie unmittelbar unter derselben, — die Entfernung 


470 A. v. Brunn: 


der am meisten peripherisch gelegenen von der freien @berfläche 
beträgt ungefähr 0,04 Mm. Bei einigen Thieren ist auch die tiefst- 
gelegene Schicht, in einer Dicke von ca. 0,004 Mm. frei von den- 
selben, so z. B. bei der Katze — s. Fig. 1. 

Bei allen von mir untersuchten Säugethieren haben die Körper 
dieser Zellen eine ganz characteristische Gestalt, sie sind nämlich 
ausnahmslos exquisit birnförmig, mit der Spitze der Oherfläche zu- 
gewandt; der runde Kern nimmt stets den centralen dickeren Theil 
der Zelle ein und füllt denselben vollständig aus, so dass nur im 
oberen kegelförmigen Theil körniges Protoplasma übrig bleibt, das 
sich an den Seiten des Kernes etwas hinabzieht und also denselben 
oben umgiebt, wie das Eichelnäpfehen die Eichel. Diese Form der 
Riechzellenkörper ist so ganz charakteristisch, dass der Anblick 
des isolirten Körpers denselben als einer Riechzelle angehörig mit. 
voller Gewissheit erkennen lässt, — und die Erscheinung ist an 
Ösmiumpräparaten aus Säugethierriechschleimhäuten so constant, 
dass man mit Recht erstaunt, die Angabe derselben in den Schil- 
derungen aller bisherigen Untersucher zu vermissen (Fig. 1 und 2). 
Der runde Kern erscheint an Osmiumpräparaten homogen und 
lässt ein Kernkörperchen nur bei Anwendung von stärkeren Yg—1°/o 
Lösungen und nach langer, etwa 1l0tägiger Einwirkung, erkennen, 
-— schwächere Lösungen lassen es nicht hervortreten. Dasselbe ist 
dagegen in Isolationspräparaten aus Kalilauge sehr deutlich, wie 
Henle (Eingeweidelehre) angibt. Das Protoplasma ist feinkörnig 
und enthält nur sehr selten Pigmentkörnchen; aus ihm geht an der 
Spitze ganz allmählich der peripherische Fortsatz hervor, der homo- 
gen ist und ab und zu die bekannten Varicositäten zeigt. Es hält 
bei allenThieren nicht schwer, denselben bis zur Oberfläche zu ver- 
folgen, — auf die Art der Endigung daselbst komme ich später zu- 
rück, — der centrale Fortsatz bietet viel grössere Schwierigkeiten 
dar. Sein Ursprung aus dem Zellkörper, stets genau gegenüber ge- 
legen dem des peripherischen, erfolgt nie wie dort durch allmähliche 
Verjüngung des Zellenleibes, sondern stets plötzlich, — der Fort- 
satz sitzt an dem hier glatten und runden Körper ohne Uebergang 
an, — man könnte sagen, der peripherische sitze am Körper, wie 
der Stiel an der Birne, der centrale wie derselbe an der Kirsche an, 
Wegen seiner Zartheit und Dünne — er ist stets unmessbar fein 
— reisst letzterer leicht in der Nähe des Zellenleibes ab, so dass 
es mir bei Säugethieren höchstens geglückt ist, ihn in der doppelten 


Untersuchungen über das Riechepithel. 471 


Länge des Körpers zu isoliren; aber ihn durch die ganze Dicke des 
Epithellagers zu verfolgen ist mir ab und zu in der Riechschleim- 
haut des Frosches, regelmässig in der des von Martin (a. a. ©.) 
empfohlenen Salamanders (Sal. maculosa) gelungen, und will ich seiner 
Beschreibung meine Erfahrungen an diesem Object zu Grunde legen, 
bei dem die fraglichen Elemente zugleich durch ihre enorme Länge 
— sie erreichen bis 0,235 mm. — höchst günstig erscheinen müssen. 
Die Form der Riechzellenkörper ist bei Frosch und Salamander 
nicht durchgängig die beschriebene birnförmige, sondern eine meist 
ovale (Fig. 3); indessen geht auch hier der peripherische Fortsatz 
meist allmählich aus der Zelle hervor, während der centrale unver- 
mittelt an dem glatten gerundeten innern Theile derselben ansitzt ; 
häufig ist seine Ursprungsstelle durch ein dunkles, glänzendes Pigment- 
korn gekennzeichnet. Von da geht er nun in schnurgrader Richtung 
und ohne sich je zu theilen nach Innen zwischen den Epithelialzellen 
durch. Unmittelbar unter den Basen der letzteren sieht man sie 
nicht selten mit denselben Fortsätzen in der Nähe gelegener Zellen 
derselben Art in Verbindung treten, — die Vereinigungen mit solch’ 
feinen Fasern sind so zahlreich, dass ein dichtes Netzwerk entsteht, 
in diesem also endigen die centralen Fortsätze. Dasselbe breitet 
sich unmittelbar unter der Epithelschicht aus, — ein dichter, aus 
hie und da varikösen Fibrillen gewebter Filz, in dem hie und da 
sternförmige Zellen vom Ansehen kleiner Ganglienzellen liegen und 
das einzelne Blutgefässe enthält. 

In Fibrillen von ganz demselben Aussehen lösen sich nun, 
wie M. Schultze es beschrieben und abgebildet hat, die Bündel 
des N. olfactorius in den obersten Schichten der Schleimhaut 
auf, doch ist es mir nicht gelungen, den directen Zusammen- 
hang dieser Fibrillen mit denen des beschriebenen von den cen- 
tralen Fortsätzen der Riechzellen gebildeten Netzes zu sehen. 
Ich kann demnach ebenso wie Schultze den Zusammenhang nur 
für möglich erklären, aber ihn nicht behaupten. Das Ansehen der 
Epithelialzellen ist von dem der Riechzellen ganz ausserordent- 
lich verschieden; es ist richtig und ausführlich, soweit ich weiss, 
nur von Babuchin (a. a. O.) beschrieben und habe ich seiner 
Schilderung eigentlich Neues nicht beizufügen. Diese Zellen sind 
dazu bestimmt, alle Zwischenräume zwischen den Riechzellen auszu- 
füllen, eine Stützsubstanz darzustellen, in der dieselben eingebettet 
sind und wird man sich von ihrer Form wohl die beste und zu- 


472 A. v. Brunn: 


treffendste Vorstellung machen, wenn man sich wie Babuchin, 
dieselben als ursprünglich weiche Cylinder denkt, in welche sich 
die seitlich anliegenden Riechzellkörper so hineingedrückt haben, 
dass nischenförmige Höhlungen entstehen, in denen die Riechzellen- 
körper lagern. Die weiche Substanz der Epithelialzellen drängt 
sich bei diesem Prozess in Form mehr weniger dünner Platten in 
alle Lücken zwischen den Riechzellen ein und es treten so die be- 
nachbarten Epithelialzellen wohl auch mittels solcher blattförmigen 
Fortsätze mit einander in Verbindung und bilden ein System von 
Hohlräumen, deren Form mit der Gestalt der Riechzellenkörper 
identisch ist. — Oberhalb der Grenze der Riechzellenschicht, — wo 
also nur noch die peripherischen Fortsätze dieser Zellen der Ober- 
fläche zustreben, konnte sich die ursprüngliche Cylinderform der 
Epithelialzellen erhalten; in diesem Theile liegt constant der Kern 
und zwar stets in dem der Oberfläche abgewandten Ende, von dem 
freien Ende also um 0,004 Mm. ungefähr entfernt. Der Kern ist 
oval, an Präparaten aus Kali durch den Mangel des Kernkörper- 
chens deutlich von dem der Riechzellen unterschieden, an Osmium- 
säurepräparaten, namentlich von Säugethieren durch seine langge- 
streckte, schmale Gestalt leicht zu erkennen. Er ist so schmal, 
dass er im Zellkörper vollständig Platz findet und nie eine Auf- 
treibung desselben bewirkt, wie bei den Riechzellen. 

Bei Thieren, bei denen sich die Zone der Riechzellen nicht bis 
an die Basen der Epithelialzellen erstreckt, sondern, wie bei der 
Katze, etwas oberhalb derselben aufhört, kann auch der untere 
Theil der letzteren Cylinderform bewahren (s. Fig. 1) und das tritt 
namentlich an Flächenschnitten (Fig. 4) deutlich hervor. Das ist 
auch die einzige Gegend, in der ich häufig wirkliche Theilungen 
der Epithelialzellen habe bemerken können, während ich deren Vor- 
kommen in der Höhe der Riechzellenkörper nie mit Sicherheit constatirt 
habe, sondern glaube, dass, wo dieselben beschrieben sind, die Schuld 
theils an zu eingreifender Behandlung, theils an optischen Täuschun- 
gen, hervorgerufen durch die beschriebenen Nischen, lag. — Es sind 
nach dem Allen Differenzen in der Form der beiden Zellenarten 
vorhanden, und unvermittelte Differenzen, welche das Festhalten 
an der Unterscheidung beider entschieden zur Pflicht machen. Ihr 
Ansehen und ihr Verhältniss zu einander erinnert zu lebhaft an das 
der Stützsubstanz und der Körner in der Körnerschicht der Retina, 
als dass man einen Vergleich mit derselben unterlassen könnte. 


Untersuchungen über das Riechepithel. 473 


Die Stäbchenfasern und Körner entsprechen vollständig den Riech- 
zellen, die Stützsubstanz der Schichte verhält sich ähnlich zu jenen, 
wie die Epithelialzellen zu diesen: beide bilden hohlkugelige Kap- 
seln für die Körper der Sinneszellen, — freilich mit dem Unter- 
schiede, dass in der Riechschleimhaut die Epithelialzelle die Axe 
eines Riechzellenbündels einnimmt und höchstens halbkugelgrosse 
Nischen bildet, in der Netzhaut dagegen die einer Zelle entsprechende 
kegelförmige Abtheilung der Stützsubstanz der Körnerschicht in 
ihrem Inneren ganze Hohlkugeln für eine grössere Anzahl von 
Zellen enthält und ihr Kern nicht ober- sondern unterhalb der 
höhlenbildenden Abtheilung der Zelle, — in der äusseren gangliösen 
Schicht sich befindet. Aber in der Hauptsache verhalten sie sich 
gleich : beide stellen die Stützsubstanz für die bipolaren Sinneszellen 
dar und nehme ich keinen Anstand, beiden diese Function in gleicher 
Weise zuzuschreiben, — auch ihre Endigung an der Oberfläche ist, 
wie in Nachstehendem gezeigt werden soll, eine darauf hindeutende. 
Der Sitz des Pigmentes der Riechschleimhaut ist, ausgenommen 
die erwähnten inconstanten und stets ganz geringen Pigmentmengen 
an den Polen der Riechzellen, in den Epithelialzellen, und zwar 
sind es bei den meisten Thieren ausschliesslich die centralen Theile 
derselben, die mit bald braunem, bald schwarzem Farbstoff impräg- 
nirt erscheinen, der meist, wie bei Hund, Katze, Frosch, Salamander 
körnig, bald, wie beim Schaf und Kaninchen diffus ist, — doch 
scheinen in der Hinsicht auch innerhalb der Species individuelle 
Verschiedenheiten vorzukommen. — Die Basen der Epithelialzellen 
nun, die je nachdem die Zone der Riechzellenkörper bis an dieselben 
heranreicht, oder höher oben aufhört, im Querschnitt bald stern- 
förmig, bald cylindrisch sind, stehen auf dem subepithelialen Ge- 
webe auf, in dem sich die Olfactoriusfasern verzweigen; — irgend 
welchen Zusammenhang dieser Zellen mit darunterliegenden Gebil- 
den habe ich nie aufgefunden, dieselben vielmehr stets scharf abge- 
schnitten endigen gesehen. 

Wie steht es nun aber mit dem subepithelialen Protoplasma- 
netz, das von Exner beschrieben ist? Ich muss leider gestehen, 
dass ich vergeblich nach einem solchen gesucht habe, aus dem, die 
Epithelial- und Riechzellen entspringen sollen. Die Abbildungen 
bei Exner Fig. 3 und 19 seiner ersten Abhandlung sprechen mir 
dafür, dass Exner die centralen Theile der Epithelzellen, die ja 
allerdings in ihrer Gesammtheit ein Maschenwerk bilden, in dem 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 32 


474 A. v. Brunn: 


die Körper der Riechzellen liegen, für ein besonderes Netz ange- 
sprochen hat; dazu stimmt es denn freilich, dass zwischen diesem 
»Netz« und den Epithelialzellen keine Grenze sichtbar ist. In seiner 
zweiten Arbeit hebt er allerdings — was in der ersten nicht ge- 
schehen war, — besonders hervor, er nenne subepitheliales Netzwerk 
nur ein solches, das unterhalb der unteren Grenze der Pigmentirung 
gelegen sei, — ich habe mich aber von dem Vorhandensein eines 
solcben absolut nicht überzeugen können, kann also selbstverständ- 
lich auch nicht anders, als die von Exner angenommene Olfactorius- 
endigung bezweifeln. 

Wie endigen nun Epithelial- und Riechzellen an der Ober- 
fläche? Da habe ich nun zu betonen, dass, wie sich das bei den 
Säugethieren besonders schön nachweisen lässt, eine Membran, die 
von mir in einer vorläufigen Mittheilung (Centralblatt 1874 No. 45) 
als Membrana limitans olfactoria beschrieben wurde, die 
Epithelialzellen sämmtlich bedeckt und nur für die peripherischen 
Riechzellenfortsätze Poren besitzt, in welchen diese letzteren stecken, 
so dass sie, im Gegensatz zu den Epithelialzellen, frei an der Ober- 
fläche endigen und allein von der durch die Nasenhöhle streichen- 
den Luft getroffen werden. Die genannte Membran liegt auf der 
Oberfläche auf und macht den Eindruck eines dünnen, darüber ge- 
gossenen und erstarrten Gusses; letzteres hauptsächlich dadurch, 
dass sich auf ihrer inneren Seite ein System von niederen Leisten 
von 0,001—0,003 Mm. Höhe befindet, die sich zwischen die benach- 
barten Epithelzellen hineinsenken und also ein der Mosaik derselben 
congruentes Netzwerk darstellen (Fig. 5). Die Maschen dieses 
Netzes haben die Grösse der Epithelialzellen und sind demnach meist 
einander gleich gross, mitunter aber auch ungleichmässig. Für die 
peripherischen Riechzellenfortsätze finden sich nun kurze Kanäle, 
welche die erhabenen Leisten der Limitans senkrecht zur Oberfläche 
durchsetzen, denselben Durchmesser, wie jene Fortsätze,. oder 
einen wenig grösseren haben und völlig offen sind. Die in ihnen 
steckenden Riechzellenfortsätze dringen über das Niveau der Limi- 
tans nie vor, doch kann man auch nicht genau erkennen, wieweit 
sie sich in den Canälen erstrecken, da man von ihnen innerhalb 
abgerissener, im Profil gesehener Stücke der Haut Nichts sehen kann. 
Diese Membran lässt sich aus mit Osmiumsäure behandelten Riech- 
schleimhäuten ohne Mühe darstellen und zwar ist es nöthig, sich, 
wenn man über das Verhältniss der Zellen zu ihr Gewissheit haben 


Untersuchungen über das Riechepithel. 475 


will, verschiedener starker Lösungen zu bedienen. Zur Isolation der 
Membran in grösseren Stücken eignen sich am besten schwache 
Lösungen von 0,1—0,05°),, da sie die Kittsubstanz zwischen den 
Riechzellfortsätzen und den Porenwänden auflösen; ich erhielt mit 
Hilfe solcher Lösungen Stücke der Membran bis zu 0,6 mm. U); für 
das Gelingen der Isolation ist eine Einwirkung des Reagens von 
mindestens 3 Tagen erforderlich. Die Limitans erscheint hier wie 
ein Netz feinster Fäserchen, in denen sich knötchenförmige An- 
schwellungen, die regelmässig durchbohrt sind, befinden, — die 
Poren für die Riechzellen. Durch Färbung mit Fuchsin überzeugt 
man sich leicht von dem Vorhandensein einer dünnen, membranför- 
migen Ausfüllungsmasse der Netzmaschen, ebenso wie von dem Offen- 
sein der feinen Poren. Nur selten fehlt die Ausfüllungsmasse einer 
Masche — das sind dann Stellen, an denen der Ausführungsgang 
einer Schleimdrüse die Haut durchbricht; diese Löcher sind meist 
mehr rund, als die ausgefüllten Räume. Einwirkung stärkerer Lö- 
sungen von 0,5—0,25°/, zwei bis zehn Stunden lang mit nachfolgen- 
der mehrtägiger Maceration in Wasser erhalten die Riechzellen 
in situ, während die Epithelialzellen auch bei dieser Behandlung 
leicht abfallen. Hier erhält man daher oft Präparate wie Fig. 6 und 
7, wo die Riechzellen, wie Zähne eines Kammes, an den Leisten der 
Limitans hangen, während die Epithelialzellen entweder ganz fehlen 
(Fig. 7) oder wenigstens durch deutliche Lücken sich als mit der 
Grenzhaut nicht zusammenhangend erweisen. 

Man wird meine vorläufige Mittheilung (a. a. O.) über diese 
Grenzmembran vielleicht mit Misstrauen aufgenommen haben und 
die eben gegebene Darstellung möglicherweise auch, — man könnte 
vielleicht vermuthen, dass ich durch eine Schicht Schleimes, der 
sich auf der Oberfläche und zwischen den freien Enden der Epi- 
thelialzellen abgelagert habe und, in entsprechender Form geronnen, 
die Membran vorspiegele, getäuscht worden sei. Dies Misstrauen 
aber hatte ich im höchsten Grade selbst und bin erst nach und 
nach zu der festen Ueberzeugung gekommen, dass ich. es mit einer 
wirklichen präformirten Membran zu thun hatte. Ich führe zum 
Beweise an, dass diese Membran bei derselben Thierspecies 
stets und an allen Stellen genau dieselbe Dicke, genau dasselbe 
überall homogene Ansehen hat, dass sich nie ein Schleimkörperchen 
darin findet, dass nie jene unbestimmt faserige Textur, wie sonst an 

geronnenem Schleim, zu sehen ist und endlich, dass sie sich oftmals 


476 A. v. Brunn: 


unter deutlichen, characteristischen Schleimgerinnungen findet, 
Namentlich beweisend sind mir da Präparate wie Fig. 4 eines dar- 


stellt, wo über der Membran — im dargestellten Schrägschnitt 
neben ihr, — eine unleugbare Schleimschicht s mit Blut- und 


Schleimkörpern liegt, so dass der Unterschied zwischen beiden Klar 
vortritt. Zudem waren es immer grade die besterhaltenen Prä- 
parate, die, an denen sich die Zellen in ihren Eigenthümlichkeiten 
am schönsten erhalten hatten, in denen auch die beschriebenen Ver- 
hältnisse am besten zu erkennen waren. Endlich dürfte die con- 
stante Verschiedenheit der Beziehungen der Epithelial- und Riech- 
zellen zu dieser Membran anzuführen sein. 

In der Vollständigkeit, wie die Osmiumsäurebehandlung liefert 
keine der sonst von mir benutzten Methoden Präparate der Limitans. 
Riechschleimhaut, die in 0,005 proc. Chromsäurelösung mehrere — bis 
14 — Tage behandelt war, lässt die Membran nur als einen über die Epi- 
thelzellen hinziehenden feinen Saum, über welchen die gequollenen En- 
den der Riechzellen vorragen, erkennen, ohne dass grössere Stücke 
zu isoliren wären; doch documentirt sich jener Saum auch hier als 
ein die Zellen bedeckendes Stratum und nicht etwa nur als Zell- 
grenze dadurch, dass nicht selten Stücke desselben seitlich über die 
durch Zerzupfung entstandenen Epithelfragmente hervorstehen, in 
denen auch noch die peripherischen Fortsätze der Riechzellen sitzen. 
Vergegenwärtigt man sich die verunstaltende Wirkung der Chrom- 
säure auf die Epithelialzellen — alle dünnen Stellen derselben wer- 
den von ihr aufgelöst, so dass Nichts von den blattförmigen, zwischen 
die Riechzeller eindringenden Fortsätzen etc. zu sehen ist, — so be- 
greift man, dass diesen Bildern denen aus Osmiumsäurepräparaten 
gegenüber wenig oder keine Bedeutung zukommt. — Die stückweise ' 
Isolation der Membran gelingt ferner noch durch Kalilauge von 
35°/,; man erhält Fetzen von feingranulirter Beschaffenheit, in denen 
als hellglänzende Punkte, in polygonale Felder begrenzenden Linien 
angeordnet, ebenfalls die letzten Enden der Riechzellen hangen. 

Während alle von mir untersuchten Säugethierriechschleimhäute 
gleichmässig die beschriebenen Eigenthümlichkeiten zeigen, ist mir 
die Darstellung von so überzeugenden Präparaten der Membran 
beim Frosch und Salamander nicht gelungen, wiewohl ich auch hier 
glaube, eine Grenzhaut annehmen zu dürfen. Die peripherischen 
Fortsätze der Riechzellen dieser Thiere tragen bekanntlich Riech- 
haare, ein Büschel langer Wimperhaare, die auf einer knopflörmigen 


Untersuchungen über das Riechepithel. 477 


Anschwellung aufsitzen. Diese Anschwellungen befinden sich sämmtlich 
oberhalb eines im Profil hellglänzenden Striches, welcher über den 
Enden der Epithelzellen verläuft und sich von denselben oft auf 
einer Strecke von 2—5 Zellen loslöst. Ich halte denselben für den 
optischen Durchschnitt der limitans, oder wenigstens eines der 
beschriebenen Haut der Säugethiere äquivalenten Gebildes. 


Liessen die Formdifferenzen der Zellen die Beibehaltung zweier 
verschiedener Zellenarten als absolut nothwendig erscheinen, so 
zwingt uns die freie Endigung der Riechzellen und die Bedeckung 
der Epithelialzellen, der ersteren eine entschieden nähere Beziehung 
zu der die Nase passirenden Luft zuzuschreiben, als den letzteren, 
und gibt uns, zusammen mit der durch Max Schultze nachgewie- 
senen äusseren Uebereinstimmung der Fortsätze dieser Zellen mit 
Axencylindern, das Recht, sie als die geruchpercipirenden Elemente 
zu betrachten, wenngleich ihr Zusammenhang mit den Olfactorius- 
fasern noch nicht als sichergestellt zu betrachten ist. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVI. 


Fig. 1. Riechschleimhaut der Katze. Osmiumsäure von 0,3°/, Wassermace- 
ration. Die birnföormigen Körper und runden Kerne der Riechzellen 
deutlich gegen die Epithelialzellen hervortretend. 

Fig. 2. Riechschleimhaut vom Schaf. Osm. 0,5%), Wasser; die Epithelial- 
zellen mit blattförmigen, nischenbildenden Fortsätzen für die Riech- 
zellen; letztere in der Limitans steckend. 

Fig. 3. Epithelial- und Riechzellen von Salamandra maculosa; Osm. 0,1%). 
Die Nischen der Epithelialzelle ausserordentlich deutlich; an der 
isolirten Riechzelle langer centraler Fortsatz, 


478 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


A. v. Brunn: Untersuchungen über das Riechepithel. 


Riechepithel vom Hund; Osm. 1%,. Schrägschnitt. ez' untere cy- 
lindrische Theile der Epithelialzellen; ez? mittlere, um die Riech- 
zellenkörper rz! Scheiden bildende Theile derselben; ez? obere cylin- 
drische Theile der Epithelialzellen, zwischen ihnen die Querschnitte 
der peripherischen Riechzellenfortsätze rz?; lo Membr. limit. olf.; 
s über derselben gelegener Schleim mit Blut- und Schleimkörpern. 
Isolirtes Stück der Limitans, Osm. 0,1°/,, vom Schaf. Die Poren der 
Riechzellen in den Leisten sehr deutlich. 

Profilansicht eines Stückes der Limitans vom Hund; Osm. 0,5°/,, an 
den Leisten derselben die Riechzellfortsätze rz; dazwischen die 
oberen Theile der Epithelialzellen. 


Ebensolches Präparat; die Epithelialzellen bis auf eine eben noch 
anhangende ganz herausgefallen. 


| 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. 


Eine histologische Studie 
von 
K. Goniaew. 


(Mitgetheilt von Professor Arnstein in Kasan.) 
(Hierzu Tafel XXVII u. XXVII.) 


Seitdem Remak, Meissner und Auerbach den ganglio- 
nervösen Apparat des Nahrungsschlauches aufdeckten, ist dieser 
Gegenstand von Manz, Kollmann, Kölliker, Frey, Billroth 
und neuerdings von Gerlach und E. Klein geprüft worden. Eine 
wesentliche Erweiterung der Entdeckungen von Meissner und 
Auerbach ist jedoch nicht zu notiren und selbst der neueste Be- 
obachter Gerlach konnte nur das präcisiren, was Auerbach 1862 
beschrieben hat. — Durch eingehendes Studium haben wir uns über- 
zeugt, dass die topographischen Verhältnisse durch die Entdecker 
so genau ’und naturgetreu geschildert worden sind, dass unsere ver- 
besserten Methoden daran so gut als nichts ändern können. — 
Was die Structur der Ganglien anlangt, so wiederholen sich hier 
dieselben Streitfragen, die an den Ganglien aller Orts der Lösung 
harren. Für unsere Untersuchung stellten wir hauptsächlich zwei 
physiologisch wichtige Fragen in den Vordergrund: 

1) Wie verhalten sich die in der Magendarmwand gelegenen 
Ganglien zu einander und zu den Mesenterialnerven, resp. Cerebro- 
spinalnerven ? 

2) Wie verhalten sich die Nervenendigungen der Speiseröhre, 
des Magens und des Darmes? 

Trotz jahrelangen Studiums ist es nur Stückwerk, was wir dem 


480 K. Goniaew: 


Leser bieten, immerhin werden die Fachgenossen noch manches Neue 
in unseren Mittheilungen finden. 


A. Die Ganglien des Darmrohres. 


Um die Topographie des ganglionervösen Apparats zu studiren 
verfuhren wir folgendermassen. Ein Stück der Magen- oder Darm- 
wand eines eben getödteten Thieres wurde mit Nadeln an eine 
Wachstafel befestigt und die Schleimhaut mit dem submucösen Ge- 
webe von der eirculären Muskelschicht mittelst scharfer Scheere 
getrennt; darauf wurde die Serosa in Verbindung mit der Längs- 
muscularis von der Circulärschicht abpräparirt. Bei diesem Ver- 
fahren bleibt das submucöse (Meissner’sche) Geflecht in Verbindung 
mit der Schleimhaut, während das musculäre Geflecht (Auerbach) 
an der Innenfläche der Längsmuscularis haften bleibt; gleichzeitig 
bleibt das subseröse Uebergangsgeflecht zwischen Serosa und Längs- 
muscularis unversehrt. Das Schleimhautepithel wird mit einem 
Pinsel vorsichtig entfernt. Die getrennten Häute werden eine halbe 
Stunde lang der Einwirkung einer !/‚procentigen Chlorgoldlösung 
ausgesetzt und darauf in angesäuertes Wasser gelegt, wo sie mit 
Nadeln befestigt, so lange liegen bleiben bis sie sich intensiv violett 
färben. Nach vollständig eingetretener Reduction des Chlorgoldes 
werden die Häute in Alkohol entwässert, in Creosot aufgehellt und 
in Damarlack eingeschlossen. Gewöhnlich schickten wir diesem Ver- 
fahren eine Injection der Blutgefässe mit blauer Leimmasse voraus, 
Bei langsamer, im Laufe von mehreren Wochen fortschreitender 
Reduction des Chlorgolds halten sich die schliesslich in Damarlack 
eingeschlossenen Präparate jahrelang. — Die so hergestellten Prä- 
parate sind so durchsichtig, dass sie mit Tauchlinsen durchforscht 
werden können; gleichzeitig tritt das ganglionervöse Geflecht Auer- 
bach’s so scharf hervor, dass die Maschen erster Ordnung mit 
blossem Auge zu sehen sind. 

Der Auerbach’sche Plexus umgibt den Magen und den 
Darm als zusammenhängendes Geflecht und liegt zwischen der äusse- 
ren Längsmuskelschicht und Ringmuskelschicht. Für den Magen 
ist übrigens dieser Satz nur in so weit richtig, als zwischen Peri- 
toneum und Plexus myentericus immer eine Muskelschicht nachzu- 
weisen ist. Die Dicke dieser Muskelschicht und die Richtung 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. 481 


ihrer Fasern ist verschieden, entsprechend den in verschiedener 
Richtung verlaufenden Muskelzügen der Magenwand. — Der Plexus 
myentericus besteht aus länglichen 5—6eckigen, selten 3— 4eckigen 
Maschen von verschiedener Grösse. Beim Kaninchen schwankt die 
Länge der Maschen zwischen 2,428 und 0,286 Mm.; die Breite zwischen 
0,714 und 0,086 Mm. Der längere Durchmesser der Maschen ist 
der Längsaxe des Darmes parallel. Die Stränge dieses Geflechtes 
bestehen aus den feinsten nackten Axencylindern oder richtiger 
Nervenfäden. Myelinhaltige Nervenfasern kommen im Geflechte nie 
vor. In den Queranastomosen und den Kreuzungspunkten dieser 
Stränge liegen gehäuft die Nervenzellen als charakteristisch ge- 
formte Ganglien. Letztere sind flach, sternförmig mehr oder we- 
niger in die Länge gezogen, 3—4—Ö5strahlig; die Ränder zwischen 
den Strahlen sind concav und nur ausnahmsweise convex, etwas 
häufiger fanden wir letzteres Verhalten im Magengeflechte, wo auch 
die Ganglien durchschnittlich etwas grösser sind. — In den grösseren 
Ganglien liegen die Nervenzellen sehr gedrängt, in den kleineren. 
aus 5—6 Zellen bestehenden Ganglien rücken die Nervenzellen häufig 
auseinander; ausserdem findet man vereinzelte Zellen in der Conti- 
nuität der Stränge. Aus diesen Strängen und Ganglien entspringen 
feine aus 3—10 und mehr Nervenfäden bestehende Bündel, die 
unter einander anastomesiren, so dass ein secundäres (intermediäres) 
Geflecht entsteht, das in den Interstitien des (primären) Hauptge- 
flechtes ausgespannt ist und sich von diesem durch dünnere Stränge, 
engere Maschen und Abwesenheit von Nervenzellen unterscheidet. 
Aus diesem Geflechte entspringen die zu den Muskeln sich begeben- 
den Nervenfäden. 

Die Mesenterialnerven durchsetzen den Peritonealüberzug 
der Magendarmwand und bilden das von Auerbach beschriebene 
Uebergangsgeflecht, das in dem straffen Bindegewebe zwischen Serosa 
und Längsmuscularis liegt und keine Nervenzellen enthält, wohl 
aber eine Anzahl myelinhaltiger Nervenfasern; der weitaus grösste 
Theil der Nervenfasern besitzt auch hier keine Myelinscheide. Dieses 
subseröse Geflecht ist nur in der Nähe der Anhaftungsstelle des 
Mesenteriums an die Magendarmwand vorhanden, an der entgegen- 
gesetzten Peripherie fehlt es, weil die Stränge dieses Geflechtes, 
die Längsmusecularis durchbohrend, in den Plexus myentericus ein- 
treten. Am leichtesten überzeugt man sich von diesem Verhältniss, 
wenn man Schrägschnitte anfertigt, in denen beide Geflechte ent- 


482 K. Goniaew: 


halten sind. Die Stränge des subserösen Geflechtes sind weniger 
zahlreich und dünner, als die des Plexus myentericus, ein Verhalten, 
das bereits Auerbach urgirte und als Beweis für die Entstehung 
neuer Nervenfasern innerhalb des von ihm entdeckten Plexus ver- 
werthete. Wir kommen darauf noch zurück. 

Der Meissner’sche Plexus submucosus unterscheidet 
sich vom Plexus myentericus durch die Dicke der Stränge und die 
Form der Ganglien. Die Stränge sind viel dünner und die durch 
sie gebildeten Maschen im Ganzen grösser und viel unregelmässiger 
als im Auerbach’schen Geflechte. Die Ganglien gestalten sich zu 
3—4eckigen Gebilden mit convexen Rändern, sie sind nicht flach, 
sondern besitzen eine gewisse Dicke, die Nervenzellen eines Gang- 
lions liegen nicht alle in einem Niveau, sondern zum Theil gehäuft 
über einander. Die Ganglien sind viel breiter und dicker, als die 
von ihnen abgehenden Stränge, während die Stränge des Plexus 
myentericus an den Stellen, wo Ganglien eingelagert sind, keine 
oder doch nur unbedeutende Verdickungen zeigen. — Aus dem 
Meissner’schen Geflechte entspringen Nervenbündel, die in der 
Schleimhaut ein weitmaschiges Uebergangsgeflecht bilden und die 
Muscularis mucosae zum Theil gemeinschaftlich mit den Gefässen 
durchbohren. In den oberflächlichen Schleimhautschichten lösen 
sich die Bündel in einzelne Nervenfasern auf, die zum Theil die 
Capillaren begleiten, zum Theil die Drüsen und das Oberflächen- 
epithel aufsuchen. 


Wir versuchten die Beziehungen der beiden Geflechte zu ein- 
ander aufzudecken. An Verticalschnitten kömmt man zu keinem 
Resultat, man sieht allenfalls Nervenbündel, die das Muskelstratum 
durchsetzen; ob das Anastomosen zwischen beiden Geflechten sind 
oder Bündel, die von den Mesenterialnerven stammen, ist nicht aus- 
zumachen, da auf Verticalschnitten die Ganglien sich nur aus- 
nahmsweise dem Beobachter präsentiren. Viel instructiver sind in 
dieser Beziehung Flächenbilder. Es gelingt nämlich an dem dünnen, 
durchsichtigen Darme des Kaninchens Chlorgoldpräparate zu er- 
halten, in denen beide Nervengeflechte scharf hervortreten. — Vor 
der Bearbeitung mit Chlorgold müssen die oberflächlichen Schleim- 
hautschichten mittels scharfer Scheere entfernt werden, so dass das 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. 483 


submucöse Gewebe mit dem Meissner’schen Geflechte an der 
Ringmuskelschicht haften bleibt. Bei gelungener Färbung ist die 
Ringmuskelschicht so durchsichtig, dass der Plexus myentericus 
vollkommen scharf hervortritt und gewöhnlich etwas stärker tingirt 
erscheint, als der dem Beobachter zugekehrte Plexus submucosus. 
Verfolgt man nun die Stränge beider Geflechte, so sieht man häufig 
die dem submucösen Geflechte angehörigen Stränge über die des 
Plexus myentericus hinwegziehen ; die sich kreuzenden Stränge ana- 
stomosiren nicht mit einander, man kann sich davon durch Ver- 
schiebung des Tubus auf’s entschiedenste überzeugen. Bei weiterem 
Studium des Präparats stösst man auf Stränge, von denen man an- 
fangs nicht weiss, ob sie dem einen oder dem anderen Geflechte 
angehören ; verfolgt man sie weiter bis zu ihren Ansätzen, die nicht 
in einem Niveau liegen, so stösst man einerseits auf ein Ganglion 
des Meissner’schen Geflechtes, andrerseits auf ein dem Auerbach’- 
“schen Geflechte angehöriges Ganglion. Die grundverschiedenen Formen 
der Ganglien beider Geflechte und ihre verschiedene Lagerung machen 
eine sichere differentielle Diagnose möglich. Wir haben es also zu 
thun mit directen Anastomosen von Ganglion zu Ganglion. 
Viel schwieriger wird die Entscheidung, wenn diese anastomotischen 
Stränge nicht direct von Ganglion zu Ganglion ziehen, sondern ein 
Ganglion des einen Geflechtes mit einem primären oder secundären 
Strange des anderen Geflechtes, oder zwei verschiedenen Geflechten 
angehörige Stränge verbinden. Immerhin kann man sich auch von 
der Existenz solcher indirecter Anastomosen überzeugen, 
wenn man die Ringmuskelschicht als Grenzmarke zwischen beiden 
Geflechten festhält und die schräg verlaufenden anastomotischen 
Stränge bis an ihre Endpunkte verfolgt. Die Dicke der Stränge, 
die Grösse und Form der Maschen und der zugehörigen Ganglien 
geben schliesslich den Ausschlag. Die meisten anastomotischen 
Stränge durchsetzen die Ringmuskelschicht in sehr schräger Rich- 
tung. Zwischen dem Meissner’schen und dem Auer- 
bach’schen Plexus findet also ein Faseraustausch statt. 
Genauere Angaben über den weiteren Verlauf der anastomotischen 
Fasern zu machen, sind wir ausser Stande. Wenn auch der Aus- 
spruch Auerbach’s richtig ist, »dass die Ganglien grösstentheils 
Hemiganglien im Sinne Remak’s sind, insofern ein Theil der ein- 
tretenden Fasern das Ganglion nur durchsetzt«, so fehlt uns immer- 
hin jedes Criterium, um die in einem Strange verlaufenden Fasern 


484 K. Goniaew: 


auf ihren Ursprung zurückzuführen. Sie können ebenso gut aus 
dem nächsten Ganglion desselben Geflechtes als aus einem entfern- 
teren Ganglion des anderen Geflechtes oder gar aus den Me- 
senterialnerven stammen. Unsere gegenwärtigen Kenntnisse lassen 
auch die Auffassung zu, dass die beiden in der Magendarmwand 
gelegenen Geflechte ein physiologisches Ganze bilden, dessen 
Theile nur räumlich auseinander gehalten werden und durch Ana- 
stomosen zusammenhängen. In Bezug auf die feinere Structur ver- 
halten sich beide Geflechte ganz gleich und was den Unterschied 
in der äusseren Form der Ganglien anlangt, so ist wohl die flache 
Form der Auerbach’schen Ganglien abhängig von der spärlichen 
Schicht straffen Bindegewebes, das zwischen den beiden Muskel- 
schichten ausgespannt ist. 

Die Strucetur der Ganglien und Stränge studirten wir 
theils an Chlorgoldpräparaten, die in Glycerin eingeschlossen waren; 


die Entwässerung in Alkohol muss vermieden werden, da sowohl 


Nervenzellen, wie Nervenfasern sehr stark verändert werden und 
im Damarlack die Details vollends schwinden. Die besten Resultate 
erzielten wir mit sehr schwachen Lösungen von Essigsäure und 
Chromsäure. Die Gefässe des Magens und des Darmes wurden 
vorläufig mit Berlinerblaulösung ausgespritzt; kleine Stücke der 
Magen- oder Darmwand wurden auf 20—24 Stunden in eine !/a°/o 
Essigsäurelösung gethan und darauf auf kurze Zeit (4—5 Stunden) 
der Einwirkung einer !/ıoo°/o Chromsäurelösung ausgesetzt. Die 
gequollenen Häute wurden derart gespalten, dass die beiden Ge- 
flechte gesondert untersucht werden konnten; das seröse Blatt bleibt 
mit der Längsmuskelschicht in Verbindung. Die Häute werden vor- 
sichtig in der Chromsäurelösung oder in Glycerin ausgebreitet und 
sofort untersucht. 

Die so hergestellten Präparate sind fast glasartig durchschei- 
nend, die Nervenzellen sind leicht körnig mit einem Stich ins Gelb- 
liche; ihre Fortsätze sind sehr scharf contourirt und können auf 
lange Strecken verfolgt werden, die feinsten Nervenfäden treten so 
scharf hervor, dass sie bis an die Muskelspindeln zu verfolgen sind. 
Eingeschlossen wurden diese Präparate in Glycerin, sie hielten 
sich darin fast ein Jahr unverändert, dann schwanden aber allmählich 
die scharfen Umrisse und die feinen Nervenfäden. Die Injection 
der Blutgefässe erleichtert ungemein die Untersuchung. Die Ganglien 
des Plexus myentericus besitzen ein besonderes Capillarnetz, das 


u ED 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. 485 


sich von dem das Muskelstratum versorgenden durch die Grösse 
und Form der Maschen scharf unterscheidet. Die Maschen des 
letzteren sind schmal und lang (Fig. 1a), während das die Ganglien 
durchsetzende Capillarnetz kleine rundliche Maschen besitzt; daher 
fallen die Ganglien in dem sehr durchsichtigen Präparate schon bei 
geringer Vergrösserung auf. Man sieht ausserdem mit Syst. 4 
Hartnack sehr fein gestreifte Stränge zu den Ganglien ziehen, in 
denen die Nervenzellen als ovale oder sternförmige Körper hervor- 
treten. Bei einer Vergrösserung von 400—800 lassen sich die Stränge 
des Geflechtes in einzelne Nervenfäden auflösen, die weder Kerne, 
noch Myelinscheide besitzen ; die im Präparate hervortretenden Kerne 
gehören der in Essigsäure gequollenen Bindegewebsscheide, Fig. 3. 
Von diesen flachen Nervenbündeln gehen Zweigbündel zu den nächst- 
gelegenen Strängen ab. Netzförmig angeordnete Nervenfäden kom- 
men jedoch weder in den Ganglien noch in den Strängen vor; die 
Nervenfäden bilden hier keinen »Nervenfilz«, sondern laufen alle in 
einer Richtung. Nur an den Kreuzungsstellen der Stränge, wo 
Nervenzellen eingelagert sind, verlaufen die Nervenfäden in ver- 
schiedener Richtung, um in die betreffenden Stränge auszustrahlen, 
ein Netz kommt jedoch auch hier nicht zu Stande. — Damit stimmt 
auch das Verhalten der Nervenfäden zu den Fortsätzen der Nerven- 
zellen. Letztere präsentiren sich in unseren Präparaten als läng- 
lichovale oder sternförmige etwas körnige Gebilde mit grossem, 
bläschenförmigem Kerne und Kernkörperchen. Diese Nervenzellen 
sind 0,03—0,074 Mm. lang und 0,017—0,026 Mm. breit. An den 
sternförmigen Zellen sieht man schon bei oberflächlicher Betrachtung 
mehrere Fortsätze; an den länglich-ovalen im Verlaufe der Stränge 
eingeschalteten Gebilden erscheinen gewöhnlich anfangs nur zwei 
an den Polen in entgegengesetzter Richtung abgehende Fortsätze; 
sieht man genauer hin, so entdeckt man gewöhnlich noch andere 
Fortsätze, die von den Seiten und Flächen des Zellkörpers abgehen. 
Sind die Fortsätze für die Beobachtung günstig gelagert, so kann 
man sie an unseren Präparaten auf sehr weite Strecken verfolgen, 
weil sie eben sehr scharf contourirt sind, Fig. 3. Sie schlagen 
immer die Richtung der nächstgelegenen Nervenfäden ein, anfangs 
sind sie bedeutend dicker als letztere, in dem Maasse, als sie sich 
vom Zellkörper entfernen, werden sie dünner und theilen sich, d.h. 
spalten sich unter spitzem Winkel in zwei gesondert verlaufende 
dünnere Fäden, die häufig noch eine Strecke weiter verfolgt werden 


486 K. Goniaew: 


können; sie verschwinden schliesslich zwischen den benachbarten 
Nervenfäden, denen sie hier an Dicke und Lichtbrechungsvermögen 
vollkommen entsprechen. Weitere Theilungen haben wir innerhalb 
der Stränge nicht gesehen, wollen jedoch ihr Vorkommen nicht in 
Abrede stellen. Ausser den beschriebenen multipolaren Ganglien- 
zellen stösst man in seltenen Fällen auf Zellen, die entschieden uni- 
polar sind. Das lässt sich am leichtesten nachweisen an den Zellen, 
die nicht im Ganglion selbst, sondern in dessen Nähe liegen. Der 
Fortsatz solch einer Zelle begibt sich gewöhnlich zum nächsten 
Ganglion, zwischen dessen Fasern er sich verliert. — Fig. 4 ist 
einem Chlorgoldglycerinpräparate entnommen; die Färbung war in 
diesem Falle vollkommen gelungen, es hatten sich nur die nervösen 
Elemente gefärbt, während das Bindegewebe farblos und transparent 
erschien. Der dicke und breite Fortsatz der rundlichen Zelle zeigte 
eine deutlich fibrilläre Structur; die einzelnen dunkelgefärbten Fi- 
brillen traten äusserst scharf hervor und konnten eine Strecke weit 
noch im Ganglion verfolgt werden. Dieser Fall illustrirt sehr gut 
dievonMax Schultze begründete Lehre von der fibrillären Structur 
der Nervenzellenfortsätze. 

Unsere Beobachtungen lehren somit, dass die Nervenfäden des 
Magendarmgeflechtes aus den Ganglienzellen auf zweierlei Art ent- 
springen: 1) indem die Zellenfortsätze in verschiedener Richtung 
ausstrahlend, durch Theilung und Verfeinerung zu Nervenfäden 
werden, und 2) indem die in einem Zellenfortsatze einer unipolaren 
Zelle enthaltenen Fibrillen ins Ganglion eintreten und in einer 
Richtung weiter gehen. Ob diese verschiedene Ursprungsweise eine 
verschiedene physiologische Dignität involvirt, ist uns zweifelhaft. 
Andeutungsweise sei jedoch erwähnt, dass der auf Fig. 3 versinn- 
lichte Zusammenhang von Nerv und Zelle die Auffassung zulässt, 
dass diese Gebilde nur den Zusammenhang zwischen Centrum und 
Peripherie vermitteln, während der zweite viel seltenere Ursprungs- 
modus (Fig. 4) der betreffenden Nervenzelle die Dignität eines ner- 
vösen Centrums zuweist. Die beigebrachten Data standen schon 
fest und waren auf der Naturforscherversammlung in Kasan im 
August 1873 bereits mitgetheilt, als uns die Abhandlung von Ger- 
lach !) zukam, in der das Verhalten der Nervenzellen zu den Ner- 


1) Ueber den Auerbach’schen Plexus myentericus. Leipziger physio- 
logische Arbeiten VII. 1873. 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. 487 


venfasern im Plexus myentericus und in dem nervösen Centralorgan 
parallelisirt wird. Wie aus dem Mitgetheilten hervorgeht, können 
wir dieser Auffassung nicht beipflichten. Der feine Nervenfilz, der 
für die graue Substanz der Centralorgane so charakteristisch ist, 
und sowohl an Schnitt- als Zupfpräparaten hervortritt, existirt 
weder in den Ganglien, noch in den Strängen des Darmgeflechtes; 
ein feines Netz von Nervenfäden ist hier nie zu sehen, und was 
die Macerations- und Zupfpräparate anlangt, aus denen Gerlach 
seine Beweise entnimmt (Gerlach Fig. 1), so wird eben beim Ma- 
ceriren und Zupfen so manches Zusammengehörige getrennt und 
verschoben. Für die aus zarten Nervenfibrillen bestehenden Zellen- 
fortsätze ist die Zupfmethode eine sehr precäre. 


B. Die Nervenendigungen in der Speiseröhre und im Magen. 


Unsere anfängliche Absicht eine Schilderung der Nervenen- 
digungen im ganzen Nahrungsschlauche zu liefern, mussten wir vor- 
läufig aufgeben, wollten wir die Publication derjenigen Facta, die 
sich auf Speiseröhre und Magen beziehen nicht noch länger hinten- 
anhalten. Vielleicht ist es uns vergönnt später ein Mal auf die 
Nervenendigungen im Darme speciell zurückzukommen. 


I. Die Nervenendigungen in der Speiseröhre 
des Frosches. 


Die Untersuchungen des Herrn Goniaew erstreckten sich auf 
verschiedene Säugethiere und auf den Frosch; als abgeschlossen 
sind nur die Untersuchungen am Frosche zu betrachten, auf diesen 
speciell bezieht sich die nachfolgende Schilderung. — In den tiefen 
Schichten des Froschoesophagus liegen Nervenstämmchen, die zum 
Theil aus blassen, zum Theil aus myelinhaltigen Nervenfasern be- 
stehen. Im Verlaufe dieser Stämmchen sind Nervenzellen einge- 
schaltet, die mit den bekannten Beale-Arnold’schen kernhaltigen 
Spiralfasern, sowie mit myelinhaltigen Fasern zusammenhängen. 
Aus diesen Nervenstämmchen entspringen Bündel von Nervenfasern, 
die theils selbstständig, theils mit den Gefässen zur Schleimhaut- 
oberfläche ziehen. Auf diesem Wege verlieren die Nervenfasern 
ihre Myelinscheide, theilen sich vielfach und anastomosiren unter 
einander, so dass in den oberflächlichen Schleimhautschichten ein 
zartes Netz feiner kernhaltiger Fasern entsteht, das an gelungenen 


488 K. Goniaew: 


Chlorgoldpräparaten ein sehr zierliches Bild liefert. An Vertical- 
schnitten sieht man aus diesem oberflächlichen Netze feine Nerven- 
fäden gegen das Epithel ausstrahlen, Fig. 5. Man überzeugt sich 
unschwer, dass diese Fäden in das Epithelialstratum eindringen; 
viel schwieriger ist es, darüber ins Klare zu kommen, wie sie sich 
zu den Epithelzellen verhalten. Endigen sie frei zwischen den letz- 
teren, oder hängen sie mit ihnen zusammen ? Ist der Schnitt sehr 
fein und die Epithelialschicht nicht zu stark gefärbt, so sieht man 
zwischen den violetten oder rosenrothen Epithelien schwärzliche 
Fäden, die sich manchmal von den Contouren der anliegenden Epi- 
thelien scharf abheben; ein paar Mal sehen wir Theilungen solcher 
Fäden innerhalb der Epithelialschicht, Fig. 7a. Zerzupit man solch 
ein Präparat, so isoliren sich schwärzliche kurze Fäden; von einem 
Zusammenhange zwischen diesen Fäden und den Epithelien sieht 
man auch an Isolationspräparaten nichts. 

Ausser dem beschriebenen Netze von Nervenfasern, die schliess- 
lich ins Oberflächenepithel ausstrahlen, gehen gesonderte myelin- 
haltige Nervenfasern zu den Drüsen des Froschoesophagus. Diese 
Fasern theilen sich gewöhnlich erst in der Nähe der Drüsen, ver- 
lieren gleichzeitig ihre Myelinscheide und bilden ein zartes Netz 
kernhaltiger Nervenfasern, die die einzelnen Drüsen umspinnen und 
zwischen den Drüsenbläschen eindringt. Wir haben jedoch nie ge- 
sehen, dass eins von den feinen Nervenfäserchen die Membrana 
propria eines Drüsenbläschens durchbohrte, wohl aber anastomosiren 
die dem Drüsenbläschen anliegenden Fäden unter einander, so dass 
ein weitmaschiges Terminalnetz zu Stande kommt. Ein Theil der 
in die Drüsen sich einsenkenden Nerven ist für die Blutgefässe der 
Drüsen bestimmt; davon kann man sich leicht überzeugen, wenn 
man auf einem Schnittpräparate die Verzweigungen einer Kleinen 
Drüsenarterie verfolgt. Man sieht eine oder zwei Nervenfasern das 
Gefäss begleiten und sich theilen, entsprechend den Verzweigungen 
des Gefässes ; häufig gelingt es, die Nerven bis an die Capillaren zu 
verfolgen. 

Der Froschoesophagus ist ein sehr günstiges Object für das 
Studium der Gefässnerven. In den kleineren Arterien unterscheiden 
wir ein doppeltes, die Gefässwand durchsetzendes Geflecht: 1) ein 
oberflächliches in der Adventitia !) gelegenes und 2) ein tiefes auf 


1) Von His zuerst beschrieben. Virch. Arch. Bd. 28. p. 427. 


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Die Nerven des Nahrungsschlauches. 489 


und zwischen den Muskelspindeln !) gelegenes Netz. Beide Netze 
anastomosiren mit einander und bestehen aus kernhaltigen blassen 
Fasern. Das oberflächliche adventitiale Netz ist weitmaschiger, 
als das tiefgelegene musculäre. Lässt man Chlorgoldpräparate 
längere Zeit in angesäuertem Wasser, so quillt die Adventitia auf; 
dadurch hebt sich das adventitiale Netz von dem musculären ab, 
so dass die Anastomosen zwischen beiden Netzen sehr schön her- 
vortreten. Die anastomotischen Zweige gehen Theilungen ein und 
verfeinern sich in dem Maasse, als sie in die Muscularis eintreten; 
dadurch entsteht zwischen den Muskelspindeln ein engmaschiges 
Netz, das die ganze Peripherie des Gefässes umgibt. An gelungenen 
Präparaten sieht man keine freien Endigungen, auch hier haben 
wir es mit einem Terminalnetze zu thun. In den kleinen Venen 
ist das Nervenendnetz ein weitmaschiges, in der dünnen Venen- 
wand kann man kein Doppelnetz wie in den entsprechenden Ar- 
terien unterscheiden, da die Muscularis hier sehr schwach ausge- 
bildet ist. 

In den oberflächlichen Schichten der Schleimhaut des Frosch- 
ösophagus ist ein dichtes Capillarnetz ausgebreitet, das man am 
besten zu Gesicht bekommt, wenn man ein mit Chlorgold behan- 
deltes Stück Schleimhaut in Glycerin vorsichtig ausbreitet, nachdem 
man das Epithel entfernt hat. An solchen Präparaten sieht man 
dünne Bündel kernhaltiger Nervenfasern die Gefässe begleiten; dann 
sieht man die einzelnen Nervenfäden verschiedene Richtungen ein- 
schlagen, sich theilen und die zahlreichen Capillaren begleiten. Ver- 
folgt man die einzelnen Fäden weiter, so sieht man sie häufig dem 
zugehörigen Capillargefässe unmittelbar anliegen oder aufliegen, 
dann sich von ihm trennen und mit benachbarten Nervenfäden ana- 
stomosiren. Diese Fäden besitzen zahlreiche Verdickungen, beson- 
ders an den Knotenpunkten; letztere liegen häufig der Capillarwand 
unmittelbar auf, und versagt hier zufällig das Chlorgold, so hat es 
den Anschein, als ob eine »knopfförmige Nervenendigung« der Ca- 
pillarwand aufliegt. Solche Bilder hat unseres Wissens zuerst 
Kessel?) im Trommelfell beschrieben. An vollkommen gelungenen 
Präparaten sieht man weder zwischen, noch an den Capillaren freie, 
knopfförmige Nervenendigungen; es ist vielmehr ein Endnetz von 


1) Von Julius Arnold zuerst beschrieben. Stricker’s Handb. p. 137. 
2) Stricker’s Handbuch p. 851. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 33 


490 K. Goniaew: 


Nervenfasern, das zwischen und an den Gefässschlingen ausgespannt 
ist. Die Maschen des Endnetzes sind etwas grösser, als die des 
Gefässnetzes; immerhin werden die meisten Capillarschlingen we- 
nigstens eine Strecke weit von einem Nervenfaden begleitet. 


1I. Die Nervenendigungen im Magen des Frosches. 


Die Nerven des Froschmagens begeben sich 1) zu den Ge- 
fässen, 2) zum Epithel, 3) zu den Muskeln. In der eigentlichen 
Schleimhaut besitzen die Nerven keine Myelinscheide; es sind nackte 
kernhaltige Fäden, die zu Bündeln vereint die Muscularis mucosae 
durchbohren. Ein Theil von ihnen begleitet auf diesem Wege die 
Gefässe, ein anderer verläuft selbstständig, Fig.8. In der Schleim- 
haut zerfallen die Bündel in einzelne Fasern, die Theilungen ein- 
gehen und sich zu den Capillaren, zu dem Oberflächenepithel und 
zu den Drüsen begeben. 

Was die Gefässnerven anlangt, so haben wir die darauf be- 
züglichen Details bei der Beschreibung der Oesophagusnerven er- 
wähnt und wollen hier nur einige Punkte hervorheben, die mehr 
topographisches Interesse haben, die aber insofern wichtig sind, als 
sie uns ein Mittel an die Hand geben, die Gefässnerven schon durch 
ihre Verlaufsweise von den übrigen Nerven zu unterscheiden. — 
Fertigt man sehr feine Verticalschnitte von einem mit Chlorgold 
behandelten Froschmagen an, so sieht man schon bei schwacher 
Vergrösserung sehr feine zur Schleimhautoberfläche und zu einander 
parallele schwärzliche Fäden, die von Strecke zu Strecke durch 
Queranastomosen unter einander zusammenhängen; diese Querana- 
stomosen liegen gewöhnlich dort, wo eine Capillarschlinge bogen- 
förmig verläuft, dadurch wird letztere von den Nervenfäden um- 
sponnen, Fig. 11. Niemals gehen von diesen Fäden Zweige zur 
Oberfläche, d. h. zum Epithel; wir haben es hier offenbar mit Ge- 
fässnerven zu thun. Sucht man nach der Ursprungsstätte dieser 
Fäden, so findet man sie in den die Arterien begleitenden und die 
Muscularis mucosae durchbohrenden Nervenbündeln, von denen sich 
einzelne Fasern bogenförmig abzweigen und somit aus der verti- 
calen in die horizontale Richtung übergehen, da aber diese Aende- 
rung in der Verlaufsrichtung der einzelnen Fasern in verschiedenen 
Tiefen vor sich geht, so verlaufen auch nach geschehener Biegung 


Die Nerven des Nahrungsschlauches. 491 


die einzelnen Fasern in verschiedenen Tiefen. Der oberflächlichste 
Faden liegt fast dicht unter der Schleimhautoberfläche, der tiefste 
in der Nähe der Muscularis mucosae. An dem unteren Faden der 
Fig. 11 ist die bogenförmige Verlaufsrichtung noch deutlich ausge- 
sprochen. Flächenbilder, resp. Horizontalschnitte sind hier wenig 
instructiv wegen der zahlreichen Drüsen. Die Beziehungen der 
Nerven zu den Capillaren sind hier dieselben wie im Oesophagus; 
in dieser Hinsicht verhalten sich alle Schleimhäute äusserst ähn- 
lich 1), Abgesehen von den beschriebenen Nerven gibt es in der 
Schleimhaut des Froschmagens noch ein ganzes System von Fäden, 
deren Verlaufsweise und Zielpunkte von denen der Gefässnerven 
ganz verschieden sind. Schon bei geringer Vergrösserung sieht 
man in tiefen Schleimhautschichten in der Nähe der Muscularis 
mucosae feine Bündel von Nervenfasern direkt zur Schleimhaut- 
oberfläche hinziehen. Letztere theilen sich wiederholt, und mustert 
man sie genauer bei starker Vergrösserung, so gelingt es häufig, 
an sehr feinen Verticalschnitten diese Fäden bis an das Oberflächen- 
epithel zu verfolgen, Fig. 10. In seltenen Fällen sieht man sie so- 
gar zwischen den verjüngten Enden der Cylinderzellen. Trütschel?) 
lässt diese Fäden in Endkolben auslaufen. Diese Endkolben existiren 
als solche nicht; das sind Becherzellen, die, aus Cylinderzellen ent- 
standen, in manchen Präparaten gar nicht vorkommen, an anderen 


1) Wir haben in letzter Zeit auch andere Schleimhäute und die se- 
rösen Häute in Bezug auf die Nervenendigungen einer eingehenden Prüfung 
unterzogen und sind zur Ueberzeugung gelangt, dass in den bindegewebigen 
Häuten freie Nervenendigungen nicht existiren; letztere kommen nur in der 
Epithelialdecke vor, wo diese fehlt, fehlen auch die freien Nervenendigungen. 
In der bindegewebigen Grundlage der genannten Häute kommen nur Ter- 
minalnetze vor, die theils den Capillaren, theils dem Bindegewebe als 
solchen angehören. Beim Frosche präsentirt sich das dem Bindegewebe an- 
gehörige Terminalnetz am schönsten in der dünnen Membran, welche die 
Bauchhöhle von dem grossen Lymphsack trennt. Dieser Theil des Perito- 
neums ist nämlich auf grossen Strecken gefässlos und ist somit gleich der 
Hornhaut ein sehr bequemes Object für das Studium der fraglichen Ver- 
hältnisse. Die von Cyon (Leipzig. phys. Arb. 1869) beschriebenen End- 
schlingen sind nur Bruchstücke des sehr schön entwickelten Terminalnetzes. 
(Arnstein.) 

2) Trütschel, Centralbl. f. d. medic. Wissensch. 1870 und Russische 
Dissertation. 


499 K. Göniaew: 


wieder zahlreich sind und sich in Chlorgold mitunter stark färben. 
Mit dieser Deutung stimmt auch eine Angabe von Thanhoffer ‘), 
der die Nerven der Darmzotten in den Cylinderepithelien endigen 
lässt. 

Wir müssen den Zusammenhang zwischen Nerv und Epithel- 
zelle entschieden in Abrede stellen. Wenn wir aber die Continuität 
verwerfen, so müssen wir der Contiguität das Wort reden. Die Ner- 
venfäden nähern sich den Epithelien bis zur Berührung; ähnlich wie 
im Froschösophagus endigen auch hier die (sensiblen ?) Nerven frei 
zwischen den Epithelien. 

Was die Magendrüsen anlangt, so sieht man häufig Nerven- 
fäden den Drüsen anliegen (Fig. 9 u. 10) und scheinbar die Mem- 
brania propria durchbohren, wenigstens ändern diese Fäden häufig 
ihre Verlaufsrichtung derart, dass sie bei Fixirung der Drüsenober- 
fläche undeutlich werden, hingegen scharf hervortreten, sobald man 
den Tubus des Mikroskops senkt. Auch an Drüsen, die vom Schnitte 
getroffen wurden, sieht man manchmal Fäden zwischen den Drüsen- 
epithelien. Von einem Zusammenhange beider Gebilde konnten wir 
auch hier nichts sehen, auch sind wir keineswegs sicher, die letzten 
Nervenendigungen in den Magendrüsen vor Augen gehabt zu haben. 
Die starke Reduction des Chlorgolds durch die Drüsenzellen, macht 
gewöhnlich eine kritische Beurtheilung dessen, was man sieht, illu- 
sorisch. Vorläufig müssen wir uns bescheiden, die nahen Beziehungen 
der Nerven zu den Magendrüsen aufgedeckt zu haben; hingegen 
muss die Frage hinsichtlich der Nervenendigungen als eine offene 
betrachtet werden. 

Die Nervenendigungen in der glatten Musculatur lassen sich 
zum Theil schon mit der Eingangs erwähnten Essigsäure-Chrom- 
säuremethode sichtbar machen. Verfolgt man die secundären Stränge 
des Plexus myentericus, so sieht man sie büschel- oder pinselförmig 
in die Musculatur ausstrahlen ; in der nächsten Nähe der letzteren 
theilen sich die feinen Fäden mehrfach, wodurch ein sehr zierliches 
Bild entsteht. Man sieht eine Menge feinster, scharf contourirter 
Fäden sich in das glashelle Muskelstratum einsenken; häufig gelingt 
es, die Fäden bis an die sehr deutlich hervortretenden Muskelkerne 
zu verfolgen. Ein so vollständiges intramusculäres Nervennetz, wie 


1) Ludwig v. Thanhoffer, Pflüger’s Archiv Bd. 8. p. 391. 


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Die Nerven des Nahrungsschlauches. 493 


es Arnold mittels des Chlorgolds aufgedeckt hat, bekommt man 
jedoch nicht zu Gesicht. Versucht man nun dieses Bild an Chlor- 
goldpräparaten zu vervollständigen, so erhält man allerdings sehr 
leicht ein zwischen den Muskelspindeln gelegenes Netz schwärzlicher 
Fäden, hingegen ist der Beweis, dass diese Fäden nervöser Natur 
sind und nicht etwa gefärbte Kittsubstanz, sehr schwer zu erbrin- 
gen. Die Formen der Maschen des fraglichen Netzes wechseln 
nämlich mit der Richtung, in der die Muskelspindeln von dem 
Schnitte getroffen wurden; die Maschen erscheinen bald regelmässig, 
5—6eckig, bald mehr oder weniger verschoben, in die Länge ge- 
zogen u. Ss. f£ Die Contouren der Muskelspindel fallen gewöhnlich 
mit dem Fadennetze zusammen, man kann beides häufig nicht aus- 
einanderhalten. Immerhin ist es uns mehrere Male gelungen, Prä- 
parate zu erhalten, in denen sich das Fadennetz von den Contouren 
der Muskeln so scharf abhob, dass ein Zweifel an der Existenz 
dieses Netzes nicht aufkommen konnte. Alle Zweifel wären gehoben, 
wenn man den Zusammenhang dieses Netzes mit unzweifelhaften 
Nerven demonstriren könnte. Dieser Nachweis ist uns leider nur 
zum Theil gelungen; wir sahen wohl auch an Chlorgoldpräparaten 
Nerven ins Muskelstratum eindringen und dort Theilungen eingehen, 
aber solche zusammenhängende Bilder wie sie Arnold zeichnet, 
haben wir nicht erhalten und vermuthen, dass der zuverlässige und 
scharfe Beobachter dem Schema einige Concessionen gemacht hat. 


Wie aus dem Texte ersichtlich, haben wir zum Studium der 
Nervenendigungen ausschliesslich Chlorgoldpräparate benutzt. Wir 
gebrauchten eine 1/,—!/s°/, Lösung und verfuhren theils nach den 
Vorschriften von Cohnheim, theils nach denen von Henoique 
(Arch. de physiol. normal et pathologique 1870. III.). Letztere Me- 
thode verdient insofern den Vorzug, als die Reduction des Chlorgolds 
schon nach wenigen Minuten eintritt und man sich sofort verge- 
wissern kann, ob die Färbung gelungen ist, oder nicht. Die Prä- 
parate wurden in Glycerin eingeschlossen und viele von ihnen halten 
sich seit fast zwei Jahren unverändert. 


494 


K. Goniaew: 


Literatur der Magen-Darmganglien. 


Remak. Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preussen 1840. 
No. 2 und Müller’s Arch. 1858. p. 189. 

Meissner. Zeitschrift für ration. Medie, VIII. 1857. p. 364. 
Manz. Nerven und Ganglien des Säugethierdarmes. Frei- 
burg 1858. 

Billroth. Müller’s Arch. 1858. p. 148. 


Reichert. Arch. v. Reichert u. Du Bois-Reym. 1859. 


p-. 530. 

Hoyer. Ibidem 1860. p. 543. 

Schroeder. Ibidem 1865. 

W. Krause. Anatomische Untersuchungen 1861. p. 64. 

L. Auerbach. Ueber einen Plexus myenterieus. Breslau 1862 
u. Virch. Arch. Bd::30. 

Breiter u. Frey. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XI. p. 126. 


. J. Kollmann. Ueber den Verlauf der Vagi in der Bauch- 


höhle. Zeitschr. f. wiss. Zool. X. p. 413. 


. Kölliker. Gewebelehre 1867. 


Gerlach. Ueber den Auerbach’schen Plexus myentericus. 
Leipz. physiol. Arbeiten VII. 1872. 

E. Klein. Contributions to the Anatomy of Auerbachs 
plexus in the intestine of the frog and toad. Quarterly Journal 
of microscopical science 1873. p. 377. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXVII u. XXVIM. 


Fig. 1. Plexus myentericus aus dem Dünndarme des Kaninchens. Blutge- 


fässe (a) schwarz; Plexus (b) grau. Das mit Berlinerblau injieirte 
Capillarnetz zeigt längliche Maschen und gehört dem Muskelstratum. 
Die Nervenzellen in den Ganglien haben sich bedeutend dunkler 
gefärbt, als die Stränge; die dünnen secundären Stränge sind netz- 
artig zwischen den breiteren Hauptsträngen ausgespannt. Oc. 3. 
S. 4. Hartnack. 


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Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 


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Die Nerven des Nahrungsschlauches. 495 


Dasselbe Präparat bei Loupenvergrösserung. Die secundären Stränge 
treten nur undeutlich als schraffirter Untergrund hervor. 

Plexus myentericus aus dem Dickdarme der Katze. Essigsäure- 
Chromsäurepräparat in Glycerin eingeschlossen. Ein Hauptstrang 
des Geflechtes mit 4 Ganglienzellen, deren Fortsätze sich sehr weit 
verfolgen lassen und bei a Theilungen eingehen. Die Contouren 
der Zellen und ihrer Fortsätze sind mittels der Camera lucida auf- 
genommen. Oc. 3. S. 8. Hartnack. 

Unipolare Ganglienzelle aus dem Dünndarme der Katze, Die Fi- 
brillen des Zellfortsatzes treten sehr scharf hervor und lassen sich 
eine Strecke weit im Ganglion verfolgen. Die Contouren der Zelle 
und ihres Fortsatzes sind mittels der Camera lucida gezeichnet. — 
Chlorgoldglycerinpräparat-. Oc. 3. S.8. Hartnack. 
Froschoesophagus. Nervenstämmchen (a), die sich in ein Netz auf- 
lösen und zahlreiche Fäden zum Epithel (b) schicken. Das Netz 
ist unvollständig, weil mehrere Fäden vom Schnitte getroffen wurden. 
Chlorgoldglycerinpräparat. Oc.3. S.4. Hartnack. 
Froschoesophagus. Schiefschnitt; man sieht die Nerven bis ans Epi- 
thel reichen. Die Endigungsweise ist jedoch nicht sicher festzu- 
stellen. Chlorgoldelycerinpräparat. Oc. 3. 8. 7. 

Flimmerepithel des Froschösophagus mit Chlorgold behandelt; ein 
Theil der Epithelien hat Becherform angenommen. Man sieht 
zwischen den Epithelien schwarze Fäden, die sich bei a theilen. 
Oc. 3. S. 7. Hartnack. 

Froschmagen. a. Nervenbündel, die zum Theil mit den Gefässen 
die Muscularis mucosae (c) durchbohren, um sich in der Schleim- 
haut zu verzweigen. Die Verdickungen an den Nervenfäden können 
bei oberflächlicher Betrachtung für Endkolben gehalten werden. 
(Die Nervenfasern in den Nervenbündeln a sind aus Versehen zu 
fein gezeichnet.) Chlorgoldglycerinpräparat. Oc. 3. S. 5. Hartnack. 
Froschmagen. Schiefschnitt. Man sieht eine Anzahl Nervenfäden 
(a) aus tiefen Schleimhautschichten gegen die Oberfläche ziehen und 
auf diesem Wege zum Theil den Drüsen (c) anliegen. Andere 
Fäden verlaufen horizontal. b. Capillar. m. Muscularis mucosae. 
Chlorgoldglycerinpräparat. Oc.3. S. 8. Hartnack. 

Froschmagen. Nervenfasern a, die zwischen den Drüsen verlaufen 
und bis ans Oberflächenepithel zu verfolgen sind. Ein Nervenfaden 
liegt der Drüse unmittelbar an und scheint die Membrana propria 
zu durchbohren. m. Muscularis mucosae. Chlorgoldglycerinpräparat. 
Oe. 3.8. 8. 

Froschmagen. Gefässnerven (a) die Capillaren (b) umspinnend. 
Der untere Faden verläuft bogenförmig (conf. Text). m. Muscularis 
mucosae. Das Oberflächenepithel ist entfernt. c. Drüse, die nur 
zum kleinsten Theil in den Schnitt gefallen ist. (Nur an solchen 


496 


Fig. 12. 


K. Goniaew: Die Nerven des Nahrungsschlauches. 


äusserst feinen Schnitten bekommt man eine klare Anschauung von 
dem Verlaufe der Gefässnerven, da sonst die dunkel gefärbten 
Drüsen die feinen Fäden verdecken.) Chlorgoldglycerinpräparat. 
Oe. 3. 8. 8. j 

Muscularis mucosae des Froschmagens. Zwischen den querdurch- 
schnittenen Muskelspindeln sieht man bei a Bruchstücke das zwi- 
schen den Muskelspindeln ausgebreiteten Nervenendnetzes. Der 
Deutlichkeit halber sind einige den Fäden anliegende Muskel- 
spindel in der Zeichnung weggelassen. Chlorgoldglycerinpräparat. 
Oc. 3. S. 8. 


Beiträge zur: Anatomie des menschlichen 
Kehlkopfs. 


Von 


Dr. 3. Disse. 


Hierzu Taf. XXIX und XXX. 


Die anatomische Untersuchung, welche, je eingehender sie ist, 
desto gründlicher das Organ zerstört, führt uns nur auf Umwegen 
zur genauen Kenntniss desselben. Denn nicht das Ganze stellt sich 
uns vor, nur Theile, die um so kleiner sind, je vollständiger wir sie 
kennen zu lernen wünschen. Wir erhalten so, als Ergebnisse der 
Einzeluntersuchungen, eine Reihe von Anschauungen, die wir im 
Geist zu einer Gesammt-Vorstellung reconstruiren müssen; diese, 
durch eine Reihe von Schlussfolgerungen gewonnen, giebt uns Auf- 
schluss über die Structur eines Körpertheils. 

Die Einzelbilder, von denen das Gesammtbild abstrahirt wird 
sind Errungenschaften unserer Untersuchungsmethoden; je mannig- 
faltiger diese sind, je verschiedener die Bilder, die sie liefern, desto 
umfassender, vielseitiger wird unsere Kenntniss. Dazu ist nicht 
erforderlich, dass eine neue Untersuchungsmethode wesentlich neue 
Ergebnisse liefere; wir heissen sie willkommen, wenn sie auch nur 
den Zweck hätte, die Richtigkeit der bisherigen Anschauungen in 
Allem Wesentlichen zu bestätigen, Einzelheiten aufzuklären. 

Diese Aufklärung giebt weniger das Auffinden von Unbekann- 
tem, als die Gruppirung des Vorhandenen; letztere allein ist es, 
welche uns ein Organ verstehen lehrt, nachdem wir es Kennen. 
Möge denn die Betrachtung eines Organs von bisher wenig beach- 


498 J. Disse: 


tetem Gesichtspuncte aus die Publication einer Arbeit entschuldigen, 
welche nach so vielen gründlichen Untersuchungen des positiv Neuen 
so wenig bringen kann. 

Neu ist indessen eine Betrachtung des Kehlkopfs und Pharynx, 
welche Horizontalschnitte zu Grunde legt, nur dann, wenn man 


»neu« mit »wenig angewendet« identifieirt; sie ist um so eher der: 


Gefahr ausgesetzt, unrichtige Anschauungen zu liefern, da sie nicht 
durch andere Anschauungsweisen corrigirt wird. 

Diese Einseitigkeit ist aber gerade das, was Verfasser wirken 
lassen möchte ; das Corrigens, Kenntnisse der Anatomie des Kehl- 
kopfs, die auf anderen Präparationsmethoden basiren, besitzt Jeder, 
der diesem Versuche einen Blick schenkt. 

Herr Prof. Gerlach hatte die Güte, mir die Präparate seiner 
mikroskopischen Sammlung, welche den Kehlkopf umfassen, zur 
Verfügung zu stellen. Es sind 115 Horizontalschnitte, zwei kind- 
lichen Kehlköpfen entnommen. Eine grosse Anzahl hat den Pha- 
rynx mitgetroffen, was nicht nur sehr schöne, sondern auch sehr 
instructive Bilder liefert. Die Präparate sind injicirt und mit Carmin 
gefärbt. 

ÖOrdnete man die besseren Schnitte nach den Gegenden, denen 
sie entnommen waren, so bildeten sich naturgemäss drei Categorien. 
Die erste umfasst die Gegend zwischen Epiglottis und plica thyreo- 
arytaenoidea superior (Henle, glottis spuria autor.), also das Vesti- 
bulum laryngis; sie enthielt 31 Nummern. 

Der zweiten, stimmbildenden Region, von der Spitze der Car- 
tilagg. arytaenoideae bis zum oberen Rande des Ringknorpels, ge- 
hören 26 Nummern an. 

Das Ostium tracheale laryngis endlich war durch 45 Nummern 
vertreten. 


Vestibulum laryngis Luschka. 


Die seitlich von den Plicae ary-epiglotticae, vorn von der Basis 
der Epiglottis begrenzte obere Apertur des Kehlkopfs (Ostium pha- 
ryngeum laryngis), hat nicht nur eine oftmals wechselnde, sondern 
auch schwer zu beschreibende Gestalt, da die Art des Uebergangs 
der Kehlkopfschleimhaut in die Wand des Pharynx sich kaum im 
Bilde, um so weniger in Worten darstellen lässt. 

Zwei Momente erklären dies; es verläuft das Ostium pharyn- 


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Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 499 


geum laryngis schräg zwischen der frontalen und der horizontalen 
Ebene, und aus dieser schrägen Richtung geht die Schleimhaut 
unter Bildung eines nach hinten convexen Bogens weit nach vorn, 
um sich in den Sinus pyriformis Henle (fossa navicularis autor. ; 
sinus pharyngo-laryngeus Luschka) einzusenken. Ungleich ein- 
facher stellen sich die Verhältnisse dar, wenn man einen Horizontal- 
schnitt betrachtet. (S. Fig. 1.) 

Das Lumen der oberen Kehlkopfapertur ist in seinem vorderen 
Theile ähnlich einem Fünfeck, dem der hintere Winkel fehlt; ein 
ziemlich breiter Spalt, von parallelen Schleimhautzügen begränzt, 
vermittelt die Communication zwischen Kehlkopf und Pharynx. An 
der Stelle, wo Kehlkopf und Pharynx in einander übergehen (a), 
beginnen die parallelen Züge zu divergiren; unter Bildung einer 
"förmigen Linie, deren erste Convexität nach hinten, deren zweite 
nach vorn sieht, erreicht die Schleimhaut jederseits das Cornu su- 
perius des Schildknorpels (Fig. 1, 2), an das sie sich anlehnt. Die 
erste, nach hinten gerichtete Convexität umfasst so einen säulen- 
artigen Vorsprung, der den seitlichen, durch die zweite Convexität 
umschlossenen Hohlraum (Fig. 1, sp) vom Lumen des Kehlkopfs 
scheidet. 

Etwas anders gestalten sich die Verhältnisse auf einem tiefer 
gelegten Durchschnitt. (S. Fig. 2.) 

Der transversale Durchmesser sowohl des Lumens als auch 
des Spalts ist geringer; glich ersteres vorhin einem Hufeisen, so er- 
scheint es jetzt in Verbindung mit seiner spaltförmigen Fortsetzung 
als ein Löffel mit langem Stiel. Wo dieser Stiel endet, im Cavum 
pharyngis, erfolgt ebenfalls eine Aenderung der Richtung des be- 
grenzenden Schleimhautzuges ; war sie bisher sagittal, so springt sie 
jetzt unter Bildung eines abgerundeten, beinahe rechten Winkels 
in die transversale Richtung über, von der sie etwas nach vorn ab- 
weicht. In der Nähe des Schildknorpels ändert sie wieder ihre 
Verlaufsrichtung; unter spitzem Winkel nach rückwärts umbeugend, 
folgt sie dem Schildknorpel, der ihr zur Stütze dient. 

Das Ostium pharyngeum laryngis ist also ein sich gleichzeitig 
in zwei Richtungen, von vorn nach hinten und von oben nach unten 
verschmälernder Spalt, der vorn breiter als hinten ist. Die Tiefe 
des Sinus pyriformis, sowie die Art des Schleimhautüberganges in 
denselben bleibt oben ebenso wie unten; dabei nimmt die Mächtig- 
keit der Schleimhautfalte, welche den Sinus pyriformis vom Kehl- 


500 J. Disse: 


kopf trennt, continuirlich zu, je näher man der Spitze des Giess- 
beckenknorpels kommt. (Vergleiche Fig. 1 u. 2.) 

Diese Folgerungen sind nicht die einzigen, die sich aus der 
Vergleichung beider Horizontalschnitte ergeben. 

Die Schleimhaut, deren wir beiläufig gedachten, ist vorn, der 
Incisura cart. thyreoid. gegenüber, in Längsfalten gelegt (Fig. 1, f), 
das gefaltete Stück verläuft transversal. Wo diese Fältelung auf- 
hört, biegt jederseits die Schleimhaut nach rückwärts um, zuerst 
lateralwärts, dann medianwärts ziehend. Die Breite des gefalteten 
Stückes ist gleich der Breite der Ineisura cart. thyreoideae; sie ist 
ebenfalls annähernd gleich der Breite des Spaltes, der sich in das 
Cavum pharyngis öffnet. (Fig, 1.) 

Das Epithel (Fig. 1, e) und spärliche, auf dasselbe folgende 
circuläre Bindegewebszüge betheiligen sich an der Faltenbildung ; 
die tiefer gelegenen Bindegewebszüge sind theils parallel dem Ver- 
laufe des Schildknorpels, theils begleiten sie in stärkeren Bündeln 
die Gefässe. (Fig. 1, bI.) 

Eine Scheidung zwischen mucosa und nervea (Henle) ist nicht 
ausgeprägt; den Raum zwischen Epithel und Knorpel füllt Binde- 
gewebe aus. Die dem Epithel näheren und auch die mittleren 
Schichten enthalten acinöse Drüsen, deren Ausführungsgänge man 
theilweise münden sieht. (Fig. 1, dl.) Diese Drüsen sind nicht 
gleichmässig auf die Circumferenz des Lumens vertheilt; sie stehen 
zu beiden Seiten des Spaltes, also im hinteren Abschnitt des Kehl- 
kopflumens. Der freie Rand desselben ist bis dicht an den Pharynx 
von ihnen besetzt; wo die Schleimhaut ihre Richtung ändert (a), 
hören die Drüsen mit einem Schlage auf. Die Ausführungsgänge 
treten, einander parallel, zur Oberfläche. Eine zweite Drüsengruppe 
steht in derjenigen Schleimhautpartie, welche das Lumen des Kehl- 
kopfs von vorn her begränzt (Fig. 1, gl); ausserdem zeigen sich 
auch solche in der Umgebung des Ventriculus laryngis. Wir werden 
diese Verhältnisse unten genauer besprechen. 

Die dem Epithel zunächstliegenden Bindegewebsschichten ent- 
behren der stärkeren, mit freiem Auge sichtbaren Gefässe durchaus. 
Bei schwacher Vergrösserung (Hartnack Ocul. III, Objeetiv II) be- 
merkt man in denselben transversal ziehende, gegen das Epithel 
hin sich verzweigende Gefässe, die noch arteriellen Charakter tragen 
(Fig. 1, g). Sie lösen sich in ein weitmaschiges, oberflächliches Ca- 
pillarnetz auf. 


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Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 501 


Die mit freiem Auge sichtbaren Gefässe verlaufen vertikal. 
Sie sind stets an derselben Stelle anzutreffen, da nämlich, wo die 
Seitenplatte des Schildknorpels endet. (Fig. 1.) 

Der Theil des Schildknorpels nämlich, welcher in Fig. 2 die 
Gefässe deckt, gehört der Wurzel des Cornu superius an; dieselbe 
wird von der eigentlichen Seitenplatte abgegränzt durch das Tuber- 
culum cart. thyreoid. (Henle), auf das wir zurückkommen. 

Eine dünne Bindegewebslage trennt die verticalen Gefässe vom 
Schildknorpel; wenig dicker ist die Schicht, die sie vom Cavum pha- 
ryngis resp. vom Sinus pyriformis scheidet. Sie’liegen also in der 
äusseren Schicht der Kehlkopfwandung, wenig geschützt, wenn man 
den isolirten Kehlkopf betrachtet. Andrerseits muss eine Zerstörung 
der Kehlkopfschleimhaut schon sehr tief greifen, wenn sie ein einiger- 
maassen nennenswerthes Gefässe treffen soll. 

Aus diesen Gefässen gehen, entweder ganz horizontal oder 
schräg aufsteigend, die feineren Gefäss hervor, die zur Schleimhaut 
ziehen. 

Nach vorn und medianwärts von den Gefässen, gegen die In- 
eisura cart. thyreoid. hin, ist die Schleimhaut durch eine längliche, 
mit dem längsten Durchmesser dem Knorpel parallele, von einem 
Epithelsaum eingefasste Lücke (Fig. I, v) unterbrochen. Die Länge 
derselben ist ungefähr gleich einem Viertel der Länge der Knorpel- 
platte; der Saum ist wellig, unregelmässig ausgebuchtet; die Oeff- 
nung, welche er umfasst, ist der Querschnitt des Ventriculus la- 
ryngis. Derselbe liegt also zu beiden Seiten der Incisura cart. 
thyreoid. hinter dem medialen, der Ineisur nächsten Viertel des 
Knorpels. Vom Knorpel trennt seine Wand ein dünnes Bindege- 
webe, dessen Züge sich in die des Perichondriums verlieren; die 
Höhle liegt dem Knorpel bedeutend näher als dem Lumen des 
Kehlkopfs. 

Die Schleimhaut des Ventriculus laryngis ist in Längsfalten 
gelegt, die im medialen Theil stärker als im lateralen entwickelt 
sind. Die Mächtigkeit seines flimmernden Cylinderepithels ist gleich 
der des Kehlkopfepithels; vereinzelte acinöse Drüsen liegen jederseits 
an der medialen Spitze des Ventriculus, zwischen ihm und dem 
Schildknorpel. (S. Fig. 1, Fig. 2, d.) Tiefer unten umgeben den 
Ventrikel statt der Bindegewebszüge auch wohl Muskelbündel; wir 
kommen darauf zurück. 

Zwischen den beiden Ventrikeln ändert die Schleimhaut ihren 


502 J. Disse: 


Charakter. Statt der lockern, gefässhaltigen Bindegewebsschicht, 


die wir unter dem Epithel sahen, treffen wir hier, der Incisura cart. 
thyreoid. gegenüber, feste Bindegewebszüge, zwischen die acinöse 
Drüsen derart eingestreut sind, dass dichte Bindegewebsmassen mit 
dünneren Drüsenaggregaten alterniren. (Fig. 1, gl). Am dichtesten 
ist dies gemischte Gewebe unter dem Epithel; gegen die vordere 
Begrenzung der Incisur hin wird es lockerer. Nur an den knorpligen 
Begrenzungen der Ineisur finden sich wieder dichte, aber weniger 
mächtige Faserzüge, Fortsetzungen des Perichondriums, die theil- 
weise nach hinten umbiegen und in die Schleimhaut ausstrahlen. 
(Fig. 2, te.) 

In ihrer Gesammtheit bildet diese, ziemlich derbe Ausfüllung 
der Ineisura cart. thyreoid. das Ligamentum thyreo-epiglotticum. 
Es sondert sich, wie ein Blick auf Fig. 1 lehrt, durchaus nicht 
scharf von der Schleimhaut, sondern erscheint als eine den localen 
Verhältnissen angepasste Verstärkung ihrer Züge. Die Drüsen 
dieser Region sind gezwungen, zwischen diesen straffen Fasern sich 
auf einen möglichst kleinen Raum zu beschränken, und haben sich 
deshalb in Reihen übereinander geordnet; so ist aber ermöglicht, 
dass dieser Abschnitt der Kehlkopfeircumferenz ebenso reich an 
Drüsen ist, als die erwähnten Abschnitte. Ob man aber berechtigt 
ist, Züge drüsenhaltigen Bindegewebes als ein besonderes Band auf- 
zuführen, lässt sich bezweifeln; das heisst doch den Begriff »Band« 
zu willkürlich ausdehnen. 

Die Cornua superiora des Schildknorpels sind auf unserem 
Querschnitt von den Seitenplatten ziemlich entfernt, aber in deren 
Flucht gelegen. Sie stehen durch Fortsetzungen des Perichondriums 
externum und internum mit den Seitenplatten in Verbindung. Die 
Wand des Kehlkopfs ist an dieser Stelle eine Strecke weit rein 
bindegewebig. 

Die Cornua superiora stützen schon nicht mehr die Wand des 
Kehlkopfs, sondern die des Pharynx. 

Ein Vergleich mit einem tiefergelesten Querschnitt (Fig. 2) 
giebt uns Aufschluss über die Art, wie sich Einzelheiten geändert 
haben. 

Die Verschmälerung des Lumens ist schon erwähnt; auch der 
Umstand wurde angegeben, der die Formänderung verursacht. Es 
ist die Dickenzunahme der Wand in der Richtung von oben nach 
unten, mit der eine Vermehrung der Dichtigkeit verbunden ist. Die 


u a 


Au - 


Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 503 


Bindegewebsbündel sind zahlreicher geworden und sie liegen näher 
aneinander. 

Die Zahl und Anordnung der Gefässe ist annähernd dieselbe 
geblieben; die Anzahl der Drüsen indess ist vermehrt. Sie reichen 
weiter nach vorn; während sie aber um so spärlicher werden, je 
näher man der Incisura cart. thyreoid. sich nähert, erreichen sie das 
Maximum ihrer Dichtigkeit am freien Rande des Spalts zwischen 
Kehlkopf und Pharynx, in dessen Schleimhaut die Cartilago cunei- 
formis (Henle, cart. Wrisbergii aut.) eingeschlossen ist. 

Die Falten der Schleimhaut des Ventriculus laryngis nehmen 
an Anzahl bis zu einer gewissen Tiefe zu; sie verlaufen vertical. Die 
Drüsen werden dabei zahlreicher (s. Fig. 2, gl) verhalten sich also 
wie die Drüsen des eigentlichen Kehlkopfraums. Die Stütze der 
Wand des Ventrikels bilden Muskelfasern, tae, Fig. 2; es ist also 
sehr wohl möglich, dass durch Contraction derselben sein Lumen 
comprimirt, ja temporär geschlossen wird. 

Diese Veränderungen gehen vor sich bis zu der Stelle, die 
dem Anfange des Cornu superius entspricht; dieselbe kennzeichnet sich 
durch eine Aenderung der Knorpelflucht (s. Fig. 2, ge). Die hin- 
tere, kürzere Partie der Seitenplatte des Schildknorpels, die eigent- 
liche Basis des oberen Horns, biegt unter Bildung eines stumpfen 
Winkels aus ihrer bisherigen Richtung medianwärts um: verläuft 
die Seitenplatte im Bogen lateral-rückwärts, so zieht die Wurzel 
des Cornu superius parallel der Medianebene nach hinten. Der 
Knorpel ist also geknickt; der Knickung entspricht stets ein der 
Aussenfläche aufsitzender, stumpfer Höcker, den Henle Tuber- 
culum cart. thyreoid. nennt. Passender wäre, da an dieser Stelle 
der Knorpel seine Richtung ändert, der Name »Genu«, den wir 
beibehalten wollen, um einen kurzen Hinweis auf diese, in topo- 
graphischer Beziehung wichtige Stelle zu haben. Bis zum Genu 
cart. thyreoid. reicht nämlich die Wand des Pharynx nach vorn; 
ihm entspricht der spitze Winkel, unter dem die Schleimhaut des 
Sinus pyriformis nach rückwärts umbiegt, Fig. 2, p. Das Genu 
begrenzt ferner auf der Aussenfläche des Knorpels den Ursprung 
des M. laryngo-pharyngeus; vor ihm entspringt kein Bündel dieses 
Muskels, dessen Ursprung somit auf die Wurzel des Cornu superius 
cart. thyreoid. beschränkt ist. 

Vom Pharynx haben wir bisher nur die vordere Wand kennen 
- gelernt; wir haben gesehen, wie die Schleimhaut derselben aus dem 


504 J. Disse: 


Kehlkopf sich umbiegt, wobei sie ihre Drüsen verliert. (Fig. 1 u. 2.) 
Den Uebergang der vordern in die Seitenwand, deren Anfang das 
Cornu superius des Schildknorpels zur Stütze dient, vermochten 
wir auch eine Strecke weit nach hinten zu verfolgen. Ein Quer- 
schnitt, der die ganze Circumferenz des Pharynx mitgetroffen hat, 
wird uns näher über die Verhältnisse dort informiren. (8. Fig. 3.) 

Der zum grossen Theil von vertical verlaufenden, gewissermaassen 
an der Schädelbasis suspendirten Muskelblättern eingeschlossene, 
nach vorn mit der Nasen- und Mundhöhle communieirende Hohl- 
raum des Schlundkopfs hat, weil er nur von nachgiebigen Seiten- 
wänden eingeschlossen ist, eine nach seiner Füllung wechselnde, 
sehr variable und besonders durch Ausdehnung der Vergrösserung 
fähige Gestalt. Erst da, wo das doppelt ausmündende Luftrohr, 
an dessen Bildung der Schlundkopf eben so sehr Antheil nimmt 
als die Mundhöhle, sich vom Verdauungstractus ablöst, wird dem 
Pharynx eine mit vereinfachter Function sich vereinfachende Gestalt. 
Bestimmte laterale Grenzen treten auf, die seine Breite bestimmen, 
indem sie seine Seitenwand stützen; die vordere, durch die Commu- 
nication mit den Gesichtshöhlen wie durch eingeschnittene Fenster 
entfernte Wand schliesst sich und findet am Kehlkopf eine theils 
häutige, theils knorplige Grundlage. So wird der Uebergang des 
Schlundkopfs aus einem unregelmässig begrenzten Raum in einen 
Schlauch eingeleitet, der naturgemäss der Kreisform zustreben muss; 
wie dieser Uebergang nicht unvermittelt, sondern allmählich erfolgt, 
lehrt uns ein Blick auf Fig. 3, ph. 

Wir sehen einen flach gekrümmten, nach hinten convexen 
Spalt, dessen Breite an den Seiten grösser als in der Mitte ist. 
Seine Krümmung ist flacher als die entgegengesetzt verlaufende des 
Schildknorpels, er liegt in der frontalen Ebene, welche durch das 
Genu cart. thyreoid. gelegt ist. 

Henle nennt die Anheftung des Pharynx an den Kehlkopf 
eine lockere; dies gilt für den tiefer gelegenen Abschnitt des Pha- 
rynx, dicht über dem Ringknorpel, bezeichnet aber nur ungenau 
das Verhältniss des Pharynx zum Vestibulum laryngis. Wie oben 
erwähnt, sind die ersten Anlehnungspunkte, die die Schleimhaut 
des Pharynx findet, die oberen Hörner des Schildknorpels. Ihnen 
folgt die Seitenwand des Pharynx nach unten, gegen den Ringknorpel 
hin, und nimmt daher den hinteren Theil der Seitenplatte als festen 
Halt, welcher, in der Flucht der Cornua supp. liegend, gewisser- 


Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 505 


maassen deren Basis bildet. Der Abstand derselben von einander 
bestimmt die grösste Breite, welche der Pharynx in dieser Höhe 
erreichen könnte; dieses Maximum wird am Lebenden niemals in 
Wirklichkeit gewonnen, da ja die Innenfläche der Knorpel noch von 
Schleimhaut bekleidet ist. Man muss also die Dicke der häutigen 
Wand jederseits vom Linear-Abstand der hinteren Enden des Schild- 
knorpels abziehen, um die wirkliche grösste Breite des Pharynx, so 
lange er hinter dem oberen Kehlkopfabschnitte verläuft, zu finden. 


Die Schleimhaut der Seitenwand ist auf eine kurze Strecke 
an die Innenfläche des Schildknorpels angewachsen (s. Fig. 3); sie 
nimmt dieselbe vom Genu bis zur hinteren Spitze ein. Indem sie 
nun in die vordere resp. hintere Wand umbiegt, bildet sie jedesmal 
einen spitzen Winkel. So erscheinen die lateralsten Enden des 
Pharynx am breitesten; jedes Ende istin eine vordere und eine hin- 
tere Spitze ausgezogen. (S. Fig. 3, a, b.) 


Sehr dünne, dem Perichondrium parallele Bindegewebszüge 
trennen die glatt angeheftete Schleimhaut an dieser Stelle vom 
Schildknorpel; von ihrer Umbeugungsstelle an ist auf eine kurze 
Strecke medianwärts die Schleimhaut in eine Anzahl von Längs- 
falten gelegt, die an der hinteren Peripherie stärker als an der 
vorderen ausgeprägt sind. 


Auf die Schleimhaut der vorderen und hinteren Wand folgen 
animale Muskeln; vorn der M. arytaenoideus, hinten der M. la- 
ryngo-pharyngeus. Die Dicke und der Bau derjenigen Schicht, 
welche die Schleimhaut von dieser Unterlage trennt, ist indessen 
an der vorderen und hinteren Wand ungleich. 


Vorn zerfällt die trennende Schicht in drei Abtheilungen, eine 
mittlere und zwei seitliche; diese sind bindegewebiger Natur, jene, 
deren Grenze jederseits durch eine sagittale Linie begrenzt wird, 
die den kreisförmigen Querschnitt des Giessbeckenknorpels halbirt 
(s. Fig. 3, c. a.), ist ein Aggregat acinöser Drüsen. Die Mächtigkeit 
dieser Drüsenschicht im sagittalen Durchmesser ist gleich der Hälfte 
der Mächtigkeit der Zwischenwand, die Kehlkopf und Pharynx in 
dieser Höhe (Beginn der Incisura cart. thyreoid.) scheidet. In ver- 
ticaler Richtung reicht diese Drüsenschichte nach oben und unten 
noch eine Strecke weit; die Anzahl der Drüsen nimmt dabei ab, 
so dass die ganze Masse eine Spindelform erhält. 


Die Schichte, welche die Schleimhaut der hinteren Wand vom 
Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 11. 34 


506 J. Disse: 


M. laryngo-pharyngeus trennt, enthält hie und da eine acinöse 
Drüse. Ihre Dicke ist geringer als die der vorderen Zwischenschichte. 

Ein Blick auf den Kehlkopf (Fig. 3) belehrt uns über das 
Verhältniss der Drüsen dicht über der Glottis spuria.. Die Mäch- 
tigkeit der Schichte zwischen Knorpel und Epithel, also die Dicke 
der Kehlkopfwand, sowie die Anordnung der Gefässe, zeigt gegen 
die höheren Abschnitte keine wesentlichen Modificationen; der Ven- 
trieulus laryngis liegt dem Schildknorpel noch ebenso nah wie 
früher, hat sich also im Herabsteigen von seiner Wand nicht ent- 
fernt, oder richtiger in seiner Ausdehnung nach oben der Wand 
nicht genähert. Nur hat sein längster Durchmesser etwas zuge- 
nommen, woraus folgt, dass sich der Ventrikel um so mehr ver- 
engert, je höher er hinauf reicht. Das Bindegewebe aber, welches 
zwischen Epithel und Knorpel verlief, ist beinahe verschwunden. 
An seiner Stelle liegt eine continuirliche Drüsenschichte; spärliche 
Bindegewebszüge bilden ein Stroma, in dessen weiten Maschen Drüse 
an Drüse liegt (Fig. 3). Auch die Wand des Ventriculus laryngis 
ist rings von Drüsen umgeben. 

Die Veränderungen in der Zusammensetzung der Wand des 
Kehlkopfs sind so beträchtlich, dass alles andere, wie Veränderungen 
in der Gestalt des Lumen, Fältelung der Schleimhaut, Verhalten des 
Knorpels, in den Hintergrund tritt. Ueber diese Verhältnisse be- 
lehrt die Abbildung. 

Aus der bisherigen Schilderung ergibt sich eine Regel, die 
durch Betrachtung aller Querschnitte bestätigt wird; sie erläutert 
die Art der Drüsenausbreitung im Kehlkopf, und zwar in den beiden 
Abtheilungen des Vestibulum laryngis, Lumen und Ventrikel. Die 
Drüsen verhalten sich hier wie dort; findet man sie in der Schleim- 
haut des Lumen, so kommen sie auch in der Wand des Ventrikels 
vor; stehen sie im Lumen dicht, so sind sie auch im Ventrikel 
häufig, und umgekehrt. 

In beiden Abtheilungen des Vestibulum laryngis zeigen also 
die Drüsen in Bezug auf Vorkommen und Anzahl ein proportionales 
Verhalten; dabei nimmt ibre absolute Häufigkeit in der Richtung 
von oben nach unten hin zu. 

Wir haben bisher die Fiction festgehalten, als communicire 
der Kehlkopf mit dem Pharynx durch einen Spalt; wir haben säulen- 
ähnlicher Schleimhautfalten erwähnt, die das Cavum pharyngis vom 
Kehlkopflumen trennen sollten. Drüsen traten zuerst im laryngealen 


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Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 507 


Rande dieser Säulen auf. Diese Vorstellung bedarf der Berichtigung. 
Die Säulen sind nichts anderes als der Schrägschnitt der Plicae 
ary-epiglotticae; die Breite des »Spalts« ist der Ausdruck des Ab- 
standes ihrer Ränder. Die dem Kehlkopf im Gegensatz zum Ven- 
triceulus zugeschriebenen Drüsen liegen im hinteren (tieferen) Ab- 
schnitt der Plica ary-epiglottica. Sie nehmen an Anzahl von der 
Epiglottis zum Giessbeckenknorpel sehr rasch zu und ordnen sich 
dabei in mehrere Reihen über einander. Vom freien, medialen 
Rande der Schleimhautfalte entfernen sie sich dabei immer mehr, 
und verdrängen das Bindegewebe der Falte fast gänzlich, so dass 
dicht über der Spitze der Cart. arytaenoidea die Plica ary-epiglot- 
tica ein Drüsenaggregat ist. Dass der Ventriculus laryngis bis zur 
Basis der Epiglottis hinauf reicht, erwähnt auch Henle (Einge- 
weidelehre 2. Aufl. S. 273). Ueber seine Längenausdehnung, pa- 
rallel der Seitenplatte des Schildknorpels, habe ich keine Angaben 
gefunden: sie ist, wie aus Fig. 1 bis 3 hervorgeht, in seiner oberen 
Hälfte keine bedeutende und beträgt '/ı bis 1/; der Länge des Schild- 
knorpels, von der Medianlinie bis zum Genu hin gemessen. Das 
Vestibulum laryngis reicht von der Basis der Epiglottis, welche 
die obere Apertur der Incisura cart. thyreoid. einnimmt, nach unten 
bis zur Cartilago cornieulata (Henle, cart. Santorini). Die Höhe 
desselben übertrifft vorn um etwas die Tiefe der Incisur des Schild- 
knorpels. 


Eigentlicher Kehlkopf. 


Die zweite Abtheilung des Kehlkopfs, die stimmbildende Partie, 
reicht, von oben nach unten gerechnet, von der Spitze bis zur Basis 
der Cartt. arytaenoid. Die Höhe dieser Abtheilung wird also durch 
die verticale Länge der Giessbeckenknorpel bestimmt; ihr Lumen 
ist vermöge der grossen Beweglichkeit der Knorpel beständigen 
Wechsels fähig, ihre Wand, abgesehen von der die Stimmbänder 
bildenden Schleimhaut, theils knorpelig, theils musculös. Als knorplige 
Stütze fungirt der Schildknorpel, und zwar die Partie, welche zwi- 
schen dem tiefsten Punkte seiner Incisur und seinem unteren Rande 
liegt; er stützt die vordere und die Seitenwände. Die hintere Wand 
ist nur theilweise musculös; es sind die Giessbeckenknorpel und 
lateralwärts von denselben gelegene Bindegewebszüge, welche sich 


508 J. Disse: 


mit dem M. arytaenoideus in die Aufgabe theilen, das Lumen des 
Kehlkopfs von dem des Pharynx zu trennen. 

In ruhendem Zustande ist jenes, in der Höhe der Spitzen der 
Cartt. arytaenoid. und des Anfangs der Incisura cart. thyreoid., 
deutlich rautenförmig; seine vordere Spitze reicht bis nahe an den 
Schildknorpel, sein hinterer Winkel zwischen die Carth. arytaen. 
hinein, bis auf die Fasern des M. arytaenoideus, von denen er durch 
einen dünnen Schleimhautsaum getrennt wird. Die breiteste Stelle 
liegt gleiehweit von der vorderen und der hinteren Spitze entfernt; 
ihre Breite ist etwas grösser als der Abstand der medialen Enden 
des Giessbeckenknorpels (s. Fig. 4). Die Stütze der Schleimhaut 
bilden Bindegewebszüge, die an einem medianen Bindegewebswulst, 
der den Schildknorpel unterhalb der Incisur verstärkt (Henle), ent- 
springen. 

Nach beiden Seiten hin divergiren von diesem Wulst aus zwei 
Hauptzüge, die geschlängelt und sich allmählich auflösend zum 
lateralen Rande der Giessbeckenknorpel hinziehen (Fig. 4, 1). Diese 
bilden die laterale Grenze und zugleich die Grundlinie eines Drei- 
ecks, dessen andre Seiten von der Verbindungslinie zwischen Binde- 
gewebswulst des Schildknorpels und Spitze der Cart. arytaenoidea, 
sowie von der vorderen Fläche dieses Knorpels gebildet werden. 

Dieses Dreieck schliesst die Drüsenschichte der Kehlkopfswand 
ein (s. Fig. 4). Ausserdem stehen die Drüsen dicht in den Fächern 
des medianen Bindegewebswulstes, sowie in der Wand des Ventri- 
eulus laryngis. 

Zugleich mit den Giessbeckenknorpeln tritt ein neues Structur- 
element des Kehlkopfs auf, dessen Vorkommen den stimmbildenden 
Abschnitt desselben auszeichnet, und seine Funktion ermöglicht; es 
ist das Gewebe der willkürlichen Muskeln. 

Ansatzpunkt aller Muskeln, nothwendige Vorbedingung derselben 
ist die einzige bei der Stimmbildung massgebende Abtheilung der 
Kehlkopfwand, die durch ihre Beweglichkeit eine Muskelaktion zu- 
lässt, die Cartt. arytaen. Zu jedem treten von vorn, oben und 
unten die Muskelbündel heran; eine Schicht transversaler Fasern 
verbindet beide Knorpel. Die Vermehrung der Muskelbündel, die 
eine verhältnissmässig fortschreitende Vermehrung der Angriffs- 
punkte postulirt, bewirkt eine von oben nach unten immer grösser 
werdende Fläche der Cartt. arytaen. Die Gestalt derselben wird 
dabei immer complicirter. 


Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 509 


Ueber die Art, wie beides zugleich vor sich geht, wie ferner 
die Muskeln die neu hinzugekommenen Angriffspunkte unter einander 
vertheilen, also über successive Veränderungen der Knorpelgestalt 
und über das Verhältniss der Muskelansätze, belehrt in ausgiebigstem 
Maasse der Querschnitt in verschiedener Höhe. Zugleich liefert er 
eine sichere Basis zur Entscheidung der Frage: Ist eine Scheidung 
der inneren Kehlkopfmusculatur in drei selbständige Muskeln be- 
rechtigt? 

Um dieser Entscheidung näher zu kommen, betrachten wir zu- 
nächst die Aenderung der Knorpelgestalt, dann die Art der Muskel- 
vertheilung. | 

Der Giessbeckenknorpel ist an seiner Spitze in sagittaler Rich- 
tung comprimirt; der transversale Durchmesser übertrifft den sagit- 
talen um das 5 bis 6fache (Fig. 4, ca), so dass der Knorpelquerschnitt 
die Gestalt einer leicht nach hinten convexen Platte mit verdicktem 
‘ lateralem Rande hat. Gegen die Basis zu verdickt sich der Knor- 
pel zunächst im sagittalen Durchmesser; dabei steht der längste 
Durchmesser nicht mehr transversal, sondern nimmt eine immer 
mehr diagonale Richtung zwischen der sagittalen und frontalen 
Ebene an. Der Knorpel zieht sich nach vorn und medianwärts 
in eine Spitze aus; diese ist der Beginn des Processus vocalis. 

Indem diese Spitze nun immer länger, der hintere Rand da- 
gegen immer dicker und abgerundeter wird, — der Beginn des Pro- | 
cessus muscularis — entsteht die in Fig. 5 dargestellte Form des 
Knorpels etwas oberhalb der Articulatio crico-arytaenoidea. 

Diejenigen Insertionspunkte, welche von Anfang an der ver- 
dickte laterale, spätere hintere Rand des Knorpels bietet, werden 
zuerst in Anspruch genommen. Am weitesten hinauf reicht der M. 
arytaenoideus und inserirt sich jederseits an der Kante und der 
lateralen Hälfte der hinteren Fläche des Knorpels (Fig. 4 ma). 
Gleichzeitig mit ihm treten Bündel auf, die erst am Insertionsrande 
sich vom M. arytaenoideus trennen und weiter nach vorn umbiegen; 
(Fig. 4t a e). Im vorderen Abschnitte des Kehlkopfes werden sie 
jederseits an der lateralen Gränze der Drüsen sichtbar, theils im 
Längs-, theils im Querschnitt getroffen. Sie steigen also schräg auf 
und gehören dem M. thyreo-aryepiglotticus an. Diesen Bündeln be- 
gegneten wir schon oben, wo sie zu beiden Seiten des Ventriculus 
laryngis hinzogen (Fig. 2, 3, t a e). 

Erst allmählich, je mehr der laterale Rand des Giessbecken- 


510 J. Disse: 


knorpels sich der Form des Processus muscularis nähert, treten zu 
ihm Muskelbündel heran, die von dem Schildknorpel in der Nähe 
der vorderen Medianlinie entspringen. Diese Fasern nehmen an An- 
zahl continuirlich zu; dabei greifen sie vom lateralen Rande her 
immer weiter auf die vordere Fläche des Knorpels über. Da sie 
geradlinig verlaufen, engen sie die Drüsenschicht immer mehr ein, 
je näher sie dem medialen Knorpelrande kommen; schrittweise ge- 
winnen sie Terrain, so dass die Drüsenschichte, auf dem Frontal- 
schnitt betrachtet, sich nach unten hin ziemlich rasch verjüngt. 
Schliesslich bilden die Muskelfasern nicht nur die laterale, sondern 
auch die untere Grenze der Drüsen, welche also gewissermaassen in 
einer Aushöhlung der Muskelschicht ruhen; und von diesem Punkte 
ab nehmen die Muskelbündel den ganzen Raum ein, der in Fig. 4 
noch von Drüsen occupirt war (s. Fig. 4, t a). 

Diese Muskelbündel kommen auf jeder Seite von dem medianen 
Bindegewebswulst des Schildknorpels und von dem angrenzenden 
Theil der Seitenplatten desselben (Henle Eingeweidelehre 2. Auflage, 
pg. 259); sie repräsentiren dessen M. thyreo-arytaenoidens externus 
und internus. An der Insertion haben wir noch die Fasern des M. 
erico-arytaenoideus lateralis bei ihnen zu suchen. 

Ein Blick genügt um zu sehen, dass eine Scheidung dieser 
Muskelfasern in zwei selbständige Muskeln durch nichts gerecht- 
fertigt ist. Ebensogut lassen sich vier Muskeln daraus machen, da 
von einer Bindegewebsschicht, die einzelne Fasercomplexe von ein- 
ander trennt, also von einem Perimysium, nichts vorhanden ist. Und 
doch lässt ein Querschnitt die Verhältnisse besser in ihrem natür- 
lichen Zusammenhange, ais eine andere Präparationsweise. Soll man 
da nicht zu der Annahme gedrängt werden, der M. thyreo-arytae- 
noideus internus sei ein Kunstproduct? (s. Fig. 5.) 

Die Autoren geben zu, dass eine Scheidung der Muskeln, die 
in ihrer Gesammtheit den Sphincter laryngis darstellen, in den 
meisten Fällen nicht deutlich ausgeprägt ist. »Die einzelnen Mus- 
keln« sollen »einander Fasern zusenden, ja geflechtartig einander 
durchdringen« (Henle). Weshalb hält man trotzdem an einer 
Scheidung fest? Heisst dies doch nichts anderes, als das Häufigere 
als Abnormität, das ziemlich Seltene als Regel hinstellen. 

Es ist von durchaus keinem practischen Werthe, die Anzahl 
der Kehlkopfmuskeln um einen zu vermehren; man benennt einen 
Theil eines grösseren Muskels mit besonderem Namen, ohne dass 


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Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 511 


man an eine isolirte Funktion dieses in doppeltem Sinne willkür- 
lichen Muskels denken darf, Wir gebrauchen nicht den präparirten 
Kehlkopf zum Sprechen oder Singen; und solange der natürliche 
Zusammenhang erhalten ist, muss der Contraction eines der Bün- 
del, die zwischen Schildknorpel und Cart. arytaen. ausgespannt sind, 
die ganze Fasermasse sich anschliessen. Verf. würde, da die An- 
zahl der Kehlköpfe, denen die Gerlach ’schen Schnitte entnommen 
sind, zu gering ist, als dass man allgemeine Schlüsse über streitige 
Punkte daraus ziehen dürfte, es vorziehen, bei einem M. thyreo-ary- 
taenoideus es bewenden zu lassen. Den M. crico-arytaenoideus late- 
ralis müsste man als zweiten Kopf dieses Muskels auffassen, wie aus 
dem Zusammenhange der Fasern an der Insertion hervorgeht. Ob 
man nun statt der zwei langathmigen Namen den einen M. thyreo- 
crico-arytaenoideus wählt, oder ob man den M. crico-arytaenoideus 
lateralis getrennt aufführt, ist eine Frage, an deren Entscheidung 
die Convenienz mehr Antheil hat, als die anatomische Thatsache. 
Zwischen der Spitze und der Basis des Giessbeckenknorpels geht 
das Lumen des Kehlkopfs aus der Rautenform in die Figur einer 
Lanzenspitze über. Es wird also fortwährend enger;. auch der 
sagittale Durchmesser nimmt ab. Die Schleimhaut ist dünn; ausser 
den schon erwähnten seitlichen Drüsenmassen finden sich Drüsen 
erst dicht über der Glottis vera in ihrem hinteren, intercartilaginösen 
Abschnitte. Die Hauptmasse derselben steht in der hinteren Com- 
missur der Schleimhaut; weniger Drüsen stehen in der vorderen, 
dem medianen Bindegewebswulst des Schildknorpels nächsten Partie 
(s. Fig. 5). 

Die hintere Drüsengruppe begrenzt auf beiden Seiten die 
mediale Wand der Kapsel der Articulatio crico-arytaenoidea. Dieses 
Gelenk liegt etwas tiefer als die Wurzel des Cornu inferius vom 
Schildknorpel; besonders auffällig ist die Stärke der medialen Kapsel- 
wand (Fig.5.2). Die straffen, parallelen Bindegewebszüge derselben 
entspringen von der Mitte der Vorderfläche des Ringknorpels; nur 
die Medianebene bleibt frei davon. Sie inseriren sich an die hintere 
und die mediale Fläche des Processus vocalis, in dessen Perichon- 
drium die letztern sich verlieren. 

Durch ihre Stärke und Anordnung sind die Züge in den Stand 
gesetzt eine Rotation des Knorpels um die verticale Axe lateralwärts 
kräftig zu hemmen, sie erlauben nicht, dass die Spitzen der Processus 
vocales erheblich divergiren, und setzen so der Bewegung Schranken 


512 J. Disse: 


welche der M. crico-arytaenoideus posticus ertheilt. Ihre relative 
Festigkeit bedingt das Maximum der Erweiterung der Glottis. Vom 
Ostium pharyngeum laryngis bis zur Glottis, oder, mit andern 
Worten, von der Basis der Cart. epiglottica bis zur articulatio crico- 
arytaenoidea, also zum oberen Rande des Ringknorpels, nimmt die 
Wand des Kehlkopfs an Mächtigkeit stätig zu; die Zunahme geschieht 
auf Kosten der Weite des Lumen. 

Die Schleimhaut, anfangs locker, verdichtet sich immer mehr; 
die Drüsenschichten der oberen Region machen nach unten hin dem 
resistenteren Muskelgewebe Platz; die knorplige Stütze der Wand 
wird um so vollständiger, je mehr wir uns der Glottis nähern. 

Der schwächste Theil des Kehlkopfs, die hintere Wand, welche 
ihm in der Mittellinie soweit fehlte, als dem Pharynx die vordere, 
tritt gleich von Anfang an in ziemlicher Stärke auf (Fig. 3). Nicht 
die Dicke wohl aber die Festigkeit nimmt bald zu; an Stelle des 
Bindegewebes treten Knorpel und Muskelfasern. 

Die Veränderung, welche der Pharynx erfährt, soweit er hinter 
den Giessbeckenknorpeln nach abwärts verläuft, sind nicht beträcht- 
lich, aber gross genug, um bei einem Blick auf Fig. 4 und 5 sofort 
in die Augen zu fallen. Sie betreffen die Seitenwand. Diese ver- 
schwindet; an der Stelle, wo sie am Schildknorpel angewachsen war, 
gehen unter spitzem Winkel vordere und hintere Wand in einander 
über. Der Abstand der Schleimhautoberfläche vom Schildknorpel 
ist dabei nicht grösser, die Breite des Pharynx also nicht kleiner 
geworden; auch die mediane Drüsenschichte zwischen M. arytaenoi- 
deus und Schleimhaut hat sich erhalten, wenn auch ihre Mächtigkeit 
reducirt worden ist. 


Ostium tracheale Laryngis. 


Unterhalb der Articulatio crico-arytaenoidea beginnen die Ver- 
hältnisse des Kehlkopfs wieder eine einfachere Gestalt anzunehmen. 
Die Vereinfachung wird wesentlich durch die Veränderung der hin- 
teren Wand hevorgebracht; eine solide Knorpelwand ersetzt die Cartt. 
arytaen. und ihren complieirten Muskelapparat. Der Kehlkopf strebt 
derjenigen Form zu, die bei möglichst geringem Querschnitt mög- 
lichst viel Luft zu fassen vermag; das ist der Kreis. Herrscht nun 
schon in dieser Annäherung des Lumens an die Kreisform eine 
Uebereinstimmung mit dem Ostium pharyngeum laryngis (s. Fig. 1), 


| 


Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 513 


so wird dieselbe noch mehr hervorgehoben durch die Art der Ver- 
theilung der Drüsen und durch das Zurücktreten des Muskelgewebes; 
dieses kommt im Innern des Kehlkopfs unterhalb der Glottis in 
ebenso untergeordnetem Maasse und nur eine kleine Strecke weit 
vor, als im Rande der Plicae ary-epiglotticae. 

Der Uebergang des Lumens in die Kreisform erfolgt ganz all- 
mählig. Dicht unterhalb ‚des Gelenks (Fig. 6) ist sein sagittaler 
Durchmesser verkürzt, der transversale etwas vergrössert ; die Längs- 
falten der hinteren Spitze sind verstrichen, vorn sind noch Andeu- 
tungen davon erhalten. 

Die Schleimhaut umfasst wie ein dünner Saum das Lumen; 
zwischen ihr und dem Knorpel, der von hier ab sie stützen soll, 
zieht ein die Dicke der Schleimhaut um das 3 bis 4fache übertreffen- 
der Drüsenring, der hinten, wo er am mächtigsten ist, bis zum 
Perichondrium, seitlich bis auf Bindegewebsfasern reicht, die der 
medialen Wand der Kapsel der Articulatio erico-arytaenoidea ange- 
hören (Fig. 6, 3). 

Wie in den beiden oberen Bezirken des Kehlkopfs, verlaufen 
auch hier die Gefässe nahe am Knorpel; nur sind sie, wo der Ring- 
knorpelsich inden Schildknorpel einschiebt, ersterem gefolgt und ziehen 
in einer frontalen Ebene nach abwärts, die etwas vor dem Cornu 
inferius durch den Schildknorpel gelegt ist. Von Zeit zu Zeit sen- 
den sie horizontale Aeste aus. 

Schliesslich theilen sich die stärkeren Gefässe büschelförmig; 
die so entstehenden Aeste behalten den verticalen Verlauf bei, und 
nehmen einen ziemlich gleichen Abstand von einander ein. Auf 
einem tiefer gelegten Querschnitte sieht man das Lumen von einer 
Anzahl von Gefässquerschnitten umgeben (Fig. 7). 

Bei dem Absteigen nach unten ändert die Schleimhaut ihre 
Mächtigkeit; das Bindegewebe nimmt zu auf Kosten der Drüsensub- 
stanz, was indess nicht hindert, dass das Lumen nach wie vor von 
einem Kranz von Drüsen umgeben ist. Die Zahl der kleineren Ge- 
fässe nimmt in der Richtung von der Glottis zur Trachea zu, eben 
so die Mächtigkeit der Schleimhaut; die Drüsen nehmen an Zahl 
in eben dem Maasse ab. Die Falten der Schleimhaut erfahren dabei 
eine Vermehrung. 

Der Uebergang des Kehlkopfs in die Trachea erfolgt'am unteren 
Rande des Ringknorpels; er ist aber ein ziemlich allmählicher und 
in Bezug auf Mächtigkeit der Schleimhaut, Drüsenreichthum und 


514 J. Disse: 


Gefässanordnung verhält sich das Anfangsstück der Trachea genau 
wie das Endstück des Larynx. 

Unterhalb der articulatio cerico-aritaenoidea ändert sich der 
Pharynx rasch und wird zum Oesophagus. Es geschieht dies durch 
vermehrte Längsfaltenbildung seiner vorderen und hinteren Wand; 
dadurch werden die lateralen Spitzen immer näher an die Mittellinien 
herausgezogen, zugleich beginnt das Lumen so die characteristische 
Sternform anzunehmen (Fig. 6 ph). 

Dem Ringknorpel steht dabei das Lumen näher als dem Giess- 
beckenknorpel; trotzdem entfernt sich, da der intercartilaginöse Ab- 
schnitt des Kehlkopflumens ganz verschwindet, der Pharynx im 
Herabsteigen vom Kehlkopf immer mehr (Fig. 3 bis 7). 

Von dem M. crico-arytaenoideus posticus, der auf der hinteren 
Fläche des Ringknorpels aufliegt, ist die vordere Wand des Pharynx 
durch lockeres Bindegewebe, das in der Mittellinie einige Drüsen 
enthält, geschieden; seine Breite reicht, unterhalb der Articulatio 
crico-arytaenoidea, bis zur Mitte des Muskels (Fig. 6). 

Dicht über der Articulatio crico-thyreoidea erreicht das Lumen 
des Pharynx nur noch die Gränze zwischen medialem und zweitem 
Drittel desM. crico-arytaenoideus posticus (Fig. 7). Der Uebergang 
in den Oesophagus findet erst unterhalb der Articulatio crico-thyre- 
oidea statt; erst da bildet sich vollständig die Sternform des Oeso- 
phagus, während oberhalb die Spalte noch immer halbmondförmig, 
mit der Concavität nach vorn gerichtet, ist. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX und XXX. 


Die Zeichnungen verdanke ich meinem lieben Freunde, Herrn Dr. med. 
Heinrich Eidam. Dieselben wurden mit Hülfe des Scioscopon, welches 
Herr Prof. Gerlach in liebenswürdigster Weise zur Verfügung stellte, ange- 
fertigt, und ist es, soweit mir bekannt, das erste Mal, dass dieser Apparat 
zur Herstellung mikroskopischer Abbildungen benutzt wurde. Das Princip 
desselben ist folgendes: Die Strahlen einer Lichtquelle, — etwa einer Petro- 
leumlampe werden durch ein Linsensystem gesammelt und auf das vertical 
gehaltene Präparat gerichtet; nach ihrem Durchtritt durch dasselbe concen- 
trirt sie ein zweites Linsensystem — am besten ein zum Photographiren 
dienendes Objectiv — auf einen Schirm, auf welchem im dunkeln Zimmer ein 


Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 515 


vergrössertes umgekehrtes Bild des Präparats entsteht. Vergrösserung und 
Lichtstärke stehen in umgekehrtem Verhältniss zu einander, beide kann man 
durch nähere oder weitere Aufstellung des Schirms beliebig reguliren. 

Als Licht- resp. Bild auffangenden Schirm benutzten wir das Zeichen- 
papier, und trugen die Conturen des entworfenen Bildes direkt auf; das 
Detail wurde später am Mikroskop ausgeführt. Die Herstellung einer der- 
artigen, zwar unausgeführten, aber durchaus naturgetreuen Abbildung nimmt 
geringe Zeit in Anspruch; die Ausführung ist insofern erleichtert, als man 
genau weiss, wo dasEinzelne eingefügt werden muss. Die Umrisse von Präparaten, 
die so gross sind, dass man sie auch bei Lupenvergrösserung nicht auf ein- 
mal übersehen kann, erhält man durch diese Methode absolut richtig; da die- 
selbe das Zeichnen sehr erleichtert, und stets die Probe auf Richtigkeit des 
Bildes erlaubt — man hat in dem Falle die Zeichnung als auffangenden Schirm 
zu benutzen, die Umrisse und das Detail des Bildes müssen dann die ent- 
sprechenden Theile der Zeichnung decken, — so möchte ich hier kurz auf 
dieselbe hinweisen, so nahe liegend an und für sich die Methode auch ist. 
Fig. 1. Horizontalschnitt des Kehlkopfs durch den obern Rand des Schild- 

knorpels. 
1 Seitenplatte des Schildknorpels, 
2 Oberes Horn desselben, 
3 Perichondrium, 
e Epithelium, 
v Ventriculus laryngis, 
a Uebergangsstelle der Schleimhaut in den Pharynx, 
sp Sinus pyriformis, 
dd acinöse Drüsen; die Ausführungsgänge sind zum Theil sichtbar, 
g Gefässe, 
f Längsfalten der Schleimhaut, 
tae Bündel vom Muscul. thyreo-aryepiglotticus, 
b Bindegewebe, 
gl Drüsen im ligam. thyreo-epiglotticum. 
Fig. 2. Horizontalschnitt des Kehlkopfs durch die untere Hälfte der Plica 
ary-epiglottica. 
r Wurzel des Cornu superius des Schildknorpels, 
ge Genu (tuberculum) desselben, 
d Drüsen, 
te Querschnitt des Ligament. thyreo-epiglotticum, 
c Cartilago cuneiformis, 
tae Bündel vom M. thyreo-ary-epiglotticus. 
p Uebergangsstelle der Wand des Pharynx, 
gl Drüsen in der Wand des ventriculus laryngis. 
Fig. 3. Horizontalschnitt des Kehlkopfs durch die Spitze der Cart. arytae- 
noidea. 
ph Pharynx, 


516 J. Disse: Beiträge zur Anatomie des menschlichen Kehlkopfs. 


Fig. 4. 


a 


Fig. 


Fig. 6. 


Fig. 7. 


a vordere Spitze seiner Seitenwand, 
b hintere 5 a 
ma Musc. arytaenoideus, 
ca Giessbeckenknorpel, 
lp Musc. laryngo-pharyngeus, 
vdtae wie in Fig. 1 u. 2. 


„ 


Horizontalschnitt der Glottis spuria, 

1 Bindegewebe, 

ca Giessbeckenknorpel, 

ma; tae M. arytaenoideus resp. thyreo-ary-epiglotticus, 
Horizontalschnitt der Glottis vera. 

1 Höhle der Articulatio erico-arytaenoidea, 

2 mediale Wand der Gelenkkapsel, 

3 Stimmband, 

ta M. thyreo-arytaenoideus, 

cap M. crico-arytaenoideus posticus, 

er Ringknorpel. 

Horizontalschnitt des Kehlkopfs unterhalb der articulatio crico- 
arytaenoidea. 

1 unterer Rand des Schildknorpels, 

2 Wurzel des cornu inferius, 

3 Bindegewebe, der Gelenkkapsel angehörend, 

cal M. crico-arytaenoideus lateralis, 

cap M. crico-arytaenoideus posticus, 

g Gefässe im Längsschnitt, 

met Ligament. crico-thyreoideum, 

gt Schilddrüse, 

ph Pharynx, 

Horizontalschnitt des Kehlkopfs dicht oberhalb der artieulatio crico- 
thyreoidea. 

1 cornu inferius des Schildknorpels, 

ct M. crico-thyreoideus, 

cap M. crico-arytaenoideus posticus, 

g Gefässe im Querschnitt, 

gı leeres Gefäss (Art. crico-thyreoidea), 

gt, ph Schilddrüse und Pharynx. 


Was in jeder Figur auf dieselbe Weise gezeichnet ist, wie Drüsen, 
Knorpel, Bindegewebe, Epithelium etc. ist nur in Fig. 1 erklärt; die gene- 
ralen Bezeichnungen derselben gelten für alle Abbildungen. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 


Ein Beitrag zur vergleichenden Histiologie und Morphologie I 
der Lamellibranchiaten 


von 


Carl Posner. 


(Hierzu Tafel XXXI u. XXXII.) 


Wie sehr sich auch in neuester Zeit die Erkenntniss Bahn 
gebrochen hat, dass ein wahrer Fortschritt in der Zoologie nament- 
lich der niederen wirbellosen Thiere nur mit Hülfe genauester For- 
schungen über die Gewebelehre derselben zu erzielen sei, — wie 
hoch man andererseits den Werth derartiger Untersuchungen für 
die Histiologie im Allgemeinen anschlagen lernte, so giebt es, Dank 
der überaus grossen Fülle von Material doch noch immer eine be- 
deutende Anzahl solcher Fälle, in denen man sich bisher mit den 
Ergebnissen früherer Jahrzehnte, welchen die heutige Methode noch 
fremd war, begnügen musste, und die noch vergeblich einer Con- 
troluntersuchung mit den Mitteln der modernen Forschung harrten. 
Diese Fälle betreffen zum Theil Fragen von fundamentaler Bedeu- 
tung für unsre allgemein morphologischen sowohl, als auch für rein 
histiologische Kenntnisse ; und hierher gehört im Typus der Weich- 
thiere, der an derartigen Lücken noch besonders reich ist, unter 
Anderm auch eine eingehende Untersuchung über die Athmungs- 
'organe, von denen die Histiologie noch so gut wie gar nicht, die 
Morphologie nur sehr oberflächlich bekannt ist. 

Von diesen Gesichtspunkten ausgehend begann ich im Sommer 
1873 auf dem anatomischen Laboratorium zu Bonn eine Reihe von 


518 Carl Posner: 


Untersuchungen, in denen ich mich zunächst nur mit den Kiemen 
unsrer Süsswassermuscheln beschäftigte. Nach dem unerwartet plötz- 
lichen Tode meines hochverehrten, unvergesslichen Lehrers, Prof. 
Max Schultze, der mich bis dahin in anregendster Weise unter- 
stützt und gefördert hatte, setzte ich sie zunächst unter Hülfe des 
damaligen Assistenten an der Bonner Anatomie, Hrn. Dr. R. Hertwig 
fort, um sie endlich in Leipzig unter der freundlichen Anleitung 
des Hrn. Prof. Dr. Leuckart zum vorläufigen Abschluss zu brin- 
gen; — es ist mir eine angenehme Pflicht, ihnen Allen an dieser 
Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen. 

Meine Untersuchungen umfassen, wie schon angedeutet, in 
erster Linie die gewöhnlichen Süsswassermuscheln, Anodonta und 
Unio, denen ich besondere Sorgfalt widmete, einmal, weil des zahl- 
reichen, überall mit Leichtigkeit zu erlangenden Materials wegen 
über keine andere Sippe so viele und eingehende Angaben vorliegen, 
dann aber, weil ich hier ein Prototyp der übrigen Lamellibranchia- 
tenkiemen vor mir zu haben glaubte, und also hoffen durfte, das 
hier gefundene mit unwesentlichen Modificationen auck auf andere 
übertragen zu können, — eine Hoffnung, die sich im Verlauf meiner 
Arbeit durchaus bestätigte. Aus diesen Gründen und weil mir von 
den marinen Formen meist nur Spiritusexemplare zu Gebote standen, 
habe ich bis jetzt nur die Morphologie und Histiologie der Najaden- 
kiemen vollständig bearbeiten können; und so sind denn die vor- 
liegenden Untersuchungen in erster Reihe dazu bestimmt, die Struktur 
dieser Organe, die seit den 50er Jahren keinen Bearbeiter gefunden, 
klar zu stellen, während ich mir eine weitere Ausführung der ver- 
gleichend anatomisch gefundenen Resultate, die ich hier nur auf 
kürzere Andeutungen beschränke, für die Zukunft vorbehalten muss. 


I. Die Kiemen von Anodonta und Unio. 


Was zunächst die makroskopischen Verhältnisse der Najaden- 
kiemen anbelangt, so sind dieselben durch eine grosse Zahl der 
ausführlichsten Beschreibungen schon seit geraumer Zeit hinlänglich 
aufgeklärt. Der Erste, der eine eingehende Untersuchung darüber 
publicirte, war Bojanus!), welcher zuerst die Eigenthümlichkeiten 
des Blutkreislaufs der Anodonta erkannte; er wies nach, dass sich 
das Körpervenenblut in einen Sinus sammle, von da einen noch- 


1) Sendschreiben an Hrn. Chevalier G. de Cuvier, Isis 1819. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 519 


maligen, wundernetzartigen Kreislauf durch das von ihm entdeckte "), 
später sogenannte Bojanus’sche Organ zurücklege und sich erst 
dann in die Kiemenarterien ergiesse. Indem er hierdurch die An- 
sicht Cuvier’s, der einen einfachen Kreislauf des Körpervenenbluts 
direkt durch die Kiemen prätendirte, widerlegte, und ferner gestützt 
auf die Thatsache, dass die äusseren Kiemen der Eiaufnahme dienen, 
hielt sich Bojanus für berechtigt, nun gleich, in einseitiger Ueber- 
schätzung seiner Resultate das von ihm entdeckte Organ für eine 
Lunge zu erklären, den Kiemen aber jede respiratorische Funktion 
abzusprechen. Die gänzliche Unhaltbarkeit dieser Ansicht trat aber 
bald zu Tage; schon 1828 erklärte Prof. v. d. Hoeven?) aus theo- 
retischen Gründen mit Sicherheit die Kiemen wieder für wirkliche 
Athmungsorgane und dem schlossen sich alle späteren Beobachter 
unbedingt an, indem sie das Bojanus’sche Organ bald, wie Blain- 
ville für Milz oder Generationsorgan, oder wie Treviranus für 
eine Schwimmblase, oder wie v. d. Hoeven für ein venöses Herz, 
oder gar, wie Neuwyler für Hoden, bald, wie es jetzt meisten- 
theils geschieht, nach dem Vorkommen von Guanin und Harnsäure 
für Nieren ansprachen. 

Der nächste Autor, der den Kiemen eine besondre Rücksicht- 
nahme zu Theil werden liess, ist v. Rengarten?°), welcher durch 
Injektionen die Bojanus’schen Angaben über den Kreislauf be- 
stätigte und sogar schon einige Angaben über die mikroskopische 
Struktur hinzufügte. Dann folgte Langer), der durch vortreffliche 


1) Diess Organ kannte übrigens, wenn auch nur ungenau, schonSwammer- 
damm (Biblia Naturae, 1737), der es für kalkbereitend hielt, eine Ansicht, 
der sich mit einigen Modificationen später v. Rengarten und v. Hessling 
anschlossen; bei Letzterem eine sehr vollständige Angabe der darüber vor- 
liegenden Literatur. 

2) Meckel’s Arch. f. An. u. Phys. 1828. v. d. Hoeven führte aus, 
dass im Falle das Bojauus’sche Organ wirklich eine Lunge, mithin das aus 
ihm kommende Blut arteriell sei, es doch bei dem neuen (Kiemen) Kreislauf 
venös werden müsse, und also venös ins Herz und von da aus in den Körper 
komme, — ein unerhörtes Vorkommniss; daraus schloss er, dass erst den Kiemen 
ein respiratorischer Kreislauf zukäme. 

3) De Anodontae vasorum systemate. Diss. in. Dorpat, 1853. 

4) Denkschriften d. Wiener Academie d. Wissensch. math. nat. Cl. VIII 
u. XI, 1855 u. 56; ein sehr guter Auszug bei Bronn, Classen und Ordnungen 
des Thierreichs, II. 1. S. 380. 


520 Carl Posner: 


Injektionen alle makroskopischen Verhältnisse vollständig klar stellte 
und endlich v. Hessling !), welcher sich in Bezug auf Unio in allen 
Punkten seinem Vorgänger anschloss. Beide gaben auch ausführ- 
liche Schilderungen der mikroskopischen Verhältnisse des respirato- 
rischen Kreislaufs, von denen ich aber für jetzt absehen muss. 

Gestützt auf diese zahlreichen und vorzüglichen Vorarbeiten, 
kann ich mich hier wohl damit begnügen, eine kurze Skizze der 
gröberen Anatomie der Najadenkiemen zu geben, indem ich für alle 
specielleren Angaben auf die eitirten Autoren verweise. 

Die Najaden besitzen jederseits zwischen Fuss und Mantel zwei 
Paar Kiemen, die den allgemeinen Typus der Lamellibranchiaten 
in exquisitester Form zum Ausdrucke bringend, vollständig blattartig 
ausgebreitet sind. Das äussere, dem Mantel anliegende Paar wird 
meist von dem inneren in seiner Grösse etwas übertroffen, doch 
finden hier theils individuelle, theils in der Natur der Species lie- 
gende Schwankungen statt. Jedes Kiemenblatt ?) besteht aus zwei 
Lamellen, die, am freien Rande mit einander verwachsen, am Inser- 
tionsrand auseinander weichen und dadurch einen »Kiemengang« 
bilden; und zwar sind von den 4 Lamellen jederseits die äussersten 
mit dem Mantel, die beiden mittleren (also die innere des äusseren 
und die äussere des inneren Blattes) mit einander zur Kiemen- 
scheidewand verwachsen, während die innerste Lamelle am Fuss 
frei endigt. In der Cloake communiciren alle vier Kiemengänge 3) 
und ist diess Verhalten für die Vorgänge bei der Befruchtung von 
grösster Wichtigkeit; bekanntlich treten die Eier aus der ziemlich 
weit vorn gelegenen Geschlechtsöffnung in den inneren Kiemengang, 
und gehen nun (auf dem v. Baer’schen Wege) von der Flimmer- 
strömung getragen, diesen entlang, bis zur Cloake, wo sie dann 
umkehren und, entgegen der Flimmerrichtung, wohl durch »wehen- 
artige Contraktionen« den äusseren Kiemengang hinauf und in die 
Fächer der äusseren Kieme befördert werden ?). 


ns 


1) Die Perlmuscheln und ihre Perlen. Leipzig 1859. 

2) Ich bezeichne (mit Bronn und gegen v. Hessling) die ganze 
Kieme als »Blatt« und lasse also jedes Blatt in zwei »Lamellen« zerfallen. 

3) Das Nähere über das ziemlich complieirte Verhalten der Kiemen- 
gäuge etc. siehe in der besonders lichtvollen Darstellung bei v. Hessling, 
a. a. 0. S. 226. 

4) Wenigstens ist diess Verhalten durch die neuesten Untersuchungen 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 521 


Die beiden Lamellen je eines Blattes sind nun in der queren 
Richtung von Strecke zu Strecke durch Septa mit einander ver- 
wachsen, welche nach oben zu mit concavem Rand frei endigen, 
und zwischen sich die Kiemenfächer frei lassen. Jedes dieser Kie- 
menfächer dient hauptsächlich respiratorischen Zwecken, — das 
Wasser strömt durch feine Ausmündungen am freien Kiemenrande 
hinein, um durch die Kiemengänge wieder auszutreten; ausserdem 
finden sehr häufige Communicationen mit dem umgebenden Wasser 
statt, vermittelst feiner Canäle, welche vom Kiemenfach aus auf- 
steigend die Lamelle in ihrer Dicke durchsetzen, mit blossem Auge 
aber nicht wahrnehmbar sind und daher bei früheren Autoren nicht 
die genügende Berücksichtigung gefunden haben; über ihren Ver- 
lauf etc. wird bei Gelegenheit der mikroskopischen Strukturverhält- 
nisse gehandelt werden. 

Parallel den Kiemengängen verlaufen am Insertionsrand die 
grossen Kiemengefässe, deren Verhalten, wie schon bemerkt, zuerst 
von Bojanus einigermassen richtig erkannt wurde. Er wies zu- 
nächst nach, dass die Arterien aus dem Bojanus’schen Organ 
stammen, die Venen aber direct in die Vorhöfe führen; ferner be- 
richtigte er die Angabe Cuvier’s, dass für jedes Kiemenblatt eine 
Arterie und eine Vene vorhanden sei, dahin, dass es nur zwei Ar- 
terien und vier resp. drei Venen gebe, — zwei Arterien, je eine an 
den Kiemenscheidewänden verlaufend, während je eine Vene an der 
äussersten und innersten Lamelle jeder Seite sich befinde; da aber, 
wo am hintern Ende des Thieres die inneren Kiemen verwachsen 
sind, fliessen auch die beiden innern Venen in eine zusammen, und 
wir haben also hier deren nur drei. So glaubte also Bojanus, 
dass in jedem Blatt je eine Lamelle arteriell, die andere venös sei, 
eine Ansicht, die auch noch v. Rengarten theilte. Beide über- 
sahen, dass eine Vene auch an der Kiemenscheidewand verläuft und 
dass jede Lamelle innen von einem arteriellen Ast gespeist wird, 
während die oberflächlichen Gefässe in die Venen führen, dass mit- 
hin jede Lamelle innen arteriell, aussen venös sei, — ein Verhältniss, 
welches zunächst Keber feststellte und Langer und v. Hessling 
bestätigten. — Ueber den weiteren Verlauf der Gefässe wäre noch 


(vgl. besonders Flemming, Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen 
am Ei der Teichmuscheln, dieses Archiv Bd. 10. S. 267 ff.) wohl mehr als 
wahrscheinlich geworden. Vgl. übrigens $. 545. 


Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 11, 35 


522 Carl Posner: 


zu bemerken, dass die erste Verzweigung von dem Längsstamm aus, 
den Septen folgend nach Art der Zähne eines Kammes zu Stande 
kommt und dass sich die Venen in gleicher Weise zu den Längs- 
stämmen hin sammeln; für alle specielleren Details der makrosko- 
pischen Verhältnisse verweise ich auf die Angaben Langer’s und 
Hessling’s, denen ich in allen Punkten vollständig beitrete. 
Während so über alle Fragen, welche sich bloss mit hinrei- 
chender Injektionstechnik und mit Hilfe der Loupe entscheiden 
lassen, die wünschenswerthe Uebereinstimmung erzielt ist, finden 
wir in Bezug auf die nur durch das Mikroskop zu ermittelnden 
Eigenthümlichkeiten des Blutkreislaufs die bedeutendsten Meinungs- 
verschiedenheiten der Autoren. Bekanntlich hat sich gerade an die 
Najadenkiemen in hervorragender Weise der Streit geknüpft, ob 
man bei den Lamellibranchiaten, somit also überhaupt bei Mollusken, 
von einem vollkommen geschlossenen und gegen das Körperparen- 
chym abgegrenzten Blutgefässsystem reden dürfe, oder ob es sich 
auch hier nur um lakunäre Räume handele; — Langer und nach 
ihm v. Hessling sprachen sich bekanntlich gerade auf Grund der 
sorgfältigsten Kiemeninjektionen für erstere Annahme aus. Auch 
in früherer Zeit war die Annahme eines echten, geschlossenen Ge- 
fässsystems bei den Mollusken die herrschende Cuvier sagt über 
Aplysia: Das Blutgefässsystem sei bei diesen Thieren ein vollständig 
geschlossenes und nirgends ströme das Blut in lakunären Räumen, 
und in gleichem Sinne erklärten sich z.B. auch Meckel und Blain- 
ville. Der Erste, der gegen diese Auffassung opponirte, war Milne- 
Edwards in seinen Observations sur les Ascidies composdes, und 
ihm schlossen sich bald fast alle Forscher von Bedeutung an, z. B. 
Quatrefages, Valenciennes, vanBeneden, delle Chiaje, 
v. Siebold und Leydig; alle liessen das Blut sich direkt aus den 
Arterien in Lakunen, also wandungslose Lücken des Körperparen- 
chyms, ergiessen und von da entweder in grössere Venen oder, ganz 
ohne solche, durch Sinus ins Herz fliessen. Hielten auch noch 
manche Forscher (z.B. Keber) an der alten Cuvier’schen Ansicht 
fest, so finden wir doch schon in der ersten Abhandlung, welche 
das Gefässsystem unserer Anodonta im Zusammenhange bespricht, 
in v. Rengarten’s tüchtiger Arbeit: de Anodontae vasorum syste- 
mate auf Grund sorgfältiger Injektionen die Ansicht vom Vorhan- 
densein lakunärer Räume aufs Entschiedenste vertreten; leider ist 
es diesem Autor nicht gelungen, die Kiemen vollkommen zu inji- 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 523 


ciren und sind also seine Angaben über diesen Punkt ziemlich ver- 
worren und unzureichend. 

Gegenüber allen diesen Resultaten trat nun im Jahre 1855 
Langer in seiner bereits mehrfach eitirten Arbeit ȟber das Ge- 
fässsystem der Teichmuschel« mit der Behauptung hervor, die Ano- 
donta besitze ein allseitig vollkommen geschlossenes Gefässsystem 
und zeigten besonders die Kiemen die schönsten Capillaren. Was 
die Angaben über die vermeintlichen Capillarnetze (Schwellnetze) 
im Darm, Fuss und Mantel betrifft, so verweise ich auf Flemming’s 
Arbeit »Ueber Bindesubstanz und Gefässwandungen bei Mollusken« l), 
in welcher derselbe schlagend nachwies, dass hier das Blut in den 
zwischen Fettzellen, Muskelfasern u.s. w. gelagerten Bindegewebs- 
balken selbst fliesst, dass also von Capillaren im eigentlichen Sinne 
des Wortes keine Rede sein kann. Die Langer’sche Entdeckung 
des respiratorischen Capillarsystems der Kiemen aber ist bis jetzt 
höchstens angezweifelt 2), nie aber widerlegt worden; im Gegentheil, 
Bronn gedenkt ihrer mit der höchsten Anerkennung und v. Hess- 
ling hat sogar für Unio sich in allen Punkten der Darstellung 
Langer’s vollkommen angeschlossen. 

Langer’s Angaben über die feineren Gefässe der Kiemen sind 
folgende: aus der Kiemenarterie zweigen sich, wie wir wissen, 
kammartig von Strecke zu Strecke parallele Aeste ab, um in die 
Lamellen zu treten. Jeder dieser Aeste giebt rechtwinklig Zweige 
ab, und diese secundären Zweige vollenden durch rechtwinklige 
Anastomosen ein arterielles Netz. Diesem soll ein vollkommen 
gleich gebautes ganz congruentes venöses Netz aufliegen; diess ist 
aber nicht einfach, sondern es schliesst sich noch ein oberflächlich 
verlaufendes, venöses System an; auf der Oberfläche jeder Lamelle 
findet sich nämlich eine schon mit blossem Auge wahrnehmbare 
Streifung, die vom Insertionsrand zum freien Rande hinzieht, und 
von zahlreichen, parallelen, wulstartigen Erhebungen der Kiemen- 
‚oberfläche herrührt, — ich bezeichne sie als Kiemenleisten ®). Jede 


1) Habilitationsschrift; Rostock 1871. 

2) So von Gegenbaur, Grundzüge d. vgl. Anatomie, 2. Aufl. S. 540 
u. 552. 

3) Die Kiemenstäbchen oder -Röhren der Autoren; beide Bezeichnungen 
sind, wie mir scheint, da sie leicht zu Verwechslungen Anlass geben können, 
unglücklich gewählt. 


524 Carl Posner: 


dieser Leisten, von denen später noch ausführlich die Rede sein 
wird, erweist sich bei näherer Betrachtung unter dem Mikroskop 
als zusammengesetzt aus einem Paar in eigenthümliches Bindege- 
webe eingebetteter chitiniger Stäbchen, welche das innere Skelett 
‘der Kieme darstellen; und in diesem Bindegewebe verläuft nach 
Langer, ebenfalls am freien Rand zum Insertionsrand hin, ein 
venöses Blutgefäss, der sog. Stäbchencanal !). Diese äusseren ve- 
nösen Gefässe sollen häufig mit dem darunterliegenden venösen Netz 
eommuniciren und am freien Rand in bogenförmiger Schlinge, ebenso 
wie auch die andern Gefässe, in die entsprechenden der andern La- 
melle übergehen. — Langer, und mit ihm v. Hessling nehmen 
also in jeder Lamelle ein inneres arterielles und zwei äussere ve- 
nöse, vielfach communicirende Capillarsysteme an; und v. Hess- 
ling kommt am Schluss seiner Darstellung zu dem die Sache wohl 
auf die Spitze treibenden Ausspruch ?): »Die Kiemen bilden ein 
Gerüste von vollständig nach aussen abgeschlossenen und vielfach 
unter einander communicirenden Röhren, welchen, mit Ausnahme 
eines Epithelialbelegs, jedes andere Gewebe abgeht, um dieselben 
mit einander zu eigentlichen Membranen zu verbinden«. 

Handelt es sich nun darum, die Angaben dieser Autoren einer 
Controluntersuchung zu unterwerfen, so werden wir selbstverständ- 
lich zunächst von Injectionen ganz und gar absehen müssen; die 
sämmtlichen Irrthümer Langer’s und v. Hessling’s sind ja eben 
daher zu erklären, dass sie sich lediglich auf Injektionsresultate, 
wie sie sie mit dem präparirenden Skalpell oder allenfalls mit der 
Loupe darstellen konnten, verliessen und die Untersuchung frischer 
oder conservirter Kiemen mit dem Mikroskop allzusehr vernach- 
lässigten. Freilich mangelte ihnen auch dasjenige Reagens, welches 
allein eine fruchtbringende Durchforschung solcher Objekte gestattet, 
die Osmiumsäure, deren Vorzüge ganz unschätzbar sind; und ferner 
bedienten sie sich nie einer Methode, welche völlig neues Licht auf 
die fraglichen Verhältnisse zu werfen im Stande ist, der Methode 
des Querschnitts; und das beste Erhärtungsmittel für Anfertigung 
solcher, senkrecht zur Richtung der Kiemenleisten (mithin auch der 


1) Langer ist übrigens im Irrthum, wenn er sich die erste Ent- 
deckung des Stäbchencanals zuschreibt, v. Rengarten kannte ihn bereits. 
2) a. a. O0. S. 233. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 525 


grösseren Kiemenarterien) geführten Schnitte ist nun eben die Os- 
miumsäure !). 

Fertigen wir nun in der angedeuteten Weise einen feinen Quer- 
schnitt, so muss man nach den Angaben Langer’sund v.Hessling’s 
erwarten, in jeder Lamelle die drei Etagen von Blutgefässsystemen- 
deutlich zu erblicken (vgl. Fig. 1). In der That erkennt man auch 
sofort den Langer’schen Stäbchenkanal in den Querschnitten 
der Kiemenleisten, in der angegebenen Weise beiderseits von einem 
der Chitinstäbchen gestützt; — nach den Quer- oder Längsschnitt- 
bildern andrer Capillaren im Sinne Langer’s sucht man aber ver- 
gebens. Das Querschnittsbild der Kieme, wie erwähnt sehr in- 
struktiv für die Anatomie dieser Gebilde überhaupt, stellt sich viel- 
mehr in folgender Weise dar: oben und unten wird der Schnitt 
begrenzt durch die wellenförmige Reihe der mit schönem Flimmer- 
epithel bekrönten Kiemenleisten. Ferner erkennt man in der Mitte 
deutlich den Interlamellarraum, von Strecke zu Strecke durch den 
Querschnitt eines Septums in die sog. Kiemenfächer geschieden. 
Von diesen Kiemenfächern nun steigen die bereits früher erwähnten 
feinen Canäle nach oben und unten zur Oberfläche der Kieme, wo 
sie zwischen den Leisten ausmünden. Da sie offenbar von Bedeutung 
für den Eintritt des respiratorischen Wassers sind, so bezeichne ich 
sie in der Folge kurz als »Wassercanäle« ?), sie stellen die Löcher 
des Siebes dar, mit dem man die Kiemen der Lamellibranchiaten 
zu vergleichen pflegt. Häufig kommt es auch vor, dass man diese 
Wassercanälchen nicht im Durchschnitt, sondern in einem mehr 
oder weniger schrägen Querschnitt erhält, — wie man sofort sieht 


1) Den besten Concentrationsgrad dürfte eine etwa '/,—1proc. Lösung 
haben; bewahrt man in dieser ein Stück der Kieme, womöglich vor dem 
Einfluss des Lichtes geschützt, auf, so ist das Objekt nach c. 24 Stunden 
vortrefflich erhärtet, ohne doch zu dunkel geworden zu sein; übrigens varürt 
die günstige Anzahl Stunden nach Species und sogar nach Individuen, muss 
also immer ausprobirt werden. Das so lästige Nachdunkeln der Osmium- 
schnitte verhindert am besten der Einschluss in einem Gemisch von Kali 
aceticum und Glycerin. 

2) Ich verwahre diese Wassercanäle ausdrücklich gegen den Gedanken, 
als seien sie etwa » Wassergefässen« im Sinne Leydig’s und Delle Chiajes 
homolog;; sie diesen gleichzustellen hiesse ungefähr dasselbe, als spräche man 
von den Verästelungen der Bronchi in der Lunge als von einem besonderen 
»Luftgefässsystem«. 


526 Garl Posner: 


verlaufen sie nichts weniger als regelmässig, sondern vielfach nach 
allen Richtungen hin gebogen; immer sind sie von einem Wimper- 
epithel ausgekleidet, welches nach oben in das der Leisten, nach 
unten in das des Interlamellarraums übergeht. 

Das eigentliche Kiemengewebe nun erstreckt sich zwischen den 
Leisten und den Kiemenfächern, indem es sich in die Septa unver- 
ändert fortsetzt. Bei Anodonta ist der Dickendurchmesser einer La- 
melle stets dem der andern annähernd gleich, mag man äussere 
oder innere Kiemen betrachten, — bei Unio, und diess ist der Haupt- 
unterschied beider Gattungen in der Kiemenbildung, gleicht stets 
eine Lamelle durchaus der von Anodonta, während die andere in 
ihrer Entwicklung auffallend zurückbleibt, — ihre Dicke beträgt 
ungefähr nur ein Drittel von der der andern; und zwar ist die 
schwächer entwickelte Lamelle jederseits die äussere der äusseren 
Kieme und die innere der inneren Kieme, während die mittlere, wie 
gesagt, der der Anodonta ungefähr gleich kommt !). Bis auf diesen 
einen Unterschied aber gelten alle folgenden Angaben in gleicher 
Weise für Unio wie für Anodonta (vgl. Fig. 11 u. 12). 

Die Struktur dieses Gewebes zeigt sich bei gut erhaltenen 
Schnitten sehr klar, aber in hohem Grade überraschend; man sieht 
nämlich, statt der erwarteten geschlossenen Röhren, leiterartig an- 
geordnete Bindegewebsbalken quer das Bild durchziehen, bald grösser, 
bald kleiner, bald auf längere Strecken frei verlaufend, bald anasto- 
mosirend, immer aber mit Freilassung erheblicher Lumina zwischen 
sich; — und eben diese Lumina, die wir schon hier mit Sicherheit 
als Gewebelücken zu erkennen vermögen, sind die »capillaren« Blut- 
räume der Kieme?)! An besonders glücklichen Schnitten erkennt 


1) Wenigstens gilt diess für die mir einzig zu Gebote stehende Unio 
pictorum; v. Hessling erwähnt für Unio margaritifera nichts dergleichen. 

2) Dass dieses Verhältniss zwischen Bindegewebe und Blutmasse hier 
übrigens keineswegs isolirt dasteht, mag aus einer brieflichen Mittheilung des 
Hrn. Prof. W. Flemming in Prag erhellen, der ich, mit dessen gütiger 
Erlaubniss, das Folgende entnehme: »Doch will ich Ihnen mittheilen, dass 
ich an einer Stelle des Mantels, nämlich an seinem Rand, stets bei vollstän- 
digen Injektionen ein Verhalten gefunden habe, das sich mit Ihren Befunden 
in der Kieme vielleicht in Analogie bringen lässt; es war hier in einem 
kleinen Bezirk stets die Masse anscheinend ganz diffus zwischen den Muskeln 
und Bindegewebszellen und -Strängen vertheilt, so dass sie von ihr völlig 
umflossen waren .,... Wir würden eben nur berücksichtigen müssen, dass 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 527 


man jedoch ausser diesen lakunären Räumen im Gewebe oberhalb 
jeden Septums eine stark collabirte Arterie und darüber eine eben 
solche Vene; es sind diess die oben erwähnten »kammartigen« 
Zweige, an ihnen ist, wie ich hier antieipiren will, ein innerer En- 
dothelbeleg darstellbar, sie sind also noch echte Blutgefässe; dass 
diess für die Capillaren nicht mehr gilt, erkennt man unmittelbar 
an der wechselnden, unbestimmten Gestalt und dem ganzen Habitus 
dieser Räume (vgl. Fig. 1, 3 u. 5). 

Während nun im eigentlichen Lamellengewebe das Bild oft 
durch allzuzahlreiche, in Osmiumsäure dunkel erscheinende Blut- 
körperchen sowie durch eigenthümliche Concremente concentrisch 
geschichteten, sehr stark lichtbrechenden kohlensauren Kalks ge- 
trübt erscheint, liefern die Septen, namentlich wenn der Schnitt 
nahe der Basis geführt ist, vortreffliche Ansichten der fraglichen 
Verhältnisse. Die Kalkmassen fehlen hier, die Blutlücken sind ge- 
räumiger, die Blutkörperchen weniger zahlreich, — kurz, man findet 
alle Angaben über das Lamellengewebe hier in klarster Form be- 
stätigt. Könnte nun noch irgend ein ‚Zweifel bestehen, dass die 
Lückenräume wirklich das sog. Capillarsystem darstellen, wiewohl 
bei dem Mangel irgend eines anderen Platzes für das Blut und 
dem massenhaften Vorkommen von Blutkörperchen eigentlich jeder 
Zweifel schwinden muss, so sind Injektionen geeignet, auch das 
letzte Bedenken zu verscheuchen. Wenn man nämlich die Kiemen, 
nach Langer’s Angaben, vom Venensinus aus injieirt, und zwar 
zunächst mit einer kaltflüssigen Masse, etwa löslichem Berliner Blau, 
das Object dann in Alc. abs. oder Kali bichr. erhärtet und feine 
Schnitte anfertigt, so erhält man stets Bilder, die mit den obigen 


die Räume der Uebergangsgefässe in Mantel und Fuss, als schwellungsfähigen 
Organen relativ viel weiter sind als in der starren Kieme; und dass bei 
ihnen, die sich funktionell immer in starker und wechselnder Füllung be- 
finden, von Ihren intravaskulären Bindegewebsbalken nichts mehr oder nur 
noch stellenweise etwas erhalten ist«. Ich hebe diess um so mehr hervor, 
als wie man sich überzeugen wird, die Resultate die Flemming in seiner 
eitirtenSchrift »über Bindesubstanz ete.« niedergelegt hat, in einigen Punkten 
von den meinigen abweichen. Bei ihm handelt es sich um intrafibrilläre, 
bei mir um interfibrilläre Blutbahnen; bei ihm sind demgemäss die Ge- 
webstheile circumvasculär, bei mir intravasculär. Das Gemeinsame liegt aber 
im Nachweis der Identität von Blutbahn und Bindegewebslücke, wie er in 
dem Mitgetheilten hervorgehoben wird. 


528 Carl Posner: 


Angaben völlig im Einklang stehen. Ist die Masse sehr dunkel, so 
erscheint das ganze Gewebe vollkommen gleichmässig blau, nur die 
Epithelien und die Lumina der Wassercanäle heben sich davon ab, 
von den zarten Bindegewebsbalken aber ist ebenso wenig wie von 
den Blutkörperchen etwas zu sehen, — die sie umfliessende blaue 
Masse verdeckt sie vollständig. Ist die Injektionsmasse aber sehr 
hell gewählt, so kann man aller Orten den Verlauf der Gewebs- 
balken in ihr so klar und deutlich beobachten, wie diess überhaupt 
bei Spiritusexemplaren der Fall sein kann. — Das interessanteste 
Resultat aber erhält man, wenn man eine Injektion mit hellem, 
kaltflüssigen Berliner Blau bald nach dem Anfange unterbricht, zu 
einer Zeit also, wo sich erst der den Arterien nächste Bezirk erfüllt 
haben kann; man sieht dann auf dem Querschnitt die Septa und 
den zunächst anstossenden Theil der Lamellen blau injieirt, — die 
höheren Schichten leer; denn wiewohl die höheren Schichten mit 
den tieferen fortwährend communiciren und anatomisch gar keine 
Grenze zwischen ihnen zu ziehen ist, so gestaltet sich das Verhält- 
niss für den Kreislauf doch so, dass das Blut sich zunächst mög- 
lichst in gleicher Ebene hält, und erst später die oberen Theile zu 
erfüllen beginnt. Damit ist also zugleich empirisch erwiesen, dass 
in der That die höheren Schichten jeder Lamelle venös, die tieferen 
arteriell sind. Ausserordentlich instruktiv sind nun Schnitte von 
so injieirten Kiemen, die man parallel ihrer Oberfläche geführt hat, 
und zwar in der Region, die eben noch von der Injektionsmasse 
erreicht worden ist. Man bekommt nämlich folgendes Bild (vgl. Taf. 
XXX, Fig. 2): zunächst erkennt man an dem ganz deutlichen Epithel die 
Lumina der Wassercanäle, welche man im Querschnitt getroffen hat; der 
Rest des Bildes ist das unvollkommen injicirte Lamellengewebe, in wel- 
chem man die Balken noch ziemlich klar erkennt, — ihre Anord- 
nung bestätigt völlig das Bild, welches wir uns nach dem Quer- 
schnitt entwarfen. Was aber solche Schnitte besonders interessant 
und lehrreich macht, ist der Umstand, dass sie uns auch den Schlüssel 
zur Erklärung der Ansichten Langer’s und von Hessling’s lie- 
fern. Betrachtet man nämlich solche Stellen eines Flächenschnitts, 
die völlig mit Injektionsmasse erfüllt sind, so bemerkt man sofort 
die frappanteste Aehnlichkeit zwischen diesem Bilde und den Pseu- 
docapillaren Langer’s, — eine Aehnlichkeit, welche sich noch 
mehr steigert, wenn man Langer’s Verfahren auch darin nach- 
ahmt, dass man statt unserer hellen, kaltflüssigen Masse eine dunkle 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 529 


erstarrende Flüssigkeit, z. B. Carmingelatine wählt; man sieht dann 
in der That nichts, wie ein capillarartiges, vollkommen injicirtes 
Netz, dessen Maschenräume eben durch die Wasserkanälchen ge- 
bildet werden; von irgend welchen intravasculären Gewebstheilen 
ist hier nichts zu sehen, — einmal sind sie wohl durch die dunkle, 
undurchsichtige Masse verdeckt, dann aber hat sicherlich die heisse 
Flüssigkeit einen grossen Theil der zarten Bälkchen zerrissen und 
an die Seite gedrängt, — ein Verhalten, dem man es wohl zu- 
schreiben muss, wenn Langer an solchen »Capillaren« noch eine 
Membran darzustellen vermochte. Nochmals aber sei hervorge- 
hoben, dass die Aehnlichkeit mit echten Capillaren geradezu täu- 
schend ist; denkt man sich, wie Jemand bei einer erstmaligen In- 
jektion sieht, wie sich zuerst der innere Theil der Lamelle erfüllt, 
wie dann die Flüssigkeit auch in den höheren Theil und schliess- 
lich in die Stäbchencanäle steigt, wie sich die Injektionsmasse in 
der durch die Wassercanäle bedingten rechtwinkligen Weise von 
den Arterien aus vertheilt, so muss, zumal bei geringen Loupen- 
vergrösserungen, der Langer’sche Schluss allerdings so nahe liegen, 
dass man sich wundern müsste, wenn er nicht gezogen wäre. Mit 
der Kenntnissnahme von Schnitten aus Ueberosmiumsäure und von 
Injektionen mit hellen, kaltflüssigen Massen muss aber, wie ich 
glaube, jeder Gedanke an ein wirklich vorhandenes geschlossenes 
Gefässsystem im Sinne der Autoren vollkommen verschwinden, und 
vielmehr die Annahme eines lakunären Systems an seine Stelle treten. 
Bedeutend richtiger haben Langer und von Hessling das 
Verhalten der Gefässe am freien Rande erkannt. Wenn auch von 
einer direkten Communikation der Arterien und Venen der einen 
Lamelle mit denen der andern keine Rede sein kann, es sich hier 
vielmehr lediglich um dieselben lakunären Räume handelt, wie überall 
sonst, so bestätigen sich doch die Angaben über den Stäbchenkanal, 
also die äussersten Venen, vollkommen, — man sieht ihn an Os- 
miumpräparaten direkt in den der andern Seite sich fortsetzen; 
nur an der Umbiegungsstelle selbst findet sich eine Communika- 
tion mit den übrigen Bluträumen. (Vgl. Fig. 10.) Es zeigt sich 
auch hier, dass dieser Theil des Gefässsystems, der bei andern 
Lamellibranchiaten eine viel grössere Rolle zu spielen scheint, 
als bei Anodonta und Unio, in besondrer Weise differenzirt ist, — 
in wie weit ihm der Name eines echten Gefässes zukommt, wird 
die Besprechung seiner histiologischen Eigenthümlichkeiten zeigen. 


530 Carl Posner: 


Werfen wir nach alle dem einen Rückblick über unsre an Os- 
miumpräparaten und injieirten Kiemen erworbenen Kenntnisse vom 
respiratorischen Kreislauf unsrer Najaden, so werden wir sie in 
Kurzem in folgender Weise zusammenfassen können: das Körper- 
venenblut der Najaden ergiesst sich, nachdem es sich im Venensinus 
gesammelt und von da den Wundernetzartigen Kreislauf durch das 
Bojanus’sche Organ zurückgelegt hat, in die grossen, längs der 
Kiemenbasis verlaufenden Kiemenarterien; von hier aus gehen recht- 
winklig Zweige in die Lamellen hinein, — sie sind die letzten Aus- 
läufer des echten Gefässsystems, aus ihnen strömt das Blut durch 
zahlreiche Spalten in die interfibrillären Lückenräume des Kiemen- 
gewebes, um sich, nachdem es so mit einer bedeutenden respira- 
torischen Fläche in Berührung gekommen ist, wieder in grosse, 
echte venöse Gefässe zu sammeln, und durch sie erst, analog den 
kammartigen Verzweigungen der Arterien, in die grossen Kiemen- 
venen und von da in das Atrium geführt zu werden; ein Theil 
des arteriell gewordenen Blutes aber schlägt einen andern Weg ein, 
indem es zunächst die Langer’schen Stäbchenkanäle durchfliesst; 
diese selbst münden aber in ein, mit den Kiemenvenen in direktem 
Zusammenhang stehendes »parenchymatöses Netz« an der Kiemen- 
basis. (Langer.) 

Haben uns unsre Betrachtungen nun zu diesem Ziele geführt, 
so muss es sich darum handeln, die genaueren histiologischen De- 
tails derjenigen Theile kennen zu lernen, deren gröbere Anatomie 
und Morphologie wir im Obigen klarzustellen versucht haben; und 
wir wenden uns hierbei zunächst zu denjenigen Theilen, deren Be- 
ziehung zum Blutkreislauf uns am meisten interessiren muss, ZU 
dem intravasculären Gewebe. 

Benutzen wir, um uns über dasselbe zu orientiren, den Quer- 
schnitt eines in Osmiumsäure conservirten Septums, welches, wie 
schon erwähnt, sämmtliche bezügliche Verhältnisse am klarsten 
zeigt, so erhalten wir, bei Anwendung starker Vergrösserungen 
(Gundlach, Obj. & Imm. VII) das folgende Bild (vgl. Fig. 5): 
zu beiden Seiten erblicken wir das Septum begrenzt durch, auf 
vielfachen wulstartigen Falten angeordnete eigenthümliche Wim- 
perepithelzeilen, von denen später noch ausführlich die Rede sein 
soll. Hierauf folgen jederseits nach einwärts parallel den Rändern 
verlaufende, hell glänzende Faserzüge, welche, von einem Sep- 
tum zum andern ziehend, den Interseptalraum bogenförmig zu 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 531 


überbrücken scheinen. Ihrer Struktur nach dürften sie wohl in die 
Kategorie der elastischen Gewebe gehören, — wenigstens lässt ihre 
ausserordentliche Resistenz gegen Säuren und Alkalien darauf 
schliessen; immerhin aber ist die Möglichkeit einer muskulösen 
Natur, etwa zum Zwecke einer spontanen Volumensveränderung des 
Interseptalraums oder auch der ‚Bluträume im Septengewebe selbst, 
keineswegs ausgeschlossen; bekanntlich stehen ja alle derartigen 
Unterscheidungen bei niedern Thieren noch auf so schwachen Füssen, 
dass es voreilig wäre, etwas Positives darüber auszusagen; die 
Fasern sind übrigens nicht besonders stark entwickelt. — Das eigent- 
liche Septalgewebe schliesst sich nun nach innen zu an diese Ge- 
bilde an. Es construirt sich, wie bereits angedeutet, hauptsächlich 
aus meist quer durch das Gesichtsfeld verlaufenden Bindedewebs- 
bälkchen, die am Rande sämmtlich communieiren, sich sehr häufig 
dichotomisch verästeln und oft auch durch rechtwinklig abgehende 
Fasern anastomosiren. Zwischen sich lassen sie, wie man aus der 
zahlreichen Masse eingestreuter Blutkörperchen sofort bemerkt, die 
Bluträume frei, eine fibrilläre Streifung ist kaum angedeutet, auch 
der Gedanke an elastische Gewebstheile oder dgl. muss bei dem 
eigenthümlich zarten protoplasmatischen Aussehen der Bälkchen 
augenblicklich schwinden. Bindegewebskörperchen sieht man in 
grosser Anzahl in den Balken liegen, sehr häufig sind sie mit win- 
zigen Pigmentkügelchen imprägnirt, welche im Leben glänzend gelb, 
in Osmiumsäure tief schwarz erscheinen, — ein Umstand, der wohl 
mit Sicherheit auf eine ölige Zusammensetzung schliessen lässt; 
ausser in den Bindegewebskörperchen finden sie sich auch, theils 
versprengt, theils haufenweise, häufig nahezu radiär um die Kör- 
perchen angeordnet, im Gewebe der Balken selbst. Eine weitere 
Complikation erfährt das Bild dadurch, dass man an sehr gut con- 
servirten und sehr feinen Schnitten ziemlich häufig, wenn auch 
nicht immer gleich deutlich, zwischen den Fasern, also im Blut- 
raume selbst, häutchenartige Ausbreitungen anscheinend echt proto- 
plasmatischer Substanz erblickt, meist mit schönen Kernen und 
zahlreichen Pigmentkugeln; der protoplasmatische Charakter dieser 
Substanz wird durch Carminfärbungen, in denen die Häutchen 
schwach, die Kerne rubinroth tingirt werden, noch wahrscheinlicher 
gemacht. — Das Gewebe der Kiemenlamellen zeigt im Grossen 
und Ganzen dieselben Verhältnisse, — nur dass hier bei der ge- 
drängteren Anordnung der Bälkchen die bei grossen Septen ausser- 


532 Carl Posner: 


ordentlich klaren Verhältnisse etwas weniger deutlich zu erkennen 
sind. 

Diese Bilder nun, von deren detaillirter Deutung ich für den 
Augenblick absehe, erinnern ungemein an zwei Darstellungen bin- 
degewebiger Gebilde, mit denen die histiologische Litteratur erst in 
neuester Zeit bereichert worden ist, — ich meine die Angaben von 
Axel Key und Gustaf Retzius'!) über die Gewebe des Sub- 
arachnoideal und Subduralraumes und Victor v. Mihalkovics ?) 
über die Struktur des Hodens. 

Beide Autoren haben bekanntlich bei der Untersuchung von 
Lymphräumen in den betreffenden Organen entdeckt, dass dieselben, 
genau in der Weise wie ich es oben von den Bluträumen der Ano- 
dontenkieme mittheilte, von intravasculären Gewebsbälkchen durch- 
zogen werden, — ja, sie haben auch die oben erwähnten protoplas- 
matischen Häutchen beschrieben und abgebildet. Da sich nun die 
Lymphbahn der höheren Thiere (die Arbeiten der genannten Autoren 
beziehen sich nur auf Säugethiere) mit dem Hämolymphsystem der 
Wirbellosen wohl zwanglos homologisiren lässt, indem für beide 
eine Entstehung aus dem mittleren Keimblatt anzunehmen ist, so 
erwächst meinen Angaben über die Verhältnisse bei den Najaden 
durch diese Untersuchungen eine mächtige Stütze; und es erschliesst 
sich hier vielleicht die Aussicht auf ein weites Gebiet, in welchem 
ähnliche Verhältnisse vorwalten mögen, — ich erinnere nur z. B. 
an die subeutanen Lymphräume des Frosches, mit denen die hier 
vorliegenden Fakta unbestreitbar viele Aehnlichkeit zeigen. 

Was nun die genauere Deutung der mikroskopischen Bilder 
anlangt, so kann ich mich hierin den genannten Autoren nicht un- 
bedingt anschliessen. Alle stützen sich nämlich in ihrer Erklärung 
auf die neue, in Deutschland hauptsächlich durch Schwalbe und 
seine Schüler vertretene Bindegewebstheorie, nach welcher eben 
Lymphraum und Bindegewebsspalte identisch und die sogenannten 
Bindegewebskörperchen weiter nichts wie kernhaltige Endothelzellen 
sein sollen. Der ersteren Behauptung wird man nach allen neueren 
Forschungen wohl unbedenklich beitreten können, — gegen die 


1) Studien in der Anatomie des Nervensystems, Arch. f. mikr. Anat. 
Bd. IX. 1873. 

2) Beiträge zur Anatomie und Histologie des Hodens. Arbeiten aus 
der physiolog. Anstalt zu Leipzig, herausg. v. C. Ludwig. 1873. VII. 


Ueber deu Bau der Najadenkieme. 533 


zweite hingegen lassen sich doch mancherlei Einwände geltend 
machen. In unserm speciellen Falle wollen Axel Key und Gustaf 
RetziusdasEndothel als Umkleidung der zarten Gewebsbalkensowohl, 
als auch als Bestandtheil der häutchenartigen Ausspannungen vermit- 
telst der Höllensteinreaktion mit Evidenz nachgewiesen haben, v.Mihal- 
kovics vermochte diess jedoch nicht, weder als Balkenscheide noch 
auf den Häutchen hat er, wie er selbst angiebt, eine echte Endothel- 
zeichnung nachweisen können; gleichwohl nimmt auch er unbedenk- 
lich an, alle Kerne seien wirkliche Endothelkerne und die Häutchen 
beständen aus zwei, bloss zelligen Lamellen. — Mir persönlich ist 
nun bei meinem Objekt eine Endotheldarstellung, — die sich, bei- 
läufig bemerkt, bei den primären Verzweigungen der grossen Kie- 
mengefässe leicht bewirken lässt, — niemals gelungen. Silberin- 
jektionen und Tinktionen versagten vollkommen, auch die sonst so 
vortreffliche Osmiumsäure ergab nie eine Spur, sondern zeigt immer 
nur die von mir beschriebenen und abgebildeten Ergebnisse. Ob- 
wohl ich nun darauf hin das Fehlen eines Endothels, also differen- 
zirter Zellen in den Bluträumen, keineswegs mit absoluter Sicher- 
heit behaupten will, — die schwer zu entfernende Masse Blut in den 
Kiemen kann sehr wohl eine genügende Einwirkung der Silber- 
lösung, die ja überhaupt in ihren Wirkungen ziemlich launisch und 
unzuverlässig zu sein scheint, verhindert oder mindestens erschwert 
haben, — so ist es mir doch im Laufe meiner Untersuchungen 
mehr als wahrscheinlich geworden, dass die Verhältnisse hier doch 
einfacher liegen. Ich bin sehr geneigt anzunehmen, dass jene Häut- 
chen weiter nichts sind, als die Ueberreste membraäloser embryo- 
naler Bindegewebszellen, dass in ihnen aber, eben weil jene Zellen 
von Anfang an membranlos waren, Zellgrenzen nicht nachweisbar 
sind; vielmehr scheint es mir, dass sie, wenigstens in unserm Falle, 
ein mehrkerniges Syneytium darstellen. Die in ihnen enthaltenen 
Kerne wären dann identisch mit den Kernen der Bindegewebs- 
körperchen, nur mit dem Unterschied, dass erstere noch in dem 
Protoplasma der embryonalen Zellen eingebettet, letztere aber, nach 
der fibrillären Metamorphose höchstens noch von minimalen Plasma- 
resten umgeben sind. Ich stütze diese Ansicht auf die bekannte, 
in neuester Zeit vielfach, z. B. durch Franz Boll’s Forschungen !) 
in den Details bestätigte Bindegewebstheorie Max Schultze’s, die 


1) Arch. f. mikr. Anat. 1872, Bd. VIII. 


534 Carl Posner: 


derselbe in seiner bahnbrechenden Arbeit »Ueber Muskelkörperchen 
und das, was man eine Zelle zu nennen habe« zuerst aufstellte. 
Max Schultze sagt: »der genannte Zustand des jungen Binde- 
sewebes ist: so zu deuten, dass die allmählich sich fibrillär um- 
wandelnde Grundsubstanz das Protoplasma wandungsloser und bis 
zur Verschmelzung genährter Embryonalzellen sei. Aber wie bei 
der Entwicklung der Muskelfasern Reste unveränderten Protoplasmas 
zwischen den Fibrillen übrig bleiben und sich namentlich um die 
Kerne ansammeln, so bleibt auch bei den Zellen, deren Protoplasma 
sich in fibrilläres Bindegewebe umwandelt, ausser dem Kern noch 
ein wenig unverändertes Protoplasma übrig, welches ersteren in 
freilich oft sehr geringer Menge umhüllt. Dies sind die gleich den 
Muskelkörperchen wandungslosen Bindegewebs- oder Sehnenkörper- 
chen«. Von diesem Standpunkte aus scheint mir meine oben mit- 
getheilte Auffassung des vorliegenden Befundes nicht nur ohne alle 
Schwierigkeit zulässig, sondern fast von vornherein postulirt, — 
wir hätten hier, entsprechend dem phylogenetisch niederen Stadium 
unsrer Thiere, einen gleichsam in Permanenz erklärten embryonalen 
Zustand vor uns. 

Ich betone nochmals, dass mir nichts ferner liegt, als gegen 
die Ansichten der oben genannten Autoren polemisiren zu wollen. 
Es ist sogar möglich, wiewohl ich einen bestimmten Ausdruck 
dieser Absicht nicht sehen kann, dass auch ihnen der Gedanke vor- 
schwebte, die Endothelkerne seien in der That Kerne des ursprüng- 
lichen embryonalen Bindegewebes, die Endothelzellen Reste eben 
jener Zellen und das fibrilläre Gewebe deren metamorphosirtes Pro- 
toplasma; man stände also dann wieder auf dem Standpunkt, den 
schon 1863 Rindfleisch !) und His ?) inne hatten und den Letzterer 
in folgenden Worten präeisirt: »die Epithelzellen der Gefässe sind 
genetisch nur abgeplattete Bindegewebszellen«. Es ist diess ein 
Standpunkt, den man, wie mir scheint, gerade unter Zugrundele- 
gung der Max Schultze’schen Theorie sehr wohl theilen kann, — 
es würde sich dann nur empfehlen, das Wort Epi- oder Endothel- 
zelle gänzlich zu cassiren, ein Wort, welches immer nach einer 
scharfen morphologischen Sonderung in Gewebe- und Zellenbelag 
klingt; es würde sich empfehlen, mit besondrem Nachdruck gerade 


1) Virchow’s Archiv für pathol. Anat, etc. Bd. 23. 
2) Zeitschrift f. wissensch. Zool. 1863. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 535 


den Umstand zu urgiren, dass eben die zellige Innenauskleidung 
der Blut- und Lymphräume nichts andres sei, als das sich daran 
anschliessende fibrilläre Bindegewebe selbst, dass also an eine Tren- 
nung etwa in Endothel und Fibrosa, wie an den Schleimhäuten in 
Epithel und Mucosa, im vorliegenden Fall absolut nicht gedacht 
werden kann. 

Hier also begegnet sich meine Auffassung mit den Befunden, 
die Key, Retzius und v. Mihalkovics mitgetheilt haben; der 
einzige Unterschied, das Vorhandensein oder der Mangel des sog. 
Endothels muss nach den voraufgegangenen Betrachtungen als 
für den allgemein morphologischen Gesichtspunkt vollkommen irre- 
levant angesehen werden !). Nur in histiogenetischer Beziehung 
können wir auf diese Differenz Werth legen, indem uns der von 
mir geschilderte endothellose Zustand wahrscheinlich wohl ein frü- 
heres Stadium vor Augen führt, — und insofern zeugt dieser Fall 
eklatant für die Nothwendigkeit vergleichend histiologischer Unter- 
suchungen in allen Theilen der Zoologie; die Erforschung einzelner 
Thierklassen allein, wie im vorliegenden Fall der Säugethiere, muss 
immer zu einseitigen Auffassungen führen. 

Gilt es nun in kurzen Worten das Resum@ der obigen Be- 
trachtungen zu ziehen, so werden wir sagen müssen, dass die Blut- 
räume der Anodonten- und Unionenkieme entstanden sind durch 
einfache Spaltenbildung in dem noch sehr wenig differenzirten em- 
bryonalen Bindegewebe derselben, dass also der Begriff der »Blut- 
gefässe«, sofern er das Vorhandensein von Eigenwandungen postulirt, 
auf diese Gebilde nicht anzuwenden ist; vielmehr wird man sie nach 
dem jetzt gäng und gäben terminologischen Gebrauch als lakunäre 
Systeme betrachten müssen; nur die grossen Kiemenarterien und Ve- 
nenzweige machen, wie gesagt, hiervon eine Ausnahme. 


1) Die Frage nach dem Vorhandensein von Endothel ist überhaupt 
wohl vielfach zu stark betont worden. Die neueren Untersuchungen, z. B. 
Flemming’s haben bei Mollusken endothellose Bluträume vollständig sicher 
nachgewiesen, — ja selbst ein so eifriger Anhänger der Ranvier-Schwal- 
be’schen Theorie, wie v. Mihalkovics muss zugeben, dass in den Hoden 
derjenigen Thiere, bei denen die sog. Zwischensubstanz überwiegt, der An- 
fang der Lymphbahnen in vollständig wandungslosen Lücken dieses zelligen 
Gewebes zu suchen sei; es dürfte sich also empfehlen, weniger Werth auf 
dieses Endothel zu legen, wenn es sich um Aufstellung allgemein morpho- 
logischer Gesichtspunkte handelt. 


536 Carl Posner: 


Die obige Schilderung bezog sich in gleichmässiger Weise auf 
das Gewebe in den Septen und in den eigentlichen Kiemenlamellen. 
Doch kommt für letztere, wie bereits oben angedeutet, noch eine 
Complikation zu Stande durch das Vorhandensein ausserordentlich 
zahlreich eingestreuter kugliger Concremente von kohlensaurem Kalk. 
Dieselben bestehen aus concentrischen Schichten, die alternirend 
bald mehr bald minder stark lichtbrechend wirken, und erinnern so 
inihrem Aussehen ungemein an die Stärkekörner in pflanzlichen Ge- 
weben. Ihr Auftreten scheint durchaus nicht constant zu sein; ab- 
gesehen von individuellen Schwankungen war im allgemeinen die 
grosse (Bonner) Anod. cygnea stärker damit imprägnirt, als die 
kleinere (Leipziger) Anod. piscinalis und Unio pietorum zeigte 
grössere und mehr als jene beiden Species. Man entfernt sie selbst- 
verständlich sehr leicht durch vorsichtiges Auslaugen der Schnitte 
in Salzsäure von 0,1°/, und erhält dann, natürlich nur an Osmium- 
schnitten, Bilder, welche bis auf sehr schwach lichtbrechende Reste 
jener Körper vollkommen die oben geschilderten Verhältnisse zeigen. 
— Ueber Entstehung und physiologische Bedeutung jener Concre- 
mente vermag ich Nichts anzugeben. 

Ungleich schwierieger aber gestalten sich die histiologischen 
Verhältnisse in demjenigen Theil der Kiemen, den ich früherhin als 
»Kiemenleiste« in Anspruch nahm, und in welchem, wie man sich 
erinnern wird, der Langer’sche Stäbchenkanal verläuft, gestützt 
von zwei chitinartigen Stäben. Beginnen wir auch hier wieder die 
Untersuchung mit der Betrachtung eines Querschnitts) so erkennen 
wir in ihm sofort den Stäbchenkanal und die sogenannten Chitin- 
stäbchen; zwischen ihnen aber und dem äusseren Flimmerepithel 
zeigt sich auf den ersten Blick ein Gewebe, das von den bisher be- 
trachteten recht wesentliche Differerenzen darbietet. Während es 
sich bisher um Balken metamorphosirten und Ausbreitungen noch 
unveränderten Protoplasmas handelte, finden wir hier eine gleich- 
mässige, homogene Substanz, welche durch Lückenbildung das 
venöse Gefäss enthält und in der das Kiemenskelett eingebettet liegt. 
Nach oben und beiden Seiten zu grenzt sich das Gewebe durch das 
Flimmerepithel ab, in der Mitte ist es durch die Gefässlücke und 
deren Communikation mit den tieferen Schichten unterbrochen, nach 
unten zu setzt es jederseits scharf ab, so dass man das ganze in 
freilich etwas grober Weise mit den beiden Theilen einer Gardine 
vergleichen könnte (vgl. Fig. 3 u. 4). 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 587 


Was zunächst das mikroskopische Verhalten der Gefässe be- 
trifft, so erscheint die senkrechte Communikation, die gerade in der 
Mitte zwischen den beiden Chitinstäbchen verläuft, ebenso wie der 
Stäbchenkanal selbst als vollkommen wandungslose Lücke; Bindege- 
webskörperchen finden sich mehrfach in den Umgebungen der Blut- 
räume, — aber nur da — und sind ebenfalls mit den vorher er- 
wähnten Pigmentkugeln imprägnirt; auch Blutkörperchen finden sich 
hier massenhaft. Ferner ist zu erwähnen, dass nicht selten zarte 
Balken das Lumen der Blutbahnen durchsetzen, und somit den Ge- 
danken einer völligen Uebereinstimmung mit den sonstigen Blut- 
räumen der Kieme nahe legen; immerhin aber bleibt zu bedenken, 
dass dies Gefäss vollkommen constant auftritt, und bei anderen 
Lamellibranchiaten eine ungleich bedeutendere Rolle spielt, als hier; 
wir werden also doch wohl thun, es als eine höhere Differenzirung 
gegenüber den echten unregelmässigen Lakunen der Lamellen und 
Septen aufzufassen. Dafür spricht auch das oben erwähnte Ver- 
halten am freien Rande der Kieme. 

Das eigentliche Gewebe der Kiemenleisten nun präsentirt sich 
auf dem Querschnitt und, wie ich gleich hier bemerken will, ebenso 
auf dem Flächenschnitt, als homogene, strukturlose Masse, mit sehr 
spärlichen Zellenresten, die sich aber immer in der Umgebung der 
Bluträume vorfinden. Von diesen Bindegewebskörpern zu verglei- 
chenden Zellenresten strahlen in verschiedenen Richtungen feine, 
meist in der früher geschilderten Weise mit Pigment besetzte Fort- 
sätze aus; endlich sieht man stets von Strecke zu Strecke recht- 
winklig von dem vertikalen Blutraum aus eigenthümliche, ebenfalls 
pigmentirte Streifen das Gewebe bis nahe an die Chitinstäbchen hin- 
durchziehen, — Streifen, welche sich oft dichotomisch theilen und 
am Ende in feine Aestchen auflösen, aber nie direct miteinander zu 
communieiren scheinen ; — ihre Bedeutung soll später erörtert werden. 
— Alles in Allem macht das vorliegende Gewebe in hohem Grade 
den Eindruck einer schleimigen Intercellularsubstanz mit wenigen 
eingestreuten Zellenresten, — etwa zu vergleichen dem Glaskörper- 
gewebe der höheren Thiere. Ob dasselbe durch schleimige Degene- 
ration wandungsloser Embryonalzellen entstanden ist, oder ob wir 
es hier mit wirklichen Ausscheidungen aus Zellen zu thun haben, 
das ist eineFrage, deren Entscheidung fast, als Geschmackssache be- 
zeichnet werden darf; für die erste Ansicht würde man sich a priori 


nach der Schultze’schen Bindegewebstheorie entscheiden müssen, 
Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 11. 36 


538 Carl Posner: 


für die letztere spricht das ausserordentlich spärliche Vorkommen 
zelliger Gebildee Am richtigsten dürfte wohl eine Vermitte- 
lung beider Auffassungen sein, welche dahin geht, Metamorphose 
und Sekretion im Wesentlichen zu identificiren, wie man sich ja 
längst gewöhnt hat, z. B. die Schleimsekretion einzelliger Drüsen 
oder Becherzellen als eine permanent fortdauernde schleimige Dege- 
neration dieser Gebilde aufzufassen!). Jedenfalls muss im vorliegen- 
den Falle daran festgehalten werden, dass wir es mit einem nicht 
zellig differenzirten Gewebe von schleimig-gallertiger Consistenz zu 
thun haben. Ueber das chemische Verhalten ist zu bemerken, dass 
das Gewebe sich in Säuren und Alkalien unter Quellungserscheinun- 
gen löst, dass es sich gegen Carmin ziemlich indifferent zeigt, in 
Hämatoxylin aber einen leicht bläulichen Stich annimmt; letzteres 
Verhalten als Protoplasmareaction zu deuten, wäre verkehrt; wie 
wir sehen werden theilen auch die festen Chitinstäbchen diese Eigen- 
schaft. 

Bevor ich nun zur histiologischen Betrachtung dieser letzter- 
wähnten Gebilde übergehe, sei es mir gestattet, in wenigen Worten 
das Verhalten dieser inneren Skelettheile der Kieme im Allgemeinen 
zu erörtern. 

Ein feiner, ganz nahe der Oberfläche geführter Flächenschnitt 
lässt alle einschlagenden Verhältnisse in klarster Form erkennen. 
Betrachten wir zunächst die Kiemenbasis, so sehen wir in dem die 
Kiemenvene umgebenden parenchymatösen Gewebe eine deutliche 
arkadenförmige Reihe gebogener gelblicher Stifte, die so gelegen sind, 
dass die anstossenden Schenkel je zweier benachbarten Bögen in 


1) Rindfleisch bemerkt (Lehrb. der patholog. Gewebelehre S. 25) 
folgendes über diesen Gegenstand: »Wir fühlen uns versucht, die Schleimbil- 
dung im Zellenprotoplasma mit der Verhornung der Epidermiszellen gleich- 
zusetzen, wozu die chemische Aehnlichkeit des Mueins und Keratins noch be- 
sonders einladet. Dann wäre freilich die Schleimbildung einfach als eine 
Schleimumwandlung aufzufassen und mit Frerichs, Donders, 0. Weber 
anzunehmen, dass eine gewisse Menge Schleim eine gewisse Menge abge- 
stossener Epithelien repräsentire, mithin die Epithelzellen bei der Schleim- 
bereitung abgestossen wurden. Mit dieser Consequenz kann ich mich nicht 
ohne Weiteres einverstanden erklären.« Mir scheint, dass man mit Hülfe der 
oben vorgetragenen Auffassung den ersten Sätzen Rindfleisch’s zustimmen 
kann, ohne doch die von ihm wohl mit Recht perhorrescirte Consequenz zu 
ziehen. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 539 


eine Kiemenleiste treten; in diesen Leisten verlaufen sie nun sämmt- 
lich parallel neben einander, bis sie, kurz vor Erreichung des 
freien Randes, scharf zugespitzt endigen!). Während dieses Verlaufs 
werden sie von Strecke zu Strecke durch senkrecht darauf stehende 
Muskelbündel gekreuzt; und an all diesen Kreuzungsstellen ver- 
schmälern sie sich bedeutend oder werden wohl auch ganz unter- 
brochen. Uebrigens verlaufen, wie schon Langer, der diese Ver- 
hältnisse überhaupt mit sorefältigster Genauigkeit schildert, ange- 
geben hat, die Stäbchenkanäle nicht in ihrer ganzen Länge zwischen 
den Stäbchen, sondern erst an deren zweiter Gliederungsstelle (von 
der Basis aus gerechnet) sieht man sie dazwischen treten; es machen 
nämlich die Stäbchen, wie man sich leicht überzeugen kann, an 
dieser Stelle eine Biegung nach schräg abwärts in das Gewebe hin- 
ein, — und so kommt es, dass die zwischen den Leisten gelegenen 
und von den Wassercanälen durchlöcherten Einsenkungen, die 
»Flimmerrinnen« der Autoren, früher endigen, als die bogenförmige 
Verbindung der Stäbchen stattfindet (vgl. Fig. 9). 

Diese Stäbchen nun unterlagen bisher sehr verschiedenen Deu- 
tungen, — meist begnügte man sich mit dem unbestimmten Worte 
Chitin. Langer bezeichnet sie sehr vorsichtig als »gegliederte 
Knorpel- (Chitin) Stifte« und lässt also die Frage nach ihrer chemi- 
schen und histiologischen Beschaffenheit ganz aus dem Spiel, — den 
Begriff »Knorpel« will er hier, wo er Chitin als Synonym gelten 
lässt, keinenfalls histiologisch aufgefasst, sondern nur als Bezeich- 
nung des Consistenzgrades verstanden wissen. v. Hessling giebt 
an, die Stiftchen beständen aus kohlensaurem Kalk; abgesehen von 
der eigenthümlich glänzenden gelben Färbung, von der Bläubarkeit 
in Hämatoxylin und von der Unähnlichkeit mit andern Kalkgebilden, 
z. B. den Concrementen der Lamellen, dürfte die Unlöslichkeit in 
Säuren ein hinreichendes Argument gegen diese Meinung abgeben. 


1) Es mag an dieser Stelle erwähnt werden, dass sich in den Kiemen 
der Ascidien und des Amphioxus ganz ähnliche Verhältnisse vorfinden; be- 
sonders zeigt der arkadenartige Ursprung der Stäbchen die vollständigste 
Uebereinstimmung, auch die chemische und histiologische Struktur derselben 
bin ich geneigt, mit den hier besprochenen Eigenthümlichkeiten (vgl. unten) 
vollständig zu identificiren. Trotzdem muss, da es sich selbstverständlich 
nicht um Homologie , sondern nur um Analogie handelt (Integumentge- 
bilde-Visceralgebilde), von einer weiter gehenden Vergleichung Abstand ge- 
nommen werden. 


540 Carl Posner: 


Es fragt sich also, wofür sollen wir uns entscheiden? und da muss 
jedenfalls zunächst die Frage aufgeworfen werden: was versteht man 
denn überhaupt unter Chitin? Die Antwort hierauf ist keineswegs so 
leicht, wie man vielleicht denken wird. Von dem complieirten Locomo- 
tionsskelet und Hautpanzer unserer Hummer bis herab zu der einfachen 
Schaale etwa einer Arcella oder Gromia, — welche mannichfaltige 
Stufenfolge von Gebilden, deren Gemeinsames auf den ersten Blick 
schwer zu eruiren sein dürfte! Vergleichen wir alle jene als Chitin 
bezeichneten Theile miteinander, so werden wir auf eine chemische 
Diagnose vollkommen Verzicht leisten müssen, — es giebt kein mi- 
krochemisches Reagens, welches mit Bestimmtheit auf Chitin hin- 
wiese, — die Kennzeichen mehr negativer Natur, wie die Unlöslich- 
keit in Säuren und Alkalien, treffen zwar überall zu, sind aber nichts 
weniger als charakteristisch, da sie vielfachen Geweben zukommen. 
Es bleibt uns also nur übrig, den Begriff des Chitin histiologisch zu 
fassen und, abstrahirend von den oben genannten Modificationen, als 
Chitin alle diejenigen Gebilde anzusprechen, welche als feste, erhär- 
tete Sekrete von Zellenlagern erkannt werden können und sich 
ausserdem durch die oben erwähnte Resistenz gegen Säuren und 
Alkalien auszeichnen. Freilich muss zugegeben werden, dass auch 
so keine sichere Diagnose gestellt werden kann, da ja, wie ich oben 
bereits ausführte, die Begriffe der Metamorphose und der Sekretion 
schwer auseinander zu halten sind, — ich erinnere nur an das 
Horngewebe der Spongien, die Kieselbildung des Radiolarienskeletts 
u. Ss. w.; immerhin wird man im Allgemeinen mit der obigen Defi- 
nition auskommen. 

Für unsern Fall liegt nun also die Frage so: sind die frag- 
lichen Stäbchen aufzufassen als echte Secretionsprodukte oder stellen 
sie nur hornig metamorphosirte Zellen dar? Die Antwort hierauf 
ist ausserordentlich schwer zu geben, ja ich glaube, dass sich nach 
dem Befund an den ausgebildeten Kiemen nichts gewisses hierüber 
aussagen lässt. Von einer secernirenden Zellenschicht um die 
Stäbchen herum ist nichts zu sehen, ebensowenig von einem Ueber- 
gang derselben in das umgebende Gewebe, vielmehr setzen sie sich 
vollkommen scharf gegen das gallertige Schleimgewebe der Leisten 
ab; weder an den Gliederungsstellen noch am freien Rande zeigen 
sie irgend welchen fasrigen Zerfall, — sie bleiben überall die homo- 
gen gelbliche, glänzende, im Querschnitt halbmondförmige Substanz, 
als welche ich sie vorher kennzeichnete. Die Möglichkeit, dass diese 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 541 


Stäbchen einer wirklichen Sekretion ihren Ursprung verdanken, ist zwar 
damit keineswegs ausgeschlossen; es ist sehr gut möglich, dass sich 
Zellen der embryonalen Kiemen als Secretionszellen differenzirt haben 
und später zu Grunde gegangen sind, ohne irgend welche Spuren 
zu hinterlassen !). Dennoch erscheint mir vorläufig die Annahme 
einer Metamorphosirung zelliger Elemente einfacher und plausibler; 
wir hätten die Stäbchen dann einfach als lokale Verdickungen des 
Leistengewebes, hervorgerufen durch Anpassung an die Skelettfunk- 
tionen, aufzufassen, und mit dieser Annahme scheint mir das Vor- 
handensein jener eigenthümlichen Streifen vortrefflich im Einklang 
zu stehen, welche, wie ich oben beschrieben habe, von dem feinen 
Blutkanal aus quer das Gallertgewebe durchziehen; es wären dann 
diese Streifen, deren Bedeutung sonst absolut räthselhaft erscheint, 
ebenfalls als lokale Verdickungen des Gewebes aufzufassen, die aber 
nicht bis zu der hornigen Beschaffenheit der sog. Chitinstäbchen er- 
härtet, sondern auf einer jüngeren Stufe stehen geblieben sind und 
also vielleicht einen sekundären Stützapparat der Kiemenleisten dar- 
stellen. Trotzdem will ich jedoch die Frage unentschieden lassen 
und habe also auch, um gar nichts zu antecipiren, den hergebrachten 
Namen der »Chitinstäbchen« beibehalten; mit der vorgeschlagenen 
Einführung der Bezeichnung »Conchiolin« scheint mir in diesem 
Falle, da von quantitativer Analyse keine Rede sein und somit kein 
Beweis für das Vorhandensein dieser organischen Substanz erbracht 
werden kann, nicht das Mindeste gewonnen. 

Die oben geschilderten Bilder nun, wie sie uns der Querschnitt 
einer Leiste im Allgemeinen liefert, erhält man auch an Injections- 
präparaten in klarster Weise. Man sieht sehr deutlich den Stäbchen- 
kanal mit Injektionsmasse gefüllt und von ihm aus die ebenfalls 
injieirte Communikation zum Lamellengewebe herabziehen; wenigstens 
ist diess der Fall an allen denjenigen Stellen der Kiemenleisten, 
welche nicht von den querverlaufenden Faserbündeln, die ich früher 


1) So findet sich z.B. auch an den sog. Hornstrahlen der Haifischflossen 
in erwachsenem Zustand keine nachweisbare Zellenmatrix, während ieh mich 
an sehr jungen Embryonen von der Anwesenheit einer solchen, den Horn- 
faden röhrenförmig umgebenden Zelllage auf’s deutlichste überzeugt habe. 
Freilich bleibt es noch zweifelhaft und muss einer Feststellung durch ein- 
gehendere Untersuchungen vorbehalten bleiben, ob jene Zellen nicht etwa als 
dicht gedrängte und dadurch etwas abgeplattete Bindegewebszellen zu deuten 
seien. 


542 Carl Posner: 


schon erwähnte und zu deren genauerer Besprechung ich jetzt über- 
gehe, gekreuzt werden. 

Jene Faserbündel, welche ich als Muskeln in Anspruch nehme, 
verlaufen also senkrecht zu der Richtung der Kiemenleisten in regel- 
mässigen Abständen, entsprechend der erwähnten Gliederung der 
Chitinstäbchen, sehr oberflächlich gelegen. Früher hielt man sie 
für Blutgefässe; auchLanger glaubte, dass sie Blut führen könnten 
und gab z. B. an, die Communication des Stäbchenkanals mit den 
Blutgefässen der Lamellen fände an den Kreuzungsstellen mit jenen 
Muskeln statt, — also wie wir gesehen haben, gerade entgegenge- 
setzt dem wirklichen Verhalten. v. Hessling hält sie für fibrilläres 
Bindegewebe, eine Deutung, der ich mich nicht anschliessen kann; 
denn wiewohl hier mikrochemische Reactionen nichts entscheiden 
können und auch das histiologische Verhalten, — lange wellige 
Fasern mit ziemlich zahlreichen in Carmin tingirbaren, länglichen 
Kernen, — eine Erklärung auch in diesem Sinne zulässt, so scheint 
mir doch folgendes leicht zu eruirende Verhalten entschieden für 
Muskulatur zu sprechen: fertigt man nämlich einen Querschnitt an 
solcher Kreuzungsstelle, so sieht man sofort, dass die zwischen dem 
Gewebe der Leisten und der Lamellen eingebetteten Faserbündel 
in zwei Portionen zerfallen; die eine, untere, geht vollkommen eben 
in der Querrichtung fort, die obere aber besteht aus in der Diago- 
nale gestellten, einander kreuzenden Fasern, welche an die Chitin- 
stäbchen herantreten und an ihnen sich zu inseriren scheinen; auch 
ein Flächenschnitt bestätigt dies Bild vollkommen. Es spricht die- 
ses Verhalten jedenfalls wohl für eine muskulöse Natur der Faser- 
bündel, bestimmt zu einer spontanen Lageveränderung der Leisten 
zu einander (vgl. Fig. 6 u. 7). 

Wir haben somit die sämmtlichen inneren, aus dem Mesoderm 
entstammten Gewebe einer eingehenden Betrachtung unterzogen und 
gehen nunmehr zu der äusseren Epithelbekleidung der Najadenkieme 
über, welche in verschiedener Hinsicht die interessantesten Verhält- 
nisse darbietet. Bekanntlich zeichnen sich alle Lamellibranchiaten 
durch einen exquisiten Flimmerepithelbelag aus, — das Flimmer- 
epithel unserer Najaden ist bereits mehrfach Gegenstand von Unter- 
suchungen gewesen. Ziemlich eingehende Beobachtungen giebt zu- 
nächst Marchi!) jn einem kleinen Aufsatz »Beobachtungen über 


1) Arch. f. mikr, Anat. Bd. 2. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 543 


Flimmerepithel«, ferner bildet auch v. Hessling mehrere Formen 
in seinem Perlmuschelwerke ab; alle bisherigen Angaben sind aber 
unzureichend, da immer nur auf einzelne Zellformen, nicht aber 
auf deren Verhältniss unter einander und zu dem Kiemengewebe 
Rücksicht genommen worden ist. 

Marchi unterscheidet zwei Arten von Zellen; lange, flaschen- 
förmige, aus deren Hals die Wimpern bündelartig heraustreten 
sollen und ganz unregelmässig poly&drische mit Wimperaustritt auf 
einer Fläche. Zur Controlle dieser Angaben bedient man sich 
am besten zunächst der Methode der Zerzupfung, deren Resul- 
tate man dann an Querschnitten prüft. Fertigt man demge- 
mäss von einer in Ueberosmiumsäure etwa 10 Minuten aufbewahrten 
oder auch Osmiumdämpfen ausgesetzten Kieme ein Nadelzupfpräparat, 
so erkennt man sofort beide Zellenarten Marchi’s sehr deutlich, 
aber kann wenigstens die ersteren Angaben über die »Flaschenzellen« 
schon hier wesentlich modificiren. Zunächst bemerkt man, dass 
Marchi einen der wesentlichsten Theile dieser Zellen, nämlich den 
doppelt contourirten Cuticularsaum, gänzlich übersehen hat. Die Zellen 
stellen sich nicht als flaschenförmig, sondern einfach als nahezu cylin- 
drisch dar und weichen von gewöhnlichem flimmernden Cylinderepi- 
thel nur darin ab, dass die Wimpern nicht auf der ganzen freien 
Fläche austreten, sondern in der That die Cuticula nur an einer, 
central gelegenen kreisförmigen Stelle durchbrechen; an dieser Durch- 
brechungsstelle haften alle Wimpern fest zusammen, um sich wenig- 
stens an Osmiumpräparaten, erst später pinselförmig zu trennen; 
dieser Eigenthümlichkeiten wegen bezeichne ich diese Zellen als 
»einfach durchbohrte«. Was ihre Stellung anbelangt, so ergiebt der 
Querschnitt, dass sie gerade an den Rändern der Kiemenleisten 
stehen, also hauptsächlich für Regulirung des Respirations- (und 
wohl auch Nahrungs-) Stroms in den sog. Flimmerrinnen bestimmt 
sind. Im Leben haften sämmtliche Wimpern:bis an die Spitze zu- 
sammen, etwa in Gestalt einer Kerzenflamme; in dieser Form sind 
sie mehrfach, z. B. von v. Rengarten beobachtet und fälschlich 
als Geisselzellen gedeutet worden. v. Hessling ist merkwürdiger 
Weise in denselben Fehler verfallen, wie Marchi, auch er bildet 
tlaschenförmige Gebilde ab, welche er augenscheinlich ebenso wie 
Marchi, bei allzu minutiösem Zerzupfen durch Abreissen der leicht 
isolirbaren Cuticula erhalten hat (vgl. Fig. 3 u. 8). 

Auch Marchi’s flache Zellen ergeben sich bei genauer Be- 


544 Carl Posner: 


trachtung in andrer Weise, nämlich als Flimmerzellen, welche von der 
Cylinder- bis zur Pflasterform jede mögliche Uebergangsstufe zeigen. 
Hier ist nun der Querschnitt das einzige Mittel, um Klarheit in den 
Wirrwarr der verschiedenen Formen zu bringen. Man sieht auf 
dem Querschnitt zunächst die Höhe jeder Kiemenleiste besetzt mit 
gewöhnlichem flimmerndem Cylinderepithel, mit ziemlich schwachen 
Wimpern und deutlicher Cuticula; diese Zellen hat Marchi auf 
dem abgesprengten Epithel solcher Leisten nicht in situ, sondern in 
grader oder schräger Aufsicht zu sehen bekommen, — sie täuschen 
dann vollkommen das Bild seiner polyödrischen Zellen vor! — An 
ler Kante der Leiste schiebt sich dann jederseits eine einfach durch- 
bohrte Zelle ein, die andern sowohl an Grösse wie auch an Stärke 
der Wimpern weit überragend. Darauf folgt nach unten zu eine 
Reihe erst nahezu cubischer, sehr stark flimmernder, dann immer 
flacher und unansehnlicher werdender Zellen, welche innerhalb des 
Wassercanals das Minimum erreichen. Sie setzen sich durch den 
Wassercanal in den Interlamellarraum fort, wo sie dann entweder 
die Innenfläche der Lamellen oder auch die Septa bekleiden und 
von letzteren aus continuirlich auf die andere Lamelle übergehen. 
Es gilt hierbei die Regel, dass auf ebenen Flächen ein noch unbe- 
schriebenes, cubisches Epithel mit besonders schönen starken Flimmer- 
haaren Platz greift; auf Aus- oder in Einstülpungen wandelt es 
sich stets zunächst durch gegenseitige Accommodation in cylindri- 
sches, schliesslich in flaches Epithel um. Die doppelt contourirte 
Cuticula scheint niemals zu fehlen; auf allen einigermaassen ansehn- 
lichen Zellen ist sie stets deutlich nachweisbar, auf den ganz winzi- 
gen flachen allerdings nicht direkt zu erkennen; bei dem continuir- 
lichen Uebergang aller Zellformen in einander wird man aber die 
Anwesenheit des, wie ich glaube, für Wimperzellen überhaupt sehr 
charakteristischen Gebildes wohl als zweifellos ansehen müssen. 

Ich habe nun noch einer Angabe über das Wimperepithel der 
Kiemen zu gedenken, welche sich in Forels »Beiträgen zur Ent- 
wickelungsgeschichte der Najaden« !) vorfindet. Forel hat an Kiemen, 
die er in Chromsäure von 0,5°/, macerirte, beim Abschaben des 
Epithels stets Fortsätze an der Basis der Zellen zu sehen bekommen, 
welche schliesslich in sehr feine Streifen ausliefen, die er als Nerven- 
fasern gedeutet hat. Ich kann Forels Angaben lediglich bestätigen; 


1) Inauguralabhandlung. Würzburg 1867. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 545 


auch ich fand an solchen Chromsäure- oder Chromkalipräparaten die 
von ihm angegebenen Fortsätze sehr deutlich und in vollster Ueber- 
einstimmung mit Bildern, wie sie z. B. Flemming vom Neuroepithel 
der Molusken gegeben hat. Was mich aber vorläufig noch an der 
absoluten Richtigkeit dieses Verhaltens zweifeln lässt, ist der Um- 
stand, dass ich-an Osmiumpräparaten niemals eine offenbare Andeu- 
tung dieses Verhaltens gesehen habe. Vergleicht man im Uebrigen 
die Conservirung der Zellen in Osmium- und in Chromsäure, so 
kann man keinen Augenblick im Zweifel sein, dass die erstere, was 
alle feineren Details betrifft, der letzteren, welche z. B. immer Körni- 
gen Zerfall des Protoplasmas bewirkt, weitaus vorzuziehen ist. 
Sollte nicht vielleicht die Chromsäure mit ihrer macerirenden Wir- 
kung desGuten ein wenig zuviel thun und durch Lockern der Zellenbasis 
Bilder vortäuschen, die dem objectiven Verhalten durchaus fremd 
sind ? — Uebrigens, zugegeben selbst die Richtigkeit der Forel’schen 
Angaben, wird man sich doch mit der Deutung, welche er giebt 
schwerlich einverstanden erklären können. Bekanntlich setzen die 
Flimmerzellen nach vollkommener Isolation ihre flimmernde Thätig- 
keit noch lange Zeit ungeschwächt fort; von einem direkten Einfluss 
der Nerven auf diese Wimperbewegung kann also keine Rede sein. 
Statt nun aber, wie es doch am nächsten liegt, den betreffenden 
Nerven Sensibilität zuzuschreiben, erklärt Forel sie für regulatorisch; 
gestützt auf die Thatsache, dass das Ei auf dem v. Bär’schen Wege 
im äussern Kiemengang gegen die gewöhnliche Flimmerrichtung vor- 
schreitet, nimmt er eine Wirkung der Nerven in diesem Sinne an; 
man dürfte aber doch wohl besser thun, sich vorläufig mit der An- 
nahme »wehenartiger Contraktionen« zufrieden zu geben und von 
Forel’s Hypothesen zum Mindesten so lange abzusehen, bis nicht 
wenigstens die nervöse Natur jener Fortsätze überhaupt über allen 
Zweifel gestellt ist. 

Ich schliesse hiermit die Betrachtung der Najadenkieme; es 
erübrigte vielleicht eigentlich noch, eine Beschreibung derjenigen 
Veränderungen zu liefern, denen die Kieme bei der Schwangerschaft, 
— wenn ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, — unterliegt. 
Doch sehe ich hiervon für jetzt ab, da uns diese Frage schon in so 
zu sagen pathologische Veränderungen führen würde, die weder 
früheren Untersuchern, noch auch wie ich gern gestehe, mir selbst 
irgendwie klar zu stellen gelungen ist. Hoffentlich werden die vor- 
liegenden Angaben wenigstens Demjenigen eine Stütze bieten, welcher 


546 Carl Posner: 


sich künftig mit der genaueren Durchforschung der betreffenden 
Verhältnisse beschäftigen wird! 

Werfen wir zum Schluss noch einen kurzen Rückblick über 
die gefundenen Ergebnisse, so sehen wir, dass wir uns die Najaden- 
kieme am besten klar machen können, wenn wir sie genetisch als 
eine Ausstülpung des äusseren und mittleren Keimblattes auffassen. Im 
mittleren Blatt, das ursprünglich aus wandungslosen Embryonal- 
zellen bestand, haben sich durch Differenzirung des Protoplasmas 
einerseits Bindegewebsbündel, andrerseits die als Schleimgewebe, 
Chitinstäbchen und Muskeln bezeichneten Gebilde entwickelt, wäh- 
rend sich dann im Bindegewebe durch Spaltenbildung und vermuth- 
lich wohl durch Auswandern von Bindegewebszellen und deren Diffe- 
renzirung zu Blutkörperchen Bluträume ausbildeten. Die Zellschicht 
des äusseren Blatts aber bekleidete sich zunächst mit Wimpern und 
brachte dann durch lebhaftes Fortwuchern all jene Bildungen hervor, 
die wir als Wasserkanäle und Interlamellarraum kennen gelernt 
haben !). — Dass wir diese Organe aber als wirkliche Kiemen an- 
zusprechen haben, darüber kann, wie ich glaube, wohl kein Zweifel 
mehr bestehen. Freilich haben wir gesehen, dass eine anatomische 
Trennung des Blutstroms in zuführend venösen und abführend ar- 
teriellen der ungemein ausgiebigen Communication der lacunären 
Bluträume halber nicht ausgeführt werden kann. Dass aber eine 
physiologische Trennung, wenn auch nicht ganz scharf, so doch 
andeutungsweise ausgesprochen ist, dass mit andern Worten das 
Blut im Stromgebiet der Kiemenarterien sauerstoffärmer und kohlen- 
säurereicher ist, als das Blut im Gebiet der Kiemenvenen, leuchtet 
bei der durch Vorrichtungen aller Art, durch Ein- und Ausstülpungen 
erzielten verhältnissmässig kolossalen respiratorischen Oberfläche 
wohl unmittelbar ein. Freilich müssen wir v. Hessling Recht 
geben, wenn er betont, dass bei der fortwährenden Mischung keine 
so vollständige Entkohlensäurung und Verbrennung stattfinden kann, 


1) Selbstverständlich beansprucht diese Deduktion nicht im Mindesten, 
den Vorgang der Kiemenbildung der Wahrheit entsprechend wiederzugeben, 
sondern soll nur dazu dienen, die Idee der Kieme klar zu machen. Ich brauche 
nicht erst zu bemerken, dass ich ebensowenig, wie einer meiner Vorgänger 
im Stande gewesen bin, das so lange gesuchte Zwischenstadiam der Anodon- 
tenentwickelung aufzufinden, was ich um so mehr bedaure, als gerade für 
das Verständniss der Kiemen von der Erkennung ihrer Ontogonie die wichtig- 
sten Aufschlüsse zu erwarten sind, 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 547 


wie sie etwa in den Lungen der luftathmenden Thiere vorkommt; 
dabei müssen wir aber bedenken, dass einmal das Sauerstoffbedürf- 
niss einer fast bewegungslosen, sicherlich nur einem geringen Stoff- 
wechsel unterworfenen Muschel ein ganz minimales sein muss, dass 
andrerseits ja auch noch neben der lokalisirten Kiemenrespiration 
eine perpetuirliche Hautathmung stattfindet, dass also die in den 
Kiemen befindlichen Vorrichtungen, trotz der angedeuteten Unvoll- 
kommenheit ihren Zweck im Haushalte unsrer Thiere völlig zu er- 
füllen geeignet scheinen. 

Wir wenden uns nun zum zweiten Theile unsrer Aufgabe, der 
darin bestehen soll, die hier gefundenen Thatsachen in Bezug auf 
ihre allgemein morphologische Bedeutung zu untersuchen, d. h. sie 
mit den Ergebnissen an verwandten Thieren zu vergleichen. 


II. Die Kiemen einiger marinen Formen. (Cardium, 
Mya, Mytilus, Ostrea, Pecten, Pholas, Pinna, Scrobicu- 
laria, Solen, Solecurtus, Venus.) 


Die Kiemen der Seemuschein stellten ein für die Untersuchung 
weit schwierigeres Object dar, als die bisher behandelten unsrer Na- 
jaden. Erstens liegen noch so gut wie gar keine Vorarbeiten darüber 
vor, — die unten zu besprechenden Angaben von Williams sind 
mehr geeignet, die Sache zu verwirren, als sie klarzustellen, — 
zweitens aber war durch die Nothwendigkeit, an Spiritusexemplaren 
zu arbeiten, eine histiologische Detailuntersuchung, wenn nicht un- 
möglich, jedenfalls ausserordentlich schwer und unzuverlässig ge- 
macht. Von allen zu beschreibenden Formen, — die nicht etwa nach 
einem bestimmten System, sondern lediglich mit Rücksichtnahme auf 
das gerade vorhandene Material ausgewählt sind, — standen mir nur 
Östrea edulis und Mytilus edulis frisch zu Gebote und gestatteten also 
auch eine Untersuchung in Ueberosmiumsäure; auch an ihnen ist mir 
aber eine brauchbare Injektion nie gelungen, da Herz und Sinus 
venosus dieser Thiere von ausserordentlich grossen Fettmassen um- 
hüllt sind und beim Freipräpariren dank ihrer grossen Zartheit 
und Kleinheit einer Verletzung wohl kaum entgehen. Meine Un- 
tersuchungen sind demnach auch hier in den verschiedensten 
Punkten lückenhaft und unzureichend geblieben, — in höherem 
Maasse natürlich noch bei den nur in Spiritus vorhandenen Formen. 
Wenn ich es trotzdem unternehme, meine Resultate hier mitzu- 


548 Carl Posner: 


theilen, so geschieht diess nur, weil ich sie mit Allem, was ich vor- 
her über die Najadenkieme angab, in so typischer Uebereinstimmung 
fand, dass ich auch schon hierdurch einiges Licht in die noch ganz 
unklare vergleichende Morphologie dieser Gebilde zu bringen hoffe. 
Ich werde mich, da diese ganze Besprechung eigentlich nur den 
Charakter einer vorläufigen Mittheilung tragen soll und nur be- 
stimmt ist, späteren Untersuchungen als stützende Beihilfe zu dienen, 
jeder ausführlichen Angabe über die gröbere Anatomie unsrer Un- 
tersuchungsobjekte selbst, über Maasse u. s. w. vollkommen ent- 
halten und nur diejenigen Punkte hervorzukehren bestrebt sein, in 
denen wir Homologieen mit den uns bekannten Verhältnissen der 
Najadenkiemen zu erkennen haben, — vor Allem die Anordnung 
der Kiemenleisten und Kiemenskeletts. Wieder werden es in erster 
Linie Querschnitte sein, die ein Verständniss der vorliegenden Fakta 
zu fördern geeignet scheinen, und durch deren Vergleich, wie ich 
hoffe, einige Klarheit in die Frage gebracht werden wird. 

Bevor ich jedoch zu diesen Besprechungen übergehe, sei es 
mir gestattet, in Kurzem der vorhin angeführten Untersuchungen 
von Williams), — der einzig umfassenden, die überhaupt vor- 
liegen — Erwähnung zu thun. Das Hauptresultat von Williams, 
um diess gleich vorweg zu nehmen, lautet: Alle Kiemengefässe sind 
gerade, parallele, nie communicirende Röhren, gestützt an beiden 
Seiten durch hyaline, meist membranartige und halbeylindrisch ge- 
bogene Knorpel; Verzweigungen finden nicht statt, und am freien 
Rand biegt das zuführende Gefäss in derselben Lamelle direkt in 
das abführende um. Eine solche Kiemenplatte ist ihm also im 
Grunde Nichts, als eine Doppelplatte starrer, parallel neben ein- 
ander gereihter blutführender Stäbchen oder Röhren. Von dieser 
Art jedoch, welche er als »doppelte Kiemen« bezeichnet, und die 
weitaus die Mehrzahl bilden, unterscheidet er diejenigen als vein- 
fache«, in denen die Umbiegung der Gefässe nicht in derselben La- 
melle bleibt, sondern in die untere Lamelle hinabführt (analog also 
dem Verhalten, welches wir bei den Najaden kennen gelernt haben). 
Ferner unterscheidet Williams zwischen den einzelnen Stäbchen 
muskulöse Verbindungen, welche in ganz ähnlicher Weise,: wie bei 


1) Annals and magazin of nat. history 1854. Bd. 14. »On the me- 
chanism of aquatic respiration and on the structure of the organs of brea- 
thing in invertebrate animals. — Mollusca«, 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 549 


Anodonta angeordnet, die Richtung der Stäbchen von Strecke zu 
Strecke kreuzen und so also Rechtecke, die dem Wasserdurchtritt 
dienen, freilassen. Dazu kommt dann noch ein »interlamelläres 
Kiemengerüst«, über welches jedoch Angaben und Abbildungen so 
confus sind, dass man nur Unklarheit des Autors selbst über diese 
Verhältnisse annehmen kann; zu eruiren ist nur, dass diess »inter- 
lamelläre Kiemengerüst« alle nicht vasculären Elemente der Kieme 
enthalten und als trennende Masse zwischen beide Lamellen einge- 
schoben sein soll. 

Man wird zweifelsohne schon aus diesen kurzen Andeutungen 
den fundamentalen Fehler, den Williams begangen, erkannt haben. 
Er fasst die von den Chitinstäbchen getragenen Blutgefässe als die 
einzigen respiratorischen Gefässe der Kiemen überhaupt auf, — mit 
der Erkenntniss, dass sie nur einen Theil der sehr zahlreichen Blut- 
bahnen darstellen, stürzt die ganze Williams’sche Theorie voll- 
ständig zusammen. Diese Erkenntniss, die ja bereits von Langer 
für Anodonta angebahnt wurde und welche wir bei Betrachtung 
eben jener Najadenkiemen ganz unumstösslich gewonnen haben, — 
sie hat genau dieselbe Giltigkeit für sämmtliche marine Formen, 
wenigstens soweit sie mir bekannt sind; und von hier aus sind 
sämmtliche weiteren Williams’schen Angaben zu verstehen und 
als irrthümlich zu erkennen. Auf diese seine Theorie stützt er z. B. 
die Lehre vom Mangel jeder Verzweigung der Kiemengefässe; ja, 
was Andre vor ihm klar erkannt haben mochten, weist er als fälsch- 
liche Angaben zurück, indem er meint, man hätte bis dahin die 
Muskelbänder als Gefässe angesprechen, und so kommt er, gerade 
in Bezug auf die Verzweigung der Kiemengefässe, sogar zu folgen- 
dem Ausspruch ($. 253): »This idea, as regards the Acephala, in- 
volves a fundamental error, — it envelopes everything in a unre- 
solvable eonfusion«.. Wie er zu diesen  sonderbaren Anschauungen 
gelangt ist, ist leicht einzusehen, — augenscheinlich hat er bloss 
ganze Kiemenblätter oder Lamellen unter dem Mikroskop aus- 
gebreitet und dann wohl noch gar durch Aetzkali das gesammte 
Gewebe weggeschwemmt und die Stäbchen isolirt betrachtet; hätte 
er auch nur einen einzigen Querschnitt gemacht, so hätte er nun 
und nimmermehr jene Theorie aufstellen können! Man wird mir 
verzeihen, wenn ich bei Besprechung der einzelnen Formen dess- 
wegen von Williams Angaben vollkommen absehe, — da er 
von so total verschiedenen Voraussetzungen ausgeht, so können 


550 Carl Posner: 


uns auch seine Consequenzen nicht im Geringsten mehr interes- 
siren !). 

Auch die anderen über unser Thema etwa vorliegenden Arbeiten 
sind für unsern Zweck so gut wie unbrauchbar. Lacaze-Duthiers?) 
bespricht fast nur die Details der Mytilus-Entwicklung, andre Auto- 
ren, wie Alder und Hancock, beschäftigen sich nur mit der uns 
hier wenig interessirenden Richtung des Flimmerstroms, ohne auf 
die feineren Strukturverhältnisse irgendwie Rücksicht zu nehmen. 

Wir beginnen also direkt, indem wir eine Anzahl von Lamelli- 
branchiaten-Kiemen mit einander vergleichen, und bedienen uns zu 
diesem Zwecke wiederum zunächst des Querschnittes. 

Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal in kurzen 
Zügen die wesentlichen Eigenthümlichkeiten des Querschnittbildes 
von Anodonta; wir hatten an ihm erstens als Begrenzung nach oben 
und unten die wellenförmige Reihe der Kiemenleisten erkannt, die 
sämmtlich in der gleichen Ebene lagen; in jeder Kiemenleiste unter- 
terschieden wir die beiden Chitinstäbchen und das Blutgefäss. Da- 
raus schloss sich nach innen das Lamellengewebe mit seinen Blut- 
räumen und endlich der Interlamellarraum, von Strecke zu Strecke 
durch Septa in Kiemenfächer oder Interseptalräume geschieden. 
Diess sind also diejenigen Faktoren, mit denen wir weiterhin zu 
rechnen haben. 

Die wesentlichste Differenz wird sich nun herausstellen je 
nach der Lage der Kiemenleisten: denken wir uns, dass die sämmt- 
lichen Kiemenleisten nicht mehr in einer Ebene liegen bleiben, son- 
dern dass eine Vergrösserung der respiratorischen Oberfläche durch 
Faltenbildung erzielt werden soll, so wird die bis dahin einfache 
ebene Reihe der Leisten auf dem Querschnitt nunmehr keine gerade 
Linie, sondern eine aus Berg und Thal zusammengesetzte Curve 
darstellen. Damit würde Hand in Hand gehen, dass die im Wellen- 
thal gelegenen Leisten nebst ihrem Skelet eine stärkere Stütze bilden 
müssen, mit andern Worten, dass die Chitinstäbchen sich hier be- 


1) Dass ich mit meinem verwerfenden Urtheil üher Williams nicht 
allein stehe, mag folgende Stelle beweisen, in welcher selbst Bronn seinem 
Unmuth Luft macht: »Sie (die Darstellungen von Williams) sind unzurei- 
chend und offenbar theilweise missverstanden; die Zeichnungen ideal und 
gegen alle Perspective. Sie zeigen nicht sowohl, was bekannt, als was noch 
zu erforschen ist.« 

2) Annales des sciences nat. IV. 5. 


er 


ie EE 7 Pva 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 551 


deutend verstärken und complieiren; diese Complication kann soweit 
gehen, dass uns der Querschnitt im Wellenthal ein vollkommeneres, 
höher differenzirtes Chitinskelett darbietet, als es die Stäbchen der 
übrigen Leisten bilden; und von hier endlich ist es nur ein Schritt 
bis zu einem gänzlichen Durchbrechen des Wellenthales, einem Aus- 
einanderweichen seines, immer aus paarigen Stäbchen zusammen- 
gesetzten Chitinskeletts und also zu einem fadenförmigen Zerfall 
der ganzen Kieme. Zu betonen ist hierbei, dass wir es von dem 
Augenblick an, wo wir wellige Erhebungen in der Reihe der Leisten 
erhalten, mit Leisten zweierlei Art zu thun haben; erstens mit den 
einfachen primären, welche je einer Leiste der Anodontakieme ho- 
mologisirt werden müssen und zweitens secundären, die einer ganzen 
Anzahl solcher primären Leisten, nämlich den sämmtlichen über 
einem und demselben Interseptalraum stehenden äquivalent sind. 

Diese eben gegebene Deduction nun entspricht dem wahren 
Verhalten in der That mit absoluter Genauigkeit. Der Zufall hat 
mir in den mir gerade zu Gebote stehenden Formen eine aufstei- 
gende Reihe in die Hand gegeben, an welcher wir in vollster Klar- 
heit die vorhin angedeuteten Entwicklungstadien verfolgen können. 

Gehen wir von der uns bekannten Anodonta (resp. Unio) aus, 
so erhalten wir als zweites und nächstes Stadium dasjenige Ver- 
halten, welches der Querschnitt von Scrobicularia, — mithin einer 
im System ziemlich fern stehenden Form, — in exquisitester Weise 
liefert. Wir sehen ein Bild, das man, spräche nicht die geringere 
Entwicklung und Massenhaftigkeit der Gewebe dagegen, sehr wohl 
für der Anodonta entnommen ansehen könnte; alle Leisten liegen 
noch in einer Ebene, jede einzelne zeigt fast genau dieselben Ver- 
hältnisse, wie wir sie oben kennen lernten und auch das Lamellen- 
gewebe scheint, soweit ich darüber urtheilen kann, ganz dieselben 
Verhältnisse zu bieten; auffallend ist nur die grössere Constanz der 
Wassercanälchen, — entweder man bekommt Bilder, in denen sämmt- 
liche Leisten und anschliessende Lamellentheile von einander ge- 
trennt sind, oder solche, in denen alle zusammenhängen; die Septa 
scheinen nur durch Fortsetzung des Gewebes in dem einer Leiste 
entsprechenden Raum zu Stande zu kommen; auch die Form der 
Chitinstäbehen stimmt auf dem Querschnitt vollkommen mit der 
von Anodonta überein (vgl. Fig. 13). 

Das dritte Stadium zeigt uns Pholas; bei vollständiger Ueber- 
einstimmung im Bau der Leisten macht sich bereits eine leichte 


552 Carl Posner: 


wellige Erhebung bemerklich, — das erste Auftreten sekundärer 
Leisten. Hier bereits sehen wir das oben angedeutete Gesetz aus- 
geprägt, dass jede sekundäre Leiste die primären Leisten über 
einem Interseptalraum umfasst; hier liegen zwischen je zwei Septen 
ungefähr 20 primäre Leisten; von den Eigenschaften des Lamellen- 
und Septengewewebes kann ich bei dem schlechten Erhaltungszu- 
stand meiner Exemplare Nichts mittheilen, — auffallend ist jedoch 
das Ueberwiegen der Leisten vor den andern Gewebstheilen. Die 
Chitinstäbchen übertreffen die von Anodonta in Etwas an Grösse, 
auch zeigen sie zum ersten Mal das Verhalten, dass sie oben dicht 
zusammenstossen und also leicht als ein einziger, solider Stab an- 
gesehen werden können, — Behandlung mit Kalilauge lässt aber 
die Zweitheilung sofort scharf hervortreten (vgl. Fig. 14). 

Als Repräsentant eines vierten Stadiums erscheint Venus. Sie 
zeigt bereits deutlich ausgesprochene sekundäre Leisten, doch ist 
der Bau sämmtlicher einzelnen primären Leisten noch vollkommen 
gleich; die Aehnlichkeit derselben mit den bisher betrachteten ist 
unverkennbar, wiewohl auch hier die Chitinstäbchen eine etwas 
andere Modification darstellen; in dem Zusammenstossen ihrer oberen 
Spitzen gleichen sie den eben geschilderten von Pholas. Ueber das 
Lamellengewebe vermag ich nichts anzugeben, interessant ist nur 
der Umstand, dass in die Interseptalräume Röhren hineinragen, die 
constant vorkommen und die ich nur als grosse Blutgefässe zu 
deuten weiss. An Venus schliesst sich unmittelbar Mya an, welche 
etwas höhere Sekundärleisten besitzt. Der Bau jeder einzelnen hat 
in jeder Beziehung, auch was die Chitinstäbchen anbelangt, grosse 
Aehnlichkeit mit Venus (vgl. Fig. 15 u. 16). 

Das nächste, fünfte Stadium liefert in sehr exquisiter Form 
Östrea. In jeder sonstigen Beziehung die vollste Uebereinstimmung 
mit dem Stadium von Venus und Mya darbietend, zeigt sie doch 
einen wesentlichen Fortschritt in der Differenzirung besondrer Leisten 
im Wellenthal; noch ist der Unterschied freilich sehr gering; ein 
etwas stärkeres Hervorragen der Wellenthalleiste und eine Verdiekung 
ihrer Chitinstäbchen etwa aufs dreifache, — das ist Alles; aber 
wir erkennen hier doch schon den Grund gelegt zu jenen Differen- 
zirungen, die von nun an eine solche Rolle spielen. Wir sehen auch 
hier noch eine sehr bedeutende Aehnlichkeit mit dem Habitus der 
bisher betrachteten Primärleisten. Die Septa gehen hier nicht an 
der Einsenkung zwischen je zwei Sekundärleisten von einer Lamelle 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 553 


zur andern, sondern ‘unregelmässig mit Ueberspringung von einer 
oder zwei solcher Stellen, ein Verhalten, welches uns wohl aber an 
der Richtigkeit des oben ausgesprochenen Gesetzes nicht irre machen 
kann. Ich bemerke übrigens, dass das Lamellengewebe der Ostrea, 
welches ich, wie erwähnt, in Ueberosmiumsäure untersuchen konnte, 
zwar keine so colossale Ausbreitung zeigt, wie wir sie besonders in 
den Septen von Anodonta fanden, aber in allen wesentlichen Punkten 
völlig übereinstimmt; es erstreckt sich diese Uebereinstimmung auch 
auf das Epithel, welches in vollkommen homologer Weise z. B. die 
einfach durchbohrten Zellen aufweist (vgl. Fig. 17). 

Mit Ostrea harmonirt in allen wesentlichen Punkten Solen, 
bei der ich ebenfalls an aussergewöhnlich gut conservirten Spiritus- 
exemplaren das typische lakunäre Bindegewebe der Najadenkieme 
mit Sicherheit zu diagnosticiren vermochte. Die Septa stehen hier 
regelmässig, dem oben angegebenen Gesetze folgend (vgl. Fig. 18). 

Die nahe verwandte Form Solenocurtus repräsentirt ein sechstes 
Stadium. Bei sonst vollkommener Uebereinstimmung mit Solen sind 
die sekundären Leisten bedeutend höher geworden; die Septa über- 
springen auch hier immer eine sekundäre Leiste. Ebenso verhält 
sich Cardium, das sich auch sonst dem vorhergehenden völlig an- 
schliesst. Bei beiden zeigen die Chitinstäbchen der gewöhnlichen 
Leisten noch grosse Aehnlichkeit mit Venus etc.; die der Wellen- 
thalleiste stimmen mit Ostrea noch fast ganz überein (vgl. Fig. 19). 

Eine relativ sehr bedeutende, jedenfalls wohl durch weitere 
vergleichende Untersuchungen auszufüllende Lücke ist nun zwischen 
dieser Stufe und der nächsten, siebenten zu constatiren, für welche 
Pinna ein vortrefflicher Repräsentant ist; während bisher stets auch 
die Wellenthalleiste dem Habitus aller andern im Wesentlichen ent- 
sprach, bemerken wir hier plötzlich die Abwesenheit einer Wellen- 
thalleiste überhaupt; die Tiefe der Einsenkung zwischen je zwei 
Sekundärleisten wird zwar ebenfalls durch das Chitinskelett ausge- 
füllt, diess hat sich aber wesentlich differenzirt; wir finden jetzt 
einen nach oben concaven Bogen, der sich in Kalilauge ebenfalls 
als paarig erweist, und nur von einer einfachen (Flimmer ?) Epithellage 
bedeckt erscheint; darunter liegt dann noch je ein, ebenfalls quer- 
durchschnittenes Bündel von anscheinend muskulöser Substanz. Das 
Bild stellt sich also so dar, dass die, die Sekundärleiste bekrönenden 
primären Leisten über der Einsenkung plötzlich aufhören und einer, 
in der oben geschilderten Weise differenzirten Chitinskelettbildung 


Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd, 11. 37 


554 Carl Posner: 


Platz machen. Der Habitus der primären* Leisten zeigt nichts 
aussergewöhnliches; die Stellung der Septa ist vollkommen regulär 
(vgl. Fig. 20). 

Ebenfalls noch nicht ganz vermittelt ist der Uebergang von 
hier zum achten Stadium, dem Stadium der fasrigen Auflösung der 
Kieme, wie sie uns Pecten zeigt. Leider ist gerade hier meine Un- 
tersuchung besonders lückenhaft geblieben; es ist mir an den mir 
zu Gebote stehenden Exemplaren nicht gelungen, genügende Quer- 
schnitte durch einen isolirten Faden zu legen, — bei der ausser- 
ordentlichen Zartheit und Vergänglichkeit dieser Gebilde wäre je- 
denfalls eine besonders gute Conservirung nothwendig. Einiger- 
massen aufgewogen wird aber dieser Mangel dadurch, dass ich im 
Stande war, die Kiemenbasis, wo bekanntlich die Fäden noch ver- 
bunden sind, auf Querschnitten zu untersuchen; und die hier er- 
zielten Resultate passen so gut in die bisher verfolgte Entwicklungs- 
reihe, dass sie doch eingeschaltet werden mögen. Der Querschnitt 
der Kiemenbasis zeigt nämlich auf das allerschönste eine ganz 
enorme Differenzirung des sekundären Kiemenskeletts. Dasselbe 
ist von der Tiefe der Einsenkung aus noch weiter herabgedrückt 
und durchsetzt nun in einer sehr merkwürdigen Form das Lamellen- 
gewebe in seiner ganzen Dicke. Die Sekundärleisten sind sehr 
schön ausgebildet; die primären Leisten scheinen nicht mehr als 
solche vorhanden zu sein; es machte vielmehr den Eindruck, als 
würden die sehr deutlich ausgeprägten Chitinstäbchen von gleich- 
mässigem epitheltragendem Gewebe überzogen. Septa gehen von 
jeder Einsenkung zur andern Lamelle hinüber. — Die Frage, wie 
die Zerfaserung der Kieme in einzelne Fäden zu Stande kommt, 
vermag ich endgültig nicht zu entscheiden, sehr wahrscheinlich ist 
mir aber, dass die secundären Stäbchenpaare sich in der Mitte 
spalten und dadurch ein Auseinanderweichen der sekundären Leisten 
herbeiführen; denn das ist eine Thatsache, von der man sich sehr 
leicht überzeugen kann, dass ein Kiemenfaden wirklich einer sekun- 
dären Leiste homolog ist. Lima scheint, soweit ich sie untersucht 
habe, ein völlig identisches Verhalten zu bieten (vgl. Fig. 21). 

Wir haben somit hier in aufsteigender Reihe den Höhepunkt 
der Kiemendifferenzirung erreicht; eine Form aber ist vorläufig noch 
fortgelassen worden, da sie einen Entwicklungsgang nach einer 
etwas andern Richtung einschlägt, nämlich Mytilus. Die Mytilus- 
kieme ist schon vielfach Gegenstand des Streites gewesen; ich sehe 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 555 


von einer Geschichte desselben, die hier viel zu weit führen würde, 
ab und begnüge mich, in kurzen Worten meine eigene Ansicht mit- 
zutheilen. Soviel ich sehen kann entspricht je ein Faden der jä 
bekanntlich auch zerfaserten Mytiluskieme nicht, wie wir es bei 
Pecten sahen, einer sekundären, sondern einer primären Leiste. 
Wir erhalten auf dem Querschnitt jedes Fadens zu innerst die un- 
gefähr Oförmig gestalteten, ein Blutgefäss einschliessenden sehr 
membranösen Chitinstäbchen. Aussen werden dieselben von einer 
minimalen (ob blutführenden ?) Gewebsschicht umgeben, an welche 
sich dann sofort das Flimmerepithel anschliesst; jeder Faden ist 
sehr platt und schon früher, auch was den Querschnitt betrifft, 
richtig mit einer Messerklinge verglichen worden. Es lassen sich 
an jedem Faden die beiden Lamellen unterscheiden, häufig durch 
kurze muskulöse Septen verbunden. Zu bemerken ist noch, dass 
die Fäden auch untereinander vielfach zusammenhängen ; doch kommt 
dieser Zusammenhang nicht durch Muskelbänder oder dgl. zu Stande, 
sondern lediglich dadurch, dass auf Anschwellungen stehende, sehr 
grosse und starre Wimpern in entsprechende des nächsten Fadens, 
wie die Borsten zweier aufeinander gelegter Bürsten, hinübergreifen. 
Für Mytilus kann also wie man sieht, noch am ehesten die alte 
Williams’sche Anschauung Geltung haben; jedenfalls wird hier 
die Hauptmasse der Blutgefässe durch den Stäbchenkanal gebildet; 
Mytilus ist aber eine in dieser Beziehung so aberrante und allein- 
stehende Form, dass wir sie nur als Ausnahme betrachten können 
undihr jeden Werth für die Theorie absprechen müssen (vgl. Fig. 22). 

Es bleibt noch ein weiteres Verhältniss zu erwähnen, nämlich 
das der Chitinstäbchen an Basis und freiem Rand; und hier treffen 
wir nun die vollkommenste Uebereinstimmung mit Anodonta. Die 
Chitinstäbchen sämmtlicher von mir untersuchter Formen entsprin- 
gen genau ebenso in der arkadenförmigen Bogenreihe, — auch das 
Zusammentreten je zweier benachbarten Schenkel in eine Leiste 
findet überall in genau derselben Form statt; selbst der sonst so 
widerspenstige Mytilus lässt sich bequem in dieses Schema bringen 
und beweist dadurch, dass in der That seine Fäden einer primären 
Leiste homolog sind (vgl. Fig. 24 u. 25). Auch das Verhalten am 
freien Rande scheint fast immer dem bei Anodonta zu entsprechen. 
Ich habe stets die Chitinstäbchen in ganz derselben Weise enden sehen, 
— Umbiegungen in derselben Lamelle, wie sie Williams beschreibt 
und zeichnet, sah ich niemals. Eine Ausnahme machen bloss die äusseren 


556 Carl Posner: 


Kiemen von Cardium, bei denen in der That auch die Chitinstäbchen 
auf die andere Lamelle hinunterzubiegen scheinen; es entspricht 
diess Verhalten dem, was man als »halbe« oder auch (mit Wil- 
liams) als »einfache« Kieme bezeichnen kann. Bei Pinna, also 
einer Form mit schön differenzirtem secundären Chitinskelett sieht 
man auf Längsschnitten auch diess in der von Anodonta bekannten 
Weise am freien Rande endigen (vgl. Fig. 23). Uebrigens bedarf 
gerade diese Stelle der Lamellibranchiatenkiemen noch einer einge- 
henden Untersuchung; es ist, aus leicht begreiflichen Gründen, sehr 
schwer, sich von diesen Verhältnissen ein richtiges Bild zu machen. 
Nochmals aber sei hervorgehoben, dass sich wesentliche Un- 
terschiede von dem bei Anodonta erkannten Verhalten auch hier 
nicht vorfinden, dass sich vielmehr Alles mit grösserer oder gerin- 
gerer Leichtigkeit, in der zu Anfang angedeuteten Weise, auf jenen 
Urtypus der Lamellibranchiatenkieme zurückschematisiren lässt. 


Ziehen wir nun die Summe aller voraufgegangenen Betrach- 
tungen, — und ich hoffe, dass wir diess trotz aller Lücken und 
Mängel im Einzelnen, doch bereits mit einiger Sicherheit vermögen, 
— so werden wir zu der Ueberzeugung kommen, dass wir, im Ge- 
gensatz zu den bisher geltenden Ansichten, die Kiemen der lamelli- 
branchiaten Mollusken definiren können als 

bindegewebige, in lakunären Räumen blutführende Platten, mit 

innerem, aus parallelen, geraden, soliden Stäben bestehendem 

Chitin(?)skelet, und durchzogen von zahlreichen, der Aufnahme 

respiratorischen Wassers dienenden Canälen. 

Als Prototyp hierfür galten uns die Athmungsorgane der Najaden, 
die eine äusserst massenhafte Entwicklung des lakunären Bindege- 
webes boten und sich als dicke Platten darstellten, als höchste 
Differenzirung die Kiemen der Pectiniden einerseits, die von My- 
tilus in etwas aberranter Richtung. 

Eine hierbei nicht zu umgehende Frage ist nun die: In welcher 
Weise hat man sich die historische Entwicklung der Kiemen unserer 
Thiere zu denken? Nimmt der Najadentypus phylogenetisch, — 
oder vielmehr organogenetisch, — in der That die niederste Stelle 
ein, oder ist nicht vielmehr, wie bei den Gasteropoden, auch hier 
die fadenförmige Kieme das Urbild ? 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 557 


Eine endgiltige Entscheidung dieser Frage ist, wie mir scheint, 
vorläufig noch nicht zu geben; eine weitere Ausdehnung verglei- 
chend embryologischer Forschungen wäre hier unumgänglich nöthig. 
A priori dürfte man wohl geneigt sein, die Fadenkiemen als die 
älteren und ursprünglicheren zu betrachten, — also entweder die 
Formen von Mytilus oder von Pecten zu Grunde zu legen; denn 
in der That zeigen diese, wenigstens in ihrem äusseren Habitus. 
grosse Aehnlichkeit mit den Kiemen andrer Wirbellosen, besonders 
also der Schnecken. Trotzdem halte ich dafür, dass man in ihnen 
die höchsten Formen zu suchen hat. Zunächst ist die Aehnlichkeit 
im äussern Bau, die sie mit Gasteropodenkiemen zeigen, auf die 
inneren, histiologischen Eigenthümlichkeiten nicht im Mindesten aus- 
gedehnt; das hoch differenzirte Chitinskelett besonders steht in gar 
keinem Zusammenhang mit den äusserst einfachen Verhältnissen, 
von denen ich mich z. B. bei Patella überzeugte, bei der es sich 
nur um eine blutführende Hautausstülpung handelt. Und auch im 
Vergleich zu Anodonta erscheint das Kiemenskelett der Pectiniden 
doch unstreitig als bedeutend höhere Ausbildungsstufe. Erwägt 
man ferner, dass Pecten in Bezug auf alle andren Organe (z. B. 
die Sinnesapparate) eine höhere Differenzirung zeigt als Ano- 
donta; dass die Umspülung der Kiemenfäden hier augenscheinlich 
eine energischere ist, als sie bei den flächenhaft ausgebreiteten der 
anderen Muscheln stattfinden kann; dass eine membranöse Entwick- 
lung der Integumentgebilde überhaupt, wenn ich mich so ausdrücken 
darf, mehr im ursprünglichen Bauplane, in der Idee unserer Thiere zu 
liegen scheint (Schaale, Mantel, Kieme) und dass diess Verhältniss 
wohl auf einen Flächenkiemer als Stammvater der ganzen Gruppe 
deutet; und dass schliesslich Stepanoff!) an Cyclas, — das ein- 
zige wohl konstatirte Beispiel, — eine flächenhafte Entwicklung 
der Kiemen unzweifelhaft gemacht hat, — erwägt man diess Alles, so 
wird man doch vielleicht mehr auf die Seite der oben vorgetragenen 
Meinung neigen. Immerhin kann, wie gesagt, vorläufig der Gedanke 
einer späteren Concrescenz der Fadenkiemen, — freilich wohl als 


1) Arch. f. Zool. 1865. Ich will bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass 
Stepanoff auch einen Querschnitt der Anodontenkieme, — den einzigen 
bisher publieirten, — abbildet, leider ohne textliche Bemerkungen. Trotz 
der mangelhaften Ausführung der Zeichnung, wird man unschwer die Ueber- 
einstimmung mit allen von mir gemachten Angaben herausfinden, 


558 Carl Posner: 


regressiver Vorgang, — nicht absolut ausgeschlossen werden, und 
besonders möchte ich betonen, dass die oben aufgeführte, rein em- 
pirische Stufenreihe zunächst keinen andern, als praktischen Werth, 
zur leichteren Uebersicht der Verhältnisse haben soll; es ist un- 
zweifelhaft, dass wir es hierbei nicht mit der fortlaufenden histo- 
rischen Reihe der Organogenie zu thun haben, sondern dass selbst- 
ständige Anpassungen eine grosse Rolle dabei spielen. Es geht 
diess schon daraus hervor, dass in jener Reihe von einer Beobach- 
tung des Systems keine Spur zu finden ist, — wechseln ja selbst 
Asiphonia und Siphoniaten in bunter Regellosigkeit ! 

Man wird also, wie mir scheint, am richtigsten die Entschei- 
dung der Frage nach der phylogenetischen Entwicklung vorläufig 
aufschieben, und sich zunächst mit der oben gegebenen Definition 
bescheiden, den Gedanken an eine histiologische Vollkommenheit 
unserer Organe im Sinne Langer-v. Hessling’s aber ebensowohl 
wie den an eine so stark complicirte Struktur, wie sie Williams 
angab, vollkommen fallen lassen müssen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXI u. XXX. 


Fig. 1. Querschnitt durch die Kieme von Anodonta, ungefähr in der Mitte, 
Vergr. Gundlach V. Oc. O halbschematisch. 
a Interlamellarraum. b Die zu demselben führenden Wassercanäle, 
bei b, schräg durchschnitten. e Eine Kiemenleiste mit dem venösen 
Gefäss d und den Chitinstäbchen e. f Septum, bei f, mit dunkler 
Masse injieirt, g elastische Fasern darin. h Die Kiemenvene, i Kie- 
menarterie. k Zeigt das Lamellengewebe mit einer hellen durch- 
sichtigen Masse injieirt, k, eine ebensolche Injektion, die nach rascher 
Unterbrechung nur den arteriellen Bezirk erfüllt hat. — Das überall 
angegebene Epithel ist nur auf den Leisten fiimmernd dargestellt. 

Fig. 2. Flächenschnitt durch die Kieme von Anodonta. Obj. V. Oe. O. 
halbschematisch. 
b Die quergeschnittenen Wasserkanäle. k Das Lamellengewebe, zum 
Theil injieirt dargestellt, um die Langer’schen Pseudokapillaren zu 
zeigen. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig- 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


10. 


Ueber den Bau der Najadenkieme. 559 


Querschnitt durch eine Kiemenleiste und das unmittelbar anstossende 
Lamellengewebe. Obj. VII. Oe. O. 

bk Bindegewebskörperchen, in den Balken lagernd und von Pigment 
umgeben. bl Blutkörperchen in den lakunären Räumen. — cz Die 
Cylinder-, ez die »einfach durchbohrten«, fz die flachen Zellen 
des Flimmerepithels. Die übrigen Bezeichnungen wie oben. — 
Härtung in 1°/, Osmiumsäure. 

Querschnitt durch eine Kiemenleiste. Obj. VII. Oc. 1I. 

s Das Schleimgewebe der Leisten mit den Faserzügen und Binde- 
gewebskörperehen, 1 hier die Chitinstäbchen .Sonst alle Bezeichnun- 
gen wie oben. — 1°/, Osmiumsäure. 

Aus einem Querschnitt durch ein Septum. Obj. VII. Oe. II. 

p Die elastischen Fasern. pi Das Pigment, bgw die Bindegewebs- 
balken. pr Die Protoplasmahäutchen. Sonst wie oben. 1°/, Os- 
miumsäure. 

Querschnitt durch zwei benachbarte Leisten, um die Muskulatur zu 
zeigen. Obj. V. Oc. O. 

m, Die tiefere, horizontale, m, die höhere, diagonale Faserschicht. 
1°/, Osmiumsäure. 

Ansicht zweier Chitinstäbchen mit der Muskulatur von oben. Ma- 
zeration in Kalilauge. 

Verschiedene Zeilformen der Anodontenkieme. Obj. VII. Oc. O. 
Zerzupfungspräparat aus '/,,°/, Osmiumsäure. 

a Die einfach durehbohrten, b die cylindrischen Zellen, c, d, e ver- 
schiedene Uebergänge zur kubischen und flachen Form. 

Sehr oberflächlicher Flächenschnitt durch die Kiemenbasis, um den 
Ursprung der Chitinstäbchen zu zeigen. Obj. V. Oc. 0. 1°], Os- 
miumsäure. 

fl die sog. Flimmerrinnen zwischen zwei Leisten, kv die Kiemen- 
vene. Sonst alle Bezeichnungen wie früher, c eine Leiste, d die 
Leistenvene, e die Chitinstäbe. 

Längsschnitt durch den freien Kiemenrand. Obj. V. Oc. O0. 1°/, Os- 
miumsäure. 

1 Das Lamellengewebe, alle anderen Bezeichnungen wie oben. 


11—22. Querschnitte durch die Kiemen verschiedener Lamellibran- 


11. 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 


chiaten, sämmtlich schematisch. In allen sind die Chitinstäbchen 
schwarz gezeichnet. Vergr. Obj. III. Oe. I. 

Es sind entnommen: 

Anodonta anatina. 

Unio pictorum. 

Scrobicularia. sp. 

Pholas dactylus. 

Venus. sp. 

Mya arenaria. 


560 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


ET: 
18. 
19. 
20. 
21. 
22. 
23. 


24. 


25. 
26. 


27. 


Carl Posner: Ueber den Bau der Najadenkieme. 


Ostrea edulis. 

Solen vagina. 

Cardium edule. 

Pinna nobilis, 

Pecten varius. 

Mytilus edulis. 

Längsschnitt durch den freien Rand der Kieme von Pinna nobilis. 
Obj. V. Oe. 0. 

a Der Interlamellarraum, e, die primären, e, die sekundären Chitin- 
stäbchen. 

Ursprung der Chitinstäbchen bei Ostrea edulis, Mazeration in Kali- 
lauge. Obj. V. Oe. O. 

Ursprung der Chitinstäbchen bei Mytilus. (Kalilauge.) Obj. V. Oec. O. 
Querschnitte durch die Chitinstäbchen verschiedener Formen, mit 
schematischer Andeutung ihres Verhältnisses zur Kiemenleiste. Obj. 
V. O0ec. IH. 

a Anodonta. b Pholas. ce Ostrea. d Primärer Stab von Pinna, e Venus. 
f Sekundärer Stab von Pinna. g Primärer, h sekundärer Stab von 
Pecten. 

Querschnitt durch einen Kiemenfaden von Mytilus edulis. 


Ueber den feineren Bau der Giftdrüse der Naja haje. 


Von 


Dr. Carl Emery 
in Neapel. 


Hierzu Tafel XXXII. 


In einer früheren Arbeit '), habe ich mich mit dem Studium 
des Giftapparates der Vipera Redii befasst und gelegentlich 
auch die Resultate meiner anatomischen und histologischen Unter- 
suchungen über Cerastes und Echis mitgetheilt; ich hatte aber 
kaum mein Manuscript versendet, als ich die vortrefflliche Arbeit 
des Professor Leydig über die Kopfdrüsen der Schlangen erhielt, 
in welcher übrigens meine Ansichten über den feineren Bau der 
Vipera-Giftdrüse bestätigt und vervollständigt sind. 

Professor Panceri, der sich immer wohlwollend für meine 
Studien interessirte, bot mir die Gelegenheit, den Giftapparat der 
Naja haje zu untersuchen, indem er die Güte hatte, mir während 
seines Aufenthaltes in Cairo, im Anfang 1873, ein lebendes Exem- 
plar dieser Schlange zu senden. Es sei mir gestattet, ihm hier 
meinen aufrichtigsten Dank zu sagen. Nachdem ich das Thier ge- 
tödtet und die groben anatomischen Verhältnisse der Drüse und 
der benachbarten Theile untersucht hatte, wurde die eine Drüse 
in absolutem Alkohol gehärtet, die andere in verdünnte Essigsäure 
gelegt, um die dichte Bindegewebskapsel zu erweichen und durch- 
sichtig zu machen, und so die gröbere Eintheilung der Giftdrüse 
und den Verlauf der Nerven untersuchen zu können. Später bekam 
ich von Professor Panceri ein Spiritus-Exemplar derselben Schlange, 


1) Studii anatomiei sulla Vipera Redii; Memorie della Societä Italiana 
di Scienze naturali, III. Milano 1873. 


Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 11. 38 


562 Dr. Carl Emery: 


dessen Giftdrüsen ich zur Bestätigung und Vervollkommnung einiger 
schon gewonnenen Resultate verwerthete. 

Die groben Verhältnisse der Giftdrüse und der naheliegenden 
Muskeln werden von Duvernoy ausführlich beschrieben; nur muss 
ich noch einen kleinen Muskel erwähnen, der bis jetzt unbeachtet 
blieb, nämlich den von mir in der Vipera entdeckten M. post- 
orbito-mandibularis, welcher sich bei Naja haje stark ent- 
wickelt vorfindet. 

Ueber den feineren Bau der Giftdrüse sind mir, ausser den 
Untersuchungen von J. Müller, in der Literatur keine anderen 
bekannt. Derselbe drückt sich darüber in folgender Weise aus!): 
In sectione glandulae perpendiculari et longitudinali, 

nudo jam oculo, magna tubulorum copia apparuit, qui reeti inde 
ab inferius decurrente ductu excretorio ascendentes, alii juxta 
alios conferti, absque ramificatione ulla, oblique versus super- 
ficiem glandulae decumbunt. Sectio per glandulam plurimos simul 
tubulos medio dissecuit, altero alteroque incolumi. Superficie 
seetionis aqua pure abluta et microscopio visa certior fio, tubulos 
a ductu exceretorio ascendentes, in superficie glandulae externa 
coecis finibus terminari, intus vero ex parietibus cellulosis seu 
spongiosis constare. Sectio per tubulos transversa lumina regu- 
lariter disposita monstrabat“ ....... 

Wie aus dem Texte klar ersichtlich ist, machte J. Müller keine 
sehr eingehenden Untersuchungen, und begnügte sich damit, einige 
verticale Schnitte durch die Drüse zu führen und die so gewonnenen 
Schnittflächen genau zu besichtigen, wobei er auf den richtigen 
Schluss eines besonderen, rein tubulären Baues der Drüse kommt, 
und eine schwammige Structur der inneren Röhrchenwand erkennt. 
Ferner erwähnt er, dass die Drüsenschläuche vom Ausführungsgang 
sich ganz ohne Theilung bis zu der Oberfläche des Organs er- 
strecken. Die Struktur der Naja-Giftdrüse ist aber eine viel com- 
plicirtere, als sie von J. Müller erkannt wurde, und es bedarf einer 
besonders sorgfältigen und eingehenden Untersuchung, um den ganz 
eigenthümlichen Bau derselben vollständig klar zu erkennen. 

Die Giftdrüse überragt nach hinten die Commissur der Lippen ; 
ihr Ende ist abgerundet und nach unten fast hakenförmig ge- 


1) De Glandularum secernentium structura penitiori. Lipsiae 1830 pag. 56. 
Tab: VI. fig: 2. 


Ueber den feineren Bau der Giftdrüse der Naja haje. 563 


bogen, wie Duvernoy richtig beschrieben und abgebildet hat; 
sie ist fast walzenförmig und lässt sich in zwei fast gleich lange 
Abtheilungen scheiden, welche schon von Aussen dadurch erkannt 
werden können, dass der vordere Theil einen dünneren, der hintere 
einen dickeren Cylinder darstellt; bei oberflächlicher Betrachtung 
scheint aber der vordere Theil dicker, als er in der That ist, weil 
er in seiner ganzen Länge durch Bindegewebe dicht an die Ober- 
lippenschleimdrüsen angeheftet ist. Die ganze Drüse ist von einer 
sehr dicken und dichten sehnigen Bindegewebskapsel umgeben, 
welche nicht wie bei Vipera zum Theil aus zwei, zwischen sich einen 
serösen Raum einschliessenden Blättern besteht, sondern überall ein- 
fach ist. Es besteht indessen ein weiter, nicht scharf begrenzter 
Lymphraum zwischen der Giftdrüse und der darunterliegenden oberen 
Wand der Mundhöhle. 

Fertigt man einen dünnen Querschnitt aus der Mitte des 
hinteren Theiles der Giftdrüse (z. B. in £% Fig. I), so lassen 
sich gleich bei Untersuchung mit schwacher Vergrösserung zwei Zonen 
im Drüsenparenchym unterscheiden: eine centrale, gegen unten und 
innen gelegene, in welcher sich unregelmässige Oeffnungen be- 
finden, die von dicken Bindegewebsscheidewänden getrennt und 
inwendig von Cylinderepithel bekleidet sind; eine periphere, oben 
breitere, unten schmälere, welche wie ein zartes Maschenwerk aus- 
sieht, dessen weite Oefinungen von schmalen Bindegewebswänden 
gebildet und von einschichtigem Pflasterepithel überzogen werden. 
Diese beiden Zonen sind nicht scharf getrennt, sondern gehen all- 
mählig in einander über, so dass sowohl in der Form der Löcher, 
als in der Dicke der Scheidewände und in der Natur des 
Epithelüberzuges zahlreiche Uebergangsstufen zu finden sind. Nicht 
weit von der unteren Grenze der centralen Zone läuft der gemein- 
schaftliche Ausführungsgang, welcher im Durchschnitt eine nach 
oben concave halbmondförmige Gestalt besitzt (Fig. II,a). 

Wird der Querschnitt nicht weit von dem Ende der Giftdrüse 
geführt (z. B. in «« Fig. I), so sind auf demselben die centrale 
Zone und der Ausführungsgang nicht zu sehen, sondern die ganze 
Fläche des Schnittes besteht aus dem der äusseren Zone zuge- 
hörigen Maschenwerk. 

Je mehr die Stelle, wo der Schnitt geführt wird, sich dem 
vorderen Theil der Drüse nähert, desto mehr nimmt verhältniss- 
mässig die centrale Zone an Ausdehnung zu, bei gleichmässiger 


564 Dr. Carl Emery: 


Abnahme der peripheren. Zugleich gewinnt der Querschnitt des 
Ausführungsganges einen grösseren Umfang und eine mehr hufeisen- 
förmige Gestalt, indem seine Goncavität tiefer wird; der Rand des 
in sein Lumen ragenden Vorsprungs, welcher anfänglich nur, der 
Einmündnng der Drüsenschläuche entsprechend, mehrfach eingekerbt 
war, wird nach und nach deutlich gelappt. 

Wenn nun der Querschnitt im Anfange des vorderen Theiles 
der Drüse fällt (in yy Fig. D), so ist keine Spur der peripheren 
Zone mehr zu finden; im weiten Lumen des Ausführungsganges 
sieht man den Durchschnitt des hervorragenden Theiles als eine 
gestielte und mehrfach gelappte Papille, in deren Innerem sich 
einige Oeffnungen finden, die den letzten Rest der centralen Substanz 
darstellen, d. h. die letzten Sammelkanäle, welche noch aus der 
hinteren Drüsenabtheilung stammen. Rings um das Lumen des 
Ausführungsganges erscheint aber eine neue Drüsensubstanz, welche 
sich sogleich als aus kurzen, weiten, verzweigten Schläuchen zu- 
sammengesetzt zu erkennen gibt, die inwendig von Cylinderepithel 
bekleidet sind. Diese Schläuche und das dieselben überziehende Epithel 
sind aber von den analogen Gebilden aus der hinteren Drüsenab- 
theilung ganz verschieden, und zeigen dagegen einen mit dem der 
Oberlippenschleimdrüsen vollkommen übereinstimmenden Bau. Nach 
unten und innen erscheinen im Durchschnitt die Oberlippenschleim- 
drüsen, falls sie nicht vorher abgetrennt worden sind (Fig. II). 

Wird endlich der Schnitt noch mehr nach vorn angefertigt 
(in dd Fig. I), so ist keine papillenförmige Hervorragung mehr vor- 
handen, und der Ausführungsgang erscheint mit seinem offenen ovalen 
Lumen, von Drüsenlappen umgeben, deren Einmündungsstellen leicht 
getroffen werden können. Die Oberlippenschleimdrüsen erscheinen 
im Schnitte immer dichter an die Scheide der Giftdrüse durch 
Bindegewebe angeheftet (Fig. IV). 

Das Bindegewebe, welches die Kapsel der Giftdrüse bildet, ist 
von derber, sehniger Beschaffenheit und enthält wenige und sehr 
kleine, pigmentlose Zellenelemente. In der Giftdrüse der Vipera 
unterscheidet Leydig mit Recht zwei Arten Bindegewebe: ein 
dichteres, sehniges, welches die Drüsenkapsel und die Hauptsepta 
bildet, und ein lockeres, mehr zellenreiches, welches die Drüsen- 
schläuche umspinnt. Diese letztere Form des Bindegewebes deutet 
Leydig als ein System von Iymphatischen Interstitien. In der 


Ueber den feineren Bau der Giftdrüse der Naja haje. 565 


Naja-Giftarüse kann überhaupt von einer solchen Scheidung nicht 
die Rede sein. Die feinsten Septa haben dieselbe sehnige Beschaffen- 
heit der Kapsel, und quellen in verdünnten Säuren stark auf. In 
dem vorderen Theile der Giftdrüse scheint das Bindegewebe etwas 
weniger dicht zu sein und enthält mehr Zellen. Hier treten aber 
zwischen den Drüsenlappen, welche in die vordere Abtheilung des 
Ausführungsganges in regelmässigen Reihen münden, weite, von 
Endothel bekleidete Räume auf, weiche ich vorläufig als muthmass- 
liche Lymphräume deuten möchte (Fig. IV, ec). 

In den Schnitten sieht man oft Nervenfasern, welche, wie bei 
Vipera, von einem mächtigen Zweige des zweiten Astes des Tri- 
geminus stammen, der in die Drüsenkapsel eindringt. Ein bedeuten- 
des Nervenbündel läuft in der Kapsel der vorderen Drüsenabtheilung, 
dem Ausführungsgang parallel, ohne an die Drüse selbst Zweige 
abzugeben; andere feinere Bündel dringen zwischen die vorderen 
Drüsenlappen und versorgen dieselben mit Nervenfasern. In dem 
hinteren Theile der Giftdrüse sind nur sehr feine, aus wenigen Fa- 
sern bestehende Nerven zu finden. 

Ebendaselbst zeigt sich in der centralen Zone ein Cylinder- 
epithel; die Cylinderzellen sind sehr klein, besitzen ein auffallend 
homogenes. und durchsichtiges Protoplasma und einen kleinen, der 
Basis nahe liegenden, stark granulösen Kern, in welchem ich kein 
Kernkörperchen wahrnehmen konnte (Fig. V); wenn man in einem 
Querschnitte von dem Ausführungsgang nach der Peripherie die 
Epithelien untersucht, so sieht man, dass die Zellen bald anfangen, 
kleiner und kürzer zu werden (Fig. VD), bis sie endlich nicht ein- 
ma] so hoch als breit sind, also ein Pflasterepithel darstellen (Fig. 
VII und VIII). Dieses Epithel behält indessen mehrere Eigenschaf- 
ten des centralen Cylinderepithels: der Zelleninhalt ist vollkommen 
durchsichtig und die kleinen Kerne liegen dicht an der Basis der 
Zellen, so dass sie in Carminpräparaten bei geringer Vergrösserung 
einen rothen Streifen an der Grenze zwischen Epithel und Binde- 
gewebe bilden; desshalb würde dieses Epithel vielleicht richtiger als 
ein abgeplattetes Cylinderepithel wie als ein eigentliches Pflaster- 
epithel gedeutet. 

Im vorderen Theile der Giftdrüse finden wir auch ein Cylinder- 
epithel; dessen Zellen sind aber etwas grösser, besitzen grössere, 
nicht so körnige Kerne, in denen ein Kernkörperchen immer scharf 
und deutlich zu sehen ist, Dieses Epithel stimmt mit dem der be- 


566 Dr. Carl Emery: 


nachbarten Oberlippenschleimdrüsen vollkommen überein und möchte 
ich desshalb die Lappen der vorderen Giftdrüsenabtheilung als 
accessorische Schleimtlrüsen bezeichnen. Diesen Satz unterstütze ich 
noch dadurch, dass ich in ihrem Epithel, wie in dem der Oberlippen- 
schleimdrüsen, kugelförmig geschwollene Zellen gefunden habe, mit 
an die Wand gedrängtem Kerne (Fig. IX, a). Es seien diese Zellen 
natürliche Formen oder Kunstproducte, immer scheinen sie mir für 
die Identität der genannten Drüsen eine nicht unbedeutende Beweis- 
kraft zu besitzen, da ich in ganz gleich behandelten Präparaten 
aus dem hinteren Theile derselben Giftdrüse niemals solche Zellen 
zur Ansicht bekonmen habe. 

Das Epithel des Ausführungsganges ist ebenfalls ein cylindri- 
sches und theilt die Eigenschaften der benachbarten Drüsenepithelien ; 
nur ist der Zelleninhalt nicht homogen und durchsichtig und färbt 
sich in Carminlösung. 

An longitudinalen und schrägen Schnitten der Giftdrüse ist oft 
leicht zu erkennen, dass der hintere Theil der Drüse exquisit aus 
Röhrchen zusammengesetzt ist, welche von dem Ausführungsgange 
schräg nach rückwärts gegen die Kapsel steigen und sich unterwegs 
mehrfach spitzwinkelig theilen. Zugleich wird es besonders an 
Längsschnitten klar ersichtlich, dass der dem Ausführungsgang zu- 
gewendete (also der centralen Zone des Querschnittes entsprechende) 
Theil eines jeden Schlauches inwendig nicht glatt ist, — sondern 
dass aus den Wandungen dünne Vorsprünge in das Lumen hinein- 
ragen, welche mit einander anastomosiren und das schwammige 
Aussehen der inneren Wand der Drüsenschläuche bedingen, welches 
von J. Müller schon richtig bemerkt worden ist. Allmählig geht 
der centrale Theil des Drüsenschlauches in den längeren peripheren 
über, welcher ein weiteres Lumen besitzt und dessen Wand nicht 
mehr schwammig, sondern ziemlich eben ist und nur hie und da 
einen grösseren oder kleineren Vorsprung zeigt. Die Drüsenschläuche 
sind sowohl in ihrem centralen wie in ihrem peripheren Theile mehr- 
fach getheilt, was ich nicht nur an Schnitten, sondern auch an 
durch Maceration isolirten Schläuchen sehen konnte; man kann die- 
selben also überhaupt nicht mit J. Müller als absque rami- 
ficatione ulla bezeichnen. Nirgends ist am hinteren Theile der 
Naja-Giftdrüse eine Eintheilung in besondere Lappen zu erkennen. 
Eine schematische Darstellung eines isolirten Drüsenschlauches gibt 
die Fig, XI, 


EEE 7 WE: 


Ueber den feineren Bau der Giftdrüse der Naja haje. 567 


Es ist oben erwähnt worden, dass der Ausführungsgang im 
Durchschnitt eine halbınond- oder hufeisenförmige Gestalt zeigt; diese 
Form wird dadurch bedingt, dass von oben eine longitudinale Wul- 
stung in das Lumen des Ganges hineinragt, deren Oberfläche von 
der Einmündung der meisten und längsten Drüsenschläuche in den 
Ausführungsgang durchbohrt wird. An einem geeigneten schrägen 
Schnitt kann man sehen, wie sich die Schläuche versammeln und 
dichtgedrängt in das Gewebe penetriren, welches die Concavität des 
Ausführungsganges füllt (Fig. X). In die untere, convexe Seite des 
Ausführungsganges münden nur die kurzen und weiten Schläuche, 
welche an der unteren Drüsenfläche endigen. 

Die Structur des vorderen Theiles der Giftdrüse ist eine viel 
einfachere. In der Mitte läuft der Ausführungsgang mit unregel- 
mässig ovalem Durchschnitte. Ringsum befinden sich einzelne ganz 
abgesonderte Drüsenlappen, welche aus kurzen, weiten, mehrfach 
verzweigten Röhren zusammengesetzt sind. Diese Drüsenlappen sind 
in fünf bis sechs Reihen der Länge der Drüse nach geordnet, und 
ihre besonderen Ausmündungen öffnen sich in der Wand des gemein- 
schaftlichen Ausführungsganges der Giftdrüse ebenso in fünf bis 
sechs ziemlich regelmässigen Reihen. Von hinten ragt in das Lu- 
men des Ausführungsganges ein Vorsprung hinein, der noch Sam- 
melcanäle aus der hinteren Drüsenabtheilung enthält und eine Fort- 
setzung von deren centraler Substanz darstellt. Nach vorn verengt 
sich der Ausführungsgang nach und nach ein wenig, und um ihn 
nimmt die Drüsenschicht an Dicke ab, bis sie endlich vollkommen 
verschwindet. 

Die Giftdrüse der Naja haje zerfällt also in zwei Theile. 
welche sich anatomisch scharf unterscheiden lassen, obwohl zwischen 
beiden, wie in Fig. I zu sehen ist, wohl auch Uebergangsstellen 
zu finden sind. Mir scheint, dass diesen Theilen auch eine 
besondere physiologische Bedeutung zugeschrieben werden soll, 
und möchte ich vermuthen, dass der hintere Theil eigentlich als 
Giftdrüse und Giftbehälter fungirt, während der vordere Theil als 
ein dem Ausführungsgang zugehöriges Schleimdrüsensystem zu be- 
trachten ist. 


568 Dr. Carl Emery: Ueber den feineren Bau der Giftdrüse der Naja haje. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXI1. 


Fig. I. Horizontaler Längsschnitt durch die Giftdrüse; halbschematisch; 5:1. 
a. Cutis der Oberlippe. 
b. Centrale Substanz der hinteren Giftdrüsenabtheilung. 
c. Periphere Substanz » » » 
d 


. Ausführungsgang mit den reilienweise geordneten Mündungen 
der vorderen Drüsenlappen. 


e. Drüsenlappen der vorderen Abtheilung (Schleimdrüsen ?). 
f. Oberlippenschleimdrüsen. 
Fig. II. Querschnitt durch die Giftdrüse in 5% Fig. I; mediane Hälfte; 20:1. 


a. Durchschnitt des Ausführungsganges, von der centralen Zone 
umgeben. 


Fig. III. Querschnitt durch die Giftdrüse in yy Fig. I; 20:1. 
a. Durchschnitt des Ausführungsganges, in welchem die Central- 


Substanz der hinteren Drüsenabtheilung wie eine Papille hin- 
einragt. 


b. Drüsenlappen der vorderen Abtheilung. 
c. Oberlippenschleimdrüsen. 
Fig. IV. Querschnitt durch die Giftdrüse in dd Fig. I; 20:1. 
a. Ausführungsgang. 
b. Drüsenlappen, welche in denselben münden. 
c. Lymphräume. 
d. Oberlippenschleimdrüsen. 
e. Epithel der Mundhöhle. 


In diesen drei Figuren sind die Epithelien, der Klarheit wegen, stark 
schattirt. 


Fig. V. Cylinderepithel aus der centralen Zone der hinteren Drüsenabthei- 
lung; 250:1. 


Fig. VI. Uebergang des Cylinderepithels in Pflasterepithel; 250:1. 


Fig. VII. Pflasterepithel aus der Peripherie der hinteren Drüsenabtheilung ; 
Profilansicht; 230: 1. 

Fig. VIII. Dasselbe Epithel in Flächenansicht; stärkere Vergrösserung; 370:1. 

Fig. IX. Cylinderepithel aus einer Oberlippenschleimdrüse; 230:1. 

a. Kugelförmig geschwollene Epithelzellen. 

Fig. X. Aus einem schrägen Schnitte durch die Giftdrüse (hintere Abthei- 
lung), das Convergiren der Schläuche nach der Concavität des Aus- 
führungsganges zeigend. Die Abbildung wurde nach einem etwas 
dieken Schnitte entworfen, wodurch die schräg durchschnittenen 
Scheidewände zwischen den Schläuchen zu breit erscheinen; 25:1. 

Fig. XI. Schematische Darstellung eines isolirten Schlauches aus der hiuteren 
Drüsenabtheilung. 


NB. Sämmtliche Abbildungen, mit Ausnahme der Figg. I und XI, 
wurden, so weit als möglich mit Hülfe der Camera-lucida, nach Carmin- 
pröparaten gezeichnet, 


Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. 
Von 


Dr. Alexander Schultz 
aus Russland. 


Hierzu Tafel XXXIV. 


Nachfolgende Untersuchung behandelt die Entwickelungsvor- 
gänge des Eis von Torpedo oculata, vom ersten Auftreten des Keim- 
epithels bis zum Uebergang des reifen Eis in den Eileiter, unter 
besonderer Berücksichtigung derjenigen Eigenthünlichkeiten, welche 
für das Knorpelfischei bisher noch unerledigt geblieben. 

Bei Embryonen, deren Entwickelungsstadium sich zeitlich be- 
messen lässt, an der erfolgten Abschnürung des Kopftheils, dem bis 
in den Caudaltheil reichenden Verschluss der Medullarrinne und der 
Anlage von 16--18 Urwirbeln, tritt zuerst, wie Querschnitte lehren, 
im Bereich des 12.—14. Urwirbels die von Remak als Mittelplatte 
bezeichnete Zellengruppe auf. Dieselbe scheidet hier das Mesoderm 
in einen centralen — der Urwirbelanlage, und einen peripheren — den 
Seitenplatten entsprechenden Antheil und bildet, die letzteren ver- 
bindend, einen gegen die Axe (des Embryo gerichteten convexen Bogen. 
In dieser durch die Mittelplatte begrenzten Region des Embryo 
trifft man, in der Ausdehnung von 2—3 mikroskopischen Quer- 
schnitten, an der Uebergangsstelle der Mittel- in die äussere Seiten- 
platte, auf eine gleichsam durch Faltung dieser Theile gebildete Aus- 
stülpung der ‚Pleuroperitonealspalte, welche durch alle Stadien der 
Entwickelung die Grenzen ihres ersten Auftretens nicht überschreitet. 

Die vollkommene Indifferenz der die Ausstülpung begrenzenden 
embryonalen Zellen gestattet zu dieser Zeit noch keine morpholo- 
gische Orientirung und erst aus nachfolgenden Entwickelungsstadien 
lässt sich auf die Betheiligung der Ausstülpungen an der Bildung 
der Urogenitalorgane schliessen. Durchmustert man hei Fm- 


570 Alexander Schultz: 


bryonen, deren Medullarrinnen durchweg geschlossen und deren Ab- 
schnürung vom Dotter allseits stattgefunden, die von der ebenbe- 
zeichneten Region caudalwärts geführten Querschnitte, so überzeugt 
man sich von dem unmittelbaren Uebergange der Ausstülpungen in 
solide Zellenstränge, die bekannten ersten Anlagen der Urnieren- 
gänge. Gleichzeitig mit dem Auftreten der Zellenstränge beginnt 
an einem Theil der die Pleuroperitonealspalte begrenzenden Zellen 
eine epitheliale Umwandlung, deren grösste Verbreitung auf dem 
Querschnitt einer halbmondförmigen Linie entspricht, welche median- 
wärts von der Mitte der visceralen Seitenplatte über die Mittelplatte 
verläuft und mit ihrem kürzeren Schenkel um ein geringes auf die 
äussere Seitenplatte übergreift. In dem Maasse, wie die Mittelplatte 
sich bei fortschreitendem Wachsthum caudalwärts ausbreitet, nimmt 
ın gleicher Richtung auch die epitheliale Bekleidung der Peritoneal- 
höhle an Längsausdehnung zu, während der Quere nach das Epithel 
überall die oben bezeichneten Grenzen der halbmondförmigen Linie 
einhält und auch in der Folge nicht auf andere Theile des Perito- 
neums sich ausbreitet. Ist nunmehr die Anlage des Urnierenstranges 
im Verlauf der ganzen Leibeshöhle erfolgt, so tritt zunächst in der 
Umgebung der Ausstülpung eine vom Mesoderm ausgehende Zellen- 
vermehrung auf, welche caudalwärts sich fortsetzend den Urnieren- 
strang umwächst und denselben allmählich in die Peritonealhöhle 
vordrängt; es bildet sich dadurch ein in letzteren hineinragender, 
den Urnierenstrang bergender Zellenwall. Der bisher solide Zellen- 
strang wandelt sich zum Urnierengang in der Weise um, dass von 
der Ausstülpung her und in continuirlichem Zusammenhang mit 
dessen Epithel die centralen indifferenten Zellen des Stranges eine 
epitheliale Umwandlung erfahren und durch eine kreisförmige An- 
ordnung die Bildung eines Lumens bedingen. 

Von nun ab treten der den Urnierengang bergende Zellenwall 
und der oben erwähnte epitheliale Beleg der Peritonealhöhle in 
eine beständige Beziehung zu der Entwickelung des keimbereitenden 
Örganes, so dass wir in der Folge diese Gebilde, nach dem Vor- 
gange Waldeyer’s, als Keimwall und Keimepithel bezeichnen 
können. 

Während dieser Vorgänge haben wir an dem Embryo das 
successive Auftreten von sechs Kiemenspalten !), die Differenzirung 


1) Sieht man von der zum Spritzloch redueirten ersten Kiemenspalte 


Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. 571 


eines Theiles des Darmrohres zum Spiraldarm und die Bildung der 
Leber, welche nunmehr den ganzen vordern und mittlern Abschnitt 
der Leibeshöhle ausfüllt, zu verzeichnen. An dieses Stadium der 
embryonalen Entwickelung knüpft sich das Erscheinen eigenthüm- 
licher Gebilde, welche bei Wirbelthieren bisher von Semper!') an 
Haien und von mir ?2) an Rochen beobachtet worden sind, ich meine 
die Segmentalorgane. Diese Organe betheiligen sich jedoch nur 
mittelbar an der Bildung der Keimdrüse als keimbereitenden Organs, 
daher ich mich hier auf die Schilderung dieser ihrer Beziehungen 
beschränke. 

An dem medialen Rande des Keimwalles zu beiden Seiten des 
Mesenterium wuchert das Keimepithel dorsalwärts in den Wall und 
bildet eine Reihe von Hohlsprossen, welche mit einer trichterförmigen 
Mündung beginnend den Urnierengang im Bogen umziehen und mit 
erweitertem kolbenförmigen Grunde enden. Durch diese Hohlsprossen 
wird der Keimwall seiner Länge nach in einen medialen und late- 
ralen Abschnitt getheilt. Während Letzterer den Urnierengang um- 
schliesst, wird der mediale, jetzt von einem mehrschichtigen Epithel, 
in welchem zerstreut auch grössere, den spätern Keimzellen ähn- 
liche Gebilde sichtbar werden, überzogene Abschnitt zur morpholo- 
gischen Grundlage für die Keimdrüse. 

Gleichzeitig mit der Bildung der Segmentalorgane wachsen von 
der dorsalen Wand des Urnierenganges Hohlsprossen gegen die Seg- 
mentalorgane und vereinigen sich schliesslich mit ihnen. Beide Arten 
von Hohlsprossen vertheilen sich auf 32 bei Torpedo der Leibes- 
höhle entsprechende Wirbelsegmente, in der Weise, dass beider- 
seits je ein Segmentalorgan von der vordern und je eine Hohlsprosse 
des Urnierenganges von der hintern Grenze des Wirbelsegments 
dorsalwärts zum Glomerulus verlaufen. Nach erfolgter Vereinigung 
der Hohlsprossen beginnt das Epithel der Segmentalorgane von der 
Peritonealhöhle her zu schwinden und es verschmelzen die trichter- 


ab, so erhalten sich die fünf übrigen durch alle Stadien der Entwickelung, 
ein Verhalten, welches für Torpedo nicht den Angaben Wyman’s von 
dem Vorkommen einer vorübergehenden Kiemenvermehrung bei Rochenem- 
bryonen entspricht. Siehe Gegenbaur, Das Kopfskelet der Selachier u. s. w. 
Leipzig 1870 pag. 18. 

1) C. Semper Centrabl. f. med. Wiss. 1874 Nr. 35. 52. 

2) A. Schultz Centrabl. f. med. Wiss. 1874 Nr. 51. 


5723 Alexander Schultz: 


förmigen Zugänge derselben bis zur kolbenartigen Erweiterung, deren 
Epithel erhalten bleibt und zum Ausgangspunct von epithelialen 
Bildungen der Urniere wird. 

Mit dem Schwunde der abdominalen Mündungen der Segmen- 
talorgane wird für den grössten Theil des Keimwalles die Scheidung 
in einen medialen und lateralen Abschnitt hinfällig. Nur in seinem 
vorderen Theile bleibt der mediale Abschnitt nebst den dazu gehö- 
rigen Segmentalorganen erhalten und bildet sich zur Keimdrüse aus. 
Letztere kann demnach als reduzirter Theil des medialen, früher 
die ganze Leibeshöhle des Embryo durchziehenden Abschnittes des 
Keimwalles angesehen werden. 

Die hier noch erhaltenen Segmentalorgane bilden die laterale 
Begrenzung der Keimdrüse und münden in die IHohlsprossen des 
Urnierenganges, um im spätern Verlaufe der Entwickelung zu Vasa 
efferentia oder auch zu den resp. rudimentären Organen des Ovarium 
zu werden, Vorgänge, welche als zur Bildung der keimleitenden 
Theile gehörig, hier nicht weiter verfolgt werden sollen. 

Unter Vermehrung der Stromazellen wächst der nunmehr als 
Keimdrüse anzusprechende Abschnitt des reduzirten Keimwalles in 
die Leibeshöhle hinein und lagert hier in einem seiner Grösse ent- 
sprechenden Ausschnitt der hintern oder obern Leberfläche. Das 
Keimepithel schwindet an dem ganzen medialen Theil der Keimdrüse 
und nur an der freien, von der Leber nicht umschlossenen lateralen 
Fläche wird dieselbe jetzt von einem einschichtigen kurzeylindrischen 
Epithel überzogen, in dessen Mitte die Differenzirung zu bleibenden 
Keimzellen, im Gegensatz der schon früher überall im Keimepithel 
auftretenden und wieder schwindenden grosskernigen Gebilde, beginnt. 
Bei Embryonen von 2 Cm. Länge ragt die Keimdrüse auf 0,2 M. 
in die Leibeshöhle hinein, während sie nach oben durch eine 0,25 M. 
messende Basis mit der Leibeswand verbunden bleibt. Das Drüsen- 
stroma erhält durch Umwandlung der embryonalen Zellen einen 
bindegewebartigen Character und in dem der Markmasse entspre- 
chenden Centrum der Keimdrüse bildet sich ein reticuläres, dem Ge- 
fässsystem zugehöriges Gewebe. Gegen das Ende der intrauterinen 
Entwickelung schnürt sich die Keimdrüse mehr und mehr von der 
Leibeswand ab und bleibt schliesslich nur durch die in den Hilus 
tretenden Gefässe mit derselben verbunden. Die mediale, der Leber 
zugekehrte Fläche der Keimdrüse verwächst durch ein lockeres 
Bindegewebe mit dem Leberüberzuge, welch’ letzterer noch um ein 


Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. 573 


Geringes über den Drüsenrand hinüberreicht und an der Grenze des 
auf der lateralen Keimdrüsenfläche beginnenden Epithels endet. 
Innerhalb des die laterale freie Drüsenfläche bedeckenden Keimepi- 
thels schreitet die bereits früher begonnene Differenzirung einzelner 
Zellen fort und erreichen dieselben allmählich eine Grösse von 
0,035 Mm.; ihr Kern nimmt eine bläschenartige Form an und füllt 
nahezu die ganze Zelle aus. Diese ihrer spätern Beziehung wegen 
als bleibende Keimzellen zu bezeichnende Gebilde, ruhen, wie das 
Keimepithel, unmittelbar dem Stromagewebe auf, welches selbst am 
Rindentheil der Drüse nirgends eine Gewebs-Verdichtung erkennen 
lässt, die etwa als albuginea zu deuten wäre. Die dem geschlecht- 
lich noch indifferenten Zustande der Keimdrüse entsprechenden Ver- 
hältnisse erhalten sich bei Torpedoembryonen ungemein lange, denn 
die Differenzirung der Keimdrüse zum Eierstock beginnt erst zu 
Ende des intrauterinen Entwickelungsstadiums, gleichzeitig mit der 
Pigmentirung des Integumentes und ist erkennbar an der folliku- 
laren Anordnung der Keimzellen, dem Offenbleiben des Urnierenganges 
und dem Mangel der Anlage sog. Haftorgane. Die Bildung der 
Eifollikel schliesst bei Torpedo nicht mit der intrauterinen Entwicke- 
lung ab, sondern dehnt sich noch auf die postembryonale Periode 
aus und gestatten selbst an monatealten Individuen einen Einblick 
in alle Entwickelungsstadien der Ei- und Follikelbildung. 

Die vorher als indifferente Keimzellen bezeichneten grossker- 
nigen Gebilde werden bei beginnender geschlechtlicher Differenzirung 
der Keimdrüse zum Eierstock von dem zunächst gelegenen Keim- 
epithel kapselartig umfasst und können von jetzt an als Eizellen 
betrachtet werden. In dieser gleichsam follikulären Form rücken 
die Eizellen allmählich in das darunter liegende Stroma und ziehen 
das den Eierstock bekleidende Keimepithel schlauchförmig nach sich. 
Bisweilen rückt noch eine zweite Eizelle mit dem Epithel in die 
Einstülpung, entwickelt sich hier weiter und bietet alsdann Verhält- 
nisse dar, wie dieselben von Pflüger bei Säugethierovarien ge- 
funden worden sind. Gegen die Mündung der schlauchförmigen Ein- 
stülpungen hin schieben sich die gegenüberstehenden Epithelzellen 
übereinander und bringen dadurch den Abschluss der Einstülpung 
zu Stande. Später dringt von den Seiten her das Stromagewebe 
zwischen Eizelle und Ovarialrand vor und schnürt unter gleichzei- 
tigem Zerfall der den Schlauch abschliessenden Epithelzellen den 
Eifollikel ab. 


574 Alexander Schultz: 


Von allen nunmehr den Follikelinhalt bildenden Theilen erleidet . 


zu dieser Zeit das die Eizelle umhüllende Keimepithel die wesent- 
lichste Veränderung. 

Von vorne herein bilden diese zu 0,012—0,018 Mm. Grösse heran- 
gewachsene, durch bläschenförmigen homogenen Kern und fettglän- 
zendes Kernkörperchen sich auszeichnende Keimepithelzellen die ein- 
zige Hülle der Eizelle, jedoch bereits bei Follikeln von 0,08 Mm. 
Grösse treten neben diesen eigentlichen Granulosazellen, bedeutend 
kleinere, auf, welche ihren morphologischen Eigenschaften nach 
. vollkommen mit den das Ovarialstroma durchsetzenden Iymphoiden 
Zellen übereinstimmen. Anfangs nur in geringer Zahl, umgeben sie 
später allerseits die Granulosazellen und bilden um dieselben gleich- 
sam kapselartige Hüllen. Ein Einwandern der Iymphoiden Zellen 
in die Granulosazellenschicht ist um so wahrscheinlicher, als während 
dieses Stadiums der Follikel noch nicht gegen das umgebende 
Stroma durch die erst später sich bildende Gefässchicht abge- 
grenzt wird. 

Sind einmal die Follikel zu 0,1—0,15 Mm. angewachsen, so 
beginnt die bisher regellose Anordnuug der Granulosa- und lym- 
phoiden Zellen einer gleichmässigenVertheliung derselben um die Ei- 
zelle Platz zu machen. Auf Durchschnitten der Follikel erscheinen 
alsdann die Iymphoiden Zellen in radiärer Richtung palissadenartig 
zwischen Follikelwand und Eizelle gelagert, abwechselnd bald mit 
ihrer breiten, den Kern führenden Basis, bald mit schmalem proto- 
plasmatischen Ausläufer gegen die Eizelle gekehrt. Zwischen diesen 
Zellen und von ihnen umschlossen liegen in gleichen Abständen die 
Granulosazellen. | 

Während beide Arten von Zellen mit der innern, als Gefäss- 
schicht zu bezeichnenden Follikelwand in keiner continuirlichen 
Verbindung stehen, gehen insbesondere die Iymphoiden, an ihren 
der Eizelle zugekehrten Theilen in eine homogene, cuticuläre Schicht 
über und bilden hier ein dem Chorion morphologisch gleichwerthiges 
Gebilde. 

Ueber die Beziehungen der Follikelzellen zu der homogenen 
Schicht belehren am besten lebensfrische Objecte. Sticht man einen 
der kleineren Follikel an, so sieht man auf das Deutlichste beim 
Ausfliessen des Eizelleninhaltes die schroffe Abgrenzung des letzteren 
gegen die homogene Schicht hin, zu welcher das Eiprotoplasma 
weder jetzt noch später in eine morphologische Beziehung zu bringen 


a 


Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. 575 


ist; dahingegen bleibt die homogene Schicht in dem engsten Zu- 
sammenhang mit den Follikelzellen, welche überall ganz erhalten 
oder als Zellenreste derselben anhaften. Bei durch Druck miss- 
handelten Objeeten erscheint der äussere Rand der homogenen 
Schicht gleichsam hohlsägeförmig gezackt, wobei die Iymphoiden 
Zellenreste den Zähnen entsprechen, in deren Zwischenräumen die 
grossen Granulosazellen lagern. Auch letztere haften, wie bei ganz 
frischen Objeeten nachweisbar, mit Protoplasmafortsätzen an der 
homogenen Schicht und scheinen selbst. mit derselben zu verschmelzen, 
ohne jedoch innerhalb derselben sich zu differenziren; auch mit den 
stärksten optischen Hülfsmitteln gelingt es nicht, innerhalb der 
homogenen Schicht Struktureigenthümlichkeiten nachzuweisen, wie 
solche an diesem Theil der Eizelle bei den meisten Thierclassen, 
und selbst bei Rochen (Raja batis) als radiäre Streifung oder poren- 
artige Durchbrechung angetroffen werden )). 

Hat schliesslich die Eizelle ihre volle Reife erreicht und nähert 
sich der Follikel dem Stadium der Berstung, so wandeln sich die 
Iymphoiden Zellen nebst homogener Schicht in Bindegewebe um, 
in dessen Lücken die Granulosazellen noch erhalten bleiben, um 
endlich auch ihrerseits durch fettige Degeneration zu Grunde zu 
gehen. Nur an einer einzigen Stelle, welche der ganzen Ausdeh- 
nung der Keimscheibe entspricht, bleiben Follikelzellen und homo- 
gene Schicht bestehen, und erhalten sich unverändert bis zur Ber- 
stung des Follikels; von diesem Theile stammen auch die Granulosa- 


1) Bei den Haien folgt, wie ich mich an Follikeln von Acanthias, 
Seymnus und Mustelus überzeugen konnte, auf eine breitere, vollkommen ho- 
mogene, mit dem Follikelepithel zusammenhängende Schicht eine schmälere 
sogenannte Zona radiata, deren Rand gegen die Eizelle scharf abgegrenzt er- 
scheint. Die Poren dieser cuticulären Zona werden von Protoplasmafort- 
sätzen durehsetzt, welche von der homogenen Schicht zum Eiprotoplasma 
vordringen und mit demselben verschmelzen. Diese über den Rand der Zona 
hinausreichenden Fortsätze werden leicht durch Druck abgelöst und erscheint 
alsdann die Eizelle vollkommen getrennt von der Eihaut, was jedoch der 
Wirklichkeit nicht entspricht. Somit hätten wir, soweit unsere Beobachtungen 
reichen, bei Selachiern folgende Zustände des Follikelepithels zu unterscheiden : 
a) embryonales Stadium der Selachier — einfaches Epithel; b) Torpedo-Epi- 
thel mit homogenem Basalrand; c) Raja-Epithel mit homogenem von Poren 
durchbrochenen Basalrand; d) Squalida-Epithel mit breitem homogenen und 
schmälerem porendurchbrochenen Basalrand. 


576 Alexander Schultz: 


zellen, welehe man bisweilen auf dem äusgetretenen und innerhalb 
des leeren Follikels antriftt. 

Verlässt nun das Ei den Follikel oder kommt es zur Resorp- 
tion des immerhin reifen, jedoch nicht aus dem Eierstock getretenen 
Eis, so bedeckt sich das zu Bindegewebe gewordene Chorion, gegen 
die Follikelhöhle oder den Dotter zu mit neuen Iymphoiden Zellen, 
die vollkommen mit den zuerst zwischen den Granulosazellen auf- 
tretenden übereinstimmen, und bildet mit der Gefässschicht der Fol- 
likelwand eine Anzahl Falten, welche in die Follikelhöhle oder den 
zu resorbirenden Dotter dringen. Durch letzteren Vorgang erhält 
das Ei ein den Gehirnwindungen ähnliches Aussehen und erinnert 
alsdann an das von Leydig vom Ei des Trygon pastinaca ent- 
worfene Bild. 

Wenden wir uns jetzt, nachdem wir die wichtigsten Entwicke- 
lungsvorgänge an den Follikelzellen und dem Chorion kennen ge- 
lernt, dem durch die Eizelle selbst gebildeten Theil des Follikel- 
inhaltes zu. Wie wir im Vorgehenden gezeigt, wird die Eizelle 
äusserst kleiner Follikel von den dieselbe umgebenden Granulosa- 
und Iymphoiden Zellen durch das schon früh hier auftretende 
Chorion geschieden, somit ein unmittelbarer Contact dieser Zellen 
mit der Eizelle nur auf das früheste Entwickelungsstadium des Fol- 
likels beschränkt bleibt und daher auch von keinem durchgreifenden 
Einfluss auf das weitere Schicksal der Eizelle sein kann. Die kleinsten 
einer Beobachtung zugänglichen Eizellen bestehen aus einem blass- 
körnigen dem gewöhnlichen Zellenprotoplasma ähnlichen Inhalt, einem 
ebenfalls schon frühe excentrisch nahe der Peripherie gelegenen 
Keimblässchen nebst constant einfach vorkommendem Keimfleck. 
In dem blasskörnigen Eizellenprotoplasma trifft man bereits bei den 
Jüngsten Follikeln auf moleculäre, undurchsichtige Gebilde, welche 
in dichter Masse das Keimblässchen halbmondförmig umgeben und 
ihrem optischen Verhalten nach mit den spätern Dotterelementen über- 
einstimmen. Neben diesen Gebilden kommen bei etwas grösseren 
Follikeln durch das ganze Eizellenprotoplasma vertheilt, vollkommen 
homogene und durchsichtige Kugeln von fettartiger Consistenz vor, 
welche ihrer bekannten chemischen Zusammensetzung nach als Ei- 
weisskugeln bezeichnet werden. Unter steter Mengen- und Grössen- 
zunahme dieser den Eiimhalt bildenden Elemente beginnt bei 2—3 
Mm. grossen reifenden Eizellen eine Trübung der bisher vollkommen 
durchsichtigen Eiweisskugeln, welche mit ihrer Umwandlung in Dotter- 


Zur Entwickelungszeschichte des Selachiereis. 577 


plättchen ihren Abschluss findet. Gleichzeitig mit dieser Umwandlung 
schwinden auch die, vorherrschend in dem die Eiweisskugeln be- 
grenzenden Protoplasma lagernden Dottermoleküle und Körner, so 
wie ihre mannichfaltigen Uebergangsformen zu den Dotterplättchen. 

Bei der weiteren Verfolgung der Entwickelungsvorgänge und 
insbesondere der Beziehungen jener eben erwähnten Elemente zum 
ganzen Eizelleninhalte reichen die frischen Follikeln entnommenen 
Objecte nicht aus; es bedarf für diesen Zweck der Zuhülfenahme 
von Bildern, wie sie nur Durchschnitte künstlich erhärteter Eier zu 
liefern im Stande sind '). 

Durchschnitte reifender Eizellen von 1 Cm. aufwärts weisen 
eine nicht unwesentliche Differenz in der Anordnung und Grösse 
der Dotterelemente anf. In einer etwa den zehnten Theil der Eier 
betragenden Ausdehnung lassen sich central die verhältnissmässig 
kleinsten Dotterelemente antreffen, dieselben bilden gleichsam einen 
Kern, von welchem aus gegen die Eiperipherie zu die Dotterplättchen 
an Grösse zunehmen. Ist die Eizelle in der Entwicklung mehr vor- 
geschritten, so folgt auf die grössten Dotterplättchen eine äusserste 
an das Chorion grenzende Schicht mannichfaltiger Uebergänge zu 
molekulären Dotterelementen welche wie wir aus Nachfolgendem er- 
sehen werden, als morphologische Rückbildungszustände des Dotters 
aufzufassen sind. Dieser Vorgang beginnt an den grössten gegen 
die Eiperipherie zu gelegenen Dotterplättchen in der Weise, dass 
anfangs an ihrer bisher glatten Oberfläche Einkerbungen und Risse 
auftreten, welche tiefer dringen und Zerklüftungen der Dotterplätt- 
chen veranlassen; noch andere dieser grossen Dotterplättchen füllen 
sich mit körnigem Inhalt, schmelzen, zerfallen und bilden schliess- 
lich jene vorhin erwähnte moleculäre, an das Chorion grenzende 
Schicht. 

Als eine Eigenthümlichkeit des Torpedoeis verdient ferner die 
Vertheilungsweise des Eiprotoplasma innerhalb der Eizelle einer 
besonderen Erwähnung. AnEiern von etwa 5 Mm. Grösse, bei kaum 
beginnender Trübung ihres Inhaltes, werden in der Randzona eine 
Reihe von radiären, zum Centrum hin gerichteten strahlenförmigen 


1) Es gelingt nicht immer Eier von so ansehnlicher Grösse wie dieje- 
nigen des Torpedo gleichmässig zu härten. Aus diesem Grunde habe ich 
mich bei der Herstellung von Untersuchungsobjecten mit Vortheil der Ge- 
frierungsmethode bedient und hinterher das Ei in beliebigem Segment der 
Einwirkung von Chromsäure oder auch Osmiumsäure ausgesetzt. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11, 39 


578 Alexander Schultz: 


Protoplasmastreifen sichtbar. Bei stärkerer Vergrösserung erweisen 
diese Streifen sich als keilförmige, mit der Basis zur Peripherie ge- 
richtete Stränge, welche aus einem blass-körnigen Protoplasma be- 
stehen, das jedoch in keinem Theile zellenähnliche Gebilde aufweist. 
Ausser in diesen Strängen bleibt das Eiprotoplasma noch in der 
Randzone der Eizelle erhalten als protoplasmatisches Maschennetz, 
in welches die peripheren Dotterelemente eingelagert sind und welches 
sich durch alle Stadien der Entwickelung erhält. Das Protoplasma 
der keilförmigen Stränge und dasjenige des Maschennetzes stehen 
im Zusammenhange und bilden ein gleichsam die Dotterelemente 
verbindendes und stützendes Gerüste, welches möglicherweise die 
dem Torpedoei fehlende Dotterhaut ersetzt. Vergebens habe ich 
für diese Eigenthümlichkeiten des Torpedoeis Anknüpfungspunkte 
an bereits Bekanntes gesucht. Stimmen auch die von Eimer bei 
Reptilien gefundenen Verhältnisse mit den oben bezeichneten bei 
oberflächlicher Betrachtung überein, so fehlt ihnen doch anderer- 
seits die genetisch zu begründende Analogie. So z. B. leitet Eimer 
die protoplasmatischen Streifen des Reptilieneidotters von dem die 
Eihäute durchdringenden Protoplasma der Granulosazellen ab, was 
für das Torpedoei absolut in Abrede gestellt werden muss. 
Endlich haben wir noch eines, wenn auch nicht sehr ausge- 
breiteten Abschnittes der Eizelle zu erwähnen, in welchem das Ei- 
protoplasma erst spät der Dotterbildung Platz macht. Dieser Ab- 
schnitt entspricht der Keimanlage. Bei Eiern von 1 Cm. Grösse 
und auch darunter findet man eine bis zum Centrum reichende Proto- 
plasmamasse mit nur sparsamen Dotterelementen, welche das peri- 
pher gelegene Keimbläschen in sich aufnimmt. Alsbald jedoch greift 
die Dotterbildung auch auf diesen Theil des Eiinhaltes über und 
breitet sich vom Centrum beginnend zum Keimbläschen hin aus. Wir 
müssen uns hier gegen die Annahme verwahren, als bilde dieser 
Theil des Eiprotoplasma etwas morphologisch vom übrigen Ei- 
inhalte streng zu scheidendes. Verfolgt man den Hergang der Keim- 
bildung durch das ganze Eiwachsthum, so überzeugt man sich leicht, 
dass die Uebergänge der Dotterbildung auch in jene Protoplasma- 
masse hinein sich verfolgen lassen, und kann daher dasjenige, was 
im reifen Ei als Keimscheibe bezeichnet wird, nur als derjenige 
Abschnitt des Dotters betrachtet werden, welcher sich durch ver- 
hältnissmässig kleine Dotterelemente von dem übrigen Eiinhalte 
unterscheidet, ohne jedoch zu letzterem unvermittelt dazustehen, 


> ee 


Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. 579 


Die scheinbare Grenze der ausgebildeten Keimscheibe wird durch 
eine relativ schmale Schicht gebildet, innerhalb welcher der Ueber- 
gang von grossen zu den kleinen Dotterelementen stattfindet; ein 
Verhältniss, welches bei geringen Vergrösserungen hier eine Trennung 
des Dotters vortäuscht. Ebenso scheinbar sind die Grenzen der 
wulstartigen Ränder der Keimscheibe, deren Dotterelemente jedoch 
weniger schroffe Uebergänge aufweisen und daher ihr morphologischer 
Zusammenhang mit dem angrenzenden Eiinhalt leichter nachweis- 
bar ist. 

Das Keimbläschen des Torpedoeis bietet wenig Bemerkenswer- 
thes. Dasselbe stellt in allen Entwickelungsstadien ein vollkommen 
homogenes und durchsichtiges, von einer derben Membran umschlos- 
senes Gebilde dar, welches im reifen Ei eine Grösse von 0,355 Mm. 
erreicht. Das stets nur einfach vorhandene, fettglänzende und ex- 
centrisch gelegene Kernkörperchen (Keimfleck) wird 0,01 Mm. gross 
und schwindet bereits bei 0,5 Mm. messenden Eizellen. Das als 
Schrön’sches Körnchen bekannte Gebilde im Keimfleck wird nicht 
constant angetroffen. 

Was den Schwund des Keimbläschens selbst betrifft, so ist es 
mir nicht gelungen, denselben an einer zusammenhängenden Reihe 
von Objeeten, wie solches beispielsweise von Oellacher beim Fo- 
rellenei geschehen, nachzuweisen. Von vereinzelt bei Torpedo an- 
getroffenen Bildern will ich, angesichts eines möglichen Irrthums, 
ganz absehen und zu Gunsten der Wahrscheinlichkeit eines gänz- 
lichen Keimbläschenschwundes innerhalb des Eierstockes nur fol- 
gende Beobachtung heranziehen. Nicht gerade selten trifft man zur 
Zeit der Follikelberstung und des Eiaustritts bei Torpedo vollkom- 
men reife Eier innerhalb der Peritonealhöhle, welche somit nicht 
den Eileiter erreicht haben und hier mit der Zeit resorbirt werden. 
Bei diesen Eiern, auf deren soeben erfolgten Austritt aus dem Fol- 
likel der gleichzeitige Zustand der übrigen in den Eileiter gelangten 
Eier hinweist, habe ich nie die Spur eines Keimbläschens auffinden 
können und scheint mir dieses Verhalten immerhin als indirecter 
Beweis für das Schwinden des Keimbläschens vor beginnender Fur- 
chung des Keims herangezogen werden zu dürfen. 

Hiermit schliesse ich meine Mittheilung über die Entwicke- 
lungsvorgänge des Torpedoeis innerhalb des Follikels und füge nur 
ergänzend noch hinzu, dass das Ei in dem im Vorhergehenden be- 
schriebenen Zustande und ohne Eihülle den Follikel verlässt und 


580 Alexander Schulz: 


mit Hülfe der insbesondere an der vorderen peritonealen Bauchwand 
reich entwickelten Flimmerzellen der Tubenöffnung zugeführt wird 
und erst innerhalb des Eileiters durch die Eiweissdrüsen einen Ueber- 
zug erhält, der als secundäre Eihaut angesehen werden kann. 

Befruchtung und Furchung der Eizelle gehört ganz dem Ent- 
wickelungsvorgange innerhalb des Eileiters an und soll als Ausgangs- 
punkt einer nachfolgenden Mittheilung, über die Entwickelung des 
Torpedoembryo selbst, dienen. 

Genua, Januar 1875. 


Erklärungen der Abbildungen auf Tafel XXXIV. 


Fig. 1. Vergr. 40. Querschnitt durch die erste Anlage des Urnierenganges 
eines 3 Mm. grossen Embryo. 

Ex. Ektoderm. 
En. Entoderm. 

en a Seitenplatte. 
iS. innere 
m. Mittelplatte. 
U. Anlage des Urnierenganges. 
Ch. Chorda. 

Fig. 2. Vergr. 40. Ein folgendes Entwickelungsstadium, welches in A. B. 
C. und D. den Zusammenhang der Ausstülpung des Mesoderm mit 
dem Urnierengang darstellt. 

Fig. 3. Vergr. 40. Ch. Chorde. 

A. Aorta. 

V. Vena. 

U. Urnierengang bei T mit dem Peritonealraum commu- 
nieirend. 

K. Keimwall nebst Keimepithel. 

D. Darmdrüsenblatt. 

Fig. 4. Vergr. 40. Querschnitt durch die Segmentalorgane, welche beider- 

seits nicht in gleicher Höhe getroffen sind. 
S. Segmentalorgan. 
U. Urnierengang. 
Kw. Keimwall. 
Uw. Urnierenwall. 


Zur Entwickelungsgeschichte des Selachiereis. 581 


Fig. 5. Vergr. 40. Querschnitt durch den mittlern Theil der Leibeshöhle. 


Fig. 6. Vergr. 


M. Medullarröhre. 
Ch. Chorda. 
A. Aorta. 
U. Urnierengang. 
K. Keimwall mit mehrschichtigem Epithel. 
L. Hintere Leberspitze. 
SG. Spinalganglien. 
Sh. Spinalnerv. 
G. Glomerulus. 
DG. Dottergang. 
25. Querschnitt eines 2,5 Cm. grossen Embryo. 
Ch. Chorda. A. Aorta. V. Vena. 
L. Vereinigte Leberlappen. 
GD. Geschlechtsdrüse. 
S. Segmentalorgan. 
U. Urnierengang. 
Sp. Sprossen des Urnierenganges. 
K. Keimzellen. 
G. Glomeruli. 


Fig. 7. Vergr. 40. Durchschnitt durch das Ovarıum eines reifen Embryo, 
dessen Integument bereits pigmentirt ist. 


F. Eifollikel mit einer und Fx mit zwei Eizellen. 

K. Keimepithel. 

Ez. Eizelle, bei Kx vom Keimepithel umfasst. 

Ezx Eizelle mit geschrumpftem Protoplasma, welches sich von 
den Follikelzellen und Chorion zurückgezogen. 

D. Dotterelemente. 

Gr. Granulosazellen. L. Lymphoide Zellen. 

Kb. Keimbläschen. 

Kf. Keimfleck mit Schrön’schem Körnchen. 


Fig. 8 Vergr. 140. Durchschnitt durch ein reifendes Torpedoei, die Wachs- 
thumsverhältnisse des Dotters zeigend. 


Z. Follikelwand. G. Gefässschicht des Follikels. F. Follikel- 
zellen (Lymphoide u. Granulosezazellen). 

Ch. Chorion. 

M. Vom Eizellenprotoplasma gebildete Maschen, aus denen die 
Dotterelemente entfernt worden. 

C. D. und Dx Verschiedene Stadien des Wachsthums des 
Dotters, bei Dx in Zerfall begriffene Dotterelemente. 


P. Radiäre Protoplasmastränge. 


Fig. 9. Vergr. 25. Durchschnitt eines jungen Torpedoeis mit radiären Pro- 
toplasmastreifen. 


582 Alexander Schultz: Zur Entwickelungsgeschichte d. Selachiereis. 


Fig. 10. 


Kig:.1l. 


Durchschnitt durch die Keimscheibe eines der Reife nahen Folli- 
keleis. Die Keimscheibe ist bei einer Vergrösserung von 25 und 
die Dotterelemente bei 140facher gezeichnet. 

F. Follikelzellen nebst Chorion. 

K. Keimscheibe. 

KR. Keimrand nebst in den Eidotter ausstrahlendem Randwulst. 

D. Dotterplättchen, welche bei x in die Dotterelemente der 

Keimscheibe übergehn. 

Kb. Keimbläschen. 
Längsdurchschnitt durch einen 2 Cm. grossen Embryo, an welchem 
die Beziehungen der Segmentalorgane zu dem Urnierengang sicht- 
bar gemacht sind. Die durch punctirte Linien angegebenen Par- 
tien sind schematisch ergänzt worden. 

S. Segmentalorgane. 

U. Urnierengang. 

Us. Urnierensprossen. 

V. Verbindung der Urnierensprossen mit dem Segmentalorgan. 

G. Fortsetzung einer Sprosse zum Glomerulus. 


Rizopodenstudien. 


Von 


Franz Eilhard Schulze. 


V. 


Mastigamoeba aspera, nov. gen., nov. spec. 
Hierzu Taf. XXXV und XXXVI. 


Die Reihe der bisher geschilderten neuen oder wenig bekannten 
Rhizopoden will ich jetzt mit einer Form vorläufig abschliessen, 
welche neben unzweifelhaften Pseudopodien auch eine wohlentwickelte 
Geissel besitzt und daher ein Verbindungsglied zwischen den Rhizo- 
poden und den Flagellaten darzustellen scheint. Freilich hat ınan 
eine derartige Verbindung in anderer Weise schon mehrfach in 
solchen Wesen realisirt gefunden, welche, wie manche Monaden Cien- 
kowsky’s, zu Zeiten Pseudopodien, zu anderen Zeiten Geisseln be- 
sitzen, doch hat natürlich das Nebeneinander echter Pseudopodien 
und einer wahren Geissel an demselben Thiere noch eine andere 
Bedeutung. 

Die einzige Notiz, welche ich in der mir zugängigen Litteratur 
über ein sowohl Pseudopopien als auch eine Geissel zeigendes Wesen 
antraf, und welche sich sogar möglicherweise auf das nämliche 
Thier bezieht, welches ich studirt habe, findet sich in dem schon 
früher erwähnten Aufsatze von Carter, On freshwater rhizopoda of 
England and India in den Annals of natural history, 1864. Dort 
beschreibt Carter unter dem Namen Amoeba monociliata einen bei 
Bombay im Süsswasser gefundenen Rhizopoden ganz kurz als: »po- 
lymorphic, charged with granules, possessing a single large cilium 
and villi on the posterior extremity; locomotion reptant«; und giebt 
dazu zwei offenbar ganz schematische Abbildungen, Pl. II 19. a u. b. 


584 Franz Eilhard Schulze: 


In einer dieser einfachen Darstellung beigefügten Bemerkung 
erwähnt Carter, dass er überhaupt nur ein Exemplar dieses eigen- 
thümlichen Thieres und dieses auch nur kurze Zeit zu beobachten 
Gelegenheit hatte, dass er es desshalb unentschieden lassen müsse, 
ob die erwähnte Geissel zurückgezogen werden könne oder nicht. 
Schliesslich weist er noch auf die Möglichkeit hin, das seine »Amoeba 
monociliata« vielleicht nur eine Varietät von Podostoma filigerum 
Clap. et Lachmann (Etudes p. 441 pl. 21. Fig. 4—6) sein könne. 

Auch mit dem von Hertwig und Lesser in diesem Archiv, 
Supplementband 1874 p. 54 unter dem Namen Dactylosphärium vi- 
treum beschriebenen und daselbst auf Taf. II. Fig. 1 Aund1B 
abgebildeten Rhizopoden stimmt meine Mastigamoeba in manchen 
Punkten so sehr überein, dass man an eine Identität beider denken 
könnte, wenn nicht eben dort grade das Auffälligste und Interes- 
santeste unserer Form, nämlich die Geissel fehlte und auch noch 
einige andere Differenzen beständen, welche später besonders her- 
vorgehoben werden sollen. Würde ich nun auch auf jene letzteren 
allein wenig Gewicht gelegt haben nnd durchaus geneigt gewesen 
sein, sie auf die verschiedenartige Auffassung der Beobachter zurück- 
zuführen, so darf ich doch nicht annehmen, dass ein so auffälliges 
und interessantes Gebilde wie die Geissel von den genauen und 
scharfsichtigen Entdeckern des Dactylosphaerium vitreum sollte über- 
sehen sein. Aus diesem Grunde habe ich dem von mir aufgefun- 
denen Thiere einen besonderen Namen beigelegt, Mastigamoeba 
(7 ueorı$ die Geissel) aspera, welcher natürlich einzuziehen sein 
würde und der Bezeichnung Dactylosphaerium vitreum zu weichen 
hätte, wenn sich später vielleicht doch eine Uebereinstimmung beider 
herausstellen sollte. Von der Bezeichnung Garters, Amoeba mono- 
ciliata, liess sich der Gattungsname Amoeba nicht gut beibehalten, 
weil es, wie auch Hertwig und Lesser mit Recht hervorheben, 
durchaus nothwendig wird, den alten unklaren Sammelbegriff Amoeba 
in bestimmt zu characterisirende Gattungen aufzulösen. Zu einer 
Identifieirung der Art aber bot die von Carter gegebene allzu kurze 
Beschreibung keine genügenden Anhaltspunkte. 

Das von mir studirte, etwa !/ın Mm. Durchmesser zeigende 
Thierchen stammt aus einem der früher schon mehrfach erwähnten 
Bassins des botanischen Gartens des Joanneum in Graz und kam 
im Juli vorigen Jahres zur Beobachtung — jedoch nur in wenigen 
Exemplaren, welche zwischen lebhaft wachsenden, gesunden, grünen 


Rhizopodenstudien. 585 


Wasserpflanzen, Ceratophyllum, Conferven etc. angetroffen und mehrere 
Tage auf Objeetträgern in feuchter Kammer lebend erhalten wurden, 
ohne sich wesentlich zu verändern. 

Trotz der mannichfach wechselnden äusseren Gestalt des Körpers, 
welche wie bei den meisten Amöben in beständiger Wandelung zu 
sein pflegt, lässt sich doch eine gewisse Grundform, welche sehr 
häufig wieder erscheint, und am Längsten bewahrt wird, nicht ver- 
kennen. Dieselbe kann im Allgemeinen mit derjenigen einer hori- 
zontal liegenden Spindel verglichen werden, welche am einen Ende 
nur ganz leicht, am anderen stärker abgerundet, von oben und unten 
aber kuchenförmig abgeplattet ist. Von der Oberfläche des Körpers 
erheben sich, soweit sie nicht der Unterfläche aufliegt, zahlreiche 
fingerförmige Pseudopodien von der Länge des Körper-Durchmes- 
sers, welche gewöhnlich einfach, seltener an der Basis vereinigt 
sind, und mit einem abgerundeten, bisweilen auch etwas conisch 
verschmälerten, niemals aber fadenförmig oder ganz spitz auslaufenden 
Endtheile aufhören. Wenn nun auch die Stellung und Richtung 
dieser bald weit ausgestreckten, bald in den Weichkörper spurlos 
sich zurückziehenden Pseudopodien eine sehr wechselnde und im 
Einzelnen unbestimmte genannt werden muss, so lässt sich doch auch 
hierin eine gewisse Gesetzmässigkeit der Anordnung bemerken, welche, 
wenn man sie einmal beobachtet hat, meistens sehr deutlich hervor- 
tritt. Es finden sich nämlich bei der vorhin angegebenen Normal- 
gestalt des Thieres die fingerförmigen Pseudopodien auf der grade 
nach oben gewandten, also der Rücken-Fläche nur wenig entwickelt, 
werden dagegen an den beiden Seitenrändern und dem spitzeren, 
beim Kriechen stets nach vorne gewandten, sagen wir daher ein- 
fach vorderen Ende weit ausgestreckt. An dem hinteren breiter 
abgerundeten oder abgestutzten Ende bleiben diese fingerför- 
migen Körperfortsätze verhältnissmässig kurz und zeigen eine sehr 
merkwürdige später noch besonders hervorzuhebende Eigenthün- 
lichkeit. 

Dadurch nun, dass die bedeutenderen Pseudopodien sämmtlich 
von den beiden Seitenrändern und zwar annähernd rechtwinklig zur 
Oberfläche abstehen, und die dicht neben der vorderen Spitze be- 
findlichen sich schräge nach vorne und aussen richten, erhält der 
ganze Körper eine gewisse äussere Aehnlichkeit mit einem seitlich 
symmetrischen, mittelst lateraler Extremitäten kriechenden Thiere, 
welche natürlich ganz obertlächliche Aehnlichkeit noch dadurch er- 


586 Franz Eilhard Schulze: 


höht wird, dass grade in der Nähe der Vorderspitze die Pseudopodien 
annährend symmetrisch zu stehen pflegen. Taf. XXXV. Fig. 1. 

Es erscheint beachtenswerth, dass durch das Auftreten der 
Geissel an einer ganz bestimmten, beim Kriechen stets grade nach 
vorne gewandten Stelle bei diesem nackten Rhizopoden schon ein für 
die Grundform bestimmender ausgezeichneter vorderer Endpol und 
somit nicht allein eine bestimmte Hauptaxe, sondern sogar schon 
ein vorne und hinten gegeben ist, wie dies sonst erst bei den be- 
schaalten Rhizopoden, etwa Euglypha, der Fall ist. 

Eine Ausbildung bestimmter Queraxen scheint mir dagegen 
noch nicht vorhanden, noch weniger ein Unterschied zwischen Bauch- 
und Rückenfläche. Denn wenn auch ein solcher bei den kriechenden 
Thieren zu gewissen Zeiten besteht, so zeigt sich doch bei dem aus 
dieser Lage gebrachten, etwa dem sich wälzenden Thiere eben keine 
besondere Bauch- und Rückenseite markirt, sondern es treten die 
Pseudopodien ganz unregelmässig ziemlich überall hervor. Taf. XXXV. 
Fig. 2. 

Das bisher über die äussere Gestalt des Thieres Mitgetheilte 
lässt sich schon bei oberflächlicher Betrachtung desselben mittelst 
schwacher Vergrösserungen leicht wahrnehmen. Bei einer solchen 
weniger auf die Ermittelung der feineren Einzelheiten des Baues als 
auf die Gewinnung einer allgemeinen Uebersicht der Organisation 
gerichteten Untersuchungsweise lässt sich auch hinsichtlich der ganzen 
Constitution des Körpers schon ohne Weiteres erkennen, dass der- 
selbe aus einer stärker lichtbrechenden hyalinen farblosen Rinden- 
schicht, von welcher die Pseudopodien als directe Fortsetzungen aus- 
gehen und einem mehr dünnflüssigen, aber mit hell röthlich gelben 
Kügelchen und farblosen Körnchen reichlich durchsetzten Inhalte 
besteht. 

In diesem letzteren wird auch wie gewöhnlich bei den Amöben 
die aufgenommene Nahrung angetroffen, welche hier in der Regel 
aus einzelnen grösseren kugeligen Körpern, wahrscheinlich Algen 
besteht. 

Dagegen treten erst bei Anwendung stärkerer Vergrösserungen 
und bei einer sorgfältigen, auf das Einzelne gerichteten Durchforschung 
diejenigen Organisationsverhältnisse hervor, welche dieser Thierform 
so ein hervorragendes Interesse verleihen. 

Vor Allem ist es die schon oben erwähnte Geissel, welche jetzt 
deutlich erkannt werden kann und natürlich sofort die Aufmerksam- 


Rhizopodenstudien. 587 


keit des Beobachters auf sich zieht. Dieselbe stellt einen 0,06— 0,08 
Mm. langen, sehr feinen Faden, von gleichmässigem aber kaum be- 
stimmbaren Durchmesser und mässig starkem Lichtbrechungsver- 
mögen dar, welcher an einer ganz bestimmten Stelle der Oberfläche 
ohne eine Basalverbreiterung aus der hellen Rindenlage entspringt, 
und am äusseren Ende sich nicht etwa in eine feinste Spitze aus- 
zieht, sondern ohne Veränderung des Durchmessers wie quer abge- 
schnitten aufhört. Da bei den mannichfachen Bewegungen, den 
Form- und Lageveränderungen des Thieres die Ursprungsstelle der 
Geissel nicht immer an dem Profilrande liegt, so wird bisweilen die 
Beobachtung des ganzen Organes erschwert oder auch wohl zeit- 
weise verhindert. 
Indessen ist dies doch deshalb seltener, als man von vorne 
herein glauben möchte, der Fall, weil bei der schon oben angegebenen 
gewöhnlichen Lagerung des Körpers der Punkt, an welchem die 
Geissel entspringt, grade eine für die Beobachtung der letzteren ausser- 
ordentlich günstige Lage einnimmt. Derselbe befindet sich nämlich 
beim Kriechen des Thieres in der Mitte der nach vorne gerichteten 
Spitze, so dass die Geissel selbst gewöhnlich frei vor dem Vorder- 
rande in ganzer Ausdehnung zu sehen ist. Sie scheint ganz ähnlich 
wie bei einer kriechenden Euglena tastend vorausgestreckt zu werden 
und lässt dabei gewöhnlich ebenso schnell wechselnde als mannich- 
faltige und eigenthümliche Bewegungen wahrnehmen. Bald erscheint 
sie in ziemlich grader Linie in der Verlängerung der Axe des Thieres 
nach vorne gestreckt, bald in unregelmässigen Biegungen und Schlänge- 
lungen wie eine durch die Luft geschwungene Peitsche bewegt. Zu- 
weilen sieht man eine einfache Ausbauchungswelle von der Basis 
bis zum äussern Ende hinlaufen. Sehr häufig tritt auch eine Form 
der Bewegung auf, bei welcher eine oder mehrere hintereinander 
folgende, schräge oder fast quer gerichtete korkzieherartige Spiral- 
touren gebildet werden, welche vom Ursprungspunkte der Geissel 
bis zum freien Ende in immer neuer Folge wie fortschreitende 
Wellen fortlaufen, und dabei sehr eng und klein beginnend sich 
rasch erweitern. Bisweilen kann auch die Geissel in irgend einer 
Lage gleichsam wie ermüdet eine Zeit lang ganz regungslos ver- 
harren. Niemals aber konnte ich eine Verkürzung oder gar eine 
Einziehung derselben, ebensowenig eine Veränderung des Dicken- 
durchmessers, eine Theilung, Verästelung oder gar Körnchenströ- 
mung und dergleichen, was sich etwa auf eine Annäherung an das 


588 Franz Eilhard Schulze: 


Wesen von Pseudopodien beziehen liesse, beobachten. Es ist eben 
eine echte Geissel, wie solche bei den Flagellaten vorkommt, 
aber es ist auch sicher nur diese eine vorhanden. Trotz sorgfäl- 
tigen und lange fortgesetzten Suchens bei verschiedenen T'hieren ist 
es niemals gelungen, sei es an derselben Stelle, wo diese eine Geissel 
entspringt, noch irgendwo an der Körperoberfläche eine zweite zu 
entdecken. 

Eine andere, bei der Betrachtung des Thieres mit starken Ver- 
srösserungen sofort in die Augen fallende Eigenthümlichkeit unserer 
Mastigamoeba ist der Umstand, dass die Oberfläche zum bei Weitem 
grössten Theile mit ganz kleinen stäbchenförmigen, wohl am Besten 
mit gewissen Bacterien (etwa Bacterium termo) zu vergleichenden 
Gebilden von stärkerem Lichtbrechungsvermögen als die Rinden- 
masse selbst dicht besät ist. Diese kleinen Körperchen pflegen mit 
ihrer Längsaxe der Rindenoberfläche parallel zu liegen und scheinen 
an dieser gleichsam angeklebt zu sein. Seltener sieht man sie 
schräge oder gar senkrecht von derselben abstehen. Sie sind es, 
welche der Oberfläche des Thieres das eigenthümlich rauhe Ansehen 
geben, nach welchem ich den Speciesnamen aspera gewählt habe. 
Eigenthümlich ist ihr Verhalten an den Pseudopodien. So lange 
diese niedrig, flach abgerundet sind, erscheinen sie ebenso wie die 
dazwischen gelegene Körperoberfläche vorn mit zahllosen Stäbchen 
gleichmässig beklebt, je weiter sie aber sich ausstrecken, um so 
spärlicher werden gegen das freie Ende zu diese sonderbaren Körper- 
chen, bis sie endlich an den Endtheilen der ganz lang ausgestreckten 
Scheinfüsschen entweder gänzlich fehlen oder nur noch isolirt hie 
und da zu sehen sind. Es erscheint demnach das mehr oder minder 
iingerförmig abgerundete oder stumpf kegelförmig aufhörende Ende 
der Pseudopodien einfach glatt und hell, während der proximale 
Theil in einer je nach dem Grade der Ausstreckung wechselnden 
Ausdehnung das nämliche rauhe Aussehen hat, wie die übrige Körper- 
oberfläche des Thieres. 

Die Richtung der Stäbchen erscheint an den Pseudopodien im 
Allgemeinen parallel der Pseudopodien-Axe, an den zwischen den 
Pseudopodien befindlichen Körpertheilen dagegen durchaus unbe- 
stimmt und wechselnd. 

Wenn es sich etwa später doch vielleicht herausstellen sollte, 
dass das von Hertwig und Lesser beschriebene Dactylosphaerium 
vitreum mit unserer Mastigamoeba identisch ist, so würde die von 


Rhizopodenstudien. 389 


mir hier eben gegebene Darstellung der an der Oberfläche des 
Körpers und der Pseudopodien vorkommenden Rauhigkeiten von der 
Auffassung jener Beobachter beträchtlieh abweichen, welche in den- 
selben nicht wie ich kleine stäbehenförmige Körperchen von stär- 
kerem Lichtbrechungsvermögen, sondern eigenthümliche bewegungs- 
lose Protoplasmafortsätze oder Zöttchen sehen und sie dementspre- 
chend auch in der Zeichnung, 1. c. Taf. II Fig. 1.B, als blosse 
zackenförmige Fortsätze der hyalinen Rindenschicht darstellen. Hert- 
wig und Lesser sagen von diesen Bildungen ferner aus, dass sie 
»offenbar den schon öfter beschriebenen Zottenanhängen der Amö- 
ben sehr ähnlich, wenn nicht gleich« seien. Ich glaube nicht zu 
irren, wenn ich diese Vergleichung der genannten Autoren auf jene 
feinen spitzen radiär gestellten Fortsätze bezogen annehme, welche 
sich bei Amoeba princeps (villosa Carter) häufig an dem beim Krie- 
chen hinteren Ende beobachten lassen. Solche spitzen Fortsätze kom- 
men nun allerdings auch an dem hinteren Ende unserer Mastiga- 
moeba, wenn auch nicht so dicht gestellt wie bei Amoeba princeps 
(villosa) vor, sind aber von den die erwähnte Rauhigkeit verursa- 
chenden kleinen Stäbchen jedenfalls durchaus verschieden. Taf. XXXV. 
Fig. 1. Während beim lebhaften Vorwärtskriechen sich vorne und 
seitlich die fingerförmigen Pseudopodien weit ausstrecken, schrumpfen 
die am hinteren Ende befindlichen nach vorhergehender, oft plötz- 
licher Erschlaffung zu flachen Buckeln ein. Von diesen niedrigen 
und flach gewölbten Vorsprüngen des hintersten Körperendes sieht 
man nun (mit Hülfe starker Vergrösserungen) ausserordentlich feine, 
spitz auslaufende, radiär gerichtete Fortsätze abstrahlen, welche den 
bekannten Spitzchen am Hinterende von Amoeba princeps allerdings 
vollkommen gleichen aber keineswegs mit den oben beschriebenen 
Rauhigkeiten der übrigen Körperoberfläche zu verwechseln sind. 
Uebrigens stehen sie hier gewöhnlich nicht so dicht, wie bei jener 
Amöbe und sind ein wenig länger als dort. (Taf. XXXV. Fig. 1.) 
Nach dieser Beschreibung der äusserlich vorragenden Theile 
der Mastigamoeba aspera gehe ich zur Schilderung dessen über, 
was sich bei Anwendung starker Vergrösserungen von dem inneren 
Körperbau ermitteln liess. Dass die Körpersubstanz sich im All- 
gemeinen in zwei indifferente Partien, eine äussere hyaline zähflüs- 
sige Rindenschicht und eine von dieser umschlossene dünnflüssige 
Innenmasse, die von Körnchen und Kügelchen verschiedener Art 
reichlich durchsetzt ist, sondert, wurde schon oben erwähnt. Die 


590 Franz Eilhard Schulze: 


Breite dieser völlig glashellen, sehr contractilen Rindenschicht be- 
trägt im Durchschnitte eirca 0,005 Mm., kann aber in den verschie- 
denen Regionen etwas differiren. Gewöhnlich verläuft die Grenze 
zwischen ihr und der körnigen Binnenmasse (Endosarc) ohne Rück- 
sicht auf die Pseudopodien ungefähr parallel der Körperoberfläche; nur 
hie und da zieht sich das Endosare ein wenig in die Axenregion 
einzelner Pseudopodien hinein, Die Kügelchen und Körnchen, welche 
die an sich hyaliıne- und farblose, leicht bewegliche Substanz des 
Endosare durchsetzen, verdienen eine nähere Betrachtung. Ausser 
kleinen stark lichtbrechenden Körnchen verschiedenen Kalibers, wie 
sie ja in dem dünnflüssigen Innern fast aller Rhizopoden vorkommen, 
treten hier grössere Kügelchen bis zu 0,003 Mm. Durchmesser und 
darüber ‘auf, welche zum Theil ganz farblos und dann dunkel und 
scharf conturirt, zum Theil gelblich roth bis rothbraun gefärbt er- 
scheinen, und dem Endosare im Ganzen eine auffällige orangerothe 
Färbung verleihen. 

In der Nähe der Grenze zwischen Ektosarce und Endosare finden 
sich im letzteren eine oder zwei, selten mehrere mit heller Flüssig- 
keit erfüllte kuglige Vakuolen, welehe zwar nicht deutlich rhyth- 
mische Pulsationen zeigen, aber doch abwechselnd entstehen und 
wieder vergehen. Diese Vakuolen liegen übrigens stets im hinteren 
Körperende. Taf. XXXV. Fig. 1. 

Ganz besonderes Interesse muss aber ein jetzt zu beschrei- 
bendes Gebilde erregen, welches sich grade auf der Grenze zwischen 
Endosare und Ektosarc an dem beim Kriechen verschmälerten Vor- 
derende des Thieres dicht hinter dem Ursprunge der Geissel findet, 
ein Gebilde, welches zwar ohne Bedenken für den »Kern« erklärt 
werden kann, aber doch ganz auffallende Eigenthümlichkeiten zeigt. 

Aus dem vordersten Theile des körnigen Endosare ragt mit 
dem grössten Theile seiner Peripherie ein unregelmässig rundlich 
gestalteter, glatt begrenzter und ziemlich stark lichtbrechender, da- 
her gegen die Umgebung dunkel erscheinender Körper von circa 
0,009 Mm. Durchmesser hervor, welcher sich um so schärfer abhebt, 
als er nicht direet an die mässig stark lichtbrechende contractile 
Rindenschicht grenzt, sondern von dieser durch einen Hof hellerer, 
wahrscheinlich dünnflüssiger Masse geschieden ist. Die äussere 
Grenzlinie dieses hellen Hofes läuft aber keineswegs der annähernd 
kugligen Oberfläche jenes dunkeln Körpers parallel, sondern zieht 
sich in eine direct nach vorne gerichtete Spitze aus, welche unmit- 


Rhizopodenstudien. 591 


telbar neben der Basis der oben besprochenen Geissel die Körper- 
oberfläche erreicht. (Taf. XXXV. Fig. 2.) 

Ob hier nun etwa eine directe Communikation dieses hellen 
Raumes mit dem umgebenden Wasser, vielleicht eine Art Mund- 
öffnung vorkommt, konnte ich leider weder durch directe Wahr- 
nehmung noch indirekt, etwa durch Beobachtung der Aufnahme 
fremder Körper von aussen, entscheiden. 

Hervorzuheben ist noch, dass der erwähnte dunkele Körper in 
einer dellenartigen Vertiefung des Endosare liegt, und wahrschein- 
lich auch gegen dieses durch eine dünne Lage jener hellen, voraus- 
sichtlich dünnflüssigen Masse geschieden ist, welche ihn nach vorne 
zu umgiebt, — ferner, dass er im Innern eine grössere Anzahl 
kleiner kugeliger scharf begrenzter heller Flecke zeigt, und dass er, 
wenn auch langsam, seine Gestalt zu ändern vermag. Letzteres 
kann ich nach längerer hierauf besonders gerichteter Beobachtung 
mit voller Bestimmtheit behaupten. Die Veränderungen gehen be- 
sonders lebhaft während des Kriechens und zwar in der Weise vor 
sich, dass das ganze,.Gebilde bald quer oval, bald ganz kugelig, bald 
hühnereiförmig, bald abgerundet eckig erscheint. Niemals wird in- 
dessen die im Ganzen als klumpig zu bezeichnende Gestalt auf- 
gegeben. 

Schwerlich wird man umhin können, diesen eigenthümlichen, 
zu langsamen Formwandelungen befähigten Körper auf den Kern 
dieses Rhizopoden zu beziehen. Indessen frägt es sich, ob man ihn 
selbst als den ganzen Kern betrachten oder vielleicht für den 
Nucleolus halten soll. 

Im ersteren Falle würde ein Nucleolus und eine Kernmembran 
fehlen, und es würde der Kerninhalt stark lichtbrechend erscheinen. 
Im letzteren Falle müsste die den dunkeln Körper umgebende, gegen 
das Protoplasma zwar scharf, aber, wie es scheint, doch nicht durch 
eine Membran abgesetzte helle Masse als Kerninhalt gedeutet werden. 
Auffallend wäre dann allerdings die Verbindung des vorderen in 
einen Zipfel ausgezogenen Theiles der äusseren hellen Kernpartie 
mit der Körperoberfläche des ganzen Thieres und zwar grade an 
der Stelle der Geisselinsertion. 

Ueber die Lebensweise und andere functionelle Erscheinungen 
kann ich wegen der Seltenheit des Thieres und der verhältniss- 
mässig kurzen möglichen Beobachtungszeit leider nur wenig mit- 
theilen. 


592 Franz Eilhard Schulze: 


Die zur Beobachtung kommenden Exemplare waren ziemlich 
mobil und begannen nach einigen irregulären Wälzbewegungen mit 
mannigfacher Form- und Lage-Veränderung (Fig. 3) gewöhnlich bald 
in der oben angedeuteten Weise gradeaus zu kriechen. Hierbei liess 
sich beobachten, wie dicht neben der stets vom Mittelpunkte des 
Vorderendes vorgestreckten Geissel abwechselnd an der rechten und 
der linken Seite die fingerförmigen Pseudopodien hervortreten und 
dann beim Vordrängen des Thieres allmälig mehr zur Seite rückten. 
(Fig. 2.) Indessen treten ausserdem auch an den Seitenrändern 
selbstständig Pseudopodien hervor, während andere gleichzeitig zu- 
rückgezogen wurden. Den Act der Nahrungsaufnahme habe ich 
leider nicht beobachten können, dagegen habe ich mehrmals das 
Austreten von Fäkalkörpern am hinteren Körperende gesehen, ohne 
dass sich jedoch eine besondere irgendwie markirte Afterstelle hätte 
erkennen lassen. 


Beobachtung einer Kerntheilung mit nachfolgender Körpertheilung 
bei Amoeba polypodia, M. Schultze. 


Bei der Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse von der Fort- 
pflanzung der Rhizopoden wird es gewiss nicht unerwünscht sein, 
wenn ich eine Beobachtung der Theilung einer Amöbe hier mit- 
theile, welche dadurch interessant wurde, dass dabei das Verhalten 
des Kernes von Anfang bis zu Ende genau controllirt wurde. 

Amöbentheilungen an sich sind schon mehrfach beobachtet und 
beschrieben worden; wie sich aber dabei der Kern verhielt, ist selten 
genau angegeben worden !). Doch scheint grade die Entscheidung 
dieser Frage von besonderer Wichtigkeit. 

In einem Glasgefässe, in welchem mir Herr Professor Sa- 
lensky aus Kasan im Frühling vorigen Jahres lebende Foramini- 
feren von Neapel nach Graz mitzubringen die grosse Freundlichkeit 


1) Eine bestimmte Mittheilung über das Verhalten des Kernes bei einer 
Amöbentheilung findet sich in dem Aufsatze von Greeff über die Erdamöben. 
(Dieses Archiv. Bd. II. p. 321.) 


Rhizopodenstudien. 593 


hatte, fand sich im Bodensatze häufig eine unregelmässig rundliche 
Amöbe mit zahlreichen mehr oder minder langen, oft ziemlich schma- 
len, jedoch niemals ganz fadenförmigen Pseudopodien, welche aus 
der hellen hyalinen Rindenschichte, dem Ektosarc, hervorgingen, 
während die mit Körnchen verschiedener Grösse und Form reichlich 
durchsetzte mehr dünnflüssige Innenschicht, das Endosare, ein oder 
mehrere pulsirende Vakuolen und ziemlich in der Mitte einen oder 
mehrere Kerne deutlich erkennen liess. Der Bau des Kernes ver- 
dient specielle Beachtung. War nur ein Kern vorhanden, so bestand 
derselbe aus einem rundlichen oder ovalen, glatten und gleichmässig 
sowie ziemlich stark lichtbrechenden, mattglänzenden Körper, um 
welchen ein schmaler körnchenfreier Hof zu erkennen war. Der 
letztere setzte sich jedoch nicht immer so scharf gegen das umge- 
bende körnige Endosarc ab, dass man eine distincte Grenzmembran 
hätte vermuthen dürfen. So annehmbar es nun auch hiernach er- 
scheinen musste, in dem stark lichtbrechenden, glatt begrenzten 
rundlichen Körper nur den Nucleolus und in dem umgebenden hellen 
Hof die äussere Partie des Kernes zu erblicken, so wäre doch auch 
die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass der dunkle Kör- 
per allein den Kern repräsentire. Freilich sprach hiergegen ein 
Umstand, welchen ich besonders hervorheben will, dass nämlich nicht 
selten zwei oder mehrere (bis 5) solcher dunkler rundlicher Körper 
nebeneinander in einer Amöbe vorkamen und dann stets in einer 
gemeinsamen helleren, jedoch auch nicht immer ganz scharf be- 
grenzten Masse lagen. 

In Bezug auf die Artbestimmung des hier geschilderten Thieres 
muss ich bekennen, meiner Sache nicht ganz sicher zu sein. Hin- 
sichtlich des Characters der Pseudopodien stimmte es am Meisten 
mit der von Max Schultze in seinem vortrefflichen Polythalamien- 
Werke beschriebenen und daselbst auf Taf. VII Fig. 21, freilich ohne 
Rücksicht auf den Kern dargestellten Amoeba polypodia überein, 
und will ich daher diese Bezeichnung beibehalten, ohne damit be- 
haupten zu wollen, dass hiemit wirklich eine bestimmte wohlcha- 
racterisirte Art, welche sich etwa von Amoeba radiosa Ehrenb. we- 
sentlich unterschiede, bezeichnet sei. 

Eines Tages betrachtete ich mit starker Vergrösserung eine 
einkernige Amöbe dieser Form, welche mir durch ein sehr deutlich 
markirtes länglich ovales Kernkörperchen aufgefallen war, und be- 
merkte während des Hinschauens zu meiner Freude, dass dieses 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 40 


594 Franz Eilhard Schulze: 


letztere anfing sich zu strecken und gleich darauf eine flache mitt- 
lere Einschnürung erhielt. Ich sah jetzt schnell nach der Uhr und 
fixirte in allgemeinen Umrissen sowohl die ursprüngliche, als die zu- 
letzt wahrgenommene Form der ganzen Amöbe, ihres grossen Kern- 
körperchens, sowie einer rechts von diesem liegenden kugeligen Va- 
kuole auf einem zufällig zur Hand liegenden Stück Papier. Taf. XXXVI. 
Fig. 1 u. 2. Als ich wieder hinsah, war das Kernkörperchen schon 
weit tiefer eingeschnürt, und es zeigten sich auch die beiden breiten 
Endkolben desselben ein wenig weiter auseinander gerückt. Dabei 
hatte sich der ganze Körper des Thieres ein wenig in der Richtung 
der Längsaxe des Kernkörperchens gestreckt. Fig. 3. Kaum hatte 
ich auch dieses Bild in Umrissen gezeichnet, so zeigte sich bei er- 
neutem Hinsehn nur noch eine dünne fadenförmige Brücke zwischen 
den weiter auseinander gerückten beiden Hälften des Kernkörper- 
chens. Fig. 4. 

Die Form der ganzen Amöbe hatte sich bisher nicht wesent- 
lich geändert, ebenso lag die ziemlich grosse helle Vakuole noch 
an derselben Stelle rechts vom Kerne. 

Als ich dies eben flüchtig auf dem Papiere angedeutet hatte, 
fand ich beim Wiederhinschaun die Verbindung zwischen den beiden 
Kernkörperchentheilen völlig zerrissen und die beiden Stücke selbst 
als zwei ovale glatte Körper schon ziemlich weit auseinander ge- 
rückt, wobei der Amöbenkörper sich erheblich gestreckt hatte und 
die helle Vakuole mit dem einen in der Zeichnung nach oben ge- 
legenen neuen Nucleolus mitgerückt schien, wenigstens noch die 
gleiche Lage zu demselben bewahrt hatte. Fig. 5. Der als Andeu- 
tung der äusseren Kernpartie aufgefasste helle Hof war diesem Thei- 
lungsprocess des Kernkörperchens in der Weise continuirlich gefolgt, 
dass die Entfernung des körnigen Endosarc von der Oberfläche des 
dunkeln Nucleolus stets an allen Stellen ungefähr die nämliche blieb, 
und auch an jedem der getrennten Nucleoli sich der nämliche helle 
Hof von etwa gleicher Breite erkennen liess. 

Ich sah jetzt auf die Uhr und bemerkte zu meinem Erstaunen, 
dass diese ganze Kerntheilung in nur 11/; Minuten verlaufen war. 

Eine schon in dem eben berücksichtigten Stadium angedeutete 
seichte Quereinschnürung des Amöbenkörpers zeigte sich gleich darauf 
schon bedeutend fortgeschritten, so dass bereits von einer Brücke 
zwischen zwei sich sondernden breiten Theilen die Rede sein konnte. 
Diese Brücke blieb ebenso wie die entsprechende Parthie des Amöben- 


Rhizopodenstudien. 595 


körpers im vorhergehenden Stadium ganz frei von Pseudopodien, er- 
schien demnach durchaus glatt, während die von einander abge- 
wandten Endflächen der beiden Amöbenhälften ziemlich lang aus- 
gestreckte und sehr bewegliche dünne fingerförmige Pseudopodien 
zeigten. Fig. 6. 

Zu dieser Zeit nahm ich in dem vorher ganz vakuolenfreien 
Theile drei kleine rundliche helle Räume wahr, während die eine 
ursprünglich vorhandene grosse Vakuole des anderen Theiles etwas 
kleiner zu werden schien. Fig. 6. 

Das nächste von mir in einer Zeichnung fixirte Stadium habe 
ich in Fig. 7 dargestellt. Man bemerkt, dass die beiden schon be- 
deutend auseinandergerückten Hälften der Amöbe nur noch durch 
einen ganz dünnen Verbindungsfaden zusammenhängen. Die an den 
abgekehrten Endflächen befindlichen Pseudopodien erscheinen be- 
sonders lang und in energischer Thätigkeit beim Fliehen der nach 
Trennung strebenden Hälften. Jetzt ist entschieden die ursprüng- 
lich beobachtete Vakuole kleiner geworden, während sich in dem 
anderen Theile um den central gelegenen Kern mehrere kleine Va- 
kuolen gebildet haben. 

Nachdem diese Zeichnung fertig geworden, war denn auch das 
letzte Verbindungsfädchen zerrissen, und die beiden, durch Zwei- 
theilung der alten neu entstandenen ziemlich gleich grossen Amöben 
krochen jede für sich in entgegengesetzter Richtung auseinander, 
beide ähnlich der Mutter bis auf die geringere Grösse. Fig. 8. Als 
ich jetzt wieder nach der Uhr sah, fand es sich, dass während 
des ganzen Theilungsactes der Amöbe, von dem zuerst notirten 
Beobachtungszeitpunkte an, nicht ganz 10 Minuten verstrichen waren, 
wovon also auf die Kerntheilung nur 1!/; Minuten, auf die alsdann 
eintretende Körpertheilung etwa 8!/;, Minuten kamen. 


596 Franz Eilhard Schulze: Rhizopodenstudien. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXV und XXXVI. 


Tafel XXXV. 


Fig. 1. Mastigamoeba aspera, in gewöhnlicher Weise kriechend dargestellt. 
Vergr. 500::1. 

Fig. 2. Vorderes Ende desselben Thieres. Vergr. 800: 1. 

Fig. 3. Dasselbe Thier in einer ungewöhnlichen Stellung. Vergr. 500:1. 


Tafel XXXVI. 


Fig. 1. Amoeba polypodia, M. Schultze, wie sie sich bei Beginn der Beob- 
achtungsweise darstellte, mit verhältnissmässig wenig langgestreckten 
Pseudopodien, mit einem Kerne, von dem jedoch nur das grosse 
ovale Kernkörperchen recht deutlich hervortritt, und mit einer grossen 
Vakuole. Vergr. 500:1. 

Fig.2—8 stellen die auf einander folgenden Theilungsstadien dar. Ausser 
dem Umrisse ist uur das Kernkörperchen und die Vakuole darge- 
stellt. Vergr. 500:1. 


Al ah a 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 
Von 


A. Kowalevsky 
in Odessa. 


(Hierzu Tafel XXXVII bis XLIJ.) 


Die Entwickelungsgeschichte der Pyrosomen wurde bisher erst 
von wenigen Forschern studirt. Savigny und später ©. Vogt haben 
dem Gegenstand nur gelegentlich, bei der anatomischen Beschreibung 
der Pyrosoma, Beachtung geschenkt. Dagegen widmete Prof. Hux- 
ley!) im Jahre 1860 der Entwickelung von Pyrosoma, ein tieferes 
Studium, wobei, wie die Entwickelung aus dem Eie, so auch die 
Knospung beachtet wurde. Ausserdem erschien vor Kurzem noch 
eine Untersuchung von Povesi, welche jedoch nur den embryonalen 
Blutkreislauf behandelt. — In meiner weiteren Beschreibung werde 
ich öfters die Abhandlung von Prof. Huxley citiren, und es freut 
mich sehr, fast in allen Zügen seine Angaben bestätigen zu können. 

Was meine Beschreibung betrifft, so zerfällt die ganze Entwicke- 
lung der Pyrosoma in zwei natürliche Abtheilungen: I. Knospung 
und II. Entwickelung aus demEi. Die Entwickelung aus dem 
Ei theile ich in zwei Perioden, wobei ich in der ersten die Bildung 
des Cyathozooid oder die allgemeine embryonale Anlage behandeln 
in der zweiten hauptsächlich die Knospung des Cyathozooids resp. die 
Bildung der Ascidizooiden schildern werde. 


1) Th. Huxley, On the Anatomy and Development of Pyrosoma. 
Transactions of the Linnean society of London. Vol. XXI. 


598 A. Kowalevsky: 


Die Knospung der Pyrosoma. 


Die Knospung der Pyrosoma wurde schon von Huxley sehr 
genau beschrieben. 

Huxley war der Erste, welcher auch gezeigt hat, dass die 
Knospe nicht aus einer Verdickung der Haut sich bildet, sondern 
dass dessen Hauptsysteme aus den entsprechenden Systemen der 
Mutter unmittelbar abstammen. 

Der ganze Vorgang der Knospung wurde von dem englischen 
Forscher so genau beschrieben, dass ich nur sehr wenig hinzuzusetzen 
habe. Der Hauptangabe von Huxley, dass Darm und Geschlechts- 
organe der Knospe von dem Mutterthiere abstammen, stimme ich 
vollständig bei und finde noch weiter, in der jüngsten Knospe, die 
Anlage der Perithoracalröhren und des Nervenrohres. 

Schon in der älteren Knospe, welche noch vom Mutterthiere 
nicht abgetrennt ist, sieht man, wie es schon Huxley angegeben 
hat!), die erste Anlage der künftigen Knospe. (Taf. XXXVIL Fig. 7. III. 
d. eist.) Diese Anlage (Fig. 7) ist umringt von dem Eleoblast der 
schon reifen Knospe und besteht aus der röhrenförmigen Fortsetzung 
des Kiemensackes resp. Darmes (d‘) und des Eierstocks (eist). Um 
die erste Anlage der Knospen genauer zu untersuchen, habe ich durch 
den entsprechenden Theil der älteren Knospe mehrere Querschnitte 
gemacht und auf der Fig. 1 einen derselben abgebildet. Auf dieser 
Figur sehen wir, dass in dem von Eleoblast umringten Raume sich 
zwei Organanlagen befinden, namentlich (d) die Anlage des Darm- 
system und (ei) der Eierstock. In dieser primitivsten Form bleibt 
die Knospenanlage bis zur vollständigen Abtrennung der Mutter und 
während der ganzen Zeit des Verschwindens des Eleoblast. Nach- 
dem aber das letzte geschehen ist, bemerkt man in der Umgebung 
des Darmrohrs der Knospe eine Ansammlung von einzelnen Zellen, 
welche zwischen der Darmsystemanlage (d) sich zur Bildung von 
Haut und Eierstock anhäufen. Fig. 2. p. 

Die von uns abgebildete Knospe tritt noch nicht über die Körper- 
bedeckungen der Mutter hervor und entspricht in dieser Bezie- 
hung derjenigen, welche Huxley auf der Fig. 14 Taf. 30 abbildet. 
Es unterscheidet sich dieselbe jedoch von der als Fig. 1 abge- 


1) 1. c. Taf. 30. Fig. 22 und 23. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 599 


bildeten erstens schon durch ihre bedeutendere Grösse, zweitens 
durch zwei Zellenhaufen (pt), welche an den Seiten der Darmanlage 
liegen. Am Eierstocke sieht man ein stark entwickeltes Ei, welches 
bedeutend hervortritt und die kleineren, nach hinten liegenden Eier 
zum Theil bedeckt. Von wo die beiden Zellenhaufen abstammen, 
konnte ich nicht ermitteln; ob also dieselben aus den freien Zellen, 
welche schon oben erwähnt wurden, sich zusammensetzen, oder von 
den Zellen der allgemeinen Darmanlage abstammen, kann ich nicht 
entscheiden. 

Auf der Fig. 3 führe ich eine viel mehr entwickelte Knospe 
vor, welehe schon über den Körper der Mutter hervorragt und welche 
der von Huxley auf der Fig. 16 abgebildeten entspricht. Die 
äussere Haut der Knospe besteht aus ziemlich hohem Cylinder- 
epithelium, dessen Zellen an der Peripherie abgerundet sind. In 
der Mitte der Knospe sehen wir ein Rohr (d), welches die uns 
schon bekannte Fortsetzung des Kiemensackes resp. Endostyl der 
Mutter darstellt. Zu beiden Seiten dieses Rohres findet man zwei 
Zellenstränge (p), welche dicht an dasselbe angeheftet sind, und in 
denen man einen deutlichen centralen Spalt beobachtet. Fertigt 
man Querschnitte in einem entsprechenden Stadium an, so erhält 
man Präparate, wo die Verhältnisse der inneren Organanlagen sich 
in der Form darstellen, wie dieselben auf den Fig. 4 und 5 abge- 
bildet sind. Bei den etwas jüngeren Knospen prävaliren die Ver- 
hältnisse, wie dieselben auf der Fig. 4 zu finden sind; bei den etwas 
älteren gewahrt man schon eine weitere Differenzirung der Organ- 
anlagen, so wie dieselben auf der Fig. 5 dargestellt sind ; man trifft 
auch gewöhnlich alle Uebergangsstadien. 

Ein schon aus zwei Knospen bestehender Stolo ist 'auf der Fig. 4 
abgebildet und wir finden hier dieselben Organanlagen, welche wir 
schon auf der Fig. 3 gesehen haben mit dem einzigen Unterschiede, 
dass auf der inneren Seite, bei n, ein Zellenstrang mit einem deut- 
lichen Lumen zu sehen ist. Aus diesem Stadium wurden mehrere 
Querschnitte gemacht, von denen einer, durch die erste Knospe ge- 
führt, auf der Fig. 5, der andere, von der zweiten Knospe, auf der 
Fig. 6 dargestellt ist. 

Wenden wir uns jetzt zur genaueren Musterung der Präparate, 
so wollen wir die Beschreibung mit demjenigen beginnen, welches 
auf der Fig. 6 dargestellt ist und auf dem wir die Anlagen aller 
Organe schon vollständig ausgebildet antreffen. Von aussen ist 


600 A. Kowalevsky: 


die Knospe von einer Haut aus deutlichem Cylinderepithelium um- 
geben, im Innern finden wir einen viereckigen Raum, dessen Wan- 
dungen aus Cylinderzellen bestehen, an der oberen resp. Rückenseite 
etwas dicker erscheinen und durch eine tiefe Rinne in zwei Hälften 
getheilt sind. Dieser Raum mit seinen Wandungen entspricht dem 
centralen Rohre der Knospe, welches wir auf den Fig. 2, 3 und 
4 schon gesehen haben und ist also nichts anderes, als das Darm- 
drüsenblattrohr der Knospe, welches wir als eine unmittelbare Fort- 
setzung des Kiemensackes der Mutter (Fig. 4. ed. d.) bereits kennen. 
Zu beiden Seiten dieser Darmsystemanlage sehen wir die Querschnitte 
der zwei seitlichen Röhren (p. p), welche sich bei weiterer Beob- 
achtung als die seitlichen Perithoracalröhren erweisen. Die erste 
Anlage dieser Röhren fanden wir schon auf der Fig. 2.p, in Form 
eines Haufens von Zellen und auf der Fig. 3. p in Form eines Zellen- 
stranges mit einem feinen Spalt in der Mitte; dieser Spalt ist jetzt 
zu einem Lumen geworden, welches schon auf der Fig. 4. p deut- 
lich zu sehen ist. Bei (n) finden wir einen Querschnitt eines sehr 
kleinen Rohres, welches uns die Anlage des Nervensystems darstellt. 
Diese Nervensystem-Anlage haben wir schon auf den Fig. 3 und 4 
bei (n) gesehen und werden dieselbe weiter als Nervenrohr be- 
zeichnen. 

Ganz entgegengesetzt dem Nervenrohre liegt der Eierstock (eist), 
mit dem einzigen auf dem Querschnitte getroffenen grossen Eie (ei) da. 
Das Ei ist von einer Lage von kleineren Zellen umgeben, welche 
wahrscheinlich auch zur Geschlechtsorgananlage gehören. Zwischen 
der beschriebenen Anlage der verschiedenen Organe, trifft man 
rerstreut einige freiliegende Zellen, welche an die Blutkörperchen 
oder Zellen des sogenannten mittleren Blattes erinnern. Auf dem 
Querschnitte Fig. 5, welcher durch denselben Stolo geführt ist, nur 
in der unmittelbaren Nähe des Mutterthieres, aus der ersten Knospe 
des Stolo, Fig. 4., also aus der Gegend, wo der Stolo sich erst bildet, 
sehen wir die uns schon bekannten Organanlagen in ihrem, so zu 
sagen ersten Erscheinen. Darmrohr und Eierstock zeigen in der 
Hauptsache dieselben Verhältnisse, welche wir auf der Fig. 6 ge- 
sehen haben, nur mit dem Unterschiede, dass im Eierstocke nicht 
nur ein grosses Ei liegt, sondern mehrere grössere Eikeime, welche 
nur erst später sich zu jungen Eiern formiren. Die Perithoracal- 
röhren (p) treten hier in Form von zweien, aus einer doppelten Reihe 
von Zellen bestehenden Strängen auf, in denen wir noch kein Lumen 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 601 


bemerken, auch sieht man noch keinen deutlichen Spalt dazwischen ; 
nur die Grenzen der beiden Zellenschichten scheinen denselben schon 
anzudeuten. Das Nervensystem ist auch noch nicht angelegt, an der 
Stelle, wo es später auftritt, sieht man eine nicht deutlich abge- 
srenzte Zellen-Anhäufung, welche aus den Zellen des mittleren 
Blattes zu bestehen scheint. 


Aus der angeführten Beschreibung der zwei ersten Knospen 
lässt sich erkennen, dass die Perithoracalröhren sowohl, wie das 
Nervenrohr, anfangs als einfache Zellenhaufen auftreten und dass 
erst später in denselben ein Lumen entsteht. Aus welchen Schichten 
resp. Blättern die ersten diese Haufen zusammensetzenden Zellen 
abstammen, konnteich nicht mit Bestimmtheit entscheiden, sie scheinen 
mir aber sich aus dem mittleren Blatte zu bilden. Vergleichen wir 
jetzt die von uns beschriebenen Knospen der Pyrosoma mit den 
Knospen anderer Ascidien und namentlich mit der Knospe des Di- 
demnium styliferum und Amoroecium, welche in meiner 
Untersuchung über die Knospung der Ascidien !) beschrieben wurden, 
so finden wir, dass bei den Ascidien, so wie bei der Pyrosoma die 
Knospe anfangs aus der Darmsystemanlage und Hautschicht besteht; 
zu denselben kommt beim Didemnium noch der Eierstock hinzu. 
Diesen primitivsten Anlagen der Knospe schliessen sich bald die 
Anlagen der Perithoracalräume und des Nervenrohrs an. 


Dasselbe sehen wir auch bei der Pyrosoma, mit dem wesent- 
lichen Unterschiede aber, dass bei allen untersuchten Ascidien, die 
Perithoracalblasen Ausstülpungen des primitiven Kiemensackes sind, 
während sie bei der Pyrosoma als feste Zellenhaufen auftreten. Mit 
dieser Verschiedenheit konnte ich mich lange nicht verständigen, 
immer hoffend auch bei der Pyrosoma die erste Anlage der Peri- 
thoracalröhren in derselben Art zu finden, wie bei den Ascidien; aber 
ungeachtet der grössten Aufmerksamkeit, die ich diesem Punkte 
widmete, wurde keine ascidienähnliche Bildung wahrgenommen. 
Immerhin scheint mir aber eine solche möglich, ungeachtet der Klar- 
heit der angeführten Präparate. Es könnte ja der Fall sein, dass 
die erste Anlage des Perithoracalraumes eine kleine Ausstülpung des 
Darmrohres darstellt, welche sich sehr schnell von der Darmanlage 


1) Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. X. p. 441. Taf. XXX 
und XXXI. 


602 A. Kowalevsky: 


abtrennt und anfangs als ein Zellenhaufen, später als ein Zellenrohr 
auftritt. Spätere Untersuchungen werden diess entscheiden. 

Indem wir jetzt mit der Anlage der Hauptsysteme der Pyro- 
somenknospe bekannt sind, bleibt uns noch über ihr weiteres Schiksal 
zu berichten. In dieser Beziehung aber habe ich mich ganz kurz 
zu fassen, da Huxley fast erschöpfend diesen Gegenstand behan- 
deit hat. 

Wenn ich hier noch einmal darüber spreche, so thue ich es 
aus dem Grunde, um den Lesern dieses Artikels ein Bild des ganzen 
Vorganges zu geben und die weitere Vergleichung mit Salpen und 
den sich aus dem Ei entwickelnden Pyrosomen zu erleichtern. 

Die weitere allgemeine Entwickelung der Knospe schildernd, 
beschreibe ich einen Stolo, welcher aus drei Knospen zusammenge- 
setzt ist, von denen die erste, jüngere uns Verhältnisse zeigt, welche 
wir schon auf den Fig. 3 und 4 gesehen haben, und die zwei anderen 
Knospen die weitere Ausbildung der schon bekannten Organanlagen. 

Die zweite (II) Knospe stellt in der Beziehung eine weitere 
Bildung im Verhältniss zu der ersten, als ihr Nervenrohr, von der 
allgemeinen Anlage abgetheilt, somit von dem Nervenrohre der 
ersten Knospe unabhängig, kürzer erscheint; es hat zwei abge- 
rundete Enden und nimmt, der allgemeinen Richtung des Knospen- 
wachsthums folgend, eine vertikale Lagerung zur früherer Richtung 
ein. Diese Verschiebung des Nervenrohrs wird hauptsächlich dadurch 
bedingt, dass aus der Darmsystemanlage ein Vorsprung nach links 
entsteht, welcher zu der sich schon jetzt bildenden Ingestionsöff- 
nung wird. Dieser Vorsprung verschiebt das anfangs vertikal ste- 
hende Rohr. Auf der Bauchseite der Knospe sehen wir auch eine 
bedeutende Verschiebung der Organe, welche durch den aus der 
Darmsystemanlage auswachsenden Magen (mg) bedingt wird; der Eier- 
stock ist dabei ganz nach vorn und oben verdrängt und dessen 
Zusammenhang mit dem Eierstocke der Knospe I zerrissen. 

Das Perithoracalrohr hat auch in der Breite etwas gewonnen, 
doch bleibt es noch in unmittelbarem Zusammenhange mit dem ent- 
sprechendem Rohre der ersten Knospe. Von den Kiemenspalten ist 
noch keine Spur zu sehen. 

Auch die Anlage des Eleoblast sieht man schon auf dieser 
Knospe (el), in Form einer ringförmigen Anhäufung der unter der 
äusseren Haut liegenden Fettzellen. Diese Zellen stellen sich in 
Form stark lichtbrechender Körperchen dar. 


Ueber dio Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 603 


Wenden wir uns jetzt zur dritten Knospe unseres Stolo, so 
finden wir, dass dieselbe schon sehr an eine ausgebildete Pyro- 
soma erinnert und wir sehen auch dabei die fortschreitende Aus- 
bildung der Organe, welche wir nur in Form einfacher Anlagen auf 
den beiden ersten Knospen getroffen haben. 

Die Ingestions- (ig) und Egestions- (eg) Oeffnungen sind schon 
ganz deutlich angelegt und besonders die erste stellt eine tiefe Um- 
stülpung dar, deren Wandungen von zwei sphincterartigen Muskeln 
umringt sind. Der Boden dieser Einstülpung ist aber noch ge- 
schlossen und communieirt noch nicht mit der Kiemenhöhle. Die 
Egestionsöffnung hat die Form einer schwachen runden Einsenkung, 

Das Darmsystem ist schon weit ausgebildet. Der Kiemenraum 
oder Kiemensack besteht schon aus den Theilen, welche wir auch 
bei der ausgebildeten Pyrosoma finden; er hat eine etwas viereckige 
Form, deren eine Seite von dem Endostyl (en) eingenommen ist; 
derselbe zieht sich in Form einer doppelten Verdickung der Wan- 
dungen des Kiemensackes, von der Ingestionsöffnung bis zum Eleo- 
blast und bildet in dem letzten, dicht bis zur äusseren Haut der 
Knospe einen blinden Vorsprung (d), die Darmanlage der künftigen 
Knospe. Dann richten sich die Contouren wieder nach hinten, wo 
dieselben in grader Linie bis zur Mundöffnung laufen ; hier beginnt 
der eigentliche Darmcanal, aus dem Oesophagus (oe), Magen (mg) und 
Hinterdarm (d) bestehend. Der letzte hat noch die Form eines blinden 
Vorsprungs, welcher sich auf die andere Seite der Knospe begiebt 
und von dort aus sich wieder nach rückwärts richtet. Die hintere 
Wandung des Kiemensackes setzt sich noch direkt in die Darman- 
lage der jüngeren Knospen fort, und es entsteht also noch eine un- 
mittelbare Verbindung zwischen dem Darmsystem der ältesten Knospe 
und der Mutter. Zwischen der Oeffnung (0) und der sich bildenden 
Ingestionsöffnung bildet die Wandung des Kiemensackes eine kleine 
Ausstülpung (fl), welche die Anlage der Flimmergrube darstellt; die 
Flimmergrube senkt sich etwas in das, aus einem Zellenhaufen be- 
stehenden Nervenganglion ein. Die Nervensystemanlage hat jetzt 
ihre primitive, röhrige Form verloren und besteht aus einem läng- 
lichen Haufen von runden Zellen, zwischen denen man nur eine 
schwache Andeutung der früheren Höhle sieht. 

Die beiden Perithoracalröhren bilden jetzt zwei breite Säcke, 
welche auf der Bauchseite der Knospe zu der sogenannten Cloake 
(el) verschmolzen sind. Die innere Wand dieser Säcke liegt jederseit, 


604 A. Kowalevsky: 


dicht dem Kiemensacke an und durch eine Verschmelzung derselben 
mit den Wandungen des Kiemensackes entstehen die anfangs rund- 
lichen, später länglichen Kiemenspalten (ks); nach unten, bei (m), um- 
giebt diese Wand den Magen und Darm und bildet hier die innere 
Wandung der Cloake, welche letztere durch die Egestionsöffnung 
nach aussen mündet. 

Um die Bildung dieses mittleren Theiles des Perithoracalraumes 
resp. der Cloake zu verstehen, muss man sich nur vorstellen, dass 
die beiden Perithoracalröhren (Fig. 6, p) sich nach unten ausbreiten, 
endlich an der unteren Seite, unter dem Eierstocke (Fig. 6, eist.) 
verschmelzen. Durch diese Verschmelzung entsteht ein allgemeiner 
Perithoracalraum, in dessen beide seitliche Theile die Kiemenspalten 
und in dessen unterem, mittleren Theile der Anus mündet. Es 
entstehen somit Verhältnisse, wie dieselben bei der ausgewachsenen 
Pyrosoma zu finden sind und welche von Huxley schon so ein- 
gehend beschrieben wurden. Durch die Verschmelzung der Peri- 
thoracalröhren zur Cloake wird der Eierstock nach oben zwischen 
das Ende des Endostyl und die Schlinge des Darmes gedrängt. 
Hier sondert er sich in zwei Theile, von denen der eine untere 
dicht an die Cloakenwand anstösst, und aus einem Ei (ei) und den- 
selben umgebenden Zellen (fe) besteht und in einen anderen Theil, 
welcher aus einer grösseren Anzahl von Eikeimen zusammengesetzt 
und ganz vom Eleoblatt umringt ist. Diese beiden Theile des Eier- 
stocks sind schon von Huxley genau beschrieben und wir wissen, dass 
aus dem der Cloake anliegendem Eie der Embryo der Pyrosoma 
sich bildet, also dies Ei zur geschlechtlichen Vermehrung dieses In- 
dividuum selbst verwendet wird, dagegen die zweite Portion des 
Eierstocks als Bildungsstätte für die Eierstöcke der künftigen Knospen 
anzusehen ist. 

Wir finden hier, in geschlechtlicher Beziehung, die beiden Salpen 
vereinigt. Bei den Salpen giebt es bekanntlich zwei Generationen, 
in der einen entwickelt sich der aus vielen Eikeimen bestehende 
Eierstock, welcher in den Stolo hineingeht und sich hier zu je 
einem einzigen Eie vertheilt, sodann die einzelnen Knospen- resp. 
Kettensalpen, in welchen weiter aus diesem Eie ein Embryo ent- 
steht, wieder mit einem aus mehreren Eikeimen bestehenden Eierstock. 

Bei Pyrosoma enthält jede Knospe auch wie die Kettensalpe 
das einzige grosse Ei zur unmittelbaren geschlechtlichen Vermehrung 
und, wie die Salpenamme, den Eierstock mit vielen Eikeimen zur 
Bildung der Geschlechtsorgane der künftigen Knospen. 


m: 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 605 


Die Geschlechtsorgananlagen des Stolo. 


Das weitere Schicksal der reifsten von uns genau beschriebenen 
Knospe besteht darin, dass dieselbe von der Knospe II sich ab- 
schnürt, um frei in der Mantelschicht zu liegen, wobei ihre beiden 
äusseren Oeffnungen sich in die Länge ziehen um in Communi- 
cation mit dem umgebenden Wasser zu treten. 

Bei diesem Wachsthum wird der Eleoblast verbraucht und 
die von demselben umringten Organe der künftigen Knospe — Darm- 
rohr und Eierstock (eist) — bilden sich weiter aus und treten 
dabei in Form eines kleinen Höckers hervor. Mit diesen Stadien der 
Knospe sind wir schon bekannt, da wir mit deren Beschreibung 
unseren Aufsatz begonnen haben. 


Entwickelung des Eies. 


Bevor wir zur Entwickelung der Pyrosoma selbst übergehen, 
wird. es wohl passend sein, etwas über die Bildung des Eies zu 
sagen bis zum Moment des Auftretens des Furchungsprocesses. Das 
Ei jeder Pyrosoma treffen wir schon in der ersten Anlage der Knospe. 
Schon die sehr junge‘ Knospe (Fig. 3 und 4) besitzt zwischen den 
Eikeimen ihres Eierstocks ein etwas mehr ausgebildetes Ei, welches 
bei weiterem Wachsthum der Knospe zu demjenigem Eie sich ge- 
staltet, welches zur geschlechtlichen Vermehrung dieses Pyrosomen- 
Individuums verbraucht wird. An diesem Eie (Fig. 2 und 7 ei) 
unterscheiden wir den Kern, Kernkörper (Nucleolus) und Dotter, alles 
umgeben von einer epithelialen Haut, welche als Follikelepithel an- 
gesehen werden muss (Fig. 7 fe). 

Auf diesem Stadium sind die Zellen des Follikelepithels ziem- 
lich flach und sie behalten auch dieselbe Form bei der weiteren Ent- 
wickelung des Eies. 

Ein bedeutend ausgebildetes Ei mit dem Eileiter bilde ich auf 
der Fig. 8ab ; der Dotter ist ganz hell und durchsichtig und an einem 
Pole desselben, fast unmittelbar unter dem ausgebreiteten inneren 
Ende des Eileiters, liegt der Kern des Eies mit seinem sehr grossen 
Kernkörperchen; um den Kern sieht man eine feine Schicht etwas 
körniger Substanz. Das ganze Ei ist von aussen von einer Membran 


606 A. Kowalevsky: 


aus sehr flachen Zellen umgeben. Huxley auf der Taf. 31, Fig. 
3 und 4 s zeichnet das Epithel des Eifollikels als ein ziemlich hohes 
Cylinderepithel; ich lenkte auch meine Aufmerksamkeit auf dies Epi- 
thelium, fand es aber immer flach und nie cylindrisch. 

Ausser den Epithelzellen des Follikels sieht man auf der Ober- 
fläche des Eies dieses Stadium keine andere Zellen; nimmt man 
oben ein etwas mehr ausgewachsenes resp. reiferes Ei (Fig. 9), so 
gewahrt man auf der Oberfläche desselben einzelne Körnchen, welche 
besonders an schwach gefärbten Eiern scharf hervortreten. Bei 
etwas genauer Untersuchung erweist es sich, dass diese Körnchen 
nichts anderes als Zellen sind, welche zwischen dem Follikelepithe- 
lium und dem Dotter liegen. Anfangs ist die Zahl dieser Zellen 
sehr gering; so auf dem (Fig. 9) abgebildeten Eie sieht man auf 
der ganzen einen Hälfte desselben nur neun solcher Zellen. Bei 
weiterem Wachsthum des Eies aber wird ihre Zahl immer grösser 
und grösser, bis dieselben am ganz reifen Eie schon eine ganze 
Schicht wenn auch zerstreuter Zellen bilden. 

Zugleich mit dem Auftreten dieser Zellen bemerkt man zwischen 
dem Follikelepithelium und dem Dotter einen kleinen Spalt, erfüllt 
von einer hellen Flüssigkeit. Derselbe wurde schon von Hux- 
ley gesehen und beschrieben, er spricht aber nicht von den darin 
liegenden Zellen. Die Abstammung dieser Zellen ist nicht besonders 
schwer zu sehen, und fixirt man die Oberfläche eines Eies, an welehem 
diese Zellen schon auftreten, also ein etwas reiferes als auf der Fig. 
9 abgebildetes Ei, so sieht man, dass einige (a) der sonst sehr flachen 
Follikelzellen (Fig. 10 ep) sich etwas vergrössern und nach innen 
hervortreten (ife‘); weiter findet man daneben auch solche, welche 
von der Membran sich ganz abgetheilt haben und frei auf dem 
Dotter aufliegen (ife). 

Beim ganz reifen Ei vereinigen sich diese Zellen meistens 
zu kleineren oder grösseren Gruppen (Fig. 11, 12 und 13). Ver- 
gleichen wir die Entstehung und Lagerung dieser Zellen mit den ähn- 
lichen Bildungen bei anderen Tunicaten, so fällt uns besonders auf die 
Uebereinstimmung derselben mit den sogenannten Testazellen der Asci- 
eidieneier. Besonders stimmt deren Entstehung mit der Bildung der ent- 
sprechenden Zellen bei Ascidia intestinalis, wieich sie beschrieben habe ®). 


1) Weitere Studien über die Entwiekelung der einfachen Ascidien, 
Archiv für mikroskopische Anat. Bd. VII. p. 103 u. 104. Taf. X. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 607 


Wir treffen also auch hier diese Testazellen, deren Entste- 
hung aus den Zellen des Follikelepithels hier noch viel leichter zu 
sehen ist, als bei den Ascidien. 

In diesen neuen Resultaten finde ich noch einen Beleg für die 
Richtigkeit meiner früheren Angaben, dass die sogenannten Testa- 
zellen nicht aus dem Dotter, sondern aus dem Follikelepithelium 
herstammen. Ungeachtet der widersprechenden Resultate von 
Kupffer!), Metschnikoff?) und Semper?) halte ich auch für die 
einfachen Aseidien die von mir früher ausgesprochene Ansicht aufrecht. 
Die Angabe von R. Hertwig, dass die Testazellen keinen Antheil 
an der Bildung des Mantels der jungen Ascidie nehmen, habe ich 
neulich selbst geprüft und finde dieselbe ganz richtig. Wir sehen 
somit bei den Ascidien, was auch so oft bei anderen Thieren geschieht, 
dass einige Zellen des Follikelepithels, nach der Reife des Eies noch 
an demselben angeheftet bleiben. Was als eine zufällige Erscheinung 
bei anderen Thieren vorkommt, ist hier zu einem constanten Ver- 
halten geworden; wahrscheinlich erfüllen diese Zellen ausserdem 
noch eine gewisse physiologische Funktion; vielleicht als Vermittler 
der Athmung des sich entwickelnden Eies und Embryo’s oder etwas 
dem ähnliches. 

Hier, bei der Pyrosoma, ist es noch deutlicher, dass diese 
Zellen nicht aus dem Bildungsdotter entstehen können. Die ganze 
Masse des Eies besteht aus dem Nahrungsdotter und nur an einem 
Pole des Eies liegt das eigentliche Protoplasma, der Bildungsdotter; 
die Testasellen entstehen gerade an dem Theile des Eies, welcher 
exclusiv aus dem Nahrungsdotter besteht. Es wäre kaum möglich 
anzunehmen, dass diese sonst vollständig deutlichen Zellen, mit Kern 
und Kernkörper versehen, aus dem Nahrungsdotter abstammen. 

Ihr weiteres Schicksal bei den Pyrosomen, ist, wie wir auf den 
folgenden Seiten sehen werden, von dem der entsprechenden Zellen 
bei einfachen Ascidien verschieden. Diese Zellen — welche hier 
vielleicht als Dotterbildungszellen functioniren — werden sammt dem 
Dotter von der Keimscheibe umwachsen und als Nahrungsmittel 


1) C. Kupffer,' Zur Entwickelung der einfachen Ascidien. Archiv f. 
mikroskop. Anatomie. Bd. 8. p. 367 u. f. 

2) Metschnikoff, Zur Entwickelung der einfachen Ascidien. Zeit- 
schrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XXI. 

3) C. Semper, Entsteh. d. Cellulose-Epidermis der Ascidien. Ver- 
handl, d. phys. med. Gesellschaft. n. F. VIII B. 


608 A. Kowalevsky: 


oder als Blutkörperchen verbraucht. Bis zu der Zeit, wo im Cya- 
thozooid noch ein Tropfen Dotter bleibt, umgeben ihn diese Zellen 
in Form eines immer dichter werdenden Netzes, bis sie endlich mit 
dem Verschwinden des Cyathozooid auch zu Grunde gehen, resp. 
von dem Ascidizooid in Form der ernährenden Blutflüssigkeit absorbirt 
werden. Diese Erscheinung steht in der Thierwelt nicht vereinzelt da, 
wir sehen so viele Fälle, wo die Bildungsdotterzellen in den Dotter 
selbst eindringen und zu fettartigen Tropfen werden, auch der ganze 
Dotter als Nahrungsmaterial dem Embryo dienen kann. 


Zur Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 


I. Periode. 


Im Eierstocke der Pyrosoma findet man bekanntlich nur ein, 
sich zum Embryo entwickelndes Ei. Dies Ei besteht aus einem 
das Keimbläschen umgebendem Protoplasma-Klümpchen, welches 
auf dem bedeutend entwickelten Nahrungsdotter liegt. Der Embryo 
bildet sich nur aus dem eigentlichen Eie, oder, wie gewöhnlich ge- 
sagt wird aus dem Bildungsdotter. 

Was die Bildung des Embryo betrifft, so beginnt dieselbe ganz 
in derselben Weise wie bei anderen meroblastischen Eiern, es er- 
leidet nämlich der sog. Bildungsdotter einen vollständigen Fur- 
chungsprocess und aus den hierdurch entstandenen Zellen bildet 
sich die Embryonalanlage aus. Bekanntlich wurde dieser so allge- 
meine Vorgang von Huxley für die Pyrosoma geleugnet, was 
damit zu erklären ist, dass der berühmte englische Forscher seine 
Untersuchungen an Spiritusexemplaren angestellt hat. An frischen 
lebenden Exemplaren konnte ich aber beobachten, dass die Pyro- 
somen in dieser Beziehung keine Ausnahme machen, dass deren Ei 
nur einen partiellen Forschungsprocess durchlaufen soll, wobei ich 
die Theilung in zwei, vier, acht und weiter in zehn Furchungskugeln 
beobachtete. 

Vor der Theilung hat das Ei durchaus das Ansehen wie ein 
Fischei vor der Segmentation. Der ganze sog. Bildungsdotter liegt 
an einem Pole (Fig. 11) und ist dabei ziemlich scharf von dem 
Nahrungsdotter abgegrenzt. Oben auf dem Bildungsdotter, so wie 
überall auf dem Eie sieht man die zerstreuten inneren Follikelzellen 
(fe). Am oberen Pole des Bildungsdotters, den grössten Theil desselben 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 609 


bedeckend, liegt der jetzt bedeutend ausgebreitete centrale Theil 
des Eileiters (el), mit lebenden und sich bewegenden Spermatozoen 
erfüllt. Von oben aus gesehen (Fig. 12) bemerkt man die schon 
‘erwähnten Bildungs- und Nahrungsdotter, den Eileiter und die den- 
selben erfüllenden Spermatozoen, von denen viele über die ganze 
Oberfläche des Eies ausgetreten sind. Bei dieser Lagerung sieht 
man noch deutlich den etwas in die Breite ausgezogenen Kern. 

Die Theilung in zwei wurde auch öfters beobachtet; es wieder- 
holen sich genau dieselben Vorgänge, welche bei den Teleostiern 
schon so allgemein bekannt sind. Die Furchung erfolgt vermittelst 
einer sich von oben immer tiefer einsenkenden Rinne (Fig. 13), 
wobei man in jeder Furchungskugel einen strahlenförmigen Kern 
beobachtet. Die Theilung des Kernes geht wahrscheinlich der Thei- 
lung des Dotters voraus, obgleich ich dasselbe nicht unmittelbar 
beobachtet habe. 

An den Eiern in diesem Stadium waren die inneren Follikel- 
zellen in grosser Zahl um die Furchungskugeln gesammelt; die 
Furchungskugeln selbst waren nur von oben abgerundet, unten 
sassen sie mit breiter Basis auf dem Nahrungsdotter. Der Ei- 
leiter und dessen centraler, ausgebreiteter Theil waren noch deut- 
lich zu sehen, so wie den letzteren erfüllende und sich bewegenden 
Spermatozoen. 

Das unmittelbar folgende Stadium, welches vier Furchungs- 
kugeln (Fig. 11) erkennen lässt, wurde auch beobachtet und ich 
gebe aus demselben eine Abbildung der vier Kugeln, von denen 
zwei in einer weiteren Theilung begriffen sind. 

Die weiteren Furchungsstadien stellen gar nichts eigenthüm- 
liches dar, die Theilung geht immer weiter und weiter fort, wobei 
wir diejenigen Erscheinungen beobachten, welche bei Teleostiereiern 
schon längst beschrieben sind. 

Als unmittelbares Resultat der Furchung finden wir endlich 
einen Haufen von noch ziemlich grossen Zellen, welche den einen 
Pol des Eies bedecken und dem Stadium entsprechen, welches unter 
dem Namen der Maulbeerform bekannt ist (Fig. 19). — Bei den 
weiteren Theilungen der noch grossen Zellen wird der Umriss des 
Keimes immer glatter und glatter und sieht jetzt bei kleiner Ver- 
grösserung so aus, wie ein noch nicht getheiltes Ei (Fig. 16). — 
Aus diesem Stadium wurden mehrere Querschnitte angefertigt, welche 
die Zellenverhältnisse uns verdeutlichen sollen. — Auf der Fig. 17 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 4l 


610 A. Kowalevsky: 


gebe ich die Zeichnung eines der am besten gelungenen Quer- 
schnitte und wir sehen auf denselben den aus sehr deutlichen em- 
bryonalen Zellen bestehenden Haufen, welcher noch keine Schich- 
tung erkennen lässt. In jeder Zelle gewahrt man den Kern je mit 
einem oder zwei Kernkörperchen versehen, auch trifft man mehrere, 
in Theilung begriffene Zellen. — Zwischen den ganz gleichartig 
aussehenden Zellen liegen auch einige kleinere, welche besonders _ 
an gefärbten Präparaten in die Augen fallen, es sind gewöhnlich 
viel kleinere Zellen, welche zwischen den anderen gewissermassen 
eingekeilt vorkommen und sehr wenig den Kern umgebendes Proto- 
plasma besitzen. Zu den beiden Seiten des Zellenhaufens findet 
man, zwischen denselben und der äusseren Hülle und auch zwischen 
dieser und dem Dotter, kleine, sich sehr stark färbende Kugeln 
oder Körnchen, welche unzweifelhaft die inneren Follikelzellen sind, 
wie es uns die Vergleichung mit den früheren Stadien erkennen 
lässt. Schon bei der geringen Vergrösserung, bei welcher die Fig. 17 
gezeichnet ist, sieht man, dass diese Körper nicht einfache Zellen 
sind, sondern Aggregate von kleinen Kügelchen; nimmt man be- 
deutend stärkere Vergrösserungen, so überzeugt man sich, dass 
diese Haufen aus einer grösseren oder kleineren Anzahl von Zellen- 
kernen bestehen, zwischen denen nur sehr wenig Protoplasma zu 
sehen ist. Auf der Fig. 18 ist ein Theil des Randes des Keimes 
bei sehr starker Vergrösserung dargestellt; hier bemerken wir erstens 
die Zellen des Keimes selbst; zweitens besonders stark gefärbte 
Zellen (z’), weiter über dem Dotter ein Haufen von Kernen (2). 
Im Dotter selbst findet man zwei Zellenhaufen eingedrungen, und 
dabei im unteren Haufen zwei, im oberen vier Kerne, welche alle 
von feinkörnigem Protoplasma umgeben sind. Zwischen dem Proto- 
plasma dieser Zellenhaufen und dem Dotter selbst ist ein bedeu- 
tender Unterschied, so dass kein Missverständniss hier möglich ist. 
Ob diese im Dotter liegenden Zellenhaufen von den Zellen des 
Keimes selbst abstammen, oder in den Dotter eingedrungene Haufen 
der Follikelzellen sind, kann ich nicht entscheiden — das letzte 
scheint aber wahrscheinlicher zu sein. Somit gelangen wir durch 
eine Reihe von Uebergangsstadien zu einer Keimscheibe, welche 
einen kleinen, aus gleichförmigen Zellen zusammengesetzten, von 
oben glatten Haufen darstellt; mit diesem Stadium ist der Fur- 
chungsprocess zu Ende und nun geht die Bildung der Keimblätter 
und der Organanlagen vor sich. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 611 


Die unmittelbar weiter folgenden Stadien gelang mir nicht 
aufzufinden; ich habe nur die schon bedeutend mehr entwickelten 
Keimscheiben getroffen, an denen die zwei Keimblätter schon voll- 
ständig ausgebildet waren. 


Es wäre hier vielleicht am Ort zu erwähnen, dass der centrale 
ausgebreitete Theil des Eileiters, in dem die Spermatozoen liegen, 
während der Furchung allmählich verschwindet , die denselben zu- 
sammensetzenden Zellen runden sich ab, werden zu einzelnen oder 
zu mehreren gruppirten Zellen, welche unter das äussere Follikel- 
epithel treten und auch, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Zahl 
der inneren Follikelzellen vermehren. 


Die jüngste, von mir untersuchte (Fig. 19) Keimscheibe ist 
ganz flach, bedeutend in die Breite gezogen und besteht aus einem 
centralen helleren Felde (f), welches von breiten und stark ent- 
wickelten Rändern (r) umgeben ist. Die Ränder schienen mir immer 
sanz dicht auf dem Dotter aufzuliegen, dagegen der centrale, hellere 
Theil etwas aufgehoben zu sein, als ob darunter sich eine kleine 
Höhle befände. — Schon auf dieser Keimscheibe konnte man das 
vordere und hintere Ende unterscheiden; an dem vorderen Ende 
war die Keimscheibe abgerundet und deren verdickter Rand dünner 
als am hinteren Ende, wo derselbe etwas nach innen hervortrat. 
Beim Drehen des Eies gelang es einige Male, dasselbe in eine solche 
Lage zu bringen, dass die Keimscheibe im optischen Querschnitte 
untersucht werden konnte, dabei ergab sich, dass dieselbe schon aus 
zwei Keimblättern bestand. Die näheren Verhältnisse dieser Blätter 
konnten aber hier nicht aufgeklärt werden, indem alle Versuche, 
Querschnitte anzufertigen, missglückten. Am vorderen Ende der 
Keimscheibe sieht man eine kleine rundliche Scheibe (n), welche 
aus einer Verdickung des oberen Blattes besteht und die erste An- 
lage des Nervensystems darstellt. 


Auf der folgenden Fig. 20 habe ich ein Stadium dargestellt, 
an welchem wir schon die erste Anlage der für die Tunicaten so 
charakteristischen Perithoracalröhren finden. Die Keimscheibe selbst 
ist etwas in die Länge gezogen, wobei sie am vorderen Ende breiter 
erscheint. Der Rand der Keimscheibe ist an der vorderen Hälfte 
feiner, an der hinteren breiter geworden. Das innere Feld ist auch 
gewachsen und auf demselben bilden sich zwei scheibenartige Ein- 
senkungen (p) der oberen Schicht der Keimscheibe. Das ist die 


612 A. Kowalevsky: 


erste Anlage der Perithoracalräume, welche also ganz in derselben 
Weise entstehen wie bei den einfachen Ascidien )). 

Auf der folgenden Fig. 21 sehen wir eine Keimscheibe, welche 
sich von der Fig. 20 nur dadurch unterscheidet, dass die beiden 
Perithoracalröhren schon bedeutend verlängert sind, ganz unter dem 
oberen Blatte liegen und nach aussen sich nur durch die breiten 
Mündungen (p) öffnen. 

Nach innen, von den jetzt scharf begrenzten Röhren sieht 
man zwei Längsstreifen, welche eine hellere, centrale Fläche be- 
grenzen. Auf den beiden letzten Stadien erkennt man sehr deutlich 
die schon erwähnte Scheibe (n), welche immer dieselbe Lagerung 
behält, die sie beim ersten Auftreten hatte. Aus einer Keim- 
scheibe, welche der auf der Fig. 21 dargestellten sehr ähnlich ist, 
habe ich mehrere aufeinander folgende Querschnitte gemacht, von 
denen ich drei auf den Fig. 22, 23 und 24 abbilde. 

Die Fig. 22 stellt einen Querschnitt aus der vorderen Hälfte 
der Keimscheibe dar und aus demselben erweist sich, dass die Keim- 
scheibe aus zweien, deutlich von einander geschiedenen, und dem 
Dotter unmittelbar aufliegenden Keimblättern besteht. — Die beiden 
Keimblätter bestehen aus einer Reihe von cylindrischen Zellen, nur 
das obere Blatt in der Mitte und das untere in seinen seitlichen 
Theilen scheint aus zwei Zellenreihen zusammengesetzt zu sein. — 
Zwischen den beiden Keimblättern konnte ich keine Zellen des 
mittleren Blattes auffinden, so wie auch der unterliegende Dotter, 
ganz zellenfrei erschien. 

Auf der Fig. 23 gebe ich einen Querschnitt, welcher durch 
den Theil der Keimscheibe geführt ist, wo die Einsenkungen der 
Perithoracalröhren schon beginnen. Hier sehen wir, dass zu beiden 
Seiten der Mittellinie sich zwei Gruben befinden, welche aus etwas 
kleineren Zellen des oberen Blattes bestehen. Die Stelle des oberen 
Blattes, welche zwischen den beiden Einsenkungen der Perithoracal- 
röhren liegt, besteht aus einer Zellenreihe, nur sind an dasselbe 
von unten eine Reihe von Zellen gedrängt und so dicht mit dem- 
selben verbunden, dass ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob 
diese Zellen dem mittleren oder oberen Blatte angehören — im 
letzten Falle bestände dieses aus zwei Zellenreihen. Das untere 


1) A. Kowalevsky, Weit. Beitr. z. Ent. d. einf. Ascidien. Archiv 
für mikroskop. Anat. Bd. 7. Taf. XII. Fig. 30 u. 31. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 613 


Blatt ist hier überall aus einer einfachen Reihe von cylindrischen 
Zellen zusammengesetzt und folgt den Einsenkungen des oberen 
Blattes genau nach; an seinen beiden äusseren Enden (d‘ d‘) biegt 
er sich nach innen um, und seine Zellen richten ‘sich gegen die 
Mittellinie; die Zellen des oberen Blattes: aber setzen sich weiter 
nach unten auf der Oberfläche des Dotters fort, wobei sie sich 
stark abflachen und endlich vollständig schwinden. 

Aus derselben Keimscheibe wurde noch ein Querschnitt ge- 
macht, welcher jedoch etwas schief ausfiel, aber für uns in soweit 
noch nützlich erscheint, dass wir auf einem und demselben Präpa- 
rate (Fig. 24) einerseits die noch nicht geschlossene Rinne der Peri- 
thoracalröhre sehen, auf der andern Seite aber schon ein vollstän- 
diges Rohr. Links finden wir im oberen Blatte eine sehr tiefe Ein- 
senkung (p), welche auch das untere Blatt tief nach unten drängt, 
rechts sehen wir schon ein vollständiges Rohr (p‘), welches vom 
oberen Blatte getrennt ist. — Die Zellen des unteren Blattes unter- 
scheiden sich nicht von der Form, welche sie auf der früheren Figur 
hatten, nur sind diejenigen, welche sich nach unten umbiegen, viel 
flacher geworden (d‘) und etwas mehr auf dem Dotter ausgebreitet. 
— Das mittlere Blatt besteht aus einzelnen, zerstreuten Zellen, 
welche zwischen den beiden Blättern liegen und besonders auf der 
mehr ausgebildeten rechten Seite des Präparates hervortreten. 

Die ganze Keimscheibe liegt mit ihrer ganzen unteren Fläche 
unmittelbar auf dem Dotter und nur in den Theilen, wo das untere 
Blatt sich auf die Bauchseite umschlägt, sehen wir kleine von Dotter 
freie Räume (Fig. 23 und 24), welche mit heller Flüssigkeit ge- 
füllt sind. 

Nachdem wir also die Keimscheibe genauer kennen gelernt haben, 
kann dies Stadium uns als Ausgangspunct bei der weiteren Be- 
schreibung der Entwickelung der Pyrosoma dienen; bevor wir aber 
weiter gehen und die fortschreitende Bildung der schon in ihrer 
ersten Anlage angedeuteten Organe verfolgen, wird es vielleicht nicht 
überflüssig sein, noch einen Rückblick auf die drei letzten beschrie- 
benen Stadien zu machen. — Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass 
die Keimscheibe bald nach der Furchung in zwei Keimblättern zer- 
fällt, welche auf der Fig. 22 zu sehen sind. — Vergleicht man die 
Jüngste Scheibe und deren Querschnitt, so erklärt es sich, dass die 
beiden Keimblätter aus Zellenreihen bestehen, welche aller Wahr- 
scheinlichkeit nach durch einfache Spaltung des auf der Fig, 17 ab- 


614 A. Kowalevsky: 


gebildeten Stadium entstehen. Es sind keine andern Elemente da, 
auf welche man die Abstammung eines der beiden Keimblätter zu- 
rückführen könnte, das einzige Material bilden die aus der Furchung 
des Eies entstandenen Zellen, welche anfangs einen Höcker oder 
Cumulus auf dem Dotter bilden. Was die Bezeichnung der be- 
schriebenen Keimblätter betrifft, so ist das obere als äusseres oder 
Hautblatt, das untere als Darmdrüsenblatt zu bezeichnen. Die Ab- 
stammung der schon jetzt auftretenden Zellen des mittleren Blattes 
konnte ich nicht genauer verfolgen. 

Eine viel mehr fortgeschrittene Keimscheibe sehen wir auf 
der Fig. 25. Es ist leicht, die dieselben zusammensetzenden Theile 
auf das letzte uns schon bekannte Stadium zurückzuführen; der 
einzige wesentliche Unterschied besteht in der viel stärkeren Ent- 
wickelung der Perithoracalröhren und dem bedeutenden allgemeinen 
Auswachsen der ganzen Scheibe, sowie in dem schärferen Hervor- 
treten der Nervensystemanlage. Um das Verhältniss dieser Scheibe 
zum ganzen Eie zu veranschaulichen, habe ich dieselben auch auf 
der Fig. 26 gezeichnet. Hier nimmt die Keimscheibe noch einen 
unbedeutenden Theil der Eioberfläche ein und ist an den vorderen 
und seitlichen Theilen von einer Area von Zellen umgeben. — Quer- 
schnitte aus diesem Stadium gelangen nicht selten. Auf einem der 
letzteren, Fig. 27, finden wir, dass die Keimscheibe noch aus den- 
selben Theilen zusammengesetzt ist, welche wir schon früher ge- 
sehen haben und dass der einzige Unterschied in einer gewissen 
Abhebung der Keimscheibe vom Dotter besteht und dem stärkeren 
Austritt der Zellen des Darmdrüsenblattes, von denen die am 
meisten fortgeschrittenen ganz flach sind. Als eine viel weiter aus- 
gebildete Keimscheibe ist die auf der Fig. 28 abgebildete anzusehen. 
Dieselbe unterscheidet sich von der von uns früher beschriebenen 
durch eine bedeutendere Ausbildung der schon bekannten Organe 
und das Auftreten von einigen neuen. — In der allgemeinen äusseren 
Form weicht sie von der auf der Fig. 25 abgebildeten wegen ihrer 
bedeutenden Länge und schärferer Abrundung am vorderen und 
hinteren Ende ab. — Weiter finden wir, dass die Oeffnungen der 
schon uns bekannten Perithoracalröhren jetzt bedeutend nach vorne 
gerückt sind und zu gleicher Zeit etwas nach innen gerichtet, wobei 
dieselben ganz dicht an die, in der Mitte liegende Nervenscheibe (n) 
stossen. — Was die letztere betrifft, so ist dieselbe zu einer tiefen 
Rinne (r) geworden, mit zwei breiten seitlichen Wülsten (n‘). 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 615 


Schon auf der Scheibe Fig. 25 konnte man den etwas ein- 
gesenkten centralen Theil bemerken; hier bildet: derselbe aber eine 
ächte und tiefe Rinne. An dem vorderen Ende der Nervenscheibe 
ist die Rinne schon zum Theil geschlossen und nur weiter nach 
hinten noch weit offen. Wir finden also hier diese wichtige Er- 
scheinung, dass das Nervensystem in seiner ersten Anlage als eine 
Rinne des oberen Blattes auftritt. 

Neben der linken Perithoracalröhre sieht man ein neues Organ 
(pc) entstehen, in Form eines am vorderen Ende keulenförmig ver- 
diekten und etwas nach innen gebogenen Rohres. Dies Rohr ist 
die erste Anlage des Pericardiums des Oyathozooids, welche ich beob- 
achtet habe. Das vordere verdickte Ende liegt zwischen dem Peri- 
thoracalrohre und dem Darmblatte. Die Wandungen dieses Rohres 
sind überall ziemlich dünn, nur deren vordere Wand scheint stark 
verdickt zu sein, wobei dieser Theil sich auf dem Darmblatte aus- 
breitet. 

In der Mitte des hinteren Endes der Keimscheibe gewahrt man 
ein paariges Organ, welches, von oben beobachtet, in Form von 
zwei Strängen (en) auftritt und von denen ähnliche Stränge (f) 
längs dem inneren Rande des Perithoracalrohres verlaufen. — Die 
zwei inneren Stränge, wie wir weiter auf dem Querschnitte sehen 
werden, stellen nichts anderes als zwei längliche Verdickungen des 
Darmblattes dar und sind die erste Anlage des Endostyls. 

Einen Querschnitt aus dem hinteren Ende dieser Scheibe habe 
ich auf der Fig. 29 abgebildet und wir sehen auf demselben schon 
einen bedeutenden Unterschied von dem Querschnitte, welcher auf 
der Fig. 27 dargestellt ist. — Die centrale Darmsystemanlage ist 
auf dem angeführten Schnitte schon zu einem Rohre geschlossen, 
dessen untere Wandung aus sehr flachen ausgebreiteten Zellen be- 
steht. Die obere Hälfte des Darmblattes ist aus ziemlich hohen 
Cylinderzellen aufgebaut und bildet mehrere Falten, von denen die 
innere (en) den schon von oben dargestellten zweien Strängen 
(Fig. 29 en) entspricht und somit die Anlage des Endostyls ab- 
giebt. Zu den Seiten dieser Stränge sah man, von oben betrachtet, 
einen helleren Theil (f‘), welcher dem horizontal liegenden Theile 
des Darmblattes entspricht und die wieder nach unten gerichtete 
Wand entsprechend dem Strange f Fig. 28, welcher sich längs 
der inneren Seite des Perithoracalrohres zieht; kurz, bei der Beob- 
achtung der Keimscheibe von oben haben alle vertical stehende 


616 A. Kowalevsky: 


Theile des Darmblattes das Ansehen von festeren Streifen oder 
Strängen. — Zwischen dem Darmblatte und dem oberen Blatte 
trifft man viele zerstreute Zellen an, welche sich in grösserer Zahl 
über der Anlage des Endostyls ausbreiten. In den Falten des 
Darmblattes liegen die Querschnitte der beiden Perithoracalröhren 
(p) und neben dem links gelegenen Rohre sieht man noch einen 
kleinen Ring (pc), welcher den Querschnitt des hinteren Endes des 
Pericardiumrohres darstellt. — Zu beiden Seiten der Keimscheibe, 
vom oberen Blatte desselben bedeckt und dem Dotter unmittelbar 
aufliegend, findet man die Zellen (z), welche die Keimscheibe ring- 
förmig (Fig. 26 zZ) umgeben. 

Auf der Fig. 30 habe ich ein Stadium dargestellt, auf dem 
die Keimscheibe schon sehr nahe zu ihrer definitiven Ausbildung 
(besser der Knospung) steht. Von dem früheren Stadium unter- 
scheidet sich das jetzt angeführte durch die bedeutendere Grösse, 
durch die beginnende Verschmelzung der Mündungen der Peritho- 
racalröhren, die weitere Schliessung der Nervenrinne, die beginnende 
Bildung des eigentlichen Herzens, die Länge des Endostyls und die 
Scheidung der Perithoracalröhren in einen vorderen, dünneren und 
hinteren, dickeren Abschnitt. — Aus diesem Stadium der Keim- 
scheibe ist es mir gelungen, viele Querschnitte anzufertigen, welche 
uns über die Verhältnisse des Nervensystems, des Herzens und der 
Perithoracalröhren aufklären werden. 

Die vorderen Enden oder die Mündungen der Perithoracal- 
röhren begegnen sich, indem sie nach vorne und innen immer mehr 
und mehr wachsen, und die Ränder, welche die Mündungen begrenzen, 
schmelzen zusammen (Fig. 30). Es entsteht somit anfangs ein sehr 
breites, von ziemlich hohen Rändern umgebenes Feld, welches die 
allgemeine Mündung (d) der jetzt verschmelzenden vorderen Enden 
der Perithoracalröhren darstellt; je weiter die Entwickelung geht, 
desto enger wird dieser Raum, bis es bald nur ein kleines Loch 
darstellt (Fig. 35 u. 36). Bei dieser Verschmelzung der erwähnten 
Mündungen beobachtet man eine Verschiebung der Nervenanlage, 
welche, von den sich bildenden vorderen Enden der Perithoracal- 
röhre umwachsen, gewissermassen überbrückt wird. — Dieser Vor- 
gang ist leicht verständlich, sobald man die respective Lage der 
äusseren Mündungen der Perithoracalröhren der Fig. 28 und 30 
vergleicht. 

Die Nervenrinne ist in ihrem vorderen Theile schon geschlossen 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 617 


und begrenzt auch hier eine deutliche Höhle (h), am hinteren Ende 
aber sieht man noch eine längliche Oeffnung (o), vermittelst deren 
das Nervenrohr noch nach aussen mündet. Bald verschwindet auch 
der letzte Rest des Zusammenhanges des Nervenrohrs mit dem oberen 
Blatte und dann liest es im Bereiche des mittleren Blattes, resp. 
zwischen dem oberen und dem Darmblatte. 

Die Querschnitte aus der hinteren Hälfte, welche schon den 
Endostyl treffen, stimmen so sehr mit den auf der Fig. 29 ange- 
führten überein, dass ich sie nicht weiter zu zeichnen brauche, und 
mich auf die Fig. 29 berufen kann. 

Auf der Fig. 31 habe ich die Zeichnung eines Querschnittes 
gegeben, welche über das vordere Ende der Scheibe geht, na- 
mentlich in der Gegend (Fig. 30) wo die Mündungen der Peritho- 
racalröhren schon verschmolzen sind. Hier sehen wir (Fig. 31) den 
Querschnitt der Ränder, welche die Mündung (cl) begrenzen und 
in der Mitte von einer Reihe von Zellen — dem oberen Blatte — 
bedeckte Zellenhaufen, in deren Centrum man ein kleines Lumen 
sieht. Das ist der Querschnitt des hier schon geschlossenen Nerven- 
rohres (n). Unmittelbar unter dem Rohre sieht man eine Reihe von 
kleinen Zellen, (p), welche wahrscheinlich dem vorderen Ende des 
Darmblattes angehöre. 

Weiter nach unten liegt der Dotter, auf welchem man an den 
beiden peripherischen Enden der Keimscheibe einige Zellen (z) trifft. 

Auf der Fig. 32 gebe ich einen Querschnitt derselben Keim- 
scheibe, welcher in der Gegend geführt ist, wo das Nervenrohr noch 
nicht geschlossen ist und eine ziemlich tiefe Rinne (r) darstellt. 
Der Querschnitt ist so gelegt, das er die Anlage des Herzens kaum 
getroffen hat und das lässt mich vermuthen, dass die zur Anfertigung 
der Schnitte genommene Keimscheibe etwas jünger war, als die auf 
der Fig. 31 dargestellte. Jedenfalls sehen wir auf der Fig. 32 die 
Rinne (r), deren Ränder noch weit von einander abstehen und sich 
weiter nach rechts und links in die Zellen des oberen Blattes un- 
mittelbar fortsetzen. 

Zwischen dem oberen Blatte und dem Dotter fanden wir schon 
ein vollständig von unten geschlossenes Darmblatt, dessen unter 
dem Dotter aufliegende Hälfte aus sehr flachen, auf dem Schnitte 
spindelförmigen Zellen besteht. Zu beiden Seiten der Nervenrinne, 
zwischen dem Darm- und oberem Blatte sieht man die beiden Peri- 
thoracalröhren und an der rechten Seite einen kleinen Haufen von 


618 A. Kowalevsky: 


Zellen, welcher wahrscheinlich das vordere Ende der Herzanlage resp. 
des Pericardium darstellt. Auf dem Querschnitte der weiteren Stadien 
(Fig. 41 u. 42), welche wir später anführen werden, finden wir das 
Nervensystem als ein ganz geschlossenes Rohr. (Fig. 41 u. 42 n.) 

Der Querschnitt Fig. 31 und die Fig. 28 und 30 beweisen uns 
aber, dass das Nervensystem der Keimscheibe als eine Rinne des 
oberen Blattes angelegt wird, und dass durch deren Schliessung resp. 
Zusammenwachsen der Ränder das Nervenrohr entsteht. Wir finden 
also hier Verhältnisse, welche mit den entsprechenden Vorgängen 
bei Fischen übereinstimmen. 

Die Fig. 33 zeigt uns einen Querschnitt von der Gegend zwischen 
dem Ende der Nervensystemanlage und dem Anfange des Endo- 
styls; diese Figur zeigt uns die allgemeinen Verhältnisse, wie 
wir dieselben schon aus anderen Querschnitten kennen. Es sind 
zwei Puncte besonders zu beachten; erstens die Anlage des Her- 
zens, welche hier aus einer flachgedrückten, das Pericardium pe., 
Blase besteht, deren Boden einen kleinen Vorsprung (h) nach innen 
macht. Wie wir später sehen werden, wird die ganze Blase eigent- 
lich zum Pericardium und nur die sich jetzt bildende Einstülpung 
dessen untere Wand (h), zum eigentlichen Herzen. 

Den zweiten Punkt, auf welchen wir unsere Aufmerksamkeit 
hier zu richten haben, ist der, dass das Darm- und obere Blatt in 
ihren mittleren Theilen dicht aneinander stossen und hier keine 
Zellen des mittleren Blattes zu sehen sind. 

Ich habe sehr viele Querschnitte aus dieser Gegend untersucht 
und fand immer die gleichen Verhältnisse, nämlich, dass die beiden 
Blätter hier dicht aneinander liegen. Dies ist in der Beziehung 
von gewisser Wichtigkeit, weil es uns beweist, dass zwischen der 
Anlage des Nervensystems des Cyathozooids und dem Nervensysteme 
der später auftretenden Knospen — Ascidizooiden — kein unmittelbarer 
Zusammenhang existirt. 

Mit diesem Stadium können wir die Beschreibung der Keim- 
scheibe resp. des Cyathozooids von Huxley eigentlich beschliessen 
und hahen nur noch ihre respective Lage auf dem Ei oder genauer 
dem Dotter zu erwähnen. Auf der Figur 34 ist ein Ei dargestellt, 
auf dem die ausgebildete Keimscheibe resp. der Cyathozooid liegt. 
Dessen einzelne Theile sind ganz dieselben, welche wir auf der Fig. 
30 sehen; die Figur ist nur bei kleinerer Vergrösserung dargestellt 
und gezeichnet von einem aufbewahrten Exemplare, auf welchem man 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 619 


die Einzelheiten nicht sieht. Was wir aber hier deutlich wahrnehmen 
ist der Ring (r) von körnigen Körpern, welcher die Keimscheibe von 
vorne und der Seite umgiebt. Dieser Ring wurde auf der Fig. 24, 
bei z im Querschnitte dargestellt, und besteht aus Zellen, welche, 
vom oberen Blatte bedeckt, dem Dotter unmittelbar aufliegen. Die 
Abstammung dieser Zellen ist leicht bis zu den Zellen zu verfolgen, 
welche die ersten Furchungskugeln und die erste Anlage der Keim- 
scheibe umgeben (Fig. 15, 16 u. 17 ife). Es sind also diese, den 
Ring um die Keimscheibe bildende Zellen ihrer Abstammung nach 
innere Follikelepithelzellen, welche vom oberen Blatte der 
Keimscheibe bedeckt sind. Wie wir weiter sehen werden, bleiben 
diese Zellen in ähnlicher Lage d. h. immer dem Dotter aufiiegend 
bis zum Verschwinden des Cyathozooids. Sie nehmen keinen directen 
Antheil an der Bildung der Organe, so viel ich es wenigstens sehen 
konnte; ob aber einzelne von diesen Zellen in Form von Blutkörperchen 
oder wandernden Zellen des mittleren Blattes in den Embryo selbst 
eintreten, kann ich nicht entscheiden, halte es jedoch nicht für un- 
möglich. 

Mit diesem Stadium Fig. 30, und 34, beendige ich die Be- 
schreibung der ersten Periode der Entwickelung der Pyrosoma. Alle 
Organe sind schon angelegt und zum Theil ausgebildet und wir 
haben uns weiter hauptsächlich mit dem Knospungsprocess zu be- 
schäftigen. 

Der 'Theil der Keimscheibe, welcher vor dem Endostyl (en Fig. 
30) liegt, bildet den Cyathozooid, der hintere Theil aber, in welchem 
der Endostyl liegt, wächst in die Länge, schnürt sich vom Dotter- 
sacke ab und bildet die Ascidizooiden. Es entsteht so gewisser- 
massen eine Theilung der Keimscheibe, wobei aus den beiden Hälften 
morphologisch verschiedene Individuenarten entstehen: Cyathozooid 
und Aseidizooid. Der letzte theilt sich sehr früh wieder in vier 
Ascidizooiden, welche die vier ersten Pyrosomenindividuen der jungen 
Colonie darstellen. 


Zweite Periode. 


Zu der zweiten Periode der Entwickelung der Pyrosoma rechne 
ich diejenigen Stadien, welche von der ersten Abschnürung des hinteren 
Endes der Keimscheibe vom Eie beginnen und mit der vollständigen 
Bildung der aus vier Pyrosomenindividuen zusammengesetzten Colo- 
nien endigen. 


620 A. Kowalevsky: 


Das erste Stadium dieser Periode zeigt die Keimscheibe, 
welche auf der Fig. 35 abgebildet ist. Vergleicht man dieselbe mit 
der uns schon bekannten Fig. 34, welche als letztes Stadium der 
ersten Periode besprochen wurde, so findet man immer dieselben 
Organe, nur etwas mehr entwickelt, und weiter die beginnende Ab- 
schnürung des hinteren Endes des Cyathozooids, in Form eines hinten 
abgerundeten und etwas länglichen Zapfens. 

Die äusseren Oeffinungen der Perithoracalröhren sind: jetzt ver- 
einigt (el) und haben eine gemeinsame enge Mündung ganz am 
vorderen Ende des Gyathozooids. 

Die hier zusammenlaufenden Perithoracalröhren bedecken das 
vordere Ende des Nervenrohres. Die Anlage des Herzens liegt links 
und vor demselben zieht sich ein feines Rohr längs dem rechten 
Perithoracalrohre. 

Auf der Fig. 36 habe ich ein fast ganz gleiches Stadium bei 
stärkerer Vergrösserung abgebildet und die Zeichnung hierzu von 
einem lebenden Exemplare gemacht. Daneben auf der Fig. 37 gebe 
ich die Zeichnung eines optischen Querschnittes desselben. Auf 
diesem Querschnitte war besonders deutlich die Röhre (r) zu sehen, 
welche ich in conservirten Präparaten nicht zu- finden vermochte. 
Auf jenem Präparate sah ich auch eine bedeutende Ansammlung 
von grossen Körnerstellen zwischen dem Darm- und äusseren Blatte. 
Aus demselben Stadium gebe ich noch zwei Querschnitte, um die 
Art der Abschnürung des hinteren Endes des Cyathozooid zu zeigen. 

Auf der Fig. 38 sehen wir eine nur erst beginnende Abschnü- 
rung, welche in Folge zweier sehr tiefen beiderseitigen Falten (f) 
oder Rinnen zu Stande kommt. Auf dem Dotter, unmittelbar unter 
dem oberen Blatte, gewahrt man jederseits die uns schon bekannten 
Anhäufungen (z) der Zellen. Unter dem Darmrohre und auf dem 
Dotter, in einem mit klarer Flüssigkeit gefüllten Raume sieht man 
auch ähnliche Zellen (z), nur sind dieselben hier zerstreut. 

Die Fig. 39 stellt uns den Querschnitt des hinteren Endes in 
der Gegend, wo dieselbe vom Dotter schon ganz abgeschnürt ist, 
dar; wir erkennen dabei, dass der künstliche Querschnitt mit dem 
optischen (Fig. 37) vollständig übereinstimmt. Auf derselben Figur 
sehen wir, dass der Dotter von zwei Zellenröhren bedeckt ist, von 
einem äusseren Epithelial- resp. oberen Blatte und einer Reihe von 
flachen ausgezogenen Zellen, welche in die Kategorie der Zellen des 
mittleren Blattes gezählt werden müssen. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 621 


Als ein unmittelbar folgendes Stadium nehme ich das auf der 
Fig. 40 angeführte an, welches sich von der von uns beschriebenen 
in der Beziehung unterscheidet, dass der hintere sich von der Dotter- 
blase abtrennende Theil nicht gleichförmig ist, sondern durch vier 
Einschnürungen in entsprechende Zahl von Abtheilungen getrennt 
wird. Diese einzelnen Abtheilungen stellen uns nun die schon so 
längst bekannten vier Embryonen der Pyrosoma dar, welche die 
Gründer der künftigen Colonie sind. 

Diese Embryonen oder, genauer gesprochen, diese vier Knospen, 
wurden schon von Huxley und Anderen längst beschrieben. Der 
englische Gelehrte bezeichnete dieselben unter dem Namen des As- 
eidozooids, welche Benennung auch wir beibehalten werden. Was deren 
erstes Auftreten betrifft, so kann man schon das Abnehmen des 
hinteren Endes des Cyathozooids vom Dottersacke als eine begin- 
nende Knospung ansehen, man kann aber auch weiter gehen und 
schon auf den Keimscheiben, welche auf den Fig. 28 u. 30 abgebildet 
sind, die erste Anlage des Ascidizooids sehen, weil namentlich der 
grosse hintere Theil der Keimscheibe hinten der Anlage des Herzen, 
längs deren der Endostyl sich zieht, schon der Ascidizooiden ange- 
hört, da dieser ganze Theil es eigentlich ist, welcher, allmählig in 
die Länge wachsend, sich vom Dottersacke abschnürt und zu den 
Aseidizooiden wird. Bei dieser Auffassung des Vorganges hätten 
wir hier eine gewisse Theilung der primitiven, aus dem Eie entstehenden 
embryonalen Anlage, oder des Cyathozooids. Möchten wir diese 
Bildung der vier Ascidizooide mit ähnlichen Vorgängen bei anderen 
Tunicaten vergleichen, so fällt uns besonders in die Augen die Aehn- 
lichkeit mit den Salpen, bei denen die aus dem Eie sich entwickelnde 
Salpe noch während der embryonalen Stadien schon den Stolo bildet, 
auf dem auch die einzelnen Knospen angedeutet sind. Bei den Salpen 
geht aber die Bildung des Stolo langsamer vor sich als die der 
Amme selbst, und deshalb entwickelt sich die erste früher, wird zu 
einem freilebenden Thiere und nur während der letzten Periode ihres 
Lebens entfaltet sich die Kette. Bei der Pyrosoma ist der ganze 
Vorgang ganz entgegengesetzt und namentlich die Kettenindividuen 
resp. die Ascidizooids entwickeln sich schneller, dagegen wird der 
Cyathozooid (resp. Amme) nie zu einem freilebenden Geschöpfe, 
sondern bildet sich nur so weit aus, um im Stande zu sein, den 
schon angehäuften Nahrungsdotter aufzulösen und die ernährende 
Flüssigkeit den wachsenden Ascidizooiden zuzuführen. Ist diese 


622 A. Kowalevsky: 


Aufgabe erfüllt, so geht der Cyathozooid allmählig zu Grunde und 
bei dem Freiwerden, der aus vier Individuen bestehenden, jungen 
Golonie der Pyrosoma ist er ganz verschwunden. 

Gehen wir jetzt nach dieser Abschweifung über zur genaueren 
Beschreibung des Stadium, welches auf der Fig. 40 dargestellt ist. 
Ich habe mir viele Mühe gegeben, die Einzelheiten des Baues dieses 
Stadiums zu erforschen, denn eigentlich nur von jetzt an beginnt 
die unabhängige resp. selbständige Entwickelung wie des Cyatho- 
zooids, so auch der Aseidizooiden. Bisher konnten wir nicht zwischen 
diesen zweien, nach ihrem Schicksal und ihrer Form so verschiedenen 
Individuen, eine scharfe Grenze ziehen; von diesem Stadium aber 
erkennen wir schon, was dem einen und dem anderen angehört und 
vermögen bei der weiteren Beschreibung die embryonalen Vorgänge 
der Cyathozooid und Aseidizooiden auseinander zn halten. 

Der Cyathozooid der Fig. 40 hat eine längliche ovale Form 
und liegt immer der ganzen Länge nach auf dem Dotter; von vorne 
und den beiden Seiten ist er von einer Area körniger Körpern um- 
geben. Um den Bau des Cyathozooids genauer zu veranschaulichen, 
gebe ich hier drei Querschnitte derselben wieder, von seinem vorderen, 
mittleren und hinteren Theile. Auf der Fig. 41 stelle ich‘ die An- 
sicht eines Querschnittes von dem vorderen Ende dar, welcher gleich 
hinter der Mündung der Perithoracalröhren geführt ist. Auf dem- 
selben sehen wir das jetzt hier sehr hohe äussere Cylinderepithelium 
des operen Blattes, welches zu beiden Seiten sich allmählig abflacht, 
um nach aussen von der Area der Zellenhäufung (z) sich vollständig 
zu verlieren. Die inneren Organe des Cyathozooids bestehen in 
dieser Gegend nur aus drei Längsröhren, von denen die centrale 
das Nervenrohr (n) und die beiden seitlichen die Perithoracalröhren 
darstellen. Unter diesen drei Röhren läuft ein sehr dünnes structur- 
loses Häutchen (m), welches den Raum, in welchem die drei Röhren 
liegen, von den darunter liegenden, ‘den Dotter und die Zellenan- 
häufungen (z) enthaltenden abtrennt. 

Auf der Fig. 42 sehen wir einen Querschnitt desselben Cya- 
thozooids nur etwas mehr nach hinten geführt. An demselben treffen 
wir schon die uns bekannten drei Röhren, ein Nervenrohr (n) und 
zwei Perithoracalröhren (p), nur sind dieselben etwas von einander 
gerückt. Sie liegen dabei alle auf einem sehr dünnwandigen Rohre — 
dem Darmrohre des Cyathozooids; etwas rechts sehen wir bei pc 
noch ein anderes sehr kleines und dünnes Röhrchen, welches aller 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 623 


Wahrscheinlichkeit nach den Querschnitt des äussersten vorderen 
Endes des Pericardium darstellt. 

Der dritte Querschnitt, Fig. 43, ist durch das hintere Ende 
des Cyathozooids geführt, so dass er das Herz fast in seiner Mitte 
trifit. Auf diesem Querschnitte sieht man noch keine Spur vom 
Nervenrohre. Die Anlage des Herzens besteht aus einer äusseren 
sehr dünnen Wand (pe), welche das eigentliche Pericardium darstellt, 
undaus einer von grossen Zellen zusammengesetzten Falte (h), welchen 
sich in das Pericardium einstülpt, dem eigentlichen Herzen. Diese 
Falte oder Rinne besteht aus länglichen Cylinderzellen, welche 
an beiden Seiten unmittelbar in die flachen Zellen des Pericardiums 
übergehen. 

Diese drei Querschnitte geben uns ein klares Bild über den 
Bau des Cyathozooids auf diesem Stadium. Was jetzt die einzelnen 
Ascidizooiden betrifft, so bestehen dieselben noch aus denselben Or- 
sanen, welchen wir schon auf den früheren Stadien begegnen. Zum 
weiteren Beweise dieser Behauptung gebe ich einen Querschnitt 
des Aseidizooids dieses Stadiums auf Fig. 44, dessen Beschreibung 
wir bei Fig. 39 schon finden können. 

Jetzt gehen wir zu den Stadien über, bei denen die Ascidi- 
zooiden ihre geradlinige Lagerung verändern und sich etwas krümmen, 
wobei die ganze embryonale Anlage bedeutend an Umfang gewinnt. 
Die einzelnen Verhältnisse der Theile bleiben aber noch immer 
dieselben, wie wir sie auf dem Stadium Fig. 40 fanden, mit der ein- 
zigen Ausnahme, dass die Perithoracalröhren des Cyathozooids viel 
feiner geworden sind (pP) und deren Lumen schon sehr undeutlich 
erscheint. Das ganze Ei hat noch seine runde Form beibehalten, 
verliert jedoch dieselbe und wird länglich nur im folgenden Stadium, 
welches auf der Fig. 46 dargestellt ist. Auf diesem letzten Stadium 
sehen wir, dass der Cyathozooid sich vom Dotter etwas abgehoben 
hat und wie sein vorderes Ende den spitzen Pol des Eies einnimmt. 
Die allgemeine äussere Oeffnung der Perithoracalröhren liegt ganz 
am vorderen Ende des Eies und sein Boden berührt den hier am 
meisten hervorragenden Theil des Darmrohres (m). Aus der Oefi- 
nung (d) gehen noch zwei kurze, bald blind endigende Röhren (p) 
aus, welche die vorderen Enden der degenerirenden und im mittleren 
Theile des Cyathozooids schon vollständig verschwundenen Peritho- 
racalröhren darstellen. 

Auf einem noch etwas mehr entwickelten Eie findet man 


624 A. Kowalevsky: 


schon von den Perithoracalröhren des Cyathozooids keine Spur mehr. 
Eigentlich schon nach der Bildung der Ascidizooiden werden die 
Perithoracalröhen des Cyathozooids immer feiner und feiner, besonders 
in ihren mittleren Theilen, wo sie auch am ersten zerfallen (Fig. 
45); das vordere und hintere Ende bestehen etwas länger, bald aber 
schwindet auch das hintere (Fig. 46) und bleiben noch zwei vordere 
blind endigende Röhrchen, welche aber auch bald vergehen; nur die 
den beiden Röhren gemeine äussere Mündung besteht und wird 
auch dabei selbst viel grösser. Wir werden dieselbe weiter unten 
als Cloake bezeichnen. 

Das folgende Stadium, zu dem wir jetzt übergehen, ist auf der 
Fig. 47 abgebildet. Der Cyathozooid ist schon hier bedeutend ent- 
wickelt und stellt eine seiner Reife sehr nahe stehende Form. Die 
äussere Wandung oder Haut des Cyathozooids umgiebt nur noch 
den vorderen Theil des Dotters resp. denjenigen, welcher nach vorne, 
von den zwei ersten (1 u. 2) Ascidizooiden liegt. Dieser Theil des 
Dotters ist auch vom hinteren Theile etwas abgeschnürt, was haupt- 
sächlich durch die hier liegenden Ascidizooiden bedingt wird. Am 
vorderen Ende des Cyathozooids sieht man jetzt die ziemlich tiefe 
eylinderförmige Einstülpung der äusseren Haut, welche von unten 
von einem ausgebreiteten Rande des vorderen Endes des Darmes 
des Cyathozooids umringt ist. Was die inneren Organe des Cyatho- 
zooids betrifft, so gewahrt man das immer sehr deutliche, vorne 
etwas ausgebreitete und hinten der Darmwandung dicht aufliegende 
Nervenrohr (n) und zu dessen Seite das Herz (h) mit seinem Peri- 
cardium. Diese beiden Gebilde liegen auf dem jetzt röhrigen und 
aus sehr feinen Wandungen bestehendem Darmrohre des Cyathozooids, 
welches durch dessen ganze Länge sich zieht und nach hinten in 
die Darmanlagen der einzelnen Ascidizooiden übergeht. 

In der Leibeshöhle des Cyathozooids steckt die vordere Hälfte 
des Dotters und dicht auf demselben liegen Gruppen von mitein- 
ander verschmolzenen und zu einer Art Inseln vereinigten Zellen (z). 
Diese Zellen stammen unzweifelhaft von den Zellen (z) der Stadien 
40, welche anfangs einen Ring um die Keimscheibe bildeten. Ausser 
diesen Zellen liegen noch in der Leibeshöhle einige freie zerstreute 
Zellen. Die ganze äussere Haut des Cyathozooids ist jetzt von 
einem feinen, aber schon viele Zellen enthaltenden Mantel umgeben. 
Dieser Mantel zieht sich nach unten so weit, wie die Haut des Cya- 
thozooids reicht und geht nicht auf den freien, von Zellen nicht 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 625 


bedeckten Dotter über. — Um die Verhältnisse der inneren Organe 
des Cyathozooids genauer zu kennen, habe ich aus demselben Quer- 
Schnitte gemacht, von denen ich zwei auf den Fig. 48 und 49 
abbilde. 

Auf der Fig. 48 sehen wir einen Querschnitt des vorderen 
Endes des Cyathozooids, auf dem das Nervenrohr (n) schon ge- 
troffen ist, das Herz aber noch nicht. Das Nervenrohr liegt dicht 
über einem aus flachen Zellen bestehenden Darmrohre (d). — Etwas 
nach unten sehen wir das vordere Ende des Dotters frei in der 
Leibeshöhle liegen und um denselben mehrere zerstreute freie Zellen, 
welche nur an einem Puncte in einen Haufen gruppirt sind. Was sich 
auf diesem Querschnitte aber besonders schön erkennen lässt, das 
ist der Mantel, welcher aus einer glashellen Schicht und aus einigen 
in dieselbe einwandernden Zellen besteht. Sonderbarer Weise liegen 
diese Zellen nicht einfach zerstreut, sondern in kurze, zur Ober- 
fläche der Haut verticale Linien geordnet. 

Der (uerschnitt Fig. 49 ist etwas mehr nach unten geführt 
und trifft das vordere Ende des Herzens (pc und h) und das hintere 
des Nervenrohrs (n). Das Darmrohr (d) ist hier ganz auf die Seite 
geschoben. Der Dotter nimmt den grössten Theil der Leibeshöhle 
ein und ist von mehreren Schiehten von Zellen umgeben. Nach 
aussen von der Haut bemerkt man den Mantel mit den sich meistens 
linienförmig ordnenden Zellen. — Auf dem freien vom Cyathozooid 
nicht bedeckten Dotter sieht man die inneren Follikelzellen, welche 
zerstreut oder in kleineren Gruppen liegen. 

Die einzelnen Ascidien sind schon bedeutend ausgebildet. Das 
Nervensystem hat die Form eines etwas dreieckigen Rohres (n‘), 
dessen Lumen sich unmittelbar in den Kiemenraum öffnet. Es ist 
die erste Anlage der Flimmergrube. Längs den beiden Seiten des 
Kiemensackes sieht man fünf bis sechs längliche Kiemenspalten und 
über denselben den schon aus seinen einzelnen Theilen bestehenden 
Endostyl (en). Zwischen dem vorderen Ende des Endostyls und 
der Nervensystemanlage bemerkt man eine kleine rundliche Ein- 
senkung (ig) der äusseren Haut, welche die sich bildende Ingestions- 
öffnung darstellt. Am hinteren Ende jedes Ascidizooids sieht man 
einen paarigen aus Fettzellen bestehenden Körper — den Eleoblast (el). 

Die weiteren Veränderungen, welche wir jetzt zu betrachten 
haben, bestehen in dem Umwachsen des Dotters vom Cyathozooid 
und in der schnellen weiteren Ausbildung der einzelnen Ascidizooids. 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 43 


626 A. Kowalevsky: 


Auf der Fig. 50 gebe ich die Zeichnung eines Stadiums, auf 
welchem der ganze Dotter schon von Cyathozooid umwachsen ist, 
dabei sind die Ascidizooiden schon so weit gewachsen, dass von der 
einen Seite nicht alle mehr zu sehen sind und namentlich der letzte, 
der vierte, ist auf die andere, untere Seite verschoben ; somit um- 
geben die vier Ascidizooide das hintere Ende des Cyathozooids in 
Form eines noch nicht vollständig geschiossenen Ringes. Die auf 
dem Dotter gelegenen, in kleine Inseln gruppirten Zellen liegen 
jetzt viel dichter beisammen, was mit der Verkleinerung der Ober- 
fläche des Dotters zu erklären ist. — Die vordere Einstülpung der 
Haut (cl) ist jetzt viel breiter und tiefer geworden, wobei ihr 
Boden noch in den Innenraum des Cyathozooids ziemlich weit hinein- 
ragt. — Den inneren Contouren der Wandungen der Cloake folgt 
auch die Mantelschicht, welche sich auch einsenkt und einen freien 
nach aussen mündenden Raum umgiebt, welcher die erste Anlage 
der allgemeinen Cloake der künftigen Colonie darstellt. 

Das Nervensystem des Cyathozooids, noch viel deutlicher als 
auf dem Stadium Fig. 47, besteht jetzt aus zwei verschiedenen 
Theilen, von denen der eine, (fl), ein deutliches Epithelrohr (Fig. 51) 
darstellt und dessen ziemlich breites Lumen in das Darmrohr des 
Cyathozooids mündet. Der andere Theil (n) ist ein rundlicher fester 
Körper (Fig. 51 n), auf dessen Oberfläche nur noch die Zellen zu 
erkennen sind, und im Innern findet man eine Gruppe von runden 
Bläschen mit stark lichtbrechenden runden Fettkörperchen. Von 
diesem Theile resp. von diesem Ganglion gehen drei Fäden aus, 
zwei (nf) nach den Seiten und einer nach oben (nf). — Die 
ganze Oberfläche des Cyathozooids ist von einem dicken Mantel 
bedeckt, in dem man senkrechte Reihen von Zellen sieht, welche 
von der Haut aus bis zur äusseren Schicht des Mantels gehen 
(Fig. 53 mz). Beobachtet man den Mantel von oben, so findet man 
in demselben sechseckige helle Felder, welche von reihenförmig 
geordneten Zellen umgeben sind (Fig. 52). Jedes solche Feld ist 
von sechs aus Zellen bestehenden Linien umgrenzt, an deren 
Knotenpuncten je eine grosse Zelle (z‘) liegt. Die grossen Zellen 
(z‘) sind ganz rund; die kleineren haben einen ganz runden Kern, 
aber das denselben umgebende Plasma ist spindelförmig und mit 
der Längsaxe senkrecht zur Zellenreihe gestellt (Fig. 52). 

Auf der Fig.53 habe ich einen Querschnitt dieses Cyathozooids 
aus seinem hinteren Theile abgebildet; aus demselben ersehen wir 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 627 


die respective Entwickelung des Mantels und die den Dotter um- 
gebenden Zellen, welche in dieser Gegend, hauptsächlich auf der 
oberen Hälfte angehäuft sind. — Das Darmrohr ist hier ganz dünn 
und flach gedrückt und von dem Raume, in welchem der Dotter 
liegt, durch eine strukturlose Membran abgegrenzt. Zur rechten 
Seite liegt ein Haufen von Zellen, welcher wahrscheinlich den frei 
in der Leibeshöhle liegenden Zellen angehört. Was die Ascidizooi- 
den dieses Stadiums betrifft, so sind dieselben schon bedeutend ent- 
wickelt. Das Nervensystem hat schon eine, dem definitiven Zu- 
stande sehr nahe stehende Form (n‘); es besteht aus einem rund- 
lichen Haufen von Zellen (n‘), von dem ein zum Kiemensacke ge- 
richteter hohler Stiel. geht. Dieser Stiel ist die künftige Flimmer- 


grube und der runde Körper das eigentliche Ganglion. — Der Eleo- 
blast ist an allen Ascidizooiden bedeutend entwickelt und bildet einen 
breiten Ring um das hintere Ende jeder Knospe. — An der un- 


teren, dem Dotter dicht aufliegenden Seite jeder Knospe findet man 
schon den ganzen, aus Oesophagus, Magen und Hinterdarm beste- 
henden, aber noch blindendigenden Darmcanal. — Der Darmcanal der 
Ascidizooiden entsteht als eine Ausstülpung des untern Theils der 
allgemeinen Darmanlage resp. Kiemensackes und ist schon sehr 
früh zu sehen. Ich habe dessen einzelne Bildungsstadien nicht spe- 
ciell beachtet, doch trifft man hier ganz dasselbe, was schon bei 
anderen Aseidienknospen wiederholt beschrieben wurde. 

Wenden wir uns jetzt zu den weiteren Stadien, so zeigen 
dieselben hauptsächlich sehr starkes Wachsthum der Aseidi- 
zooids und noch schnellerer Verkleinerung und Atrophirung des 
Cyathozooids, wobei endlich das letzte ganz verschwindet und die 
vier Ascidizooiden allein die junge sich befreiende Colonie bilden. — 
Auf der Fig. 54 sehen wir schon ein Stadium, an der die stark 
entwickelte Mantelschicht schon alle Ascidizooiden umgeben hat 
und dabei die einzelnen Ascidizooiden an Umfang überragen. — 
Die circuläre Hautfalte (hf), welche die Cloake des Cyathozooids 
umgiebt, ist jetzt viel kleiner geworden und bei weiterer Zurück- 
bildung des Cyathozooids wird dieselbe immer kleiner und kleiner, 
bis sie endlich ganz schwindet (Fig. 56), wobei die von dem Mantel 
umgebene Cloakenhöhle (Fig. 50) bis zwischen den Mantel zu liegen 
kommt (Fig. 56 cl). Der Cyathozooid selbst ist viel kleiner ge- 
worden, als wir denselben auf der Fig. 50 sahen; die Masse des 
Dotters hat sich ebenfalls verringert und die denselben umgebenden 


628 A. Kowalevsky: 


Zellen sind jetzt zu einer compacten Schicht vereinigt, in Folge 
der Verkleinerung der Oberfläche, auf der sie ausgebreitet sind. 
Der Strang, welcher den ersten Ascidizooid mit dem Cyathozooid 
verbindet, entspringt jetzt fast vom hinteren Ende des letzten, be- 
steht aber noch immer aus zwei Röhrchen, dem Darm- und Haut- 
rohre, und mündet in den Kiemenraum des ersten, so wie auch in 
den folgenden Ascidizooiden, in der Gegend zwischen dem darauf- 
liegenden Ganglion und dem ersten conischen Zapfen (c), welche die 
Neuralseite des Kiemensackes der Pyrosoma besetzen. Die ein- 
zelnen Aseidizooiden sind schon ihrer Reife sehr nahe und deren 
innere Organe schon alle ausgebildet. Am Kiemensacke sieht man 
bereits die inneren Längsstreifen auftreten, welche so charakte- 
ristisch für die Kiemen der Pyrosomen sind. — Auch aus dem 
Cyathozooid dieses Stadiums habe ich Querschnitte angefertigt und 
einen derselben auf der Fig. 55 abgebildet. Auf demselben sehen 
wir die respective grosse Entwickelung des Herzens, den schon be- 
deutend zurückgebildeten Darm und die dicke Schicht der den 
Dotter umgebenden Zellen. 

Hier wird es vielleicht am Orte sein, die Deutung der am 
vorderen Ende des Cyathozooids gelegenen Hauteinstülpung zu be- 
sprechen. Huxley nennt diese Einstülpung einfach Mundöffnung 
des Cyathozooids, ohne Beweise der Richtigkeit für seine Meinung 
anzuführen. 

Verfolgen wir aber die Entstehungsweise dieser sogenannten 
Mundöffnung, so erweist sich, dass dieselbe von Anfang an nichts 
anderes sei, als die zu einem Raume verschmolzenen äusseren Oeff- 
nungen der Perithoracalröhren (Fig. 30 cl). Später, in der Periode 
der grössten Entwickelung des Cyathozooids, namentlich auf den 
Stadien, welche auf der Fig. 47 u. 50 angeführt sind, hängt aller- 
dings die Einstülpung (cl) mit den Perithoracalröhren nicht mehr 
zusammen, da dieselben im Cyathozooid nicht mehr existiren, aber 
nichts destoweniger bleibt dieselbe, ihrer Entstehung nach, als äussere 
Mündung der Perithoracalröhren resp. die Cloake zu 
deuten. — Diese Ansicht kann auch sehr gut auf die Analogie mit 
einfachen Ascidien gestützt werden, bei denen die Perithoracalräume 
anfangs als zwei Einstülpungen der Haut auftreten ) und nur 
1) Krohn, Entwickelung der Phalusia p. 312. Taf. 8. Archiv für 
Anatomie und Physiologie 1852. 


= 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 629 


später !) miteinander verschmelzen und die sogenannte Cloake bilden. 
— Noch mehr zu Gunsten dieser Anschauung spricht die Beobach- 
tung von Huxley 2), welche auch ich bestätigen kann, dass die Ein- 
senkung des Mantels, welche wir auf der Fig. 50 (cl) sehen, eigent- 
lich die Anlage der allgemeinen centralen Cloake der Pyrosomen- 
colonie darstellt. Sobald der Cyathozooid sich in den Raum zwischen 
den Aseidizooids zu versenken beginnt, verflachen sich die Ränder 
der Einstülpung mehr und mehr und die Einsenkung des Mantels 
(Fig. 50 cl) wird dabei frei, resp. kommt zwischen die Mantelschicht 
zu liegen (Fig. 56 cl). Dieser Raum (cl) (Fig. 56) bildet auch 
wirklich die gemeinschaftliche Cloake der jungen Colonie und in 
dieselbe münden später auch die Cloakalöffnungen der einzelnen 
Aseidizooiden. Auf diese Gründe mich stützend, sehe ich die Ein- 
stülpung (cl) als einen Raum an, welcher der Cloake des Cyatho- 
zooids entspricht. Mit dieser Annahme aber entsteht die Frage, 
wo ist denn das vordere resp. der Ingestionsöffnung entsprechende 
Ende des Cyathozooids? Diese Frage glaube ich auch beantworten 
zu können; ich glaube nämlich, dass die Gegend a Fig. 50 mor- 
phologisch der Stelle entspricht, wo sich die Ingestionsöffnung bei 
den Ascidien bildet. Ich stütze mich dabei auf die Analogie mit 
den Ascidizooiden, bei denen die Ingestionsöffnung sich gerade vor 
der Flimmergrube befindet (Fig. 50 fl und 0‘). — Das auf der 
Fig. 51 bei stärkerer Vergrösserung dargestellte Nervensystem be- 
weist, dass das nach unten resp. hinten gerichtete Rohr die Flim- 
mergrube repräsentirt und der Körper (n) das eigentliche Ganglion, 
von dem auch Nerven nach vorne und zu den Seiten entspringen. 
— Nehmen wir noch zur Vergleichung die Keimscheibe, wie dieselbe 
vor der Knospung aussieht, z. B. Fig. 30, so würde hier die Stelle 
der Ingestionsöffnung zwischen dem Ende des Nervensystems und 
dem Anfange des Endostyls sein. Und diese Stelle Fig. 30 a ent- 
spricht genau der Gegend a Fig. 50. 

Die angeführten Gründe scheinen mir ganz genügend zu sein, 
um die respective Lagerung der einzelnen Theile des Cyathozooids 
zu bestimmen. — Das vordere Ende, wo die Einstülpung liegt, ist 
die Cloake desselben; die Gegend a Fig. 50 entspricht der Stelle 


1) A. Kowalevsky, Weitere Studien üb. d. Entw. d. einf. Ascidien. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. VII. Taf. XII. Fig. 30 u. 32. 
2) L. c. Taf. 31. Fig. 14, 18 und 19 und p. 232 bis 236. 


630 A. Kowalevsky: 


wo die Ingestionsöffnung bei anderen Pyrosomenindividuen gefunden 
wird. Die Stelle (s) (Fig. 50), wo der die Ascidizooiden ver- 
bindende Stiel entspringt, entpricht dem Theile des Kiemensackes, 
von wo der Stolo bei Pyrosomen und Salpen seinen Anfang nimmt. 
Der Endostyl selbst ist bei dem ausgebildeten Cyathozooid gar 
nicht vorhanden. Er ist ganz auf die Bildung der Ascidizooiden 
verbraucht. — Auf der Fig. 30 sahen wir die Anlage des Endostyls 
ziemlich entwickelt, aber weiter finden wir, dass der ganze Theil, 
wo derselbe liegt, zu den Ascidizooiden wird. Er wird also auf ihre 
Bildung gewissermassen verbraucht und deshalb kommt auch der 
Stiel s auf die Neuralseite des Cyathozooids. 

Jetzt gehe ich zur Beschreibung eines Stadium über, wo die, 
die junge Colonie der Pyrosoma zusammensetzenden Ascidizooiden 
schon ihre definitive Lagerung angenommen haben. — Der Cya- 
thozooid ist ganz nach unten in den Raum zwischen den hinteren 
unteren Theil der Ascidizooiden versenkt. Am vorderen wie hinteren 
Ende ist er ganz abgerundet und die in derselben steckende Ein- 
senkung des Mantels (cl) (Fig. 50) ist jetzt ganz ausgetreten, liegt 
frei zwischen dem Mantel und repräsentirt die allgemeine centrale 
Cloake (cl) der vier ersten Ascidizooiden. Der Cyathozooid ist noch 
immer mit einem Rest des Dotters versehen und dessen grosses 
Herz ist noch da. Der Stiel (s), der denselben mit dem ersten 
Ascidizooid verbindet, ist ziemlich lang geworden und liegt in 
Form einer durchsichtigen Schnur auf der inneren Seite des ersten 
Aseidizooids. — Auf dem links gezeichneten Ascidizooid sehen wir 
noch den in denselben eintretenden Stiel (s‘), sowie den hinteren 
aus demselben am unteren Ende des Endostyls austretenden und 
mit dem folgenden Ascidizooid verbindenden Stiel (s“). An dem- 
selben Ascidizooid, etwas nach oben von dem Anfange des Stiels 
(s‘‘), sieht man einen länglichen Haufen von Zellen (g), welcher die 
Anlage der Geschlechtsdrüse darstellt. — Dieser Haufen war auch 
schon auf den früheren Stadien zu sehen. Ich habe ihm bereits auf 
den Ascidizooiden, welche auf der Fig. 54 abgebildet sind, wahrge- 
nommen, vielleicht erscheint derselbe noch früher. — Sein erstes 
Auftreten wurde nicht genauer verfolgt. 

Der Mantel dieses Stadiums ist schon stark ausgebildet und 
tritt nach hinten in Form eines abgerundeten Kegels hervor. Man 
sieht noch die sechseckigen von Zellen-Linien begrenzten Figuren, 
wobei aber die Zellen selbst nicht so dicht nebeneinander liegen 


Ueber die Entwiekelungsgeschichte der Pyrosoma. 631 


wie früher und man keine grössere Zellen an den Knotenpuncten 
bemerkt; endlich sieht man in den von diesen Linien begrenzten 
Räumen viele einzelne zerstreute Zellen. — Der Darm der Asci- 
dizooiden ist schon vollständig ausgebildet und liegt in dem unteren, 
der allgemeinen Cloake angrenzenden Theile der Ascidizooiden. Die 
reifsten sich schon befreienden jungen Colonien unterscheiden sich 
schon sehr wenig von dem auf der Fig. 56 abgebildeten Stadium. 
Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass von dem Cyathozooid 
nichts mehr zu sehen ist, er ist ganz verschwunden, so wie der die 
Ascidizooids miteinander verbindende Stiel. Die allgemeine Cloake 
hat viel mehr an Umfang gewonnen und bildet jetzt eine geräumige 
Höhle zwischen den 4 Ascidizooiden selbst. Die einzelnen Aseidi- 
zooiden gewinnen bei dieser Veränderung an Länge und werden 
den ausgebildeten Pyrosomenindividuen ganz ähnlich. — Sobald 
der Stiel, welcher aus dem hinteren Ende der Ascidizooiden zwischen 
den beiden Lappen des Eleoblasts austritt, verschwunden ist, treten 
an derselben Stelle kleine Knospen auf, welche ganz aus denselben 
Theilen bestehen, wie die ersten Knospen (Taf. XXXVL. Fig. 3) 
der schon reifen Pyrosomenindividuen, mit dem alleinigen Uuter- 
schiede, dass in den Geschlechtsröhren keine einzelnen Eier zu 
finden sind, sondern ein einförmiges Zellenstroma. — Die weiteren 
Knospungsvorgänge an den jungen Colonien gelang es mir nicht zu 
verfolgen, da dieselben in den Gefässen bald abstarben, im Freien 
aber fand ich nur schon aus vielen Individuen bestehende Colonien. 
Doch an diesen jungen, nicht mehr als einen Zoll messenden Co- 
lonien und auch an den etwas kleineren sah ich keine ausgebildeten 
Eier, sondern nur bedeutend entwickelte Hoden. — Diese Beobach- 
tung beweist nun soviel, dass bei den Pyrosomenindividuen der kleinen 
Colonien anfangs die männlichen Organe ihre vollständige Reife er- 
reichen und erst später, wenn die Zahl der Individuen mit der 
Grösse der Colonie viel bedeutender geworden ist, beginnen die Eier 
weiter zu Embryonen sich zu entwickeln. 


632 A. Kowalevsky: 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXXVI—XLI. 


Bei sämmtlichen Figuren bedeuten: 


ig Ingestionsöffnung, h Herz, 
eg Egestionsöffnung, ei Ei, 

d Darmsystemanlage, eist Eierstock, 

oe Oesophagus, fe Follikelepithel, 

dr Darmrohr, ife inneres Follikelepithel, 

mg Magen, dt Nahrungsdotter, 

en Endostyl], el Eleoblast, 

p Perithoracalrohr, n Nervenrohr, 

cl Cloake, fl Flimmergrube. 


pc Pericardium, 


Taf. XXXVU. 

Fig. 1. Querschnitt durch das obere Ende einer älteren Knospe, entsprechend 
der Knospe Ill, Fig. 7, aus der Gegend, wo der Eleoblast liegt. 
Eine sehr junge Knospe, welche noch nicht über die äusseren Be- 
deckungen der Mutter hervorragt; ed Theil des Darmstiels, welches 
den Endostyl en der Mutter mit der Darmsystemanlage der Knospe 
verbindet. 
Fig. 3. Eine junge Knospe. 
Fig. 4. Ein aus zwei Knospen bestehender Stolo; I erste, II zweite Knospe; 

ed Darmstiel. 


D 


Fig. 


Fig. 5. Querschnitt durch die Knospe I, Fig. 7. 
Fig. 6. Querschnitt durch die Knospe II, Fig. 4. 
Fig. 7. Der aus drei Knospen bestehende Stolo o, Fortsetzung der inneren 


Wand des Kiemensackes nach hinten. f Flimmergrube, d‘ Anlage 
des Darmrohrs der künftigen Knospe. m Mesenterium oder innere 
Wand der Cloake. 

Fig. 8. Ein von Follikelepithel umgebenes Ei. 

Fig. 9. Ein reiferes Ei mit inneren Follikelzellen, ife. 

Fig. 10. Ein Rad eines reiferen Eies stark vergrössert, ife eine sich bildende 
innere Zelle. ife‘ innere Follikelzelle. 

Fig. 11. Ein Ei vor der Furchung; n Bildungsdotter ; el Eileiter. 

Fig. 12. Ein ähnliches Ei von oben, sp Spermatozoen, von denen mehrere 
auf der ganzen Oberfläche des Eies zerstreut sind. 

Taf. XXxVII. 

Fig. 14. Vier Furchungskugeln, von denen die zwei seitlichen in Theilung 

begriffen sind. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


, 28. 


29. 


So. 


33. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 633 


. Maulbeerform von einem Ringe der inneren Follikelzellen umringt. 
. Nach der Furchung. 

. Querschnitt durch das Stadium Fig. 16. a Stärker gefärbte Zellen. 
. Ein Rand desselben Querschnittes stärker vergrössert. 

. Eine schon gebildete Keimscheibe; r dessen verdickter Rand; 


f helleres inneres Feld; n Nervenscheibe. 


. Ein weiter fortgeschrittenes Stadium; pp‘ Einstülpung des oberen 


Blattes — erste Bildung der Perithoracalröhren. 


. Die Perithoracalröhren sind viel länger geworden. 

. Querschnitt durch das vordere Ende der Keimscheibe Fig. 21. 

. Querschnitt durch den mittleren Theil derselben Scheibe. 

. Querschnitt durch die hintere Hälfte, wobei noch die nach aussen 


offene Einstülpung getroffen ist, rechts aber ein Rohr, welches vom 
oberen Blatte schon abgeschnürt ist. 


. Eine viel weiter ausgebildete Keimscheibe. 
. Dasselbe Stadium geringer vergrössert, um dessen Lage auf dem 


Eie zu zeigen; z ein Ring von Zellen, welche die Keimscheibe von 
vorne und den Seiten umgeben. 


. Querschnitt aus dem mittleren Theile der Keimscheibe; d‘ die am 


meisten nach der Mitte fortgeschrittenen Zellen; m Zellen des mitt- 
leren Blattes. 


Taf. XXXIX. 


Eine viel weiter fortgeschrittene Keimscheibe; pc Anlage des Peri- 
cardiums und Herzens; n Nervenscheibe; r dessen Rinne; n’ die die 
Rinne umgebenden Ränder; en Findostyl; f vertikaler Streifen des 
Darmdrüsenblattes (Fig. 29 f.). 

Querschnitt durch den hinteren Theil der Keimscheibe. Die Be- 
zeichnung ist dieselbe. z Zellen des die Keimscheibe umgebenden 
Ringes (Fig. 34. 35. z). 

Eine weiter fortgeschrittene Keimscheibe; cl allgemeine äussere 
Öeffnung der beiden Perithoracalröhren, 0° der noch nicht ge- 
schlossene 'Theil der Nervenrinne; hl Höhle im Nervenrohre, welche 
durch die Oeffnung o’ nach aussen noch offen steht. 


. Querschnitt durch das vordere Ende derselben Keimscheibe. 
. Querschnitt durch dieselbe Keimscheibe etwas mehr nach hinten; 


r Rinne; n‘ deren Ränder; pc vorderes Ende des Pericardium. 
Querschnitt derselben Keimscheibe um die Anlage des Herzens zu, 
zeigen; pc Pericardium; h Herz. 


Fig.34. Eine Keimscheibe gleichen Alters, kleiner vergrössert, um deren 


Lagerung zu zeigen; z die die Scheibe ringförmig umgebenden 
Zellen. 


Fig. 35. Eine etwas weiter ausgebildete Keimscheibe, das hintere Ende hebt 


sich schon vom Dottersacke ab. 


634 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


37. 


38. 


43. 


44, 
45. 


46. 


47. 


48. 


49. 


50. 


51. 


52. 


53. 


54. 


A. Kowalevsky: 


. Ein gleiches Stadium, stärker vergrössert. 


Hinteres Ende im optischen Querschnitte. 
Querschnitt durch das Stadium Fig. 35, in der Gegend wo der Stolo 
sich von der Keimscheibe abschnürt; dt Nahrungsdotter. 


. Ein schon abgeschnürter Theil des Stolo im Querschnitte. 


Taf. XL. 


. Der schon bedeutend in die Länge ausgewachsene Stolo theilt sich 


in die vier Ascidizooiden. 


. Querschnitt durch dessen vorderes Ende. 
. Etwas mehr nach hinten, wo schon der Darm des Cyathozooid zu 


treifen ist. 

Ein noch mehr nach hinten geführter Querschnitt, wo man das 
Nervensystem schon nicht mehr ündet, sondern das Pericardium (pe) 
und Herz (h) auf dem Schnitte trifft. 

Querschnitt durch den hinteren 4. Ascidizooid. 

Die ganze embryonale Anlage ist schon etwas gebogen; der mittlere 
Theil der Perithoracalröhren verschwindet. 

Das vordere Ende des Cyathozooids hebt sich etwas vom Dotter 
ab; die Perithoracalröhren des Cyathozooids sind nicht mehr zu 
sehen; wd Wand des Darmes. 

Ein viel weiter ausgebildetes Stadium; die hintere Hälfte des Dotters 
ist noch von Cyathozooid nicht bedeckt; n‘ Nervensystemanlage der 
einzelnen Ascidizooiden. 

Querschnitt durch den vorderen Theil des Cyathozooids; m Mantel. 
Querschnitt durch den mittleren Theil des Cyathozooids, auf dem 
man das Nervensystem (n), Herz (h) und Darm (d) trifft. 

Ein viel weiter ausgebildetes Stadium; der Dotter ist von Cyatho- 
zooid ganz umgeben; cl Cloake von der Mantelschicht m umgeben 
und zungenförmig in die innere Höhle des Cyathozooids hineinragend, 
aber immer blind geschlossen; a Stelle, welche der Ingestionsöffnung 
des Cyathozooids entspricht; Verbindungsstiel mit dem ersten As- 
eidizooid. 

Nervensystem desselben Cyathozooid stärker vergrössert; fl Flimmer- 
grube; n Ganglion; nf” und nf“ Nervenfäden. 

Ein Theil des Mantels von oben gesehen; die sechseckigen Ka 
mit grossen Zellen z’ in den Knotenpuncten. 

Querschnitt des Cyathozooid desselben Stadiums; mz die in dem 
Mantel liegenden, senkrecht geordneten Zellen. 


Taf. XLI. 
Ein viel weiter ausgebildetes Stadium; der Cyathozooid ist viel 
kleiner geworden; die die Cloake umgebenden Ränder werden ganz 
flach und der Cyathozooid beginnt sich in den Mantel einzusenken, 


Fig. 55. 


Fig. 56. 


Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosoma. 635 


wobei die cl heraustritt und frei zwischen den Mantel zu liegen 
kommt; s Stiel, welcher in den Ascidizooid in der Gegend zwischen 
dem Ganglion n und den Zapfen c hineintritt; s’ Stiel, welcher aus 
dem hinteren Ende des Ascidizooids hervortritt. 

Querschnitt des Cyathozooids dieses Stadiums; d Darm sehr zurück- 
gebildet; h Herz und pe Pericardium bedeutend entwickelt; m Mantel; 
mz dessen vertical geordnete Zellen. 

Eine junge Pyrosomencolonie mit schon klein gewordenem, und in 
den Mantel eingesenkten Cyathozooid; die aus demselben herausge- 
tretene Cloake cl nimmt schon einen bedeutenden Raum ein und 
mündet nach aussen durch die Oeffnung 0; el Eleoblast; s Stiel, 
welcher den ersten Ascidizooid mit dem Cyathozooid verbindet; 
s‘‘ der aus dem hinteren Ende des Ascidizooids, hinter dem Endo- 
styl austretende Stiel; &g Geschlechtsdrüse. 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren 
und beim Menschen. 


Von 


Prof. Fr. Merkel 
in Rostock. 


(Hierzu Tafel XLII und XL1ll.) 


R. Wagner sagt in seinen neurologischen Untersuchungen !) 
bei der Besprechung der neuentdeckten Tastkörperchen: »Einer der 
wichtigsten und. ich möchte sagen leider fatalsten Punkte ist vom 
Verfasser festgestellt worden; nämlich der, dass die Tastkörperchen 
beim Menschen auf die Haut der Hände und Füsse beschränkt sind. 
Dies ist in der That ein ganz räthselhaftes Verhältniss, wodurch 
leider der physiologische Werth der ganzen Entdeckung bedeutend 
vermindert wird.« 

Er spricht mit diesen Worten aus, dass trotz der bahnbrechenden 
Entdeckung, welche ihm und Meissner geglückt war, noch immer 
genug zu thun übrig blieb, um die ganze Haut mit denjenigen Nerven 
auch morphologisch zu versorgen, mit welchen sie physiologisch seit 
E. H. Weber ausgestattet war. Die seitdem verflossenen Jahre 
haben, wie gewiss jeder Anatom sich selbst sagen wird, noch nicht 
genug gethan, um diese Lücke auszufüllen. Krause’s?) Auffindung 
der Endkolben und Cohnheim’s®) Entdeckung der freien Endigungen 
im Epithel der Cornea, die von Langerhans und Eberth für 
die äussere Haut bestätigt wurde, genügten noch,nicht zur Er- 

1) Neurolog. Untersuchungen. Göttingen, Wigand 1854. p. 137. 

2) Zeitschrift für rat. Medicin. 3. Rhe. Bd. V. 

3) Virchow’s Archiv. Bd. 38, p. 343. 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 637° 


klärung aller physiologischen Vorgänge. Am besten beweisen dies 
die vielen in den letzten Jahren erschienenen Einzeluntersuchungen, 
deren fast jede an den verschiedenen Stellen der äusseren Haut 
und ihrer Fortsetzungen in die Körperhöhlen, auch eine besondere 
Art von Nervenendigung beschreibt. Ja die vor Kurzem noch er- 
schienenen zu verschiedenen Resultaten kommenden Arbeiten von 
Thin und Langerhans thun sogar dar, dass man die Tast- 
körperchen selbst in ihrem inneren Bau noch ebensowenig voll- 
ständig kennt, als dies zu Zeiten der ersten genauen Beschreibung 
von Meissner!) der Fall war und so müssen wir auf unsere jetzigen 
anatomischen Kenntnisse von der Endigung der Hautnerven noch 
unbefriedigter blicken, als 1854 Wagner, der damals noch auf die 
Fortschritte der nun dahingegangenen zwanzig Jahre hoffen konnte. 

Wie ich schon an einem anderen Orte?) aussprach, glaube ich, 
dass es lediglich der bis heute falsch gewählte Angriffspunkt war, 
welcher es nicht erlaubte, einen vollständigen Einblick in die Nerven- 
verhältnisse der Haut zu gewinnen. Der Mensch, den man vor 
allen anderen Geschöpfen bevorzugte, ist weitaus am schwierigsten 
zu untersuchen. Selbst das Kaninchen, dieses viel durchforschte 
Thier, zeigt die Endigungen seiner Hautnerven weniger willig als 
manche andere Species. So kommt es, dass bei ersterem nur Langer- 
hans?) die Nerven bis in das Epithel eindringen sah, während sie 
allerdings bei letzterem Thier von Eberth®), Elin®) und Andern 
an manchen Stellen bis zu knopfförmigen Endigungen verfolgt 
wurden. Im Studium der Tastkörperchen aber konnte man dadurch 
nicht weiter kommen; wusste man ja nicht einmal, ob sie bei irgend 
welchen Geschöpfen ausser dem Menschen und dem Affen existirten. 
Die Frage — so schien es mir — musste von vergleichend-anatomi- 
schem Standpunkte aus behandelt werden. 

Schon bald nach Beginn meiner Untersuchungen traf ich auf 
ein Object, welches fast beim ersten Präparate Licht in die bis dahin 
dunklen Verhältnisse brachten. Es waren dies die Vögel, speciell 


1) G. Meissner, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Haut. 
Leipzig. Voss. 1853. 4°, 

2) Göttinger Nachrichten 1875. Nr. 5. 

3) Virchow’s Archiv. Bd. 44. p. 325. 

4) Schultze’s Archiv. Bd. VI. p. 225. 

5) Schultze’s Archiv. Bd. VII. p. 382. 


638 Fr. Merkel: 


die Schwimmvögel. Bei der Ente und Gans finden sich Gebilde, 
welche alle Verhältnisse weit klarer und deutlicher überblicken 
lassen, als es bei Säugethieren der Fall ist. Nach den ersten und 
wichtigsten Erfolgen hatte dann die Auffindung der Tastnervenendi- 
gungen auch bei den Säugethieren nur mit verhältnissmässig geringen 
Schwierigkeiten zu kämpfen. 

Characterisire ich mit kurzen Worten die Verhältnisse, so sind 
sie folgende. Die einfachste Form der tastempfindenden Organe 
sind blasenförmige Zellen mit hellem Kerne, in deren Protoplasma 
sich eine marklose Nervenfaser einsenkt. Ich nenne sie »Tastzellen«. 
Sie stellen terminale Ganglienzellen dar, sind aber mit den bis 
jetzt beschriebenen terminalen Ganglien, wie unten gezeigt werden 
wird, nicht identisch. 

Diese Tastzellen können sich zwei und zwei zusammen lagern, 
indem sie sich mit ihren Breitseiten aneinanderlegen, und von einer 
gemeinsamen, faserigen Bindegewebshülle umgeben sind. Sie mögen 
dann »Zwillingstastzellen« heissen. Auch sie werden von einer 
einzigen Nervenfaser versorgt, welche zwischen die beiden Zellen 
eindringt, und sich in denselben verliert. Wenn sich mehr als zwei 
Tastzellen in einer Kapsel vereinigt finden, ist ein veinfaches 
Tastkörperchen« zu Stande gekommen. Auch dieses wird nur 
von einer einzigen dunkelrandigen Nervenfaser versorgt, welche 
beim Eintritt in das Körperchen die Markscheide abwirft nnd dann 
an jede Zelle ein zartes Aestchen abgibt. Treten mehrere solcher 
einfacher Tastkörperchen in engere Verbindung, so entsteht ein 
»zusammengesetztes Tastkörperchen«, welches nun natür- 
lich so viele Nervenfasern erhält, als einfache Tastkörperchen in 
ihm enthalten sind. 

Es ist also eine Reihe von principiell durchaus gleichwerthigen 
Organen in der Haut vorhanden, welche sich jedoch in ihrer Grup- 
pirung sowohl gegenseitig, als auch in Bezug auf andere Gewebs- 
theile, aus denen sich die Haut aufbaut, verschieden verhalten können. 

Eine zweite, von der in Rede stehenden im Prineip durchaus ver- 
schiedene Gruppe in der Haut vorkommender Nervenenden umfasst 
die freien Endigungen, die Endkolben und die Vater’schen Körper- 
chen; sie wird Gegenstand einer späteren Abhandlung sein. 

Wende ich mich nun zu der Einzeldarstellung der soeben skiz- 
zirten Tastnervenendigungen, so muss ich bezüglich der Methode 
vorausschicken, dass sich dieselben am besten an Präparaten prä- 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 639 


sentiren, welche in starken Osmiumsäurelösungen (/s—1°/,) erhärtet 
sind. Sehr kleine Stückchen ganz frischer Haut, an welchen man im 
gegebenen Falle so viel wie möglich von den tiefsten Schichten der 
Cutis und den oberflächlichen der Epidermis durch Rasirmesser- 
schnitte abgetragen hat, werden in die Lösung gebracht und ver- 
weilen in derselben ein bis zwei Tage. Dann legt man sie auf die- 
selbe Dauer in Wasser und schliesslich in starken Alcohol, in welchem 
sie definitiv aufbewahrt werden. Schneidbar sind die Stücke schon 
nach den ersten 24 Stunden, doch pflegen in dieser Zeit die Farben- 
unterschiede noch so gering zu sein, dass es schwierig ist, die Tast- 
zellen zu finden. Nach Verlauf von 14 Tagen bis 3 Wochen aber 
sind die Präparate so schön in der Farbe nuancirt, dass es schon 
mit schwachen Vergrösserungen gelingt, die meist ganz hell bleibenden 
Tastzellen wahrzunehmen. 

Bei den schon Eingangs als besonders günstige Objecte ge- 
nannten Hausschwimmvögeln, der Ente und Gans, sind die Tast- 
zellen so gross, dass sie den Zellen der Spinalganglien nicht nach- 
stehen (im Mittel 0,056 Mm. im Querdurchmesser). Sie wurden 
hier, wie auch bei den übrigen Vögeln im Schnabel und der Zunge 
gesucht und auch gefunden. Sowohl frisch, wie auch aus Alcohol 
und Müller’scher Flüssigkeit zeigen sie sich ebenso deutlich, als 
in Osmiumpräparaten und so wäre es wirklich zu verwundern ge- 
wesen, wenn sie nicht schon gesehen worden wären. Zwar war 
weder Herbst!), der den Schnabel und die Zunge der Ente unter- 
suchte, noch W. Krause?), der dieselben Organe bearbeitete, der 
Tastzellen ansichtig geworden. Letzterer gibt sogar die Vaterschen 
Körperehen als die einzigen Hautnervenendigungen bei Vögeln an. 
In neuerer Zeit jedoch ist es Grandry?) gelungen, sie zu finden. 
Freilich aber hat er sie in ihrer Bedeutung nicht erkannt; denn er 
bildet sie zum Theil zerstört, zum Theil in ganz unmöglichen Formen 
ab, und sagt über sie weiter nichts, als er habe Nervenendigungen 
gefunden, »sur la structure desquels je ne suis pas encore tout & 
fait fixe, surtout au point de vuede la terminaison du nerf«. Sonst 
finde ich sie in der Literatur weiter nicht erwähnt. 


1) Die Pacinischen Körperchen. Göttingen 1848. 

2) Die terminalen Körperchen der einfach sensiblen Nerven. Han- 
nover 1860. 

3) Sur les corpuscules de Pacini. Journal de l’anatomie etc. von 
Robin. Bd. VI. 1869. p. 393. 


640 Fr. Merkel: 


Was ihr Aussehen anlangt, so gleichen sie ganz und gar den 
Zellen der Spmalganglien. Die zarte und gleichmässige Granulirung, 
der runde und mit derber Hülle versehene Kern, sowie die concen- 
trische und radiäre Streifung, welche durchaus der von M. Schultze 
beschriebenen Ganglienzellenstructur entspricht, charakterisiren sie 
genügend. Auch die Eigenschaft des Kernes, durch die Einwirkung 
der Essigsäure abzublassen, theilen sie mit den Ganglienzellen. 

Das wichtigste und sicherste Merkmal für ihre Natur aber 
ist selbstverständlich der Nerveneintritt. Dieser ist nun mit grosser 
Leichtigkeit zu constatiren. Sowohl an frischen Präparaten (Fig. 1), 
wie an solchen, die in Osmium gehärtet sind (Fig. 2), sieht man 
in der Profilansicht den Eintritt der Nervenfaser in die kleinen Tast- 
organe ohne Anstand. Trifft man bei den Zwillingstastzellen, wie den 
abgebildeten, ein Profilbild, welches gegen die eben genannten Fi- 
guren um 90° gedreht ist, dann erhält man den Querschnitt der 
eben vom ihrem Marke entblösten Faser (Fig. 4). Stellt man tiefer 
ein, so sieht man diesen Querschnitt gleichsam zerfliessen, ein Be- 
weis dafür, dass die Faser in die Substanz der Zellen sich auflöst. 
Die Schwannsche Scheide der Nervenfaser geht in die Hülle der 
Zellen direct über (Fig. 2), und es ist zwischen beiden kein Unter- 
schied, weder was Lichtbrechung, noch was Dicke anlangt, zu con- 
statiren. 

Was die Lage der in der Wachshaut der Ente und Gans lie- 
senden Tastzellen betrifft, so finden sie sich in der eigentlichen 
Cutis, nicht sehr weit von der Basis des Epithels entfernt, un- 
bedeutend höher, als die reichlich vorhandenen V ater’schen Körper- 
chen. Sie sind, wie die Vergleichung von Quer- und Flächenschnitt 
ergibt (Fig. 3), flach kuchenförmig gestaltet, und liegen stets so, 
dass die Fläche der Zellen der Oberfläche der Haut parallel steht, 
während man die Kantenansicht (Fig. 1—3) auf dem Querschnitt 
der Haut zu sehen bekommt. 

In der Wachshaut der Ente bildet das Vorkommen regel- 
mässiger Zwillingszellen das gewöhnliche Verhalten, doch findet 
man auch öfter drei und vier Zellen übereinander liegen, selbst 
Combinationen von grösseren und kleineren Tastzellen, wie in Fig. 5, 
fehlen nicht. Bei der Gans sind die Gestalten weniger regelmässig, 
man kann sogar sehr grosse Zellen finden, welche zwei bis drei 
Kerne enthalten. Ueberhaupt ist bei letzterem Thier die Wachshaut 
sowohl mit reichlicheren, als auch mit mannigfaltigeren Endigungen 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 641 


versehen, wie bei der Ente, während hinwiederum diese in der 
Zunge einen bedeutenderen Formenreichthum zeigt, als die Gans. 
Die Zunge der Ente kann man sogar das schönste und,auch bequemste 
Object für das Studium der Tastzellen nennen. Denn stets gelingt 
es mit voller Sicherheit die an Nervenendigungen sehr reichen Pa- 
pillen frisch zu schneiden, oder in Osmium genügend zu erhärten. 
In Fig. 9 habe ich die Oberfläche einer Entenzunge dargestellt. In 
a, b und ce sieht man grössere und kleinere verhornte Papillen, 
welche sämmtlich Tastzellen, meist als Zwillinge, enthalten; die in 
d angegebenen Papillen aber sind weich, überragen kaum das Ni- 
veau der Schleimhaut und sie sind es, welche vor allem reich an 
Nervenendigungen sind. In Fig. 8 ist der Durchschnitt einer solchen 
Papille abgebildet. Die Vater’schen Körperchen liegen mehr 
nach der Basis zu, während die Tastzellencombinationen die Spitze 
des Hügels dicht unter dem Epithel einnehmen. Man trifft Papillen, 
welche noch weit mehr Tastorgane enthalten, als die abgebildete. 

In denselben sieht man nun die deutlichsten Uebergänge von 
den kleinsten einfachen Tastzellen bis zu den zusammengesetzten 
Tastkörperchen, und es sind die in Fig. 6 und 7 dargestellten End- 
organe dieser Stelle entnommen. Besonders Fig. 6 ist für das Ver- 
ständniss von der Endigungsweise der Nerven von hoher Wichtigkeit. 
Hier zieht die blass gewordene Nervenfaser in dem Tastkörperchen, 
welches aus vier Zellen besteht, in die Höhe, und tritt immer 
zwischen je zwei Zellen mit einer kleinen Verbreiterung ein. Ob 
hier nun blos der einen oder ob beiden Zellen Nervensubstanz durch 
eine solche Endigung zugeführt wird, ist natürlich mit absoluter 
Sicherheit nicht zu entscheiden, doch sprechen die Zwillingstastzellen 
wie Fig. 2, entschieden für das letztere. Begegnet man einer ein- 
fachen Tastzelle, bei welcher man eine günstige Profilansicht des 
Nerveneintrittes findet, so sieht man hier ebenso wie bei den Säuge- 
thieren, dass der Axencylinder einfach mit dem Zellprotoplasma 
zusammenfliesst. Die Art und Weise, wie ein zusammengesetztes 
Tastkörperchen zu Stande kommt, erläutert ein Blick auf Fig. 7 
besser, als alle Worte. 

So ausnehmend schöne und bequem zu untersuchende Objecte, 
wie die Entenzunge finden sich in der ganzen von mir bis jetzt 
untersuchten Thierreihe nicht mehr. Doch sind auch bei den anderen 
im Haus gehaltenen Vögeln, dem Huhn und der Taube die Verhält- 


, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 43 


6423 Fr. Merkel: 


nisse günstiger, als bei vielen anderen Species'). Besonders die 
Gaumenseite der Spitze des Oberschnabels liefert recht gute Prä- 
parate. Die Zellen sind bei weitem kleiner, als bei den Schwimm- 
vögeln, und liegen in und unter den Papillen meist gruppenweise 
zusammen. Im ersten Augenblick ist man sogar versucht, Gruppen, 
wie die in Fig. 10 abgebildete, besonders wenn sie noch etwas 
dichter stehen, für Knorpelzellen zu halten. Die gewöhnlichen 
Reactionen aber ergeben die Unmöglichkeit einer solchen Täuschung 
und der Herantritt von Nervenfasern sichert die Diagnose vollständig. 
Man findet hier oft sehr dicht zusammenliegende Gruppen, doch 
kommt es zur nachweislichen Bildung von einfachen Tastkörperchen 
nicht. Zwillingstastzellen scheinen die höchste Entwickelungsstufe 
der Tastnervenendigung darzusiellen. 

In der Schnabelspitze der Taube (Fig. 11) zeigt sich ein Ver- 
hältniss, welches als Uebergang zum Vorkommen bei anderen Wirbel- 
thierklassen von Interesse ist. Man beobachtet hier nämlich nicht 
selten, dass die Tastzellen, aus der Cutis sich erhebend, in das 
Epithel vorrücken. Sie ragen dann entweder nur zur Hälfte 
ihres Körpers in das Stratum mucosum hinein oder befinden sich 
ganz in demselben, von den Epithelzellen so vollkommen umschlossen, 
dass nur noch ein schmaler Stiel, nämlich der eintretenden Nerve, 
die Verbindung mit der Cutis aufrecht erhält. Die regelmässige 
diseusartige Gestalt der Zellen, wie sie in der Gutis ausnahmslos 
beobachtet wird, ändert sich bei diesen in das Epithel vorgerückten 
Zellen oft in eine mehr kugelige oder birnförmige um. 

Bei der Untersuchung der Säugethierhaut lag es nahe, eben- 
falls Stellen zu wählen, welche beim Tasten eine grössere Rolle 
spielen. Ich wandte mich daher, auch in Berücksichtigung noch 
anderer Vorzüge dieser Stelle, an die unbehaarten Theile der Schnauze. 
Vor allem musste der Rüssel des Schweines ein gutes Object sein, 
wenn wirklich die Annahme, dass man in den beschriebenen Zellen 
Tastorgane vor sich hat, richtig war. In der That lassen an dieser 
Stelle auch die Tastzellen sowohl an Zahl, wie an Deutlichkeit nichts 
zu wünschen übrig. Doch war es höchst auffallend und interessant, 
dass hier die fraglichen Zellen nicht in der Cutis, wie es bei den 


1) Bei Singvögeln z. B. sind.die Zellen sehr flach, die Tastkörper also 
mehr geldrollenartig, wodurch auch Ihlder an der richtigen Erkemntniss 
der in der Zunge befindlichen Endorgane verhindert wurde. 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 648 


Vögeln im Allgemeinen der Fall ist, sondern durchweg in der 
Epidermis ihren Platz finden. Fig. 12 gibt eine Darstellung dieser 
Verhältnisse. z ist ein Epithelzapfen, wie er zwischen den Papillen 
(p, p), die hier sehr hoch und schlank sind, in die Tiefe ragt. An seiner 
Basis zwischen den untersten Zellen des Stratum mueosum liegen die 
Tastzellen, welche hier im Schweinsrüssel zwar immer ohne näheren 
gegenseitigen Zusammenhang, aber doch fast stets zu grösseren Gruppen 
vereinigt, beisammen stehen. Die Basis des Epithelzapfens ist dann 
förmlich aufgetrieben, um allen Endigungen Platz zu gewähren. 
Sind die Gruppen klein, so genügt auch der Raum in den nach ge- 
wöhnlicher Weise kegelförmig abgestutzten Enden der Epithelzapfen. 
Oefters begegnet man isolirten Zellen (Fig. 12a), welche sich etwas 
weiter nach der Hautoberfläche hinauf gelagert haben, aber doch 
auch hier stets in den allertiefsten Lagen der Epidermis ihren Platz 
behaupten. 

Der Schweinsrüssel ist ebenso, wie die Entenzunge, ein Object, 
dessen Haut sich auch ohne weitere Behardlung sehr gut zur Aus- 
führung feinster Rasirmesserschnitte eignet, und man kann sich 
am frischen Organ davon überzeugen, dass man es mit hellen Zellen 
zu thun hat, deren sehr zarter Kern nur bei voller Aufmerksamkeit 
dem Beobachter sichtbar wird. Ebenso wie bei der Ente tritt auch 
hier der Kern auf Essigsäurezusatz weniger scharf hervor, wie in 
nicht nervösen Zellen. Verdünnte Natronlösung, das alte Universal- 
reagens für Tastkörperchenuntersuchungen, verwandelt die ganze 
Tastzellengruppe schnell in eine gleichmässige, schwach granulirte 
Masse, während die Epithelzellen in der Umgebung ihre Con- 
turen noch durchaus erhalten zeigen. Wahrscheinlich beruht auch 
auf dieser Eigenschaft der Natroneinwirkung das Auffinden des 
angeblichen Innenkolbens im Innern der menschlichen Tastkör- 
perchen. 

Wendet man Osmiumsäure an, dann werden die Epithelzellen 
dunkel, wie es in Fig. 12 wiedergegeben ist. Die Tastzellen aber 
treten als ganz helle Blasen mit dem unveränderten blassen Kern 
aus der dunkelen Umgebung scharf hervor und lassen sich, auch 
wenn sie einzeln liegen, deutlich erkennen. Sie sind von einer sehr 
scharf contourirten Hülle umgeben, welche sich hier ebenso, wie 
bei den Vögeln als die directe Fortsetzung der Schwann’schen 
Nervenscheide zeigt. Ein gezackter Grenzcontour, wie er bei 
den mit Riffen versehenen umliegenden Epithelzellen schön zur 


644 Fr. Merkel: 


Beobachtung kommt, fehlt durchaus, was ebenfalls dazu beiträgt, 
die Zellen vor ihrer Umgebung auszuzeichnen . 

Hat das Osmium, wie es manchmal, besonders bei zu dicken 
Stücken, vorkommt, nicht die gewünschte Wirkung gehabt, dann 
sieht man viele Epithelzellen von Vacuolen eingenommen, welche 
hier und da den Tastzellen nicht ganz unähnlich aussehen. Doch 
ist eine Verwechselung wegen des Fehlens jeder Andeutung eines 
Kernes in dem hellen Raum nicht wohl möglich. Die Tastzellen 
pflegen sich in einem solchen Falle auch nicht intact zu halten, 
sondern verändern sich so, dass sie, zu einer glasigen Scheibe zu- 
sammengeschrumpft, der äusseren (d. h. der Hautoberfläche zuge- 
wandten) Seite ihrer Umhüllung anliegen. 

Der continuirliche Zusammenhang des Zellprotoplasmas mit 
der doppelteontourirten Nervenfaser ist bei Säugethieren weit schwie- 
riger zu eonstatiren, als bei den genannten Vögeln und es würde uns 
kein Vorwurf treffen, wenn wir beim Tastsinn ebenso, wie beim Geruchs-, 
Geschmacks- und Gesichtssinn ein kleines Stückchen Continuität 
zwischen dem Nerven und dem eigentlichen Endorgane vermissten. 
Doch ich befinde mich in der glücklichen Lage, auch beim Säuge- 
thier den Zusammenhang ganz und ohne Unterbrechung constatiren 
zu können. Die Schwierigkeit einer vollständigen Darstellung des 
Verlaufes von der doppelteontourirten Nervenfaser bis in die Zelle 
beruht darin, dass die Faser schon sehr frühe, während sie sich 
mehrfach theilt, ihr Nervenmark verliert, wodurch sie in dem um- 
gebenden Bindegewebe gar nicht mehr aufzufinden ist. Gelingt 
dies aber doch, und hat man eine Fibrille bis zum Eintritt in das 
Epithel verfolgt, dann windet sie sich hier meist zwischen den Epi- 
thelzellen so mäandrisch durch, dass man sie alsbald aus dem Ge- 
sichte verliert, und nur selten ist ein Fall, wie der in Fig. 12 bei 
b dargestellte, wo in Einem Schnitte der ganze Verlauf einer Faser 
bis in die Zelle sichtbar wird. 

Doch wendet man sich an ein anderes Object, dann verschwinden 
alle Schwierigkeiten, und der ganze Zusammenhang lässt sich fast 
immer demonstriren, — es st dies in den Tasthaaren. Schon 
Dietl!) und Sertoli?) haben hier die Nerven durch die Glashaut 
bis in das Epithel der Wurzelscheide verfolgt, aber die Endigung 


1) Wiener Sitzungsberichte 66. Band. III. Abthl. 1872. 
2) Sertoli, Estratto dalla Gazzetta Medico-Veterinaria Anno I. 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 645 


nicht ganz richtig erkannt. Der letztere glaubte die Terminalge- 
bilde in sternförmigen, anastomosirenden Zellen zu sehen, während 
der erstere knopfförmige Endigungen beschreibt. Beide wurden sie 
durch die Vergänglichkeit der Tastzellen irre geleitet. In Gold 
nämlich zieht sich deren blauroth gefärbtes Protoplasma in den 
verschiedensten Formen von der Wand zurück und täuscht so stern- 
förmige Zellen vor, während in Osmium ebenfalls mancherlei Zer- 
störungsformen vorkommen, die wiederum ganz an die Dietl’schen 
Bilder erinnern (vergl. Fig. 14). Der Grund, warum es so schwer 
ist, an grösseren Tasthaaren ganz vollkommen erhaltene Tastzellen 
zu sehen, ist der, dass das Reagens, auch wenn man den Balg 
öffnet, doch durch die dicke Glashaut nur sehr schwer einzudringen 
vermag und dadurch den zarten Nervengebilden Zeit lässt, sich vor 
der Einwirkung des Reagens zu verändern. Benutzt man aber die 
kleinsten Tasthaare, wie sie sich an der Grenze der behaarten 
Lippen bei allen Säugethieren finden, und wie sie als ganz kleine 
Borsten auf der Fläche des Schweinsrüssels in ziemlich regelmässigen 
Abständen stehen, dann erhält man eine genügende Reaction. Die 
Fig. 13 stellt den Querschnitt durch ein Rüsseltasthaar des Schweines 
dar, und zwar ist der Schnitt ziemlich dicht unter den Talgdrüsen 
geführt. Es sind hier die Zellen ganz ebenso schön, wie in den 
Epithelzapfen der eigentlichen Haut erhalten und man sieht die 
Fasern, welche meist schon ihre Markscheide abgeworfen haben, in 
ihre Hülle eingeschlossen, durch die dünne Glashaut durchtreten 
und in das Protoplasma der Zellen sich einsenken. Die letzteren 
bilden einen Gürtel um das Haar, den man am besten mit dem 
Gürtel vergleichen kann, welchen die Geschmacksknospen um die 
Papillae vallatae bilden. 

Verzichtet man auf die Darstellung des ganz directen Zusam- 
menhanges, so kann man sich aus jedem Präparate die Durch- 
schnitte zusammensuchen, die die Continuität fast ebenso sicher 
erschliessen lassen, wie es eines der ersteren Präparate vermag. 
So kann man einerseits die Zellen mit ihren Stielen — den Axen- 
cylindern — gegen die Cutis hinstreben sehen, während man die 
Nerven, ihr Mark abwerfend, in die nächste Nähe des Epithels 
herantreten sieht. Soweit wie in Fig. 15 ist der Zusammenhang 
bei den anderen Sinnesorganen kaum verfolgt, und trotzdem steht 
man nicht an, denselben zu präsumiren, so dass es wohl kein allzu 
gewagter Schluss ist, wenn ich annehme, dass bei a nur eine kleine 


646 Fr. Merkel: 


Biegung des Nerven durch den Schnitt weggenommen ist, und dass 
hier der Zusammenhang mit der Tastzelle bestand. 

Vergleicht man ferner die Verhältnisse, wie sie in Fig. 13 
bei a‘, b und c dargestellt sind, dann wird man leicht erkennen, 
dass es bei a’ nur. eines etwas tiefer gelegten Schnittes bedurft 
hätte, um ein Bild, wie in b zu erhalten, und dass sich an dieses 
wieder der in c gezeichnete Nervendurchschnitt unmittelbar an- 
schliesst. Einmal darauf aufmerksam geworden, findet man solche 
Durchschnitte in allen Präparaten wieder. 

Ebenso, wie beim Schwein und Rind, so lassen sich auch beim 
Schaf, bei der Katze, dem Hund, Kaninchen und allen übrigen in 
unseren Gegenden lebenden Säugerklassen die Tastzellen an den 
empfindlichsten Stellen nachweisen, und ich habe ausser an der 
Schnauze, auch an der Lippe, den Augenlidern, der Vola manus 
und Planta pedis, an den Ohren, dem Schwanze u. s. w. solche 
gefunden. Ich darf über dieselben jedoch hier, wo es sich nicht 
um eine systematische Specialuntersuchung handelt, hinweggehen. 

Beim Menschen nun, wo sich in den Tastkörperchen wieder 
Endorgane finden, welche in die Cutis herunterrücken, ist deren 
Analysirung desshalb etwas schwierig, weil sie von einer ziemlich 
derben, mit Kernen versehenen Faserhülle umgeben sind. Doch ist 
es auch hier auf recht feinen Schnitten möglich, die zellige Structur 
des Körperchens in weiterer Ausdehnung zu beobachten (Fig. 16). 
Hier noch näher auf diese zellige Beschaffenheit der Tastkörperchen 
einzugehen, halte ich für überflüssig, da es auf jedem Querschnitte 
der Haut, welcher Tastkörperchen enthält, möglich ist, durch Dre- 
hung der Mikrometerschraube nachzuweisen, dass die Querstreifen 
des Tastkörperchens nicht Öberflächengebilde sind, sondern voll- 
ständig durchgehenden Trennungsflächen entsprechen, wodurch schon 
an sich ein unregelmässig geldrollenartiger Aufbau der Tastkörper- 
chen bewiesen wird. Ferner aber hat schon Langerhans!) davon 
eine so durchaus treue Darstellung sowohl was die Beschreibung, 
als was die Abbildungen anlangt, gegeben, dass ich mich hier be- 
schränken kann, darauf zu verweisen. Die eigentliche Bedeutung 
der Zellen aber ist diesem Forscher entgangen, aus dem schon oben 
angeführten Grunde, weil nämlich die menschliche Haut für den 
Anfang das weitaus ungünstigste Object zum Studium der Tast- 


1) Schultze’s Archiv Bd. IX, p. 730. 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 647 


körperchen bildet. Er charakterisirt die Tastzellen folgendermassen: 
»Gestalt der Kerne, der Zellen und mehr fast noch ihre Färbung 
stimmen mit der von Bindegewebszellen überein und es wird daher 
gerathen sein, sie bis auf Weiteres der gemischten Gesellschaft dieser 
Elemente anzureihen«. 

Die Nerven aber verfolgt er bis zu dem Aufhören des Mye- 
lingehaltes (seine Endknospen), und glaubt die Endigungen in den 
angeschwollenen Myelinknöpfchen zu sehen. Es ist nun schon a 
priori unwahrscheinlich, dass ein Nerve bis zu seinem definitiven 
Ende das Myelin bewahrt, und ausserdem lässt sich ganz zweifellos 
nachweisen, dass eine Anzahl von Nervenfasern ihr Mark abwirft 
und in der bekannten Weise, als dünner Faden von zwei Contouren 
begrenzt, sich fortsetzt. Die Endknospen erklären sich dadurch, 
dass man stets, wenn die marklose Faser nicht in gleicher Flucht 
mit der markhaltigen liegt, von welcher sie abgeht, sondern sich im 
Winkel von ihr trennt, eine den Endknospen analoge knopfförmige 
Abrundung derselben findet (Fig. 14). 

Dass die an ein menschliches Tastkörperchen herantretenden 
Nervenfasern in bestimmten Beziehungen zu den einzelnen Abthei- 
lungen stehen, oder mit andern Worten, dass das menschliche Tast- 
körperchen ein zusammengesetztes ist, welches sich aus mehreren 
einfachen aufbaut, hat auch schon T hin !) beschrieben und illustrirt. 
Ich kann noch hinzufügen, dass man nicht selten auch Papillen 
findet, in welchen sich die einfachen Tastkörperchen gar nicht näher 
vereinigen, sondern von je einer dunkelrandigen Faser versorgt, 
zerstreut im Bindegewebe eingebettet sind. 

Auch einzelne Tastzellen kommen in der Finger- und Zehen- 
haut des Menschen vor. Sie sind freilich nicht sehr häufig und 
man kann Schnitten begegnen, wo man sie erst nach langem Suchen 
zu Gesicht bekommt. An anderen Stellen der Haut, welche der 
Tastkörperchen ganz entbehren, oder doch deren sehr wenige haben, 
sind die vereinzelten Tastzellen häufiger, und suchen sich dann als 
Standort mit Vorliebe die in die Tiefe ragenden Epithelzapfen aus, 
wie es Fig. 17 von einem der Unterschenkelhaut entnommenen 
Schnitte zeigt. Dicht hinter dem Nagelfalz und am Hals, den ein- 
zigen Gegenden, welche ich bis jetzt ausserdem untersuchen konnte, 


1) Wiener Sitzungsberichte Mai 1873; ferner: Journal of Anatomy 
and physiol. Bd. VIU. p. 30. 


648 Fr. Merkel: 


ist das Verhältniss nicht anders. An allen diesen Stellen liegen 
die Tastzellen stets in der tiefsten Schichte der Epidermis, wie es 
auch in Fig. 17 dargestellt ist. Mit der Hälfte ihres Leibes pflegen 
sie sogar in die Cutis hineinzuragen. Ja es sind mir mehrmals 
Präparate begegnet, in welchen einzelne Tastzellen ganz in die 
Cutis heruntergerückt waren und dann dicht unterhalb des Epithel- 
stratum ihren Platz fanden. 

Den Zusammenhang der Tastzellen in der menschlichen Haut 
mit doppeltcontourirten Nervenfasern nachzuweisen, ist mir bis jetzt 
noch nicht mit wünschenswerther Sicherheit gelungen. Man sieht 
zwar alle Bilder, welche auf eine abgehende Faser hindeuten 
beim Menschen ebenso, wie bei den oben beschriebenen Säuge- 
thieren (vergl. Fig. 13, 15 u. 17), doch verliert sich der von der 
Zelle ausgehende Fortsatz regelmässig an der Grenze der Cutis, 
während die Nerven, wie es schon R. Wagner bekannt war, an 
vielen Stellen der Haut ganz zu fehlen scheinen, d. h. des Markes 
entbehren. Auch das Gold hat mir in der Verfolgung des Zusam- 
menhanges nur so viel geleistet, dass ich denselben einmal gesehen 
zu haben glaube. Ein solches Unicum aber beweist natürlich nur 
sehr wenig oder gar nichts.° Es muss desshalb einer anderen Me- 
thode vorbehalten bleiben, diesen Zusammenhang noch zu consta- 
tiren. Trotzdem aber wage ich es jetzt schon, die in Fig. 17 ab- 
gebildeten Zellen als Tastzellen anzusprechen, weil die Analogie 
mit den beim Schwein, Rind, Schaf und anderen Thieren gefundenen, 
wo es regelmässig gelang, den Zusammenhang von Nerv und Zelle 
sichtbar zu machen, eine so vollkommene ist, dass eine Verwechse- 
lung mit anderen Gebilden ausgeschlossen erscheint. 

Es würde nun noch die Frage zu beantworten sein, ob die 
von mir beschriebenen Zellen dasselbe sind, wie die Langerhans’- 
‚schen !), oder ob man Gebilde anderer Art vor sich hat. Dem 
Leser wird es nach dem Vorstehenden schon jetzt nicht mehr zwei- 
felhaft sein, dass Langerhans andre Dinge beschreibt. Denn 
erstens sind die von mir aufgefundenen Zellen nichts weniger als 
sternförmig und zweitens befinden sie sich nicht an der äusseren, der 


1) Virchow’s Archiv Bd. 44. p. 325. Auf die Besprechung der von 
Tomsa (Wiener med. Wochenschr. 1865. No. 53) mitgetheilten Unter- 
suchungen kann ich augenblicklich nicht weiter eingehen, da es mir bis jetzt 
an Gelegenheit fehlte, seine Ergebnisse einer Nachprüfung zu unterwerfen, 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 649 


Hornschicht zugewandten Grenze der Schleimschichte, sondern aus- 
nahmslos an der inneren, der Cutis anliegenden Seite derselben. 
Ausserdem ist es möglich, auch an gut conservirten Osmiumsäure- 
Präparaten die Langerhans’schen Zellen nachzuweisen und so 
durch ganz directen Vergleich an einem und demselben Schnitte 
zu constatiren, wie sehr sich die Tastzellen davon unterscheiden. 
Die Bedeutung derselben ist durch vergleichende Untersuchung 
an verschiedenen Säugethierspecies zu ermitteln. Man hat nichts 
weiter vor sich als Pigmentzellen, mögen sie nun wirklich Pigment- 
molecüle beherbergen oder nicht. Schon Paladino!) hat auf die 
Aehnlichkeit der Langerhans’schen Zellen mit Pigmentzellen hin- 
gewiesen, ohne ihre Identität geradezu zu behaupten. Auch ich 
schwankte einige Zeit, bis ich durch zwei sich ergänzende Beob- 
achtungen völlige Sicherheit erhielt. Ich fand nämlich, dass die 
grossen, den Corneakörperchen nicht unähnlichen Pigmentzellen, 
welche die äusserste Schichte der Froschhaut bilden, nicht selten, 
besonders an schwach pigmentirten Stellen in grösserer Anzahl 
ohne ein einziges Pigmentkörnchen angetroffen zu werden. Sie 
haben ganz die sternförmige Gestalt der Pigment tragenden Zellen, 
hängen auch mit solchen durch Anastomose zusammen und unter- 
scheiden sich von ihnen nur durch ihr protoplasmatisches Aussehen. 
Es stand also fest, dass es auch unter durchaus normalen Ver- 
hältnissen Pigmentzellen ohne Pigment gibt, wie man es ja schon 
‚von dem pathologischen Präparat der albinotischen Choroidea her 
wusste. Ich machte darauf folgenden Versuch: Ein schwarz und 
weiss gefleckter Schweinsrüssel wurde so in Stücke geschnitten, 
dass die schwarzen Inseln und die weissen Stellen von einander 
getrennt wurden. Ein Schnitt durch das frische Organ bewies, dass 
in letzteren Theilen keine Spur von Pigment zu bemerken war. 
Die pigmentirten Stellen behandelte ich nun mit Osmium in der 
gewöhnlichen Weise, während ich die unpigmentirten Stücke in 
Goldlösung legte. Die Anfertigung der Schnitte ergab dann eine 
so absolute Uebereinstimmung in Lagerung, Aussehen und Menge 
der sternförmigen Zellen, in dem einen Präparat durch Pigment, 
in dem anderen durch Gold dunkel gefärbt, dass es unmöglich ge- 
wesen wäre, sie zu unterscheiden, hätte nicht der braune resp. rothe 


1) Sulla terminazione dei nervi cutanei delle laltra. Bulletino dell’ 
Associatione dei Naturalisti Medici per la mutua istruzione. No. 10. 1871. 


650 Fr. Merkel: 


Grundton der Schnitte die Herkunft bewiesen. Auch von anderen 
Thieren entnommene Präparate waren so täuschend, dass es an 
vergoldeten Objeeten oft genug unmöglich war, zu sagen, ob man 
pigmentirte Zellen vor sich hatte, oder nicht. 

Im Gegensatz zu den Langerhans’schen Zellen erhalten 
sich die Tastzellen in Gold meist ziemlich schlecht. Wenn auch 
die Hülle oft ihre ursprüngliche Form bewahrt, so ändern doch die 
Zellen selbst ihre Gestalt nicht unbeträchtlich und man erhält 
Bilder, wie sie auch an missglückten Osmiumpräparaten zur Beob- 
achtung kommen (Fig. 14). 

Die Langerhans’schen Zellen dürfen also nach solchen Er- 
gebnissen ihres bisher zweifelhaften Charakters entkleidet und de- 
tinitiv in die Reihe der Bindegewebselemente verwiesen werden. Auch 
mit den von Freyfeld-Szabadföldy !) beschriebenen, von 
Luschka?) bestätigten Zellen ist es nicht anders. Sie lassen sich 
besonders schön und reichlich in den Tasthaar-Bälgen der Katze 
nachweisen, ohne jedoch weder frisch noch in Osmiumsäure, noch 
auch in Gold eine Färbung und einen Zusammenhang mit irgend 
einer Nervenfaser erkennen zu lassen. 

So darf ich denn als Thatsache aussprechen, dass in der Haut 
nur eine einzige Art der Nervenendigung in Zellen vor- 
kommt, die Endigung in Tastzellen. 

Ausserdem aber konnte ich sowohl bei den Vögeln, wie auch 
bei den Säugethieren die an manchen Stellen in sehr bedeutenden 
Mengen vorkommenden Vaterschen Körperchen, die einfacheren End- 
kolben, bei den Säugethieren auch die frei zwischen den Epithelzellen 
des Stratum mucosum liegenden knopfiörmigen Endigungen von 
Nerven bestätigen, und zwar gerade da, wo die meisten Tastzellen 
liegen (Entenschnabel, Schweinsrüssel) am schönsten. Es ergibt 
sich also das ebenso unerwartete, wie interessante Schlussresultat: 

In der Vogel- wie Säugethierhaut kommen neben- 
einander zwei nach dem ursprünglichen Bauplane 
srundverschiedene Arten der Nervenendigung vor, 
einmal in Tastzellen und dann mit freien End- 
knöpfchen. 


1) Beitr. zur Histol. der Zungenschleimhaut. Virchow’s Archiv 
Bd. 38. p. 177. 
2) Schultze’s Archiv Bd. V. p. 126. 


Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren und beim Menschen. 651 


Fig 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Der Versuch liegt nun sehr nahe, diese Verschiedenheit auch 
physiologisch zu verwerthen, und ich glaube auch in der That die 
zelligen Enden als eigentliche Tastnerven, die freien Enden dagegen 
als Temperaturnerven deuten zu dürfen, worüber ich an anderer 
Stelle mehr berichten werde. 

Rostock, Pfingsten 1875. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XLII u. XLIN. 


10. 


11. 


Zwillingstastzelle aus einer verhornten Seitenpapille der Enten- 
zunge. In dem frisch unter Humor aqueus untersuchten Präparat 
sind die Kerne nicht sichtbar, während sich der Eintritt der blass 
werdenden Nervenfaser in die Spalte zwischen beiden Tastzellen 
deutlich präsentirt. Ä 
Zwillingstastzelle aus der Wachshaut der Ente. Die Zellkerne, der 
Nerveneintritt und der Uebergang der Schwann’schen Scheide in 
die Tastzellenhülle sind sichtbar (Osmiumsäure-Präparat, wie alle 
übrigen Figuren mit Ausnahme von Fig. 9). 

Flächenschnitt einer Tastzelle ebendaher. Der schwarze daneben 
befindliche Durchschnitt ist die zugehörige doppeltcontourirte Ner- 
venfaser. 

Zwillingstastzelle ebendaher. Zwischen den beiden Zellen ist der 
Durchschnitt der eintretenden, nun marklosen Nervenfaser sichtbar. 
Tastzellencombination ebendaher. 

Einfaches Tastkörperchen aus einer weichen Zungenpapille der Ente. 
Die Nervenfaser verliert beim Eintritt zwischen Scheide und Tast- 
zellen ihr Myelin, und senkt sich aufwärts ziehend mit kleinen 
Verbreiterungen zwischen je zwei Tastzellen ein. 

Zusammengesetztes Tastkörperchen ebendaher. 

Durchschnitt durch eine weiche Zungenpapille der Ente, mit Tast- 
zellen und Vaterschen Körperchen. 

Oberfläche der Entenzunge. a, b, c verhornte, d weiche Papillen. 
Papille aus der Schnabelspitze des Huhnes. Tastzellen und Nerven- 
fasern. 

Papille aus der Schnabelspitze der Taube. Einzelne Tastzellen sind 
in das Epithelstratum vorgerückt. 


Fr. Merkel: Tastzellen und Tastkörperchen bei den Hausthieren etc. 


ig. 18. 


ig. 14. 


.15. 
ie. 16. 


. Epithelzapfen (z), aus dem Schweinsrüssel, eine grössere Tastzellen- 


gruppe enthaltend. p, p die neben dem Epithelzapfen aufsteigenden 
Papillen. a. Isolirte Tastzelle. b. Tastzelle, in welche sich eine 
Nervenfaser einsenkt. 

Tasthaar vom Schweinsrüssel. a, a, a’ In die Tastzellen eintretende 
Nervenfasern. b. Durchschnitt einer Nervenfaser, die sich eben 
mit der Zelle vereinigt. c. Durchschnitt einer solchen dicht vor 
der Vereinigung. 

Längsschnitt eines Tasthaares der Katze. Die Tastzellen sind schlecht 
conservirt. a. Glashaut zwischen dem Balg und dem Epithel der 
Wurzelscheide. 

Tastzellen in einem Epithelzapfen aus der Nase des Rindes. 
Tastkörperchen aus dem menschlichen Finger. Längsschnitt, die 
zellige Structur ist sichtbar. 


. Tastzellen in einem Epithelzapfen aus der Haut des menschlichen 


Unterschenkels. 


Ueber die Endkolben der Conjunctiva. 
Von 


Dr. L. RB. Longworth, 


Cineinnati, Ohio. 


(Aus dem anatomischen Institute zu Strassburg.) 


Hierzu Taf. XLIV. 


Die von W. Krause!) in der Conjunctiva des Menschen und 
einiger Säugethiere entdeckten »Endkolben« sind bis zur Stunde 
noch ein vielfach bestrittenes Object gewesen. Bald nach der Pub- 
lication der ersten Krause’schen Arbeiten suchte J. Arnold?) die 
Endkolben als Kunstproducte hinzustellen. Krause selbst verthei- 
digte Angaben zu wiederholten Malen, Frey°), Lüdden®), ein 
Schüler Köllikers, Letzterer selbst), Lightbody®), Mauchle’?) 


1) Ueber Nervenendigungen. Ztschr. f. rat. Med. von Henle u. v. 
Pfeuffer, III. Reihe, 5. Bd. 1858, p. 28. — Ferner: Die terminalen Körper- 
chen der einfach sensiblen Nerven, Hannover, 1860, 8. p. 112. — Ferner: 
Anatomische Untersuchungen, Hannover, 1861. 8. 

2) Ueber die Endigung der Nerven in der Bindehaut des Augapfels 
und die Krause’schen Endkolben. Virchows Arch. für pathol. Anat. 24. 
Bd., p. 250 und 26. Band, p. 306. 

3) Lehrb. d. Histologie, 2. u. 4. Aufl. p. 337. 

4) Nachuntersuchung über die Krause’schen Endkolben etc. Zeitschr. 
für wiss. Zool., XII. Band. p. 470. 

5) Gewebelehre, 4. Aufl. 1863. p. 116. 

6) Observations on the compar. anat. of the cornea of vertebrates 
Journ. of anat. and. physiol, Nro. I. 1866. p. 15. 

7) Die Nervenendigungen in der Conjunctiva bulbi, Arch, f. patholog. 
Anatomie. 41. Bd. p. 148. 


654 L. R. Longworth: 


und Rouget!) bestätigen dieselben. Andere Autoren, Helfreich?), 
Morano?), Stricker®), berühren diesen Gegenstand bei Bespre- 
chung der Conjunctival-Nerven entweder gar nicht, oder haben (Helf- 
reich) die wenig unterstützende Angabe, dass sie nur einmal, und 
zwar beim Frosch, ein Gebilde gefunden haben, welches einem End- 
kolben gleich sah. Die beiden neuesten Bearbeiter der Conjunctiva, 
Ciaccio®) und Waldeyer‘), kommen, der Erstere zu einem po- 
sitiven, der Letztere zu einem negativen Resultate. 

Ich hatte in jüngster Zeit Gelegenheit, ein von W. Krause an 
Prof. Waldeyer eingesendetes Präparat von menschlichen Conjunc- 
tival-Endkolben zu sehen, welches allerdings keinen Zweifel übrig 
liess, dass diese Gebilde in der menschlichen Conjunctiva, so wie 
sie W. Krause beschrieben hat, existiren. Es handelte sich nun- 
mehr, die Existenz der conjunctivalen Endkolben als normaler Nerven- 
endigungen zugegeben, darum, nachzusuchen, worin der Grund der 
so widersprechenden Angaben der einzelnen Forscher, die doch mit 
denselben Methoden arbeiteten, gelegen habe und ein Untersuchungs- 
Verfahren ausfindig zu machen, welches diese Bildungen sicher 
zu jeder Zeit demonstrabel mache, und fernerhin nähere Einsicht 
in den Bau dieser interessanten Terminalgebilde zu gewinnen. 

Die von W. Krause selbst empfohlenen Untersuchungsweisen 
(Terminale Körperchen, pag. 133, und briefliche Mittheilung an Prof. 
Waldeyer vom 31. Mai 1874) bestehen in der möglichst vorsich- 
tigen Abtragung eines grösseren Stückes ganz frischer Conjune- 
tiva, bei sorgfältiger Entfernung des subeonjunctivalen Gewebes, so 
dass man nur die allernothwendigsten Gewebsschichten — die End- 


1) Mömoire sur les eorpuse. nerveux qui se rencontrent & l’origine des 
nerfs sensitifs, dans les papilles de la peau et des muqueuses. Arch. de phy- 
siologie (Brown-Sequard, 1868. Nro. 5. p. 591. 

2) Ueber die Nerven der Conjuretiva und Sclera. Würzburg 1870. 8. 35 8. 

3) Ueber die Nerven der Conjunctiva. Arch. f. Ophthalmologie. Bd. 17. 
Abth. 2. p. 228. 

4) Stricker, Gewebelehre, Artikel: Conjunctiva und Selerotica p. 1142. 

5) Osservazioni intorno alla struttura della congiuntiva umana. Bologna, 
1874. 4. (Memorie dell’ Accademia delle Scienze dell’ Istituto di Bologna p. 34.) 

6) Handbuch der gesammten Augenheilkunde redigirt von Graefe 
und Saemisch. Bd. 1. 1874. Artikel: Cornea, Sclera, Lider und Conjunctiva, 
p- 169 ff. 


Ueber die Endkolben der Conjunctiva. 655 


kolben liegen nahe unter dem Epithel — conservirt. In einem solchen 
wirklich frischen Präparate menschlicher Conjunctiva seien die End- 
kolben am besten zu sehen. Ist aber die Conjunctiva nicht mehr 
ganz frisch, wie es bei den menschlichen Augen meistens der Fall 
sein wird, so macerire man die Conjunctivalstücke in verdünnter 
Essigsäure, bis das Bindegewebe gequollen und durchscheinend ge- 
worden ist. Diese Verfahren sind, wie wir uns überzeugt haben, 
durchaus brauchbar, um die Existenz der Endkolben nachzuweisen ; 
sie entziehen sich aber, wie namentlich die Polemik J. Arnolds 
gezeigt hat, nicht dem Vorwurfe, dass sie unter Umständen Arte- 
facte erzeugen können; man kann die so gewonnenen Präparate nur 
kurze Zeit (die Essigsäure-Präparate machen nach Krause’s eigener 
. brieflicher Angabe davon eine Ausnahme, da Krause solche 9 Jahre 
aufbewahrt hat, conserviren, und geben keinen Aufschluss über den 
feineren Bau’ der Endkolben. W. Krause selbst hat (briefliche 
Mittheilung) Goldchlorid, Ueberosmiumsäure, Tinctionsmethoden, 
Durchschnitte versucht, bis jetzt aber keine Vortheile davon gehabt. 
Ciaceio hat vorzugsweise das Goldchlorid in Anwendung gebracht, 
und damit einige bemerkenswerthe Resultate erzielt, von denen weiter 
unten noch näher die Rede sein wird. Er erwähnt auch die An- 
wendung von Ueberosmiumsäure; seine Abbildungen und, wie es 
scheint, seine Beschreibungen beziehen sich aber vorzugsweise auf 
Goldchloridpräparate; übrigens beschreibt er sein Verfahren nicht 
genauer. 

Ich kann nach längeren Versuchen nachstehende Untersuchungs- 
weise empfehlen, welche einmal die Existenz der Endkolben als 
normaler Gebilde, wie ich meine, über jeden Zweifel sicher stellt, 
es ermöglicht die Präparate auf die Dauer aufzubewahren, und end- 
lich Aufschlüsse über einige bisher nicht bekannte Texturverhält- 
nisse gibt, die für die Beziehungen der Endkolben zu den übrigen 
Nervenendorganen nicht ohne Interesse sein dürften. 

Man schneide die möglichst frischen Bulbi — menschliche 
Bulbi sind im Allgemeinen bei nicht zu hoher Temperatur 3—4 
Stunden nach dem Tode noch brauchbar — schonend, unter Erhal- 
tung von möglichst viel Conjunctiva bulbi, in toto heraus, und be- 
freie sie an dem nicht von der Conjunctiva überzogenen hinteren Ab- 
schnitte vom anhängenden Fett-, Muskel- und Bindegewebe. Ein Faden 
wird an mehreren Stellen durch den freien hinteren Rand der Binde- 
haut gelegt, die Membran wird mittelst desselben leicht zurück- 


656 L. R. Longworth: 


gezogen und über dem hinteren Abschnitte des Bulbus befestigt, damit 
sie ihre natürliche Spannung beibehält. Alsdann wird das ganze 
Auge in eine !/; %, Osmiumsäurelösung eingetaucht, oder aber in 
einem Gefässe durch einen Faden suspendirt, und einfach den Däm- 
pfen einer solchen Lösung ausgesetzt. — In beiden Fällen nach 
20 Min. bis !/; Stunde bekommt das Epithel eine gelbliche Farbe, 
und die grösseren Nervenbündel, die im subconjunetivalen Binde- 
gewebe verlaufen, treten schon als schwarze, dem blossen Auge 
deutlich wahrnehmbare Stränge hervor. Damit aber auch die feinen 
Nervenfasern in den subepithelialen Schichten der Bindehaut eine 
tiefe Färbung bekommen,; ist es rathsam, die Einwirkung der Ueber- 
osmiumsäurelösung noch durch 12—24 Stunden fortzusetzen. Sollte 
die Lösung in der Zeit trübe oder bräunlich werden, so muss sie 
durch eine frische Lösung ersetzt werden. Nach Ablauf dieser Zeit 
lässt sich das Epithel in der Regel durch leichtes Streichen mit dem 
Pinsel oder der Fingerspitze in grossen Fetzen entfernen; nur am 
Limbus haftet dasselbe etwas fester, lässt sich aber meistens mit 
einiger Geduld durch dieselbe Procedur ohne energischeres Kratzen 
oder Schaben wegbringen. Sollte man sich aber dennoch genöthigt 
sehen, von der Staarnadel Gebrauch zu machen, so läuft man bei 
vorsichtiger Application derselben keine Gefahr, die Endkolben zu 
zerstören, denn dieselben sind kaum herunterzukratzen, wenn man 
nicht das ganze Gewebe: zerfetzt. — Als nächste Arbeit folgt nun 
das sorgfältige Abpräpariren eines möglichst dünnen und umfang- 
reichen Stückchens der Bindehaut, welches gleich in Wasser oder 
mit Zusatz von verdünnter Essigsäure (1—2°/,) auf Endkolben 
durchforscht werden kann. Um die Kerne der Bindegewebshülle 
der Endkolben besonders hervortreten zu lassen, kann man von 
einer Tinetion derselben Gebrauch machen: die Stücke der Conjunc- 
tiva, in der oben geschilderten Weise präparirt, werden zunächst 
auf eine viertel Stunde in Alkohol und nachträglich in eine ver- 
dünnte Lösung von Karmin oder Hämatoxylin gebracht, und in 
letzterer etwa 12 Stunden belassen. Zum bleibenden Einschluss 
leistet Glycerin gute Dienste, da die Präparate immer klarer und 
deutlicher werden, nachdem sie einige Tage lang in demselben ver- 
weilt haben. 

Auch mit Goldchlorid habe ich gute Bilder der Endkolben be- 
kommen, muss aber meiner Erfahrung nach dem eben geschilderten 
Verfahren entschieden den Vorzug geben. Nach gelungener Osmium- 


Ueber die Endkolben der Conjunctiva. 657 


tinetion müssen die Nerven als sehr dunkel gefärbte Fäden in der 
hellen und durchsichtig gebliebenen Membran erscheinen, so dass 
sie auf den ersten Blick mit schwachen Linsen klar und deutlich 
sich von den übrigen Gewebsbestandtheilen abheben. (So gewonnene 
Präparate haben sich unverändert jetzt ein Jahr lang conserviren 
lassen. Waldeyer.) Es ist rathsam, wenn möglich, gleich eine 
grössere Anzahl (4—6) von Bulbis diesem Verfahren zu unterwerfen, 
da nicht jedes Präparat gleich gut gelingt und nicht jeder Bulbus 
eine genügende Anzahl von Endkolben zeigt, um dieselben an her- 
auspräparirten Membranabschnitten leicht zu finden. 

In dem eben berührten Umstande, so wie in der ungleichen 
Vertheilung der in Rede stehenden Terminalkörperchen, worauf auch 
Krause aufmerksam macht, finde ich den Grund, der einzelne 
Autoren zur Läugnung der Endkolben in der Conjunctiva veranlasst 
hat. Zerlegt man die ganze menschliche Conjunetiva bulbi in 
5 Segmente, so findet man in zweien derselben meist gar keine End- 
kolben, in den anderen drei zusammen etwa 30—60 Stück. Diese 
Zahlen haben übrigens auch nur einen sehr approximativen Werth, 
da sich die Conjunctiven verschiedener Individuen verschieden ver- 
halten und die Endkolben einer und derselben Conjunctiva wiederum 
sehr ungleich vertheilt sind; sie sind übrigens niedriger als die von 
Krause angegebenen. Nach Ciaccio sollen die Endkolben im 
oberen äusseren Theile der Conjunctiva, im Bereiche des Nervus 
lacrymalis, für gewöhnlich am häufigsten sein. Ich finde die End- 
kolben der menschlichen Conjunctiva zahlreicher als die des Kalbes. 

Schon W. Krause hat auf den Unterschied aufmerksam ge- 
macht, der zwischen den Endkolben der Menschen und denen der 
meisten Thiere besteht. Wir haben bei den letzteren (Rind z. B.) 
Endkolben von länglicher Form, einem verkleinerten Pacini’schen 
Körperchen mit nur rudimentär entwickelter Kapsel täuschend 
ähnlich. Diese Endkolben (Fig. 1 u. 2) besitzen eine Bindegewebs- 
hülle, welche, wie sich aus den Osmiumsäurepräparaten entnehmen 
lässt, aus zwei Blättern besteht, einem äusseren und einem inneren. 
Das innere geht von der Schwann’schen Scheide aus, liegt dem 
Innenkoölben sehr dicht an, und ist mit reichlichen Kernen versehen. 
Das äussere Blatt, ebenfalls kernhaltig, steht mit dem Neurilemm 
des eintretenden Nerven in Verbindung, und ist von dem inneren 
Blatte durch einen beträchtlichen Raum, welcher mit einer augen- 
scheinlich homogenen Substanz ausgefüllt ist, getrennt. Diese zwei 

Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 11. 44 


658 L. R. Longworth: 


Blätter lassen sich auch bei den rundlichen Endkolben vom Menschen 
demonstriren (Fig. 3 u. 4), doch liegen sie hier viel näher an ein- 
ander, und, obwohl man deutlich wahrnehmen kann, dass das äussere 
Blatt mit dem Neurilemm im Zusammenhange steht, so ist es doch 
schwer die Verbindung des inneren Blattes mit der Schwann’schen 
Scheide wegen der Windung und Knäuelung des eintretenden Nerven 
nachzuweisen. Der Innenkolben der ovalen Endkolben besteht aus 
einer scheinbar homogenen, oder aber mitunter schwach granulirten 
Substanz, welche das blasse Nervenendstück eingebettet enthält. 
Dagegen kann man bei den rundlichen Endkolben mit einer etwas 
stärkeren Vergrösserung an Osmiumpräparaten wahrnehmen, dass 
die ganze Masse des sogenannten Innenkolbens aus 
eng aneinander gelagerten, mitunter einige Fetttröpf- 
chen enthaltenden kernhaltigen Zellen zusammenge- 
setzt ist (Fig. 6). Es würden somit die rundlichen Endkolben in 
dieser Beziehung mit der Structur der Tastkörperchen, wie sie in 
neuester Zeit von Langerhans beschrieben worden ist, überein- 
stimmen, während die ovalen oder länglichen Endkolben der Thiere 
zu der Gruppe der Pacini’schen Körper zu stellen wären. Uebrigens 
hat bekanntlich Albrecht Budge vor Kurzem !) auch für einen 
Theil des Innenkolben der Pacini’schen Körper eine zellige Zusam- 
mensetzung angegeben, so dass vielleicht hier ein sehr beachtens- 
werthes einheitliches Texturverhalten existirt. Es war mir bisher 
nicht möglich, eine zellige Zusammensetzung an dem Innenkolben 
der ovalen Endkolben nachzuweisen. 

Ich will übrigens nicht unerwähnt lassen, dass mir mitunter 
auch an den rundlichen Endkolben des Menschen Zeichnungen auf- 
gefallen sind, die den blassen Endstücken des Nerven in den ovalen 
Endkolben des Kalbes glichen. Ich habe solche in Fig. 3d und 
Fig. 5d abgebildet. Bei der starken Aufknäuelung des Nerven am 
Endkolben hielt es aber ungemein schwer, sich über diese Befunde 
eine sichere Aufklärung zu verschaffen und muss ich vor der Hand 
auf eine bestimmte Deutung dieser Bilder verzichten. 

In die ovalen Endkolben tritt stets nur ein einzelner Nerven- 
ast ein; bei den rundlichen dagegen sind sehr häufig zwei vorhanden, 
ja ausnahmsweise sogar drei oder vier, wie auch Ciaccio angibt. 
Diese multipel eintretenden Aeste resultiren fast immer aus der 


1) Berliner medicinisches Centralblatt 1873. Nro. 38. 


Ueber die Endkolben der Conjunctiva. 659 


Theilung eines Nerven in der Nähe des Endkolbens (Fig. 4 u. 5), 
oder aber sie kommen von demselben Nervenbündel her; nur einmal 
habe ich die Beobachtung gemacht, dass zwei Nerven, die von verschie- 
denen Nervenbündeln herstammten, in demselben Endkolben endigten. 

Bezüglich der Grösse der verschiedenen Theike der Endkolben 
ist Nichts neues mitzutheilen; da die von mir vorgenommenen Mes- 
sungen mit den von Krause angegebenen vollständig überein- 
stimmen. Ciaccio will eine zweite Art Endkolben in der mensch- 
lichen Bindehaut entdeckt haben, welche er als »fiocchetti nervosi« 
bezeichnet; er hat diese »Nervenflocken oder Nervenbüschel« aber 
nur in einem Präparate nachzuweisen vermocht. Ich habe bis jetzt 
diese Ciaccio’schen Körperchen nicht auffinden können. 


Zusatz. Ich habe mich von der Richtigkeit der Angaben 
des Dr. Longworth, welche er nach sehr sorgfältig im hiesigen 
anatomischen Institute gefertigten Präparaten aufgestellt hat, voll- 
kommen überzeust und erkenne nunmehr, unter ausdrücklicher 
Zurücknahme meiner negativen Mittheilungen im Handbuche von 
Graefe und Saemisch, die Existenz der W. Krause’schen End- 
kolben in der Conjunctiva als normaler Gebilde an. Es würde mich 
freuen, wenn diese Publication zur definitiven Beseitigung eines der 
vielen Streitobjecte in der Histologie führen möchte. 

Nachdem bereits seit längerer Zeit das Manuscript des Dr. 
Longworth in meinen Händen war, erschienen die interessanten 
Untersuchungen Fr. Merkel’s in vorläufiger Mittheilung, Göt- 
tinger Nachrichten 1875, p. 123, welche gegenwärtig im Archive 
zum Abdruck in ausführlicherer Publication gebracht werden. 
Merkel hatte die Güte, mir seine Präparate zu zeigen, und 
konnte er sich auch an den Präparaten des Dr. Longworth von 
der Richtigkeit der Zusammensetzung der menschlichen Conjunc- 
tivaendkolben aus Zellen, wie es von Longworth (s. o.) be- 
schrieben wurde, überzeugen. Merkel, s. vorläufige Mittheilung 
l. e., nimmt zweierlei verschiedene Arten von Nervenendigungen in 
der Haut an: freie Endigung und Endigung in Zellen. Nach unsern 
Befunden würden die Endkolben der menschlichen Conjunctiva, 
ebenso wie die Tastkörperchen, zu den Apparaten zu rechnen sein, 
in welchen die Nerven in Zellen endigen. Nach Einsicht der Mer- 
kel’schen Präparate habe ich es mir angelegen sein lassen, die con- 
junetivalen Endkolben des Menschen noch einmal auf dieses Verhalten 


660 L. R. Longworth: Ueber die Endkolben der Conjunctiva. 


hin zu prüfen. Ich konnte mich dabei an Ösmiumpräparaten auf das 
Bestimmteste von dem Uebergange einzelner Nervenfasern in die Zellen, 
aus denen der Binnentheil des Endkolbens sich zusammensetzt, über- 
zeugen. Das Verhalten erscheint hier ganz so, wie bei den Tast- 
körperchen. Der oder die in den Endkolben eingetretenen Nerven- 
fasern theilen sich innerhalb desselben noch einigemale, und diese 
Theilfasern gehen unmittelbar in die Zellen des Binnentheils über, 
die somit als nervöse erscheinen (Fig. 6 e). Um so mehr scheint 
mir nun die von Longworth hingestellte Angabe gerechtfertigt, 
dass die menschlichen Conjunctivaendkolben zu den Tastkörperchen 
gruppirt werden müssen, da für sie auch der entscheidende Fund 
Merkel’s zutrifft, dass die zugehörigen Nervenfasern in Zellen 
ihr Ende finden. — Ich will hier nicht unerwähnt lassen, dass 
bereits Rouget, 1. c., die Endkolben mit den Tastkörperchen zu- 
sammenstellt, doch stützt er sich dabei auf andere Gründe, da 
ihm die zellige Zusammensetzung beider Gebilde noch nicht bekannt 
war. Uebrigens discutirt bereits W. Krause, s. terminale Körper- 
chen p. 161 ff., die Beziehungen der Eindkolben zu den Tastkörper- 
chen einerseits und den Pacini’schen Körperchen andererseits; er 
erblickt namentlich in den menschlichen Endkolben Uebergangs- 
formen zwischen beiden extremen Gebilden — Tastkörperchen und 
Pacini’schen Körperchen. 
Strassburg, Elsass, Juni 1875. Waldeyer. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XLIV. 


Fig. 1 und 2. Ovale Endkolben aus der Kalbsbindehaut. a. äussere Scheide, 
b. innere Scheide, ce. Kerne der Scheiden. d. Innenkolben mit 
Terminalfaser. 

Fig. 3, 4, 5. Rundliche Endkolben aus der menschlichen Conjunctiva. 
d. blasse Faser, einer Terminalfaser ähnlich. a, b, c wie vorhin. 
e, e in Fig. 4 und 5 Theilungsstelle eines zutretenden Nerven; an 
derselben befindet sich ein Ranvier’scher Schnürring. 

Fig. 6. Endkolben der menschlichen Conjunctiva, Osmiumpräparat. a Zu- 
tretender Nerv. b. Scheide mit Kernen. c, c. Theilstücke des Nerven, 
deren Endigung nicht sicher gestellt werden konnte, d. Zellen, aus 
denen sich der Endkolben zusammensetzt. e. Zelle, in welcher ein 
Theilstück des Nerven endigt. 

Fig. 7. Stück der menschlichen Conjunctiva, schwache Vergrösserung; 14 End- 
kolben mit ihren Nerven. Osmiumsäure. Situationspräparat. 


Beiträge zur Mikroskopie. 
Von 


G. Valentin. 


IV. Einige Eigenthümlichkeiten der Doppelbrechung 
der Horngewebe und der Knochenmasse. 


Die dichten Horngebilde und das Perlmutt liefern immer Po- 
larisationsfiguren, die zweiachsigen doppelt brechenden Körpern mit 
einem Achsenwinkel von merklicher und sogar oft von bedeutender 
Grösse entsprechen. Die durch das Eintrocknen oder durch andere 
Einflüsse künstlich erzeugte Massenvertheilung kann ursprünglich 
einachsige Gebilde, wie die der Hornhaut, der Krystalllinse zwei- 
achsig machen. Eine hinreichend starke Druckwirkung ist im Stande, 
einen eingetrockneten Linsenwürfel in einen zweiachsigen Körper 
vorübergehend oder dauernd zu verwandeln. 

Die genauere Prüfung der dichten Horngewebe lehrt, dass 
hier Eigenthümlichkeiten vorkommen, die von einer unsymmetrischen 
Vertheilung der doppelt brechenden Elemente herrühren. 

Untersucht man einen Querschliff des Hornes oder der Klaue 
des Ochsen in dem dunkeln Gesichtsfelde des Nörrenberg’schen 
Polarisationsmikroskopes !), so erhält man ein Bild, wie es im all- 
gemeinen eine zweiachsige, senkrecht auf eine der beiden Mittel- 
linien geschliffene Platte liefert. Steht die Polarlinie unter + 45°, so 
bemerkt man zwei durch die Pole, d. h. die Durchschnittspuncte 
der beiden optischen Achsen und der beobachteten Fläche durch- 
setzende, sich nach aussen hin verbreiternde hyperbolische Büschel 


1) Das gewöhnliche Mikroskop zeigt hier nur farbige Sprenkel und 
keine Polarisationsfigur. 


662 G. Valentin: 


und in weissem Lichte eine Reihe lemniscatenähnlicher breiter iso- 
chromatischer Ringe, deren Farben an einander zu grenzen pflegen. 
Diese Thatsache deutet schon an, dass die Masse an und für sich 
schwach doppelt bricht und nur die sehr schief durchgeleiteten 
Strahlen des Nörrenberg’schen, nicht aber die senkrechten oder 
wenig geneigten Strahlen des gewöhnlichen Mikroskopes genügende 
Polarisationsfiguren in dem mit einem grossen Achsenwinkel ver- 
sehenen Horntheile geben. 

Ich habe schon an einem anderen Orte !) bemerkt, dass man 
die zu Stalllaternen benutzten Hornplatten ohne Weiteres unter den 
Nörrenberg bringen kann, um die Hyperbeln mit den Cassini'- 
schen Curven wahrzunehmen. Allein gerade solche Präparate zeigen 
in der Regel eine Eigenthümlichkeit, die man auch ausnahmsweise 
an anorganischen Platten mit unsymmetrischer Massenvertheilung 
bemerkt. 

Die dunkeln Hyperbeln durchsetzen nicht das Gesichtsfeld, 
sondern meist nur den ersten Ring der Cassini’schen Curven oder 
gehen höchstens als lichte Schatten darüber hinaus. Andere Horn- 
massen liefern bisweilen etwas ähnliches. 

Die Untersuchung in einfarbigem Lichte ?) führt zur Erkennt- 
niss einer zweiten Eigenthümlichkeit. Betrachtet man eine zwei- 
achsige Platte mit symmetrischer Massenvertheilung in einfarbiger 
Beleuchtung der gelben Weingeist- oder Gastlamme oder auch nur 
eines Rubinglases, so sieht man eine weit grössere Zahl schwarzer 
Ringe, als man einfarbige in weissem Liche wahrgenommen hat. 
Diese Erscheinung kann sich nach zwei Seiten hin kund geben. Die 
neuen Ringe zeigen sich im Umkreise, z. B. bei dem Arragonit, 


1) Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschrift für rationelle Mediein. Dritte 
Reihe. Bd. XIV. S. 155. Die physikalische Untersuchung der Gewebe. Leipzig 
und Heidelberg 1867. 8. S. 283, 284. 

2) Das gewöhnliche Verfahren, die Flamme durch Kochsalz gelb zu 
färben, hat den Nachtheil, dass das Decrepitiren häufig genug stört. Man 
vermeidet dieses, wenn man statt dessen Boraxpulver nimmt. Ich bediene 
mich auch noch einer andern Methode, die sich aber nur unter einer sogleich 
zu erwähnenden Vorsichtsmassregel bewährt. Ich setze in eine gewöhnliche 
Weingeistlampe einen Brenner mit langer, schwalbenschwanzförmiger Oeffnung 
und fülle jene mit Zink, verdünnter Schwefelsäure und Kochsalzlösung. 
Geht die Wasserstoffentwickelung nicht zu stürmisch vor sich, so hat man 
eine hinreichend helle Flamme, die nicht in störender Weise flackert. 


Beiträge zur Mikroskopie. 663 


dem Salpeter und überhaupt bei Körpern mit nicht sehr grossem 
Achsenwinkel. Man hat dasselbe auch z. B. bei Zuckerplatten, ob- 
gleich hier der Achsenwinkel ziemlich gross ist. Oder man sieht 
die beiden Pole von wenigen farbigen Ringen oder Ringbruchstücken 
in weissem Lichte umgeben. Das einfarbige Licht hingegen stellt 
die Cassini’schen Curven in aller Vollständigkeit her. Beispiele 
der Art geben Platten von chromsaurem Kali oder solche von 
Santonin. 

Untersucht man eine der erwähnten Hornplatten in gelbem 
Lampenlichte oder auch nur durch ein Rubinglas, so bemerkt man 
in der Regel zwei, bisweilen auch bloss einen oder drei schwarze 
Curven ausser dem ersten Ringe. Sie liegen weit auseinander, ein 
neuer Beweis der schwachen Doppelbrechung, des nur langsam 
wachsenden Gangunterschiedes des ordentlichen und des ausseror- 
dentlichen Strahles. 

Die Drehung des Präparates in seiner Ebene lässt eine andere 
Eigenthümlichkeit erkennen. Bringt man eine auf eine der beiden 
Mittellinien senkrecht geschliffene Platte eines Körpers von sym- 
metrischer Massenvertheilung aus der Stellung von + 45° in das 
Azimuth von 0°, 90°, 180° oder 270°, so treten die Hyperbeln zu 
einem der Theorie entsprechenden Kreuze zusammen, von dem ein 
Arm durch die beiden Pole geht und sich nach den Rändern des 
Gesichtsfeldes hin büschelförmig verbreitert. Auch der andere, auf 
jenem senkrecht stehende dehnt sich nach seinen beiden Enden hin 
aus. Wo beide zusammenstossen, erscheint häufig eine rauten- 
förmige Schattenfigur in der Mitte der Gassini’schen Curven. 
Selbst die besten Hornpräparate geben dieses Bild nur unvollkom- 
mener. Zeigen sie auch lebhaft gefärbte isochromatische Ringe in 
weissem Lichte und vollständige Hyperbeln bei + 45°, so gibt ihre 
Drehung um einen halben Rechten zunächst nur den einen der 
beiden Kreuzesarme und oft genug in beschränkter Ausdehnung. 
Der zweite Arm fehlt im Umkreise gänzlich und ist in der Mitte 
nur insofern angedeutet, als sich ein mehr oder minder dunkeler, 
rautenähnlicher Schattenfleck darstellt. 

Gute Präparate von Rinderhorn von ungefähr Y/,. Millimeter 
Dicke zeigen in weissem Lichte eine, wie schon erwähnt, ununter- 
brochene Reihe breiterer oder schmalerer gleichgefärbter Ringe. 
Haben wir die Polarlinie unter + 45° eingestellt und gehen von 


einem der beiden Pole nach aussen, so sehen wir z. B. Gelb, Roth, 


664 G. Valentin: 


Blau und Grün in den kreisähnlichen Ringen. Die mittlere Rauten- 
figur enthält oft der Polarlinie entsprechend Gelb und senkrecht 
darauf Roth. Dann kommen nach aussen blaugrüne, grüne, rothe, 
grüne und wiederum rothe lemniscatenähnliche Curven. Diese Fär- 
bungen wechseln natürlich mit der Dicke der Platte und der Stärke 
der Doppelbrechung. Dreht man ein solches Präparat in seiner 
Ebene um + 45°, so hat man wiederum Gelb, Roth, Blau und 
Grün in den kreisförmigen Ringen. Weiter nach aussen folgen 
aber Lemniscatenzüge mit Gelb, Roth, Grün, Gelb, Roth und Grün. 

Dünne Schnitte von Schildpatt, halbirte Federn oder ganze 
Nägel des Menschen, die man in Kästchen mit Canadabalsam auf- 
bewahrt, können noch zwei andere Arten von Farbenbildern liefern. 

Ist die Platte sehr dünn oder die Doppelbrechung schwach, 
so sieht man nur glatte Farben, wie in Gyps- oder Glimmerblättchen, 
weil sich der interferirende Gangunterschied des ordentlichen und 
des ausserordentlichen Strahles nur sehr langsam mit der Vergrösse- 
rung des Augenpunktwinkels oder des Winkels, dessen einer Schenkel 
von der Achse des Mikroskopes und dessen anderer von der Linie 
gebildet wird, die wir von dem in der Achse liegenden Augenpunkte 
nach dem betrachteten Punkte ziehen, ändert. Man sieht daher 
nur eine einzige Farbe oder einige Farbenbezirke in der Gesammt- 
ausdehnung des Gesichtsfeldes. 

Die gewöhnlichen Platten des Rinderhornes besitzen einen so 
grossen scheinbaren Achsenwinkel, dass er oft nahezu dem des 
“ unterschwefelsauren Natrons, des Topases (124° 22°) oder des chrom- 
sauren Kali !) gleichkommt, also 120° bis 125° beträgt ?). Ihre Pole 
liegen daher häufig nahe dem Rande des Gesichtsfeldes. Es kommt 
sogar vor, dass sie ausserhalb desselben fallen. Man sieht dann 
bisweilen in dem weissem Lichte z. B. vier hyperbelähnliche ge- 

1) Die Angabe (A. Beer, Einleitung in die höhere Optik. Braun- 
schweig 1853. 8. S. 588), dass das chromsaure Kali einen Achsenwinkel von 
49% 52° habe, dürfte sehr zweifelhaft sein. Der Ergänzungswinkel zu 180° 
oder 130° 28° ist wiederuin zu gross. 

2) Das von mir gebrauchte Nörrenberg’sche Polarisationsmikroskop 
besitzt einen senkrechten Kreisbogen, in dessen Mittelpunkt sich eine um 
ihre wagerechte Achse drehbare Pincette befindet, die das Präparat auf- 
nimmt, ähnlich wie es Descloizeaux (Pogg. Ann. Bd. CXXVI 1865. 8. 
S. 402. Taf. V. Fig. 1) beschrieben und abgebildet hat. Das Gesichtsfeld 
desselben umspannt ungefähr 130°. ] 


Beiträge zur Mikroskopie. 665 


färbte Bänder, die man aber nicht mit den ächten Hyperbeln ver- 
wechseln darf, die in Platten auftreten, welche parallel einer der 
beiden optischen Achsen geschnitten sind, und die in einzelnen Fisch- 
beinpräparaten !) vorkommen. Die Curven bilden in unserem Falle 
blosse Bruchstücke der sehr breiten lemniscatenähnlichen Ringe. 
Man sieht etwas Aehnliches in unorganischen Platten, deren Pole 
ausserhalb des Gesichtsfeldes des Nörrenberg liegen, z. B. in 
einer solchen von unterschwefelsauerem Natron, die man in dem 
gelben Natriumlichte untersucht. 

Solche Erscheinungen können es herbeiführen, dass ein Nagel 
oder eine Feder eine oder mehrere ausgedehnte Farbenfelder zeigt, 
in denen man die breiten Cassini’schen Curven noch erkennt 
oder nicht. 

Man darf nicht glauben, dass alle Arten einer und derselben 
Hornmasse auch nur annähernd gleiche Achsenwinkel darbieten 
werden. Ich besitze Präparate von Rinder- und Kammmacherhorn, 
von denen viele mehr als 125° liefern, eines dagegen nur 115°, 
Sie geben natürlich die Hyperbeln und die lemniscatenähnlichen 
Curven. Ein Längenschnitt des Rinderhornes besitzt einen so kleinen 
Achsenwinkel, dass die beiden bei + 45° der Polarlinie auftretenden 
hyperbolischen Büschel nur von gemeinschaftlichen ellipsenähn- 
lichen Ringen umgeben werden, in denen Gelb, Roth, Blau, Grün, 
Gelb und Roth aufeinander folgen und deren Färbungen im Wesent- 
lichen die gleichen bleiben und höchstens ihre Orte ändern, wenn 
man die Azimuthalstellung um + 45° wechseln lässt. Das rothe 
Licht zeigt zwei ellipsenähnliche schwarze Ringe. Alle Einzelnheiten 
der Polarisationsfigur sind in weissem, wie in einfarbigem Lichte 
so scharf ausgesprochen, als in einer unorganischen Platte von 
regelmässigster Massenvertbeilung. Wollte man auch annehmen, 
dass dieser Längsschnitt nicht auf der ersten, sondern auf der 
zweiten Mittellinie senkrecht steht und dass der grössere Achsen- 
winkel selbst 140° gleicht, so würde der kleinere Winkel der optischen 
Achsen 40° betragen. Die beschriebene Polarisationsgfiur würde 
selbst in diesem ungünstigsten Falle nicht auftreten können. 

Die Theorie lehrt, dass sowohl die Cassini’schen Curven der 
auf die Mittellinie senkrechten Platten der zweiachsigen, als die 
Ringe der auf der optischen Achse senkrechten der einachsigen 


1) Untersuchung der Pflanzen- und 'Thiergewebe. $. 245. 


666 G. Valentin: 


doppeltbrechenden Körper in rothem Lichte weiter, als in blauem 
ausfallen !). Jene Farbenart wirkt also wie eine Ab- und diese 
wie eine Zunahme der Plattendicke oder der Stärke der Doppel- 
brechung. Man sieht die Wirkung 'an den Hornpräparaten, wenn 
man sie durch ein Doppelglas betrachtet, welches zur einen Hälfte 
aus einem Rubinglase und zur andern aus einem Kobaltglase be- 
steht. Es beruhte aber auf einem Irrthume, wenn ein mathema- 
tischer Physiker angab, dass man die Zerstreuung der optischen 
Achsen nach einem solchen Versuche bestimmen könne. 

Betrachte ich z. B. eine Y/ıo Mm. dicke Platte von Kammmacher- 
horn unter jener farbigen Doppelplatte, so erscheint die erste lem- 
niscatenähnliche Curve des blauen Lichtes ungefähr um die Breite 
der des rothen weiter nach innen (gegen die Polarlinie hin) ver- 
schoben. Der erwähnte Längsschnitt mit kleinem Achsenwinkel und 
ellipsenähnlichen Curven zeigt den ersten Ring der rothen Beleuch- 
tung zwischen dem ersten und dem dritten der blauen. Aehnliche, 
der Theorie entsprechende Ergebnisse werden an Hornplatten von 
schwächerer Doppelbrechung, an Präparaten von Nägeln oder Fe- 
dern erhalten. 

Eine der Vorschriften ?), die Zerstreuung der optischen Achsen, 
wie sie z. B. in den rhombischen Krystallen vorkommt (also blosser 
Wechsel der Achsenpunkte für die verschiedenen Farben ohne Far- 
benzerstreuung der Elasticitätsachsen), zu erkennen, besteht darin, 
auf die Farbe zu achten, welche neben den Hyperbeln nach innen 
von den Polen bei der Einstellung der Polarlinie unter + 45° ent- 
stehen. Ist sie roth, so haben die violetten Strahlen einen kleineren 
Achsenwinkel, weil sie hier ausgelöscht werden und ihre Ergän- 
zungsfarbe übrig bleibt. Dieses Erkenntnissmittel versagt aber schon 
häufig in Krystallplatten, die man in dem Nörrenberg’schen Po- 
larisationsmikroskope betrachtet, weil hier häufig die Umgebungen 
der Achsenpunktstücke der Hyperbeln farblos erscheinen, wenn sie 
auch solche in der Turmalinzange oder in der unmittelbaren Unter- 
suchung zwischen zwei Nicols oder in parallelem Lichte zeigen. 


1) Siehe z. Be K. W. Knochenhauer, Die Undulationstheorie des 
Lichtes. Berlin 1839. 4. S. 178 und 184, oder die elementare Herleitung in 
V. v. Lang Einleitung in die theoretische Physik. Braunschweig 1867. 8. 
Ss. 379—382. 384—386. 

2) Lang a. a. O. $. 391. 392. 


Beiträge zur Mikroskopie. 667 


Die Einstellung unter 0° und 90%, wo die entgegengesetzten Bezie- 
hungen der Farben auftreten, führt bisweilen einen Schritt weiter, 
jedoch immer nur zu unvollkommeneren Anschauungen, als die 
Turmalinzange. Salpeter- oder Arragonitplatten können dieses er- 
‘ härten. Da aber die Hornmassen nur gefärbte Sprenkel in paral- 
lelem Lichte liefern, ihre Polarisationsfiguren hingegen erst durch 
das schiefe des Nörrenberg’schen Polarisationsmikroskopes kennt- 
lich werden, so sind die meisten Präparate der Art für die erwähnte 
Bestimmungsweise der Zerstreuung der optischen Achsen unzu- 
gänglich. Ich habe aber schon an einem anderen Orte !) bemerkt, 
dass man auf einzelne Hornmassen stösst, für die es keinem Zweifel 
unterliegt, dass die blauen und die violetten Strahlen kleinere 
Achsenwinkel, als die rothen besitzen. 

Die beiden optischen Achsen der Hornschuppen der Reptilien 
und der Fische kreuzen sich unter einem so kleinen Hauptwinkel, 
dass sie oft Polarisationsbilder liefern, die denen der einachsigen 
Platten nahe stehen. Eine einzige, weder zu dünne, noch zu dicke 
Schuppe eines unserer Flussfische genügt schon, dieses nachzuweisen. 
Untersucht man sie unter Canadabalsam in dem Nörrenberg’schen 
Polarisationsmikroskope, so sieht man zwei schattige Hyperbeln, 
deren den Polen entsprechende Mitten am Weitesten aus einander- 
stehen, wenn z. B. die Azimuthallinie von + 45° von der einen 
freien Seitenecke der Schuppe zur gegenüberliegenden Ecke der 
Ansatzbasis in dem dieser Beschreibung zum Grunde liegenden Prä- 
parate verläuft. Eine Drehung desselben um + 45° in seiner Ebene 
gibt ein dunkeles Kreuz, wie eine einachsige Platte. 

Man kann hier dasselbe Mittel, dessen ich mich schon bei 
Gallertblättern mit Erfolg bediente, anwenden, um vollständigere 
Bilder zu erhalten. Legt man die nöthige Zahl von Schuppen zu 
einem Plattensatze in Canadabalsam übereinander, so erscheinen im 
Umkreise gleichgefärbte Ringe, die ellipsen- oder kreisähnliche 
Formen je nach der Grösse des kleinen Achsenwinkels darbieten. 
Sechs in übereinstimmenden Richtungen auf einander geschichtete 
grosse Karpfenschuppen gaben z. B. von innen nach aussen: Gelb, 
Roth und Blaugrün. Das Licht des Rubinglases zeigte nur einen 
einzigen dunkelen Ring. Hatte man das Präparat so eingestellt, 
dass sich die beiden Hyperbeln zu einem Kreuze vereinigten, so 


1) Die physikalische Untersuchung der Gewebe. $. 290. 


668 G. Valentin: 


lieferte die Einschaltung eines !/, Glimmerblättchens unter + 45° 
dem negativen Charakter der Horngewebe entsprechend zwei Punkte, 
die der Richtung der Achsenebene des Glimmers parallel standen. 

Dieses Verfahren der plattensatzähnlichen Aufschichtung kann 
auch die Hyperbeln und die Ringe in Schuppen der Reptilien und 
der Fische zum Vorschein bringen, wenn sie eine einzelne Schuppe 
ihrer grossen Dünne wegen nicht liefert. Es nützt vorzugsweise 
für die nicht sehr dicken Schuppen der Schlangen und der Ei- 
dechsen und lässt sich auch für die Hornschilder der Vogelfüsse 
mit Erfolg gebrauchen. 

Als ich die Kreispolarisation der Gallert- oder der in den Fa- 
briken sogenannten Hornplatten oder Hornglasplatten erläuterte, 
bemerkte ich schon beiläufig !), dass mir einzelne Präparate von 
Schuppen der Natter und von Schildern eines jungen Krokodils 
vorkamen, welche die Polarisationsebene nach rechts oder nach 
links drehten. Ich gebrauchte hierbei das zuerst von Airy ?) theo- 
retisch erläuterte Kennzeichen, dass das Mittelfeld des Polarisations- 
kreuzes gelb wird und vier blaue Flecke an denjenigen Enden der 
Kreuzesarme, die von dem ersten isochromatischen Ringe begrenzt 
werden, auftreten, wenn man das analysirende Nicol nach derjenigen 
Seite um seine Längsachse dreht, nach welcher der untersuchte Körper 
die Polarisationsebene wendet. Die Erscheinung fehlt hingegen bei 
der Drehung des Nicols in entgegengesetzter Richtung. 

Hat man ein grosses Nicol statt des gewöhnlichen Plattensatzes 
von Spiegelglas an dem Nörrenberg’schen Polarisationsmikros- 
kope als Polarisator angebracht, und dreht dieses statt des Ana- 
lysators, so kehren sich die Wirkungen um. Das gelbe Mittelfeld und 
die blauen Endflächen zeigen sich hier, wenn man das polarisirende 
Nicol nach der der Plattendrehung entgegengesetzten Seite wendet. 
Diese Thatsache macht einen belehrenden Versuch möglich. 

Wir wollen annehmen, wir hätten eine senkrecht auf die op- 
tische Achse geschliffene Quarzplatte, die dünn ?) genug ist, um 
auch noch ein dunkeles Kreuz innerhalb des ersten Ringes in dem 
dunkelen Gesichtsfelde des Polarisationsmikroskopes zu zeigen. Sie 


1) Henle und Pfeuffer’s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. XV. S. 205. 

2) Airy in Pogg. Ann. Bd. XXIH. 1831. S. 213, 214. 

3) Ueber die nöthige Dicke siehe Henle und Pfeuffer’s Zeitschr. 
Dritte Reihe. Bd. XV. S. 201. 


Beiträge zur Mikroskopie. 699 


erweist sich als rechtsdrehend bei der Prüfung mit dem Analysator. 
Hat man nun diesen so weit nach rechts gewendet, dass sich das 
gelbe Mittelfeld und die blauen Endflecken mit grösstmöglicher 
Lebhaftigkeit zeigen, so werden sie zuerst blasser und machen hierauf 
dem schwarzen ununterbrochenen Kreuze und endlich einem bläu- 
lichen Mittelfelde Platz, so wie man den Polarisator langsam nach 
rechts dreht. Wendet man ihn hierauf nach links, so wiederholen 
sich die Erscheinungen in umgekehrter Ordnung. Man kann den 
Versuch an Plattensätzen von Hornglas sowohl, als an solchen von 
Fischschuppen mit demselben Erfolge anstellen. 

Die Hornschuppen der Reptilien und der Fische zeigen die 
Drehungserscheinungen sehr häufig und zwar unter verschiedenen 
Bedingungen. Die Uebersichtstabelle, welche ich hinzufüge, liefert 
eine Reihe von Einzelbelegen. Alle Präparate bestanden aus 
Plattensätzen von Schuppen, die in Canadabalsum eingeschlossen 
waren. Gleichartig parallel will sagen, dass die Schuppen voll- 
kommen gleichgerichtet übereinander lagen, also Grundlinie über 
Grundlinie und Rand über Rand. Entgegengesetzt parallel 
heisst, dass über der Grundlinie der ersten Schuppe die gegenüber- 
liegende Endseite der zweiten, über dieser wiederum die Grundlinie 
der dritten u. s.w. lag. Rechtswinkelig gekreuzt drückt aus, 
dass sich z. B. die Grundlinie der ersten Schuppe wagerecht, und 
die des zweiten senkrecht u. s. f. befand. Sternförmig mit dem 
Winkel « bedeutet, dass sich die Grundlinien je zwei auf einander 
folgender Blätter unter dem Winkel « kreuzten. 


Familie der eg Art der Drehung 
Reptilien ne ander Tas Ueberein- der Nebenbe- 
oder . Enden ander- Polarisa- || merkungen. 
der Fische. N neh, Jagerung. | tionsebene. 
Hyperbeln 
mit gelben, 
Junger rothen und 
All Recht- : blaugrünen 
ieator 6 winkelig ee zusammen- 
5 nn cekreuzt. inks. stossenden 
Lori- a») i ellipsenähn- 
caten. lichen 
Ringen. 
Kaum 
Desgl. 6 Desel. merklich || Desgl. 
iiäks || 


670 G. Valentin: 
Familie der u e Art der Drehung 
Reptilien Gattung einander lie-| Veberein- der Nebenbe- 
oder und Art. genden ander- Polarisa- merkungen. 
der Fische. Schuppen lagerung. | tionsebene. 
Vielleicht | Hyperbeln 
Desgl 2 Desgl. spurweise ohne 
Lori- links. Ringe. 
eaten. 
Nicht Blosse 
| Desgl. Ä 1 Desgl. deutlich. | Hyperbeln. 
| Tropido- Bauch- 
notus. Colu- hild , Recht- Nur 
ber natrix. | der. |iwinkelig ge-| Desgl. et 
(Natter.) 6 kreuzt. 
Gleicharti 
| Desgl. | 8 | ale | Desgl | Desgl. 
Vielleicht Ds 
Desgl. 8 Desgl. spurweise zB 
links. 
Serpentes 
Eu- Ent- R 4 | 
rystomi. Desgl. 12 gegengesetzt| >PıL WeiSe Desgl. 
| B R links. 
parallel. 
Recht- 
Desgl. 12 winkelig Desel. Desgl. 
gekreuzt. 
I Hyberbeln 
| mit gelb- 
röthlichen 
Desgl. 16 Desgl. || und blau- 
esg, Desgl esgl Krane 
zusammen- 
| stossenden 
Ringen. 
Corregonus Gleichartig Blosse 
Maraena. parallel. Rechts. Hyperbeln. 
(Maräne). 
| Desg]. | 6 | Desgl. Desel. | Desel. 
Malaco- 
pterygii Entgegen- 
abdo- Desgl. 4 gesetzt -  Desel. Desgl. 
minales. parallel. 


Desgl. 


Recht- 
winkelig 
gekreuzt. 


Desgl. 


Beiträge zur Mikroskopie. 671 


Familie der ug Art der Drehung 
Reptilien Gattung |: ‚|| Ueberein- der Nebenbe- 
rer einander lie- d Polari k 
En und Art. renden ander- h 0 BE merkungen. 
der Fische. Schuppen. || !agerung. | tionsebene. 
| Desgl. | 6 | Desgl. | Desgl. | Desgl. 
| t Rechts, der| —m— 
schwächer 
Desgl. 6 Desgl. |.]sdas vorige Desgl. 
Präparat. 
Cyprinus 
Malaco- carpio. 1 Desgl. Rechts. Desgl. 
re is (Karpfen). 
a 0- =— 
minales. Hyperbeln 
Gleichartig des 
Desgl. 4 parallel. Desgl. re 
Ring. 
Ebenso und 
noch ein 
Desgl. 6 Desgl. Desgl. Hlangeinee 
Ring. 
Malacopte- Lepido- & ä N 
fr Gleichartig Nicht Schwache 
rygü lepsus tachy- 4 : 
jugulares. | rhynchus. parallel. deutlich. || Hyberbeln. 
Blennius 
Acantho- Recht- Bl 
pterygii |allonagine. 4 winkelig Links. Be 


Gobiacei. (Schleim- Hyperbeln. 


ich.) gekreuzt. 


Labrus 


turdus. 1 | Desgl. Links. Hyperbeln. 


(Lippfisch.) 


—— — 


Gleicharti 
| Desgl. | 2 Ä Barallen Desgl. | Desgl. 
Acantho- Recht- S e 
pterygii Desgl. 2 winkelig ne Desgl. 
Labrini. gekreuzt. NE»: 
Sternförmig > 
Dese!. 2 unter 45 ° N Desgl. 
gekreuzt. ; 
Labrus 9 Gleichartig va Dessl 
liaeus. parallel. ; 8" 
Acantho- a | | en 
Kae | Reflrei : Dr Bor Perg! 


672 G. Valentin: 
eu Zahl d 
Familie der es di Art der Drehung 
Reptilien Gattung einander lie-|| Veberein- der Nebenbe- 
der und Art. ander- Polarisa- | merkungen 
4 a genden IR gen. 
er Fische. Schuppen. Lagerung. | tionsebene. 
| 
| Entgegen- 
Desgl. gesetzt Desgl. Desg!. 
parallel. | 
| r 7 a Er ; 
a k Undeutliche 
Sternf: Nicht wahr- : 
Acantho- Desgl. 4 en Fe ar unge = Polari- 
pterygii. sationsfigur. 
Sparini. T Ash 
Des N - | Gleichartig Links I1yperbeln u. 
gl. parallel. “  Igelber Ring. 
m? | 
| Entgegen- 
Desg!. gesetzt Schwach Hyperbeln. 
parallel. links. 
Mullus an 
e : undgelbröth- 
barbatus. 4 Gleichartig Desgl. licher und 
(Meerbarbe.) parallel. blaugrüner 
Ring. 
Acantho- Recht- : U l- 
pterygii Desgl. 4 winkelig a Ren: aaa 
Percacei. gekreuzt. euch. || Hyperbeln. 
Hyperbeln 
Desel 4 Sternförmig A a 
gl. unter 450, |” Links. blaugrüner 
! und aussen 
gelber Ring. 
Scorpoena | 
scropha. Gleichartig . Nur 
(Drachen: i parallel. Du | Hyberbeln. 
sch.) 
— —— = — ——— 
Entgegen- 
Desgl. gesetzt Desgl. Desel. 
parallel. 
Acantho- Rech n 
pterygii echtwinke- 
En: | er I ne rennt, Desgl. Desgl. 
pacei. mr 
Sternförmi 
| >= Pi |: ae Desel. | Desel. 
Schwächer, 
als die vor- 
Desgl. Gleichartig I'hergehendenl Desgl. 
’ parallel. Präparate 


links. 


Beiträge zur Mikroskopie. 673 


Familie der A ‚eg? Art der Drehung 
Reptilien Gattung \sinander Lie.) Ueber- der Nebenbe- 
oder und Art. et einander Polarisa- ||merkungen. 
der Fische. S ehren! Lagerung. || tionsebene. 
Scomber. Gleichartig | Spurweise 
| (Makrele). | r | parallel. rechts(?) Hyperbeln. 
Entgegenge- : 
Acantho- | Desgl. | 4 | an: pi vallel. Links. Desgl. 
pterygn. I 
Scombri- l 
; Rechtwinke- 
ni. | Desg!. | 4 IE ckrenl Desgl. Desgl. 
Entgegenge- Sehrschwach 
| Desgl. | ß | setzt parallel. links. Deeal; 
Acantho- Musil. Isı förmi | 
pterygii cephalus. 4 ee Links. Desgl. 
Mugiloides. | (Harder.) | | 


Diese und andere Beobachtungen, die ich an den verschiedensten 
Plattensätzen der Schuppen z. B. von Holocentrus marinus, Pomatomma 
telescopium und vorzugsweise von Labrax lupus anstellte, lehrten, 
dass oft schon eine einzige hinreichend dicke, aber nicht zu undurch- 
sichtige Schuppe genügt, die kreispolarisirende Wirkung derselben 
nachzuweisen. Ist dieses nicht der Fall, so hilft es häufig, eine 
Anzahl derselben nach Art eines Plattensatzes übereinander zu 
legen. Es kommt dabei vor, dass die verschiedensten Verbindungs- 
arten, die gleichzeitig, und die entgegengesetzten parallelen, die recht- 
winkelig, und die sternförmig gekreuzten die Polarisationsebene nach 
der gleichen Seite drehen. Zwei andere Fälle können aber ebenfalls 
auftreten: 

1. Die Uebereinander-Lagerung einer grösseren Zahl von 
Schuppen gibt einen kleineren Drehungswinkel, als die einer geringeren 
Menge derselben. Man hat also dann eine erniedrigende Ausgleichung, 
die wahrscheinlich aus entgegengesetzten Drehungsrichtungen der 
verschiedenen Schuppen hervorgeht, sei es dass die einzelnen parallel 
liegen und die inneren Structurverhältnisse den Unterschied bedingen, 
oder dass er aus den Ungleichheiten der Lage der einzelnen Schuppen 
hervorgeht. 

2. Eine und dieselbe Fischart, ja das gleiche Thier kann rechts 
und links drehende Schuppen darbieten. Die Circularpolarisation 
und sogar alle eigenthümlichen Polarisationsfiguren des Quarzes 
lassen sich durch Glimmerbläschen, die man unter bestimmten 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd, 11. 45 


674 G. Valentin: 


Kreuzungswinkeln über einander schichtet, künstlich erzeugen. Man 
darf vermuthen, dass die Drehung der Polarisationsebene der Schuppen 
und anderer Horngebilde aus ähnlichen Gründen hervorgeht. Die 
oben erwähnten Ausgleichungserscheinungen werden ein Mittei an 
die Hand geben, über den feineren Bau der Theile noch da Auf- 
schluss zu erhalten, wo die Prüfung in gewöhnlichem Lichte nicht 
mehr ausreicht. 

Man stösst auch auf Präparate des Rinderhornes, welche ihre 
kreispolarisirenden Eigenschaften sehr deutlich verrathen. Der oben 
erwähnte Längsschnitt der einen kleinen Achsenwinkel besitzt, zeigt 
die Merkmale einer starken Linksdrehung. Hat man ihn so einge- 
stellt, dass die beiden Hyperbeln zu einem Kreuze verbunden sind, so 
sieht man einem intensiv gelben Mitteltleck und die blauen End- 
flecke, wenn man den Analysator nach links, nicht aber wenn man 
ihn nach rechts dreht. 

Die Schuppen von Polypterus bischir (die ich der freundlichen 
Mittheilung von Herrn Prof. Aeby verdanke) mögen zunächst als 
Beispiel dienen, welche Erscheinungen die Knochenschuppen von 
Fischen in polarisirtem Lichte darbieten. 

Ein Flächenschliff einer Bauchschuppe dieses Thieres zeigte 
eine gleichartige Platte von Knochenmasse, über welcher sich ein 
netzartiges Balkenwerk dahinzog. Jene enthielt zahlreiche mit vielen 
Strahlen versehene Knochenkörperchen, deren Längsachsen in den 
verschiedensten Richtungen dahin liefen. Sie wurden am deutlichsten, 
wenn man starke Vergrösserungen mit kurzen Focaldistanzen an- 
wandte und alles Seitenlicht zwischen dem mikroskopischen Gegen- 
stande und den Objectivlinsen abhielt. 

Betrachtete man ein solches Präparat unter schwacher Ver- 
grösserung, so erschienen die meisten unter + 45° eingestellten 
Strahlen des Balkenwerkes auf rothem Gypsgrunde erster Ordnung 
blau und die meisten der in — 45° stehenden gelb. Die gelbe Färbung 
war so matt, dass viele der (hohlen) unter einander anastomosi- 
renden Bälkchen auf den ersten Blick nicht so lebhaft in die Augen 
fielen, wie die blauen. Die Grundmasse blieb häufig gelb bei allen 
Stellungsbeziehungen zu den beiden Polarisationsebenen der zwei 
Nicols. Die Richtung der Längsachse der Knochenkörperchen hatte 
nicht den geringsten Einfluss auf die Farbenerscheinungen. 

Flächenschliffe der Schuppen von Lepidosteus zeigten eine mit 
- vielen, Strahlen aussendenden, Knochenkörperchen versehene Grund- 


Beiträge zur Mikroskopie. 675 


masse und ein anastomosirendes hohles Balkenwerk, deren Haupt- 
strahlen vorzugsweise gerade und parallel verliefen. Mochten ausge- 
dehnte Bezirke der Knochenmasse roth, blau oder gelb auf dem rothen 
Gypsgrunde erscheinen, so umfassten sie immer Knochenkörperchen von 
den verschiedensten Stellungsrichtungen. 

Ich hebe die Einflusslosigkeit der Knochenkörperchen hervor, 
weil man in neuester Zeit den Versuch gemacht hat, sie mit dem 
optischen Charakter der Knochenmasse in Beziehung zu bringen. 

Ebner!) schloss aus der Entwickelunsgeschichte des Knochen- 
gewebes, dass die Lage der Elasticitätsachsen der Grundmasse des- 
selben von der der Knochenzellen abhängen muss, da die Knochen- 
masse von jenem aus gebildet wird?). Er folgert auch aus seinen 
vorzugsweise an dem Öberschenkelbeine des Frosches angestellten, 
und dann aber auf die Knochen der höheren Geschöpfe ausgedehnten 
Untersuchungen, dass die doppelt brechenden Elemente der Knochen- 
substanz positiv einachsig (oder höchstens zweiachsig mit kleinem 
Achsenwinkel) sei und ihre optischen Achsen den langen Durch- 
messern der Knochenkörperchen parallel stehen. Sein auf der Ent- 
wickelungsgeschichte fussender theoretischer Ausgangspunkt hat sich 
daher, wie Ebner?) selbst sich ausdrückt, auf das Glänzendste be- 
stätigt. Da ich leider diese Ansicht nicht theilen kann, so er- 
laube ich mir, einige meiner Gegengründe anzudeuten. 

Für die mit den Polarisationserscheinungen weniger vertrauten 
Mikroskopiker möge zuvörderst bemerkt werden, dass, wenn Ebner 
die Knochenmasse für positiv und ich sie für negativ ansehe, dieses 
nur von der von uns beiden verschieden angenommenen Lage der 
optischen Achse herrührt. Denken wir uns z. B., die Hauptebene, 
d. h. die Ebene, welche die optische Achsenrichtung enthält, stehe 
parallel der Ebene des Gesichtsfeldes des Mikroskopes (so dass die 
optische Achse, die durch einen gesehenen Punkt des doppeltbrechen- 
den Körpers geht, in der Gesichtsfeldsebene selbst liegt) und der 
rothe Gypsgrund eines Blättchens von Violett erster Ordnung (Aequi- 


1) V. v. Ebner, Untersuchungen über das Verhalten des Knochengewebes 
im polarisirten Lichte. Sitzber. d. Wien. Ak. Bd. LXX. II. Abth. Juli-Heft. 
1874. Ich eitire nach dem mir von dem Verfasser gefälligst zugesandten 
Extraabzuge. 

2) 8. 2. 

3) S. 36. 


676 G. Valentin: 


valentwerth: (565) steige durch die doppeltbrechende Platte zu Blau 
in dem Azimuthe + 45 und sinke zu Gelb in — 45° (wie es bei 
Knochenschliffen häufig der Fall ist), so wäre die Substanz positiv, 
wenn die Richtung der optischen Achse parallel + 45° und negativ, 
wenn sie — 45° dahin ginge. Es handelt sich also hier vor Allem 
um die Bestimmung der optischen Achsenrichtung. Ich möchte 
übrigens bei dieser Gelegenheit bemerken, dass zwei Arten von Gelb 
vorkommen können, das höhere (910) und das niedere (332). 

Es ist hier nicht der Ort, den Beobachtungen und vorzugs- 
weise den optischen Erläuterungen von Ebner Schritt für Schritt 
zu folgen. Obgleich mehr, als ein Schliff, von Knochen des Men- 
schen und der Thiere, die eine sehr ausgesprochene Schichtung um 
die Havers’schen Canälchen zeigen und in denen die Längsachsen 
der Knochenkörperchen der Schichtung oder den Flächen der Kno- 
chenblätter entsprechend verlaufen, für meine Auffassungsweise 
spricht, so gehe ich hierauf der Kürze wegen nicht ein, sondern 
beschränke mich auf einige andere einfachere Punkte: 

1. Ich hatte schon bemerkt !), dass ein dünner Querschliff 
des Oberschenkelbeines des Frosches drei verschiedene Lagen, eine 
äussere, eine mittlere und eine innerste, die sich oft in ihrem Ver- 
halten zum polarisirten Lichte unterscheiden, darbietet. Ebner ?) 
findet nun, dass sich der äussere grössere Theil eines solchen 
Knochenringes nie neutral gegenüber dem Gypsgrunde verhält. Er 
gibt in der Regel ein negatives Kreuz von geringerer Stärke der 
Farbenänderung. Ein schwach positives Kreuz kann aber ebenfalls 
vorkommen. Untersucht man dann einen Querschliff der letzteren 
Art unter einer 300 bis 400maligen Vergrösserung, so sieht man, 
dass die Scheiden (d. h. also die nächste Umgebung) der Knochen- 
körperchen verhältnissmässig positiv wirken, während die übrige 
Knochengrundmasse ganz neutral zu sein scheint. Die Scheiden 
hoben nach Ebner das Roth zu Blau, wenn die Längsachse der 
Knochenkörperchen und die Achsenebene des Gypses unter + 45° 
standen, und erniedrigten es zu Roth oder Orange, so wie jene unter 
— 45° eingestellt wurden. Die doppeltbrechenden Elemente seien 
also in den Scheiden anders, als in der Zwischenmasse orientirt. 


1) Die Untersuchung der Pflanzen- und der Thiergewebe in polari- 
sirtem Lichte. Leipzig 1861. 8. S. 256, 257. 
2) a. a. O. S. 20. 


Beiträge zur Mikroskopie. 677 


Ich habe nicht bloss meine älteren Querschliffe des Ober- 
schenkels des Frosches in Bezug auf diesen Punkt durchgesehen, 
sondern auch eine Anzahl neuer untersucht, ohne je ein Bild er- 
halten zu haben, das auf die oben angeführte Beschreibung passte. 
Die geringe Farbenänderung, die Ebner wahrnahm, zeigt, dass 
sein Querschliff sehr dünn war. Ich habe daher mein Augenmerk 
auf solche gerichtet und sie bald genau der Mitte des Knochens, 
bald höher oder tiefer entnommen. Ich untersuchte sie nicht bloss 
mittelst des empfindlichsten Gypsblättchens von Roth erster Ord- 
nung (565), das ich besitze, sondern auch mittelst eines solchen 
von Blau zweiter Ordnung (664), eines sehr dünnen, Lavendelgrau 
zeigenden Glimmerblättchens (97) und zweier Bruvais’schen Platten, 
ohne auch nur je eine Spur von anderer Färbung der nächsten 
Umgebung der Knochenkörperchen und der übrigen, dazwischen 
‘ liegenden Knochenmasse wahrnehmen zu können. Ich gebrauchte 
dabei das den Hartnack’schen oder den Seubert’schen (G und- 
lach’schen) Mikroskopen beigegebene polarisirende Nicol, jedoch 
immer nach Entfernung der darüberstehenden Amici’schen Plan- 
convexlinse !), oder eine nur sehr schwach bräunliche Turmalinplatte 
als Polarisator, und ein gewöhnliches Nicol unter oder über dem 
Oculare eines Hartnack’schen Mikroskopes, ein Nachet’sches 
Nicol mit Schiefstellung, ein neueres mit Mohnöl von Hartnack 
und Prazmocki, ein Brewster’sches Prisma, die drei letzteren 
mit grösserem Gesichtsfelde oder das Seubert’sche Nicol-Ocular, 
wo also das Prisma zwischen der Ocular- und der Collectivlinse 
steht, als Analysator. Die Linearvergrösserungen, die ich ohne 
jedes positive Ergebniss anwandte, lagen zwischen 11!/, für 17 Centi- 
meter und 620 für 23 Centimeter Sehweite. Ich wiederholte die 
Beobachtungen an allen noch zu erwähnenden Knochenpräparaten, 
ohne irgendwie glücklicher zu sein. 

Ich will bei dieser Gelegenheit eine andere, die Knochenkör- 
perchen betreffende Erscheinung angeben, welche minder geübte 
Mikroskopiker leicht verwirren könnte. Untersucht man bei recht- 
winkelig gekreuzten Polarisationsebenen der beiden Nicols und ein- 


1) Man muss natürlich den Brennpunkt von dieser in die Ebene des 
mikroskopischen Gegenstandes stellen, wenn er deutlich erscheinen soll. Bei 
den Untersuchungen in polarisirtem Lichte schadet ihr Gebrauch mehr, als 
er nützt. 


678 G. Valentin: 


geschaltetem Gypsblättchen von Roth erster Ordnung, so leuchten 
oft die mit keinen Schliffkörnchen, sondern mit Gasen oder einge- 
drungenen durchsichtigen Flüssigkeiten gefüllte Hohlräume der 
Knochenkörperchen (nicht aber deren Umgebungen) hellgelb. Dreht 
man das Präparat in seiner Ebene von + 45 nach — 45, so ver- 
schwindet die gelbe Färbung in vielen Hohlräumen oder sie wird 
blasser. Hält man das auf das mikroskopische Präparat auffallende 
Licht durch eine Pappröhre oder auch nur mit den Händen ab, so 
verschwindet das gelbe Leuchten, wenn es vorher auch noch so 
stark war. Die Erscheinung rührt also von dem zurückgeworfenen 
und nicht von dem durchgehenden (polarisirten) Lichte her. Sie 
hängt auch nicht von den Wirkungen des Polarisationsmikroskopes 
ab. Man sieht sie z. B., wenn man das analysirende Nicol entfernt 
und das polärisirende durch eine schwach braun gefärbte Turmalin- 
platte oder auch nur durch ein Rubinglas ersetzt. Nimmt man ein 
gutes Kobaltglas, so führt der Gegensatz des blauen Grundes und 
der lebhaft gelben Knochenkörperchen zu einem sehr schönen Bilde. 

2. Dünne Knochenblätter zeigen schon die Verhältnisse ihres 
Baues, also auch die ihrer Knochenkörperchen ohne weitere Vorbe- 
reitung. Ich nehme z. B. eine dünne oberflächliche Lamelle des 
Scheitelbeines eines Sperlings, die mit dem Messer losgeschnitten, 
nicht aber geschliffen worden und lege sie in Glycerin oder in Canada- 
balsam. Die mikroskopische Untersuchung lehrt, dass die Längs- 
achsen der meistens spindelförmigen, mit durchsichtigen Hohlräumen 
versehenen Knochenkörperchen in den verschiedensten Richtungen 
verlaufen. Diese Mannigfaltigkeit der Stellungen findet sich sowohl 
in denjenigen Knochenkörperchen, welche ungefähr in der gleichen 
wagerechten Ebene liegen, als in denen, die mannigfachen Höhen 
angehören. 

Untersuche ich das Präparat auf dem rothen Gypsgrunde unter 
einer Vergrösserung von 111/;mal im Durchmesser, so sehe ich z. B. 
eine Anzahl rothvioletter und stark gelber Flecke. Ich wähle die 
am meisten gelb gefärbte Stelle, die zufällig zugleich die dünnste 
des Präparates ist. Obgleich hier die Längsachsen der spindelför- 
migen Knochenkörperchen in den verschiedensten Richtungen liegen, 
also die mannigfachsten Winkel zwischen + 90° und — 90° bilden, 
so erscheint doch die gesammte zwischen ihnen befindliche Masse 
gleichförmig gelb. Von Scheiden der Knochenkörperchen, die anders 
gefärbt wären, lässt sich keine Spur wahrnehmen. Das Gleiche 


Beiträge zur Mikroskopie. 679 


wiederholt sich für andere Bezirke, die gleichförmig blauviolett oder 
violettroth erscheinen. 

Hinge der optische Charakter der Knochenmasse von den 
Knochenkörperchen ab, so müsste z. B. die Umgebung eines höheren 
Körperchens, dessen Längsachse unter + 45° steht, blau oder blau- 
violett und das eines tieferen, das sich unter ihm unter — 45° be- 
findet, gelb erscheinen. Man würde also in dem diesen beiden 
Knochenkörperchen entsprechenden Bezirke bei Linsen von schwä- 
cherer Vergrösserung, die mehr in die Tiefe zeigen, eine Mischfarbe 
und bei solchen, die stärker vergrössern, Blauviolett bei höherer 
Einstellung und Gelb bei tieferer sehen. Dieses findet nicht Statt. 
Kommt es bei einem dickeren Knochenpräparate vor, dass eine 
höhere Lage eine andere Farbenänderung des Gypsgrundes hervor- 
ruft, als eine tiefere, dass daher ein sehr farbenscharfes Auge, wie 
das meinige, eine Mischfarbe bemerkt, so erstreckt sich dieses auf 
Bezirke, die eine Anzahl von Knochenkörperchen umfassen und in 
keinem sichtlichen Zusammenhange mit der Lagerung derselben stehen. 

3. Wir wollen die Sache von einer anderen Seite betrachten. 
Das Cäment der Zähne ist aus Knochenmasse gebildet. Ich nehme 
den Querschliff eines Backzahnes des Pferdes. Das Cäment ist hier 
ausserordentlich entwickelt und enthält zahlreiche Havers’sche 
Kanälchen. Ich suche eine Stelle, an welcher ein grosser Theil der 
Knochenkörperchen spindelförmige Formen zeigt und stelle deren 
Längsachse unter + 45° ein. Eine nicht geringe Menge zwischen 
ihnen liegender besitzen rundliche oder länglich runde, meist nicht 
ganz regelmässig begrenzte Durchschnittsformen. Sie sind also 
unter einander verschieden orientirt und jedenfalls anders, als die 
spindelförmigen gelagert. Ausgedehnte Strecken des Präparates, 
welche viele spindelförmige, rundliche oder länglichrunde Bilder der 
Knochenkörperchen umfassen, erscheinen dessen ungeachtet gleich- 
fürmig gelb, blau oder rothorange. Von eigenthümlich gefärbten 
Scheiden der Knochenkörperchen ist keine Spur vorhanden. Längs- 
schliffe eines solchen Backzahnes führen zu demselben Haupter- 
gebnisse. 

4. Kehren wir zu Knochenschuppern zurück, so zeigen die 
Strahlen der Bauchflosse von Polypterus bischir ein verschiedenes 
Verhalten, je nach dem Zustande der Entwickelung ihrer Knochen- 
theile.“ Man sieht in ihnen unter schwacher Vergrösserung geson- 
derte, parallelepipedische Stücke, die den unter + 45% erzeugten 


680 G. Valentin: 


rothen Gypsgrund blau färben, wenn ihre längere Achse unter + 45°, 
und gelb, so wie sie unter — 45° steht. Sie geben den rothen 
Gypsgrund ziemlich unverändert bei 0° und 90° wieder. Man hat 
also eine zur längeren Achse positive Wirkungsart. Einzelne Stellen 
mancher Präparate können auch ein hiervon abweichendes Verhalten 
darbieten. 

Untersucht man unter stärkeren Vergrösserungen, so sieht 
man, dass viele dieser Parallelepipede weder Balkennetze, noch 
Knochenkörperchen enthalten, wie man dieses ungefähr auch in der 
Schwanzflosse kleinerer Exemplare des Stichlinges (Gasterosteus 
aculeatus) bemerkt. Andere zeigen ausserdem ein knöchernes Netz- 
werk ohne Knochenkörperchen. Ein solches z. B. war bei — 450 
überall gelb und erschien schon vor und bei 0° überall blau und 
bei + 45 etwas stärker blau. 

Die Knochenkörperchen, die man wiederum am Besten unter 
starken Vergrösserungen mit Linsen von kurzer Brennweite unter- 
sucht, liefern die eigenthümlichsten Erscheinungen. Ein jedes der- 
selben hat eine rundliche, eine längliche oder eine spindelförmige 
Gestalt. Es besitzt einen durchsichtigen farblosen Hohlraum und 
sendet Strahlen allseitig aus. Man findet Parallelepipede, die nur 
ein einziges Knochenkörperchen enthalten, andere, in denen zwei 
oder sonst eine geringe Zahl und noch andere, die mehr als 15 
vorkommen. Ich suche mir ein Parallelipipedon, das ein einziges 
spindelförmiges Knochenkörperchen zeigt und dessen Längsachse 
ungefähr einer Querachse der ganzen Knochenmasse entspricht, 
orientire jene unter — 45° und daher die Längsachse von dieser 
unter + 45° Alles erscheint blau. Es zeigt sich keine Spur 
einer gelben Umgebung des Knochenkörperchens. Ich betrachte 
hierauf ein Parallelepipedon, das mehr als 15 Knochenkörperchen 
erkennen lässt. Ihre Längsachsen sind nach den verschiedensten 
Richtungen gestellt. Alles erscheint dessen ungeachtet blau, wenn 
die Längsachse des Parallelepipedon unter + 45°, und gelb, wenn 
sie unter — 45° steht, man möge schwache oder starke Vergrösse- 
rungen anwenden. 

Wie kann unter diesen Verhältnissen der optische Charakter 
der Knochenmasse von der Stellungsweise der Knochenkörperchen 
abhängen !)? Mr 


1) Ich muss mir auch einige Bemerkungen gegen die geschichtliche 
Darstellung von Ebner erlauben: 


Beiträge zur Mikroskopie. 681 


Ich möchte noch auf eine Präparationsweise von Hartgebilden 
aufmerksam machen, die sich oft mit Nutzen gebrauchen lässt und 


Als ich das Verfahren von Biot, die Richtung der optischen Achse 
durch Drehung der Platte zu bestimmen, auf die Gewebe der Pflanzen und 
der Thiere anwandte, fing ich natürlich damit an, diesen Stellungswechsel 
von freier Hand vorzunehmen. Ich mache dieses heute noch, wenn es nicht 
auf die Entscheidung feinerer Verhältnisse ankommt. Allein selbst der Ge- 
brauch vorzüglicher orthoskopischer Oculare von Kellner belehrte mich 
bald, dass man nur dann spurweise, durch die Drehung erzeugte Farbenän- 
derungen mit Sicherheit verfolgen kann, wenn die Drehungsachse die Mi- 
kroskopachse senkrecht schneidet, wenn sie also den Mittelpunkt des Ge- 
sichtsfeldes durchsetzt. Ich liess mir daher ein Präcisionsinstrument in dem 
in der: Untersuchung der Pflanzen- und Thiergewebe S. 166 beschriebenen 
und abgebildeten Drehtische anfertigen. Die Centrirung, welche diese Vor- 
richtung gestattete, musste aus doppeltem Grunde vorhanden sein. Sie war 
nöthig, um den Punkt, auf dessen Nachbarschaft es vor Allem bei dem Far- 
benwechsel ankam, mit dem Mittelpunkte des kreisförmigen Gesichtsfeldes, 
welches durch zwei einander schneidende Durchmesser eines Glases oder zwei 
gekreuzte Platin- oder Spinnwebfäden des Oculars angezeigt wird, zusammen- 
fallen zu lassen. Hat man eine bestimmte Richtungslinie des Präparates 
unter 4 45° geprüft, so wird man das Ergebniss der Untersuchung unter 
— 45° zu bestätigen suchen. Die Centrirung ist daher noch für die Azi- 
muthaldrehung nothwendig. Sie wurde auch später von selbst von Hartnack 
'in einem anderen, für mich angefertigten Drehtische hergestellt, da ein 
solches Präcisionsinstrument ohne Centrirung unvollkommen wäre. Als daher 
nachher andere Mikroskopiker einen Drehtisch beschrieben, der auf die Cen- 
trirung keine Rücksicht nahm, kam mir eine solche Vorrichtung überflüssig 
vor, weil der freie Gebrauch der Hände kürzer und bequemer ist, so wie 
man auf die Feinheit des Verfahrens verzichtet. 

Was macht nun Ebner daraus? Er sagt S. 9 bei der Beschreibung 
seiner Vorrichtung wörtlich: »Eine besondere Einrichtung musste noch ge- 
troffen werden, um eine Centrirung des zu beobachtenden Punktes (soll 
heissen: der zu beobachtenden unmittelbaren Nachbarschaft des centrirten 
Punktes) für die Drehungen um die Horizontalaxe zu ermöglichen«, tadelt 
mich aber S. 10, dass ich ein so grosses Gewicht auf die Centrirung lege. 
Ferner soll diese in meiner Vorrichtung nur für Azimuthaldrehungen, nicht 
aber für die Drehung um die Horizontalachse eine Bedeutung haben. Darauf 
folgt eine rein willkürliche Rechnung, dass das Präparat mehr als 2 Milli- 
meter über der Drehungsaxe liege und daher nach einer Wendung von 20'/, Gra- 
den um diese aus dem Gesichtsfelde herausgehe — was ich wahrscheinlich 
nicht bemerkt hätte. Die unter.Fig. 60 meiner Schrift gegebene Abbildung, 
in der man die zwischen hn liegende, zur Aufnahme der Präparate bestimmte 


682 G. Valentin: 


die ich auch auf die Knochen des Frosches und des Menschen an- 
gewendet habe. Man sucht die Schliffe solcher Theile möglichst 
planplan zu machen, hat also überall nahezu die gleiche Dicke. 
Ich nehme nun auch für das polarisirte Licht keilförmige oder pris- 
matische Präparate, deren grösste Dicke eben noch Durchsichtigkeit 
genug gibt, um die Aenderung des Gypsgrundes wahrzunehmen. 
Hat man z. B. einen Querschliff der Art, so zeigt der dünnste 
Theil die schwächste und der dickste die stärkste Farbenänderung. 
Man erspart sich auf diese Art das Drehen um die entsprechende 
Achse. Die Präparate von Knochen z. B. gestatten eine grösste 
Dicke, welche die Verlängerung der Wege des ordentlichen und des 
ausserordentlichen durch Drehung merklich übertrifft. Kennt man 
den Werth der grössten Dicke und den der Länge eines prisma- 
tischen Schliffes, so lässt sich die Dicke einer jeden anderen Stelle 
berechnen 1). Der Beobachter kann auf diese Art nachsehen, wel- 


Vertiefung deutlich erkennt und die zwischen npg befindlichen Theile zeigen, 
dass die Vorwürfe von Ebner auf Missverständnissen beruhen. Die Dre- 
hungsachse des damaligen Drehtisches fiel in das Niveau des eingelegten 
dünnen Gläschens, auf dem sich das Präparat befand. Dieses lag also nur 
einen kleinen Bruchtheil eines Millimeters höher. 

Ich habe übrigens später die Vorrichtung vielseitiger gemacht. Das 
mit p in meiner Figur bezeichnete Stück geht jetzt vorn knieförmig herab. 
Erst dieser Knietheil nimmt die Drehungsachse auf, die hierdurch etwas 
höher, als die Scheibe (hikl Fig. 60 meiner Schrift) zu stehen kommt. Diese 
hat oben keine grössere Vertiefung. Legt man auf sie das Präparat, das 
sich auf keinem zu dicken Deckgläschen befindet, so fällt eine bestimmte 
Richtung von jenem mit der der Drehungsachse zusammen. Drehte man die 
Scheibe um, so hat sie unten eine stärkere Vertiefung, um auch hier unter 
ähnlichen Nebenbedingungen drehen zu können, nachdem man die Oeffnung 
an der Oberseite mit einem angekitteten Glase wasserdicht geschlossen hat. 

Vergleicht man meine S. 256—261 des genannten Werkes gegebene, 
immer zurückhaltende und selbst S. 261 vor Irrthümern warnende Darstellung 
der Verhältnisse des optischen Charakters der Knochen mit der zuversicht- 
lichen von Ebner (S. 26. 35), so wird man finden, dass ich auch in dieser 
Hinsicht manches zu sagen hätte. 

1) Nennen wir a die Gesammtlänge des Präparates, b seine grösste 
Dicke und e die Entfernung des betrachteten Punktes von der Prismenkante, 
so hat man für die zu diesem gehörende Dicke d die Gleichung: 

BR 
a 


Beiträge zur Mikroskopie. 683 


cher Dickenunterschied nöthig ist, damit eine andere den Newton’- 
schen Ringen entsprechende Färbung für sein Auge kenntlich werde, 
eine Thatsache, die, wie ich an einem anderen Orte zu erläutern 
gedenke, eine Reihe nicht unwichtiger physiologischer Untersu- 
chungen möglich macht, ‚wenn man das Verfahren auf Weichgebilde, 
wie die Nerven oder die verkürzbaren Gewebe, mittelst passender 
Nebenvorrichtungen ausdehnt. 

Die hier dargestellten Untersuchungen ergeben: 

1. Die gewöhnlichen Platten des Rinds- oder des Kammmacher- 
hornes, deren Polarisationsfiguren mit denen einer zweiachsigen, 
senkrecht auf eine der beiden Mittellinien geschnittenen Platte 
übereinstimmen, besitzen in der Regel einen sehr grossen schein- 
baren (und wirklichen) Achsenwinkel, der nicht selten 120° bis 125° 
und selbst etwas mehr beträgt. Man findet nur ausnahmsweise an 
Längsschnitten einen so kleinen Achsenwinkel, dass bloss ellipsen- 
ähnliche Ringe, statt der lemniscatenähnlichen und statt der voll- 
ständigen Cassini’schen Curven überhaupt auftreten. 

3. Andere dichte Horngewebe, wie die Nägel des Menschen, 
die Federkiele, Platten von Schildpatt können einen noch grösseren 
Achsenwinkel (der Schätzung nach bis 135°) darbieten. 

3. Die schwache Doppelbrechung der unter No. 2 genannten 
Gewebe hat zur Folge, dass sich die Farben sehr langsam ändern, 
wenn man von der Polarlinie nach dem Umkreise des Gesichtsfeldes 
des Nörrenberg’schen Polarisationsmikroskopes fortschreitet. Man 
erhält daher grössere Bezirke von scheinbar gleichartiger Färbung 
nach demselben Grundsatze, der auch die Entstehung glatter Farben 
in sehr dünnen Krystallblättchen erklärt. 

4. Die zweiachsigen Polarisationsfiguren des Hornes erscheinen 
in der Regel unvollkommener, als die von senkrecht auf die (erste) 
Mittellinie geschnittenen Krystallplatten, die mit keinen von dem 
Krystallbaue unabhängigen inneren Spannungen versehen sind. Das 
Ganze hat bisweilen ein geblättertes Aussehen. Die hyperbolischen 


Ist aber p der Winkel, welcher die zweite Prismenfläche mit der 
ersten an der Prismenkante bildet, so hat man auch 
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wodurch man ein für alle Mal bestimmen kann; folglich 
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684 G. Valentin: 


schwarzen Büschel, die oft auffallend wenig gekrümmt sind, reichen 
meist nur bis zu dem ersten Ringe oder selbst nicht so weit. Das 
Bild weicht zugleich von dem ab, das eine zweiachsige senkrecht 
auf die Mittellinie geschnittene Platte in eireularpolarisirtem Lichte 
gibt, wenn also nur ein einziges !/ı Glimmerblättchen oder noch 
ein zweites unter + 45° eingeschaltet worden. Die Figuren end- 
lich, welche die Einstellung der Hornmasse unter + 45° liefert, sind 
oft vollkommener, als die unter anderen Azimuthen. 


5. Es gibt einzelne Präparate des Rinderhornes, die einen 
ltückschluss auf die Zerstreuung der optischen Achsen gestatten. 
Die blauen (und violetten Strahlen) besassen dann einen kleineren 
(scheinbaren) Achsenwinkel, als die rothen in den ven mir unter- 
suchten Exemplaren. Dieses scheint nicht von einer merklichen 
Zerstreuung der Elastieitätsachsen herzuvrühren. Die beiden optischen 
Achsen lagen also nahezu in derselben Ebene. Die der verschie- 
denen Farben durchkreuzten sich aber unter verschiedenen Winkeln. 
Man hatte mit einem Worte dasselbe, was z. B. in rhombischen 
Krystallen vorkommt, und nicht einen der vielfachen verwickelteren 
Fälle des monoklinischen Systemes. 


6. Die Hornschuppen der Fische und der Reptilien besitzen 
im Allgemeinen einen kleinen Achsenwinkel. Eine einzige Schuppe, 
die weder zu dünn, noch ihrer allzu grossen Dicke wegen zu un- 
durchsichtig ist, zeigt die schattigen Hyperbeln, deren den Polen 
(den Durchschnitten der optischen Achsen mit der betrachteten 
Plattenebene) ensprechenden Halbirungspunkte gegenseitig am Wei- 
testen abstehen, wenn die Polarlinie unter + 45° gelagert ist. Die 
Hyperbeln vereinigen sich zu einer Kreuzfigur bei 0° oder + 90°. 
Man hat daher hierin ein Mittel, die Lage der Polarlinie einer. 
Schuppe durch eine Azimuthaldrehung zu bestimmen. 


7. Legt man eine Anzahl von Schuppen plattensatzartig über 
einander, so erbält man ausserdem noch häufig eine grössere oder 
geringere Menge lebhaft gefärbter, isochromatischer Ringe. 

8. Die Schuppen sowohl, als einzelne Präparate anderer Horn- 
gewebe, z. B. des Rinderhornes besitzen die Fähigkeit, die Polari- 
sationsebene zu drehen. Sie gehören also zu der geringen Zahl 
fester Körper, die, wie z. B. der Quarz oder der Zinnober unter 
den anorganischen, das schwefelsauere Strychnin, die Gallertplatten 
und ausnahmsweise einzelne Präparate getrockneter Krystalllinsen 


Beiträge zur Mikroskopie. 685 


unter den organischen Massen, das linear polarisirte Licht in ellip- 
tisch oder in circular polarisirtes verwandeln. 

9. Die verschiedene Art der plattensatzähnlichen Uebereinan- 
derlagerung der Schuppen, die gleichartig oder entgegengesetzt pa- 
rallele, die rechtwinkelig oder die sternförmig gekreuzte (siehe oben 
S. 669) ändert in vielen Fällen die ursprüngliche Drehungsrichtung 
nicht. Man stösst aber auch auf Interferenzwirkungen in einzelnen 
Fällen. Siekönnen sich auf zweierlei Weise verrathen. Ein Platten- 
satz, der aus einer grösseren Anzahl von Schuppen besteht, liefert 
einen kleineren Drehungswinkel, als einer, der aus einer geringeren 
Menge zusammengesetzt ist, so dass sich Bechts- und Linksdrehung 
nur vermindernd ausgleichen, oder eine bestimmte Zahl von Schuppen 
wendet nach rechts und eine grössere oder eine kleinere stärker 
nach links, so dass die Vermehrung der Zahl derselben die Drehungs- 
richtung umkehrt und daher die Ausgleichung durch den Null- 
punkt geht. 

10. Der Hauptgrund, wo nicht die einzige Ursache der Cir- 
cularpolarisation der Horngewebe liegt in ihrer Schichtung. Man 
kann alle eigenthümlichen Erscheinungen der Quarzplatten, die Cir- 
cularpolarisation in der Nachbarschaft der Achse und die elliptische 
weiter nach aussen, sowie den Mangel der Kreuzfigur innerhalb des 
ersten Ringes einer auf die optische Achse senkrecht geschliffenen 
Platte und die Airy’schen Spiralen bei der Verbindung eines rechts- 
und eines linksdrehenden Schliffes, durch eine passende gekreuzte 
Verbindung einer Anzahl zweiachsiger Glimmerblättchen hervor- 
bringen. Es lässt sich vermuthen, dass die Circularpolarisation der 
Horngewebe aus der Uebereinanderlagerung der einzelnen Schichten 
von Hornblättern in verschiedenen Richtungen in ähnlicher Weise 
erzeugt wird, obgleich sich noch die zweiachsige Polarisationsfigur 
erhält. Eine unvollkommenere Schichtung der Glimmerblättchen 
gibt auch nur elliptisch oder kreisförmig polarisirtes Licht neben 
Hyperbeln und Cassini’schen Curven, welche noch das Verharren 
bei der zweiachsigen Beschaffenheit anzeigen. Die genauere Ver- 
folgung der Art und der Grösse der Drehung der Polarisations- 
ebene wird wahrscheinlich nähere Aufschlüsse über feinere, in ge- 
wöhnlichem Lichte nicht vollständig erkennbare Verhältnisse des 
Baues der Horngewebe liefern können. 

11. Es rührt von der an und für sich geringen Doppelbrechung 
der Hornsubstanz her, dass die dunkelen Interferenzeurven ihrer 


686 G. Valentin: 


Polarisationsfiguren, die man in einfarbigem Lichte sieht, viel weiter 
aus einander liegen, als in den stärker doppeltbrechenden Krystall- 
platten. Da die äussersten der in dem weissen Lichte auftretenden 
farbigen Cassini’schen Curven bis an den Rand des Gesichtsfeldes 
des Nörrenberg’schen Polarisationsmikroskopes in den Präparaten 
des Rinderhornes zu reichen pflegen, so vermehrt sich dann auch 
nicht die Anzahl der Ringe, wenn man die Untersuchung in dem ein- 
farbigen gelben Lichte oder mit Hilfe eines Rubinglases anstellt, wie 
in den Platten ein- oder zweiachsiger Krystalle aus der anorganischen 
Welt oder krystallinischer organischer Massen z. B. des Zuckers. 

12. Die Knochenschuppen von Polypterus und Lepidosteus 
brechen das Licht doppelt, wie andere Knochenmassen. Das gelbe 
Leuchten der Hohlräume (nicht aber der Umgebungen) der Knochen- 
körperchen auf dem rothen Gypsgrunde des Polarisitationsmikro- 
skopes, das auch an Knochenschliffen des Menschen und der Wirbel- 
thiere vorkommen kann, rührt von zurückgeworfenem und nicht 
von durchgehendem Lichte her. Es schwindet daher, so wie man 
eine undurchsichtige Röhre zwischen dem mikroskopischen Gegen- 
stande und den Objectivlinsen anbringt oder auch nur das Seiten- 
licht mit den Händen abhält. Man erzeugt ‘es am schönsten durch 
die Einschaltung eines Kobaltglases ohne alle Polarisationsvorrich- 
tung. 

13. Der rothe Gypsgrund zeigte in keinem Falle, dass die 
Scheiden, d. h. die nächste Umgebung der Knochenkörperchen eine 
andere Farbenänderung, als die zwischen ihnen liegenden Theile 
des Gypsgrundes hervorrufen, ich mochte Quer- oder Längsschliffe, 
schiefe Schnitte oder Keile des Oberschenkelbeines oder des Schien- 
beines des Frosches, Knochenschliffe der anderen Wirbelthiere oder 
des Menschen, Knochenblätter, die schon ohne Weiteres durchsichtig 
genug für die mikroskopische Untersuchung sind, die Cämentmasse 
des Backzahnes des Pferdes, die Knochenschuppen von Polypterus 
oder Lepidosteus oder die Flossenstrahlen jenes Fisches unter- 
suchen. 

14. Alle diese Theile zeigen grössere oder kleinere Bezirke 
gleichartiger Farbenänderung des Gypsgrundes, die Längsachsen 
der spindelförmigen Knochenkörperchen seien, wie sie wollen, ge- 
lagert. Die Stellung wechselt meistentheils in benachbarten Kör- 
perchen, wenn diese nicht zwischen den auffallend geschichteten 
Knochenblättern liegen. Da dessen ungeachtet einfache Färbungen 


Beiträge zur Mikroskopie. 687 


oder Mischfarben ausgedehnter Bezirke, welche einer grösseren 
Summe verschieden gestellter Knochenkörperchen entsprechen, aus- 
nahmslos vorkommen, so kann der optische Charakter der Knochen- 
masse nicht davon abhängen, wie die Längsachse der Knochenkör- 
perchen gelagert ist. Es gibt überdiess Beispiele genug, in denen 
mikroskopische Knochenmassen, welche kein einziges Knochenkör- 
perchen enthalten, nichts desto weniger den rothen Gypsgrund gleich 
anderen Knochentheilen ändern. Die oben beschriebenen Knochen- 
strahlen von Polypterus bischir, in deren Parallelepipeden die Zahl 
der Knochenkörperchen von Eins bis über Fünfzehn wechseln kann, 
eigenen sich gut, die Einflusslosigkeit der Knochenkörperchen auf 
den optischen Charakter der Knochenmasse in einem einzigen Prä- 
parate anschaulich zu machen. 


688 


An die Redaction des »Archivs f. mikrosk. Anatomie«. 


Ich erhalte von Herrn Professor Dr. Hensen folgende Zuschrift: 

»Sie bezeichnen, Herr College, in Ihrer Arbeit über die Gehörorgane 
der Heuschrecken (dieses Arch. Bd. 11) einige meiner Abbildungen, Zeitschr. 
f. wiss. Zoologie Bd. XVI, als sehr schematisch gehaltene. Meine Zeich- 
nungen sind jedoch, soweit Nichts anderes bemerkt worden ist, möglichst 
genaue Copieen meiner Präparate. Ich bin daher überzeugt, dass Sie bei 
genauer Erwägung noch andre Erklärungen als die genannte für die Unter- 
schiede unserer betreffenden Darstellungen finden werden; und da ich es für 
verwerflich halten würde, wenn jene stillschweigend als naturgetreu hinge- 
stellten Abbildungen wirklich schematische wären, würde ich für eine Notiz 
darüber Ihnen Dank wissen«. 

Die beste Notiz meinerseits scheint mir die Veröffentlichung der 
obigen Zeilen zu sein mit der Erklärung, dass ich durch die Bezeichnung 
»schematisch«e meinem Herrn Collegen in keiner Weise habe zu nahe treten 
wollen. 

Strassburg, den 24. April 1875. 

Oscar Schmidt. 


Druck von Carl Georgi in Bonn. 


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Archiv 


für 


Mikroskopische Anatomie 


herausgegeben 
von 
v. la Valette St. George in Bonn 


und 


W. Waldeyer in Strassburg. 


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Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. 


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Eilfter Band. 


Supplementhefit. 


Ueber das Zahnsystem der Amphibien und seine Bedeutung für die Genese 
des Skelets der Mundhöhle. Eine vergleichend anatomische, entwicklungs- 
geschichtliche Untersuchung von Dr. Oscar Hertwig. 


Mit 5 Tafeln. 


Bonn, 
Verlag von Max Cohen & Sohn. 
1874. 


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Seinen Lehrern 
den Professoren 
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widmet diese Schrift 


in Dankbarkeit und hoher Verehrung 


Der Verfasser, 


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Inhaltsverzeichniss. 


Seite 


Einleitung. 


Specieller Theil der Untersuchung. 


Ueber das Skelet der Mundhöhle und das Zahnsystem der 
Amphibien. 


Erste Abtheilung. 


Anatomisch histologische Untersuchung des Skelets der 
Mundhöhle und der Zähne der Amphibien... 


Erster Abschnitt. 
Das Skelet der Mundhöhle. 


1. Die Basis des Primordialeranium mit seinen enchondrostotischen 
Verknöcherungen 
2. Die Belegknochen der Schädelbasis . ’ 
a) Erste Gruppe. Knochen des Dhexkiefsrkepags ; 
b) Zweite Gruppe. Knochen des Gaumenbogens 
c) Dritte Gruppe. Parasphenoid . 
3. Unterkiefer ANaR use Viiskiafe - 
4. Histologische en hnerektamg A Prindedialerenium und der 
Schädelknochen . 


Zweiter Abschnitt. 
Das Zahnsystem der Amphibien. 


1. Vertheilung und Anordnung der Zähne auf den Knochen der 
Mundhoble EA se, jetfenurläle vellieig DE kelanwände 


33 


34 


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Seite 
2. Die Untersuchung des Einzelzahns nach seiner äusseren Form, 
nach seiner Befestigung und nach seiner histologischen Zusam- 
mensetzung. 2a Na. el were ae ale (© ee 
a) Grösse und Form der Zähne . . . . BU A 
b) Befestigung der Zähne auf den Khechen I: der Zähne 
in der Mundschleimhaut . . . . u An 
c) Histologische Zusammensetzung der Zähne » 56 
d) Vergleichung der Zähne der Amphibien mit den Zähnen 
der Selachier und der Säugethiere . -. » » 2 2... 64 
3, Ueber den Zahnwechsel, Ersatz und Resorption . ». .». 2. ...68 
a) Entwicklung der Ersatzzähne . . . » - 2.0... 68 
b) Resorption der Zähne. . . 2. 2 2 2.2 20.0.0. 8 


Zweite Abtheilung. 


EmbryonaleEntstehung der Zähne und des Mundhöhlenskelets 
der Amphibien . . . - (Sr sa 


Erster Abschnitt. 


Entwicklung der embryonalen Zähne und des Skelets der 
Munähohle der Urodelen. . 2 mr 


1. Methode der Untersuchung . . . . . FE 

2. Die Beschaffenheit des nen. a Urodelir be ATDE 

3. Entstehung der primitiven Zähne . . . 93 
4. Entstehung des Embryonalskelets und Umwandkai desstlhen 

in das bleibende Skelett . - . . 2... sunndlkuuee 

a) Entstehung des Embryonalskelets. . . . 103 

b) Umwandlung des Embryonalskelets in das bleibende Skelet. 112 

c) Allgemeine’ Rösultate =. Mimi, N ES 

d) Geschichtlicher Ueberblick . . -. . 2... . . 12 


Zweiter Abschnitt. 


Die Entwicklung des Mundhöhlenskelets und der Zähne 
derAuuren. 7... iR 


1. Entwicklung des Skelets der Mundhöhle . . . . 2.22... 134 
2. Entwicklung der ersten Zähne bei den Anuren . . . . . , 188 


vu 
Seite 
Dritter Abschnitt. 


Vergleichung der im ersten und zweiten Abschnitt erhaltenen 
Resultate und weitere Folgerungen. . . . . 141 


Zusammenfassung der im vergleichend anatomischen 
und entwicklungsgeschichtlichen Theil erhaltenen 


Masuktatemi. . . 2 ....... 01582 
I. Ergebnisse über den Bau und die Entwicklung des Zahnsystems 
der Amphibien . . . . 15 
a) Phylogenetischer Uriäng ah Yeriheilng dei Zähne 14 „155 
b) Bau und Entwicklung der Zähne. . . SR 
II. Ergebnisse über das Mundhöhlenskelet der Auipbibichl, Bi 
a) Phylogenetische und ontogenetische Entwicklung der Deck- 
knochen der Mundhöhle . . . . 156 


b) Ueber die primäre Zahl, Lage und en ii HERERRocHIeh 
des Mundhöhlenskelets der Amphibien und die späterhin 
nach den einzelnen Ordnungen erfolgten Differenzirungen 


deselben .. . . a Were AO 
1. Anzahl der Buböhanptikke RR VE 2 OR OR SERRRE VERBNNN |; 
2. Lage der Knochenstücke . . . - eh ent es ERTGEE 
3. Veränderung im Zahnbesatz der Kaonken nn. re 
Allgemeiner Theil... ...... 16 


1. In welchem Verhältniss steht die Genese des Mundhöhlenskelets 
der, "Amphibien zur Genese des Mundhöhlenskelets der übrigen 


Wirbelthiere . . . 165 
a) Mundhöhlenskelet ae Kadsheläkehe der Dipmateken öl den 
Knochenfische. . . . 166 
b) Mundhöhlenskelet der en der, Reptilien , Vögel, 
Säugethiere. . . 178 


| 3, In welchem Verhältniss Kae die hen der Mundhöhle 
; zu den übrigen Deckknochen des Schädels (zu den Integument- 


Ossificationen). x 189 
3. In welchem Verhältniss stehen die Kehohohdrostäkeiukbn Sk 
Deckknochen zu den enchondrostotischen Knochen?. . . . . 19 


4. Theorie des Schädels der Wirbelthiere -. . -» : 2 2 2.....197 


Erklärung der Figurenbezeichnungen . . .» » 2 2...0.. 201 
Tatelerklaruns sn a anal le he sim ya, 208 


Beriehtigungen. 


Seite 9 Zeile 9 von oben. Statt »allen« lies »altenc«. 
» 34 Absatz 3 Zeile 2. Statt »vier« lies »dreic«. 
» 34 Absatz 3 Zeile 6. Die Worte »und der vierte die allgemei- 
nen Resultate« sind zu streichen. 
» 57 Anmerkung 5). Statt »Strickerc lies »Heinecke«. 
» 79 Zeile 6 von oben. Statt »nach« lies »von«, 
» 123 Zeile 7 von unten. Statt »rennt« lies »trennt«. 


Einleitung. 


Die hier vorliegenden Untersuchungen sind durch die von mir 
in der Jenenser Zeitschrift kürzlich veröffentlichte Abhandlung ') 
»Ueber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen und der Zähne 
der Selachier« veranlasst worden. Für einige der dort ausgespro- 
chenen, auf deductivem Wege gewonnenen Auffassungen war ich den 
empirischen, auf Thatsachen sich stützenden Beweis schuldig geblie- 
ben. Es wurde dort der Satz aufgestellt und im Anschluss an die 
bei Selachiern gefundenen Verhältnisse zu begründen gesucht, dass 
alle aus Dentin bestehenden Zahnbildungen der Wirbelthiere homo- 
loge Bildungen d. h. gemeinsamen Ursprungs sind und als solche 
von den bei Selachiern bestehenden Einrichtungen abgeleitet werden 
müssen. Da nun die Zähne der Selachier gleich denjenigen der 
Säugethiere aus Zahnbein, Schmelz und Cement zusammengesetzt 
sind und sich, abgesehen von einigen Verschiedenheiten von unter- 
geordneter Bedeutung, wie diese entwickeln, so musste eine nahezu 
gleiche Zusammensetzung und eine ähnliche Entwicklung auch für 
die Zähne der zwischen den Selachiern und Säugethieren stehenden 
Wirbelthierclassen, der Teleostier, Amphibien und Reptilien erwartet 
werden. Diese einheitliche Auffassung des Zahnbaus, wie ich sie 
in der oben genannten Arbeit entwickelt habe, stösst auf Schwierig- 
keiten, wenn man die von früheren Forschern über die Zähne der 
genannten Classen angestellten Untersuchungen berücksichtigt, da 
sie in vieler Beziehung zu andern Resultaten geführt haben. 

So entstand in mir das Verlangen, die bei den Selachiern be- 
gonnene Untersuchung auch auf die übrigen höher stehenden Thier- 
classen auszudehnen. Zugleich war ich begierig zu erfahren, in wie 
weit eine unter Voraussetzung gemeinsamer Abstammung theoretisch 
gewonnene Auffassung vom Zahnbau einer bestimmten Thierclasse im 


1) Jenaische Zeitschrift f. Naturwiss. 1874. Bd. VIII N. F. I, 3. 
Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd, 11, Supplementheft, 1 


2 


gegebenen Falle sich bewahrheiten würde. Von einer Untersuchung 
des Zahnsystems der Kmnochenfische nahm ich vorläufig Abstand, 
weil hier die Arbeit sehr ausgedehnt hätte werden müssen, wenn 
sie die äusserst mannichfaltigen Verhältnisse nur einigermassen 
umfassend hätte behandeln wollen, und wandte mich zur Untersu- 
chung der Amphibien, theils weil hier die Zahnbildung bei den ver- 
schiedenen Species eine sehr gleichartige ist, theils auch weil gerade 
über sie die früheren ' Untersuchungen zu sehr verschiedenen Re- 
sultaten geführt haben. 

Als Untersuchungsobjecte dienten mir aus der Classe der Anu- 
ren Rana esculenta und Pelobates fuscus, von Urodelen 
wurden Siredon pisciformis, Salamandra macul. und Tri- 
ton untersucht. Von allen diesen Species standen mir auch Larven 
auf den verschiedensten Entwicklungsstufen zu Gebote. 

Als ich nun die embryonale Entstehung der Zähne zunächst 
bei Tritonlarven zu untersuchen anfıng, wurde ich auf die innige Be- 
ziehung zwischen der Entwicklung der jungen Zähnchen und 
der Entwicklung einiger Knochen der Mundhöhle aufmerksam. Die 
hier sich mir darbietenden Verhältnisse fesselten in hohem Grade 
meine Aufinerksamkeit, weil sie mir für die Genese des Kopfskelets 
von der grössten Bedeutung zu sein schienen. Ich begann daher 
jetzt auch die Entstehung des Mundhöhlenskelets eingehender zu 
untersuchen, als dies von früheren Forschern geschehen ist, welche 
die Rolle der Zähne bei der Bildung einzelner Knochen entweder 
ganz übersehen, oder wenn zwar beobachtet, so doch nicht richtig 
gedeutet haben. Eine Bearbeitung dieses Gegenstandes, wenn sie 
erfolgreich und möglichst erschöpfend werden soll, erfordert aber 
nothwendiger Weise eine genaue Kenntniss des Schädels vom er- 
wachsenen Thiere, und namentlich eine genaue Kenntniss der ein- 
zelnen Knochen der Mundhöhle bei den verschiedenen Amphibien- 
arten. Daher begann ich auch nach dieser Richtung meine Unter- 
suchungen auszudehnen. Hierbei konnte ich mich mit den osteo- 
logischen Verhältnissen natürlich nur in soweit befassen, als dieselben 
für den Gang der ganzen Arbeit von Bedeutung waren. Daher liess 
ich die Frage nach der Homologie der Skelettheile der Amphibien 
mit Skelettheilen höherer Wirbelthiere ganz unberücksichtigt, eines- 
theils weil ein. Eingehen auf diese Frage vom eigentlichen Ziel der 
Arbeit abgeleitet haben würde, andererseits weil nach meiner Ueber- 
zeugung mit der Feststellung der Homologieen eine das Skelet der 


3 


höheren Thiere behandeinde Arbeit sich zu befassen hat. Denn 
nicht die complieirten und weiter abgeänderten, sondern die ein- 
facheren und ursprünglicheren Verhältnisse müssen den Ausgangs- 
punkt und die Grundlage für vergleichend anatomische Betrachtung 
bilden, oder mit andern Worten das Skelet der höheren Wirbelthiere 
muss auf dasjenige der Amphibien und nicht das Skelet der Am- 
phibien auf das der höheren Wirbelthiere zurückgeführt werden. 
Aber auch trotz dieser Einschränkung habe ich bei der Untersuchung 
des Mundhöhlenskelets länger verweilen müssen, weil ich Verschie- 
denerlei von früheren Untersuchern abweichend dargestellt oder ge- 
deutet und Manches, was der Erwähnung werth, übergangen fand. 
Ausserdem hat es bis jetzt Niemand versucht, die in den einzelnen 
Species abweichenden osteologischen Verhältnisse von einem einheit- 
lichen Gesichtspunkt aus genauer vergleichend zu beurtheilen. So 
veränderte sich oder richtiger gesagt, so erweiterte sich im Laufe 
der Untersuchung das Untersuchungsgebiet, und die anfänglich en- 
ger begrenzte Arbeit nahm unter der Hand allmählich einen grös- 
seren Umfang an. 

Auf den ersten Blick mögen vielleicht die Gegenstände dieser 
Untersuchung weit auseinander zu liegen und einander fremdartig 
zu sein scheinen. Wie indessen der Gang der Untersuchung mit 
Nothwendigkeit von dem einen zum andern Objecte mich hinleitete, 
so wird man auch in der Darstellung, zumal aber im Gesammt- 
resultat den inneren Zusammenhang der hier behandelten Gegen- 
stände nicht verkennen. 

Nach den Untersuchungsobjecten zerfällt die Arbeit in einen 
anatomischen und in einen embryologischen Theil. Im 
anatomischen Theil wird in einem besonderen Abschnitt die 
Anatomie des Mundhöhlenskelets und in einem zweiten Ab- 
schnitt die Anatomie und Histologie der Zähne geschildert. 
werden. Im embryologischen Theile dagegen wird die embry- 
onale Entstehungder Zähne und des Skelets der Mund- 
höhle gemeinsam zur Darstellung kommen. An diese zwei grös- 
seren das Untersuchungsmaterial in sich fassenden Theile habe ich 
einen dritten allgemeinen Theil angereiht, in welchem die 
gewonnenen allgemeinen Resultate mit den Verhältnissen in anderen 
Wirbelthierclassen verglichen und zum Schluss eine Theorie der 
Entstehung des Kopfskelets der Wirbelthiere gegeben werden soll. 


Erste Abtheilung. 


Anatomisch histologische Untersuchung des Skelets der 
Mundhöhle und der Zähne der Amphibien. 


Erster Abschinitt. 
Das Skelet der Mundhöhle‘). 
Hierzu Tafel 1. 


Das Skelet der Mundhöhle, wie überhaupt das gesammte Cra- 
nium der Amphibien setzt sich aus knöchernen und aus knorpligen 
Theilen zusammen. Diese gehören dem primordialen, jene dem knö- 


1) Literatur. 

Cuvier: Recherches sur les ossemens fossiles T. V. P. II. 

Meckel: System der vergleichenden Anatomie I. Th. 1. Abth. 

Dug&s: Recherches sur l’ost&ologie et la myologie des Batraciens & leurs 
differens äges. 

Kölliker: Allgemeine Betrachtungen über die Entstehung des knöcher- 
nen Schädels der Wirbelthiere. Berichte von der königl. zootom. 
Anstalt zu Würzburg. Leipzig 1849, 

Friedreich und Gegenbaur: Der Schädel des Axolotl. Berichte von 
der Königl. zoot. Anstalt zu Würzburg. Leipzig 1849. 

Rusconi: Histoire naturelle, developpement et me&tamorphose de la Sa- 
lamandre terrestre. Pavia 1854. 

Stannius: Handbuch der Zootomie der Wirbelthiere. 2. Theil 1856. 

Owen: Odontography. 

Vaillant: Anatomie de la Sirene lacertine. Annales des sciences na- 
turelles Quatr. serie. Zoologie 18 et 19. 18°2];5. 

Ecker: Die Anatomie des Frosches. 1864. 

Parker: On the structure and development of thescull of the common 
frog. Philosophical Transactions 1872. I. II. 

Gegenbaur: Grundzüge der vergl. Anatomie. 2. Aufl. 1870. 

Huxley: Lectures on the elements of comparative anatomy. 

Huxley: Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. 1873. 

Hoffmann: Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. 6. Band 
II. Abtheilung. 


5 


chernen Cranium an. Danun das primordiale die Grundlage für das 
knöcherne Cranium bildet, so kann letzteres nicht isolirt beschrieben 
werden. Denn viele Verhältnisse, vor allen Dingen die Lage der 
einzelnen Knochen, würden unverständlich bleiben. Eine Schilderung 
des Mundhöhlenskelets muss daher gleichmässig beide Theile berück- 
sichtigen. 

Ehe ich indessen zu einer derartigen Schilderung übergehe, 
mögen einige allgemeinen Bemerkungen über das Verhältniss, in 
welchem bei dem Amphibienschädel die Knochenstücke zu den knorp- 
ligen Theilen stehen, vorausgesschickt werden. 


Wie die Amphibien in der phylogenetischen Entwicklungsreihe 
zwischen dieSelachier und die höheren Wirbelthiere zu stehen kom- 
men, so bildet auch ihr Schädel eine vermittelnde Zwischenstufe 
zwischen den ausschliesslich aus Knorpel gebildeten Schädeln der 
Selachier und den rein knöchernen der höheren Wirbelthiere. In 
ihm hat sich uns dauernd ein Zustand erhalten, der in der embryo- 
nalen Entwicklung des Cranium der Säugethiere nur vorüber- 
gehend auftritt, wo Knorpel und Knochen gemeinsam ein Schutz- 
organ für das Gehirn und die Sinnesorgane bilden. Hierdurch erlangt 
aber der Amphibienschädel eine hohe morphologische Bedeutung 
sowie man über die Processe, welche zur Entstehung der knöcher- 
nen Theile und weiterhin zur Verdrängung des Knorpels geführt 
haben, Aufschlüsse erhalten will. 


Der knorplige Theil des Cranium bildet bei den Am- 
phibien, und zwar in höherem Grade bei den Perennibranchiaten 
und Anuren, in geringerem Grade bei den Salamandrinen unter den 
ihm aufliegenden Knochenstücken noch eine fast vollkommen ge- 
schlossene Kapsel, welche dem Cranium der Selachier gleichgestellt 
werden muss (Fig. 16 u. Fig. 20). Das hieran sich anschliessende, die 
Mund- und Schlundhöhle von unten her umgürtende Visceralskelet 
(Unterkiefer, Zungenbein, Kiemenbogen) besteht gleichfalls zum grossen 
Theil aus einfachen Knorpelspangen und nimmt in dieser Beziehung, 
wenn wir von einzelnen Umbildungen und Rückbildungen absehen, 
eine nur wenig höhere Entwicklungsstufe als das Visceralskelet der 
Selachier ein. 

Die mit dem Primordialeranium in Verbindung getretenen 
knöchernen Theile zeigen zu demselben ein verschiedenes Ver- 
halten, auf welches zuerst Duges in seinen verdienstvollen Unter- 


6 


suchungen über die Osteologie der Batrachier!) die Aufmerksamkeit 
gelenkt hat. Der grösste Theil derselben liegt der Oberfläche 
des. Knorpels flach auf und wird durch eine bald geringere bald 
stärkere Bindegewebsschicht von ihr getrennt. An macerirten 
Schädeln lassen sie sich vom Knorpeleranium, ohne dasselbe irgend 
wie zu beschädigen, mit der Pincette leicht abheben. Bei einem 
anderen kleineren Theile von Knochen ist dies nicht ausführbar, 
ohne die Continuität des Primordialeranium zu zerstören, da sie 
in dasselbe eingesprengt und gleichsam verknöcherte Partieen des- 
selben sind. Die ersteren hat man nach ihrer Lagerung zum Knor- 
pel als perichondrostotische oder als Belegknochen (mem- 
brane bones), die letzteren als enchondrostotische (cartilage 
bones) bezeichnet. Früher unterschied man sie auch als secun- 
däre und als primäre Knochen?). Zu ersteren gehören am Am- 
phibienschädel die Nasalia, Frontalia, Parietalia, Tympa- 
nica; die Intermaxillaria undMaxillaria, die ossa vome- 
ris, Palatina und Pterygoidea, das Parasphenoid, die Be- 
legknochen des Unterkiefers: das Dentale, Angulare und wo es 
vorhanden, das Operculare. Enchondrostotische Knochen 
(primäre) sind nur die Occipitalia lateralia, Petrosa, Qua- 
drata, das Ethmoid (os en ceinture) und das Articulare 
des Unterkiefers, welches indessen in den meisten Fällen fehlt. 

Nach dieser allgemeinen Charakteristik des Amphibienschädels 
wende ich mich zur eingehenderen Darstellung des Skelets der 
Mundhöhle und werde zunächst die Basis des Primordial- 
cranium mit seinen enchondrostotischen Verknöcherungen, alsdann 
die ihr aufliegenden Deckknochen beschreiben. In einem dritten 
Abschnitt soll das Skelet des Unterkiefers, in einem vierten 
die histologischen Eigenschaften des Knorpel- und 
Knochengewebes am Amphibienschädel besprochen werden. 


1) Dug&s, Recherches sur l’osteologie et la myologie des Batraciens 
a leurs differens äges. 

2) Kölliker, Allgemeine Betrachtungen über die Entstehung des knö- 
chernen Schädels der Wirbelthiere. Berichte von der Königl. zootom. Anstalt 
zu Würzburg. Leipzig 1849. 

Huxley, Lectures on the elements of comparative anatomy. S. 298. 


1. Die Basis des Primordialeranium!) mit seinen 
enchondrostotischen Verknöcherungen. 


Im Anschluss an Gegenbaur’s Eintheilung des Selachier- 
schädels?) lässt sich auch das Primordialeranium der Amphi- 
bien in vier Regionen zerlegen, in eine Ethmoidal-, eine 
Orbital-, eine Labyrinth- und eine Occipital-Region?). 


1) Man vergleiche Friedreich und Gegenbaur: Der Schädel 
des Axolotl. Berichte von der Königl. zootom. Anstalt zu Würzburg. 1849. 

Du ges, Recherches sur l’osteologie et myologie des Batraciens etc. 

Ecker, Die Anatomie des Frosches. 

Parker, On the structure and development of the scull of the 
common frog. Philosophical Transactions 1872. I. 11. 

2) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der 
Wirbelthiere 3. Heft. Das Kopfskelet der Selachier etc. 

3) In den das Cranium der Amphibien behandelnden Schriften findet 
man in der Regel die knorplige Grundlage desselben nicht gesondert, son- 
dern mit den knöchernen Theilen zusammen beschrieben. Knorpelpartieen 
hat man hierbei nach den ihnen aufliegenden Knochen benannt. Man ist in 
einer derartigen Benennung so weit gegangen, dass man Knorpeltheilen, welchen 
keine Knochenstücke bei den Amphibien aufliegen, die Namen von Knochen 
beigelegt hat, welche bei höheren Wirbelthieren die betreffende Gegend ein- 
zunehmen pflegen. So bleiben, um mich eines Beispiels zu bedienen, bei den 
Amphibien die Basis und die Decke der Hinterhauptsregion des Schädels rein 
knorplig, da nur in den Seitentheilen knöcherne Occipatilia lateralia zur Ent- 
wicklung kommen. Es fehlt also den Amphibien ein Oceipitale superius und 
ein O. basilare. Trotzdem benennt man die obere Gegend als knorpliges Occi- 
pitale superius, die untere als O. basilare, oder man spricht von einem Oecci- 
pitale, welches im Knorpelzustand verharrt. Mit demselben Rechte kann 
man die verschiedenen Gegenden an dem Knorpeleranium der Selachier mit 
den Knochennamen höherer Thiere taufen. Wenn es nun unsere Aufgabe 
sein muss, nur homologe Theile in der Thierreihe mit gleichen Namen zu 
belegen, so leuchtet das Schädliche in dieser Art und Weise der Namen- 
gebung wohl ein. Man hat hier ebenfalls den oben erwähnten Fehler be- 
gangen, dass man, anstatt aus minder differenzirten Formen die weiter diffe- 
renzirten abzuleiten, gerade umgekehrt verfahren und, anstatt zu erklären, 
einfachere Verhältnisse durch den Vergleich mit höheren nur complicirter ge- 
macht hat. Eine richtige Beurtheilung des Primordialeranium der Amphi- 
bien wird erst dann möglich sein, . wenn man dasselbe für sich als ein ab- 
geschlossenes Ganze betrachtet und ohne Rücksicht auf die ihm secundär 


8 


Der ethmoidale Theil des Cranium enthält das Geruchs- 
organ eingebettet. Er verharrt fast in seiner ganzen Ausdehnung 
im knorpligen Zustand und findet sich verhältnissmässig am massig- 
sten bei Siredon pisciformis als Repräsentanten der Perennibran- 
chiaten, weniger bei Salamandrinen und Anuren entwickelt. Bei 
Siredon (Fig. 16. Eth.) bildet er an der Decke der Mundhöhle eine 
breite und dicke Platte mit je einem seitlichen Einschnitt (y), wel- 
cher die innere Mündung der Nasenkapsel zur Hälfte begrenzt. 
Hiermit verglichen, besitzt die Platte beim Frosch (Fig. 20) 
sowohl eine geringere Dicke als auch eine geringere seitliche Aus- 
dehnung und ist diese Rückbildung theilweise durch eine Vergrösse- 
rung der inneren Nasenöffnungen (y), welche weiter median- und rück- 
wärts gerückt sind, theilweise durch eine stärkere Volumsentfaltung 
des Geruchsorgans und dadurch bedingte Verdünnung der Knor- 
pelwände herbeigeführt worden. An der Stelle, wo der Ethmoidal- 
knorpel die vordere Wand der Schädelhöhle bildet und in die Orbi- 
talregion übergeht, entspringt jederseits ein seitlicher Fortsatz, wel- 
cher die Orbita nach vorn abgrenzt. Man hat den Fortsatz Pro- 
cessus palatinus (C. p.) genannt. 

Die Orbitalregion (Fig. 16 u. 20. Or.) umfasst den zwischen 
den Augäpfeln liegenden Theildes Primordialeranium. Sie zerfällt beim 
Frosch und bei Siredon in einen vorderen enchondrostotisch 
verknöcherten und ineinen hinteren rein knorpligen Ab- 
schnitt. Die Verknöcherung (0. eth.) erstreckt sich von der Orbital- 
region noch eine kleine Strecke weit nach vorwärts auf die Ethmoi- 
dalregion und zwar auf deren hintere die Schädelhöhle nach vorn 
abschliessende Wand. Der Knochen wird in den Handbüchern als 
os en ceinture Gürtelbein oder als Ethmoid aufgeführt, da der 
Riechnerv ihn durchbohrt. Beim Frosch bildet er einen breiten 
Ring, der in seiner vorderen ethmoidalen, sich trichterförmig ver- 
engernden Hälfte durch eine senkrechte Scheidewand in zwei seit- 
liche Abtheilungen für den Durchtritt des N. olfactorius zerlegt ist. 


aufgelagerten Deckknochen dasselbe in seinen einzelnen Theilen von den 
Zuständen niederer Thiere, namentlich von den Knorpeleranien der Selachier 
abzuleiten und zu erklären sucht. Eine eigene Benennung der Theile wird 
sich dann von selbst als nothwendig erweisen. Ein Vergleich mit dem Se- 
lachiereranium konnte in dieser Arbeit im Einzelnen nicht durchgeführt wer- 


den, da ein solcher Versuch von dem gesteckten Ziele würde abgeleitet 
haben. 


9 


Der an das Gürtelbein sich anschliessende knorplige Abschnitt be- 
steht aus einer horizontalen, die Decke der Mundhöhle bildenden 
Platte und knorpligen die Orbita medianwärts begrenzenden Seiten- 
wänden. Bei Siredon ist der Boden der Orbitalregion häutig und 
sind daher nur die Seitenwände im vorderen Abschnitt enchon- 
drostotisch verknöchert (O. eth.), im hinteren Abschnitt knorplig. Das 
Ethmoid besteht bei noch nicht völlig ausgewachsenen Exemplaren 
nach den Angaben Gegenbaur’s aus zweiseitlichen Knochenstücken. 
Dieselben sind bei allen Thieren, wenn die Verknöcherung auch auf 
die Ethmoidalregion sich noch erstreckt hat, nach vorn zu ver- 
schmolzen !). 


Die Labyrinth- und Occipital-Region zusammengenom- 
men bilden zwar nur einen kurzen, dagegen aber auch den breite- 
sten Theil des Schädels (Fig. 16 u. 20. La. u.0c... Zum grösseren 
Theile bestehen sie gleichfalls aus Knorpel, zum kleineren aus Kno- 
chen. Enchondrostotische Verknöcherung hat an zwei Punkten des 
Knorpel stattgefunden, die eine (O. pe.) in der Labyrinthregion, 
wo sie das Gehörorgan einschliesst (os petrosum), die andere (0. 
0.1.) in der Oceipitalregion, deren Seitentheile sie ergriffen hat und 
so jederseits einen Gelenkhöcker zur Articulation des Schädels mit 
dem ersten Halswirbel bildet (occipitale laterale). Die bei den 
Anuren getrennten Ossa petrosa und oceipitalia lateralia (Fig. 20 
(0. peu.O. 0.1.) sind bei den Perennibranchiaten und Salamandrinen 
zu einem Knochenstück verschmolzen (Fig. 16). 


Die Labyrinthregion bildet nach vorn den hinteren Abschluss 
der Orbita. An ihrer Uebergangsstelle in die Orbitalregion entsen- 
det sie jederseits einen Fortsatz, den Quadratknorpel (C. qu.), 
welcher an seinem Ende eine Gelenkfläche zur Articulation für den 
Meckel’schen Knorpel des Unterkiefers trägt. Nahe an seinem 
Ursprung trennt sich vom Quadratknorpel eine nach vorn ver- 
laufende und die Augenhöhle von Aussen begrenzende Knorpelspange, 
der Processus pterygoideus (C. pt.). Während dieser bei den geschwänz- 
ten Amphibien frei endet (Fig. 16 C. pt.), verschmilzt er bei den 
ungeschwänzten (Fig. 20 C.pt.) mit dem Ende des oben beschriebe- 
benen Processus palatinus und entsteht hierdurch bei ihnen ein seit- 
lich an die Schädelkapsel sich anschliessender vollständig geschlos- 


1) Friedreich und Gegenbaur, I, c. $. 29, 


10 


sener Knorpelrahmen, zwischen welchem der häutige Boden der 
Augenhöhle ausgespannt ist. 

An dem Gelenktheil des Quadratknorpels findet man eine ossi- 
fieirte Stelle, die in den verschiedenen Abtheilungen der Amphibien 
eine verschieden grosse Ausdehnung erfahren hat (os quadra- 
tum). Am geringsten ist sie beim Axolotl (Fig. 16. O. qu.), am mei- 
sten bei den Salamandrinen (Fig. 5 u. Fig. 36 O. qu.) entwickelt, wo ° 
die Verknöcherung bis zum Petrosum reicht. Beim Frosch (Fig. 
20 0. qu. j.) ist nun der vordere Theil der Gelenkfläche des Quadrat- 
knorpels verknöchert; der Knochen verlängert sich aber noch wei- 
ter nach vorn, in Form einer dünnen Spange, bis zum Anschluss 
an das Maxillare (os quadratojugale). Als Verknöcherungen 
des Gelenktheils des Quadratknorpels sind sie als Quadrata 
bezeichnet worden und Homologa der gleichnamigen Knochen der 
Fische. 

Der hier geschilderte Fortsatz, der Quadratknorpel, lässt 
nach den einzelnen Ordnungen der Amphibien beträchtliche Ver- 
schiedenheiten in seiner Lage zum Schädel erkennen, Verschieden- 
heiten, welche für die Gestaltung des Kopfskelets von der grössten 
Bedeutung sind. Bei den auf der niedrigsten Entwicklungsstufe 
stehenden Amphibien, den Perennibranchiaten, ist der Fortsatz 
schräg nach vorn gerichtet, wie Abbildungen des Schädels von 
Siredon (Fig. 16), Menobranchus (Fig. 34), Siren lacertina 
(Fig.6a) deutlich zeigen. Diese Stellung ist als die ursprüngliche 
zu betrachten; aus ihr ist die veränderte Stellung erstens bei den 
Derotremen und Salamandrinen (Fig. 5, 35, 36) und zweitens 
bei den Anuren (Fig. 20) herzuleiten. Bei ersteren ist der Qua- 
dratknorpel mehr quer zum Primordialcranium gestellt, bei letzteren 
ist er sogar schräg nach rückwärts gerichtet. 

Mit dieser Verschiebung des Quadratknorpels steht eine Reihe 
weiterer Veränderungen im Zusammenhang, welche an anderen Thei- 
len des Kopfskelets eingetreten sind. So wandert in gleichem Maasse, 
als sich die Spitze des Quadratknorpels nach hinten verlagert, auch 
die daselbst angebrachte Articulationsfläche für den Unterkiefer wei- 
ter rückwärts, ein Process, der bei den Anuren am weitesten gedie- 
hen ist, da bei ihnen das Unterkiefergelenk auf gleiche Höhe mit 
dem Oceipitalsegment oder sogar hinter dasselbe zu liegen kömmt. 
Während ferner bei Axolotl der Unterkiefer und ihm entsprechend 
das Maxillare verhältnissmässig kurz sind, haben ‘sich beide in 


11 


‘ beträchtlichem Maasse bei den Salamandrinen und besonders den 
Anuren verlängert!). Die bei Axolotl schmale Mundspalte hat sich 
nach hinten bedeutend ausgedehnt. 

Es sind dies eine Reihe von Veränderungen, die untereinander 
innig zusammenhängen und die, wie es mir scheinen will, haupt- 
sächlich aus zwei mechanischen Momenten als abändernden Ursachen 
sich erklären lassen. Das eine Moment ist die grössere Ent- 
wicklung, welche der Augapfel bei den höheren Amphibien 
im Vergleich zu den niederen Formen gewonnen hat, das andere 
Moment ist die bei ersteren eingetretene Rückbildung des Vis- 
ceralskelets. 

Um den ersten Punkt recht zu würdigen, vergleiche man den 
Kopf eines Axolotl mit dem einer Salamandra maculata und eines 
Frosches, und man wird sofort den auftallenden Unterschied in der 
Grösse des Auges bei den genannten Thieren erkennen. Während 
bei Axolotl die Augen am Schädel weit nach vorn und im glei- 
chen Niveau mit der Oberfläche des Kopfes liegen und wegen ihrer 
ganz besonderen Kleinheit die Aufmerksamkeit des Beobachters er- 
regen, sind sie bei Salamandra maculata und noch mehr bei 
Rana mächtig entwickelt, und treten weit über die Schädelober- 
fläche hervor, deren Mitte sie einnehmen. Während dort das Spa- 
tium interorbitale aussergewöhnlich breit ist, ist es hier stark ver- 
schmälert und wegen der Prominenz der Augäpfel zu einer Grube 
umgestaltet. Da nun die stärkere Volumsentfaltung des Auges nach 
vorn nicht hat geschehen können, weil hier das sich gleichfalls 
mächtiger entfaltende Geruchsorgan auch Platz beansprucht hat, so 
wird der Bulbus bei seiner Vergrösserung hauptsächlich die hinter 
ihm liegenden Theile und mithin auch den Quadratknorpel verdrängt 
haben. Von noch grösserem Einflusse auf die Lageveränderung ist 
vielleicht das zweit angeführte Moment, die Rückbildung des 
Visceralskelets gewesen, denn eine so mächtige Umgestaltung 
wie diese muss auch auf die nächst gelegenen Theile abändernd ein- 
gewirkt haben. 

Die Art und Weise, wie diese Factoren auf die Lage des Qua- 
dratknorpels eingewirkt haben, und den Grad ihrer Einwirkung habe 
ich nicht näher untersucht, doch dürfte ein näheres Eingehen auf 
die hier angeführten Veränderungen am Skelet und an den Organen 


1) Man vergleiche Fig. 25 O.m. mit 5, Fig. 35, 36 und Fig. 20 O.m. 


12 


der verschiedenen Amphibienordnungen und eine genauere Unter- 
suchung der die Veränderung bedingenden Momente zu interessan- 
ten Resultaten führen. 


2. Die Belegknochen der Schädelbasis. 


Der nach der Mundhöhle zu gewandten Fläche der knorpligen 
Schädelbasis, deren äussere Form und deren einzelne Verknöche- 
rungen im vorhergehenden Kapitel besprochen wurden, liegt eine 
Anzahl vonDeckknochen mehr oder minder locker auf. Dieselben 


lassen sich nach ihrer Lagerung zu einander in drei zusammenge- 


hörige Gruppen sondern. Die erste Gruppe begrenzt den Rand 
der Mundöffnung und wird jederseits von zwei Stücken, von 
einem Intermaxillare und einem Maxillare gebildet. Die 
zweite Gruppe liegt einwärts von ihr am Gaumen und besteht 
aus dem Vomer, Palatinum und Pterygoid. Die dritte 
Gruppe enthält nur einen einzigen unpaaren Knochen, das Para- 
sphenoid, welches die Mitte der Schädelbasis einnimmt. Da die 
Knochen der ersten Gruppe und mehr oder minder auch diejenigen 
der zweiten Gruppe einen dem äusseren Mundrand parallel lau- 
fenden Bogen bilden, so wollen wir jene die Knochen des Ober- 
kieferbogens, diese die Knochen des Gaumenbogens nennen. 


a) Erste Gruppe. Knochen des Oberkieferbogens. 


Von den Knochen des Oberkieferbogens liegen die Inter- 
maxillaria in der Mitte und begrenzen somit den vorderen unter- 
halb der Nasenöffnungen gelegenen Rand der Mundhöhle. Beim 
Axolotl(Fig.250.i), Landsalamander (Fig.360.i) undFrosch 
(Fig. 20 O.i, Fig. 42 u. Fig. 37) stellen sie paarige Stücke vor, bei 
den Tritonen (Fig. 5, 40, 410.i.) sind sie in der Mittellinie ver- 
schmolzen und bilden somit einen einzigen unpaaren Knochen. Man 
kann sich jeden Zwischenkiefer aus drei in einer Linie zusammen- 
stossenden Knochenlamellen zusammengesetzt denken. Von diesen 
verläuft die eine bei gewöhnlicher Haltung des Thierkörpers hori- 
zontal (Fig. 42 P.p.) und bildet die vordere Decke des Gaumen- 
gewölbes, sie steht senkrecht ‘auf den beiden übrigen, welche un- 
gefähr in einer Fläche, liegen und von welchen die eine (P.d.) La- 
melle nach abwärts, die andere (P. n.) nach oben gerichtet ist. Erstere 
trägt die Zähne, letztere liegt dicht unter dem äusseren Integument 


13 


dem Gesichtstheil des Primordialeranium auf und endet nach oben 
in einen langen Fortsatz (P.n.), der medianwärts die äussere Na- 
senöffnung begrenzt und somit zur Trennung der beiderseitigen 
Oeffnungen beiträgt. Da dieser Fortsatz nicht genau von der Mitte, 
sondern mehr medianwärts vom Knochen entspringt, so wird dieser 
durch ihn in zwei ungleiche Hälften getheilt. Wie die Knochen, 
so sind auch die Fortsätze bei den Tritonen in der Mittellinie zu 
einem Stücke verschmolzen (Fig.40). Von den drei Lamellen be- 
zeichne ich die zahntragende als Processus dentalis, die dem 
Gaumen aufliegende als Processus palatinus, die dritte ist von 
Cuvier und Duges als Apophyse montante, von andern als Pro- 
cessus nasalis intermaxillaris beschrieben worden, eine Be- 
zeichnung, die im Folgenden beibehalten wird. 

An das Intermaxillare schliesst sich seitwärts unmittelbar 
das Maxillare (Fig. 43u.440.m, Fig. 38 u. 39, Fig. 5, 20, 25, 35, 
36) an, welches in gleicher Weise wie ersteres von drei Knochen- 
lamellen gebildet wird, von zwei in der Mundschleimhaut liegenden 
Lamellen, dem Processus palatinus (P.p.) und Proc. dentalis (P.d.) 
und von einer dem Integument angehörenden Lamelle. Die letztere 
ist sehr schmal, verlängert sich aber im vorderen Drittel des Kno- 
chens zu einem spitz zulaufenden Fortsatz (P.n.), welcher an das 
Nasale anstösst. Einestheils begrenzt dieser Fortsatz lateral die 
äussere Nasenöffnung wie der entsprechende Fortsatz des Inter- 
maxillare es medianwärts thut, andererseits trägt er zur vorderen 
Umrandung der Orbita mit bei. Von einigen wird er als Proces- 
sus frontalis, von anderen als Processus nasalis maxillaris 
bezeichnet, wie auch wir ihn wegen seiner Beziehung zum Nasale 
nennen werden. Während der Zwischenkiefer zu dem Primordial- 
cranium in keine Beziehung tritt und von dem Ethmoidalknorpel, 
welcher hier einen tiefen Einschnitt besitzt, durch dicke Binde- 
gewebslagen getrennt ist, liegt der Oberkiefer dem Primordialeranium 
zum grössten Theile auf (Fig. 43 u. 440. m.) und zwar ruht er auf 
dem Ethmoidalknorpel, auf dem verbreiterten Ende des Processus 
palatinus und eine Strecke weit auf der Aussenseite des vom Qua- 
dratknorpel entspringenden Processus pterygoideus. Dagegen reicht 
er bei Axolotl und den Salamandrinen nicht bis zu dem letztge- 
nannten Knorpelfortsatz, sondern hängt durch eine straffe Bandmasse 
mit demselben zusamen (Fig. 25, 5, 35, 36). Der Oberkiefer lässt sich 
von dem Primordialeranium an macerirten Schädeln leicht abheben, 


15 


da er von ihm durch eine dünne Bindegewebsschicht getrennt 
ist. Bei einigen Amphibien wie bei Proteus und Menobran- 
chus (Fig. 34) fehlt der Oberkiefer, bei andern wie bei Siren 
lacertina (Fig. 6° O.m) ist er zu einem ganz kleinen zahnlosen 
Knöchelchen rückgebildet. 


b) Zweite Gruppe. Knochen des Gaumenbogens. 


Da die Knochen der zweiten Gruppe nach Zahl, äusserer 
Form und Lagerung bei den einzelnen Ordnungen der Amphibien 
ein sehr abweichendes Verhalten darbieten, halte ich eine getrennte 
Beschreibung für die einzelnen Arten erforderlich und gebe ich eine 
solche an erster Stelle von Siredon pisciformis und den ihm 
nächst verwandten Formen als den niedersten Repräsentanten der 
Amphibien. 

Bei Siredon liegen jederseits drei Knochenstücke dem Gau- 
mengewölbe auf. Mit ihren Enden aneinanderschliessend, bilden sie 
auf jeder Seite einen knöchernen Bogen, welcher dem Kieferbogen 
vollkommen parallel verläuft und nur durch einen schmalen Zwi- 
schenraum von ihm getrennt ist (Taf.I Fig. 25, O.v., O.p., ©. pt.). 
Rückwärts reicht dieser Bogen bis zum Quadratknorpel, nach vorn 
endet er in einer geringen Entfernung von der Mittellinie, so dass 
ein Zwischenraum zwischen den beiderseitigen Bogen übrig bleibt. 
Die zwei vordersten Knochenstücke sind längliche, dünne schmale 
Plättchen, welche auf ihrem äusseren Rand eine Knochenleiste mit 
Zähnen tragen. Das erste (O. v.) liegt der knorpligen Ethmoidal- 
region vollständig, das zweite (O.p.) nur mit seinem vorderen Theile 
auf. An der Stelle, wo beide Knochen sich treffen und durch Binde- 
gewebe zusammenhängen und zwar nach aussen von ihnen, zeigt 
der Boden der Ethmoidalregion eine ovale Oefinung, das innere Na- 
senloch (y). Dasselbe füllt den geringen Abstand zwischen den ge- 
nannten Knochen und dem nach Aussen parallel zu ihnen verlaufen- 
den Maxillare vollkommen aus. 

An das zweite Knochenstück der Gaumenreihe fügt sich durch 
fibröses Gewebe mit ihm fest verbunden, unmittelbar das dritte 
an (O.pt.). Vorn spitz zulaufend, verbreitert sich dasselbe nach 
hinten in zwei seitliche Schenkel, einen längeren äussern und einen 
kürzeren inneren. Der lamellenartige, etwas gekrümmte Knochen 
liegt mit seinem vorderen Theile dem nach vorn verlaufenden, vom 
Quadratknorpel entspringenden Processus pterygoideus (P. pt.) auf, 


14 


den er von unten her vollständig bedeckt. Mit seinen beiden hin- 
teren Schenkeln stützt er sich auf den Quadratknorpel, dessen Ge- 
lenkfläche für den Unterkiefer er mit seinem Seitenschenkel erreicht. 
Das dritte Knochenstück trägt keinen Zahnbesatz. Durch Bandmasse 
hängt seine vordere Spitze mit dem hinteren Ende des Oberkiefers 
zusammen. 

Die hier gegebene Darstellung stimmt mit den Angaben von 
Gegenbaur und Friedreich vollkommen überein, weicht dage- 
gegen von den Angaben Cuvier’s!) und Owen’s?) ab, die über- 
einstimmend jederseits nur zwei Knochenplatten beschreiben, von 
welchen auch die nach rückwärts gelegene auf ihrem vordern Theile 
Zähne tragen soll. Wahrscheinlich haben beide Forscher nur junge 
Thiere untersucht, was mir aus der vonihnen gegebenen Abbildung 
des Axolotischädels hervorzugehen scheint. Wie später gezeigt wer- 
den soll, erklärt sich unter dieser Voraussetzung leicht die abwei- 
chende Angabe. 

Die Knochen der Gaumenreihe der Amphibien werden, wenn 
sie in der Dreizahl jederseits vorhanden sind, von den vergleichenden 
Anatomen als Vomer, Palatinum und Pterygoid unterschie- 
den, und werden wir die drei beschriebenen Knochenstücke weiterhin 
unter diesem Namen aufführen. Während es fest steht, dass die 
Gaumenreihe im Ganzen derjenigen der übrigen Wirbelthiere ent- 
spricht, so bedarf dagegen die Homologie der einzelnen Theile der- 
selben in der Thierreihe noch einer eingehenderen Begründung. 
Wenn daher im Folgenden die Namen Vomer, Palatinum und Ptery- 
goid gebraucht werden, so geschieht dies mit einem gewissen Vor- 
behalt, insofern durch diese Namen eine Homologie mit gleichnamigen 
Knochen der anderen Wirbelthierclassen ausgedrückt wird. 


Im Anschluss an Siredon mögen hier noch die Gaumen- 
knochen von drei weiteren Perennibranchiaten, von Siren lacer- 
tina, Menobranchus lateralis und Proteus anguineus, 
eine Besprechung finden. Zur Grundlage dienen derselben die Ab- 
bildungen und die Beschreibungen, welche Cuvier, Owen und 
Andere gegeben haben. 

Bei Siren lacertina besteht die Gaumenbogenreihe jeder- 


1) Cuvier, Recherches sur les ossemens fossiles T. V. Pars II. S. 415. 
2) Owen, Odontography. S. 189, 


16 


seits nur aus zwei Knochen (Taf. I Fig. 6° O.v. O.p.)!). Dieselben 
liegen dem vorderen Theil des Gaumengewölbes auf, schliessen sich 
einer unmittelbar an den andern an und stellen zwei dünne Plätt- 
chen vor, deren gesammte Oberfläche von kleinen Zähnchen bedeckt 
ist (Fig. 6°). Das dritte Stück, welches bei Axolotl mit seinem 
hintern Rand an den Quadratknorpel sich anlehnt und als Pterygoid 
aufgeführt wurde, fehlt. Wahrscheinlich ist das Fehlen auf Rück- 
bildung zurückzüführen. Ueber ihre Deutung drückt sich Cuvier 
mit Vorsicht aus: »Man würde sie«, sagt er, »für Spuren des Vo- 
mer und des Palatinum, oder, wenn man es vorzieht, des Palatinum 
und des Pterygoid halten können, aber er findet bei ihnen nicht ge- 
nügend ausgesprochene Beziehungen. Owen deutet sie als Vomer 
und Pterygoid. Aus einem Vergleich mit dem Schädel von Siredon 
geht deutlich hervor, dass sie nur Vomer und Palatinum sein 
können, da für das Pterygoid, wie das Folgende noch mehr zeigen 
wird, die Beziehung desselben zum Quadratknorpel charakte- 
ristisch ist. 

Die Schädel von Menobranchus (Taf. I Fig. 34) und Pro- 
teus zeigen viel Uebereinstimmendes. Bei beiden sind jederseits 
nur zwei Gaumenknochen wahrzunehmen (O.v.u.O.ptp.). Das 
vordere Paar liegt unmittelbar hinter den Intermaxillaria und 
trägt eine Reihe von Zähnen, welche der Kieferreihe parallel 
dicht hinter ihr einen zweiten Bogen bilden. Das zweite Knochen- 
stück schliesst mit seinem vorderen Ende an das erste gleich an 
und reicht bis zum Quadratknorpel. In seinem vorderen Drittel 
trägt es eine Reihe von Zähnen, welche den Bogen der Gaumen- 
zähne nach rückwärts vervollständigen. Cuvier?), Owen?), Hoff- 
mann“) nennen das erste Stück Vomer, das zweite Pterygoid und 
lassen das Palatinum fehlen. Ob letzteres der Fall ist, bedarf einer 
näheren Prüfung. Denn zwischen dem ersten und zweiten Knochen- 
stück ist kein leerer Zwischenraum vorhanden, wie man doch er- 
warten sollte, wenn das zwischen Vomer und Pterygoid bei Axolotl 


1) Cuvier, Recherches sur les ossem. foss. T. V. Pars II. S. 424. 

Owen, Odontography S. 183. 

Vaillant, Anat. de la Sirene. Annal. d. science. nat. IV Serie. Zool. 
Band 18. 19. 1862—63. 

2) Cuvier, Recherches sur les oss. foss. 1. c. S. 428. 

3) Owen, Odontog. S. 190. 

4) Hoffmann, |. c. S. 31. 


17 


gelegene Palatinum fehlen würde. Das Pterygoid ist ferner bei den 
übrigen Amphibien stets zahnlos, während hier der letzte Knochen 
in seinem vorderen Abschnitte Zähne trägt. Diese beiden Momente 
bestimmen mich anzunehmen, dass das hintere der zwei Knochen- 
stücke die Elemente des Pterygoids und des Palatinum enthält. 
Der zahnlose an den Quadratknorpel anstossende Theil ist, wie aus 
seiner charakteristischen Lage hervorgeht, das Pterygoid, der vordere 
Theil, weil zahntragend, ist das Palatinum. Ich unterscheide daher 
das Knochenstück als Pterygopalatinum von dem vor ihm lie- 
legenden Vomer. Dass diese Deutung eine richtige ist, werden 
später mitzutheilende entwicklungsgeschichtliche Thatsachen noch 
deutlicher zeigen. 

Aus den vorgetragenen Befunden ergiebt sich für die Perenni- 
branchiaten folgendes Gesammtresultat. 

Die Gaumenreihe besteht jederseits aus drei Knochen, einem 
Vomer, einem Palatinum und einem Pterygoid. Dieselben 
bilden gemeinschaftlich einen Bogen, welcher dem Kieferbogen voll- 
kommen parallel verläuft. Da Vomer und Palatinum Zähne tragen, 
entsteht ein den Kieferzähnen paralleler Bogen von Gaumenzähnen. 
BeiProteusundMenobranchus bilden Palatinum und Pterygoid 
einen Knochen, ein Pterygopalatinum. Bei Siren ist das 
Pterygoid vollständig rückgebildet. 

An die Perennibranchiaten schliessen sich, wie ich aus Beschrei- 
bung und Abbildung der oben erwähnten Autoren ersehe, die Dero- 
tremen Amphiuma, Menopoma, Cryptobranchus in ihren 
Skeletverhältnissen nahe an, unterscheiden sich aber von ihnen durch 
das Fehlen des rückgebildeten Palatinum. Zwischen Vomer und 
Pterygoid befindet sich daher am Gaumengewölbe eine Lücke und 
wird die den Kieferzähnen parallele Reihe Gaumenzähne nur von 
Vomerzähnen gebildet. 

Von dem Gaumenskelet der niederen Amphibien muss das von 
ihm nicht unwesentlich verschiedene Gaumenskelet der Salaman- 
drinen und Batrachier abgeleitet werden. Dasselbe bedarf in 
beiden Ordnungen wieder einer getrennten Besprechung, weil die 
eingetretenen Differenzirungen für beide in einer divergenten Rich- 
tung erfolgt sind. 

Was zunächst die Salamandrinen betrifft, so lassen sich 
beim Landsalamander (Taf. I Fig. 36) wie beim Axolotl drei 
Knochenstücke auf jeder Seite des Gaumens nachweisen. Das erste 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd, 11. Supplementheft. 2 


18 


Knochenstück (O0. v.) bildet eine breite dünne, nahezu quadratische 
Platte, welche die Ethmoidalregion fast vollständig bedeekt (Taf. I 
Fig. 25). Von seinen vier Rändern grenzt der äussere unmittelbar 
an den Processus palatinus des Zwischen- und des Oberkiefers; der 
concave Innenrand liegt in einiger Entfernung von der Mittellinie 
dem Parasphenoid (O. ps.) auf. Der hintere Knochenrand zeigt in 
seiner Mitte einen halbkreisförmigen Ausschnitt, welcher die vor- 
dere Umrandung der inneren Nasenmündung bildet. Der Vorderrand 
erreicht nicht den Anschluss an den Gaumenfortsatz des Intermaxil- 
lare und bildet mit dem Vorderrand seines Nachbars einen Bogen, 
der mit dem Zwischenkiefer einen ovalen durch Bindegewebe aus- 
gefüllten Raum umgrenzt. 

Von dem inneren hinteren Winkel der quadratischen Knochen- 
platte entspringt ein kurzer, schmaler, nach innen gekrümmter Fort- 
satz. Auf diesem wie längs des inneren Knochenrandes steht auf 
einer niedrigen Leiste eine Reihe kleiner zweispitziger Zähne. 

An das hintere Ende des zuletzt geschilderten Fortsatzes schliesst 
sich der zweite Krochen (O.p.) der Gaumenreihe an. Wie jener 
bildet er einen schmalen auswärts gekrümmten Knochenstreifen, 
welcher der Seite des Parasphenoids aufliegt und Zähne trägt (Taf. 
I Fig. 24). Bei Betrachtung eines Schädels kann man ihn für die 
directe Verlängerung des Fortsatzes des ersten Knochens halten. 
Beginnt man indessen die Theile vom macerirten Cranium vorsich- 
tig abzulösen, so überzeugt man sich leicht, dass es ein getrenntes 
Knochenstück ist. 

Der dritte Knochen (O. pt.) hat ungefähr die Form eines 
gleichschenkligen Dreiecks. Die Basis desselben ruht auf dem Qua- 
dratknorpel, die ihr gegenüberliegende Spitze (P. m.) ist nach aus- 
wärts gerichtet und mit dem Ende des Maxillare durch Bandmasse 
verbunden. Wegen dieser Verbindung lege ich dem vorderen Ab- 
schnitt des Knochens. den Namen Processus maxillaris bei (Taf. I 
Fig. 27 P. m.). Wie bei Siredon ruht derselbe auf dem Processus 
pterygoideus des Primordialcranium. 

Ueber die zwei zuerst beschriebenen Knochen bestehen abweichende 
Angaben in der Literatur. Der einzige Beobachter, dessen Anga- 
ben mit den unserigen vollkommen übereinstimmen, ist Rusconi!'). 


1) Rusconi, Histoire naturelle, döveloppement et m&tamorphose de la 
Salamandre terrestre S. 73—75. 


19 


Cuvier!) beschreibt nur das erste Knochenstück, das zweite mit 
ihm verbundene schlanke Knöchelchen muss ihm dagegen bei der 
Präparation entgangen sein, denn es fehlt auch, wie Rusconi 
richtig bemerkt, in seiner Darstellung des Schädels vom Landsala- 
mander in seinen Ossemens fossiles. Die Gaumenzahnreihe ist hier 
viel zu kurz, da sie nur etwa die Länge des dem Knochenfortsatz 
angehörigen Theiles besitzt. Stannius?) erwähnt als ein die Anu- 
ren und Sozuren unterscheidendes Merkmal, dass erstere jederseits 
am vorderen Gaumentheil zwei Deckknochen, einen Vomer und ein 
Palatinum besitzen, dass bei den letzteren dagegen statt disereter 
Gaumenbeinre und ÖOssa vomeris jederseits nur ein einziger unter 
dem Boden der Nasenkapseln geiegener Knochen, welchen er Pala- 
tinum nennt, vorhanden sei. Dieselbe Schilderung der Skeletver- 
hältnisse findet sich in Bronn’s Classen und Ordnungen des Thier- 
reichs; nur wird das Palatinum hier als Vomer aufgeführt. Auch 
nach Huxley°) sollen nur den Batrachiern besondere Gaumenbeine 
zukomnien, den Salamandrinen aber fehlen. — Nach der Art und Weise, 
wie wir die Verhältnisse geschildert haben, kann über die Deutung 
der einzelnen Knochen wohl kein Zweifel sein. Die beiden vorderen 
zahntragenden Stücke sind Vomer und Palatinum, der dritte an 
den Quadratknorpel angrenzende Knochen ist das Pterygoid. 

Von dem Befunde beim Landsalamander lässt sich unmittelbar 
das Gaumenskelet der Tritonen (Taf.I Fig. 5) ableiten. Während 
bei diesen das Pterygoid (O.pt.) die gleiche Form und Lagerung 
wie bei Salam. mac. besitzt, findet man anstatt eines getrennten 
Vomer und Palatinum nur ein Knochenstück vor (0. vp.). Dasselbe 
besteht wieder aus einer dünnen quadratischen Platte (Taf. I Fig. 22.) 
.An ihrem hinteren Rande trägt sie einen halbkreisförmigen Aus- 
schnitt, die vordere Umgrenzung der inneren Nasenapertur. Mit 
ihrem äussern sowohl als auch mit ihrem vorderen Rande erreicht 
sie den Anschluss an die Gaumenfortsätze des Ober- und Zwischen- 
kiefers, wodurch die beim Landsalamander beschriebene bindegewe- 
bige ovale Lücke zugedeckt wird und der vordere Theil der Mund- 
höhle eine vollständig knöcherne Decke erhält. 

Vom innern hintern Winkel der Platte entspringt wieder ein 


1) Cuvier, Recherches sur les oss. foss. 1. ec. S. 406. 
2) Stannius, Handbuch der Anat. der Wirbelthiere. II. Buch S. 37. 
3) Huxley, Handb. d. Anat. d. Wirbelthiere S. 152. 


30 


schmaler Fortsatz, der aber doppelt so lang als beim Landsalaman- 
der ist, ziemlich grad gestreckt nahe der Medianlinie nach rückwärts 
verläuft, dem Parasphenoid aufliegt und nahe der Basis des Ptery- 
goids endet. Wenn man dies so eben beschriebene Skeletstück der 
Tritonen mit dem seine Lage einnehmenden Vomer und Palatinum 
des Landsalamanders vergleicht, so werden wir das Fehlen der schma- 
len Ossa palatina des letzteren und die grössere Länge des Fort- 
satzes aus einer eingetretenen Verschmelzung der beiden Skelet- 
stücke ableiten müssen. In gleicher Weise hat Duges!) diesen 
Knochen beschrieben und gedeutet, indem er ihm den Namen Vo- 
mero-Palatinum beilegte. 

In der Ordnung der Salamandrinen hat das Palatinum bei 
Piethodon glutinosus (Taf. I Fig. 35) eine Rückbildung erlitten. 

Das Gaumenskelet der Anuren (Taf.I Fig. 20), das uns 
jetzt noch zu schildern übrig bleibt, setzt sich wie bekannt, jeder- 
seits aus drei Knochen zusammen, einem Vomer, Palatinum und 
Pterygoid. 

Der Vomer (O.v.) (Fig. 21) ist ein kleiner platter Knochen 
von sehr unregelmässiger Gestalt mit gezackten Rändern, der ein- 
wärts von der innnern Nasenöffnung liegt und wie bei den Tritonen 
zur vorderen inneren Umgrenzung derselben beiträgt und einen 
halbkreisförmigen Ausschnitt aufweist. Nach rückwärts und innen 
entsendet er einen sehr kurzen Fortsatz, welcher auf einer leisten- 
förmigen Verdickung eine kleine Reihe von 4—7 Zähnen trägt. 

Das Palatinum (O.p.) (Fig. 28) ist ein schmaler langge- 
streckter, dem gleichnamigen Knorpelbalken aufliegender Knochen. 
Da er wie dieser ganz quergelagert ist, stösst er mit seinem äus- 
seren Ende an den Oberkiefer, mit seinem inneren Ende an das 
Parasphenoid. Ein Zahnbesatz fehlt ihm in den meisten Fällen. 

Das Pterygoid (Fig. 26), von der Gestalt des griechischen 
Buchstabens A, liegt wie bei Axoloti und Triton mit seinen kurzen 
Schenkeln dem Quadratknorpel, mit seinem langen Schenkel (Pro- 
cessus maxillaris) dem Pterygoidfortsatz des Primordialeranium 
auf. Seine vordere Spitze (P. m.) ist nach auswärts gekehrt und 
lehnt sich einestheils an den Oberkiefer an, anderntheils trifft sie 
das Aussenende des Palatinım und hängt mit beiden durch Band- 
masse zusammen. 


1) Duges l.'e. 9. 158. 


21 


Wie aus der Untersuchung des Gaumenskelets der Salaman- 
drinen und Anuren hervorgeht, finden sich in beiden Ordnungen 
die gleichen Knochentheile wie beiden Perennibranchiaten, 
aber in einer veränderten Anordnung wieder. Während sie 
bei Siredon einen Knochenbogen bilden, der den Kieferbogen 
wiederholt, und während dort der Vomer mit dem Palatinum 
und dieses mit dem Pterygoid zusammenhängt, ist bei den Sala- 
mandrinen und Anuren sowohl die bogenförmige Anordnung ge- 
stört, als auch sind die Verbindungen der drei Knochenstücke 
unter einander zum Theil gelöst, Veränderungen, die in einer nach 
den beiden Ordnungen verschiedenen Weise erfolgt sind. Bei den 
Salamandrinen nämlich ist der Zusammenhang von Vomer 
und Palatinum, bei den Anuren von Palatinum und Ptery- 
goid erhalten. Eine für beide Ordnungen sehr charakteristische 
Lageveränderung hat das Pterygoid erlitten, indem es mit 
dem Processus maxillaris, seinem vorderen Ende, nach aussen ge- 
rückt ist und an den Öberkiefer anstösst. Bei einer vergleichenden 
Betrachtung dieser Verhältnisse wird man die bogenförmige La- 
gerung der Knochen als die ursprüngliche annehmen müs- 
sen, einmal weil die Perennibranchiaten die phylogenetisch ältere 
Stammgruppe sind und weil ausserdem die Salamandrinen und 
Anuren in ihrem Gaumenskelet Anknüpfungspunkte an Axolotl dar- 
bieten, erstere in der Verbindung des Vomer mit dem Palatinum, 
letztere in der Verbindung des Palatinum mit dem Pterygoid. Die 
Skeletverhältnisse bei den Salamandrinen und Batrachiern erscheinen 
ınithin als nach verschiedenerRichtung eingetretene Dif- 
ferenzirungen dieser ursprünglichen Anordnung. 

Wenn wir nach den Ursachen dieser Veränderungen forschen, 
so scheinen sie mir in erster Reihe durch die bei den höheren Am- 
phibien eingetretene voluminösere Gestaltung der Augenhöhlen ver- 
anlasst worden zu sein. Es wurde bereits früher das Zurückwan- 
deren des Quadratknorpels und der Articulationsfläche des Unter- 
kiefers auf sie zurückgeführt. Da auf dem Quadratknorpel aber 
und dem von ihm entspringenden Processus pterygoideus das Ptery- 
goid mit seinen drei Schenkeln aufliegt, so wird dasselbe hierbei 
mit seiner Spitze eine Wendung erleiden müssen. Dies wird um so 
mehr der Fall sein, als schon bei Axolotl wie bei den übri- 
gen Amphibien die vordere Spitze des Pterygoids mit dem Ende 
des Oberkiefers durch ligamentöses Gewebe verbunden ist, daher ein 


22 


Ausweichen nur nach auswärts möglich ist, wenn das sich ausdeh- 
nende Auge mehr Raum beansprucht. 

In der Verschiebung des Pterygoids erblicke ich die wichtigste 
Veränderung, welche in der Lage der Gaumenknochen eingetreten 
ist; denn auf sie lässt sich hauptsächlich auch die veränderte Stel- 
lung des Palatinum zurückführen, welches seine Lage entweder der 
Lage des Pterygoids anpassen oder seine Verbindung mit ihm ganz 
aufgeben muss. Frsteres ist bei den Batrachiern, letzteres bei den 
Salamandrinen eingetreten. Um dieses verschiedene Verhalten zu 
erklären, könnte man annehmen, dass vor Eintritt der Lageverän- 
derung bei den Anuren die Verbindung von Pterygoid und Palati- 
num, bei den Salamandrinen dagegen von Palatinum und Vomer 
eine innigere gewesen sei. Es würde dann bei jenen das Palatinum 
eine Drehung erleiden müssen, indem das ursprünglich hintere Ende 
des Knochens dem Pterygoid nach aussen folgt, das vordere in 
gleichem Maasse vom Vomer sich entfernt. Dadurch wird ersteres 
zum äussern, letzteres zum inneren Ende des nun quer liegenden 
Palatinum. Die Stellung des Palatinum bei den Salamandrinen er 
klärt sich dagegen aus einer innigeren Verbindung mit dem Vomer. 
Indem letzterer sich vergrössert und aus seinem hinteren Ende der 
zahntragende Fortsatz hervorwächst, so wird das Palatinum durch den- 
selben nach rückwärts verdrängt werden und auf gleiche Höhe mit 
dem Pterygoid zu liegen kommen. Ausser der Verschiebung des 
Pterygoids mag die voluminösere Gestaltung der Augenhöhlen und 
in gleichem Maasse auch diejenige der Nasenhöhlen, (Ein- und Rück- 
wärtswandern der inneren Nasenöffnungen), von weiterem direeten 
Einfluss auf die Lage des Vomer und Palatinum gewesen sein und 
mag hiermit namentlich ihre mediane Verlagerung bei den Sala- 
mandrinen zusammenhängen. 

Nach diesen Erörterungen können wir von dem Gaumenskelet 
der Amphibien folgendes Bild entwerfen. 

In allen Ordnungen der Amphibien besteht das Gaumenskelet 
aus je drei Knochen, einem Vomer, einem Palatinum, einem 
Pterygoid. Fast aus jeder Ordnung lassen sich einzelne Fälle 
von Verschmelzung zweier dieser Knochen unter einander anführen. 
So besitzen Proteus und Menobranchus ein Pterygopala- 
tinum, die Tritonenarten ein Vomeropalatinum. Des- 
gleichen kann auch einer der drei Knochen rückgebildet sein. So 
fehlt das Pterygoid bei Siren, das Palatinum bei den Dero- 


t 


23 


tremen und bei Plethodon glutinosus. Die bogenförmige 
Anordnung der Gaumenknochen hinter dem Kieferbogen, wie 
sie bei den Perennibranchiaten sich erhalten hat, ist die ur- 
sprüngliche und lässt sich aus ihr die Verschiebung der Kno- 
chen bei den Derotremen, Salamandrinen und Anuren 
herleiten. Das ursächliche Moment für diese Veränderungen bildet 
die bei höheren Amphibien eintretende Volumszunahme der Augen- 
und der Nasenhöhlen, und ist vorzugsweise der erstere Umstand 
von Bedeutung, insofern durch ihn ein Zurückweichen des Quadrat- 
knorpels und eine Auswärtsdrehung der Spitze des Pterygoid her- 
vorgerufen wird. 


c) Dritte Gruppe. Parasphenoid. 


In der Mitte des Oberkiefer- und des Gaumenbogens liegt ein 
einzelner unpaarer Knochen, das Parasphenoid(O.ps.), welches 
keiner der vorhergenannten Gruppen zugetheilt werden kann und 
daher eine getrennte Besprechung erfordert (Taf.I Fig. 5, 6°, 20, 25, 
34—36. Fig. 29. O.ps.). Durch dasselbe wird der Knochenbeleg‘ 
an der Decke der Mundhöhle, deren grösster Belegknochen es ist, 
vervollständigt. Breit, platt und lang deckt es von dem Hinter- 
hauptsloch an die Unterseite des Körpers des Primordialeranium bis 
zur Ethmoidalregion und bei Siredon pisciformis von dieser sogar 
noch ein grosses Stück. Das vordere Knochenende ist durch einen 
Einschnitt in zwei Spitzen getrennt. In der Labyrinthregion bemerkt 
man an ihm bei Siredon und den Salamandrinen zwei kleine seit- 
liche Hervorragungen. Dieselben haben sich bei den Batrachiern 
zu zwei Fortsätzen vergrössert, welche den Quadratknorpeln auf- 
liegen und dem Knochen eine charakteristische kreuzförmige Gestalt 
verleihen (Taf. I Fig. 20 O.ps.). Beim Landsalamander und den Tri- 
tonen ist das Parasphenoid auf seiner Unterfläche zum Theil vom 
Vomeropalatinum überlagert. Dem Knochen fehlt ein Zahnbesatz 
mit einziger Ausnahme von Plethodon glutinosus (Taf. I Fig. 35 ©. ps.). 
Das breiteundlange Parasphenoidist hier, die vordere 
Spitze ausgenommen, über und über mit kleinen Zähn- 
chen bedeckt. 


3. Unterkiefer. 


Gleich der Schädelkapsel setzt sich auch der Unterkiefer der 
Amphibien aus zwei Theilen zusammen, aus dem primordialen 


24 


knorpligen Kieferbogen und aus einzelnen secundär auf ihm 
zur Entwicklung gelangenden Deckknochen. 

Der knorplige Kieferbogen besteht aus zwei Hälften, 
einem linken und einem rechten gebogenen Knorpelstabe (Meckel’scher 
Knorpel), dessen Gelenkende man als proximales und dessen nach 
der Unterkiefermitte zu gelegenes Ende man als distales bezeichnet. 
Bei Amphibien, deren knorpliger Unterkiefer noch vollkommen ent- 
wickelt ist, stossen die distalen Enden in der Mitte zusammen und 
sind hier durch straffe Faserzüge zu einer Symphyse verbunden ; bei 
einem anderen Theile, deren Primordialskelet weiter rückgebildet ist, 
erreichen sie nicht mehr die Mitte, sind verdünnt und rudimentär 
und knöcherne Theile sind an ihre Stelle getreten. Wie wir an 
dem Primordialeranium nach Ablösung der Belegknochen einzelne 
in den Knorpel eingelagerte Ossificationen vorfanden, so zeigt der- 
gleichen auch der knorplige Unterkiefer an zwei Stellen, eine Ossi- 
fication am distalen und eine andere am proximalen Ende. Die 
erstere beschränkt sich immer nur auf eine kleine oberflächliche 
Partie des Knorpels und verschmilzt meist mit dem ihr aufliegenden 
Deckknochen. Die zweite Össification dagegen dehnt sich bei ein- 
zelnen Arten auf den ganzen Gelenktheil des Knorpelstabs aus und 
bildet dann einen besonders benannten Knochen, das Articulare des 
Unterkiefers. 

Dem Knorpelstab liegen bei einzelnen Arten drei, bei andern 
nur zwei Deckknochen auf. In der Vergleichung derselben bei 
verschiedenen Species und in ihrer Benennung weichen die früheren 
Untersucher vielfach von einander ab, was zum Theil mit der Art 
und Weise zusammenhängt, in der sie bei der Deutung und Benen- 
nung der Knochenstücke verfahren sind. Die meisten haben näm- 
lich den Unterkiefer der Amphibien mit demjenigen der Reptilien 
verglichen und die Verhältnisse bei diesen als Grundlage für eine 
Vergleichung und darauf basirte Namengebung benutzt. Da nun 
der Unterkiefer der Reptilien jederseits aus fünf Deckknochen, aus 
einem Dentale, Angulare, Supraangulare, Complementare und einem 
Operculare besteht, der Unterkiefer der Amphibien aber nur zwei 
und in einzelnen Fällen drei Deckknochen besitzt, so hat man die 
geringere Anzahl entweder aus einem Fehlen einzelner oder aus 
einer eingetretenen Verschmelzung mehrerer Stücke zu erklären ver- 
sucht. Namentlich hat Duges in der geschilderten Weise seine 
Namen gewählt und hierbei eine Art der Beweisführung aufgestellt, 


be “ 


u Se ee TE REED NEED 


25 


welche bei der Bestimmung von Knochenhomologieen zu grosser 
Willkür veranlassen kann und daher nicht unbeachtet gelassen wer- 
den darf. Duges unterscheidet nämlich zwei Arten von Ver- 
schmelzung, durch welche aus mehreren ein einfaches Knochenstück 
entstehen kann: eine Fusion secondaire und eine Fusion pri- 
mordiale. Bei der Fusion secondaire sollen die später miteinander 
verschmelzenden Knochen in der embryonalen Entwicklung noch als 
getrennte Stücke nachweisbar sein. Bei der Fusion primordiale da- 
gegen soll dies nicht der Fall sein. Hier soll ein Knochen, der 
durch seine Beziehungen und seinen Gebrauch augenscheinlich der 
Repräsentant mehrerer ist, als ein Stück angelegt werden und soll 
dies daher rühren, dass von den verschiedenen Össificationen, aus 
welchen sich der zusammengesetzte Knochen eigentlich entwickeln 
müsste, eines sich rascher entwickelt und die anderen in den Ver- 
knöcherungsprocess hineinzieht, bevor sie als distincte Theile haben 
wahrgenommen werden können. Wenn die Möglichkeit einer solchen 
embryonalen Abkürzung der Entwicklung auch eingeräumt werden 
muss, so liegt‘es doch auf der Hand, dass im speciellen Falle bei 
der Lösung irgend einer vergleichend anatomischen Frage mit der 
Anwendung dieses Princips vorsichtig zu Werke gegangen werden 
muss. Eine Fusion primordiale darf nur dann angenommen werden, 
wenn eine Reihe anderweitiger anatomischer Gründe uns in einem 
embryonal einfach angelesten Knochenstück den Repräsentanten einer 
grösseren Anzahl Knochen erblicken lässt. Diesen Nachweis ist uns 
aber Duges schuldig geblieben, da er seine nach diesem Prineip 
ertheilten Namen nie näher zu begründen versucht hat, so dass 
auch von einer Widerlegung derselben Abstand genommen werden 
kann. 

Was die Benennung der Knochenstücke des Unterkiefers der 
Amphibien betrifft, so halte ich mich an die von Gegenbaur, 
Huxley und andern angewandten Namen. In wie weit dieselben aber 
gleichlautenden Knochen der Reptilien entsprechen, und in wie weit 
überhaupt der Unterkiefer der letzteren in seiner Zusammensetzung 
auf den Unterkiefer der Amphibien zurückgeführt werden kann, 
bedarf noch einer genaueren Untersuchung. Im Folgenden wird es 
allein unsere Aufgabe sein, die Verschiedenheiten in den einzelnen 
Ordnungen der Amphibien kennen zu lernen und zu erklären. Ich 
beginne mit Siredon als einer der phylogenetisch ältesten Am- 
phibienformen, da auch hier die Kenntniss von der Zusammen- 


26 


setzung seines Unterkiefers eine Grundlage für weitere Vergleichung 
darbietet. 

Bei Siredon ist (Taf.I Fig. 7 u. 8) der primitive Knorpel des 
Unterkiefers, der sogenannte Meckel’sche Knorpel, in ganzer Aus- 
dehnung von der Articulation am Quadratum bis zur medianen 
Verbindung erhalten und bildet einen dicken nahezu drehrunden 
Stab, welcher an seinen beiden Enden je eine kleine verknöcherte 
Stelle aufzuweisen hat. Am proximalen kolbig verdickten Ende be- 
sitzt er eine gewölbte Gelenkfläche zur Articulation in der Gelenk- 
srube des Quadratum. Drei Knochen liegen auf seiner Oberfläche 
als Deckstücke, vom Knorpel, gegen welchen sie an Volum sehr 
zurücktreten, durch eine Bindegewebsschicht getrennt und daher 
leicht von ihm abhebbar. Die grösste Knochenplatte bedeckt fast 
die ganze äussere Seite des Knorpelstabes. (0. d.) In der vorderen 
Hälfte ihres oberen Randes trägt sie eine Reihe dicht aneinander 
stehender Zähne. Das zweit grösste Knochenstück (0.a.) liegt an 
der Innenseite des Meckel’schen Knorpels und bedeckt die proxi- 
malen zwei Drittel desselben. Es ist zahnlos und bildet ein stumpf- 
winkliges Dreieck, dessen stumpfer Winkel nach oben gewandt ist, 
und dessen breite Basis an den unteren Rand des zuerst beschrie- 
benen Stückes stösst. Der dritte Knochen (0. o.) liegt in der Mitte 
des Knorpelstabes dem distalen Ende etwas genähert in der Mund- 
schleimhaut als ein schmaler Streifen, welcher den noch frei gelas- 
senen Raum zwischen dem oberen Rand des ersten und dem oberen 
vorderen Rand des zweiten Deckstückes ausfüllt. Auf seiner Ober- 
fläche trägt er mehrere Reihen von Zähnen. Das äussere Belegstück 
nennt man Dentale, das innere zahntragende Stück Operculare 
(Spleniale, Owen, Dentale internum, Huxley), das am Kieferwinkel 
gelegene dreiseitige Stück Angulare. 

Bei Triton und Salamandra maculata (Taf.I Fig. 17 
u. 19) ist der Meckel’sche Knorpel theilweise rückgebildet, so dass 
er nicht mehr die Unterkiefersymphyse erreicht. Sein kolbig ver- 
dicktes Gelenkende fand ich bei einem der grössten von Salamandra 
maculata untersuchten Exemplare vollkommen verknöchert (0. ar.). 
Zwei knöcherne Stücke scheiden den Meckel’schen Knorpel bis auf 
sein Gelenkende vollkommen ein. Das grösste (0. d.) derselben liegt 
an der Aussenseite. In seiner vorderen Hälfte bildet es eine Röhre, 
in welche das dünne Ende des Meckel’schen Knorpels eine Strecke 
eindringt und zugespitzt endet. Nach der Unterkiefersymphyse zu 


27 


geht die Röhre in ein vollkommen solides Knochenstück über, wel- 
ches durch Bandmasse mit demjenigen der anderen Seite verbun- 
den ist. Der obere Rand des Knochens erhebt sich in den vorderen 
zwei Dritttheilen in einen dünnen Fortsatz, an dessen Innenwand 
eine Reihe kleiner Zähne festsitzt. Der hintere Theil des Knochens 
bildet einen Halbkanal, welcher das proximale Ende des Meckel’schen 
Knorpels von unten und aussen einscheidet. Der knöcherne Halb- 
kanal wird durch das zweite Knochenstück (O. a.) geschlossen, wel- 
ches in Form und Lage vollständig dem Angulare von Axolotl 
entspricht, somit den Meckel’schen Knorpel von Innen bedeckt. Auf 
seiner äusseren Fläche befindet sich eine rinnenförmige Vertiefung, 
in welcher das Gelenkende des Knorpels liegt. In dem Falle, wo 
dasselbe bei Salamandra maculata verknöchert war, (Taf. I Fig. 17 
O.ar.) liess es sich noch vollkommen glatt vom Angulare trennen. 
Bei einem Exempler von Triton cristatus dagegen, das gleichfalls 
ein Os articulare besass, war dasselbe gleichzeitig mit dem Angu- 
lare verschmolzen (Taf.I Fig. 19 O.ar.). Bei einem Vergleich der 
Unterkiefer von Salamandra und von Axolotl untereinander vermisst 
man das dritte Knochenstück, das Operculare. Die Entwicklungs- 
geschichte wird uns später zeigen, dass bei Larven dasselbe ur- 
sprünglich vorhanden ist, sich aber weiterhin völlig zurückbildet 
und daher in keinem der vorgenannten Knochenstücke mit ent- 
halten ist !). 

Im Unterkiefer von Rana esculenta (Taf.I Fig. 9—12) lässt 
sich der Meckel’sche Knorpel noch in ganzer Ausdehnung von der 
Articulation am Quadratknorpel bis zur Unterkiefersymphyse nach- 
weisen. Von dem kolbenförmig verdickten Gelenkende an allmäh- _ 
lich sich verdünnend wird der Knorpel in seiner Mitte zu einem 
zarten drehrunden Stab, welcher leicht bei der Präparation abreisst ; 
weiter nach vorn verbreitert er sich wieder in der Richtung von 
oben nach unten, während er von aussen nach innen plattgedrückt 
ist, und nimmt so eine bandförmige Gestalt an. Das verdünnte 
Symphysenende lässt sich nicht isolirt darstellen, da es ringsum von 


1) Um die Art und Weise, wie Dug&s bei der Deutung der Knochen 
verfahren ist, zu illustriren, sei hier erwähnt, dass er das Angulare der Sa- 
lamandrinen aus dem Artieulare, Angulare, Operculare und Complementare 
der Reptilien, sowie das Dentale aus dem Supraangulare und Dentale derselben 
zusammengesetzt sein lässt. 


28 


einer sehr dünnen Knochenlamelle fest umschlossen wird. In der 
Peripherie dieses Knorpelstabes liegen zwei Deckknochen. Der klei- 
nere Knochen, das Dentale, liegt auf der Aussenseite, wo er vom 
distalen Ende bis etwas über die Mitte des Knorpels hinaus- 
reicht. Er bildet eine dünne sehr biegsame Lamelle bis auf sein 
vorderes zur Bildung der Unterkiefersymphyse mit beitragendes Ende, 
welches ein dickeres kurzes säulenartiges Knochenstückchen ist. 
Dasselbe ist in seinem Innern hohl und nimmt hier das verdünnte 
Ende des Meckel’schen Knorpels auf, welches aus seinem distalen 
Ende als abgerundetes Köpfchen hervorschaut und so die Unter- 
kiefersymphyse mit bilden hilft. Dem Dentale der Frösche fehlt der 
bei Siredon und den Salamandrinen vorhandene Zahnbesatz !). 

Das zweite Deckstück (Fig. 9 O.a. u. Fig. 12), welches an 
der Innenseite des Knorpels vom Gelenkende bis zum vorderen Drit- 
tel liegt und hiernach als Angulare zu deuten ist, übertrifft das 
Dentale an Grösse und Dicke bedeutend. Seine dem Knorpel zuge- 
wendete Seite ist zur Aufnahme desselben rinnenförmig ausgehöhlt. 
Ein wenig vor der Gelenkfläche des Unterkiefers bildet der Knochen 
einen oben über dem Knorpel vorspringenden stumpfwinkligen Fort- 
satz, der Muskeln zum Ansatz dient (Processus coronoideus). Von 
der oben beschriebenen Rinne ist der Fortsatz durch eine horizontal 
verlaufende Leiste getrennt. In seinem proximalen verdickten Theile 
enthält das Angulare eine mit zahlreichen Fettzellen und Iymphoiden 
Zellen (Knochenmark) angefüllte Höhle. Ein dritter Belegknochen, 
ein Operculare, fehlt bei den Anuren in gleicher Weise wie bei den 
Salamandrinen. 


1) Von der hier gegebenen Darstellung weichen Duges, Parker und 
Ecker in einem Punkte ab. Sie beschreiben nämlich das Symphysenende des 
Dentale als ein gesondertes solides Knochenstück und betrachten es als den 
vordersten ossificirten Theil des Meckel’schen Knorpels. Duges nennt das 
Stück Dentale, indem er den übrigen Theil unseres Dentale als Supraangu- 
lare deutet, Parker nennt es Mento-Meckelian bone, Ecker lässt es unbe- 
nannt. Als ein isolirter Knochen kann es nicht aufgeführt werden, da es 
mit dem lamellenartigen Theil des Dentale continuirlich zusammenhängt, 
Wie dieser ist es hauptsächlich im Bindegewebe perichondrostotisch entstan- 
denes Knochengewebe, welches das Ende des Meckel’schen Knorpels röhren- 
artig umwachsen hat. Mit diesem ist eine unbedeutende enchondrostotische 
Verknöcherung verschmolzen, welche wie bei Siredon, so auch beim Frosch 
am distalen Ende des Meckel’schen Knorpels in seiner Oberfläche aufge- 
treten ist. 


29 


Bei allen Amphibien besteht also der Unterkiefer, um das in 
dem Abschnitt Gesagte noch einmal kurz zusammenzufassen, aus 
einem Knorpelstab und ihm aufliegenden Deckknochen. Bei den 
Perennibranchiaten  (Siredon, Siren etc.) finden sich deren 
drei, ein Dentale, Operculare und Angulare, bei den Sala- 
mandrinen und Anuren dagegen nur zwei, indem das Oper- 
culare sich rückgebildet hat. Während das Angulare nie Zähne 
trägt, besitzen solche in der Regel das Dentale und Operculare. 
Das Gelenkende des Meckel’schen Knorpels kann zu einem selbstän- 
digen Knochenstück (Os articulare) ossifieiren (Triton, Salaman- 
dra). Eine zweite Knorpelossification von geringerer Ausdehnung 
findet man gewöhnlich noch an seinem distalen Ende vor. Während 
der Primordialknorpel bei Siredon in nahezu gleicher Stärke in sei- 
ner ganzen Länge erhalten ist, zeigt er sich bei den Anuren und Sala- 
mandrinen schon mehr rückgebildet. Die Rückbildung beginnt am 
distalen Ende. Dasselbe wird vom Dentale röhrenförmig umwachsen, 
verdünnt sich mehr und mehr und weicht von der Unterkiefersym- 
physe nach hinten zurück, indem ein solides knöchernes Stück an 
seine Stelle tritt. 


4, Histologische Zusammensetzung des Primordial- 
cranium und der Schädelknochen. 


Der anatomischen Schilderung des Mundhöhlenskelets mögen 
einige histologische Bemerkungen über das Knorpel- und Knochen- 
gewebe des Amphibienschädels folgen. 

(Knorpel). DerKnorpeldesPrimordialeranium ent- 
hält grosse, runde oder ovale Zellen, welche in einer verhältniss- 
mässig geringen Menge hyaliner Grundsubstanz eingebettet sind. Nach 
dem Perichondrium nimmt die Zwischensubstanz an Masse ab und 
vermehrt sich die Anzahl der Zellen. Dieselben haben an Grösse 
abgenommen, sind scheibenförmig plattgedrückt und liegen mit ihrer 
flachen Seite der Knorpeloberfläche parallel. Ein Befund, welchen 
mir der Knorpel der Schädelbasis von Pelobateslarven mit vier 
Beinen und Schwanzstummel sowie auch hie und da Durchschnitte 
durch den Unterkieferknorpel erwachsener Thiere boten, scheint mir 
von besonderem Interesse zu sein, weil er auf die Art und Weise, 
in welcher im Knorpel die Ernährung der Elementartheile ermög- 
licht wird, einiges Licht wirft (Taf. I Fig. 13 u. 14). Die Knorpel- 
zellen fand ich hier durch ein System ausserordentlich zahlreicher 


50 


feinster Kanälchen unter einander verbunden. Anordnung und Ver- 
lauf derselben ist ein höchst charakteristischer. Die Kanälchen ent- 
springen nämlich nicht gleichmässig von allen Punkten der Zellen- 
peripherie, um sich allseitig zu verbreiten, sonderu entspringen 
bündelweise meist von zwei entgegengesetzten Seiten der Zelle und 
zwar jedesmal von derjenigen Seite, welche dem Perichondrium 
parallel ist. Jedes Kanälchen hat seine eigene Einmündungsstelle 
in die Zelle und verästelt sich oder anastomosirt mit einem benach- 
barten nur in seltenen Fällen. Die von einer Zellenseite entspringen- 
den Kanälchen verlaufen in einer zur Knorpeloberfläche senkrechten 
Richtung dicht nebeneinander in gerader Linie zur nächsten Zellen- 
höhle, in welche sie einmünden. Indem auf der entgegengesetzten 
Seite dieser Zelle wieder ein ähnliches Bündel entspringt, entstehen 
Streifen aus zahlreichen parallelen Kanälchen zusammengesetzt, welche 
von Perichondrium zu Perichondrium den Knorpel der Schädelbasis 
durchsetzen und in welche in bestimmten Entfernungen Knorpel- 
zellen eingeschaltet sind. Das eben beschriebene Bild verliert an 
Regelmässigkeit, indem von einzelnen Zellen auch Bündel von Ka- 
nälchen in schräger Richtung zu den erwähnten Streifen verlaufen 
und in seitlich liegende Zellen einmünden. In der Mitte des Knor- 
pels, in welcher die Intercellularsubstanz eine reichlichere ist, sind 
die Kanälchen minder deutlich wahrzunehmen, oft nür in der näch- 
sten Umgebung der Zellen und sieht man hier häufiger gablige 
Theilungen als in den dem Perichondrium näher liegenden Knor- 
pelschichten. 

Wie aus diesen Befunden hervorgeht, besteht im Knorpel ein 
wie im Knochen reich entwickeltes System feinster Kanälchen, wel- 
ches die Zellen untereinander und mit dem Perichondrium in Ver- 
bindung setzt und hierdurch den Transport von Nahrungsstoffen von 
der mit Gefässen umsponnenen Oberfläche des Knorpels zu dem In- 
nern desselben vermittelt. Diese und ähnliche!) am Knorpelgewebe 


1) Ein ähnliches nicht minder reichliches Kanalnetz habe ich schon in 
einer früheren Arbeit (Ueber die Entwicklung und den Bau des elast. Ge- 
webes im Netzknorpel. Archiv f. mikrosk. Anat. Band IX) im elastischen Netz- 
knorpel des Ohres beschrieben und dort zugleich die Fälle zusammengestellt, 
in welchen Kanälchen oder Andeutungen solcher in den Knorpeln verschie- 
dener Thiere von einer Anzahl Beobachter beschrieben worden sind. Den- 
selben kann ich noch zwei Fälle eigener Beobachtung anschliessen. Durch 
ein sehr reichliches Netz fand ich die Zellen in dem Unterkieferknorpel von 


En ne N a mar 


31 


anderer Thiere gemachten Beobachtungen, die wahrscheinlich leicht 
noch bei einer besonders darauf gerichteten Untersuchung sich wer- 
den erweitern lassen, sind geeignet uns zur Annahme zu bestimmen, 
dass überhaupt in jedem Knorpel ein System intercellulärer 
Gänge besteht. Ein solches scheint mir nicht minder aus physio- 
logischen Gründen angenommen werden zu müssen, da albuminöse 
Stoffe und Fette die oft sehr dicke Intercellularsubstanz bei ihrem 
schweren Diffusionsvermögen nicht wohl durchdringen können. Die 
Ernährung der Knorpelzellen erfordert also besonders vorgebildete 
Wege zum Austausche der Nahrungstoffe. Dieser Ueberlegung und 
den damit übereinstimmenden ziemlich zahlreichen Beobachtungen 
gegenüber können die negativen Befunde bei der Untersuchung eines 
Knorpels nicht in die Wagschale fallen, da Feinheit der Kanälchen, 
Gleichartigkeit des Lichtbrechungsvermögens eine Unterscheidung 
sehr leicht unmöglich machen kann. An entkalkten Zähnen und 
Knochen sind ja die Kanälchen, wenn sie einigermaassen fein sind, 
mit unseren optischen Hülfsmitteln auch nicht mehr wahrzunehmen. 

(Knochen). Die Verknöcherungen des Primordial- 
ceranium (Ethmoid, Oceip. laterale, Petrosum, Quadratum und Ar- 
ticulare) übergehe ich hier, indem ich später genauere Untersuchun- 
gen über sie mitzutheilen gedenke, und wende mich gleich zur 
histologischen Zusammensetzung der Belegknochen. Besonders 
bemerkenswerth erscheint mir hier die geringe morphologische 
Individualisirung derselben, welche sich in mehreren Punkten 
ausspricht. So vermisst man an denselben ein besonderes Periost, 
indem der Knochen an seiner Peripherie in das umgebende Binde- 
gewebe eontinuirlich übergeht. Sein Rand ist meistens fein ausge- 
zackt; die Zacken verlieren plötzlich ihre homogene Beschaffenheit 
und gehen in fibrilläres Gewebe über. Mit dem Periost fehlt zu- 
gleich auch eine zusammenhängende Östeoblastenschicht. Nur hie 
und da trifft man eine isolirte Zelle dem Knochenrand anliegen und 
mit Ausläufern in ihn eindringen. Dieselbe unterscheidet sich aber 


älteren Haiembryonen untereinander in ähnlicher Weise wie bei Peloba- 
tes in Verbindung stehen. In den unteren und oberen Bogenstücken der 
Wirbelsäule des Störs sah ich von einzelnen Knorpelzellen lange Ausläufer 
die sehr reichliche Intercellularsubstanz durchsetzen und an die im Knorpel 
sich vorfindenden elastischen Fasern quer ansetzen, in einer Weise, wie es 
im Netzknorpel mancher Thiere stattfindet. 


32 


in Nichts von einer anderen Bindegewebszelle. Eine weitere Eigen- 
thümlichkeit der Amphibienknochen ist das Fehlen der Haver- 
sischen Kanäle!) in denselben, so dass die ganze Ernährung 
von der Knochenoberfläche aus geschehen muss. Nur in einzelnen 
Knochen wie im Angulare des Unterkiefers, im Maxillare und Inter- 
maxillare findet sich im Inneren ein grösserer Markraum vor, der 
mit Fettzellen und mit Iymphoiden Zellen erfüllt ist und wenn ich 
es auch nicht beobachtet habe, so doch höchst wahrscheinlich Blut- 
gefässe enthalten wird. Was den Bau des Knochengewebes selbst 
anbetrifft, so sind Knochenkörperchen im Allgemeinen nur spärlich 
vorhanden und hängen durch feine sich verästelnde Ausläufer un- 
tereinander zusammen. Die Grundsubstanz des Knochens ist nicht 
vollständig homogen, indem man zwischen den Zellen zahlreiche 
Pünktchenkreise von verschiedener Grösse wahrnimmt (Taf. V 
Fig. 7). Die meisten besitzen die Grösse eines Knochenkörperchens. 
Nach Färbungen in Haematoxylin oder Carmin treten sie, da sie sich 
geringer färben als die homogene Substanz, etwas schärfer hervor. 
Ein Schnitt gewinnt hierbei ein etwas maschiges Aussehen, wobei 
die Lücken durch die erwähnten Pünktchenkreise gebildet werden. 
Man findet diese Pünktchenkreise bei verschiedenen Knochen und 
an verschiedenen Stellen desselben Knochens in wechselnder Menge. 
Sie können nichts anderes als die Durchschnitte von Bündeln von 
Bindegewebsfibrillen sein, die weniger als das umgebende Gewebe 
sclerosirt, vielleicht auch nicht verkalkt sind. 

Wie aus diesen Befunden hervorgeht, steht das Knochengewebe 
der Amphibien, ich möchte sagen, auf einer niedrigeren Entwick- 
lungsstufe als dasjenige der höheren Wirbelthiere. Dies zeigt sich 
sowohl in dem Vorherrschen von bindegewebigen Bestandtheilen in 
der Grundsubstanz, als auch besonders in der geringen morpholo- 
gischen Individualisirung der einzelnen Knochen: in dem Mangel 
besonderer zur Ernährung der centralen Partieen bestimmter Ha- 
versischer Kanäle, in dem Mangel einer das Wachsthum des Kno- 
chens vermittelnden Osteoblastenschichte und in dem Mangel einer 
blutgefässreicheren Gewebsschichte, des Periostes, durch welches 
der höher differenzirte Knochen der Säugethiere von den umgebenden 
Bindegewebsschichten als ein besonderes Organ schärfer sich absetzt. 


1) Auf diesen Punkt macht Leydig aufmerksam. Anatomisch histol. 
Untersuchungen über Fische und Reptilien. S. 103. 


en ED ELENA GARNELEN 


Zweiter Abschnitt. 


Das Zahnsystem der Amphibien '). 
Hierzu Tafel I, II und II. 


Eine vergleichende Betrachtung des Zahnsystems der Wirbel- 
thiere zeigt uns, dass dasselbe bei den Amphibien auf einer tieferen 
Entwicklungstufe steht, als bei den Reptilien und Säugethieren und 
selbst bei einer grossen Anzahl von Knochenfischen. Dieser gerin- 
gere Grad der Ausbildung tritt uns in dreifacher Beziehung ent- 
gegen: 1) in der Form der Zähne, 2) in ihrer Befestigung, 3) in 
ihrer Verbreitung und Anordnung. Die Form der Zähne ist bei 
den Amphibien durchweg eine sehr gleichartige und zugleich sehr 
wenig abgeänderte, eine einfache kegelförmige Spitze, welche sich 
der Urform des Zahnes, wie später gezeigt werden soll, am 
meisten nähert, während bei den Fischen die Form der Zähne die 
grössten Verschiedenheiten in Anpassung an die verschiedensten Le- 


1) Cuvier, Recherches sur les ossemens fossiles Tome V. Abth. I. 

Cuvier, Lecons d’anatomie comparee Tome III. 

Meckel, System der vergleich. Anatomie Tome IV. S. 18. 

Owen, Odontography. 

Leydig, Anatomisch histologische Untersuchungen über Fische und 
Reptilien. 1853. S. 40—41. 

Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere 1857. 

Leydig, Ueber die Molche der würtembergischen Fauna. Archiv für 
Naturgeschichte. 1867. 

Sirena, Ueber den Bau und die Entwicklung der Zähne bei den Am- 
phibien und Reptilien. Verhandlungen der Physie. Medie. Gesellschaft 
in Würzburg. 1871. 

Heinecke, Untersuchungen über die Zähne niederer Wirbelthiere. 
Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Band 23. 1873. 

Peters, Ueber die Batrachier-Gattung Hemiphractus. Monatsbericht 
der Königlichen Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 
1862, S. 144. 

Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 11. Supplementheft. 3 


34 


bensbedingungen aufweist. Die Befestigung der Zähne, inso- 
fern sie durch eine feste Verwachsung mit den Skeletknochen be- 
wirkt wird, zeigt gleichfalls ein primitives Verhalten bei den Am- 
phibien, während bei den Knochenfischen und Reptilien zum Theil 
auch hier schon Differenzirungen wie lockere Befestigung, Alveolen- 
bildung etc. stattgefunden und die ursprünglicheren Verhältnisse ver- 
wischt haben. In der Verbreitungund AnordnungderZähne 
endlich schliessen sich die Amphibien an die Knochenfische an und 
haben uns in der Bezahnung ausgedehnter Strecken der Mundschleim- 
haut Zustände erhalten, die bei den höheren Olassen der Wirbel- 
thiere im Laufe der phylogenetischen Entwicklung sich rückgebildet 
haben, aber auch bei ihnen aus vergleichend anatomischen und ent- 
wicklungsgeschichtlichen Gründen vorausgesetzt werden müssen. 

Je mehr aus diesen Umständen, die in den folgenden Seiten 
ihre weitere Begründung finden werden, dem Zahnsystem der Am- 
phibien eine sehr niedrige Stellung zugewiesen werden muss, eine 
um so grössere Bedeutung gewinnt dasselbe für den Untersucher, 
insofern sich aus diesen einfachen Zuständen complieirtere Einrich- 
tungen herleiten lassen. Daher habe ich mir auch eine möglichst 
genaue Kenntniss von anscheinend unwichtigeren Verhältnissen zu 
verschaffen gesucht, weil solche bei vergleichender Betrachtung oft 
eine nicht geringe Bedeutung erlangen. 

Die Untersuchung des Zahnsystems der Amphibien lässt sich 
in vier Theile gliedern, von welchen der erste die Vertheilung 
und Anordnung der Zähne auf dem Skelet der Mundhöhle, der 
zweite dieäussere Form, Befestigung und gewebliche Zu- 
sammensetzung des Einzelzahns, der dritte den Zahnwechsel 
(Ersatz und Resorption), und der vierte die allgemeinen Resul- 
tate behandelt. 


1. Vertheilung und Anordnung der Zähne auf den 
Knochen der Mundhöhle. 


So übereinstimmend und gleichartig im Allgemeinen die Form 
und Befestigung der Zähne bei einzelnen Amphibienarten beschaffen 
ist, eine so grosse Verschiedenheit zeigt sich in der Vertheilung 
und in der Anordnung derselben auf den einzelnen Knochen der 
Mundhöhle. 

Wenn wir zunächst die Vertheilung der Zähne untersu- 
chen, so findet man Amphibienarten, bei denen fast jeder Knochen 


35 


der Mundhöhle Zähne trägt, sowie andererseits vollkommen zahnlose 
Arten. Zwischen beiden stehen Formen, deren Knochen in verschie- 
dener Combination mit einem Zahnbesatz ausgerüstet sind. Die 
reichste Bezahnung besitzen im Ganzen genommen die älteren Am- 
phibienordnungen, die Perennibranchiaten, Derotremen und Sala- 
mandrinen, die geringste dagegen die Batrachier. 
Bei den Perennibranchiaten (Taf. I Fig. 25u. 8) finden 
*sich in der Regel Zähne auf dem Intermaxillare und Maxillare, 
auf Vomer und Palatinum (Pterygopalatinum), auf dem Dentale und 
Öperculare des Unterkiefers, so dass vom Mundskelet nur das 
Pterygoid, das Parasphenoid und das Angulare unbezahnt bleiben. 
Dasselbe gilt für die Salamandrinen (Taf. I Fig. 5 u. 36), davon 
abgesehen, dass mit dem Mangel eines Operculare auch die Oper- 
cularzähne fehlen und dass hier bei einer Species bei Plethodon 
glutinosus (Taf. I Fig. 35) das sonst stets zahnlose Parasphenoid 
reich bezahnt ist. Bei den Batrachiern (Taf.I Fig. 20) ist der 
Zwischen- und Oberkiefer, sowie der Vomer gewöhnlich zahntragend; 
nur bei einer Species bei Hemiphractus findet sich eine reichere 
Bezahnung, indem hier sowohl das Palatinum als auch der Unter- 
kiefer wie bei den Salamandrinen mit Zähnen besetzt ist, eine durch 
‚die Untersuchungen von Peters festgestellte, aber wie es scheint, 
noch wenig bekannt gewordene Thatsache!). Von dem hier als Regel 
aufgestellten Befunde kommen die verschiedensten Abweichungen in 
jeder der genannten Gruppen vor. So besitzt von den Perennibranchia- 
ten Siren (Taf. I Fig. 6 ) keine Zähne auf dem Maxillare, Inter- 
. maxillare und Dentale, sondern anstatt derselben eine Hornscheide. 
Bei Proteus undMenobranchus (Taf. I Fig. 54) fehlen die Ober- 
kieferzähne sammt den sie tragenden Knochen. Ein gleiches gilt 
für das Palatinum bei den Derotremen. Die grösste Variabilität 
in dem Vorhandensein der Zähne auf den einzelnen Knochen (auf 
dem Maxillare, Intermaxillare und Vomer) zeigen die Batrachier. 
Dieselbe erstreckt sich sogar auf die einzelnen Unterfamilien, für 
welche die Bezahnung mit als systematisches Unterscheidungsmerkmal 
benutzt wird. So ist unter den Aglossa Pipa vollkommen zahnlos, 
Dactylethra dagegen hat den Oberkiefer und Zwischenkiefer mit 
Zähnen ausgerüstet. Während aus der Gruppe der Oxydactyla Rana 
escul. und temp., Pelobates etc. Zähne auf dem Intermaxillare, 


1) Peters, Ueber die Batrachier-Gattung Hemiphractus I. c. 


36 


Maxillare und dem Vomer tragen, fehlen sie auf letzterem bei Ce- 
ratophrys. Aus der Gruppe der Discodactyla besitzt Hemiphractus wie 
erwähnt, Zähne auf dem Maxillare, Intermaxillare, Vomer, Pala- 
tinum und Dentale; Hyla, Hylodes ete. wie Rana esculenta auf dem 
Intermaxillare, Maxillare und Vomer; Phyllobates nur auf den bei- 
den ersteren Knochen; Hylodactylus nur auf dem Vomer und Den- 
drobates endlich ist vollkommen zahnlos !). 


Minder variabel als die Vertheilung ist die Anordnung der 
Zähne auf den einzelnen Knochen der Mundhöhle. Nur 
in der niedrigsten Ordnung der Amphibien, bei den Perennibran- 
chiaten, zeigen sich hierin für einzelne Species sehr bemerkens- 
werthe Verschiedenheiten, indem die Stellung der Zähne eine viel- 
reihige, eine mehrreihige oder eine einreihige sein kann. 


Eine vielreihige Stellung finden wir auf den hierdurch 
morphologisch besonders interessanten Gaumenknochen (Taf. I Fig. 
6° u.6°) von Siren lacertina?), deren ganze Oberfläche über und 
über mit kleinen, spitzen, nach rückwärts gekrümmten Zähnchen 
bedekt ist. Wie Cuvier und Owen beschreiben, trägt der Vomer 
von Siren 6 oder 7 schräggerichtete Zahnreihen, das Palatinum 
dagegen nur 4, so dass ungefähr 11 Reihen auf jeder Gaumenseite 
liegen. Die Zahl der Zähne beträgt in den mittleren Reihen 11 oder 
12, wird aber geringer in den vorderen und hinteren Reihen. Owen 
nennt diese Anordnung der Zähne die bürstenartige oder he- 
chelartige (brosslike, raspelike, dents en carde der Franzosen). Ausser 
den Gaumenknochen von Siren kann als weiteres Beispiel für die 
hechelartige oder vielreihige Stellung auch das Parasphenoid 
von Plethodon glutinosus dienen, dessen untere Fläche nach 
den Angaben Owen’s?) von 300 und mehr kleinen Zähnchen ein- 
genommen wird. Diese Fälle von vollständiger Bedeckung eines 
Knochens mit Zähnchen sind deshalb von so besonderem Interesse, 
weil sie uns Verhältnisse bei den Amphibien erhalten zeigen, welche 
sonst nur bei den Knochenfischen, aber hier in weiter Verbreitung 
und oft auf allen Knochen der Mundhöhle sich vorfinden. Ich erin- 


1) Vergleiche die Angaben in Owen’s Odontography und in Claus 
Grundzüge der Zoologie. 

2) Cuvier, 1. c. 8. 423. — Owen, I. c. S. 188. 

3) Owen, l. c. S. 193. 


37 


nere an die zahntragenden Knochen vom Hecht, besonders aber von 
Engraulis und Sudis gigas, deren ganze Mundhöhle von Zahn- 
spitzen starrt!). 

Die mehrreihige Stellung'der Zähne bildet gewissermaassen 
einen Uebergang von der vielreihigen zu der am weitesten verbrei- 
teten einreihigen Zahnstellung. Als Beispiel für dieselbe kann ich 
aus der Classe der Amphibien nur Siredon pisciformis anfüh- 
ren und zwar auch hier nur die Bezahnung des Vomer, Palatinum 
und Operculare und nicht der Kieferknochen. Die Beschreibungen, 
welche wir bis jetzt hiervon besitzen, geben die wirklichen Ver- 
hältnisse nicht völlig zutreffend wieder. Guvier und Owen las- 
sen die Gaumenknochen wie bei Siren mit Zähnen in Quincunxstel- 
lung bedeckt sein und so eine Anordnnng dauernd erhalten zeigen, 
wie sie bei den Larven der Salamandrinen vorübergehend sich findet. 
In den entgegengesetzten Fehler ist Sirena verfallen, welcher die 
Gaumenknochen gleich den Kieferknochen nur eine einfache Zahn- 
reihe tragen lässt. Die Wahrheit liegt in der Mitte zwischen den 
zwei citirten Angaben. Auf dem Operculare (Taf. III Fig. 8) Vomer 
oder Palatinum grosser Exemplare finde ich die Zähne in zwei 
Reihen und zwar so stehen, dass die Zähne der zweiten Reihe hin- 
ter die Interstitien der ersten Reihe zu liegen kommen; mit andern 
Worten, die Zähne stehen alternirend in einer Zickzacklinie. Nach 
Aussen und Innen sind Knochenflächen von Zähnen unbedeckt. 

Die einreihige Stellung der in Gebrauch befindlichen Zähne 
ist bei den Amphibien die vorherrschende und kömmt bei den 
Derotremen, Salamandrinen und Batrachiern (Taf. H Fig. 
15 u. 16) ausschliesslich vor. Ein Zahn steht hier dicht neben dem 
andern auf dem Skeletknochen in einer Linie festgewachsen., wie dies 
von ihren Weichtheilen befreite Kiefer und Gaumenknochen aufs 
deutlichste zeigen. Bei der Kleinheit der Zähne ist ihre Anzahl 
eine recht bedeutende. So besitzt z. B. der Frosch gegen 50 fest- 
gewachsene Zähne in jeder Kieferhälfte und auf jedem Vomer deren 
5 bis 10. Bei Triton taeniatus zählte ich in jeder Oberkiefer- und 
in jeder Unterkieferhälfte 40 bis 50 und in einer Gaumenreihe so- 
gar 60 bis 70 Zähne. Lücken, die sich hie und da in der Zahn- 
reihe vorfinden, sind durch den Ausfall alter Zähne, so lange noch 
kein Wiederersatz stattgefunden hat, bedingt. Nie habe ich bemerkt, 


1) Vergleiche Owen, Odontography. 


38 


dass zwei Zähne hintereinander gestanden hätten. Während Owen!) 
und andere Forscher mit diesen Angaben übereinstimmen, hebt Ley- 
dig?) in seinem Werke über die Molche der würtembergischen 
Fauna ausdrücklich hervor, dass sowohl bei den Fröschen als auch 
bei unseren einheimischen Schwanzlurchen nicht bloss die Gaumen- 
zähne gehäuft stehen, sondern auch die Zähne der Kinnladen in 
mehreren Reihen, zum mindesten zweizeilig sich folgen. Auf diese 
Beobachtnng legt Leydig ein um so grösseres Gewicht, als er in 
der gehäuften Anordnung der Zähne einen neuen Charakter erblickt, 
welcher die Verwandtschaft der Amphibien mit den Fischen darthut. 
Während man früher sich darauf hätte beschränken müssen das 
Fischartige der Batrachier in den Gaumenzähnen zu finden, solle 
nun auch die Art der Bezahnung der Kinnladen, insofern sie eine 
mehrzeilige sei, an diejenige der Fische erinnern. Neuerdings ist 
Leydig’s Beschreibung von der Stellung der Zähne der Amphibien 
als etwas für die ganze Classe charakteristisches auch in Bronn’s 
Classen nnd Ordnungen des Thierreichs von Hoffmann?) aufge- 
nommen worden. Das Abweichende in dieser Darstellung rührt von 
der angewandten Präparationsmethode her. Um nämlich die mehr- 
fachen Zahnreihen zu sehen, empfiehlt Leydig die bei schwacher 
Vergrösserung zu betrachtenden Schädel mit Kalilauge aufzuhellen. 
Bei dieser Methode sieht man nun allerdings hinter der ersten Zahn- 
reihe noch Zähne in einer zweiten und oft dritten Reihe alternirend 
liegen, wie dies auch schon Owen und Anderen bekannt war. In- 
dessen lehrt eine weitere Untersuchung, namentlich Durchschnitte 
durch entkalkte Schädel, dass die hinter der ersten Reihe liegenden 
Zähne noch in der Entwicklung begriffen sind, dass sie in der Schleim- 
haut vergraben noch nicht functioniren und dass sie später an Stelle 
der ausfallenden Zähne der ersten Reihe treten und mit dem dar- 
unter liegenden Knochen verwachsen. Von einer mehrzeiligen An- 
ordnung der Zähne kann man daher hier nicht reden, wie dies auch 
Sirena*) richtig angiebt, und ist diese Bezeichnung nur auf jene 
Fälle zu beschränken, wo die hintereinander liegenden Zähne auf 


1) Owen, I. ce. S. 193. They are arranged in a single close set row. 

2) Leydig, Ueber die Molche der würtembergischen Fauna. Tro- 
schel’s Archiv für Naturgeschichte. 1867. 

3) 1. c. Band VI. Abth. II. Lief. 1. S. 32. 

4) Sirena, I. c. 126—127. 


ne nu A = 


39 


gleicher Entwicklungsstufe stehen und bei den Amphibien daher mit 
den Skeletknochen verwachsen sind. Das Fischähnliche in der an- 
geführten Bildung besteht mithin nicht in der Stellung, sondern in 
dem bei beiden Thierelassen unbeschränkten Ersatz der Zähne, wie 
später ausführlicher gezeigt werden soll. 


Tabelle 


über das Vorkommen und die verschiedenartige Bezahnung der Belegknochen 
der Mundhöhle bei den verschiedenen Amphibienarten. 


I.  |tt. Gruppe. | yır. 
Gruppe. a dr II. Unter 
Remis ch uni [eske but Ir 
| — EAN. 1e I] 
Ordnungen | > Sı ee re 
und '  Amphibienarten. BER KEOREN 23 = 
Unterordnungen. | EI | aa es lee 
“I18|°1513|s/|2|%|3 
EEE | > & & St ee} (e=) « 
Urodelen. | Tan Darren 
Perennibranchiaten Siren lac. ARE TO ET BIN 
Siredon pise. ER a U 
‚Proteus ang. ID EN ET 
| Menobranchus lat. ERDE ne 
Derotromern. | Amphiuma tridact. Kara 
‚ Menopoma allegh. Merle ga 2 ln ea 
I|Gryptobranchus jap. .|ı ı 1 10 -|-| 1/0) — 
Salamandrinen, |Plethodon glut. 1,1] 1)0!-|m| 1l0| — 
Triton ig. jenen) = hs ea 
Salamandra mac. . KT Ama HERE ur IS 
Anuren. | KR 
Aglossa. Ewaam.: .. ,‚..‘;. —i | — || —-/1—-|-/0| — 
‚Dactylethra cap. . 1/1) 2! —-'—-|—-|—|0| — 
Oxydactyla. Rana esc. u. temp. . LI! r| b)—|- 101 
Pelobates fusc. Wh 11-1 ,- — 0 
 Ceratophrys cor. . 1 | 11— | — 111-0) — 
Discodactyla. Hylodes lin. hear 
Hylaark. . ... 0.111) 1!-|—|—-/— 0| — 
Phyllobates bie... .|1 111-1 —- /— 1-0 - 
Hemiphractus.. . . (1/1! 1) 12)-|—-| 1,01 — 
Dendrobates tinct. ae - 1,0 — 
Hylodactylus pict. SE a EEG NEE 


Erklärung der Zeichen: 


— Knochen ohne Zähne. 
+ Knochen mit Hornscheide. 
0 Knochen fehlt. 
x Knochen nur beim Embryo vorhanden, später rückgebildet. 
l einreihig | 
ll zweireihig - bezahnter Knochen. 
ll vielreihig 
—— Verschmelzung zweier Knochen zu einem Knochenstück. 


40 


Bei Vergleichung der hier angeführten, in der beigefügten Ta- 
belle übersichtlich zusammengestellten Thatsachen unter einander 
und mit der Verbreitung der Anordnung der Zähne bei niederen 
und höheren Wirbelthieren verlangen drei Punkte eine nähere Be- 
rücksichtigung: er 

1) Die Verbreitung der Zähne über Strecken der Mundschleim- 
haut, welche bei höheren Wirbelthieren nie einen Zahnbesatz zeigen. 

2) Die bei den Amphibien bestehende Ungleichmässigkeit in 
der Vertheilung der Zähne auf die einzelnen Knochen der Mund- 
höhle. 

3) Die Verschiedenheit in der Anordnung und Stellung der 
Zähne auf homologen Knochen bei verschiedenen Species, insofern 
dieselbe eine vielzeilige, eine zwei- und eine einzeilige sein kann. 

Zur Erklärung der ausgedehnten Verbreitung der 
Zähne über grosse Strecken der Mundschleimhaut sind die Ver- 
hältnisse, welche die Selachier unserhalten zeigen, von der höch- 
sten Bedeutung, weil diese Thiergruppe, wie durch zahlreiche That- 
sachen hinlänglich festgestellt ist, einer früheren Urform der höhe- 
ren Wirbelthiere sehr nahe steht und uns deren Organisation ziem- 
lich unverfälscht erhalten hat!). Bei vielen Selachiern (Hexanchus, 
Acanthias etc.) ist nämlich die ganze Mundhöhle hinter den Kiefer- 
rändern bis zum Anfang des Oesophagus mit kleinen nur in der 
Schleimhaut festsitzenden Zähnchen bedeckt. Dieselben stimmen in 
ihrem Bau und ihrer Entwicklung, wie ich andern Orts gezeigt 
habe ?), einestheils vollkommen mit den Placoidschuppen des Inte- 
guments, anderntheils mit den Zähnen der höheren Wirbelthiere 
überein. Auf die erste Uebereinstimmung gestützt konnte ich den 
Satz aufstellen, dass Placoidschuppen und Zähne homologe 
Bildungen sind, und dass letztere in Anpassung an den Nah- 
rungserwerb in einer von ersteren verschiedenen Weise sich weiter 
entwickelt haben. Aus der Uebereinstimmung der Selachierzähne 
mit denjenigen der Säugethiere musste dann weiter gefolgert wer- 
den, dass überhaupt die aus Dentin bestehenden Zähne 
der Wirbelthiere einander homolog sind und als Erb- 
stücke von einer gemeinsamen Urform abgeleitet werden müssen. 


1) Gegenbaur, Das Kopfskelet der Selachier, als Grundlage zur Be- 
urtheilung der Genese des Kopfskelets der Wirbelthiere. S. 10. 
2) Jenaische Zeitschrift f. Naturwiss. 1874 Bd. VIII. S. 363. 


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we ne ee er = 


41 


Von der bedeutsamen systematischen Stellung der Selachier und den 
zwei eben angeführten Sätzen ausgehend sind wir zu der Annahme 
berechtigt, dass die auf den Knochen der Mundhöhle, den Ossa vo- 
meris, Palatina, Sphenoidea etc. stehenden Zähne der Amphibien von 
ursprünglich in der gesammten Mund- und Schlund- 
höhle verbreiteten Schleimhautzähnchen abzuleiten 
sind, welche die Selachier und Amphibien von einer Stammform er- 
erbt haben !). 

Aus diesem ursprünglichen Zustande haben wir, — um die an 
zweiter Stelle aufgeworfene Frage zu beantworten, — die Un- 
gleichmässigkeit in der Vertheilung der Zähne auf 
den einzelnen Knochen zu erklären. Von vorneherein sind 
zwei Arten der Erklärung möglich. Entweder kann man anneh- 
men, dass die Bezahnung der Knochen gleich für jede einzelne Art 
in ihrer besonderen Weise aus dem indifferenteren Zustand erfolgt 
ist, oder man kann annehmen, dass ursprünglich die Bezahnung 
der Knochen bei den Amphibien eine gleichartige gewesen ist, dass 
mithin Maxillare und Intermaxillare, Vomer, Palatinum, Pterygoid 
und Parasphenoid, Dentale und Operculare eine Zahnbewaffnung 
besessen haben, wie dies noch jetzt bei einzelnen niedriger stehen- 
den Formen der Fall ist. 

Die erste Erklärung lässt sich bei genauerer Prüfung 
nicht aufrecht erhalten, denn sie setzt voraus, dass die Verbin- 
dung von Schleimhautzähnchen und Knochen in einer sehr späten 
Periode der Entwicklung des Amphibienstammes erfolgt ist. Es 
müssten zu der Zeit z. B. schon die einzelnen Unterfamilien der 
Anuren existirt haben, der Stamm der Discodactyla müsste schon in 
die einzelnen Arten gespalten gewesen sein, in Hemiphractus, Hyla, 
Phyllobates, Hylodactylus und Dendrobates, welche ja in der Be- 
zahnung der Knochen so weit von einander abweichen. Einen so 
langen Fortbestand der Schleimhaützähnchen in den einzelnen Am- 
‚phibienordnungen anzunehmen muss sehr gewagt erscheinen, da zur 
Zeit bei keinem einzigen Amphibium sich solche mehr nachweisen 
lassen. Aus diesem und anderen Gründen, zu welchen eine reif- 
lichere Ueberlegung führt, sind wir genöthigt die erste Erklärung 
fallen zu lassen. 


1) Schon Gegenbaur hebt diesen Punkt in seiner vergleichenden Ana- 
tomie hervor. 2. Aufl. S. 781.- 


42 


Es bleibt uns daher nur noch die zweite Art der Erklärung 
übrig, welche einen früherenZustandreicherer Bezahnung 
der Knochen für die ganze Amphibienclasse annimmt. Aus diesem 
sind die jetzt zu beobachtenden Verschiedenheiten in Folge mannig- 
faltiger Rückbildungsprocesse entstanden, welche im Laufe 
einer langen phylogenetischen Entwicklung in sehr verschiedener 
Weise auf die Bezahnung der neu entstandenen Arten eingewirkt 
haben!). Für diese Annahme lassen sich sehr zahlreiche Gründe 
geltend machen. Vor allen Dingen spricht für sie der Umstand, 
dass die Perennibranchiaten, welche doch der Stammform der Am- 
phibien viel näher als die Anuren stehen und in Allem als weit 
weniger abgeändert erscheinen, allgemein eine sehr reiche Bezahnung 
besitzen. Ferner lehrt uns die reiche Bezahnung fast aller Knochen 
der Mundhöhle, durch welche sehr viele Fische, wie Sudis, Engraulis, 
Aal, Hecht ete. ausgezeichnet sind, dass dieser Zustand der ur- 
sprünglichere, und dass die Verringerung des Zahnbesatzes, wie sie 
namentlich bei allen höheren Wirbelthieren uns entgegentritt, erst 
später erworben ist. Auch können wir in der That im Laufe der 
individuellen Entwicklung bei einzelnen Thieren Zähne auf einigen 
Knochen sich rückbilden sehen, z. B. bei Salamandern und Tritonen, 
bei einigen Fischen wie beim Stör und Lachs, bei Schildkröten 
wie Emys Europaea, bei Säugethieren wie beim Wallfisch. Eine 
weitere Stütze liefert uns eine Reihe analoger Vorgänge. So erklärt 
man allgemein die ungleiche Beschuppung der Fische, das Fehlen 
der Schuppen an diesen und an jenen Körperstellen, ferner die un- 
gleich mächtige und nach den Körpergegenden verschiedene Be- 
haarung der Säugethiere und Befiederung der Vögel aus einem 
ursprünglich indifferenteren Zustand des Integuments durch stärkere 
Entwicklung von Schuppen, Haaren und Federn an einzelnen 
Stellen und Rückbildung derselben an anderen Theilen. 

Unsere obige Annahme wird noch mehr an Wahrscheinlichkeit 


1) Die Annahme, dass die Bezahnung der einzelnen Knochen überhaupt 
nicht von einer Bezahnung der gesammten Mundschleimhaut abzuleiten, sondern 
durch eine zu verschiedener Zeit erfolgte Neubildung von Zähnen bei den 
einzelnen Arten unabhängig zu Stande gekommen sei, verdient keine wissen- 
schaftliche Berücksichtigung, denn eine solche Annahme erklärt die Ver- 
schiedenheit nicht und setzt die Wirksamkeit eines höchst unwahrscheinlichen 
Vorgangs — einer wiederholten Neubildung von Zähnen — voraus. 


43 


gewinnen, wenn wir im Stande sind, die Ursachen aufzufinden, durch 
welche eine Rückbildung von Zähnen in so verschiedener Weise ver- 
anlasst worden sein kann. Eine Ursache von grösster und allge- 
meinster Wirksamkeit erblicke ich in der verschiedenen Rolle, welche 
die Zähne nach ihrer verschiedenen Lage in der Mund- 
höhle bei der Nahrungsaufnahme übernehmen. Während auf 
günstiger gelegenen Knochen die Zähne, weil mehr gebraucht, eine 
höhere Ausbildung erlangen, werden sie auf minder günstig gelegenen 
in gleichem Maasse sich rückbilden, wie ihre Leistung gegen die 
höhere Leistung jener zurücktritt. Hieraus erklärt sich die Er- 
scheinung, dass die am Mundrand gelegenen Kieferknochen fast aus- 
nahmslos bezahnt sind, während die übrigen Knochen in dieser Be- 
ziehung weit mehr variiren. In den meisten Fällen, wo Kieferzähne 
rudimentär geworden sind, lässt sich die Rückbildung auf com- 
pensirende Einrichtungen, auf die Ausbildung neuer Organe, 
wie Hornzähne und Hornkiefer, zurückführen, wie dies z. B. 
bei Siren lacertina und bei den Larven der Batrachier deutlich wahr- 
zunehmen ist. Auch die Verschiedenheit des Nahrungs- 
erwerbes wird für die Art der Bezahnung nicht ohne Einfluss 
gewesen sein, insofern hierdurch bald dieser, bald jener Theil der 
Zahnknochen zur Ergreifung und Verarbeitung von Nahrung mehr 
in Funktion gesetzt worden ist. Eine weitere Ursache erblicke ich 
endlich noch in dem Umstand, dass ursprünglich zahntragende Skelet- 
stücke eine Lageveränderung erlitten und indem sie zu andern 
Theilen des Skelets in Beziehung getreten sind, neue Funktionen 
unter Verlust der alten übernommen haben. Dies mag z. B. bei 
dem Flügelbein der Fall gewesen sein. Wenn man wird einräumen 
müssen, dass die angeführten Ursachen wirklich vorhanden und die 
ihnen zugedachte Wirkung auszuüben im Stande sind, so wird der 
Umstand, dass es nicht einmalig, sondern constant zu allen Zeiten 
einwirkende Ursachen sind, noch mehr zu Gunsten der gegebenen 
Erklärung sprechen. Denn nur in langen Zeiträumen kann aus 
Gleichartigem so Ungleichartiges entstehen, wie wir es in der Zahn- 
bewaffnung der Mundhöhle bei den Amphibien und in weiterer 
Reihe bei den Wirbelthieren überhaupt vor uns sehen. 

Der hier angeregte Ideengang hat uns zugleich auch zur Be- 
antwortung des dritten Punktes geführt, welcher die Ver- 
schiedenheit in der Anordnung und Stellung der Zähne 
auf homologen Knochen bei verschiedenen Species in’s Auge 


44 


fasst. Die vielzeilige Stellung der Zähne verhält sich zur einzeiligen 
als der indifferente zum mehr differenzirten Zustand und muss daher 
die letztere aus ersterer abgeleitet werden. Auch hier ist das die 
Veränderung bedingende Moment die höhere Ausbildung des Einzel- 
zahns. Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus den Zahnbesatz 
der Knochen von Siren lacertina, Siredon, Tritonen und Fröschen 
betrachten, so erblicken wir bei den genannten Thieren eine Ent- 
wickelungsreibe vor uns, in welcher die vielreihigen Gaumenplatten 
von Siren die niedrigste Entwicklungsstufe vorstellen. Zwischen 
sie und die einreihige Stellung der Zähne vom Frosch und Triton 
tritt als Uebergangsstufe die zweizeilige Stellung der Zähne auf den 
Gaumenknochen und dem Öperculare des Unterkiefers von Siredon. 
Auf die mitgetheilten Beobachtungen und diean sie angeknüpften 
Reflexionen gestützt, haben wir die Mittel an der Hand, uns die 
Bezahnung einer muthmaasslichen Stammform zu recon- 
struiren, von der als divergente Sprösslinge die verschiedenen Am- 
phibienarten sich ableiten lassen. Bei dieser werden die Zwischen- 
und Oberkiefer und das Dentale mehrere Zahnreihen getragen 
haben, das Vomer, Palatinum, Parasphenoid und Oper- 
culare aber über und über mit kleinen Zahnspitzchen bedeckt ge- 
wesen sein, wie dies bei manchen Arten (Siren, Plethodon) zum Theil 
noch jetzt der Fall ist. Von allen Deckknochen der Mundhöhle 
würde das Pterygoid eine Ausnahmestellung einnehmen, indem 
auf ihm allein bei den Amphibien keine Zähne vorkommen. Zieht man 
aber in Betracht, dass bei vielen Fischen und Reptilien auch 
das Pterygoid bezahnt ist, so liegt die Berechtigung vor, auch ein 
gleiches Verhältniss für das Pterygoid der Amphibien vorauszusetzen 
und daran den Schluss zu knüpfen, dass ursprünglichalle Deck- 
knochen der Mundhöhle zahntragend gewesen sind!). 
Im ersten Theil dieser Arbeit, welcher über das Skelet der 
Mundhöhle handelt, wurde gezeigt, wie die verschiedene Anordnungs- 
weise der Knochen in verschiedenen Familien von einem Grund- 
schema sich ableiten lässt, und wurde hieraus auf die ursprüngliche 
Beschaffenheit des Skelets einer früheren Stammform geschlossen. 
Verknüpft man hiermit das über die Vertheilung der Zähne 


1) Das Angulare des Unterkiefers ist hiervon auszunehmen. Dieses ist, 
wie später gezeigt werden soll, ursprünglich kein Knochen der Schleimhaut, 
sondern des äusseren Integumentes. 


a 


- 


45 


Gesagte, so vervollständigt sich das hier entworfene Bild von der 
ursprünglichen Bezahnung‘, indem wir nun auch über die Lage der 
Zähne Aufschluss erhalten. Wie ursprünglich |zwei Knochenbogen, 
ein äusserer bestehend aus Maxillare und Intermaxillare und ein 
innerer aus Vomer, Palatinum und Pterygoid gebildet, der Grund- 
fläche des Primordialcranium aufliegen und seine Mitte ein un- 
paarer Knochen, das Parasphenoid, einnimmt, so umgürten dem- 
entsprechendauch2Zahnstreifen ursprünglichinbogen- 
förmiger Anordnung einer hinter dem andern liegend 
den Eingang zur Mundhöhle, ein schmalerer Streifen 
von Kieferzähnen und ein breiterer Streifen von Gau- 
menzähnen. Dem oberen Bogen entsprechen am Unter- 
kiefer gleichfalls 2 Zahnstreifen, ein äusserer, wel- 
cher dem Dentale und ein innerer, welcher dem Oper- 
culare aufsitzt. 


2. Die Untersuchung des Einzelzahnes nach seiner 
äusseren Form, nach seiner Befestigung und nach 
seiner histologischen Zusammensetzung. 


Nach dieser Darstellung der Bezahnungsverhältnisse der Am- 
phibien im Allgemeinen, — der Verbreitung und Anordnung der 
Zähne auf den einzelnen Knochen der Mundhöhle, — wende ich mich 
zur Untersuchung des Einzelzahnes. Hierbei haben wir in 
Betracht zu ziehen: 1) seine Grösse und äussere Form; 
2) seine Befestigung auf demKnochen und in der Mund- 
schleimhaut, sowie 3) seine histologische Zusammen- 
setzung. 


a. Grösse und Form der Zähne. 


Wie schon Owen, Leydig und Sirena bemerken, zeigen 
die Zähne der Amphibien nach ihrer Lage geringe Verschiedenheiten 
in ihrer Grösse. So stehen nicht nur gewöhnlich die Gaumen- 
zähne hinter den Kieferzähnen an Grösse zurück, was besonders 
deutlich bei Salamandern und Tritonen hervortritt, sondern auch 
zwischen den in einer Reihe stehenden Zähnen finden wieder geringe 
Grössendifferenzen der Art statt, dass z. B. an den Kiefern die Zähne 
in der Mitte am grössten sind und von da nach den Gelenkenden 
hin allmählich kleiner werden. Diese Verschiedenheit in der Grösse 
werden wir aus Anpassung und zwar aus ähnlichen Ursachen, wie 


46 


schon früher die ungleiche Vertheilung der Zähne zu erklären haben. 
Da die günstiger gelegenen Kieferzähne häufiger und in nützlicherer 
Weise als die Gaumenzähne beim Nahrungserwerbe in Anwendung 
kommen, so werden sich dieselben auch stärker entwickeln müssen, 
Denn ein vermehrter Gebrauch, mit welchem eine raschere Ab- 
nutzung und eine lebhaftere Neubildung zusammenhängt, wird im 
Stande sein, eine Vergrösserung des Zahnes hervorzurufen, eine 
Wirkung, die durch eine Reihe ähnlicher Thatsachen wie das stärkere 
Muskel- und Drüsenwachsthum bei vermehrtem Gebrauch, genügend 
festgestellt ist. Bei einem grossen Theil der Amphibien vollzieht 
sich so gewissermaassen unter unseren Augen noch jetzt ein Process, 
der bei einem anderen Theil schon abgeschlossen ist und dessen 
Endziel in der höheren Ausbildung der Kieferzähneund 
in der Rückbildung der weniger funktionirenden Zähne 
der übrigen Knochen besteht. Die ungleiche Grösse der 
Zähne auf den verschiedenen Knochen der noch heute lebenden 
Amphibien kann daher mit als Beweis für die Richtigkeit der Er- 
klärung dienen, welche früher für die verschiedene Vertheilung der 
Zähne gegeben worden ist. 

In der äussern Form sind die Zähne der Amphibien sowohl 
in den verschiedenen Gegenden der Mundhöhle als auch in den ver- 
schiedenen Familien und Species in einem auffallenden Maasse über- 
einstimmend beschaffen, und äussert sich dies sogar in anscheinend 
geringfügigen Eigenthümlichkeiten. Es verdient dieser Umstand um 
so mehr hervorgehoben zu werden, als man gerade in der Form der 
Zähne bei den Selachiern, Teleostiern und Säugethieren die grösste 
Mannigfaltigkeit und Variabilität beobachtet. Es zeigt dies un- 
zweideutig, dass die Existenzbedingungen, namentlich die Art des 
Nahrungserwerbes, in der Classe der Amphibien immer sehr gleich- 
artige gewesen sein müssen. 

Wenn man mit einer Praeparirnadel einen einzelnen Zahn 
von seiner Verbindung mit dem Knochen absprengt, so kann man 
durch Lageveränderung desselben sich leicht ein Bild seiner ge- 
sammten Oberfläche verschaffen. Bei allen Amphibien bildet der 
Zahn einen schlanken Kegel. Derselbe ist entweder gerade ge- 
streckt, wie bei den Zähnen des Vomer, Palatinum und Öper- 
culare von Siredon pisciformis (Taf. III. Fig.8), oder er ist mit 
seinem obern Theile nach der Tiefe der Mundhöhle zu nach rück- 
wärts gebogen, wie bei den Zähnen der Salamandrinen und Batrachier 


ar a a en 


en 


47 


und den Kieferzähnen von Siredon (Taf. IH. Fig. 1—3). Die Ober- 
fläche des Kegels ist nicht vollkommen glatt, sondern nach seiner 
Basis zu mit sehr feinen Längs-Riefen bedeckt, welche man am besten 
auf Horizontalschnitten, sowie auf Vertikalschnitten, welche ein Stück 
der Zahnoberfläche abgehoben haben, erkennt. Auch bei Reptilien 
habe ich diese feine Längsriefung der Zahnoberfläche vorgefunden. 
Die Wand des bis zur Spitze hohlen Kegels ist überall gleichmässig 
diek. Die innere Oberfläche ist gleichfalls nicht glatt, sondern wie 
schon Leydig anführt, von oben bis unten höckrig, was bedingt 
wird »durch verschieden grosse, warzig vorspringende Kugeln« 
(Taf. III. Fig. 1—3 k.). 

An dem Zahnkegel kann man bei den Salamandrinen und Batra- 
chiern einen oberen und einen unteren Theil unterscheiden, welche 
Leydig als Zahnkrone und Zahnsockel benannt hat. An ge- 
trockneten oder an mit Natronlauge behandelten Zähnen sind beide 
durch eine ringförmige Furche ungefähr in der Mitte des 
Kegels von einander abgegrenzt, wie dies Taf. II. Fig. 15 i, sowie 
Leydigs Fig. 19 u. 22 in seiner oben eitirten Arbeit zeigen. Die 
aneinanderstossenden Ränder der Krone und des Sockels sind wie 
die innere Fläche des Kegels mit warzigen Vorsprüngen bedeckt. 
Da sich hier beide leicht von einander trennen, so findet man an 
macerirten Kiefern und Gaumenknochen in grosser Anzahl leere 
Sockel über die Knochenoberfläche hervorragen. Es erinnert dies 
an Befunde fossiler Knochen, auf welchen gleichfalls sehr häufig 
nur noch die Zahnsockel erhalten sind. Von der geschilderten ring- 
förmigen Einschnürung nimmt man an einem nicht getrockneten 
Zahne nichts wahr, indem sich die den Zahn überziehende und später 
näher zu betrachtende Cuticula von der Krone auf den Sockel con- 
tinuirlich fortsetzt. Anstatt dessen aber bemerkt man, dass in der 
Mitte des Zahnes eine ringförmige Partie der Wand unverkalkt ist 
und dass gegen sie die erwähnten Kalkkugeln vorspringen (Taf. II. 
Fig.1u.35). Durch Einschrumpfung dieses Gewebes entsteht bei ge- 
trockneten Zähnen einzig und allein die Furche zwischen Krone und 
Sockel. Die unverkalkten Partieen erreichen bei dem einen Zahn eine 
grössere, bei dem andern eine geringere Ausdehnung und trifft man 
namentlich an der inneren Zahnwand stets die grösseren Defekte an. 
Es zeigt sich hierin ein verschiedenes Verhalten nach dem Alter 
des Zahnes, indem je älter die Zähne werden, um so mehr die beiden 
Verkalkungsgrenzen aneinanderrücken. Krone und Sockel können 


48 


in der Weise vollkommen miteinander verschmelzen. Bei entkalkten 
Zähnen ist die Grenze zwischen Krone und Sockel noch undeutlicher 
geworden. So findet man auf einem Längsschnitt durch den Zahn 
eines Frosches an der betreffenden Stelle an der Oberfläche der 
Wand nur eine etwas dunklere weil mehr fasrige Partie vor, welche 
sich in Carmin stärker färbt (Taf. III. Fig. 4 u. Taf. II. Fig. 17 h). 
Die hier beschriebene Struktur schildert Sirena als dunkle De- 
markationslinie, welche den +igentlichen Zahn vom Fortsatz des 
Kiefers (Zahnsockel) scheidet!). Bei Salamandra maculata und 
Triton gehen an der innern Zabnwand Krone und Sockel ohne 
Grenze ineinander über, an-der äussern Wand dagegen ist in einiger 
Entfernung von ihrer Verbindung mit dem Kiefer die Continuität 
der Grundsubstanz auf dem Längsschnitt durch einen schmalen 
Spalt unterbrochen, der von aussen bis zur Mitte der Wand vor- 
dringt. Das Bild eines Spaltes entsteht, weil die Grundsubstanz hier 
ihre homogene Beschaffenheit eingebüsst hat (Taf. III. Fig.9h). An 
den Zähnen von Siredon pisciformis ist eine Trennung in Zahn- 
krone und Sockel, wie beim Frosch und den Salamandrinen, über- 
haupt nicht wahrzunehmen, da die gesammte Wand des Kegels 
eleichmässig verkalkt ist (Taf. III. Fig. 2, 6,8). Wenn trotzdem 
auch hier weiterhin ein oberer und ein unterer Theil am Zahne 
unterschieden und als Krone und Sockel bezeichnet wird, so geschieht 
dies, weil histologische Verschiedenheiten, wie später nachzuweisen 
ist, eine solche Trennung rechtfertigen und nothwendig erscheinen 
lassen. 

Die Spitze der Zahnkrone ist bei den verschiedenen Arten 
der Amphibien und zuweilen auch nach der Lage des Zahnes etwas 
verschieden beschaffen. Das einfachere Verhalten zeigen die gerad- 
gestreckten Zahnkegel auf dem Vomer, Palatinum und Öperculare 
bei Siredon pisciformis, indem sie sich allmählich in eine feine scharfe 
Spitze verjüngen (Taf. Ill. Fig. 8); bei allen unseren Salamandrinen 
und Batrachiern dagegen läuft die Zahnkrone, wie Leydig?)gegen 
Owen richtig hervorhebt und in seinen Abbildungen darstellt, nicht 
in eine einfache Spitze, sondern in zwei Spitzen aus (Taf. II. 


— 


1) Ich werde späterhin noch auf diese, die Zahngrenze anders auf- 
fassende Ansicht zu sprechen kommen, 
2) Leydig, 1. c. 166. 


49 


Fig. 1—3. Fig. 6. Fig. 9 ete.). Am besten bekommt man sie bei seit- 
licher Betrachtung des Objectes zu sehen. Die längere, der Mund- 
höhle zugekrümmte Spitze bildet die directe Fortsetzung des Kegels. 
Ihr sitzt an der Aussenseite ihrer Basis die zweite kleinere Spitze 
wie ein Höcker auf. Da sie tiefer als die erst beschriebene liegt und 
wegen ihrer geringeren Grösse bei der Betrachtung des Zahnes von 
innen vollkommen verdeckt wird, kann man leicht verleitet werden, 
die Zähne der Tritonen für einspitzig zu halten und erklärt sich so 
der Irrthum Owen’s, wenn er nur von scharf zugespitzten Kegeln 
spricht. Selbst bei Betrachtung des Zahnes von aussen ist einige 
Aufmerksamkeit nöthig, um die kleinere Spitze in ihrer Lage vor 
der Aussenseite der grösseren zu erkennen. Während bei den Tri- 
tonen die Endzinken des Zahnes gleichmässig scharf zugespitzt sind, 
sind dieselben beim Frosch von vorne nach hinten zusammen- 
gedrückt und laufen nach dem freien Ende in eine bogenförmig ge- 
krümmte Schneide aus. Von aussen betrachtet zeigt eine Endzinke 
die Gestalt eines Fingernagels oder einer Schaufel. (Taf. II. Fig. 16). 
Eine zweizinkige Krone besitzen auch noch die Kieferzähne von 
Siredon pisciformis, während die Gaumenzähne, wie wir oben ge- 
sehen haben, in eine einfache Spitze enden. 

Von den hier beschriebenen Zahnformen ist der geradgestreckte 
und einfach scharf zugespitzte Kegel gewiss die ältere, einmal weil 
es die einfachere Form ist und zweitens, weil die Gaumenzähne von 
Siredon diese Beschaffenheit zeigen, welche auch in ihrer Anordnung 
(in der zweireihigen Stellung) ursprünglichere Verhältnisse bewahrt 
haben. Ihr gegenüber erscheinen die nach einwärts gekrümmten 
und mit zwei Endzinken versehenen Zahnkegel als die weiter ab- 
geänderten und angepassten Formen. 


b) Befestigung der Zähne auf den Knochen. Lage der Zähne in der 
Mundschleimhaut. 


Wie bereits erwähnt, sind die Zähne der Amphibien mit den sie 
tragenden Knochen in fester Verbindung. Die Art dieser Verbindung 
ist je nach der vielreihigen oder einreihigen Stellung der 
Zähne eine verschiedene. 

Da mir zur histologischen Untersuchung weder die interes- 
santen Gaumenplatten von Siren lacertina noch das reich bezahnte 
Parasphenoid von Plethodon glutinosus zu Gebote standen, so 
muss ich mich bei der Beschreibung der Befestigung der mehr- 

Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 11, Supplementhett. 4 


50 


reihigstehenden Zähne auf die Untersuchung von Vomer, Palati- 
num und Operculare von Axolotl beschränken. Wenn man diese dünnen 
und platt dem Primordialeranium auflagernden Knochen von mace- 
rirten Schädeln ablöst (Taf. III. Fig. 8), so findet man auf ihrer sonst 
glatten Oberfläche an den Stelien, wo die Zahnreihen stehen, einen 
Streifen poröser Knochenmasse aufgelagert, welche sowohl die Basis 
der Zähne untereinander als auch mit dem Skeletknochen verbindet. 
Diese letztere Verbindung ist aber oft nur eine sehr lockere, indem 
stellenweise der Streifen vollkommen isolirt im Schleimhautgewebe 
liegt und nur durch wenige vereinzelte dünne Knochenbälkchen, 
welche die verschmolzenen Zahnkegel gleichsam wie Pfeiler ein Ge- 
wölbe tragen, mit dem Vomer oder Palatinum zusammenhängt. 
Daher kann man auch den Knochenstreifen mit den Zähnen leicht 
von seiner Unterlage mit der Praeparirnadel absprengen. Seine 
Oberfläche ist wie ausgenagt, zackig und zerklüftet. Es zeigen sich 
auf ihr zahlreiche Oeffnungen, durch welche die Zahnpulpa mit dem 
umgebenden Gewebe zusammenhängt. Durchschnitte durch einen 
Gaumenknochen ergeben daher selbstverständlich sehr verschieden- 
artige Bilder und rufen viele derselben den Eindruck hervor, als ob 
auf dem Vomer oder Palatinum noch ein zweiter schmaler, die Zähne 
tragender Knochenstreifen läge (Taf. II. Fig. 12. jTaf. II. Fig. 13). 
Diese Art der Befestigung der Zähne auf den Skeletknochen ver- 
mittelst einer Knochenmasse, welche die Basen der Zahnkegel unter- 
einander verkittet, scheint sich bei Fischen häufiger vorzufinden. So 
beschreibt Heinecke von den Zähnen des Hechtes, dass sie nicht 
unmittelbar auf den Skeletstücken, sondern auf besonders hervor- 
ragenden Theilen von Hautknochen befestigt seien. Dieselben 
besitzen einen spongiösen Bau und stehen entweder in gar keiner 
Verbindung mit den Skeletknochen oder sind in eine flache Ver- 
tiefung desselben eingesenkt fest mit ihm verwachsen. Ferner 
beschreibt er auch auf dem Visceralapparat vieler Fische Haut- 
knochenmassen, welche dicht mit Zähnchen besetzt sind und 
mit dem Skeletknochen innig verschmolzen sein können. 

Ueber die Befestigungsweise der in einer Reihe 
stehenden Zähne lauten die Angaben einzelner Untersucher ver- 
schieden, was hauptsächlich daher rührt, dass sie untereinander 
nicht einig sind, wo man die Grenze zwischen Zahn und Knochen 


1) Heinecke. 1. ce. S. 544. 


51 


zu ziehen habe. Sorechnet Owen den Sockel (So.) zum Zahn und 
lässt die Zähne der Frösche gleich denen der Eidechsen auf der 
schräg geneigten inneren Oberfläche eines »einer Brustlehne ähn- 
lichen Knochenfortsatzes« befestigt sein, (to an external parapet of 
bone). Sirena und Heinecke dagegen sehen im Sockel nur 
einen Theil des Skeletknochens und lassen demnach die Zähne auf 
cylindrischen Knochenfortsätzen des Kiefers aufsitzen. Es folgt 
hieraus, dass die Frage nach der Befestigungsweise der Zähne innig 
mit der Frage zusammenhängt, ob der Sockel (So.) ein Theil des 
Knochens oder ein Theil des Zahnes ist. Am sichersten wird diese 
Frage durch ein Studium des Zahnwechsels und der Zahnentwicklung 
entschieden, da Alles, was beim Zahnwechsel mit abgestossen und 
darnach wieder neugebildet wird, naturgemäss zum Zahn gerechnet 
werden muss. Da in einem späteren Abschnitt diese Vorgänge eine 
eingehendere Berücksichtigung finden werden, so sei hier nur die 
Thatsache angeführt, dass nicht nur die Zahnkrone, sondern auch 
der Sockel in bestimmten Zeitabschnitten zerstört wird. Da dem- 
nach der Sockel ein Theil des Zahnes ist, so haben wir jetzt die 
Verbindung desselben mit dem Knochen näher zu untersuchen. 

Beim Unter- und Oberkiefer, welche zunächst unser Betrachtungs- 
object bilden sollen, tritt die von Owen schon erwähnte Knochen- 
leiste, welche die Zahnreihe an ihrer inneren Seite trägt und welche 
als Processus dentalis beschrieben worden ist, an Stellen, wo ein 
Zahn fehlt, nackt zu Tage. Dieselbe gewährt auf dem Durchschnitt 
das Bild eines Keils (Taf. III. Fig. 17). Der Keil läuft nach dem 
Rand der Mundöffnung in eine ziemlich scharfe Kante aus (Taf. III. 
Fig. 4,9, F). Seine innere Oberfläche fällt schräg von aussen nach innen 
ab. Aufihr sind die Zähne einer dicht neben dem andern mit ihren 
Sockeln festgewachsen (Taf. II. Fig.4, 11. Taf. III. Fig. 4, 6, 9, 13). 
Die kürzere äussere Wand des Sockels erhebt sich unmittelbar von 
der oberen scharfen Kante des Processus dentalis oder wenig einwärts 
von derselben, die bedeutend längere Innenwand steigt dagegen fast 
bis zur Basis desselben herab. In ihr befindet sich eine grosse 
Oeffnung (m) zum Durchtritt der Pulpa. 

Die Grenze zwischen Knochen und Sockel lässt sich an ihrer 
Verwachsungsstelle auch beim festsitzenden Zahn bei näherer Unter- 
suchung recht gut nachweisen. ' So nimmt man auf Sagittalschnitten 
mehr oder minder deutlich eine ausgezackte Linie (b) wahr, welche 
von der Kante des Processus dentalis bis zu seiner Basis zu der 


52 


Stelle herabläuft, wo die Innenwand des Sockels sich erhebt. Wie 
sie einerseits die Basis der Sockelwände vom übrigen Knochen 
scheidet, so trennt sie auch noch von der schräg abfallenden Wand 
des Processus dentalis eine dünne Lamelle ab, welche zum Zahn 
gerechnet werden muss und welche den schräg geneigten Boden der 
Pulpahöhle bildet. Wie die Untersuchung der Zahnresorption lehrt, 
entspricht diese Linie genau der Verwachsungsgrenze 
von Knochen und Zahn; daher werde ich sie fortan Naht- 
linie nennen, um einen Ausdruck Heinecke’s!) zu gebrauchen, 
welcher ähnliche Linien an Fischzähnen, die mit dem Knochen fest 
verwachsen waren, beobachtet und gleichfalls als Naht aufgefasst 
hat. — Meistentheils bemerkt man indessen nicht eine Linie, 
sondern man sieht ihr parallel noch eine zweite und dritte ver- 
laufen ungefähr in einer Entfernung, welche die Dicke der vom 
Kieferfortsatz abgetrennten und den Boden der Pulpahöhle bildenden 
Lamelle ausmacht. Ich deute sie als die Nahtlinien ausge- 
fallener Zähne, von deren Sockel geringe Reste nicht mit resor- 
birt worden sind und so zur Vergrösserung des Processus dentalis 
beigetragen haben. — Den Sagittalschnitten entsprechende Bilder 
liefern Horizontalschnitte (Taf. II. Fig. 14 u.18.b). Namentlich an 
einem in Chromsäure entkalkten Unterkiefer von Salamandra macu- 
lata (Taf. II. Fig. 18. b) treten sehr deutlich die Nahtlinien hervor 
und verleihen dem Durchschnitt ein sehr eigenthümliches Aussehen, 
indem sie fast den Eindruck von Rissen und Sprüngen erwecken, 
durch welche dünne Blätter der Knochensubstanz abgelöst werden. 

Da die Zahnsockel sehr dicht unmittelbar neben einander in 
der Zahnreihe stehen, so sind sie nicht nur mit dem Skeletknochen, 
sondern auch unter einander mit der unteren Hälfte ihrer 
Seitenwände verschmolzen, so dass nur der obere Theil des 
Sockels allseitig frei über die Kante des Processus dentalis her- 
vorragt (Taf. II. Fig. 15). Auf Frontal- und Horizontalschnitten 
(Taf. II. Fig. 14, 17,18) durch die Zahnreihen findet man daher die 
Pulpahöhlen benachbarter Sockel nach deren Basis zu durch ein- 
fache Knochenlamellen geschieden. Dieselben sind von einzelnen 
Kanälen durchbrochen, durch welche die Pulpahöhlen unter einander 
in Verbindung stehen und Blutgefässe austauschen. — Wenn man 
die ganze Zahnreihe vollkommen unversehrt von dem Skeletknochen 


1) Heinecke I. c. S. 519. 


a RETTET ee a 


53 


ablösen könnte, so würde man eine zusammenhängende Zahnmasse 
erhalten, die den Knochenstreifen oder sogenannten Hautknochen 
ähnlich ist, welche sich vom Vomer und Palatinum des Axolotl so 
leicht absprengen lassen. 

Wie die Kieferzähne, so sind im Wesentlichen auch die 
Gaumenzähne der Salamandrinen und Batrachier auf den sie 
tragenden Skeletstücken befestigt (Taf. II. Fig. 1,2,5,6). Auf der 
Oberfläche derselben erhebt sich, entsprechend dem Verlauf der 
Zahnreihe, eine niedrige Knochenleiste (F.), deren innere Seite 
nach einwärts allmählich schräg abfällt. Wie bei den Kieferknochen, 
bezeichne ich sie als Processus dentalis. Der veränderten Oertlich- 
keit entsprechend ist sie freilich von geringer Höhe, bedingt aber 
dennoch mit ihrem Zahnbesatz eine wallartige Hervorwölbung der 
Schleimhaut nach der Mundhöhle zu. Auf ihrer Innenfläche sitzen 
die an der Basis schräg abgestutzten Zahnsockel fest und sind, da 
sie dicht neben einander stehen, mit ihren Seitenwänden unter 
einander verschmolzen. In hohem Grade ist dies bei den Vomer- 
zähnen der Frösche der Fall, welche an macerirten Schädeln das 
Bild einer am oberen Rande ausgezackten Knochenwand liefern. 
Auch hier deuten wieder Nahtlinien (b) die Verwachsungsstellen von 
Zahn und Knochen an. 

Die Befestigung der Zähne an einem Processus dentalis scheint bei 
den Gaumenknochen nicht mit derselben Constanz wie bei den Kiefer- 
knochen zu erfolgen, worauf ein Befund vom Vomer eines Frosches 
hinweist (Taf. II. Fig. 6). Auf einer Reihe von Durchschnitten 
fand ich auf der Vomeroberfläche dicht hinter einander zwei Knochen- 
leisten vor, von denen nur die hintere (0) Zähne trug, die vordere (F) 
unbezahnt war. Das Bild lässt sich wohl nicht anders erklären, als 
dass der ursprünglich vorhandene Processus dentalis eine Strecke 
weit ausser Function getreten ist, indem schon hinter ihm der nach- 
wachsende Zahn sich mit dem Knochen in Verbindung gesetzt hat. 
Indem diese neue Befestigungsstelle auch von den folgenden Ersatz- 
zähnen beim jedesmaligen Zahnwechsel eingenommen wurde, entstand 
hier eine zweite Knochenleiste, ein neuer Processus dentalis. 

Der hier mitgetheilte Fall von einer Art Bildungsanomalie ist 
noch in anderer Hinsicht interessant, insofern er uns deutlich zeigt, 
wie der Processus dentalis einedurch diereihenförmige 
Anordnung der Zähne bedingte und an sie angepasste 
Veränderung der Knochenoberfläche ist, Darauf weist auch schon 


54 


der Umstand hin, dass alle eine Zahnreihe tragenden Knochen auf 
ihrer Oberfläche eine Leiste zur Befestigung der Zähne besitzen, 
während alle unbezahnten Knochen wie z. B. das Dentale und Pala- 
tinum des Frosches derselben entbehren. 

Noch einige weitere Betrachtungen über die Bildung des Pro- 
cessus dentalis lassen sich hieran anknüpfen. Ich erwähnte schon 
früher, dass beim Zahnwechsel die Sockelsubstanz nicht vollkommen 
resorbirt wird, sondern dass lamellenartige Theile derselben mit dem 
Skeletknochen verbunden zurückbleiben und zur Vergrösserung der 
Knochenleiste beitragen. Aus dem Vorkommen mehrfach hinter 
einander liegender Nahtlinien musste hierauf geschlossen werden. 

Bei einer Berücksichtigung dieses Umstandes liegt es nahe, die 
Entstehung desProcessus dentalisüberhaupt ganz auf 
eine Verschmelzung und Ansammlung nicht resor- 
birter Zahntheile zurückzuführen. Dass dies in der That 
der Fall ist, wird sich uns sofort zeigen, so wie wir den Vorgang in 
seiner phylogenetischen Entwicklung zu verfolgen suchen. Hierbei 
müssen wir von der vielreihigen als der ursprünglichen Anordnung 
der Zähneausgehen. Hier ist’ eine Knochenplatte — als Beispiel 
diene Siren — mit Zahnkegeln, die an ihrer Basis verschmolzen 
sind, bedeckt und in ihrer Masse gleichmässig verdickt. Einen 
Uebergang bildet Vomer und Palatinum von Siredon, deren Bezahnung 
schon eine Reduktion erfahren hat: und deren Oberfläche nur durch 
einen Knochenstreifen verdickt ist, gebildet durch die unter einander 
verschmolzenen alternirend stehenden Zähne (Taf. III. Fig, 8). Man 
würde diesen Knochenstreifen als Processus dentalis bezeichnen, 
wenn seine Verbindung mit der Knochentafel eine festere und über- 
haupt seine äussere Beschaffenheit eine weniger variable wäre. Dies 
hängt aber mit der alternirenden Stellung der Zähne und mit dem 
Umstand zusammen, dass der Ersatzzahn nicht immer genau die 
Stelle seines Vorgängers einnimmt. Treten diese Veränderungen 
ein, ist die einreihige Stellung und mit ihr auch der Befestigungsort 
jedes neuen Ersatzzahnes ein constanter geworden, so wird der 
Zahnreihe entsprechend eine Verdickung der Knochenoberfläche in 
regelmässiger Weise erfolgen, durch die Ansammlung nicht 
resorbirter Zahntheile wird eine Leiste entstehen. 

Wie wir in der Weise im Stande sind, den Processus dentalis 
auf die Zähne, gleichsam auf seine Urheber, zurückzuführen, so lässt 
sich auf der andern Seite auch wieder nicht verkennen, dass die 


55 


äussere Form der Zähne in vieler Beziehung von der Beschaffenheit 
des Processus dentalis und ihrer Befestigung auf demselben beein- 
flusst wird. Denn während bei Axolotl die Basis der Gaumenzähne 
horizontal verläuft, ist die Basis des Sockels bei den Salamandrinen 
und Batrachiern schräg abgestutzt, die äussere Sockelwand wird 
dadurch viel niedriger als die innere und zwar in einem höhern 
Grade bei den Kiefer- als bei den Gaumenzähnen entsprechend der 
grösseren Höhe und der steiler abfallenden Innenfläche des Processus 
dentalis der Kieferknochen. Während ferner bei Axolotl die Zahn- 
kegel gerad gestreckt sind, sind sie hier mehr nach innen gekrümmt; 
während dort die Pulpahöhle direct nach unten und durch zahl- 
reiche kleinere Kanäle nach den Seiten sich öffnet, ist hier an der 
Innenwand eine grössere Oeffnung zum Durchtritt der Gefässe ent- 
standen. Eine Abhängigkeit dieser veränderten Formverhältnisse 
von der veränderten Befestigung ist nicht zu verkennen. 

Nachdem wir in den vorhergehenden Zeilen die verschiedene 
Befestigung der Zähne auf den Skeletknochen, die Entstehung eines 
Processus dentalis ‘aus nicht resorbirten Zahntheilen und endlich 
den Einfluss desselben auf die Form der Zähne kennen gelernt 
haben, bleibt uns noch dasLagerungsverhältniss der Zähne 
zur umgebenden Mundschleimhaut zu betrachten übrig. 

Wie bekannt, sind die kleinen Zähnchen der Amphibien der 
Art in der Mundschleimhaut versteckt, dass man bei Betrachtung 
eines unversehrten Amphibienkopfes nur ihre äussersten Spitzchen 
aus dem Epithel hervorragen sehen kann. Bei sehr kleinen Zähnen 
ist es daher oft leichter mit der Hand durch das Gefühl als mit 
den Augen von ihrer Anwesenheit sich zu überzeugen. Auf dieses 
Vergrabensein der Amphibienzähne in der Mundschleimhaut haben 
schon Leydig, Sirena und Heinecke die Aufmerksamkeit ge- 
lenkt, die nähere Beziehung der Zähne zum bindegewebigen und 
epithelialen Theil der Schleimhaut jedoch nicht genauer angegeben. 
In dieselbe kann man sich sowohl durch Isolation von Zähnen als 
auch durch Anfertigung von Schnitten einen Einblick verschaffen. 
Wenn man von erhärteten Kieferstücken Zähne absprengt, so findet 
man dieselben zum grössten Theile von Epithelhülsen (H) ein- 
gescheidet. Dieselben bestehen aus zwei bis drei Lagen stark ab- 
geplatteter Epithelzellen und lassen sich leicht mit der Nadel von 
der Oberfläche im Zusammenhang abstreifen. Wie nach verschiedenen 
Richtungen vorgenommene Durchschnitte zeigen, reicht die Epithel- 


56 


hülle am weitesten auf der Innenseite des Zahnes herab, wo sie den 
grössten Theil der Sockeloberfläche bedeckt (Taf. II. Fig. 1 u. 2, 4, 
11, 12, 13. Taf. III. Fig. 4, 6,9H). An den Seitenwänden und an 
der Aussenwand des Sockels dringt sie, hier bis zur Verschmelzung 
der Zähne unter einander, dort bis zur Verwachsungsgrenze mit der 
Kante des Processus dentalis vor (Taf. II. Fig. 17). Inder Lagerung 
der Epithelscheiden zum bindegewebigen Theil der Mundschleimhautbe- 
stehen zwischen den Batrachiern und Salamandrinen Verschiedenheiten. 
Bei den Batrachiern wird die Innenwand der Epithelscheiden 
direct vom Epithel der Mundhöhle gebildet. Hat man dasselbe ab- 
gepinselt, so liegen die Zähne in Nischen des sich wallartig er- 
hebenden bindegewebigen Theils der Schleimhaut. Bei den Sala- 
mandrinen dagegen wird die innere Wand der Scheide bis zur 
Spitze des Zahnes noch von einer dicken Bindegewebslamelle be- 
deckt. Die Zähne liegen daher in einzelnen grubenartigen Fächern 
der Mundschleimhaut. Die Innenwand der Scheide ist nicht direct 
Mundhöhlenepithel wie beim Frosch, sondern eine in die Tiefe ge- 
wucherte Verlängerung desselben (vergleiche Taf. II. Fig. 3, 14 mit 18). 


c) Histologische Zusammensetzung der Zähne. 


Ueber die histologische Zusammensetzung der Zähne 
finden sich in der Literatur die widersprechendsten Angaben vor. 
Ob die Zähne der Amphibien aus Zahnbein allein, oder aus Zahn- 
bein und Schmelz, oder aus Zahnbein, Schmelz und Cement beste- 
hen, ob bei einem Theil der Amphibien vielleicht dieses, bei einem 
andern jenes der Fall sei, das sind Fragen, die zur Zeit nach den 
vorliegenden Untersuchungen sich nicht mit Bestimmtheit beant- 
worten lassen. 

Nach der Ansicht älterer Untersucher, wie Cuvier!), Me- 
ckel2), Dug&s®), Owen‘), sollen die Zähne der Amphibien gleich 
denen der übrigen Wirbelthiere aus zwei Substanzen zusammen- 
gesetzt sein, nämlich aus Zahnbein und Schmelz, welch letzteres 
einen dünnen Ueberzug über der Zahnkrone bilden und durchsich- 
tig, dicht und feinfaserig sein soll. Demgegenüber spricht sich 


1) Cuvier, Lecons d’anat. comp. T. III. S. 109. 
2) Meckel, System der vergl. Anat. T. IV. S. 18. 
3) Duges, l.c. S. 20 u. 158. 

4) Owen, l. c. S. 183 u. 185. 


57 


Leydig in seinem Lehrbuch ') dahin aus, dass Schmelz und Ce- 
ment, wie überhaupt den Zähnen der niederen Wirbelthiere, so auch 
denen der Amphibien fehle, und dass die Zähne der genannten 
Thiere einzig und allein aus verknöchertem Bindegewebe, d. h. aus 
Zahnbein oder Elfenbein bestünden. An einem anderen Orte?) er- 
klärt er das, was man Schmelz nennen könne, für die compactere, 
weil weniger von Kanälchen durchzogene Grenzschichte des Zahn- 
beins. Die Anschauung Leydig’s ist in der Wissenschaft eine 
Zeit lang, wie es scheint, die allgemein herrschende geworden, we- 
nigstens ist sie in die meisten Lehrbücher übergegangen. Man ver- 
gleiche hierüber den Artikel über Zähne in Milne Edward’s 
Lecons sur la physiologie et ’anatomie comparee de l’homme et des 
animaux, in welchen die Zähne nach ihrem Bau in Dents stegano- 
somes, Zähne mit Schmelz und häufig auch Gement, und in Dents gym- 
nosomes, Zähne ohne Schmelz und Cement, — zu letzteren sollen 
die Zähne der Amphibien gehören — eingetheilt werden. Ferner 
vergleiche man Gegenbaur’s Lehrbuch der vergleichenden Anatomie 
2. Aufl. -und Waldeyer’s Aufsatz über Bau und Entwicklung 
der Zähne in Stricker’s Handbuch der Lehre von den Ge- 
weben 3), wo noch besonders hervorgehoben wird, dass bei manchen 
'Thieren, denenOwen Schmelz vindicire, wie z. B. Rana, ein solcher 
nicht existire. 

In den zwei neuesten Arbeiten über Amphibienzähne von Santi 
Sirena®) und von Heinecke?°) wird auf die älteren Anschauungen 
von Cuvier und Owen zum Theil wieder zurückgegangen. Si- 
rena lässt bei einem Theil der Amphibien (Siredon pisciformis und 
Triton) die Zähne nur aus Dentin bestehen, dagegen bei einem 
andern Theil, wie z. B. beim Frosch, die Zahnkrone noch von einem 
dünnen Schmelzüberzug bedeckt sein, welcher beim Schleifen des 
Zahns leicht abspringen, nie Kanälchen enthalten und in Salzsäure 
sich auflösen soll. Bei der Frage nach der morphologischen Bedeu- 


1) Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. 
S. 302—303. 

2) Leydig, Die Molche der würtemb. Fauna. 1. c. S. 246. 

3) Stricker, 1. ce. S. 351. 

4) Sirena, l. c. $. 128 u. 129. Fälschlieher Weise giebt Sirena an, 
dass Owen den Zähnen der Amphibien den Schmelz abspreche, was hiermit 
berichtigt sei. 

5) Stricker, 1. c. S. 574. 


v8 


tung des Ueberzugs drückt sich Sirena mit einer gewissen Re- 
serve aus, indem er sagt: Er glaube die Substanz mit dem Email 
der höheren Thiere vergleichen zu dürfen, ohne eine volle Ueberein- 
stimmung behaupten zu wollen. Heinecke findet wie Sirena 
Schmelz auf den Zähnen bei Fröschen, ausserdem aber auch bei 
Tritonen. Er stützt sich hierbei hauptsächlich auf das Verhalten der 
Zahnsubstanzen gegen stärkere und schwächere Salzsäure, auf wel- 
ches er ausführlicher eingeht. 

Nach diesem kurzen Abriss des Entwicklungsganges, welchen 
unsere Kenntniss vom Bau der Amphibienzähne genommen hat, 
wende ich mich zur Darstellung meiner eigenen Untersuchungen. 

Der bei den Zähnen der Batrachier und Salamandrinen schon 
äusserlich wahrnehmbaren Trennung in einen oberen und in einen 
unteren Theil, in eine Zahnkrone und in einen Zahnsockel entspricht 
eine histologische Differenzirung. Dieselbe findet man bei mikrosko- 
pischer Untersuchung auch an den Zähnen von Siredon piseiformis 
vor, obwohl diese sich, wie bereits erwähnt, nach der Beschaffenheit 
ihrer Aussenfläche nicht in einen oberen und in einen unteren Theil 
zerlegen lassen. Um diese histologische Verschiedenheit der Zahn- 
spitze und der Zahnbasis bei Siredon pisciformis und ihre Ueber- 
einstimmung mit den gleichbeschaffenen Theilen der Triton- und 
Froschzähne auszudrücken, wollen wir auch hier erstere als Zahn- 
krone und letztere als Zahnsockel bezeichnen. 

Die Zahnkrone der Amphibienzähne besteht der 
Hauptmasse nach ausZahnbein. Die Zahnbeinröhrchen 
(Taf. II Fig. 10, Taf. III Fig. 1u.4) sind sehr fein und zahlreich; 
sie entspringen dicht nebeneinander von der Oberfläche der Pulpa- 
höhle und verlaufen in der homogenen Grundsubstanz bis zur Ober- 
fläche meist in paralleler Richtung. Nach der Peripherie zu theilen 
sie sich mehrfach in feine Zweige und hängen mit benachbarten 
Röhrchen durch sehr zahlreiche Nebenästchen zusammen, so dass 
ein dichtes Röhrennetz entsteht. In den oberflächlichen Schichten 
des Zahnbeins finden sich beim Frosch einige knochenkörper- 
artig gestaltete Räume (Taf. II Fig. 7n u. 9), welche mit den 
Dentinröhrchen in Verbindung stehen. Schon Owen gedenkt ihrer, 
indem er die Endästchen der Dentinröhren in einem reichen Saume 
von »kalkführenden Zellen« enden lässt. Ich traf sie immer nur ver- 
einzelt an. Die Körperchen entsprechen den als Interglobularräumen 
im Zahnbein der höheren Thiere beschriebenen Bildungen, welche 


59 


sich in gleicher Weise auch bei Selachiern und Teleostiern vielfach 
vorfinden. Wahrscheinlich verschmelzen in ihnen die Ausläufer der 
Odontoblasten untereinander und bilden so Protoplasmaanhäufungen, 
von denen dann weiter Fädchen in die Rinde ausstrahlen !). Die 
Innenfläche des Zahnbeins ist, wie Leydig und Heinecke schon 
angeben, nicht glatt, sondern mit vorspringenden Kugeln und 
Zäckchen bedeckt, welche besonders zahlreich an dem unteren 
Ende der Zahnkrone, wo dieselbe dem Sockel aufsitzt, vorgefunden 
werden. Schichtungstreifen, wie ich sie im Dentin der Selachier- 
zähne beobachtete, konnte ich bei den Zähnen der Amphibien nicht 
wahrnehmen. 

Die Oberfläche der Zahnkrone ist von einer dünnen Kruste 
einer das Licht stärker brechenden, sehr durchsichtigen Substanz 
bedeckt (Taf. II Fig. 7, 8, 10 ete. S. Taf. III Fig. 1—6, 9,18S). Beim 
Frosch ist dieselbe farblos, bei den Tritonen, Salamandern und Axolotl 
dagegen gelbbraun gefärbt. Sie bildet vorzugsweise die früher be- 
schriebenen Spitzen und Zinken der Zähne. Von der Spitze nach 
abwärts verdünnt sich die Kruste sehr rasch zu einer sehr dünnen 
Membran und ist bald nicht mehr wahrzunehmen. Zur Unter- 
suchung eigenen sich am besten die noch jungen mit dem Knochen 
noch nicht verwachsenen Reservezähnchen, die man an macerirten 
Schädeln leicht aus dem Gewebe abstreifen und bei den stärksten 
Vergrösserungen betrachten kann (Taf. II Fig. 7 u.8 Taf. III Fig. 
58). Hierbei findet man, dass die Kruste vom Zahnbein durch eine 
deutlich wahrnehmbare Linie getrennt ist. Der Einwirkung von 
Säuren gegenüber zeigt die Kruste ein vom Dentin abweichendes 
Verhalten, über welches Sirena?) und besonders Heinecke?°) 
genaue Angaben gemacht haben. Wenn man zu einem Zahn unter 
dem Mikroskop eine sehr verdünnte Salzsäurelösung oder eine 
mässig starke Essigsäure zusetzt, so verlieren Sockel und Zahnbein 
langsam ihren Kalkgehalt, die oben beschriebene Kruste aber leistet 
der Säure wenigstens sehr lange Widerstand. Da jetzt die Grenze 
zwischen Kruste und Zahnbein schärfer hervortritt, kann man deut- 
lich erkennen, dass erstere die Zahnkrone bis zur Mitte überzieht. 


1) Ueber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen und Zähne der 
Selachier 1. c. S. 372. 

2 SIrema, I ES, 

3) Heinecke, I. c. $. 575. 


60 


Durch das Quellen des Zahnbeins entstehen Sprünge in ihr, durch 
welche sie in kleine Plättchen zerfällt. Bei Zusatz von etwas stär- 
kerer Säure wird auch die Kruste entkalkt. Es bleibt eine Grund- 
substanz zurück, die auf ihrer Oberfläche von einer dünnen sich 
deutlich absetzenden Membran überzogen wird (Taf. II Fig. 10, 
Taf. III Fig. 15 O). Diese Membran lässt sich nach abwärts noch 
weiter verfolgen als die Kruste herabreicht, da sie nicht nur die 
Zahnkrone, sondern auch den oberen Theil des Sockels einhüllt. 
Während die entkalkte Grundsubstanz in der Säure allmählich zu 
quellen anfängt und dann aufgelöst wird, indem sie wie Schnee 
unter den Augen wegschmilzt, leistet die Membran selbst den stärk- 
sten Säuremischungen Widerstand und bleibt zusammengefaltet dem 
Dentinkegel aufliegen. An Schnittpräparaten durch entkalkte Kie- 
fer findet man in der Regel die Kruste auf der Zahnspitze voll- 
kommen verschwunden, wenn man nicht die Entkalkung sehr lang- 
sam in schwach eingesäuertem Brennspiritus vorgenommen hat. 

Eine feinere Struktur konnte ich in den gelbbraun gefärbten 
Spitzen der Triton- und Axolotlzähne nicht erkennen, dagegen nahm 
ich in der Kruste, welche die Krone des Froschzahns bedeckt, eine 
solche wahr (Taf. II Fig. 10, Taf. III Fig 18). Hier lassen sich näm- 
lich zwei Arten von Streifen unterscheiden, von welchen die einen 
parallel zur Oberfläche verlaufen und abwechselnd hell und dunkel 
schattirt sind, die andern als feine dichtgedrängt stehende dunkle 
gerade Linien rechtwinklig dieselben durchsetzen. An Zähnen, welche 
in diekflüssigen Canadabalsam eingeschlossen sind, erscheinen die 
letzteren zum Theil mit Luft erfüllt und bilden eine directe Ver- 
längerung der Dentinröhrchen bis zur Oberfläche der Zahnkrone. 
Dasselbe Resultat erhält man auch, wenn man zu getrockneten 
Zähnchen unter dem Mikroskop dünnflüssigen Canadabalsam treten 
lässt. Im ersten Augenblick des Umfliessens bleibt wenigstens ein 
Theil der Kanälchen mit Luft injieirt, später füllen sie sich mit 
Balsam und sind dann nur noch als matte Linien erkennbar. Wie 
aus dem Mitgetheilten hervorgeht, rühren die zur Oberfläche der 
Kruste senkrecht verlaufenden Linien von Verlängerungen der Dentin- 
röhrchen her, welche in die Kruste eingedrungen sind. Die recht- 
winklig sie kreuzenden helleren und dunkleren Linien halte ich für 
Schichtungsstreifen. 

Was die Deutung der in Salzsäure sich lösenden Substanz an- 
betrifft, so stimme ich vollkommen Sirena und Heinecke bei, 


61 


welche sie für Schmelz halten. Die Angaben älterer Untersucher 
wie Cuvier, Owen, Dug£s etc. werden dadurch wieder bestätigt 
und zur Geltung gebracht. Für Schmelz muss die in Frage 
stehende Substanz erklärt werden, weil sie in chemischer und phy- 
sikalischer Beziehung vom Zahnbein von Grund aus verschieden ist, 
dagegen hierin dem Schmelz der höheren Thiere gleicht. Der Um- 
stand, dass sie von letzterem in einigen morphologischen Eigen- 
thümlichkeiten abweicht und nicht aus Prismen zusammengesetzt 
ist, giebt keinen Grund ab, sie für etwas anderes als für Schmelz 
zu halten!). Das Eindringen von Dentinröhrchen in den Schmelz 
— wir bezeichnen diese Endstücke als Schmelzröhrchen — ist 
ein sich häufig darbietender Befund und weiter verbreitet als man 
seither angenommen hat). Das auf der Oberfläche des Zahnes bei 
der Entkalkung sichtbar gewordene Häutchen (O) entspricht dem 
Schmelzoberhäutchen der Säugethierzähne Da es indessen 
nicht nur den Schmelz, sondern auch direct das Zahnbein über- 
zieht und sogar auf den oberen Theil des Sockels, soweit die Epi- 
thelscheide reicht, sich heraberstreckt, empfiehlt es sich, dasselbe 
mit dem allgemeineren Namen einer Zahncuticula (Waldeyer) 
zu belegen. 

Zu den zwei Gewebsarten, dem Dentin und dem Schmelz, 
welche die Zahnkrone zusammensetzen, tritt als dritte das Ge- 
webe des Zahnsockels hinzu (Taf. III Fig. 1—4, 8,9. C). Vom 
Dentin unterscheidet sich dasselbe durch den Mangel der Zahnbein- 
röhrchen. Auch ist seine Grundsubstanz nie so gleichmässig homo- 
gen wie diejenige des Dentins, sondern erscheint auf Längschnitten 
undeutlich streifig und faserig, auf Horizontalschnitten dagegen fein 
punktirt und körnig. Ferner findet man bei allen Amphibien ein- 
zelne Zellen als Knochenkörperchen (r) in dieselbe eingeschlossen. 
Die Quantität der eingeschlossenen Zellen ist nach den einzelnen 


1) Ich verweise in dieser Beziehung auf meine frühere Arbeit über 
die Selachierzähne, an welchen ich gleichfalls Schmelz nachgewiesen und die 
Gründe eingehender erörtert habe, welche bei der Bezeichnung der Substanz 
als Schmelz in’s Gewicht fallen. 

2) In der Jenaischen Zeitschrift für Naturwiss. Band VIII S. 373 u. 374 
habe ich Röhrchen im Schmelz der Selachierzähne beschrieben und die Beob- 
achtungen anderer Forscher zusammengestellt, aus welchen die weite Ver- 
breitung der Schmelzröhrchen in den Zähnen der verschiedensten Wirbel- 
thiere hervorgeht. 


62 


Arten sehr verschieden. Während man bei den Batrachiern 
Zellen in reicher Zahl antrifft, bemerkt man deren nur wenige bei 
den Salamandrinen und bei Axolotl. Bei den Batrachiern 
ist die Vertheilung der Zellen in der Substanz des Sockels nach den 
höher oder tiefer gelegenen Partieen desselben wieder eine verschie- 
den reiche (Taf. II Fig. 15, 17. Taf. III Fig. 3, 4). In der Grenzschicht 
nach dem Dentin zu sind sie am spärlichsten vertreten, nehmen von 
da nach unten an Häufigkeit zu und liegen am dichtesten an den 
Verwachsungsstellen des Zahnes mit dem Knochen oder der Seiten- 
wände der Zähne untereinander. Die Knochenkörperchen sind von 
runder oder ovaler Form und hängen, wie die Betrachtung unent- 
kalkter Zähne lehrt, durch feine sich verästelnde Ausläufer unter 
einander zusammen (Taf. III Fig. 12). Durch ihre Form unterschei- 
den sie sich auf Frontal- und namentlich auf Horizontalschnitten 
auffallend von den Knochenkörperchen des Skeletknochens (Taf. II 
Fig. 14 r). Während letztere schmal, langgestreckt und der Ober- 
fläche des Knochens parallel in einer Richtung verlaufen, sind 
erstere mehr gleichmässig rund und grösser und sind mehr der 
Oberfläche der Zahnhöhle in der Richtung der Längsaxe des Zah- 
nes parallel gerichtet'). 

Bei den Salamandrinen findet man dicht über oder in der 
Verwachsungslinie des Zahns mit dem Knochen nur einige wenige 
Zellen eingeschlossen, während der obere Theil des Sockels durch- 
aus zellenfrei ist. Taf. III Fig. 13 zeigt eine auf dem Längsschnitt 
getroffene Seitenwand eines Sockels mit einer Zellenreihe, welche, 
weil oberhalb der Nahtlinie gelegen, zum Kieferknochen nicht mehr 
zu rechnen ist. Auch in den die Pulpahöhle trennenden mit einan- 
der verwachsenen Seitenwänden zweier Sockel erblickt man hie und 
da ein Knochenkörperchen (Taf. II Fig. 18). Bei Siredon pisci- 
formis enthalten gleichfalls nur die untersten Partieen der Zahn- 
kegel und die sie verbindende Kittsubstanz einzelne Zellen, während 
der übrige Theil biszum Zahnbein vollkommen strukturlos ist (Taf. 
III Fig. 6 u. 8). 

Wenn es jetzt die Frage zu beantworten gilt, welchem von 
den Geweben, die den Zahn der höheren Wirbelthiere zusammen- 


1) Diese Verschiedenheit im Aussehen der Knochenkörperchen des 
Sockels von denen des übrigen Knochens hat Sirena auch vom Zahn der 
Lacerta agilis sehr deutlich abgebildet. 


63 


setzen, das Sockelgewebe entspricht, so kann es für die Batrachier 
wohl keinen Augenblick fraglich sein, dass es echtes Zahn- 
cement ist. Dem Zahnsockel der Frösche ist aber der Sockel der 
Tritonen homolog, wie schon oben gezeigt worden ist. Die Tritonen- 
zähne besitzen daher gleichfalls Cement, aber ein Cement, wel- 
ches zum grösstenTheil völlig homogen und zellenfrei 
ist und nur in dem an den Knochen angrenzenden Theil einige 
wenige Zellen eingeschlossen enthält. Schwieriger würde die Frage 
näch der Bedeutung der Gewebe bei Axolotl zu beantworten sein, 
wenn seine Zähne allein zur Untersuchung vorlägen. Denn bei dem 
continuirlichen Uebergang des oberen in den unteren Theil des 
Zahnkegels würde man die homogene Grundsubstanz des letzteren 
wohl leicht für Zahnbein, welches keine Dentinröhrchen besitzt, hal- 
ten. Nun lehrt aber eine einfache Vergleichung, dass der Sockel 
der Tritonzähne der Basis der Zahnkegel bei Axolotl entspricht. 
Denn abgesehen davon, dass bei letzterem die Verkalkung an der 
Grenze zwischen Krone und Sockel eine vollständige, bei ersteren 
eine unvollständige ist, gleichen sich beide in jeder Hinsicht. Wir 
können hieraus schliessen, dass überhaupt alle Amphibienzähne 
nicht nur ausDentin und Schmelz, sondern auch aus Ce- 
ment zusammengesetzt sind. 

Durch das so erhaltene Resultat rücken einige der früher er- 
wähnten Thatsachen in ein anderes Licht. Das Cementgewebe ist 
es, durch welches die Zähne an ihrer Basis untereinander und mit 
den Skeletknochen verwachsen. Verbundene Cementtheile setzen 
die Schleimhautknochen z. B. an den Gaumenplatten von Siredon 
zusammen, so dass wir dieselben viel treffender als Zahnknochen 
bezeichnen können. Zahncement endlich ist es, durch dessen un- 
vollständige Resorption und wiederholte Neubildung im Laufe meh- 
rerer Zahngenerationen Knochenleisten (Processus dentales) entstehen. 

Die dergestalt aus drei verschiedenen Geweben, aus 
Dentin, Schmelz und Cement zusammengesetzten Zähne der 
Amphibien besitzen im Innern eine geräumige Pulpahöhle. In 
der Zahnspitze eng, erweitert sie sich ziemlich beträchtlich im So- 
ckel und öffnet sich bei den an einer Knochenleiste befestigten Zäh- 
nen nach aussen durch eine weite Oeffnung in der Innenwand. 
Durch dieselbe empfängt sie ihre Blutgefässe, welche im Inneren der 
Zahnhöhle in feinere Capillaren zerfallen. Ob auch Nerven eintre- 
ten, wurde zwar nicht beobachtet, ist aber wohl kaum zu bezwei- 


64 


feln. Untereinander hängen die Pulpahöhlen benachbarter Zähne 
durch kleinere Kanäle zusammen, welche die gemeinsame Zwischen- 
wand ihrer Sockel durchbohren. Anstatt einer grösseren Oeffnung 
im Sockel findet sich an den Zähnen des Operculare und der Gau- 
menknochen von Siredon eine grössere Anzahl kleinerer Oeffnungen 
im Cement der Zahnbasis vor (Taf. III Figs m). Die Pulpa wird 
von einem zellenreichen Bindegewebe gebildet. Auf ihrer Oberfläche 
liegt eine zusammenhängende von dem unterliegenden Gewebe nicht 
scharf abgesetzte epithelähnliche Schicht. Dieselbe besteht aus spin- 
delförmigen Zellen, welche in der Zahnkrone Ausläufer in die Den- 
tinröhrchen schicken. Im Zahnsockel liegen die Zellen an der Wand 
angeschmiegt, ohne mit Ausläufern in sie einzudringen. Eine eigen- 
thümliche Weise der Lagerung zeigen sie bei Triton und Sala- 
mandra (Taf. III Fig. 11), wo sie mit ihrem spitzen Ende nach ab- 
wärts gekehrt der Sockelwand fest anliegen, während sie mit dem 
andern kolbig verdickten und kernführenden Ende mit nach unten 
concavem Bogen nach innen gekrümmt sind und von dem Knochen 
abstehen. Es kommen hierdurch die Zeilen schindelartig überein- 
ander zu liegen, indem ihre Längsaxe von innen oben nach unten 
und aussen gerichtet ist. Während die im oberen Theil des Zahnes 
liegende Epithelschicht eine Odontoblastenschicht ist, gewinnt 
die im unteren Theile liegende Schicht, welche mit der ersteren 
continuirlich zusammenhängt, die Bedeutung einer Cementmem- 
bran oder einer Osteoblastenschicht. 


d) Vergleichung der Zähne der Amphibien mit den Zähnen der Selachier 
und der Säugethiere. 


Nachdem wir die Zähne der Amphibien nach Form, Befesti- 
gungsweise und histologischer Zusammensetzung genauer kennen 
gelernt haben, sind wir in den Stand gesetzt, eine Vergleichung 
derselben einerseits mit den Zähnen niederer Wirbel- 
thiere, speciell der Selachier, andererseits mit den Zähnen 
höherer Wirbelthiere vorzunehmen und so die Stellung zu er- 
kennen, welche die Amphibienzähne in der Entwicklung des Zahn- 
systemes einnehmen. Da nicht allen Lesern der Bau des Haifisch- 
zahnes im Einzelnen bekannt sein wird, so schicke ich hier eine 
kurze Beschreibung desselben voraus, indem ich bezüglich der nä- 
heren Thatsachen und ihrer Begründung auf die in der Jenaischen 
Zeitschrift erschienene Arbeit verweise. 


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65 


Der Zahn der Haifische (Taf. I Fig. 15) besteht wie über- 
haupt jeder Dentinzahn aus drei Geweben, aus Dentin, Schmelz 
und Gement. Das Dentin (D) der Haifischzähne tritt in den 
verschiedensten Formen auf. Der Schmelz (S) zeigt keine Pris- 
menstructur, sondern ist nur aus sehr feinen Fasern und Nadeln 
zusammengesetzt. Das Cement (C) enthält keine Zellen einge- 
schlossen und besteht aus einer Anzahl von Bindegewebslamellen, die 
sklerosirt und verkalkt die Verbindung zwischen Zahnbein und un- 
verkalktem Schleimhautgewebe herstellen. Der Zahn ist nur in der 
Schleimhaut und zwar in deren oberflächlichsten Bindegewebslagen 
vermittelst seines Cementes befestigt, und ragt daher der Dentintheil 
über die Schleimhautoherfläche frei hervor. In der äusseren Form 
sind die Haifischzähne sehr mannigfaltig in Anpassung an eine ver- 
schiedene Lebensweise gestaltet, doch lässt sich die Verschiedenheit 
aus einer Grundform ableiten, welche meist noch die embryonalen 
Zähne zeigen und welche im Grossen und Ganzen der Form der 
Placoidschuppen sehr ähnlich ist. Bei dieser Grundform kann man 
zwei Theile äusserlich unterscheiden, erstens eine quadratische 
Platte, welche den Cementtheil desZahnes bildet und flach 
in den oberflächlichen Schleimhautschichten ausgebreitet den Zahn 
befestigt, und zweitens den aus der Schleimhaut hervorragenden 
Theil des Zahns, seinen eigentlich functionirenden Körper, die Zahn- 
krone, welche aus Dentin und Schmelz besteht und in ihrer Form 
am meisten variirt. 

Eine Vergleichung der Haifisch-, Amphibien- und Säugethier- 
zähne untereinander lehrt uns, dass alle drei einerseits eine gewisse 
Summe übereinstimmender Charaktere aufzuweisen haben, auf der 
andern Seite aber in einer grossen Zahl von Einrichtungen von ein- 
ander wiederum abweichen. 

Eine Uebereinstimmung herrscht in der so wichtigen 
Thatsache, dass jeder Zahn aus drei Geweben, aus Dentin, Schmelz 
und Cement besteht und muss hieraus allein schon auf die Gemein- 
samkeit ihrer Abstammung, ihrer ersten Entstehung, mithin auf 
eine Homologie dieser Bildungen geschlossen werden. Denn 
wie ich schon früher betont habe, erscheint die Annahme, dass eine 
so eigenartige Combination dreier so charakteristischer Gewebsfor- 
men, wie sie den Zahn bilden, zu wiederholten Malen in verschie- 
denen Thierordnungen entstanden sei, im höchsten Grade unwahr- 
scheinlich und kann daher nicht aufrecht erhalten werden. Auf 

Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd, 11, Supplementheft. 5 


66 


diese Uebereinstimmung im Bau der Haifisch-, Amphibien- und 
Säugethierzähne möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz be- 
sonders aufmerksam gemacht haben, da über diesen Punkt bis jetzt 
ganz entgegengesetzte Ansichten geherrscht haben. Die histologische 
Zusammensetzung der Amphibienzähne ist ein neuer Beweis für die 
Richtigkeit des an einem anderen Orte!) aufgestellten Satzes, dass 
alle Dentinzähne der Wirbelthiere ursprünglich aus 
drei Gewebsarten, aus Dentin, Schmelz und Cement 
bestehen?). 

Die Zähne der Amphibien und die Zähne der Selachier stim- 
men weiterhin auch noch in ihrer äusseren Form überein, insofern 
man bei beiden einen aus Cement bestehenden unteren Theil von 
dem oberen Theil, der Zahnkrone, unterscheiden kann. Die Basal- 
platte der Selachierzähne und den Sockel der Amphi- 
bienzähne müssen wir daher für homologe Bildungen erklären. 

Bei dieser auf Vererbung beruhenden Uebereinstimmung im 
ganzen Bauplan der Zähne ergiebt eine Vergleichung im Einzelnen 
oft grosse Verschiedenheiten. Dies betrifft sowohl die Ausbildung 
der drei Zahngewebe, als auch die Lage, die Befestigung und die 
Form der Zähne. 

Von den Geweben verdient die verschiedene Beschaffenheit 
des Cements noch einmal kurz hervorgehoben zu werden. Wäh- 
rend dasselbe bei den Selachiern aus verkalkten Bindegewebslamel- 
len ohne Einschluss von Zellen besteht, ist es bei den Säugethieren 
reines Knochengewebe mit zahlreichen eingestreuten Knochenkör- 
perchen. Diese einander scheinbar fremdartigen Gewebsbildungen 
werden durch die Beschaffenheit des Cements der Amphibienzähne 
mit einander verknüpft. Denn bei Siredon und den Salaman- 
drinen gleicht dasselbe in seinen histologischen Eigenschaften mehr 


1) Jenaische Zeitschrift. Band VIII. S. 398—402. 

2) Hierfür lassen sich noch einige weitere Thatsachen anführen. So 
hat neuerdings Heinecke auf den Zähnen einer grossen Anzahl Knochen- 
fische Schmelz nachgewiesen. Dass dieselben auch Cement besitzen, geht 
aus seiner Abbildung Taf. XXVIII Fig. 3 deutlich hervor. Die Zähne der 
Reptilien sind gleichfalls aus Dentin, Schmelz und Cement gebildet, wie 
die Untersuchungen und Abbildungen von Owen und Sirena lehren und wie 
ich aus eigenen Untersuchungen bestätigen kann. Sollten irgendwo echte 
Dentinzähne ohne Schmelzbekleidung zur Beobachtung kommen, so muss das 
Fehlen des Schmelzes als Rückbildung erklärt werden. 


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67 


dem Cement der Selachier, bei den Fröschen durch den Besitz 
zahlreicher Knochenkörperchen mehr dem Cement der Säugethiere. 
Schon aus dieser Thatsache folgt, dass man es hier nicht mit prin- 
ceipiellen, sondern nur mit graduellen Verschiedenheiten, das heisst, mit 
verschiedenen Differenzirungsstufen eines und desselben Gewebes zu 
thun hat. 

In der Lage weichen die Zähne der Amphibien und Säugethiere 
in übereinstimmender Weise von denjenigen der Selachier ab. Wäh- 
rend letztere in den oberflächlichen Lagen der Mundschleimhaut 
befestigt sind und mit der Zahnkrone vollkommen frei über dieselbe 
hervorragen, sind namentlich die Zähne der Amphibien tiefer in das 
Schleimhautgewebe eingesenkt und werden von diesem bis auf die 
Spitze scheidenartig in der früher geschilderten Weise umhüllt. Bei 
dieser Lageveränderung scheinen die Zähne selbst eine mehr passive 
Rolle zu spielen und scheint mir dieselbe im Laufe der phylogene- 
tischen Entwicklung dadurch bewirkt worden zu sein, dass auf der 
Oberfläche des Corium eine Anbildung neuer Bindegewebsschichten 
erfolgt ist‘). Indem hierdurch die Schleimhaut wie das Integument 
im Ganzen sich verdickt hat, ist die Gewebsschicht, in welcher die 
Basis der Zähne normaler Weise festsitzt, tiefer zu liegen gekom- 
men. Es werden daher die Zähne, indem sie ihre ursprüngliche 
Lage beibehalten, von der verdickten Schleimhaut umwuchert und 
eingehüllt werden. 

Die verschiedene Befestigungsweise der Zähne der 
Amphibien und Säugethiere auf den Skeletknochen übergehe ich 
hier, da wir später im Stande sein werden, sie von den ursprüng- 
lichen Einrichtungen der Selachier abzuleiten. Was endlich die so 
verschiedenartige Form der Haifisch-, Amphibien und Säuge- 
thierzähne anbelangt, so drängt sich uns bei einer Vergleichung der- 
selben die Frage auf, welche von ihr wohl am meisten der Urform 
des Zahnes gleicht. Man muss hierbei zwischen der Urform des 
Cementtheils und der Urform der aus Schmelz und Dentin zusam- 


1) So sind z. B. die gekreuzten Bindesewebslamellen, welche bei den 
Petromyzonten unmittelbar unter der Epidermis liegen, bei den Amphibien 
von einer dicken Bindegewebsschicht bedeckt, in welcher die Hautdrüsen 
eingeschlossen sind. Bei den Selachiern aber liegt die Basalplatte der Pla- 
coidschuppen und Zähne in der bei ihnen oberflächlich gelegenen Schicht 
der gekreuzten Bindegewebslamellen. 


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mengesetzten Zahnkrone unterscheiden. Erstere finde ich am mel 
sten in der Basalplatte der Schleimhautzähnchen der Selachier er- 
halten. Die Platte entsteht in ganz regelmässiger Weise durch eine 
Verkalkung horizontal geschichteter Bindegewebslagen im nächsten 
Umkreis der sich entwickelnden Zahnkrone. Hierzu tritt als wei- 
terer Beweisgrund, dass auch der Cementtheil der Placoidschuppen, 
welche ja den Zähnen homologe Bildungen sind, plattenartig be- 
schaffen ist. Der Basalplatte der Selachierzähne gegenüber erscheint 
der Zahnsockel der Amphibien als eine mehr abgeänderte Bildung. 
Anders verhält es sich mit der Zahnkrone. Während dieselbe bei 
den Selachiern sehr variirt, bald höckerartig, bald schneidenartig 
breit, bald lanzenartig und oft mit Zacken und Zäckchen besetzt ist, 
ist sie bei den Amphibien durchweg sehr gleichartig und sehr ein- 
fach beschaffen. Da nun die Kegelform der Zähne ausserdem bei 
Fischen und Reptilien die vorherrschende ist, so hat die Annahme, 
dass die Krone der Zähne bei den Amphibien und namentlich bei Sire- 
don uns am meisten die ursprüngliche Form erhalten zeigt, ihre 
Berechtigung. 


3. Ueber den Zahnwechsel (Ersatz und Resorption). 


Eine Untersuchung über den Zahnwechsel hat zwei verschiedene 
Aufgaben zu lösen und zerfällt dementsprechend in zwei Abschnitte, 
von welchen der eine über die Entstehung der Ersatzzähne, 
der andere über den Ausfall und die Resorption der alten 
Zähne zu handeln hat. Dem ersteren Abschnitte könnte man eine 
weitere Fassung geben, indem man in ihm zugleich auch das embry- 
onale Entstehen der primären Zähne beschriebe; da indessen die 
Entwicklung der letzteren mit der Entwicklung des Knochenskelets 
in einem untrennbaren Zusammenhange steht, so erschien es noth- 
wendig im Folgenden von dieser gemeinsamen Behandlung der Zahn- 
entstehung überhaupt Abstand zu nehmen. Die Entstehung der 
primären Zähne wird daher im zweiten Theil dieser Arbeit zusammen 
mit der Entstehung der Skeletknochen zur Sprache kommen, hier 
aber wird nur die Entwicklung der Ersatzzähne beschrieben werden. 


a) Entwicklung der Ersatzzähne. 


Die Entwicklung der Ersatzzähne lässt sich bei den Amphibien 
sehr leicht verfolgen, weil bei ihnen wie bei allen niederen Wirbel- 
thieren zu allen Zeiten des Lebens zahlreiche junge Zähne hinter 


69 


der im Gebrauch befindlichen und mit dem Skeletknochen ver- 
wachsenen Reihe sich entwickeln. Trotzdem widersprechen sich die 
in der Literatur hierüber gemachten Angaben in gleicher Weise wie 
die Angaben über den Bau der fertigen Zähne, was die folgende Zu- 
sammenstellung lehrt. 

In seiner Odontographie lässt Owen die Zähne der Amphibien 
an der inneren Seite ihrer Vorgänger in Follikeln entstehen. 
Eine genauere Beschreibung gibt er von der Entwicklung der Zähne 
des Frosches. Bei diesem soll in der Schleimhaut des Oberkiefers 
hinter der Reihe der alten Zähne eine Spalte sich finden; an der 
äusseren Seite derselben sollen die Zahnkeime zunächst in der Form 
freier Papillen auftreten und dann von der Schleimhaut umwachsen 
und in Follikel eingeschlossen werden. An der Follikelwand, 
welche der Zahnspitze gegenüber liegt, soll eine Schmelzpulpa sich 
bilden !). In seinen älteren Arbeiten gibt Leydig an, dass die Er- 
satzzähne der Amphibien durch Verkalkung- frei auf der Schleim- 
hautoberfläche liegender Papillen entstehen, später hat er diese An- 
sicht wieder verlassen und in mehreren Arbeiten für die Zähne der 
Amphibien wie überhaupt für die Zähne der niederen Thiere (Saurier 
und Schlangen) einen allen früheren Beobachtungen widersprechenden 
Entwicklungsmodus aufgestellt. Da Leydig’s Darstellung in prin- 
zipiellen Punkten von den Resultaten abweicht, welche man für die 
Entwicklung der Säugethierzähne erhalten hat, so glaube ich aus- 
führlicher auf dieselbe eingehen zu müssen. Als Anfang der Zahn- 
entwicklung beschreibt Leydig?) bei Salamandra ınaculata. kug- 
lige Ballen von Zellen, welche im Grunde des die Kiefer- und Gaumen- 
beine überziehenden Epithels liegen und von diesem abstammen. 
Der Ballen soll sich von seiner Umgebung durch eine dunklere Be- 
schaffenheit seiner Zellen mit bestimmter Umgrenzung abheben und 
sich später in der Weise sondern, dass in seinem Innern eine schwache 
halbkreisförmige Lichtung entsteht, wodurch es zur Bildung einer 
kurz-kegligen Warze (Papille) und eines dieselbe umhüllenden dick- 
wandigen Säckchens kömmt. Ueber der Papille soll die Zahnkrone 


1) Owen. Odontography. Seite 185. 

There is a small enamel pulp developed from the capsule opposite the 
apex of the tooth. 

2) Leydig. Ueber die Molche der würtemberg. Fauna. 1. c. Seite 
244— 246. 


70 


als ein zartes Scherbcehen auftreten, indem sowohl die Zellen der 
Papille wie die des Zahnsäckchens homogene, späterhin verkalkende 
Lagen abscheiden. Der so nur im Epithel der Schleimhaut ent- 
standene Zahn soll später mit der Lederhaut und den Knochen- 
theilen sich in Verbindung setzen. Leydig kommt auf diesem Wege 
zu dem Endergebniss, dass die Zähne der Amphibien wie der Haut- 
panzer eines Krebses Cutieularbildungen sind. Weitere Beschreibungen 
dieser besonderen Art der Zahnentwicklung hat Leydig ausser in 
der angeführten Arbeit noch in seiner Abhandlung über die in Deutsch- 
land lebenden Arten der Saurier!), sowie besonders in seiner 
Untersuchung über den Bau der Schlangenzähne gegeben?). 

Gegen die hier referirte Auffassung Leydig’s haben sich die 
zwei neuesten Bearbeiter dieses Gegenstandes, Sirena und Heinecke 
erklärt. Sirena unterscheidet bei den Amphibien zwei Arten der 
Zahnentwicklung. Die eine Art findet sich bei Siredon und Triton, 
deren schmelzlose Zähne auf freien Papillen entstehen sollen, die 
andere dagegen bei Rana temporaria, sowie bei den Reptilien, deren 
Zähne einen Schmelzbeleg besitzen und bei ihrer Entstehung in ein 
Zahnsäckchen eingeschlossen werdeu. Vom Mundhöhlenepithel aus 
soll sich hier ein Zellenstrang in die Tiefe senken und soll an seinem 
Grunde die Zahnpapille entstehen, indem die über ihr liegende Epi- 
thelzellenschicht sich in eine Schmelzmembran umwandelt und den 
Schmelz abscheidet. Das die Basis der Papille umgebende Gewebe 
soll in Knochensubstanz übergehen und die Verbindung des Zahnes 
mit dem Knochen herstellen, der Verbindungsstrang der Zahnanlage 
mit dem Mundhöhlenepithel soll später schwinden. Die Schmelz- 
keime der Ersatzzähne können nach Sirena auf zwei Weisen ge- 
bildet werden, entweder selbständig von dem Mundepithel aus, wie 
dies bei der embryonalen Bildung der Zähne geschieht, oder sie 
können auch von den Schmelzkeimen ihrer Vorgänger ihren Aus- 
gangspunkt nehmen, wie es bei den bleibenden Zähnen der Säuge- 
thiere der Fall ist, indem die neuen Schmelzorgane von dem Epi- 
thelstrange, welcher die gebildeten Schmelzorgane der vorhergehenden 
Zähne mit dem Mundhöhlenepithel verbindet, hervorsprossen. Hei- 
necke endlich, welcher nur dieEntwicklung der Tritonzähneuntersucht 


1) Leydig. Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. 1872. 
Seite 106—107. 
2) Leydig. Archiv für mikrosk. Anat. B. IX. 


71 


hat, weicht in seinen Ergebnissen sowohl von Leydig als auch 
von Sirena ab, von letzterem, indem er findet, dass auch bei 
Triton zur Bildung der Zahnanlage ein Epithelstrang in die Tiefe 
wuchert und ein Schmelzorgan und eine Schmelzmembran liefert. 

Bei der Darstellung meiner eigenen Untersuchungen, zu denen 
ich mich nunmehr wende, sehe ich mich durch einige Verschieden- 
heiten, welche zwischen den Ersätzeinrichtungen der Perennibran- 
chiaten und Salamandrinen einerseits und denen der Anuren andrer- 
seits bestehen, veranlasst, die beiden Gruppen getrennt zu behandeln. 

Bei Salamandra maculata, welche mir hauptsächlich zur 
Untersuchung gedient hat und auf welche daher die folgende Schil- 
derung sich auch hauptsächlich bezieht, kann man mit der Pincette 
an der Innenseite der Kiefer eine Schleimhautfalte in ähnlicher 
Weise, wie ich es für die Selachier beschrieben habe, in die Höhe 
heben und unter ihr in dem so entstandenen Graben die jungen 
Zahnanlagen auf verschiedenen Entwicklungsstufen antreffen. Man 
kann mit der Pincette oder dem Messer dieselben zur mikroskopischen 
Untersuchung abstreifen und sich so einen ungefähren Einblick in 
die Entwicklung verschaffen, indem man bei Durchmusterung der 
Praeparate jüngere und ältere Zähnchen, sowie noch ganz 
aus Zellen zusammengesetzte Zahnanlagen antreffen wird. Doch 
wird bei dieser Art der Untersuchung, da die Theile aus ihrem Zu- 
sammenhange herausgerissen sind, leicht zu Täuschungen Veran- 
lassung gegeben, so dass die Anfertigung von Schnitten als die 
einzig sichere Untersuchungsmethode anzusehen ist. An sie werden 
wir uns im Folgenden daher auch vorwiegend halten. 

An Schnitten durch entkalkte Kiefer (Taf. II. Fig. 2, 12, 13. 
Taf. II. Fig. 5, 9) überzeugt man sich zunächst, dass die Wand, 
welche die Zahnanlagen trägt und die schützende Schleimhautdecke 
ein Ganzes bilden, dass mithin der beschriebene Graben ein durch 
die Praeparation geschaffenes Kunstproduct ist. An der Stelle, wo 
die Oberhaut an der Innenseite der entwickelten Zähne in die Tiefe 
dringt, um dieselbe mit einer Scheide zu umgeben, senkt sich 
noch eine zweite Epitheimasse (E) weiter nach einwärts in das 
Schleimhautgewebe. Dieselbe reicht noch tiefer hinab wie die andere 
Wucherung, entweder bis zur Basis des Zahnes oder sogar über 
dieselbe hinaus. Man erblickt diese Epithelmasse auf einer Reihe 
hintereinander angefertigter Schnitte in nahezu der gleichen Form, 
mag man nun nach aussen von ihr einen Zahn oder eine leere Stelle 


72 


des Kiefers auf dem Schnitte getroffen haben. Horizontalschnitte 
(Taf. II. Fig. 18, E) vervollständigen unsere Anschauung und zeigen 
uns, dass die Epithelwucherung an der Innenseite der Zähne, soweit 
diese reichen, als eine continuirliche Lamelle sich hinerstreckt, dass 
es somit nicht einzelne Epithelstränge, Zapfen oder Kolben sind, an 
welchen die Zahnanlagen entstehen, wie es Heinecke von Tritonen, 
Sirena vom Frosche und von Reptilien beschreibt. Da an dieser 
Lamelle junge Ersatzzähnchen entstehen, so werde ich sie im An- 
schluss an die in einer früheren Arbeit angewandte Nomenklatur 
Ersatzleiste nennen. 

Die Ersatzleiste besteht aus zwei oder mehreren Zellen- 
lagen, von welchen die dem Bindegewebe zugekehrten prismatisch 
gebildet und Fortsetzungen der untersten ihnen gleich gestalteten 
Zellenschicht der Epidermis sind. Vom Bindegewebe trennt sie 
eine bald mehr bald weniger deutlich wahrnehmbare Basalmem- 
bran (B). Sehr schwer, oft gar nicht zu erkennen ist dieselbe z. B. 
bei Triton taeniatus und igneus, bei welchen überhaupt die Grenze 
zwischen Bindegewebe und aufliegenden Epithelzellen nicht scharf 
ausgeprägt ist. Wenn zwischen den beiden aus prismatischen Zellen 
zusammengesetzten Lagen noch andere Epithelzellen dazwischen 
liegen, so sind dieselben platt zusammengedrückt und bilden gleich- 
sam nur ein Ausfüllematerial. In ihrer oberen Hälfte hängt die 
Ersatzleiste durch senkrecht verlaufende dünne Brücken (g) mit den 
Epithelhüllen (H) der einzelnen ausgebildeten Zähne zusammen, wie 
dies am deutlichsten auf Horizontalschnitten (Taf. II. Fig. 18) erkannt 
wird. Aus diesem Zusamenhange der beiden Bildungen erklärt sich 
ein Bild, das man auf einen sagittalen Längsschnitt erhält, wenn 
dieser zufällig die Epithelbrücke getroffen hat. Man erblickt dann 
hinter dem festsitzenden Zahn an Stelle der innern Wand seiner 
Zahnscheide und der in einiger Entfernung von ihr getrennt liegenden 
Ersatzleiste einen breiten von Epithel gefüllten Graben (Taf. III. Fig. 6). 

An der Aussenseite der Epithelleiste zwischen ihr und der 
functionirenden Zahnreihe liegen die Zahnanlagen auf verschiedenen 
Stufen der Entwicklung in der Tiefe der Schleimhaut. Die jüngsten 
befinden sich an der Kante der Epithelleiste; je älter sie werden, 
um so weiter rücken sie nach aussen und oben und nähern sich 
dem entwickelten Zahne. 

Die jüngsten Zahnanlagen (Taf. III. Fig. 9 u. 16) bestehen 
aus einem Knötchen von Zellen, einer kleinen Papille, welche 


u nn nn ar me ne rn En m 


75 


an der Kante der Epithelleiste in diese hineingewuchert ist. In 
der Spitze der Papille liegen die Zellen dicht gedrängt aneinander, 
an der Basis entfernen sie sich indessen weiter von einander, 
indem Bindegewebsfasern sich zwischen sie hineinschieben. Es findet 
also ein continuirlicher Uebergang von den Zellen des Binde- 
gewebes in diejenigen der Zahnpapille statt. Ihre Oberfläche ist von 
einer Membran (Taf. III. Fig. 16 B) überzogen, welche an der 
Basis der Papille in die Basalmembran der Epithelleiste übergeht, 
deren eingestülpter Theil sie ist. Auf der Membran, welche bei 
Salamandra maculata ganz besonders deutlich wahrzunehmen ist, 
liegt eine aus hohen Cylinderzellen zusammengesetzte 
einfache Epithelschicht (MS), welche am Grunde der Zahn- 
anlage an Höhe continuirlich abnimmt, umbiegt und in die pris- 
matische Zellenlage der Epithelleiste übergeht. Die grossen ovalen 
Kerne mit zwei und mehr Kernkörperchen liegen in dem peripheren 
Ende der langgestreckten Zellen !). Die Cylinderzellenmembran ist aus 
einer Grössenzunahme der unmittelbar auf der Papille gelegenen, 
durch die Wucherung eingestülpten Zellenschicht der Epithelleiste 
hervorgegangen. In Folge des Schnittes findet man sie zuweilen 
durch einen Zwischenraum von der zelligen Papille getrennt; es 
weist dies auf den lockeren Zusammenhang zwischen beiden hin, 
was verständlich erscheint, wenn man erwägt, dass beide Theile durch 
eine Basalmembran von einander geschieden sind. 

Dem Mitgetheilten zu Folge bestehen die Zahnanlagen der 
Amphibien aus zwei Theilen, aus einer Papille und einer 
Cylinderzellenmembran auf derselben. Von diesen 
stammt die erste von Bindegewebszellen, die letztere 
von Epidermiszellen ab. Da somit bei den Amphibien, was 
ihre Zahnentwicklung betrifft, durchaus die gleichen Verhältnisse, 
wie bei den Selachiern und Säugethieren, sich vorfinden, so be- 
zeichne ich auch wie dort die Papille als Dentinkeim und die 
auf ihr liegende Cylinderzellenschicht als Schmelzmembran. 

Als bestes Untersuchungsobject empfehle ich demjenigen, der 
sich von der Richtigkeit der geschilderten Verhältnisse überzeugen 
will, Salamandra mac. und Siredon piscifor. Schnitte durch den 


1) Eine Differenzirung des Inhaltes konnte ich an letzteren in der 
Weise, wie ich es für die Schmelzzellen der Selachierzähne beschrieben habe, 
nicht wahrnehmen (l. c. Seite 381). 


74 


Unterkiefer derselben liefern so überzeugende Bilder, dass von einem 
Zweifel über die Herkunft der einzelnen Zellen an gelungenen Prae- 
paraten keine Rede sein kann. Uebrigens kann man sich auch bei 
Triton taeniatus Klarheit verschaffen, wie denn Heinecke das 
eben beschriebene Stadium der Zahnentwicklung von dieser Art gut 
abgebildet und beschrieben hat. Bei der Beweisführung, dass die 
Zahnanlage von Anfang an aus zwei Theilen besteht, von welchen 
der eine dem mittleren, der andere dem oberen Keimblatt angehört, 
lege ich auf drei Punkte besonderen Nachdruck: 1) dass die Papille 
an ihrer Basis in das Bindegewebe allmählich übergeht, 2) dass die 
sie bedeckende Cylinderzellenmembran am Grunde der Papille in 
die äussere Zellenschicht der Epithelleiste sich verfolgen lässt, und 
3) dass zwischen beiden eine Basalmembran nachweisbar ist. Mit 
Heinecke gelange ich so zu wesentlich anderen Schlussergebnissen 
als Leydig, welcher die Amphibienzähne für reine Epithelpro- 
ductionen hält, und mögen die abweichenden Angaben jenes Forschers, 
die leicht mit den unsrigen in Uebereinstimmung gebracht werden 
können, hauptsächlich mit dadurch hervorgerufen worden sein, dass 
wahrscheinlich in Folge der angewandten Praeparationsweise der 
Zusammenhang der Zahnanlage mit ihrer Umgebung nicht erkannt 
werden konnte. 

Beim Frosche vollziehen sich die ersten Vorgänge bei der 
Anlage der Ersatzzähne bis auf einige Abweichungen nebensächlicher 
Art in genau derselben Weise, wie bei den Perennibranchiaten und 
Salamandrinen. Auch hier dringt hinter der in Function befindlichen 
Zahnreihe eine Epithelleiste (Taf. II. Fig. 1, 4—6, 11. Taf. II. 
Fig. 4,17, E), an deren Aussenseite die Zahnanlagen entstehen, in 
das Schleimhautgewebe. Dieselbe ist aber im Vergleich zu den oben 
genannten Amphibienordnungen von sehr geringer Ausdehnung, was 
mit den anderweitigen anatomischen Verhältnissen in Zusammenhang 
steht. Während bei jenen die Innenwände der festgewachsenen 
Zähne, wie schon früher beschrieben wurde, vom bindegewebigen 
Theil der Schleimhaut bis zur Spitze eingehüllt sind, werden sie 
beim Frosch nur vom Epithel überzogen und erst an der Basis der 
Zähne beginnt die Schleimhaut in dünner Lage das Gaumengewölbe 
zu bekleiden. In Folge dessen trennt sich die entsprechend kleinere 
Epithelleiste auch erst nahe der Zahnbasis vom Mundhöhlenepithel 
ab und nicht schon nahe der Zahnspitze oder in der Zahnmitte, 
wie dies in Folge der mächtigeren Entwicklung der Schleimhaut bei 


75 


den Salamandrinen etc. der Fall ist. Ferner besteht die Leiste aus 
zahlreichen Zellenlagen, indem reichlich polygonale Zellen als Aus- 
füllungsmasse sich zwischen die an das Bindegewebe angrenzenden 
prismatischen Zellen einschieben. DieZahnanlagen entwickeln 
sich ganz in der oben geschilderten Weise. An der Epithelleiste 
entsteht in der Tiefe eine zellige Papille, welche in dieselbe hinein- 
wächst, von einer Basalmembran bedeckt ist und dem mittleren 
Keimblatt angehört. Die Schmelzmembran über der Papille 
erreicht eine geringere Höhe als bei Salam. mac. und mag dies zum 
Theil mit der bei den Anuren überhaupt geringen Grösse der histo- 
logischen Elementartheile zusammenhängen. 

Die Veränderungen, welche nun weiterhin an den jungen Zahn- 
anlagen der Amphibien sich vollziehen, bestehen einmal in der 
Ausscheidung der festen Zahnsubstanzen und zweitens in 
einer Lageveränderung des sich entwickelnden Zahnes. 

Bei den jüngsten Anlagen, wo die Ausscheidung der Zahn- 
substanzen begonnen hatte, fand ich Schmelz und Dentin stets gleich- 
zeitig vor, so dass ich nicht entscheiden kann, ob Schmelz oder 
Dentin früher gebildet wird. Das Dentin bemerkt man zunächst in 
Form eines dünnen, nach unten mit einem schneidenden Rande ver- 
sehenen Scherbchens der Papille aufliegen (Taf. II. Fig. 5, 15. Taf. II. 
Fig. 4, 5, 6, 17). Seine Innenfläche ist fein gezackt und dringen 
zwischen den Zäckchen feine Dentinröhrchen in die verkalkte Zahn- 
substanz ein. Der schneidende Rand des Scherbchens erreicht nicht 
die Basis der zelligen Papille. Wie schon Leydig angibt, besitzen 
die jüngsten Zahnkronen gleich bei ihrem ersten Auftreten die 
charakteristische »zweispitzige Form«. Am deutlichsten tritt dies 
bei den Salamandrinen hervor, wo die Spitzchen auch bereits bräun- 
lichgelb gefärbt sind und durch eine zarte Linie von dem übrigen 
Theil des Zähnchens sich absetzen. Wie man durch Anwendung 
von Salzsäure in den verschiedensten Concentrationen auf das 
Sicherste nachweisen kann, bestehen die Spitzchen aus Schmelz. 
Zugleich stellt sich hierbei heraus, dass die Oberfläche des Schmelzes 
von einem Schmelzoberhäutchen überzogen ist. Ich betone 
diesen Befund, weil er für die noch strittige Frage nach der Her- 
kunft des Schmelzoberhäutchens wichtig ist. Während Huxley!) 


Ei 


1) Huxley Quaterly Journ. of Mieroscop. Sc. 1854. 1855. 1857. Nach den 
Referaten von Kölliker, Waldeyer etc., da Huxley’s Arbeiten mir nicht zugängig. 


76 


und Lent!) dasselbe aus der Membrana praeformativa (Basal- 
membran der Schmelzzellen) hervorgehen lassen, nimmt Kölliker 
an, dass nach beendeter Schmelzbildung die Schmelzzellen noch 
eine zusammenhängende Schicht als Bekleidung des Ganzen liefern, 
Waldeyer?) dagegen behauptet, dass die verhornten Zellen des 
sogenannten äussern Epithels vom Schmelzorgan die Cuticula bilden, 
eine vierte Ansicht endlich vertritt Kollmann?°), nach welchem 
das Schmelzoberhäutchen aus den unter einander verbundenen Mem- 
branen der einzelnen Schmelzzellen, den sogenannten Deckeln der- 
selben entstehen soll. Die mitgetheilten Beobachtungen können nur 
im Sinne von Huxley und Lent gedeutet werden; denn sie 
haben gezeigt, dass die junge ganz zellige Papille von einer Basal- 
membran überzogen wird, dass ferner an jungen Zähnchen, welche 
noch vollständig in der Mundschleimhaut vergraben sind, auf der 
Oberfläche des Schmelzes ein Oberhäutchen darstellbar ist, welches 
gleich der Basalmembran, wie Schnitte durch entkalkte Kiefer lehren, 
von einer aus Cylinderzellen bestehenden Epithelschicht, der Schmelz- 
membran, überzogen wird. An einer Identität dieser beiden Gebilde 
kann daher nicht gezweifelt werden und folgt hieraus, dass das 
Schmelzoberhäutchen oder die Zahncuticula nichts 
anderes als die Basalmembran der Schmelzzellen ist. 
Ob diese unverkalkt bleibt oder mit verkalkt, lasse ich dahingestellt. — 
Noch in einer andern Hinsicht ist dieser Befund lehrreich, denn es 
geht aus ihm klar hervor, dass der Schmelz nicht durch eine Ver- 
kalkung der Schmelzzellen entsteht, vielmehr ein Secretionsproduct 
derselben ist und zwar ein Secret, welches von den Zellen durch 
und unter die Basalmembran abgeschieden wird. 

Die folgenden Veränderungen an der Zahnanlage bestehen zu- 
nächst in einer Weiterentwicklung der bereits angelegten Theile. 
Durch eine Wucherung der im Papillengrund gelegenen Zellen wird 
das Dentinkäppchen weiter in die Höhe gehoben (Taf. II. Fig. 6. 
Taf. IH. Fig. 17), es verdickt sich und sein schneidender Rand rückt 


1) Lent. Entwicklung des Schmelzes und des Zahnbeins,. Zeitschrift 
f. wissensch. Zool. B. VI. 

2) Waldeyer. Unters. üher die Entwickl. der Zähne. Königsberger 
med. Jahrbücher B. IV. 1864 und Zeitschrift f. rat. Med. 1865. Ferner 
Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. 

3) Kollmann. Ueber die Schmelzoberhäutchen und die Membrana 
praeformativa. Sitzungsberichte der Münch. Acad. 1869. S. 162. 


77 


weiter nach abwärts. Die das Dentin abscheidenden Zellen haben 
je näher nach dem Grunde der Zahnanlage zu, um so deutlicher 
eine Spindelgestalt angenommen und stehen mit ihrer Spitze senk- 
recht zur Papillenoberfläche oder etwas nach abwärts geneigt. Mit 
dem Wachsthum der Papille vergrössert sich in gleichem Maasse 
auch die sie bekleidende Epithelmembran. Während aber ihre 
Zellen über der Spitze der Zahnkrone cylindrisch gestaltet sind, 
werden sie je weiter nach abwärts um so mehr kubisch und ist in 
Uebereinstimmung mit dieser veränderten Form der Zellen die 
Schmelzbildung auch einzig und allein auf die obere Hälfte der 
Zahnkrone beschränkt. Den unteren Theil der Epitheleinhüllung 
kann man daher nicht mehr als Schmelzmembran bezeichnen, sondern 
man muss ihn mit einem indifferenteren Namen Epithelscheide 
des Zahnes nennen. 

Sowie die Zahnkrone fast vollständig ausgebildet ist, beginnt 
auch der Zahnsockel sich zu entwickeln (Taf. II. Fig. 17). Durch 
eine Vermehrung der Zellen am Grunde der Papille und durch Auf- 
treten von bindegewebiger Zwischensubstanz zwischen den früher 
dicht aneinanderschliessenden Zellen des Dentinkeims, ist die Zahn- 
krone noch weiter in die Höhe gehoben worden. Durch eine Ver- 
grösserung der Epithelscheide nach abwärts ist der Zahnkegel ver- 
längert und erhält hierdurch das Keimgewebe die Form des zu- 
künftigen Sockels. An der Innenseite der Epithelscheide entsteht 
eine dünne Lage einer homogenen Grundsubstanz (C), welche unter 
der Zahnkrone dicker weiter nach abwärts sich membranartig ver- 
dünnt. Einwärts von ihr haben sich die oberflächlichen Zellen der 
Papille zu Spindelzellen umgestaltet und bilden eine epithelartig 
angeordnete Schicht, welche sich nach oben direct in die Odonto- 
blastenschicht fortsetzt, nach unten bis zur Basis der Anlage herab- 
reicht. Der homogene Streifen ist die Anlage des Cements, we- 
nigstens des oberen, von der Zahnscheide noch eingeschlossenen Theiles 
desselben. Die angrenzenden spindelförmigen Zellen sind die Ele- 
mente, von welchen die Ausscheidung des Cementes wie von einer 
Osteoblastenschichte erfolgt. 

Eine Ergänzung finden die Querschnittsbilder durch eine Unter- 
suchung zahlreicher isolirter junger Zähnchen, welche man nach 
vorhergegangener Maceration in Wasser von der Innenseite der 
Kiefer leicht abstreifen kann (Taf. I. Fig.7). Man trifft hierbei 
auch auf ältere Zahnanlagen, deren Zahnkrone bereits vollkommen 


78 


fertig gebildet ist. An diese schliesst sich ein noch unverkalkter, 
aus homogener Substanz bestehender Sockel (So) an, ungefähr in 
der Grösse des vollendeten Zahnsockels. Nach oben besitzt er die 
gleiche Dicke wie die Dentinwand, nach unten aber wird er immer 
dünner und läuft mit einem zugeschärften Rande aus. Während 
der Dentintheil des Zahnes verkalkt ist, enthält die eben geschilderte, 
in der Entwicklung begriffene Grundsubstanz des Sockels noch keine 
Kalksalze. Die Ablagerung derselben, welche man bei Durchsicht 
einer grösseren Anzahl von Isolationspräparaten gleichfalls verfolgen 
kann, beginnt an irgend einer Stelle der Sockelwand in einiger Ent- 
fernung vom Dentinrand und daher nicht im Anschluss an die 
Dentinverkalkung. In Tafel II Figur 7 ist ein solcher Zahn dar- 
gestellt, in dessen innerer Wand eine krümliche Kalkmasse wahr- 
zunehmen ist. Beim Umsichgreifen der Verkalkung bleibt zunächst 
der obere Theil des Sockels unverändert. So traf ich schon mit dem 
Kiefer in Verbindung stehende Zähne, deren Krone sich auf dem 
Sockel noch mit der Nadel bewegen liess. Durch das Ueberbleiben 
dieser Zone entsteht der Ring unverkalkten Gewebes, welcher an 
getrockneten Zähnen bereits beschrieben worden ist. Er ist um so 
breiter je jünger der Zahn ist; an alten Zähnen verschwindet er 
immer mehr, an einigen völlig. In dieser getrennten Verknöcherung 
der Krone und des Sockels kann man einen weiteren Beweis für die 
Richtigkeit der Ansicht erblicken, nach welcher beide Theile aus 
verschiedenen Geweben zusammengesetzt sind. 

In welcher Weise in das Cement beim Frosch Zellen mit ein- 
geschlossen werden, und wie die Verwachsung der Zähne mit dem 
Skeletknochen und unter einander geschieht, wurde nicht beobachtet. 
Es scheint dieses Stadium sehr rasch vorüberzugehen und der Be- 
obachtung daher weniger zugängig zu sein. 

Mit der eben beschriebenen Entwicklung der Zahnsubstanzen, 
des Dentins, des Schmelzes und des Cements gehen Lagever- 
änderungen, welche die sich vergrössernde Zahnanlage erleidet, 
Hand in Hand (Taf. II. Fig. 4—6, 12,13. Taf. IIL. Fig. 4—6, 9, 17). 
Während die jüngsten Papillen an der Kante der Ersatzleiste liegen, 
trifft man die weiter entwickelten, je grösser sie werden, einestheils 
um so weiter nach aussen und oben gerückt, andernseits tiefer und 
allseitiger in’s Schleimhautgewebe eingebettet. Der wachsende Zahn 
schnürt sich hierbei von der Ersatzleiste ab, wobei ihm ein Theil 
der Zellen derselben folgt und eine Hülle um ihn bildet. Die Ab- 


79 


schnürung wird indessen nie eine vollständige, indem selbst der 
völlig entwickelte und functionirende Zahn, wie erwähnt, durch eine 
Epithelbrücke (g), die von seiner Scheide ausgeht, mit der Ersatz- 
leiste in Zusammenhang bleibt (Taf. II. Fig. 14, 18). 

Während der Art die älteren Anlagen durch Abschnürung sich 
weiter nach aussen nach der Ersatzleiste entfernen, entstehen am 
Grunde derselben neue Papillen, indem beständig lebhafte Wuche- 
rungsprocesse daselbst stattfinden. Daher erblickt man auf einem 
Durchschnitt hinter einem alten Zahn nicht selten zwei oder sogar 
drei jüngere auf verschiedenen Stufen der Entwicklung. 

Wie ich es hier für die Kieferzähne beschrieben habe, findet 
der nicht minder reiche Ersatz auch an den Zähnen der Gaumen- 
knochen und des Operculare der Amphibien statt (Taf. Il. 
Fig. 1,2, 5,6, 12,13). Die Epithelleiste senkt sich aber hinter den- 
selben weniger steil, sondern mehr schräg in das Schleimhaut- 
gewebe, welches wie ein Deckel über den jungen Zähnchen liegt. 

Wie aus den mitgetheilten Beobachtungen hervorgeht, gleicht 
die Entwicklung der Amphibienzähne in allen wesent- 
lichen Punkten der Zahnentwicklung der Selachier 
und der Säugethiere. In allen drei Wirbelthierclassen wuchert 
das Epithel in Form einer Lamelle in das Schleimhautgewebe hinein 
und entstehen in der Tiefe desselben die Anlagen an der Aussen- 
seite der Lamelle.. Ebenso sind die histologischen, zur Entstehung 
der Zahnsubstanzen führenden Vorgänge bei ihnen die nämlichen 
und bestätigen uns so auf’s Neue, dass die Bildung der Dentinzähne 
bei den Wirbelthieren ein homologer Vorgang ist. Dieser Ueber- 
einstimmung gegenüber erscheinen die Verschiedenheiten in der Zahn- 
entwicklung bei den drei genannten Classen von untergeordneter 
Bedeutung. Die Verschiedenheiten betreffen einerseits die Anzahl 
der neu entstehenden Zähne, anderntheils die Lage derselben zur 
Ersatzleiste. 

In der Anzahl der neu entstehenden Zähne schliessen 
sich die Amphibien an die Selachier an, indem bei beiden der Er- 
satz ein unbeschränkter ist und zu allen Zeiten neue Anlagen ent- 
stehen. Bei den Säugethieren haben hier Rückbildungen Platz ge- 
griffen und entwickeln sich bei denselben überhaupt nur zwei oder 
sogar nur ein Zahn im Laufe des ganzen Lebens. In der Lage 
der jungen Zähnchen dagegen gleichen sich die Amphibien 
und Säugethiere und weichen von den Selachiern ab. Bei den 


80 


Selachiern nämlich steht die Basis einer Zahnpapille in einem Niveau 
mit der äusseren Fläche der Ersatzleiste und ist ihre Spitze in die 
Epithelmasse derselben hineingewuchert. Die Zahnanlagen bilden 
daher in der Ersatzleiste in gleicher Weise papillenartige Verlänge- 
rungen der Bindegewebsoberfläche, wie die Schuppenanlagen auf der 
Oberfläche des Corium. Bei den Amphibien- und Säugethierzähnen 
ist dies ursprüngliche Verhältniss geändert. Hier entfernen sich die 
Zähnchen mit ihrer Basis, je älter sie werden, um so weiter von 
der Ersatzleiste, indem sie sich von derselben abschnüren und all- 
seitig in das Schleimhautgewebe hineinrücken; sie nehmen daher 
zu ihr dieselbe Lage ein, wie später die ausgebildeten Zähne zur 
Schleimhautoberfläche. In dem Grade dieser Abschnürung entfer- 
nen sich indessen die Amphibien und Säugethiere von einander. 
Während bei jenen sich dauernd eme Epithelbrücke zwischen der 
Zahnanlage und der Ersatzleiste erhält, bildet sich dieselbe bei den 
Säugethieren schon früh zurück. Dadurch wird die junge Papille 
allseitig vom Bindegewebe umschlossen, sie wird, um den üblichen 
Ausdruck zu gebrauchen, in ein Zahnsäckchen eingehüllt. 

Bei einer vergleichenden Betrachtung dieser Lagerungsverschie- 
denheiten ist die Lage bei den Selachiern als die ursprüngliche an- 
. zusehen und leiten von ihr die abweichenden Verhältnisse der Am- 
phibien zu den bei den Säugethieren bestehenden Einrichtungen über. 


b) Resorption der Zähne. 


Die Art und Weise, in welcher die Resorption alter Zähne 
geschieht, und namentlich die hierbei stattfindenden histologischen 
Processe sind bei den Amphibien so gut wie unbekannt. Nur in 
Owen’s Odontography finde ich die kurze Bemerkung, dass, wenn 
ein junger Zahn Härte und Grösse erlangt, er gegen die Basis des 
benachbarten befestigten Zahnes drückt, eine vorschreitende Re- 
sorption dieses Theiles verursacht und schliesslich seine Vorgänger 
unterminirt, entfernt und ersetzt. — Einen schnellen Einblick in die 
Art und Weise des Zahnwechsels erhält man schon durch Betrach- 
tung macerirter und von ihren Weichtheilen befreiter zahntragender 
Knochenstücke (Kiefer des Frosches, Gaumenknochen und Opereu- 
lare des Axolotl) bei einer mittleren Vergrösserung (Taf. II Fig. 15 
u.16). Zunächst bemerkt man stets zwischen den in einer Reihe 
aufgepflanzten und in regelmässigen Abständen neben einander- 
stehenden Zähnen auch einzelne Lücken, wo offenbar Zähne ausge- 


> 


81 


fallen sind. Da nicht nur die Zahnkrone, sondern in gleicher Weise 
auch der ganze Zahnsockel fehlt, so liegt die abschüssige Innen- 
wand des Kiefers nackt zu Tage. Ihre Oberfläche ist rauh und 
mit Grübchen und muschelförmigen Eindrücken bedeckt. Bei einer 
Durchmusterung einer Reihe von Zähnen in situ kann man immer 
einige finden, deren Wände nicht mehr ganz intact und vollständig, 
sondern mehr oder minder weit in der verschiedensten Weise zer- 
stört sind. Bald sieht man Zähne, denen die Innenwand in grös- 
serer Ausdehnung fehlt, bald solche, in deren Innen- und Aussenwand 
ein rundes Loch sich befindet, so dass der obere Theil mit dem 
unteren durch die Seitenwände gleichsam wie durch zwei Pfeiler 
verbunden wird, bald trifft man Zähne, von denen nur noch eine 
Seitenwand stehen geblieben ist. Alle derartig in höherem oder ge- 
ringerem Grade zerstörten Zähne haben in der nächsten Umgebung 
der Defecete die glatte Beschaffenheit ihrer Oberfläche verloren und 
sind, wie es oben von der Kieferwand beschrieben wurde, sei es 
‚aussen, sei es innen, durch zahlreiche grössere und kleinere 
Grübchen rauh und uneben. Ferner erscheinen die Umran- 
dungen der Defecte wie ausgenagt, indem hie und da kleine scharfe 
Zäckchen vorspringen, zwischen welchen halbmondförmige Ein- 
schnitte sich vorfinden. Aehnliche Bilder wie beim Frosche erhält 
man bei Betrachtung der zahntragenden Knochen von Siredon pisci- 
formis (Taf. II Fig.8). Hier ist auch die knöcherne Verbindungs- 
masse zwischen den einzelnen Zähnen am Öperculare und an den 
Gaumenknochen tief ausgenagt, durchlöchert und mit Kanten und 
Zacken besetzt, durch welche der Knochen die geschilderte poröse 
Beschaffenheit mit erhält. 

Um das Verhalten der Weichtheile zu diesen Defec- 
ten kennen zu lernen und so die auf dem obigen Wege erhaltenen 
Resultate zu vervollständigen, empfiehlt es sich, in chromsaurem 
Kali macerirte und isolirte Zähne zu untersuchen und als Objecte 

» Siredon piseiformis zu wählen, weil man hier am zahlreichsten de- 
fecte Zähne zur Ansicht erhält. An solchen findet man nun nicht 
selten in den Gruben und Aushöhlungen der Ränder der Defecte 
und der benachbarten Innen- und Aussenfläche eine körnige Masse 
in grosser Ausdehnung liegen, welche drei bis zehn und zuwei- 
len noch mehr Kerne einschliesst. Diese vielkernigen Zellen 
sind von sehr wechselnder Form, bald rund und scheibenförmig, 
bald oval, bald mit längeren Fortsätzen versehen ; entweder sind 

Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 11, Supplementhett. 6 


82 


sie glattrandig oder etwas ausgezackt (Taf. II Fig. 7, 10, 15, 17. Taf. 
II Fig. 15, 14 e). Eine einzelne dieser Zellen kann eine grössere Höh- 
lung ausfüllen oder eine grössere Anzahl kleinerer Grübchen bede- 
cken. Meist liegen ihrer mehrere der Zahnwand in der Umgebung 
von Defecten an. 

Aus dem Mitgetheilten geht klar und deutlich hervor, dass 
man es hier mit Vorgängen zu thun hat, welche den bei der Re- 
sorption von Knochengewebe stattfindenden völlig gleich sind. 
Wie schon zum Theil durch ältere Untersucher, besonders aber 
neuerdings durch die sehr umfassenden Untersuchungen von Köl- 
liker!) festgestellt ist, kommen an allen jenen Punkten, wo Kno- 
chengewebe schwindet, auf der Knochenoberfläche grubenförmige 
Vertiefungen vor, die sogenannten Howship’schen Grübchen, 
(foveolae Howshipianae) und in diesen liegen vielkernige Pro- 
toplasmamassen, die Riesenzellen Virchow’s, die Myelo- 
plaxen Robin’s; sie sind es besonders, auf welche Kölliker in 
der citirten Schrift als auf »die eigentlichen Vermittler der Kno- 
chen- und Zahnresorption« aufmerksam gemacht, und welchen er 
den sehr bezeichnenden Namen Ostoklasten beigelegt hat. 

Einmal an macerirten Kiefern auf diese Veränderungen auf- 
merksam geworden, fand ich darauf bezügliche Bilder auch an 
Schnittpräparaten vor. Taf. IIl Fig. 17 zeigt uns einen Schnitt durch 
das Intermaxillare des Frosches von einer Stelle, wo der alte Zahn 
frisch resorbirt ist; die Innenwand des Kiefers ist ausgenagt, in den 
Vertiefungen liegt eine Anzahl Ostoklasten (e). Die Contour der 
Oberfläche entspricht den Stellen, wo man beim festsitzenden Zahne 
die ähnlich gekrümmte und gezackte Nahtlinie wahrnimmt. Bei 
Siredon pisciformis (Taf. II Fig. 13), dessen Gaumenknochen ich als 
ein zum Studium der Knochen und Zahnresorption ganz vorzüglich 
günstiges Object empfehlen kann, konnte ich sicher sein fast bei 
jedem Schnitte auch eine grössere Anzahl Ostoklasten zu erhalten, die 
theils in Ausbuchtungen des Knochens an der Zahnbasis, theils in 
Defecten des Gements oder Dentins der Zähne lagern. 

Wenn in der Weise ein alter Zahn resorbirt worden ist, rückt 
sein Ersatzzahn allmählich in die freigewordene Stelle der Zahn- 
reihe ein, sein Sockel verknöchert, verschmilzt mit der Innenwand 

1) Kölliker, Die normale Resorption des Knochengewebes etc. Leip- 
zig 1873. 


” 


83 


des Processus dentalis und verbindet sich gleichzeitig auch durch 
vermehrte Cementbildung mit den Seitenwänden. seiner Nachbar- 
zähne. 

Nach dieser Darlegung der thatsächlichen Verhältnisse berühre 
ich noch kurz die Frage nach den Ursachen, welche dem so 
merkwürdigen Process der Zahnresorption und Neu- 
bildung zu Grunde liegen. Seither hat man gewöhnlich als das 
die Zahnresorption veranlassende Moment die Entstehung einer Er- 
satzanlage betrachtet. Der junge Zahn soll, wie Owen sich aus- 
drückt, gegen die Basis seines auf den Knochen befestigten Vor- 
gängers andrücken, einen vorschreitenden Schwund dieses Theiles 
verursachen und schliesslich seinen Vorgänger »unterminiren, ent- 
entfernen und ersetzen.«e Zu einem gleichen Resultate gelangte 
Cuvier bei der Beschreibung der Urocodilzähne, wo die jungen An- 
lagen in die Pulpahöhlen der alten hineinwachsen, so dass man 

zuweilen drei verschieden weit ausgebildete Zähne den einen in dem 
andern eingeschachtelt findet. So plausibel die hier vorgetragene 
Erklärung von Anfang an erscheint, zumal wenn man nur einzelne 
frappante Fälle vor Augen hat, so muss man doch die Richtigkeit 
oder die allgemeine Gültigkeit derselben bei einem näheren Ein- 
gehen auf den angeregten Gegenstand in Zweifel ziehen, denn bei 
den Amphibien, besonders aber bei den Selachiern hängt der Zahn- 
wechsel augenscheinlich von ganz anderen Ursachen ab. Wenn bei 
den Amphibien der Ersatzzahn die Ursache zur Resorption wäre, 
so müsste die Zerstörung der alten Zähne constant an der Innen- 
seite und an der Basis erfolgen. Dies ist aber nicht der Fall, viel- 
mehr findet man häufig Zähne, wo der Zerstörungsprocess an der 
Aussen- oder Seitenwand und sogar nahe an der Zahnkrone begon- 
nen hat. Bei den in mehreren Reihen stehenden Zähnen ist end- 
lich die der Resorption zunächst anheimfallende erste Zahnphalanx 
durch eine zweite oder dritte etc. von den heranwachsenden Ersatz- 
zähnen getrennt, so dass eine Einwirkung derselben selbstverständ- 
lich nicht angenommen werden kann. Nicht minder verlangen bei den 
Selachiern die Verhältnisse des Zahnwechsels eine andere Er- 
klärung. Hier stehen auf den Kieferbogen die Zähne in grosser An- 
zahl reihenförmig hintereinander, nur in der Schleimhaut befestigt. 
Gewöhnlich ist nur eine Reihe im Gebrauch, diese steht dann 
aufrecht auf dem Kieferrand; die nächstfolgenden allmählich jünger 
werdenden Zähne befinden sich tiefer an der Innenwand des Kiefer- 


84 


knorpels und sind mit ihren Spitzen oft nach rückwärts und unten 
umgelegt. Die Stellung der Zähne ist der Art, dass die jüngeren 
einen Druck auf die älteren nicht ausüben können. Wenn die erste 
Zahnreihe abgenutzt ist, tritt die folgende an ihre Stelle, indem 
die einzelnen Zähne sich aufrichten. Bei diesem Wechsel gleitet, 
wie Owen dies nachgewiesen hat, die gesammte zahntragende 
Schleimhaut allmählich über den Kieferknorpel wie über eine Walze 
hin, indem wahrscheinlich bei dem Ausfallen und der Resorption 
der Zähne Schrumpfungen in der am Kieferrand gelegenen Schleim- 
haut stattfinden. Auf jeden Fall geht aus den angeführten That- 
sachen so viel hervor, dass es nicht die nachwachsenden Zähne sind, 
welche die alten verdrängen und vernichten, vielmehr sprechen die- 
selben gerade für ein entgegengesetztes Verhältniss und legen uns 
die Annahme nahe, dass von der raschen Abnutzung derin 
Gebrauch befindlichen Zähne der so ungemein leb- 
hafte Ersatz abhängt). Indem ich dieses Verhältniss für das 
primäre halte, soll damit nicht bestritten werden, dass trotzdem 
bei den höheren Wirbelthieren auch der Ersatzzahn auf die Re- 
sorption des alten in der oben geschilderten Weise einwirken könne. 
Wenn dies aber der Fall ist, so muss der Vorgang als ein erst 
später erworbener, als ein secundärer betrachtet werden, als ein 
Vorgang, welcher mit der höheren Ausbildung des Einzelzahns und 
seiner grösseren Dauerhaftigkeit und mit einer Beschränkung des 
Zahnwechsels sich ausgebildet hat. 

1) Vergleiche: Ueber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen etc. 
l. ce. 8. 388-390, 


Zweite Abtheilung. 


Embryonale Entstehung der Zähne und des Mundhöhlen- 
skelets der Amphibien. 


Dem vergleichend anatomischen Theil dieser Untersuchung 
lasse ich einen entwicklungsgeschichtlichen Theil folgen. Beide Theile 
hängen innig untereinander zusammen und ergänzen und vervoll- 
ständigen sich gegenseitig. Manche Thatsachen, zu deren Annahme 
eine vergleichende Betrachtung niederer und höherer Amphibien- 
formen uns im Vorausgegangenen geführt hat, finden in der Ent- 
wicklungsgeschichte ihre Bestätigung. Für Manches, das theoretisch 
vorausgesetzt werden musste, bin ich hier den empirischen Beweis zu 
liefern im Stande. Auf der anderen Seite werden aber auch durch die 
Thatsachen, welche wir im anatomischen Theil kennen gelernt ha- 
ben, viele entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge in das rechte Licht 
gesetzt und unserem Verständniss näher gebracht. 

Diese Wechselbeziehung des anatomischen zum entwicklungs- 
geschichtlichen Theil hängt überhaupt mit der Stellung zusammen, 
welche vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte zu ein- 
ander einnehmen. Da die Erkenntniss dieser Stellung für die rich- 
tige Beurtheilung der folgenden Blätter nicht ohne Belang ist, so 
halte ich es für geboten, näher auf sie einzugehen. 

Die Aufgabe der Morphologie ist die Erkenntniss eines or- 
ganischen Objectes. Eine solche kann aber durch eine einfache 
Kenntniss desselben, wie sie die Anatomie uns bietet, und wenn 
sie auch die erschöpfendste ist, nicht erlangt werden. Eine Arbeit, 
welche sich nur mit dem Bau eines Organismus beschäftigt, ist vom 
wissenschaftlichen Ziele noch weit entfernt. Eine Erkenntniss eines 
organischen Objectes besitzen wir erst dann, wenn wir dasselbe auf 


86 


einfachere Verhältnisse zurückzuführen und so in letzter Instanz 
aus der Wirksamkeit chemisch physikalischer Kräfte zu erklären 
im Stande sind. Diesem Endziel der Erkenntniss nähren wir uns 
um einen kleinen Schritt, wenn wir einen. complicirter beschaffenen 
Organismus von einem einfacher beschaffenen ableiten können. 

Nach diesem Ziele wissenschaftlicher Forschung streben nun in 
gleicher Weise die vergleichende Anatomie und die Entwicklungs- 
geschichte, aber jede auf ihrem besonderen Wege. 

Die vergleichende Anatomie sucht durch Vergleich hö- 
herer mit niederen Formen die Entstehung der ersteren zu erken- 
nen. Sie geht von der Voraussetzung aus, dass die jetzt lebenden 
Organismen zu ihrer jetzigen Gestaltung allmählich sich entwickelt 
haben und zwar aus einfacheren Formen, die aus dem Anorgani- 
schen entstanden, sich immer weiter complicirt haben. Die jetzt 
lebenden Organismen sind daher in verschiedenem Grade unterein- 
ander blutsverwandt. Sie sind die Endglieder von Entwicklungs- 
reihen, welche untereinander zusammenhängen und nach der Form 
eines Stanımbaumes sich graphisch darstellen lassen. Die verglei- 
chende Anatomie findet nun, dass der Entwicklungsgrad dieser ein- 
zelnen Glieder ein sehr verschiedener ist, dass, während einzelne sich 
hoch differenzirt haben, andere einfacher beschaffen sind. Sie erklärt 
diese Erscheinung daraus, dass eine grosse Anzahl Individuen auf 
einer niedrigeren Entwicklungsstufe, welche höher differenzirte For- 
men bereits durchlaufen haben, stehen geblieben oder, um mich 
genauer und richtiger auszudrücken, weniger von derselben abge- 
wichen sind. Wenn wir von dieser Voraussetzung ausgehend die 
Organismenwelt betrachten, so sind wir durch Vergleichung in den 
Stand gesetzt, uns ein Bild von der Entwicklung, welche ein Orga- 
nismus durchlaufen hat, annähernd zu verschaffen. Mit anderen 
Worten: Wir lernen durch die vergleichende Anatomie 
die phylogenetische Entwicklung des Organismus, der 
Organe und in letzter Instanz auch der Gewebe des- 
selben erkennen. Indem sie uns allmählich von den niederen 
zu den höheren Formen hinleitet, giebt sie uns vielfach sogar die 
Mittel an die Hand, auch einen Einblick in die Ursachen zu gewin- 
nen, durch welche die höhere Differenzirung eines Organismus her- 
beigeführt worden ist. 

Einen zweiten Weg, um das Werden eines Organismus zu 
erkennen, verfolgt die Ontogenie, die Entwicklungsgeschichte 


| 


87 


des Individuums. Sie geht von der Thatsache aus, dass jedes Indi- 
viduum zunächst eine einfache Zelle ist, und dass aus dieser all- 
mählich die so verschiedenartigen Organe entstehen. Die Art und 
Weise dieser Entwicklung führt sieuns vor Augen und zeigt uns so 
gleichfalls, wie aus einfacheren complieirte Bildungen hervorgehen. 

Auf jedem dieser Wege, wenn wir ihn allein betreten, können 
wir nur eine sehr unvollständige und unsichere Erkenntniss erlan- 
gen. Die Resultate der vergleichenden Anatomie sind unvollständige, 
weil von den jetzt lebenden Organismen die meisten uns nur 
annähernd frühere Entwicklungstufen erhalten zeigen und weil viele 
Entwicklungsformen überhaupt in lebenden Organismen sich nicht 
mehr conservirt haben. Nicht minder lückenhaft sind die Resultate 
der Ontogenie, weil die Entwicklung, welche das Individuum durch- 
läuft, eine stark abgekürzte und vielseitig abgeänderte ist. Wenn 
wir indessen beide Arten der Untersuchung combiniren und gleich- 
zeitig handhaben, dann sind wir in der Lage, die Lücken vielfältig 
auszufüllen und, was das Wichtigste ist, die auf dem einen Wege 
erhaltenen Resultate auf dem andern Wege zu controlliren. Onto- 
genetische und phylogenetische Entwicklung des Individuums hängen 
nämlich untrennbar mit einander zusammen, ein Verhältniss, wel- 
ches auf die Methode der morphologischen Forschung 
von dem grössten Einfluss werden dürfte. 

Es ist ein hohes Verdienst von Haeckel!) den causalen Zu- 
sammenhang zwischen der Öntogenie und Phylogenie zuerst klar 
hervorgehoben und demselben in seinem biogenetischen Grund- 
gesetz eine feste Fassung gegeben zu haben. Das biogenetische 
Grundgesetz lehrt, dass »die Ontogenie eine kurze Recapi- 
tulation der Phylogenie ist, dass die Formenreihe, welche 
der individuelle Organismus während seiner Entwicklung von der 
Eizelle an bis zu seinem ausgebildeten Zustande durchläuft, eine 
kurze gedrängte Wiederholung der langen Formenreihe ist, welche 
die thierischen Vorfahren desselben Organismus von den ältesten 
Zeiten der sogenannten organischen Schöpfung an bis auf die Ge- 
genwart durchlaufen haben.« Für diese Erscheinung giebt uns das 
biogenetische Grundgesetz auch die Erklärung, indem es aussagt, 
dass »die Phylogenese die mechanische Ursache der On- 


1) Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen Bd. II S. 371—422. 
— Haeckel, Anthropogenie: Entwicklungsgeschichte des Menschen. 1874. 


88 


togenese ist, dass die Stammesentwicklung nach den Gesetzen der 
Vererbung und Anpassung alle die Vorgänge bewirkt, welche in der 
Keimesentwicklung zu Tage treten !)«. 

Dieses Gesetz ist vorzüglich desshalb von der allerhöchsten 
Bedeutung für die morphologische Forschung, weil es uns die Mög- 
lichkeit bietet, über den bloss descriptiven Weg, welchen die Mor- 
phologie seither hauptsächlich verfolgt hat, in der Untersuchung 
hinauszugehen und über das Werden des Organismus zu reflectiren, 
ohne in leere Phantastereien zu verfallen, vor welchen es uns 
sichert. Wenn nämlich das biogenetische Grundgesetz richtig ist, 
dann muss die vergleichend anatomische und die entwicklungs- 
geschichtliche Untersuchung zu ähnlichen und in vielen Fällen zu 
den gleichen Endergebnissen führen. Wir haben so die Mittel an 
der Hand, die auf einem Wege erhaltenen Resultate durch Betre- 
ten des anderen zu bestätigen und zu controlliren. Wie bei einer 
Rechnung können wir in vielen Fällen die Probe machen, ob zum 
Beispiel das durch vergleichend anatomische Betrachtung erhaltene 
Resultat ein richtiges ist. Wir haben nur die Entwicklungsgeschichte 
zu befragen. Erhalten wir hier dasselbe Resultat, dann haben wir 
auch die Gewissheit, dass unsere Rechnung stimmt, dass das Re- 
sultat unserer Untersuchung ein richtiges ist. Durch die Er- 
kenntniss des causalen Zusammenhanges zwischen On- 
togenie und Phylogenie erhält die morphologische Wis- 
senschaft eine sichere Methode, welche ihr bisher gefehlt 
hat, und werden an der Hand derselben die gesammelten und die 
neu herbeizuschaffenden Bausteine zu einem einheitlichen Bau sich 
ordnen. Hieraus folgt, dass jede biologische Untersuchung gleich- 
zeitig eine vergleichend anatomische und eine entwicklungsgeschicht- 
liche sein sollte, wenn sie dem Ziele, welches die biologische Wis- 
senschaft uns steckt, mit den derzeitigen Hülfsmitteln möglichst 
nahe kommen will. »Entwicklungsgeschichte« — und ich füge 
hinzu, in gleichem wenn nicht noch in höherem Maasse vergleichende 
Anatomie — »sind die wahren Lichtträger für Untersuchungen über 
organische Körper.« 

In dem hier mitgetheilten Sinne ist die vorliegende Unter- 
suchung ausgeführt und auch dargestellt worden. An vielen Orten 
wird uns in schlagender Weise die Parallele, welche zwischen 


1) Haeckel, Anthropogenie: Entwieklungsgeschichte des Menschen. 8.7. 


89 
Ontogenie und Phylogenie besteht, entgegentreten und uns in den 
Stand setzen, die Probe auf die Richtigkeit der oben aufgestellten 
vergleichend anatomischen Schlüsse zu machen. Eine glückliche Be- 
schaffenheit des Untersuchungsobjectes erlaubt es Schritt für Schritt 
die ontogenetische Entwicklung der Zähne und des Skelets der 
Mundhöhle zu verfolgen und dieselbe mit phylogenetischen Entwick- 
lungsstufen zu vergleichen, welche theils in der Classe der Amphi- 
bien selbst, theils bei den tieferstehenden Wirbelthieren, den Sela- 
chiern, Ganoiden, Teleostiern und Dipneusten uns erhalten sind. 
Wie vergleichend anatomische Schlüsse erst durch embryologische 
Thatsachen wirklich sicher gestellt, und wie umgekehrt embryolo- 
gische Thatsachen durch Berücksichtigung vergleichend anatomischer 
Verhältnisse wirklich verstanden werden können, dafür hoffe ich, 
werden auch die folgenden Untersuchungen ein neuer Beweis sein. 


Die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen, zu deren Dar- 
stellung ich jetzt übergehe, wurden an Larven aus den verschie- 
densten Entwicklungsstadien von Siredon pisciformis, Triton, Sala- 
mandra maculata, sowie vom Frosch und von Pelobates angestellt. 
Die an den Larven der Anuren gewonnenen Resultate können mit 
den anderen nicht gleichzeitig beschrieben werden. Die Anuren 
weichen nämlich in der Entwicklung der Zähne und des Mundhöhlen- 
skelets von den Urodelen nicht unbeträchtlich ab. Während bei 
diesen die Entwicklungsvorgänge ziemlich unverfälschste sind, haben 
sie sich bei jenen beträchtlich abgekürzt. Dieser Umstand zwingt 
mich die an den beiden Ordnungen angestellten Untersuchungen ge- 
trennt mitzutheilen. Selbstverständlich werden an erster Stelle die 
Verhältnisse bei den Urodelen und erst an zweiter diejenigen bei 
den Anuren beschrieben werden. An diese beiden Abschnitte, 
welche das Untersuchungsmaterial in sich fassen, schliesst sich ein 
dritter, in welchem die bei den Urodelen und Anuren erhaltenen 
Resultate der Untersuchung mit einander verglichen nnd die aus 
der Vergleichung sich ergebenden Resultate besprochen werden 
sollen. 


Erster Abschnitt. 


Entwicklung der embryonalen Zähne und des Skelets der Mundhöhle 
der Urodelen. 


Hierzu Tafel IV. 


Um die ersten Stadien der Anlage der Zähne und der Kno- 
chen ‚der Mundhöhle zu beobachten, muss man Embryonen in den 
letzten Tagen des Eilebens oder Larven gleich nach dem Ausschlü- 
pfen zur Untersuchung wählen. Dieselben sınd zu der Zeit noch 
von sehr geringer Grösse und messen von Siredon piseiformis etwa 
1 Cm. und von Triton eristatus nur 0,8 Cm. Bei ihnen sind noch 
alle Gewebe, Knorpel- und Bindegewebszellen, besonders aber die 
oberflächlichste Schicht des Schleimhautepithels mit aufgestapelten 
Nährstoffen, fettig glänzenden Kügelchen, den sogenannten Dotter- 
plättchen erfüllt und stören diese in vieler Beziehung die Unter- 
suchung, indem sie die Gewebe undurchsichtig machen (Taf. IV Fig. 
21—25, 30, 34 y. Taf. V Fig.9 y). 

Die Mundspalte ist äusserlich wenig wahrzunehmen, da die 
Unterlippe an der Oberlippe dicht anschliesst und ihr beiderseitiges 
Epithel gleichsam wie aneinander geklebt zusammenhängt. Die Au- 
gen sind in allen ihren Theilen angelegt. Das Geruchsorgan steht 
noch auf dem ersten Stadium seiner Entwicklung und besteht aus 
zwei kleinen Grübchen, welche dicht vor dem Mundeingang liegen. 

Die Untersuchung der Zähne und der Skeletentwicklung bei so 
kleinen und zarten, weil wenig entwickelten Larven, ist mit techni- 
schen Schwierigkeiten verknüpft. Der Besprechung der Befunde schicke 
ich daher eine Besprechung der Methoden, welche ich bei der Unter- 
suchung angewandt habe, voraus. Derselben lasse ich zunächst eine 
kurze zusammenhängende Darstellung des Primordialeranium von 
frisch ausgeschlüpften Larven folgen, weil eine Kenntniss desselben 
für die richtige Beurtheilung der Lage des knöchernen Skelets noth- 
wendig ist. An dritter Stelle werde ich dann die Entstehung der 
Zähne und in einem vierten Abschnitt die Entstehung der einzelnen 
Deckknochen der Mundhöhle beschreiben. 


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1. Methode der Untersuchung. 


Zerzupfungspräparate sind in jeder Beziehung wenig zu em- 
pfehlen, da hierbei die Theile aus ihrem Zusammenhang heraus- 
gerissen werden; um so wichtiger ist es, feine Schnitte zu gewinnen. 
Dieselben wurden theilweise in sagittaler, theilweise in frontaler 
Richtung angefertigt. Zu dem Zwecke wurden carminisirte Larven 
oder Theile derselben mittelst Gummiglycerins zwischen erhärtete 
Leberstückchen eingeklebt und in Brennspiritus erhärtet, so dass 
Leberstückchen und eingeschlossenes Object eine zusammenhängende 
Masse bildeten. Eine vorausgehende Entkalkung ist bei jungen Lar- 
ven nicht nöthig, da die Zähnchen und der dünne Knochen der 
Messerklinge keinen Widerstand entgegensetzen. Ueberhaupt unter- 
bleibt dieselbe zweckmässiger Weise, denn die Deütlichkeit der Bil- 
der leidet durch sie, indem die verkalkten Theile besser als im ent- 
kalkten Zustand erkannt werden. — Um die Vertheilung der Zähne 
und um die embryonalen Knochen in ihrer Lage in der Mundschleim- 
haut kennen zu lernen, ist es nothwendig, die Theile in situ zu 
studiren und muss man zu dem Zweck zu Aufhellungsmitteln grei- 
fen. Zui' Herstellung eines tauglichen Präparates wurde an in Spi- 
ritus erhärteten Larven das Schädeldack mit dem Rasirmesser ab- 
getragen und das Hirn vollends mit der Nadel entfernt. Durch 
Eingehen mit der Scheere in die Mundhöhle wurde der Unterkiefer 
entweder beiderseits oder nur einseitig abgetrennt und in letzterem 
Falle zur Seite geschlagen. Natronlauge in schwächerer und stär- 
kerer Üoncentration hellt das Präparat so auf, dass man die ver- 
kalkten Theile und die Knorpelpartieen am Schädeldach und am 
Unterkiefer mit der grössten Deutlichkeit erkennen und selbst bei 
starker Vergrösserung untersuchen kann. An derartigen Präpara- 
ten wurde besonders die Skeletentwicklung verfolgt. 


2. Die Beschaffenheit des Primordialeranium der 
| Urodelen. 


Während über die Entwicklung des Primordialeranium bei den 
Batrachiern genaue Untersuchungen vorliegen, fehlen solche, soweit 
mir bekannt ist, für die geschwänzten Amphibien aus der genannten 
Entwicklungsperiode. Duges!) hat dieselbe nicht untersucht und 


1) Dug&s, Recherches sur l’osteologie et la myologie des Batraciens 
a leurs differens äges. 


92 


Reichert!) giebt von ihr‘ nur wenige unvollständige und unbe- 
stimmte Angaben. 

An frisch ausgeschlüpften Larven finde ich die Decke und zum 
grössten Theile auch die Seitenwände der Gehirnkapsel noch voll- 
kommen häutig, dagegen hat an der Schädelbasis eine Sonderung 
der Bildungsmasse in Hart- und Weichgebilde stattgefunden. Die 
Schädelbasis verläuft nahezu, horizontal ohne eine bedeutende Krüm- 
mung aufzuweisen vom Hinterhauptsloch bis zur Mundöffnung. Wie 
bei allen Wirbelthieren liegt in ihrem hinteren Theil zwischen dem 
Ohrlabyrinth jeder Seite ein medianer Zellenstrang, die Chorda dor- 
salis (Taf. IV. Fig. 28 Ch. Fig. 37). Rechts und links von ihr be- 
merkt man einen Knorpelbalken (z). Derselbe grenzt unmittelbar 
an die Chordascheide an, lässt aber deren obere und untere Fläche 
unbedeckt. Auf der oberen und unteren Fläche des Knorpels und 
der Chorda liegen ein bis zwei Lagen embryonaler Bildungszellen, 
dann folgt schon nach unten das zweischichtige Epithel der Mund- 
schleimhaut, nach oben das Gehirn (Taf. IV Fig. 24u. 28). An der 
Innenwand der Chordascheide liegt eine einfache Zellenschicht: das 
Chordaepithel, und innerhalb desselben die pflanzenzellenähnlichen 
Chordazellen, in deren jeder man jetzt noch sehr deutlich einen Kern 
wahrnimmt. Die jederseits der Chorda gelegene Knorpelmasse ver- 
schmilzt vor dem Chordaende zu einer kurzen unpaaren Platte. 
Nach vorn zerfällt dieselbe wieder in zwei getrennte Balken, welche 
einander parallel und in geringer Entfernung von einander bis in 
die Nähe der Oberlippe verlaufen (Taf. I Fig. 31. Taf. IV Fig. 35 u. 
37 8.B). Es sind dies die sogenannten seitlichen Schädelbalken 
Rathke’s. Dieselben liegen jederseits an der Innenseite des Auges 
zwischen ihm und der Hirnbasis. Zwischen ihnen verharrt das Pri- 
mordialeranium noch eine Zeit lang im häutigen Zustand und findet 
zwischen ihnen die Einstülpung der Hypophysis statt. Später ver- 
breitern sich die seitlichen Schädelbalken in ihrem vorderen Theile, 
verschmelzen hier mit einander und bilden die knorplige Grundlage 
der Ethmoidalregion (Taf. IV Fig. 37). In dem an die Schädelbasis 
sich anschliessenden Visceralskelet hat sich gleichfalls die Sonderung 
in die knorpligen Bogen und in die einhüllende Schleimhaut voll- 
zogen (Taf.IV Fig.35 C.M). 


1) Reichert, Vergleichende Entwicklungsgeschichte des Kopfes der 
nackten Amphibien. Königsberg 1838. 


93 


In gleicher Weise, wie ich es hier für die Amphibien beschrieben 
habe, ist auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe auch das Pri- 
mordialeranium der Selachier, sowie überhaupt aller übrigen Wirbel- 
thiere von den Fischen aufwärts beschaffen, wie dies aus den em- 
bryologischen Untersuchungen von Rathke!), Carl Vogt?) und 
Gegenbaur?) hervorgeht. 


3. Entstehung der primitiven Zähne‘). 


Nach dieser einleitenden Betrachtung wende ich mich zur 
Schilderung des embryonalen Entstehens der Zähne. Ueber diesen 
Gegenstand besitzen wir bis jetzt nur eine kurze Mittheilung 
von Gegenbaur und eine etwas eingehendere Schilderung von 
S. Sirena. 

Ersterer erwähnt in einer Anmerkung seiner Untersuchungen 
zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule bei Amphibien und 
Reptilien, dass bei jungen Tritonen und Salamandern jedes Zähnchen 
eine papillenartige conische Vorragung bildet, die an der Spitze 
durch Kalkaufnahme solidificirt ist, gegen die Basis zu in eine weiche 
homogene Lamelle übergeht, welche die einzelnen Zähnchen unter- 
einander verbindet. Im Innern jedes Zähnchens soll sich eine einzige 
relativ grosse Zelle mit wenig scharf abgegrenztem Protoplasma und 
einem ansehnlichen grossen Kerne vorfinden. In der Zahnsubstanz 
sollen zarte Kanälchen auftreten, welche sich nach innen gegen den 


1) Rathke. Entwicklungsgeschichte der Natter. Königsberg 1839. 

2) C. Vogt. Embryologie des Salmones. Neuchatei 1842. 

3) Gegenbaur. Das Kopfskelet der Selachier ete. Leipzig 1872. 
Seite 27—30. 

‚ 4) Literatur. 

Gegenbaur. Untersuchungen zur vergleich. Anatomie der Wirbelsäule 
bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862. Seite 12. Anmerk. 

S. Sirena. Verhandl. der phys. med. Gesellsch. zu Würzburg. 1871. 
Seite 134. 

Rusconi, Dug£&s, Reichert etc., welche uns eine Beschreibung des 
Zahnskelets der jungen Tritonen geben, haben den Bau der Zähnchen 
und ihre Entwicklung nicht untersucht, daher werden ihre Angaben 
erst später bei der Frage nach der Entstehung des Kopfskelets Be- 
rücksichtigung finden. Die Angaben Heinecke’s über die Entwick- 
lung der Tritonzähne haben nur auf die Entwicklung der Ersatzzähne 
Bezug und habe ich über dieselben schon früher referirt. 


94 


von der Zelle eingenommenen Hohlraum öffnen. Gegenbaur be- 
trachtet jedes Zähnchen als Abscheideproduct einer Zelle und ver- 
gleicht sie insofern mit den sogenannten Hornzähnchen der Frosch- 
larven, mit denen er aber keinen genetischen Zusammenhang annimmt. 

Santi Sirena kommt in seiner Arbeit zu wesentlich dem 
gleichen Resultate. Seine Untersuchungen stellte er, gleich mir, an 
Larven von Siredon und Triton an. Den über die Zahnentwicklung 
von Siredon handelnden Passus theile ich bei seiner Kürze hier 
wörtlich mit: 

»Bei Larven, bei denen die Füsse noch nicht entwickelt waren, 
fand ich die ersten Spuren der Zahnpapillen am Unterkiefer. Hier 
beobachtete ich grosse papillenförmige Zellen, die jede für sich in 
das Epithel hineinragten und zugleich mit ihrer Basis der den 
Knorpel überziehenden dünnen Bindegewebsschicht aufsassen, die hier 
Mucosa und Perichondrium zugleich vertritt. Jede dieser Zellen, die 
man jetzt schon richtiger Zahnpapillen nennen kann, besitzt einen 
fein granulirten Inhalt, einen runden Kern von 0,012 mm. und ein 
Kernkörperchen von 0,0025 mm.« 

»Auf diesen Zellen oder Papillen, die anfangs ganz im Mund- 
höhlenepithel vergraben sind und von aussen in keiner Weise sich 
bemerklich machen, lagert sich nun eine homogene gelblich gefärbte 
Schicht ab, die denselben knapp anliegt und die erste Spur des 
Zahnes, d.h. des Dentins darstellt und je länger, je mehr gegen die 
Basis der Zelle herabrückt.« 

»Zugleich bemerkt man schon in den ersten Zeiten des Auf- 
tretens des Zahnes feine Ausläufer der Zelle, die in denselben ein- 
dringen und mit seiner Vergrösserung immer deutlicher und zahl- 
reicher werden und im Zahne das Bild von Zahnkanälchen ge- 
währen.« 

»Mit der Vergrösserung des Zahnes wird auch die Zahnpapille 
oder der Odontoblast, wie man dieselbe immer noch heissen kann, 
länger und schmaler und zugleich gehen auch am Meckel’schen 
Knorpel Veränderungen vor sich. Hier nämlich entwickelt sich von 
der umgebenden Bindegewebslage aus der Kieferknochen in Form 
einer anfangs dünnen Kruste und mit dieser tritt dann der junge 
Zahn, sobald er die Basis seines Osteoblasten erreicht hat, in Ver- 
bindung. Die weitere Entwicklung der Siredonzähne habe ich nicht 
durch alle Stadien verfolgt und kann ich nur so viel sagen, dass 
der wachsende Zahn das Epithel bald mit seiner Spitze durchbricht. 


95 


Sobald derselbe ‘sich mit dem Kieferknochen in Verbindung gesetzt 
hat, bilden sich dann auch Communicationen der Höhlen im Knochen 
und der Zahnhöhle und gelangen wahrscheinlich vom Knochenmark 
aus Zellen in die Zahnhöhle hinein, die vielleicht auch die Rolle 
von Odontoblasten spielen. Wenigstens sieht man in grösseren 
Zähnen statt der einen ursprünglichen Zelle mehrere solche.« 

Die gleichen Verhältnisse fand Sirena bei Tritonlarven, von 
denen er Sagittal- und Frontalschnitte der Kiefer und Zerzupfungs- 
praeparate studirte. Aus seinen Untersuchungen zieht er das Re- 
sultat, dass die Zähne der genannten Amphibien nicht in Zahn- 
säckchen, vielmehr auf freien Papillen der Mucosa entstehen, die von 
einer einzigen Zelle gebildet werden. Die Zelle soll die Bedeutung einer 
Bindegewebszelle besitzen und durch eine Kalk aufnehmende Ab- 
sonderung auf ihrer Oberfläche das Zahnbein bilden. Da die Zähne 
nicht in ein Zahnsäckchen eingeschlossen werden, soll ihnen der 
Schmelz fehlen. 

Die Darstellung meiner Beobachtungen beginne ich mit einer 
Beschreibung der Verbreitung der Zahnanlagen. Dieselben finden 
sich an folgenden Oertlichkeiten in der Mundschleimhaut vor. Am 
Unterkiefer bemerkt man zwei Streifen von Zahnanlagen, einen 
äusseren und einen inneren (Tat. 1. Fig. 32); der äussere (O.d.) 


liegt in der Mitte und längs des oberen Randes des Meckel’schen 


Knorpels, der innere (0. o.) liegt in geringer Entfernung einwärts 
von ihm auf der Innenseite des Knorpels. Da letzterer in der Mittel- 
linie unterbrochen ist, so zerfällt er in zwei seitliche Gruppen von 
/ahnanlagen, von welchen jede etwa in der Mitte einer Unterkiefer- 
hälfte angetroffen wird. 

Wie am Unterkiefer findet sich auch am Schädeldach ein 
äusserer und ein innerer Streifen von Zahnanlagen, der eine längs 
des Randes der Mundöffnung, der andere einwärts von ihm und be- 
zeichne ich jenen als Oberkieferzahnstreifen, diesen als 
Gaumenzahnstreifen (Taf.I. Fig. 31). Der Streifen der Gaumen- 
zähne ist in der Mittellinie ebenfalls unvollständig. Jede der so 
entstehenden seitlichen Zahngruppen (O.p.Ov.) liegt genau unter 
den Schädelbalken Rathke’s. Sowohl der Gaumenstreifen als auch 
der innere Zahnstreifen des Meckel’schen Knorpels bestehen aus 
mehreren hintereinander liegenden Reinen von Anlagen. Für Triton- 
und Axolotllarven gelten die geschilderten Verhältnisse in gleicher 
Weise. 


96 


In Betreff der Verbreitung der Zähne beschreibt Heinecke 
an älteren Tritonlarven regellos im Epithel und im Bindegewebe 
liegende isolirte Zahnspitzchen. Er vermuthet, dass hie und da 
durch irgend welche Anregung Kalksalze unregelmässig in der In- 
tercellularsubstanz des Bindegewebes deponirt werden, dass diese De- 
positionen unter irgend welchen günstigen Umständen ein isolirtes 
Spitzchen, ja, wenn das Epithel den Ort der Abscheidung erreicht, 
einen echten Zahn bilden können, unter ungünstigen Umständen 
dagegen wieder resorbirt werden. Nie habe ich Derartiges in sehr 
zahlreichen Praeparaten beobachten können, vielmehr ist die Lage 
der einzelnen Zähne eine durchaus regelmässige und constante und 
betrachte ich daher diese Befunde als Artefacte, indem wahrschein- 
lich junge Ersatzzähnchen aus der Ersatzleiste durch den Schnitt 
herausgerissen und zerstreut worden sind. 

An frisch ausgeschlüpften Larven sind einige wenige Zähnchen 
bereits vollständig entwickelt, der grösste Theil dagegen ist noch 
verschieden weit in der Entwicklung begriffen und kann man sich 
daher auf einer Reihe von Schnitten ein Bild der Entwicklung der 
primitiven Zähne verschaffen, ohne dass es nöthig ist, noch jüngere 
Embryonen aus den Eihäuten zu Rathe zu ziehen. Die Kleinheit 
des Gegenstandes, die noch fast vollkommen zellige Beschaffenheit 
der embryonalen Gewebe bei geringen Spuren von Zwischensub- 
stanz, Infiltration namentlich der Epithelzellen mit aufgestapelten 
glänzenden Nährstoffen erschwert in mehrfacher Beziehung die Unter- 
suchung; doch habe ich unter einer grösseren Anzahl angefertigter 
Praeparate vollkommen überzeugende Bilder erhalten. 

Die jüngste Zahnanlage, welche ich beobachtete, ist ein Zellen- 
häufchen in dem zellenreichen Gewebe der Mundschleimhaut (Taf. IV. 
Fig. 25 u. 30). Dasselbe liegt dicht unter dem zwei- bis drei- 
schichtigen Epithel der Mundschleimhaut, in welches die nach aussen 
gelegenen Zellen desselben continuirlich übergehen. In dem Zellen- 
häufchen macht sich eine Sonderung in einen nach einwärts ge- 
legenen (DK) und in einen peripheren Theil (MS) geltend. 
Ersterer besteht aus zwei bis vier in einer Reihe hintereinander liegen- 
den Zellen mit grossen Kernen. Namentlich die an der Spitze der 
Reihe liegende Zelle (B) springt dem Beobachter oft besonders in 
die Augen, indem ihr Kern vor den übrigen sich meist durch eine 
etwas beträchtlichere Grösse und durch seine ovale Gestalt aus- 
zeichnet. Diese Zelle ist es, welche Gegen baur sowohl als Sirena 


97 


in ihren Schriften besonders hervorheben und von welcher allein sie 
den ganzen Zahn abgeschieden werden lassen. Sirena bezeichnet 
diese Zelle als Zahnpapille oder ÖOdontoblasten. Der periphere 
Theil des Zellenhaufens (MS) besteht aus zwei Zellenlagen, welche 
von der freien Fläche her mantelartig den mehr central gelegenen 
Theil umgeben und nur dessen Basis frei lassen. Die innere Lage 
bildet einen regelmässigen Zellenkranz oder eine Epithelmembran 
um die centrale Axe und setzt sich mit einer glatten Linie von ihr 
ab. Die einzelnen Zellen dieser Membran sind cubisch gestaltet. 
Nach der freien Schleimhautfläche zu geht der periphere Mantel des 
Zellenhaufens continuirlich in das Schleimhautepithel über. Während 
aber die Zellen desselben dicht mit Fettkörnchen etc. gefüllt sind, 
sind die Zellen des ersteren frei von angesammelten Nährstoffen, 
indem dieselben wahrscheinlich‘ durch die hier stattgefundene Wuche- 
rung aufgebraucht worden sind. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die 3—4 hinter- 
einander im Centrum des Zellenhaufens liegenden Zellen dem Binde- 
gewebe, der periphere Theil dem Schleimhautepithel angehört. An 
der Zahnanlage betheiligt sich also das mittlere und 
das obere Keimblatt, eısteres liefert den Dentinkeim, wie 
wir die im Centrum liegenden Zellen nennen werden, letzteres bildet 
eine Schmelzmembran, als welche sich der den Dentinkeim 
einhüllende Zellenkranz weiterhin ausweisen wird. An der Basis 
des Dentinkeims setzt sich die Zellenwucherung auf die nächste 
Umgebung fort, bis zum Meckel’schen Knorpel bei den Zahnstreifen 
des Unterkiefers, bis zu den seitlichen Schädelbalken bei den Gaumen- 
streifen (Taf. IV. Fig. 30 u. 34). 

Auf dem nächst älteren Entwicklungsstadium, wie solches in 
Taf. IV. Fig. 34 dargestellt ist, sieht man in der Mitte des Zellen- 
haufens ein Zahnspitzchen liegen und zwar über der obersten Zelle 
des Dentinkeims (%). Mit zahlreichen feinen Ausläufern dringt die 
Zelle in das dünne Dentinkäppchen ein, wie dieses Gegenbaur und 
Sirena beschrieben haben. Die Spitze des Zahnscherbchens ($) 
zeigt bereits dieselbe gelbbräunliche Färbung, wie die Spitze der 
Zähne erwachsener Thiere und lehrt uns auch hier die Prüfung mit 
Salzsäure, dass die gelbe Schichte sich löst und daher Schmelz ist. 
Weiterhin verdickt sich um Weniges das Dentinkäppchen durch neu 
ausgeschiedene Schichten und vergrössert sich zugleich nach abwärts, 
indem von den übrigen Zellen des Zahnkeims eine homogene Sub- 

Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd, 11. Supplementhett, 7 


98 


stanz in membranartig dünner Lage ausgeschieden wird (Taf. IV. 
Fig. 21 u. 22). In dieselbe dringen keine Zellausläufer hinein. Während 
dieser Vorgänge hat gleichzeitig auch eine Vergrösserung der ganzen 
Anlage stattgefunden, indem das Schleimhautepithel noch weiter in 
die Tiefe gewuchert ist. Innerhalb des vergrösserten Zahnkegels 
findet man daher, der Vergrösserung entsprechend, sechs und mehr 
Zellen entweder in einer Reihe hintereinander oder in der breiten 
Basis auch zu zweien nebeneinander liegen. Die Papille der Primitiv- 
zähne hat jetzt ihre definitive Grösse erreicht. 

Wenn die Ausscheidung der Zahnsubstanz in membranartiger, 
dünner Lage bis zur unteren Grenze der Papille vorgerückt ist, so 
geschieht hier zwischen den dicht gedrängt liegenden Bindegewebs- 
zellen eine in horizontaler Richtung erfolgende Anbildung von Zwi- 
schensubstanz. Es entsteht so eine Platte, welche in horizontaler 
tichtung im Bindegewebe liegt und den Zahnkegel trägt (Taf. IV. 
Fig. 9 u. 23). Sie ist von einem grösseren oder von mehreren Löchern 
durchbohrt, durch welche die Pulpa mit dem Schleimhautgewebe 
zusammenhängt. Die Platte ist anfänglich, wie der untere Theil des 
Zahnkegels, unverkalkt. Erst allmählich rückt die Verkalkung von 
der Spitze des Zahnes bis zu seiner Basis herab. 

Während dieser Vorgänge hat der Zahn auch eine geringe 
Lageveränderung erlitten. Mit seiner Grössenzunahme ist seine Spitze 
weiter nach oben gerückt und hat hierbei das Schleimhautepithel zu 
einem kleinen Hügel emporgewölbt. Endlich durchbohrt er, noch 
höher gehoben, dasselbe mit seiner Spitze, so dass diese nun frei in 
die Mundhöhle aus der Epithelumhüllung ein wenig hervorsieht und 
beim Nahrungserwerb zum Ergreifern und Festhalten kleiner Crusta- 
ceen functioniren kann (Taf. IV. Fig. 23 u. 26). Einmal beobachtete 
ich beim Abstreifen der Epithelhülle von den Zähnen kleiner in dünner 
Osmiumsäure gelegener Larven, wie die in der Spitze der Epithel- 
hülse gelegene Zelle von einem kurzen Kanale in ihrer Mitte durch- 
bohrt war, dessen Mündung an der unteren Fläche der Zelle weiter, 
an der äusseren kleiner war. Die Zahnspitze war augenscheinlich 
durch diese Zelle mitten hindurch gedrungen, und könnte man viel- 
leicht hieraus schliessen, dass auch von dieser Zelle vorzugsweise 
oder ausschliesslich das Schmelzspitzchen gebildet sei. 

Der primitive Zahn besitzt jetzt folgenden Bau 
(Taf. IV. Fig. 9u.23): Ein dünnwandiger Kegel endet in eine ein- 
fache Spitze. Der obere Theil des Kegels enthält kleine Zahnbein- 


u nu ei 


= 


99 


röhrchen, der untere ist ganz homogen. Derselbe verdickt sich an 
seiner Basis und breitet sich horizontal als eine Platte aus, die 
mehrfach durchlöchert ist. Die Spitze des Zahnes wird von einer Zelle 
ausgefüllt. Die übrigen Zellen der Pulpa sind weiter auseinander ge- 
rückt und liegen zum Theil der Innenwand des Kegels angeschmiegt. 
Schon in diesen kleinen embryonalen Zähnen finden 
sich deutlich die drei für den Zahn chharakteristischen 
Gewebe entwickelt, ein Schmelzspitzchen (S), der von 
Zahnbeinkanälchen durchzogene Dentintheil (D) und endlich das 
Gement (C). Zum letzteren gehört der untere Theil des Zahn- 
kegels, welcher keine Dentinröhrchen enthält, und die horizontale 
Platte, auf welcher er sitzt. Gleich den Zähnen erwachsener Thiere 
sind auch die Primitivzähne von einer Epithelscheide (H) ein- 
gehüllt. 

Wie ich hiermit über den Bau der primitiven Zähne zu anderen 
Resultaten als die mir vorangehenden Untersucher gelangt bin 
(Gegenbaur sowohl als Sirena lassen sie nur aus Dentin be- 
stehen), so habe ich für sie auch einen anderen Entwicklungs- 
modus gefunden. Während Sirena die Zähne aus freien, an der 
Oberfläche der Schleimhaut stehenden Papillen sich entwickeln lässt, 
habe ich gezeigt, dass die Zahnanlage in die Tiefe der Schleimhaut 
eingebettet ist und so in gewisser Beziehung eine Analogie mit der 
Entstehung des Haares aufweist, dessen Papille ja gleichfalls in das 
Bindegewebe tiefer eingesenkt wird. 

An frisch ausgeschlüpften Larven findet auch bereits die Ent- 
wicklung jenes Organes statt, an welches hinfort die Entstehung 
neuer Zähne gebunden ist, ich meine die Entwicklung einer 
Ersatzleiste. Man bemerkt nämlich auf Querschnitten durch die 
Zahnstreifen des Unterkiefers oder der Decke der Mundhöhle eine 
kleine Epithelwucherung, welche einwärts von den primitiven Zahn- 
anlagen liegt und an jener Stelle entspringt, wo diese mit dem 
Mundhöhlenepithel zusammenhängen (Taf. IV. Fig. 30, 34, E). Auf 
dem Durchschnitt gewährt sie den Anblick eines Zapfens, welcher in 
schräger Richtung in das Bindegewebe eingedrungen ist. Da man 
aber auf einer Reihe von Schnitten stets dasselbe Bild erhält, so 
folgt daraus, dass in Wirklichkeit die Epithelwucherung die Form 
einer Leiste besitzt. Ueber ihr bildet dann das Schleimhautgewebe 
(Bindegewebe und Epithel) eine deckelartige Falte. Hie und da 
sieht man eine kleine, aus zwei bis drei Zellen bestehende Papille 


100 


vom Bindegewebe aus in die Epithelleiste eindringen und dergestalt 
die jüngste Zahnanlage bilden (Taf. IV. Fig. 21). 

Je älter die zur Untersuchung dienenden Embryonen sind, 
um so deutlicher und um so grösser wird die Ersatzleiste und kann 
man jetzt an ihrer Aussenseite zwei bis drei Zahnanlagen hinter- 
einander auf verschiedenen Stufen der Entwicklung antreffen (Taf. V. 
Fig. 1, 2). Die Neubildung von Zähnen ist schon bei den jüngsten 
. Larven eine ungemein lebhafte, wie wir im folgenden Theile noch 
weiter sehen werden. Wie bei ausgebildeten Thieren verändren die 
sich entwickelnden Zähnchen ihren Platz in der früher geschilderten 
Weise, indem sie sich von der Leiste abschnüren und allseitiger in 
das Bindegewebe einsenken. Ein parallel der Leiste angefertigter 
Längsschnitt gewährt daher ein Bild, wie es in Tafel IV Figur 27 
dargestellt ist. "Unter dem dreischichtigen Epithel der Mundschleim- 
haut liegt ein dünner Bindegewebsstreifen. Unter diesem Deckel 
folgt die Ersatzleiste und senken sich von ihr eine Anzahl Epithel- 
zapfen noch weiter in das Bindegewebe. Im Innern derselben sieht 
man die jüngsten Zahnspitzchen über einer zellenreichen Papille 
liegen. 

Wenn wir auf die vorgeführten Thatsachen jetzt einen Rück- 
blick werfen und die embryonalen Zähne mit denjenigen der aus- 
gewachsenen Thiere und der Selachier vergleichen, so treten uns 
verschiedene Punkte entgegen, welche auf die Parallele zwischen der 
phylogenetischen und der ontogenetischen Entwicklung der Organe 
Licht verbreiten. Während bei dem ausgewachsenen Axolotl und 
bei den Salamandrinen die Zahnreihen in der Mundhöhle abweichend 
gelagert sind, lassen sich hierin ihre Larven von einander nicht 
unterscheiden. Es sind bei beiden die jungen Zähnchen vollkommen 
nach jenem Schema angeordnet, welches ich auf Grund vergleichend 
anatomischer Betrachtungen für die ursprüngliche Lagerungsweise 
aufgestellt habe. Sowohl am Unter- als am Oberkiefer finden sich 
bei den Larven zwei Zahnstreifen vor, welche einander parallel dicht 
hintereinander stehen und einen doppelten Bogen bilden. 

Zu demselben Resultate führt uns eine Vergleichung der Form 
der Zähne. Die embryonalen Zähnchen von Siredon sind durch 
nichts von den Zähnchen der Tritonlarven unterschieden. Während 
bei den ausgewachsenen Salamandrinen die Zähne in zwei Zinken aus- 
laufen, nach einwärts gekrümmt sind und in Krone und Sockel zer- 
legt werden können, sind die embryonalen Zähnchen einspitzig, der 


101 


Kegel ist gerad gestreckt und lässt eine Scheidung in einen oberen 
‚und in einen unteren Theil äusserlich nicht erkennen. Sie gleichen 
hierin den Zähnen der Gaumenknochen und des Operculare von 
Axolotl. Eine Zusammenstellung der entwicklungsgeschichtlichen 
mit den vergleichend anatomischen Thatsachen lehrt uns mithin, 
dass die Stellung und Form der Zähne bei Axolotl die phylogenetisch 
ältere ist, welche ontogenetisch sich auch bei den höher entwickelten 
Salamandrinen vorübergehend nachweisen lässt. 

Wenn wir ferner die Embryonalzähnchen der Urodelen mit den 
Schleim hautzähnchen der Selachier vergleichen, so bietet 
die Basalplatte dieser Anknüpfungspunkte an die dünne Platte, welcher 
der Zahnkegel der Urodelen aufsitzt (Taf. I. Fig. 15 mit Taf. IV. 
Fig.9u.23). Beide liegen horizontal in der Mundschleimhaut und 
sind an ihrer unteren und oberen Fläche von Bindegewebszellen 
umgeben, denen sie ihre Entstehung verdanken, beide enthalten 
keine Zellen als Knochenkörperchen eingeschlossen, beide vermitteln 
die Befestigung der Zahnkrone im Integument. 

Ein weiterer wichtiger Punkt, auf welchen ich besonders die 
Aufmerksamkeit hinlenken möchte, ist dieZeit des embryonalen 
Auftretens der Zähne. Bei den Urodelen treten nämlich an 
jenen Stellen, wo später der Vomer, das Palatinum und das Oper- 
culare liegen, die Zähnchen früher als die ihnen zur Unterlage 
und zur Stütze dienenden Skeletknochen auf. Sie sind daher vorüber- 
gehend, gleich den Zähnen der Selachier, nur in der Mundschleim- 
haut befestigt. Mit ihrer Basis stehen sie dicht über dem Meckel’- 
schen Knorpel oder den seitlichen Schädelbalken. Diese Zeitfolge 
in der Entstehung der Zähne und der Skeletknochen verdient unsere 
höchste Beachtung. Vergleichend anatomische Betrachtungen zeigen 
nämlich, dass die Zähne die phylogenetisch älteren, die 
Schädelknochen dagegen die jüngeren Bildungen sind, 
da die Selachier noch ein durchaus knorpliges Cranium, aber doch 
schon Schleimhautzähne in sehr reicher Entfaltung besitzen. Mit 
dieser Thatsache stimmen nun wieder die hier bei den Urodelen 
beobachteten entwicklungsgeschichtlichen Befunde vollkommen überein 
und offenbart sich in dieser Uebereinstimmung wieder die sehon 
mehrfach hervorgehobene Parallele, welche zwischen der phyloge- 
netischen und ontogenetischen Entwicklung und Aufeinanderfolge der 
Organe besteht. 

Noch in einer anderen Beziehung ist diese Thatsache von 


102 


Wichtigkeit, insofern sie uns den Schluss gestattet, dass wir in der 
Zahnbildung der geschwänzten Amphibien ursprüngliche, ziemlich 
unverfälschte Verhältnisse vor uns haben. 


4. Entstehung des Embryonalskeletsund Umwandlung 
desselben in das bleibende Skelet.!) 


Das Skelet der Mundhöhle der Urodelenlarven hat schon früh. 
die besondere Aufmerksamkeit der Naturforscher auf sich gelenkt, 
weil die dünnen Knochenlamellen des Dentale und Operculare, des 
Intermaxillare, Vomer und Palatinum eine sehr reiche Zahnbewaffnung 
aufweisen und dieses bei so kleinen, kaum 1 Cent. grossen Geschöpfen 
als etwas höchst Auffälliges erscheinen muss. Um so hemerkens- 
werther ist es, dass Niemand der Untersucher die Beziehung der 
Zähne zur Skeletbildung erkannt hat und durch sie zu weiteren 
Untersuchungen angeregt worden ist. Ich kann dies mir nur da- 
durch erklären, dass früher das Augenmerk der Forscher mehr auf 
das Thatsächliche, als auf die Verknüpfung der Thatsachen ge- 
richtet gewesen ist. 

Eine Zusammenstellung der Beschreibungen und der Ansichten, 
zu welchen die früheren Untersucher über das Mundhöhlenskelet 
der Tritonen gelangt sind, werde ich erst am Schlusse dieses Ka- 
pitels geben und beginne ich daher gleich mit der Darstellung der 
eigenen Beobachtungen. Dieselben lassen sich zweckmässiger Weise 
in drei Theile sondern, von welchen der erste die Entstehung 
des Embryonalskelets, der zweite die Umwandlung 


1) Literatur. 

Rusconi. Amours des Salamandres aquatiques et developpement du 
tetard de ces Salamandres depuis l’oeuf jusqu’a l’animal parfait. 
Milan 1821. 

Cuvier. Recherches sur les ossemens fossiles T.V. IIe Partie. Seite 410. 

Duges. Recherches sur l’osteologie et la myologie des Batraciens & leurs 
differens äges. Paris 1835. 

Reichert. Vergleichende Entwicklungsgeschichte des Kopfes der nackten 
Amphibien nebst den Bildungsgesetzen des Wirbelthierkopfes ete. 
Königsberg 1838. 

Rusconi. Histoire naturelle, developpement et metamorphose de la 
Salamandre terrestre. Pavie 1854. 

Gegenbaur. Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbel- 
säule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862. 


103 


desselben in das bleibende Skelet, der dritte die all- 
gemeinen Resultate umfasst. 


a) Entstehung des Embryonalskelets. 


Das beste Verfahren, um sich über das embryonale Skelet der 
Mundhöble Aufschluss zu verschaffen, besteht, wie erwähnt, darin, 
den Unterkiefer oder die Decke der Mundhöhle von in Alkohol er- 
härteten, am besten aber frischen Larven, in Natronlauge aufzu- 
hellen. Bei Anwendung dieser Methode finde ich an frisch aus- 
geschlüpften Triton- und Axolotllarven folgende Verhältnisse vor. 

An der äusseren Seite und am oberen Rande des Unter- 
kiefers liegt dicht auf dem Meckel’schen Knorpel jederseits ein 
Streifen verkalkten Gewebes (Taf. I. Fig. 32. Od. Taf. IV. Fig. 20). 
In der Mittellinie stossen die beiden Streifen nahe aneinander, 
sind aber nicht verschmolzen, sondern durch eine kleine Spalte ge- 
trennt. Der Streifen ist ungemein dünn, zart und biegsam und 
überall von zahlreichen grösseren und kleineren Löchern durchbohrt. 
Er ist daher weniger eine Lamelle als ein zartes Netzwerk von 
sklerosirtem, verkalktem Gewebe; dasselbe nimmt die vorderen zwei 
Drittel des Unterkiefers ein. An seinem medialen Ende sitzt ein 
fertig ausgebildeter Zahn mit seiner Basis fest. Seitlich von ihm 
bemerkt man in dem aufgehellten Gewebe noch zwei bis drei weitere 
verkalkte Zahnspitzchen (x), deren Basis aber noch nicht ausgebildet 
ist und die in Folge dessen mit dem Knochenstreifen auch noch 
nicht in Verbindung getreten sind. 

Bei Betrachtung des Unterkiefers von seiner unteren Seite er- 
blickt man emen zweiten, gitterförmig durchbrochenen Knochenstreifen, 
der am proximalen Ende des Knorpels an seiner unteren und inneren 
Seite liegt und nicht ganz bis zu seiner Mitte vorwärts reicht. Der- 
selbe trägt keine Zähne (Taf. I. Fig. 32 Oa.). 

Drittens endlich finden sich ander Innenseite und in der Mitte 
jedes Unterkieferböogens in der Mundschleimhaut drei fertig ausge- 
bildete Zähnchen vor, welche mit ihrer Basis einem Knochenblättchen 
aufsitzen und durch dasselbe untereinander zusammenhängen (Taf. 1. 
Fig. 32 Oo. Taf. IV. Fig. 18). Seitwärts und nach innen von dieser 
Zahngruppe liegen noch einige weitere Zahnspitzchen frei im Schleim- 
hautgewebe, die aber nur mit ihrem oberen Theile ausgebildet sind 
(Taf. IV. Fig. 18, x). 

Wie schon die Lagerung dieser drei am Unterkiefer beschrie- 


104 


benen Bildungen zeigt, mit Sicherheit aber ihre Weiterentwicklung 
lehrt, haben wir in dem schmalen Knochenstreifen an der Aussenseite 
des Meckel’schen Knorpels, welcher einen Zahn trägt, das Dentale 
in seiner Anlage vor uns; die an zweiter Stelle beschriebene La- 
melle ist das eben angelegte Angulare; die drei mit ihrer Basis 
verschmolzenen Zähne stellen das Operculare vor. 

An der Decke der Mundhöhle (Taf. I. Fig. 31) bemerkt man 
auf demselben Stadium am Eingang der Mundhöhle der Lage nach 
dem Intermaxillare entsprechend, jederseits zwei Zähnchen. Die 
Basis der Zähnchen ist noch nicht ausgebildet, und sind sie daher 
nur locker in der Mundschleimhaut befestigt. Unter den seitlichen 
Schädelbalken Rathke’s, also entsprechend der oben beschriebenen 
Lage derGaumenzahnstreiten, liegen zwei sehr kleine Knochenblättchen 
(Taf. I. Fig. 31, Ov. Op.). Von diesen ist das vordere (Taf. IV. 
Fig. 19, Ov.) das kleinste und trägt nur einen einzigen, seiner Mitte 
aufsitzenden Zahn, das an seine hintere Begrenzung sich anschliessende 
Blättchen ist ein wenig grösser und trägt in seinem vorderen Theil 
(Op.) nebeneinander zwei Zähnchen, während es im Uebrigen nackt 
ist (O. pt.). In ihrer Beschaffenheit gleichen die zwei Knochen- 
blättchen vollkommen dem oben beschriebenen Operculare des Unter- 
kiefers. Median von ihnen sind wieder einige lose der Schleimhaut 
eingebettete und noch nicht vollständig entwickelte Zahnspitzchen 
anzutreffen. Wie die weitere Entwicklung bestätigen wird, ist das 
vordere Knochenblättchen der Vomer, das ihm sich anschliessende 
stellt in seinem vorderen Theile die Anlage des Palatinum, mit 
seiner hinteren zahnfreien Hälfte das Pterygoid vor. An der 
Stelle der noch unentwickelten Zähnchen des Oberkieferzahnstreifens 
entstehen später die Intermaxillaria, von den Maxillaria 
selbst sind weder die Zähne zu der Zeit angelegt noch ist ein 
Bildungsstreifen des Knochens wahrzunehmen. Auch vom Para- 
sphenoid zeigt sich noch keine Spur. Beide Knochen treten erst 
viel später auf. 

An Embryonen, die kurz vor ihrem Auskriechen aus den Ei- 
hüllen herauspräparirt wurden, beobachtete ich noch etwas jüngere 
Entwicklungsstadien dieser Theile. Mit dem Streifen des Dentale 
war noch kein Zahn verwachsen. Das Operculare bestand nur aus 
zwei mit ihrer plattenartig verbreiterten Basis verschmolzenen Zähn- 
chen (Taf. IV. Fig. 5). Anstatt des als Vomer gedeuteten Knochen- 
blättchens mit seinem Zahne sah ich auf der einen Seite nur einen 


105 


Zahn, dessen Basis etwas plattenförmig verbreitert war (Taf. IV. 
Fig.7), auf der anderen Seite einen Zahn, dessen Spitze zwar ver- 
kalkt, dessen Basis dagegen erst in unverkalktem Zustand vorgebildet 
war (Taf. IV. Fig.8). An der Stelle des Palatinum lagen zwei mit 
ihrer Basis verschmolzene Zähnchen (Taf. IV. Fig. 6). 

Den hier geschilderten Befund zeigen Triton-, Salamander- und 
Axolotllarven in völlig gleicher Weise und ist hier besonders her- 
vorzuheben, dass auch die Larven der Salamandrinen, wie junge und 
alte Axolotl, ein Operculare am Unterkiefer besitzen. Dasselbe 
hatten wir ja beim ausgewachsenen Thiere in der vergleichend ana- 
tomischen Untersuchung vermisst. 

Wenn man die jetzt angelegten Knochen nach ihrer Beschaffen- 
heit untereinander vergleicht, so kann man dieselben in drei 
Gruppen eintheilen. Zu der einen Gruppe gehört der Vomer, 
das Palatinum und das Operculare; dieselben bestehen ein 
jedes aus einigen wenigen untereinander verbundenen Zähnchen. Zu 
der zweiten Gruppe rechne ich dasDentale und das später auf- 
tretende Intermaxillare und Maxillare. Dieselben sind aus 
einem sehr zarten Netzwerk von feinen Knochenbälkchen zusammen- 
gesetzt und tragen auf ihrem die Mundhöhle begrenzenden Rande 
die Zähnchen. Die Knochen der dritten Gruppe gleichen den vor- 
hergehenden, davon abgesehen, dass sie gar keine Zähne tragen. 
Hierher zählt das Angulare, das mit dem Palatinum jetzt noch 
zusammenhängende Pterygoid undendlich das spät erst zur Ent- 
wicklung gelangende Parasphenoid. Indem ich jetzt Schritt für 
Schritt die Vergrösserung dieses embryonalen Skelets der Mundhöhle 
verfolge, werde ich an der hier gegebenen Eintheilung festhalten 
und zunächst das Wachsthum des Vomer, Palatinum und Operculare 
‚ genauer schildern. 

(Entwicklung des Vomer, Palatinum und Oper- 
culare.) Bei Untersuchung einer grösseren Anzahl von Larven, 
welche im Alter nur wenig verschieden sind, bemerkt man, wie an 
die aus zwei bis drei Zähnchen bestehenden Knochenblättchen suc- 
cessive ein Zahn nach dem andern sich anfügt und wie hierdurch, 
entsprechend der Zahl der Zähne, auch die Grösse derselben con- 
tinwirlich wächst. In Tafel IV, Figur 5, 18,3, 4 sind vom O per- 
culare von Axolotllarven eine Reihe solcher verschiedener Stadien 
dargestellt. In Figur 5 besteht dasselbe aus zwei Zähnchen, in Fig. 18 
aus drei, in Fig.3 aus zehn und in Fig. 4 aus vierzehn Zähnchen. 


106 


Das derart erfolgende Wachsthum der einzelnen Knochen findet an 
sanz bestimmten Stellen statt. Wenn man nämlich, um die Schleim- 
hautossificationen zu erblicken, den Unterkiefer oder die Decke der 
Mundhöhle mit Natronlauge aufhellt, so sieht man an der inneren 
Seite des Operculare, Vomer und Palatinum die Spitzen noch un- 
entwickelter Zähnchen in dem umgebenden Schleimhautgewebe liegen 
(Taf. IV. Fig. 13, 15, 18). Indem dieselben sich entwickeln, ver- 
grössert sich der Knochen an seiner inneren Seite, während die 
äussere Seite unverändert bleibt. Die Art und Weise, wie dies ge- 
schieht, kann man recht gut an den aufgehellten Praeparaten ver- 
folgen. Während die vom Knochenrand am weitesten abstehenden 
Zahnanlagen nur ein Kalkspitzchen darstellen, ist bei den ihm am 
nächsten liegenden auch die Basis des Zahnes in unverkalktem Zu- 
stande schon vorgebildet. Dieser noch häutige Theil des Zahnkegels 
hängt nun oft mit dem Knochenrand durch einzelne Streifen unver- 
kalkten aber sklerosirten Gewebes zusammen. Verkalkt dieses, so 
hat sich der Knochen wieder durch Hinzufügung eines Zahnplättchens 
vergrössert. Mit dieser Beobachtung stimmt im Ganzen die Mit- 
theilung Gegenbaur’s überein, dass jedes Zähnchen als eine papil- 
lenartige conische Vorragung gebildet sei, die an der Spitze durch 
Kalkaufnahme solidifieirt ist, gegen die Basis zu in eine weiche 
homogene Lamelle übergeht. Die letztere soll etwas dünner als die 
verknöcherte Spitze der Zähnchen sein und die einzelnen !Zähnchen 
unter einander verbinden. Ich weiche nur insofern von dieser Dar- 
stellung ab, als ich nie eine grössere Anzahl Zähne durch eine mem- 
branöse Platte verbunden finde, denn die Verkalkung derselben tritt 
sofort ein, wenn einige Zähnchen unter einander in Zusammenhang 
getreten sind. Die jüngst hinzugefügten Zähnchen erkennt 
man leicht daran, dass sie Vorsprünge an dem Innen- und Seiten- 
rande der Knochen bedingen. So sieht man in den Figuren 3, 4, 
13 und 18 am Knochenrand einzelne quadratische Plättchen (u), 
deren jedem eine Zahnspitze aufsitzt, frei hervorragen. Zuweilen 
hängt ein solches Plättchen nur durch eine dünne Brücke verkalkten 
Gewebes mit dem übrigen Knochen zusammen (Taf. IV. Fig. 3, 4, u). 
Auch kommt es in einzelnen: Fällen vor, dass ein ganz fertig ge- 
bildetes Zähnchen isolirt im Schleimhautgewebe dem Knochen dicht 
anliegt (Taf. IV. Fig. 3, v). Bei einer Vergrösserung seiner Basal- 
platte wird es mit demselben verschmelzen. 

Ein solcher, aus einer grösseren Anzahl von Zähnen zusammen- 


im * 


gesetzter Knochen ist sehr zerbrechlich, indem er zwischen der Basis 
der Zahnkegel von zahlreichen Löchern (t) durchsetzt wird. Wenn 
man ihn von seiner unteren Seite betrachtet, so erblickt man an 
der Stelle, wo ein Zahn sitzt, meist eine grössere oder mehrere 
kleinere Oefinungen, durch welche die Pulpa mit dem umgebenden 
Gewebe zusammenhängt. 

Einen weiteren Einblick in die Beschaffenheit dieser so interes- 
santen Zahnplatte und ihres Wachsthums erhält man durch Be- 
trachtung dünner Durchschnitte (Taf. V. Fig. 1,00). Man erblickt 
dann an dem inneren Rande der Knochen eine Zahnersatzleiste und 
an ihr verschieden weit entwickelte Zahnspitzchen und man er- 
kennt, wenn man die durch Aufhellung in Natronlauge erhaltenen 
Bilder hiermit zusammenhält, dass die Ersatzleiste es ist, 
welche das Wachsthum des Operculare, Vomer und Pa- 
latinum vermittelt, indem von ihr aus junge Zähnchen den 
alten sich anfügen. Auf dem Durchschnitt gewährt das Knochen- 
blättchen selbst folgendes charakteristisches Bild (Taf. IV. Fig. 26). 
Die Zahnkegel auf seiner Oberfläche sind vollständig ausgebildet, 
sie haben das Epithel der Mundschleimhaut hügelartig emporgehoben 
und mit ihrer Spitze durchbohrt. An ihrer Basis sind sie unter 
einander verschmolzen und gehen hier in etwas dickere verkalkte 
Gewebstheile (C) über, die in horizontaler Richtung auf dem Knorpel 
dicht aufliegen. Zwischen ihnen befinden sich Oeffnungen, durch 
welche die Zahnpulpa mit dem unterliegenden Gewebe in Ver- 
bindung tritt. Die Knochenblättchen lagern in einem zellenreichen 
Gewebe und sind ihrer oberen und ihrer unteren Fläche Zellen dicht 
angeschmiegt. 

Aus den angeführten Befunden lässt sich die Art und Weise, 
wie das Operculare, der Vomer und das Palatinum ent- 
steht und sich vergrössert, mit Sicherheit erkennen. Schon früher 
habe ich auseinander gesetzt, wie an jedem embryonalen Zahne drei 
Gewebe, nämlich Schmelz, Dentin und Cement sich unterscheiden 
lassen und wie das Cement die Basis des Kegels und ausserdem 
noch eine kleine, horizontal gelegene Platte bildet, durch welche die 
Zahnkrone in der Schleimhaut befestigt ist. Berücksichtigt man 
diesen Bau des Zahnes und vergleicht mit ihm einen der genannten 
Knochen, dann wird man sich überzeugen, dass die durchbrochene 
Lamelle, welcher die Zähne aufsitzen, einzig und allein aus ver- 
schmolzenen Basalplättchen von Zähnchen besteht, oder mit anderen 


108 


Worten, der Vomer, das Palatinum und das Operculare 
sind weiter nichts als eine Gruppe von Zähnen, diean 
ihrer Basis verkittet sind. Die Kittsubstanz, oder das 
Knochengewebe, welchesfreilich noch keine Zellen ein- 
geschlossen enthält, ist Zahncement. Mit diesem Resul- 
tate stimmt auch das Wachsthum der Knochen, wie es oben ge- 
schildert wurde, vollkommen überein. Die Zahnplatten wachsen 
durch Hinzutritt neuer Zähnchen. Diese entwickeln sich an einer 
Ersatzleiste, welche am Innenrand jeder Platte liegt und verschmel- 
zen durch ihren ‘Cementtheil mit ihren Vorgängern. Je älter die 
Larven werden, um so grössere Zahnplatten finden wir (Taf. I Fig. 
1,2) und können dieselben 30—50 Zähnchen auf ihrer Oberfläche 
tragen. Dieselben stehen alternirend in schrägen Reihen und neh- 
men mithin jene Stellung ein, welche man die quincunxförmige ge- 
nannt hat. 

Wegen dieser so charakteristischen Entstehung bezeichne ich 
den Vomer, das Palatinum und das ÖOperculare von jungen Axolotl 
und von jungen Salamandrinen als Zahnknochen. Zusammen bil- 
den sie ein Zahnskelet, eine Bezeichnung, die zuerst Reichert 
gebraucht hat und die ich hier adoptire. 

Vergleicht man mit diesen embryonalen Befunden die in der 
ersten Abtheilung dieser Schrift zusammengestellten Thatsachen, so 
findet man eine auffallende Uebereinstimmung der Zahn- 
knochen der Tritonen und des Axolotl mit dem Vomer, 
Palatinum und Operculare von Siren lacertina. Obwohl 
ich leider nicht in der Lage war, dieselben histologisch zu unter- 
suchen, so bin ich doch ziemlich fest davon überzeugt, dass letztere 
einzig und allein aus verschmolzenen Zähnen bestehen und dass sie 
durch Hinzutritt neuer Zähne an ihrem inneren Rand sich vergrös- 
sern. Wenn dies der Fall ist, so ist uns in Siren lacertina eine 
phylogenetische Entwicklungsform des Amphibienstammes erhalten, 
welche uns noch im ausgewachsenen Zustand eine Bildung zeigt, 
welche bei den ührigen Amphibien nur in ihrer Ontogenie vorüber- 
gehend auftritt. 

(Entwicklung des Dentale, Intermaxillare und Ma- 
xillare.) Die Entwicklung der embryonalen Knochen der zweiten 
Gruppe, zu welcher ich das Dentale, Intermaxillare und Maxillare 
gestellt habe, vollzieht sich nur theilweise in der hier angeführten 
Weise. Wir haben bereits oben gesehen, wie bei Embryonen kurze 


109 


Zeit vor dem Verlassen der Eihüllen die Anlage des Dentale an 
der Aussenseite des Meckel’schen Knorpels als zarter Knochen- 
streifen nachzuweisen ist. Derselbe trägt ursprünglich keine Zähne. 
An frisch ausgeschlüpften Larven entwickeln sich aber solche in der 
Schleimhaut und treten mit seinem oberen Rande in Verbindung. 
An 1 Cm. langen Larven trägt das mittlere Ende des Dentale einen 
Zahn; an wenig älteren Thieren sieht man indessen bald einen zwei- 
ten, dritten, vierten und sofort dem oberen Knochenrand aufsitzen. 
Das Hinzutreten eines neuen Zahnes geschieht immer zur Seite sei- 
nes Vorgängers. Hierdurch erleidet das Dentale in seiner Form 
Veränderungen, indem jetzt seinem oberen Rande ein neuer die 
Zähne tragender schmaler Knochenstreifen hinzugefügt ist. Während 
die zuerst gebildete Lamelle vertical gestellt ist, lagert der neu 
hinzutretende Streifen horizontal auf dem Knorpel. Bei Betrachtung 
des Unterkiefers von oben bemerkt man daher nur den zahntragen- 
den Theil des Dentale, wie dies auf Tafel IV in Figur 10 darge- 
stellt ist. Ueberall wo ein Zähnchen sitzt, ist derselbe breiter, 
schmäler zwischen zwei Zähnchen. Der Streifen vergrössert sich 
seitlich, der Ausdehnung der Zahnreihe entsprechend. 

Das Intermaxillare tritt später als das Dentale auf. Es 
erscheint an 1,2 Cm. langen jungen Larven zunächst als ein sehr 
kleines dreiseitiges Knochenblättchen, welches an der Aussenseite 
des Oberkieferrandes liegt (Taf. IV Fig. 16). In einiger Entfer- 
nung einwärts von ihm trifft man im Schleimhautgewebe auf zwei 
Zahnspitzchen (x), deren unterer Theil noch in der Entwicklung 
begriffen ist und welche mit der Anlage des Intermaxillare noch 
in keiner Beziehung stehen. An älteren Larven hat sich das drei- 
seitige Blättchen im Ganzen vergrössert und sind Zähne mit ihm 
in Verbindung getreten. Taf.IV Fig. 14 zeigt uns ein solches Sta- 
dium von 1,3 Om. langen Axolotllarven. Die nach oben gelegene 
Spitze des Intermaxillare hat sich beträchtlich verlängert und bildet 
den Processus nasalis. An seinem Mundhöhlenrand sind drei Zähn- 
chen befestigt und bilden in gleicher Weise wie am Dentale einen 
schmalen in horizontaler Richtung verlaufenden Knochenstreifen. 
Bei älteren Larven vergrössert sich der Knochen und mit ihm glei- 
chen Schritt haltend die Zahnreihe, indem neue Zähne seitlich hin- 
zugefügt werden. 

Das Maxillare tritt sehr spät auf zu einer Zeit, wo das 
Intermaxillare schon eine ansehnliche Grösse erreicht hat. Seine 


110 


erste Anlage beobachtete ich an einer Axolotllarve von 2 Cm. Länge 
(Taf. IV Fig. 11). Hier lag seitlich vom Zwischenkiefer ein ganz 
kleines Knochenblättchen aussen am Eingang in die Mundhöhle, 
also auf der Gesichtsseite des Schädels. Es stand noch nicht mit 
einem Zahne in Verbindung, dagegen bemerkte man unter ihm in 
der Mundschleimhaut locker befestigt die Spitze eines noch in der 
Entwicklung begriffenen Zähnchens (x). Dasselbe lag in der Ver- 
längerung der Zahnreihe des Intermaxillare. An älteren Larven 
vergrössert sich die Anlage des Maxillare nach rückwärts, wobei ein 
Zähnchen nach dem andern von vorn nach hinten mitihm sich ver- 
bindet. An 2,5 Cm. langen Axolotl zählte ich deren zehn. 

Wie aus der Darstellung hervorgeht, tragen ursprünglich das 
Dentale, Intermaxillare und Maxillare eine einfache Zahnreihe, 
Dieses Verhältniss ändert sich aber bald, indem zwischen zwei der 
älteren Zähnchen von hinten je ein neues sich anfügt (Taf. IV Fig. 
31 u). Hierdurch vergrössert sich der horizontale Knochenstreifen, 
welcher in der Mundschleimhaut liegt, in gleicher Weise, wie der 
Vomer etc. wächst. Die jüngst hinzugetretenen Zähnchen springen 
wie dort vom Innenrand des Streifens mit ihrer quadratischen Basal- 
platte hervor (u). Die Zahnreihe ist der Art eine doppelte gewor- 
den. Es wird dieses Wachsthum, wie bei den Knochen der ersten 
Gruppe, durch eine Frsatzleiste vermittelt, welche am Rand des 
Ober- und Unterkiefers sich befindet (Taf. V Fig.1, E). 

Aus den hier angeführten Thatsachen sehen wir, wie das Den- 
tale, Maxillare und Intermaxillare aus zwei verschiedenen Theilen 
sich zusammensetzen. Der zuerst gebildete Theil liegt auf der’ Ge- 
sichtsfläche des Schädels im Cutisgewebe. Er ist daher eine Ossi- 
fication des äusseren Integuments. Aus ihr entsteht die vertical ge- 
stellte Lamelle des Ober- und des Zwischenkiefers, der Processus 
nasalis, und die den Meckel’schen Knorpel von aussen einscheidende 
Lamelle des Dentale. Der später gebildete Theil liegt in der Mund- 
höhle. Er entsteht in gleicher Weise wie der Vomer, das Palatinum 
und Operculare durch Verschmelzung der Basalplättehen von Zäh- 
nen und ist mithin eine Ossification der Schleimhaut. Aus ihr geht 
der Processus palatinus des ausgebildeten Maxillare und Intermaxil- 
lare hervor. Somit gelangen wir zu dem Endergebniss, dass die 
am Mundhöhlenrand gelegenen Knochen durch eine Ossification des 
Integumentes und durch eine Ossification der Mundschleimhaut, 
welche miteinander verschmelzen, gebildet werden. 


111 


(Entwicklung des Angulare, Pterygoids und Para- 
sphenoids.) Die Knochen der dritten Gruppe, das Angulare, Pterygoid 
und Parasphenoid, bieten in ihrer Entwicklung wenig bemerkenswer- 
thes dar. Das Parasphenoid gehört mit zu den am spätesten auf- 
tretenden Knochen (Taf. I Fig. 33, Taf. IV Fig. 36 O. ps). Ich beob- 
achtete es zur Zeit, wo das Maxillare sich bildet, als eine dünne 
gitterförmig durchbrochene Lamelle von ovaler Gestalt. Sie bedeckte 
fast den ganzen Zwischenraum an der Schädelbasis zwischen Vomer, 
Palatinum und Pterygoid. Das Pterygoid (Taf. I Fig. 33, Taf. IV 
Fig. 36 O. pt), hängt, wie wir schon früher hervorgehoben haben, 
ursprünglich mit dem Palatinum zusammen und erhält sich dieser 
Zusammenhang auch noch bei älteren Larven. Es verläuft hier 
unter dem Boden der Augenhöhle als zarter Knochenstreifen schräg 
nach aussen und rückwärts bis zum Quadratknorpel. Die Stel- 
lung des letzteren ist für die Tritonenlarven eine sehr bemerkens- 
werthe, indem sie von dem ausgebildeten Zustande abweicht und 
uns embryonal ein Verhältniss vorführt, welches wir im vergleichend 
anatomischen Theil bei den am niedrigsten stehenden Amphibien, 
bei Siren, Proteus, Menobranchus und Axolotl vom erwachsenen 
Thiere beschrieben haben. Der Quadratknorpel verläuft nämlich 
von dem Knorpel der Labyrinthregion entspringend noch in schrä- 
ger Richtung weit nach vorn, so dass die Articulationsfläche für den 
Unterkiefer, wenigstens bei den Salamandrinen, weniger weit nach 
hinten liegt, als beim ausgewachsenen Thiere. 

Der dritte Knochen dieser Gruppe, das Angulare, kann sei- 
ner Lage nach als Integument- und als Schleimhaut-Ossification ge- 
deutet werden. Aus später zu erörternden Gründen zähle ich es 
zu den Integument-Össificationen. 

Was die histologische Beschaffenheit dieser zahnlosen Knochen- 
blättchen betrifft, so bestehen sie einzig und allein aus sklerosirtem und 
verkalktem Bindegewebe und enthalten keine Zellen eingeschlossen; sie 
bilden dicht unter dem Epithel dünne und biegsame, von zahlreichen 
grösseren und kleineren Löchern netzartig durchbrochene Lamellen. 

Zum besseren Verständniss der Art und Weise, wie die bis 
jetzt einzeln für sich betrachteten Knochen im Zusammenhang an- 
geordnet sind, gebe ich noch zum Schluss dieses Abschnittes eine 
kurze Schilderung von der Beschaffenheit des Mundhöhlenskelets 
in zwei der wichtigsten Larvenstadien. — Auf einem jüngeren Stadium, 
wie solches auf Taf. IV Fig.37 von einer 1,8 Cm. langen Axolotl- 


112 


larve dargestellt ist, begrenzt den oberen Rand der Mundöffnung 
jederseits nur ein Intermaxillare (O.i.), welches etwa sechs 
Zähne trägt. Ein Maxillare und Parasphenoid fehlt noch. 
Hinter ihm liegen in bogenförmiger Anordnung die Gaumenknochen, 
ein Vomer (O. v) mit etwa acht Zähnen und ein grösseres Knochen- 
stück, das in seiner vorderen Hälfte (O.p.) eine Anzahl Zähne trägt, 
nach rückwärts dagegen zahnlos ist und mit diesem Theil (O. pt.) 
bis an den Quadratknorpel stösst. Dieser Knochen vereinigt in 
sich die Elemente des Palatinum und des Pterygoids und 
muss daher als Pterygopalatinum gedeutet werden. 

Auf einem älteren Stadium, ich lege der Beschreibung eine 
Axolotllarve von 2,5 Cm. Länge zu Grunde (Taf. IV. Fig. 36), ist der 
Oberkieferbogen durch die Entwicklung eines Maxillare vervollstän- 
digt. Dieses und das Intermaxillare tragen eine längere doppelte 
Reihe von Zähnen. Die Mitte der Schädelbasis bedeckt ein dünnes 
Parasphenoid. Der Vomer und das Pterygopalatinum ha- 
ben sich bedeutend vergrössert und ist die Oberfläche von beiden 
etwa mit je 30 Zähnen bedeckt. Zwischen Maxillare und Vomer 
bemerkt man die innere Nasenmündung (y). Der Unterkiefer 
ist aus dem Meckel’schen Knorpel und drei Belegknochen, einem 
Dentale, Operculare und Angulare zusammengesetzt (Taf. 
IV Fig. 29). 


b) Umwandlung des Embryonalskelets in das bleibende. 


An dem Skelet der jungen Urodelenlarven, wie es in dem vor- 
hergehenden Abschnitt beschrieben worden ist, müssen zahlreiche 
Veränderungen vor sich gehen, ehe es die bleibende Beschaffenheit 
beim erwachsenen Thier erlangt. Die Processe, welche diese Um- 
wandlung bewirken, sind, vom Weiterwachsthum abgesehen, haupt- 
sächlich von zweierlei Art. Einmal finden an den Zähnen sowohl 
als auch an den Knochen Resorptionsvorgänge in ganz be- 
stimmter Weise statt, und zweitens combiniren sich hiermit Lage- 
veränderungen von knorpligen und von knöchernen Theilen. 

Resorptionsvorgänge kann man am Embryonalskelet 
schon in einer sehr frühen Zeit und an sehr kleinen Larven beo- 
bachten. Auch hier empfiehlt sich besonders die Untersuchung der 
Theile in situ und Aufhellung des Präparates mit Natronlauge. Bei 
Anwendung dieser Methode sieht man an ungefähr 2 Cm. langen 
Axolotllarven, deren Palatinum und Vomer etwa je 15, deren Oper- 


113 


culare etwa 20 Zähne trägt, wie der äussere Rand der genannten 
Knochen an einzelnen Stellen eigenthümlich beschaffene Contouren 
darbietet (Taf. IV Fig. 32 u. 33f.). Hie und da zeigt derselbe tiefe 
Einbuchtungen, die wieder mit kleinen bogenförmigen Einsprüngen 
besetzt sind. Hierdurch erscheint der Knochenrand wie ausgenagt. 
In den Buchten bemerkt man in zahlreichen Fällen kleine isolirte 
Zahnspitzchen («) in der durch Natronlauge aufgehellten Schleim- 
haut. Als in der Entwicklung begriffene Zähne können dieselben 
nicht gedeutet werden, da an dem Aussenrand der Knochen solche 
nie neu entstehen. Auch auf mechanischem Wege durch die Prä- 
paration können sie nicht von der Innen- nach der Aussenseite der 
Knochen gelangt sein. Die kleinen Zahnspitzchen im Schleimhaut- 
gewebe lassen sich daher nur als noch nicht resorbirte Theile von 
Zähnen betrachten, deren Basis durch Resorptionsvorgänge aufgelöst 
ist. Hierfür sprechen auch die so charakteristisch gestalteten De- 
fecte am äusseren Knochenrand, welche vollkommen Howship’schen 
Lacunen gleichen. 

Unsere Vorstellung von der Beschaffenheit der so eigenthüm- 
lichen embryonalen Zahnplatten des Vomer, Palatinum und Oper- 
culare erfährt hierdurch eine wesentliche Erweiterung. Wir finden, 
wie der innere und der äussere Knochenrand ein ganz entgegen- 
gesetztes Verhalten darbieten. Am inneren Knochenrand liegt 
eine Ersatzleiste, hier entstehen fortwährend neue Zähne. Indem 
dieselben untereinander und mit ihren Vorgängern verwachsen, be- 
wirken sie eine Vergrösserung der Zahnplatte. Amäussern 
Rande dagegen wird Knochen- und Zahngewebe aufgelöst und hier- 
durch eine Reduction der den Knochen zusammensetzenden Zähne 
herbeigeführt. Oder mit andern Worten, von innen wächst, von 
aussen verkleinert sich die Zahnplatte. — Bei Siren 
lacertina werden die hier geschilderten Vorgänge wahrscheinlich 
noch beim erwachsenen Thiere am Vomer, Palatinum und Oper- 
culare stattfinden, sodass eine Untersuchung derselben auch in 
der Beziehung wünschenswerth erscheint. 

Es liegt auf der Hand, dass bei diesem Process entweder die 
Zahnplatte oder die Ersatzleiste ihre Lage allmählich verändern 
muss. Das erstere scheint mir das ursprüngliche Verhältniss zu 
sein. Die Ersatzleiste behält ihre Lage bei, die Zahnplatte dagegen 
rückt in demselben Maasse nach aussen, als an ihrer inneren Seite 
sich neue Zähne anfügen. Ihrer Vergrösserung wird durch eine am 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11, Supplementheft. 8 


114 


äusseren Rande stattfindende Resorption ein bestimmtes Ziel gesetzt und 
dadurch ihr sonst unbeschränktes Wachsthum regulirt. Ein Analogon 
hierzu bietet uns die Lageveränderung, welche die Zähne der Sela- 
chier erleiden. Wie schon früher angeführt ist, bewegt sich die 
Schleimhaut, welche die Zähne trägt, über den Kieferknorpel wie 
über eine Walze nach aussen. Auch hier werden an der Innenseite 
des Kieferknorpels Zähne neugebildet und an der Aussenseite wieder 
resorbirt. Denken wir uns daher die Basalplatten der Haifischzähne 
nur ein wenig vergrössert und mit einander verschmolzen, so er- 
halten wir eine Bildung, welche vollkommen den Zahnplatten am 
Gaumen der Urodelenlarven gleicht und wie diese ihre Lage ver- 
ändert. 

Dass die Resorption des Knochen- und Zahngewebes bei den 
kleinen Larven bereits schon durch die Ostoklasten bewirkt wird, 
erscheint mir sehr wahrscheinlich. Zum ersten Male habe ich solche 
bei 6 Cm. langen Larven von Salamandra mac. in Lücken von un- 
vollständig resorbirten Zähnen auf Durchschnitten durch die Kiefer- 
und Gaumenknochen vorgefunden (Taf. V Fig. 2. . Fig. 3). 

Die Veränderungen, durch welche die beschriebenen Resorptions- 
. vorgänge die definitive Gestaltung des Mundhöhlenskelets herbei- 
führen, sind für die Salamandrinen bedeutender als für Axolotl. 
Bei letzterem unterscheidet sich das ausgebildete Skelet vom em- 
bryonalen nur dadurch, dass die vielreihige in eine zweireihige 
Zahnstellung redueirt ist und dass das Palatinum vom zahnlosen 
Pterygoid sich losgelöst hat. Zu welcher Zeit diese Veränderungen 
erfolgen, war ich aus Mangel von älteren Larven nicht in der Lage 
festzustellen. Die älteste der untersuchten Axolotllarven maass 4 
Cm. in der Länge. Ausser einer Zunahme in der Grösse der Kno- 
chen und in der Zahl der ihnen aufsitzenden Zähne war eine Ab- 
weichung von früheren Befunden nicht wahrzunehmen. Pterygoid 
und Palatinum hängen noch untereinander zusammen. Indem so- 
mit die heduction des Zahnbesatzes und die Lostrennung des Pa- 
latinum wohl erst bei älteren Thieren erfolgt, erklärt sich die früher 
hervorgehobene abweichende Darstellung Cuvier’s und Owen’s 
vom Zahnbesatz des Vomer, Palatinum und Öperculare, sowie die 
Angabe, dass der vordere Theil des Pterygoids Zähne trage. Ge- 
nannte Forscher werden nur jugendliche Formen untersucht haben, 
wofür die Abbildung des Axolotlschädels in Cuvier’s Össemens 
fossiles, welche Owen copirt hat, spricht. 


115 


Bei Salamandra mac. und bei Triton habeich den Eintritt und 
den weiteren Verlauf der den fertigen Zustand herbeiführenden Ver- 
änderungen in den wichtigsten Punkten verfolgen können. Bei 
einem Landsalamander von 6,2 Cm. Länge bilden die Gaumenkno- 
chen noch wie bei jüngeren Larven einen dem Kieferrand parallelen 
Bogen (Taf. I Fig. 3), in ihrer Form und Beschaffenheit aber haben 
sie Veränderungen erlitten. Während der Vomer (0. v.) nach rück- 
wärts über und über mit Zähnchen bedeckt ist, ist seine vor- 
dere äussere Fläche auf eine kleine Strecke zahnlos. 
Augenscheinlich sind hier lebhaftere Resorptionsvorgänge thätig ge- 
wesen, welche indessen nur die Zahnkegel, nicht aber ihre Basis 
und das die Zähne untereinander verkittende Cement betroffen 
haben. Dieser Process ist von hoher Bedeutung, indem er zur Ent- 
stehung eines selbständigen von der Zahnbildung nicht 
mehr abhängigen Knochengewebes führt. — Ferner ist 
das kleine Palatinum (O.p.) auf der einen Seite des Schädels vom 
Pterygoid abgelöst. Letzteres (O. pt.) läuft nach vorn spitz zu; 
ersteres besitzt nach hinten und aussen einen stark ausgenagten 
Rand, ein Zeichen, dass hier eine Resorption in erhöhtem Maasse 
stattgefunden hat. Auf der andern Seite des Schädels ist das Pa- 
latinum mit dem Pterygoid noch durch einen dünnen Knochenbalken 
in Verbindung. — Am Unterkiefer endlich ist das Operculare in 
einen dünnen Knochenstreifen mit 1—2 Zahnreihen umgewandelt. 
Der äussere Rand ist mit Howship’schen Lacunen bedeckt. 

Bei einer etwas älteren Larve eines Landsalamanders (von 6,6 
Cent. Länge) ist die ganze äussere Fläche des Vomer zahnfrei; 
am inneren Rand desselben, wo allein die Zähne sich noch erhalten 
haben, stehen sie alternirend in zwei Reihen etwa wie beim ausge- 
wachsenen Axolotl. Das Palatinum ist beiderseits vom Ptery- 
goid vollständig getrennt und hat sich zwischen beiden der Zwi- 
schenraum mehr vergrössert. In der Gegend des Operculare 
sind keine Zähne mehr wahrzunehmen. Man findet daselbst nur 
noch einen sehr dünnen schmalen Knochenstreifen mit ausgezacktem 
äusserem Rande. Die Ersatzleiste hat sich augenscheinlich rück- 
gebildet, während die Resorptionsvorgänge nach wie vor stattfinden. 
Dieselben führen endlich, wie zur Auflösung der Zähne, so auch zur 
' schliesslichen Auflösung des ganzen Operculare. Wenigstens konnte 
ich bei einem 9 Cm. langen Salamander kein selbständiges Knochen- 
stück an der Stelle des Operculare mehr nachweisen und schliesse 


116 


ich hieraus auf seine vollständige Rückbildung, da ich Umstände, 
welche auf eine Verschmelzung mit dem Dentale oder Angulare hin- 
deuten könnten, nicht aufgefunden habe. 

Aehnliche Resultate lieferte mir die Untersuchung älterer Tri- 
tonlarven. Bei einem 3,5 Cm. langen Exemplar (Taf. I Fig. 33) wa- 
ren Palatinum und Pterygoid noch mit einander verbunden, bei 
einer 4 Cm. langen Larve dagegen (Taf. I Fig. 4) war die Trennung 
auf beiden Seiten schon eine vollständige geworden. Howship’sche 
Lacunen und isolirt im Schleimhautgewebe liegende noch nicht re- 
sorbirte Zahnspitzchen zeigten auch hier wieder die Art und Weise 
des Processes an, durch welchen die Trennung des Pterygopalati- 
num in zwei isolirte Stücke herbeigeführt worden war. An noch 
älteren Larven ist am Unterkiefer von dem ursprünglich vorhan- 
denen zahntragenden Operculare keine Spur mehr wahrzunehmen. 

Eine Ergänzung zu den soeben beschriebenen Bildern, welche 
durch Natronlauge aufgehellte Präparate liefern, geben uns Durch- 
schnitte durch entkalkte zahntragende Knochen. Um die Beschaf- 
fenheit eines solchen auf einem älteren Entwicklungsstadium ken- 
nen zu lernen, diene als Beispiel ein frontaler Durchschnitt durch 
den Vomer einer 5,5 Um. langen Salamanderlarve, wie solcher auf 
Taf. V Fig. 2 dargestellt ist. Man findet hier im Schleimhautgewebe 
einen stärkeren Knochenstreifen, welcher hie und da in seiner Grund- 
substanz ein Knochenkörperchen eingeschlossen enthält. Auf seiner 
oberen Fläche sitzen nach einwärts drei Zahnkegel, von welchen 
der mittlere nur an der Basis vom Schnitt getroffen ist. Während 
der nach innen gelegene Zahn vollkommen intact ist, zeigt der aus- 
sen liegende eine defecte Stelle, in welcher vielkernige Zellen lie- 
sen. Ein äusserer dünnerer Theil des Knochens ist von Zähnen 
entblösst. Eine Ersatzleiste, durch welche das Wachsthum des 
Knochens mit vermittelt wird, - liegt an seinem Innenrand und be- 
merkt man an derselben ein schon ziemlich weit entwickeltes Zahn- 
spitzchen. 

Mit den Veränderungen am embryonalen Skelet, welche haupt- 
sächlich durch Resorptionsprocesse herbeigeführt werden, verbinden 
sich noch weiter Umbildungen, welche in einer Verlagerung der 
einzelnen Theile bestehen. Während bei jungen Larven der Qua- 
dratknorpel schräg nach vorn gerichtet ist und die Artieulationsfläche” 
für den Unterkiefer fast in der Mitte des Schädels liegt (Taf. I Fig. 
3,4 u. 33), ändert sich dies bei älteren Larven. Der Quadratknorpel 


117 


nimmt eine mehr quere Stellung zur Längsaxe des Kopfes ein, das 
Unterkiefergelenk wandert weiter nach rückwärts. Im Zusammen- 
hang hiermit sehen wir das vom Palatinum losgelöste Pterygoid 
gleichfalls seine Stellung verändern, indem es mit seiner vorderen 
Spitze (dem Processus maxillaris) seitwärts rückt. Während dieselbe 
ursprünglich schräg nach einwärts gerichtet ist, blickt sie beim er- 
wachsenen Thiere schräg nach aussen. So vollzieht sich bei der 
Larvenentwicklung der Salamandrinen unter unsern Augen ein Process, 
den wir bei der Untersuchung niederer und höherer Amphibienfor- 
men in seiner phylogenetischen Entwicklung bereits kennen gelernt 
haben. 

Die weiteren Veränderungen bestehen in einer allmählich sich 
vollziehenden Verlagerung der Gaumenknochen, indem besonders das 
Palatinum weiter nach der Mittellinie des Schädels und nach rück- 
wärts wandert, und ist hiermit die Metamorphose des embryonalen 
in das ausgebildete Skelet vollendet. Dies ist bei einem 9 Cm. lan- 
gen Landsalamander etwa der Fall. Hier besitzen die einzelnen 
Knochen im Grossen und Ganzen die Lage wie beim ausgewachsenen 
Thiere; dagegen ist die Zahnstellung noch eine zweizeilige. Da 
ich noch ältere Thiere nicht untersucht habe, so habe ich den Ueber- 
gang der mehrreihigen in die einreihige Zahnstellung und die hiermit 
zusammenhängende Entstehung des Processus dentalis nicht verfol- 
gen können. 


c) Allgemeine Resultate. 


Die über die Entwicklung des Mundhöhlenskelets der Urodelen 
angestellten Beobachtungen erlauben uns nach zwei Seiten allgemei- 
nere Betrachtungen anzustellen. Einmal gewähren sie uns in die 
innige Beziehung, welche zwischen der phylogeneti- 
schen und der ontogenetischen Entwicklung der Or- 
gane besteht, einen Einblick, und zweitens lehren sie uns für 
einen Theil des Mundhöhlenskelets eine Art der Entstehung, welche 
mir für die Genese des Kopfskelets überhaupt von Bedeutung zu 
sein scheint. 

Um den ersten Punkt recht zu würdigen, will ich hier einen 
Vergleich zwischen den wichtigsten Befunden des vergleichend ana- 
_ tomischen und des entwicklungsgeschichtlichen Theiles anstellen, in- 
dem ich hierdurch zu zeigen hoffe, wie nothwendig für das Ver- 
ständniss organischer Formen es ist, gleichzeitig beide Wege der 


118 


Forschung einzuschlagen. Zugleich wird sich bei diesem Vergleich 
zeigen, wie durch Anwendung beider Methoden man eine Controlle 
seiner Untersuchungsresultate auszuüben vermag. 

In dem Kapitel, welches über die Stellung der Zähne handelt, 
war ich durch vergleichende Betrachtung zu dem Schluss gelangt, 
dass die vielreihige Zahnstellung auf den Knochen die 
primäre, die zwei- und einreihige dagegen aus dieser 
abzuleiten sei. Ich ging hierbei von der Thatsache aus, dass 
der Vomer, das Palatinum und das ÖOperculare bei Siren voll- 
ständig von Zähnen bedeckt sind, während sie bei Axolotl zwei, bei 
den Salamandrinen dagegen nur eine Zahnreihe aufweisen, dass fer- 
ner Siren und Axolotl in ihrer ganzen Organisation niedriger ste- 
hende Formen als die Salamandrinen sind. Da nun die einreihige 
aus der vielreihigen Zahnstellung, aber nicht diese aus jener sich 
ableiten liess und für diese Differenzirung Anpassungsbedingungen 
als veranlassende Momente aufgefunden werden konnten, so mussten 
wir die vielreihige als die ursprüngliche, die einreihige als eine erst 
später erworbene Stellung beurtheilen. Der Schluss war um so mehr 
gestattet, als das Ergebniss mit der phylogenetischen Aufeinanderfolge 
der untersuchten Amphibienspecies (Siren, Axolotl, Salamandrinen) 
im Einklang stand. Dieser auf Vergleichung beruhende Schluss hat 
nun im entwicklungsgeschichtlichen Theile dieser Untersuchung 
seine Bestätigung gefunden. Denn bei den untersuchten Salaman- 
drinen tritt überall ursprünglich eine vielreihige Anordnung auf und 
aus dieser bildet sich erst secundär die einreihige aus. 

Bei einem Vergleich der Lagerung der Gaumenknochen bei den 
verschiedenen Amphibienarten liess sich der Satz aufstellen und in 
vieler Hinsicht begründen, dass die bogenförmige Anordnung 
der Knochen die primäre sei und dassaus ihr durch 
Differenzirung die abweichenden Knochenlagen bei 
den Derotremen, Salamandrinen und Anuren hervorge- 
gangen seien. Auch für dieses durch anatomische Vergleichung ge- 
wonnene Resuitat ist der embryologische Beweis geliefert worden. 
Wir haben gesehen, wie auf früheren Entwicklungsstadien Axolotllar- 
ven nnd Salamandrinenlarven zunächst einander völlig gleichen. Bei 
beiden bilden Vomer, Palatinum und Pterygoid hinter dem Kiefer- 
bogen einen diesem parallelen zweiten Bogen. Während aber im 
Laufe der embryonalen Entwicklung bei jenen die Lagerung der 
Gaumenknochen nahezu die gleiche bleibt, erleidet sie allmählich 


119 


bei diesen eine bedeutende Veränderung, bis schliesslich die so ab- 
weichende Bildung beim ausgewachsenen Thiere entstanden ist. 

Die nach den einzelnen Amphibienordnungen verschiedene Stel- 
lung des Quadratknorpels habe ich im vergleichend anatomischen 
Theil als eine Reihe von Entwicklungsstadien beschrieben und den 
Satz aufgestellt, dass ursprünglich der Quadratknorpel 
schräg nach vorn zur Längsaxe des Primordialcra- 
nium gerichtet gewesen sei und dass dem entsprechend 
die Articulationsfläche für den Unterkiefer weit nach vorn gelegen 
habe. Bei den Salamandrinen lässt sich dieser Process in seiner 
Entwicklung verfolgen und hierdurch die Richtigkeit des früher 
aufgestellten Satzes beweisen. 

Ausser diesen drei besonders in die Augen springenden Bei- 
spielen zeigt uns noch eine Reihe weiterer Thatsachen von mehr 
beschränkter Bedeutung, wie Embryologie und vergleichende Ana- 
tomie sich gegenseitig ergänzen und ein tieferes Verständniss einer 
jeden derselben erst erlangt wird, wenn man beide gleichzeitig be- 
rücksichtigt: So lässt es sich zum Beispiel nur durch die verglei- 
chende Anatomie verstehen, warum bei den Larven der Salaman- 
drinen ein zahntragendes Knochenstückchen, welches später sich 
rückbildet, am Unterkiefer auftritt. Denn dieselbe lehrt uns, dass 
eseine von den niedriger stehenden Amphibienformen ererbte Bildung 
ist, indem sie zeigt, wie Siren und Axolotl dauernd ein Operculare 
besitzen. Dagegen liefert uns auf der andern Seite erst wieder die 
Entwicklungsgeschichte den Beweis, dass bei Triton ceristatus das 
Vomeropalatinum wirklich zwei Knochen in sich vereint, und bestä- 
tigt so die Deutung, welche vergleichend anatomische Erwägungen 
nahe legten. Ebenso eröffnet uns erst die Entwicklungsgeschichte 
ein richtiges Verständniss für jene Thatsache, dass bei Proteus und 
Menobranchus jederseits nur zwei Gaumenknochen vorhanden sind, 
von welchen der letzte auf seinem vorderen Abschnitte Zähne trägt. 
Zwar konnten wir schon im vergleichend anatomischen Theil das letzte 
Knochenstück als Pterygopalatinum deuten, indem wir im vorderen 
zahntragenden Abschnitt das Homologon des Palatinum, im hinteren 
zahnlosen Theile das Homologon des Pterygoids erblickten. Dagegen 
liess sich nicht entscheiden, ob auch in dieser Bildung die niedriger 
stehenden Formen den ursprünglichen oder einen erst erworbenen 
Zustand uns erhalten haben. Hier führt uns wieder die Embryologie 
auf den richtigen Weg. Sie macht uns mit der bemerkenswerthen 


120 


Thatsache bekannt, dass bei den Larven von Axolotl und von den 
Salamandrinen Pterygoid und Palatinum ursprünglich ein einziges 
Knoehenstück, ein Pterygopalatinum, bilden und dass aus diesem erst 
secundär durch Trennung zwei besondere Skelettheile entstehen. 
Durch Vorführung dieser Thatsachen leitet sie uns nothwendiger 
Weise zu dem Schluss, dass ursprünglich alle Amphibien 
ein einfaches Pterygopalatinum besessen haben und 
dass dieser primäre Zustand in den durch Kiemen ath- 
menden Amphibien, Proteus und Menobranchus, sich 
phylogenetisch jetzt noch nachweisen lässt. 

Ein zweites Resultat von allgemeinerem Interesse, zu wel- 
chem die entwicklungsgeschichtliche Untersuchung uns geführt hat, 
ist die Erkenntniss der Art, in der ein Theil der Kno- 
chen des Mundhöhlenskelets entstanden ist. Es wurde 
durch dieselbe gezeigt, wie eine Anzahl in der Schleimhaut ge- 
legener Zähnchen mit ihren Basalplatten verschmelzen und wie 
hierdurch kleine Zahnplatten gebildet werden, die wir als die An- 
lage des Vomer, Palatinum und Operculare betrachten müssen. 
Diese Zahnplatten wachsen an ihrem inneren Rand durch Ausbil- 
dung neuer Zähne und werden am Aussenrand wieder durch Re- 
sorption verkleinert. Weiterhin wurde gezeigt, wie auf einer noch 
späteren Entwicklungsstufe im Schleimhautgewebe eine zum Theil 
zahnlose Knochenplatte angetroffen wird. Dieselbe ist dadurch ent- 
standen, dass die Resorption nur den oberen Theil der Zahnkegel 
betroffen, das ihre Basis verkittende Cement aber übrig gelassen 
hat. Zahncement ist so zu einem selbstständigen Kno- 
chen geworden ; oder mit anderen Worten, aus verschmolzenen 
Zähnen, aus einer Zahnplatte, ist eine Knochenplatte 
entstanden. Wie dieselbe auch späterhin noch vielfach durch die 
auf ihr festsitzenden Zahnbildungen in ihrer äusseren Beschaffenheit 
bestimmt wird und in Folge der Entstehung neuer Zähne wächst, 
hat der vergleichend anatomische Theil dieser Untersuchung uns 
gezeigt und erinnere ich hier noch einmal an die poröse Knochen- 
masse, welche bei Axolotl den Gaumenknochen in Form eines schma- 
len Streifens aufgelagert ist, undan den Processus dentalis der Sala- 
mandrinen, jene leistenförmige Verdickung der Knochenoberfläche, 
deren Entstehung sich auf eine Anhäufung von Zahncement zurück- 
führen und mit der Umwandlung der vielreihigen in die einreihige 
Stellung der Zähne in Zusammenhang bringen lässt. 


121 


Dieselbe Art der Entstehung wurde, wie für die Gaumenknochen, 
so auch für einen Theil des Dentale, Maxillare und Intermaxillare auf- 
gefunden. Wie im ersten Theil dieser Untersuchung hervorgehoben 
worden ist, kann man namentlich an den zwei letztgenannten 
Knochen drei miteinander verbundene Lamellen, einen Processus 
palatinus, dentalis und einen Processus nasalis unterscheiden. Der 
Processus palatinus entsteht wie die Gaumenknochen durch eine 
Verschmelzung embryonaler, in mehreren Reihen stehender Zähne 
untereinander. Der Processus dentalis durch Verschmelzung von 
Cementtheilen, indem die mehrreihige in die einreihige Zahnstellung 
übergeht. Der Processus nasalis hat einen anderen Entstehungs- 
modus, indem er eine Ossification des Integumentes ist. Wir ge- 
langen somit zu dem Resultate, dass am Mundhöhlenrand 
Integument- mit Schleimhautossificationen sich ver- 
binden und dass letztere in gleicher Weise aus Ver- 
schmelzung von Zähnen wie die Gaumenknochen zu 
erklären sind. 

Wie das Pterygoid, Parasphenoid und Angulare sich 
zu diesem Entwicklungsmodus verhalten, soll in einem späteren Ab- 
schnitt erörtert werden. 

Wenn ich in der angeführten Weise einen Theil der‘ Deck- 
knochen der Mundhöhle aus verschmolzenen Zähnchen ableite, so 
soll hiermit nicht gesagt sein, dass nun zum Beispiel die Gaumen- 
knochen der Salamandrinen in ihrer fertigen Form nur aus ver- 
schmolzenen Cementtheilen zu erklären seien. Vielmehr müssen wir 
aus der Form des fertigen Knochens schliessen, dass, sowie durch 
unvollständige Resorption von Zähnen eine Knochenplatte in der 
Schleimhaut entstanden ist, dieselbe sich nun auch selbstständig 
weiter entwickelt, verdickt und verbreitert, indem sie angrenzendes 
Schleimhautgewebe in den Verknöcherungsprocess mit hineinzieht. 
Mit anderen Worten: der in seiner ersten Entstehung von 
Zahnbildungen ableitbareKnochen,wird zu einer selbst- 
ständigen Bildung, die in ihrer eigenen Richtung 
sich fortentwickelt und nur zum Theil noch in ihrer 
Form von den Zähnen bestimmt wird, so lange diese sich 
nicht völlig auf der Knochenoberfläche rückgebildet haben. 

Durch die Erkenntniss, dass ein Theil der Skeletknochen aus 
Zahnbildungen hervorgegangen ist, gewinnen wir in die Genese des 
knöchernen Schädels und seine Stellung zum Cranium der Knorpel- 


122 

fische einen neuen Einblick. Bisher musste eine vergleichend ana- 
tomische Betrachtung des Mundhöhlenskelets mit den Knochenfischen 
und Amphibien abschliessen. Bei diesen Gruppen treten die Knochen 
scheinbar plötzlich und unvermittelt auf; durch die hier mitge- 
theilten Beobachtungen ist es uns ermöglicht, die vergleichende Be- 
trachtung auf niedere Verhältnisse auszudehnen und in den Zahn- 
bildungen der Selachier die ersten Anfänge der in 
höheren Classen zusolchem Umfang gediehenen Skelet- 
bildungen zu erkennen. 


d) Geschichtlicher Ueberblick. 


An die Darstellung meiner eigenen Beobachtungen schliesse 
ich einen geschichtlichen Ueberblick über die Arbeiten früherer 
Untersucher und muss ich hierbei etwas ausführlicher verfahren, 
da merkwürdiger Weise die widersprechendsten Angaben über die 
Beschaffenheit sowohl als auch über die Zurückführung des Mund- 
höhlenskelets der Larven in das der älteren Thiere gemacht worden 
sind. Durch eine genaue geschichtliche Darstellung mit besonderer 
Berücksichtigung der strittigen Punkte hoffe ich am sichersten zur 
Klärung des so interessanten Gegenstandes beizutragen. 

Das Mundhöhlenskelet der Urodelenlarven ist schon von ver- 
schiedenen Seiten bearbeitet worden. Der erste, welcher die Auf- 
merksamkeit der Naturforscher auf dasselbe in mehreren Arbeiten 
gelenkt hat, ist Rusconi, dem wir überhaupt die ersten eingehenden 
Mittheilungen über die Organisation der Larven der geschwänzten 
Amphibien zu verdanken haben. Von einer jungen Tritonlarve giebt 
er in seinen Amours des Salamandres aquatiques eine ziemlich ge- 
treue Abbildung aus dem Stadium, wo die Maxillaria noch nicht 
angelegt sind. Er beschreibt !), dass bezahnte Intermaxillaria, welche 
in der Mittellinie miteinander verwachsen sind, die vordere Be- 
grenzung der Mundhöhle bilden und dass jederseits hinter denselben 
eine Knorpelplatte (unser Vomer und Pterygopalatinum) sich nach 
rückwärts erstreckt und mit conischen Punkten (Zähnchen) dicht 
besetzt ist. Die Platten sollen im Larvenleben die Stelle der noch 
fehlenden Maxillaria vertreten und nennt er sie daher os maxil- 
laires temporels. Später sollen sie sich mit der Entstehung 
der eigentlichen Maxillaria allmählich in die bleibenden Palatina 


1) Man vergleiche mit der Schilderung Taf. I. Fig. 33. 


123 


umwandeln. Ihre Benennung als Maxillaires ist daher eine sehr 
überflüssige. Die Entstehung des Pterygoids ist ihm entgangen, 
ebenso der Umstand, dass sein os maxillaire temporel jederseits aus 
zwei Platten (Vomer und Pterygopalatinum) besteht. 

In seinem späteren Werke über -die Entwicklung des Land- 
salamanders widerruft Rusconi diese in vielfacher Hinsicht richtigen 
früheren Angaben und gelangt zu einer ganz irrigen Auffassung 
über das Verhältniss des embryonalen zum bleibenden Mundhöhlen- 
skelet. Seiner Beschreibung legt er das auch bildlich wiedergegebene 
Skelet einer schon sehr weit entwickelten Larve zu Grunde, bei der 
Maxillaria und Intermaxillaria schon den Mundrand begrenzen. Hinter 
ihnen beschreibt er ganz richtig jederseits zwei mit Zähnchen dicht 
besetzte Knochenblättchen. Dagegen bestreitet er jetzt fälschlicher 
Weise ihre Umwandlung in das bleibende Vomer und Palatinum 
und nennt sie daher Palatins transitoires. Nach seinen An- 
gaben soll sich nämlich ausser den zahntragenden Blättchen noch 
jederseits ein echtes Palatinum, welches keine Zähne trägt, am 
Gaumengewölbe unmittelbar hinter den Intermaxillaria vorfinden und 
sollen seinem inneren Rande die Palatins transitoires aufgeklebt sein. 
Diese lässt Rusconi nun späterhin erweichen und verschwinden, 
die wahren Palatina dagegen lässt er sich ausdehnen und nach rück- 
wärts eine mit Zähnen besetzte Verlängerung treiben!). Hinter 
diesen Verlängerungen sollen späterhin zwei kleine Knöchelchen 
(unsere Palatina) entstehen, welche seitlich dem Parasphenoid auf- 
sitzen und weiter nicht benannt werden. Ich kann die so merk- 
würdigen Angaben von Rusconi mir nur so entstanden denken, 
dass er den bei älteren Thieren zahnlosen äusseren Theil des Vomer 
für ein besonderes Skeletstück, für ein wahres Palatinum angesehen, 
den zahntragenden inneren Theil fälschlicher Weise von ihm ge- 
rennt und als ihm nur lose aufsitzendes Palatin transitoire gedeutet 
hat. Die Bildung des Pterygoids hat Rusconi auch hier nicht er- 
kannt. Ueber das Verhalten des Quadratknorpel zum übrigen 
Cranium bei Larven und bei erwachsenen Thieren giebt er in seiner 
Darstellung des Landsalamanders eine treffende Bemerkung nebst 
erläuternden Abbildungen. Bei den Larven, sagt er, sind die zwei 
Stücke, welche den Unterkiefer tragen, nach vorwärts geneigt, beim 


1) Der Vomer der Salamandrinen wird vielfach, wie auch hier von 
Rusconi, als Palatinum benannt. ! 


124 


Erwachsenen dagegen bilden sie einen rechten Winkel mit der 
Medianlinie des Schädels. 

Eine kurze Note über das Mundhöhlenskelet der Salamandrinen 
giebt Cuvier in seinen Ossemens fossiles, indem er kurz auf die 
Bedeutung desselben aufmerksam macht. »Der Kopf der Wasser- 
salamander im Larvenstadium«, sagt er, »zeigt Verschiedenheiten, 
welche besser untersucht zu werden verdienten, als es mir in Mitten 
so vieler anderer Geschäfte möglich war. So sind die Knochen, 
welche ich Vomer nenne, weniger an die Basis der Nasenlöcher be- 
festigt und anstatt eine einzige Zahnreihe zu tragen, sind sie über 
und über mit Zähnen besetzt. Die Maxillaria sind weniger ent- 
wickelt ete.; Alles Umstände, welche wir bei Axoloti wiederfinden 
werden und welche sich sogar in Spuren bis zu Siren verfolgen 
lassen. « 

Unstreitig die genauesten Angaben und die richtigste Deutung 
des Kopfskelets der Tritonlarven hat Duge£s in seiner sorgfältigen 
Untersuchung über die Osteologie und die Myologie der Batrachier 
gegeben. Die Stellung des Quadratknorpels beschreibt er wie 
Rusconi: »Derselbe ist mehr nach vorwärts geneigt als beim Er- 
wachsenen, so dass der Unterkiefer im Verhältniss kürzer ist und 
der Kiemenapparat mehr Raum unter dem Cranium findet.« Ebenso 
beschreibt und deutet er richtig die zwei hinter dem Maxillare ge- 
legenen , vollständig bezahnten Knochenblättchen als Vomer und 
Palatinum und erwähnt zuerst, dass die in mehreren Reihen 
stehenden Zähne später zu einer Reihe reducirt werden. Dagegen 
sind Duges’ Angaben über die Entwicklung des Pterygoids unrichtige. 
Den äusseren und hinteren Rand des bezahnten Palatinum lässt er 
in einen Cartilage pterygoidien übergehen und bis an den Quadrat- 
knorpel reichen. An der unteren und inneren Seite dieses Cartilage 
pterygoidien (unseres Pterygoids) soll sich später das innere oder 
wahre Pterygoid als dreieckiges Knochenstück entwickeln. Der 
Cartilage pterygoidien soll sich nach und nach verschmälern und 
sich schrittweise von hinten nach vorn vom Palatinum, mit welchem 
er zuerst zusammenhing, ablösen. Duges ist zu dieser falschen 
Darstellung dadurch geführt worden, dass er den zahnlosen Theil 
unseres Pterygopalatinum für einen Knorpelstreifen hält und aus 
ihm den knorplichen Processus pterygoideus des Primordialeranium 
sich entwickeln lässt, während in Wirklichkeit das knöcherne Ptery- 
goid in der oben von mir beschriebenen Weise aus ihm entsteht, 


125 


Beim Unterkiefer lässt Duges unser Operculare nicht resorbirt 
werden, er deutet es vollkommen willkürlich als Supraangulare und 
lässt es später mit dem Dentale verschmelzen. Unser Angulare be- 
schreibt er als Operculo-Angulare. 

Am ausführlichsten hat Reichert das Mundhöhlenskelet der 
Salamandrinen behandelt. In seiner Arbeit über die vergleichende 
Entwicklungsgeschichte des Kopfes der nackten Amphibien hat er 
ihm ein besonderes Kapitel gewidmet, betitelt: »Das Zahnskelet 
der Schleimmembran bei den jungen Tritonen.« Da ın 
diesem Kapitel in mancher Beziehung Anklänge an die von mir vor- 
getragene Auffassung und Bedeutung des Mundhöhlenskelets sich 
finden, ziehe ich es bei der eigenthümlichen Schreibweise des Ver- 
fassers vor, anstatt zu referiren, den betreffenden Passus wörtlich 
mitzutheilen : 


Das Zahnskelet der Schleimmembran bei den jungen 
Tritonen. 


$ 69. Um die freie Ansicht der genannten Knorpel des Wirbel- 
skelets zu gewinnen, ist es nöthig, die Schleimhaut von denselben 
wegzupräpariren. Bei dieser Operation treffen wir auf zahnartige 
Knochenspitzen, welche sich vorzüglich an dem vordersten Theile 
der Schädel- und auch an der Gesichtsbasis aufgehäuft haben; 
ausserdem sind sie auch an der innern Fläche des Meckel’schen 
Knorpels zu finden. Ant. Duges nennt die ersteren, welche er im 
späteren ausgebildeten Zustande beobachtete, den Appareil pterygo- 
vomerien und zählte sie somit zu seinen Kopfknochen des Wirbel- 
systems. Es ist nothwendig, dass wir die Entwicklungsgeschichte 
dieser Theile vor dem weiteren Verfolge der härteren Gebilde des 
Wirbelsystems näher betrachten, um dann entscheiden zu können, 
wofür der jetzt sich entwickelnde Apparat zu halten ist. 

Zuvörderst müssen wir wiederholen, dass wir ausser den be- 
sprochenen Bildungsmassen des Wirbelsystems niemals noch 
andere Anhäufungen von seinem Blastema an der inneren Fläche 
der Kopfvisceralröhre gesehen haben. Es zieht sich vielmehr die 
blosse Schleimmembran längs der inneren Seite der Schädelbasis und 
der Visceralbogen, liegt daselbst lose an und nur an einzelnen Stellen, 
namentlich wo Oeffnungen sich befinden, ist sie fester mit den Ge- 
bilden des serösen Blattes verbunden. Dennoch gelingt es mit einiger 
Vorsicht, die Röhre der Schleimhautmembran vollständig heraus- 


126 


zunehmen, in welchem Falle wir die freie Ansicht des Wirbelsystems 
in der Art, wie wir es früher beschrieben, gewinnen. 

Wenn nun die erste Spur einer Sonderung der Rücken- und 
Visceralplatten in Hart- und Weichgebilde stattfindet, so häuft sich 
die Bildungsmasse der Schleimhaut zuerst in den Gegenden, wo sie 
an der vorderen Abtheilung der Schädel- und an der hinteren Partie 
der Gesichts-Basis, sowie an der inneren Fläche der Meckel’schen 
Knorpel gelagert ist, zu einer dickeren und ziemlich consistenten 
Membran an. Obgleich diese letztere an den respectiven Knorpeln 
des Wirbelsystems etwas inniger befestigt ist, so hält es gar nicht 
schwer, sie mit der übrigen Schleimhaut im Zusammenhange loszu- 
trennen. Nicht lange, so zeigen sich auf ihr weisse Pünktchen, 
welche nach und nach immer mehr hervortreten, zahlreicher werden 
und zu knöchernen kegelförmigen Spitzen sich verwandeln. Diese 
Knochenspitzen sind nichts anderes als wirkliche Zähnchen, welche 
mit ihrer Basis auf der Schleimhaut festsitzen. Sie stehen anfangs 
zum Theil isolirt, dann vereinigen sie sich, indem sie an den Rändern 
ihrer Basis miteinander verschmelzen, und stellen endlich ein mit 
kegelförmigen Spitzen (Zähnchen) besetztes Knochenblättchen dar. 

Solcher Knochenstückchen finden sich zuerst, und zwar ziem- 
lich zu gleicher Zeit, vier an der Zahl vor. Zwei liegen unter der 
vorderen Abtheilung der Schädelbasis, wo sie vorn in der Gegend 
der oberen Zwischenkiefer etwas fester angefügt sind und nach hinten 
mit undeutlichem Rande nicht vollkommen die Ansatzgegend des 
ersten Visceralbogens erreichen. Jedes einzelne dieser Knochenblättchen 
hat einen äusseren, convexen und einen inneren, mehr geradlinigen 
Rand, welche beide nicht scharf abgegrenzt sind und vorn in eine 
Spitze zusammenlaufen. Die Spitzen der Knochenblättchen jeder- 
seits berühren sich, sonst liegt zwischen ihren geraden inneren 
Rändern ein kleiner Zwischenraum, durch welchen die Schädelbasis 
etwas hindurchschimmert. Die beiden anderen Knochenblättchen 
befinden sich da an der inneren Fläche des Viceralbogens, wo wir 
später die Meckel’schen Knorpel abgeschieden sehen. Sie sind von 
länglicher Form, gewölbt nach dem Theile, an welchem sie ge- 
lagert, und waren äusserlich ohne alle Präparation hinter dem 
Unterkieferstreifen als ein durchschimmernder weisser Bildungstheil 
sichtbar. 

$. 70. Jetzt entwickeln sich ausserdem noch vier andere mit 
Zähnchen besetzte Knochenblättchen ganz auf dieselbe Weise, wie 


127 


die vier ersteren. Diese werden sogar mit Knorpelstückchen der 
Schleimmembran in Verbindung gesetzt. 

Zwei von ihnen befinden sich wieder an der Schädelbasis und 
sind als eine Fortsetzung der vorhin beschriebenen anzusehen. 
Diese letzteren erweitern sich nämlich in ihrer ganzen Breite nach 
hinten und etwas nach aussen, indem sie sich von der Schädelbasis 
abwenden. Die vordere Partie ist mit Knochenspitzchen besetzt und 
ganz von demselben Verhalten, wie bei den vorliegenden Knochen- 
blättchen. Nach hinten aber verlieren sich die Zähnchen allmählich 
ganz und wir haben nun jederseitig ein Knorpelblättchen, welches 
sich bei seiner Erweiterung nach hinten zugleich nach aussen und 
unten biegt. Mit seiner oberen Fläche legt sich dasselbe hinten an 
die innere Seite der ‚obersten Knorpelpartie des ersten Visceral- 
bogens (hier der Quadratbeinknorpel) an. Daselbst ist es etwas 
mehr befestigt, doch ohne die geringste Spur einer Gelenkbildung, 
sondern vielmehr mit dem äussersten, sehr dünn werdenden, hintersten 
Ende in die Schleimhaut der unteren Abtheilung von der Kopf- 
visceral-Röhre allmählich übergehend. Auf diese Weise besteht das 
obere zweite Knochenstück der Schleimhaut jederseits aus zwei 
hintereinander liegenden, continuirlich zusammenhängenden Ab- 
theilungen: eine vordere, mit Zähnchen besetzte und eine hintere 
knorplig gewordene, in deren Innerem allerdings Knochenpünktchen 
(nicht Zähnchen) sichtbar sind, ohne dass jedoch die Biegsamkeit 
desselben dadurch beeinträchtigt wird. Das Ganze muss als eine 
Fortsetzung des vor ihm liegenden Knochenblättchens betrachtet 
werden. Sein vorderer Rand ist unmittelbar ganz einfach an dasselbe 
angefügt; der innere wiederum entsprechend geradlinig verlaufend 
und, wie das vorliegende, von dem Inneren der anderen Seite je 
weiter nach hinten um desto mehr abstehend; der äussere Rand 
dagegen ist nicht convex wie der vorstehende, sondern concav ver- 
laufend, so zwar, dass beide’ Ränder zusammen die Form eines flach 
gekrümmten S bilden. Alle vier Stücke zusammen genommen, 
formiren das obere Zahngerüste der Schleimhaut. 

Auf den unteren Abtheilungen der zweiten Visceralknorpel, 
woraus sich die Suspensoria des Zungenbeinkörpers abscheiden, ent- 
wickeln sich die beiden hinteren Knochenblättchen des unteren Zahn- 
gerüstes. Ihre Entstehung ist ganz dieselbe, wie die der Knochen- 
blättchen an den Meckel’schen Knorpel. Sie sind auch, wie die 
letzteren, nach den entsprechenden Knorpel gewölbt, sitzen an den- 


128 


selben etwas fester auf und sind von länglicher Gestalt. Sowohl 
die vorderen als auch die hinteren Knochenblättchen richten sich in 
ihrem Verlaufe nach den sie stützenden Knorpeln der Visceral- 
bogen. Daher die respectiven von beiden’Seiten winklig zu einander 
geneigt sind, ohne sich gegenseitig zu erreichen. Zwischen den 
hinteren ist; die Schleimhaut, wo sie auf dem Mittelstück des zweiten 
Visceralbogens liegt, gewöhnlich von derberer Consistenz; ja öfters 
sah ich ein wirkliches, sehr dünnes Knorpelblättchen entstehen, 
welches nach hinten mit concaven Seitenrändern ganz unmerklich 
in den übrigen Theil der Schleimmembran auslief. Es war, wenn 
ich es vorfand, durchaus sehr dünn und leicht zu übersehen. Auf 
diese Weise ist nun auch das untere Zahngerüste vollendet. Es 
besteht aus den beiden, am ersten und zweiten Visceralbogen ge- 
legenen Knochenblättchen, welche mit Zähnchen versehen sind und 
aus der feinen Knorpellamelle, welche ich zuweilen zwischen den 
hinteren Knochenblättchen beobachtete. 

$ 71. Man kann um die Zeit, wann sowohl das obere als das 
untere Zahngerüste vollendet dasteht, mit einiger Geschicklichkeit 
und mit der besonderen Rücksicht auf die übrige Schleimhaut das 
so gebaute Zahnskelet von den Wandungen der Visceralröhre los- 
präpariren, ohne auch nur im Geringsten die Gebilde der Rücken- 
und Visceralplatte im Wesentlichen zu beeinträchtigen. 

Mit dem Verschwinden der äusseren Kiemen, bei der kräftigeren 
Ausbildung der Kieferapparate und während der Verknöcherung des 
Kopfwirbelskelets im Allgemeinen, verkümmern auch diese einzelnen 
Stücke des Zahnskelets. Die Zähnchen werden wieder weich, die 
Knorpel- und Knochenblättchen werden theilweise aufgesogen und 
bald ist bei dem ausgebildeten Triton von dem unteren Zahngerüste 
keine Spur mehr, von dem oberen nur rudimentäre Stücke (0554 
palatina und pterygoidea) zu finden. 

Ant. Duges hat, wie schon erwähnt wurde, das obere Zahn- 
gerüste gekannt und gezeichnet. In seinem öfter schon genannten 
Werke rechnet er dasselbe zu seinem Appareil mandibulaire sup6srieure 
der Tritonlarve und versteht darunter den oberen Zwischenkiefer 
mit unserem oberen Zahngerüste, welches er insbesondere Appareil 
pterygo-vome6rien nennt. Auch ein kleines Knochenstückchen, die 
Anlage des Oberkiefers (Sus-maxillaire) scheint er mit in diesen 
Apparat hinein zu ziehen. Da in den Zeichnungen nichts von diesem 
letzteren angedeutet ist, so wissen wir nicht, was für ein Bildungs- 


129 


theil derselbe gewesen. Duges verwandelt nun den genannten Apparat 
in die einzelnen, am entwickelten Triton gleich bezeichneten Knochen 
des Kopfes, bringt verkümmernde Gebilde des Schleimblattes und 
neu entstehende des Wirbelsystems zusammen und lässt so den 
jungen Triton eine Metamorphose vollenden, die derselbe, wie wir 
uns überzeugen werden, in der That nicht erleidet. Die Abweichungen 
unserer Beobachtungen sind so merkwürdig, dass von einer Einigung 
hier wieder nicht die Rede sein kann. Wir verweisen zur genaueren 
Kenntnissnahme seiner Ansichten auf das genannte Werk, wo im 
zweiten Theile, welcher von den Salamandern handelt, Cap. III. $ 2. etc. 
dieselben niedergelegt sind. 

$ 72. Wir haben unsere Untersuchungen über dieses fragliche 
Zahnskelet genau nach unserem besten Befunde angegeben. Wir 
ersehen aus denselben, dass dieses Zahnskelet aus der Schleim- 
membran sich entwickelt, dass es sich allerdings hie und da an die 
Gebilde der Visceral- und Rückenplatten anlegt und stützt (eine Er- 
scheinung, welche bei den anliegenden Urmembranen des Embryo 
nichts Ungewöhnliches darbietet), dass es aber unbeschadet der 
Knorpel und Knochen des Kopfwirbelskelets frei und nur im Zu- 
sammenhange mit der übrigen Schleimhaut dargestellt werden kann; 
wir haben endlich beobachtet, dass dasselbe allmählich zum grössten 
Theile verschwinde, sobald das Kiefergerüst der Rücken- und 
Visceralplatte, der Ober- und Unterkieferapparat, mit Zähnen aus- 
gerüstet dasteht. Fügen wir noch hinzu, dass wir in der bisherigen 
Entwicklung des jungen Triton an dem Kopf-Wirbel-System keine 
diesem Zahnskelet entsprechende Bildungs-Rudimente wahrnehmen 
konnten, dass auch späterhin im ausgebildeten Individuum mehrere 
von Ant. Duges angegebene Knochen am Kopfe des Triton recht- 
mässig auf eine ganz andere Art entstehen, einige aber gar nicht 
vorhanden sind; so finden wir uns berechtigt anzunehmen, dass vor- 
liegendes Skelet nichts anderes als ein stellvertretendes Eingeweide- 
Zahnskelet genannt werden kann. Die Natur hat diese mütterliche 
Fürsorge um so mehr nöthig, als die vollkommene Bildung der 
Ober- und Unterkieferapparate, der Träger für die ausgebildeten 
Verkleinerungsorgane, noch im weiten Felde liegen und die jungen 
Tritonen dessen ohnerachtet schon als Raubthiere sich zeigen, welche 
die kleinen Entomostraca und andere Wassergewürme, ja womöglich, 
sich selbst gegenseitig verzehren. Wir haben bei diesem so inte- 
ressanten Gegenstande länger verweilt, weil wir anfangs bei der Be- 

Archiv £. mikrosk, Anatomie. Bd, 11. Supplementheft. 9 


130 


obachtung des oberen Zahngerüstes glaubten, dass wir die den 
höheren Wirbelthieren eigenthümliche, obere vordere Abtheilung des 
ersten Visceralbogens bei den Tritonen gänzlich übersehen hätten. 
Der Verlauf des oberen Zahngerüstes erschien so entsprechend dem 
Gaumenbeine und Os pterygoideum, die herrschenden Ansichten über 
die rechtmässige Existenz der genannten Knochen waren so mahnend, 
dass ich von Neuem die mühsamen Untersuchungen unternahm, um 
über einen so wichtigen Gegenstand ins Reine zu kommen«. 


Weitere Ergänzungen zu diesem hier wörtlich mitgetheilten 
Kapitel giebt Reichert in den folgenden 50 Seiten seiner Abhandlung. 

Namentlich führt er an, dass bei anderen Amphibien, wie Sala- 
mandrina attenuat., Caecilia, Proteus auch bei den entwickelten 
Thieren das obere Zahnskelet der Schleimhaut beinahe vollständig 
sich erhalte und auch das untere in einigen rudimentären Stücken 
bestehen bleibe. Das Resultat seiner Untersuchung hat Reichert 
in $ 119 in folgenden Sätzen zusammengefasst. 


Das Zahnskelet der Schleimhaut. 


8119. Zur Assistenz des Kieferapparates der jungen Tritonen, 
welcher nur in dem oberen und unteren Zwischenkiefer besteht, ent- 
wickelt die Natur aus der Schleimhaut der Kopf-Visceralröhre jenes 
so höchst merkwürdige Zahnskelet. Es entsteht durch Anhäufung 
des Blastema in der Schleimmembran, welche zuerst weiss punktirt 
erscheint, dann Zähnchen ausbildet, endlich zu ganzen Knochen- 
blättchen sich verwandelt, welche theils unmittelbar, theils durch 
platte Knorpel an das Wirbelskelet sich befestigen. Auf diese Weise 
erhalten wir ein oberes an der oberen und ein unteres an der 
unteren Visceralhöhlenwand befindliches Zahngerüste. Die beiden 
Knochenblättchen des oberen Zahngerüstes haben jederseits eine 
ungefähr S-förmige Gestalt und liegen im Allgemeinen an der vor- 
deren Abtheilung der Schädelbasis. Vorn beginnen sie auf der 
Scheidungsgrenze der Schädel- und Gesichtsbasis, hinten befestigen 
sie sich durch ein zahnloses Knorpelblättchen an der inneren Fläche 
des Quadratbein-Knorpels.. Während sie so vorn mit den respectiven 
der anderen Seite sich berühren, verlaufen die hinteren Enden beider 
divergirend. Das untere Zahngerüste besteht auf beiden Seiten aus 
zwei Knochenblättchen von länglicher Form. Sie befinden sich an 
der inneren Fläche der unteren Abtheilungen beider Visceralbogen, 


131 


liegen an denselben ziemlich fest an und erhalten dadurch auch eine 
convexe Wölbung. Die auf den unteren Abtheilungen des zweiten 
Visceralbogens ruhenden Knochenblättchen werden zuweilen durch 
ein glattes, knorpliges Mittelstück verbunden. 

Wenn die oberen und unteren Kiefer sich vollständig ausbilden, 
wird dieses Zahnskelet der Schleimhaut grösstentheils aufgesogen. 
Das untere Gerüste verschwindet früher und ohne Spuren seines 
Daseins zurückzulassen. Das obere dagegen verkümmert später und 
erhält sich noch in rudimentären Stücken, welche während der Ossi- 
fication an das Wirbelskelet sich sehr innig anlegen. Es trennt sich 
nämlich während des Verkümmerungsprocesses, indem die Quadrat- 
beinknorpel zurückweichend sich an die äussere Fläche des Ohr- 
labyrinthes anlegen jederseits der vordere, mit Zähnchen besetzte 
Theil von dem hinteren zahnlosen, jetzt schon verknöcherten Knor- 
pelblättchen. Der vordere Theil wird dann auf eine einfache Kno- 
chenreihe reduzirt, welche sich ziemlich fest an die Schädelbasis 
befestigt. Man hat sie für das fehlende Os palatinum der Tritonen 
gehalten. Das hintere, zahnlose Knochenblättchen liegt in dreiecki- 
ger Form an der inneren Fläche des Quadratbeines, nimmt in einer 
Rinne die häutig-fasrige Verbindung des Oberkieferbeines mit dem 
Quadratbein auf und ist unter dem Namen des eigentlich nicht vor- 
handenen Os pterygoideum bekannt«. 

Bei einer Beurtheilung der hier mitgetheilten Reiche rt’schen 
Untersuchung müssen wir zwischen dem objectiven Befund und der 
Deutung desselben unterscheiden. 

Was den objectiven Befund betrifft, so stellt Reichert 
im Grossen und Ganzen denselben ähnlich wie Duges dar und ist 
in der Beziehung »von den merkwürdigen Abweichungen der Beo- 
bachtungen, welche eine Einigung nicht erlauben«, nichts wahrzu- 
zunehmen. Im Einzelnen muss ich bemerken, dass Reichert irriger 
Weise auf dem Zungenbeinbogen ein Knochenblättchen mit Zähnen 
beschreibt, welches ich wie Duges nicht beobachten kann. Da- 
gegen lässt Reichert, worin ich ihm beistimme, das Operculare 
vollkommen resorbirt werden und unser Pterygoid aus dem hinteren 
Theil des oberen Zahngerüstes sich entwickeln. Auch erwähnt er, 
dass die Lostrennung desselben durch das seitliche Zurückweichen 
des Quadratknorpels befördert werde. 

In der Deutung des objectiven Befundes weicht Rei- 


132 


chert von Duges in hohem Grade ab.  Unbekümmert um die 
Resultate der vergleichend anatomischen Forschung seiner Vorgänger 
stellt derselbe die Behauptung auf, dass Vomer, Palatinum und 
Pterygoid der Tritonen nicht Theile des Kopfskelets seien und 
erblickt er in ihnen eine besondere nur den Amphibien zukommende 
Einrichtung, ein »viecariirendes embryonales Zahnskelet«. 
Zum Kopfskelet rechnet Reichert diese Theile nicht, weil sie in der 
Schleimmembran sich entwickeln. Das Willkürliche in dieser Auffas- 
sung besteht nun darin, dass das Parasphenoid, das Maxillare und 
das Intermaxillare, Tympanicum, Dentale, Angulare insgesammt 
entweder in der Schleimmembran oder im Integument entstehen, 
Knochenstücke, welche Reichert kein Bedenken trägt, dem Kopf- 
skelet zuzurechnen. Ausserdem hat Reichert vollkommen die 
Tragweite der vergleichend anatomischen Thatsachen verkannt, inso- 
fern dieselben Anknüfungspunkte zwischen dem Gaumenskelet der 
Amphibien und demjenigen der niederen und höheren Wirbelthiere 
darbieten. 

Gegen die von Reichert vorgetragene Deutung des Zahn- 
skelets der Tritonen hat schon Gegen baur in seinen Untersuchun- 
gen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule Protest erhoben, 
indem er die Anmerkung, über welche ich schon oben referirt habe, 
mit folgendem Satze schliesst: »Die Zahngruppen in der Mund- 
schleimhaut der Larven von Salamandrinen sind ihrem 
Wesen nach definitive, dem Kopfskelet zugehörige Ein- 
richtungen, was ich nur in der Kürze anderen Auffassungen 
gegenüber bemerken will« !). 


1) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der 
Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862. S. 12. Anmerk. 


133 


Zweiter Abschnitt. 
Die Entwicklung des Mundhöhlenskelets und der Zähne der Anuren. 
Hierzu Tafel V. 

Von den im letzten Abschnitt mitgetheilten Befunden weicht 
die Entwicklung des Mundhöhlenskelets und der Zähne der Anu- 
ren in einer so auffallenden Weise ab, dass eine gemeinschaftliche 
Behandlung nicht möglich erschien und von ihr daher Abstand ge- 
nommen werden musste. Während wir zum Beispiel bei den Urodelen 
einzelne Knochen wie Vomer, Palatinum und Operculare durch Ver- 
schmelzung der Zähne entstehen sehen, lässt sich dies bei den 
Anuren für keinen einzigen Knochen nachweisen. Hier entwickelt 
sich das gesammte Kopfskelet mehr in der Weise, wie sie für die 
höheren Wirbelthiere bekannt ist. Während ferner bei den Urode- 
len die Zähne früher als die meisten Knochen angelegt werden, 
tritt bei den Anuren die Zahnbildung im Gegentheil erst sehr spät ' 
auf, zu einer Zeit, wo das Skelet der Mundhöhle bereits in allen 
seinen Theilen fertig ist. Mit einem Wort: Wenn wir die Anuren 
getrennt untersuchen und aus dem Zusammenhang mit den übrigen 
Amphibien herausnehmen, se zeigt sich bei ihnen zwischen Zahn- 
bildung und Knochenbildung nicht die geringste genetische Beziehung. 
Wie nun der Titel dieser Arbeit andeutet, soll die Entwicklung des 
Kopfskelets nur in so weit, als sie mit der Entwicklung des Zahn- 
systems in Verbindung steht, eine Berücksichtigung finden. Da eine 
solche Verbindung bei den Anuren aber fehlt, so kann es scheinen, 
als ob die Entwicklung ihres Mundhöhlenskelets in den Rahmen die- 
ser Arbeit nicht mehr hineinpasst. Wenn ich trotzdem dieselbe 
im Folgenden schildere, so geschieht dies hauptsächlich, um zwi- 
schen den anscheinend so verschiedenen Verhältnissen der beiden 
Amphibiengruppen Anknüpfungspunkte zu gewinnen und auf That- 
sachen gestützt, die Frage zu entscheiden, in wie weit die für das 
Vomer, Palatinum und Operculare der Urodelen aufgefundene Bil- 
dungsweise eine Verallgemeinerung zulässt. In dieser Beziehung 
ist auch die folgende Beschreibung ein nothwendiges Glied in der 
Reihe der Untersuchungen und der Schlussfolgerungen, welche sich 
aus denselben ziehen lassen. 

Bei der Schilderung werde ich die Reihenfolge, in der die Gebilde 
auftreten, einhalten und daher zuerst die Entwicklung der Belegknochen 
und dann die Entwicklung des Zahnbesatzes derselben besprechen, 


134 


1. Entwicklung des Skelets der Mundhöhle!). 


Ueber das Kopfskelet der Froschlarven und seine Entstehung 
besitzen wir ältere Untersuchungen von Duges und Reichert 
und eine neuerdings erschienene Arbeit von Parker. Da letzterer 
bereits eine sehr eingehende und die Verhältnisse naturgetreu schil- 
dernde Darstellung gegeben hat, so werde ich mich in diesem Ab- 
schnitt kurz fassen können nnd mich besonders darauf beschränken, 
die Punkte in das rechte Licht zu setzen, in welchen die Anuren 
von den Urodelen sich unterscheiden und welche für die Beurthei- 
lung dieser Verschiedenheiten von Belang sind. 

Während bei den Urodelen die Skeletbildung sehr frühzeitig er- 
folgt, tritt sie bei den Anuren erst sehr spät auf. Bei ersteren 
finden wir die Anlage des Dentale, Angulare und Pterygopalatinum 
schon bei Embryonen in den Eihüllen vor, bei letzteren sind Hart- 
gebilde an Larven, welche das Ei verlassen haben, noch nicht nach- 
zuweisen und ist dies erst in einer späten Periode des Larvenlebens 
möglich. Dieser Umstand allein giebt uns indessen zur Beurthei- 
lung der zeitlichen Verschiedenheit in dem Auftreten der Knochen 
bei den Urodelen- und bei den Batrachierlarven noch keinen rich- 
tigen Maassstab. Um einen solchen zu gewinnen, müssen wir den 
Grad der Ausbildung, welchen andere Körpertheile erlangt haben, 
in Betracht ziehen. Hierzu scheinen mir das Primordialeranium 
und das Geruchsorgan besonders geeignet zu sein und gebe ich 
daher von der Beschaffenheit derselben zur Zeit der Entwicklung des 
Mundhöhlenskelets eine kurze Schilderung. 

Bei den Urodelen treten die ersten Knochen zu einer Zeit auf, 
wo eben erst die Sonderung in knorplige und weiche Theile am 
Schädel erfolgt ist. Die seitlichen Schädelbalken Rathke’s ha- 
ben sich mit ihren vorderen Enden noch nicht verbreitert und sind 
noch nicht zur Bildung des ethmoidalen Abschnittes des Knorpel- 
cranium verschmolzen. Bei den Anuren dagegen besitzt das Pri- 


1) Literatur. 

Duges, Recherches sur P’ost&eologie et la myologie des Batraciens & leurs 
differens äges. Paris 1835. 

Reichert, Vergleichende Entwicklungsgeschichte des Kopfes der nackten 
Amphibien. Königsberg 1838. 

Parker, On the structure and development of the skull of the common 
frog. Philosophical Transactions 1872, 


135 


mordialeranium, wenn der knöcherne Schädel sich anlegt, nahezu 
die ausgebildete Form und wird schon durch ausgedehnte und ziem- 
lich mächtige Knorpelpartieen gebildet. So treffen wir in der Eth- 
moidalregion auf eine zusammenhängende Knorpelplatte, welche an 
ihren beiden Seitenrändern Einschnitte für die inneren Nasenmündun- 
gen trägt. Der häutige Boden der Orbita ist wie beim erwachsenen 
Thiere in einen knorpligen Rahmen eingespannt. Derselbe wird 
nach innen vom orbitalen Theil der Basis Cranii, nach vorn von der 
Cartilago palatina, welche seitlich von der Ethmoidalplatte ent- 
springt, nach aussen und hinten von der Cartilago pterygoidea 
gebildet. Letztere nimmt von dem Quadratknorpel ihren Ursprung 
und ist mit ihrem vorderen Ende mit der Cartilago palatina ver- 
schmolzen. Der Quadratknorpel selbst reicht, wie bei den Larven 
der Salamandrinen und des Axolotl, in schräger Stellung sehr weit 
nach vorn: ein Verhalten, welches alle früheren Untersucher wie 
Duges, Reichert, Parker schon besonders hervorgehoben haben. 
Da in Folge dessen die Articulationsfläche für den Unterkiefer sehr 
weit nach vorn am Cranium liegt, so ist selbstverständlich der Me- 
ckel’sche Knorpel relativ viel kürzer als beim erwachsenen Thiere. 

Mit dem vorderen Abschnitt des Primordialeranium steht ein 
provisorischer Kauapparat, welcher den Larven der unter- 
suchten Urodelen vollkommen fehlt, in Verbindung, und gedenke ich 
an dieser Stelle desselben, weil ich später bei Beurtheilung der 
Verschiedenheiten zwischen den genannten Familien der Amphibien 
auf ihn zurückkommen werde. Dieser provisorische Kauapparat wird 
aus zweierlei verschiedenen Bildungen, aus Hornplatten und aus 
einzelnen papillenähnlichen Zähnchen zusammengesetzt. Die 
Hornplatten findet man schon an sehr jungen Froschlarven am Unter- 
und am Öberkiefer als zwei braun gefärbte Stücke mit oberem 
scharfem schneidendem Rande. Jede derselben wird von zwei 
kleinen Knorpeln getragen, welche Dugesals Cartilages rostra- 
les superieurs und inf&erieurs zuerst beschrieben und abge- 
bildet hat. Parker nennt sie obere und untere Labialknorpel 
(lower and upper labials). Gegenbaur erblickt in ihnen Theile 
des ursprünglichen Visceralskelets, welche bei den höheren Wirbel- 
thieren vollkommen rückgebildet sind und vergleicht sie mit den 
Labialknorpeln der Selachier. Am Oberkiefer liegen sie dem vor- 
deren Rand der seitlichen Schädelbalken Rathke’s und nach deren 
Verschmelzung dem vorderen Rande des Ethmoidalknorpels auf, 


136 


am Unterkiefer liegen sie vor dem Meckel’schen Knorpel. Die wei- 
teren Bestandtheile des provisorischen Kauapparats, die Hornzähne, 
liegen in drei hintereinander stehenden Reihen nach aussen von 
den Hornplatten an dem oberen und dem unteren Rand der Mund- 
öffnung. Die Hormplatten sowohl als die Hornzähne werden von 
Epidermiszellen gebildet. Sie sind einfache Cuticulargebilde, und 
besteht daher zwischen ihnen und den Dentinzähnen kein genetischer 
Zusammenhang, wenn sich auch eine gewisse äussere Aehnlichkeit 
zwischen den Hornzähnchen und den echten Zähnchen der Urodelen- 
larven nicht verkennen lässt, insofern jedes Hornzähnchen von einer 
Epidermiszelle, ähnlich wie ein junges Dentinzähnchen von einer 
Bindegewebszelle ausgeschieden wird. Dieser provisorische Kauap- 
parat verkümmert mit der Vollendung der Larvenmetamorphose und 
der beginnenden Zahnentwicklung. 

Ausser der Ausbildung des Primordialeranium giebt uns, wie 
ich oben schon erwähnt habe, auch die Beschaffenheit des Geruchs- 
organs Anhaltepunkte zur Beurtheilung der zeitlichen Verschieden- 
heit in der Entstehung des knöchernen Schädels der Urodelen und 
Anuren. Bei den Urodelen bildet das Geruchsorgan, wenn das Dentale 
und Angulare schon vorhanden sind, noch ein kleines Grübchen 
jederseits am oberen Mundhöhlenrand; bei den Anuren dagegen hat 
es schon mehr oder minder die definitive Gestaltung erlangt. Am 
Ethmoidalknorpel finden sich geräumige Nasenhöhlen und münden 
dieselben beim erwachsenen Thiere jederseits durch eine Oeffnung 
an der Decke der Ethmoidalregion in die Mundhöhle. 

Die angeführten Thatsachen zeigen, dass zur Zeit, wo das 
Mundhöhlenskelet auftritt, der Ausbildungsgrad der Urodelenlarven 
im Ganzen weit weniger als bei den Anuren vorgeschritten ist. Bei 
jenen erfolgt mithin die Knochenbildung in der embryonalen Reihen- 
folge der Organe früher als bei diesen. 

Die Deckknochen des Batrachierschädels, zu deren Entwicklung 
und ersten Lagerung ich jetzt übergehe, entstehen insgesammt auf 
die gleiche Weise. In einem sehr zellenreichen Gewebe entwickeln 
sie sich zwischen Epithel- und Primordialeranium von beiden durch 
eine mehr oder minder starke Gewebsschicht getrennt. In dem- 
selben findet man ausgezackte Balken und Nadeln einer verkalkten 
Substanz, welche zum Theil unter einander zusammenhängen und 
dadurch ein Netzwerk bilden. Den Knochennadeln sind Osteoblasten 
angeschmiegt und trifft man häufig Zellen ganz oder theilweise in 


137 


die osteoide Substanz eingeschlossen. Durch Zunahme der letzteren 
verschmelzen die einzelnen Bälkchen mehr und mehr mit einander 
und so. entsteht eine zusammenhängende Knochenlamelle, in welcher 
Knochenkörperchen in nicht geringer Anzahl eingelagert sind. 

Von allen Deckknochen der Mundhöhle entwickelt sich in der 
geschilderten Weise am frühesten das Parasphenoid. Man be- 
merkt es bei Larven, deren vorderes Beinpaar noch nicht hervorge- 
sprosst ist, in der Mitte der Decke der Mundhöhle als ein dünnes langes 
Blättehen, welches sich leicht vom Primordialeranium ablösen lässt. 

Dem Parasphenoid folgen in der Entwicklung das Inter- 
maxillare und Maxillare, das Dentale uud Angulare. 
Sie erscheinen erst in einem späteren Stadium der Larvenmetamorphose, 
welche dadurch charakterisirt ist, dass an den Larven durch das 
Abwerfen der Epidermis die vorderen Beinpaare frei geworden sind. 
Auch der provisorische Kauapparat hat sich rückgebildet, indem die 
Hornkiefer und Hornzähne als Cuticulargebilde bei der Häutung mit 
abgestreift wurden. An Stelle der oberen und unteren Labialknor- 
pel findet man fasriges Bindegewebe, in welches die Knorpel wahr- 
scheinlich sich umgewandelt haben. Um diesen Zeitpunkt ungefähr 
können die genannten vier Knochen zum ersten Male mit Deutlich- 
keit wahrgenommen werden und zwar besitzen sie gleich anfänglich 
dieselbe Lagerung und eine ähnliche Form wie im ausgebildeten 
Zustand. Am Maxillare und Intermaxillare kann man schon früh 
die drei im anatomischen Theil beschriebenen Lamellen unterschei- 
den, den unter dem äusseren Integument liegenden Processus na- 
salis und die der Schleimhaut angehörigen Knochenlamellen, den 
Processus palatinus und dentalis. 

Ein Operculare konnte ich an der Innenseite des Meckel- 
schen Knorpels gleich den früheren Untersuchern zu keiner Zeit 
der Larvenentwicklung nachweisen. Dasselbe fehlt somit nicht allein 
dem ausgebildeten Thiere, sondern auch — und dies muss als wichtig 
für die Würdigung der hier geschilderten Verhältnisse besonders 
hervorgehoben werden — fehlt es den Larvenzuständen. 

Zu dieser Zeit sind auch die ersten Spuren von den übrigen 
Knochen, vom Vomer, Palatinum und Pterygoid, als zerstreut 
im Gewebe liegende Knochenbälkchen aufzufinden; doch erkennt man 
dieselben mit Sicherheit erst auf einem folgenden Stadium, wenn 
der Schwanz sich rückbildet und die Larvenmetamorphose mithin 
vollendet ist, Auch diese Knochen nehmen von Anfang 


138 


gleichihre definitive Lage und Gestalt mehr oder minder 
an. So treten zum Beispiel Palatinum und Pterygoid gleich 
als zwei getrennte Knochenstücke auf. 

Alle Knochen der Mundhöhle sind bei den Larven der Anuren 
in ihrer embryonalen Entwicklung zahnlos. Sie gleichen hierin den 
Knochen aller höheren Wirbelthiere. 

Die so angelegten Skelettheile erleiden weder in ihrer Form noch 
in ihrer Lagerung weiterhin eine eingreifende Metamorphose. Die 
einzige noch stattfindende Umgestaltung von Bedeutung, wenn wir 
vom allseitigen, gleichmässigen Wachsthum der Theile absehen, be- 
trifft mehr das Primordialeranium und besteht in dem allmählich 
erfolgenden Zurückwandern des Quadratknorpels und der damit zu- 
sammenhängenden Vergrösserung des Meckel’schen Knorpels. Hier- 
durch rückt auch die vordere Spitze des Pterygoids etwas weiter 
nach aussen. Mit dem Zurückwandern des Quadratknorpels er- 
folgt gleichzeitig die Rückbildung des Kiemenapparates, eine Ver- 
änderung, deren Bedeutung für die Verlagerung des Quadratknorpels 
schon im vergleichend anatomischen Theil hervorgehoben worden ist. 


2. Entwicklung der ersten Zähne bei den Anuren. 


Ueber die Entwicklung der ersten Zähne der Anuren besitzen 
wir nur eine kurze Mittheilung von Sirena!). Derselbe hat in 
seiner Arbeit über den Bau und die Entwicklung der Zähne bei den 
Amphibien auch Froschlarven untersucht und an Zerzupfungspräpa- 
raten gefunden, dass vom Epithel aus Schmelzkeime und von diesen 
wieder Schmelzorgane sich entwickeln. Die in Bildung begriffenen 
Zähne sollen weiterhin in Zahnsäckchen eingeschlossen werden. 

Die ersten Anfänge der Zahnentwicklung beobachtete ich an 
Pelobateslarven mit vier Beinpaaren, deren Hornkiefer abgeworfen 
waren, deren Schwanz dagegen noch vollkommen erhalten war. Die 
später zahntragenden Knochen, Vomer, Maxillare und Intermaxillare 
waren bereits in allen ihren Theilen angelegt. Hier fand ich auf 
einer Reihe von Schnitten, dem inneren Rand der Kieferknochen und 
des Vomer parallel gelagert, eine Zellenwucherung, welche vom 
Mundhöhlenepithel aus eine kleine Strecke weit in das unterliegende, 
die genannten Knochen überziehende Bindegewebe hineindrang. Aus 
dem Umstand, dass man auf jedem Schnitte diese Wucherung an- 


1) S. Sirena: Ueber den Bau und die Entwicklung der Zähne etc. 
Verhandlungen der Physie. med. Gesellschaft in Würzburg. 1871. S. 139. 


139 


trifit, folgt, dass sie die Form einer Leiste besitzt, und nicht aus 
einzelnen Zapfen gebildet wird. An dieser entstehen die Anlagen 
der primären Zähne, indem durch eine Wucherung von Bindegewebs- 
zellen an ihrer Kante eine aus Zellen ohne Zwischensubstanz zusam- 
mengesetzte Papille, der Dentinkeim, sich bildet. Derselbe dringt 
in die Epithelmasse der Ersatzleiste hinein, welche einen kappenarti- 
gen Ueberzug über ihn bildet. Die der Papille unmittelbar auf- 
liegenden Epithelzellen vergrössern sich, werden cylinderförmig und 
bilden eine Schmelzmembran, welche am Grund der Papille in 
die äusserste cubische Zellenschicht der Ersatzleiste sich continuirlich 
verfolgen lässt. Papille und Schmelzmembran werden durch ein 
zartes Häutchen, die Basalmembran, von einander geschieden. 
Ueber der Schmelzmembran liegen mehrere Lagen dünner platt- 
gedrückter Epithelzellen, welche von den mittleren Zellen der Ersatz- 
leiste abstammen (Taf. V Fig. 4). 

Auf einem etwas älteren Stadium sieht man über der Papille ein 
dünnes Zahnscherbchen liegen, in welches die oberflächlichsten Zellen 
des Dentinkeims mit feinen Ausläufern eindringen. Das Scherbchen 
besteht, wie die nähere Untersuchung und Prüfung mit Salzsäure 
lehrt, aus Zahnbein und Schmelz. Das Zahnbein ist von der Pa- 
pille, der Schmelz von der Schmelzmembran abgeschieden (Taf.V Fig. 6). 

Während dieser Bildungsvorgänge hat die Zahnanlage ihren 
Platz verändert; sie hat sich nicht nur mit ihrer Basis von der Er- 
satzleiste abgeschnürt, wie ich dies bereits früher beim erwachsenen 
Thiere geschildert habe, sondern hat sich von derselben in der Rich- 
tung nach dem vorderen Rand der Kieferknochen weiter entfernt. 
Taf. V Fig. 6 veranschaulicht diesen Vorgang. Hier erblickt man 
über der Anlage des Maxillare eine Zellenwucherung E, die Ersatz- 
leiste, und in einiger Entfernung von ihr ein junges Zahnspitzchen. 
Dasselbe ist eingehüllt in eine Epithelscheide, welche mit dem 
Schleimhautepithel zusammenhängt, und an der Verbindungsstelle 
eingeschnürt ist (Hals der Epithelscheide). Man könnte versucht 
sein, dies Bild so zu deuten, dass das junge Zähnchen nicht an der 
Ersatzleiste E, sondern an Ort und Stelle entstanden sei. Diese 
Deutung lässt sich bei näherer Prüfung nicht aufrecht erhalten. An den 
Schleimhautstellen nämlich, wo schon weiter ausgebildete Zähnchen 
liegen, erblickt man nie, auch nicht auf jüngeren Stadien, aus Zel- 
len allein bestehende Anlagen, welche man auf einer Reihe von 
Schnitten doch auch erhalten müsste, wenn Anlagen an diesen Stel- 


140 


len sich entwickelten. Dieselben findet man vielmehr stets nur an der 
Kante der Ersatzleiste E. Es ist daher für diese Befunde allein 
die oben gegebene Erklärung zulässig, dass die Zahnanlagen bei ihrer 
Ausbildung eine Lageveränderung erleiden. 

Während der Zahn sich vergrössert und weiter nach aussen 
rückt, entstehen neue Papillen an der Kante der Ersatzleiste, welche 
ihre Lage unverändert beibehält. Dieses Stadium ist auf Tafel V 
Fig. 5 von einer Pelobateslarve, deren Schwanz bis auf einen 
Stummel sich rückgebildet hat, dargestellt. Hier ist die vollstän- 
dig entwickelte Zahnkrone fast bis zur Kante des Processus denta- 
lis hingerückt und dadurch von ihrer Ursprungssteile (E) durch 
einen beträchtlichen Zwischenraum entfernt. 

Die Verwachsung der Zahnkrone mil der Knochenplatte tritt 
sehr spät ein und findet man sie erst bei älteren Fröschen, welche man 
im Herbst eingefangen hat, vollzogen. Hier hat sich an der Basis 
der Zahnkrone der Sockel entwickelt, durch welchen die Verbindung 
mit dem Processus dentalis und die Verschmelzung der Nachbar- 
zähne unter einander hergestellt wird. Die so entstandene mit dem 
Knochen verschmolzene Zahnreihe ist gleich von Anfang an eine 
einfache, im Gegensatz zu der primären vielreihigen Bezahnung der 
Urodelen. Ueberhaupt gewährt das Gebiss der jungen Fröschchen 
einen gleichen Anblick wie beim erwachsenen Thiere. Die Zähnchen, 
welche der Grösse des Thieres entsprechend etwas kleiner sind, 
sind nach der Mundhöhle zu gekrümmt, die Spitze der Krone läuft 
in zwei Zinken aus, an der Innenwand des Sockels befindet sich eine 
grosse Oeffnung zum Eintritt der Zahnpulpa; in der Basis des 
Sockels und den verschmolzenen Seitenwänden zweier Nachbarzähne 
bemerkt man schon einzelne Knochenkörperchen. 

Wenn man die hier mitgetheilten Thatsachen in ihrem Zusam- 
menhang betrachtet, so erkennt man, dass die Entwicklung der ersten 
Zähne bei den Anuren im Allgemeinen derjenigen der Säugethiere 
gleicht. Wie dort entsteht zuerst am Kieferrand eine Epithelleiste 
(der sogenannte Schmelzkeim), unsere Ersatzleiste. An der Kante 
derselben bilden sich die Zahnanlagen. Während dieselben aber bei den 
Säugethieren sich vom Dentinkeim völlig abschnüren, indem sie vom 
Bindegewebe umwuchert werden (Zahnsäckchen, Schmelzorgan), schnü- 
ren sie sich bei den Anuren nur theilweise von der Ersatzleiste ab, 
indem eine relativ breite Epithelbrücke sich bei ihnen erhält, 


141 


Dritter Abschnitt. 


Vergleichung der im ersten und zweiten Abschnitt erhaltenen Resultate 


und weitere Folgerungen. 


Wie die in den beiden Abschnitten des entwicklungsgeschicht- 
lichen Theiles angeführten Thatsachen gezeigt haben, unterscheiden 
sich in der embryonalen Entwicklung ihres Mundhöhlenskelets und 
ihrer Zähne die Urodelen von den Anuren in einem höchst auffal- 
lenden Grade. Die aufgefundenen Verschiedenheiten zeigen sich 
nicht nur in untergeordneten Einrichtungen, sondern in der Ent- 
wicklung von Organen, welche, wie das Kopfskelet, eine hohe 
morphologische Bedeutung besitzen. Sie betreffen sowohl die Zeit, 
in welcher das Mundhöhlenskelet und die Zähne entstehen, als auch 
besonders die Art und Weise ihrer Entstehung. 

Die Differenz in der Zeit des embryonalen Auftretens der ge- 
nannten Organe äussert sich in zweifacher Weise, einmal darin, 
dass bei den Anuren im Vergleich zu den Urodelen die Entwicklung 
der Zähne und des Skelets unverhältnissmässig spät erfolgt, und 
zweitens darin, dass bei ihnen die Reihenfolge, in welcher dieselben 
sich anlegen, eine veränderte ist. Bei den Urodelen entwickeln sich 
die Zähne und die Deckknochen der Mundhöhle noch in den Ei- 
hüllen, wenige Wochen nach der Befruchtung des Eies, zu einer 
Zeit, wo das Primordialcranium noch wenig vom umgebenden Ge- 
webe gesondert ist und wo das Geruchsorgan als ein kleines Grüb- 
chen wahrzunehmen ist; bei den Anuren dagegen geschieht die 
Knochen- und Zahnbildung ziemlich spät während des Larvenlebens. 
Bei ihnen hat sowohl das Primordialeranium einen hohen Grad der 
Ausbildung erlangt, als auch ist bereits das Geruchsorgan mit seinen 
Nebenhöhlen vollständig angelegt. Während ferner bei den Urodelen 
die Zähne früher als ein Theil der Deckknochen der Mundhöhle, als 
Vomer, Palatinum und Operculare, als Pterygoid und Parasphenoid 
sich entwickeln, findet bei den Anuren die Zahnentwicklung weit 
später als die Entwicklung der Deckknochen der Mundhöhle Statt. 
Man beobachtet sie erst bei Larven, welche schon seit Monaten die 
Eihüllen verlassen haben. Bis zum Erscheinen der Zähne besitzen 


142 


die zahnlosen Froschlarven einen provisorischen Kauapparat (Horn- 
kiefer und Hornzähne), welcher den Urodelen fehlt. 

Mit der Verschiedenheit im embryonalen Auftreten der Organe 
hängt eine weitere Differenz, eine verschiedene Entwicklungsweise zu- 
sammen und zwar ist dieselbe vom vergleichend anatomischen Gesichts- 
punkt aus die bei Weitem wichtigste. Bei den Urodelen bilden sich 
Vomer, Palatinum und Operculare durch Verschmelzen von Zähnen; 
ihr Knochengewebe ist seiner Genese nach Zahncement. Ebenso 
lässt sich der Processus palatinus und Dentalis vom Maxillare, Inter- 
maxillare und Dentale in seiner Entstehung aus einer Verschmelzung 
von Cement vielreihig und später einreihig stehender Zähne ablei- 
ten. Bei den Anuren dagegen entwickeln sich die genannter? Kno- 
chentheile gleich den übrigen Deckknochen unabhängig von Zahn- 
bildungen durch eine Verknöcherung von Bindegewebslagen. Bei den 
Urodelen bilden Palatinum und Pterygoid ursprünglich ein Knochen- 
stück; ihre Trennung erfolgt im Laufe des Larvenlebens, und 
erfahreu sie nach der Trennung eine beträchtliche Lageveränderung; 
bei den Anuren erscheinen beide von Anfang an als zwei getrennte 
Skelettheile und nehmen sie bei den Larven fast die gleiche Lage 
wie beim erwachsenen Frosche ein. Während ferner bei den Pe- 
rennibranchiaten ein Operculare, welches auch späterhin noch nach- 
weisbar ist, sich entwickelt und bei den Salamandrinen ein solches em- 
bryonal angelegt wird und während des Larvenlebens sich rückbildet, 
kömmt dasselbe bei den Anuren gar nicht zur Entwicklung. 

Nicht minder wichtige Verschiedenheiten treten in der Beschaf- 
fenheit der ersten Bezahnung in den beiden Ordnungen der Amphi- 
bien hervor. Bei den Urodelen sind die primären Zähne einfach 
zugespitzte gradgestreckte Kegel, und bildet sich bei ihnen erst 
später die zweizinkige Zahnform aus, bei den Anuren enden die pri- 
mären Zähne schon in zwei Endzinken. Während bei jenen die 
Zähne der Gaumenknochen und des Operculare in sehr zahlreichen 
Reihen, die Zähne der Kieferknochen in mehreren Reihen hinterein- 
ander stehen und sich erst allmählich aus der vielreihigen die ein- 
reihige Stellung beim erwachsenen Thiere entwickelt, stehen bei 
diesen die Zähne von Anfang an in einer einfachen Reihe. Dort 
ist die Verbindung der Zähne mit den Knochen eine primäre, 
hier ist sie eine secundäre. 

Wie haben wir den hier zusammengestellten, zum Theil tief 
greifenden Verschiedenheiten gegenüber uns zu verhalten? Sollen 


143 


wir annehmen, dass der verschiedene ontogenetische Entwicklungs- 
gang auch Ausdruck einer ursprünglich verschiedenen phylogenetischen 
Entwicklung ist, dass namentlich der Vomer "und das Palatinum der 
Urodelen und die gleichnamigen Knochen der Anuren, da sie em- 
bryonal sich abweichend bilden, auch unabhängig von einander ent- 
standen sind, dass sie einander nicht homolog, weil nicht von ge- 
meinsamen Vorfahren ererbt sind, oder sollen wir uns für die 
einzige ausserdem noch existirende Möglichkeit entscheiden, dass in 
einer der beiden Ordnungen die embryonale Entwicklung eine nach- 
trägliche Abänderung erfahren hat und daher nicht mehr der Aus- 
druck früherer Verhältnisse ist? 

Zunächst müssen wir entschieden die Annahme von der Hand 
weisen, dass der verschiedene ontogenetische Entwicklungsgang auch 
Ausdruck einer ursprünglich verschiedenen phylogenetischen Ent- 
wicklung sei. Denn durch eine vergleichend anatomische Betrach- 
tung lässt sich mit Sicherheit eine Homologie des Mundhöhlenskelets 
und der Zähne bei den Urodelen und Anuren begründen. So zeigt 
namentlich der Vomer durch seine Lage und durch seine Beziehung 
zur inneren Nasenöffnung, zu deren Begrenzung er theilweise bei- 
trägt, eine auffallende Uebereinstimmung in beiden Ordnungen. Die 
vorhandenen Verschiedenheiten in der Bezahnung und in der Lage- 
rung der Gaumenknochen lassen sich, wie ich im ersten Theil durch- 
geführt habe, durch Uebergangsformen mit einander verknüpfen und 
als später erfolgte Differenzirungen von einer gemeinsamen Stamm- 
form ableiten. Ebenso müssen wir trotz der verschiedenartigen em- 
bryonalen Entwicklung das Pterygoid und den Processus dentalis 
und palatinus der Kieferknochen aus vergleichend anatomischen 
Gründen für beide Ordnungen der Amphibien als homologe Theile 
erklären. Somit drängt uns Alles zur Annahme, dass ursprüng- 
lich bei den Urodelen und Anuren eine gleiche onto- 
genetische Entwicklung vorgelegen, dieselbe aber wei- 
terhin in einer der beiden Ordnungen Abänderungen er- 
fahren hat. 

So entsteht dieFrage, in welcher Amphibienordnung haben wir 
die ursprünglicheren Verhältnisse vor uns? Hier kann es zunächst 
keinem Zweifel unterliegen, dass die Urodelen in ihrem gesammten 
anatomischen Bau uns mehr Anknüpfungspunkte als die Anuren 
an die tiefer stehenden Wirbelthierclassen bieten. Ich erinnere nur 
an die Persistenz der Kiemenathmung bei den Perennibranchiaten, 


144 


der Kiemenspalten bei den Derotremen, und an die Erhaltung des 
Ruderschwanzes, welcher den Anuren während ihrer Metamorphose 
verloren geht. Je niedriger aber ein Thier entwickeit ist, 
um so mehr spiegelt sich auch im Allgemeinen in sei- 
ner ontogenetischen Entwicklung die phylogenetische 
ab, ein Satz, dessen allgemeine Gültigkeit nicht anzuzweifeln ist. 

Von diesem Standpunkt aus lässt es sich daher von vornherein 
erwarten, dass bei den Urodelen, als der tiefer stehenden Amphibien- 
ordnung, auch die Öntogenese am wenigsten abgeändert ist. Da indes- 
sen die Möglichkeit nie ausgeschlossen werden kann, dass ausnahms- 
weise ein einzelnes Organ in einer im Ganzen höher organisirten Thier- 
classe auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe als bei tiefer stehenden 
Classen sich erhält, so ist eine Prüfung im Einzelnen erforderlich, 
um mit Sicherheit zu entscheiden, wo die ursprünglicheren Verhält- 
nisse gegeben sind. Eine solche Prüfung zeigt uns nun, dass in jedem 
Punkte die Entwicklung der Urodelen ein treueres Abbild der Phylo- 
genese liefert, als die Entwicklung der Anuren, dass letztere im Ver- 
gleich zu ersterer eine stark abgeänderte ist. Wenn z. B. bei den 
Urodelen die Zähne früher als die Deckknochen der Mundhöhle, 
bei den Anuren aber später als jene angelegt werden, so müssen 
wir den ersten Fall als die normale Entwicklung betrachten, da die 
Zähne, wie die Beschaffenheit der Selachier lehrt, phylogenetisch 
ältere Organe als die Kopfknochen sind. Wenn ferner bei den Uro- 
delen Palatinum und Pterygoid embryonal sich zuerstals ein Kno- 
chenstück anlegen und ihre Trennung erst im Laufe der Larven- 
metamorphose erfolgt, bei den Anuren dagegen die beiden Knochen- 
stücke gleich als zwei getrennte entstehen, so liegt es auf der Hand, 
dass die erstere Entstehung eine ursprünglichere sein muss. Denn 
dem secundären Zustand, wo ein getrenntes Palatinum und Pterygoid 
vorhanden sind, geht hier noch ein primärer Zustand voraus, wel- 
cher den Anuren fehlt. In ganz demselben ‚Sinne erweisen sich aber 
auch, wie eine kurze Zusammenstellung zeigen wird, die meisten 
übrigen Verschiedenheiten bei den Anuren als secundär erworbene. 
Bei den Salamandrinen wird ein Operculare, welches bei den Perenni- 
branchiaten ein bleibendes Skeletstück ist, embryonal angelegt und 
schwindet später, bei den Anuren gelangt es gar nicht zur Ent- 
wicklung; bei jenen liegen die Gaumenknochen zunächst in einem 
Bogen parallel den Kieferknochen und verschieben sich später, bei 
diesen nehmen sie gleich die definitive Lagerung, wie beim ausge- 


145 


wachsenenen Thiere ein; hier sind die Zähne ursprünglich in meh- 
reren Reihen angeordnet, und entwickelt sich erst allmählich aus der 
vielreihigen die einreihige Zahnstellung, dort sind die ersten Zähne 
gleich in einer einfachen Reihe auf dem Kieferrand und auf dem 
Vomer aufgepflanzt; hier laufen die Larvenzähne in eine einfache 
Spitze aus und entsteht erst aus der einzinkigen weiterhin die zwei- 
zinkige Form, dort tritt gleich am Anfang die zweizinkige Zahnform 
auf. In allen diesen Fällen geht bei den Urodelen in der Entwick- 
lung dem späteren noch ein früherer Zustand voraus, welcher bei 
den Anuren ausfällt. Mithin ist ihre Entwicklung in allen angeführ- 
ten Fällen die ursprüngliche, diejenige der Anuren die abgeänderte. 

Was endlich die so verschiedenartige Bildungsweise vom Vomer 
und Palatinum etc. in den beiden Amphibienordnungen anbetrifft, 
so müssen wir auch hier bei den Urodelen das ursprüngliche Ver- 
halten suchen. Denn hier knüpft die Entstehung der genannten 
Knochen an ein schon gegebenes älteres Organ, an die Zähne an, 
bei den Anuren dagegen entwickeln sie sich als etwas ganz Neues 
ohne Zusammenhang mit früheren Einrichtungen, so dass uns ihre 
Entstehung und ihre Herkunft unverständlich und räthselhaft er- 
scheinen muss. 

Nachdem ich so nachgewiesen habe, in welcher Amphibien- 
ordnung die Entwicklung des Mundhöhlenskelets und der Zähne am 
wenigsten abgeändert ist, gilt es, eine Erklärung für die abweichen- 
den Bildungsvorgänge bei den Anuren aufzufinden. 

Der Satz, dass die Ontogenese eine Recapitulation der Phy- 
logenese ist, erfährt in Wirklichkeit vielfache Einschränkungen. Denn 
überall bemerken wir, dass die Recapitulation keine vollständige, 
sondern eine ungemein lückenhafte ist, indem viele Entwicklungs- 
stufen aus der Stammesgeschichte in der Ontogenese allmählich ganz 
ausfallen und übersprungen werden. Dies ist im Allgemeinen um 
so mehr der Fall, je höher organisirt eine Thierspecies ist, indem 
bei derselben die einzelnen Organe einen immer directeren Entwick- 
lungsweg einschlagen. In dieser Weise erklärt sich die grösste 
Anzahl der bei der Entwicklung der Anuren beobachteten Verschie- 
denheiten. Bei ihnen sind die primären Zustände der Urodelen, (das 
Entstehen des Operculare, das Pterygopalatinum, die bogenförmige 
Lage der Gaumenknochen, die vielreihige Stellung der Zähne etc.) 
ausgefallen, und erreichen die genannten Theile auf einem directeren 
Weg den definitiven Zustand. 


Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 11, Supplementheft, 10 


146 


Eine eingehendere Erklärung verlangt die in beiden Amphi- 
bienordnungen so durchaus verschiedenartige Entstehung des Vomer 
und Palatinum und die bei den Anuren relativ so spät erfolgende 
Entwicklung der Zähne. Da beide Verhältnisse in einem innigen 
Zusammenhang mit einander stehen, so werde ich sie auch gemein- 
schaftlich zu erklären versuchen. 

Einen Anknüpfungspunkt zur Erklärung bieten die Urodelen, 
welche ja auch hier den ursprünglichen Zustand aufweisen, in den 
Veränderungen, welche im Laufe der Larvenmetamorphose am Vo- 
mer und Palatinum vor sich gehen. Ich habe bereits im ersten 
Abschnitt des entwicklungsgeschichtlichen Theiles geschildert, wie 
sich an den zahntragenden Gaumerknochen allmählich ein Gegensatz 
zwischen dem Cement und den übrigen Zahngeweben herausbildet. 
Während ursprünglich beide gleichmässig beim Zahnwechsel resor- 
birt werden, bleibt weiterhin das Cement zum Theil erhalten, indem 
von den Zähnen nur das Zahnbein und der Schmelz vollständig 
sich auflösen. Das Cement wächst selbständig weiter und vergrös- 
sert sich; so entsteht aus dem Zahnknochen ein Skeletknochen, eine 
durch dieZahnbildungphylogenetisch veranlasste, aber 
später von ihr unabhängiggewordene Bildung. Wenn so 
zwei ursprünglich innig zusammengehörige Theile eines Organes 
durch Differenzirung eine Selbständigkeit allmählich erlangt haben, 
dann ist auch die Möglichkeit gegeben, dass, während der eine Theil 
sich ganz rückbildet, der andere erhalten bleibt. 

Wenn man diese Folgerungen annimmt, so erklärt sich die 
abweichende Entstehungsweise der Knochen bei den Anuren in ein- 
facher Weise. Bei ihnenhaben sich die primären Zahn- 
anlagen rückgebildet, die durch letztere im unterlie- 
genden Schleimhautgewebe auf einem früheren phylo- 
genetischen Stadium veranlasste Knochenbildung tritt 
aber trotzdem ein, da Zahn- und Knochenbildung eine 
divergente Entwicklungsrichtung bereits eingeschla- 
gen hatten und letztere daher in die Rückbildung der 
ersteren nicht mit hineingezogen werden konnte. Die 
Knochenbildung war im Schleimhautgewebe gewisser- 
maassenstabilgeworden, alsdie Rückbildung der Zahn- 
anlagen in der Larvenentwicklung erfolgte. 

Ausser den bereits angeführten Gründen, welche sich auf Ent- 
wicklungsvorgänge bei den Urodelen stützen, lassen sich für 


147 


die gegebene Erklärung noch eine Reihe weiterer Beweise führen, 
indem wir die Annahme motiviren können, dass bei den Anuren die 
primären Zahngenerationen in der Entwicklung unterdrückt sind. 
Für diesen Vorgang spricht sowohl der Zeitpunkt, in welchem die 
ersten Zähne gebildet werden, als auch die Stellung und Form der 
erst gebildeten Zähne. Wenn bei den Urodelen die Zähne vor den 
Skeletknochen, bei den Anuren erst lange nach der Anlage des Mund- 
höhlenskelets zur Entwicklung gelangen, so kann diese Verschieden- 
heit wohl nicht anders als durch ein Ausfallen von primären Zahn- 
generationen gedeutet werden. Zu dem gleichen Schlusse führen 
uns die Thatsachen, dass die ersten Zähne der Frösche in einer ein- 
fachen Reihe angeordnet sind und in zwei Spitzen auslaufen. Denn 
wie wir durch vergleichend anatomische Betrachtung gefolgert ha- 
ben, und wie die Entwicklung der Salamandrinen bestätigt hat, ist 
die Zahnstellung bei den Amphibien ursprünglich eine vielreihige 
und die ursprüngliche Zahnform ein grad-gestreckter Kegel mit 
einfacher Spitze; es müssen diese Stadien bei den Anuren mithin 
nicht mehr zur Entwicklung gelangen. 

Zu Gunsten dieser Erklärung spricht ferner nicht wenig der 
Umstand, dass sich ursächliche Momente in der Entwicklung der 
Anuren nachweisen lassen, welche jene Veränderungen veranlasst 
haben können. Wie ein langes Eileben zu einer Abkür- 
zung, so prädisponirt ein langes Larvenleben zu einer 
Fälschung der ontogenetischen Entwicklung. Auf die 
noch unausgebildeten Larven wirkt ja die Aussenwelt in gleichem, 
ja vielleicht in noch höherem Maasse als auf die erwachsenen Thiere 
umgestaltend ein. Hierdurch kann der directe Entwicklungsgang 
mannichfache Störungen erleiden, indem selbst neue Organe während 
des Larvenlebens sich bilden. Um so eher wird dieser Fall eintre- 
ten können, wenn zugleich auch die Lebensweise der Larven eine vom 
erwachsenen Thiere verschiedene ist, Verhältnisse, welche Fritz 
Müller!) in überzeugender Weise auseinandergesetzt hat. Bei den 
Anuren ist aber ihr Larvenleben ein relativ sehr langes, da sie weit 
früher und unfertiger als die Urodelen die Eihüllen abstreifen. Als 
Gewährsmann für diese Thatsache führe ich Reichert an, der in 
seinen entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen erklärt: »Kein 
Wirbelthier äussert sein freieres Auftreten durch Bewegungen so 


1) Fritz Müller. Für Darwin. Leipzig 1864. 


148 


frühzeitig und bei so geringen Entwicklungen des ganzen Organis- 
mus als der Frosch. Kaum sind die ersten Visceralfortsätze vor- 
handen und die Wirbelabtheilungen des Rumpfes erkennbar, so ver- 
lassen seine Embryonen die Eihüllen, und von der schwarzen Um- 
hüllungshaut geschützt, sitzen sie mit den Saugnäpfchen schaarenweise 
an den Grashalmen fest, nur dann und wann eine seitliche Bewe- 
gung vollziehend, bis etwas später erfolgreiche Schwimmbewegungen 
eintreten können !). 

In engem Zusammenhang mit dem frühzeitigen Verlassen der Ei- 
hüllen und dem hierdurch herbeigeführten längeren Larvenleben hat 
sich nun bei den Batrachiern ein Organ entwickelt, in welchem sich 
die directe Ursache für die Rückbildung der ersten Zahngenerationen 
erblicken lässt. Dieses Organ sind die schon früher beschriebenen 
Hornkiefer und Hornzähne der Froschlarven. Im Vergleich zu den 
echten Dentinzähnen sind dieselben eine erst secundär erworbene 
Bildung. Sie sind ein provisorischer Kauapparat, welcher sich wäh- 
rend des Larvenlebens entwickelt hat und auch ausschliesslich ein 
Larvenorgan bleipt, da er bei beginnender Metamorphose sich 
rückbildet. Dies lehrt die nur auf die Anuren beschränkte Verbrei- 
tung. Bei den das Ei sehr früh verlassenden Fröschen haben sich 
die Hornkiefer schon zu einer Zeit entwickelt, wo die Zähne über- 
haupt noch nicht angelegt werden konnten. Durch diesen provi- 
sorischen Kauapparat, welcher für das Larvenleben vielleicht sogar 
bessere Dienste als eine Zahnbewaffnung leistete, wurden die sich 
später entwickelnden Zähne ausser Function gesetzt und bildeten 
sich bei ihnen in gleicher Weise zurück, wie bei Siren lacertina 
die Kieferzähne völlig verschwunden sind, da Hornkiefer dauernd 
ihre Rolle eingenommen haben. Wenn nun bei älteren Larven der 
provisorische Kauapparat, wahrscheinlich in Folge veränderter Le- 
bensweise, seine Bedeutung verliert und in Folge dessen rudimentär 
wird, fällt das Moment weg, welches die Zahnentwicklung bisher 
unterdrückt hat. Die jetzt zur Entwicklung gelangenden Zahn- 
anlagen sind indessen nicht mehr die primären, sondern Ersatz- 
zähne und zwar von jener Zahngeneration, welche dem erlangten 
Entwicklungsstadium des betreffenden Thieres entspricht. 

Nach dieser Beweisführung glaube ich für die Entstehung des 


1) Reichert, Vergleichende Entwicklungsgeschichte des Kopfes der 
nackten Amphibien. S. 80, 


149 


Vomer und Palatinum der Anuren Folgendes annehmen zu dürfen. 
Wie bei den übrigen Amphibien sind dieselben phylogenetisch durch 
eine Verschmelzung von Schleimhautzähnchen entstanden. Auf einem 
späteren Stadium reducirte sich der vielreihige Zahnbesatz in der 
früher durchgeführten Weise und bildete sich durch unvollständige 
Resorption des Cements und selbständige Weiterentwicklung dessel- 
ben ein Skeletknochen mit einer einfachen Reihe von Zähnen. Auch 
in der Ontogenese der Anuren hat dieser Process sich einstmals wie 
noch jetzt bei den Urodelen abgespiegelt, späterhin aber hat er eine 
Abänderung erfahren, als bei den früh ausschlüpfenden Larven Horn- 
kiefer noch vor dem Erscheinen der Zähne sich ausbildeten. Denn 
durch sie wurden die primären Zähne ausser Function gesetzt und 
rückgebilde. Von diesem Rückbildungsprocess wurde indessen die 
Knochenbildung nicht betroffen, da sie nach anderer Richtung dem 
Organismus von Nutzen war und da schon vorher Zahn und Kno- 
chen (ursprünglich zusammengehörige Theile) nach divergenten Rich- 
tungen sich entwickelt hatten, und die Verknöcherung im Schleim- 
hautgewebe sich befestigt hatte. 

An die hier durchgeführten Reflexionen, durch welche wir die 
‚abweichenden Verhältnisse bei den Anuren auf die Urodelen zurück- 
zuführen im Stande sind, reihe ich eine kurze Betrachtung über 
die Stellung, welche die OÖntogenie der Anuren zu der 
Phylogenie des Amphibienstammes einnimmt. 

Für die Urodelen habe ich schon durch eine Vergleichung gezeigt, 
dass sich bei ihnen bis in Einzelheiten die gesetzmässige Parallele zwi- 
schen Ontogenie und Phylogenie nachweisen lässt. Die Metamorphosen, 
welche das Skelet der Mundhöhle und das Zahnsystem bei ihnen 
erleidet, können wir, um mit Fritz Müller zu reden, als ererbte 
bezeichnen, als solche, welche in der Phylogenese des Amphibien- 
stammes ihre Begründung finden. 

Bei den Anuren giebt uns indessen die ontogenetische Entwick- 
lung nicht mehr ein getreues Abbild der phylogenetischen. Hier 
ist das Abbild bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Diese Verunstal- 
tung ist theilweise durch eine Fälschung, theilweise durch eine 
Abkürzung der Entwicklung hervorgerufen worden. Gefälscht 
ist die Entwicklung dadurch, dass die Larven während ihres freien 
Lebens im Kampfe um’s Dasein ein provisorisches Larvenorgan, 
welches beim ausgebildeten Thiere nie in Function tritt, sich erwor- 
ben haben, und dass durch die Erwerbung der Hornkiefer die ererbte 


150 


Zahnbildung in ihrer Entwicklung gehemmt und zurückgedrängt 
worden ist. Abgekürzt ist die Entwicklung, indem die Zahl und 
die Lage der einzelnen Knochen der Mundhöhle von Anfang an bei 
den Larven derjenigen des erwachsenen Thieres gleicht, alle jene 
Metamorphosen mithin wegfallen, welche ich für die Urodelen im 
III. Abschnitt geschildert habe. Die Metamorphosen der Anuren 
können wir im Gegensatz zu denjenigen der Urodelen, zum Theil 
als erworbene, (F. Müller) bezeichnen, indem sie nicht durch die 
Phylogenese, sondern durch äussere Einflüsse, welche auf die Larven 
eingewirkt haben, hervorgerufen sind. 

So liefert uns die Genese der Zähne und des Mundhöhlen- 
skelets der Anuren, verglichen mit der Genese der gleichen Theile 
bei den Urodelen ein treffendes Beispiel für die ontogenetische These, 
welche Fritz Müller!) in seiner ideenreichen Schrift: Für Dar- 
win, aufgestellt und durch eine Anzahl von Beispielen illustrirt hat: 
»Die in der Entwicklungsgeschichte erhaltene ge- 
schichtliche Urkunde wird allmählich verwischt, in- 
dem die Entwicklung einen immer geraderen Weg vom 
Ei zum fertigen Thiere einschlägt, und siewird häufig 
gefälscht durch den Kampf um’s Dasein, den die frei- 
lebenden Larven zu bestehen haben?).« 


Durch den Vergleich der Entwicklung der Anuren mit der- 
jenigen der Urodelen sind wir zu der Annahme geführt worden, dass 


1) Fritz Müller. Für Darwin. Leipzig 1864. S. 77. 

2) Haeckel hat in seiner generellen Morphologie (B. II S. 300) die 
theils auf Abkürzung, theils auf Fälschung beruhende Verwischung der Pa- 
rallele zwischen phylogenetischer und ontogenetischer EntwickInng in fol- 
genden zwei Sätzen zusammengefasst: 

Ontogenetische These 43. »Die vollständige und getreue Wieder- 
holung der phylogenetischen durch die biontische Entwicklung wird verwischt 
und abgekürzt durch seecundäre Zusammenziehung, indem die Ontogenese 
einen immer geraderen Weg einschlägt; daher ist die Wiederholung um so 
vollständiger, je länger die Reihe der successiv durchlaufenen Jugend- 
zustände ist.« 

Ontogenetische These 44. Die vollständige und getreue Wieder- 
holung der phyletischen durch die biontische Entwicklung wird gefälscht 
und abgeändert durch secundäre Anpassung, indem sich das Bion während 
seiner individuellen Entwicklung neuen Verhältnissen anpasst; daher ist die 


151 


ein Knochen, welcher ursprünglich durch Verschmelzung von Zäh- 
nen entstanden ist, später unabhängig von denselben sich entwickeln 
kann. Durch diese Annahme ist uns die Möglichkeit gegeben, die 
Entstehung der Deckknochen der Mundhöhle überhaupt von einem 
einheitlichen Gesichtspunkt aus zu beurtheilen. Die Deekknochen 
der Urodelen hatte ich nach der verschiedenen Weise ihrer Ent- 
stehung in drei Gruppen eingetheilt, erstens in Knochen, welche 
durch Verschmelzung von Zähnen entstehen (Vomer, Palatinum, 
Operculare), zweitens in Knochen, die nur theilweise so entstehen, 
zum Theil eine Integumentossification sind (Maxillare, Intermaxil- 
lare, Dentale), drittens in Knochen, die unabhängig von Zahnbildun- 
gen durch eine Sklerosirung und Verkalkung von Bindegewebslagen 
gebildet werden. (Pterygoid, Parasphenoid, Angulare.) 

Im vergleichend anatomischen Theile wurden die Gründe ange- 
führt, welche es wahrscheinlich machen, dass einst alle Deckkno- 
chen der Mundhöhle (Maxillare, Intermaxillare, Vomer, Palatinum, 
Pterygoid, Parasphenoid, Dentale, Operculare,) gleichmässig mit 
Zähnen besetzt waren. Wenn wir hiermit das für die Entstehung 
des Vomer und Palatinum der Frösche gewonnene Resultat ver- 
knüpfen, so gelangen wir durch Berücksichtigung dieser beiden Mo- 
mente zum weiteren Schluss, dass ursprünglich auch das Ptery- 
goid und Parasphenoid — mit einem Worte, alle Deckknochen 
der Mundhöhle der Amphibien — durch Verschmelzen von Zähnen 
sich gebildet haben, und dass ihre jetzt zu beobachtende Entwick- 
lung in derselben Weise, wie die Entstehung vom Vomer und Pala- 
tinum bei den Anuren, zu beurtheilen ist. Die Schleimhaut- 
knochen der Amphibien lassen sich also von einer ge- 
meinsamen Quelle, von Schleimhautzähnchen, ableiten, 
und diese bieten uns wieder an die Selachier Anknü- 
pfungspunkte dar!). 


Wiederholung um so getreuer, je gleichartiger die Existenzbedingungen sind, 
unter denen sich das Bion und seine Vorfahren entwickelt haben.« 

1) Der Processus nasalis des Maxillare und Intermaxil- 
lare, sowie der den Unterkiefer einscheidende äussere Theil des Dentale 
und endlich das Angulare können nicht zu den Schleimhautossificationen 
gerechnet werden, da sie dem äusseren Integument angehören. Die Stellung 
des Angulare könnte seiner Lage nach zu Zweifeln Veranlassung geben. Da 
es aber in keiner Thierclasse zahntragend gefunden wird und da es am 
- embryonalen Unterkiefer der Urodelen auch mehr an der unteren als an der 


Zusammenfassung der im vergleichend anatomischen und 
entwicklungsgeschichtlichen Theil erhaltenen Resultate. 


Im Laufe der Untersuchung, auf welche ich am Endziel ange- 
langt noch einmal einen kurzen Rückblick werfe, sind wir mit 
verschiedenen Gruppen von Thatsachen bekannt geworden und ha- 
ben durch Vergleichung derselben eine Anzahl Schlüsse gezogen ; 
die einzelnen Schlüsse haben wir weiter mit einander verknüpft 
und auf diesem Wege endlich ein Gesammtresultat erhalten, wel- 
ches uns die einzelnen Beobachtungen zu einem Bild zusammen- 
zufassen erlaubt. Die Verschiedenheiten, welche wir an den leben- 
den Repräsentanten der Amphibien beobachtet haben, können wir jetzt 
aus einfacheren Verhältnissen als eingetretene Difterenzirungen ab- 
leiten und zwar als Differenzirungen, welche in verschiedenem Grade 
und theils auch in verschiedener Weise bei den einzelnen Ordnun- 
gen sich vollzogen haben. Die Entwicklungsvorgänge und Meta- 
morphosen des Zahnsystems und des Mundhöhlenskelets, welche sich 
Schritt für Schritt haben verfolgen lassen, können wir zum Theil als 
eine Wiederholung der Stammesentwicklung erklären, zum Theil als 
Abänderungen deuten, welcheim Kampfe um’s Dasein, den auch die 
Larven zu bestehen haben, eingetreten sind. 

Von dem so gewonnenen einheitlichen Gesichtspunkt aus stelle 
ich die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen, die Ergebnisse 
des vergleichend anatomischen und des entwicklungsgeschichtlichen 
Theiles, die hauptsächlichsten objectiven Befunde und die an sie 
angeknüpften Schlüsse, in kurzen Sätzen übersichtlich zusammen. 
Bei dieser Zusammenstellung will ich die Ergebnisse so anordnen, 
dass sie uns zugleich ein klares Bild entwerfen von der Art und 
Weise, wie die phylogenetische Entwicklung des Zahnsystems und 
des Mundhöhlenskelets im Amphibienstamme sich vollzogen hat und 
wie die einzelnen Stadien dieser Entwicklung in der Organisation 
der jetzt lebenden Repräsentanten im ausgebildeten Zustand und 
in ihrer ontogenetischen Entwicklung sich wiederspiegeln. 


inneren Seite des Meckel’schen Knorpels liegt, glaube ich seinen Ursprung 
auf eine Integumentossification und seine spätere Lage auf eine erworbene 
Verlagerung zurückführen zu müssen. Ueber die Genese der Integument- 
ossificationen soll im allgemeinen Theile gehandelt werden, 


153 


I. Ergebnisse über den Bau und die Entwicklung des 
Zahnsystems der Amphibien. 


a) Phylogenetischer Ursprung und Vertheilung der Zähne, 


1. Die Zähne der Amphibien sind phylogenetisch ältere Bil- 
dungen als das knöcherne Cranium, besonders aber als die Deck- 
knochen der Mundhöhle; das heisst: zur Zeit, als die Zahnbildung 
im Wirbelthierreich eintrat, existirten nur Wirbelthiere mit einem 
Primordialeranium. 

2. Ein niedrig entwickeltes Amphibium, welches uns dieses 
alte Entwicklungsstadium des Stammes noch jetzt dauernd erhalten 
zeigt, besteht nicht mehr. 

3. In der Ontogenese der Urodelen hat sich dieses Stadium 
vorübergehend erhalten, da bei ihnen die Zahnanlagen früher ge- 
bildet werden, als die Knochen der Mundhöhle. In der Ontogenese 
der Anuren ist dagegen dieses Stadium ausgefallen, da bei ihnen 
die Zähne später als das knöcherne Cranium sich entwickeln. 

4. Das ontogenetisch späte Erscheinen der Zähne bei den 
Anuren lässt sich aus einer Fälschung der Entwicklung und zwar 
aus einer Rückbildung der primären Zahngenerationen erklären, 
welche dadurch herbeigeführt worden ist, dass bei den freilebenden 
Larven ein provisorischer Kauapparat (Hornkiefer und Hornzähne) 
in Anpassung an veränderte Existenzbedingungen entstanden ist und 
die Bildung der wahren Zähne unterdrückt hat. Hierdurch ist die 
Zahnentwicklung in ein späteres Stadium der Larvenentwicklung 
(Rückbildung der Hornkiefer) verlegt worden. 

5. Die Dentinzähne der Amphibien sind ursprünglich über die 
gesammte Mund- und Kiemenhöhle gleichmässig verbreitet gewesen. 

6. Im Laufe der Stammesentwicklung ist in der Verbreitung 
der ursprünglich über die Schleimhaut gleichmässig vertheilten Zähn- 
chen eine Differenzirung eingetreten und zwar noch vor der Ent- 
wicklung des Mundhöhlenskelets. Während auf einzelnen Strecken 
der Mundschleimhaut die Zähnchen sich rückgebildet haben, haben 
sie sich auf anderen Strecken zu voluminöseren Gebilden entwickelt 
und eine bestimmte regelmässige Lagerung eingenommen. 

Die jetzt zahntragenden Strecken der Mundschleimhaut sind 
folgende: Zwei Streifen von Zähnen umgürten von unten her den 
Eingang der Mundöffnung, ein Streifen auf dem oberen Rand des 


154 


Meckel’schen Knorpels, ein anderer auf seiner inneren Fläche. Den- 
selben entsprechen an der Decke der Mundhöhle zwei entsprechende 
Streifen von Zähnen, welche bogenförmig angeordnet dicht hinter- 
einander liegen, ein äusserer Bogen von Kieferzähnen und ein in- 
nerer Bogen von Gaumenzähnen. Ausserdem aber finden sich an 
der Decke der Mundhöhle noch regellos in Haufen dicht beisammen- 
stehende Schleimhautzähnchen, welche den Raum nach innen und 
hinten von dem Gaumenzahnstreifen einnehmen (Sphenoidalzähne). 

7. Die Ursache, durch welche auf einzelnen Strecken der 
Mundschleimhaut Zähne sich rückbilden, auf andern dagegen höher 
sich entwickeln, mit andern Worten, das der beschränkteren Locali- 
sirung der Zähne zu Grunde liegende ursächliche Moment ist in der 
ungleichen Lage der Zähne zu suchen. Denn nach der Lage wird 
sich mehr oder minder die Betheiligung der Zähne beim Nahrungs- 
erwerbe bestimmen. Es werden Zähne, welche an Skelettheilen 
(Meckel’scher Knorpel, Palatoquadratknorpel, Labialknorpel (?) etc.) 
bei ihrer Action eine Stütze finden, in wirksamerer Weise verwandt 
werden, als solche, welchen eine Stütze fehlt. Ferner werden die 
am Mundhöhleneingang gelegenen Zähne eine im Ganzen vortheil- 
haftere Lage zum Nahrungserwerb, als die weiter einwärts gelegenen 
besitzen. Die stärker gebrauchten Organe werden eine höhere Aus- 
bildung erlangen, die in gleichem Maasse weniger in Action gesetz- 
ten Zähnchen werden sich rückbilden. 

8. Die aus vergleichend anatomischen Gründen erschlossene 
Vertheilung der Zähne, wie sie auf einem frühen Stadium der 
Stammesentwicklung der Amphibien durch Differenzirung eingetre- 
ten ist, hat sich in der ontogenetischen Entwicklung der Urodelen 
(Salamandrinen- und Axolotllarven) zum Theil erhalten. Hier fin- 
den sich am Ober- und Unterkiefer je zwei einander parallele Zahn- 
streifen vor, nur die Sphenoidalzähne haben sich rückgebildet !). 


b) Bau und Entwicklung der Zähne. 


9. Die ursprüngliche Form der Amphibienzähne lässt zwei 
Theile unterscheiden, einen geradgestreckten Kegel, der in eine ein- 
fache scharfe Spitze ausläuft, und eine im Schleimhautgewebe hori- 


1) Vielleicht liefert hierin die Ontogenese von Plethodon glutinosus ein 
noch treueres Abbild der Stammesentwicklung, da derselbe Sphenoidalzähne 
besitzt. 


155 


zontal liegende Cementplatte, welcher der Kegel (die Zahnkrone) 
aufsitzt. Diese Form zeigen uns noch jetzt annähernd die Zähne 
von Siren lacertina (?) und die Gaumen- und Opercularzähne von 
Axolotl. Auch ontogenetisch finden wir diese Zahnform in den pri- 
mären Larvenzähnchen der Urodelen wieder. 

10. Von der ursprünglichen Grundform sind die Zähne der 
jetzt lebenden Amphibien nur wenig abgewichen, wie sie überhaupt 
nach der Species sehr wenig variiren. Der Zahnkegel ist nach einwärts 
gekrümmt und endet in zwei Endzinken. An ihm unterscheidet man 
einen oberen aus Schmelz und Dentin und einen unteren aus Ce- 
ment bestehenden Theil, eine Zahnkrone und einen Zahnsockel. 
Letzterer ist in Anpassung an eine besondere Befestigungsweise an 
seiner Basis schräg abgestutzt und besitzt an seiner Innenwand eine 
grosse Oeffnung, die Pulpaöffnung. 

11. Die Zähne der Amphibien bestehen, wie überhaupt die 
Dentinzähne aller Wirbelthiere, histologisch aus drei Geweben, aus 
Zahnbein, Schmelz und Cement. Die Oberfläche des Schmelzes und 
des Dentins wird von einem sehr resistenten Häutchen überzogen, 
der Zahncuticula (Schmelzoberhäutchen genannt, soweit es den Schmelz 
überkleidet). 

12. An der Bildung der Zähne der Amphibien, wie überhaupt 
aller Wirbelthiere, betheiligen sich sowohl Zellen des oberen als auch 
des mittleren Keimblattes. Erstere bilden eine Cylinderzellenschicht 
(Schmelzmembran), welche den Schmelz abscheidet, letztere eine 
zellige Papille, auf deren Oberfläche das Dentin abgeschieden wird 
(Odontoblastenschicht). Das Cement entsteht theils direct als Ab- 
scheidung einer zelligen Anlage (Cementmembran), theils durch Ver- 
knöcherung des den Zahn umgebenden Bindegewebes. 

13. Ursprünglich haben sich die Zähne der Amphibien durch 
Verknöcherung freistehender Papillen der Schleimhaut entwickelt, wie 
dies bei den Placoidschuppen der Selachier (homologen Bildungen) noch 
jetzt der Fall ist. Die Einsenkung der Zahnanlagen in die Tiefe der 
Schleimhaut ist ein erst später erworbener Entwicklungsmodus. 

14. Mit der Differenzirung in der Vertheilung der Zähne, der 
theilweisen Reduction derselben auf einzelne Streifen von Zähnen, 
hängt die Entwicklung eines besonderen zahnbildenden Organes, der 
Ersatzleiste, zusammen. Dieselbe ist ein lamellenartig in die Tiefe 
gewucherter Theil des Mundhöhlenepithels, von welchem allein die 
Bildung neuer Zähne ausgeht. Da sich vier Zahnstreifen am Ein- 


156 


gang der Mundhöhle vorfinden, entwickeln sich dem entsprechend 
auch vier Ersatzleisten, je eine zur Bildung der Zähne des Ober- 
kiefer-, des Gaumen-, des Unterkiefer- und des Opercularzahn- 
streifens !). 

15. Der Ersatz der Zähne ist bei den Amphibien ein unbe- 
schränkter. 

16. Die Zahnresorption wird gleich der Knochenresorption 
durch vielkernige Zellen, durch Ostoklasten, vermittelt. Hierbei ist 
eine mechanische Einwirkung des sich entwickelnden auf den func- 
tionirenden Zahn, durch welche dessen Resorption herbeigeführt wer- 
den könnte, nicht wahrzunehmen. 

17. Die rasch eintretende Zahnresorption und die so häufig 
erfolgende Neubildung von Zähnen, mit einem Wort, der unbe- 
sehränkte Zahnwechsel der Amphibien ist aus früheren Verhältnissen 
zu erklären, wo die Zähne locker in der Schleimhaut festsassen und 
daher rascher sich beim Nahrungserwerbe abnutzten. Der unbe- 
schränkte Zahnwechsel ist daher eine ererbte Einrichtung. 


II. Ergebnisse über das Mundhöhlenskelet der 
Amphibien. 


a) Phylogenetische und ontogenetische Entwicklung der Deckknochen der 
Mundhöhle. 


18. Das Skelet der Mundhöhle der Amphibien ist ursprüng- 
lich ein Zahnskelet. Als solches ist es aus einzelnen Zahnplatten 
zusammengesetzt, welche phylogenetisch durch Verschmelzung von 
Schleimhautzähnchen mit ihren Cementtheilen (Basalplatten) entstan- 
den sind. Aus verschmolzenen Sphenoidalzähnen ist das unpaare 
Parasphenoid an der Decke der Mundhöhle herzuleiten. Aus dem Strei- 
fen der Gaumenzähne haben sich jederseits zwei Knochenstücke ent- 
wickelt, ein Vomer und ein rückwärts bis zum Quadratknorpel rei- 
chendes Pterygopalatinum. Der Streifen der Opercularzähne am 
Unterkiefer hat jederseits einem Opereulare Entstehung gegeben. 
Aus dem Streifen der Ober- und Unterkieferzähne haben sich nur 
Theile von Skeletstücken entwickelt, indem hier die Ossifica- 
tionen der Mundhöhle mit Integumentknochen zur Bildung des Ma- 
xillare, Intermaxillare und Dentale verschmolzen sind. 


1) Ueber die Entstehung der Ersatzleiste siehe Jenaische Zeitschrift, 
Bd. VIII. S. 386. 


157 


19. Die Entstehung von Zahnplatten durch Verschmelzung 
von Schleimhautzähnchen lässt sich aus einer Volumszunahme der 
letzteren erklären. Diese aber lässt sich auf den stärkeren Gebrauch 
der Zähne beim Nahrungserwerb zurückführen. Das Zahnskelet 
wird um so eher sich erhalten und befestigt haben, als untereinan- 
der zu Platten verbundene Zähnchen bessere Werkzeuge zur Nah- 
rungszerkleinerung abgeben, als locker in der Schleimhaut befestigte 
isolirte Zähnchen. 

20. Das ursprüngliche Zahnskelet unterliegt denselben Ver- 
änderungen durch Wachsthum und Resorption, wie die Zahnstreifen, 
aus denen es entstanden ist. Das Wachsthum erfolgt an der Innen- 
seite der Zahnplatten durch Anfügung neuer Zähne, welche an der 
Ersatzleiste entstanden sind. An der Aussenseite werden die älte- 
sten Theile der Zahnplatten durch Ostoklasten resorbirt. Die Zahn- 
platten vollziehen somit in toto dieselbe Lageveränderung, welche 
früher die einzelnen Zähne erlitten, indem sie an der Ersatzleiste 
entstanden allmählich weiter nach auswärts gerückt sind. 

21. Die Entstehung einzelner Knochen durch Verschmelzung 
von Zähnen lässt sich ontogenetisch in der Entstehung von Vomer, 
Palatinum und Operculare, sowie der Theile des Maxillare, Inter- 
maxillare und Dentale, welche der Mundhöhle angehören, bei den 
Larven der Urodelen nachweisen. Die genannten Knochen sind 
eine Zeit lang Zahnplatten, welche an ihrer Innenseite wachsen, an 
der Aussenseite dagegen resorbirt werden. 

22. Auf einem späteren Stadium der phylogenetischen Ent- 
wicklung haben sich die Zahnplatten in zahntragende Knochenplat- 
ten umgewandelt dadurch, dass am äusseren Rande die daselbst 
stattfindenden Resorptionsvorgänge nur die Zahnkegel betroffen, Ce- 
mentgewebe aber übrig gelassen haben, welches unabhängig von der 
Zahnbildung weiter wächst und sich vergrössert, mithin eine selbstän- 
dige Entwicklungsrichtung einschlägt. Aus einer ursprünglich ein- 
heitlichen Bildung sind so durch Differenzirung zwei Bildungen, 
Zahn und Knochen, entstanden. 

23. Im weiteren Verlauf der Stammesentwicklung erleidet die 
eine dieser zwei Bildungen, die Zähne, vielfach eine vollständige 
Rückbildung und entsteht hierdurch ein einfacher Skeletknochen 
ohne Zahnbesatz. 

24. Der Process, durch welchen sera Knochengewebe 
entstanden ist, (unvollständige Resorption des Cements und Weiter- 


158 


entwicklung desselben) vollzieht sich noch jetzt in der embryonalen 
Entwicklung des Vomer und Palatinum der Urodelen, indem hier 
während des Larvenlebens Zahnplatten in Knochen mit einem ein- 
reihigen Zahnbesatz sich umwandeln. 

95. Der Entstehungsprocess der Skeletknochen (Verschmelzen 
von Zähnen, unvollständige Resorption des Cements, später erfol- 
gende Rückbildung der Zähne) ist in vielen Fällen ontogenetisch 
abgekürzt, indem die Zähne überhaupt gar nicht zur Entwicklung 
gelangen und nur die Verknöcherung im Schleimhautgewebe eintritt. 
Dies ist der Fall bei dem Parasphenoid und Pterygoid der Urodelen 
und bei allen Deckknochen der Anuren. 

26. Mit Knochen, deren embryonale Entwicklung abgekürzt 
ist, können weiterhin noch Zähne in Verbindung treten, wie dies 
beim Vomer, Maxillare und Intermaxillare der Anuren der Fall ist. 

27. Die embryonal getrennte Entstehung von Zähnen und 
Knochen erklärt sich aus unvollständiger Rückbildung der Bezahnung 
der Art, dass die frühesten Zahngenerationen ausfallen, die Ersatz- 
zähne aber später noch zur Entwicklung gelangen. Bei den Anuren 
ist die Rückbildung der frühesten Zahngenerationen hauptsächlich 
durch die Entstehung eines provisorischen Larvenorgans, der Horn- 
kiefer und Hornzähne, verursacht worden. 

28. Das Ergebniss über die phylogenetische und über die 
ontogenetische Entstehung der Deckknochen der Mundhöhle bei 
den Amphibien lässt sich kurz dahin zusammenfassen: Phylogene- 
tisch sind alle Deckknochen der Mundhöhle durch Verschmelzung 
von Schleimhautzähnchen und durch Metamorphose der so gebilde- 
ten Zahnplatten entstanden, ontogenetisch dagegen entwickeln sie 
sich auf zweifache Weise, welche wir als primäre und secundäre un- 
terscheiden wollen. Die primäre Entwicklung recapitulirt die phy- 
logenetische, die andere ist durch Abkürzung aus ihr hervorgegangen 
und daher nicht mehr ein Abbild der Phylogenese. Im ersten Fall 
entstehen die Knochen embryonal durch Verschmelzen von Zähnchen, 
im zweiten Fall entstehen sie durch directe Verkalkung von Theilen 
der Schleimhaut. Bei den Urodelen werden in ihrer Ontogenese ein 
Theil der Deckknochen in primärer, ein anderer Theil in secundärer 
Weise gebildet; bei den Anuren dagegen werden alle Deckknochen 
secundär angelegt. 


159 


b) Ueber die primäre Zahl, Lage und Form der Deckknochen des Mund- 
höhlenskelets der Amphibien und die späterhin nach den einzelnen 
Ordnungen erfolgten Differenzirungen desselben. 


1. Anzahl der Knochenstücke., 


29. Ursprünglich besassen die Amphibien an der Decke der 
Mundhöhle vier paarige und einen unpaaren Deckknochen und zwar 
1) jederseits zwei Oberkieferknochen: ein Maxillare und ein Inter- 
maxillare; 2) jederseits zwei Gaumenknochen: ein Vomer und ein 
Pterygopalatinum; 3) einen unpaaren Knochen, das Parasphenoid. 
Der Unterkieferknorpel wurde von drei Belegknochen, einem Den- 
tale, Operculare und Angulare eingescheidet. 

30. Die ursprüngliche Anzahl der Knochen der Mundhöhle 
hat nach den einzelnen Amphibienarten Veränderungen erfahren, 
entweder durch eine erfolgte Trennung eines ursprünglich einfachen 
Knochenstückes, oder durch Verschmelzung zweier ursprünglich ge- 
trennter Knochenstücke oder durch totale Rückbildung eines Kno- 
chenstückes. 

31. Durch Trennung eines ursprünglich einfachen Knochen- 
stückes in zwei Theile ist bei den meisten jetzt lebenden Amphibien- 
arten aus dem Pterygopalatinum ein Palatinum und ein Pterygoid 
entstanden und sind hierdurch aus den ursprünglichen zwei Paar 
Gaumenknochen drei Paar geworden. Nur Proteus und Meno- 
branchus zeigen uns in dem Besitz eines einfachen Pterygopalatinum 
das phylogenetisch ursprüngliche Verhältniss dauernd erhalten. Das- 
selbe tritt auch vorübergehend in der Ontogenese der Urodelen zu 
Tage, deren Palatinum und Pterygoid aus einem embryenal einfach 
angelegten Knochenstück durch Trennung während des Larvenlebens 
sich bilden. 

32. Durch Verschmelzung zweier Knochenstücke entsteht bei 
den Tritonen ein unpaares Intermaxillare, welches embryonal bei 
ihnen gleichfalls paarig angelegt ist. Ferner verschmelzen bei ihnen 
Vomer und Palatinum zu einem Vomeropalatinum. Der als Pala- 
tinum zu deutende Theil des Vomeropalatinum der Tritonen hat nach 
seiner Verbindung mit den übrigen Gaumenknochen drei Stadien 
durchlaufen, welche sich in der Entwicklungsgeschichte der Tritonen 
noch erkennen lassen. Im ersten Stadium bildet das Palatinum 
einen Theil des Pterygopalatinum; im zweiten Stadium ist es ein 
selbständiger Skeletknochen, der mittlere der Gaumenreihe, im 


160 


dritten Stadium hat es sich mit dem Vomer zum Vomeropalatinum 
verbunden. 

33. Bei einigen Amphibienspecies ist dieser oder jener der 
aufgeführten Knochen durch Rückbildung verloren gegangen. Am 
häufigsten wird das Operculare hiervon betroffen. Dauernd besitzen 
dasselbe nur die niedrig stehenden Amphibien, wie Siren und Sire- 
don. Bei den Salamandrinen (Triton, Salamandra) wird es embryonal 
zwar noch angelegt, bildet sich aber während der Larvenmetamor- 
phose zurück. Bei den Anuren gelangt es überhaupt nicht mehr 
zur Entwicklung. Das Maxillare fehlt bei Proteus und Menobranchus, 
das Pterygoid bei Siren lacertina, das Palatinum bei Menopoma, 
Cryptobranchus und Plethodon. 


2. Lage der Knochenstücke. 


34. Ursprünglich sind die Belegknochen bei den Amphibien 
folgendermaassen gelagert. Die Oberkiefer- und die Gaumenknochen 
bilden zwei Bogen, die dicht hintereinander gelegen parallel ver- 
laufen und den Eingang zur Mundhöhle begrenzen. Das letzte 
Knochenstück des Gaumenbogens reicht bis an den Quadratknor- 
pel, welcher sehr schräg nach vorn gerichtet ist. Zum Theil inner- 
halb, zum Theil rückwärts vom Gaumenbogen liest das unpaare 
Parasphenoid. 

35. Die primäre Lagerungsweise hat sich bei den Perenni- 
branchiaten (Siren, Axolotl) erhalten; bei den Urodelen tritt sie nur 
in der embryonalen Entwicklung vorübergehend hervor, und wird 
späterhin erheblich gestört, indem die Gaumenknochen tiefgreifende 
Verschiebungen erleiden ; bei den Anuren endlich ist sie auch in 
ihrer Ontogenese nicht mehr nachweisbar, indem die Knochenstücke 
gleich ihre definitive Lage mehr oder minder einnehmen. 

36. Die wichtigste und am meisten auffallende Verschiebung 
erfährt das Pterygoid, dessen vordere Spitze nach auswärts rückt. 

37. Die bei den Salamandrinen und Anuren erfolgten Ver- 
schiebungen der Gaumenknochen stehen in ursächlichem Zusammen- 
hang mit einer Reihe gleichzeitiger Veränderungen an andern Or- 
ganen: mit der voluminöseren Gestaltung der Nasen- und der Augen- 
höhlen, mit der Rückbildung des Kiemenapparates und dem wahr- 
scheinlich hierdurch bedingten Rückwärtswandern des Quadrat- 
knorpels. 


161 


3. Veränderung im Zahnbesatz der Knochen. 


38. Bei einer frühen Stammform der Amphibien sind alle Deck- 
knochen der Mundhöhle über und über mit kleinen Zähnchen dicht 
bedeckt gewesen. Ein vollständiger Zahnbesatz hat sich noch bei 
einigen wenigen Amphibien erhalten, auf dem Vomer und Palatinum von 
Siren, auf dem Parasphenoid von Plethodon glutinosus. Ontogene- 
tisch wird dieses Stadium wiederholt in der Entwicklung der Uro- 
delenlarven, deren Vomer, Palatinum und Operculare vollständig 
bezahnt sind. 

39. Bei allen lebenden Repräsentanten des Amphibienstammes 
ist eine Reduction des Zahnbesatzes eingetreten und findet sich bei 
den meisten Species auf zahntragenden Knochen nur eine einfache 
Reihe von Zähnen vor. Eine Uebergangsstufe in der Art der Be- 
zahnung zeigen die Gaumenknochen und das Operculare von Sire- 
don, wo die Zähne in zwei alternirenden Reihen gestellt sind. 


40. Die Rückbildung des Zahnbesatzes kann auf jedem Kno- 
chen eine vollständige werden, und ist dieselbe im Amphibienstamme 
auf einzelnen Knochen je nach ihrer Lage verschieden häufig einge- 
treten. Bei keinem Amphibium haben sich Pterygoidzähne, und nur 
in wenigen Fällen Sphenoidzähne (Plethodon glutinosus) erhalten. 


41. Die Ursachen, durch welche die Reduction und die gänz- 
liche Rückbildung der Zähne auf einzelnen Knochen herbeigeführt 
worden ist, sind dieselben, welche auch die Differenzirung des ur- 
sprünglich gleichmässigen Zahnbesatzes der Mundschleimhaut be- 
wirkt haben, nämlich die verschiedene Betheiligung der Zähne beim 
Nahrungserwerb je nach ihrer verschiedenen Lage. 


42. Durch die Reduction der vielreihigen in die einreihige 
Zahnstellung wird die Beschaffenheit der Knochenoberfläche verän- 
dert. Auf den Gaumenknochen von Siredon entsteht durch unvoll- 
ständige Resorption des Cements der alternirend gestellten Zähne 
ein Knochenstreifen, welcher oft nur locker mit dem Skeletknochen 
zusammenhängt. Bei den einreihig gestellten Zähnen entwickelt 
sich eine regelmässig beschaffene Leiste, welche den Ersatzzähnen 
zur Befestigung dient. Die Leiste ist an den. Kieferknochen mäch- 
tiger entwickelt und bildet den als Processus aentalis bezeichneten 
Theil. Wie der Processus palatinus des Maxillare und Intermaxillare 
durch Verschmelzung des Cements neben einander stehender Zähne, 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 11. Supplementheft. 11 


162 


ist der Processus dentalis durch Verschmelzung des Cements ein- 
reihig gestellter aufeinander sich folgender Zähne phylogenetisch 
gebildet. 


Die durch vergleichend anatomische und durch entwicklungs- 
geschichtliche Untersuchung erhaltenen und in den vorhergehenden 
Sätzen kurz zusammengestellten Resultate lassen sich zu dem 
Hauptergebniss zusammenfassen. 

Das Mundhöhlenskelet der Amphibien ist aus 
Zahnbildungen durch Wirkung mechanischer Ur- 
sachen entstanden. 


Allgemeiner Theil. 


In dem speciellen Theil dieser Untersuchung habe ich eines- 
theils eine möglichst objective Darstellung meiner Beobachtungen 
zu geben versucht, anderntheils habe ich in den Reflexionen, welche 
ich an die objeetiven Befunde anknüpfte, mich soweit es zulässig 
war, allein auf das vorliegende Untersuchungsmaterial beschränkt 
und es vermieden, ähnliche Erscheinungen aus dem Wirbelthier- 
stamme mit in den Kreis der Betrachtungen hineinzuziehen. In- 
dessen sind durch diese Untersuchung einige Resultate erzielt wor- 
den, welche von allgemeinerer Bedeutung sind und dann erst im 
rechten Licht erscheinen, wenn wir sie nicht auf die Amphibien be- 
schränken, sondern auf die Wirbelthiere überhaupt auszudehnen 
suchen. Dieser Umstand liess es mir nothwendig erscheinen, 
an den speciellen die Untersuchung umfassenden Theil noch einen 
allgemeinen Theil anzuknüpfen, in welchem das Verhältniss der von 
ınir gewonnenen Resultate zu den herrschenden Anschauungen und 
zu den anderweit im Wirbelthierstamme bekannt gewordenen ähn- 
lichen Thatsachen erörtert werden soll. 

Das Neuerworbene mit dem überkommenen wissenschaftlichen 
Besitz in einen möglichst innigen Zusammenhang zu bringen, halte 
ich überhaupt mit für eine Hauptaufgabe einer jeden ausgedehnte- 
ren Untersuchung. In unserem wissenschaftlich so ungemein pro- 
ductiven Jahrhundert häufen sich die Einzeluntersuchungen bei der 
Leichtigkeit der Veröffentlichung in einem solchen Maasse an, dass 
es imıner schwieriger wird, in der Summe der Beobachtungen und 
oft zusammenhangslosen Thatsachen den leitenden rothen Faden her- 
auszufinden. Daher sollte man stets eine Erscheinung nicht für sich 
betrachten, sondern versuchen dieselbe verwandten Erscheinungen 


164 


anzureihen. Eine solche Betrachtungsweise scheint mir einen um so 
sicheren Erfolg zu versprechen, als ja naturgemäss durch jedes Neu- 
erworbene auch manchem schon Bekanntem eine neue Seite sich abge- 
winnen, Manches auch besser und einfacher sich wird darstellen lassen. 

In der vorliegenden Untersuchung ist es besonders ein Ergeb- 
niss, welches uns nicht befriedigen kann, wenn wir bei der Amphi- 
bienclasse stehen bleiben. Ich meine die für die Amphibien aufge- 
fundene Genese des Mundhöhlenskelets, das Resultat, dass bei den- 
selben alle Deckknochen der Mundhöhle auf Zahnbildungen zurück- 
zuführen und aus einer eingetretenen Verschmelzung derselben 
ursprünglich entstanden sind. Hierbei wird sich einem jeden die 
Frage aufdrängen, ob in diesem Entwicklungsmodus eine auf die 
Amphibien beschränkte Erscheinung vorliegt, oder ob sich derselbe 
in dem Wirbelthierstamm noch anderweitig nachweisen lässt, mit 
andern Worten, ob überhaupt eine solche Genese allgemein für 
das Mundhöhlenskelet der Wirbelthiere aufgestellt werden kann. 

Eine gründliche Beantwortung dieser Frage würde natürlich 
eine sehr ausgedehnte Untersuchung, welche alle Wirbelthierclassen 
umfasste, erfordern. Da ich dieselbe bis jetzt nicht habe vorneh- 
men können, so muss ich mich darauf beschränken, die in der Lite- 
ratur nach der Richtung bekannt gewordenen Thatsachen zusam- 
menzustellen. Durch Verwerthung derselben und durch an sie ange- 
knüpfte Schlussfolgerungen, hoffe ich, wird es mir auch jetzt schon 
gelingen, ein für die Wirbelthiere überhaupt gültiges allgemeines 
Resultat für den angeregten Gegenstand zu erzielen. 

Noch eine Anzahl weiterer allgemeiner Fragen in Bezug auf 
die Entstehung des Kopfskeletes hängen mit dem aufgefundenen 
Entwicklungsmodus des Mundhöhlenskelets zusammen. Da dem Pri- 
mordialeranium wie in der Mundhöhle so auch von aussen Deck- 
knochen aufgeiagert sind, so bleibt das Verhältniss, in welchem diese 
beiderlei Bildungen namentlich in ihrer phylogenetischen Entwick- 
lung zu einander stehen, näher zu untersuchen. Es bleibt zu ent- 
scheiden, ob die Deckknochen, wie man bisher angenommen hat, in 
ihrer Gesammtheit von einem gemeinsamen Gesichtspunkt aus beur- 
theilt werden können, oder ob sie ihrer Genese nach nichts Gemein- 
sames darbieten. Daran schliesst sich weiterhin die Frage nach 
dem Verhältniss, in welchem die Deckknochen des Primordialeranium 
zu den enchondrostotischen Verknöcherungen desselben stehen, ob 
letztere, wie neuerdings Gegenbaur und Vrolik versucht haben, 


165 


von ersteren abzuleiten sind, oder ob dies nicht möglich ist, mithin 
jener Gegensatz in Wirklichkeit besteht, welchen Duge&s, Jacobson, 
Kölliker aufgestellt und die meisten Forscher angenommen haben. 

Der allgemeine Theil gliedert sich hiernach zunächst in fol- 
gende drei Abschnitte. 

1) In welchem Verhältniss steht die Genese des Mundhöhlen- 
skelets der Amphibien zur Genese des Mundhöhlenskelets der übri- 
gen Wirbelthiere ? 

2) In welchem Verhältniss stehen die Deckknochen der Mund- 
höhle zu den übrigen Deckknochen des Schädels (zu den Integu- 
mentossificationen) ? | 

3) In welchem Verhältniss stehen die Deckknochen zu den 
enchondrostotischen Verknöcherungen des Primordialeranium ? 

Hieran knüpfe ich noch einen vierten Abschnitt, in welchem 
ich die auf dem vorgezeichneten Wege gewonnenen Anschauungen 
in ihrer Stellung zur Wirbeltheorie des Schädels beleuchten und 
zum Schluss ein zusammenhängendes Bild von der Ge- 
nese des Schädels entwerfen, kurz: eine Theorie des 
Schädels der Wirbelthiere geben will. 


I. In welchen: Verhältniss steht die Genese des Mundhöhlenskelets der 
Amphibien zur Genese des Mundhöhlenskelets der übrigen Wirbelthiere. 


Um den in dieser Untersuchung erhaltenen Resultaten über die 
Genese der Schleimhautossificationen des Schädels eine weitere Fas- 
sung zu geben, ziehe ich das Mundhöhlenskelet der übrigen Wir- 
belthiere mit in den Kreis der Betrachtung und suche die Frage 
zu beantworten, in wie weit sich hier eine ähnliche Entstehung 
nachweisen lässt oder angenommen werden muss. Da die niederen 
Classen der Wirbelthiere (Teleostier, Dipneusten etc.) eine weit inni- 
gere Beziehung des Knochen- zum Zahnsystem darbieten, als die 
höheren Classen, die Amnioten, bei welchen beide Bildungen einan- 
der fremdartig zu sein scheinen, so werde ich beide für sich geson- 
dert betrachten und mit den niederen Wirbelthieren, den Anamnia, 
beginnen, da bei ihnen voraussichtlich die ursprünglicheren Zustände 
zu finden sind. 


166 


a) Mundhöhlenskelet der Knorpelfische, der Dipneusten und der Knochenfische. 


Wenn man in die Genese des Mundhöhlenskelets einen Einblick 
gewinnen will, kann man zwei Wege einschlagen, den vergleichend 
anatomischen und den entwicklungsgeschichtlichen. 


Bei einer vergleichend anatomischen Behandlung sind, um die 
Deckknochen der Mundhöhle auf Zahnbildungen zurückführen zu 
können, hauptsächlich vier Punkte zu entscheiden. 1. Sind die 
Zähne bei den niederen Wirbelthieren phylogenetisch ältere Bildun- 
gen als die Schleimhautverknöcherungen? 2. Ist bei ihnen die 
Verbreitung der Zähne eine solche, dass aus ihrer Verschmelzung 
alle Knochen der Mundhöhle hervorgehen können? 3) Ist bei ihnen 
zwischen Zahn und Knochenbildung eine nähere Beziehung wahr- 
zunehmen? 4. Lassen sich bei einzelnen Wirbelthieren Vorgänge 
nachweisen und Bildungen auffinden, wie wir sie bei der em- 
bryonalen Entstehung von Vomer und as der Urodelen 
kennen gelernt haben ? 


Die zunächst aufgeworfene Frage, ob die Zähne phylogenetisch 
ältere Bildungen als die Skeletknochen sind, bedarf gar keiner Dis- 
cussion. Denn bei den Selachiern trägt bereits die gesammte Mund- 
schleimhaut einen reich entwickelten Zahnbesatz. In ihren Schleim- 
hautzähnchen, welche aus Schmelz, Dentin und Cement bestehen. 
und namentlich in dem plattenartig in der Schleimhaut ausgebrei- 
teten Cementtheil derselben ist uns das Baumaterial gegeben, aus 
welchem knöcherne Belegplatten für das knorplige Primordialeranium 
bei den Wirbelthieren mit knöchernem Schädel sich gebildet haben. 


Was den zweiten Punkt, die Verbreitung der Zähne anbetrifit, 
so spricht dieselbe bei den fischartigen Wirbelthieren noch mehr als 
bei den Amphibien für die von mir aufgestellte Genese. Bei den 
Selachiern ist die ganze Mundschleimhaut bis zum Anfang des Oeso- 
phagus mit Zähnchen besetzt. An sie schliessen sich die Teleostier 
nahe an, deren Schlund- und Kiemenhöhle an jenen Stellen, wo Kno- 
chen in der Schleimhaut liegen, sehr reich bezahnt ist. Bei den 
Knochenfischen lässt sich kein einziger Deckknochen in der Mund- 
höhle namhaft machen, der nicht bei dieser oder jener Species 
Zähne trüge. So hat man Zähne auf dem Maxillare und Inter- 
maxillare, aufdem Vomer, Palatinum, Pterygoid, auf dem Parasphenoid, 
auf dem Dentale und Opereulare des Unterkiefers, auf dem Linguale, 
den Ossa pharyngea und den Kiemenbögen beobachtet. Es giebt 


167 


sogar Fische, bei welchen die genannten Knochen insgesammt und 
gleichzeitig eine reiche Zahnbewaffnung tragen, wie Sudis gigas, En- 
sraulis etc. Im Vergleich zu den Selachiern haben sich allgemein 
bei den Teleostiern die Zähne auf den zwischen den Deckknochen 
gelegenen Schleimhautpartieen rückgebildet. 

Zwischen dem Knochen- und Zahnsystem besteht in den niederen 
Wirbelthierclassen — dies ist der dritte Punkt der Beweisführung — 
noch ein weit innigerer Zusammenhang als bei den Amphibien. 
Während bei diesen die Zähne meist in einer Reihe angeordnet sind, 
ist bei jenen die ganze Knochenoberfläche in der Regel mit dicht 
gedrängt stehenden, verschieden geformten Zähnen bedeckt; die bei 
den Salamandrinen nur vorübergehend zu beobachtende vielreihige 
Zahnstellung (raspelike, Owen) tritt hier dauernd auf. Nicht minder 
zeigt sich bei den Knochenfischen auch in der Befestigung der 
7/ähne ihre enge Beziehung zu den sie tragenden Skeletknochen. 
Wie bei den Amphibien sind die Zähne gewöhnlich mit dem Knochen 
verwachsen. Eine lockere Verbindung, sei es durch Ligamente oder 
durch Alveolenbildung findet sich nur ausnahmsweise. 

Ich komme jetzt zur Untersuchung des vierten Punktes, welcher 
als der bei weitem wichtigste uns auch am längsten beschäftigen 
wird: Lassen sich bei einzelnen Wirbelthieren Vorgänge nachweisen 
und Bildungen auffinden, wie wir sie bei der embryonalen Entstehung 
vom Vomer und Palatinum der Urodelen kennen gelernt haben. 

Die Vorgänge, welche bei den Urodelenlarven zur Entstehung 
von Knochen führen, sind Verschmelzungen von Zähnchen. Auf 
solchem Weg entstandene Gebilde finden sich nun, wie durch die 
Untersuchungen von Cuvier und Owen bekannt ist, bei den 
niederen Wirbelthieren ziemlich zahlreich vor, so bei einzelnen Rochen- 
arten, bei Cestracion, bei Chimaera und Dipneusten, bei fossilen 
Fischen, bei Gymnodonten u... scaroiden. Da dieselben uns für 
Vorgänge, welche ich beim Larvenskelet der Urodelen geschildert 
habe, ein näheres Verständniss eröffnen, und da sie in der Richtung 
noch wenig gewürdigt sind, so theile ich die Befunde zunächst kurz 
mit, alsdann werde ich sie mit den Ergebnissen der Untersuchung 
der Urodelenlarven vergleichen und in ihrem Zusammenhang zu 
deuten versuchen. 

Bei den Rochen ist am Zahnsystem im Vergleich zu den 
Haifischen eine Reihe von Veränderungen eingetreten, welche zur 


168 


Verschmelzung von Zähnen führen. Während bei den Haifischen 
mit Ausnahme der Cestracionten die Zähne meist in grösserer Ent- 
fernung von einander in der Mundschleimhaut stehen, sind dieselben, 
wie Owen!) beschreibt, bei den Rochen einander genähert, sie 
haben weniger Beweglichkeit und sind in einzelnen Fällen durch 
feine Nähte vereinigt, sodass sie eine Art von Mosaikpflaster auf 
dem Öber- und Unterkieferknorpel bilden. Bei den Adlerrochen ist 
am Ober- und Unterkieferknorpel sogar eine thatsächliche Ver- 
schmelzung einer grösseren Anzahl von Zähnen erfolgt und sind 
hierdurch mehrere grössere Zahnplatten entstanden. Jede dieser 
Platten ist zusammengesetzt aus einem Aggregat von dünnen, langen, 
gewöhnlich sechsseitigen prismatischen Zähnchen, welche vertical 
zur Kaufläche gestellt sind. Am Unter- und Oberkiefer liegen 
mehrere solcher langen Zahnplatten hinter einander (Vergleiche Owen 
Ödontograpky Taf. 25. Fig. 1. Fig. 4). Während die vordersten 
Zahnplatten resorbirt werden, entstehen an der Innenseite der Kiefer- 
knorpel an einer Frsatzleiste zahlreiche kleine und dicht gedrängte 
Zahnpapillen, welche während des Verknöcherungsprocesses mit ein- 
ander verschmelzen und der Art eine neue Zahnplatte zusammensetzen. 

Aehnliche Verschmelzungen von Zähnchen zu grösseren 
„zusammengesetzten Zähnen“ kommen auch bei den Cestra- 


cionten vor?). 
In ganz besonderem Grade aber verdient das Gebiss der 


Chimaeren und der Dipneusten mit Rücksicht auf die Lehre von 
der Entstehung von Knochen aus verschmolzenen Zähnen eine ein- 
gehendere Betrachtung. Die Chimaeren?) besitzen ein knorpliges 
Cranium, mit welchem der Palatoquadratknorpel verschmolzen ist. 
Isolirte Schleimhautzähnchen fehlen; dagegen wird die Decke der 
Mundhöhle von 4 und der Unterkiefer von 2 grossen Platten bedeckt. 
Von den 4 oberen Platten liegt ein Paar nach vorn an der Mund- 
öffnung, das andere schliesst sich nach hinten an das vordere 
an. Die hinteren Platten sind sechsmal so gross als die vorderen 
und stossen mit ihrem hinteren Ende an das Unterkiefergelenk. 


1) Owen. Odontography S. 43. S. 46-49. 

2) Owen. Odontography S. 49—64. 

3) Cuvier. Le Regne animal. 1829 T. II. S. 381. 
Owen. Odontography. 9. 64—68. 
Huxley. The elements of comparative anatomy $. 197. 


169 


Jede dieser Knochenplatten besteht aus einer Verschmelzung langer 
und einfach cylindrischer Zähne. Die Zerstörung, welcher .diese 
Platten an ihrem äusseren vorderen Rande ausgesetzt sind, wird 
durch eine Neubildung von Zahnpapillen am inneren hintern Rande 
ausgeglichen. Cuvier und Huxley deuten die unteren Platten, 
weil sie unmittelbar unter dem Boden der Nasenkammern liegen, 
als zusammengesetzte Vomerzähne, die hinteren grösseren Stücke 
als Gaumen- oder Palatopterygoidzähne. 

Die Dipneusten!), jene so interessante Uebergangsgruppe 
von den Fischen zu den Amphibien, besitzen in der Art ihrer Be- 
zahnung mit den Chimaeren, in der Beschaffenheit ihres übrigen Mund- 
höhlenskelets mit den Amphibien viel Gemeinsames. Bei Lepido- 
siren und dem jüngst entdeckten Ceratodus ist das Primordial- 
cranium noch sehr mächtig entwickelt. Wie bei den niedrigsten 
Amphibien ist der Quadratknorpel sehr schräg nach vorn gerichtet, 
so dass die Articulationsfläche für den Unterkiefer in die Mitte des 
Cranium zu liegen kömmt. An der Decke der Mundhöhle liegt in 
der Mitte dem Knorpel ein grosses Parasphenoid auf, welches Keine 
Zähne trägt. Ein knöcherner Kieferbogen (Maxillare, Intermaxillare) 
fehlt ; dagegen ist ein Gaumenbogen vorhanden, welcher dem vorderen 
Rand des Parasphenoids aufliegt und jederseits aus 2 Knochenstücken 
besteht. Das vordere ist eine kleine schneidende Zahnplatte, welche 
unter dem knorpligen Boden der Nasenhöhle einwärts von der inneren 
Nasenöffnung lagert. Während Owen es als Intermaxillar-Zahn 
deutet, erblicken Huxley und Günther in ihm einen Vomerzahn, 
eine Deutung, für welche die Lage des Knochens spricht. Das hintere 
weit grössere Knochenstück stösst mit seinem hinteren Rand an 
den Quadratknorpel. Seine hintere Hälfte ist unbezahnt, seine vordere 
dagegen ist eine Zahnplatte. Nach Owen soll dieses Stück die 
Elemente des Maxillare, Palatinum und Pterygoids combiniren. 
Huxley und Günther deuten es, da es vom Vomer bis zum 
Quadratknorpel reicht, mit vollem Recht als Pterygopalatinum, und 
zwar ist als Palatinum der bezahnte, als Pterygoid dagegen der 
zahnlose Absehnitt anzusprechen. Eine ähnliche Zahnplatte wie am 
Pterygopalatinum, findet sich an der Innenseite des Unterkiefer- 


. 1) Owen. Odontography $. 166. 
Huxley. Elements etc. S. 208—209. 
Günther. Description of Ceratodus. Philosophical Transactions 1872. 


170 


knorpels. Wie die von Owen und Günther mitgetheilte mikro- 
skopische Untersuchung der Zahnplatten lehrt, besteht jede derselben, 
wie die gleichen Gebilde von Chimaera, aus innig untereinander 
verschmolzenen röhrenförmigen Zähnchen. Da dieselben zum Zer- 
mahlen und Zermalmen von Nahrungsmitteln angewandt werden, so 
werden die Platten am äussern Rand und der oberen Fläche ab- 
gerieben und scheint dieser fortschreitende Verlust, wie Owen be- 
merkt, durch eine correspondirende Hinzufügung neuen Materials 
an der Innenseite ersetzt zu werden. 

Die von einzelnen Knorpelfischen und Dipneusten hier be- 
schriebenen Zahnplatten, welche durch Verschmelzung einer grösseren 
Anzahl röhrenförmig gestalteter Zähnchen entstanden sind, sind in 
reicher Anzahl versteinert besonders in den triasischen und jurasischen 
Schichten aufgefunden worden. In ihrer äussern Form zeigen diese 
sogenannten „zusammengesetzten Zähne‘‘ eine grosse Mannichfaltig- 
keit, wie die Abbildungen in Agassiz Poissons fossiles und in 
Owen’s Odontography zeigen. Die ausgestorbenen Thierspecies, 
von welchen diese Zahnformen herrühren, haben die genannten 
Forscher als Acrodus, Ptychodus, Psammodus, Cochliodus, Ceratodus, 
Gtenodus etc. beschrieben und in ihnen ausgestorbene Verwandte 
der Knorpelfische, besonders der Cestracionten erblickt. 

Unter den Teleostiern besitzen die Gymnodonten und 
Scaroiden eigenthümliche durch Verschmelzung von Zähnen ent- 
standene Bildungen, deren ich hier gleichfalls kurz gedenken will. 
Schon Cuvier!) handelt in seinen Vorlesungen über vergleichende 
Anatomie eingehender von denselben wegen ihres so eigenthümlichen 
Baus. Am ausführlichsten hat sie Owen?) in seiner Odontography 
beschrieben und zugleich Abbildungen von ihnen gegeben. 

Bei den Gymnodonten bestehen die hervorragenden Ränder 
der knöchernen Ober- und Unterkiefer, welche zum Zernagen dienen, 
aus einer zusammenhängenden Zahnmasse, aus einer Zahnplatte. 


Dieselbe wird aus Lamellen zusammengesetzt, welche horizontal 


und rechtwinklig zur vorderen Fläche des Kiefers liegen und voll- 
ständig durch Cement miteinander verschmolzen sind. Jede Lamelle 
besteht wieder aus verschmolzenen Zähnchen. In demselben Maasse 
als die obersten Lamellen abgerieben und zerstört werden, entwickeln 


1) Cuvier. Vorlesungen über vergleichende Anatomie III. S. 130—133 
und S. 112. 


2) Owen. Odontopraphy S. 77-82 und S. 112—119. 


u 


171 


sich am. entgegengesetzten Rand aus Zahnpapillen neue Lamellen, 
welche mit den jüngst gebildeten zu einer compacten Masse ver- 
schmelzen. 

Ausser diesem Kaurand trifft man bei Diodon an der Innen- 
seite des Unterkieferknochens noch eine zweite Zahnbildung an, 
nämlich zwei zum Kauen dienende Erhabenheiten, welche die Form einer 
rundlichen Scheibe besitzen, in der Mittellinie des Unterkiefers anein- 
ander stossen und mit demselben an ihrer Basis verschmolzen sind. Jede 
dieser‘ scheibenförmigen Zahnplatten besteht wiederum aus einer 
grossen Anzahl dünner Lamellen, welche parallel zum Kieferrand 
aneinander geschichtet und durch Cement verbunden sind. Auf der 
mahlenden Oberfläche der Scheibe rufen sie eine parallele Querstreifung 
hervor. Die Lamellen werden wieder durch Verschmelzung röhren- 
förmiger Zähnchen gebildet. In demselben Maasse, wie am vorderen 
Rande Lamellen zerstört werden, bilden sich solche am inneren 
Rande wiederum neu. 

Bei den Scaroiden haben die Ränder der Kieferknochen eine 
ähnliche Beschaffenheit wie bei den Gymnodonten, und verweise ich 
Betreffs des näheren Verhaltens auf die Beschreibungen von Cuvier 
und Owen. Ausserdem haben aber auch noch bei den Scaroiden 
die Zähne an der Zusammensetzung der Pharynxknochen einen be- 
deutenden Antheil. Die Pharynxknochen sind nämlich Knochentäfelchen, 
deren Oberfläche mit regelmässig angeordneten und mit einander 
verschmolzenen breiten Zähnen dicht bepflastert ist, oder mit anderen 
Worten, es sind Zahnplatten, deren Basis durch Knochengewebe 
verdickt und verbreitert ist. An einem Rande nutzen sich dieselben 
ab, am anderen Rande wachsen sie wieder. 

Wenn wir auf die mitgetheilten Thatsachen zurückblicken und 
uns fragen, worin ihre Bedeutung für die Genese des Kopfskelets 
besteht, so müssen wir bei der Beurtheilung zweierlei unterscheiden: 
erstens den Vorgang, durch welchen die beschriebenen Bildungen 
entstanden sind, und zweitens die Producte, zu welchen der Vor- 
gang geführt hat. 

Wenn wir zunächst den ersten Punkt in das Auge fassen, so 
gleichen die hier beschriebenen Bildungen sich in der Art ihrer 
Entstehung. Indem sie aus Verschmelzung von Zähnchen hervor- 
gehen, veranschaulichen sie uns Vorgänge, welche auch in erster 
Linie die Entstehung des Mundhöhlenskelets bei den Urodelen ein- 
leiten. Sie zeigen uns, wie diese Vorgänge in niedrigen Wirbelthier- 


172 


classen sich häufig vollzogen haben und gewinnen hierdurch für- 
die Genese des Kopfskelets eine Bedeutung. 

Was den zweiten Punkt, die Producte, welcheder Verschmelzungs- 
process von Zähnen geliefert hat, anbetrifft, so unterscheiden sich 
dieselben in vielfacher Hinsicht und lassen sich dieselhen in zwei 
Abtheilungen bringen, von welchen die eine weitere Anknüpfungs- 
punkte für die Beurtheilung der Genese des Kopfskelets, die andere 
deren keine gestattet. Zu letzterer Abtheilung rechne ich Zahn- 
gebilde, die durch Verschmelzung einer geringen Anzahl von Schleim- 
hautzähnchen entstanden sind und die daher in grösserer Menge 
neben und hintereinander in der zahntragenden Schleimhaut sich 
vorfinden. Hierher gehören die Zahnbildungen von Myliobates, 
von den Cestracionten, von vielen fossilen ausgestorbenen Fisch- 
genera. Die Verschmelzung der Zähnchen ist eine sehr innige, die 
neuentstandene Bildung gleicht einem Zahn, der grösser und höher 
entwickelt ist, und behalte ich daher für sie die alte Bezeichnung, 
zusammengesetzter Zahn, bei. 

Die zweite Abtheilung umfasst alle jene Bildungen, welche durch 
Verschmelzung von Zähnen in grösserer Anzahl entstanden die 
Form von Platten besitzen und indem sie auf bestimmte Stellen von der 
Schleimhaut bei ihrer Verbreitung beschränkt sind, durch Grösse 
und Form den Werth von Skelettheilen erlangen. Hierher rechne 
ich die Zahngebilde der Chimaeren, Dipneusten, Gymno- 
donten, Scaroiden. Von den zusammengesetzten Zähnen unter- 
scheide ich sie als Zahnplatten. Dieselben bieten uns an embryonale 
Entwicklungszustände, wie wir sie für die Deckknöchen der Mund- 
höble der Urodelen kennen gelernt haben, weitere Anknüpfungs- 
punkte. Von besonderem Interesse ist in der Beziehung der Kau- 
apparat der Chimaeren und in zweiter Reihe das Mundhöhlenskelet 
der Dipneusten. 

Wie ich im vorhergehenden Abschnitt glaube nachgewiesen zu 
haben, müssen wir die Gaumenknochen der Amphibien aus zwei 
paarigen Zahnplatten ableiten, einem vorderen kleineren Paar, welches 
wir als Vomer, und einem hinteren grösseren Paar, welches wir 
als Pterygopalatinum bezeichnen können. Diese Platten werden an 
ihrem Aussenrande, gleich den Zahnreihen, aus welchen sie ent- 
standen sind, resorbirt, und wachsen am Innenrand, an welchem 
eine Ersatzleiste liegt. Bei den Chimaeren decken nun vier solcher 
Zahnplatten, wie ich sie als Grundlage für das Gaumenskelet der 


173 


Amphibien annehme, die untere Fläche ihres Primordial-Cranium. 
Dieselben nehmen die gleiche Lage wie die Gaumenknochen der 
übrigen Wirbelthiere ein und werden von Huxley daher auch als 
Vomer- und Pterygopalatin-Zahn gedeutet. Das vordere Stück ist 
kleiner, das hintere bedeutend grösser und stösst mit dem hinteren 
Ende an den Quadratknorpel. Sie werden am Aussenrande resorbirt 
und wachsen an der Innenseite. Wenn wir alle diese Verhältnisse 
in Betracht ziehen und in Rechnung bringen, wie dieselben mit Zu- 
ständen übereinstimmen, welche wir phylogenetisch für das Gaumen- 
skelet der Amphibien voraussetzen müssen, dann wird es gerecht- 
fertigt sein, wenn wir in den Zahnplatten der Chimaeren Bildungen 
finden, welche zu gleich gelagerten Skelettheilen höherer Wirbelthiere 
überleiten und zu ihnen in naher verwandtschaftlicher Beziehung 
stehen. Ich deute daher die vordere Platte als Vomer und die 
hintere als Pterygopalatinum, und erblicke in ihnen daurend bei 
den Chimaeren das erste phylogenetische Entwicklungsstadium des 
Gaumenskelets erhalten, welches in der Ontogenie der Urodelen 
zum Theil (für Vomer und den vorderen Theil des Pterygopalatinum) 
recapitulirt wird. — Die Zahnplatte, welche bei den Chimaeren jeder- 
seits an der Innenseite des Unterkiefers liegt, kann in gleicher 
Weise als erste Anlage eines Operculare gedeutet werden. 

Mit noch weit grösserer Sicherheit lässt sich das Gaumenskelet 
der Dipneusten mit einem frühen Entwicklungsstadium, welches 
wir in der Ontogenie der Urodelen kennen gelernt haben, vergleichen. 
Wie bei letzteren, besteht auch bei Lepidosiren und Ceratodus das 
Gaumenskelet aus je 2 Knochen; von diesen ist der vordere, der 
Vomer, eine aus Verschmelzung von Zähnen entstandene Zahnplatte, 
das hintere Stück dagegen, das Pterygopalatinum, zeigt im vorderen 
und im hinteren Abschnitt ein verschiedenes Verhalten, indem ersteres 
eine Zahnbildung, letzteres ein echter Skeletknochen ist. Wie bei 
den Urodelenlarven, werden auch bei den Dipneusten die Zahnplatten 
einer Resorption und Neubildung in gleicher Weise unterworfen. 
Das Gaumenskelet der Dipneusten verharrt also auf jener Ent- 
wicklungsstufe, welche von den Urodelen in ihrer Ontogenie rasch 
durchlaufen wird. Bei ihnen bleiben Skeletstücke der höheren 
Wirbelthiere weiter nichts als Zahnplatten. — Die an der Innenseite 
des Unterkiefers gelegene Zahnplatte der Dipneusten ist wieder 
dem Operculare der übrigen Wirbelthiere homolog. 

Wenn in der durchgeführten Weise die Dipneusten in ihrem 


174 


Mundhöhlenskelet an dasjenige der Amphibien sich anschliessen, so 
bieten sie in entgegengesetzter Richtung auch Anknüpfungspunkte 
an niedriger stehende Fischelassen, an die Selachier, denn bei den 
Dipneusten, Chimaeren und Cestracionten stimmt der Bau der Zahn- 
platten fast vollkommen überein. Diese Uebereinstimmung ist so 
bedeutend, dass Agassiz und Owen fossile Zähne, welche aus- 
gestorbenen Dipneusten angehört haben, als Haifischzähne beschrieben 
haben. Erst neuerdings haben Krefft!) und Günther?) gezeigt, 
dass dieselben mit mehr Recht für Dipneustenzähne zu bestimmen 
seien, indem sie die Zahnplatten des neuentdeckten Ceratodus Foerst- 
neri genauer untersucht und ihre völlige Identität in Bau, Form 
und Grösse mit, einer Anzahl fossiler Zahnbildungen dargethan haben. 

Wie auch bei den Knochenfischen Skelettheile durch Ver- 
schmelzung von Zähnen entstehen, zeigen uns die Gymnodonten 
und Scaroiden. Die Zahnplatte an der Innenseite des Unterkiefers 
von Diodon ist durch Verschmelzung von Opercularzähnen entstanden, 
und kann daher als Operculare benannt werden. Dasselbe ist an 
seiner Basis mit dem knöchernen Unterkiefer verwachsen. Ebenso 
sind bei den genannten Fischen nicht unbedeutende Theile der 
Kieferknochen einzig und allein aus verschmolzenen Zähnen zu- 
sammengesetzt. Die Pharyngealplatten von Scarus endlich reprä- 
sentiren uns jenes Entwicklungsstadium des Zahnskelets, in welchem 
das Zahncement nur unvollkommen resorbirt wird und selbständig 
weiter sich entwickelt. Der Hauptmasse nach sind sie verschmolzene 
Zähne, an der Seite und an der Basis dieser Zahnplatten sitzt aber 
noch eine verhältnissmässig unbedeutende Menge Knochensubstanz, 
in welcher ich weiter entwickelte Cementtheile früherer, unvollständig 
resorbirter Zähne erblicke. 

Wenn wir auf die angeführten Thatsachen und die an sie an- 
geknüpften Betrachtungen einen Rückblick werfen, so finden wir, 
dass die phylogenetische Entstehung der Zähne, ihre Vertheilung 
in der Mundhöhle, ihre Befestigung und Anordnung auf den Deck- 
knochen für die vorgetragene Genese des Mundhöhlenskelets sprechen. 
Wir finden weiter, dass in der Classe der Fische vielfältig Ver- 
schmelzungsprocesse von Zähnen, wie sie auch der Entstehung von 


1) Krefft. Beschreibung eines gigantischen Amphibiums aus der 
Verwandtschaft der Gattung Lepidosiren etc. Archiv für Naturgeschichte 1871. 
2) Günther. Description of Ceratodus. Philosophical Transactions 1872. 


175 


Knochen bei den Amphibien zu Grunde liegen, sich vollziehen und 
wie ein Theil dieser Bildungen mit Skelettheilen höherer Wirbelthiere 
verglichen werden kann. Die nach der Richtung angeführten Bei- 
spiele verdienen um so mehr Beachtung, als in ihnen eine Reihe 
von Entwicklungsstadien sich erkennen lässt, wie wir sie zum Theil 
in der ontogenetischen Entstehung des Mundhöhlenskelets der 
Urodelen aufgefunden, zum Theil vorausgesetzt haben. Die ein- 
zelnen Entwicklungsstadien sind hierbei auf die einzelnen Wirbel- 
thierabtheilungen der Art vertheilt, dass die weiter vorgeschrittenen 
auch in der systematisch höherstehenden Abtheilung sich vorfinden. 
Den Ausgangspunkt der Entwicklungsreihe bilden die eigentlichen 
Squali in den über die Schleimhaut vertheilten, isolirt stehenden 
Zähnchen. Aus diesen haben sich durch Verschmelzung eine Anzahl 
sehr verschiedenartig beschaffener zusammengesetzter Zahnbildungen 
entwickelt, wie wir sie im Gebiss der Cestracionten und Rochen 
(Myliobates) sowie in den aufgefundenen Resten ausgestorbener 
Familien von Knorpelfischen vor uns haben. In einer Familie der 
Knorpelfische, den Holocephalen, erlangen diese Zahnbildungen durch 
Reduction ihrer Anzahl, durch Volumszunahme einzelner und durch 
-constante Lagerung eine höhere morphologische Bedeutung. Zahn- 
platten werden zu Skelettheilen. Von den Einrichtungen der Chi- 
maeren leiten weiter die Dipneusten, in sofern ihr Mundhöhlenskelet 
theils aus Zahnbildungen theils aus reinem Knochen besteht, direct 
zu den Amphibien über. 

So führt uns eine vergleichend anatomische Untersuchung zu 
einem doppelten Endergebniss. Einmal zeigt sie uns, wie in den 
verschiedenen Abtheilungen der Fische zahlreiche Thatsachen für 
eine Genese der Knochen aus Zähnen sprechen, und zweitens lehrt 
sie uns, dass sich das knöcherne Cranium der Amphibien durch eine 
Reihe von Uebergangsstufen mit Einrichtungen, welche die Knorpel- 
fische uns darbieten, verknüpfen lässt. 

In noch reicherem Maasse als durch vergleichend anatomische 
Studien wird sich, wie ich glaube, durch ontogenetische Unter- 
suchungen bei den Fischen ein ausgedehntes Material herbei- 
schaffen lassen, durch welches die Entstehung von Knochen der 
Mundhöhle durch Verschmelzung von Zähnchen nachgewiesen wird. 
Zur Zeit ist mir nur eine an Fischembryonen durch Carl Vogt!) 


1) Carl Vogt. Embryologie des Salmones. Neuchatel 1842. 


176 


gewonnene entwicklungsgeschichtliche Thatsache bekannt, welche 
sich in der Richtung verwerthen lässt. 

Carl Vogt beschreibt in seiner Embryologie des Salmones, 
dass die Mundhöhle der Forellenembryonen gegen die Zeit, wo sie 
die Eihüllen abstreifen, eine Zahnbewaffnung aufweist. Die Zähnchen, 
welche conisch und hakenförmig nach rückwärts gebogen sind, sitzen 
locker in der Schleimhaut fest und dienen zum Ergreifen kleiner 
Crustaceen. Zwei grosse Zähne liegen an der Decke der Mund- 
höhle unmittelbar hinter dem Maxillare, ein oder zwei finden sich an 
der Wurzel jeden Kiemenbogens und mehrere endlich auf dem 
Arcus pharyngeus und zwar sowohl unten als oben, so dass der 
Eingang in das Darmrohr vollständig von Zähnen umringt ist. 

Ausser dem Dentale und Maxillare sind zu der Zeit in der 
Mundhöhle keine Knochen angelegt. Wie bei den Larven der 
Urodelen, werden demnach auch bei den Forellenembryonen die 
Zähne früher gebildet. 

Durch eine an Forellenbrut von mir gleichfalls vorgenom- 
mene Untersuchung bin ich in den Stand gesetzt diese Mit- 
theilungen Vogt’s zu bestätigen und zu vervollständigen. — In ihrer 
Form gleichen die Zähnchen der Forellen ungemein den Larven- 
zähnchen der Urodelen. Wie diese, sind sie spitz zulaufende dünn- 
wandige Kegel, wie diese verbreitern sie sich an ihrer Basis in dem 
Schleimhautgewebe plattenartig. Wie dort enthält nur der obere 
Theil Zahnbeinröhrchen, der untere dagegen ist völlig homogen; 
wie dort besteht die Spitze des Kegels aus Schmelz. Gleich den 
Larvenzähnchen der Urodelen sind mithin auch die Zähnchen der 
Forellen aus drei Geweben, aus Zahnbein, Schmelz und Cement 
zusammengesetzt. Ihr Verhältniss zum späteren Skelet der Mund- 
höhle habe ich nur für das Dentale des Unterkiefers, für das 
Linguale und die Ossa pharyngea näher untersucht. Das Dentale ist 
auf dem frühesten Stadium, eine zahnlose dünne Knochenlamelle 
an der Aussenseite des Meckelschen Knorpels, demnach eine Inte- 
gumentossification. Mit ihrem oberen Rande treten die sich in der 
Schleimhaut etwas später bildenden Zähne in Verbindung, und gleicht 
sich daher die Entstehung des Dentale bei den Urodelen und Forellen 
in jeder Beziehung. Ebenso entwickelt; sich das Linguale und die Ossa 
pharyngea wie dort Vomer, Palatinum und Operculare, und habe 
ich die Vorgänge Schritt für Schritt wie dort verfolgen können. 
Einander nahe liegende Zähnchen verschmelzen mit ihren Basal- 


177 


plättchen. Neu sich entwickelnde Zähne schliessen sich bei älteren 
Larven an ihre Vorgänger an. So entstehen Zahngruppen in der 
Schleimhaut, welche durch eine dünne Knochenlamelle verbunden sind. 
Auf der knorpligen Copula des Zungenbeinbogens fand ich 
bei den jüngsten der untersuchten Forellenlarven nahe der Median- 
linie jederseits zwei ausgebildete, an der Basis verbundene Zähnchen 
und nach vorn und nach hinten von denselben je ein in der Entwick- 
lung begriffenes Spitzchen. An älteren Larven waren diese mit 
den zwei älteren in Verbindung getreten, und bestand jetzt das 
Linguale jederseits aus 4 in einer Reihe stehenden Zähnen. 

Auf dem knorpligen sechsten Kiemenbogcen beobachtete ich am 
Eingang in das Darmrohr vier Zahngruppen, von welchen zwei im 
oberen Theil, (Ossa pharyngea superiora) und zwei im unteren 
Theile des Knorpelbogens (Ossa pharyngea inferiora) nahe der 
Medianlinie lagen. An den jüngst untersuchten Larven bestand 
jede Gruppe aus etwa 3 verbundenen Zähnchen und einigen median- 
wärts von ihnen lose in der Schleimhaut liegenden unentwickelten 
Zahnspitzchen. Das Bild glich in hohem Maasse demjenigen, welches 
auf Taf. IV. Fig. 18 vom Vomer einer Axolotllarve dargestellt ist. 
An älteren Larven konnte ich wahrnehmen, wie mit diesen Gruppen 
ein viertes, fünftes und sechstes Zähnchen successive verschmolz, wie 
ein solches oftmals einen Vorsprung am Knochenblättchen bedingte!), 
wie in anderen Fällen die Basalplatte eines vollständig entwickelten 
Zahnes nur durch eine dünne Verbindungsbrücke mit der übrigen Zahn- 
gruppe zusammenhing. An den ältesten Larven, welche ich unter- 
sucht habe, waren auf diese Weise auf dem Arcus pharyngeus vier 
Knochenblättchen entstanden, deren jedes 6—8 Zähne trug. Die- 
selben sind vom Vomer oder Operculare einer Urodelenlarve (Tafel IV. 
Fig. 3 u. 13.) kaum zu unterscheiden. 

Schon aus diesen wenigen hier mitgetheilten entwicklungs- 
geschichtlichen Beobachtungen geht hervor, dass bei den Fischen die 
Zähne für die Genese einzelner Knochen (Linguale, Ossa pharyngea supe- 
riora und inferiora) dieselbe Rolle wie bei den Urodelen spielen. Eine 
bei einer grösseren Anzahl von Fischen vorgenommene Untersuchung 
wird die Anzahl dieser Beispiele voraussichtlich stark vermehren 
und wird es wahrscheinlich möglich sein, an verschiedenen Species 
für jeden einzelnen Knochen eine Entstehung aus Zahnbildungen 


1) Vergleiche Taf. IV. Fig. Au. 


Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 11, Supplementheft. 12 


178 


nachzuweisen. Somit gelangen wir durch vergleichend anatomische 
Betrachtung und durch entwicklungsgeschichtliche Beobachtung zu 
dem gleichen Resultate, dass auch das Mundhöhlenskelet der 
Knochen-Fische und Dipneusten aus Zahnplatten abzuleiten ist. 


b. Mundhöhlenskelet der Amnioten, der Reptilien, Vögel, Säugethiere. 


Bei den höheren Wirbelthieren, den Reptilien, Vögeln und 
Säugethieren, lässt sich weder in der Beschaffenheit ihres Mund- 
höhlenskelets, noch in der Entwicklungsgeschichte desselben eine That- 
sache auffinden, welche zu Gunsten einer Entstehung der Deck- 
knochen aus Zahngebilden spräche. Wenn wir von den Reptilien 
absehen, so besteht bei ihnen gar keine nähere Beziehung zwischen 
den Knochen und Zähnen, vielmehr scheinen dieselben während des 
ganzen Lebens einander völlig fremdartig zu sein. So sind bei den 
Säugethieren die Zähne, welche sich überhaupt nur auf den Kiefer- 
rändern vorfinden, lose in Höhlungen der Knochen befestigt, ohne 
innigere Verbindung; bei den Schildkröten und Vögeln fehlen endlich 
die Zähne vollständig. Wenn wir die Entwicklungsgeschichte be- 
fragen, erhalten wir dieselben negativen Resultate. Sie zeigt uns, 
dass die Deckknochen der Mundhöhle durch Verknöcherung eines 
zellenreichen bindegewebigen Stroma entstehen und dass die Zähne, 
wenn sie überhaupt vorhanden sind, erst weit später auftreten. 

Es kann daher nicht wunderbar erscheinen, dass man bis 
jetzt Knochen und Zähne als zwei einander fremdartige Bildungen be- 
trachtet hat und dass man an die Verhältnisse der höheren Wirbel- 
thiere gewöhnt und in den durch sie hervorgerufenen Vorstellungen 
befangen auch in dem Skelet der niederen Wirbelthiere die enge 
Beziehung nicht erkannt hat, in welcher hier die Zähne und die 
Knochen der Mundhöhle fast überall zu einander stehen. 

Angesichts dieser Thatsachen drängt sich uns naturgemäss die 
Frage auf: In welchem Verhältniss steht die Entwicklung des Mund- 
höhlenskelets der Wirbelthiere zu der aufgefundenen Genese des 
Mundhöhlenskelets der Amphibien? 

Die vergleichende Anatomie weist nach, wie die Knochen der 
Amphibien denjenigan der Reptilien und diese wiederum den Knochen 
der Vögel und Säugethiere homolog sind. Da nun homologe Knochen 
auf gleiche Weise einst entstanden sein müssen, so müssen wir auch 
die Knochen der höheren Wirbelthiere phylogenetisch von Zahn- 
bildungen ableiten, wenn die Knochen der niederen Wirbelthiere 


179 


diesen Ursprung haben. Wollte man für erstere eine solche Ent- 
stehung nicht einräumen, so würde man vor die Alternative gestellt 
sein, entweder die bis jetzt angenommene Homologie der einzelnen 
Skelettheile der Amnioten und der Anamnia fallen zu lassen oder 
die für letztere hier entwickelte und in mehrfacher Hinsicht be- 
gründete Genese der Schleimhautossificationen als falsch zu ver- 
werfen. | 

Aus diesem Dilemma werden wir uns retten, wenn es uns 
gelingt Gesichtspunkte aufzufinden, welche es ermöglichen die für 
die Amnioten hervorgehobenen Verschiedenheiten als secundär ent- 
standene Veränderungen aufzufassen. Da für die Genese der 
Knochen aus Verschmelzung von Zähnen ein directer Beweis sich 
hier nicht beibringen lässt, so müssen wir wenigstens einen indirecten 
Beweis zu liefern versuchen, wir müssen nachweisen, dass gegen 
die Annahme einer Genese der Knochen aus Zähnen auch für die 
Amnioten kein triftiger Einwand sich erheben lässt; dass die An- 
nahme vielmehr nothwendiger Weise Gültigkeit besitzen muss, so 
lange die Homologie der Skelettheile der höheren und niederen 
Wirbelthiere nicht widerlegt ist. 

Es tritt mithin die Aufgabe an uns heran, in Erwägung zu 
ziehen, ob und in welcher Weise sich die Verschiedenheiten, welche 
wir im Bau und in der Entwicklung des Mundhöhlenskelets und des 
Zahnsystems bei den höheren Wirbelthieren im Vergleich zu den 
niederen beobachten, von ursprünglicheren Zuständen ableiten lassen, 
ferner Momente aufzufinden, durch welche die ursprünglichen Ver- 
hältnisse verwischt worden sein können. 

Den Angelpunkt zur Lösung der vorliegenden Frage bildet 
die Erklärung der bei den Amnioten so abweichenden Beschaffenheit 
des Zahnsystems. Wenn es hier möglich ist die Verschiedenheiten 
auf frühere Zustände zurückzuführen, dann ist auch die Aufgabe, 
das Mundhöhlenskelet der höheren Wirbelthiere genetisch als Product 
von Zahnbildungen zu erklären, der Hauptsache nach gelöst. 

Die Verschiedenheiten, welche zwischen der Bezahnung der 
Amnioten und derjenigen der Anamnia bestehen, äussern sich be- 
sonders nach drei Richtungen: in der Verbreitung, in der Befestigung 
und in der embryonalen Entwicklung der Zähne. 

Was die Verbreitung der Zähne anbetrifft, so habe ich 
schon in einer früheren Arbeit die Gründe angeführt, welche uns 
die Annahme nahe legen, dass von den Selachiern an alle Wirbel- 


180 


thierelassen von Stammformen abstammen, deren ganze Mundhöhle 
einen Zahnbesatz trug. Dass diese Annahme nicht unbegründet ist, 
zeigt uns ausser den dort bereits angeführten Gründen namentlich 
eine vergleichende Betrachtung des Zahnsystems im Wirbelthierreich. 
Wir finden dann, dass bei den am niedrigsten stehenden Formen, 
den Selachiern, die ganze Mundhöhle zahntragend ist, dass bei den 
Knochenfischen die Bezahnung nur auf einzelnen Strecken, nämlich 
überall, wo Knochen sich entwickelt haben, erhalten ist. Weiter finden 
wir, dass bei den Amphibien und Reptilien eine beschränkte Anzahl von 
Knochen Zähne besitzt und dass, während bei den Fischen meist die 
ganze Knochenoberfläche von ihnen bedeckt war, hier die Zähne 
nur in einer einfachen Reihe stehen. Bei den Säugethieren sind 
nur noch die Kieferränder bezahnt, bei den Schildkröten und Vögeln 
endlich ist die Zahnbildung ganz verloren gegangen. Je mehr wir 
somit in der Wirbelthierreihe aufsteigen, um so mehr macht sich 
eine Abnahme in der Anzahl der Zähne mit gleichzeitiger Zunahme 
der Ausbildung des Einzelzahns geltend. Die Zahnstellung der 
Säugethiere bildet somit nur das Endglied einer Entwicklungsreihe, 
innerhalb deren zahlreiche Uebergangsstufen von einer vollkommenen 
zu einer sehr beschränkten Bezahnung der Mundhöhle überleiten. 
Derselbe Process, welchen ich für die Classe der Amphibien bereits 
ausführlicher geschildert habe, vollzieht sich in noch höherem 
Maasse am Zahnsystem im ganzen Stamm der Wirbelthiere, ein 
Process, der einestheils auf eine Beschränkung der Zahl der Zähne, 
andererseits auf eine höhere Ausbildung des Einzelzahns hinwirkt. 
Die vollständige Rückbildung der Zähne bei den Vögeln und Schild- 
kröten erklärt sich, wie bei Siren lacertina, aus der Entwicklung 
eines neuen Kauwerkzeuges, der Hornkiefer. 

Wie in der Verbreitung, so können wir auch in der Be- 
festigung der Zähne, vornämlieh bei den Säugethieren, nicht 
mehr das ursprüngliche Verhalten erblicken; vielmehr zeigen uns 
die niederen Thierclassen, dass die Verwachsung der Zähne mit den 
Skeletknochen der primäre, die lockere Verbindung mit denselben 
oder das Ausbleiben der Verwachsung ein erst nachträglich er- 
worbener secundärer Zustand ist. Bisher hat man das Verhältniss 
gerade umgekehrt aufgefasst, aus dem einfachen Grunde, weil man 
durch die Befestigung der Zähne bei den Säugethieren an diese 
Betrachtungsweise gewöhnt war. — Der secundäre Zustand lässt sich 
aus dem primären nicht unschwer ableiten. Da ja die Zähne auf 


181 


den Knochen durch Ersatz wechseln, und bei den sich entwickelnden 
Ersatzzähnen die Krone früher als der Sockel gebildet wird, so ist 
bei allen Wirbelthieren ein Zeitabschnitt da, in welchem der junge 
ziemlich entwickelte Zahn mit dem Knochen in keiner Verbindung 
steht, und ist hier die Möglichkeit gegeben, dass mechanische 
Momente von aussen auf ihn einwirken, und seine Verwachsung nicht 
zu Stande kommen lassen. Ueber die Art und Weise, wie an den 
Skeletknochen Alveolen zur Aufnahme der Zähne sich gebildet haben, 
darüber wird voraussichtlich ein eingehenderes Studium der so 
mannichfaltigen Befestigungsweise der Zähne bei den Reptilien uns 
Aufklärung verschäffen können. 

Es bleibt uns jetzt noch der dritte Punkt, die spät er- 
folgende embryonale Entwicklung der Zähne bei den 
Säugethieren, zu betrachten übrig. Während die phylogenetische 
Reihenfolge der Organe uns erwarten lässt, dass die Zähne früher 
als die Kopfknochen sich bilden sollten, findet hier gerade die um- 
gekehrte Reihenfolge statt. Es theilen die Säugethiere dieses ver- 
spätete Auftreten der Zähne mit den Anuren. Bei letzteren konnte 
ich die Abänderung auf ein Ausfallen der primären Zahngenerationen 
zurückführen, und war es .mir daselbst gelungen in der Form und 
Stellung der Zähne, in der Entwicklung eines provisorischen Kau- 
apparates eine Anzahl von Momenten aufzufinden, welche einen der- 
artigen Process ausser Zweifel stellten. Es ist insofern die Ent- 
wicklung der Skeletknochen und der Zähne bei den Anuren von 
hoher Bedeutung, da sie uns noch Spuren eines ausserordentlich 
wichtigen Vorgangs erkennen lässt. Wenn es erlaubt ist die Ver- 
hältnisse bei den Säugethieren nach Analogie zu beurtheilen, so 
müssen wir, wie bei den Anuren, die spät erfolgende Entwicklung 
der Zähne bei ihnen gleichfalls aus einer Rückbildung primärer 
Zahngenerationen erklären. Wie dort, so spricht auch hier die hohe 
Ausbildung der Milchzähne für eine solche Annahme. Dagegen 
müssen die Ursachen, welche die Rückbildung der primären Zähne 
bewirkt haben, bei den Säugethieren andere als bei den Anuren 
gewesen sein. Während bei diesen ein veranlassendes Moment sich 
in dem Entstehen von Hornscheiden und Hornzähnen erblicken liess, 
finde ich ein solches bei den Amnioten und vornämlich bei den 
Säugethieren in der längeren Dauer ihres embryonalen Lebens. 
Dass durch ein solches oft tiefgreifende Veränderungen in der Ent- 
wicklungsweise der Organe hervorgerufen werden, lehrt uns die 


182 


Ontogenie der höheren Thiere durch eine Fülle von Beispielen. 
Auch lässt sich ungefähr ein Einblick in die Art und Weise ge- 
winnen, wie das embryonale Leben auf die Zähne rückbildend ein- 
gewirkt haben mag. — Wenn die Ontogenese die Phylogenese re- 
capituliren sollte, so müssten bei den Säugethieren die Zähne auf 
einem sehr frühen Entwicklungsstadium in entsprechender Kleinheit 
entstehen, sie müssten während des verlängerten Eilebens häufig 
wechseln, an Grösse zunehmen und ihre Form verändern, wie dies 
in der Entwicklung der Zähne bei den das Ei früher verlassenden 
Urodelenlarven der Fall ist. Durch ein langes embryonales Leben 
müssen aber in diesem Entwicklungsgang vielfache Abänderungen 
hervorgerufen werden, 1. weil die ganze Kientwicklung eine sehr 
rasche und abgekürzte ist, 2. weil während des Eilebens die Ur- 
sachen hinwegfallen, welche bei freilebenden Thieren den Zahn- 
wechsel herbeiführen, 3. weil andere sich entwickelnde Organe das 
gegebene Dottermaterial erfordern. Alle diese Momente werden eine 
Reduction der sich ersetzenden Zahngenerationen herbeiführen können 
und werden von der Rückbildung die primären Zahngenerationen zu- 
nächst betroffen werden, da sie während des Eilebens völlig nutzlose 
Organe sind. 

Durch die angestellte Betrachtung habe ich anzudeuten gesucht, 
in welcher Weise man das Zahnsystem der Amnioten von niederen 
Zuständen ableiten kann, und habe ich zur Stütze dieser Vorstellung 
eine Anzahl Gründe beigebracht. Ich kehre jetzt zum Ausgangs- 
punkt zurück, zu der Frage, ob auch das Mundhöhlenskelet der 
höheren Wirbelthiere phylogenetisch aus dem Zahnsystem abgeleitet 
werden muss? 

Wenn wir zur Annahme berechtigt sind, dass bei den Amnioten 
die beschränkte Bezahnung durch Rückbildung herbeigeführt worden 
ist, dass die Befestigung der Zähne nicht mehr eine primäre, sondern 
eine secundäre ist und dass in der embryonalen Entwicklung die 
primären Zahngenerationen unterdrückt worden sind, so halte ich 
die Schwierigkeiten für gehoben, welche der Genese ihres Mund- 
höhlenskelets aus Zahnbildungen entgegenstehen. Die höheren 
Wirbelthiere stehen dann in der ontogenetischen Entwicklung der 
Deckknochen der Mundhöhle zu den niederen Wirbelthieren in einem 
ähnlichen Verhältniss, wie die Anuren zu den Urodelen. Die ge- 
trennte Entstehung von Knochen und Zahn erklärt sich dann aus 
denselben Ursachen , aus denen ich die Entwicklung des Pterygoids 


183 


und Parasphenoids der Urodelen und aller Schleimhautknochen der 
Anuren zu erklären versucht habe. 


Auf diesem Wege erhalten wir von der Genese der 
Schleimhautossificationen für alle Wirbelthierclassen 
eine einheitliche Auffassung. Dieselbe lässt sich kurz in 
folgende Sätze zusammenfassen: 


Die Deekknochen der Mundhöhle sind im ganzen 
Wirbelthierstamm phylogenetisch durch Verschmel- 
zung von Zähnchen entstanden. Dieser Entstehungs- 
modus wird in der Ontogenese der unteren Wirbel- 
thierclassen zum Theil noch recapitulirt, in der Onto- 
genese der höheren Wirbelthierclassen dagegen ist er 
durchgehends abgekürzt, indem Knochen auf directem 
Wegein derSchleimhaut sichbilden. In letzterem Fall 
erscheinen die ursprünglich zusammengehörigen Bil- 
dungen (Zähne und Knochen) einander von Anfang an 
ganz fremdartig zu sein, indem der ursprünglich be- 
standene Zusammenhang durch stattgehabte tief- 
greifende Differenzirung vollständig verwischt und 
aufgehoben ist. 


2. In welchem Verhältniss stehen die Deekknochen der Mundhöhle zu den 
übrigen Deckknochen des Schädels (zu den Integumentossificationen)? 


Da es uns im vorhergehenden Abschnitt gelungen ist, die Deck- 
knochen der Mundhöhle aller Wirbelthiere mit knöchernem Cranium 
von phylogenetisch älteren Bildungen abzuleiten, so liegt es nahe, 
über das Verhältniss nachzudenken, in welchem zu ihnen die übrigen 
Deckknochen des Schädels stehen. Um uns hierüber Klarheit zu 
verschaffen, müssen wir in die Entstehung der letzteren einen Ein- 
blick zu gewinnen suchen und prüfen, ob es möglich ist, sie gleich- 
falls auf einfachere Verhältnisse zurückzuführen. 

Von besonderer Wichtigkeit scheinen mir zur Aufklärung des 
vorliegenden Gegenstandes zwei Arbeiten zu sein, eine Arbeit von 
Leydig!): »Histologische Bemerkungen über den Polypterus bichir« 


1) Leydig. Histologische Bemerkungen über den Polypterus bichir. 
Zeitschrift für wissenschaftl, Zoologie v. Siebald und Kölliker. B, V. Leipzig 1859, 


184 


und eine zweite Arbeit von Williamson!): ȟber die mikroskopische 
Structur der Schuppen und Hautzähne einiger Ganoid- und einiger 
Placoidfische.« 

Die hauptsächlichsten Resultate dieser Untersuchungen, soweit 
sie unseren Gegenstand betreffen, theile ich hier im Auszug mit, 
da sie uns eine Grundlage für weitere Betrachtungen liefern. 

Durch eine vergleichende histologische Untersuchung der 
Schuppen und der Deckknochen des Schädels von Polypterus bichir 
gelangt Leydig zu dem Ergebniss, dass alle Kopfknochen desselben, 
welche ein schmelzähnliches, glänzendes Aussehen haben, wie das 
Nasale, Frontale, Parietale, die Knochen, welche die Klappe über 
dem Spritzloch bilden, die Ossa intercalaria zwischen Stirnbein und 
Vordeckel, die Schilder in der Hinterhauptsgegend, das Operculum, 
Praeoperculum und Suboperculum, die Schilder am Oberkiefer bis 
Vordeckel, die Knochenplatte an der Stelle der Kiemenhautstrahlen, 
endlich die Knochen unter dem Schultergürtel als — »Verknöche- 
rungen der Lederhaut« und zwar als »Schuppen des Kopfes 
oder Metamorphose der Schuppen« zu betrachten sind. Zu 
dieser Auffassung wird Leydig hauptsächlich durch folgende Punkte 
bestimmt. 

1) »Die Nasen-, Stirn- und Scheitelbeine decken nicht un- 
mittelbar den Knorpel des Primordialeranium, sondern zwischen 
letzterem und den genannten Knochen liegt noch eine dünne pigmen- 
tirte Haut, die sich als Lamelle vollständig abziehen lässt, und die 
man vielleicht der unter den Schuppen übriggebliebenen Lederhaut 
vergleichen und damit als Rest der nicht verknöcherten Kopfhaut 
bezeichnen darf.« 

2) Wie bei den Schuppen, so liegt auch an den Kopfknochen 
die Epidermis unmittelbar ihrer Oberfläche auf. 

3) Im histologischen Bau herrscht zwischen den genannten 
Kopfknochen und den Schuppen des übrigen Integuments die voll- 
kommenste Uebereinstimmung. 

4) Die Knochen des Kopfes haben dieselbe äusserst charak- 
teristische Beschaffenheit der Oberfläche, dasselbe schmelzähnliche 


1) Williamson. On the microscopie structure of the scales and 
dermal teeth of some ganoid and placoid fish. Philosophical Transactions 1849. 

Williamson. On the structure and development of the scales and 
bones of Fishes, Philosophical Transactions 1851. 


185 


glänzende Aussehen, welches die Schuppen auszeichnet. Ihre ober- 
flächlichste Schicht ist »ebenso wie bei den Schuppen durch Furchen 
in Tafeln zerfallen, und von homogener Beschaffenheit.« 

In dem zuletzt angeführten Punkte muss ich die Angaben 
Leydig’s ergänzen und kann ich hier zu den übereinstimmenden 
Verhältnissen, welche Schuppen und Knochen zeigen, noch ein weiteres 
ganz besonders wichtiges Merkmal hinzufügen. Leydig bestreitet 
nämlich die Anwesenheit von wirklichem Schmelz auf den Schuppen 
von Polypterus und lässt die schmelzähnliche Beschaffenheit der- 
selben dadurch entstehen, dass die oberste Lage mehr homogen ist. 
„Die äusserste Lage der Lederhaut soll nach ihm bei der Verkalkung 
zum sogenannten Schmelz werden.‘ Für die Schuppen habe ich 
schon an einem andern Ort!) nachgewiesen, dass sie einen wirklichen 
Schmelzüberzug gleich den Placoidschuppen besitzen und hierdurch 
die Reissner’schen?) Angaben bestätigt. Da nun die Oberfläche der 
Kopfknochen dieselbe schmelzähnliche Beschaffenheit wie die Schuppen 
zeigt, — eine Beschaffenheit, welche schon bei oberflächlicher Be- 
trachtung als etwas sehr Charakteristisches in die Augen springt, — so 
folgt daraus, dassauch dieKopfknochen von einer Schmelz- 
lage bedeckt sind, dass sie mithin Schmelzknochen 
sind. Diese Uebereinstimmung erscheint mir von um so grösserer 
Bedeutung als der Schmelz eine besonders charakteristische morpho- 
loigsche Bildung ist, welche sich sonst nur auf Schuppen und Zähnen 
vorfindet. 

Eine nicht minder wichtige Grundlage für die Beurtheilung 
der Genese der Deckknochen der Schädeloberfläche wird uns durch 
die Untersuchungen von Williamson gegeben, durch welche wir 
in die Entstehung von zusammengesetzteren Integumentossificationen, 
in die Entstehung von Hautknochen, einen Einblick erhalten. 

Williamson führt uns in seiner Arbeit theils von lebenden 
theils von ausgestorbenen Fischen eine Reihe von Knochenplatten 
vor, an denen sich nachweisen lässt, wie sie aus einer mehr oder 
minder innigen Verschmelzung ursprünglich isolirter placoidschuppen- 
ähnlicher Hautzähnchen entstanden sind. So bestehen die Haut- 
knochen von Macropoma wie die Basalplatte der Haifischschüppchen 


1) Ueber Bau und Entwickl. der Placoidschuppen und der Zähne der Se- 
lachier. Jenaische Zeitschr, f. Naturwiss. 1874 B. VIII. S. 346 Anmerk. 
2) Archiv f. Anat. und Physiologie v. J. Müller 1859. 


186 


aus verknöcherten sich kreuzenden Bindegewebslamellen. Mit der 
Oberfläche dieses Knochengewebes sind zahlreiche kleine zahnähnliche 
Gebilde fest verwachsen. Wie die letzteren in Form und Bau voll- 
kommen dem frei vorstehenden Theil der Placoidschuppen gleichen, 
so entsprechen die gekreuzten Bindegewebslamellen des Hautknochens 
den untereinander verschmolzenen Basalplatten der letzteren. 

Eine Modification dieser Bildung findet sich bei den Panzer- 
welsen, bei Hypostomus und bei Loricaria. Auf den Haut- 
knochen, welche die Panzerbekleidung dieser Fische zusammensetzen, 
stehen kleine zahnähnliche Spitzchen, welche aus Dentin und einem 
dünnen Schmelzüberzug gebildet sind. Diese Spitzchen sind indessen 
mit der Knochenoberfläche nicht fest verwachsen, sondern durch eine 
Art von Kugelgelenk auf niedrigen Fortsätzen der Knochenoberfläche 
vermittelst Bindegewebsfasern befestigt !). 

Von diesen Hautknochen, deren Entstehung durch Verschmelzung 
von Placoidschüppchen ziemlich klar ausgesprochen ist, lassen sich 
nun, wie Williamson gezeigt hat, durch Uebergangsstufen die 
Knochenschilder mit glatter Oberfläche anderer Ganoiden ableiten. 
Bei Dapidiusgranulosus zum Beispiel ist die Schuppenoberfläche 
nicht mit vorspringenden zahnähnlichen Spitzen sondern mit breiteren 
Höckern bedeckt. Jeder dieser Höcker enthält aber in seinem 
Innern noch eine Pulpahöhle, von welcher zahlreiche Dentinröhrchen 
ausstrahlen, so dassunsim Höcker das Aequivalent einer Placoidschuppe 
gegeben ist. Bei Megalichthys, Diplopterus und Holopty- 
chius ist die Schuppenoberfläche vollkommen glatt. Auf einem 
Durchschnitt zeigt sich indessen, wie die oberflächliche Schicht 
der Schuppen dicht beisammen stehende regelmässige Höhlungen 
enthält, von welchen nach oben und seitlich Dentinröhrchen ent- 
springen, und folgert hieraus Williamson mit Recht, dass diese 
Hautknochen aus Verschmelzung gedrängt stehender Placoidschuppen 
entstanden sind, indem jede Höhlung mit ihren Dentinröhrchen einem 
ursprünglich isolirten conischen ‚„Hautzahn‘“ entspricht. Wie schon 
bei Dapidius der Zahn zu einem Höcker geworden ist, so hat 


1) Williamson. On the structure and development of the scales and 
bones of fishes. Philosophical Transactions 1851 S. 658. 

Heinecke. Untersuchungen über die Zähne niederer Wirbelthiere. 
Zeitschrift f. wissensch. Zool. v. Siebold und Kölliker 1873, S, 587. 

Heinecke hat auf den Zähnchen des Panzers Schmelz nachgewiesen. 


187 


sich hier seine Oberfläche noch mehr verbreitert, die Verschmelzung 
mit den umgebenden Zähnen ist eine vollständigere geworden, bis 
so durch Verschmelzung uud Umwandlung die glatte Oberfläche 
entstanden ist. 

Wenn wir die Ergebnisse der beiden mitgetheilten Unter- 
suchungen zusammenfassen, so hat uns Williamson gezeigt, wie 
durch Verschmelzung von Placoidschuppen ähnlichen 
Bildungen im IntegumentzusammengesetzteKnochen- 
tafeln oder Schuppen entstehen; Leydig hat dann 
weiter dargethan, dass bei Polypterusbichirdieäussern 
Deckknochen desPrimordialeranium mit den Schuppen 
des Integumentes völlig übereinstimmen. 

Das Verdienst, diesen Befunden eine allgemeine Fassung ge- 
geben zu haben, hat sich Gegenbaur erworben. In seinem Lehr- 
buch der vergleichenden Anatomie!) betrachtet er „die kleinen 
Knochenplättchen in der Haut der Selachier als den Ausgangspunkt 
einer in den übrigen Abtheilungen reichen Hautknochenentfaltung‘ 
und lässt er ‚dieselben sich bei den Ganoiden ziemlich allgemein 
in grössere Knochenplatten umwandeln“. Ueber die Beziehung dieser 
Össificationen zu den Deckknochen des Primordialeranium äussert 
sich Gegenbaur in folgenden Sätzen: »Von besonderer Wichtig- 
keit werden die Ossificationen des Integumentes an jenen Körper- 
stellen, wo Theile des inneren Skelets an die Oberfläche treten. 
Den Knorpeloberflächen des inneren Skeletes legen sich an jenen 
Stellen Ossificationen auf, welche dem Integumente angehören, indem 
sie in demselben entstehen, ganz wie Knochentafeln an anderen 
Stellen der Körperoberfläche. Sie bilden unter bestimmter Anordnung 
erscheinende Knochenplatten, die besonders am Kopfe mit Beständigkeit 
auftreten und dort die Anfänge des knöchernen Schädels, zunächst 
des Schädeldaches vorstellen. Diese Hautknochen gehen durch Ver- 
erbung auf alle mit knöchernem Schädel versehenen Wirbelthiere 
über und verbinden sich mit Ossificationen, welche später selbst- 
ständig am Knorpelschädel auftreten. Das erste Auftreten dieses 
Verhaltens trifft sich bei den Ganoiden mit knorpligem Skelet. 
Neben den grossen Knochentafeln, die theilweise schon bei den 


l) Gegenbaur. Grundzüge der vergleich. Anat. 1870. 2. Aufl. 
S. 591—594. $. 640. 
Gegenbaur. Grundriss der vergleich. Anat. 1874. 5. 426—428. S. 469. 


188 


Teleostiern ihre oberflächliche Lagerung einbüssen, finden sich zahl- 
reiche kleinere vor, von denen der grösste Theil nicht typisch wird.“ 

Gegen die Deutung von Deckknochen des Schädels als Haut- 
knochen sind von verschiedenen Seiten Einwände gemacht worden, 
welche ich hier nicht unberührt lassen will. 

So erklärt Joh. Müller‘), dass Knochen, ‚welche irgendwo 
unter der Hautschichte liegen, nicht zu dem Hautskelet gerechnet 
werden können. Denselben Satz stellt Kölliker?) auf und findet 
noch einen weiteren Einwand darin, dass die Deckknochen des 
Schädels der Knochenfische nicht nur einen dicken Hautüberzug oft- 
mals besässen, sondern dass diese Haut auch wie bei Brama, Sciaena, 
Chaetodon, Holocanthus, Diodon ete. Schuppen und Stacheln tragen 
könne. „Wer könnte“, fügt Kölliker hinzu, ‚in einem solchen 
Falle, wo ein Stirnbein, das ganz bestimmt Belegknochen ist, von 
einer mit gewöhnlichen Schuppen versehenen Haut überzogen er- 
scheint, noch daran denken, dasselbe für einen Hautknochen, für 
eine Art Schuppe des Schädels, wie sie die Störe allerdings besitzen, 
zu halten ?“ 

Keiner dieser Einwände scheint mir bei genauerer Prüfung 
stichhaltig zu sein. Der erste Einwand, dass ein Knochen, der einen 
dicken Hautüberzug besässe, nicht Hautknochen sein könne, wird 
hinfällig, aus dem einfachen Grunde, weil im Laufe der phylogene- 
tischen Entwicklung ein oberflächlich entstandener Knochen eine 
tiefere Lage einnehmen kann. Von den gewiss sehr zahlreichen 
Ursachen, welche eine solche Verlagerung herbeiführen können, will 
ich nur eine besonders hervorheben, den Umstand nämlich, dass 
von der Oberfläche her neue nicht verknöchernde Gewebsschichten 
sich entwickeln. Ich verweise in der Beziehung auf das schon früher 
angeführte Beispiel, dass bei den Amphibien die aus gekreuzten 
Bindegewebslamellen bestehende Gewebsschicht, welche bei den 
Petromyzonten unmittelbar unter der Epidermis liegt, noch von 
einer dieHautdrüsen enthaltenden, nicht geschichteten Bindegewebs- 
lage bedeckt ist. 

Ebenso lässt es sich recht wohl erklären, wie in dem Integument, 


1) Archiv f. Anat. u. Physiologie 1845. S. CCXL, 

2) Kölliker. Allgemeine Betrachtungen über die Entstehung des 
knöchernen Schädels der Wirbelthiere. Berichte von der Königl. zoot. Anstalt 
zu Würzburg. Leipzig 1849. 


El Ze Zei 2 de 


189 


welches Hautknochen überzieht, Schuppen und Stacheln entstehen 
können. Wie die Zähne, Haare, Federn etc., sind die Schuppen 
einem Ersatz unterworfen. Auf Schuppen- und Zahngenerationen, 
welche einem Knochen Entstehung gegeben haben, und solchen, 
welche weiterhin mit ihm in feste Verbindung getreten sind, können 
Generationen folgen, welche sich nur lose mit ihm verbinden und so 
kann allmählig der Zusammenhang zwischen Knochen einerseits und 
Zähnen und Schuppen andererseits gelöst werden. 

Weitere Einwände, welche man aus der ontogenetischen Ent- 
stehung der Deckknochen herleiten könnte, lösen sich in derselben 
Weise, wie ich es bereits früher für die zahnlosen Deckknochen der 
Mundhöhle durchgeführt habe, und unterlasse ich es daher hier 
noch einmal auf die schon dort erörterten Fragen zurückzukommen. 

Da somit die gemachten Einwände sich als unhaltbar erweisen, so 
glaube ich, gestützt auf die wichtigen Untersuchungen von Leydig 
und von Williamson und im Anschluss an Gegenbaur für die 
Integumentossificationen eine ähnliche Genese wie für diejenigen 
der Schleimhaut annehmen zu müssen. Die Belegknochen der 
Schädeloberfläche aller Wirbelthiere sind phylogene- 
tisch durch Verschmelzung von Schuppenbildungen in 
gleicher Weise wie dieKnochen der Mundhöhle durch 
Verschmelzung von Zähnen entstanden. 

Ein besonderes Verhalten zeigen die so entstandenen Deckkno- 
chen am Rande der Mundhöhle. Hier vereinigen sich 
Ossificationen des Integumentes und der Schleimhaut 
zur Bildung von Skelettheilen, und so entstehen die 
Kieferknochen, welche gemischter Abstammung sind. 
Schon bei den Larven der Urodelen habe ich auf den verschiedenen 
Ursprung hingewiesen, welcher z. B. an dem Maxillare und Inter- 
maxillare der Processus nasalis einerseits und der Processus pala- 
tinus und dentalis andererseits erkennen lassen. Ein besonders 
prägnantes Beispiel liefert uns in der Beziehung das Kopfskelet des 
Lepidosteus osseus!). Hier befinden sich dem oberen Rand 
der Mundöffnung entlang eine ziemlich beträchtliche Anzahl viersei- 
tiger schuppenartiger Knochenstücke, welche an ihrem Mundhöhlen- 


1) Agassiz, Recherches sur les poissons fossiles. Atlas T.I. Vol 2. 
Taf. B' Fig. 3, Taf. B“ Fig. 9. 
Stannius, Handb. der Anatomie der Wirbelthiere S. 76. 


190 


rand und auf ihrer inneren Fläche grössere und kleinere Zähne tra- 
gen (Taf. I Fig. 1u. 2). Jedes zahntragende Knochenstück gleicht 
vollständig einer Schuppe, wie sie der Hautpanzer des Thieres ent- 
hält. Seine Oberfläche ist vollkommen glatt, spiegelnd und von jener 
eigenthümlichen Beschaffenheit, wie sienur ein Schmelzüberzug ver- 
leiht. Als Aequivalent des Maxillare anderer Wirbelthiere finden 
wir also bei Lepidosteus osseus Schuppen, welche Zähne tragen, mit- 
hin Integument- mit Schleimhautossificationen verbunden. 

Eine wie grosse Uebereinstimmung zwischen den verschiedenen 
Arten von Schleimhaut- und von Integumentossificationen im Wirbel- 
thierstamm besteht, zeigt uns eine Vergleichung derselben, welche 
ich hier für einige Fälle durchführen will. 

Wie in der Schleimhaut Gruppen von Zähnchen, so verschmel- 
zen im Integument Gruppen von Placoidschüppchen mit einander. 
Den von Zahnkegeln bedeckten Knochenplatten von Siren lacertina, 
von den Urodelenlarven und von den meisten Fischspecies entspre- 
chen die Hautschilder von Macropoma mit ihren frei vorstehen- 
den Stacheln. Den zusammengesetzten Zähnen von Myliobates und 
Cestracion und den Zahnplatten der Dipneusten und Chimären ent- 
sprechen die Knochenschilder von Megalichthys etc. An beiden 
Bildungen ist bei Betrachtung der glatten aus Schmelz bestehenden 
Oberfläche die Zusammensetzung aus verschmolzenen Zähnen oder 
Placoidschuppen nicht mehr zu erkennen, dagegen lehrt solche die 
mikroskopische Untersuchung von Durchschnitten, indem bei den 
Zahnplatten die röhrenförmige Structur, bei den Knochenschildern 
die Pulpahöhlen der ursprünglich isolirten Placoidschuppen zu Tage 
treten. 

Wie in der Schleimhaut die Ersatzzähne, so können im Inte- 
gument die Ersatzschuppen mit den Deckknochen in eine lockere 
Verbindung treten, und kann auf diesem Wege endlich sogar der 
Zusammenhang zwischen den beiderlei Bildungen so vollständig auf- 
gehoben werden, dass sie einander völlig fremdartig zu sein schei- 
nen. In beiden Fällen ist die lockere Befestigungsweise der Zähne 
und der Schuppen eine erst später erworbene secundäre. Zähne 
und Schuppen können hierbei die mannichfaltigsten Umbildungen 
erleiden. Es sind in der Beziehung den Gaumenknochen des Hechts, 
deren Zähne durch Ligamente und daher beweglich mit der Kno- 
chenoberfläche verbunden sind, die Panzerplatten von Loricaria mit 
ihren beweglichen zahnähnlichen Spitzen zu vergleichen. Den Kiefer- 


191 


knochen der Säugethiere mit ihren vom Knochen völlig abgelösten 
Zähnen entsprechen die Deckplatten des Schädels von Brama, Sciaena, 
Chaetodon etc., welche noch von einer dicken, schuppentragenden 
Haut überzogen sind. 

Wie endlich in der Mundhöhle der Zahnbesatz, so kann im 
äusseren Integument der Schuppenbesatz der Deckknochen sich ganz 
rückbilden. Dies ist bei den höheren Thieren für alle Knochen, die 
Öber- und Unterkiefer ausgenommen, der Fall. 

Der hier angestellte Vergleich wird bei eingehenderen anato- 
mischen und auch besonders entwicklungsgeschichtlichen Studien 
voraussichtlich noch weiter in Einzelheiten sich durchführen lassen. 

Die grosse Uebereinstimmung, welche die Verschmelzungspro- 
ducte von Zahn und Schuppe im Wirbelthierstamm aufweisen und 
welche aus den wenigen hier angeführten Beispielen deutlich genug 
hervortritt, wird uns nicht in Erstaunen setzen, wenn wir bedenken, 
dass Zähne und Placoidschuppen morphologisch gleich- 
werthige homologe Bildungen sind, ein Satz, den frühere 
Forscher und namentlich Gegenbaur!) aufgestellt und welchen 
ich in einer ausgedehnteren Untersuchung nach verschiedenen Rich- 
tungen zu begründen versucht habe?). 

Unter Zuhülfenahme dieses Satzes und unter Zusammenfassung. 
aller angeführten Momente gelangen wir zu einer einheitlichen Auf- 
fassung betreffs der Genese der Deckknochen des Schädels, derje- 
nigen der Mundhöhle und des Integuments. Alle Deckknochen 
des Schädels sind gemeinsamer Abstammung und fin- 
den ihre Uranlagein gleichartigen Theilen eines Haut- 
panzers, welcher einst bei den Vorfahren der Fische, 
Dipneusten, Amphibien und aller Amnioten bestanden 
hat und welcher nicht nur die Körperoberfläche, son- 
dern auch die Mundhöhle bis zum Anfang des Oeso- 
phagus bedeckt hat. Von dieser Stammgruppe, welche allen 
Wirbelthieren mit knöchernem Cranium gemeinsam ist, sind die Se- 
lachier in ihrem Schuppenpanzer nur wenig abgewichen und zei- 
sen uns dieselben daher in ihren Placoidschuppen am meisten noch 


1) Gegenbaur, Das Kopfskelet der Selachier, als Grundlage zur Be- 
urtheilung der Genese des Kopfskelets der Wirbelthiere. Leipzig. Engelmann 
1872. S. 11. 

2) Jenaische Zeitschrift f. Naturwiss. 1874 Bd. VII. 


192 


ein Abbild derjenigen Hautverknöcherungen, durch deren Conerescenz 
die Deckknochen des knöchernen Schädels entstanden sind ?). 


II. In welchem Verhältniss stehen die perichondrostotischen oder Deck- 
knochen zu den enchondrostotischen Knochen ? 


Schon in der allgemeinen Charakteristik des Amphibienschädels 
habe ich hervorgehoben, wie sich bei oberflächlicher Betrachtung 
an demselben zwei Arten von Knochen unterscheiden lassen. Von 
diesen liegen die einen dem Primordialeranium oberflächlich auf, so 
dass sie ohne dasselbe zu beschädigen entfernt werden können, 
(Deckknochen, perichondrostotische, secundäre) die anderen dagegen 
sind integrirende Theile des Primordialknorpels nnd lassen sich von 
demselben nicht trennen (enchondrostotische, primäre Knochen). Zu 
letzteren gehören das Ethmoid, das Petrosum, Quadratum, Oceipi- 
tale laterale und das Articulare der Amphibien. 

Die Deckknochen haben wir aus Theilen eines Hautskeletes 
ableiten können. Es fragt sich nun, in welchem Verhältniss stehen 
zu diesem Entwicklungsmodus die enchondrostotischen Verknöche- 
rungen, muss für dieselben eine verschiedene Genese angenommen 
werden. 

Ehe ich diesen Punkt zu beantworten suche, gebe ich zuvor 
ein kurzes Resum6 über die geschichtliche Entwicklung und den der- 
zeitigen Stand der Frage über die Bedeutung einer Eintheilung der 
Kopfknochen in secundäre und primäre. 

Für das Verständniss des knöchernen Schädels haben sich 
Duges und Jacobson kein geringes Verdienst erworben, als sie 
zuerst die erwähnten beiden Kategorien von Knochen, der eine für 


1) Wie zutreffend Gegenbaur (das Kopfskelet der Selachier als Grund- 
lage zur Beurtheilung der Genese des Kopfskelets der Wirbelthiere $. 10—23) 
die Stellung der Selachier im System der Wirbelthiere charakterisirt hat, da- 
für liefert besonders ein eingehendes Studium der Integumentossificationen einen 
schlagenden Beweis, Die Bedenken, welche Heinecke (Untersuchungen über 
die Zähne niederer Wirbelthiere. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 
v. Siebold und Kölliker. Band XXIN. 8. 587.) gegen die Folgerungen 
Gegenbaur’s über die Verwandtschaft von Zähnen und Cutisverknöcherungen 
anstellt, lassen sich in keiner Beziehung aufrecht erhalten und beruhen auf 
einer einseitigen Vergleichung und Beurtheilung. 


193 


den Schädel der Amphibien !), der andere für den Schädel der Säuge- 
thiere?) mit Bestimmtheit unterschieden. Die auf sie folgenden zahl- 
reichen anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen 
zeigten, wie an dem knöchernen Kopfskelet aller Wirbelthiere diese 
Unterscheidung sich durchführen liess, und brach sich so immer 
mehr die Ansicht Bahn, dass diese beiden Arten von Schädelknochen 
principiell von einander unterschieden seien, zumal als die histologische 
Untersuchung ergab, dass die perichondrostotischen Knochen aus 
einem bindegewebigen Blastem, die enchondrostotischen dagegen durch 
Verknöcherung einzelner Partieen des Primordialeranium in verschie - 
dener Weise sich entwickeln. Wohl am klarsten und bestimmtesten 
hat Kölliker?) für eine scharfe Trennung der verschiedenen Kopf- 
knochen sich ausgesprochen, indem er den Grundsatz aufstellte, dass 
alle Schädelknochen im ganzen Thierreich in zwei besondere und 
scharf getrennte Gruppen zerfallen, die genetisch sich von einander 
unterscheiden, sowie dass vom morphologischen Gesichtspunkte aus 
nur Deckknochen mit Deckknochen und primordiale Knochen mit 
solchen in Vergleichung gezogen werden dürfen. 

Eine unenischiedene Stellung in dieser Angelegenheit hat Hux- 
ley*) eingenommen, indem er esnoch nicht für ganz sicher gestellt 
hält, dass zwischen primären und secundären Knochen ein scharfer 
Unterschied bestände. In seinen Elementen der vergleichenden Ana- 
tomie wirft er die Frage auf: Besteht eine klare Trennungslinie 
zwischen peri- und enchondrostotischen Knochen? Entstehen be- 
stimmte Knochen primär immer aus Knorpel und andere ebenso 
bestimmt aus bindegewebiger Grundlage? Und weiter, wenn ein 
Deckknochen an der Stelle gefunden wird, welche gewöhnlich ein 
Knorpelknochen einnimmt, muss man ihn als analog und nicht als 
homolog dem letzteren betrachten? Mit anderen Worten, ist die 
histologische Entwicklung ein ebenso sicherer Zeuge für Homologie 
wie die morphologische Entwicklung ? 

Huxley giebt auf diese Fragen keine entschiedene Antwort, 


1) Duges,l. e. 

2) Jacobson, Archiv für Anatomie und Physiologie v. J. Müller 
1844. S. 36—38. 

3) Kölliker, Allgemeine Betrachtungen über die Entstehung des knö- 
chernen Schädels der Wirbelthiere. Berichte von der Königl. Zoot. Anstalt 
zu Würzburg 1849. 

4) Huxley, The elements of comparative anatomy S. 296. 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 11. Supplementheft. 13 


194 


doch ist er mehr geneigt, sie zu bejahen als zu verneinen. Es ist 
ihm sehr wahrscheinlich, dass durch die Wirbelthierclassen bestimmte 
Knochen genetisch immer enchondrostotische und andere ebenso be- 
stimmt immer perichondrostotische sind. 

Dagegen haben Gegenbaur') undnach ihm Vrolik?) dieser 
Unterscheidung die prineipielle Bedeutung abzusprechen versucht. 

In seiner Schrift über primäre und secundäre Knochenbildung 
sucht Gegenbaur den Nachweis zu liefern, »dass ursprünglich 
alle primären Knochen aus einer perichondralen Össification auf dem 
Primordialeranium entstehen und insofern Belegknochen desselben 
seien«. Erst nachdem der Knorpel einen, wenn auch nur theilweisen, 
knöchernen Ueberzug erhielt, soll die Zerstörung des Knorpels und 
die Substitution durch Knochengewebe oder die sogenannte Ver- 
knöcherung des Knorpels beginnen und soll dieser Vorgang von der 
Bedingung abhängig sein, dass der bezügliche Knorpelabschnitt von 
einer Knochenlamelle umwachsen wird. Daher sollen jene Abschnitte 
des Cranium, welche Durchtrittsstellen für Nerven etc. besitzen, 
für jene Texturveränderung die günstigsten Verhältnisse darbieten. 
»Der erwähnte Vorgang, dass anfänglich nur aus Belegknochen 
bestehende Schädeltheile erst später den von ihnen umwachsenen 
Knorpel ossifieiren lassen, verwischt nach Gegenbaur’s Ansicht 
zugleich die bisher angenommene Verschiedenheit zwischen soge- 
nannten primären (aus Knorpelossification entstehenden) und secun- 
dären (aus Bindegewebe gebildeten) Skelettheilen. Die Bezeichnungen 
(primärer und secundärer Knochen) sollen keine fundamentalen Ver- 
schiedenheiten, sondern nur bestimmte Zustände ausdrücken, die 
sich besser als Entwicklungssphasen betrachten lassen.« 

Für diese Anschauung hat Vrolik durch Untersuchung aus- 
gebildeter und junger Lachs- und Hechtschädel weiteres Beweis- 
material herbeizubringen versucht und hat er gezeigt, wie das 
Primordialeranium bei jungen Thieren von der Oberfläche, vom Peri- 
chondrium, aus verknöchert. 

Wenn die Ansicht von Gegenbaur und Vrolik richtig ist, 


l) Gegenbaur, Ueber primäre und secundäre Knochenbildung etc. 
Jenaische Zeitschrift für Mediein und Naturwissenschaft. Band Ill. 
Gegenbaur, Grundzüge der vergleich. Anatomie. 2. Aufl. S, 641. 

2) Vrolik, Studien über die Verknöcherung und die Knochen des 

Schädels der Teleostier. Niederländisches Archiv für Zoologie v. Selenka. 
Ba. I. Heft 3. 


195 


wenn zwischen primären und secundären Knochen kein Unterschied be- 
steht, indem erstere aus letzteren sich ableiten lassen, so liegt die 
Annahme nahe, dass beide auch eine gleiche Genese haben müssen, 
dass mithin auch die sogenannten primären Knochen einstmals aus 
Verschmelzung von Zähnchen oder Schuppen entstanden sind. Man 
müsste annehmen, dass die Knochen ihre ursprüngliche Beziehung 
zu Integument- und Schleimhautgebilden aufgegeben hätten und 
in die Tiefe gerückt wären, dass sie daun im Wachsthum Nerven 
und Blutgefässen folgend, einen Knorpelschwund bedingt hätten. 

Gegen die Annahme eines derartigen Substitutionsprocesses des 
Knorpels durch Schleimhaut- und Integumentossificationen lassen sich 
eine Anzahl gewichtiger Gründe geltend machen. 

1. Es ist kein einziger Fall bekannt, dass ein primärer Knochen 
/ähne oder Schuppen bei irgend einem Wirbelthiere trägt, während 
von allen Deckknochen eine enge Beziehung zu den angeführten 
Integumentgebilden in dieser oder jener Wirbelthierclasse sich nach- 
weisen lässt. 

2. Die Lage der primären Knochen ist eine derartige, dass für 
sie eine Genese aus Zähnen und Schuppen, wie für die secundären 
Knochen nicht angenommen werden kann. Denn fast alle sind von 
Deckknochen überlagert, so dass sie vollkommen erst nach Entfer- 
nung derselben zu Tage treten. 

3. Das Gewebe, in welchem die primären und die secundären 
Knochen sich entwickeln, ist ein verschiedenes. Während letztere 
durch Verknöcherung der Schleimhaut oder des Integuments ent- 
stehen und durch eine Gewebsschicht vom Primordialeranium ge- 
trennt sind und von ihm daher leicht abgelöst werden können, ent- 
stehen die primären Knochen, wenigstens bei den Amphibien, unmit- 
telbar auf dem Primordialeranium. Das Perichondrium desselben 
wird zu ihrem Periost. Da keine trennende Bindegewebsschicht zwi- 
schen der Ossification und dem Knorpel liegt, beide vielmehr con- 
tinuirlich in einander übergehen, ist eine Trennung derselben auch 
nicht möglich. 

Durch die Untersuchungen von Gegenbaur und Vrolik 
finde ich daher nur die eine Thatsache bewiesen, dass das Primor- 
dialeranium von der Oberfläche her, also zunächst perichondral ver- 
knöchert; einen Zusammenhang zwischen der perichondralen Ossifi- 
cation mit Integument- oder Schleimhautossificationen finde ich da- 
gegen durch dieselben nicht dargethan. Vrolik hebt auch aus- 


196 


drücklich hervor, dass die Worte enchondrostotisch und perichon- 
drostotisch nur das Massenverhältniss zwischen Knorpel und Kno- 
chen ausdrücken sollen. 

Die hier angeführten Gründe bestimmen mich, an der von 
Kölliker durchgeführten scharfen Trennung zwischen Deckknochen 
und Knorpelossificationen, zwischen secundären und primären Knochen 
festzuhalten. Zwischen beiden giebt es kein Uebergang. Während 
die Deckknochen aus einer Verschmelzung von Zähnen und Schup- 
pen abgeleitet werden können, ist dies für die primären Knochen 
nicht möglich. Dieselben sind vielmehr von vornherein ossifieirte 
Abschnitte des Primordialeranium und stellen sich hinsichtlich ihrer 
Genese auf eine gleiche Stufe mit den Verknöcherungen der Wir- 
belsäule, indem sie wie jene im Anschluss an eine knorplige Grund- 
lage entstehen. Auf die verschiedenen histologischen Eigenschaften 
denke ich in einer besonderen Arbeit über Knochenbildung später 
zurückzukommen. 


IV. Theorie des Schädels der Wirbelthiere. 


In den vorhergehenden Abschnitten haben wir die verschiedenen 
Gruppen von Kopfknochen betreffs ihrer Genese einer Beurtheilung 
unterzogen. Die Grundlage für dieselbe bildete die für das Mund- 
höhlenskelet der Amphibien im speciellen Theil der Untersuchung 
aufgefundene Genese. Von ihr ausgehend haben wir uns erstens 
über die Entstehung der Deckknochen der Mundhöhle aller Wirbel- 
thiere, zweitens über die Entstehung der übrigen Deckknochen des 
Schädels eine Auffassung gebildet; in einem dritten Abschnitt end- 
lich haben wir das Verhältniss der secundären zu den primären Kno- 
chen des Schädels geprüft und haben wir für letztere eine andere 
Art der Entstehung aufgefunden. Es tritt jetzt zum Schluss die 
Aufgabe an uns heran, die so erhaltenen Resultate zu einem Ge- 
sammtbild zu vereinigen, indem wir die Genese der einzelnen Kno- 
chen in ihrer Beziehung zur Genese des gesammten Kopfskelets 
einer Betrachtung unterwerfen. Hierbei muss ich nothwendiger 
Weise die Frage nach der Wirbelzusammensetzung des Schädels mit 
in den Kreis dieser Untersuchung hineinziehen. 

Seitdem durch Goethe und Oken!) zum ersten Male der 
Satz aufgestellt worden war, dass der Schädel aus einer Anzahl knö- 


1) Oken, Ueber die Bedeutung der Schädelknochen. Jena 1807. 


197 


cherner Wirbel zusammengesetzt sei, ist diese Wirbeltheorie der 
Ausgangspunkt fast für eine jede Untersuchung geworden, welche 
sich mit dem Bau des Schädels eingehender beschäftigt hat. In wie 
hohem Grade diese Theorie seit vielen Decennien den Geist der 
Morphologen gefesselt und zu stets erneuten Untersuchungen ange- 
regt hat, lehrt nicht allein eine zu grossem Umfang angewachsene 
Literatur, sondern besonders auch noch der Umstand, dass wohl je- 
der vergleichende Anatom seit Oken’s Zeit an der Lösung des 
Problems mitgearbeitet hat. 

Wenn ich in den vorhergehenden Blättern, in welchen die Ge- 
nese des knöchernen Schädels eingehender behandelt wurde, mit 
keinem Wort die Frage nach der Bedeutung der Knochen für die 
Wirbelzusammensetzung desselben berührt habe, so liegt dies daran, 
dass in der letzten Zeit die Theorie in einer den früheren Ansichten 
ganz entgegengesetzten Richtung gelöst worden ist. 

Je mehr man seit dem Erscheinen von Goethe’s und Oken’s 
epochemachenden Schriften mit der Beschaffenheit des Cranium nie- 
derer Wirbelthiere und mit der Ontogenese des Schädels bekannt 
wurde, um so grössere Schwierigkeiten stellten sich der alten Theorie 
entgegen. Anstatt dass niedere Entwicklungszustände dieselbe end- 
gültig beweisen sollten, wurde im Gegentheil mehr und mehr dar- 
gethan, dass sie in ihrer alten Form nicht mehr aufrecht zu 
halten war. 

Durch eine vergleichende Untersuchung hat zuerst Huxley!) 
die Unhaltbarkeit der Wirbeltheorie in jeder Beziehung klar bewiesen. 
In seinen Croanian Lectures kommt derselbe durch eine kritische 
Vergleichung der Schädel aller Wirbelthierclassen und durch ent- 
wicklungsgeschichtliche Thatsachen zu dem Endergebniss, dass man 
in keinem einzigen Schädelknochen eine Modification eines Wirbels 
erblicken dürfe, dass mithin das knöcherne Cranium keine Wirbel- 
zusammensetzung erkennen liesse. 

Während Huxley aber auf diesem negativen, die Wirbeltheorie 
ablehnenden Standpunkt stehen bleibt, hat Gegenbaur?) die von 
Goethe nnd Oken in richtiger Weise gestellte, aber aus Unkennt- 
niss der Thatsachen falsch beantwortete Frage: ist der Schädel nur 


1) Huxley, Elements of comparative anatomy. S. 278—303. 
2) Gegenbaur, Das Kopfskelet der Selachier: ein Beitrag zur Er- 
kenntniss der Genese des Kopfskelets der Wirbelthiere. Leipzig 1872. 


198 


ein modifieirter Theil des Axenskelets, wieder aufgegriffen und die- 
selbe, wie mir scheint, endgültig gelöst in seiner bahnbrechenden 
Untersuchung: Das Kopfskelet der Selachier als Grundlage zur Be- 
urtheilung der Genese des Kopfskelets der Wirbelthiere. Gegen- 
baur bestreitet auf der einen Seite wie Huxley, dass die Schädel- 
knochen von Wirbeln ableitbare Bildungen seien, auf der anderen 
Seite zeigt er, wie das Problem, die Vergleichung des Cranium mit 
der Wirbelsäule nur am Primordialeranium gelöst werden könne 
und wählt daher zum Untersuchungsobject den Schädel der Selachier, 
um auf breiter Grundlage die Frage zu erörtern: ist das Primor- 
dialeranium aus einer Anzahl den Wirbeln homodynamer Metameren 
zusammengesetzt. Durch einen Vergleich des Cranium mit der 
Wirbelsäule weist er nach, wie zwischen beiden eine Reihe von 
wichtigen Uebereinstimmungen besteht. Solche findet er in dem 
Umstand, 


1) dass die der Wirbelsäule zu Grunde liegende Chorda dor- 
salis einen Abschnitt des Cranium in denselben Verhältnissen wie 
an der Wirbelsäule durchsetzt, 


2) dass »sämmtliche an diessem Abschnitte austretenden Nerven 
sich mit Rückenmarksnerven homodynam verhalten«, 


3) dass »die Bogen des Visceralskelets dem Cranium angehörige 
untere Bogenbildungen vorstellen und dass diese eine Homodynamie 
mit unteren Bogen erkennen lassen«; 


4) dass auch an anderen Abschnitten der Wirbelsäule bei ein- 
zelnen Wirbelthieren in Anpassung an äussere Verhältnisse eine 
Concrescenz von Metameren eingetreten ist. 


Die Verschiedenheiten, welche das Cranium von der Wirbel- 
säule besitzt, erklärt Gegenbaur aus Anpassungen, theils aus 
der Entfaltung des Gehirns, theils aus der Beziehung zu Sinnesor- 
ganen, welche in das Primordialecranium eingebettet werden. 


Gegenbaur gelangt auf dem angedeuteten Wege zu dem 
Endergebniss, dass das Primordialeranium aus Conerescenz einer 
Summe von Wirbeln einstmals entstanden sei. Eine solche Ent- 
stehung nimmt er aber nur für den von der Chorda durchsetzten 
Abschnitt des Cranium an, in welchem auch allein die austreten- 
den Nerven mit Rückenmarksnerven übereinstimmen. Er trennt 
daher diesen Theil des Cranium als vertebralen von dem vorde- 
ren oder evertebralen, der keine Beziehung zu Wirbeln erken- 


199 


nen lässt und deutet den letzteren als secundäre vom vertebralen 
Abschnitte aus entstandene Bildung. 

Die Zahl der in das Cranium eingegangenen Wirbel bestimmt 
Gegenbaur in ihrem Minimum auf neun, indem er von der An- 
zahl der dem Primordialeranium angehörenden unteren Bogen aus- 
geht. Doch vermuthet er, dass die Anzahl der verschmolzenen Wir- 
bel wohl noch eine grössere gewesen sein muss, weil auf eine Rück- 
bildung von Visceralbogen, welche bei den Vorfahren der Selachier 
bereits stattgefunden hat, mehrfache Thatsachen hinweisen. 

Die Bedeutung der Gegenbaur’schen Untersuchung für die 
Genese des knöchernen Schädels besteht nun darin, dass in dersel- 
ben unzweifelhaft,der Beweis geliefert ist, dass die Frage nach der 
Netamerenbiäugf des Schädels von der Frage nach der Verknö- 
cherung desselben abgetrennt werden muss. Gegenbaur hat deut- 
lich gezeigt, wie die das Kopfskelet bildenden Metameren des Axen- 
skelets tief greifende Umänderungen erlitten und mit einander zu 
einer continuirlichen Masse verschmolzen sind, noch ehe die Kno- 
chenbildung am Schädel eingetreten ist. Hieraus folgt, dass kein 
einziger Schädelknochen einem Wirbel oder einem Theil eines sol- 
chen homodynam sein kann. 

Durch Verknüpfung der Resultate der Gegenbaur’schen Un- 
tersuchung und der Ergebnisse dieser Arbeit, weiche in mehrfacher 
Hinsicht an erstere sich anschliesst, glaube ich von der Genese 
des Schädels der Wirbelthiere folgende Theorie entwerfen zu können. 

Der Schädel der Wirbelthiere ist aus dem vordersten Abschnitt 
des Axenskelets durch Concrescenz einer grösseren Anzahl von Me- 
tameren hervorgegangen, zu einer Zeit, als das Axenskelet noch keine 
Verknöcherungen aufwies. Die den einzelnen Metameren zugehörigen 
unteren Dogen bilden das Visceralskelet. Durch die stärkere Entwick- 
lung des Gehirns, durch Beziehung zu Sinnesorganen und zum Ein- 
gang des Nahrungskanals hat der Kopftheil eine vom übrigen Axen- 
skelet sehr abweichende Gestaltung erhalten. Einen derartigen frü- 
hen Entwicklungszustand des Schädels, wie er in der Omtogenese der 
höheren Wirbelthiere vorübergehend auftritt, zeigen uns die Selachier. 
Ihr Schädel ist eine zusammenhängende Knorpelkapsel mit Höhlun- 
gen zur Aufnahme der Sinnesorgane, ein Primordialeranium, dessen 
Zusammensetzung aus früher getrennten Metameren nur noch aus 
dem Verhalten der austretenden Nerven und der ihm zugehörigen 
Visceralbogen erschlossen werden kann. 


‚200 


Bei den Ganoiden, Teleostiern, Dipneusten, Amphibien und 
allen Amnioten ist das Primordialeranium durch Knochenbildung in 
sehr mannichfacher Weise umgestaltet worden. 

Die Knochen des Schädels sind auf zwei verschiedenen Wegen 
entstanden. 

Ein Theil derselben lässt sich von einem Hautskelet und zwar 
von Bildungen ableiten, welche bei den Vorfahren der genannten 
Wirbelthierclassen, als Schüppchen oder Zähmchen über die gesammte 
Körperoberfläche und über die gesammte Mundhöhle bis zum Anfang 
des Oesophagus einen zusammenhängenden Panzer bildeten. Ein 
derartig wenig verändertes ursprüngliches Hautskelet besitzen noch 
jetzt die Selachier und finden wir daher schon in dieser Classe An- 
knüpfungspunkte an das kmöcherne Kopfskelet der höher stehenden 
Vertebraten. Durch Verschmelzung von Zähnen sind zunächst in der 
Mundschleimhaut Zahnplatten, durch Verschmelzung von Schuppen 
in dem das Primordialeranıum überziehenden Integument Schuppen- 
platten hervorgegangen. Durch mannichfache Umwandlungsprocesse, 
namentlich durch Rückbildung des Dentin und Schmelztheils der 
Hautossificationen und durch Weiterbildung des Cementtheils dersel- 
ben sind allmählich die Zahn- und Schuppenplatten in Knochenplat- 
ten umgeändert worden. Indem dieselben weiterhin eine tiefere Lage 
eingenommen haben, sind sie zum Primordialeranium in immer nä- 
here Beziehung getreten und sind allmählich Theile des äussern zu 
Theilen des inneren Skelets geworden. Die so entstandenen Knochen 
unterscheidet man als secundäre oder als Belegknochen des Primor- 
dialeranium (membrane bones). 

Der übrige Theil der Schädelknochen, die sogenannten primären 
oder enchondrostotischen, (cartilage bones) sind ossificirte Abschnitte 
des Primordialeranium selbst. Ihre Genese hängt mit Verknöche- 
rungsprocessen zusammen, welche das gesammte urprünglich knorp- 
lige Axenskelet betroffen und an demselben zur Entstehung der knö- 
chernen Wirbel geführt haben. 

Von dem Primordialeranium erhalten sich bei den Ammioten 
meist nur sehr geringe Reste, indem einestheils die enchondrostotischen 
Verknöcherungen an Ausdehnung zunehmen, anderntheils die Be- 
legknochen Theile des Primordialeranium, welche sie bedecken, zum 
Schwund bringen und ersetzen. 


Erklärung der für sämmtliche Tafeln gültigen 
Bezeichnungen. 


A) Bezeichnungen am Primordialeranium. 


Eth. = Ethmoidal-region. 


Or. —Orbital-region und Orbita. 
La. == Labyrinth-region. 
Oc. == Oceipital-region. 


C. M. = Cartilago Meckelii. 
C. p. = Cartilago palatina. 

C: pt. = Cartilago pterygoidea. 
C. qu. = Quadratknorpel. 


C.n. = (Cavum narium. 
S.B. = Seitlicher Schädelbalken Rathke’s. 
Ch. == Chorda. 


Ch. E. = Chordaepithel. 

Ch. S. = Chordascheide. 

K, — Knorpel. 

% — Artieulationsfläche für den Unterkiefer. 


B) Bezeichnungen der Knochen. 


1. Der enchondrostotischen (primären) Knochen. 


O.eth. = Os ethmoideum. Gürtelbein. 
OÖ. qu.— Os quadratum. 

0. quj.— Os quadratojugale. 

O. pe. =0Os petrosum. 

0.0.1.=0Os oceipitale laterale. 

Co. = Columella. 


202 


2. Der perichondrostotischen (secundären) Knochen, 
der Deckknochen. 


OÖ. i. = Os intermaxillare. 

O. m. =0Os maxillare. 

OÖ. v. =0Os vomeris. 

O0. p. =0Os palatinum. 

OÖ. pt. = Os pterygoideum. 

OÖ. vp.— Os vomeropalatinum. 
O. ptp. = Os pterygopalatinum. 
O. ps. —Os parasphenoideum. 
O.d. =0s dentale. 

O0. a. = Os angulare. 

O0. 0. =0Os opereulare. 

0. 


ar. — Os articulare. 


C. Fortsätze an Knochen. 


P. d. = Processus dentalis. 
F — Processus dentalis. 
P. n. — Processus nasalıs. 
P. p. = Processus palatinus. 
P. m. = Processus maxillaris. 


D. Bezeichnungen an den Zähnen. 


= Dentin. Zahnbein. 

= Schmelz. 

= (ement. 

Zahnsockel. 

= Pulpa. 

= Schmelzoberhäutchen. 

= Epithelscheide um die Zähne. 
= Reservezahn. 


BO VAaAnnD 
I 


E. Bezeichnungen an der Zahnanlage. 


D.K. = Dentinkeim. 

M. S. = Schmelzmembran. 
B. = Basalmembran. 
E. = Ersatzleiste. 

R. = Reservezahn. 


F. Weitere 


Er 


= 


F. 
H. 
RK. 
N 
a. 


N 


205 


Bezeichnungen. (Alphabetisch geordnet.) 


Zahnfortsatz. Processus dentalis der Knochen. 
Epithelscheide um die Zähne. 

Knorpel des Primordialeranium. 

Nerv. 

Blutgefäss. 

Nahtlinie. 
Schleimzellen. 
Hautdrüsen. 
Ostoklasten. 

foveolae Howshipianae. 
Verbindungsstrang zwischen Epithelscheide der 
Zähne und Epidermis resp. Ersatzleiste. 
Unverkalkte Stellen zwischen Zahnsockel und 
Zahnkrone. 

Ringförmige Einschnürung zwischen Zahnsockel 
und Zahnkrone an getrockneten Zähnen. 
Kugelförmige Vorsprünge an der Innenfläche 
des Dentins und an der ringförmigen Ein- 
schnürung zwischen Krone und Sockel. 
Oefinung im Zahnsockel. 

Interglobularräume im Dentin. 

Zweiter Zahnfortsatz, an welchen die Ersatz- 
zähne sich befestigen. 


U 


„Längsriefung an der Zahnoberfläche. 


Knochenkörperchen im Cement. 

Kreise durchschnittener Bindegewebsfasern. 
Löcher in der Basalplatte der Zähne. 

An den Knochenrand neu zugefügter Zahn mit 
Basalplatte. 

Vollständig ausgebildeter, mit dem Knochenrand 
noch nicht verwachsener Zahn mit Basalplatte. 
Unterer noch nicht verkalkter Theil des Zahnes. 
Zahn, dessen Spitze gebildet ist. 
Dotterplättchen. 

Knorplige Schädelbasis. 

Durch Resorption abgelöste Zahnspitzchen. 
Odontoblast. 

Innere Nasenöffnung. 


Big: 1. 


Fig. 2. 


© 


Fig. 
Fig. 4. 


Fig. 5. 
Fig. 68 


Fig. 7. 
Fig. 8. 
Fig. 9. 
Fig. 10. 
ki. 14? 
Fig. 12. 
Fig. 13 


Fig. 15. 


Fig. 16. 


Fig. 17. 
Fig. 18. 


Fie. 19. 
Fig. 20. 


Fig. 21. 
Fig. 22. 


Erklärung der Figuren. 


Tafel ll 


Eine Schuppe vom Öberkiefer von Lepidosteus osseus, von der Mund- 
höhlenseite aus gesehen. Einige Male vergr. (Nach Agassiz.) 

Vier Schuppen, wie sie in grösserer Anzahl den Oberkiefer von Lepi- 
dosteus osseus zusammensetzen, in ihrer Verbindung, von oben ge- 
sehen. ’ 
Mundhöhlenskelet eines jungen Landsalamanders von 6,2Cm. Länge, 
nach Aufhellung durch Natronlauge gezeichnet. 4fach vergr. 
Mundhöhlenskelet eines jungen Triton igneus von 4Cm. Länge, nach 
Aufhellung durch Natronlauge gezeichnet. 4fach vergr. 
Mundhöhlenskelet eines Triton cristatus. 3fach vergr. 


.Mundhöhlenskelet von Siren lacertina nach Cuvier. 
Fig. 6b. 


Vomer und Palatinum von Siren lacertina isolirt, nach Cuvier. 
Unterkiefer von Siredon pisciformis, von aussen gesehen. 2mal vergr. 
Unterkiefer von Siredon pisciformis, von innen gesehen. 2mal vergr. 
Unterkiefer vom Frosch, von aussen gesehen.. 2mal vergr. 

Dentale und Meckelscher Knorpel vom Frosch. 2mal vergr. 

Dentale vom Frosch. 2mal vergr. 

Angulare vom Frosch. 2mal vergr. 

und 14. Durchschnitt durch den Primordialknorpel an der Schädel- 
basis einer vierbeinigen Larve mit Schwanzstummel von Pelobates 
fuscus. 500mal vergr. 

Durchschnitt eines Unterkieferzahns von Mustelus laevis. Einige 
Male vergr. 

Ansicht des Primordialeranium von Siredon pisciformis von unten 
nach Entfernung der Belegknochen. Nach Friedreich und Gegenbaur. 
Isolirte Unterkiefertheile von Salamandra maculata. 2mal vergr. 
Unterkiefer einer vierbeinigen geschwänzten Larve von Pelobates 
fuscus. $mal vergr. 

Zerlegter Unterkiefer von 'Iriton cristatus. 2mal vergr. 

Skelet der Mundhöhle vom Frosch. Auf der linken Seite sind die 
Belegknochen entfernt. (Nach Parker.) 

Vomer vom Frosch. 2mal vergr. 

Vomeropalatinum von Triton ceristatus. 2mal vergr. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


{eo} 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


23. 
24. 
25. 


26. 
27. 
28. 
29. 
30. 


31. 


32. 
33. 


34. 
35. 
36. 
37. 
38. 
39. 
40. 
41. 


42. 
43, 


44. 


205 


Vomer von Salamandra maculata. 2mal vergr. 

Palatinum von Salamandra maculata. 2mal vergr. 

Skelet der Mundhöhle von Siredon pisciformis nach Friedreich und 
Gegenbaur. 

Pterygoid vom Frosch. 2mal vergr. 

Pterygoid von Triton cristatus. 2mal vergr. 

Palatinum vom Frosch. 2mal vergr. 

Parasphenoid von Triton cristatus. 2mal vergr. 

Gaumenzahnreihe mit ihren Ersatzzähnen von einem jungen 4,4 Cm. 
langen Triton igneus nach Aufhellung durch Natronlauge. 110mal 
vergr. ; 

Decke der Mundhöhle einer frisch ausgeschlüpften Axolotllarve nach 
Aufhellung durch Natronlauge. 4mal vergr. 

Unterkiefer derselben. Einige Male vergr. 

Skelet der Mundhöhle einer 3,5 Cm. langen Larve von Triton tae- 
niatus nach Aufhellung durch Natronlauge. 4mal vergr. 

Skelet der Mundhöhle von Menobranchus lateralis nach Hoffmann. 
Skelet der Mundhöhle von Plethodon glutinosus nach Owen. 

Skelet der Mundhöhle von Salamandra maculata. 2mal vergr. 
Intermaxillare von Salamandra maculata. 2mal vergr. 

Maxillare von Triton ceristatus. 3mal vergr. 

Maxillare vom Frosch. 2mal vergr. 

Intermaxillare von Triton cristatus von aussen gesehen. 3mal vergr. 
Intermaxillare von Triton eristatus, von der Mundhöhle aus gesehen. 
3mal vergr. 

Intermaxillare vom Frosch. 2mal vergr. 

Frontalschnitt durch den Schädel vom Frosch. Der Schnitt ist 
durch die innere Nasenöffnung gelegt. 2mal vergr. 

Frontalschnitt durch den Schädel vom Frosch dicht hinter der 
inneren Nasenöffnung. 2mal vergr. 


Tafel I. 


. Senkrechter Durchschnitt durch den Vomer des Frosches. 22mal vergr. 
. Senkrechter Durchschnitt durch das Palatinum von Triton. 45mal 


vergr. 


. Horizontalschnitt durch die Kieferzahnreihe vom Frosch, nahe der 


Spitze der Zähne. 45mal vergr. 


. Senkrechter Durchschnitt durch das Intermaxillare vom Frosch. 


22mal vergr. 
und 6. Senkrechter Durchschnitt durch den Vomer vom Frosch. 
22mal vergr. 


. Fast völlig entwickelter Ersatzzahn vom Froseh. Der mit blauer 


Farbe grundirte Zahnsockel ist noch nicht verkalkt. 110mal vergr. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


8. 


» DD - 


206 


In der Entwicklung begriffener Ersatzzahn vom Frosch. 110mal vergr. 
Knochenkörperchenartige Räume im Zahnbein vom Frosch (Interglo- 
bularräume). 500mal vergr. 


. Zahnbein- und Schmelzröhrehen vom Frosch. 500mal vergr. 
. Senkrechter Durchschnitt durch das Maxillare vom Frosch. 20mal 


vergr. 


. Senkrechter Durchschnitt durch das Palatinum von Siredon piseifor- 


mis. 44mal vergr. 


. Senkrechter Durchschnitt durch den Unterkiefer von Siredon piseifor- 


mis. 44mal vergr. 


. Horizontaler Durchschnitt durch die Kieferzahnreihe vom Frosch. 


Derselbe ist durch die Zahnsockel gelegt. 44mal vergr. 


. Ein Stück des Maxillare mit Zähnen von Innen gesehen. 20mal vergr. 
. Dasselbe von Aussen gesehen. 44mal vergr. 
. Frontaler Durchschnitt durch die Kieferzahnreihe des Frosches. 


44mal vergr. 


, Horizontaler Durchschnitt durch die Unterkieferzahnreihe von Sala- 


mandra mac. Der Schnitt ist durch die Zahnsockel gelegt. 44mal vergr. 


Tatelzın 


. Zahn von Salamandra maculata. 140mal vergr. 

. Zahn von Siredon pisciformis. 45mal vergr. 

. Zahn vom Frosch. 45mal vergr. 

. Senkrechter Durchschnitt durch einen Oberkieferzahn vom Frosch. 


70mal vergr. 


. Zahnanlage von Triton cristatus. 140mal vergr. 
. Senkrechter Durchschnitt durch den Oberkiefer von Siredon piseifor- 


mis. 45mal vergr. 


. Ostoklast aus dem Zahn von Siredon piseiformis. 500mal vergr. 
. Ein Stück des Operculare von Siredon pisciformis. Einige Male vergr. 
. Senkrechter Durchschnitt durch den Unterkiefer von Salamandra macu- 


lata. 140mal vergr. 


. Ostoklasten von Siredon pisciformis. 500mal vergr. 
. Epithelschicht an der Innenseite des Cements von Salamandra macu- 


lata. 500mal vergr. 


. Höhlen der Knochenkörperchen aus dem Cement des Froschzahns. 


380mal vergr. 


. Durchschnitt durch die Seitenwand eines Zahnes von Salamandra 


maculata in ihrer Verbindung mit dem Kieferknochen. 140mal vergr. 


. Stück eines Durchschnittes vom Unterkiefer von Salamandra macu- 


lata. 500mal vergr. 


. Ostoklast von dem Oberkiefer des Frosches. 380mal vergr. 
. Zahnanlage von Salamandra maculata. 500mal vergr. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig: 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


17. 


18. 


m m 


zaaoıp w 


25. 


26. 


207 


Senkrechter Durchschnitt durch das Intermaxillare vom Frosch. 
110mal vergr. 
Schmelzschichte auf dem Zahn vom Frosch. 500mal vergr. 


Tafel IV. 


Vomer von einer 2,5 Cm. langen Axolotllarve. 45mal vergr. 
Palatinum vom Pterygoid abgelöst von derselben Larve. 45mal 
vergr. 


. Opereulare von einer 1,4Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 
. Operculare von einer 1,6 Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 


Operculare von einer 0,9Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 


. Palatinum von derselben. 110mal vergr. 
. Erste Anlage des Vomer von derselben von der rechten Seite. 


110mal vergr. 

Erste Anlage des Vomer von derselben von der linken Seite. 
110mal vergr. 

Gaumenzahn einer 1 Cm. langen Axolotllarve im Durchschnitt. 
380mal vergr. 

Dentale von der Mundhöhle aus gesehen von einer 1,3 Cm. langen 
Axolotllarve. 110mal vergr. 


. Maxillare von einer 2 Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 


Intermaxillare von einer 1,3Cm. langen Axolotllarve von der Mund- 
höhle aus gesehen. 110mal vergr. 


. Vomer von derselben. 110mal vergr.j 

. Intermaxillare von derselben isolirt. 110mal vergr. 

. Palatinum mit einem Theil des Pterygoids von derselben. 110mal vergr. 
. Intermaxillare von einer 1,2 Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 
17. 
. Operculare von einer 0,9 Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 

. Vomer, Palatinum mit Pterygoid von derselben. 110mal vergr. 

.. Dentale von derselben. 110mal vergr. 

. Frontalschnitt durch den Gaumen 'einer 0,8 Cm. langen Tritonlarve, 


Vomer von derselben. 110mal vergr. 


380mal vergr. 


. Sagittalschnitt durch den Gaumen einer 0,8 Cm. langen Tritonlarve. 


380mal vergr. 


. Schnitt durch das Operculare einer 1 Cm. langen Axolotllarve. 


380mal vergr. 


. Sagittalschnitt durch die Chorda in der Schädelbasis von einer 0,8 Cm, 


langen Tritonlarve. 380mal vergr. 

Frontalschnitt durch eine Zahnanlage am Gaumen einer 0,8 Um. 
langen Tritonlarve. 380mal vergr. 

Sagittalschnitt durch den Gaumen einer 1 Cm. langen Axolotllarve. 
200mal vergr. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


27. 


28. 


29. 
. 30. 


Bl. 
. 32. 
. 33. 
. 34. 
. 35. 
36: 


37. 


208 


Sagittalschnitt durch die Ersatzleiste der Gaumenzähne einer 2,2 Cm. 
langen Tritonlarve. 200mal vergr. 

Frontalschnitt durch die Schädelbasis hinter den Augen von einer 
0,8 Cm. langen Tritonlarve. 110mal vergr. 

Unterkiefer einer Tritonlarve. Mehrfach vergr. 

Schnitt durch eine Zahnanlage des Operculare einer 0,8 Cm. langen 
Tritonlarve. 380mal vergr. 

Stück vom Dentale einer 2 Cm. langen Axolotllarve. 110mal vergr. 
Aeusserer und hinterer Rand des Vomer von derselben. 110mal vergr. 
Aeusserer Rand des Palatinum von derselben. 110mal vergr. 
Frontalschnitt durch eine Zahnanlage des Palatinum von einer 0,8 Cm. 
langen Tritonlarve. 380mal vergr. 

Frontalschnitt durch den Schädel einer 0,38 Cm. langen Tritonlarve. _ 
22mal vergr. 

Decke der Mundhöhle einer 2,5 Cm. langen Axolotllarve in Natron» 
lauge aufgehellt. Mehrere Male vergr. 

Decke der Mundhöhle einer 1,3 Cm. langen Axolotllarve in Natron- 
lauge aufgehellt. 10mal vergr. 


TYatel,V. 


. Durchschnitt durch den Unterkiefer einer 3,6 Cm. langen Tritonlarve. 


70mal vergr. 


. Durchschnitt durch den Vomer einer 5,5 Cm. langen Salamandra macu- 


lata. 70mal vergr. 


. Zahnbein mit einem Ostoklasten von einer 5,5 Cm. langen Salaman- 


dra maculata. 380mal vergr. 

Schnitt durch die Ersatzleiste des Vomer von einer Pelobateslarve 
mit 4 Beinen, deren Schwanz in Rückbildung begriffen ist. 380mal 
vergr. 

Schnitt durch den Zwischenkiefer einer Pelobateslarve mit rückge- 
bildetem Schwanz. 45mal vergr. 


. Schnitt durch den Oberkiefer einer Pelobateslarve mit Schwanzstum- 


mel. 45mal vergr. 
Durchschnitt durch einen Belegknochen (Frontale) von Siredon piscifor- 
mis. 380mal vergr. 


. Durchschnitt durch den Vomer einer Pelobateslarve mit Schwanzstum- 


mel. 45mal vergr. 


. Epidermis einer Tritonlarve von 0,8 Cm. Länge. 380mal vergr. 


Druck von Carl Georgi in Bonn, 


Fig.17 


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