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Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

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Archiv 


Mikroskopische Anatomie 


herausgegeben 
von 
v. la Valette St. George in Bonn 
und 


W. Waldeyer in Strassburg. 


Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. 


Achtzehnter Band. 


Mit 24 Tafeln und 6 Holzschnitten. 


Bonn, 
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen) 
1880. 


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Inhalt. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. Von Dr. Moritz 
Nussbaum, Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut 
zu Bonn. Hierzu Tafel I-IV. h 

Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. Von Prof. R. widddhsheid in 
Freiburg i. B. Hierzu Tafel V vn ee nerh 

Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Trrtztinär hihi: 
Von Prof. E. Neumann in Königsberg i. Pr. Hierzu Tafel VI . 

Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. II. Theil. 
Von Walther Flemming, Professor der Anatomie in Kiel. 
Hierzu Tafel VII, VIIL, IX (1, 2, 3) und 5 Holzschnitte 

Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien von een 
pellueida und Pleurosigma angulatum. Von C. Janisch, Director 
der Wilhelmshütte bei Bornum-Seesen. Hierzu Tafel X, XI, XII. 

Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. Von Dr. Conrad Keller 
in Zürich. Hierzu Tafel XIII und XIV 

Zusatz zu vorstehender Abhandlung von Oscar ek ; 

Ueber den Bau der Spinalganglien. Von Dr. Bernhard a 
I. Die Struktur der Zellen. (Aus der histologischen Abtheilung des 
physiologischen Institutes zu Berlin.) Hierzu Tafel XV 

Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. Von Prof. 
E. Neumann in Königsberg i. Pr. (Nach in Gemeinschaft mit 
Dr. G. Dobbert angestellten Untersuchungen.) Hierzu Tafel XVI 

Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz betreffend. Von 
Prof. C. Arnstein in Kasan . ae re 

Ueber Epithelregeneration und N Beie ee Von 
Walther Flemming, Professor der Anatomie in Kiel . 

Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 
III. Die Seitenorgane der Knochenfische. Von B. Solger in Halle 
a. d. Saale. Hierzu Tafel XVII . Er gr re a: 

Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. Von Prof. Heschl 
in Wien. Hierzu Tafel XVII . Me N a NER, 

Eine aufsteigende Acusticuswurzel. Von C. F. W. Roller. (Anatomi- 
sches Institut zu Strassburg, Elsass.) Hierzu Tafel XIX . 


Seite 


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Ueber die Epithelzellen des Magens. Von Dr. E. Nagy v. Regeczy. 
(Aus dem k. ungarischen physiologischen Institut zu Budapest.) 
Nebst einem Holzschnitt . 

Die Cochenille-Carminlösung. Von Dr. J ee De Adjunkt Se 
Docent am k. k. Thierarznei-Institute zu Wien : 

Ueber die Augen einiger Myriapoden. Zugleich eine te an 
Herrn Prof. Dr. V. Graber in Czernowitz. Von Dr. H. Grenacher, 
Professor der Zool. u. vergl. Anat. in Rostock. Hierzu Tafel XX 
und XXI . N > 

Ueber die centralen ee des Nena opticus. Von Dr. J. Stil- 
ling, Privatdocent der Augenheilkunde a. d. Universität Strassburg. 
(Anatomisches Institut zu Strassburg, Elsass.) Hierzu Tafel XXI 

Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. Von Dr. 
Gabriel Denissenko (St. Petersburg). Hierzu Figur A auf 
Tafel XXII A aha A ee 

Ueber das Gehörorgan der en Von Alexander Qisow, Assi- 
stenten am histologischen Laboratorium der Universität zu Kasan. 
Hierzu Tafel XXIII und XXIV 


Seite 


408 


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415 


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Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 


Von 


Dr. Moritz Nussbaum, 


Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut zu Bonn. 


Hierzu Tafel I—IV. 


Angeregt durch die Arbeiten von la Valette St. George's 
und gefördert durch sein eifrigstes Interesse entstanden die fol- 
senden Untersuchungen. Sie setzen sich zum Ziele, die Differen- 
zirung des Geschlechts histologisch zu definiren. Man wird dem- 
‚gemäss nur eine Beschreibung des Entwicklungsvorganges, keine 
experimentelle Prüfung der zahlreichen Hypothesen über die Ent- 
stehung des Geschlechts erwarten dürfen. Wir wagen nicht zu er- 
klären warum ?, durch welche äusseren und inneren Bedingungen 
das eine oder das andere Geschecht sich entwickele; glauben aber 
über den Ablauf des Vorganges selbst einigen neuen Aufschluss 
geben zu können. 

Was die Form der Darstellung anlangt, so wurde die Ein- 
theilung in Kapitel gewählt, um nicht genöthigt zu sein, Zusam- 
mengehöriges an verschiedenen Stellen vorzubringen oder Fremd- 
artiges mit einander zu vermischen. Es wird demgemäss im ersten 
Abschnitt von der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen bei den 
Batrachiern, im zweiten von demselben Vorgange bei den Teleo- 
stiern gehandelt werden; ein dritter Abschnitt beschäftigt sich mit 
den Hüllen der Zeugungsstoffe. Der vierte Abschnitt verbreitet 
sich über die Regeneration der Geschlechtsproducte; der fünfte Ab- 
schnitt betrifft das Wesen der sogenannten Leydig’schen Zwischen- 
substanz des Hodens und der homologen Bildung im Eierstock. 
In einem beschliessenden allgemeinen Theile werden die in den 
voraufgehenden mehr beschreibenden Abschnitten gesammelten 

Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 18. 1 


2 Moritz Nussbaum: 


Thatsachen unter einheitliche Gesichtspunkte geordnet und diese 
mit den frühern über unseren Gegenstand geläufigen Anschauungen 
verglichen werden. Der letzte Abschnitt wird am meisten der 
Nachsicht bedürfen, da ich bei der Fülle des zu berücksichtigen- 
den Stoffes kaum hoffen darf, den Gegenstand ausführlich genug 
oder gar erschöpfend dargestellt zu haben. 

Das Material zu meinen Untersuchungen danke ich zum 
grössten Theil der Liberalität des Herrn vonia Valette St.George. 
Herr Geheimrath von Leydig stellte mir ebenso bereitwillig die 
Vorräthe seiner Sammlung zur Verfügung. Herr Geheimrath 
Pflüger wandte mir eine grosse Zahl von Hundeembryonen zu. 
Die Herren DDr. Brock und Colasanti beschenkten mich mit 
einer Collection von Cephalopoden, die sie für meine Zwecke zu 
verschiedenen Jahreszeiten eingesammelt hatten. 


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Von der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen 
bei den Batrachiern. 


Untersucht man Eier von Rana fusca, an denen die Furchung 
eben abgelaufen ist — also etwa 20 Stunden nach der Zweithei- 
lung —, so findet man ihren Inhalt aus pigmentirten und farb- 
losen Zellen zusammengesetzt. Die farblosen übertreffen die mit 
schwarzem körnigem Pigment gefüllten Zellen um ein Bedeutendes 
an Grösse; die kleineren pigmentirten Zellen mit deutlich sicht- 
barem Kern haben, frisch in Humor aqueus gemessen, einen Durch- 
messer bis zu 32 «; die grösseren farblosen bis zu 45 u. Was an 
den grösseren hellen Furchungszellen uns von hervorragendem In- 
teresse zu sein scheint, ist ihre völlige Ausfüllung mit den charac- 
teristischen Dotterplättchen, die so dicht gelagert und von einer 
so stark glänzenden Beschaffenheit sind, dass man den Kern der 
Zelle nicht wahrnehmen kann. Hierdurch unterscheiden sich die 
Furchungszellen im Ei der Rana fusca wesentlich von denen der 
Rana esculenta; wohl sind auch bei Rana esculenta im abgefurch- 
ten Ei noch alle Zellen theils pigmentirt, theils mit Dotterplättchen 
angefüllt; allein niemals so sehr, dass man die Kerne der Zellen 
nicht erkennen könnte. In seinen Untersuchungen über die Ent- 
wicklung der Wirbelthiere gibt Remak auf Tafel IX und XI Ab- 
bildungen von Furchungszellen der Rana esculenta. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 3 


Es ist klar, dass eine derartige Beschaffenheit der Zellen, 
wie sie sich bei Rana fusca findet, dann für das Studium der Ent- 
wieklung eines Organes von Bedeutung werden kann, wenn aus dem 
embryonalen Zellenmaterial sich die einzelnen Theile nicht gleich- 
zeitig aufbauen und die Bildungszellen für das betreffende Organ 
am längsten jenen auffälligen embryonalen Character bewahren. Man 
wird, durch dies unverkennbare Merkmal unterstützt, mit grosser 
Sicherheit die Veränderungen dieses wohl abgegrenzten Zelleom- 
plexes verfolgen können. Für die Geschlechtsdrüsen ist dies nun bei 
Rana fusca in befriedigender Weise der Fall. 

Mit der fortschreitenden Entwicklung schwinden die Dotter- 
plättchen allmälig aus den Zellen und den sich bildenden Geweben. 
Man erkennt schon deutlich die Querstreifung der Musculatur, und 
noch immer steckt in allen Theilen jene Dottersubstanz, deren 
Plättehen nur langsam einen Einschmelzungsprocess erleiden. End- 
lich sind alle Theile frei und viele ganz durchsichtig geworden; 
nur in einem einzigen Complex fadenartig angeordneter, grosser 
Zellen, median zu den Wolff’schen Gängen und in dem mittleren 
Drittel der Pleuroperitonealhöhle gelegen persistiren die Dotter- 
plättehen noch. Man bemerkte diesen Zellenhaufen schon früh, 
wenn die äusseren Kiemen noch bestehen, als etwas Characteristi- 
sches; doch wird er erst recht auffällig, wenn er nicht nur durch 
die Grösse seiner Zellen, sondern auch durch den alleinigen Be- 
sitz von Dotterplättehen vor allen übrigen Gebilden des Körpers 
sich auszeichnet. Das ist etwa um die Zeit der Fall, wenn die 
ganze Larve 1,4 cm und vom Munde bis zum Ansatz des Schwan- 
zes 5 mm misst. Aus diesen nach Lage und Beschaffenheit aus- 
gezeichneten Zellen geht wie wir später zeigen werden der func- 
tionelle Theil der männlichen und weiblichen Geschlechtsdrüse 
hervor, weshalb ich für sie den Namen „Geschlechtszellen“ vorzu- 
schlagen mir erlaube. 

Die Geschlechtszellen sind meist oval und stecken wie ge- 
sagt voller Dotterplättchen. Die grössten unter ihnen messen — 
Längs- und grösster Querdurchmesser — 40 und 35 u; die klein- 
sten 35 und 24 u. Demgemäss bleiben die Zellen an Grösse nicht 
hinter denjenigen zurück, welche im eben abgefurchten Ei ange- 
troffen werden. Die kleineren gehen durch Theilung aus den 
grösseren hervor; so verlängert und verbreitert sich die primäre 
Anlage. In dieser findet sich noch eine andere Art von Zellen, 


4 Moritz Nussbaum: 


beim ersten Auftreten hell und klar, sich gleichzeitig mit der 
Theilung der Geschlechtszellen vermehrend und diese völlig um- 
wachsend. Diese zweite Art von Zellen, die in Allem mit dem 
zelligen Belag an anderen Stellen der Pleuroperitonealhöhle über- 
einstimmen, haben Kerne von 9 u Länge und 4,5 « Breite; in je- 
dem Kerne ist ein Kernkörperchen vorhanden. 

Die sogleich zu beschreibenden Veränderungen der primären 
Anlage sind durchaus typische, indem sie in derselben Reihenfolge 
an einer sehr grossen Zahl von Exemplaren in zwei aufeinander 
folgenden Jahren beobachtet wurden. Allgemein gültige Angaben 
über zeitliches Auftreten, sowie präcise Bestimmungen der Be- 
ziehungen zum Erscheinen gewisser anderer Anlagen, beispiels- 
weise der Beine, lassen sich jedoch nicht machen. Man muss von 
Tag zu Tag aus einer reichen Brut mehrere Exemplare unter- 
suchen und wird alsdann die Entwicklung der Organe in der Folge 
sich abspielen sehen, wie sie unten wird geschildert werden. Zum 
Beweise wie trüglich äussere Merkmale, führe ich Folgendes an. 
Im Winter 1877/78 zog ich zwei Bruten getrennt, von denen die 
eine gut, die andere nur kümmerlich sich nähren konnte. Unter- 
suchte ich nun die gut genährten, deren Hinterbeine schon die 
Anlage der Zehen zeigten, so fand sich in den Geschlechtsdrüsen 
dasselbe Stadium wie in den schlecht genährten, obwohl die letz- 
teren nichts weiter als jene weisslichen Höckerchen zur Seite des 
Afters, die erste nur mit der Loupe sichtbare Anlage der Hinter- 
beine, aufwiesen. Man kann also nicht mit Sicherheit bestimmen, 
welcher Zustand der Geschlechtsdrüsen bei diesem oder jenem 
Entwicklungsgrade der Larve wird gefunden werden; man ist da- 
gegen wohl im Stande anzugeben, welche Veränderung einem be- 
stimmten Zustande voraufgeht oder folgen wird. Zugleich zeigt 
aber auch der obige Versuch, welche grosse Rolle in der thieri- 
schen Oekonomie die Geschlechtsorgane spielen: das Individuum 
verkümmert wegen mangelnder Ernährung; die Geschlechtsdrüsen 
entwickeln sich weiter. 

Wenn ich nunmehr zur Schilderung der Entwicklungsvor- 
gänge in der Anlage der Geschlechtsdrüsen zurückkehrend den- 
noch auf den gleichzeitigen Entwicklungsgrad anderer Organe 
Rücksicht nehmen werde, so möge dies darin seine Begründung 
finden, dass diese relativen Beziehungen immerhin einen annähern- 
den Anhaltspunkt gewähren. Könnten wir die Bedingungen so 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 5 


genau beherrschen wie beim bebrüteten Hühnchen, so würde ihnen 
allerdings ein grösseres Gewicht beizulegen sein. 

Laich von Rana fusca, am 4. April in ein frei gelegenes Bas- 
sin abgesetzt, war bis zum 2. Mai soweit entwickelt, dass die aus- 
seschlüpften Larven bei 1,4 cm Gesammtlänge eine Rumpflänge 
von 5 mm besassen. Die Geschlechtsdrüsenanlage war 0,65 mm 
lang und 50 « breit, die Geschlechtszellen voll von Dotterplättchen, 
40:35 u bis zu 35:24 u gross und von hellen Peritonealzellen um- 
srenzt. Neben den von den bedeutend kleineren Peritonealzellen 
völlig umgebenen ungetheilten Geschlechtszellen fanden sich manche 
grössere in Theilung begriffene der Art, dass sich in die Einschnü- 
rungsstellen die Peritonealzellen eindrängten, so dass die Annahme 
berechtigt ist, es theilen sich die grossen Geschlechtszellen und 
werden alsdann durch das gleichzeitige Wachsthum der Peritoneal- 
zellen auseinandergedrängt. Dementsprechend mass die Anlage 
bei Exemplaren derselben Brut 8 Tage später 0,7 mm in der Länge 
60 «u in der Breite, die Geschlechtszellen der überwiegenden Mehr- 
zahl nach nur noch 35:24 u. Mit diesem Vermehrungsprocess 
seht der Schwund der Dotterplättehen Hand in Hand. Dies ge- 
schieht allmälig: es ist gleichsam ein Einschmelzen der Plättchen, 
die nach und nach an Zahl und Grösse abnehmen. An einigen 
Stellen liegen noch völlig mit den Dotterelementen vollgepfropfte 
Zellen, daneben andere, wo schon einige der Plättchen kleiner ge- 
worden sind; bis immer mehr und mehr das Protoplasma, der 
Kern und sein grosses Kernkörperchen frei und deutlich zu Tage 
treten, und schliesslich die ganze Dottermasse aus den Zellen 
geschwunden ist. 

Die Umwandlung geschieht bei Rana fusca so regelmässig, 
dass kein Zweifel darüber sein kann, wie sehr die Peritonealzellen 
von den Geschlechtszellen verschieden sind. Man wird wohl kaum 
daran denken, dass sie durch Abspaltung von den grossen, so 
lange noch mit den Dotterelementen ganz und gar erfüllten Ge- 
schleehtszellen entstanden seien; wir werden die Unabhängigkeit 
dieser beiden Elemente bei der Forelle noch deutlicher demon- 
striren können. Bei Rana esculenta liegen dagegen die Verhält- 
nisse weit ungünstiger, indem die Dotterelemente auch aus den Ge- 
schleehtszellen schon früh schwinden; diese also nicht zu einer be- 
stimmten Zeit die ausschliesslich den embryonalen Character tra- 
genden Theile der Larve sind. Man sieht vielmehr schon ganz 


6 Moritz Nussbaum: 


freie Geschlechtszellen, während noch die Muskeln und die Zellen 
der Wolff’schen Gänge mit Dotterplättchen angefüllt sind, so dass 
sich hier nicht mit derselben Sicherheit wie bei Rana fusca die 
Verschiedenheit der Peritonealepithelien von den Geschlechtszellen 
und die continuirliche und ausschliessliche Entwicklung des func- 
tionellen Theiles beider Geschlechtsdrüsen aus den primären Ge- 
schlechtszellen darthun lässt. 

Verweilen wir also noch vorläufig bei der Entwicklung der 
Geschlechtsorgane von Rana fusca. 

Wir constatirten vorher, dass in der Geschlechtsdrüsenanlage 
zweierlei Zellen zu unterscheiden seien, von denen beide einen 
Vermehrungsprocess durchmachen und wo dann schliesslich die 
eine Art der Zellen „Geschlechtszellen“ durch die andere Art 
„Peritonealzellen“ auseinandergedrängt und umhüllt werde. Die 
continuirliche Grössenabnahme der Geschlechtszellen, deren Grösse 
aber beständig die umgebenden Peritonealzellen um Vieles über- 
traf, ihre gleichzeitige Vermehrung ohne dass eine einzige unter 
ihnen aufgetreten wäre, in der die Dottersubstanz fehlte, während 
die Peritonealzellen schon frühzeitig frei von Dotterplättchen sich 
zeigten, dies Alles lieferte einen unzweideutigen Beweis dafür, 
dass kein Uebergang von Peritonealzellen zu Geschlechtszellen 
denkbar sei. Ein solcher Uebergang könnte ja nur in der Weise 
vor sich gehen, dass gewisse Peritonealzellen sich vergrösserten; 
da aber die Peritonealzellen frei von Dotterplättchen, so müssten 
die muthmasslich vergrösserten ebenfalls frei von Dotterplättchen 
sein, was aber durch keine Beobachtungsthatsache gestützt wird. 

Wenn nun gegen Ende Mai die Anlage der Hinterbeine bei Be- 
trachtung mit der Loupe deutlicher hervortritt und die Larven vom 
Kopf bis zum Schwanzende eine Grösse von 2,3 cm erreicht haben 
tritt ein Vermehrungsprocess der bis dahin von Dotterplättchen be- 
freiten Geschlechtszellen ein, der sich in einem Punkte von dem vor- 
her gehenden wesentlich unterscheidet. Bis dahin wurde, soweit sich 
dies überhaupt mit Sicherheit angeben lässt, jedes Theilproduet der 
Geschlechtszellen von den Peritonealzellen wie von einer Kapsel ein- 
gehüllt; von nun an findet eine Theilung der Geschlechtszellen statt, 
derart, dass die neugebildeten Zellen für eine lange Zeit innerhalb 
der sich dehnenden und von peritonealen Zellen gebildeten Kapsel 
zusammenliegen bleiben und in der Kapsel eine Reihe von Verände- 
rungen durchlaufen. In Fig. 4und5 Tafel I sind beginnende Kern- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 7 


theilungen der Geschlechtszellen nach einem Alkoholpräparat darge- 
stellt. Es wurden absichtlich aus dem zerzupften Schnitt solche Zellen 
als Vorlage für die Zeichnungen benutzt, an denen die äussere Hülle 
eingerissen und namentlich in Fig. 5 mit ihren Kernen h zu erkennen 
ist. An frischen Zerzupfungspräparaten Fig. 7, gewonnen vom eben ge- 
tödteten Thier und entweder in Humor aqueus erwachsener Frösche 
oder ganz farblosem Jodserum untersucht ist die Hülle mit ihren 
Kernen nicht zu erkennen. Ueberhaupt haben die einzelnen Bestand- 
theile der Zellen in frischem überlebendem Zustande ein so gleich- 
artiges Liehtbrechungsvermögen, dass man erst nach einiger Zeit den 
Zellkern und noch später das Kernkörperchen wahrnimmt. In Fig. 6 
und 8 sind mehrfache Theilungen der primären Geschlechtszellen 
nach frischen Präparaten gezeichnet. Fig. 9, 10, 11 und 12 stellen 
gleich alte Theilungsstadien, in absolutem Alkohol gehärtet dar. 
Durch den absoluten Alkohol wird vorwiegend das Zellprotoplasma 
getrübt, das am frischen Präparat ganz homogen erscheint; indem 
sich dieses nun gleichzeitig etwas contrabirt, lässt es die umge- 
bende Hülle mit ihren Kernen deutlich hervortreten (vergl. Fig. 9, 
10, 11 und 12). Einige Tage später werden auch die Kerne der 
Zellen in den Kapseln an frischen Präparaten granulirt; die Gra- 
nulirung nimmt mehr und mehr zu und wenn man nun einem fri- 
schen Präparat absoluten Alkohol zusetzt, so schrumpfen die Kerne 
und nehmen die in Fig. 14 wiedergegebene grobgranulirte Con- 
figuration an!). Zugleich ist nicht zu verkennen, dass im Zell- 
protoplasma weniger grob gerinnende Substanz mehr vorhanden 
ist; der Zellenleib sieht wie leer aus. 

Fig. 13 und 14 (Alkoholpräparate) stellen nur einen kleine- 
ren Theil einer ganzen Kapsel mit ihrem Inhalt dar; doch lässt 
sich aus Figur 14 durch Vervollständigung der Umgrenzungslinie 


1) Bei Tritonen tritt in diesem Stadium eine netzartige Anordnung der 
festen Kernbestandtheile ein, wie sie im Verlauf der Zelltheilung bisher an 
vielen Objecten beobachtet wurde. Bei Rana fusca ist das Phaenomen nicht 
deutlich; von Rana esculenta findet sich ein solcher Kern in Fig. 93 dargestellt. 

Man vergleiche die Untersuchungen Flemming’s (Dieses Archiv Bd. 
XVI pag. 302, Tafel XV—XVIII) und die ebendaselbst gegebene literarische 
Uebersicht, zu der mir die Bemerkung gestattet sei, dass Leydig im Jahre 
1864 (vom Bau des thierischen Körpers pag. 14), also vor Fromann, eine 
balkenartige Structur in Kernen des Unterhautbindegewebes von Tritonen- 
larven beschrieben hat. 


8 Moritz Nussbaum: 


zu einem Kreise die Grösse einer solchen Kapsel construiren. In 
Figur 14 hatten alle Zellen den gleichen, eben beschriebenen Ha- 
bitus. In Figur 13 ist bei x eine Zelle noch nicht soweit vorge- 
schritten, indem sie noch den Character des in Fig. 12 wiederge- 
gebenen, der Zeit nach voraufgehenden Stadiums trägt. Die Hülle 
mit ihren Kernen bei h ist in beiden Fällen deutlich zu erkennen; 
sie leitet sich, wie hier nochmals wiederholt sein mag, von den 
Peritonealzellen ab. An Grösse sind die in den Kapseln vereinig- 
ten Theilstücke der primären Geschlechtszellen alle gleich, ihre 
Kerne sind in frischem Zustande rundlich, im Durchmesser 9,6 u 
bis 10 u gross. Die Kerne der Hülle sind von länglich eiförmiger 
Gestalt S «u lang und 4 u breit. 

Inzwischen haben sich die Hinterbeine der Larve deutlich ent- 
wickelt und gegliedert. An den Kernen der in den kugligen oder läng- 
lichen Kapseln eingeschlossenen Theilstücke der primären Geschlechts- 
zellen geht nun eine eigenthümliche Wandlung vor sich, wie sie von 
la Valette St. George vor einiger Zeit schon von den Spermato- 
gonien, den Samenmutterzellen in den Hodenschläuchen erwachsener 
Thiere geschildert hat. Man darf vermuthen, dass jene bei von la 
Valette St. George „trauben- oder maulbeerförmig‘“ genannte Thei- 
lung des Kernes in den funetionellen Theilen der Geschlechtsdrüsen 
ungemein weit verbreitet vorkommt, da sie von unserem Autor 
nicht allein bei Amphibien (ef. Archiv für mikroskopische Anatomie 
Bd. XII, Tafel 34 Fig. 8; Tafel 35 Figg. 35, 36°, 42, 43, 44 und an- 
deren) als regelmässig vorkommendes Stadium in der Entwicklung 
der Samenfäden abgebildet, sondern auch (Archiv für mikrosko- 
pische Anatomie Bd. XV, Tafel 19, Figur 133) gelegentlich beim 
Menschen und (l. e. Tafel 17 Fig. 80) der Ratte aufgefunden wurde. 
Wir werden nun zeigen können, dass dieselbe Veränderung nicht 
allein in den allerfrühesten Entwicklungsstadien der Geschlechts- 
drüsen beider Geschlechter, sondern auch bei der Neubildung der 
männlichen und weiblichen Geschlechtsproduete erwachsener Am- 
phibien eine grosse Rolle spielt. In den Hoden von Reptilien, 
Fischen und Cephalopoden haben sich zuweilen ähnliche Formen 
nachweisen lassen, unter dem Eierstocksepithel des Hundes habe 
ich öfter Derartiges beobachtet. 

Während die bis hierher geschilderten Veränderungen in den 
Geschlechtsdrüsen der Amphibien sich für die Untersuchung in 
vortheilhaftester Weise bei Rana fusca abspielten, indem die An- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 9 


lage sich durchaus gleichmässig entwickelte, dürfte sich für die 
Untersuchung des maulbeerförmigen Kernstadiums am meisten das 
vordere Ende der Geschlechtsdrüsenanlage von Bufo einereus em- 
pfehlen. Hier sind alle in einer Kapsel enthaltenen Zellen in dem- 
selben Stadium; nur einige haben noch den grobgranulirten Kern 
wie in Figur 14. Die meisten Zellen zeigen jenen traubenförmig 
oder maulbeerförmig zerklüfteten Kern, wie es aus einem feinen 
in Alkohol erhärteten Schnitt in Fig. 17a dargestellt ist. Auch 
jetzt noch ist das Protoplasma der Zellen nur wenig getrübt; aber 
auch die Kerne sind heller geworden, genau so wie sie von la 
Valette St.George in überaus getreuer Weise vom „Hodeneierstock“ 
des erwachsenen Thieres dargestellt hat. Es scheint, dass die Zel- 
len sich stark mit Wasser imbibirt haben, und dass daher sich ihr 
geblähter Zustand erklären liesse. Denn wenn man die Geschlechts- 
drüsenanlage nur mit einem kleinen zugehörigen Theile des Rum- 
pfes in den absoluten Alkohol einlegt, so sind namentlich an den 
peripheren Schichten des Organes, wo der Alkohol energisch ein- 
wirken konnte, die Grenzen der einzelnen Zellen verwischt. Man 
erhält alsdann Bilder wie in Fig. 17b. Die Kapsel hat sich weit 
von dem Inhalt zurückgezogen, und scheinbar regellos liegen in 
dem Centrum, von einem kleinen Hof körnig geronnenen Proto- 
plasmas umgeben, die Kerne. Hat man dagegen die ganze Larve, 
die um diese Zeit schon die Hinterbeine besitzt, lebend in Alko- 
hol gebracht und untersucht nach 4 bis 5 Stunden, so ist die Was- 
serentziehung in den Geschlechtsdrüsen keine so energische und 
man kann ganz wohl die Grenzen der Zellen und die eigenthüm- 
liche Configuration der Kerne erkennen. Im frischen Zustande ist 
es schwer Zellgrenzen aufzufinden; es ist dagegen leicht die maul- 
beerförmigen Kerne zu isoliren. Von derGrösse der Kapseln möge Fig. 
16 aus dem unteren Abschnitt der Geschlechtsdrüsenanlage von 
Bufo ein. nach einem Alkoholpräparat mit der Camera lucida bei 
Zeiss CC, Oec. III gezeichnet eine Vorstellung geben. Dieselben 
sind meist länglich und stossen durch wenig Zwischensubstanz von 
einander getrennt, dicht an einander. Figur 17a ist bei Zeiss F, 
Öe. I gezeichnet; der Schnitt hat das in Alkohol gehärtete Prä- 
parat so getroffen, dass nur eine kleine Scheibe einer grösseren 
Kapsel zur Darstellung kam. So liegen nun die Zellen mit den 
vielfach eingekerbten Kernen ohne Zwischenlagerung anderer Ele- 
mente in ihren Hüllen, und dasselbe lässt sich von den Geschlechts- 


10 Moritz Nussbaum: 


drüsenanlagen anderer Batrachier aussagen. In der Geschlechts- 
drüsenanlage aller Larven von Rana fuseca und esculenta, Peloba- 
tes fuscus, Alytes obstetricans, auch in dem eigentlichen, unteren 
Geschlechtsdrüsentheil von Bufonen liegen in den Kapseln von 
Exemplaren mit deutlich gegliederten Hinterbeinen nur die bisher 
beschriebenen Formen, allerdings meist aus den in Figg. 12, 14, 
17a dargestellten gemischt. 

Aber es ist sicher, dass an allen diesen Objeeten die maul- 
beerförmige Kerntheilung in allen Zellen Platz greift; nur ist die 
Umbildung keine so gleichzeitige als im vorderen verdickten Ende 
der Geschlechtsdrüsenanlage von Bufo einereus. Bombinator igneus 
habe ich im Larvenzustande nieht untersuchen können; doch glaube 
ich behaupten zu dürfen, dass auch bei diesem Thier sich Aehn- 
liches finden wird. Man wird diesen Schluss nicht zu gewagt fin- 
den, wenn man bedenkt, dass von la Valette St. George im 
Hoden erwachsener Bombinatoren dieselben Bildungen gefunden 
hat, und sich nunmehr herausgestellt hat, dass diese so überaus 
characteristische Kerntheilung bei allen den übrigen Larven wie- 
dergefunden wurde, wo sie im erwachsenen Thier bis jetzt im 
Hoden bekannt geworden war. 

Die maulbeerförmige Kerntheilung leitet nun eine höchst wich- 
tige Veränderung in den Geschlechtsdrüsen ein. Wie man aus 
den mitgetheilten Figuren leicht ersehen kann, sind die einzelnen 
Theilstücke klein und bleiben es auch zum grössten Theil. Nur 
ein einziger Kern vergrössert sich und wird dadurch zu einer 
Vorstufe der männlichen oder weiblichen Zeugungskeime; die übri- 
gen Kerne treten an die Peripherie und erzeugen auf diese Weise 
eine epitheliale Hülle der Keimzelle, welche beim Ei schon lange 
den Namen Follikelepithel führt; bei der Ursamenzelle, der „Sper- 
matogonie‘‘, dagegen von von la Valette St. George „Follikel- 
haut“ genannt worden ist. Das Protoplasma der Zelle folgt nicht 
sogleich dem sich gleichsam überstürzenden Theilungsvorgang des 
Kernes; es theilt sich erst später, wie dies ja auch bei der ge- 
wöhnlichen Zweitheilung von Zellen zu geschehen pflegt. Nur ist 
bei der maulbeerförmigen Kerntheilung der Vorgang kein so augen- 
fälliger, da bei dem vollständigen Auseinanderweichen der Kern- 
theilstücke jeder neue Kern nur mit einem winzigen Protoplasma- 
mantel bedacht wird (vergl. von la Valette St. George, Archiv 
für mikroskopische Anatomie, Bd. XII pag. 802). 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 11 


Wir sind hier an einem Punkte angelangt, die Bildung des 
epithelialen Ueberzuges der Keimzellen betreffend, welcher eine 
eingehende Besprechung und Kritik verlangte. Doch bitte ich 
vorläufig mit mir die weitere Entwicklung zu verfolgen, um später 
bei der Betrachtung der Verhältnisse im erwachsenen Thier darauf 
einzugehen. 


Bisher war die Anlage der Geschlechtsdrüsen ganz indiffe- 
rent; bei allen untersuchten Larven fanden sich dieselben Zustände, 
die sich somit als die ersten Entwicklungsstufen der männlichen 
oder weiblichen Keimdrüse präsentiren. Von nun an bleibt es 
nicht bei dieser anfänglichen Gleichförmigkeit; jedes der beiden 
Geschlechter hat einen nun folgenden, specifisch männlichen oder 
weiblichen Entwieklungsmodus, der auch später bei der Neubil- 
dung von Geschlechtsstoffen derselbe bleibt. Doch gehen auch im 
erwachsenen Thier wie in der Larve den specifischen Entwicklungs- 
stufen wiederum indifferente, beiden Geschlechtern gemeinsame 
Stadien vorauf. 


Betrachten wir zuerst die weitere Entwicklung der indiffe- 
renten Anlage zu einer weiblichen Keimdrüse, so empfiehlt sich 
hierzu, wie für die direet voraufgehenden Umformungsprocesse, am 
Meisten das vordere Ende der Geschlechtsdrüsenanlage von Bufo 
einereus. 


‘* Ueber dieses Organ hat von Wittich (Zeitschrift für wissen- 
schaftliche Zoologie Bd. IV pag. 158) schon ausführlicher berichtet, 
indem er sagt, dass „jener obere Theil sich schon äusserst früh- 
zeitig zu einer vollkommen weiblichen Geschlechtsdrüse bei allen 
Larven entwickelt. Schon in sehr frühen Zeiten finden wir sowohl 
bei den sich zu Männchen, wie bei den sich zu Weibehen ausbil- 
denden Thieren in dieser vorderen Anschwelluug mit Dottermasse 
und Eikapseln umgebene Keimbläschen mit ihren Fleeken.“ Die 
einzelnen Details des Entwicklungsmodus wurden von Wittich nicht 
in den Kreis der Beobachtungen hineingezogen. Bei erwachsenen 
Männchen wurde das Organ zuerst von Jacobson!) als rudimen- 
tärer Eierstock, an der Spitze des Hodens gelegen, beschrieben 


1) Jacobson: Det kongelige Danske Videnskabernes Selskabs Natur- 
videnskabelige og mathematiske Afhandlinger. Tredie Deel 1828 (nach v. 
Wittich eitirt). 


12 Moritz Nussbaum: 


und späterhin von Bidder!), von Wittich?), Leydig°), von 
la Valette St. George*t) und Spengel?’) genauer unter- 
sucht; von Wittich und Spengel wiesen sein Vorkommen auch 
bei erwachsenen Weibehen nach. Der Inhalt dieses rudimentären 
Eierstocks oder „Hodeneierstocks“ besteht aus Eiern, die nicht zur 
vollständigen Entwicklung gelangen. Wer einwenden wollte, dass 
dieses immerhin zweifelhafte Organ nicht zum Studium der Ei- 
entwicklung benutzt werden dürfe, möge berücksichtigen, dass 
die wahren Eier nach demselben Gesetz und genau in derselben 
Weise wie diese in einen Follikel eingeschlossenen, Dotter und 
Membrana granulosa aufweisenden Gebilde sich entwickeln. Nur 
ist es an anderen Stellen schwieriger den Process zu verfolgen, 
weil die Entwicklung nicht so gleichmässig und auch die Be- 
schaffung des Materials schwieriger ist, indem der vordere Ab- 
schnitt der Krötengeschlechtsdrüsen weit eher zur Entwicklung 
kommt als die eigentlichen Geschlechtsdrüsen. Was von la Va- 
lette St. George (Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XII 
pag. 808) vom Organ des erwachsenen Thieres gesagt hat, unter- 
schreibe ich für die Bildungsstadien in der Larve. 

Wir betrachten also wiederum die Entwieklung des rudimen- 
tären Ovarium bei Krötenlarven mit deutlich gegliederten Hinter- 
beinen. Einige Tage nach der maulbeerförmigen Kerntheilung der 
Zellen in den Kapseln beginnt wie gesagt eine Vergrösserung eines 
Kerntheilstückes und ein rapides Wachsthum des zugehörigen 
Protoplasmas, während die übrigen aus der Theilung hervorge- 
henden Kerne klein bleiben und, an die Peripherie der von nun 
an Keimzelle zu nennenden mittleren Zelle rückend, mit ihrem 


1) Bidder: Vergleichende anatomische und histologische Untersuchungen 
über die männlichen Geschlechts- und Harnwerkzeuge der nackten Amphibien; 
Dorpat 1846. 

2) von Wittich: Beiträge zur morphologischen und histologischen Ent- 
wicklung der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der nackten Amphibien. Zeit- 
schrift für wissenschaftliche Zoologie 1853 pag. 125. 

3) F. Leydig, Anatomisch-histologische Unteruschungen über Fische 
und Reptilien, Berlin 1853. 

4) von la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper 
4. Mittheilung; Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XII, pag. 797. 

5) J. W. Spengel: Das Urogenitalsystem der Amphibien. I. Theil. 
Der anatomische Bau des Urogenitalsystems; Arbeiten aus dem zoologisch- 
zootomischen Institut in Würzburg. III. Bd., pag. 1. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 13 


erstarrenden Protoplasma eine epitheliale Hülle um die Keimzelle 
bilden. Die äussere, von uns Kapsel genannte und von den Perito- 
nealzellen abgeleitete Umhüllung;, schliesst sackartig eine grosse Zahl 
von Keimzellen mit dem zugehörigen Follikelepithel ein. Die Keim- 
zellen wachsen; der Kern, den wir von nun an Keimbläschen nen- 
nen wollen, erhält mehrere Keimfleeke, die sich in der Folge noch 
vermehren. Das Protoplasma des Eies, denn dieses ist im vorlie- 
senden Falle die sogenannte Keimzelle, wird immer mehr und 
mehr von Körnchen getrübt: es bildet sich der Dotter. Nicht in 
allen Eizellen ist nur ein einziges Keimbläschen enthalten; man 
findet zuweilen zwei bis drei darin. Mit dem Wachsthum der Ei- 
zellen geht nun ein Vorgang Hand in Hand, den zuerst Pflüger 
in seinem grossen Werke: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere 
und des Menschen, beschrieben hat. Von der Kapsel schieben sich 
feine Fortsätze zwischen die im Inneren gelegenen, von ihrem 
Follikelepithel schon umhüllten Eizellen vor und trennen diese 
von einander; so dass noch bevor die Vorderbeine der Larven 
deutlich sichtbar geworden sind, jedes Ei von einer bindegewebi- 
gen Hülle, die nun auch vaseularisirt wird, umschlossen ist. In 
Figur 18 ist ein Stadium dargestellt, wo noch eine gemeinsame 
Kapsel die schon vom Follikelepithel umgebenen Eizellen einschliesst. 
Figur 19 gibt ein Bild von einem Ei mit mehreren Keimbläschen; 
Figur 20 von zwei Eiern in einer Follikelmembran eingeschlossen. 
Figur 21 und 22 stellen Eier dar aus der gemeinsamen Kapsel 
mit dem zugehörigen Follikelepithel isolirt. Das Vorkommen von 
solchen Eiern gleichzeitig mit den in Figur 19 wiedergegebenen 
macht es wahrscheinlich, dass noch Theilungen von Eiern vor- 
kommen, die schon mit einem Kranz von Follikelepithelien ver- 
sehen sind, und dass die aus der Theilung hervorgehenden defi- 
nitiven Eier dann entweder, wie es die Regel ist, vollständig durch 
die später hinzukommende Follikelmembran isolirt werden, oder, 
wie es bei Figur 20 der Fall, in einem Follikel vereint liegen 
bleiben. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass von vorn- 
herein getrennte Eier von einer gemeinschaftlichen Follikelmem- 
bran umgeben werden. Jedenfalls ist es nicht gar zu selten, dass 
bei erwachsenen Thieren zwei und mehr Eier in einem Follikel 
angetroffen werden. 

Selbstverständlich finden sich im Laufe der fortschreitenden 
Entwicklung neben ausgebildeten Eiern auch noch Entwicklungs- 


14 Moritz Nussbaum: 


stadien derselben. Dies gilt in weit höherem Maasse von den 
eigentlichen Eierstöcken der Batrachier als von dem rudimentären 
Övarium der Kröten. Stets liegen die jüngeren Stadien der Ober- 
fläche näher, so dass das von Pflüger aufgestellte Gesetz über 
das Fortschreiten der Eientwicklung von der Peripherie gegen das 
Centrum zu auch bei den Batrachiern bestätigt wird. Die Erken- 
nung der Entwicklungsstadien als solcher ist aber nicht schwierig, 
weil vom ersten Beginn der Bildung bis zum Aufhören der Zeu- 
gungsthätigkeit, abgesehen vom ersten Stadium — der embryona- 
len Zelle —, sich für die Neubildung von Eiern stets derselbe 
oben beschriebene Bildungsmodus wiederholt. Wir werden weiter 
unten zeigen können, dass die einzelnen Stadien der Entwicklung 
bei zeugungstähigen Amphibien sogar streng auf die einzelnen 
Jahreszeiten vertheilt sind und dabei die Reihenfolge einhalten, in der 
die Entwicklungsstadien der ersten Eier nach einander auftraten. 

Hiermit will ich vorläufig die Bildungsgeschichte des Eies 
bei den Anuren abschliessen, und indem ich die Bildung des Fol- 
likelepithels und die von Goette entwickelte Lehre von der Ent- 
stehung des Eies durch Verschmelzung mehrer Zellen einer ein- 
gehenden Besprechung im allgemeinen Theil aufbewahre, mit 
wenigen Worten die wesentlichsten Resultate der Untersuchung zu- 
sammenstellen. 

Die Eier der Batrachier bilden sich aus einer beschränkten 
Anzahl embryonaler Zellen — Geschlechtszellen —, deren Deri- 
vate nach vielfachen Theilungen und Veränderungen ihres Aus- 
sehens in grossen Säcken beisammen liegen und von denen jedes 
mindestens zu einem Ei mit dem zugehörigen Follikelepithel sich 
ausbildet. Die Sonderung der Amphibieneier in einzelne Follikel 
geschieht durch die Wucherung jener vorhin erwähnten Säcke, 
deren Zellen sich von dem Peritonealepithel ableiten. 

Für die Schilderung des Entwicklungsganges in der Geschlechts- 
drüsenanlage, der zur Ausbildung von Hoden führen wird, haben 
wir auf das in Figur 17a dargestellte Stadium zurückzugehen. Alle 
früheren Stadien, dieses eingeschlossen, sind eben beiden Ge- 
schlechtern gemeinsam. Von dem Zustande der maulbeerförmigen 
Kerntheilung der zu grösseren Gruppen vereinigten und wie ge- 
sagt von Kapseln umschlossenen Zellen geht die Anlage direet in 
den functionellen Theil der männlichen Geschlechtsdrüse dadurch 
über, dass wiederum, wie beim Ei, ein Theilstück des maulbeer- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 15 


förmigen Kernes im Wachsthum den übrigen vorauseilt und ebenso 
von einer grösseren Menge Protoplasma umgeben wird. Die übri- 
gen Kerntheilstücke bleiben klein und bilden die Follikelhaut, 
indem sie sich epithelartig um die mittlere Zelle, die Spermato- 
gonie, gruppiren. Die Spermatogonien haben ein beschränkteres 
Wachsthum als das Ei. 

Die definitive Gestaltung der männlichen Drüse hängt nun 
noch von zwei Bildungsvorgängen ab. Erstens werden die grossen 
Kapseln durch arkadenartige Einstülpungen von der Aussenfläche 
her in kleinere Abtheilungen zerlegt, welche zu Hodenampullen 
oder Hodenschläuchen werden. Während nämlich im Stadium der 
maulbeerförmigen Kerntheilung die Kapseln gross und rundlich 
oder länglich sind, lassen sich aus den Hoden junger, zu Anfang 
August eingefangener Männchen von Rana fusca die von der 
Schnautze bis zu den Zehen der ausgestreckten Hinterbeine 5,3 cm, 
von der Schnautze bis zum After 2 em messen, durch zweistündige 
Maceration in offieineller Salzsäure vielfach eingebuchtete Gebilde 
auch wohl schon einzelne kleine Schläuche isoliren; erst nach und 
nach entstehen dann durch weitergehende Spaltung die isolirt ver- 
laufenden Hodenkanäle. Man vergleiche hierzu Figg. 83 und 89 
von einem viermonatlichen Pelobates fuscus. 

Der zweite hier zu berücksichtigende Vorgang betrifft die 
Herstellung einer Verbindung zwischen Hoden und dem Geschlechts- 
theile der Urniere. Es unterliegt heute wohl keinem Zweifel mehr, 
dass sowohl Hoden als Eierstock mit dem vorderen Ende der Ur- 
niere oder dem Wolff’schen Körper in Verbindung treten. Ent- 
wicklungsgeschichtlich hat dies für die Vögel Waldeyer festge- 
stellt; für Rochen und Haie Semper, für die Reptilien Braun; 
für die Säugethiere in jüngster Zeit Kölliker. Bei den Amphi- 
bien bedarf es des entwicklungsgeschichtlichen Nachweises nicht, 
da bei den meisten Species mit Leichtigkeit im erwachsenen 
Thiere die Communication der Hodenausführungsgänge mit den 
Canälen der Urniere nachgewiesen werden kann. Bei den Amphi- 
bien bleiben nämlich, wie dies.Spengel im Anschluss an Bidder 
und Hyrtl nachgewiesen, in der Regel die Malpighischen Knäuel 
der vom Samen zu passirenden Harnkanäle bestehen. Beim Frosch 
sollen im erwachsenen Thier in den zum Nebenhoden oder bes- 
ser gesagt zum Geschlechtstheile der Urniere umgewandelten Harn- 
kanälen die Glomeruli nicht mehr nachgewiesen werden können. 


16 Moritz Nussbaum: 


Doch gelang es mir vor einiger Zeit an Rana esculenta zu zeigen, 
(Sitzungsbericht der Niederrheinischen Gesellschaft vom 19. Nov. 
1877) dass auch bei erwachsenen Fröschen die Glomeruli in den 
samenableitenden Harnkanälen erhalten bleiben können. Die von 
mir zur Untersuchung benutzten Frösche waren von Köpenik be- 
zogen. Ich führe dieses an, weil ich keinen Grund habe an der 
Richtigkeit der Darstellung Spengel’s zu zweifeln; wohl aber 
daran denken möchte, dass unter den als Rana esculenta be- 
zeichneten Fröschen immerhin Varietäten vorkommen, von denen 
die eine, wie die übrigen Amphibien, in den samenabführenden 
Harnkanälen die Malpighi’schen Knäuel zeitlebens behält, die an- 
dere sie aber, wie die Reptilien und Säugethiere schon früh ver- 
liert. Die von mir untersuchten Frösche waren geschlechtsreif, 
da ohne jeden Druck auf die Hoden die Samenfäden in die Niere 
abgesetzt worden waren. In Figur 92 ist die Verbindung eines 
vom Bidder’schen Längscanale abtretenden Samenganges mit 
einer Bowmann’schen Kapsel nach einem in absolutem Alkohol 
gehärteten Präparat dargestellt. Wie man sieht, fehlt in der mit 
Samenfäden erfüllten Kapsel der Glomerulus nicht; und ich will 
hinzufügen, dass ich in allen Abschnitten der betreffenden Harn- 
kanäle Samenfäden gefunden habe. Zwischen den Harnkanälen 
waren keine Samenfäden gelegen. 

Somit wäre für die Plagiostomen, Amphibien, Reptilien und 
Säugethiere der Weg genau bekannt, der vom Hoden zum W olff- 
schen Gange oder Vas deferens führt. Die Verbindung wird durch 
die vorderen Urnierenkanäle hergestellt, die verschieden an Zahl 
bei den einzelnen Species, im Laufe der individuellen Entwieklung 
mehr oder weniger verändert werden. Bei den weniger hoch orga- 
nisirten Classen bleiben die Glomeruli zeitlebens erhalten, so dass 
die Einmündung der Vasa efferentia des Hodens in die Bowman’- 
sche Kapsel der vorderen Urnierenkanäle zu jeder Zeit demonstrirt 
werden kann. Ein mustergültiges Object ist das Mesorchium und 
der vordere Theil der Urniere bei den Tritonen. Zur Zeit der 
Brunst kann man die Samenkörper von den Vasa efferentia des 
Hodens durch die isolirten vorderen Urnierenkanäle bis zum Harn- 
samenleiter hin verfolgen. In einem Falle fand ich die sieben vor- 
deren gänzlich von einander getrennten Urnierenkanäle von der 
Bowman’schen Kapsel bis zur Einmündung in den Harnsamen- 
leiter mit Spermatozoen gefüllt. Diese vorderen Harnkanäle haben 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 17 


jeder einen Glomerulus; nur die Wimpertrichter, die bei jungen 
Thieren und bei den Weibehen auch im vorderen Theile der Urniere 
in den Hals der Harnkanäle einmünden, waren obliterirt und, wie dies 
Spengel richtig dargestellt hat, auf winzige Reste eingeschrumpft. 

Bei den höheren Thierelassen gehen die Glomeruli der Ur- 
niere nach kurzem Bestand im Embryo schon zu Grunde; die um- 
gewandelten vorderen Urnierenkanäle bilden den compacten Neben- 
hoden, an dem die frühere Organisation von Harnkanälen nicht 
mehr erkannt werden kann. Interessant ist es, dass bei den Am- 
phibien Uebergänge zwischen diesen extremen Formen sich finden. 

Mit dieser Kenntniss ist jedoch die Frage nach der Ent- 
stehung der Verbindung zwischen Hoden und Urniere noch keines- 
wegs erledigt; die Frage hat sich vielmehr nach einer ganz anderen 
Seite zugespitzt. Bekanntlich war Waldeyer geneigt, die ganze 
Hodenanlage vom Wolff’schen Gange abzuleiten. Während aber 
der Vorgang der Hodenentwicklung beim Huhn in seinen Einzel- 
heiten noch nicht bekannt ist und die von Waldeyer ausge- 
sprochene Ansicht nach dem vorliegenden Beobachtungsmaterial 
nur die wahrscheinlichste war, hat in neuerer Zeit Semper durch 
ausgedehnte Beobachtungen bei Rochen und Haien die Entwicklung 
der männlichen Geschlechtsdrüse dahin präeisirt, dass die Hoden- 
kanäle!) in zwei ihrer Bedeutung und Abstammung nach verschie- 
dene Abschnitte, in einen functionellen und einen ableitenden Theil 
zu trennen seien. 

In seinem Werk: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und 
seine Bedeutung für das der übrigen Wirbelthiere (Arbeiten aus 
dem zoologisch-zootomischen Institut zu Würzburg Bd. II pag. 362) 
sagt Semper: „Die männliche Keimdrüse der Plagiostomen ent- 
steht durch die Verwachsung zweier verschiedener Theile des indif- 
ferenten Embryo’s. Einerseits findet eine dem Vorgang beim Weib- 
chen analoge Veränderung und Einwanderung der Zellen des Keim- 
epithels in das Stroma der Hodenfalte statt; andrerseits bildet sich 
durch Verwachsung und Auswachsen der Segmentalgänge in die 
Basis und nachher bis in die Spitze der embryonalen Keimfalte 
hinein das Hodennetz aus, welches nur als fortleitendes Canal- 


1) Das Wort Hodenkanal ist hier ganz allgemein gebraucht; es haben be- 
kanntlich die functionellen Theile der Hoden die verschiedensten Formen gra- 
der oder gewundener, kurzer oder langer Schläuche, Ampullen u.s. w. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 2 


18 Moritz Nussbaum: 


system ftir die, in den eigentlichen männlichen Keimdrüsen, 
den Ampullen, gebildeten Samenkörperchen dient, niemals aber 
selbst zum samenbereitenden Organ wird.“ 

Einen ähnlichen Bildungsmodus hat Braun (Arbeiten aus 
dem zoologisch-zootomischen Institut in Würzburg Bd. IV) für die 
Reptilien nachgewiesen. Die Geschlechtsdrüse wird in gleicher 
Weise bei beiden Geschlechtern angelegt. Durch Einwucherungen 
vom Wolff’schen Körper her, die mit hoher Wahrscheinliehkeit 
von der äusseren Wand Malpighi'scher Körperchen abgeleitet 
werden (pag. 148 und 149), entwickeln sich die Hodencanäle, in 
welche die zu Ureiern vergrösserten Keimepithelzellen von der 
Oberfläche der Genitalanlage her einwandern. Bei dem Eierstock 
gehen die vom Wolff’schen Körper ausstrahlenden Schläuche bald 
zu Grunde, während das Ureierlager auf dem Ovarium sich be- 
deutend vergrössert. Es existirt also auch bei Reptilien ein Unter- 
schied zwischen functionellem und ausführendem Theile des Ho- 
dens. Der ausführende Theil stammt vom Wolff’schen Körper; 
der die Samenfäden produeirende Theil bildet sich aus dem Ur- 
eierlager, dem Keimepithel. 

Es fragt sich nun, ob die über die Entwicklung des Hodens 
bei Amphibien, Vögeln und Säugethieren vorliegenden Beobach- 
tungen, die bei Weitem nicht einen gleichen Anspruch auf Aus- 
führlichkeit machen können, als die von Semper und Braun bei 
Plagiostomen und Reptilien angestellten: ob jene Beobachtungen, 
sage ich, eine zwingende Nöthigung enthalten, für diese Classen 
ein anderes Bildungsgesetz zu formuliren als das für Plagiostomen 
und Reptilien erkannte; ob in der That, wie die Mehrzahl der Au- 
toren geneigt ist anzunehmen, bei Amphibien, Vögeln und Säuge- 
thieren der ganze Hoden vom Wolff’schen Körper abstamme. Bei 
einer näheren Prüfung der bis jetzt bekannten Thatsachen dürfte 
dies nicht der Fall sein. 

Was die Amphibien anlangt, so bin ich mit Bezug auf die 
Entstehung der Verbindung des ableitenden Systems mit den Ho- 
denkanälen zu keinem definitiven Resultate gekommen. Mit Sicher- 
heit kann ich nur von dem Stadium berichten, wo der funetionelle 
Theil fertig gebildet ist und ganz gewiss noch keine Verbindung mit 
der Urniere existirt; dann erst wieder von dem Stadium, wo die 
Verbindung so weit hergestellt ist, dass kein unzweideutiger Be- 
weis geliefert werden kann, ob die Verbindungsstücke von den 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 19 


Malpighi’schen Körperchen zum Hoden oder etwa in umgekehr- 
ter Riehtung gewuchert seien. Es ist dies eine Lücke, welche ich 
durch fortgesetzte Untersuchungen auszufüllen hoffe. Jedenfalls ist 
es sichergestellt, dass der functionelle Hodentheil bei Batrachiern 
unabhängig vom Wolff’schen Gange entsteht, und dass in den 
ableitenden Theil die vordere Parthie der Urniere wie bei Pla- 
giostomen und Reptilien übergeht. (Vergleiche hierzu auch v. Wit- 
tich, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1853, pag. 127 unten.) 

Ueber die Entwicklung des Hodens beim Huhn berichtet 
Waldeyer (Eierstock und Ei pag. 139). Zu einer Zeit wo inner- 
halb des Hodens die Samenkanälchen noch nicht unterscheidbar 
waren, sah man einzelne helle Canäle des Wolff’schen Körpers 
an der Grenze des Hodens liegen, da wo letzterer dem Wolff- 
schen Körper aufsitzt. Vom siebenten Tag werden die Samen- 
kanälchen im Inneren des Hodens deutlich und es lässt sich eine 
Verbindung zwischen ihnen und den Canälen des Wolff’schen 
Ganges nachweisen. Waldeyer vermuthet, die Samenkanälchen 
entständen durch Proliferation der dorsal gelegenen engeren Canäl- 
chen des Wolff’schen Körpers. Es gelang nicht, eine Betheiligung 
von Seiten des Keimepithels nachzuweisen, obschon sich in dem- 
selben wie bei den weiblichen Individuen „Primordialeier“ ausge- 
bildet hatten. 

Bornhaupt hatte für das Hühnchen, Egli für das Kaninchen 
eine Abstammung der Hodencanäle vom Peritonialepithel behauptet; 
aber wie Bornhaupt von Waldeyer, erfuhr Egli lebhaften 
Widerspruch vou Kölliker. Kölliker theilt von vierzehntägigen 
Kaninchenembryonen mit, dass der Hoden an den deutlich gewun- 
denen soliden Samenkanälchen erkennbar sei; während Egli für 
dieses Stadium neben der von Kölliker nachgewiesenen 27u 
breiten Verbindung des Hodens mit Malpighi’schen Körperchen der 
Urniere auch jede Andeutung des zukünftigen Geschlechts in der 
Geschlechtsdrüsenanlage vermisst hatte. Es stehen mir keine ei- 
genen Beobachtungen an Kaninchenembryonen zu Gebote; ich bin 
also nicht berechtigt, die Daten des einen Autors zu Gunsten des 
Anderen zu verwerfen. Wenn wir uns aber nach untrüglichen 
Merkzeichen in beiden Mittheilungen umsehen, so lassen. sich, wie 
ich glaube, sogar beide Beobachtungsreihen recht gut combipiren. 
Kölliker beschreibt von einem 14 tägigen Kaninchenembryo eine 
deutliche Albuginea des Hodens; diese hat Egli erst am 16. Tage 


30 Moritz Nussbaum: 


gesehen. Egli hat auch noch vom 16. Tage den Inhalt der vom Hoden 
zum Wolff’schen Körper ziehenden Falte genau geschildert und 
keine Verbindungen mit den Kanälen der Urniere, wohl aber Ge- 
fässe darin gefunden. Es ist somit fast unzweifelhaft, dass Egli 
frühere Stadien beschrieben hat als Kölliker, und man ist nicht 
genöthigt anzunehmen, Egli seien die Verbindungen mit dem 
Wolff’schen Körper entgangen, weil die Untersuchung möglicher- 
weise da abgebrochen wurde (18. Tag), wo sich bei Egli die Ver- 
bindung eben herstellen wollte. Denn wir finden bei Kölliker 
erst vom 16.—17. Tag mit aller Bestimmtheit eine Verbindung zwi- 
schen dem Hoden und „dem Epithel eines Malpighi’schen Glome- 
rulus“ nachgewiesen. Da aber mit Rücksicht auf das Auftreten 
der Albuginea des Hodens bei Egli und Kölliker eine Differenz 
von mindestens zwei Tagen sich findet, so werden wir eine ähn- 
liche mit Bezug auf die weiteren Stadien annehmen ‚dürfen und 
somit die Annahme wahrscheinlich finden, dass bei Egli’s 18tägi- 
sen Embryonen in der That noch keine Verbindung zwischen Hoden 
und Urniere sich ausgebildet hatte. 

Gegen die von Kölliker geübte Kritik, die Ableitung der 
Hodenkanälchen vom Peritonialepithel anlangend, ist Nichts einzu- 
wenden. Man muss gestehen, dass für die Säugethiere bis jetzt 
noch zu wenig Beobachtungsmaterial vorliegt; genug aber, um mit 
Rücksicht auf die bei Plagiostomen, Reptilien und Amphibier ge- 
wonnenen Resultate die Behauptungen Egli’s sehr wahrscheinlich 
zu machen. 

Wäre demgemäss unsere Deutung zu Gunsten einer Lösung 
des Widerspruchs zwischen den Angaben Kölliker’s und Egli’s 
die richtige, so könnten wir auch für Kaninchenembryonen an- 
nehmen, dass die Hodenkanäle aus zwei Quellen, dem Keimepithel 
und der Urniere stammen, und, was nicht unwichtig ist hervorge- 
hoben zu werden, dass der in den functionellen Abschnitt überge- 
hende Theil sich eher ausbilde als der ableitende. 

Für die Batrachier glauben wir den Nachweis geliefert zu 
haben, dass der funetionelle Theil beider Geschlechtsdrüsen aus 
einer beschränkten Anzahl embryonaler Zellen durch fortgesetzte 
Theilung hervorgehe, und dass er dann mit der vorderen Parthie 
der Urniere in Verbindung trete. Beim Männchen ist die Verbin- 
dung eine dauernde, indem späterhin der vordere Urnierentheil 
und der Wolff’sche Gang als Ausführungsgang fungiren. Bei den 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 21 


Weibchen gehen die im Mesovarium bei jungen Thieren nachweis- 
baren Zellstränge, die bis zuMalpighi’schen Körperchen der Ur- 
niere wie bei den Männchen zu verfolgen sind, bald zu Grunde. 
Als Ausführungsgang der weiblichen Keimstoffe dient der durch 
Abschnürung vom Peritonialepithel entstandene Müller’sche Gang, 
der bei den Männchen kurz nach seiner Anlage verkümmert. 

Die Sonderung im funetionellen Theile zu Hoden oder Eier- 
stock geht bei den Batrachiern in der Weise vor sich, dass nach 
einer Reihe von Theilungsvorgängen der embryonalen Anlage, die 
beiden Geschlechtern gemeinsam sind, zur Bildung des Hodens viele 
Elemente in grossen Säcken oder Schläuchen vereinigt bleiben, beim 
Eierstock dagegen jedes einzelne von einer bindegewebigen Hülle 
umwachsen und so von seinen Nachbarn gesondert wird. Es ist so- 
mit die überwiegende bindegewebige Wucherung, welche dem 
Eierstock seinen ersten speeifischen Character aufdrückt. Dann 
wächst die Eizelle ungetheilt weiter; die Spermatogonie aber theilt 
sich und erzeugt in ihrer Follikelhaut eine grosse Zahl von 
Samenzellen. 


I. 


Von der Entwieklung der Geschlechtsdrüsen bei den 


Teleostiern. 


Als Untersuchungsobjeet wurden fast ausschliesslich Embryo- 
nen der Forelle verwandt. Die Gründe, welehe für die Wahl 
dieses Teleostiers massgebend waren, liegen nicht sowohl in der 
hervorragenden Stellung des Thieres im System, als vielmehr in 
den practischen Vorzügen, die es in seinen ersten Entwicklungs- 
stadien vor fast allen bekannt gewordenen Wirbelthierembryonen 
aufweist. Die Entwicklung ist eine ungemein langsame; die Leich- 
tigkeit der Präparation erlaubt bei der Möglichkeit, viele Exem- 
plare von derselben Entwicklungsstufe auf einmal zu erhalten, 
eine ausgedehnte Untersuchung. Es finden sich keine störenden 
Kniekungen und Biegungen am Embryo vor; die Schnittfähigkeit 
gehärteter Embryonen übertrifft, mit Ausnahme etwa der Haie, bei 
Weitem die aller Wirbelthiere; die Isolirung der Theile am frischen 
Objeet gelingt mit der Eleganz, wie sie wohl nur bei der Präpa- 
ration von Insecten erreicht wird. Vor den Sommerlaichfischen 


22 Moritz Nussbaum: 


hat die Forelle den Vortheil, dass das ungemein die frische Un- 
tersuchung störende Pigment der äusseren Bedeckung erst weit 
später auftritt; so dass, kurz gesagt, die Forelle oder die Salmoni- 
den überhaupt ein Musterobject für embryonale Studien abgeben. 

Den grössten Theil des Materials bezog ich von der Fisch- 
zuchtanstalt zu Hüningen. Da jedoch von dort nur embryonirte 
Eier, an denen die Augen schon sichtbar sind, verschickt werden, 
so bin ich Herrn Prof. von la Valette St. George zum grössten 
Danke verpflichtet für die Güte, mit der er mir frisch befruchtete 
Eier der Bachforelle zugewandt hat. An diesen wurden die Beob- 
achtungen über die ersten Entwicklungsstadien gemacht. Die Eier 
kamen in fliessendem Wasser bei 3° R. Anfangstemperatur, die 
mit der fortschreitenden Jahreszeit (von Anfang Dezember bis zum 
Mai hin) auf 7°R. stieg, zur Entwicklung. 

Die angewandten Methoden sind bekannt. Die Embryonen 
wurden gestreckt, gehärtet; die Gegend der Geschlechtsdrüsenan- 
lage in Schnittserien zerlegt; die Anlage selbst, frisch oder in Sal- 
zen der Chromsäure und dem sehr empfehlenswerthen absoluten 
Alcohol gehärtet, zerzupft und auf feinen Schnitten untersucht. Für 
die frische Untersuchung glaube ich folgende Methode empfehlen 
zu können. Auf einem trocknen Objectträger wird die Eihaut mit 
Nadeln oder noch besser mit einem feinen lanzenförmigen Messer- 
chen eingerissen. Ist die Haut des Dottersackes einigermassen resi- 
stent, so hat sich zwischen dem Embryo und der Eihaut eine klare 
in Aleohol gerinnende Flüssigkeit abgeschieden, die man nur aus- 
treten zu lassen braucht, um mit Pincetten von der gemachten Oeff- 
nung her, die Eihaut gänzlich zerreissen und den Embryo mit 
seinem Dottersack unverletzt austreten lassen zu können. Bei 
den frühesten von mir untersuchten Stadien ist der Dotter jedoch 
jedesmal ausgeflossen; ich habe den Dottersack erst bei einmo- 
natlichen Embryonen erhalten können und dann recht lange die 
Circulation am unverletzten, in Jodserum gelagerten Thier beob- 
achtet. Zur Anfertigung frischer Isolationspräparate muss jedes- 
mal der Dotter entfernt werden. Ist er ausgelaufen, so saugt man 
behutsam mit einer zweiten gleichfalls trocknen Glasplatte den 
Embryo an und setzt einen Tropfen Jodserum zu. Die Entfer- 
nung des Dotters ist unbedingt nöthig, weil jede wässrige Flüs- 
sigkeit dicke Gerinnungen in ihm erzeugt und die weitere Beob- 
achtung illusorisch macht. Bei Embryonen, die gehärtet werden 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 23 


sollen, ist die Erhaltung des Dottersacks und damit die Erhaltung 
des Blutes in den Gefässen für das Studium vieler Theile wün- 
schenswerth und macht keine Schwierigkeiten. Die kleinsten Em- 
bryonen kann man wegen ihrer Durchsichtigkeit in toto untersu- 
chen; an den grösseren ist die Präparation der einzelnen Theile, 
wie gesagt, eine überraschend leichte; mit Messer und Pincette 
lässt sich die ganze Vorniere von dem Glomerulus bis zum ge- 
meinschaftlichen Mündungsstück beider Wolff’schen Gänge isoliren. 

Wir beginnen die Beschreibung der Geschlechtsdrüsenent- 
wicklung mit den Beobachtungen an dreiwöchentlichen 4 mm lan- 
sen Embryonen, deren Urwirbel noch blasenförmig sind. Augen- 
und Ohrblase sind angelegt. Die Linse ist eine hohle Einstül- 
pung, die Chorda dorsalis noch aus kleinen eng aneinander gela- 
serten Zellen zusammengesetzt. In allen Zellen stecken noch feine 
Dotterkörner; am frischen Präparat ist von einem Wolff’schen 
Gange oder Darmkanal noch Nichts zu sehen. Nur bei dem einen 
oder dem anderen Exemplar scheint es, als wenn man bei der 
Seitenlage des Embryo ventral vor der Chorda auf kurze Strecken 
ein röhrenförmiges Gebilde erkennen könnte. Wo aber später die 
Rückenflosse entsteht, liegen Zellen, die sich durch ihre Grösse 
und die Grösse ihrer Kerne auszeichnen. An der bezeichneten 
Stelle finden sich in Querschnitten dieser Embryonen, die in 5% 
doppelt chromsaurem Ammoniak erhärtet und dann in Carmin 
gefärbt wurden, dieselben Zellen wieder (vgl. Fig. 34); man er- 
kennt ausserdem, dass die Wolff’schen Gänge in der Abschnürung 
begriffen sind. Auf die Details der Entwicklung der Nierenorgane 
soll jedoch hier nicht näher eingegangen werden; zur Orientirung 
will ich nur noch hinzufügen, dass das hier beobachtete Stadium 
ungefähr dem von Rosenberg über die Teleostierniere (Hecht) 
in Fig. 1 dargestellten entspricht. 

An Embryonen, die nur einige Tage älter geworden waren, 
liessen sich auch am frischen Präparat die Wolff’schen Gänge bei 
der Seitenlage sowohl, wie bei der Rückenlage deutlich erkennen; 
an vierwöchentlichen Embryonen erschien der Darm, und bei allen 
an derselben Stelle die durch ihre Grösse ausgezeichneten Zellen, 
die ich von nun an mit der bei Fröschen gebrauchten Bezeich- 
nung „Geschlechtszellen“ benennen will. Mit dem Auftreten des 
Darmes wurde am frischen Präparat die Auskleidung des zelligen 
Belages der Peritonealhöhle immer deutlicher und man erkannte 


24 Moritz Nussbaum: 


wie in die Mosaik dieser kleinen Zellen beständig in der Gegend 
der späteren Rückenflosse zwischen Darm und den Wolff’schen 
Gängen und diesen aufliegend die grossen Geschlechtszellen einge- 
streut waren. 

Figur 35 ist nach einem frischen in Jodserum untersuchten 
Isolationspräparat bei Zeiss CC, Oe. III mit der Camera lucida ent- 
worfen. Links in der Figur ist die Oberfläche des Urnieren-, 
Wolff’schen, Ganges dargestellt; nach rechts ein optischer Längs- 
schnitt durch das Lumen des Ganges. Das Letztere geschah aus 
dem Grunde, um durch die Eigenthümlichkeit der Zellen die Lage 
im Embryo genau bestimmen zu können. Wenn nämlich die 
vereinigten Urnierengänge die Leibeswand durchbrochen haben, 
ist im vorderen gewundenen Abschnitt derselben am lebenden Prä- 
parat lebhafte Wimperung sichtbar. Nicht weit von der Stelle, 
wo die Geschlechtszellen zwischen dem Peritonepithel auf. den 
Woltf’schen Gängen gelegen sind, hört die Wimperung auf; die 
Gänge tragen hier ein einfaches eubisches Epithel. Wie aus Fig. 35 
hervorgeht, liegen die grossen Geschlechtszellen im Peritoncal- 
epithel eingestreut, mit ihm in einfacher Lage den Wolff’schen 
Gang überziehend. Dasselbe zeigt sich in Figur 36 nach einem 
Querschnitt durch die entsprechende Gegend eines zehn Tage jün- 
geren und in doppeltehromsaurem Ammoniak gehärteten Embryo; 
die Geschlechtszellen erscheinen als grosse Zellen in dem ein- 
schichtigen Peritonealepithel. 

Wie bei den Batrachiern, so bleiben auch bei der Forelle die 
Geschlechtszellen lange inert liegen. Das eben geschilderte Sta- 
dium betrifft Embryonen, die Mitte und Ende Dezember aus dem 
Ei heraus präparirt wurden und lcm lang waren. Im Verlauf des 
Januar ist eine Theilung und Vermehrung sowohl der Geschlechts- 
zellen als der Peritonealzellen zu beobachten, die sich in der 
Weise gestaltet, dass die Theilstücke der Geschlechtszellen als- 
bald durch die zwischenwuchernden Peritonealzellen von ein- 
ander getrennt werden. Dadurch wird die Geschlechtsdrüsenanlage 
gestreckter und die Geschlechtszellen rücken immer weiter aus- 
einander. 

Da man nun leicht die ganze Geschlechtsdrüsenanlage auf 
einem Frontalschnitt erhalten kann, so ist es nicht schwer sich 
davon zu überzeugen, dass kein Uebergang zwischen den beiden 
Zellenarten stattfindet. Die Frontalschnitte entnahm ich gradge- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 25 


streekten und in absolutem Alcohol gehärteten Embryonen, bei 
denen nach Entfernung des Dottersackes der Darm mit einer Pin- 
cette herausgerissen wurde. Bei einiger Uebung wird man sich 
davon überzeugen, dass die Anfertigung feiner Frontalschnitte, in 
denen die Geschlechtsdrüsenanlage und die Wolff’schen Gänge 
enthalten sind, recht gut und sicher gelingt. Im Anfang Februar 
geschieht nun an der Geschlechtsdrüsenanlage eine eigenthümliche 
Veränderung. Man kann sie bei sorgfältiger‘ Betrachtung der 
Flachschnitte wohl gewahren, doch tritt sie deutlicher an Quer- 
schnitten hervor. Ein solcher ist in Figur 37 von einem in dop- 
pelt chromsaurem Ammoniak gehärteten 2cm langen Embryo dar- 
gestellt. Während in den voraufgehenden Stadien die Geschlechts- 
zellen frei zwischen der einfachen den Wolff’schen Gang decken- 
den Lage von Peritonealepithelien gelagert waren, sieht man nun- 
mehr nicht allein die Geschlechtszellen von den Peritonealzellen 
vollständig eingehüllt, sondern auch diese letzteren gegen den 
Wolff’schen Gang zu in mehrfacher Lage. Es hat sich aus den 
Peritonealzellen eine Hülle der Geschlechtszellen und ein Stroma 
der Geschlechtsdrüsenanlage gebildet. Fig. 31 zeigt die Einhül- 
lung der Geschlechtszellen durch die Peritonealepithelien in über- 
zeugender Weise an einem dünnen Frontalschnitte. Die Ge- 
schlechtszelle g! ist noch nicht überwuchert; g? ist auch ventral 
von Peritonealzellen umgeben. 

Fig. 38 und Fig. 39 mögen die vorhin gemachte Behauptung 
von einer gleichzeitigen Vermehrung der Geschlechtszellen und 
der Peritonealepithelien näher illustriren. Figur 39 ist nach einem 
aus absolutem Alcohol gewonnenen Isolationspräparat der ganzen 
Geschleehtsdrüse einer Seite bei Zeiss CC, Oe. Ill entworfen und 
stellt einen Theil der Anlage dar. Man erkennt die Theilungs- 
vorgänge in den Geschlechtszellen und die grossen Abstände zwi- 
schen den in Theilung begriffenen Complexen. Diese Abstände 
werden durch die Peritonealepithelien ausgefüllt, die auch schon 
die Geschlechtszellen ventral umwachsen haben; der Vereinfachung 
halber ist das Letztere nicht in der Zeichnung wiedergegeben 
worden. Wollte man annehmen, die Geschlechtszellen hätten sich 
aus den Peritonealepithelien gebildet, so müssten um diese Zeit 
isolirte Uebergangsformen vorhanden sein, die kleiner wären als 
die früher beobachteten ungetheilten Geschlechtszellen. Dies ist 
aber nicht der Fall. Die vorhandenen kleineren Zellen sind zwar 


26 Moritz Nussbaum: 


grösser als die Peritonealepithelien; sie sind aber immer in Grup- 
pen beisammengelagert, und gehen ganz sicher durch Theilung 
aus den primären Geschlechtszellen hervor. In den Geschlechtszel- 
len kann man Theilungsvorgänge beobachten (siehe Fig. 33 oben). 
Wenn man annehmen wollte, dass die Zellen in den Gruppen durch 
Vergrösserung der Peritonealzellen hervorgingen, so ist erstens 
kein Grund einzusehen, weshalb diese Vergrösserung stets gruppen- 
weise erfolgte, und zweitens, weshalb mit der beginnenden Ver- 
grösserung der Peritonealzellen die anfänglichen Geschlechtszellen 
spurlos verschwänden. Sobald nämlich die Theilung der Geschlechts- 
zellen begonnen hat, wird man keine grossen Geschlechtszellen in 
der ganzen Anlage mehr vorfinden, wie sie aus früherem Stadium 
in Fig. 31 abgebildet sind. In den früheren Stadien kamen neben 
den grossen Geschleehtszellen keine Formen vor, welche man als 
Uebergänge von Peritonealzellen zu Geschlechtszellen hätte deuten 
können; es hatte aber zu der Zeit die vielfache Theilung der Ge- 
schlechtszellen noch nicht begonnen. 

Bei etwas weiter entwickelten Exemplaren — Fig. 40, bei 
Zeiss CC, Oc. III nach einem Flachschnitt der Geschlechtsdrüse 
einer 2,4 cm langen Forelle ohne Dottersack — sind die durch 
Theilung der Geschlechtszellen gebildeten Zellengruppen durch 
weite Intervalle von einander getrennt. Die Zellengruppen sind 
allseitig von den Peritonealzelien umgeben. Liegen viele Zellen in 
einem Nest beisammen, so sind die einzelnen Zellen kleiner, als 
wenn nur wenige in einem Neste gefunden werden. Man vergleiche 
die bei derselben Vergrösserung entworfenen Figuren 32 und 33 
aus derselben Geschleehtsdrüsenanlage einer 2,5 cm langen Forelle. 
Die Peritonealzellen auf der Oberfläche dieser isolirten Nester sind 
nicht dargestellt. Wie mir scheint, ist die verschiedene Grösse der 
Zellen in den Nestern, die sich umgekehrt verhält wie die Grösse 
der Nester selbst, das weite Auseinanderrücken der Nester und die 
beständige Verkleinerung ihrer Zellen mit fortschreitender Ent- 
wieklung (ef. Fig. 39 und Fig. 40) ein schwerwiegender Beweis 
gegen die Annahme, dass die Peritonealzellen durch Wachsthum in 
Geschlechtszellen übergehen könnten. Man findet ebensowenig jetzt, 
als in den nächstfolgenden Stadien, wenn wiederum die Abkömm- 
linge der Geschleehtszellen sich gewaltig vermehren, Zellen von 
der Grösse und Beschaffenheit, wie sie in früheren Stadien (Fig. 38g) 
vorgekommen waren, so dass bei der absolut sicheren Controle über 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 27 


die ganze Geschlechtsdrüsenanlage behauptet werden darf, dass alle 
Zellen in den Nestern von den anfänglichen grossen Geschlechts- 
zellen abstammen. 

Für das Verständniss des Ueberganges zum nächstfolgenden 
Stadium ist Fig. 33 nicht ohne Bedeutung. Die Peritonealzellen 
umgeben rings die Nester, sie sind in starker Vermehrung be- 
griffen. Während der gleichzeitigen Vermehrung der Zellen in 
den Nestern schieken sich die Peritonealzellen an, wie es auch 
schon von früheren Stadien vermerkt worden war, die Nester 
selbst zu durchwachsen, so dass von den grösseren Gruppen wie- 
derum kleinere kuglige oder längliche Gebilde abgegrenzt wer- 
den. In Figur 33 sieht man nun unten die Peritonealzellen deut- 
lich in das Innere eines solchen Nestes eindringen und wenn man 
ältere Exemplare untersucht, so gewahrt man den Fffeet dieses 


Vorganges. 
Bei 2,4 cm langen Forellen vom 1. Mai lagen die Nester noch 
sehr weit aus einander — Figur 40 —; bei 2,6 cm langen Exem- 


plaren vom 15. Mai sind die Nester näher gerückt, und man er- 
kennt in der Figur 41 —, bei derselben Vergrösserung wie Fig. 40 
gezeichnet — dass der Durchwachsungsprocess noch im Fortschritt 
begriffen ist. Auch jetzt noch kann unzweifelhaft dargethan wer- 
den, dass die Vermehrung der Nester nicht auf Kosten vergrös- 
serter Peritonealzellen geschehen ist. In Figur 40 liegen die Nester 
durch weite Intervalle von einander getrennt. Der Uebergang in 
das durch Figur 41 wiedergegebene Stadium geschieht nun in der 
Weise, dass die Nester durch eignes Wachsthum einander näher 
rücken; nicht etwa so, dass in den grossen Zwischenräumen neue 
entständen. Dabei werden vergrösserte Gruppen immer durch das 
Zwischenwuchern der Peritonealepithelien von einander getrennt, 
so dass beständig die Vermehrung beider Zellenarten Hand in 
Hand geht: an keinem Punkte der Entwicklung aber ein Ueber- 
gang der einen Form in die andere constatirt werden kann. 

Bis hierher habe ich die Entwicklung der Geschlechtsorgane 
der Forelle continuirlich verfolgen können; dann aber ging mir 
durch einen unglücklichen Zufall die junge Brut zu Grunde. Am 
empfindlichsten ist der Mangel solcher Stadien, an denen die Bil- 
dung der Follikelepithelien in beiden Geschlechtern hätte studirt 
werden können. Es ist wahrscheinlich, dass bei der Forelle sich 
ein analoger zur Bildung von Ei und Follikelepithel oder Sperma- 


28 Moritz Nussbaum: 


togonie und Follikelhaut führender Vorgang vollzieht, wie er oben 
von den Amphibien beiderlei Geschlechts geschildert wurde. Dafür 
spricht die ursprüngliche Gleichartigkeit der Zellen in den Nestern 
und ihre grosse Verschiedenheit von den bedeutend kleineren 
männlichen und weiblichen Follikelepithelien. Wir neigen auch 
für die Forelle zu der Annahme, dass aus jeder Zelle eines „Ur- 
eier“-Nestes, abgesehen natürlich von den Zellen, welche zu Grunde 
gehen, ein Ei mit seinem Follikelepithel oder eine Spermatogonie 
mit ihrer Follikelhaut sich bilde. Dass die maulbeerförmige Kern- 
theilung aber in der Classe der Fische vorkommt und zur Bildung 
von Eizelle oder Spermatogonie sammt den umhüllenden Epithe- 
lien beider führe, konnte an verschiedenen Objecten nachgewiesen 
werden. 

An dieser Stelle mag eine kurze Schilderung der Geschlechts- 
‚ organe einer 5,5 em langen jungen Tinca chrysitis Platz finden; 
wir werden später gelegentlich der Behandlung der Regenerations- 
vorgänge in den Geschlechtsdrüsen auf ähnliche Verhältnisse zu- 
rückkommen. 

Junge 5,5 cm large Tinca chrysitis am 20. August in absolutem 
Alkohol getödtet. Die Geschlechtsorgane stellen dünne, lange, der 
Schwimmblase beiderseits aufliegende Fäden von ungefähr Ilmm 
Durchmesser dar. Nach abwärts verschmächtigen sich die Fäden 
und gehen als platte weissliche Stränge hinter dem Reetum bogen- 
förmig weiter. Bei der Betrachtung mit der Loupe schienen sie 
sich mit dem einfachen Mündungsstück der Wolff’schen Gänge 
— jetzt Harnleiter, da die Niere definitiv gebildet war — zu ver- 
binden. Nachdem die unteren Abschnitte beider Geschlechtsdrüsen, 
sowie die schmale Beckenniere sammt Ausführungsgängen heraus- 
präparirti, zeigt sich bei mikroskopischer Betrachtung, dass von 
den vereinigten Wolff’schen Gängen jederseits ein Zellstrang in 
der oben beschriebenen bogigen und zum hinteren Leibesende 
ziehenden Fortsetzung der Geschlechtsdrüsen verläuft. Ein Lumen 
ist in diesem Zellstrang nicht sichtbar, es konnte auch nicht bis 
an die Geschlechtsdrüse verfolgt werden, während die begleiten- 
den Blutgefässe deutlich siehtbar blieben. 

Auf feinen Längs- und Querschnitten der ganz compaeten 
Geschlechtsdrüse zeigte sich eine Anordnung der Theile wie in 
Fig. 41. Doch war um die einzelnen Zellennester schon mehr 
Bindegewebe in deutlichen Zügen angeordnet und die Zellen in 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 29 


den Nestern selbst verhielten sich theilweise anders als bei der 
zuletzt geschilderten jungen 2,6cm langen Forelle. In einigen 
Nestern oder Schläuchen lagen Zellen beisammen von der in 
Fig. 41 dargestellten Beschaffenheit, eng aneinandergepresst. Auf 
dünnen Schnitten nahm sich der Querschnitt eines solchen Nestes 
wie eine zierliche Mosaik grosskerniger Zellen aus, von denen in 
Fig. 47a einige bei Zeiss F, Oc. I nach einem Aleoholpräparat wie- 
dergegeben sind. In anderen Schläuchen oder Nestern war bei 
einigen der Zellen, die noch durch keine andere Zellenart von 
einander getrennt waren, eine maulbeerförmige Theilung des 
Kernes eingetreten; vergl. Fig. 47b aus demselben Präparat wie 
Fig. 47a. In noch auderen Schläuchen sah man neben Zellen mit 
maulbeerförmig getheiltem Kern auch solche mit einfachem gros- 
sen Kern und von einem Kranze kleinerer Zellen umgeben. 

Zwar fehlt uns eine continnirliche und gleichmässige Ent- 
wicklungsreihe; doch finden wir dieselben Stadien hier nebenein- 
ander gelagert, deren Reihenfolge bei den Batrachiern uns bekannt 
ist, und wir hoffen in der Deutung unseres Befundes nicht fehl zu 
gehen, wenn wir die maulbeerförmige Kerntheilung als Uebergangs- 
stadium zwischen einer Primordialzelle und der von einer zelligen 
Hülle umgebenen Eizelle oder Spermatogonie ansehen. 

Nicht selten waren auf feinen Schnitten der Geschlechtsdrüse 
dieser jungen Tinca schon vollständig abgeschnürte Eier zu finden. 
Man konnte alsdann in der bindegewebigen Kapsel neben den 
Kernen der Follikelepithelien (Membrana granulosa) das helle Proto- 
plasma des Eies und den grossen Kern — das Keimbläschen — 
mit einem Keimfleck deutlich erkennen. Die grössten Masse der 
vorhandenen, als ächte Eier anzusprechenden Bildungen betrugen 
bei der meist länglichen Gestalt derselben 25 resp. 20u mit einem 
runden 11x breiten Keimbläschen. 

Trotzdem nun dieses Exemplar das einzige untersuchte ge- 
blieben ist, so dass bei der geringen Entwicklung der Theile nicht 
einmal über das Geschlecht mit Sicherheit etwas ausgesagt werden 
kann, so geht doch soviel mit Gewissheit aus dem hier gemachten 
Befunde hervor, dass bei den Knochenfischen die maulbeerförmige 
Kerntheilung in der Entwicklung der Geschlechtsproduete dieselbe 
Rolle wie bei den Amphibien spielt; indem hier wie dort die 
Theilstücke des Kernes mit dem nöthigen Protoplasma umgeben 
sich derart differenziren, dass eine stärker wachsende centrale 


30 Moritz Nussbaum: 


Zelle zur Keimzelle (Eizelle oder Spermatogonie) und die peri- 
pheren, im Wachsthum zurückbleibenden, das Follikelepithel dieser 
Keimzelle bilden. 

Was die Uebereinstimmung der Körperentwicklung zur Aus- 
bildung der Geschlechtsorgane betrifft, so scheinen beide bei den 
Fischen nicht immer gleichen Schritt zu halten. Wenigstens fand 
ich bei 18 Exemplaren 10 bis 11 em langer im März untersuchter 
Abramis brama nur vier Weibchen mit entwickelten Ovarien. 
Von diesen 4 Exemplaren hatte das eine milchweisse Ovarien mit 
grossen undurchsichtigen Eiern; bei zwei Exemplaren waren in 
den Eiern noch keine Dotterkugeln abgelagert, die Ovarien daher 
hell und durchsichtig; bei dem vierten Exemplar fand sich auf 
einer Seite ein ziemlich entwickelter Eierstock, an dessen Eiern 
das Follikelepithel gut zu erkennen war; auf der anderen Seite 
lag median an dem mächtigen Fettkörper ein 3 cm langer dünner 
Faden, worin die Entwicklung nicht weiter gediehen war als bei 
2,5 cm langen Forellen; ef. Fig. 41. Von den übrigen Exemplaren 
war eins deutlich als Männchen zu erkennen; die Hodenacini waren 
gebildet und in der Entwicklung so weit vorgeschritten als es 
Brock (Morphologisches Jahrbuch, IV. Bd. Fig. 1 auf Tafel XXIX) 
dargestellt hat. Der Rest der Thiere hatte unentwickelte Geschlechts- 
organe; nur ganz vereinzelt fand sich in den Zellennestern der- 
selben schon eine maulbeerförmige Kerntheilung. Makroskopisch 
betrachtet waren die Geschlechtsdrüsen ganz dünne Fäden mit 
sehr bedeutend entwickeltem Fettkörper. 

Etwas Aehnliches zeigte sich mir bei Perca fluviatilis, wo im 
Dezember in den meisten Weibehen der grosse Ovarialsack vor- 
wiegend ganz undurchsichtige, der Reife nahe Eier enthielt. An- 
dere gleich grosse Exemplare wiesen einen nur winzigen, durch- 
scheinenden Eierstock auf, in dessen Eiern es noch nicht zur Bil- 
dung von Dotterelementen gekommen war. Offenbar haben wir es 
in diesem Falle nur mit einer Verzögerung in der Reifung ange- 
legter Geschlechtsproducte zu thun; während die bei Abramis be- 
obachteten Thatsachen mehr auf ein protrahirtes Verharren der 
Geschlechtsorgane auf embryonalem Stadium hinweisen. Beide 
Vorgänge gehören aber als Hemmungen in der Entwieklung unter 
denselben Gesichtspunkt. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 31 


Il. 


Von den Hüllen der Geschlechtsstoffe. 


Die folgende Untersuchung wird sich ausschliesslich auf die 
primären Hüllen der Geschlechtsstoffe beschränken, wird also 
eingehen auf das Follikelepithel beim Ei, und beim Samenfaden- 
bündel auf die seit von la Valette St. George bekannt ge- 
wordene Follikel- und Cystenhaut. Es wird zu eruiren sein, wie 
weit verbreitet diese Bildungen im Thierreiche vorkommen; es 
wird vorzüglich darauf geachtet werden müssen, ob die morpho- 
logisch sich entsprechenden Theile der männlichen und weiblichen 
Geschlechtsdrüse in derselben Species diese Hülle gleichzeitig be- 
sitzen oder ihrer gleichzeitig entbehren. 

Die Discussion der gefundenen Thatsachen werde ich zwar 
für einen allgemeinen Theil aufzusparen mich bemühen; doch 
halte ich es für das Verständniss der hier zu beriehtenden Beob- 
achtungen nöthig, vorher Einiges über die Entwicklung der männ- 
lichen Geschlechtsproducte beizubringen. Und dies kann wohl 
nicht besser geschehen, als wenn ich das von v. la Valette St. 
George aufgestellte Gesetz der Spermatogenese hier einschiebe. 
Auf dieser Basis wird eine Verständigung leichter möglich sein. 

„Der Binnenraum der zur Bereitung der Samenelemente be- 
stimmten Hohlräume der männlichen Geschlechtsdrüse enthält zwei 
Arten von Zellen, wovon die eine — jungen Eizellen durch- 
aus ähnlich — als Ursamenzellen oder Spermatogonien 
dazu bestimmt ist sich zu vermehren, in gleicher Weise durch 
Theilung, so wie durch Umbildung ihrer Abkömmlinge, der Sper- 
matocyten, die Samenkörperchen — Spermatosomen zu 
entwickeln. Sie produciren einen Zellenhaufen, der entweder 
durch Aneinanderlagerung der peripherischen Zellen eine beson- 
dere Hülle erhält — Keimkugeln, Samenkugeln, Spermato- 
ceysten (Inseeten, Amphibien), oder bleiben hüllenlos, Samen- 
knospen, Samensprossen, Spermatogemmen bei geringerer 
oder stärkerer Abgrenzung des zu den Zellen gehörigen Protoplas- 
mas. In manchen Fällen erhält sich eine aus der Theilung her- 
vorgehende Zelle oder deren Kern im Fusse der Spermatogemme. 
Die Form und Grösse der Samenknospen resultirt aus dem Ent- 
wieklungszustande ihres Inhalts und dem Drucke, welchen sie von 


32 Moritz Nussbaum: 


ihrem nachbarlichen Nachwuchse zu erleiden haben. Die zweite 
Art von Zellen, welche ich die Follikelzellen nenne, sind 
unter sich verbunden zu einem Gewebe, welches sowohl die Sper- 
matogonien einbettet, als auch die Spermatogemmen durch Zwi- 
schenwachsen mehr oder weniger umhüllt und befestigt.“ (Die 
Spermatogenese bei den Säugethieren und den Menschen von v. la 
Valette St. George, Bonn 1878. p. 48.) 

Es würde zu weit führen, wenn ich auf die Details der di- 
vergirenden Meinungen anderer Autoren hier eingehen wollte; es 
ist dies in erschöpfender Weise in der oben eitirten Schrift ge- 
schehen. Einige huldigen der Ansicht, dass jene von von la Va- 
lette St. George Follikelzellen genannte, kleinere zweite 
Art von Zellen Ersatzzellen seien, während sie doch nach der 
obigen Darstellung nur von untergeordneter Bedeutung sind und 
an der Samenbildung sich nicht betheiligen. Grössere Meinungs- 
verschiedenheit kann kaum gedacht werden; allein ich glaube, 
wer nur immer über eine grosse Reihe von Thierklassen seine 
Untersuchungen ausgedehnt hat, wird sich der von von la Valette 
St. George gegebenen Deutung anschliessen und die nebensäch- 
liche Bedeutung der Follikelzellen zugeben. 

Noch ein zweiter Punkt verdient hier volle Berücksichtigung. 
Zufolge der grossen Uebereinstimmung der von G@oette (Entwick- 
lungsgeschichte der Unke Taf. I, Fig. 1—8), über die Oogenese 
bei Bombinator igneus gegebenen Abbildungen mit den ersten 
Entwieklungsstadien der Samenfäden bei den Batrachiern, glaubte 
von la Valette St. George sich der Goette’schen Interpreta- 
tion der Eitheile nicht anschliessen zu sollen und sagt (Die Sper- 
matogenese bei den Amphibien, Bonn 1876, p. 27): „Das Follikel- 
epithel kommt nach den bisherigen Beobachtungen von aussen her 
zu der Eizelle. Dürfte man annehmen, dass es aus der Spaltung 
des Ureies hervorginge, so wäre es mit der Cystenmembran der 
Ursamenzelle als homolog zu erachten. Darüber müssen weitere 
Untersuchungen entscheiden. Soviel ist gewiss, dass die Darstel- 
lung Goette’s, soweit sie die Vereinigung einer Anzahl Kerne 
zum Keimbläschen betrifft, etwas Auffallendes an sich hat und viel- 
leicht eine andere Deutung nicht ausschlösse, welehe dahin ginge, 
das Follikelepithel!) von den Zellenderivaten des Primordialeies ab- 


1) Anm. d. Ref.: Wir setzten in dem Citat statt „Follikelmembran“ 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 33 


zuleiten; der übrig bleibende Kern als Keimbläschen würde dann 
nebst dem Reste des Protoplasmas die bleibende Eizelle reprä- 
sentiren.“ 

Es wäre demgemäss die Fig. 1 bei Goette in dem Sinne auf- 
zufassen, dass g einen maulbeerförmig getheilten Kern eines Primor- 
dialeies darstellte, aus dem, mit den erforderlichen Theilstücken 
des Zellprotoplasmas umgeben, sich sowohl Eizelle als Follikel- 
epithel entwickeln würde und nicht, wie es Goette gewollt, das 
Keimbläschen des Eies. Wie zutreffend die Voraussage von 1a 
Valette St. George’s mit Bezug auf die Entstehung des Folli- 
kelepithels beim Ei war, ist für Amphibien und Teleostier in den 
vorigen Abschnitten dargethan worden. Zugleich ergab sich für 
diese Thierklassen, dass die Spermatogonie und ihre Follikelzellen 
durch den gleichen, mit maulbeerförmiger Kerntheilung eingeleiteten 
Theilungsprocess aus einer Primordialsamenzelle hervorgehen, wie 
Ei und Follikelepithel aus einem Primordialei. Die Spermatogo- 
nie und die zugehörigen Follikelzellen haben also gleichen Ur- 
sprung; sind aber, sobald sie einmal gebildet worden, der Form 
und Function nach ebenso verschieden als Ei und Follikelepithel. 
Wir werden später nachweisen, dass derselbe Vorgang: die Spal- 
tung sogenannter Primordialzellen beim männlichen Geschlecht in 
Spermatogonie und Follikelzellen; beim weiblichen Geschlecht in 
Ei und Follikelepithel, sich auch im erwachsenen Thier wieder- 
holt. Da nun zur Bildung der Cystenmembran oder des sie ver- 
tretenden Cystenkernes die Spermatogonie in ihrer Follikelhaut noch- 
mals denselben eigenthümlichen Theilungsvorgang durchmacht wie die 
männliche oder weibliche Primordialzelle, so ist es erklärlich, dass 
v.la Valette St. George, der an Embryonen keine Untersuchun- 
gen angegestellt hatte, diesen Vorgang als den zu vergleichenden 
herausgriff. Die Cystenmembran entsteht also dort, wo sie vor- 
kommt, durch Wiederholung desselben Vorganges, der zur Bildung 
der Follikelhaut führte, und insofern als beim Ei nichts Aehnliches 
bis jetzt constatirt wurde, ist sie der männlichen Keimdrüse durch- 
aus eigenthümlich. i 

Das von v. la Valette St. George entwickelte Gesetz der 
Spermatogonese wird durch diese Modifikation in der Deutung der 


„Follikelepithel“, weil von dem Autor unter „Follikelepithel“ nur die Mem- 
brana granulosa gemeint sein kann. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 3 


34 Moritz Nussbaum: 


Hüllen, wie kaum der Erwähnung bedarf, in keiner Weise tan- 
girt. Nach wie vor bleibt uns die Spermatogonie der Ausgangs- 
punkt der Samenkörperbildung, sowohl Follikelzellen als Cysten- 
membran oder der ihr entsprechende Cystenkern sind für die Sper- 
matogonese nur nebensächliche Gebilde. 

Obschon es mir bis jetzt noch nicht gelungen ist, eine ähnliche 
durch maulbeerförmige Kerntheilung eingeleitete Bildung der Ge- 
schlechtsstoffe und ihrer oben besprochenen Hüllen aus einer Pri- 
mordialzelle bei allen höheren Thierklassen bestimmt nachzu- 
weisen, so wird immerhin der Befund, dass jene Hüllen bei 
den niederen Thieren fehlen und bei den höheren in beiden 
Geschlechtern gleichzeitig vorkommen oder gleichzeitig fehlen, 
eine Beigabe für den Vergleich der männlichen und weib- 
lichen Zeugungsstoffe liefern. Gehen wir die verschiedenen Thier- 
klassen durch, so ist das Capitel von den Eihüllen in der preis- 
gekrönten Schrift Ludwig’s (Ueber Eibildung im Thierreich) schon 
sehr umfassend behandelt worden; die entsprechenden Hüllen der 
Samenfadenbündel sind bis jetzt noch nicht Gegenstand einer aus- 
führlichen Erörterung gewesen. 

In der einschlägigen Literatur herrscht jedoch mit Bezug auf 
die Benennung der hier zu berücksichjigenden Theile eine so 
grosse Verwirrung, dass ich mir erlaube vorweg zu bemerken, was 
ich unter den einzelnen von mir angewandten Namen verstanden 
wissen möchte. 

Die einzelnen Elemente des Hodens wird man je nach ihrer 
Form Sehläuche, Ampullen, Aeini benennen können. So besteht 
der Hoden der Säugethiere, Vögel, Reptilien, der meisten Amphi- 
bien, Cephalopoden, einiger Insecten aus Schläuchen; die Hoden 
anderer Inseeten, des Flusskrebses, vieler Fische aus Acinis, die 
der Plagiostomen aus Ampullen. Diese Abtheilungen entsprechen 
dem in der Oogenese durch Pflüger entdeckten Stadium der Ei- 
schläuche, wie sie bei vielen weiblichen Thieren dem Prineip 
nach, wenn auch in modifieirter Gestalt zeitlebens persistiren. Man 
wird den Namen „Follikel“ auf eine solche grössere Abtheilung 
des Hodens nicht übertragen, ihn nieht mit Hodenschlauch, Ho- 
denampulle, Hodenaeinus eoordiniren, da er diesen Begriffen in 
der That subordinirt ist. Denn ein Eifollikel ist nur ein Theil eines 
Eischlauches und ihm entsprieht im Hoden die einzelne Sperma- 
togonie sammt ihren Follikelzellen. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 35 


Da nun die Eizelle gewöhnlich ungetheilt weiter wächst, die 
Spermatogonie sich aber vielfach theilt, so wird ein Eifollikel sel- 
ten mehr als eine, aber zu verschiedenen Zeiten verschieden grosse 
Eizelle umschliessen. Der Samenfollikel dagegen wird zu verschie- 
denen Zeiten eine verschiedene Zahl von Zellen oder deren Deri- 
vaten als Inhalt führen, von der ungetheilten Spermatogonie bis 
zum reifen Samenfadenbündel hin. 

Der Begriff der Samencyste würde sich so weit es auf den 
wesentlichen Inhalt ankommt, mit dem Begriff eines Samenfollikels 
decken. Von la Valette St. George wählte diesen Ausdruck, 
weil bei einigen Thieren entweder die peripherischen Zellen der 
getheilten Spermatogonie nochmals eine vollständige kernhaltige 
Haut — die Cystenhaut — bilden, oder weil in vielen Fällen an 
der Basis des Samenfollikels eine Zelle zurückbleibt, deren Kern 
— Cystenkern — bis zur Ausstossung der Samenfäden aus dem 
Follikel deutlich an seiner Grösse zu erkennen ist, der aber mit 
der Follikelhaut, sobald die Samenfäden diese verlassen haben, durch 
fettige Entartung zu Grunde geht. 

Untersuchen wir, welche Bestandtheile des Samen- und Eifol- 
likels homolog sind, so würde die Spermatogonie oder die aus ihr 
durch Theilung hervorgegangene Summe von Samenfäden auf allen 
Entwieklungsstufen der Eizelle, die Follikelkaut dem Follikelepi- 
thel entsprechen. Für die Cystenhaut oder den Cystenkern gibt 
es keine homologe Bildung im Eierstock; ebensowenig wie die 
einzelnen Samenfollikel von einer bindegewebigen Membran umhüllt 
sind, wie es bei den Eifollikeln der Wirbelthiere der Fall ist. 

Stellen wir die homologen Theile einander gegenüber, so 
entsprechen sich 


oR 2 
1. Hodenschlaueh, Ampulle, Aeinus . . . . Eischlauch. 
2. Samenfollikel. . . . . 12 %2. »Bitollikel. 
3. Spermatogonie, emenladenbiindel l.chran Bizelle. 
4Eollikelhaut „ann. Follikelepithel. 


Für die Säugethiere ist dan, okeranen von Follikelzellen 
zwischen den Spermatogonien und ihren Derivaten durch von la 
Valette St. George überzeugend genug dargethan worden. Wenn 
es auch bisher nicht gelang, isolirte Follikel im frischen Zustande 
darzustellen, so kann dies bei der bekannten Weichheit des Hoden- 
gewebes keinen Grund abgeben gegen die Annahme, dass auch 


56 Moritz Nussbaum: 


bei den Säugethieren die Follikelzellen zu einer Haut zusammen- 
treten und die Abkömmlinge jeder Spermatogonie von ihrer Nach- 
barschaft trennend einhüllen, ebenso wie das Follikelepithel das 
Ei. Man wird ganz gewiss den Follikelzellen nicht mehr die Be- 
deutung von jungen Samenmutterzellen — Ersatzzellen — zusprechen 
wollen, wenn man sie, resp. ihre Kerne, in regelmässigen Abständen 
von der Membrana propria der Hodenschläuche bis gegen das 
Lumen zu zwischen Gruppen von Spermatocyten gelagert findet. 
Ueber die Abstammung der Follikelzellen kann ich nichts mit 
Sicherheit aussagen; es kommen wohl maulbeerförmige Kernthei- 
lungen der Spermatogonien vor, (ef. Tafel XIX Fig. 133 der oben 
eitirten Schrift von la Valette St. George’s) doch müssen über 
diesen Punkt weitere Untersuchungen noch angestellt werden. 
Aber selbst wenn Spermatogonie und Follikelzellen aus einem ur- 
sprünglich gleichen Zellenlager in der Weise sich differenzirten, 
dass von einem Complex von Zellen eine einzige an Grösse zu- 
nähme und die übrigen im Grössenwachsthum zurückbleibend jene 
bevorzugte Zelle, die Spermatogonie, umhüllten, so wäre die Ueber- 
einstimmung mit der durch Pflüger und Waldeyer bei Säuge- 
thieren nachgewiesenen Bildung von Ei und Follikelepithel voll- 
ständig und der Homologisirung der Theile stände kein Hinderniss 
im Wege, wenn die Ableitung der männlichen und weiblichen 
Geschlechtsstoffe bis jetzt in derselben Weise möglich gewesen 
wäre, wie bei Plagiostomen, Reptilien, Amphibien und Fischen. 
Nach den bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen über die 
Entwicklung der Geschlechtsdrüsen bei den Säugethieren darf 
wohl mit Sicherheit angenommen werden, dass jener namentlich 
bei Amphibien von Anfang an so deutlich characterisirte Zustand 
der grossen Geschlechtszellen mit embryonalem Character fehlt. 
Es existirt vielmehr auf dem  bindegewebigen Stroma der 
Genitalanlage das Waldeyer’sche Keimepithel. Von diesen zu 
Anfang gleichen und kleinen Zellen vergrössern sich erst einige 
secundär, und dies gilt für Säugethiere!), Vögel?), Repti- 


1) Theodor Egli, Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte 
der Geschlechtsorgane; Zürich 1876. (Baseler Dissertation). 

A. Kölliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren 
Thiere; Leipzig 1879. 

2) Th. Bornhaupt, Untersuchungen über die Entwicklung des Uro- 
genitalsystems beim Hühnchen. Riga 1867 (Dorpater Dissertation). Die Arbeit 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 37 


lien !), Plagiostomen?), wie ich selbst bestätigen kann. Die Ansich- 
ten über die Ableitung der Geschlechtsstoffe bei Säugethieren und 
Vögeln vom Keimepithel, resp. dessen vergrösserten Zellen sind 
augenblicklich noch eontrovers; meine eignen Untersuchungen halte 
ich für zu lückenhaft, als dass ich darüber berichten könnte, so 
dass wir mit Bezug auf die oben einander gegenübergestellten Theile 
bei den Säugethieren vorläufig nur von einer Analogie reden dürfen; 
wenn auch mit Rücksicht auf die leichter zu studirenden Verhältnisse 
bei Amphibien und Knochenfischen die Hoffnung berechtigt erscheint, 
dass auch bei Säugethieren eine bis ins Detail gehende Homologie 
nachzuweisen sein wird. 

Mit Bezug auf das erste Erscheinen eines Unterschiedes zwi- 
schen Spermatogonien und Follikelzellen in den Hoden der Säuge- 
thiere hätte ich nachzutragen, dass in den schon ausnehmend leicht 
zu isolirenden Hodenschläuchen 12 em langer Rindsembryonen dieser 
Unterschied auffallend ausgesprochen ist, ähnlich wie es von la 
Valette St. George in seiner Schrift (die Spermatogenese bei 
den Säugethieren ete.) vom Kalbe beschrieben und abgebildet hat. 
Bei 7,5 cm langen Rindsembryonen sind dagegen die Hodenschläuche 
noch erst kurze Stummel mit knospenartigen Auswüchsen; ein deut- 
licher Unterschied zwischen den Zellen im Inneren der Schläuche 
ist bei solehen Embryonen noch nieht wahrzunehmen; jedenfalls 
sind alle Zellen bedeutend kleiner als die bei 12cm langen Em- 
bryonen vorhandenen Spermatogonien. 

Der Cystenkern am Fusse reifender Samenfollikel scheint 
nach den Untersuchungen von la Valette St. George’s regel- 
mässig bei den Säugethieren vorzukommen. 

Ueber die Spermatogonese bei den Vögeln ist bis jetzt noch 
Wenig nur bekannt geworden. Auch hier bilden, wie ich gefunden 
habe, Spermatogonien den Ausgangspunkt der Samenfadenentwick- 


selbst ist mir nicht zugänglich gewesen; ich kenne sie nur aus den Referaten 
Waldeyer’s und Kölliker’s. 

W. Waldeyer, Eierstock und Ei, Leipzig 1870. 

1) M. Braun, Das Urogenitalsystem der einheimischen Reptilien; Ar- 
beiten aus dem zoolog.-zootom. Institut in Würzburg. Bd. IV, 1878. 

2) C. Semper, Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und seine Be- 
deutung für das der übrigen Wirbelthiere; Arbeiten aus dem zoolog.-zootom. 
Institut in Würzburg. Bd. II, 1875. 

F. M. Balfour, On the structure and development of the vertebrate 
ovary, Quarterly journal of microscopical science. Vol. XVllI. — New. Ser. 


38 Moritz Nussbaum: 


lung. Neben den grossen Spermatogonien finden sich im Inneren 
der Hodenschläuche Follikelzellen, welehe auch späterhin die 
durch Theilung einer Spermatogonie entstehenden Spermatocyten 
einhüllen. 

Am deutlichsten sind diese Verhältnisse bei ganz jungen 
Thieren oder an erwachsenen während der Ruhezeit des Geschlecht- 
lebens im Winter zu studiren. Es ist bekannt, dass unter Um- 
stinden der Nachweis des Follikelepithels beim Eie auf erhebliche 
Schwierigkeiten stösst; man muss oft genug die ganze Entwick- 
lung des Eies verfolgen und geeignete Methoden ausfindig machen, 
um sich mit Sicherheit über diesen Punkt aussprechen zu können. 
Es fehlt in der Literatur nicht an Beispielen zur Illustration des 
Gesagten. Bedeutend schwieriger wird der Nachweis der entspre- 
chenden Hülle im Hoden, da hier, selbst unter sonst günstigen 
Bedingungen, wie bei den Amphibien, schon frühzeitig die zellige 
Struetur verloren geht. Ich erinnere an die Beobachtung von la 
Valette St. George’s, der an den Hüllen reifer Samenfaden- 
bündel der Amphibien weder Kerne noch Zellengrenzen mit Hülfe 
von Argentum nitrieum nachweisen konnte; während beides auf 
früheren Entwieklungsstadien ohne weitere Präparation möglich ist. 
Bei vielen Inseeten bleiben zwar an den reifen Samenfadenbündeln 
die Kerne der Hülle erhalten und deutlich sichtbar; doch sind die 
Zellengrenzen in derselben nicht mehr aufzufinden, wie es vor der 
Umwandlung der Spermatocyten in Spermatosomen der Fall war. 

Man darf demgemäss an den reifen Hoden keine Untersuchun- 
zen anstellen wollen, die den Nachweis der Follikelhaut zum 
Zweck haben; man wird nur die undeutlichen, allerdings stets vor- 
handenen Reste derselben vorfinden. 

Als das beste Mittel, feine Schnitte herzustellen habe ich in 
Uebereinstimmung mit von la Valette St. George die Erhär- 
tung in absolutem Alcohol gefunden. Nur müssen die Hoden ab- 
solut frisch sein und dürfen höchstens eine Stunde lang in die 
Flüssigkeit eingelegt werden, weil später eine derartige Schrum- 
pfung der Gewebe eintritt, dass von einer Untersuchung nieht mehr 
die Rede sein kann. Sperlingshoden, die etwa einen Tag in ab- 
solutem Alcohol gelegen haben, sind ganz verzerrt auf der Ober- 
fläche, während nach einstündiger Einwirkung die Oberfläche des 
im Winter grobschrotkorngrossen Organes glatt und eben bleibt. 
Dabei ist eine vorzügliche Schnitteonsistenz erreicht; die Schnitte 


® Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 39 


werden am besten in verdünntem Glycerin untersucht. Auch leistet 
die Präparation frischer Hoden in Jodserum von geeigneter Con- 
centration wesentliche Dienste. 

Auf Querschnitten der Hoden von jungen Krähen (Anfang 
Juni eingefangen) wird man ausschliesslich gewundene mit seit- 
lichen Ausläufern besetzte breite Schläuche vorfinden (cf. Fig. 84), 
an die sich in dem dorsalwärts gelegenen zugeschärften Rande 
die engeren graden Hodencanäle anschliessen und zum Nebenhoden 
zusammentreten. Das Epithel der graden Hodenschläuche ist eu- 
bisch und niedrig; in den gewundenen Schläuchen sieht man 
Spermatogonien, Spermatocyten und die zugehörigen Follikelzellen. 
In Fig. 57 ist ein solcher Querschnitt eines gewundenen Hoden- 
schlauches dargestellt. Die Membrana propria aus deutlich abge- 
srenzten Zellen zusammengesetzt ist nicht in die Zeichnung auf- 
genommen worden. An dieser Membrana propria anliegend finden 
sich nun Spermatogonien von Follikelzellen umgeben und weiter 
in das Lumen des Schlauches hineinragend Gruppen von Sper- 
matocyten ih ihrer Follikelhaut, deren helle mit einem Kern- 
körperchen versehene Kerne deutlich bei F sichtbar sind. Man 
findet bei sorgfältiger Durchsuchung feiner Schnitte alle Ueber- 
gänge von der ungetheilten Spermatogonie bis zu Spermatocyten- 
Gruppen immer in eine Follikelhaut eingeschlossen, so dass es 
keinem Zweifel unterliegt, dass innerhalb der durch Theilung ihrer 
Zellen wachsenden Follikelhaut die Spermatocyten aus der Sper- 
matogonie durch Theilung hervorgehen. Die Spermatogonien sind 
amoeboid; in Fig. 85 findet sich eine solche aus den Hoden von 
Emberiza eitrinella zu Ende März in Jodserum untersucht; in Fig. 
61 ist ein Bruchstück eines quergetroffenen Hodenschlauches mit 
seiner Membrana propria von einem jungen Cypselus apus darge- 
stellt. Sg. ist eine in Theilung begriffene Spermatogonie. Alle 
Spermatogonien oder die durch Theilung aus solchen hervorge- 
gangenen Spermatocytengruppen sind von Follikelzellen eingehüllt. 
Die Figuren 61 von Cypselus und 57 von Corvus ergänzen ein- 
ander, da bei beiden jungen Thieren eine continuirliche Reihe von 
Entwieklungszuständen von der Spermatogonie an bis zur Samen- 
zelleneyste nachzuweisen war. So findet man es auch im Winter 
(Dezember) in den Hoden erwachsener Vögel; ich habe auf diesen 
Punkt Passer domestieus und Emberiza eitrinella untersucht. Bei 
allen den vorgenannten Thieren in den angegebenen Perioden ist 


40 Moritz Nussbaum: 


also die Entwicklung schon ziemlich weit vorgeschritten, da man 
neben den Ausgangstadien, den Spermatogonien, ganze Samenfol- 
likel mit zelligem Inhalt antrifft. Die grössten Eifollikel junger 
weiblicher Krähen, gleichaltrig mit den beschriebenen Männchen, 
hatten einen Durchmesser von 60u. Es ist dies durckaus in Ueber- 
einstimmung mit den Befunden bei jungen Amphibien, wo auch 
bald nach der definitiven Formgestaltung des jungen Thieres, also 
kurze Zeit nach der Metamorphose, ächte Samenzellenfollikel 
und junge Eier angetroffen werden. — Die weitere Entwicklung 
der Spermatocyten zu fertigen Samenfäden kann hier nicht Gegen- 
stand ausführlicher Erörterung sein; wie überall, wird auch bei 
den Vögeln der Kern zum Kopf und das Protoplasma der Samen- 
zelle zum Schwanzfaden (v. la Valette St. George, Schweigger- 
Seidel, Bütschli). — Im Winter findet man im Lumen der Hoden- 
schläuche verfettete Kugeln: die letzten Reste der verödeten Samen- 
follikel, die eine einfache fettige Degeneration erleiden, nachdem 
die Samenfäden aus ihnen herausgetreten sind; während der Ei- 
follikel nach Entleerung des Eies noch zuvor den gelben Körper bildet. 

Somit wäre auch für die Vögel zum Mindesten eine Analogie 
der männlichen und weiblichen Geschlechtsstoffe zu constatiren, 
die bis auf die letzten Elemente durchzuführen ist. Es entspricht 
dem Ei die Spermatogonie; das Follikelepithel des Eies wird im 
Hoden durch eine Summe von Follikelzellen repräsentirt, die mit 
dem durch Theilung complieirten Wachsthum der Spermatogonie 
sich gleichfalls vermehren und eine zarte Hülle um die aus den 
Spermatogonien hervorgegangenen einzelnen Gruppen von Sperma- 
tocyten bilden. 

Ein Cystenkern scheint bei den Vögeln zu fehlen. 

Aehnlich wie bei den Vögeln verhält es sich bei den Repti- 
lien. Von dem Bau des Follikelepithels beim Ei der Reptilien 
wird im folgenden Abschnitt ausführlich gehandelt werden. Für 
den Nachweis der entsprechenden Haut der Samenfollikel ist die 
Zeit nach der Begattung, also Ende Juni, die geeignetste; es ge- 
lingt zwar auch noch im April an den grossen Follikeln, in denen 
die Umbildung zu Samenfäden noch nicht erfolgt ist, die Kerne 
dieser Haut nachzuweisen; doch sind sie um diese Zeit schon sehr 
platt geworden. Nach meinen Erfahrungen ist die Erhärtung der 
Hoden in absolutem Alcohol — einen Tag lang — das beste Mit- 
tel gute Schnitte anzufertigen. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 41 


Im Juni, nach der Brunst, sind die Hodenschläuche mit ver- 
schiedenen Entwicklungsstufen der Samenzellen angefüllt. Im Lu- 
men der Schläuche liegen verfettende Reste entleerter Follikel; der 
Membrana propria sitzen Ketten von Spermatogonien auf, deren 
Kerne zuweilen in maulbeerförmiger Theilung angetroffen werden. 
Die Ketten dieser Spermatogonien liegen ohne Dazwischenkunft 
kleinerer Zellen aneinander, so dass mit Rücksicht auf das Vor- 
kommen isolirter Spermatogonien, die’ von Follikelzellen umgeben 
sind, es den Anschein hat, als bildeten sich die Follikelzellen und die 
von ihnen umhüllte Spermatogonie aus einer Primordialzelle, wie bei 
den Amphibien. In absolutem Alcohol gehärtet, messen die gröss- 
ten ungetheilten Spermatogonien 16 «, ihr Kern 12,5 u. Weiter 
finden sich Theilungsstadien von Spermatogonien in ihrer Follikel- 
haut bis zu solchen Follikeln hin, wie es in Fig. 54 dargestellt ist. 
Die Kerne der Follikelhaut haben das ihnen bei allen Thierklassen 
gemeinsame glänzende Wesen, sind von elliptischer Gestalt und 
führen ein bis zwei Kernkörperchen. Die Abgrenzung der Sperma- 
toeyten ist deutlich, ihre Kerne in dem gezeichneten Stadium 
grob granulirt. Im April sind die Follikel grösser geworden; die 
einzelnen Spermatocyten kleiner. Die Kerne der Spermatocyten 
fangen an glänzend zu werden und sich zu strecken. Die Abgren- 
zung der einzelnen Follikel gegen einander ist sehr scharf; die 
Kerne der Follikelhaut beginnen zu schwinden und sind nur schwer 
nachweisbar. 

Es entwickeln sich demgemäss die Spermatosomen der Rep- 
tilien in derselben Weise, wie es dasvon v. la Valette St. George 
aufgestellte Gesetz verlangt. Den Ausgangspunkt bilden Sperma- 
togonien in einer Follikelhaut; beide wachsen; die Spermatogonie 
erzeugt durch Theilung die Spermatocyten, die auch weiterhin 
von einer deutlichen Follikelhaut umgeben werden. Die Um- 
bildung der Spermatocyten in Samenfäden habe ich nicht verfolgt. 

Auf der Grundlage der entwicklungsgeschichtlichen Studien 
Braun’s dürfen wir demgemäss bei den Reptilien eine vollstän- 
dige Homologie zwischen Samen- und Eifollikel statuiren. 

Durch die Arbeiten v. la Valette St. George’s sind die 
Hüllen an den Samenballen der Amphibien bekannt geworden; 
die Kenntniss des Eifollikelepithels ist älteren Datums. Wir wer- 
den in dem folgenden Abschnitt Gelegenheit nehmen, über” den 
Bildungsmodus der Folikelhaut bei erwachsenen Thieren zu be- 


42 Moritz Nussbaum: 


richten und verweisen bezüglich ihrer Entstehung in der Larve 
auf das im ersten Abschnitt darüber Gesagte. Die d‘ Follikelhaut 
ist wie das 2 Follikelepithel schon früh entwickelt. Die Cysten- 
haut fand ich zuerst bei Fröschen von 3 cm Länge (5 Monate alte 
Rana fusea), in deren kleinen Hodenschläuchen die Spermatogo- 
nien innerhalb ihrer Follikelhaut schon Theilungen bis zur Bildung 
je einer grossen Öyste eingegangen waren; ebensoweit waren die 
Hoden in 2 cm langen Bufö einereus entwickelt. Die Entstehung 
der Cystenhaut geht auch in ihrem ersten Auftreten bei diesen 
jungen Thieren in derselben Weise vor sich, wie es von la 
Valette St. George von erwachsenen Amphibien beschrieben hat. 
Der Kern der Spermatogonie theilt sich maulbeerförmig !); das 
Zellprotoplasma innerhalb der Follikelhaut folgt bald diesem ra- 
piden Theilungsprocess des Kernes, und aus den so entstandenen 
Zellen liefern eine grössere oder kleinere Zahl von peripher gele- 
genen die Cystenhaut; die centralen theilen sich weiter und wan- 
deln sich nach und nach zu Samenfäden um, beständig von ihren 
Hüllen — Cysten- und Follikelhaut — eingeschlossen, die sie wie 
das Ei erst bei ihrer Reife durchbrechen. 

Man muss nun festhalten, dass die Cystenhaut eine Bildung 
späteren Datums ist als die Follikelhaut; indem sowohl bei 
ganz jungen Thieren als auch bei erwachsenen die Follikelhaut weit 
eher vorhanden ist und die Zelle — die Spermatogonie — umgibt, 
aus der die Cystenhaut und die von der Cystenhaut eingeschlosse- 
nen Samenfäden hervorgehen. 

Wer sich über das Vorhandensein der beiden Häute an den 
Samenfollikeln der Amphibien schnell orientiren will, möge auf 
die Empfehlung von v. la Valette St. George den Hoden von 
Bombinator igneus als Musterobject benutzen. Die geeigneteste 
Jahreszeit ist Ende Juli und Anfang August; weil alsdann schon 
genug grössere Follikel vorhanden sind und ihr Inhalt noch nicht 
zu Samenfäden umgewandelt ist, die durch ihr starkes Lichtbre- 
chungsvermögen die Untersuchung erschweren. An feinen Schnit- 
ten in Alcohol gehärteter Hoden aus dieser Jahreszeit sieht man 
beide Häute deutlich, wie Fig. 53 zeigt. Die Cystenhaut allein 
bringt man am besten durch Abstreifen mit der Messerklinge von 

1) Vergl. Fig. 50 aus dem Hoden von Bombinator igneus und Fig. 67 
aus dem Hoden von Rana fusca. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 43 


der Schnittfläche frischer Hoden zur Ansicht, indem man in Hu- 
mor aqueus desselben Thieres untersucht. Bei Bombinator igneus 
ist die Cystenhaut so resistent, dass fast in jedem Präparat unver- 
letzte Cysten in grosser Zahl angetroffen werden, was bei den 
übrigen Amphibien keineswegs immer der Fall ist. Auch noch 
aus einem anderen Grunde verdient Bombinator igneus den Vor- 
zug; weil nämlich in der Cystenhaut durchschnittlich 8 bis 10 Kerne 
gelegen sind, während bei Rana fusca fast regelmässig nur ein 
Kern, höchstens deren zwei angetroffen werden. Bei Bombinator 
igneus kann man frische Cysten mit ganz fertigen Samenfäden im 
Innern isoliren, was bei Rana niemals gelingt. 

Man darf sich nun bei der Untersuchung der Amphibienho- 
den nicht der Hoffnung hingeben, beim Abstreifen mit der Messer- 
klinge vom frischen Präparat nur intacte Cysten zu finden. Das ist 
keineswegs der Fall, da die Cystenhaut lehr leicht zerreisslich ist. 
Namentlich platzen diejenigen Cysten leicht, deren Inhalt schon einen 
hohen Entwicklungsgrad erreicht hat, vielleicht schon in fertige Sa- 
menfäden umgewandelt ist. Man findet demgemäss in einem frischen 
Präparat vom Hoden: freie Samenfäden, einzelne amöboide Zellen 
und grössere amöboide Zellenhaufen oder ruhende Kugeln von Zellen. 
Die Kugeln von Samenbildungszellen sind nicht mit den Samen- 
follikeln oder Cysten zu verwechseln; sie sind vielmehr Bruch- 
stücke der Follikel aus den Umhüllungshäuten herausgerissen 
und, wie alle amöboiden Zellen, beim Absterben zu Kugeln zu- 
sammengeflossen. Die unverletzten Cysten haben eine ächte Haut, 
worin bei Bombinator viele, bei Rana esculenta einige und bei 
Rana fusca nur ein bis zwei Kerne eingelagert sind. Die Ku- 
geln sind hüllenlos, sie entbehren einer Membran. Die Cysten, so 
lange sie unverletzt ‘sind, zeigen ‘wegen der vorhandenen Cysten- 
haut keine amöboide Bewegung, sie sind ausserdem leicht durch 
die relativen Verhältnisse ihres Umfanges zur Zahl und Grösse 
der in ihnen enthaltenen Zellen von den nackten Kugeln zu unter- 
scheiden. Man braucht nur einmal kurze Zeit nach dem Laichge- 
schäft einen feinen Schnitt eines in Alcohol gehärteten Amphibien- 
hodens zu durchmustern, um sich davon zu überzeugen, dass in 
den grossen Follikeln viele und kleine Zellen, in den kleinen 
Follikeln dagegen wenige aber grosse Zellen gelegen sind. In den 
nackten Kugeln herrscht diese Gesetzmässigkeit nicht; wohl aber 
in den frisch isolirten unverletzten Cysten. Man wird vergeblich 


44 Moritz Nussbaum: 


nach einer Haut und ihren Kernen bei den Kugeln suchen; die 
„Haut“ der Kugeln ist nichts Anderes als die erhärtete Rinden- 
schicht des Protoplasma’s einer unregelmässigen Zahl zusammen- 
geballter Spermatocyten. 

Das Vorhandensein zweier ächten Häute an den Samenballen 
der Amphibien hindert natürlich nicht, den Vergleich zwischen den 
Geschlechtsstoffen durchzuführen. Der Entstehung nach sind Sper- 
matogonie und Eizelle, die 5 Follikelhaut und das 2 Follikel- 
epithel homologe Theile. Die Cystenhaut ist eine dem männlichen 
Geschlecht ausschliesslich zukommende spätere Bildung: mit den 
Samenzellen zugleich durch Theilung aus der Spermatogonie her- 
vorgegangen. Es bleibt also auch der fertige Samenfollikel dem 
Eifollikel homolog, da zur Bildung der Cystenhaut keine neuen 
Elemente von Aussen her aufgenommen werden. 

Für die Teleostier erlaube ich mir, auf das im zweiten Ab- 
schnitt über die erste Entwicklung der Geschlechtsorgane Gesagte 
hinzuweisen. Hieran anknüpfend erwähne ich den in jüngster Zeit 
von Brock !) geführten Nachweis des Follikelepithels beim Tele- 
ostierei, dessen Existenz His für gewisse Stadien bestimmt in Ab- 
rede gestellt hatte. In der Arbeit Brock’s (pag. 561) findet man 
eine erschöpfende Zusammenstellung der diesbezüglichen Literatur 
und im Anschluss an Ludwig?) eine Widerlegung der Ansicht 
von His. Auf den von Brock unentschieden gelassenen Bildungs- 
modus des Follikelepithels der Fischeier wird im folgenden Ab- 
schnitt näher eingegangen werden. Hier gilt es, die bis jetzt un- 
bekannte homologe Bildung im Hoden der Knochenfische aufzu- 
suchen. Das von Brock in Fig. 1 abgebildete Stadium vom Hoden 
des Alburnus lueidus ist in der Entwicklung noch nicht so weit 
vorgeschritten, als dass es schon zur Bildung von Samenfollikeln 
sekommen wäre. Auf das Studium der [Samenentwicklung ist 
Brock nieht eingegangen, und es ist deshalb wohl erlaubt, aus 
seiner Nomenklatur die Bezeiehnung „Follikel“ auszumerzen und 
nur den gleichfalls angewandten Ausdruck „Acinus“ beizubehalten. 
Brock bezeichnet nämlich sowohl mit „Follikel“ als „Acinus“ das 
einem Hodenschlauch oder Hodencanal aequivalente Element. Wir 
haben die Gründe hierfür oben auseinandergesetzt. Follikelbildung 


1) J. Brock: Morphologisches Jahrbuch, IV. Bd. pag. 505 sqq. 
2) Ludwig: Ueber die Eibildung im Thierreich, pag. 147. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 45 


kommt innerhalb der Acini vor; die beiden Bezeichnungen können 
demgemäss nicht promiscue gebraucht werden. 

im zweiten Abschnitt wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit 
dargethan, dass wie bei den Batrachiern, so auch bei den Tele- 
ostiern Spermatogonien und Follikelzellen zugleich aus Primordial- 
samenzellen hervorgehen. In Fig. 76b ist ein maulbeerförmig ge- 
theilter Kern einer Spermatogonie aus dem Hoden von Üyprinus 
erythrophthalmus, im November frisch in Jodserum untersucht, dar- 
gestellt. Es ist somit wohl unzweifelhaft, dass der bei Batrachiern 
geschilderte Vorgang der Follikelbildung im Hoden, der ja eben- 
falls durch maulbeerförmige Kerntheilung der Spermatogonien ein- 
geleitet wird, auch bei den Teleostiern Platz greift. 

Ich will nun versuchen den Bau eines Teleostierhodens zur 
Zeit des Bestehens ächter Follikel im Zusammenhang zu schildern. 
Ein passendes Object ist der Hoden von Cyprinus erythrophthalmus 
im November. 

Die Hoden stellen zwei compacte Säulen dar, die bis zur 
Leber auf beiden Seiten des Darmes in die Höhe reichen. Die 
Ausführungsgänge verlaufen im unteren Abschnitt der Bauchhöhle 
frei und münden hinter dem After: haben sie die Hoden erreicht, 
so legen sie sich ihnen dorsalwärts an. Die äussere Oberfläche 
der Hoden ist glatt; das Innere durch spärliches Bindegewebe, 
worin die Blutgefässe verlaufen, in Abtheilungen gebracht, die ihrer 
Gestalt nach den Namen Acini verdienen und einem Hodenschlauch 
der Säugethiere aequivalent sind. Die Acini sind von einer kern- 
haltigen Membrana propria umgeben, zeigen ein Lumen im Innern, 
an das von der Membrana propria her die einzelnen Samenfollikel 
heranreichen. Diese Samenfollikel haben eine kernhaltige Membran 
und je nach ihrer Grösse einen verschiedenen Inhalt. Die klei- 
neren enthalten in der Follikelhaut eingeschlossen grössere Zellen 
mit granulirten Kernen; die grösseren Follikel sind aus einer 
grossen Zahl kleiner Zellen mit glänzenden Kernen zusammenge- 
setz. An der Membrana propria finden sich bei aufmerksamer 
Betrachtung und hinreichend feinen Schnitten erhärteter Hoden, 
Spermatogonien d. h. grosse Zellen mit ungetheiltem Kern und 
solche, deren Kern schon eine maulbeerförmige Theilung einge- 
gangen ist. 

Um den Nachweis zu erbringen, dass wir es im Hoden mit 
ächten Follikeln zu thuu haben, das heisst mit einer verschieden 


46 Moritz Nussbaum: 


grossen Zahl von Samenzellen in eine kernhaltige Membran einge- 
schlossen, ist es nöthig Isolationspräparate herzustellen. Man ge- 
winnt diese, wenn man nach der Vorschrift von la Valette St. 
George’s mit der Messerklinge vom frischen Hoden abgestreifte 
Gewebstheile in Humor aqueus oder Jodserum untersucht. Doch 
ist bei Fischen die Follikelhaut so zart, dass es nicht so leicht 
wie bei Batrachiern oder Insecten gelingt, die Follikel unversehrt 
zu erhalten. Man gewinnt schon eher überzeugende Präparate, 
wenn man kleine Hodentheile einen Tag lang in 5% molybdän- 
saurem Ammoniak aufbewahrt und dann mit der Messerklinge ab- 
gestreifte Partikelchen in der Conservirungsflüssigkeit untersucht. 
In Figur 51 ist ein auf diese Weise isolirter Follikel mit deutlich 
kernhaltiger Membran dargestellt; sein Umfang, die Grösse und 
Beschaffenheit der in ihm enthaltenen Zellen stimmen genau mit 
den Verhältnissen unzweifelhafter Follikel wie sie auf feinen 
Schnitten in Alkohol erhärteter Hoden gefunden werden. Man möge 
hierzu Fig. 73 vergleichen. 

In den frisch untersuchten Präparaten trifft man, wie in allen 
nicht geschlechtsreifen Hoden der Wirbelthiere, neben den selten 
unversehrten Follikeln Bruchstücke derselben, die theils amoeboid 
wie es Figg. 77, 78 und 79 zeigen oder unbeweglich kugelförmig 
sind. In diesen Kugeln steht wiederum wie bei Batrachiern der 
Inhalt in keinem Verhältniss zum Umfange, wie es bei unverletzten 
Follikeln der Fall ist. Man kann auch ganz bequem den Nach- 
weis der Entstehung dieser Kugeln führen. Hat man einen unver- 
letzten Follikel im Praeparat aufgefunden, so verdränge man die 
indifferente Zusatzflüssigkeit allmälig durch Wasser. Im Anfang 
wird die Follikelhaut noch deutlicher; alle Kerne treten klar und 
scharf hervor; bald aber platzt die Follikelhaut, und aus dem 
Inneren tritt eine grössere Anzahl meist kugliger Bruchstücke her- 
vor, deren periphere Schicht unter dem Einflusse des Wassers 
erstarrt. Diese Kunstproducte sind es, welche von der weitver- 
breiteten Annahme einer endogenen Entstehung von Samenbildungs- 
zellen in sogenannten Mutterzellen geführt haben. Es gibt aber 
keine endogene Zellbildung, wie von la Valette St. George 
schon vor vielen Jahren hervorgehoben hat; sondern alle Samen- 
fäden einer Cyste gehen durch fortgesetzte Theilung der Sperma- 
togonie hervor, und die supponirten Mutterzellen, in denen die 
Spermatosomen sich entwickeln sollen, existiren in Wahrheit nicht, 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 47 


sondern werden durch die kuglige Begrenzung der Theilstücke 
eines gesprengten Follikels vorgetäuscht. Eine eigene Cystenhaut 
oder einen Cystenkern habe ich bis jetzt bei Knochenfischen noch 
nicht beobachtet. Bei Sem (ohne Schwanzflosse) langen 4‘ Tinca 
chrysitis war die Anordnung der Theile und der feinere Bau des 
strangförmigen und noch durchscheinenden Hodens dieselbe wie 
sie vorher von Cyprinus beschrieben wurde. Im Innern der Hoden- 
acini fanden sich Spermatogonien und ächte Samenfollikel, die 
auch frisch isolirt wurden. Es verdient wohl nochmals hervorge- 
hoben zu werden, dass mit der Reifung der Samenkörper die 
Follikelhaut immer zarter wird und ihre Kerne allmälig verschwin- 
den, so dass bei völliger Reife der Samenfäden keine intacten 
Follikel mehr isolirt werden können. Da sie aber, so lange die 
zellige Natur der Spermatocyten noch erhalten ist, bestehen, so 
wird man mit Rücksicht auf die entwicklungsgeschichtlichen Daten 
bei den Teleostiern Samen- und Eifollikel homologisiren können. 
Auch bei den Plagiostomen entspricht zweifellos der Samen- 
follikel dem Eifollikel, wie es von la Valette St. George in 
dem Programm der Bonner Universität vom Jahre 1878 (De Sper- 
matosomatum evolutione in Plagiostomis) ausgesprochen hat. Es 
ist jedoch vorläufig noch nicht erlaubt, eine völlige Homologie der 
Theile zu behaupten; daSemper zwar die functionellen Theile des 
Hodens und Eierstocks vom Keimepithel entstehen lässt; doch mit 
dem Unterschiede, dass beim Eierstock die Primordialeier, beim 
Hoden die Follikelepithelien derselben zu den eigentlichen Ge- 
schlechtsstoffen heranreifen (ef. Semper, Das Urogenitalsystem 
der Plagiostomen pag. 392). Wir werden im allgemeinen Theil 
ausführlich hierauf zurückkommen. 

Von Petromyzonten habe ich bis jetzt nur Thiere mit fast 
völlig reifen Geschlechtsstoffen zu untersuehen Gelegenheit gehabt. 

In den Hoden waren nur ausgebildete Spermatosomen vor- 
handen, und der Nachweis einer Follikelhaut gelang nicht mehr, 
wie dies wohl erwartet werden konnte. Die Ovarien der Anfangs 
Dezember untersuchten Weibchen stellen zwei krausenförmige, 
langgezogene Organe dar; Säcke, in deren Inneres zipfelartige mit 
undurchsichtigen Eiern besetzte Vorsprünge hineinragten. Die Eier 
waren alle auf derselben Entwicklungsstufe, was sehr wohl zu den 
Angaben passt, welche über das Absterben der Petromyzonten nach 
dem Laichgeschäft gemacht worden sind. In seiner schönen Ab- 


48 Moritz Nussbaum: 


handlung über den Befruchtungsvorgang beim Ei von Petromy- 
zon Planeri (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XXX, 
pag. 437sqgq.) hat Calberla auch verschiedene Mittheilungen über 
das Eierstocksei dieser Fische gemacht, und dabei vorzüglich die 
Umwandlungen des Keimbläschen und den Mieropylenapparat, Ein- 
zelheiten, die für die Zwecke seiner Arbeit von Bedeutung. waren, 
berücksichtigt. Ich kann aus eigener Erfahrung seine Beobach- 
tungen über die Wandlungen des Keimbläschen bestätigen; das- 
selbe hat zuerst nur einen Keimfleck (Eierstock eines 12 cm lan- 
gen Ammocoetes vom 18. Dezember) und bekommt erst später 
viele Keimflecke, ein Vorgang der bei den Knochenfischen und 
Amphibien sich in derselben Weise vollzieht. Calberla hat in 
seinen Zeichnungen das Follikelepithel des Petromyzonteneies nicht 
aufgenommen; es ist aber ganz sicher vorhanden und kann bei den 
der Reife nahen Eiern durch Wasserzusatz deutlich sichtbar ge- 
macht werden; indem dann durch Imbibition die vorher platten 
Zellen aufquellen und deutliche Kerne zeigen. Nach aussen vom 
Follikelepithel liegt die bindegewebige Theca follieuli; nach innen 
vom Follikelepithel eine aus zwei Lamellen zusammengesetzte 
Zona, deren Porenkanäle wohl erst später als Anfang Dezember 
deutlich sichtbar werden. Die lamellöse Beschaffenheit der Zona 
hat Calberla richtig beschrieben und Gegenbaur!) (Ueber den 
Bau und die Entwicklung der Wirbelthiereier) hat etwas Aehn- 
liches von der Dottermembran des reifen Hühnereies gemeldet. 
Uns interessirt hier das Vorhandensein des Follikelepithels, dessen 
aequivalente Bildung sich im Hoden zur geeigneten Jahreszeit, 
wohl im Sommer bis Herbst, wird gleichfalls nachweisen lassen; 
auch hier wird erst die Entwicklungsgeschichte eine Homologisi- 
rung der Theile gestatten. 

Weiter reichen meine Beobachtungen bei Wirbelthieren 
nicht; doch glaube ich das gleichzeitige Vorkommen von Follikelepi- 
thelan den weiblichen Geschlechtsstoffen und einer Follikelhaut bei 
den männlichen als ein gesetzmässiges ansprechen zu dürfen. Es 
ist bei dem an Amphibien und Teleostiern geführten Nachweis 
von der Homologie dieser Theile auch zu erwarten, dass bei allen 
Wirbelthieren Ei und Spermatogonie, 2 Follikelepithel und 
Follikelhaut als homologe Bildungen in Grundlage entwicklungs- 
geschichtlicher Untersuchungen werden erkannt werden. 


1) Müller’s Archiv 1861. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 49 


Bei den Wirbellosen sind die Hüllen der Geschlechtspro- 
ducte nicht so weit verbreitet, und kommen, auffallend genug, 
innerhalb eines Typus nicht allen Abtheilungen gleichmässig zu, 
was wohl eine tiefere Verschiedenheit der im System zusammen- 
gestellten Gruppen bezeichnen möchte, als man nach dem Bau der 
übrigen Organe erwarten sollte. Es liegt mir selbstverständlich 
fern, diesem Umstande ein grösseres Gewicht beizulegen. 

Jedenfalls bezeichnet das Vorhandensein dieser Hüllen einen 
Fortschritt in der Organisation; da sie sowohl den niedrigsten Thie- 
ren, als den Jugendformen der höheren fehlen. — 

Wir werden nunmehr eine Reihe von Abtheilungen der wir- 
bellosen Thiere durchmustern und diejenigen voraufstellen, bei wel- 
chen ächte kernhaltige Hüllen der Geschlechtsstoffe vorhanden sind. 

Von den Geschlechtsorganen der Cephalopoden hat in jüng- 
ster Zeit noch J. Brock berichtet !). Nach seinen Untersuchun- 
gen würde die dem Follikelepithel des Eies entsprechende Follikel- 
haut an den Samenbündeln fehlen; dies ist jedoch nicht ganz zu- 
treffend. Ich habe zwar nicht an frischen Hoden Untersuchungen 
anstellen können; aber ich glaube an dem vorzüglich in absolutem 
Aleohol eonservirten Material soweit orientirt zu sein, um Folgen- 
des mit Bestimmtheit vertreten zu können. 

Wie Brock schon angegeben, findet man, der Membrana 
propria der Hodenschläuche direet aufsitzend, eine schöne regel- 
mässige Mosaik grosser, meist gegen einander abgeplatteter Zellen: 
die Spermatogonien. Follikelzellen fehlen in dieser Schicht, man 
sieht aber an den kurz nach dem Laichgeschäft eingefangenen 
Exemplaren viele Kerne der Spermatogonien in maulbeerförmiger 
Theilung. Ich weiche nun in der Deutung der weiteren Befunde 
in sofern von Brock ab, als ich die Samenbildung, wie bei den 
übrigen Thieren, direct in dieser Schicht ihren Anfang nehmen 
lasse. Es finden sich nämlich oberhalb der Lage von Sper- 
matogonien ächte Samenfollikel mit einem Inhalt, dessen Bezie- 
hungen zum Umfange der Follikel genau die schon bei früheren 
Gelegenheiten beschriebenen sind, und die in derselben Weise aus 
Je einer Spermatogonie hervorgehen, wie dies von la Valette 
St. George zuerst bei Amphibien bewiesen hat. Wie bei den 
Vögeln, liegen aber auch bei den Cephalopoden stets mehrere Sätze 


1) J. Brock, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 32, pag.1sqq. 
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 4 


50 Moritz Nussbaum: 


von Bildungsstadien zu Samenfäden übereinander, nicht nebenein- 
ander, wie dies bei den Batrachiern der Fall ist; wo man neben- 
einander, und der Membrana propria aufsitzend, zu bestimmten 
Jahreszeiten alle Stadien von der Spermatogonie bis zum reifen 
Samenfollikel findet. Bei den Cephalopoden ist dies ganz anders. 
Die Spermatogonien bilden eine continuirliche Schicht auf der 
Membrana propria und alle weiteren Entwicklungsstadien werden 
gegen das Lumen zu vorgeschoben, so dass bei Hoden mit völlig 
reifen Samenfäden diese ausschliesslich um das Lumen der Hoden- 
schläuche gruppirt sind. Was Brock daher als Epithel bezeich- 
net, ist die Summe der unreifen Follikel, aus den von ihm als 
Matrix bezeichneten Spermatogonien hervorgegangen. Ob sich wie 
bei den Amphibien eine resistente Follikelhaut wird nachweisen 
lassen, weiss ich nicht. Man sieht aber in regelmässigen Inter- 
vallen, wie bei Säugethieren und Plagiostomen dies von la Va- 
lette St. George abgebildet hat, die Kerne von Follikelzellen 
deutlich die Abgrenzung der verschieden weit entwickelten Sper- 
matocyten in Follikel markiren. Je weiter man sich bei der 
Durchmusterung eines feinen Schnittes dem Lumen nähert, desto 
undeutlicher werden die Follikelkerne; an reifen Samenfädenbün- 
deln sind keine Follikelkerne mehr nachweisbar, wie dies ja mit 
wenigen günstigen Ausnahmen — Bombinator igneus, einige In- 
secten — bei allen Thieren der Fall ist. Ich bedauere diese An- 
gaben nicht durch Abbildungen erläutern zu können, und, vorläufig 
auf eine demnächst erscheinende Mittheilung über die Spermato- 
genese bei den Cephalopoden verweisend, mich mit dem Gegebe- 
nen bescheiden zu müssen. 

Bei den Insecten sind die Hüllen der Geschlechtsorgane wohl 
kaum noch strittig, wenn auch die Auffassung derselben im Ho- 
den eine verschiedene ist. So hat von la Valette St. George 
in seiner zweiten Mittheilung über die Genese der Samenkörper }), 
namentlich aus den Hoden von Tenebrio molitor „Samencysten“ be- 
schrieben, deren kernhaltige Membran nach unserem Autor durch 
Verschmelzung der peripheren Schicht der Keimkugeln zu Stande 


1) v. la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper, 
Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. III pag. 270; vergleiche auch Bd. X, 
Tafel 35, Figg. 43—47. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 51 


kommt. Bei Aphiden hat Balbiani!) vom Hoden des Drepano- 
siphum platanoides in den sogenannten Follikeln Oysten beschrie- 
ben und ihre kernhaltige Umhüllungshaut durch Wucherung der Fol- 
likelwandung, d.i.derMembrana propria, erklärt. Auch in dieser Dar- 
stellung ist der Ausdruck Hodenfollikel besser durch den Namen Ho- 
denbläschen, Aeinus, zu ersetzen; die Cysten bezeichnen dann dasselbe 
wie unsere Samenfollikel. Bütsc hli ?) zeichnet in der seinen beiden 
Abhandlungen beigegebenen Tafel XL deutliche Abtheilungen in den 
Hodenschläuchen, die er durch Zwischenwuchern des Hodenschlauch- 
epithels entstanden denkt. Eine deutliche kerntragende Membran an 
den einzelnen Samenfäden oder Samenzellenballen zu isoliren, ist 
Bütschli nicht gelungen. Diese Membran existirt aber wirklich und 
ist mit Unrecht geleugnet worden. Man muss nur zu ihrer Darstel- 
lung ein geeignetes Object auswählen, da sie oft sehr zart ge- 
bildet ist, wie es ja auch grosse Unterschiede in der Entwicklung 
des Eifollikelepithels giebt. Es empfiehlt sich am Meisten der 
von v. la Valette St. George schon untersuchte Tenebrio mo- 
litor. Hat man bei den Larven die Hoden herauspräparirt, so 
braucht man sie in Jodserum nur zu zerzupfen, um hier und da 
im Präparat die schönsten Follikel, deren Haut noch aus deutli- 
chen Zellen zusammengesetzt ist und deren Inhalt ebenfalls noch 
aus zelligen Spermatocyten besteht, zu erhalten. Die Ausbeute an 
unverletzten Samenfollikeln ist reicher, wenn man dem Präparat, 
bevor man es in Jodserum zerzupft, durch einige Minuten lange 
Einwirkung von Ueberosmiumsäure mehr Consistenz gegeben hat. 
Durch kurzdauernde Einwirkung von absolutem Alkohol kann man 
auch schnittfähige Präparate gewinnen und sich hierbei überzeu- 
gen, dass der von v. la Valette St. George aufgestellte Bildungs- 
modus der Follikelhaut bei den Insecten der richtige ist. Es theilt 
sich die Spermatogonie; die peripherischen Theilstücke werden 
Zellen der Follikelhaut; die central gelegenen liefern durch fort- 
gesetzte Theilung und Umbildung die Samenfäden des Follikels. 
Bei Tenebrio molitor ist an den reifen Samenfädenbündeln die 
Zusammensetzung der Follikelhaut aus Zellen verwischt; doch 


l) Balbiani: Memoire sur la generation des Aphides, Annales des 
sciences naturelles 1869, pag. 1sqgq. 


2) Bütschli: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XXI, pag. 
402 und 526. 


52 Moritz Nussbaum: 


bleiben ihre Kerne sichtbar, wie es in Figg. 59 und 60 von dem 
erwachsenen Mehlwurm im August dargestellt ist. Hat man die 
Follikelhaut bei Tenebrio molitor einmal gesehen, so wird man bei 
schwierigeren Objeeten, zu denen auch die Hoden von Hydrophilus 
piceus und Blatta orientalis gehören, sie nicht mehr verkennen. 

Wie die Entwicklungsgeschichte lehrt !) ist die Anlage der 
Geschlechtsdrüsen eine indifferente. Doch kann vorläufig eine durch- 
greifende Homologie bei den Insecten noch nicht mit Sicherheit 
aufgestellt werden ; da nach den übereinstimmenden Angaben der 
Autoren das Follikelepithel mit dem Ei der Insecten aus gleich- 
artigen Zellen des Keimfaches hervorgeht, aber nicht durch Ab- 
spaltung von einer Primordialzelle, wie es für die Samenfollikel 
der Inseeten durch von la Valette St. George nachgewiesen 
wurde. Allein, wenn man bedenkt, dass in den Eiröhren der In- 
secten jedenfalls viele Eianlagen zu Grunde gehen, so wird man 
wohl vermuthen dürfen, dass sich vielleicht die eigentliche Bildung 
der Granulosa der bleibenden Eizellen bei der Kleinheit der Ele- 
mente bisher nicht hat aufdecken lassen, und dass sie in ähnlicher 
Weise wie im Hoden erfolge. Ausser der von den Amphibien und 
Teleostiern gebotenen Analogie gewinnt die Annahme, dass die 
Granulosa sich durch Abspaltung vom Primordialei bilde, noch 
sehr viel an Wahrscheinlichkeit durch die Beobachtungen Spen- 
gel’s an Bonellia ?), wo unter den vielen gleichen Zellen eines 
Keimfaches nur eine einzige zum Ei heranreift. Die übrigen Zel- 
len bleiben klein, umgeben das Ei aber nicht als Granulosa und 
betheiligen sich auch nicht an der Ausbildung der Dotterhaut, 
sondern gehen einfach zu Grunde. Man würde demgemäss anneh- 
men können, dass von den Eianlagen des blinden Ovarialendes 
der Insecten nur wenige, wie es in der That der Fall ist, zu Eiern 
heranreifen. Die übrigen gleichartigen Zellen des Keimfaches würden 
aber nicht zur Granulosa der bevorzugten Zellen werden, sondern 
zu Grunde gehen. Die Entstehung der Granulosa der Eier durch Ab- 


1) H. Meyer: Ueber die Entwicklung des Fettkörpers, der Tracheen 
und der keimbereitenden Geschlechtstheile bei den Lepidopteren. Ztschr. f. w. 
Zool. Bd. 1. 

Leydig: Der Eierstock und die Samentasche der Insecten, 1866 pag. 55. 

A. Brandt: Ueber das Ei und seine Bildungsstätte, Leipzig 1878. 

2) J. W.Spengel, Beiträge zur Kenntniss der Gephyreen (Mittheilun- 
gen aus der zoologischen Station zu Neapel, I. Bd.). 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 53 


spaltung vom Primordialei gedacht, würde eine maulbeerförmige 
Kerntheilung vermuthen lassen, die ich im Keimfach allerdings 
noch nicht gesehen habe. Weitere Untersuchungen müssen 
definitive Entscheidung bringen; wir begnügen uns vorläufig mit 
dem Nachweis zelliger Hüllen an den Geschlechtsstoffen der In- 
secten und vermuthen, dass diese Hüllen gleichen Ursprung haben. 

Von den Generationsorganen der Crustaceen habe ich bis 
jetzt nnr den Hoden von Astacus fluviatilis zu verschiedenen Jahres- 
zeiten untersuchen können; doch lehrt eine Zusammenstellung der 
in den Arbeiten von Leydig, Claus, Waldeyer u. A. gemachten 
Angaben und ein Vergleich der beigegebenen Zeichnungen, dass 
unter den Crustaceen die zelligen Hüllen der Keimstoffe beider 
Geschlechter entweder gleichzeitig vorhanden sind oder fehlen. Es 
sei erlaubt, dies an einigen Beispielen zu erläutern. 

Von Astaeus fluviatilis beschreibt Waldeyer!) eine Granu- 
losamembran der Eier, die in ähnlicher Weise wie bei den Wirbel- 
thieren mit den Eizellen gleicher Abkunft sei. Ei und Granulosa 
entstehen in der Weise vom Keimepithel, dass eine Zelle sich 
durch Wachsthum hervorthut und von den benachbarten, klein ge- 
bliebenen Zellen umgeben wird. 

Nach den neuesten Untersuchungen Grobben’s ?) würde man 
im Hoden des Astacus eine dem Eifollikelepithel gleichwerthige 
Bildung vermissen. Ich will nun von vornherein bemerken, dass 
die Beobachtungen Grobben’s durchaus richtig und correct sind, 
dass dieselben aber, sobald man die Verhältnisse in den der Reife 
nahen Hoden berücksichtigt, sehr wohl eine andere Deutung zu- 
lassen. Die Bildung der Samenzellen geht nämlich in derselben 
Weise vor sich, wie bei den Wirbelthieren, mit dem Unterschiede 
freilich, dass die Spermatocyten ihre Zellnatur mehr oder weniger 
beibehalten. In den Wintermonaten findet man in den durch- 
scheinenden Acinis der Hoden zweierlei Gebilde vor; grosse Zellen: 
Spermatogonien und zwischen diesen, in derselben Weise gruppirt, 
wie es Grobben in Fig. 1 Tafel V abgebildet hat, die Kerne der 
Follikelzellen; auch in diesem oder jenem Acinus reife, bei der 
überstandenen Brunstperiode nicht entleerte Spermatosomen; wohl 


1) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 85. 
2) C. Grobben: Beiträge zur Kenntniss der männlichen Geschlechts- 
organe der Decapoden. Wien 1878. 


54 Morits Nussbaum: 


ein untrügliches Zeichen, dass die alten Aeini nicht zu Grunde 
gehen, und dass die Regeneration in derselben Weise wie bei den 
meisten Wirbelthieren abläuft. Grobben nennt die Spermatogo- 
nien Spermatoblasten, unsere Follikelzellen dagegen Ersatzkeime 
und nimmt an, dass durch Vergrösserung der Follikelzellen die 
Spermatoblasten entständen. Untersucht man aber den Krebshoden 
im August, so findet man in den vergrösserten Acinis ächte Samen- 
follikel, Gruppen von Spermatocyten, die durch regelmässig gestellte 
Follikelzellenkerne von einander abgegrenzt sind. Es muss dies 
nochmals besonders betont werden, dass man von den Follikel- 
zellen zu allen Jahreszeiten nur die Kerne erkennen kann und 
keine deutliche Zellengrenzen, so dass die Vorstellung, diese Kerne 
seien in eine Membran eingelagert, sehr gestützt wird. Zur Unter- 
suchung empfehle ich feine Schnitte durch Hoden, die eine halbe 
Stunde etwa in absolutem Alcohol gehärtet wurden; doch erkennt 
man dasselbe auch an frischen Zerzupfungspräparaten. Dass nun 
unsere Auffassung von der Natur der von Grobben Ersatzkeime 
genannten Kerne die richtige sei, geht auch wohl daraus hervor, 
dass man dieselben nicht allein an der Basis, sondern auch zwi- 
schen den einzelnen Spermatocytengruppen (Follikel) und an der 
Begrenzung gegen das Lumen sieht. Es ist mir jedoch bis jetzt 
nicht gelungen, die Herknnft der Follikelzellen nachzuweisen; ich 
hoffe dies nachzuholen, da ich bis jetzt noch keine continuirliche 
über das ganze Jahr sich erstreckende Untersuchungsreihe besitze. 
Wir fügen also die Spermatogenese bei Astacus fluviatilis dem all- 
gemeinen Gesetz von la Valette St. George’s ein: durch Theilung 
der Spermatogonien entstehen Spermatocyten, welche durch die 
zwischen den Spermatogonien gelagerten Follikelzellen umhüllt 
und gruppenweise angeordnet werden, so dass in jedem Follikel 
die Abkömmlinge einer Spermatogonie den ganzen von Grobben 
trefflich geschilderten Umwandlungsprocess zu Spermatosomen durch- 
machen. Grobben selbst führt einen Vergleich zwischen Hoden 
und Eierstock durch, worin er dieselben Theile gleichsetzt, deren 
Homologie wir früher ausgesprochen haben. Allein mit der Zurück- 
weisung der Bedeutung der Follikelzellen im Hoden, welche Grob- 
ben ihnen beilegt, müssen wir einen Widerspruch gegen seine 
Auffassung der Eifollikelepithelien vereinigen. Beide Bildungen, 
die männliche Follikelhaut und das weibliche Follikelepithel, sind 
vergleichbar; aber nicht in dem Sinne Grobben’s, dass sie Er- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 55 


satzkeime darstellen; sondern deshalb weil beide vergängliche Hül- 
len der Geschlechtsstoffe abgeben. 

Wir werden von nun ab einige Beispiele vorführen, wo männ- 
liche und weibliche Geschlechtsstoffe der zelligen Hüllen entbehren. 
Unter den Crustaceen sind es, wie ich aus einem Vergleich der 
diesbezüglichen Literatur feststellen konnte, die Phyllopoden und 
Copepoden. Für die erste Ordnung habe ich Leydig’s Werk: 
Naturgeschichte der Daphniden, für die zweite das von Claus: 
Die freilebenden Copepoden, als Quelle benutzt. 

Nach Leydig entbehren die Eier der Daphniden einer Gra- 
nulosa; im Hoden und zwar im blinden Ende der Schläuche kommt 
nur eine Art von Zellen vor, aus denen sich die Samenkörper 
entwickeln. Man vergleiche die Generationsorgane der in Fig. 46 
dargestellten weiblichen Sida erystallina mit den in Fig. 47 der- 
selben Tafel VI dargestellten eines männlichen Thieres; ebenso 
das Ovarium von Daphnia longispina auf Tafel II Fig. 16 mit dem 
Hoden von Daphnia reetirostris auf Tafel X Fig. 77. Vom Hoden 
der Sida erystallina hat auch Grobben eine Abbildung (Fig. 10 
Tafel V l.e.) gegeben. Das Interessante am Hoden der Sida cry- 
stallina ist nicht die Bildung der Samenkörper von einem blinden 
Keimfach aus, sondern das Fehlen der Follikelzellen, deren gleich- 
werthige Bildung im Eierstock des Thieres ebenfalls fehlt; da, wie 
gesagt, die Eier der Sida erystallina einer Membrana granulosa 
entbehren. Es gibt auch bei den Wirbelthieren beide Arten der 
Anordnung der Spermatogonien wie bei den Crustaceen, ohne dass 
desshalb in dem mit Sida erystallina vergleichbaren Falle die Fol- 
likelzellen fehlten. Im Hoden der Sida erystallina wird von einer 
bestimmten Stelle aus für den Nachwuchs gesorgt, wie wir es bei 
den Hoden der Rochen und Haie durch Semper kennen gelernt 
haben. Bei Astacus fluviatilis sind dagegen, wie bei Säugethieren 
etwa, die Zellen für den Nachwuchs an der Membrana propria der 
persistirenden Hodenschläuche überall gelagert. Es ist nun nicht 
der Modus der Regeneration der Geschlechtsstoffe, welcher bei 
Sida das Fehlen der bei Astacus zu beobachtenden Follikelzellen 
bedingt; denn bei den Rochen und Haien kommen in den reifen- 
den Ampullen ächte Follikelzellen vor, obwohl sie ganz sicher 
nicht zur Neubildung dienen, da die ganzen Ampullen zu Grunde 
gehen, nachdem sie sich der Samenkörper entledigt haben. Man 
findet aber bei Rochen und Haien Follikelzellen in den Hodenam- 


56 Moritz Nussbaum: 


pullen und eine Granulosa der Eier gleichzeitig wie bei Astacus; 
man vermisst Beides gleichzeitig bei Sida erystallina. Die Ersatz- 
keime des blinden Keimfaches im Hoden der Sida erystallina sind 
demgemäss nicht in Form der Follikelzellen unter die eben zur 
Entwicklung gelangenden Spermatogonien im Hoden von Astacus 
gemischt, sondern es fehlen bei Sida die hüllenden Follikelzellen 
im Hoden und Ovarium, während sie bei Astacus sich finden. 

Für die Copepoden bitte ich in dem oben angeführten Werke 
von Claus die Figg. 6 und 7 auf Tafel IV zu vergleichen. Der auf 
Tafel V Fig. 12a dargestellte Hoden von Euchaeta lässt ebenfalls 
nur einerlei Elemente erkennen und gleicht dem in Fig. 12b der- 
selben Tafel dargestellten Eierstock eines anderen Copepoden — 
Cetochilus longiremis — durchaus. Eier und Samenballen entbeh- 
ren einer zelligen Hülle. 

Es gibt somit unter den Crustaceen Ordnungen, deren Ge- 
schlechtsstoffe, wie bei den Wirbelthieren, mit einer zelligen Hülle 
umgeben sind, so bei Astacus. Andere Crustaceen (Sida) entbeh- 
ren der zelligen Hüllen an den Zeugungsproducten und bei diesen 
ist im Hoden ein Modus der Neubildung erhalten, wie es bei vie- 
len anderen Thieren, namentlich Würmern, und unter den Wirbel- 
thieren bei Plagiostomen vorkommt und im Ovarium bei allen Thie- 
ren sich erhalten hat; da in allen Ovarien, sei es von einem blin- 
den Keimfache, oder sei es von der Oberfläche her die Neubil- 
dung der Eier sich vollzieht, und niemals in den alten Eischläu- 
ehen, wie bei den Hodenschläuchen der höher organisirten Thiere, 
eine neue Generation von Geschlechtsstoffen entsteht. 

Bei den Würmern kenne ich aus eigener Anschauung nur 
die Generationsorgane von Lumbricus terrestris, Haemopis vorax 
und Tubifex rivulorum. Eier sowie Samenballen entbehren einer 
zelligen Hülle. Nach der Zusammenstellung Ludwig’s (Ueber 
die Eibildung im Thierreich p. 78) fehlt bei allen Würmern eine 
Membrana granulosa an den Eiern; es steht zu erwarten, dass in 
Uebereinstimmung damit die Spermatogemmen der Würmer eben- 
falls nackte Zellenhaufen darstellen, wie es bei den von mir unter- 
suchten Species der Fall ist, wo auch die reifen Samenfäden nur 
durch eine im Centrum der Samenballen gelagerte Protoplasma- 
masse und durch keine zellige Hülle zusammengehalten werden. 
Die centrale Protoplasmakugel findet ihr Analogon in den Proto- 
plasmaresten der Samenfollikel höherer Thiere, die allerdings in 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 57 


anderer Anordnung innerhalb der Follikel nach Ausbildung der Sa- 
menfäden angetroffen werden. Man vergleiche hierzu die Figuren 
12, 31, 32 der zur Abhandlung von la Valette St. @eorge’s (De 
Spermatosomatum evolutione in Plagiostomis) beigegebenen Tafel 
und unsere Fig. 70 von Rana fusca im August. Diese verschiedene 
Anordnung bei niederen und höheren Thieren tritt jedoch nicht un- 
vermittelt auf; es finden sich Uebergänge dazu im Laufe der Sa- 
menfädenentwicklung bei den höheren Thieren. Beginnen nämlich 
die in ihren Häuten eingeschlossenen Spermatocyten der Rana 
fusca die charakteristische Umwandlung zu Spermatosomen, was 
von Ende Juli bis September beobachtet werden kann, so gruppi- 
ren sich die Elemente an den Wänden des Follikels in der Weise, 
dass die langgezogenen Kerne, jetzt wohl schon Köpfe der Sa- 
menfäden, der Cystenhaut dicht anliegen; der Rest des zur Bil- 
dung der Schwanzfäden untersuchten Protoplasma’s liegt central 
rings von den Köpfen der Spermatosomen eingeschlossen. Erst 
später sind alle Samenfäden gleich gerichtet: die Köpfe nach unten 
gegen die Membrana propria, der Protoplasmarest, wie es Fig. 70 
zeigt, gegen das Lumen der Hodenschläuche zu gewandt. 

Die Spermatogenese bei den Mollusken ist zwar noch nicht 
über das Stadium der Spermatoblastentheorie hinausgekommen, wie 
die neueste Arbeit von M. Duval') beweist; doch scheint nach 
allen seit Meckel?) über diesen Gegenstand gegebenen Darstel- 
lungen weder an den Eiern noch an den Samenballen der zwitt- 
rigen Gastropoden eine zellige Hülle vorzukommen. 

Von Echinodermen habe ich Asteracanthion rubens unter- 
sucht; Eier und Samenballen sind von keiner besonderen zelligen 
Hülle umgeben; dasselbe gilt von den Geschlechtsproducten der 
Schwämme?°). Wie Ludwig‘) berichtet, ist am Ei der Holothurien 
von verschiedenen Autoren ein Follikelepithel nachgewiesen worden. 
Ich habe mir bis jetzt Semper’s grosses Werk über die Holothurien 
nicht verschaffen können; kann daher vorläufig über die Ueberein- 
stimmung der fraglichen Theile bei diesen Thieren Nichts angeben. 


1) La spermatogenese &tudiee chez les Gasteropodes pulmonös. Journal 
de Micrographie 1879. 

2) Ueber den Geschlechtsapparat einiger hermaphroditischer Thiere. 
Müller’s Archiv 1844. Tafel XIV. 

3) Vergl. Haeckel: Kalkschwämme. 

4) Ueber Eibildung im Thierreich, pag. 14 und 15. 


58 Moritz Nussbaum: 


IV. 


Von der Regeneration der Geschlechtsstoffe. 


In den beiden ersten Abschnitten wurde gezeigt, dass bei Am- 
phibien und Teleostiern Eier und Samenfäden aus indifferenten Ge- 
schlechts-Zellen hervorgehen und bei ihrer ersten Entstehungeiner gan- 
zen Reihe gemeinschaftlicher Veränderungen unterliegen; die Frage 
nach der Regeneration der Geschlechtsstoffe im erwachsenen Thier 
gewann dadurch einen gewaltigen Reiz und wie schon Pflüger!) 
für die Eier der Säugethiere dargethan hat, so konnten auch wir 
an erwachsenen Amphibien und Teleostiern einen eyclischen, von 
Brunst zu Brunst wiederkehrenden Process der Neubildung erken- 
nen, der im Wesentlichen eine einfache Wiederholung der ersten 
Entwicklungsvorgänge darstellt. 

Seitdem Pflüger darauf hingewiesen, dass zum Studium 
der Regenerationsvorgänge in den Ovarien die Beobachtungszeit 
_ über ein ganzes Jahr ausgedehnt werden müsse, haben Viele ihre 
Untersuchungen schon in dieser Weise angestellt, und auch wir 
haben diese Mahnung befolgt. Wir werden demgemäss eine kurze 
Beschreibung vom Inhalt der Hodencanäle und der Ovarien zu 
verschiedenen Jahreszeiten geben und beginnen mit der männlichen 
Geschlechtsdrüse von Rana fusca. 

Die Hoden der Rana fusca zu Ende des Begattungsgeschäftes 
sind klein und resistent; die Samenblasen voll einer milchigen 
Flüssigkeit, worin bewegliche Spermatosomen und amoeboide Zel- 
len suspendirt sind. Auf dem frischen Querschnitt des Hodens 
sind die Schläuche deutlich zu erkennen; ihr abgestreifter Inhalt, 
in Humor aqueus untersucht, besteht aus entleerten Cysten, wie 
sie von la Valette St. George auf Tafel XXXIV in Fig. 10—12 
seiner Abhandlung über die Spermatogenese bei den Amphibien 
abgebildet hat; man sieht Spermatogonien mit grossem Kern (bis 
zu 21,6 u), der auch hin und wieder in maulbeerförmiger Theilung 
begriffen ist. Nur selten erhält man Spermatogonien von einem 
Kranze kleiner Zellenkerne umstellt, wie es Fig. 49 aus dem Ho- 
den einer Rana fusca zu Ende Juli zeigt. Die kleinen Zellenkerne 


1) Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen, Leipzig 
1863, pag. 90, 91. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 5 


an der Peripherie soleher Spermatogonien gehören der Follikel- 
haut an, was leicht an feinen Schnitten durch erhärtete Hoden 
dargethan werden kann. Neben diesen grösseren Elementen, 
den nackten Spermatogonien, die sich, wie von la Valette St. 
George zuerst beschrieb, durch amoeboide Bewegung auszeich- 
nen, trifft man auf kleinere Zellen, freie Kerne von 7—15 u Durch- 
messer; es sind dies die Theilproduete der Spermatogonien. Feine 
Schnitte in Aleohol gehärteter Hoden zeigen, namentlich auf dem 
Querschnitt der Canäle, ein eigenthümliches Bild. An der Mem- 
brana propria sitzen in ihrer Follikelhaut die Spermatogonien, 
theils ungetheilt, theils mit maulbeerförmig getheiltem Kern; da- 
neben solche Follikel, die schon vier oder acht Zellen enthalten, 
deren Grösse mit den im frischen Präparat gefundenen überein- 
stimmt. Nach innen von diesen Entwicklungsstufen der Samen- 
fäden ragen, gegen das Lumen wie ein Wald von Lanzen conver- 
girend, hohle, zusammengefallene, stumpfzipflige Säckchen: die 
letzten Reste der Samenfollikel. Ich besitze ein Präparat, wo die 
Entleerung der Samenfollikel so vollständig geworden, dass im 
ganzen Hoden kein reifer Samenfaden mehr zu finden war; mei- 
stens trifft man sie aber noch frei im Lumen der Schläuche auch 
noch später als zu Anfang April: ein Umstand, der die Unter- 
suchung wesentlich erschwert. Fig. 71 stellt einen entleerten Sa- 
menfollikel dar, dessen Cystenkern bei Ck undeutlich hervorschim- 
mert; die Basis des geplatzten Follikels wird durch eine in Thei- 
lung begriffene Spermatogonie von der Membrana propria des 
Hodenschlauches abgehoben; die Spitze desselben ragt frei in das 
Lumen des Hodenschlauches hinein. 

Im Juni findet man an der Wand der Hodencanäle im Wesent- 
lichen noch das vorherbeschriebene Bild; die Zahl der Spermato- 
eyten in den angelegten Follikeln ist noch, nicht gross; aber die 
in der voraufgegangenen Brunst entleerten Follikel finden sich 
Jetzt als verfettete Blasen, mit ihrem einstigen Inhalt, einigen zu- 
rückgebliebenen Samenfäden gemischt, im Lumen der Schläuche 
vor. Die alten Follikelreste lassen keine Organisation mehr er- 
kennen; wenn schon im April, auch nach Behandlung mit Argen- 
tum nitricum, (ef. von la Valette St. George) keine Zellengren- 
zen an ihnen mehr nachgewiesen werden konnten, so ist im Juni 
selbst der im April immerhin noch sichtbare Cystenkern ganz in 
Fettkügelchen aufgegangen. Damit dürfte der Nachweis erbracht 


60 Moritz Nussbaum: 


sein, dass von den alten Samenfollikeln, oder von ihrem Cysten- 
kern, wie man vermuthen könnte, die Regeneration nicht ausgeht. 
Der ganze Follikel wird entleert; sein Inhalt, die Samenfäden, zur 
Zeit der Brunst; die Hüllen bald darauf, nachdem sie fettig ent- 
artet sind. 

Bis in den Monat September hinein dauert bei Rana fusca 
die Entwieklung der Samenfäden; die Hoden schwellen mächtig 
an und werden wegen der vielen in den Follikeln aufgespeicherten 
fertigen Samenkörper weicher, als sie es vorher waren. Die rei- 
fenden Follikel, zuerst breitbasig der Membrana propria der Hoden- 
canäle aufsitzend, werden durch den jungen Nachwuchs seitlich 
zusammengepresst und flaschenförmig verlängert, bis im October 
die Follikel sämmtlich schmal und gestreckt geworden sind, und 
neben ihnen nur noch Ketten und Inseln von Spermatogonien an 
der Membrana propria aufsitzen. Die Ketten von Spermatogonien, 
wie sie von la Valette St. George (d. Archiv, Bd. XV, Tafel 
XVIII, Fig. 95) vom Kater abbildet, und wovon wir in Fig. 69 
eine Darstellung bei Rana fusca im October geben, sind durch 
keine Follikelzellen von einander getrennt, grade so wie sie es im 
Embryo waren, bevor durch maulbeerförmige Kerntheilung (ef. Fig. 
14, 17a, 56) die Spermatogonie und ihre Follikelhautzellen sich 
gesondert hatten. Die Spermatogonienketten sind das ganze Jahr 
hindurch nachweisbar; aber in keinem Monat sind sie so zahlreich 
als im October, weil alsdann die Bildung der für die Brunst des 
kommenden Frühjahrs bestimmten Samenfäden definitiv abgeschlos- 
sen ist, und bis zur Laichzeit neben den schon vorhandenen rei- 
fen Follikeln nur noch die ersten Stadien, bis zu der von einer 
Follikelhaut eingeschlossenen Spermatogonie aufwärts, sich ausbil- 
den. Dieser allerjüngste Nachwuchs ist für die Brunst des zweit- 
nächsten Jahres bestimmt. Es bleiben nämlich vom October bis zum 
April alle vorhandenen Elemente unverändert, und man findet keine 
Uebergangsformen zwischen Spermatogonien und reifen Follikeln, 
was bei der Grösse solcher Follikel, deren Spermatocyten sich eben 
in Spermatosomen umwandeln, mit Bestimmtheit behauptet werden 
kann. Wohl findet man gegen Ende März vereinzelte Follikel mit 
vier oder sechs Zellen im Innern; da jedoch alle weiteren Ueber- 
gangsstadien fehlen — Follikel mit mehr als 30 Zellen —, so kann 
man wie gesagt mit October die Samenbildung für abgeschlossen 
betrachten, und alle der Membrana propria anliegenden Elemente 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 61 


für die jüngsten Stadien ansprechen !). Durch das Studium der 
Veränderungen, welche in den folgenden Monaten eintreten, wird 
sich eine eontinuirliche Entwicklungsreihe construiren lassen. Wir 
dürfen alsdann annehmen, dass auch zu den übrigen Jahreszeiten, 
wenn die verschiedenen Entwicklungsstufen gleichzeitig vorkom- 
men, die Spermatogenese sich nach dem festgestellten Modus voll- 
zieht; zumal wenn der Nachweis gelingt, dass bei erwachsenen 
Thieren dieselbe Reihenfolge innegehalten wird, wie bei der ersten 
Ausbildung der Samenfäden in den Hoden junger Thiere. 
Erhärtet man einen Hoden der Rana fusca in Alcohol und 
schneidet feine Flachschnitte von den pigmentfreien Stellen der 
Oberfläche, so erhält man je nach der Jahreszeit verschiedene Bil- 
der; uns interessiren vorzugsweise die aus dem Monat October 
und November. Fig. 66 gibt ein solches Präparat aus der Mitte 
October. Man sieht durch die Membrana propria hindurch auf die 
ihr zunächst gelegenen Elemente und findet grosse grobgranulirte 
Kerne und eine stark markirte Felderung, bedingt durch die Häute 
der reifen Samenfollikel, deren Oystenkerne bei der Einstellung dicht 
unter der Membrana propria nur sehr selten durchschimmern, da sie, 
wie ein Vergleich mit Fig. 69 lehrt, auch bedeutend mehr nach dem 
Lumen zu liegen, als die jungen Spermatogonien. Was die Cysten- 
kerne anlangt, so fehlen sie in keinem reifen Samenfollikel an der 
Basis und können auch auf diesen Flachschnitten bei Senkung des 
Tubus immer nachgewiesen werden. Lage und Form unterscheiden 
sie dermgemäss von den Spermatogonien, von denen man in der 
Flächenansicht dicht unter der Wandung der Hodenschläuche 
nur die grossen Kerne sieht, die theils mit vielen Kernkörper- 
chen versehen, theils in einfacher Theilung, theils in maul- 
beerförmiger Kerntheilung sich befinden. Den Effect der einfachen 
Theilung sieht man in Fig. 69 auf einem Querschnitt durch einen 
Hodenkanal: die Spermatogonien bilden Ketten. Das Resultat der 


1) Bei Rana esculenta sieht man im October nur in wenigen Follikeln 
den Beginn der Umwandlung der Spermatocyten zu Spermatosomen, und noch 
im Mai sind ganz junge Follikel vorhanden, so dass Rana esculenta nicht 
mit fertigem Samenvorrath in den Winterschlaf geht. Es stimmt dies gut 
mit der späten Laichzeit der Rana esculenta. 

Bei Bombinator igneus sind im August schon Follikel mit reifen Samen- 
fäden vorhanden; doch habe ich dieses Amphibium nicht während des gan- 
zen Jahres untersuchen können. 


62 Moritz Nussbaum: 


maulbeerförmigen Kerntheilung kann man erst im folgenden Monat, 
November, beurtheilen; indem dann wieder die meisten Spermato- 
gonien von Follikelzellen umgeben sind. Auch liegen im November, 
wie Fig. 67 zeigt, die jungen Spermatogonien ganz dicht beisammen; 
während in Fig. 66, aus dem October, grosse Zwischenräume von 
einer Spermatogonie bis zur anderen gegeben sind. Die Annähe- 
rung der Spermatogonien beruht auf der Kettenbildung; die Ab- 
grenzung der einzelnen Spermatogonien wird durch die Bildung 
einer Follikelhaut bewirkt, deren Entwicklung schon im October 
eingeleitet wurde. Sowohl in Fig. 66 als 69 — Präparate aus 
dem Monat October — sieht man in einzelnen Kernen eine maul- 
beerförmige Theilung. In Fig. 67, dem Präparat aus dem folgen- 
den Monat (November), sind alsdann die grosskernigen Zellen (die 
Spermatogonien) von einem Kranze kleiner Zellenkerne, die in 
eine Haut eingeschlossen sind, umgeben; es hat sich wie beim 
Embryo nach der maulbeerförmigen Kerntheilung einer Primor- 
dialzelle von dem .us dieser Theilung hervorgehenden Zellen- 
häufchen eine centrale Zelle vergrössert, und die übrigen sind um 
diese herum zur Follikelhaut zusammengetreten. Für das bessere 
Verständniss der folgenden Veränderungen füge ich eine Beschrei- 
bung des Hodens von Bombinator im Juli ein, und bitte dazu die 
Figur 44 zu vergleichen. In den Hodenampullen des Bombinator 
igneus trifft man Anfangs Juli noch vereinzelte reife Samenfäden 
(Ssm.), die bei dem abgelaufenen Laichgeschäft nicht entleert wor- 
den sind. Unverletzte Follikel, mit reifen Samenfäden gefüllt, sind 
nicht vorhanden. Der Membrana propria sitzen verschiedene Ent- 
wicklungsstadien auf, von denen die in einer Follikelhaut einge- 
schlossene Spermatogonie mit einfachem Kern — in der Figur 
links unten — das kleinste und jüngste ist. Daneben sind schon 
Follikel mit vielen Spermatocyten vorhanden; die Kerne derselben 
sind grobgranulirt. Ob diese grobe Granulation eine netzartige 
Anordnung der festen Kernbestandtheile repräsentire, lässt sich 
bei Bombinator igneus nicht mit Sicherheit bestimmen. Dagegen 
sieht man bei Tritonen und Salamandern die balkenartige Con- 
figuration im Innern des Kernes sehr deutlich an den noch in 
Theilung begriffenen Spermatoeyten, und da die Spermatocyten 
bei anderen Thieren so lange „grob granulirte“ Kerne aufweisen, 
als sie sich noch theilen, so werden beide Bilder: grobe Granu- 
lirung oder deutliche netzartige Structur im Kern, dasselbe bedeu- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 63 


ten, nämlich die Vorbereitungen für die Zellentheilung, worauf 
schon im ersten Abschnitt (ef. pag. 7) hingewiesen wurde. 

An den grösseren Follikeln habe ich in dem in Figur 44 ab- 
gebildeten Präparat noch keine Cystenhaut erkennen können, die- 
selbe tritt erst später deutlich hervor, und verweise ich hierzu auf 
Fig. 53, aus dem ‚Hoden von Bombinator igneus zu Ende Juli. 

In der Figur 44 sind nun auch die Uebergänge von der 
Spermatogonie zu den vielzelligen Follikeln dargestellt. Man findet 
nämlich eine ganze Reihe von maulbeerförmigen Kerntheilungen 
der Spermatogonien. Fig. 50 giebt einen isolirten und in Humor 
aqueus untersuchten, maulbeerförmig getheilten Spermatogonienkern. 
Man sieht überhaupt bei keinem anderen Thier diese eigenthüm- 
liche Kerntheilung so deutlich, als im Hoden von Bombinator igneus 
zu Anfang Juli. 

Nach dieser Abschweifung kehren wir zur genaueren Analyse 
der Fig. 67 zurück. Das Präparat ist nach einem in absolutem 
Aleohol gehärteten Flachschnitt von der Oberfläche des Hodens 
der Rana fusca im November gezeichnet. Bei M liegt eine Sper- 
matogonie mit maulbeerförmig getheiltem Kern, wie wir sie schon 
in den Ketten aus dem vorigen Monat kennen gelernt haben (ef. 
Fig. 69 M). Sg zeigt eine Spermatogonie mit einer Follikelhaut, 
deren Kerne bei F sichtbar sind; der Kern der Spermatogonie ist 
ungetheilt und trägt ein Kernkörperchen. Bei der weiteren Durch- 
musterung des Präparates treffen wir aber auch auf Spermatogonien 
in einer Follikelhaut, deren Kern wiederum deutlich maulbeer- 
förmig zerklüftet ist; genau so wie es vorher aus dem Hoden von 
Bombinator igneus beschrieben wurde. Da nun bei Rana fusca 
kurze Zeit zuvor die nackten Zellen mit maulbeerförmig getheiltem 
Kern an Zahl praevalirten und vom Dezember bis zum März hin 
die Zahl der einkernigen Spermatogonien mit Follikelhaut nur vor- 
übergehend, die maulbeerförmige Kerntheilung der Spermatogonien 
in ihrer Follikelhaut aber eontinuirlich zunimmt, so erkennen wir 
beim erwachsenen, geschlechtsreifen Frosch dieselbe Stadiologie 
wie im jungen Thiere: Von den gleichgrossen Zellen der Ketten 
oder Inseln umgibt sich jede nach einer maulbeerförmigen Kern- 
theilung mit einer zelligen Hülle — der Follikelhaut. — 

Die Spermatogonie wächst eine Zeit lang bis zu einem Durch- 
messer von 30u, ihr Kern bis zu 214 Durchmesser ; dann theilt sich 
der Kern wieder maulbeerförmig; jedes Stück bekommt sein Proto- 


64 Moritz Nussbaum: 


plasma zugetheilt, und durch die Gruppirung der so entstandenen 
Zellen zu Haut und Inhalt entstehen innerhalb der Follikelhaut 
die Spermatoeyten und ihre Cystenhaut: ein Vorgang, der wie im 
vorigen Abschnitt angegeben, durch von la Valette St. George 
zuerst nachgewiesen wurde. Nachdem wir nunmehr gezeigt haben, 
auf welche Weise Follikelhaut und Cystenhaut entstehen und ver- 
gehen, wird es nicht mehr erlaubt sein, an eine Regeneration zu 
denken, die von diesen Theilen ihren Ausgang nehme. Bei 
Rochen und Haien ist die Bedeutungslosigkeit der Follikelzellen 
und des Cystenkernes für die Neubildung am evidentesten, da hier, 
wie Semper gezeigt!), die ganzen Ampullen zu Grunde gehen, 
nachdem die Samenfäden entleert wurden, mit ihnen die Reste 
der zuerst durch von la Valette St. George nachgewiesenen 
Follikelhaut und des Cystenkernes ?). Aber auch bei den Amphi- 
bien lehrt die eontinuirliche Beoachtungsreihe der jährlichen Ver- 
änderungen im Hoden, dass Follikelhaut und Cystenhaut vergäng- 
liche Hüllen der Samenfadenbündel darstellen. Da nun weiter 
die Kettenbildung in den Hodenschläuchen mit verschiedener Inten- 
sität das ganze Jahr hindurch andauert, und während der Winter- 
monate der Ablauf der weiteren Veränderungen bei allen Elementen 
gleichmässig und protrahirt genug sich vollzieht, dass man die ein- 
zelnen Phasen der Entwicklung in ihrer Aufeinanderfolge erkennen 
kann, so wird man die Kettenbildung nackter Zellen als die erste 
Stufe hinstellen, von der alle anderen ihren Ausgang nehmen. 
Es ist ganz gleichgültig, ob man den Hoden ganz junger ein- 
jähriger Thiere oder den von älteren untersucht; man wird die 
Spermatogonienketten immer, zu bestimmten Jahreszeiten (bei Rana 
fusca im October) freilich am reichlichsten, in den Hodenschläuchen 
finden, so dass wir zu der Annahme gelangen: es bleiben bei der 
ersten Entwicklung Zellen in den Hodenschläuchen liegen, aus 
deren Theilung beständig junger Nachwuchs hervorgeht. Die 
Zellen sind gross, protoplasmareich; sie entstehen nicht durch Um- 
wandlung der „zweiten kleineren Art von Zellen“, deren Dignität 
als Hüllzellen — Follikelzellen — von von la Valette St. George 
festgestellt wurde. 


1) Semper: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen. (Semper nennt 
Beides zusammen „Deckzelle“). 

2) von la Valette St. George: De spermatosomatum evolutione in 
Plagiostomis. Bonn 1878. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 65 


Wir konnten uns bei der Betrachtung der Regenerationsvor- 
gänge im Hoden kurz fassen, weil die gewonnenen Resultate zum 
besten Theile schon durch von la Valette St. George be- 
kannt geworden sind, und auch der Nachweis von der Abstam- 
inung junger Spermatogonien nur die Bestätigung der von ihm 
ausgesprochenen Ansicht enthält, die er d. Arch. Bd. XV p. 201 
dahin formulirt hat: „Man wird mich fragen, woher kommen denn 
die neuen Spermatogonien, welche den zu Spermatogemmen ver- 
brauchten zum Ersatz dienen müssen. Es gibt meiner Meinung 
nach dafür zwei Möglichkeiten, entweder entstehen sie durch wie- 
derholte Theilung des zurückbleibenden Fusskernes !) oder durch 
direete Theilung und daraus hervorgehende Vermehrung der Ur- 
samenzellen, ehe sie sich zu Samenknospen umbilden.“ Von la 
Valette St. George weist durch sein Beobachtungsmaterial die 
Wahrscheinlichkeit der letzteren Annahme nach. „Wollte man da- 
ran denken“, fährt er fort, „dass die Follikelzellen für verbrauchte 
Ursamenzellen eintreten könnten, so liessen sich dafür weder theo- 
retische noch aus‘ der Erfahrung geschöpfte Anhaltspunkte bei- 
bringen.“ ; 

Ob der von v. la Valette St. George mehrfach abgebildeten 
maulbeerförmigen Kerntheilung der Spermatogonien (l. ec. Figg. 80 
und 133) bei den Säugethieren dieselbe Bedeutung zukomme mit 
Bezug auf die Follikelzellenbildung wie bei Batrachiern, ist sehr 
wahrscheinlich. Für die Bildung des Cystenkernes ist der Beweis 
schon durch von la Valette St. George selbst erbracht worden. 

Es würden demgemäss die beiden Typen der Regeneration 
im Hoden der Wirbelthiere nur in der Art und Weise der Auf- 
speicherung der jüngsten Elemente, nicht aber in deren Entwick- 
lungsmodus verschieden sein, und da bei den meisten wirbellosen 
Thieren die Samenkörper in Bündeln aus einer Primordialzelle 
hervorgehen, so wäre die Samenkörperbildung bei den Wirbelthieren 
nur um die Bildung zelliger Hüllen complieirt, die aber mit den 
umschlossenen Samenkörpern aus derselben Primordialzelle hervor- 
gehen. Es liegt nämlich die Matrix oder das Keimlager entweder 
an einer besonderen Stelle des Hodens isolirt, oder an der Wand 
der funetionirenden Hodenschläuche selbst; im ersten Falle wer- 
den stets neue Drüsenelemente — Ampullen — gebildet, und die 


1) Anm. d. Ref.: Fusskern ist mit Cystenkern synonym. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Ba. 18. 5 


66 Moritz Nussbaum: 


alten gehen zu Grunde; im zweiten bleiben die alten Drüsen- 
schläuche erhalten. Bei den Wirbelthieren mit vergänglichen Drü- 
senelementen sind alle Follikel einer Ampulle in demselben Sta- 
dium der Entwicklung; bei den Wirbelthieren mit persistirenden 
Drüsenschläuchen findet man im günstigsten Falle (bei Rana fusea 
und Bombinator igneus im August) alle möglichen Entwicklungs- 
stadien in einem Schlauche nebeneinander gelagert; nur die ein- 
zelnen Elemente eines Follikels sind gleich weit entwickelt, (cf. 
von la Valette St. George) und an die Stelle der entleerten 
reifen Samenfäden und ihrer Hüllen rückt von der Wand her der 
junge Nachwuchs ein. 

Im Anschluss an das von la Valette’sche Gesetz der Sper- 
matogenese stellen wir uns die Samenkörperbildung in der Weise 
vor, dass durch Theilung von Matrixzellen Ketten entstehen, von 
denen jede Zelle ein Samenkörperbündel produeirt und durch vor- 
bereitende maulbeerförmige Kerntheilung seine zelligen Hüllen 
liefert, wo sie vorhanden sind (vergl. den vorigen Abschnitt). Mö- 
gen nun die Samenkörperbündel nackt oder häutig sein, in einer 
Spermatocytengruppe — nach von la Valette Spermatogemme 
oder Spermatocyste genannt — liefert jede Zelle einen Samen- 
körper; kommt es zur Bildung von Samenfäden aus den Sperma- 
tocyten, so liefert der Kern der Zelle den Kopf und das Proto- 
plasma den Schwanzfaden. 

Bei der Betrachtung der Regenerationsvorgänge im Eierstock 
werden wir etwas weiter ausholen müssen, da wir uns in man- 
chen Punkten von den geläufigen Anschauungen entfernen müssen, 
dafür aber einen Anschluss an die geschilderten Entwicklungsvor- 
gänge im Hoden gewinnen werden. 

Unsere Kenntnisse von dem Bau des Eierstocks und der Ooge- 
nese bei den Wirbelthieren begannen erst mit dem Erscheinen des 
Pflüger’schen Werkes!) geordnete zu werden; die dort entwickel- 
ten Gesichtspunkte sind bestätigt und massgebend für die weitere 
Forschung geworden, welche durch Waldeyer’s?) Entdeckung des 
Keimepithels wiederum einen treibenden Anstoss erhielt. 

Die Beobachtungen Pflüger’s über die periodische Neubil- 


1) E. F. W. Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des 
Menschen;, Leipzig 1863. 
2) W. Waldeyer: Eierstock und Ei; Leipzig 1870. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 67 


dung und den Untergang zahlloser Eier bei den Säugethieren sind 
so vielseitig bestätigt worden, dass man ohne Widerspruch diese 
Thatsache allgemein annimmt, und die Neubildung bei allen perio- 
disch brünstigen Thieren wiederfindet. Ebenso ist der Ort, von 
dem die Neubildung ausgeht, ein streng vorgeschriebener: die 
jungen Eier der Wirbelthiere entstehen stets an derselben Stelle, 
wo sie bei ihrer Reife den Eierstock verlassen. 

Zweifellos geht die allererste Entwicklung der Wirbelthiereier 
von Zellen aus, welche im Peritonealepithel gelegen sind; mögen 
diese Zellen von Anfang an, wie namentlich bei den Batrachiern, 
als besondere Geschlechtszellen kenntlich sein oder erst secundär 
im Keimepithel durch Grössenzunahme (Ureier) von anderen Zellen 
der Leibeshöhle unterschieden werden können. 

Ebenso dient bei den niederen Wirbelthieren die Peritoneal- 
höhle als einziger Ausführungsgang der weiblichen Geschlechts- 
drüse, und es bezeichnet einen Fortschritt in der Organisation, 
wenn sich aus dem zelligen Belag der Leibeshöhle zwei röhrige 
Gebilde, die Müller’schen Gänge, absondern, denen dann die Ab- 
leitung der weiblichen Geschlechtsproducte zufällt. Soweit es bis 
jetzt entwicklungsgeschichtlich festgestellt ist, entstehen zwar die 
Müller’schen Gänge nicht nach demselben Schema. Sollte es 
sich bestätigen, was wir im Gegensatz zu Rathke!), nach der 
Beobachtung an einer jungen Tinca chrysitis vermuthen, dass bei 
den Teleostiern sich der Müller’sche Gang aus dem Wolff’schen 
Gange durch Sprossung bildet und späterhin den Eierstock um- 
wächst, so gäbe es bei den Wirbelthieren drei verschiedene Arten 


1) Rathke, Heinr.: Zur Anatomie der Fische. Müller’s Archiv 1836, 
pag. 185: „Auch bei den Gräthenfischen bilden sich nur Geschlechtswerk- 
zeuge einer Art, nämlich nur allein Eierstöcke und Hoden, aber diese Or- 
gane wachsen bei ihnen, wenn wir die weiblichen Salmen ausnehmen — 
deren Geschlechtsorgane ein ähnliches Verhalten zeigen, wie die der Cyclo- 
stomen — allmälig weiter nach hinten aus, erhalten in ihrem Innern eine 
mehr oder weniger deutliche Höhle, kommen dann dicht hinter dem After 
mit der Bauchwand in Berührung und brechen zuletzt nach aussen durch. 
Diejenigen Theile dieser Fische, welche ich Eierleiter und Eiergang, Samen- 
leiter und Samengang genannt habe, sind keine besonders für sich entstan- 
denen Theile, wie bei den höheren Wirbelthieren, sondern nichts weiter als 
Fortsetzungen, Verlängerungen der Eierstöcke und der Hoden, gehören also 
diesen eigentlich an und sind nur besondere Abtheilungen von ihnen“. 


68 Moritz Nussbaum: 


der Entstehung der Müller’schen Gänge, die, so verschiedenartig 

sie auch auf den ersten Blick erscheinen mögen, dennoch nur als 

Variationen der primitivsten Form nach dem Prineip der Arbeits- 

theilung gebildet sind; denn die Müller’schen Gänge entstehen 

immer aus den Zellen der Leibeshöhle, sei es durch direete Ab- 
schnürung wie bei Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Amphi- 
bien, oder durch Abspaltung von den Wolff’schen Gängen bei 

Rochen nnd Haien oder endlich, wie bei den Knochenfischen, durch 

Sprossenbildung aus den primitiven Harnleitern. 

Die Anlage und Ausdehnung der ableitenden Wege bediakt 
nun bei den Wirbelthieren eine dreifache Art der Entleerung rei- 
fer Eier, und im Zusammenhang damit zwei Typen für die räum- 
liche Entstehung des jungen Nachwuches: 

1. Die Eier fallen in die Bauchhöhle und werden durch den Ab- 
dominalporus nach Aussen befördert; so ist bei Cyclostomen, 
dem Aal und den Salmoniden die Bauchhöhle der Ausfüh- 
rungsgang des Eierstocks. 

. Die Eier fallen in die Bauchhöhle und werden von den Mül- 
ler’schen Gängen aufgenommen; es haben sich besondere 
Ausführungsgänge aus der allgemeinen Leibeshöhle differen- 
zirt, die mit offenem Trichter verschieden weit vom Eier- 
stock beginnen und in eine Cloake oder in einen Urogeni- 
talsinus münden, wie es bei den meisten Säugethieren, den 
Vögeln, Reptilien, Amphibien, Rochen und Haien sich findet. 
3. Die Eier werden direct in die Müller’schen Gänge entleert, 

da diese die Ovarien umwachsen haben. Von den Säuge- 

thieren darf man wohl die von Waldeyer (Eierstock und 

Ei, pag. 11) aufgezählten Fälle, Lutra, Phoca, Mustelus und 

Ursus, hierher rechnen; von übrigen Wirbelthieren sind die 

Knochenfische mit Ausnahme der sub 1 angeführten Gattungen 

namhaft zu machen. 

Nach dieser Auseinandersetzung dürfte es nicht schwer fallen, 
an den Eierstöcken der Wirbelthiere die Eibildung zu verfolgen; 
trotzdem sind in der allerjüngsten Zeit bei Batrachiern und Kno- 
chenfischen die Verhältnisse umgekehrt dargestellt worden, wie 
sie sich in der Wirklichkeit verhalten und von guten Beobachtern 
beschrieben worden sind. Man wird desshalb auch die Art unse- 
rer obigen Darstellung, die von gegebenen Facten ausgeht, zu 
würdigen wissen; da wir in Uebereinstimmung mit Waldeyer 


DD 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 69 


bei den Batrachiern die jüngsten Eibildungsstadien aussen an der 
Oberfläche des Ovariums, bei den Teleostiern mit Ovarialkanal !) 
innen auf der Oberfläche der gegen das Lumen des Ovarialkanales 
gerichteten Balken finden, und bezüglich der Eierstöcke anderer 
Wirbelthiere kein Widerspruch herrscht darin, dass die Neubildung 
der Eier von der Oberfläche der Ovarien ausgehe. 

Mit der Frage nach dem Ausgangspunkt der Eientwicklung 
hängen zwei andere von der Entstehung und der Bedeutung des 
Follikelepithels eng zusammen. Was die Bildung des Follikel- 
epithels anlangt, so huldigt man seit Pflüger?) allgemein der 
Annahme, das Follikelepithel komme von Aussen zur Eizelle, werde 
ihr aufgelagert. Es sei gestattet, die verschiedenen Meinungen 
der Autoren über die Details dieses Vorganges hier kurz vorzu- 
führen. 

Pflüger leitet die Membrana granulosa von dem Epithel 
der nach ihm benannten Eischläuche ab. In den Schläuchen ent- 
stehen durch Theilung von Ureiern, Eiketten, in denen jede Zelle 
als Ei von einem Kranze von Epithelzellen umgeben und durch 
Wucherung der bindegewebigen Schlauchwand abgeschnürt wird; 
der Process der Umwachsung und Abschnürung schreitet aus der 
Tiefe gegen die Oberfläche vor. 

Waldeyer stellt den Vorgang in folgender Weise dar: Eier- 
stock und Ei, pag. 43: „Als das Hauptresultat meiner Untersuchung 
muss bezeichnet werden: dass sowohl die Eier als die Follikelepithel- 
zellen direet vom Keimepithel, d.h. dem Oberflächenepithel des Eier- 
stocks abstammen. — Der Process stellt sich wesentlich als eine gegen- 
seitige Durchwachsung des bindegewebigen vascularisirten Stromas 
und des Keimepithels dar, in Foige dessen grössere und kleinere 
im Allgemeinen rundliche Massen des letzteren mehr und mehr in 
das bindegewebige Stroma eingebettet werden. Die eingebetteten 
Zellen lassen bald eine Verschiedenheit erkennen, indem ein Theil 
von ihnen durch einfache Grössenzunahme zu Eiern auswächst — 


1) Vergl. die Zusammenstellung der verschiedenen Typen im Bau des 
Eierstockes der Teleostier bei J. Brock: Beiträge zur Anatomie und Histo- 
logie der Geschlechtsorgane der Knochenfisci e, Morphol. Jahrb., IV. Bd. p. 541. 

2) Ueber die Eierstöcke ete. pag. 64: „Alle Thatsachen weisen somit 
theils mit Nothwendigkeit, theils mit einer sehr grossen Wahrscheinlichkeit 
auf das eine Gesetz hin, demzufolge die membrana granulosa eine dem Ei 
aufgelagerte Bildung ist“. 


70 Moritz Nussbaum: 


Primordialeier -— während der andere seine ursprüngliche Grösse 
beibehält, ja durch vielfache Theilungsvorgänge, wie es mir wenig- 
stens wahrscheinlich ist, noch kleinere Zellen erzeugt, die späteren 
Follikelepithelzellen.“ 

Eine ähnliche Auffassung von der primären Gleichwerthigkeit 
der Eizelle und ihrer Follikelepithelien theilt Leydig!), obschon 
er die Ableitung beider Elemente vom Keimepithel nicht annimmt. 

Von der grosszelligen Genitalanlage leitet Goette?) Ei und 
Follikelepithel in der Weise ab, dass diese grossen Zellen sich 
vermehren, und in sogenannten Umbildungsheerden eine Anzahl 
ihrer central gelegenen Abkönmlinge verschmelzen und zum Ei 
werden; andere, hierzu peripher gelagerte, das Follikelepithel 
bilden. 

Die Darstellung Semper’s ?) weicht in sofern von der Wal- 
deyer’'s ab, als Semper die von Waldeyer‘) gleichfalls im 
Keimepithel gesehenen Ureier Nester bilden lässt, von deren gleich- 


1) Leydig: Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier; Tübingen 
1872, pag. 131: „Letztere nun, — die Keimwülste — somit auch die primi- 
tiven Eier vom Epithel abzuleiten, wie Waldeyer für andere Wirbelthiere 
jüngst aufgestellt hat, gelang mir auf keine Weise. — — — Das Keimlager 
ist sonach, wenn es als Organ sich gesondert hat, ein aus Zellen bestehender 
Wulst, dessen Elemente nicht vom Epithel der Bauchhöhle herrühren können, 
sondern von einem anderen höher gelegenen Keimblatt abstammen müssen“. 

pag. 132: „Ein Follikel ist daher eine von Bindesubstanz umzogene 
Gruppe ursprünglich gleicher Zellen, von denen eine der mittleren durch 
stärkeres Wachsen und Umwandlung ihrer Substanz zum Dotter des Eies 
wird, während die anderen das Epithel des Eifollikels liefern“. 

2) A. Goette: Die Entwicklungsgeschichte der Unke; Leipzig 1875. 
pag. 10, 11 und 831. 

3) €. Semper: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen etc. in den Ar- 
beiten aus dem zoologisch-zootomischen Institut in Würzburg. II. Bd., 1875. 

pag. 465: „— — die Ureier darin (in der Genitalfalte) sind in bestän- 
diger Vermehrung begriffen. Bei den weiblichen Individuen senken sich die 
Ureiernester gruppenweise in das Stroma ein; in diesen Zellgruppen vergrös- 
sert sich eine Zelle, die zum Ei wird, ihre Nachbarzellen legen sich unter 
beständiger Vermehrung um dasselbe als Follikelzellen herum.“ 

4) W. Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 44: „Es verdient besonders 
hervorgehoben zu werden, dass sich schon im Keimepithel selbst einzelne Zel- 
len durch ihre Grösse und rundliche Form vor den übrigen auszeichnen und 
als zukünftige Eier documentiren (Fig. 11b und 13a).“ 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 71 


artigen Zellen durch Unterschiede im Grössenwachsthum Ei und 
Follikelepithel geliefert werden. Es stammen demgemäss bei Sem- 
per sowohl Ei als Membrana granulosa vom Keimepithel ab, da 
die Ureier vergrösserte Keimepithelzellen sind. Der Schwerpunkt 
liegt aber in den Ureiernestern — die Differenzirung zu Ei und 
Follikelepithelien geht erst in den Theilproducten der Ureier, den 
Zellen der Ureiernester, vor sich. 

Eine vermittelnde Stellung zwischen Waldeyer und Semper 
nimmt Balfour!) ein. Nach Balfour umgeben sich von den 
Zellen der Ureiernester einige mit Keimepithelzellen und bilden 
so den Eifollikel; die übrigen nicht zu definitiven Eiern umge- 
wandelten Zellen eines Ureiernestes gehen unter, und dienen den 
zur Entwicklung gelangenden Eiern gleichsam als Nahrung. 

Auch nach der von Kölliker!) gegebenen Darstellung wird 
die Membrana granulosa dem Ei von Aussen aufgelagert; aller- 
dings aus einer anderen Quelle als vom Keimepithel, das nur den 
Ureiern und den von diesen gebildeten Eiketten in den Schläuchen 
den Ursprung gibt. Die Membrana granulosa bildet sich nach 
Kölliker aus Kanälen und Zellensträngen der Marksubstanz, die 
wie die Hodenschläuche der männlichen Embryonen mit dem Epi- 
thel eines Wolff’schen Canales (pag. 9731. c.) verbunden sind, 
und im Eierstock mehr und mehr gegen die Rindenzone vordringend 
vom Grunde der Schläuche aus die nackten Eizellen umwuchern 
und mit einem Kranze von Follikelepithelzellen umgeben. Die 
von Kölliker bis zur Urniere rückwärts verfolgten Schläuche in 
der Markzone junger Säugethierovarien waren schon Waldeyer 
bekannt und können beim Hunde vornehmlich gut gesehen werden. 
Waldeyer hatte die Schläuche als Homologa der Samencanäle 
gedeutet, und Semper in Grundlage seiner Beobachtungen an den 
Embryonen von Plagiostomen das Homologon des ausführenden 
Hodensystems darin vermuthet. 

Wenn man bedenkt, wie dies seit Pflüger für die Oogenese 


1) F. M. Balfour: On the structure and development of the verte- 
brate ovary (Quarterly Journal of mieroscopical science, vol. 18. New ser.) 
pag. 47: „The cells of the germinal epithelium arrange themselves as a layer 
around each ovum, almost immediatly after its separation from a nest, and 
so constitute a folliele“. 

2) A. Kölliker: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhe- 
ren Thiere. II. Aufl. pag. 971 gg. 


72 Moritz Nussbaum: 


bei den Säugethieren entweder deutlich ausgesprochen oder in den 
meisten über unseren Gegenstand publieirten Abbildungen su sehen 
ist, dass in den Pflüger’schen Schläuchen Ei an Ei gelegen ist 
ohne Dazwischenkunft von Follikelepithelzellen, so wird die Kölli- 
ker’sche Deutung nicht ganz unerwünscht den Widerspruch lösen, 
welchen die Annahme mit sich führt, dass die viel kleineren Fol- 
likelepithelien aus den grossen Zellen in den Eiketten hervorge- 
gangen seien. Man wird sich noch leichter zu der Auffassung 
Kölliker’s bekennen, wenn man sich erinnert, dass die dem 
Centrum des Eierstocks zugewandten Eianlagen zuerst von einer 
Membrana granulosa umgeben werden, also an einer Stelle, wo sie 
zuerst mit den aus der Urniere sprossenden Zellensträngen zu- 
sammentreffen müssen. 

Wir glauben den augenblicklichen Stand der schwierigen 
Frage von der Abstammung der Follikelepithelien hiermit darge- 
legt zu haben und wollen nunmehr eine Schilderung unserer eig- 
nen Befunde versuchen. Dabei sei im Voraus bemerkt, dass es 
uns bis jetzt noch nicht gelungen ist, bei den Thieren, die das 
Untersuchungsmaterial für die oben vorgeführten Ansichten der 
Autoren geliefert haben, neue entscheidende Thatsachen aufzu- 
finden, und dass wir nur bei Amphibien und Teleostiern befriedi- 
senden Aufschluss erhalten haben, von dem allerdings ein allge- 
meines Gesetz der Bildung und Bedeutung der Follikelepithelien 
erwartet werden darf. 

Für die Eierstöcke der Batrachier musste vor einem näheren 
Eingehen auf die Regenerationsvorgänge selbst, die Beziehung der 
flachen Peritonealepithelien zu den von Waldeyer entdeckten 
Keimepithelinseln von Neuem studirt werden. Nach Waldeyer!) 


1) W. Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 74. ef. Fig. 28. Diese An- 
gaben sind neuerdings von Kolessnikow (d. Arch. Bd. XV, pag. 397) be- 
stätigt worden; doch hat Kolessnikow den schon seit Swammerdam 
bekannten kammerigen Bau der Froschovarien nicht gekannt; diese viel- 
mehr als „zwei dünnwandige, gefaltete Säcke“ beschrieben. Ebenso unrichtig 
ist sein Vergleich des Eierstocks bei den Batrachiern mit den von ihm unter- 
suchten Teleostiern, da, wie schon Waldeyer gezeigt hat, das Peritoneum 
der Teleostier nicht dieselben Beziehungen zu den Eierstöcken zeigt, wie das 
der Batrachier. Kolessnikow glaubt die Frage nach der Eibildung bei den 
Batrachiern entschieden zu haben; er ist jedoch zu dieser Annahme nicht be- 
rechtigt, weil ihm sowohl bei der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen, als 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 73 


sollen nämlich an vielen Stellen der Oberfläche die Anlagen junger 
Eier: Keimepithelinseln, frei zu Tage liegen und nicht von dem 
„Peritonealendothel“ überzogen sein. Brandt!) bemerkt hierzu: 
„dass dieser Umstand durch zufällige locale Verletzung des Endo- 
thels bedingt sein könnte.“ Nach meinen eignen Untersuchungen 
muss ich dieser Behauptung beipflichten; da schon bei ganz jugend- 
lichen Thieren eine continuirliche Silberzeichnung auf den noch 
compacten Ovarien sich findet, und nach dem sogleich anzugeben- 
den Verfahren auch bei den erwachsenen Fröschen als continuir- 
licher Belag der inneren und äusseren Ovarienfläche nachgewie- 
sen werden kann. 

Die Präparation der Ovarien bei den Larven ist einfach; in- 
dem man die mit salpetersaurem Silber behandelten Theile in Al- 
cohol härtet und einen feinen Flachschnitt der Oberfläche unter- 
sucht. Sehr instructiv sind Larven der Rana fusca von ca. 6 cm 
Gesammt- und 3 cm Rumpflänge, da hier der Uebergang der eubi- 
schen Peritonealepithelien in die späteren flachen und breit gezo- 
genen Formen beobachtet werden kann. Bei jüngeren Larven 
war nämlich die Anlage der Geschlechtsdrüsen, wie im ersten Ab- 
schnitt des Näheren auseinandergesetzt worden ist, aus den embryo- 
nalen Gesehlechtszellen und den cubischen Peritonealepithelien 
zusammengesetzt. Die Peritonealepithelien umwachsen die Ge- 
schlechtszellen und ihre Theilproduete, und bilden schliesslich eine 
continuirliche Mosaik kleiner cubischer Zellen auf der freien 
Fläche der Geschleehtsdrüsen. Wie nun anderwärts aus diesen 
cubischen Belegzellen der Leibeshöhle sich das flache, Endothel 
genannte, Zellenstratum entwickelt, so geht auch allmälig das 
Epithel des Eierstocks in diese Form über; allerdings später als 
an den übrigen Stellen der Leibeshöhle. Die Versilberung frischer 
Präparate lässt an der vorderen Bauchwand, auf den Nieren weit 
geschwungene Netze schwarzer Zellengrenzen erkennen, während 
auf den Geschlechtsdrüsen noch das cubische Epithel persistirt. 
Die Umwandlung geschieht, wie gesagt, bei 6 cm langen Larven 
der Rana fusca; bei 4em langen der Rana esculenta; bei gleich- 


auch bei der Untersuchung der Eierstöcke der erwachsenen Batrachier sehr 
viele Stadien entgangen sind. 

1) A. Brandt: Fragmentarische Bemerkungen über das Ovarium des 
Frosches, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. XXVII, pag. 584 unten. 


74 Moritz Nussbaum: 


langen Larven von Alytes obstetricans. Mit der fortschreitenden 
Entwicklung werden die Ovarien blasig und ihr äusserer zelliger 
Belag immer flacher, bis schliesslich die Grösse der Silberzeich- 
nung der anderer Stellen gleichkommt. 

‚Sobald die Ovarien hohl geworden und aus mehreren getrenn- 
ten Blasen zusammengesetzt sind, wird die Untersuchung schwie- 
riger. Doch kommt man mit derselben Methode, womit Swam- 
merdam den Bau des Eierstocks demonstrirte, auch hier zum 
Ziele; man bläst nämlich eine Kammer der Ovarien, die mit dem 
entsprechenden Stück der Wirbelsäule in 0,1°/, Silberlösung ge- 
bracht wurden und ganz von der Flüssigkeit bedeckt sind, auf, 
spült mit destilirtem Wasser ab und lässt aus einer Bürette abso- 
luten Alcohol auf das Präparat fliessen, während man die aufgebla- 
sene Ovarialkammer beständig mit Luft prall gefüllt erhält. Die 
übrigen Höhlen des Ovariums bleiben eollabirt; die Wandung der 
aufgehlasenen wird so resistent und glatt, dass man das ganze 
Präparat mit Ausnahme der ÖOeffnungsstelle für den Tubus in 
Theile zerlegen und unter dem Mikroskop untersuchen kann. Zur 
Zeit der Eireife muss man zwar die grossen Eier mit einer Pincette 
von der Unterfläche abzupfen ; es gelingt dies nach der Erhärtung 
des aufgeblasenen Präparates in Alcohol leichter als man glauben 
sollte. Unter dem continuirlichen, durch Behandlung mit Argentum 
nitricum deutlich hervortretenden Zellenstratum der Oberfläche 
sind zu verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Eibildungsstadien zu 
treffen, und in Uebereinstimmung mit den vorher bei der Regenera- 
tion der männlichen Geschlechtsproducte geschilderten Erscheinun- 
gen ist mit October bei Rana fusea die Eibilduug für die kommende 
Brunst abgeschlossen. Es sind aber auch schon die Eier für die 
darauf folgende Brunst angelegt und mit Ausnahme der undurch- 
sichtigen Dotterplättchen enthalten sie alle für ein Batrachierei 
charakteristischen Theile. Was sich weiter an jüngstem Nachwuchs 
findet, hat vorläufig noch nicht die Eigenthümlichkeiten des Wir- 
belthiereies angenommen. Dieser für die drittnächste Brunst be- 
stimmte Satz soll hier in seinen Veränderungen verfolgt werden. 

Es wurden untersucht die Eierstöcke von Rana fusca und 
esculenta, von Bufo einereus und Bombinator igneus; wie bei der 
Beschreibung der Regeneration im Hoden wir vorzugsweise Rana 
fusca berücksichtigten, so soll hier der Abwechslung halber sich 
die Schilderung mehr an das Ovarium von Rana esculenta halten. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 75 


Im November sind schon ziemlich grosse, undurchsichtige 
Eier angelegt; wo jüngere mit diesen eng beisammen liegen, neh- 
men die älteren stets die tiefste Lage ein, so dass die Jüngsten 
Stadien der ventralen Oberfläche des Eierstocks am nächsten lie- 
gen. In Fig. 45 ist dies durch verschiedene Abtönung der ein- 
zelnen Stadien angedeutet; die jüngsten Stadien, (rechts unten) 
direet unter dem durch Argentum nitricum sichtbar gemachten pe- 
ritonealen Ueberzug gelegen, sind am hellsten gehalten; es folgen 
in gleicher Höhe nach links eine gleichalte Anlage, und von da 
ab, rechts nach dem Inneren des Ovarialsackes zu, zwei junge 
Eier auf einem grossen undurchsichtigen gelagert, von dem nur 
die untere Hälfte schematisch dargestellt ist. Die jüngsten Eibil- 
dungsstadien werden aus gleichgrossen Zellen zusammengesetzt 
und sind von einer bindegewebigen Membran umgeben, deren 
Kerne deutlich siehtbar sind. Wir haben es hier offenbar mit dem 
Analogon der Pflüger’schen Eiketten zu thun und glauben auch 
in Fig. 68 das diesem Zustande voraufgehende Stadium erkennen 
zu müssen. In Figur 68 liegt unter der endothelialen Zeichnung 
der Oberfläche, und umgeben von den Zellen des dünnen Eier- 
stockstroma’s, eine grosse Zelle, die ganz sicher kein Ei ist, da 
das Follikelepithel ihr fehlt. Wir nehmen an, dass aus solchen 
Zellen, die auch in den Eierstöcken der° übrigen Batrachier ge- 
funden wurden, durch Theilung sich jene oben beschriebenen Ne- 
ster ausbilden. Während der Wintermonate macht die Entwick- 
lung der ersten Eibildungsstadien keinen erheblichen Fortschritt; 
man sieht im März (Fig. 46) noch Theilungen der Zellen in den 
Nestern (a); zugleich aber auch den Beginn der schon oft beschrie- 
benen maulbeerförmigen Kerntheilung (b), die im August (Fig. 
47) alle Zellen der Nester gleichzeitig ergriffen hat. Auf diese maul- 
beerförmige Kerntheilung folgt die Ausbildung ächter Eier, die wir 
namentlich deutlich bei Rana fusca zu Ende Juli verfolgen konn- 
ten !). Ein maulbeerförmiges Theilungsstadium im Kerne eines Pri- 
mordialeies ist auch in Fig. 65 bei M von Bufo einereus, drei Tage 
nach dem Laichen untersucht, zu finden; die Silberlinien der Ober- 
flächenzeichnung sind nicht dargestellt. Fig. 48 zeigt einen maul- 


1) Dieser Zeit entspricht für Rana esculenta der Monat September; 
doch gewann ich für Rana esculenta keine beweisenden Präparate, weil die 
Umwandlung in fertige Eier zu schnell erfolgt war. 


76 Moritz Nussbaum: 


beerförmig zerklüfteten Kern aus dem Ovarium von Bombinator 
igneus isolirt und frisch untersucht; vom „Hodeneierstock“ der 
erwachsenen männlichen Kröte hat von la Valette St. George 
dasselbe in Figg. 68 und 69 der 35. Tafel des XU. Bandes dieses 
Archivs abgebildet. Aus diesen, kurze Zeit nach dem Laichen bei 
allen Batrachiern aufzufindenden, in grossen Nestern beisammen 
gelagerten Zellen mit maulbeerförmig getheiltem Kern gehen die 
Eier hervor, welche nach der nächsten Brunst als ansehnliche 
Kügelchen im entleerten Eierstock zu finden sind. Demgemäss 
enthält der Eierstock der Batrachier direet nach dem Laichen die 
Eier für die kommende Brunst und für die darauf folgende. In 
den Wintermonaten bildet sich dann noch ein drittes Stadium 
heran, wenn der erste Satz von Eiern seine völlige Reife erlangt 
hat. Die Umwandlung der Nester zu definitiven Eiern geschieht 
sehr rasch; in Fig. 63 ist ein solehes Stadium von Rana fusca zu 
Ende Juli abgebildet. Von dem grossen Eischlauch ist nur ein 
Theil dargestellt; die Kerne der bindegewebigen Schlauchwand 
sind bei h zu finden, und man sieht, wie sich oben links die Binde- 
gewebszellen von der Wand aus zwischen zwei von Follikelepithe- 
lien (F) umgebene Eizellen einzwängen. Bei M liegt eine nackte 
Zelle mit maulbeerförmig getheiltem Kern, also das Stadium, wie 
es kurze Zeit nach dem Laichen alle Zellen der Nester oder 
Pflüger’schen Schläuche aufwiesen. Rechts oben schliesst sich 
in Fig. 63 an das nackte Urei eine kleine von Follikelepithelien 
umgebene Eizelle an; ihr Keimbläschen ist klein, rund und hat 
nur ein Kernkörperehen. Es finden sich demgemäss in der Fig. 63 
die Uebergangsstadien von den Zellen der Ureiernester oder Pflü- 
ger’'schen Eischläuche zu ächten Eiern beisammen vor. Zuerst 
theilt sich der Kern jeder Zelle eines Nestes — Primordialei — 
maulbeerförmig und auf die oft geschilderte Art bildet sich das 
Ei und sein Follikelepithel; dann wächst von der Schlauchwand 
das Bindegewebe um die einzelnen Eier, schnürt sie von einander 
ab und erzeugt die vascularisirte bindegewebige Follikelmembran 
— Theca follieuli. 

Somit entwickeln sich die Eier der erwachsenen Batrachier 
in derselben Weise wie im Embryo. Da wir nun erstens beim 
Embryo die entstehenden Eier aus den Geschlechtszellen ableiten 
konnten und den Nachweis führten, dass die Peritonealepithelien 
nur bindegewebige Hüllen der Geschlechtszellen und ihrer Theil- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 77 


producte liefern; da zweitens bei den erwachsenen Batrachiern 
in Uebereinstimmung mit Waldeyer die jungen Eikeime als etwas 
vom Peritonealepithel Verschiedenes erkannt wurden, und da drit- 
tens die Eibildung, sobald sie im Embryo begonnen, continuirlich 
weiter geht, so werden auch die späteren Eianlagen von den pri- 
mären Geschlechtszellen abgeleitet werden dürfen. Ein directer 
Beweis hierfür möchte allerdings schwer zu erbringen sein; allein 
es gibt in dem ganzen Beobachtungsmaterial keinen Factor, der 
zu Ungunsten unserer Annahme geltend gemacht werden könnte. 

Vergleichen wir die Vorgänge der Regeneration in den männ- 
lichen und weiblichen Geschlechtsdrüsen, so finden wir dieselbe 
Uebereinstimmung die früher vom Embryo beschrieben wurde. Da- 
bei ist jedoch nicht zu verkennen, dass in dem Entwicklungs- 
modus der ersten schon in der Larve fertig gebildeten Ge- 
schlechtsproduete und den im erwachsenen Thier hinzukom- 
menden derselbe Unterschied, wie in der Aufeinanderfolge der 
Organismen, der Individuen, hervortritt. Denn wie die fertigen 
Keime zu neuen Individuen im Hoden und Eierstock ein Latenz- 
stadium durchmachen, während das gesammte Zellenmaterial des 
elterlichen Organismus in beständiger Theilung sich befindet, so 
werden aus den Geschlechtszellen ebenfalls Zellen gesondert, die 
länger inert liegen bleiben, als die sofort in Theilung verfallenen: 
diese liefern die ersten Geschlechtsproducte; jene sind für den 
Nachwuchs, die Regeneration, bestimmt. 

Für die Neubildung der Geschlechtsstoffe bei den Teleostiern 
würde hier noch Einiges über die Eibildung bei erwachsenen 
Fischen beizubringen sein, nachdem im voraufgehenden Abschnitt 
das Nöthige über die Regeneration im Hoden schon mitgetheilt 
wurde. 

Nachdem Waldeyer in dem schon vielfach eitirten Werk, 
Eierstock und Ei, die Eibildung bei den Teleostiern (Hecht) im 
Prineip identisch mit der Eibildung bei den übrigen Wirbelthieren 
gefunden und den Ausgangspunkt dazu in das die innere Eierstocks- 
oberfläche deckende „Keimepithel“ verlegt hatte, wurde in neuerer 
Zeit von Kolessnikow!) und Brock?) dieser Vorgang durch 


1) Kolessnikow: Ueber die Eientwicklung bei Batrachiern und Kno- 
chenfischen; d. Archiv, Bd. XV pag. 382. 

2) J. Brock: Beiträge zur Anatomie und Histologie der Geschlechts- 
organe der Knochenfische; Morph. Jahrb., Bd. IV pag. 565, 566. 


78 Moritz Nussbaum: 


Abbildungen illustrirt. Ueber die Arbeit Kolessnikow’s ist 
pag. 72 schon Einiges von uns gesagt worden. Die Abbildungen 
Brock’s sind correet, und dieser Autor hat sehr wohl die Schwie- 
rigkeiten gefühlt, welche sich für den Nachweis der Entwicklung 
des Follikelepithels im Waldeyer’schen Sinne darbieten. Wir 
glauben nun die Angaben Brock’s durch das Folgende ergänzen 
zu können, indem wir eine Beschreibung der Eierstöcke von Ga- 
dus lota zu verschiedenen Jahreszeiten geben !). 

Im November sind die Ovarien der Gadus lota zwei statt- 
liche, muskulöse Schläuche, die von der Leber her zu beiden Sei- 
ten des Darmes nach abwärts ziehen und mit einem gemeinschaft- 
lichen Gange auf der Urogenitalpapille hinter dem After ausmün- 
den. Die peritoneale Oberfläche trägt ein plattes Epithel; darun- 
ter folgt die organische Musculatur, und von dieser aus ragen in 
das Innere eine grosse Zahl von Zotten hinein, auf denen die 
Eier befestigt sind. Die Oberfläche der Zotten ist mit einem eubi- 
schen Epithel bekleidet; darunter folgen die Anlagen der Eier und 
die reifen Eier selbst. Das reife Ei der Gadus lota hat einen 
Durchmesser von etwa I mm; daneben aber kommen kleinere Eier 
bis zu einem Durchmesser von 16. vor. In diesen kleinsten iso- 
lirten Eiern lässt sich die Membrana granulosa durch 5 Minuten 
langes Einlegen in Ueberosmiumsäure deutlich sichtbar machen; 
ef. Fig. 52; bei den grösseren Eiern sieht man diese epitheliale 
Hülle am besten nach Wasserzusatz. Der Dotter der 16 « breiten 
Eier ist hell; das Keimbläschen enthält bei einer Grösse von 8 u 
gewöhnlich nur einen Keimfleck; in Figur 91 ist ein Keimbläs- 
chen eines solchen in Jodserum untersuchten Eies dargestellt, wo 
sich eben zwei kleinere Kügelchen von dem grossen Keimfleck 
loslösen wollen. Wächst nämlich das Ei, so wird das Keimbläs- 


1) Brock hat schon in seinem hier ceitirten Aufsatz über die Reifung 
der Eier bei Sommer- und Winterlaichfischen die nöthigen Angaben gemacht; 
wir können dieselben bestätigen und weisen auf die Uebereinstimmung (dieser 
Verhältnisse bei Teleostiern und Batrachiern hin. Doch nicht alle Thiere 
gehen mit fertigem Vorrath von Geschlechtsstoffen in den Winter; so wird 
man in Uebereinstimmung mit Semper (Beiträge zur Anatomie und Physio- 
logie der Pulmonaten, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. VIII, pag. 
340 sqq.) bei Limnaeus stagnalis während der Wintermonate reife Eier oder 
Samenfäden in der Zwitterdrüse vergeblich suchen; Helix pomatia hat da- 
gegen im Januar reife Geschlechtsstoffe schon ausgebildet. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thbierreich. 79 


chen vielkörnig; es treten viele Keimflecke darin auf. Ein solches 
Keimbläschen ist in Fig. 90 bei derselben Vergrösserung wie 
Fig. 91 dargestellt, so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass der 
Zustand des Keimbläschens mit vielen Keimflecken dem mit einem 
Keimfleck nachfolgt, und dass die vielen kleinen Keimflecke durch 
Abtrennung von dem primären relativ grossen entstehen. In Fig. 90 
ist neben dem Keimbläschen noch ein kleiner Ring körniger Sub- 
stanz dargestellt, der sich von dem mehr peripher gelegenen, aber 
nicht gezeichneten hellen und klaren Dotter deutlich abhebt. Wach- 
sen die Eier, so schreitet diese körnige Zone nach der Peripherie 
des Eies zu, und im reifen Ei werden neben feinkörniger Grund- 
substanz grosse glänzende Kugeln im Dotter angetroffen. Gegen 
das Follikelepithel ist der Dotter des reifen und des der Reife 
nahen Eies durch eine 4 u dieke Porenhaut abgegrenzt, die bei 
jüngeren Eiern vermisst wird. Auf die Bildung des Dotters und 
der Porenhaut einzugehen ist hier nieht der Ort; die Veränderun- 
gen des Keimbläschens haben dagegen für die Entstehungsge- 
schichte des Eies hohe Bedeutung. Wir kommen darauf weiter 
unten zurück. 

Neben den eben beschriebenen Eiern finden sich im Novem- 
ber noch Schläuche oder Nester dicht unter dem Epithel der In- 
nenfläche. Ein solches Ureiernest ist in Fig. 42 isolirt dargestellt; 
die Kerne der bindegewebigen Hülle sind bei h sichtbar. 

Gadus lota laicht im Januar, und es bleiben die kleineren 
Eier für die nächste Brunst und die schon im November vorhan- 
denen jüngsten Anlagen für die zweitfolgende Laichperiode im 
Eierstock zurück. Bis zum März haben sich aus dem jungen Nach- 
wuchs schon wiederum Eier entwickelt; es gelingt aber um diese 
Zeit die Umwandlung noch zu beobachten. Für die Untersuchung 
halte ich das kurze, wenige Minuten dauernde Einlegen des ganz 
frischen Eierstockgewebes in 0,1°/, Ueberosmiumsäure sehr zweck- 
mässig; es ist dann ziemlich leicht, von den Zotten der Innenseite 
grössere flächenhafte Stücke mit Nadeln abzuzupfen und an gefal- 
teten Stellen das Profil, im Uebrigen die Ansicht der Theile von oben 
auf weite Strecken zu erhalten. Man durchmustert mit schwäche- 
ren Vergrösserungen das Präparat und isolirt aus ihm geeignete 
Parthien. Die Zellennester sind noch vorhanden und in binde- 
gewebige Kapseln eingeschlossen; die Zahl der Zellen eines Nestes 
hat sehr zugenommen, und bei hinreichend starker Vergrösserung 


80 Moritz Nussbaum: 


(Zeiss Immers. M, Oc. 1) sieht man in einigen Kernen, siehe 
Fig. 74 oben, eine maulbeerförmige Theilung. Die Veränderungen 
in den Zellen gehen nicht gleichmässig vor sich, wie wir das ja 
auch schon von den Eierstöcken der erwachsenen Batrachier, ef. 
Fig. 63, kennen gelernt haben. In weiter entwickelten Nestern 
oder Schläuchen erkennt man, wie Fig. 75 zeigt, die auf eine 
maulbeerförmige Kerntheilung folgende Gruppirung der Theile. 
Unten in der Figur ist eine noch kleine Eizelle von recht grossen 
Follikelepithelien umgeben; die Abschnürung von dem darüber ge- 
legenen grösseren und von einer kleinzelligen Membrana granulosa 
umgebenen Ei markirt sich eben. 

Dürften wir unseren Beobachtungen eine Deutung geben, so 
würden wir auf das in Fig. 41 dargestellte Stadium von der Ge- 
schlechtsdrüse der Forelle zurückgehen. Hier sind die Abkömm- 
linge der zuerst frei zwischen den Zellen des Peritoneums gelagerten 
Geschlechtszellen allseitig von den Derivaten des gewucherten Peri- 
tonealepithels umgeben. Die Construction des definitiven Eierstocks 
dürfte nicht schwer fallen, wenn wir uns vorstellen, dass in dem 
Bindegewebe zwischen den grossen Nestern Spalten entstehen, und 
durch Weiterwuchern beider Elemente, des Bindegewebes und der 
Zellen in den Nestern, der zottige, balkige Bau des Fischeierstocks 
sich ausbildet. Es würden dann alle Eianlagen und alle reifen 
Eier von Peritonealepithel umgeben sein, und das auf der inneren 
Oberfläche des Eierstocks von Waldeyer als Keimepithel ange- 
sprochene Zellenstratum diese Bezeichnung nicht verdienen, weil 
es nicht von den Geschlechtszellen, sondern von dem Peritoneal- 
epithel abstammt, dessen Bedeutungslosigkeit für die Bildung der 
Geschleehtsproducte bei den Embryonen der Batrachier und der 
Teleostier von uns nachgewiesen werden konnte und das als 
solches auch von Waldeyer niemals mit dem Keimepithel iden- 
tifieirt worden ist. Man hat in neuerer Zeit, und wir kommen auf 
diesen Punkt im allgemeinen Theile noch näher zurück, die Aehn- 
lichkeit des von Waldeyer entdeekten Keimepithels mit anderen 
Belegzellen seröser Höhlen nachgewiesen; es ist jedoch unberechtigt, 
aus dieser Aehnlichkeit dem Keimepithel seine specifische Be- 
deutung absprechen zu wollen; ja, wir sind sogar der Ueberzeugung, 
dass die Analoga der grossen Geschlechtszellen der Batrachier 
(ef. Fig. 43) bei allen Wirbelthieren im Keimepithel als etwas Be- 
sonderes vorkommen, sich aber nicht durch so auffallend embryonale 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 81 


Eigenschaften vor den übrigen Zellen, mit denen sie in einfacher 
Lage gemischt auf dem Stroma der Geschlechtsdrüsenanlage sich 
finden, von vorn herein unterscheiden lassen als bei den Batrachiern. 
Jedenfalls liegen in dem Keimepithel der Embryonen, d. h. dem 
peritonealen Ueberzug des schon früh angelegten bindegewebigen 
Stroma’s der Geschlechtsdrüsen höherer Wirbelthiere die Zellen, 
von denen die Geschlechtsstoffe abstammen, da nur in diesem 
Oberflächenepithel und an keiner anderen Körperstelle Ureier, und 
aus diesen Ureiernester sich bilden. Auf der anderen Seite darf 
nun aber auch nicht ohne Weiteres der zellige Belag an den freien 
Flächen der Geschlechtsdrüsen, in specie des Eierstocks, zu allen 
Zeiten als ein Keimlager aufgefasst werden. Für die Batrachier 
ist dies vorher nachgewiesen worden, und wenn unsere Auffassung 
von der Entwicklung des Teleostierovariums die richtige ist, so 
würde beim erwachsenen Teleostier das innere Oberflächenepithel 
dieselbe Bedeutung haben wie der platte Zellenbelag des Batra- 
chiereierstocks; es würde aus Peritonealzellen, sogenannten Endo- 
thelien, bestehen. Da nun die ersten Eier sicher von den Ge- 
schlechtszellen abstammen, so wird man jene von uns beschriebenen 
unter dem Epithel der Innenfläche des Ovariums gelegenen Zellen- 
nester in erwachsenen Fischen auch für Abkömmlinge der ersten 
Geschlechtszellen halten, und so in dem Bildungsmodus beim erwach- 
senen Thier nur eine Wiederholung der vom Embryo her bekannten 
Vorgänge wiederfinden. 

Bei Reptilien (Laeerta agilis, Anguis fragilis) habe ich, sobald 
die reifen Eier den Eierstock verlassen hatten, in Uebereinstimmung 
mit Leydig unter dem cubischen Oberflächenepithel junge Ei- 
schläuche gesehen. Die Bildung der definitiven Eizelle und ihres 
Follikelepithels konnte bei der Kleinheit der Theile und dem 
Untergang zahlreicher Anlagen nicht verfolgt werden. An den 
kleinsten Eiern ist die Membrana granulosa einschichtig, aus kleinen 
Zellen zusammengesetzt; Eier von 0,15 mm Durchmesser haben eine 
mehrfache, im Umkreise des Eies nicht gleichdieke Lage kleiner 
Follikelepithelien. Bei grösseren Eiern tritt der von Gegenbaur') 
Waldeyer?), Eimer?) u. A. hervorgehobene Unterschied der 


1) Gegenbaur: Müller’s Archiv 1861. 
2) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 71. 
3) Eimer: d. Archiv, Bd. VII. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Ba. 18. 6 


82 Moritz Nussbaum: 


Follikelepithelien ein, der bekanntlich mit dem Wachsthum des 
Eies wieder verschwindet. Während nämlich das mittelgrosse Ei 
eine mehrschiehtige aus kleinen und grossen Zellen (ef. Fig. 62) 
zusammengesetzte Membrana granulosa zeigt, wird das Follikel- 
epithel des reifen Eies wieder auf eine einfache Lage kleiner 
Zellen redueirt. In kleinen Eiern (cf. Fig. 58) sieht man das Keim- 
bläschen mit einem Keimfleck und in diesem zuweilen noch ein 
stark glänzendes Körperchen; in den grösseren Eiern sind mehrere 
Keimflecke im Keimbläschen vorhanden. 

Wenn es uns nun auch nicht gelungen ist, den Entwicklungs- 
vorgang der Eier in erwachsenen Reptilien ausführlich zu ver- 
folgen, so ist doch der Nachweis junger Anlagen, Zellennester, 
Eischläuche, unter dem Epithel der Eierstocksoberfläche nicht 
ganz bedeutungslos. Wir wissen durch die Untersuchungen 
Braun’s!), dass bei den Embryonen der Reptilien die Ureier im 
Oberflächenepithel des Eierstocks gelegen sind und finden dem- 
gemäss dasselbe Verhalten wie bei den Amphibien und Teleostiern 
wieder: die vergrösserten Zellen des embryonalen Keimepithels 
der Reptilien senken sich wie die Geschlechtszellen der Amphibien 
in die Tiefe, theilen sich und bilden sich zum Theil sofort zu 
Eiern aus; ein anderer Theil bleibt dicht unter dem Epithel der- 
jenigen Oberfläche liegen, wohin die reifen Eier entleert werden, 
und bildet nach jeder Brunst den Ausgangspunkt für die Neu- 
bildung von Eiern im erwachsenen Thiere. Es ist demgemäss 
nur im Embryo das Epithel des Eierstocks ein Keimepithel im 
Sinne Waldeyer’s, insofern als, mit Peritonealepithelien gemischt, 
Ureier auf dem Eierstockstroma sich finden, die sich allerdings 
erst zu einer gewissen Zeit erkennen lassen. Nach der Theilung 
und Einwanderung der Ureier in den bindegewebigen Theil des 
Eierstocks gilt Leydig’s Behauptung, dass die Eier der Reptilien 
nicht — oder wie es uns zu sagen gestattet sei, nicht mehr — 
vom Epithel der Eierstocksoberfläche abstammen: es sind alsdann 
die Ureier daraus verschwunden, und die Anlagen zu jungen Eiern 
befinden sich unter dem Epithel der Oberfläche. 

Dasselbe glaube ich für die Säugethiere vertreten zu können. 
Es fanden sich unter dem cubischen Epithel der Eierstocksober- 


1) Braun: Arbeiten aus dem zoolog.-zootom. Institut in Würzburg, 
Bd. IV. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 83 


fläche kleine oder grössere Zellennester in einer bindegewebigen 
Hülle eingeschlossen; bei trächtigen Hündinnen, mit mächtig ent- 
wickelten gelben Körpern in den Eierstöcken, waren diese Ei- 
schläuche kleiner als bei Hündinnen mit zurückgebildeten Corpora 
lutea und narbig zerklüfteten Ovarien. Die Lage des Oberflächen- 
epithels zu den Eischläuchen ist weniger gut an Längsschnitten 
als an feinen Flachschnitten zu studiren, weil gerade über den 
Schläuchen das Eierstocksepithel gewöhnlich sehr abgeflacht ist, 
und man also Verhältnisse vor sich hat, wie sie von den soge- 
nannten Endothelien her bekannt sind, die auf feinen Längsschnitten 
auch wohl nur schwerlich gesehen werden können. Recht gut kann 
man die Beziehungen des Oberflächenepithels zu den jungen Schläu- 
chen, in denen es noch nicht zur Bildung von Eiern gekommen 
ist, studiren, wenn man den Eierstock einer Hündin für einen Tag 
in 0,1°/, Osmiumsäure einlegt und mit einem Scalpell breite Fetzen 
des Epithels abhebt. Es zeigen sich alsdann eine continuirliche 
einschichtige Mosaik polygonaler Zellen und dicht unter der Ober- 
fläche an zahlreichen Stellen runde Lücken. Fig. 72 stellt ein 
solches Präparat, von der Unterfläche gesehen, aus dem Ovarium 
eines drei Monate alten Hundes dar; man erkennt die regelmässige 
Mosaik des Epithels und dicht gestellte Vertiefungen, aus denen 
die im Eierstockstroma haftenden jungen Eischläuche herausge- 
rissen sind. Die flachen Grübchen auf der Unterfläche des Epithels 
(ef. x in Fig. 72) sind durch abgeplattete Zellen gegen die Ober- 
fläche geschlossen. Bei g ist eine Zelle auf der Unterfläche des 
Epithels erhalten, deren Kern in maulbeerförmiger Theilung be- 
griffen ist. Wachsen also die für die Regeneration bestimmten 
Zellen durch Theilung zu Schläuchen aus, so dringen sie nicht 
allein in die Tiefe vor, sondern flachen auch, bevor sie von dem 
wuchernden Bindegewebe gänzlich in das Innere des Eierstocks 
verlagert werden, das ihnen direct aufliegende Epithel ab. 

Die verschiedene Grösse der Schläuche zu verschiedenen 
Zeiten des Jahres und das Vorkommen von Uebergangsstadien zu 
ächten kleinen Eiern erhebt also die von Pflüger behauptete 
periodische Neubildung von Eiern bei den Säugethieren über allen 
Zweifel. Ebenso ist aber auch der von Waldeyer (pag. 45, Eier- 
stoek und Ei) gegebenen Auseinandersetzung die Berechtigung 
nicht abzusprechen: weil in der That die Neubildung der Eier im 
erwachsenen Thiere nicht den ganzen Cyelus wie im Embryo 


84 Moritz Nussbaum: 


durchläuft. Dies geschieht aber auch nicht im Hoden, wo ja 
ebenfalls, wie wir vorher angenommen, von der ersten Entwicklung 
her Zellen inert in den Schläuchen liegen bleiben, und, sobald sie 
die Umwandlung zu Samenfäden erleiden sollen, die Weiterent- 
wicklung von dem Stadium beginnen, worin sie bei der ersten 
Entstehung gleichsam erstarrt waren; während ihre Schwesterzellen 
schon gleich die ganze weitere Entwicklung zu fertigen Geschlechts- 
producten durchlaufen hatten. 

Es erübrigt zum Schlusse, noch einige Bemerkungen über die 
Bedeutung des Follikelepithels beizubringen. Semper namentlich 
stellt an vielen Stellen seiner Arbeit über das Urogenitalsystem 
der Plagiostomen den Satz auf, dass die Follikelepithelzellen die 
Fähigkeit haben, sich zu verändern und die Zahl der Follikel zu 
vermehren. Wir finden hier also dieselbe Ansicht wieder, die von 
la Valette St. George für die Regeneration im Hoden wider- 
legt hatte. Aber auch für den Eierstock sind schon lange gute 
Gründe beigebracht, dass dem Follikelepithel keine Bedeutung für 
die Neubildung von Eiern zukomme. Die Semper’sche !) Beob- 
achtung von dem Vorkommen polyedrischer oder runder Zellen 
von sehr verschieden grossem Durchmesser zwischen den langen, 
eylindrischen Zellen des Eifollikelepithels bei Raja elavata ist von 
Balfour’?) richtig gedeutet worden; es kommt diesen vergrösserten 
Epithelien kein anderer Werth zu, als den vergrösserten Granulo- 
sazellen beim Eie der Reptilien ?); sie liefern Nährmaterial dem 
Eie und werden bei der Bildung des Dotters aufgebraucht. Wenn 
es erlaubt ist eine Ansicht über diesen Punkt vorzubringen, so 
scheint die Aehnlichkeit der vergrösserten Granulosazellen mit 
den Zellen des Corpus luteum darauf hinzudeuten, dass in den 
Follikelepithelien solche chemische Processe vorgehen, welche die 
Aufsaugung des in ihnen deponirten Materials erleichtern; vielleicht 
dürfte an eine fettige Degeneration gedacht werden, wie sie sehr 
schön an den gelben Körpern des Eidechseneierstocks gradatim 
zu demonstriren ist. Die glänzenden gelblichen Körnchen der ver- 


1) Semper: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen etc. pag. 361. 

2) Balfour: Quaterly journal of microscop. science; vol. 18. — new 
ser. pag. 408. 

3) Eimer: d. Arch. Bd. VIII und Braun: Arbeiten aus dem zoolog.- 
zootom. Institut in Würzburg, Bd. IV. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 85 


grösserten Follikelepithelien des Corpus luteum fliessen allmälig 
zu grösseren Kugeln zusammen, worauf dann die Resorption erfolgt, 
und das Corpus luteum vernarbt. Für die Dotterbildung verlegen 
wir mit Gegenbaur!) den Schwerpunkt in die Eizelle selbst, die 
das von den Follikelzellen zugeführte Material in sich verarbeitet; 
wir nehmen mit Pflüger’) eine Betheiligung des Follikelepithels 
an der Bildung der Zona radiata an und finden die wesentlichste 
Bedeutung der Membrana granulosa darin, dass sie „als Spreng- 
organ des Eierstocks zu dienen hat, welches dem Ei den Weg an 
die Oberfläche bahnen muss ?).“ 


V. 


Von der Bedeutung der Hodenzwischensubstanz. 


Seit Leydig hat ein constanter Bestandtheil des Hodens der 
Säugethiere, Vögel und Reptilien die Aufmerksamkeit vieler Be- 
obachter erregt und mannigfache Deutung erfahren. Im Allgemei- 
nen wurde die sogenannte Leydig’sche Zwischensubstanz zum 
Bindegewebe gerechnet. Waldeyer hat sie mit ähnlichen Zellen 
anderer Organe in das gut umgrenzte, neue Gebiet der „Plasma- 
zellen“ eingereiht und darin wohl allgemeine Zustimmung er- 
fahren. 

Mit der Niederschrift dieser Arbeit beschäftigt finde ich in 
dem eben erschienenen vierten Hefte des 15. Jahrganges des Jour- 
nal de l’anatomie et de la physiologie par Ch. Robin et G. Pou- 
chet einen Aufsatz des Herrn Tourneux, worin zum ersten Male 
gewisse „Plasma“-Zellen des Ovariums mit den Zwischensubstanz- 
zellen des Hodens verglichen werden. Dies würde nun für un- 
sere Zwecke vou nebensächlicher Bedeutung sein, da ja bekann- 
termassen in vielen Organen derartige Bildungen nachgewiesen 
sind. Doch hoffe ich zeigen zu können, dass die Zwischensub- 
stanz des Hodens ein Gebilde eigener Art ist. Sie findet aller- 
dings ihr Homologon im Eierstock; ist aber mit diesem zugleich 
von den Plasmazellen durchaus verschieden. 

l) Gegenbaur: Müller’s Archiv 1861. 

2) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen; 
pag. 81. 

3) Pfüger: eod. loc. pag. 41. 


86 Moritz Nussbaum: 


Herr F. Tourneux leitet seinen Aufsatz mit einer histori- 
schen Darstellung ein, worin er Kölliker die Entdeckung der 
Zwischensubstanz des Hodens zuschreibt. Es hat aber schon Mes- 
sing diesen Irrthum berichtigt; trotzdem wird Messing’s Arbeit 
in dem ziemlich umfangreichen Literaturverzeichniss bei Tour- 
neux aufgeführt. Vor Kölliker hatte nämlich Leydig im 
Jahre 1850 (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. II p. 47) 
die sogenannte Zwischensubstanz des Säugethierhodens beschrieben 
und mit folgenden Worten charakterisirt: „— die, wenn sie nur 
in geringer Menge vorhanden ist, dem Laufe der Blutgefässe folgt; 
die Samenkanälchen allenthalben einbettet, wenn sie an Masse sehr 
zugenommen hat.“ Leydig beschrieb somit als der Erste die 
Zwischensubstanz des Hodens. Seine ersten Angaben mögen aber, 
nachdem er sie in seinem Lehrbuch der Histologie (1857) wiederholt 
und erweitert hatte, in Vergessenheit gerathen sein. Kölliker’s 
Mikroskopische Anatomie stammt aus dem Jahre 1854; so mag es 
kommen, dass man die in jenem so verbreiteten Lehrbuch gege- 
benen Notizen für die ersten Nachrichten über die fragliche Bil- 
dung gehalten hat. 

Geht man in der nun folgenden Literatur auf die Quellen 
der verschiedenen Meinungen über das Wesen der Zwischensubstanz 
zurück, so findet sich die eine in der Arbeit Boll’s vom Jahre 
1869, Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der acinösen Drü- 
sen, wo zum ersten Male die Zwischensubstanz des Hodens zum 
Gefässsystem in nähere Beziehung gebracht wurde. Boll be- 
schreibt vom Hoden des Igels und des Kaninchens accessorische 
Zellen an den Uebergansszellen der Capillaren in Arterien und 
Venen: „Sehr merkwürdig“, sagt er p. 20, „war bei beiden Thie- 
ren die Structur der Blutcapillaren, die eine deutliche Zusammen- 
setzung aus ziemlich starken, deutlich begrenzten, polygonalen 
granulirten Zellen zeigten, so dass ich erst daran dachte, feine 
Schläuche eines ächten Epithels vor mir zu haben, bis ich durch 
die Anwesenheit von Blutkörperchen innerhalb derselben eines 
Besseren belehrt wurde.“ 

Waldeyer fasst in seiner Arbeit: Die Entwicklung der Car- 
einome (Virchow’s Archiv Bd. 55 p. 132) die Hodenzwischensubstanz 
als einen Zellenbesatz namentlich der kleinen Arterien des Ho- 
dens, als sogenannte Perithelien, auf. Mihalkowies (Beiträge 
zur Anatomie und Histologie dse Hodens, Berichte der König]. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 87 


Sächs. Ges. der Wissenschaften 18753) lässt die Lymphbahnen 
zwischen den Zwischensubstanzzellen entstehen und von diesem 
primären Lückensystem aus sich in die grösseren mit Endothel 
bekleideten Lymphgefässe fortsetzen. 

Nach diesen Autoren gehört also die Zwischensubstanz des 
Hodens zum Bindegewebe, wofür sich auch, mehr allgemein gefasst, 
Leydig, Kölliker und v. Ebner (v. Ebner: Untersuchungen 
über den Bau der Samenkanälchen u. s. w. in den: Untersuchungen 
aus dem Institut für Physiologie und Histologie in Graz 2. Heft 
p- 200. 1871) ausgesprochen hatten. Waldeyer rangirte dann, 
wie schon erwähnt, die Zwischensubstanz des Hodens unter die 
Plasmazellen ein (Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 11). 

Eine andere Reihe von Autoren rechnet die Zwischensub- 
stanz des Hodens zum Nervengewebe. Nachdem Henle in seiner 
Eingeweidelehre sehr zurückhaltend auf die Aehnlichkeit der Zel- 
len mit Ganglienzellen hingewiesen hatte, glaubte später Letze- 
rich und Harvey ganz bestimmt nervöse Apparate in der Zwi- 
schensubstanz des Hodens zu erkennen. 

Am ausführlichsten hat F. Hofmeister in den Wiener Sit- 
zungs-Berichten vom Jahre 1872, p.77 sqq. über unseren Gegenstand 
geschrieben. Hofmeister ist geneigt, die Zwischensubstanz des 
Hodens als Epithelialgebilde aufzufassen; sagt aber, dass eine 
eingehendere Deutung erst dann möglich sein wird, wenn eines- 
theils die Entwicklung des Hodens von seinen ersten Anlagen an 
bekannt, andrentheils auch das Bindegewebsgerüste desselben ge- 
nauer studirt sein wird. Die Beziehung zu den Gefässen inter- 
pretirt Hofmeister richtig dahin, dass diese in den Spalträumen 
zwischen den Samenkanälchen verlaufen und demgemäss mit der 
Zwischensubstanz streckenweise zusammentreffen müssen. _ 

Eine ähnlich umfassende Arbeit hat W. Messing in seiner 
Inaugural-Dissertation (Anatomische Untersuchungen über die Te- 
stikel der Säugethiere Dorpat 1877) geliefert. Auch Messing, 
vielleicht mehr geneigt, die Zwischensubstanz des Hodens zum 
Bindegewebe zu rechnen, erwartet eine definitive Entscheidung von 
Seiten der Entwicklungsgeschichte. 

Nun haben beide Autoren schon gewichtige Beiträge nach 
dieser Richtung geliefert. Hofmeister gibt an, dass die Zwi- 
schensubstanz bei viermonatliehen Embryonen am mächtigsten ent- 
wickelt sei, fast zwei Drittel des Hodens ausmache; während der 


88 Moritz Nussbaum: 


Entwicklungsperiode einen Stillstand erleide, um dann wieder 
von Neuem zu wuchern. Ich kann die Angaben Hofmeister’s 
durchaus bestätigen. Messing beschreibt ausführlicher die mächtig 
entwickelte Zwischensubstanz des Pferdes und berichtet über 
Embryonen dieses Thieres p. 69: „Bei dem kleineren Embryo be- 
stand, ich möchte fast sagen, der ganze Hoden aus dieser Zwi- 
schensubstanz; die noch wenig entwickelten Hodenkanälehen waren 
nur spärlich in dieselbe eingestreut.“ 

Was ferner für die Frage nach der Natur der Hodenzwi- 
schensubstanz nicht ohne Bedeutung scheint, ist die Beobachtung 
Ehrlich’s (Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XIII, p. 263), 
dass neben den Zellen der Corpora lutea auch die Zellen der 
Zwischensubstanz des Hodens nicht jene charakteristische Anilin- 
färbung erleiden, wie sie bei der Mehrzahl der Plasmazellen 
auftritt. 

Von meinen eignen Untersuchungen, welche sich über eine 
grosse Zahl von Säugethieren, Vögeln und Reptilien erstrecken, 
habe ich im Detail nur Weniges anzuführen, da ich hier nur die 
Angaben meiner Vorgänger zu bestätigen hätte. Ich verweise mit 
Bezug hierauf auf die überaus sorgfältige Arbeit Hofmeister's 
und erwähne nur Folgendes. Die Hodenzwischensubstanz ist, wie 
Leydig zuerst für Säugethiere und Reptilien, Mihalkovies für 
die Vögel nachgewiesen, constant vorhanden. Die Zwischensubstanz 
folgt dem Laufe der Blutgefässe, bildet aber keine eigentlichen 
Scheiden um dieselben, wie Boll zuerst angegeben hatte. Sie ist 
in Strängen oder Kugeln angeordnet. Die Zahl der in den ein- 
zelnen Strängen oder Kugeln gruppirten Zellen schwankt bedeu- 
tend; oft liegen viele, oft nur wenige Zellen zusammen; selten ist 
eine einzige Zelle, von Bindegewebe eingehüllt, isolirt anzutreffen. 
Mihalkovics erkannte an der Aussenfläche grösserer Stränge 
Endothelien. Wenn man nicht zu dünne Schnitte von Hoden, die 
in Müller’scher Flüssigkeit erhärtet wurden, zerzupft, kann man 
namentlich bei jüngeren Thieren eine continuirliche Haut um die 
einzelnen Gruppen von Zwischensubstanzzellen nachweisen, so dass 
man eher von Schläuchen, wie sie vom Eierstock bekannt sind, 
reden könnte. Die Ueberosmiumsäure schwärzt die in den Zellen 
der Zwischensubstanz enthaltenen Körnchen und macht die Zell- 
grenzen deutlich; doch gelingt es nur schwer, bei dieser Behand- 
lung Kerne der Umhüllungsmembran nachzuweisen. Wir finden 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 89 


ein ähnliches Verhalten bei den Hodenfollikeln von von la Va- 
lette St. George angegeben '); auch hier treten die Kerne der 
Hülle — die Follikelkerne — bei der Behandlung mit Osmiumsäure 
nicht deutlich hervor. In Fig. 80 Taf. IV ist ein Schlauch der 
Hodenzwischensubstanz aus einem in Ueberosmiumsäure gehärteteu 
Hoden eines dreimonatlichen Hundes dargestellt. Durch Herrn 
von la Valette St. George wurde ich auf ein Object aufmerk- 
sam gemacht, was Beides, die Kapselmembran und die Unabhän- 
gigkeit der Zwischensubstanz von den Blutgefässen, in exquisite- 
ster Weise demonstrirt. Es ist dies der Hoden von Seiurus vul- 
garis, dem Eichhörnchen. Die beigefügte Zeichnung verdanke 
ich ebenfalls der Güte des Herrn von la Valette St. George. 
Das Präparat stammt von einem in Alcohol gehärteten Hoden, den 
ich nachzuuntersuchen die Gelegenheit hatte. Ein anderes, in 
ÖOsmiumsäure gehärtetes Präparat, zeigte zwar die Grenzen der 
einzelnen Zellen distineter, doch nicht so evident die Kerne der 
umhüllenden Membran, wie sie hier bei h dargestellt sind. Die 
Lücken bei x sind durchsehnittene und nur in den Umrissen wie- 
dergegebene Hodenkanäle.. Auch beim Eichhörnchen ziehen na- 
turgemäss die Blutgefässe durch die Zwischensubstanz hindurch. 
Die Abgrenzung der Zwischensubstanz in grössere und kleinere 
mit eigner Membran versehene Kugeln weist jedoch sofort jede 
intimere Beziehung zu den Blutgefässen zurück, die bei langge- 
streekter Anordnung der Zwischensubstanz, wie sie sich vornehm- 
lich beim Kaninchen findet, wohl vermuthet werden könnte. Aber 
auch selbst dann kann man durch geeignete Methoden die Unab- 
hängigkeit der Zwischensubstanz von den Blutgefässen nachwei- 
sen. Man erreicht dies dadurch am einfachsten, dass man kleine 
Keile aus der in Müller’scher Flüssigkeit oder 0,1% Osmium- 
säure conservirten Hodensubstanz ausschneidet und vorsichtig die 
Hodenkanäle mit Nadeln herauszerrt. Die Blutgefässe, und das 
gilt von kleinen Arterien, Venen und Capillaren, liegen dann von 
spärlichem Bindegewebe umhüllt frei zu Tage; daneben, aber in 
durchaus eigenthümlicher Anordnung und nur auf kurze Strecken 
dem Laufe der Blutgefässe sich anschliessend, die Zwischensub- 
stanz. Dabei überzeugt man sich leicht von der Integrität sowohl 


1) Archiv für mikroskop. Anatomie, Bd. XII pag. 801 (Tafel XXXIV, 
Fig. 2 und 3). 


90 Moritz Nussbaum: 


der Blutgefässe als der Zwischensubstanz; die Arterien und Venen 
haben ihre Adventitia und die Zellstränge ihre formgebende Hülle. 

Um noch einen nebensächlichen Punkt kurz zu berühren, so 
will ich hinzufügen, dass die Pigmentirung der Zwischensubstanz, 
soviel ich aus eigener Erfahrung und durch den Vergleich der 
Angaben verschiedener Autoren weiss, in einigen Species nur in- 
dividuell bei Erwachsenen auftritt. 

Wenn wir uns nun nach ähnlichen Bildungen im Eierstock 
umsehen, so möchte ich zuvor an die Metamorphose erinnern, 
welche bekanntermassen die Granulosazellen bei der Bildung des 
Corpus luteum durchmachen. Es hat zwar nicht an Beobachtern 
gefehlt, welche der Membrana granulosa jede Betheiligung am Zu- 
standekommen eines gelben Körpers abgesprochen haben. Hier 
wäre in erster Linie His (Beobachtungen über den Bau des Säuge- 
thiereierstocks, Arch. f. mikroskopische Anatomie, Bd. I, pag. 151) 
zu nennen. Doch hat in neuester Zeit G. R. Wagener (Bemer- 
kungen über den Eierstock und den gelben Körper; Archiv für 
Anatomie u. Entwicklungsgeschichte, Jahrg. 1879 pag. 175) über- 
zeugend dargethan, dass bei der Bildung des Corpus luteum so- 
wohl die Follikelhaut als die Membrana granulosa betheiligt seien. 
Die Ansicht Bischoff’s!), Schrön’s?), Pflüger’s°) und Lusch- 
ka’st), der sich auch Waldeyer?°) angeschlossen hatte, ist somit 
von Neuem bestätigt worden. Wie von Baer zu dieser Divergenz 
der Meinungen steht, habe ich nicht in Erfahrung bringen können, 
da mir seine Werke nicht zugänglich waren, und sowohl His als 
Wagener ihn als Gewährsmann für ihre Ansicht eitiren. Nach 
Wagener (l. c. pag. 183) vergrössern sich die Granulosazellen 
und nehmen Körnchen in ihren Leib auf. Von der Follikelhaut 
her wandern Gefässe, von Riesenzellen begleitet, ein und liefern 
den zweiten, bindegewebigen, Bestandtheil des Corpus luteum. Die 


1) Bischoff: Entwicklungsgeschichte der Säugethiere und des Men- 
schen, pag. 33. 

2) Schrön: Beitrag zur Kenntniss der Anatomie und Physiologie des 
Eierstocks der Säugethiere. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 
XII, pag. 422. 

3) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen, 
pag. 9. 

4) Luschka: Die Anatomie des menschlichen Beckens, pag. 331. 

5) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 9. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 91 


eigenthümliche Umwandlung der Granulosazellen zu grossen körner- 
reichen Zellen wurde von Wagener gradatim verfolgt und ist 
auch unter andern Bedingungen bei Reptilien schon früher beob- 
achtet worden. Ich erinnere an die Untersuchungen Gegen- 
baur's!), Waldeyer’s?) und Eimer’s°®) über die Eientwicklung 
bei Reptilien. Die jüngsten fertigen Follikel, von denen sich ein 
Exemplar aus dem Eierstock einer am 29. Juli untersuchten La- 
certa agilis in Fig. 58 dargestellt findet, haben ein einschichtiges 
helles Follikelepithel. In Eiern von 0,15 mm Durchmesser findet 
eine Vermehrung der Granulosazellen statt; das Follikelepithel 
wird mehrschichtig, aber noch sind alle Zellen gleich und von 
blassem Aussehen. Bei grösseren Eiern finden sich nun, wie dies 
schon Gegenbaur angegeben, zwei Arten von Zellen in der Mem- 
brana granulosa, von denen die grösseren mit zahlreichen Körn- 
chen erfüllt sind. Zwischen den grösseren Zellen sind kleinere ge- 
lagert, die aussen nach der bindegewebigen Follikelwand zu ein 
continuirliches Lager bilden, im Inneren der Membrana granulosa 
dagegen die grossen granulirten Zellen allseitig umgeben. Die 
Körnchen in den Zellen sind namentlich frisch und nach kurzer 
Behandlung mit dünnen Lösungen von Ueberosmiumsäure (5 Minu- 
ten in 0,1%, Osmiumsäure) deutlich zu sehen. Im absoluten Alco- 
hol tritt die Granulation der grossen Zellen weniger hervor; um 
so klarer aber der Unterschied zwischen den grossen und kleinen 
Follikelepithelzellen. Nach einem in Alcohol erhärteten Schnitt 
ist Fig. 62 gezeichnet: D ist der Dotter, Z die hier noch homogen 
erscheinende Zona pellucida, F eine Lage des Follikelepithels. Es 
unterliegt hier keinem Zweifel, dass die vorher homogenen Folli- 
kelzellen sich in jene granulirten grossen Zellen umgewandelt 
haben. 

Vom Corpus luteum der Lacerta agilis gibt Leydig (Arten 
der Saurier pag. 133) an, dass es von einer fettigen Metamorphose 
des Follikelepithels herrühre. Es ist aber, wie Waldeyer (Eier- 


1) Gegenbaur: Ueber den Bau und die Entwicklung der Wirbelthier- 
eier. Archiv für Anatomie und Physiologie, 1861, pag. 523. 

2) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 71. 

3) Eimer: Untersuchungen über die Eier der Reptilien, Archiv für 
mikroskopische Anatomie, Bd. VIII. Man vergleiche namentlich Fig. 20 der 
Tafel XI. 


92 Moritz Nussbaum: 


stock und Ei, pag. 71) mitgetheilt hat, bei älteren der Reife nahen 
Follikeln zwischen Dotterhaut und bindegewebiger Follikelwand 
nur eine einschichtige Lage kleiner abgeplatteter Zellen übrig ge- 
blieben, indem die übrigen höchstwahrscheinlich als Bildungs- 
material für den Eidotter aufgebraucht wurden. Die Metamorphose 
der restirenden Zellen des Follikelepithels zu den körnigen gros- 
sen Zellen des Corpus luteum, auf dessen Innenfläche, wie ich 
wenigstens für die erste Zeit seines Bestehens bestimmt versichern 
kann, keine bindegewebigen Bestandtheile sich finden, geht also 
in analoger Weise wieder vor sich, wie sie früher während der 
Reifung des Eies sich schon vollzogen hatte. Nachdem das Ei den 
Follikel verlassen, vergrössern sich die im Innern des Follikels 
zurückgebliebenen Granulosazellen und bilden die Zellen des Cor- 
pus luteum. Die grossen granulirten Zellen der das Echsenei um- 
hüllenden Membrana granulosa und die Zellen des jungen Corpus 
luteum haben die grösste Aehnlichkeit mit den Zwischensubstanz- 
zellen des Echsenhodens. 

Ist nun für die Zellen der Membrana granulosa nachgewie- 
sen, dass sie in die den Zellen der Hodenzwischensubstanz sehr 
ähnlichen Zellen des Corpus luteum übergehen, so wird man wohl 
daran denken dürfen, dass unter Umständen eine bei normalen 
Bedingungen zu einem Ei oder einer Spermatogonie heranwach- 
sende Zelle in eine den Zellen der Corpora lutea oder der Hoden- 
zwischensubstanz ähnliche Form sich umgebildet habe. Es stam- 
men nämlich Ei und Follikelzelle aus derselben Quelle; mag man 
nun an den für Vögel und Säugethiere von Waldeyer angegebe- 
nen Modus der Eibildung denken, oder an den zweiten, wie ich 
ihn für die Amphibien vorhin geschildert habe. 

Dazu kommt Folgendes: Die Hodenzwischensubstanz und die 
homologen Bildungen im Eierstock finden sich nachweislich nur 
bei den Thierclassen, wo die wirklich reifenden weiblichen Keime 
zu den angelegten in einem grellen Missverhältnisse stehen. Es ist 
nämlich die Anlage dieser Keime bei einem Säugethier, einem 
Vogel oder einem Reptil, sowohl im Embryo als bei jeder Brunst- 
periode mindestens ebenso gross, als bei einem Amphibium oder 
einem Fische, und doch ist die Fruchtbarkeit der Letzteren eine 
ganz enorme im Vergleich mit den höheren Thieren. Es muss so- 
mit, wie dies auch allgemein anerkannt wird, bei den höchst or- 
ganisirten Thieren die grösste Zahl der Keime zu Grunde gehen. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 93 


Indem wir nun noch hypothetisch annehmen, dass der functionelle 
Theil auch des Hodens der Säuger und Vögel (für Reptilien ist es 
ja bereits von Braun nachgewiesen worden) wie die Pflüger’schen 
Eischläuche dieser Thierelassen vom Keimepithel abstamme, aber 
einer nur einmaligen Abschnürung von der Oberfläche her seinen 
Ursprung verdanke, während beim Eierstock periodische Neubil- 
dung von der Oberfläche stattfindet, behaupten wir, die Hoden- 
zwischensubstanz und die homologe Substanz im Eierstock besteht 
aus Pflüger’schen Schläuchen, die auf einem niedrigen Entwick- 
lungsgrade stehen geblieben sind, und sich entweder zu functionel- 
len Hodenschläuchen oder zu Eiern hätten ausbilden können. Was 
an Beweisen dafür vorgebracht werden kann, ist Folgendes. 

Wie Pflüger angegeben, und wie sich leicht bestätigen lässt, 
findet während des ganzen zeugungsfähigen Alters der Säuger 
periodisch eine Neubildung von Eischläuchen von der Oberfläche 
des Ovariums her statt. Und jedesmal zeigen sich alsdann in der 
Zone, wo sich aus den neugebildeten Schläuchen schon kleine 
. Follikel abgeschnürt haben, schlauchförmige Bildungen ganz mit 
jenen grossen granulirten Zellen angefüllt, wie wir sie von der 
Zwischensubstanz des Hodens beschrieben haben. Dass nun jene 
Schläuche abortive Eischläuche sind, glaube ich aus folgendem Befunde 
mit grosser Gewissheit darthun zu können. Von den Eierstöcken 
zweier drei Monate alten Hündinnen wies der eine unter der Zone 
der Eischläuche dicht gedrängt stehende, isolirte Eifollikel auf. 
Die abortiven Eischläuche waren nicht sehr zahlreich eingesprengt. 
In dem anderen Eierstock fanden sich unterhalb der Eischläuche 
nur sehr selten fertige Follikel; dagegen starrte die Zone, welche 
im anderen Eierstock durch die fertig gebildeten kleinen Eier 
eingenommen wurde, von jenen abortiven Bildungen. Ueber Form 
und Lage dieser Substanz orientirt man sich am besten an Eier- 
stöcken, die in Ueberosmiumsäure gehärtet wurden. Die jungen 
Eier und die unfertigen Schläuche sind alsdann schwach braun 
gefärbt und homogen; die Zellen der abortiven Schläuche dagegen 
strotzend von tief schwarz gefärbten eingelagerten Körnchen. Der 
Zellenkern ist stark glänzend, hat ein grosses Kernkörperchen: 
alles Eigenschaften, wie sie den Zellen der Zwischensubstanz und 
den umgewandelten Granulosazellen zukommen. Zum Vergleich 
mit der Hodenzwischensubstanz diene Figur 81, aus einem Schnitt 
des in Osmiumsäure gehärteten Ovariums eines dreimonatlichen 


94 Moritz Nussbaum: 


Hundes. Die abgebildeten Schläuche liegen in der Zone der fer- 
tigen Follikel und unterscheiden sich von den höher gelegenen 
jüngeren schlauchförmigen Bildungen in der angegebenen Weise. 
Sie kommen bei neugebornen Hündinnen noch nicht vor. Bei der 
grossen Gesetzmässigkeit, in der wir seit Pflüger die von der 
Oberfläche gegen das Centrum zu fortschreitende Entwicklung 
der Eier kennen gelernt haben, sind wir berechtigt, die bespro- 
chenen Sehäuche für abortiv zu erklären; da sie sich in der Zone 
fertiger Follikel finden und diese Zone bei weiter gehender Ent- 
wicklung ausserdem nicht reicher sondern ärmer an reifenden 
Eiern wird. Es gehen auch von den fertig gebildeten Follikeln 
noch eine grosse Zahl zu Grunde Wagener hat in seiner 
Arbeit: Bemerkungen über den Eierstock und den gelben Körper 
l. ec. Tafel VIII, eine Reihe interessanter Rückbildungen von Eiern 
abgebildet. Am meisten beachtenswerth ist Fig. 19A, indem sich 
hier die äusseren Granulosazellen schon ganz den Luteinzellen und 
den Zellen in den abortiven Eischläuchen analog umgewandelt 
haben. Auch die von His zuerst genauer studirten Kornzellen 
der Follikelmembran möchte ich hierher rechnen. Der von His 
gegebenen Beschreibung habe ich kaum etwas hinzuzufügen. Die 
Zellen stimmen in Form und Verhalten gegen Reagentien durch- 
aus mit der Hodenzwischensubstanz und dem Inhalt der abortiven 
Eischläuche überein. Es ist von His schon hervorgehoben worden, 
dass die Kornzellen in der Wand des reifenden Follikels immer 
zahlreicher werden. Wenn man bedenkt, dass der reifende Follikel 
durch seine zunehmende Grösse immer mit neuen abortiven Ei- 
schläuchen in Berührung kommen wird, so hat dies Faetum nichts 
Auffallendes. Recht instructiv sind die von His gegebenen Figuren 
4 und 5 der 10. Tafel zum 1. Bd. des Archivs für mikroskopische 
Anatomie. 

Geeignete Objecte haben uns nun ferner gezeigt, dass die 
schlauch- oder kugelförmigen Bildungen der Zwischensubstanz im 
Hoden und Eierstock von den Plasmazellen absolut verschieden 
sind, da beide Formen nebeneinander vorkommen können. 

Die frappante Eigenthümlichkeit der Plasmazellen, in ihren 
Leib bei gewisser von Ehrlich vorgeschriebener Behandlung den 
Dahliafarbstoff aufzunehmen, (Archiv für mikroskopische Anatomie, 
Bd. XIII) während die Kerne dieser Zellen und das übrige Ge- 
webe ungefärbt bleiben, bestimmte mich, diese Reaction von Neuem 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 95 


an einer grossen Zahl von Objecten zu prüfen. Ich kann nun, 
wie Ehrlich bereits angegeben, durchaus bestätigen, dass die Zel- 
len der Hodenzwischensubstanz und die Luteinzellen die Reaction 
nicht zeigen. Es bleiben auch die abortiven Schläuche und die 
Kornzellen des Eierstocks ungefärbt. Daneben finden sich aber 
im Hoden und im Eierstock von Hunden — ich habe dreimonat- 
liche und achtmonatliche Thiere untersucht — ächte Plasmazellen 
von derselben Anordnung und demselben Verhalten gegen Dahlia 
wie sie Ehrlich aus anderen Organen beschrieben, und wo sie 
mit Leichtigkeit nachgewiesen werden können. Die Plasmazellen 
sind spärlich, und liegen von einander durch grosse Zwischenräume 
getrennt in Curvenzügen, die sich wohl dem Laufe der Blutgefässe 
anschliessen mögen; sie sind meist spindelförmig im Hoden und 
Eierstock und heben sich durch ihren tiefblau gefärbten Zellenleib, 
in dem der ungefärbte Kern eine wie mit dem Locheisen ausge- 
stemmte Lücke bei schwächerer Vergrösserung vortäuscht, von 
dem ganzen übrigen, ungefärbten Gewebe scharf und bestimmt ab. 
Ich glaube keine Zeichnung beigeben zu müssen, um dies Verhalten 
zu illustriren. Die Präparate sind ohne Mühe herzustellen, und man 
wird sich leicht von dem Gesagten überzeugen können. Ein gutes 
Präparat wird sofort die Heterogenität der ächten Plasmazellen und 
der Hoden- und Eierstockzwischensubstanz demonstriren. Am auf- 
fälligsten wird der Unterschied, wenn man ein Stück der zu unter- 
suchenden männlichen oder weiblichen Keimdrüse in Osmiumsäure 
härtet; ein anderes nach Erhärtung in Alcohol mit Dahlia färbt. 
Auf feinen Schnitten des Osmiumsäurepräparats kann man sich so- 
fort über Lage und Form der Zwischensubstanz orientiren; die 
Plasmazellen treten nicht hervor. Feine Schnitte des in Alcohol 
gehärteten und in Dahlia gefärbten Präparates zeigen auffällig und 
klar die Vertheilung und Gestaltung der Plasmazellen. Man sieht 
auf den ersten Blick, dass beide Bildungen Nichts mit einander 
gemein haben. 

In Eierstöcken erwachsener Schweine habe ich Plasmazellen 
vermisst; abortive Eischläuche und His’sche Kornzellen lassen sich 
an Osmiumsäurepräparaten leicht nachweisen; ich muss deshalb 
die Geschlechtsdrüsen junger Hunde zur Nachuntersuchung em- 
pfehlen. 

Bei der grossen Uebereinstimmung der von Hoden und Eier- 
stock bis jetzt behandelten Gebilde — der Hodenzwischensubstanz 


96 Moritz Nussbaum: 


einerseits und der abortiven Eischläuche andrerseits — wird es 
wohl erlaubt sein, beide für identisch und wie dies näher ausge- 
führt wurde, von den Plasmazellen verschieden zu erklären. Die 
abortiven Eischläuche stammen vom Keimepithel; wir vermuthen, 
dass die Hodenzwischensubstanz bei Vögeln und Säugethieren aus 
derselben Quelle sich ableite. Bestimmter kann dies schon nach 
Braun’s Beobachtungen für die Hodenzwischensubstanz der Rep- 
tilien geschehen. Es findet sich bei Braun die Angabe, dass 
man in frühen Stadien eine Menge Ureier im Stroma des Hodens 
finde. Von diesen Ureiern, die wie beim Ovarium vom Keimepi- 
thel abgeleitet werden, wird weiter ausgesagt, dass sie in die Ho- 
denkanälchen, die Abkömmlinge des Wolff’schen Körpers, ein- 
wandern oder vielleicht zum Theil zu Grunde gehen. Der auf 
p. 159 der oben eitirten Arbeit Braun’s gegebenen Formulirung:: 
„Ueber die Herkunft der eigenthümlichen gelben Zellen zwischen 
den Hodenkanälchen der Eidechsen, auf welche Wagner, Ley- 
dig u. A. aufmerksam gemacht haben, und die sich leicht in jedem 
Zerzupfungspräparat nachweisen lassen, konnte ich mir keine be- 
stimmte Ansicht bilden“ möchte ich jedoch nicht zustimmen, son- 
dern mir vielmehr folgenden Schluss erlauben: 

Da nachgewiesenermassen diese Zwischensubstanz in ihrem 
ganzen Verhalten genau mit unzweifelhaften Abkömmlingen des 
weiblichen Keimlagers übereinkommt, so wird man ungezwungen 
die Zwischensubstanz des Echsenhodens als modifieirte Ureier an- 
sehen dürfen. 

Wir halten nach dem Gesagten die Hodenzwischensubstanz 
und die abortiven Eischläuche für gleichartige Gebilde. Man wird 
die Homologie derselben mit Bestimmtheit behaupten können, wenn 
mit grösserer Gewissheit als bisher die Ableitung des functionellen 
Theiles des Hodens vom Keimepithel auch für Vögel und Säuge- 
thiere wird nachgewiesen sein. 

Bei den höheren Thieren verkümmert demgemäss eine grosse 
Zahl von Keimen und bildet im Hoden und Eierstock eine Sub- 
stanz, die in Schläuchen oder Nestern zwischen den zur Reife ge- 
langenden Theilen persistirt und bestimmte Veränderungen erleidet: 
indem sie im Eierstock mit der Reifung der Follikel vernichtet 
durch die periodische Neubildung von Eischläuchen wieder ersetzt 
wird, im Hoden dagegen persistirend das bisher unter dem Namen 
der Leydig’schen Zwischensubstanz bekannte Gewebe bildet. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 97 


VI. 


Allgemeine und resümirende Betrachtungen. 


Die Vermehrung aller lebenden Formen und die Erhaltung 
ihres Bestandes geschieht nur nach einem Prineip, dem der Thei- 
lung. Wir kennen keine andere Art der Entstehung: denn für 
eine sich heute noch vollziehende Generatio aequivoca ist trotz 
der angestrengtesten Bemühungen kein einziger, stichhaltiger Be- 
weis beizubringen gewesen. 

Gehen wir auf die niedersten, einzelligen Organismen zurück, 
wo uns die fundamentalen Erscheinungen des Lebens von allen 
complieirenden Beigaben höherer Wesen nackt und frei entgegen- 
treten, so gewahren wir bald eine doppelte Art der elterlichen Zeu- 
gung. Das eine Mal genügt, wie bei der Vermehrung der Zellen 
in den Leibern vielzelliger Organismen, die einfache Theilung 
zur Erzielung einer Brut. Man ist darüber einig '), dass dieser 
Modus alle Arten der ungeschlechtlichen Fortpflanzung umgreift. 
Das andere Mal aber wird der Act der Theilung erst durch eine 
Conjugation eingeleitet, und dieses sind die mannigfachen Arten 
der geschlechtlichen Fortpflanzung. — Beide Fortpflanzungsformen 
kommen gemischt oder abwechselnd im Thier- und Pflanzenreich 
vor. — In ihrer primitivsten Gestalt vollzieht sich die Conjugation 
in der Weise, dass die ganzen Leiber der einzelligen elterlichen 
Individuen sich vermischen und entweder vereint oder nach der 
Conjugation wiederum getrennt zur Theilung sich anschicken. Bei 
diesen Wesen gibt es weder Geschlechtsorgane, noch sonstige ge- 
schlechtliche Unterschiede: sie sind homologe Zellen, Individuen 
und Generationsorgane zugleich. Das Individuum geht ganz auf 


1) O. Bütschli: Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der 
Eizelle, die Zelltheilung und die Conjugation der Infusorien. Frankfurt a. M. 
1876, pag. 207: „Ich muss daher auch jetzt eine Fortpflanzung der Infuso- 
rien auf anderem Wege als durch einfache Theilung oder Knospenbildung 
(die nur als eine Modification der Theilung aufzufassen ist), für nicht erwie- 
sen halten.“ 

C. Gegenbaur: Grundriss der vergleichenden Anatomie; zweite ver- 
besserte Auflage, 1878, pag. 17: „diese Vermehrung durch Sprossenbildung 
geht ohne scharfe Grenze in die am meisten verbreitete Art der Vermehrung, 
nämlich jene durch Theilung über“. 

Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 7 


98 Moritz Nussbaum: 


in die Erhaltung der Art: was bei einer Amoebe noch vor Kurzem 
dem Leibe zur Fortbewegung diente, kann bald darauf in ein Theil- 
produkt aufgenommen und vom Mutterthiere losgelöst, als Junges 
eine eigene Existenz führen. 

Bei den mehrzelligen Organismen tritt die Individualität cha- 
rakteristischer und selbstständiger hervor; für die Erhaltung der 
Art sind bestimmte Drüsen: die Geschlechtsdrüsen, angelegt und 
es unterliegt heute keinem Zweifel mehr, dass das Wesentliche der 
geschlechtlichen Fortpflanzung vielzelliger Organismen in der Ver- 
einigung der Producte der männlichen und weiblichen Geschlechts- 
drüse besteht, dass alle voraufgehenden oder begleitenden Vor- 
gänge nur den Werth besitzen, das Zusammentreffen von Samen- 
körper und Ei mehr und mehr zu sichern. 

Durch die neuesten Untersuchungen über das Wesen der Be- 
fruchtung von Strassburger, van Bambeke, Bütschli, Fol, 
OÖ. Hertwig, Calberla ') wurde der Beweis geführt, für die Auf- 
fassung der organischen Welt von der höchsten Bedeutung, dass 
die Vereinigung von Samen und Ei, also die Einleitung der ge- 
schlechtlichen Fortpflanzung bei vielzelligen Organismen, in der- 
selben Weise sich vollziehe wie die Conjugation einzelliger Wesen. 
Wird man in beiden dasselbe Prineip widererkennen ? 

Die Conjugation einzelliger Organismen vollzieht sich zwi- 
schen zwei homologen Zellen, denen alle das Leben charakterisi- 
rende Eigenschaften zukommen. Wir werden demgemäss für die 
Conjugation von Samen und Ei ‘die Fragen zu beantworten ha- 
ben: 1) sind die Geschlechtsstoffe Zellen; 2) sind diese Zellen ho- 
molog; 3) kommen dem’Ei und dem Samenkörper, jedem für sich, 
alle das Leben charakterisirende Eigenschaften zu, das heisst, sind 
die Geschlechtsproducte durch Theilung bestimmter Zellen ent- 
standen, die zu einer sehr frühen Zeit — vor jeder histologischen 
Differenzirung — in der embryonalen Anlage als etwas Besonderes 
kenntlich waren ? 

Die erste unserer drei Fragen hat eigentlich nur histori- 


1) In Betreff der Literatur verweise ich auf die sorgfältigen Angaben 
O0. Hertwig’s in seinen: Beiträgen zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung 
und Theilung des thierischen Eies; Morphologisches Jahrbuch, Bd. I, p. 347; 
Bd. HI, pag. 271. Die Arbeit Calberla’s über den Befruchtungsvorgang 
beim Eie von Petromyzon Planeri findet sich: Zeitschrift für wissenschaft- 
liche Zoologie, Bd. XXX, pag. 437. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 99 


sches Interesse, da für das Ei schon Schwann !) dieselbe in be- 
jahendem Sinne erledigt hat und spätere Einwände von Gegen- 
baur?), Pflüger’), von la Valette St. George*) und vielen 
Anderen gebührend zurückgewiesen worden sind. Auch die Auf- 
fassung des thierischen Eies von Seiten Goette’s °) hat wohl bei 
keinem Biologen Anklang gefunden; doch hat man die Annahme 
Goette’s bisher blos aus Gründen, welche die Analogie an die 
Hand gab, zurückgewiesen. Wir konnten zeigen, dass die von 
Goette dargestellten Phasen der Entwicklung in der That vorkom- 
men; wir glauben aber auch nachgewiesen zu haben, dass Goette 
für die Construction der Oogenese bei den Batrachiern nicht alle 
Stadien der Entwicklung vorgelegen, und dass demgemäss die be- 
obachteten leicht falsch gedeutet werden konnten. DasEi der Ba- 
trachier entsteht nicht durch Verschmelzung mehrerer Zellen ; das 
dieser Auffassung zu Grunde liegende Bild — die maulbeerför- 
mige Kerntheilung einer Primordialzelle — ist die Vorbereitung 
zur Bildung von Ei und Follikelepithel: eine ächte multiple Zell- 
theilung. Goette hat die Eigenthümlichheit des Batrachiereies, 
viele Keimflecke im Keimbläschen zu tragen, auf die Vereinigung 
mehrerer Kerne zum Keimblächen zurückgeführt; wir konnten so- 
wohl für Batrachier, als Teleostier und Reptilien den Nachweis 
liefern, dass die vielen Keimflecke durch Abspaltung von einem 
früher vorhandenen solitären gebildet werden, indem stets bei den 
kleinsten ächten Eiern nur ein Keimfleck, bei grösseren deren 
viele vorhanden sind (ef. p. 76,79 und 82). Das Ei ist also seiner 
Entstehung nach eine Zelle, die allerdings im weiteren Wachsthum 
durch Einlagerung von Nährmaterial und bei den höheren Thie- 
ren durch die Auflagerung. einer von Aussen hinzugekommenen 
Membran, der Zona pellueida oder radiata, modifieirt wird. 

In derLehre von der Entwicklung der männlichen Zeugungspro- 


1) Schwann: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstim- 
mung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. 1839. 

2) C. Gegenbaur: Ueber den Bau und die Entwicklung der Wirbel- 
thiereier mit partieller Dottertheilung; Müller’s Archiv 1861. 

3) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Men- 
schen, 1863. 

4) von la Valette St. George: Ueber den Keimfleck und die Deu- 
tung der Eitheile, d. Archiv, Bd. I. 

5) A. Goette: Die Entwicklungsgeschichte der Unke, 1875. 


100 Moritz Nussbaum: 


ducte wird es stets als ein grosses Verdienst Kölliker’s!) zu ver- 
zeichnen sein, den Nachweis geliefert zu haben, dass die Samen- 
körper aus Zellen des zugehörigen Organismus entstehen; dass die 
Samenkörper in ihren mannigfachen Formen stets eine modifieirte 
aber ganze Zelle repräsentiren, ist durch von la Valette St. 
George?) und Schweigger-Seidel?°) nachgewiesen worden; das 
gefundene Gesetz wird durch neue sorgfältige Beobachtungen an 
bis dahin ununtersucht gebliebenen Objecten immer mehr und mehr 
bestätigt. 

Nicht so einfach für uns wird die Beantwortung der zweiten 
Frage zu geben sein; doch wollen wir versuchen, die für ihre Be- 
jahung oder Verneinung geltend zu machenden Gründe gegenein- 
ander abzuwägen. 

Ehe wir jedoch auf die Dignität der Geschlechtsstoffe selbst 
eingehen, sei es erlaubt, diejenigen Formveränderungen ins Auge 
zu fassen, die im Gefolge der ausschliesslichen Ausbildung eines 
Geschlechtes als äussere Geschlechtsverschiedenheiten auftreten; 
es sind dies: die ganze äussere Form und die neben den Geschlechts- 
drüsen in den Dienst der Fortpflanzung gestellten Organe. 

Was die äussere Form anlangt, so nehmen ihre geschlecht- 
lichen Verschiedenheiten von den höchsten zu den niedersten Or- 
ganismen, oder bei höheren embryologisch rückwärts verfolgt, immer 
mehr und mehr ab, bis schliesslich kein Unterschied mehr nach- 
gewiesen werden kann. Dabei erkennen wir, dass das Geschlecht 
nicht das einzig Formgebende innerhalb der Species ist; da sonst 
beim Uebergang vom hermaphroditischen zum eingeschlechtlichen 
Zustande neben ausgesprochen männlichen oder weiblichen Indivi- 
duen nur noch solche vorkommen könnten, die auf niederen Ent- 
wicklungsstufen des einen oder des anderen Geschlechts stehen ge- 
blieben sind. Es gibt aber Formen, beispielsweise sei an die Ar- 
beiter der Ameisen erinnert, die zum Zweek ganz anderer Aufgaben 
als der Fortpflanzung in bestimmter, charakteristischer Weise ab- 


1) A. Kölliker: Beiträge zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse 
und der Samenflüssigkeit wirbelloser Thiere, 1841. 

2) von la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper, 
d. Arch., Bd. 1. 

3) Schweigger-Seidel: Ueber die Samenkörperchen und ihre Ent- 
wicklung, ebenda; beide Arbeiten erschienen gleichzeitig. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 101 


geändert und von Männchen und Weibchen ihrer Art gleich weit 
verschieden sind: in der Form des Bruststückes, in dem Mangel der 
Flügel und zuweilen der Augen, sowie in den Instineten!). Man 
wird wohl nicht einwenden, dass diese Arbeiter eben deshalb, weil 
ihre Geschlechtsorgane verkümmert sind, jene eigenthümliche Or- 
ganisation erhalten haben. 

Die mäunliche und weibliche Form sind nur als Variationen 
derselben Urform aufzufassen; Variationen, die einem bestimmten 
Bedürfnisse, den speeifischen Leistungen beim Fortpflanzungsge- 
schäft, am besten entsprechen. Dass diese Variation durchgreifen- 
der ist, als diejenigen, welehe einen Organismus für eine andere 
Leistung geschiekter machen, hängt ab von der Fülle der gestellten 
Anforderungen; dass im concreten Falle sie nicht grösser zu sein 
braucht, als bei einer Form, die nach anderer Richtung variirte, 
und demzufolge alles Andere besser verrichtet als irgend eine Auf- 
sabe beim Fortpflanzungsgeschäft, geht aus dem oben angeführten 
Beispiel von den Arbeitern der Ameisen hervor. 

Auch die äusseren Geschlechtsorgane bilden sich durch Va- 
riation aus einer ursprünglich gleichen Anlage: männliche und 
weibliche Copulations- und Leitungsapparate sind homologe Theile !). 
Die Copulationsorgane sind nur einfach angelegt; die Leitungsap- 
parate aber bei den meisten Thieren doppelt, also hermaphrodi- 
tisch, so dass der ausgebildete männliche Leitungsapparat dem fer- 
tigen weiblichen analog, der verkümmerte männliche Ausführungs- 
gang dem ausgebildeten weiblichen homolog ist. Immer aber stammen 
die Ausführungsgänge (Wolff-Müller’sche Gänge) von dem Epithel 
der Bauchhöhle ab, der bei niederen Thieren die Function der Ab- 
leitung der Geschlechtsproduete zugefallen war. Die Bedeutung 
der Duplieität der Ausführungsgänge ist nicht leicht zu verkennen, 
indem dadurch bei den Hermaphroditen eine Selbstbefruchtung er- 
schwert und eine gegenseitige Copulation angestrebt wird. 


1) Darwin: Ueber die Entstehung der Arten ; übersetzt von J. V. Carus, 
1872, pag. 309. 

1) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 152: „Hier giebt es in der 
That einen indifferenten, gewissermassen neutralen Urzustand, der sich dann 
entweder nach der männlichen oder weiblichen Seite hin weiter ausprägt“. 
Man vergleiche hierzu auch die älteren Arbeiten von Rathke und J. Müller, 
eitirt bei Waldeyer. Ebenso Leuckart: Zeugung, Handwörterbuch der 
Physiologie von R. Wagner, IV. Bd., pag. 763. 


102 Moritz Nussbaum: 


Wir haben nunmehr die Dignität der Geschlechtsdrüsen selbst 
zu prüfen, deren Verschiedenheit zu allererst das Geschlecht cha- 
rakterisirt und alle weiteren körperlichen und geistigen Unterschiede 
inducirt. 

Nach der bei Weitem grössten Mehrzahl bis jetzt vorhandener 
entwicklungsgeschichtlicher !') Studien ist man nur berechtigt, eine 
allerdings bis in die kleinsten Details durchgeführte Analogie 
in den Geschlechtsdrüsen anzunehmen. Dass diese Kenntniss nicht 
mit einem Schlage gewonnen wurde, beweist eine sorgfältige Muste- 
rung der uns jetzt unbegreiflich erscheinenden Vergleiche ?), die 
vor Reichert und von la Valette St. George auf diesem Ge- 
biete durchgeführt wurden. 

Die erste Entdeckung eines analogen Entwicklungsganges 
männlicher und weiblicher Geschlechtsproducte und die Charakte- 
risirung des Zeitmomentes, wo die Eigenthümlichkeiten des Ge- 
schlechts an den bis dahin indifferenten Geschlechtsstoffen auftreten, 
verdanken wir Reichert?). Von ihm wird zuerst eine Samen- 
mutterzelle mit einer Eizelle verglichen, und obgleich die Vorstellung 
über die Vermehrung der Zellen eine antiquirte ist, so bleibt doch 
der aufgestellten Analogie stets eine hohe Bedeutung. 

Die Reichert’schen Beobachtungen sind an Nematoden ge- 
macht; bei höheren Thieren sind die feineren histologischen Ver- 
hältnisse complieirter, und während man schon längst daran ge- 
wöhnt war, das Ovarium als das Analogon des Hodens zu nennen, 


1) Entwicklungsgeschichtliche Studien brauchen sich nicht auf die em- 
bryonale Periode allein zu beschränken. Alle Beobachtungen des continuir- 
lichen Ueberganges von einem gegebenen Zustande zu einem späteren, in der 
äusseren Form und der histologischen Zusammensetzung veränderten, soweit 
dies überhaupt in die Grenzen des Normalen fällt, gehören unter diesen 
Begriff. 

2) Von vielen nur eine Probe: A. Lereboullet (Anatomie des orga- 
nes genitaux des animaux vertebres; Nova Acta Acad. Caes. Leop. T. XXI, 
P. 1, 1851) stellt eine Analogie zwischen männlicher und weiblicher Geschlechts- 
drüse auf, die er dadurch begründet, dass die Ampullen oder Schläuche der 
Hoden mit den Graaf’schen Follikeln der Eierstöcke verglichen werden. 
Wie die Membrana granulosa der Follikel die Eier producire, so liefere der 
epitheliale Belag der Hodenschläuche oder Hodenampullen die Spermatozoen. 

3) C. B. Reichert: Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Samen- 
körperchen bei den Nematoden. Müller’s Archiv 1847, pag. 126. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 103 


so gelang es doch erst von la Valette St. George!) dieselben 
Analogien für die Geschlechtsproducte höherer Thiere aufzufinden, 
die von Reichert bei den Würmern entdeckt worden waren. Der 
Cardinalpunkt der Arbeiten von la Valette St. George’s mit 
Bezug auf diese Frage, ist die Erkenntniss, dass die vergleichbaren 
Theile bei niedern Thieren — Spermatogonie und Eizelle — bei 
den höheren Thieren noch besondere Hüllen besitzen und mit diesen 
einander analog sind. Trotz dieser grossen Uebereiustimmung in 
den fertigen Geschlechtsprodueten und in der Art der Vereinigung 
von Samen und Ei mit der Conjugation einzelliger Organismen, 
bei der nachgewiesenen Homologie aller das Geschlecht charakte- 
risirenden Einrichtungen, wird man in den Angaben der Autoren 
über die erste Entstehung der Geschlechtsdrüsen jeden Anhalt für 
eine Homologisirung der Geschlechtsstoffe vermissen. Aus den 
Beobachtungen Waldeyer’s und Semper’s ist vielmehr mit grosser 
Wahrscheinlichkeit zu folgern, dass der rudimentäre Hermaphrodi- 
tismus höherer Thiere schon früh in der embryonalen Anlage vorge- 
bildet sei. Auch diejenigen Autoren, denen wir die Aufklärung 
über den Vorgang der Befruchtung verdanken, halten Samen und 
Ei für ungleichwerthige Individuen (cefr. Bütschli, Studien über 
die ersten Entwicklungsvorgänge ete. pag. 214). Wir können dem- 
gemäss die Homologie der männlichen und weiblichen Zeugungs- 
stoffe nur mit Rücksicht auf unsere eignen Beobachtungen aus- 
sprechen; dabei setzen wir voraus, dass diese Beobachtungen sich 
auch bei den übrigen Thierklassen mutatis mutandis werden bestä- 
tigen lassen. Wir konnten uns nicht davon überzeugen, dass die 
Eier aus dem Keimepithel und die Samenzellen vom Wolff’schen 
Gange sich herleiten; sondern mit Semper und Braun führten 
wir die functionellen Theile des Hodens und Eierstocks auf die- 
selbe Quelle, das Keimepithel, zurück. Wir wurden aber durch 
die Eigenthümlichkeiten unseres Untersuchungsmaterials dahin ge- 
führt, im Keimepithel noch besondere Zellen „die Geschlechtszellen® 
zu erkennen, von denen ausschliesslich durch fortgesetzte Theilung 
die Geschlechtsstoffe abstammen. 


1) von la Valette St. George: Die Spermatogenese bei den Amphi- 
bien; d. Archiv, Bd. XII, pag. 821: „Als Ausgangspunkte des Vergleiches 
würden Ei und Samenfollikel nebeneinander zu stellen sein mit ihrem Inhalte“. 
Vergl. auch die Anmerkung dazu. ö 


104 Moritz Nussbaum: 


Es wäre demgemäss der nach Waldeyer schon sehr früh 
ausgesprochene Gegensatz des Geschlechts nicht vorhanden; son- 
dern in beiden Geschlechtern würden aus dem „Keimepithel* die 
functionellen Theile der Geschlechtsdrüse sich entwickeln; aus den 
Wolff’schen Gängen und der Urniere die Ausführungsgänge der 
männlichen Geschlechtsdrüse hervorgehen, deren Homologon beim 
Eierstock bald nach der Anlage verkümmert und von Kölliker 
wohl mit Unrecht für die Matrix der Granulosazellen der Eier ge- 
halten worden ist. Das Keimepithel anlangend, so vermuthen wir, 
dass bei höheren Wirbelthieren den „Geschlechtszellen“ der Ba- 
trachier gleichwerthige Zellen mit Peritonealepithelien gemischt 
vorkommen, sich aber erst secundär als „Geschlechtszellen“ zu er- 
kennen geben. 

Während wir uns in diesem Punkte mehr der Semper’schen 
Auffassung und Darstellung nähern, so kommen wir doch nicht 
mit ihm über den Zeitpunkt und die Art der Geschlechtsdifferen- 
zirung nach Ausbildung der Ureiernester überein. Den ausge- 
sprochenen Hermaphroditismus und damit einen Gegensatz des 
Geschlechts, statuirt Semper freilich erst in späterer Entwick- 
lungsperiode als Waldeyer, aber seine prineipielle Auffassung 
des Vorganges ist trotzdem, wie uns wenigstens scheint, dieselbe 
zu der Waldeyer sich bekennt. Was für Waldeyer das Keim’ 
epithel (ef. Virchow und Hirsch Jahresbericht pro 1874, Bd. L, 
pag. 172), das sind für Semper die Ureiernester, wovon unser 
Autor pag. 392 seines Werkes über das Urogenitalsystem der Pla- 
giostomen sagt: „Dort wird die centrale Zelle zum Ei und es 
dienen ihr wohl die umgebenden Follikelzellen als Nährzellen 
(Ludwig); hier wird umgekehrt die centrale Zelle resorbirt, grade- 
zu aufgezehrt und die Ausbildung der Spermatozoen ist ausschliess- 
lich an die Umbildung der Follikelepithelzellen gebunden.* Diesen 
Bildungsmodus hat von la Valette St. George!) im Hoden 
erwachsener Plagiostomen nicht auffinden können, obwohl nach 
Semper kein Unterschied bei Embryonen und geschlechtsreifen 
Männchen in der Bildung der Ampullen bestehen soll. Unsere 
Untersuchungen haben uns gezeigt, dass aus den Ureiernestern, 
den Pflüger’schen Schläuchen, sowohl Eier als Spermatogonien 


1) von la Valette St. George: De spermatosomatum evolutione in 
Plagiostomis; Bonn 1878. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 105 


entstehen können, und dass der Unterschied der Geschlechtsstoffe 
weder auf einer räumlichen Trennung zweier zuerst vereinigten hete- 
rogenen Anlagen (Waldeyer), noch auf der Abspaltung von einer 
gemeinschaftlichen Uranlage und darauf folgender verschiedenarti- 
gen Entwicklung (Semper), sondern einfach in den verschiedenen 
Wachsthums- und Umbildungsvorgängen derselben embryonalen 
Zellen beruhe. Zellen eines Pflüger’schen Schlauches werden 
zum Ei, indem sie bei Batrachieren aus sich eine Granulosa pro- 
dueiren und alsdann ungetheilt weiter wachsen; sie werden zu 
Samenfäden indem die der Eizelle morphologisch gleichwerthige 
Spermatogonie sich vielfach theilt, beständig von einer der Granulosa 
des Eies homologen Follikelhaut umschlossen. Eier und Sperma- 
togonien sind bei Batrachiern und Knochenfischen ganz sicher ho- 
mologe Bildungen, weil sie durch Variation aus derselben Anlage 
hervorgegangen sind; es wird sieh dasselbe auch für die Ge- 
schlechtsstoffe aller Wesen nachweisen lassen. 

Wollen wir nun die Befruchtungs- und Conj ugationserschei- 
nungen identifieiren, so werden wir von der Spermatogonie noch 
einen Schritt weiter zu thun haben und physiologische Gleich- 
werthigkeit zwischen den Spermatocyten und der Spermatogonie 
verlangen müssen. Da die Spermatocyten jedoch durch Theilung 
aus der Spermatogonie hervorgehen, und nicht jede Theilung der 
Zellen mit Arbeitstheilung verbunden ist, so wird der Annahme 
kein ernstes Bedenken entgegengetragen werden können, dass beim 
Befruchtungsakt höherer Thiere zwei homologe Zellen zasammen- 
treten, wie bei der Conjugation niederer Organismen. Es ist in 
Uebereinstimmung mit der activen Rolle, die dem Samen bei der 
Befruchtung zufällt, dass sowohl im Thier- wie im Pflanzenreich 
die der Eizelle morphologisch entsprechende Spermatogonie sich 
vielfältig theilt, und so auf einen weiblichen Keim viele männliche 
liefert. 

Man wird demgemäss die Geschlechter nicht als etwas Ver- 
schiedenes, ihre Entstehung nicht als die fortschreitende Ausprä- 
gung eines von vorn herein gegebenen, aber latenten und nicht in 
die Erscheinung tretenden Gegensatzes auffassen. Die Bildung des 
Geschlechts, am auffälligsten durch die Geschlechtsdrüsen reprä- 
sentirt, vollzieht sich nicht etwa in der Weise, wie die Lunge aus 
dem.Darm sich abspaltet, um mit dem zurückbleibenden Theile 
desselben besser und vollendeter die Aufgaben zu lösen, welche 


106 Moritz Nussbaum: 


dem primitivrn Darm gestellt waren; die Differenzirung des Ge- 
schlechts und die Entwieklung von Hoden und Eierstock geht aus 
einer indifferenten Anlage vor sich, wie die Flügel und die Beine 
eines Vogels, die verschiedenen Segmentanhänge eines Glieder- 
thieres sich als homologe Theile entwickeln. 

Es treten somit bei der Befruchtung nicht zwei heterogene 
Elemente zusammen, die einander ergänzen, zusammen ein Ganzes 
bilden; es treffen sich vielmehr zwei homologe Zellen, von denen 
die eine zum Zweck der Conjugation sich in eine beweglichere 
Form umgegossen, die andere sich mit Nährstoffen beladen und 
mit Schutzvorrichtungen versehen hatte. Offenbar ist durch diese 
Anschauuug an dem thatsächlichen Vorkommen des Hermaphrodi- 
tismus und seinem rudimentären Bestehen bei den höchsten Thieren 
in keiner Weise Zweifel erregt, wenn auch die Auffassung der 
Erscheinungen modificirt wurde. 

Man wird demgemäss ferner nicht daran denken dürfen, dass 
bei der ungeschlechtlichen Zeugung in einer Zelle (oder einem 
Complex von Zellen bei der Knospenbildung von Thieren mit 
mehreren Leibesschichten) die beiden Energien enthalten seien, 
die bei der Befruchtung von Samen und Ei zusammentreffen; die 
ungeschlechtliche Zeugung geht entweder continuirlich neben der 
geschlechtlichen her oder wechselt mit ihr ab. Bei niederen Thie- 
ren ist der Vorgang augenfällig zu verfolgen. Auf eine Conjugation 
— Verjüngung wie Bütschli dies treffend genannt hat — folgt die 
Theilung der vereinigten oder wieder getrennten Individuen, die 
dann ohne intereurrirende Conjugation eine Zeit lang fortgeht. 
Besteht aber in den höheren Organismen nicht fortwährend eine 
ungeschlechtliche Zeugung? Wo die Individualisirung einer Zellen- 
colonie noch nicht gross genug geworden ist, schafft die unge- 
schlechtliche Vermehrung, d. h. die ohne direkt voraufgehende 
Conjugation erfolgende Theilung, neue Individuen; wo die Einord- 
nung der Theile in ein einheitliches Ganze straffer geworden ist, 
da sorgt die ungeschlechtliche Theilung der Zellen nur für den 
Ersatz des abgängigen Alten im einheitlichen Organismus selbst. 

Es scheint, als ob alle Zellen, ehe sie in Theilung verfallen 
können, den Verjüngungsprocess der Conjugation durchgemacht 
haben müssen; dann aber für lange Zeit auch in ihren Nachkommen 
dieses Jneitamentes nicht mehr bedürfen. Die Theilung nach der 
Conjugation schafft Individuen verschiedener Dignität, je nachdem 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 107 


sie einfach additionell oder mit Arbeitstheilung verläuft. Bei ein- 
zelligen Organismen gibt es nur eine einfache additionelle Thei- 
lung; jede neu entstandene Zelle löst sich vom Mutterorganismus 
los und wird dadurch individualisirt. Bei mehrzelligen Organismen 
gehen beide Theilungsformen nebeneinander her und der Begriff 
des Individuums — des zur selbständigen Existenz befähigten 
Organismus — lässt sich nur experimentell feststellen; da manche 
vielzelligen Organismen künstlich theilbar sind, und die einzelnen 
Theile nicht allein fortleben, sondern zu vollständigen Individuen 
wie der Stammorganismus wieder heranwachsen. Wir scheiden 
vorläufig aus unserer Betrachtung denjenigen Zelleneomplex mehr- 
zelliger Organismen aus, der durch einfache additionelle Theilung 
sich vermehrend, den Zwecken des Gesammtorganismus nicht zu 
Gute kommt und ausschliesslich für die Erhaltung der Art in Form 
der Geschlechtsdrüsen bestimmt ist. 

Die Individuen niederster Ordnung, die Zellen, treten bei den 
Thieren in verschiedener Weise zu dem engeren Verbande eines 
Individuums höherer Ordnung zusammen und sind nur unter ge- 
wissen Bedingungen zu einer selbständigen Existenz befähigt. Oft 
genügen dieselben Bedingungen unter denen ein Ganzes existirte, 
für das gesonderte Fortleben der spontan oder künstlich geschaffenen 
Theile; schliesslich aber sind die Bedingungen für das Bestehen 
der Theile nur noch in dem complieirten Organismus, dem sie an- 
gehören, selbst zu finden. So entsteht bei denjenigen Organismen, 
in denen durch günstige Bedingungen gewissen Zellencomplexen 
die Möglichkeit der Loslösung vom mütterlichen Organismus — der 
Amme — gegeben ist, der Generationswechsel; bei anderen Thieren 
wird diese Erscheinung unterdrückt, wenngleich der eine Factor 
für ihre Entstehung — die ungeschlechtliche Vermehrung, die Zell- 
theilung ohne direet voraufgehende Conjugation — vorhanden ist. 
Zwischen den extremen Formen mangelt es nicht an Uebergängen. 

In dem gewaltigen Formenreiehthum der Cestoden wechselt 
mit geschlechtlicher Zeugung eine „ungeschlechtliche Vermehrung“ 
ab!), indem der Zelltheilungsprocess der Amme viele gleichartige 
Segmente schafft. Meistens bleibt aber die Individualität der ent- 
standenen Segmente latent, während in anderen Fällen?) jedes ein- 

1) J. J. Steenstrup: Generationswechsel. 

2) van Beneden: Les vers cestoides ou acotyles; Bruxelles 1850. 


108 Moritz Nussbaum: 


zelne Glied als selbständiges Thier von der Amme sich loslöst. 
Während aber bei niederen Thieren die Segmentirung wenigstens 
äusserlich ausgesprochen ist und bei den Cestoden in der Bethä- 
tigung der Geschlechtsfunetionen sogar einen individuellen Cha- 
racter bewahrt, geht bei höheren Thieren die im Embryo ange- 
deutete Segmentirung bei der weiteren Entwicklung mehr und 
mehr verloren. 

Für das Pflanzenreich hat Vöchting neue experimentelle 
Beiträge über Individuum und Individualisirung geliefert; doch 
wird man seinem Ausspruch): „So führt also Alles zu der An- 
nahme, dass in dem Stoff- und Kräftecomplex jeder einzelnen 
lebendigen vegetativen Zelle des Organismus die Möglichkeit zur 
Reproduction der Totalität mit ihrer mannigfachen Gliederung 
gegeben ist“ für das Thierreich nicht beistimmen können; da es 
den Anschein hat, als ob nach einer einmal vollzogenen Theilung 
der Hauptfunctionen eine Reproduction des Ganzen aus einem 
Theile allein nicht mehr möglich sei. Dieses scheint aus der Be- 
theiligung aller Leibesschichten (Keimblätter) bei der Knospen- 
bildung hervorzugehen. 

Die Fähigkeit der Reproduction, welche Vöchting jeder 
vegetativen Pflanzenzelle zuschreibt, kommt bei den mehrzelligen 
thierischen Organismen nur einer einzigen Zellenart zu, und dies 
sind die Geschlechtsstoffe. Auch hier geht der Vereinigung aller 
Theilproduete einer Zelle (Eizelle nach der Befruchtung) in ein 
Individuum höherer Ordnung eine Individualisirung jeder einzelnen 
durch Theilung entstandenen Zelle vorauf, da die definitiven Eier 
durch Teilung der Ureier sich bilden. Diesen Vorgang hat 
Pflüger?) schon mit dem Generationswechsel verglichen, der in 
der That Niehts weiter ist, als die Individualisirung von Theil- 
produeten, die unter günstigen Bedingungen eine Selbständigkeit 
erlangen. 

Es ist nun offenbar nöthig, dass den Geschlechtsstoffen alle 
das Leben characterisirenden Eigenschaften zukommen, und dass 
nicht etwa eine Bindegewebs- oder Muskelzelle Zellencolonien durch 


1) H. Vöchting: Ueber Organbildung im Thierreich; Bonn 1878, 
pag. 255. 
2) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen; 
pag. 58. : 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 109 


Theilung erzeugen könne, in denen auch noch Drüsen, Nerven 
und die mannichfachen Gewebstheile höherer Thiere enthalten 
sind. Ist es entwicklungsgeschichtlich wahrscheinlich zu machen, 
dass die Zellen, von denen die Geschlechtsstoffe durch einfache 
additionelle Theilung sich ableiten, vor jeder histologischen Diffe- 
renzirung und unbetheiligt an der in der Keimblätterbildung aus- 
gesprochenen Arbeitstheilung aus dem befruchteten Ei zum Zweck 
der Erhaltung der Art gesondert wurden ? 

Wir glauben dies bis zu einem gewissen Grade in den be- 
schreibenden Theilen und namentlich durch unsere Beobachtungen 
an den Larven der Batrachier nachgewiesen zu haben. Es sei hier 
unsere Aufgabe, aus der Literatur noch weitere Beweise beizubringen. 

Den embryonalen Character unserer Geschlechtszellen hat 
Götte!) sehon mehrfach in seinem Werk über die Entwicklung 
der Unke erwähnt; auch dass die Dottersubstanz aus diesen Zellen 
später schwinde als in allen aus den Embryonalanlagen hervor- 
gehenden Körpertheilen. Indem er aber später die ganze Geschlechts- 
leiste sammt dem Fettkörper auf die „Geschlechtszellen“ zurück- 
führt, entzieht er uns den Boden eines zwingenden Beweises, und 
so kommt es wohl, dass Götte selbst auf den embryonalen 
Character der Geschlechtszellen kein Gewicht legt. Wir konnten 
aber nachweisen, dass nur die Ureiernester aus den Geschlechts- 
zellen hervorgehen und alles Uebrige: Oberflächenepithel, binde- 
gewebige Hüllen der Geschlechtszellen von dem Peritonealepithel 
sich ableitet, dessen proteusartige Gestaltungen durch die entwick- 
lungsgeschichtlichen Funde der letzten Jahre hinlänglich bekannt 
sind. Man denke an die flachen sogenannten Endothelien, die Wim- 
perzellen des Peritoneums weiblicher Frösche, die Eileiterdrüsen, 
die Epithelien der Niere, den Fettkörper, alles Abkömmlinge: des 
Zellenbelags der Bauchhöhle. 

Wir haben an verschiedenen Stellen schon darauf hingewiesen, 
dass man für die höheren Thiere wohl schwerlich wegen des Man- 
gels hervortretender embryonaler Charactere ihrer Geschlechtszellen 
einen Beweis wird erbringen können; dagegen liefert die Ent- 
wicklungsgeschichte niederer Thiere brauchbares Material. 

So berichtet Leuekart?) über die Entstehung der Geschlechts- 


1) A. Goette: Die Entwicklungsgeschichte der Unke; pag. 31, 831. 
2) R. Leuckart: Die menschlichen Parasiten; Bd. II, pag. 65. 


110 Moritz Nussbaum: 


drüsen der Nematoden, dass die Anlage bei Männchen und Weib- 
chen dieselbe sei und weiter wörtlich: „Vor vollständiger Entwick- 
lung der Embryonalanlage besitzen die Zellen — die Anlage der 
Geschlechtsdrüsen — eine grobkörnige Beschaffenheit und eine 
frappante Uebereinstimmung mit den übrigen Embryonalzellen, dass 
man deren direete Abstammung von diesen Gebilden nicht be- 
zweifeln kann“. Die Gebrüder Hertwig!) konnten bei Medusen 
die Gesehlechtsorgane von Zellen ableiten, die vereinzelt im Be- 
reich der Magentaschen unter dem ‚Eetoderm gelagert waren, und 
gestützt auf diesen Befund, suchten sie die Annahme wahrschein- 
lich zu machen, dass weder die geschlechtliche Differenzirung mit 
der Keimblätterbildung in Beziehung stehe, noch eine Nöthigung 
vorliege, die Entwicklung der Geschlechtsorgane in der ganzen 
Thierreihe in gleicher Weise mit dem einen oder dem anderen 
Keimblatt in Zusammenhang zu bringen. Schon vor dieser Arbeit 
der Gebrüder Hertwig war durch J. Ciamician?) die durch 
von Beneden aufgestellte Hypothese von dem männlichen Cha- 
racter des Eetoderms und dem weiblichen des Entoderms widerlegt 
worden, da Ciamician durch direete Beobachtung nachgewiesen 
hatte, dass es Formen unter den Hydroiden gebe, bei denen jene 
behauptete Regelmässigkeit der örtlichen Ableitung von Ei und 
Samen nicht zutreffe: indem bei Tubularia beides aus dem Eeto- 
derm; bei Eudendrium die Eier aus dem Eetoderm, die Sperma- 
tosomen aus dem Entoderm sich bilden. Vor dem Erscheinen der 
Hertwig’schen Arbeit hatte ich in der Sitzung der Niederrhei- 
nischen Gesellschaft zu Bonn vom 22. Juli 1878 und in der Sec- 
tionssitzung für Anatomie und Physiologie vom 16. September 1878 
auf der Naturforscher-Versammlung zu Cassel die Grundzüge meiner 
Jetzt vorliegenden Arbeit vorgetragen und durch Abbildungen er- 
läutert. Ich glaube also vor den Gebrüdern Hertwig den unsere 
dritte Frage tangirenden Gedanken ausgesprochen und ihn wahr- 
scheinlicher gemacht zu haben, als es das Beweismaterial der Ge- 
brüder Hertwig erlaubt. Doch möchte ich auf Priorität weniger 


1) O. und R. Hertwig: Der Organismus der Medusen und seine Stel- 
lung zur Keimblättertheorie; Jena 1878; pag. 17 und 36. 

2) J. Ciamician: Zur Frage über die Entstehung der Geschlechts- 
stoffe bei den Hydroiden; Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie, Bd. XXX, 
pag. 501. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 111 


Anspruch erheben, als dem aufrichtigen Gefühl der Befriedigung 
Ausdruck verleihen, dass auch das von anderer Seite gelieferte 
Beobochtungsmaterial für die Richtigkeit unserer Annahme spricht. 

Was meine Beobachtungen sachlich nun vor denen der Gebrüder 
Hertwig voraus haben ist in dem lang erhaltenen embryonalen 
Zustand der Geschlechtszellen bei den Batrachiern zu suchen, der 
den „Geschlechtszellen“ der Medusen fehlt; diese Eigenthümlichkeit 
macht es sicher, dass die Geschlechtszellen nicht von solchen Zellen 
abstammen, die schon den embryonalen Character abgelegt und 
vielleicht schon irgend welche Gewebsformation gebildet haben. 
Das konnte an dem Material der Gebrüder Hertwig nicht nach- 
gewiesen werden. 

Das weitere Beweismaterjal für die Behauptung der absoluten 
Unabhängigkeit der Geschlechtszellen von einem der drei Keim- 
blätter, wohin sie nur aus irgend welchen Gründen verlagert worden 
seien, ist weder in der Arbeit der Gebrüder Hertwig, noch in der 
meinigen zu finden. Es würde auch ein nutzloses Bemühen sein, 
bei Wirbelthieren diesen Beweis erbringen zu wollen. Es gibt 
aber Beobachtungen an niederen Thieren, die unsere Annahme sehr 
wahrscheinlich machen. 

Von der Entwieklung der Moina rectirostris berichtet C. Grob- 
ben!), dass vor der Sonderung der drei Keimblätter schon „die 
Genitalzelle“ kenntlich sei, und aus dieser die Geschlechtsdrüsen 
durch fortgesetzte Theilung entstehen. Auch ist von Grobben die 
Verlagerung der getheilten Genitalzelle in das Innere des Körpers 
direct beobachtet worden. Bei der immer noch nicht beseitigten 
Unsicherheit über die Ableitung des Mesoderms bezeichnen die 
Grobben’schen Beobachtungen gewiss einen Fortschritt unserer 
Kenntnisse gegenüber dem von früheren Autoren eingenommenen 
Standpunkte, demzufolge dieses Keimblatt bei niederen Thieren 
mit den Anlagen der Geschlechtsdrüsen zugleich aus zwei symme- 
trisch gelagerten, sogenannten Mesodermzellen hervorgehen sollte. 

Was nun die Stellung anlangt, welche Kölliker?) zur Keim- 
blättertheorie einnimmt, indem er sagt: „Es gibt keine einfachen 


1) €. Grobben: Entwicklungsgeschichte der Moina rectirostris; Arbei- 
ten aus dem zool. Institute der Universität Wien etc. II. Bd., pag. 203 sqg. 

2) A. Kölliker: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhe- 
ren Thiere, II. Aufl., pag. 390 u. 388. 


112 Moritz Nussbaum: 


histologischen Primitivorgane, vielmehr besitzen wahrscheinlich 
alle Keimblätter potentia die Fähigkeit alle Gewebe zu er- 
zeugen,“ und weiter: „Es kann daher nicht auffallen, wenn das 
spätere, mittlere Keimblatt auch die Epithelien der Urniere und 
der Geschlechtsdrüsen erzeugt,“ so müssen wir bekennen, dass wir 
dieser Auffassung nicht beitreten können. Wir erklären das Ent- 
stehen verschiedenartiger Gewebsformationen aus einem Keimblatt 
durch eine in dieser morphologischen Einheit vollzogene Zusammen- 
lagerung verschiedenartiger Zellen. Auch noch später kommen 
derartige Verlagerungen vor, wie die Entstehungsgeschichte des 
Auges beweist. Die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen im Bereich 
des mittleren Keimblattes erklären wir demgemäss durch die dort- 
hin gerichtete Einwanderung der Geschlechtszellen, welche auf 
diese Weise in eine geschützte Körperhöhle deponirt werden. 

Embryologische Studien an niederen Thieren machen es wahr- 
scheinlich, dass die Anlagen der Geschlechtsdrüsen schon früh vor 
jeder Arbeitstheilung der Zellen aus den zum Aufbau des Thier- 
leibes verbrauchten Furchungskugeln abgesondert werden. Wir 
glauben den Nachweis geliefert zu haben, dass aus den Geschlechts- 
zellen nur die Geschlechtsstoffe hervorgehen, und dass aus dem 
Peritonealepithel nur diejenigen Apparate sich bilden, welche ge- 
sondert die Funetionen übernehmen, die vorher von der primitiven 
Bauchhöhle summarisch geleistet wurden. 

Es theilt sich demgemäss das gefurchte Ei in das Zellen- 
material des Individuums und in die Zellen für die Erhaltung der 
Art. In beiden Theilen geht die Zellenvermehrung continuirlich 
weiter; nur tritt im Leibe des Individuums die Arbeitstheilung 
hinzu, während in seinen Geschlechtszellen sich eine einfache 
additionelle Theilung vollzieht. Die beiden Zellengruppen und ihre 
Abkömmlinge vermehren sich aber durchaus unabhängig von ein- 
ander, so dass die Geschlechtszellen an dem Aufbau der Gewebe 
des Individuums keinen Antheil haben, und aus dem Zellenmaterial 
des Individuums keine einzige Samen- oder Eizelle hervorgeht. 
Nach der Abspaltung der Geschlechtszellen sind die Conti des In- 
dividuums und der Art völlig getrennt, und wir glauben aus diesem 
Verhalten die „Constanz“ der Art, d. h. die in der Erscheinung 
des Atavismus gipfelnde Zähigkeit, mit der sich die Eigenthüm- 
lichkeiten der Vorfahren vererben, begreiflicher zu finden. Denn 
Samen und Ei stammen nicht von dem Zellenmaterial des elter- 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 113 


lichen Organismus ab, sondern haben mit ihm gleichen Ursprung; 
da sie aber in ihm aufbewahrt werden, so sind sie auch den Be- 
dingungen unterworfen, welche auf den elterlichen Organismus 
modifieirend einwirken, weshalb die Vererbung der „erworbenen“ 
Eigenschaften nicht ausgeschlossen ist. 

Die Differenzirung des Geschlechts ist nicht die Uebertragung 
zweier vorher vereinten Functionen an zwei verschiedene Ab- 
kömmlinge einer Uranlage; sie ist vielmehr die Variation homologer 
Zellen zur besseren Vollziehung der Conjugation. Ei und Samen- 
körper gehen durch verschiedenartige Entwicklung gleichwerthiger 
Zellen hervor, und die erste Verschiedenheit des Geschlechts beruht 
einfach in einer weitergehenden Theilung der „männlichen“ Ge- 
schlechtszellen, wie wir es bei den Pflanzen und beim Studium der 
Ei- und Samenentwicklung selbst der höchst organisirten Thiere 
deutlich gewahren. Dann kommt die Umwandlung der männlichen 
und weiblichen Zeugungsstoffe hinzu: die Eizelle wird passiv, und 
die Samenzelle vertauscht die trägere amoeboide Beweglichkeit 
mit der Flimmerung. Erst bei ganz hoher Organisation tritt der 
Unterschied in der Art der Aufspeicherung der Zeugungsstoffe, die 
verschiedenartige Bindegewebsentwicklung in den Geschlechtsdrüsen, 
die Entwicklung und Modification der Ausführungsgänge hinzu; 
Körperanhänge, äussere Leibesform, die Instinete, der Intelleet 
variiren zur besseren Leistung der Aufgaben, welche durch die 
Umwandlung der Zeugungsstoffe ‚dem Manne‘“ und „dem Weibe“ 
zugefallen sind. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel I, I, 111, IV. 


BarkeleT. 


Fig. 1. Geschlechtszellen der Larve von Rana fusca zu Anfang Mai. Der 
Kern der Zellen ist unter den zahlreichen glänzenden Dotterplätt- 
chen noch hicht sichtbar geworden; die Zellen selbst sind. von klei- 
neren Peritonealzellen umgeben, in denen keine Dotterelemente mehr 
vorhanden und deren Kerne (bei h) deutlich sichtbar sind. Alcohol- 
präparat; Zeiss F, Oe. 1. 

Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 8 


114 


Fig. 


Fig. 


Moritz Nussbaum: 


2. Geschlechtszellen der Larve von Rana fusca, einige Tage älter als 
die vorige. Die Dotterplättchen sind beinahe vollständig aufgelöst; 
der Kern und die umhüllenden Peritonealzellen (h) treten deutlicher 
hervor. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss F, Oc. I. 

3, 4 und 5. Geschlechtszellen der Larve von Rana fusca, Mitte Mai. 
Die Dotterplättchen sind vollständig geschwunden; in Fig. 4 und 5 
erkennt man Theilung des Kernes der Geschlechtszelle innerhalb 
ihrer peritonealen Hülle. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss F. Oe. I. 


. 6, 7 und 8. Geschlechtszellen der Rana fusca gegen Ende Mai. Die 


Hüllenzellen sind nicht deutlich zu erkennen. Frisch in Jodserum 
zerzupft; Zeiss F, Oc. I. 


. 9, 10, 11 und 12. Geschlechtszellen der Rana fusca gegen Ende Mai. 


Man erkennt die Hülle der einzelnen Nester (Pflüger’sche Schläuche) 
deutlich; die Zellen in den Nestern haben sich etwas von der Wand 
durch Schrumpfung zurückgezogen. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss 
ELOG ME 


. 13. Geschlechtszellen der Rana fusca zu Anfang Juni. Bei g ist noch 


{e} 
eine Zelle des nicht vollständig in der Zeichnung dargestellten Nestes 


in dem vorhergehenden Stadium (cf. Fig. 10, 11 und 12) erhalten. 
Bei & ist das Protoplasma der Zelle körnig; der Kern homogen mit 
einem Kernkörperchen. Der Leib der übrigen Zellen ist durchsichtig 
geworden; ihre Kerne sind im frischen Zustande grob granulirt und 
schrumpfen in absolutem Alcohol in der dargestellten Weise zu- 
sammen. 


'. 14. Theil eines Pflüger’schen Schlauches (Nestes) mit den grob granu- 


lirten Kernen in den einzelnen Zellen. Die Kerne der Kapselhülle 
bei h. Aus der Geschlechtsdrüse der Larve von Rana fusca zu An- 
fang Juni. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss F, Oc. I (wie Fig. 13). 


. 15. Aus dem unteren fadenförmigen Theile der Geschlechtsdrüse der vier- 


beinigen Larve von Bufo cinereus gegen Mitte Juni. Bei & maul- 
beerförmige Kerntheilung. Zerzupfungspräparat aus absolutem Al- 
cohol; Zeiss CC, Oe. IH. 

16. Aus einem feinen Schnitt ebendaher. Alcoholpräparat; Zeiss CC, 
Oc. II. 


. 17a. Aus einem feinen Schnitt von derselben Abtheilung der Geschlechts- 


drüse. Der Alcohol hat nicht so intensiv eingewirkt wie bei Fig. 16; 
man sieht die Zellengrenzen. Die Hülle ist nicht abgehoben; ihre 
Kerne (h) deutlich sichtbar. Zeiss F, Oc. I. 


. 17b. Von der entsprechenden Stelle eines stark im absoluten Alcohol ge- 


schrumpften Präparates. Die Zellengrenzen sind nicht zu erkennen; 
die Hülle ist weit vom Inhalt abgehoben. ’ 


. 18—22. Aus dem vorderen verdickten Ende der Geschlechtsdrüse (rudi- 


mentäres Ovarium) zweibeiniger Larven von Bufo cinereus. Die 
Figur 18 stammt von jüngeren Exemplaren als die folgenden; hier 


Fig. 23. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 115 


liegen die Eizellen E sammt ihrer Membrana granulosa F noch in 
einer gemeinsamen bindegewebigen kernhaltigen (h) Hülle. Im abso- 
luten Alcohol hat sich der Inhalt von der Hülle abgehoben; das 
Ganze entspricht einem Pflüger’schen Eischlauch, in dem der Durch- 
und Umwachsungsprocess, die Bildung einer bindegewebigen Hülle 
für jedes Ei, noch nicht stattgefunden hat. In den kleineren Eiern 
bemerkt man nur ein Keimbläschen, in den grösseren bisweilen zwei 
oder mehrere; so in Figur 18 bei E oben, ebenso in Figur 19. Bei 
den Exemplaren, von denen die in Figur 20, 21 und 22 dargestellten 
Präparate stammen, war jedes Ei schon von einer bindegewebigen 
Hülle, der Follikelmembran, umgeben. In Fig. 20 liegen zwei Eier 
in einer Follikelmembran. Man muss mit Berücksichtigung der 
Grössenverhältnisse der Eier, in denen nur ein Keimbläschen vor- 
kommt, solcher, deren Keimbläschen sich theilt und der Follikel 
worin zwei Eier gefunden werden, annehmen, dass noch Theilungen 
von Eizellen vorkommen, die sich schon mit Follikelepithel umgeben 
haben. In Fig. 20 ist die bindegewebige Hülle vom Inhalt abge- 
hoben; in Fig. 21 und 22 ist dieselbe gar nicht dargestellt worden, 
Alcoholpräparate bei Zeiss F, Oc. I entworfen. 

Ein Ei mit seinen Hüllen aus dem vorderen Abschnitte der Ge- 
schlechtsdrüse einer vierbeinigen Kröte (Bufo einereus) vom 12. Juni. 
(Der Schwanz war schon abgeworfen.) Zerzupfungspräparat aus ab- 
solutem Alcohol; Zeiss F, Oc. I (vergl. von la Valette St. George, 
dieses Archiv Bd. XII, Tafel 35, Fig. 74); h Kerne der Theca folli- 
euli; F Kerne des Follikelepithels. 


Fig. 24 und 25. (g) Geschlechts- und (h) Hüllzellen von 3,5 em langen Lar- 


ven des Triton cristatus aus 2°/, doppelt chromsaurem Ammoniak 
isolirt. Zeiss F, Oe. I. 


. Aus der Geschlechtsdrüse einer 6 cm langen Larve von Salamandra 


maculata. Es sind fertige Eier vorhanden, wie in der Figur dar- 
gestellt. Es kommen aber auch die Vorstufen dazu, wie sie von 
Rana fusca in Fig. 17a dargestellt worden, vor. In den Schläuchen 
sind aber nicht alle Zellen zugleich in maulbeerförmiger Kernthei- 
lung, so dass ich bei der Anfertigung der Zeichnung in den mir zu 
Gebote stehenden Präparaten dieselbe übersehen habe. Nachdem 
ich aber alle meine Präparate zur Controle mit den Zeichnungen 
nochmals revidirte, fand ich an einigen Stellen in langgestreckten 
Pflüger’schen Schläuchen mit vier bis fünf Eiern noch eine oder 
zwei Zellen, deren Kern sich „maulbeerförmig“ theilte. Um diese 
Zellen war noch kein Follikelepithel gelagert; die Keimbläschen 
der fertigen Eizellen im Schlauche waren rund begrenzt, die Eier 
selbst von ihrem Follikelepithel umgeben. Auch hier waren die 
Keimbläschen der kleineren Eier rund und einfach; in grösseren 
Eiern kamen Theilungsstadien oder zwei völlig getrennte Keimbläs- 


116 


Fie. 27. 


Fig. 28% 


Fig. 31. 


Fie, 32. 


. 39. 


Moritz Nussbaum: 


chen vor; genau wie es vorher vom vorderen verdickten Ende der 
Geschlechtsdrüse bei den Bufonenlarven angegeben wurde. — Schnitt 
durch die in absolutem Alcohol erhärtete Drüse, Zeiss CC, Oec. 1. 
Flächenschnitt von der in Alcohol erhärteten Geschlechtsdrüse einer 
6 cm langen Larve von Salamandra maculata, um das Vorhandensein 
eines „Endothels“ in dieser Zeit zu demonstriren. Zeiss F, Oc. I. 


‚28b, 29 u. 30. Aus doppelt chromsaurem Ammoniak isolirte Hüllen 


der 'Geschlechtszellen einer 3 cm langen Larve von Salamandra 
maculata. 

Flächenschnitt von der Geschlechtsdrüse einer 1,5 cm langen jungen 
Forelle mit Dottersack. Die Geschlechtszelle g! liegt noch im Niveau 
der Peritonealzellen; g?* wird von ihnen umwachsen. Bei g? sind 
nicht alle deckenden und benachbarten Peritonealzellen gezeichnet, 
um eine bessere Ansicht von der tiefer gelegenen Geschlechtszelle 
geben zu können. Ansicht von der Bauchfläche. Alcoholpräparat. 
Zeiss F, Oc. I. 
Theilung einer Geschlechtszelle von einer etwas älteren Forelle. 
Zerzupfungspräparat. Die Hüllzellen auf der Oberfläche der ge- 
theilten Geschlechtszelle sind nicht dargestellt. Zeiss F, Oc. 1. 
Ein Pflüger’scher Schlauch, hervorgegangen durch fortgesetzte 
Theilung einer Geschlechtszelle.e. Junge Forelle ohne Dottersack 
5,3 cm lang vom 9. Mai (Beckenniere angelegt; Vorniere persistirt; 
zwischen beiden ein frei verlaufendes Stück der Wolff’schen Gänge). 
Auch in diesem Zerzupfungspräparat sind die Hüllzellen an der 
Oberfläche nicht dargestellt. In Jodserum frisch untersucht; die 
Grenzen der einzelnen Zellen nicht deutlich sichtbar. Zeiss F, Oc. I. 


Tarel IT 


. Aus einem Querschnitt eines 4 mm langen ca. vierwöchentlichen, bei 


3°R. angebrüteten Forellenembryo’s aus der Mitte des Körpers. (Die 
Urwirbel stellen hohle Blasen dar; die Chorda dorsalis ist kleinzellig; 
Augen- und Ohrblase angelegt. In allen Zellen stecken noch viele 
Dotterkörner. Im vorderen Drittel des Rumpfes ist der Wolff’sche 
Gang noch nicht geschlossen. Das Stadium entspricht also dem von 
Rosenberg in seinen Untersuchungen über die Teleostierniere vom 
Hecht in Figur 1 abgebildeten.) In 2°/, doppelt chromsaurem Am- 
moniak gehärtet und mit Carmin tingirt. Zeiss CC, Oc. II. W 
der Wolff’sche Gang der rechten Körperhälfte; g, Geschlechtszellen; 
Hypobl., das Darmdrüsenblatt; P, das Darmfaserblatt; P.S., die 
Pleuroperitonealspalte; A, die Aorta. 


. Frisches in Jodserum isolirtes Präparat des Wolff’schen Ganges mit 


seinem Ueberzug von Peritonealzellen (P) und Geschlechtszellen (g) 
von einem 1 cm langen Forellenembryo. Rechts ist der Wolff’sche 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


36. 


37. 


38. 


39. 


40. 


41. 


42. 


43. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 117 


Gang (W) im optischen Längsschnitt gezeichnet, um zu zeigen, dass 
an der Stelle, wo die Geschlechtszellen sich finden, der Gang keine 
Wimperzellen führt, wie in seinem vorderen Abschnitt. Zeiss CC, Oc. II. 
Aus einem Querschnitt durch die entsprechende Gegend eines unge- 
fähr gleich alten Forellenembryo’s in 2°/, doppeltehromsaurem Ammo- 
niak gehärtet und in Carmin gefärbt. Die Geschlechtszelle g liegt au 
niveau der Peritonealzellen P. W, Wolff’scher Gang. Zeiss CC, Oc. II. 
Aus einem Querschnitt durch dieselbe Gegend (Rückenflosse) einer 
gleichbehandelten 2 cm langen Forelle. Die Geschlechtszelle g ist 
von den Peritonealzellen h umwachsen. Zeiss CC, Oc. II. 
Flächenschnitt von der Oberfläche der Geschlechtsdrüsenanlage einer 
2 cm langen Forelle, in absolutem Alcohol erhärtet. Die Perito- 
nealzellen auf der Oberfläche der Geschlechtszellen (g) sind nicht 
dargestellt. Zeiss F, Oc. I. 
Grosser Theil der isolirten Geschlechtsdrüse einer 2 cm langen 
Forelle. Die Peritonealzellen auf der Oberfläche der Geschlechts- 
zellen (g) sind nicht gezeichnet. Man erkennt Theilungsvorgänge 
der Geschlechtszellen. Zeiss CC, Oc. III. 
Ein Stück der isolirten Geschlechtsdrüse einer 2,4 cm langen Fo- 
relle ohne Dotter. Die Geschlechtszellen (g) bilden weit von einan- 
der getrennte Nester, auf deren Oberfläche die Peritonealzellen in 
der Zeichnung nicht wiedergegeben sind. Zeiss CC, Oc. II. 
Längsschnitt durch einen Theil der Geschlechtsdrüse einer 2,5 cm 
langen Forelle, etwa 14 Tage älter als die vorige. Alcoholpräparat, 
Zeiss CC, Oc. II. 
Eischlauch von einer erwachsenen Gadus lota im November. Die 
Kerne der Hülle bei h, die Primordialeier bei g. 
Flächenschnitt von der Oberfläche der Geschlechtsdrüsenanlage einer 
Larve von Rana fusca; 9. Mai. Alcoholpräparat. Zeiss F, Oc. I. 

In den folgenden Figuren bedeutet wie in den Arbeiten von 
la Valette St. George’s 

Fk, Follikelkern (auf Tafel II ist durch ein Versehen F dafür 

gesetzt) 

Ck, Cystenkern, 

Sg, Spermatogonie, 

Scyt, Spermatocyte, 

Scyst, Spermatocyste, 

Fh, Follikelhaut. 


. Feiner Schnitt durch eine langgezogene Hodenampulle des Bombi- 


nator igneus im Juli. Im Lumen dieser eben entleerten Ampulle 
liegen noch vereinzelte reife Samenfäden, Ssm; alle Spermatogonien 
in einer Follikelhaut eingeschlossen; manche in maulbeerförmiger 
Kerntheilung; an zwei Stellen schon viele Spermatocyten im Folli- 
kel: eine Cystenhaut hat sich noch nicht gebildet. Alcoholpräparat, 


118 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


45. 


46. 


47. 


47a. 


Moritz Nussbaum: 


Von der Eierstocksoberfläche der Rana esculenta im November. 
Das Endothel geht continuirlich über Eianlagen und reife Eier hin- 
weg. Alcoholpräparat, versilbert. Zeiss CC, Oc. III. 
Von der Eierstocksoberfläche der Rana esculenta Ende März. Ueber 
die Eianlagen zieht continuirlich das Endothel hin. Einfache Thei- 
lungen bei a, maulbeerförmige bei b. Zwischen den gleichgrossen 
Zellen keine kleineren vorhanden. Alcoholpräparat, versilbert. Zeiss 
E.10e,T: 

Von der Oberfläche des Eierstocks im August — Rana esculenta. 
— Das Endothel zieht continuirlich über die in maulbeerförmiger 
Kerntheilung begriffenen Eianlagen hin. Die Grenzen der Zellen 
sind schwer sichtbar, aber bestimmt vorhanden. Alcoholpräparat, 
versilbert und mit Carmin tingirt. Zeiss F, Oc. I. 

Zellen aus einem Pflüger’schen Schlauch in der Geschlechtsdrüse 
einer 5,5 cm langen Tinca chrysitis. Alcoholpräparat. Zeiss F, Oc.l. 


47b. Maulbeerförmig getheilter Kern ebendaher. Zeiss F, Oc. 1. 


48. 


49. 


50. 


öl. 


59. 


54. 


Maulbeerförmig getheilter Kern aus dem Ovarıum von Bombinator 
igneus. s 
Eine Spermatogonie in ihrer Follikelhaut von Rana esculenta, Ende 
Juli. Frisch in Humor aqueus des Thieres untersucht. Zeiss F, Oe.1. 
Ein in Humor aqueus des Thieres isolirter maulbeerförmig getheil- 
ter Kern aus dem Hoden des Bombinator igneus. Juli. Zeiss F, Oc. I. 

(Vergl. v. le Valette St. George: Dieses Archiv, Bd. XII, Tafel 35, 
Figur 36, 68 und 36a.) 


Tafel II. 


Follikel (Samenzellengruppe in einer kernhaltigen Kapsel) aus dem 
Hoden von Cyprinus erythrophthalmus. Isolationspräparat in 5°, 
molybdänsaurem Ammoniak conservirt. November. Zeiss F, Oc. I. 


. Ein junges Ei mit seinem Follikelepithel aus dem abgelaichten 


Eierstock eines grossen Exemplares von Gadus lota. Die Membrana 
Follieuli ist nicht dargestellt. Präparat 5 Minuten lang mit 0,1%, 
Ueberosmiumsäure behandelt und sofort untersucht. Zeiss F, Oc. 1. 
Profilansicht des Follikelepithels eines ausgedrückten Eies von 
0,15 mm Durchmesser. Von demselben Eierstock wie Fig. 52. Os- 
miumpräparat. Zeiss F, Oec. I. 
Aus dem Hoden von Bombinator igneus am 25. Juli. Alcoholprä- 
parat in verdünntem Glycerin untersucht. Ein Samenfollikel mit 
seinen beiden Häuten, der Follikel- und Cystenhaut; m Kerne der 
Ampullenwand. Zeiss F, Oc. 1. ] 
Aus dem Hoden von Lacerta agilis. 23. Juni. Alcoholpräparat in 
verdünntem Glycerin untersucht. — Ein Samenfollikel. — m, Kerne 
der Membrana propria eines Hodenkanälchen. Zeiss F, Oc. IH. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


98. 


56. 


57. 


58. 


89. 


. 60. 


61. 


63. 


64. 


. 65. 


. 66. 


67 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 119 


Eine Spermatogonie mit Follikelhaut der Membrana propria des 
Hodenkanälchens aufsitzend von einer einjährigen Rana esculenta. 
Feiner Schnitt durch einen in absolutem Alcohol erhärteten Hoden 
einer jungen Rana platyrrhinus vom 27. Juli. Es ist ein Hoden- 
kanälchen mit seinem Ausführungsgang getroffen. Im Hodenkanäl- 
chen liegen Spermatogonien und ihre Derivate von Follikelzellen 
eingeschlossen. Zeiss F, Oec. I. 

Aus dem in absolutem Alcohol erhärteten Hoden einer jungen Krähe 
vom 30. Mai. Zeiss F, Oc. I. (NB. Die grössten Eifollikel eines 
gleich alten Weibchen haben 60 « im Durchmesser.) 

Ein junges Ei einer Ende Juli untersuchten Lacerta agilis. Das 
Follikelepithel bildet noch eine einfache Lage gleicher Zellen. Os- 
miumsäurepräparat in verdünntem Glycerin untersucht. Zeiss F, Oc. I. 
Eine Samencyste von Tenebrio molitor. August. Isolationspräparat 
in Jodserum untersucht. Zeiss CC, Oc. I. 

Eine eröffnete Samencyste von Tenebrio molitor. Die Samenfäden 
sind nicht vollständig dargestellt. Isolationspräparat. August. In 
Jodserum untersucht. Zeiss F, Oc. I. (Vergl. von la Valette $t. 
George, dieses Archiv Bd. X, Tafel 35, Figg. 43—47.) 

Feiner Schnitt aus dem Hoden eines jungen Cypselus apus. Alcohol- 
präparat. Sg. eine in Theilung begriffene Spermatogonie; links da- 
von eine ungetheilte. Alle Spermatogonien oder ihre Derivate von 
Follikelzellen umhüllt. Zeiss F, Oc. 1. 


. Schnitt durch ein 2 mm grosses Ei der Lacerta agilis. In 2°/, dop- 


pelt chromsaurem Kali und dann in’ Alcohol erhärtet. F das aus 
zwei Zellenarten bestehende Follikelepithel; Z die Zona pellucida; 
D der Dotter. 

Aus dem Eierstock der Rana fusca vom Ende Juli. Alcohol-Carmin- 
präparat; Zeiss F, Oc.I. M eine in maulbeerförmiger Kerntheilung 
begriffene Eianlage; E fertiges Ei; F Kern der Follikelzellen. 

Von der Oberfläche des Eierstocks der Rana esculenta zu Ende 
November. Versilbertes Alcoholpräparat. 

Aus dem Eierstock von Bufo cinereus drei Tage nach dem Laichen; 
g eine Eianlage mit ungetheiltem; M mit maulbeerförmig getheil- 
tem Kern. h Hüllzellen. Das Endothel der Oberfläche ist nicht 
dargestellt. 

Von der Hodenoberfläche einer Rana fusca aus der Mitte October. 
Das Präparat ist bei der Einstellung dicht unterhalb der Membrana 
propria eines Hodenkanälchen gezeichnet. Man sieht die durch die 
Samenfollikel hervorgebrachte Felderung und die der Membrana 
anliegenden Spermatogonien; bei Ck schimmert ein dem Lumen des 
Hodenschlauches näher gelegener Cystenkern durch. Alcoholpräparat ; 
Zeiss F, Oc. II. 

Von der Hodenoberfläche einer Rana fusca im November. Die 


120 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


68. 


aa 


1 
© 


Moritz Nussbaum: 


Spermatogonien sind theils in maulbeerförmiger Kerntheilung bei M; 
theils sind sie schon mit Follikelzellen umgeben Sg; andere befinden 
sich in ihrer Follikelhaut schon wieder in maulbeerförmiger Kern- 
theilung. Alcoholpräparat; Zeiss F, Oc. 1. 

Von der Oberfläche des Eierstocks einer Rana esculenta im No- 
vember. Versilbertes Alcoholpräparat. 


. Aus dem Hoden von Rana fusca im O ctober. Die Spermatogonien 


bilden Ketten dicht an der Membrana propria der Hodenschläuche; 
einige, M, haben maulbeerförmig getheilte Kerne. Feiner Schlauch- 
querschnitt aus einem Alcoholpräparat; Zeiss F, Oc. I. 


. Aus dem Hoden von Rana fusca im August. Unterhalb des 


Samenfollikels, dessen Cystenkern bei Ck, eine in Theilung begriffene 
Spermatogonie. Alcoholpräparat, feiner Schnitt; Zeiss F, Oe. I. 
Aus dem Hoden von Rana fusca zu Anfang April. Ein entleerter 
Samenfollikel, dessen Cystenkern bei Ck undeutlich oberhalb einer 
in Theilung begriffenen Spermatogonie hervorschimmert. Alcohol- 
präparat; feiner Schnitt; Zeiss F, Oe. I. 


bey), ING 


. Die Unterfläche des abgehobenen Eierstocksepithels eines 3 Monat 


alten Hundes. Bei x die Lücken der herausgezerrten Pflüger’- 
schen Eischläuche; bei g ein maulbeerförmig getheilter Kern. Zer- 
zupfungspräparat eines in 0,1°/, Osmiumsäure 24 Stunden aufbe- 
wahrten Eierstocks. Zeiss F, Oc. 1. 


. Feiner Schnitt aus dem Hoden von Cyprinus erythrophthalmus im 


November. Die Figur ist in. der Lithographie nicht correct 
wiedergegeben worden. So geht der Contour des ersten rechts oben 
gelegenen Kernes der Membrana propria des nur theilweise darge- 
stellten Hodenacinus irrthümlich in den kleinsten Follikel über, 
dessen Follikelkern F nicht, wie er sollte, durch leichte Schattirung 
der Umgebung höher gelegen erscheint als der Inhalt des Follikels. 
An dem nach links gelegenen Follikel sind die äusseren Contouren 
der Follikelkerne gar nicht gezeichnet; ihre Lage verräth sich nur 
durch die leichten Biegungen in der äusseren Begrenzung des 
Follikels. Alcoholpräparat; Zeiss F, Oc. 1. 


. Aus dem Eierstock einer 18 cm langen Gadus lota, Ende März. 


Ösmiumsäurepräparat ;, Zeiss Immers. M, Oc. I. 


. Aus dem Eierstock derselben Gadus lota. Ein Theil eines Pflü- 


ger’schen Eierschlauches; darin zwei Eier mit Follikelepithel; die 
Follikelzellen des kleinen Eies sind grösser als die des grösseren 
Eies. Osmiumsäurepräparat mit Carmin tingirt; Zeiss F, Oc. IH. 


. Ein maulbeerförmig getheilter Kern einer Spermatogonie von Oypri- 


nus erythrophthalmus (b). Kern eines Spermatocyten (a). Frisch 
in Jodserum untersucht. Zeiss F, Oc. I. 


Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 121 


Fig. 77, 78 und 79. Frisch in Jodserum untersuchte amoeboide Theilstücke 


Fig. 


Fig. 


0 er, 


. 80. 
8l. 
. 82. 


. 83. 


. 84. 
. 85. 
. 86. 
0. 87. 
. 88. 


89: 


30. 


gl. 


92. 


93. 


von Samenfollikeln aus dem Hoden von Cyprinus erythrophthalmus 
im November. 77 und 78 aufeinanderfolgende Phasen desselben 
Präparates, worin zu Anfang die Kerne nicht wahrgenommen 
werden konnten. 

Schlauch der Leydig’schen Zwischensubstanz aus dem Hoden eines 
3 Monat alten Hundes. Osmiumsäurepräparat; Zeiss F, Oec. I. 
Abortive Eischläuche aus dem Ovarium einer gleich alten Hündin. 
Ösmiumsäurepräparat; Zeiss F, Oc. I. 

Schnitt aus dem Hoden eines 3 Monat alten Hundes. A, Blutgefäss; 
LS, Leydig’sehe Zwischensubstanz; H.C. Hodencanal. Zeiss A, Oc. I. 
Leydig’sche Zwischensubstanz aus dem Hoden des Eichhörnchen ; 
h Kerne der Kapsel um die Zwischensubstanzzellen. Alcoholprä- 
parat. (v. 1a Valette St. George del.) 

Bau der Hodencanäle einer jungen Krähe; an die gewundenen brei- 
ten Hodencanäle schliessen sich engere Tubuli recti an. 
Spermatogonie — amoeboid — aus dem Hoden von Emberiza ci- 
trinella; Ende März frisch in Jodserum untersucht. 

Versilbertes Endothel der vorderen Bauchfläche einer jungen Rana 
fusca vom Anfang Juni. Zeiss CC, Oc. I. 

Wimperepithel derselben Gegend von einem erwachsenen Weibchen 
der Rana fusca. Zeiss CC, Oe. I. 

Hodenschlauch von Pelobates fuscus aus 2°/, doppelt chromsau- 
rem Ammoniak isolirt. Zeiss CC, Oc. II. 

Vier isolirte Hodenschläuche von Pelobates fuscus — gleichaltes Thier 
wie das vorige — vom 20. Juli, also etwa 4 Monate alt. Der func- 
tionelle Theil ist breiter als der ausführende. Zeiss A, Oc. Ill. 
Keimbläschen eines Eies von Gadus lota mit vielen Keimflecken. 
In Jodserum untersucht. Zeiss F, Oec. I. 

Keimbläschen eines kleineren Eies von Gadus lota mit einem grossen 
und zwei kleinen Keimflecken. In Jodserum untersucht. Zeiss F, 
Oe. 1. 

Aus der Niere einer am 15. August untersuchten J" Rana esculenta ; 
Samenfäden in der Kapsel eines Malpighi’schen Körperchen. 
Netzwerk in einem Kern aus der Geschlechtsdrüse einer 3,5 cm 
langen Larve von Rana esculenta, Ende Juli. Zeiss F, Oc. II. 


Seite 109 bitte zu lesen Zeile 7 v. u. 


.. 


höheren Thiere wegen des Mangels hervortretender embryonaler 


Charactere ihrer Geschlechtszellen wohl schwerlich einen Beweis .... .. 


122 R. Wiedersheim; 


Zur Histologie der Dipnoör-Schuppen. 


Von 
Prof. ß, Wiedersheim in Freiburg i. B. 


Hierzu Tafel V. 


Die ersten, mir bekannt gewordenen Beobachtungen über 
Dipnoör-Schuppen datiren auf das Jahr 1839 zurück und sind in 
der Arbeit Owen’s über Lepidosiren annetcens (Protopterus) nie- 
dergelegt. Sie beschränken sich auf Angaben über allgemeine Form- 
und Grössenverhältnisse, sowie auf einige histologische Bemerkun- 
gen, welchen indessen von unserem heutigen Standpunkt nur ein 
geringer Werth beizumessen ist. Ganz dasselbe gilt für die im 
Jahr 1840 herausgegebene Monographie Bischoffs über Zepido- 
siren paradoxa, worin das Schuppenkleid nur flüchtig berührt und 
keiner mikroskopischen Prüfung unterzogen ist. In ausgedehntem 
Maasse thut dies jedoch Hyrtl in seiner fünf Jahre später er- 
schienenen Arbeit über dasselbe Thier; gleichwohl aber ist auch 
hierin Vieles irrthümlich aufgefasst, wenn auch wieder manche 
zutreffende Bemerkungen, wie z. B. über die Befestigung der 
Schuppen in der Cutis, über die Kalkschicht ihrer Oberfläche ete. 
mit unterlaufen. Weit über allen den genannten Arbeiten steht die- 
jenige Köllikers (Würzb. naturw. Zeitschr. T), worauf ich später 
zu sprechen kommen werde. 

Die neuesten Studien über Dipnoer-Schuppen hat Günther 
an COeratodus angestellt und nach seinen Angaben und Abbildun- 
gen scheint jenes Thier von Lepidosiren und Protopterus prinei- 
piell nieht abzuweichen. Wenn wir absehen von der mehr recht- 
eckigen Form und durchweg viel grösseren Entwicklung der ein- 
zelnen Schuppen, so finden wir namentlich in folgenden Punkten 
eine Uebereinstimmung aller drei Dipnoör: die äussere Fläche ist 
raulh, mit verkalkten, kegelförmigen Prominenzen über und über 
besät, die innere dagegen durchaus glatt. Letztere besteht aus 
zahlreichen Schichten von „Faserknorpel“, welche sich gegenseitig 
durchkreuzen und zwar bei Ceratodus unter einem Winkel von 


Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. 123 


90 oder 45°. Eine weitere Uebereinstimmung erblicken wir in 
dem Vorhandensein eines fast über die ganze Schuppe sich er- 
streekenden Netzwerkes von hellen Linien, die auch schon Owen 
l. c. sowie Hyrtl erkannt und richtig abgebildet haben. 

Mir selbst stand Ceratodus nicht zur Verfügung, wohl aber 
Lepidosiren paradoxa und annectens. Beide zeigen keine wesentli- 
chen Unterschiede in ihrem Schuppenbau und so kann die hier 
folgende Beschreibung des letztgenannten Thieres fast durchaus 
auch auf Lepidosiren paradoxa übertragen werden. 


A. Die Schuppen von Lepidosiren annectens 
(Protopterus). 


Von der freien Hautoberfläche ausgehend stösst man zuerst 
auf eine dünne, bräunliche, von Schuppe zu Schuppe continuirlich 
überspringende Schicht, die ich zuerst für die Epidermis gehal- 
ten, später aber auch noch theilweise als dem Corium angehörig 
erkannt habe. Eine scharf abgegrenzte Epidermis vermochte ich 
nicht nachzuweisen, woran übrigens, nach den Kölliker’schen Mit- 
theilnngen (l. ce.) zu schliessen, der da und dort etwas defecte 
Zustand des Präparates schuld gewesen sein mag, An verschiede- 
nen Stellen eingesprengte, rundliche und ovale Gebilde (Fig. 2 e,e), 
sind vielleicht als letzte Reste von Hautdrüsen aufzufassen, doch 
will ich das nieht als ganz sichere Behauptung aufstellen. 

Entfernt man die oben erwähnte, braune, den freien Abschnitt 
der Schuppe florartig deckende Schicht, so gelingt dies in voll- 
ständiger Weise bis zum hinteren Schuppenrand, wo die Trennung 
nur mit Mühe und auch so nie gänzlich zu bewerkstelligen ist; im- 
mer bleiben Fetzen daran hängen, so dass der Rand der isolirten 
Schuppe hier stets wie zerrissen aussieht (Fig. 3.a!). Auf dersel- 
ben Figur deutet die bogige, schwarz punktirte Linie die Grenze 
an zwischen dem freiliegenden, nach dem Schwanzende des Thie- 
res schauenden (a!) und dem vorderen, von der nächst folgenden 
Schuppe dachziegelartig gedeckten Abschnitt (a) !). 


1) Ueber die allgemeine Configuration der Schuppe vergleiche dieselbe 
Abbildung. Der grösste Breitendurchmesser entspricht ungefähr der grössten 
Länge der Schuppe. Beide stellen sich bei Schuppen’ aus der mittleren Rumpf- 
gegend auf 6—7 Mill. Bei Lepidosiren paradoxa sind die Schuppen ge- 
streckter, mehr rechteckig. 


124 R. Wiedersheim: 


Ein parallel der Längsaxe des Thieres durch die Haut geführ- 
ter Schnitt (Fig. 2) eröffnet uns einen vortrefflichen Einblick in 
die genaueren Beziehungen der Schuppen zur Cutis und gerade 
darin, dass frühere Untersucher einen solchen anzufertigen unter- 
lassen haben, liegt der Grund ihrer unzureichenden Darstellung. 

Der Wahrheit nach am nächsten kommt die Beschreibung von 
Hyrtl und Kölliker, die ausdrücklich bemerken, dass die Schup- 
pen von L. paradoxa nicht auf, sondern im Corrum selbst zu suchen, 
dass sie, mit anderen Worten, von letzterem gänzlich umschlos- 
sen seien. Ganz dasselbe gilt nun auch für Protopterus, wie ein 
Blick auf die Figur 2 beweist. Bei % liegt die äusserste Schicht 
des grossen Seitenrumpfmuskels, an welchen sich die den ganzen 
Körper einhüllende starke Fascie : unmittelbar anschliesst. Ihre 
Fasern sind stark in einander gefilzt und entsenden gegen die freie 
Hautfläche heraus blattartige Fortsätze, wovon immer zwei nahe 
neben einander entspringen und von den nächst hinteren und vor- 
deren durch regelmässige Intervalle getrennt sind. Anfangs enge 
zusammenliegend und so einen engen Spaltraum begrenzend ent- 
fernen sich die Blätter nach aussen zu mehr und mehr von einan- 
der, bis sie schliesslich gegen die freie Hautfläche zu wieder mehr 
convergiren und hier durch zahlreiche, korkzieherartig und auch 
wellig verlaufende elastische Fasern gegenseitig verbunden wer- 
den (pp). Durch den so erfolgenden Abschluss des zwischen ihnen 
liegenden Spaltraumes entsteht eine Tasche (»), die zur Aufnahme 
der Schuppe (0) bestimmt ist. Letztere verhält sich zu den beiden 
Blättern folgendermassen: das obere, dorsal von ihr liegende ist 
weitaus schwächer entwickelt, als das an der ventralen Schuppen- 
fläche liegende Blatt und kommt mit der Schuppe nirgends in un- 
mittelbaren Contact, sondern ist gleich anfangs, weit mehr aber 
noch gegen die Peripherie zu, von ihr abgehoben (?). 

Viel stärker entwickelt und der ventralen Schuppenfläche 
entweder gleich von Anfang an oder doch von ihrer Mitte an eng 
anliegend ist die untere Lamelle (k), welche sich auch noch beson- 
ders dadurch von der oberen unterscheidet, dass sie gegen das 
hintere, freie Ende der Schuppe mit deren Unterfläche auf’s In- 
nigste sich verlöthet und schliesslich bei dem Punkt g vollkom- 
men mit ihr verwächst, um dann unter welligem Verlauf und unter 
immer fortschreitender Verdünnung in die subepidermoidale 
Schieht des Coriums sich einzusenken (f). Sie ist dieser innigen 


Zur Histologie der Dipnoe@r-Schuppen. 125 


Beziehungen zur Schuppe wegen als die eigentliche Matrix der- 
selben zu betrachten. 

Der zwischen je zwei solchen paarigen Lamellen-Systemen 
existirende Zwischenraum (g) ist von einem äusserst zarten Ma- 
schengewebe aus Bindegewebsfibrillen, in denen sich spärliche 
Kerne nachweisen lassen, erfüllt. Ich habe mir die Frage vor- 
gelegt, ob wir es hier nicht mit einem zur Ernährung der Schuppe 
in Beziehung stehenden Lymphraum zu schaffen haben? Dieser 
Gedanke liegt um so näher, als einerseits von Blutgefässen kaum 
Spuren zu entdecken’) sind und andrerseits, wie wir später sehen 
werden, in der Schuppe selbst Einrichtungen bestehen, die sehr 
wohl damit in Einklang zu bringen sind. 

Auch ohne dass man die Schuppe aus ihrer Tasche befreit, 
lässt sich auf Durchschnitten derselben (Fig. 20 und Fig.4) schon 
so viel erkennen, dass sie aus zwei Schichten besteht, einer dieke- 
ren unteren und einer dünneren oberen (Kölliker’s Faserschicht 
und Ganoinlage). Erstere ist ventralwärts glatt, letztere dorsalwärts 
rauh wie mit kleinen Stacheln versehen. In ihrem Centrum ist die 
Schuppe am dicksten, gegen die Peripherie zu verflacht sie sich 
mehr und mehr. 

Zur Gewinnung einer genaueren Vorstellung ihres Baues muss 
man stärkere Vergrösserungen anwenden, später auch die Schuppe 
isoliren und von der Fläche betrachten. Dabei leisten Doppelfärbun- 
gen mit Pikro-Carmin und Methyl-Grün sehr gute Dienste und man 
thut gut, auch entkalkte Präparate zum Vergleiche herbeizuziehen. 

Was nun zunächst die untere Lage der Schuppe anbelangt, 
so besteht sie, je nachdem man einen mehr central oder mehr pe- 
ripher liegenden Abschnitt derselben in’s Auge fasst, aus verschie- 
denen, der Zahl nach zwischen 5 und 12 schwankenden Bindege- 
websschichten, die sich unter einem rechten Winkel kreuzen. So 
wechselt also z. B. auf der Fig. 7 eine Querlage (9) stets mit 
einer Längslage (Z) ab, doch darf man sich die Sache nicht so 
vorstellen, als ob beide in einem einfachen, gegenseitigen Apposi- 
tions-Verhältnisse stehen würden, die anstossenden Lagen sind 
vielmehr untrennbar mit einander verwachsen. Reisst man sie 
mit Anwendung einiger Gewalt doch von einander, so sieht jede 
davon aus wie mit kurzen Haaren oder wie mit Gras bewachsen, 
was ein Zeugniss ablegt von der innigen Verquiekung der einzel- 


1) Kölliker ist hierin zu andern Resultaten gelangt. 


126 R. Wiedersheim: 


nen Fasersysteme. Die Regelmässigkeit der Schichtung erstreckt 
sich nicht ununterbrochen über die ganze Schuppe hin, sondern 
ist von Stelle zu Stelle (Fig. 4 **) der Art unterbrochen, dass hier 
eine regellose, enge Verfilzung sämmtlicher Fasern statt hat. 

Da und dort erscheinen grössere und kleinere Spalten da- 
zwischen, so dass für die aus den oben erwähnten Lymphräumen 
stammende Ernährungsflüssigkeit der Weg um so mehr vorgezeich- 
net ist, als je eine solche Verwerfung der Fasersysteme einem der 
später zu betrachtenden Maschenzwischenräume auf der Schuppen- 
oberfläche entspricht. 

Die unterste Faserschicht (Fig.7 L!) geht in die Fibrillen 
der anliegenden Schuppentaschenwand ohne scharfe Grenze über, 
ein Umstand, den ich oben schon angedeutet habe. Etwas deut- 
licher setzt sich das oberste Stratum (Q!) von der zweiten Haupt- 
lage der Schuppe ab und diese will ich jetzt näher besprechen. 

Betrachtet man die Schuppe von ihrer oberen Fläche, so 
sieht man sie von einem bei Pikrocarminzusatz lebhaft roth ge- 
färbten Netzwerk überzogen. Die einzelnen Maschen sind von 
sehr ungleicher Grösse, jedoch alle mehr oder weniger nach der 
Längsachse der Schuppe gestreckt. Ihr Inneres ist von einer grossen 
Zahl kleinster Zähnchen besetzt, denn als solche entpuppen sich bei 
starker Vergrösserung die von früheren Untersuchern als „Stacheln“, 
„Dornen“, „Spitzen“ und „kegelartige Prominenzen“ beschriebenen 
Gebilde. An jedem Zähnchen lässt sich eine aus Dentin beste- 
hende, meist nach rückwärts gegen das Schwanzende des Thieres 
sekrümmte freie Spitze, sowie ein damit verwachsener, aus Ce- 
mentsubstanz bestehender Sockel unterscheiden. Fig. 6 und 7 bei 
D und $. Letztere erheben sich kegelartig über das Niveau der 
Schuppe und oft ist der zugehörige Zahn abgebrochen, so dass 
man wie in einen kleinen Krater in die Höhlung des Sockels hin- 
einzuschauen vermag. Im optischen Querschnitt erscheint die Sok- 
keloberfläche auf Figur 6 S!S?, wo man durch die glasartig hellen 
Zähnehen hindurehsieht. Trotz der eben geschilderten Verhält- 
nisse jedoch vermochte ich im eigentlichen Zahn selbst keine Pul- 
pahöhle, keine Dentinröhrchen und ebensowenig eine Schmelzlage 
nachzuweisen ; auch vermisste ich in der Cementsubstanz jede 
Spur von Knochenkörperehen oder von Kalkkugeln, wie letztere 
von @ünther (l. e.) bei Ceratodus beschrieben worden sind. 

Sehr interessant war es mir zu sehen, dass die 


Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. 127 


Zahnsoekel nicht etwa einzeln im unterliegenden Bin- 
degewebsstroma der zweiten Schuppenschicht einge- 
pflanzt liegen, sondern dass sie sich basalwärts band- 
artig ausbreiten, um mit benachbarten in Verbindung 
zu treten (Fig. 5—7). Daraus resultirt ein äusserst zier- 
liches, fein längsgestreiftes Netzwerk aus Cementsub- 
stanz, worinaber ebensowenig Knochenkörperchen nach- 
zuweisen sind, als in den eigentlichen Zahnsockeln. 

Durch die einzelnen, ovalen oder runden Maschen !) f hin- 
durch erblickt man die oberste‘Schicht der bindegewebigen Grund- 
lage der Schuppe und alle Versuche, das aufliegende Cementnetz 
von letzterer in toto abzuheben, misslingen am frischen, unent- 
kalkten Präparat, indem Alles glasartig abspringt und in Trüm- 
mer geht. Ganz vortrefflich aber erreicht man dieses Ziel an 
Schuppen, die einige Tage in Chromsäure gelegen haben. Sind 
diese Präparate vollends in geeigneter Weise gefärbt worden, so 
erhält man in dem gänzlich isolirten Filigran-Netz eines der rei- 
zendsten Bilder, die einem unter dem Mikroskop vor Augen kom- 
men können. 

Die Zähnchen stehen nicht überall auf der Schuppe gleich 
zahlreich zerstreut, sondern werden gegen das Hinterende der 
Schuppe zu spärlicher (vergl. Fig. 2, wo von dem Punkte z bis 
zum hinteren freien Schuppenende keine Zähne mehr sitzen), bis 
sie endlich ganz aufhören, wogegen das Cementnetz auch hier 
noch erhalten ist. Die Maschen erscheinen dabei aber lange nicht 
mehr so regelmässig, sind verzerrt und öffnen sich frei nach aussen 
gegen den Schuppenrand. (Vergl. hierüber auch Kölliker l. e.) 

Schliesslich noch ein Wort über das oben schon genannte 
Netz auf der Schuppenoberfläche. Dasselbe besteht — ieh will dies 
noch einmal ausdrücklich hervorheben — nicht etwa aus einer 
besonderen Substanz, sondern ist das Resultat folgender zweier 
Umstände. Erstens fehlen daselbst die Cementbänder und Zähne 
vollkommen und zweitens erleiden hier die sonst regelmässig al- 
ternirenden Bindegewebsschichten eine Verwerfung, durchflechten 
sich unregelmässig und erzeugen Spalträume. Dadureh wird die 
ganze Schuppenreihe gewissermassen in seeundäre Schuppen oder 


1) Sie sind bei Z. paradoxa viel enger, d. h. die Zahnsockel rücken 
hier näher zusammen. 


128 R. Wiedersheim: 


Felder zerlegt, wovon jedes durch Conerescenz zahlreicher Zahn- 
sockel auf seiner Dorsalfläche einen gefensterten, zahntragenden 
Knochenmantel erzeugt. 


B. Vergleichender Theil. 


Die Hertwig’schen Untersuchungen über das Hautskelet der 
Fische haben gezeigt, dass die Haifische und in gewissem Sinne 
auch noch manche Ganoiden ein primitiveres Verhalten darstellen 
als die Panzerwelse und auch als Polypterus. Während nämlich 
in der über und über bezahnten Haut der Selachier, sowie in der 
Bauchhaut der Acipenseriden und Lepidosteus jedes Zähnchen mit 
seiner Basalplatte oder seinem Sockel getrennt von seinen Nach- 
barn der Haut aufsitzt, sind die Zahnsockel an anderen Körper- 
stellen bei Acipenser ruthenus und Lepidosteus zu mächtigen Kno- 
chenplatten zusammengeflossen, ein Verhalten, das sich über den 
ganzen Körper erstreckt bei gewissen Siluroiden, wie z. B. bei 
Hypostoma. Es liegt auf derHand, dass die letzterwähnte 
Entwieklungsstufe nicht plötzlich und sprungweise er- 
reicht worden ist, sondern dass ein früheres Stadium an- 
genommen werden muss, wo die Conerescenz der Basal- 
platten vorerst nurangebahnt gewesen sein konnte. Eine 
solche Entwieklungsstufe kannte man bisher nicht, ich 
glaube sie aber in den Schuppen von Protopterus aufge- 
funden zu haben, so dass dadurch eine fühlbare Lücke 
zwischen dem Hautskelet der Selachier einer- sowie 
der Ganoiden und Panzerwelse andrerseits ausgefüllt 
wird. Dass sich das Hautskelet von Protopterus schon etwas 
näher an das der Ganoiden anschliesst, dafür sprechen meiner 
Ansicht nach zwei Punkte, die man wohl im Auge behalten muss. 
Einmal kommen auck bei Acipenseriden schon die ersten Spuren 
einer allmälig vor sich gehenden Assimilation mehrerer Basalplätt- 
chen zu einer grösseren Platte vor, obgleich die einbezogene Zahl 
von Zähnen entfernt nicht diejenige erreicht, wie sie uns auf 
jedem Schuppenfeld von Protopterus entgegentritt. Eine zweite 
Begründung der oben geäusserten Ansicht erblieke ich in der hi- 
stologischen Uebereinstimmung, insofern den Acipenseriden wenig- 
stens so gut wie Protopterus die Pulpahöhle, der Schmelz und 
die Dentinröhrehen in den Hautzähnen fehlen. Dadurch stehen 


Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. 129 


sie im Gegensatz sowohl zu den Selachiern als zu den Panzer- 
welsen, welche beide hierin das ursprünglichere Verhalten bewahrt 
und nicht wie jene secundäre Umänderungen erlitten haben. 

Die Schuppen von Ceratodus geben, nach der Darstellung 
Günther’s zu schliessen, insofern ein höchst interessantes Ver- 
gleichungsobject mit Protopterus ab, als dort die central lie- 
senden Maschen in der Cementsubstanz bis auf minimale, die 
Zahnbasis umgebende Löcher reducirt sind, während sie auf den 
Seitenpartieen der Schuppe noch weiter offen sind, wenn auch lange 
nicht mehr in dem Grade, wie bei Protopterus'). Somit sind 
hier auf einer und derselben Schuppe zwei verschiedene Entwick- 
lungsstufen repräsentirt, welche sich an diejenige der Schuppe 
von Protopterus und L. paradoxa unmittelbar anreihen und 
zu den grösseren Knochenschildern der Ganoiden und Panzer- 
welse hinüberleiten. 

Das Hautskelet von Protopterus zeigt somit ein primiti- 
veres Verhalten als dasjenige von Ceratodus und L. paradoxa 
und es erwächst uns ein neuer Beweis dafür, dass gewisse Or- 
gansysteme eine ganz eigenartige Entwicklung nehmen, dass die 
einen zurückbleiben, während andere weiter fortschreiten oder 
sich sogar, wie die Extremitäten, bereits wieder rückbilden 
können. 


Erklärung der Tafel V. 


Fig. 1. Die Schuppen in ihrem gegenseitigen Deckungsverhältniss. Halb- 
schematisch. Der Pfeil deutet die Richtung des Schwanzes an. 

Fig. 2. Schnitt durch die Haut, um die Schuppentaschen mit den inliegen- 
den Schuppen zu zeigen. Hartnack V, 1. 

Fig. 3. Eine isolirte Schuppe von ihrer Oberfläche gesehen. Hartnack: ], 1. 

Fig. 4 Längsschnitt durch eine Schuppe. Hartnack: VI, I. 

Fig. 5. Einige Schuppenfelder mit dem aufliegenden Zahn-Cementnetz. Die 
Zähne selbst sind nur im mittleren Feld vorgezeichnet. Hartnack: V, 1. 

Fig. 6. Ein Abschnitt aus dem isolirten Zahn-Cementnetz mit den aufsitzen- 
den Zähnen. Hartnack: VIII, I. 

Fig. 7. Ein Stück aus dem Längsdurchschnitt einer Schuppe. Hartnack: 
IVERE, TUT. 


Ueber die näheren Bezeichnungen vergleiche den Text. 


1) Ceratodus schliesst sich somit hierin direkt an L. paradoxa an. 


Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 9 


130 E. Neumann: 


Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf 
die Entzündungslehre. 


Von 
Prof. E,. Neumann in Königsberg i. Pr. 


Hierzu Tafel VI. 


E. Schwarz!) empfahl zuerst behufs einer Doppelfärbung 
mikroskopischer Objekte die combinirte Anwendung des Carmin 
und der Pierinsäure und bald darauf führte Ranvier?) das beide 
Farbstoffe in sich vereinigende pierocarminsaure Ammoniak (ge- 
wöhnlich schlechtweg als Pierocarmin bezeichnet) in die histolo- 
gische Technik ein. Seitdem erfreut sich diese Färbungsmethode 
bei den Mikroskopikern einer grossen Beliebtheit und namentlich 
französische Histologen machen, wie die mit zahlreichen schönen 
gelb und roth kolorirten Tafeln geschmückten Bände der Archives 
de physiologie von Brown-Sequard, Chareceot und Vulpian 
zeigen, eine sehr ausgedehnte Anwendung von derselben. Die 
Gesetze, welche das verschiedene Verhalten der einzelnen Gewebs- 
bestandtheile bei dieser Behandlungsweise und ihre Auswahl unter- 
den beiden, ihnen gleichzeitig dargebotenen Farbstoffen bestimmen, 
sind jedoch bisher nur unvollkommen erforscht und die hierüber 
vorliegenden Angaben sind nicht ganz widerspruchsfrei. Die von 
den Autoren gegebenen Beschreibungen und Abbildungen piero- 
carmin-gefärbter Präparate lassen gewisse Verschiedenheiten der 
Farbenvertheilung erkennen, ohne dass die Ursache dieser Differenz 
aus abweichenden Anwendungsmethoden ersichtlich wäre und man- 
cher Beobachter dürfte, wie es auch mir anfänglich erging, die 
Erfahrung gemacht haben, dass das Resultat der Färbung von 
mancherlei Einflüssen abhängt, welche er nicht zu beherrschen im 


1) E. Schwarz über eine Methode der doppelten Färbung mikrosko- 
pischer Objekte. Wiener Akad. Sitzungsberichte Bd. 55 p. 671. 1867. 

2) Ranvier, Archives de physiologie 1868, p. 319; 1871—72 p. 131 
und 775. 


Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 131 


Stande ist, wie denn noch kürzlich Weigert!) gelegentlich seiner 
Empfehlung des Bismarckbraun gegen das Pierocarmin in gleicher 
Weise wie gegen das einfache Carmin den Vorwurf der Unzuver- 
lässigkeit erhoben hat. Unter diesen Umständen glaube ich eine, 
seit 2-3 Jahren im hiesigen Pathologischen Institut vielfach be- 
nutzte, modifizirte Methode der Pierocarminfärbung den Fachgenossen 
empfehlen zu dürfen, von welcher ich eine prompte und constante 
Wirkung rühmen kann und die eine sehr charakteristische Farben- 
differenzirung der Gewebselemente liefert. Ich bin durch eine 
sehr naheliegende Kombination auf dieselbe gekommen und möchte 
glauben, dass auch andere Untersucher bereits denselben Weg ein- 
geschlagen; zu allgemeinerer Verwendung dürfte sie jedenfalls 
bisher nicht gelangt sein, und selbst in Ranvier’s Traite technique 
d’histologie finde ich keine darauf bezügliche Angabe ?). 

Die Methode schliesst sich an das von Schweigger-Seidel°) 
für die Herstellung einfacher Carminfärbungen angegebene Ver- 
fahren an und besteht im Wesentlichen darin, dass die mikrosko- 
pischen Schnitte, nachdem sie in der Lösung des Ranvier’schen 
Farbstoffes eine mehr oder weniger gesättigte orangenrothe Fär- 
bung angenommen haben, der Einwirkung einer Mischung von 
Salzsäure und Glycerin ausgesetzt werden. Man kann hierzu 
das von Schweigger-Seidel angegebene Mischungsverhältniss 
(1 Thl. Säure auf 200 Thl. Glycerin) benutzen, doch braucht man 
sich keineswegs an dasselbe zu binden und kann sich mit der 
Vorsehrift begnügen, dass man auf einige Cubikcentimeter Glycerin 
1 bis 2 Tropfen Salzsäure nimmt, da ein etwas grösserer oder 
geringerer Säuregehalt des Glycerins nur auf die Schnelligkeit 
der Wirkung von Einfluss ist, ohne dieselbe übrigens zu ändern; 
von Wichtigkeit ist nur, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, in 


1) Weigert, Archiv für mikrosk. Anatomie, XV, p. 258, sowie auch 
Virchow’s Archiv, Bd. 72 p. 223. 

2) Es sei denn, dass Ranvier mit den Worten „quelle que soit la 
liqueur carminde,. que l’on emploie, il est n@cessaire, pour avoir une belle 
election, de conserver les pi6ces dans le baume ou dans un milieu acide“ 
(p- 100) das Princip der nachträglichen Säurebehandlung auch für die Picro- 
carminfärbung aussprechen wollte. Bei Besprechung der letzteren bemerkt 
er Nichts darüber. 

3) Vergl. Cyon über die Nerven der Peritoneum, Arbeiten aus dem 
physiolog. Institut in Leipzig, herausgegeben von Ludwig, 1868. 


132 E. Neumann: 


welchem die Säurewirkung abgebrochen und das Präparat in reines 
Glycerin übertragen wird. Am leichtesten geschieht dies, wenn man 
die Wirkung in einem auf den Objektträger gebrachten Tropfen 
der Säuremischung vor sich gehen lässt und den Effekt von Zeit 
zu Zeit unter dem Mikroskop beobachtet. Derselbe ist dann voll- 
endet, wenn die frühere diffuse Carminfärbung sich, wie bei dem 
Schweigger-Seidel’schen Verfahren, auf die Zellkerne konzen- 
trirt hat und aus den übrigen Gewebstheilen fast vollständig ver- 
schwunden ist. Hierzu reicht bei schwächer gefärbten Präparaten 
und kräftiger Säurewirkung unter Umständen !/s bis 1 Stunde aus, 
während man intensiv tingirte Schnitte der Einwirkung einer schwa- 
chen Säuremischung ohne Gefahr 24 Stunden und länger überlassen 
kann. Die Anwendbarkeit der Methode erstreckt sich ebensowohl 
auf Alkoholpräparate, als auf solche, die in Chromsäure oder 
Müller’scher Flüssigkeit gelegen haben, doch habe ich bei den 
ersteren die besten Resultate gewonnen. Was die Conservirung 
der so hergestellten Präparate betrifft, so ist mir eine Uebertragung 
derselben in Canada-Balsam nur selten in gewünschter Weise ge- 
lungen; meistens geht dabei aus ihnen das Gelb ziemlich voll- 
ständig verloren. Dagegen halten sie sich in Glycerin von einem 
Lackrahmen umgeben, lange Zeit sehr gut, namentlich wenn für 
vollständige Entfernung der Säure gesorgt ist, wenn auch aller- 
dings nach Verlauf von Monaten die ursprüngliche Farbenschönheit 
schwindet und die markirte Farbendifferenzirung unter Auftreten 
unreiner Farbentöne sich etwas verwischt. 

Der wesentlichste Vorzug der auf die beschriebene Weise 
angewandten Picrocarminfärbung besteht nun gegenüber der 
Schweigger-Seidel’schen einfachen Carminfärbung darin, dass 
sie, abgesehen von den schön roth gefärbten Zellkernen, die übrigen 
Gewebsbestandtheile, welche bei letzterer gleichmässig entfärbt er- 
scheinen, in 2 scharf gesonderte Gruppen scheidet: in solche, die 
eine saturirte, zitronengelbe Picrinfarbe annehmen und in solche, 
die ganz farblos sind oder doch wenigstens nur einen ganz blassen 
röthlichen oder gelblichen Farbenschimmer darbieten. Zu der 
ersteren Gruppe gehören alle aus Proteinsubstanzen bestehenden 
Gewebstheile: das körnige Zellprotoplasma, die kontraktile Substanz 
der glatten und quergestreiften Muskelfasern, das Blutfibrin (in 
Thromben und dgl.), das Schilddrüsen-Colloid, die Amyloid-Substanz 
und das sog. „käsige‘“ Material; ihnen schliesst sich an die Horn- 


Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 133 


substanz der Epidermis, Haare und Nägel, sowie die Grund- 
substanz des Knorpels. Die zweite Gruppe wird gebildet durch 
die Interzellularsubstanz des fibrillären Bindegewebes inclusive 
elastische Fasern, die Knochengrundsubstanz, die mucinöse Substanz 
des Schleimgewebes und der Schleimzellen, Fett. 

Am auffallendsten tritt diese Differenzirung in entschieden 
gelbe und in mehr oder weniger vollständig entfärbte Theile 
übrigens an solchen Präparaten hervor, die durch eine vorange- 
sangene energische Pierocarminbehandlung in Folge einer über- 
wiegenden Aufnahme des Carmins in allen Theilen eine 
gleichmässig dunkelrothe Farbe angenommen hatten; unter der 
Einwirkung der Säure sieht man alsdann, indem der rothe Farb- 
stoff sich auf die Zellkerne zurückzieht, aus den Gebilden der 
letzterwähnten Kategorie die rothe Färbung einfach verschwinden, 
während in den der ersteren Gruppe angehörigen Theilen dagegen 
eine gelbe Farbe an Stelle der rothen tritt; so erscheinen z. B. 
häufig die Muskelfasern vor der Säurebehandlung von dunkel- 
rother Carminfarbe, nach derselben gelb und dasselbe gilt vom 
Faserstoff und den übrigen oben genannten Massen. Anders bei 
schwächerer Tinktion mit der Picrocarminlösung; hier erscheint 
noch bevor die Säure angewandt wird, die Substanz der Muskel- 
faser gelb gefärbt im Gegensatz zu dem Bindegewebe, welches 
diffus roth ist, und die Säurewirkung beschränkt sich alsdann 
lediglich auf eine Entfärbung des letztern und eine Uebertragung 
des Carmin auf die Zellkerne. 

Schliesslich sei bemerkt, dass auch die der Anfertigung der 
Schnitte vorausgegangene Behandlung der Präparate nicht ohne 
Einfluss auf die beschriebene Reaktion ist; so möchte ich z. B. 
hervorheben, dass, worauf mich Herr Dr. Baumgarten aufmerksam 
machte, aus Präparaten, welche in Müller’scher Flüssigkeit und 
Alkohol erhärtet worden, das Carmin durch die Säure schwerer 
sich extrahiren lässt und viel fester haftet als nach einfacher 
Alkoholhärtung. 


Da Empfehlungen neuer histologischer Untersuchungsmetho- 
den bei dem grossen Angebot, welches in dieser Beziehung zur 
Zeit besteht, nur zu leicht mit einigem Misstrauen aufgenommen 
werden und Gefahr laufen, keine Beachtung zu finden, wenn von 


134 E. Neumann: 


dem Empfehlenden nicht zugleich durch ein Beispiel der Nachweis 
geliefert wird, dass auf dem neuen Wege Resultate erzielt werden 
können, zu welchen die bereits üblichen Hülfsmittel nicht aus- 
reichen, oder die aus denselben doch wenigstens nur unsicherer 
und schwieriger gewonnen werden können, so sei es mir gestattet, 
im Anschlusse an das Obige, hier einige Beobachtungen mitzu- 
theilen, die mir besonders geeignet erscheinen, die Vorzüge der 
Methode erkennen zu lassen. Dieselben betreffen ein eigen- 
thümlich verändertes Verhalten der Grundsubstanz des 
Bindegewebes bei entzündlichen und verwandten Pro- 
zessen, welches durch die angegebene Picrocarminfärbung in sehr 
markirter Weise hervortritt, an ungefärbten und auch, soweit meine 
Erfahrungen mit den sonst gebräuchlichen Farbstoffen reichen, 
an anders gefärbten Präparaten dagegen sehr leicht übersehen wird, 
sodass es trotz der Häufigkeit seines Vorkommens und seiner un- 
zweifelhaft wichtigen Bedeutung für die bei jenen Prozessen auf- 
tretenden makroskopischen Veränderungen von den pathologischen 
Histologen bisher nicht genügend gewürdigt worden ist. 

Während das Verhalten der zelligen Elemente des Binde- 
gewebes bekanntlich seit einer Reihe von Jahren im Vordergrunde 
der Tagesfragen steht, müssen wir auf ältere Zeiten zurückgehen, 
um zu erfahren, dass auch mit der fibrillären Grundsubstanz des- 
selben bei der Entzündung Veränderungen vor sich gehen und wir 
finden hier insbesondere Angaben über eine „fibrinöse‘“ Umwand- 
lung derselben, durch welche unter Umständen eine so grosse 
Faserstoffähnlichkeit des Bindegewebes entstehen soll, dass eine 
Unterscheidung desselben vom wirklichen Blut- oder Exsudat- 
fibrin schwierig wird. Ich erinnere hier an die von Rokitansky!), 
Virchow?) und Buhl?) gegebene Darstellung von der Entzündung 
der serösen Häute. 

Rokitansky wies zuerst darauf hin, dass man bei letzteren 
das auftretende Faserstoffexsudat wohl zu sondern habe von einer 
unter demselben befindlichen eigenthümlich veränderten Gewebs- 
schicht, welche „die faserige Textur verloren und eine hyaline 


1) Rokitansky, Lehrbuch d. pathol. Anatomie. 3. Aufl. 1855. Bd. I, 
pag. 148. 

2) Virchow, Gesammelte Abhandlungen, 1856, pag. 136. 

3) Buhl, über das Faserstoffexsudet. Sitzungsberichte der Kgl. Bayer. 
Akademie der Wissenschaften, 1863, Bd. II, pag. 59. 


Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 135 


gallertige Beschaffenheit angenommen habe“, er lässt dieselbe aus 
dem normalen Gewebe der serösen Haut durch eine Gewebsvege- 
tation entstehen, welche „in Form eines zartvillösen Anfluges, 
papillenartiger Granulationen, leistenartiger verzweigter, anasto- 
mosirender Fältchen hervorspriesst“ und sich zu einer einfachen 
oder durehbrochenen (areolirten) Lamelle oder einem Maschenwerk 
gestaltet, aus dem wieder Zotten, Papillen und Leisten hervorgehen. 
Virchow, der bekanntlich die Lehre aufstellte, dass eine fibrinöse 
Exsudation aus dem Blute bei der Entzündung nicht stattfände, 
vielmehr aller dabei auftretender Faserstoff Produkt eines chemischen 
Umsatzes in den Geweben sei, spricht sehr bestimmt von einer Ent- 
stehung fibrinöser Massen aus dem Bindegewebe und giebt folgende 
Beschreibung von den sogenannten fibrinösen Entzündungen der 
serösen Häute, „die trockene rauhe, schon für das blosse Auge 
und das Gefühl unebene, matt aussehende Fibrinschicht hängt mit 
dem Gewebe sehr dicht zusammen und es ist zuweilen hier ebenso 
schwierig, wie bei den diphtheritischen Exsudaten der Schleimhäute, 
eine Grenze zwischen dem Exsudat und dem Gewebe zu sehen; 
eines geht in das andere über und man kann nicht selten das Ex- 
sudat so kontinuirlich mit dem Bindegewebe zusammenhängen 
sehen, dass es vollständig den Eindruck macht, als sei das Ex- 
sudat eben nur umgewandelte Interzellularsubstanz des 
Bindegewebes. Dieses wird gewöhnlich so homogen, es ver- 
liert sein fibrilläres Aussehen so vollständig, dass man es mit 
Hornhaut oder irgend einem anderen faserknorpeligen Theile ver- 
gleichen kann; auch tritt as Exsudat nicht gleichmässig hervor, 
sondern sehr häufig, wie Rokitansky sehr gut beschrieben hat, 
in allerlei areolären, netzförmigen und maschigen Figuren.“ Hier- 
mit in Uebereinstimmung erklärte auch bei späterer Gelegenheit !) 
Virchow, dass die fibrinösen Exsudate „zum 'Fheil nichts weiter 
als umgewandeltes, aufgequollenes Gewebe selbst seien.“ Aehnlich 
ist der Standpunkt Buhl’s; indem er freilich das Vorkommen 
einer echten fibrinösen Transsudation aus dem Blute bei der Ent- 
zündung nicht in Abrede stellt, betont er doch auch, dass die sogen. 
fibrinösen „Pseudomembranen“ seröser Häute, welche „blasse milch- 
weisse oder gelbweisse, oder gelbröthliche, durchscheinende oder 


1) Virchow, zur neueren Geschichte der Eiterlehre. Archiv XV, 
pag. 533, 1858. 


136 E. Neumann: 


undurchsiehtige, kohärente oder brüchige, lamellös geschichtete, mit 
zottiger oder netzartiger Oberfläche versehene, von der serösen 
Haut mehr oder weniger leicht abziehbare oder abschabbare Mas- 
sen‘ darstelle, keine Faserstoffexsudate seien, sondern von vorn- 
herein die Bedeutung einer eigenthümlich gearteten Gewebsschicht 
haben; er bezeichnet dieselbe als „Faserstoffähnliche embryonale 
Bindegewebswucherung‘ oder als „desuciden Faserstoff“ und führt 
als Beweis für seine Ansicht an, dass man an dieser fälschlich 
für aufgelagertes Exsudat gehaltenen Pseudomembran nicht nur 
öfters eine Epithelbedeeckung wahrnehmen könne, sondern dass 
dieselbe auch bis in ihre äussersten Schichten hinein deutlich 
das Gepräge einer geweblichen Organisation zeige; während die 
tieferen Lagen gefäss- und zellenreich seien, scheinen die oberen 
allerdings bei oberflächlicher Betrachtung amorph und strueturlos 
zu sein, lassen jedoch „in der areolären, gleichsam spongiösen 
Masse, den diekwulstigen gallertigen Netzen und zottigen warzigen 
Erhebungen zweifellos roth imbibirte Zellkerne erkennen, welche 
in grossen Distanzen durch eine reichliche Interzellularsubstanz 
auseinandergedrängt sind“; auch findet zwischen tiefer und ober- 
flächlich gelegener Schicht der Pseudomembran ein ganz allmähliger 
Uebergang und keine scharfe Abgrenzung statt. 

Wie wenig diese von den genannten Forschern ausge- 
sprochenen Ansichten gegenüber der alten bequemen Lehre 
von den fibrinösen Exsudaten Eingang gefunden haben, er- 
sieht man leicht aus einer Durchsicht der neueren Handbücher 
der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie; aber 
es muss hervorgehoben werden, dass selbst Autoren, welche 
durch eigene speziell darauf gerichtete Untersuchung sich 
Einsicht in die fraglichen Verhältnisse zu verschaffen gesucht 
haben, zu dem Resultate gelangt sind, dass die alte Lehre die 
richtige sei. So konnte z. B.E. Wagner!) Virehow’s und Buhl’s 
Angaben nicht bestätigen, glaubt vielmehr daran festhalten zu 
missen, dass der an der Oberfläche der entzündeten Pleura auftre- 
tende Faserstoff aus den hyperaemischen Gefässen abstamme und 
auch Weigert?), der in neuester Zeit die pathologische Faserstoff- 

1) E. Wagner, Beiträge zur pathologischen Anatomie der Pleura, 
Archiv für Heilkunde, XI, p. 43. 


2) Weigert, über Croup und Diphtheritis. Virchow’s Archiv, 72, 
Separatabdruck p. 40. 


Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 137 


bildung erörtert hat, scheint geneigt für die serösen Häute eine 
Betheiligung der Substanz des Bindegewebes an derselben in Ab- 
rede zu stellen. 

Hiernach kann man noch gegenwärtig mit demselben Rechte, 
wie es vor nunmehr 16 Jahren Buhl that, sagen, dass „eine Klar- 
heit und Einstimmigkeit über diesen wichtigen Punkt des Entzün- 
dungsprocesses nicht existirt und dass es vor der Hand Jedem 
überlassen bleibt, sich je nach den persönlichen Neigungen der 
einen oder anderen Meinung anzuschliessen“. Auch hier kann, wie 
in so vielen andern Fragen, ein Fortschritt nur von einer Vervoll- 
kommnung der Untersuchungsmethode erwartet werden und es 
scheint mir nach meinen Erfahrungen nicht zweifelhaft, dass die 
Anwendung der oben beschriebenen Picrocarminbehandlung in 
dieser Hinsicht grosse Vortheile darbietet. Dieselbe lässt nämlich 
durch den eintretenden Farbeneffekt unmittelbar erkennen, dass 
im Verlaufe vieler entzündlicher Prozesse eine mit Auf- 
quellung und Homogenisirung verbundene chemische Ver- 
änderung der Interzellularsubstanz des Bindegewebes 
erfolgt, welehe dieselbe einer Faserstoffmasse ähnlich 
macht; die Veränderung giebt sich kund durch eine intensiv gelbe 
Farbe, welche das Pierocarmin erzeugt; der Gegensatz zu dem fast 
farblosen Aussehen der unveränderten Umgebung ist kaum weniger 
markirt, als die Farbendifferenz zwischen amyloiden und nicht 
amyloiden Theilen bei Behandlung pathologischer Präparate mit 
den bekannten Reagentien und ebenso, wie es mit Hülfe der letz- 
teren möglich ist, die ersten Spuren einer beginnenden Amyloid- 
degeneration aufzufinden, gestattet die Picrocarminfärbung die 
Verfolgung der in Rede stehenden Veränderung bis zu ihrem ersten 
Debut. Da nun dieses veränderte Verhalten der bindegewebigen 
Grundsubstanz gegen Pierocarmin zusammentrifft mit der Ausbil- 
dung einer auch makroskopisch auffälligen Faserstoffähnlichkeit 
und da ferner in solehen Fällen auch anderen mikrochemischen 
Reagentien (Essigsäure, Kalilösung, Salpetersäure, wässrige Jod- 
Jodkaliumlösung) gegenüber die veränderten Theile des Gewebes 
das Verhalten einer Proteinsubstanz darbieten, so dürfte sich gegen 
die Aufstellung einer „fibrinoiden Degeneration‘ des Binde- 
gewebes und gegen die Bezeichnung der aus ihr hervorgehenden 
Masse als „fibrinoide Substanz‘ oder „desmoider Faser- 
stoff“ (Buhl) kaum etwas einwenden lassen. Der von Buhl 


138 E. Neumann: 


vorgeschlagene Name „faserstoffähnliche Bindegewebswucherung“ 
erscheint mir insofern unpassend, als ich den Prozess als einen 
einfach passiven, degenerativen auffasse und ihn in nahe Beziehung 
bringen möchte zu dem neuerdings. von Cohnheim und Weigert 
formulirten Begriff der „Coagulatinsneerose“, wenn ich auch die 
Möglichkeit einer Rückkehr des degenerirten Gewebes in den 
normalen Zustand nicht unbedingt in Abrede stellen will. 

Was die Verbreitung des Prozesses betrifft, so muss ich die- 
selbe für eine sehr grosse halten; meine bisherigen Beobachtungen 
erstrecken sich vorzugsweise auf die serösen Häute, die Gefäss- 
wandungen und die Synovialmembranen. 


1. Seröse Häute. 


Ein sehr günstiges Objekt für das Studium der fibrinoiden 
Umwandlung des Bindegewebes liefern gewisse Formen subacuter 
Entzündung, wie sie z. B. nicht selten an der Oberfläche 
tubereulöser Lungen gefunden werden. An Stellen, wo frische 
käsige Knoten oder Kavernen nahe an die Pleura heranreichen, 
erscheint dieselbe in solehen Fällen in bekannter Weise abgesehen 
von einer meist nur unbedeutenden hyperplastischen Verdiekung, 
mit einer dünnen, festhaftenden meistens etwas durchscheinenden, 
fast gallertigen, oft aber auch mehr oder weniger opaken, gelb- 
liehweissen Schicht überdeckt, welche ebensowohl durch ihre ge- 
ringe Kohärenz und ihre bei dem Versuche der Ablösung mit der 
Pinzette sich erweisende Brüchigkeit als durch das sehr unregel- 
mässige Relief ihrer mit Zotten, Fäden und leistenförmigen Riffen 
besetzten Oberfläche ihre Zugehörigkeit zu dem Pleuragewebe 
zweifelhaft macht und vielmehr die Annahme eines erstarrten 
Faserstoffexsudats zu rechtfertigen scheint. Noch mehr wird man 
zu letzterer Annahme hingedrängt, wenn man sieht, wie diese 
Schieht an den Lungenrändern sich zu einer beträchtlichen Höhe 
erhebt, sodass dieselben von einem, oft mehrere Linien breiten 
Bande mit zackigem oder zottigem Rande eingesäumt erscheinen. 
Die mikroskopische Untersuchung abgelöster Fetzen dieser Massen 
ergibt keine sicheren Aufschlüsse über die Natur derselben, es 
lässt sich durch dieselbe nur konstatiren, dass es sich hier im 
Gegensatz zu den Produkten einer eitrigfibrinösen Pleuritis, welche 


Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 139 


eine dichte Anhäufung von Eiterzellen in einem Netze feiner Fi- 
brinfäden darbieten, um eine zell- und kernarme Substanz handelt, 
deren wesentlichster Bestandtheil unregelmässig verschlungene 
oder mit einer gewissen Regelmässigkeit netzförmig verbundene 
breite Bänder darstellen, welche theils homogen theils feinstreifig 
erscheinen und durch ihren Glanz an das Verhalten amyloider 
Massen erinnern. Macht man Durchschnitte durch die gehärteten 
Theile, so hat es bei Anwendung der beschriebenen Pierocarmin- 
färbung keine Schwierigkeit, sich zu überzeugen, dass ein allmäh- 
liger Uebergang zwischen dem Gewebe der Pleura und den schein- 
bar ganz heterogenen, den Eindruck einer Auflagerung machen- 
den Schicht stattfindet. Die Figuren 1 und 2, welche ich nach 
derartigen Präparaten habe anfertigen lassen, veranschaulichen die 
vorliegenden Verhältnisse annähernd getreu. In Fig. 1, welche 
einen senkrechten Durchschnitt durch eine mit faserstoffähnlicher 
Auflagerung bedeckte Pleura und das anstossende Lungengewebe 
darstellt, sieht man bei a und b die Pseudomembran sich als ein 
fast gleichmässig breites gelbes Band darstellen, unter welchem 
das Pleuragewebe einen ungefähr gleich breiten röthlichen Streifen 
bildet; letztere bildet bei e (welche Stelle einem scharfen Lungen- 
rande entsprieht) einen stumpfen Winkel und über diesen erhebt 
sich bei d eine pilzförmige Masse, welche, obwohl sie makroskopisch 
ganz den Eindruck eines verdiekten Theils der aufgelagerten 
Pseudomembran macht, im mikroskopischen Bilde deutlich durch 
die bunte Vermischung der beiden differenten Farben eine Zusam- 
mensetzung aus bindegewebigen und faserstoffähnlichen Theilen 
erkennen lässt; letztere bilden an der Oberfläche eine kontinuir- 
liche Schicht, an welche sich nach der Tiefe zu in abnehmender 
Mächtigkeit gelbgefärbte Einlagerungen in das röthliche Bindege- 
webe anschliessen. In Fig. 2 ist ein Abschnitt dieser pilzförmigen 
Masse bei stärkerer Vergrösserung gezeichnet und lässt die Ver- 
theilung der fibrinoiden Substanz in dem pleuralen Bindegewebe 
deutlich erkennen. Sie bildet innerhalb derselben gelbe, meistens 
etwas geschlängelte Bänder und gelbe 'Inseln, welche letztere 
Querschnitten der ersteren entsprechen. Diese gelben Bänder, wel- 
che sich meistens durch ihr homogenes, glasiges Aussehen aus- 
zeichnen, an denen indessen bisweilen auch noch eine feinstreifige 
Zeichnung angedeutet ist, sind in ihrer Substanz frei von zelligen 
Elementen, welche sich in dem zwischenliegenden Gewebe in 


140 E. Neumann: 


reichlicher Anzahl vorfinden (in der Figur als rothe Pünktchen 
angedeutet), sind jedoch an ihren Rändern häufig von denselben 
eingesäumt und nach der Oberfläche hin, wo sie sich dicht zusam- 
mendrängen und nur schmale Interstitien zwischen ihnen übrig 
bleiben, nimmt demnach auch der Zellenreichthum mehr und 
mehr ab. Eine die Oberfläche selbst bekleidende Schicht endo- 
thelialer Zellen habe ich nur ausnahmsweise an einzelnen Stellen 
zu Gesicht bekommen. 

Die Deutung dieser gelben Bänder als eigenthümlich degene- 
rirter Bindegewebsbündel kann nicht bezweifelt werden, ebenso- 
wenig dass dieser Degenerationsprocess ein auf dem Boden einer 
Entzündung neugebildetes, junges Bindegewebe betroffen hat, denn 
die Grenze des alten Pleuragewebes, welche durch die elastischen 
Faserzüge (eee Fig. 1) gekennzeichnet wird, geht unter den dege- 
nerirten Theilen hinweg. Doch will ich hier ausdrücklich einer 
anderen Auffassung begegnen, welche geltend gemacht werden 
könnte. Könnte hier nicht ursprünglich ein einfaches „Faserstoff- 
exsudat“ an der Oberfläche der Pleura bestanden haben, in wel- 
ches erst späterhin ein junges Bindegewebe hineingewachsen? Lie- 
gen also nieht etwa ähnliche Verhältnisse vor, wie bei der soge- 
nannten „Organisation“ eines Blutgefässtrombus? Ohne in Abrede 
stellen zu wollen, dass Faserstoffexsudate in demselben Sinne, wie 
Blutgerinnsel, sich organisiren können, d. h. dass sich ihnen ein aus 
den umgebenden Theilen hervorwachsendes Bindegewebe substi- 
tuiren kann, muss ich für die in Rede stehenden Fälle eine solche 
Auffassung zurückweisen. Der wellig geschlängelte Verlauf der 
gelben faserstoffähnlichen Bänder, die in ihnen bisweilen noch 
sichtbare fibrilläre Streifung und vor Allem ihre bestimmte Bezie- 
hung zu den zelligen Elementen des Bindegewebes, welche sich zu 
ihnen in derselben Weise verhalten, wie zu gewöhnlichen Fibrillen- 
bündeln (wie es namentlich deutlich an solehen Schnitten hervortritt, 
welche nebeneinander liegende Bindegewebsbündel und Faserstoff- 
bänder im Querschnitt zeigen, beide gemeinsam umsponnen von den 
bekannten netzförmigen Figuren der Bindegewebszellen) schliessen 
den Gedanken, dass die Faserstoffmassen die zurückgebliebenen 
Ueberreste eines amorphen Exsudates seien, vollständig aus und 
zwingen vielmehr dazu, ihren Ursprung auf ein gesetzmässig orga- 
nisirtes Gewebe zurückzuführen. Unentschieden muss dabei frei- 
lich bleiben, ob es sich um eine wirkliche Umwandlung colla- 


Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 141 


gener Substanz in Fibrin oder einen fibrinähnlichen Körper oder 
um eine blosse Infiltration des Bindegewebes mit einer gerin- 
nenden Proteinsubstanz handelt. 

Uebereinstimmende Bilder habe ich in solchen Fällen von 
Pericarditis erhalten, bei welcher von der Oberfläche bereits eine 
junge Bindegewebseffloreszenz ausgegangen war, was auch bei 
den klinisch „akut“ verlaufenden Erkrankungen sicher im Laufe 
von wenigen Tagen zu Stande kommt. Mit der angegebenen Fär- 
bungsmethode lässt sich hier sehr leicht die Richtigkeit der An- 
gabe Buhl’s (l. ce.) konstatiren, dass das dem Pericardium aufge- 
lagerte zell- und gefässreiche neugebildete Bindegewebe ohne be- 
stimmte Grenze in eine Schicht übergeht, welche mikroskopisch 
den Eindruck eines amorphen Faserstoffexsudates macht, während 
man mikroskopisch regelmässig angeordnete Zellkerne in ihr findet, 
welche durch eine reichliche, gequollene Interzellularsubstanz aus- 
einandergedrängt sind. Die Bedeutung dieser letzteren, durch 
Pierocarmin gelb gefärbten Schicht ergiebt sich am deutlichsten 
in der Uebergangszone; hier sieht man dieselbe sich entwickeln 
aus anfänglich zerstreuten, nach der Oberfläche hin an Zahl zu- 
nehmenden, aus Bindegewebsbündeln hervorgehenden gelben Bän- 
dern, welche in das noch übrigens unveränderte Gewebe einge- 
lagert sind. An der Oberfläche erhebt sie sich zu zottigen Wül- 
sten, an welchen Buhl einen deutlichen Endothelbelag beobachtet 
hat, was mir leider nicht geglückt ist. 

Ob bei akuten Entzündungen der serösen Häute, welche 
ohne jede Bindegewebsproduktion an der Oberfläche verlaufen, 
ebenfalls eine fibrinoide Entartung des Gewebes zur Bildung der 
Pseudomembranen beiträgt oder ob letztere lediglich aus aufge- 
lagertem fibrinösem Exsudat besteht, habe ich nicht entscheiden 
können. Bei der eroupöse Pneumonien begleitenden fibri- 
nösen Pleuritis, sowie bei akuten purulenten puerperalen 
Peritonitiden habe ich allerdings wiederholt den Eindruck 
gehabt, als wenn die untersten Schichten der Pseudomembran aus 
den faserstoffähnlich umgewandelten obersten (oberhalb der elasti- 
schen Faserzüge gelegenen) Schichten der Serose gebildet würden. 


2. Gefässintima und Endocardium. 


Auch hier scheinen vorzugsweise entzündliche mit Gewebs- 
neubildung verbundene Prozesse einen günstigen Boden für das 


142 E. Neumann: 


Auftreten der fibrinoiden Substanz abzugeben. Nach meinen Be- 
obaehtungen spielt dieselbe eine nicht unwichtige Rolle in den 
Veränderungen, welche auf das Zustandekommen einer aneurys$- 
matischen Erweiterung und Perforation arterioseleroti- 
schen Gefässe von Einfluss sind. In mehreren Fällen, in welchen 
keineswegs umfangreiche Aneurysmen durch Ruptur tödtlich ge- 
endet hatten, habe ich den in Rede stehenden Degenerationsprocess 
in sehr exquisiter Weise in der Gefässwand ausgebildet gefunden. 
Schon bei der makroskopischen Betrachtung gewährte dieselbe 
einen charakteristischen Anblick. Die Innenfläche der Arterie 
wird durch eine röthliche, transparente Gewebsschicht gebildet, 
welche sich zwar leicht in grösseren häutigen Stücken abziehen 
lässt, aber doch eine grosse Brüchigkeit und wenig Kohärenz be- 
sitzt; ihre Oberfläche ist sammtartig rcuh und des normalen spie- 
gelnden Glanzes beraubt. Diese Beschaffenheit erzeugt eine grosse 
Aehnlichkeit mit dem Ansehen einer aus dem Blute ausgeschiede- 
nen Fibrinschieht und es ist wohl anzunehmen, dass man sich mit 
dieser Deutung gewöhnlich begnügt und eine genauere Unter- 
suchung in solehen Fällen unterlassen hat. Letztere ergiebt, dass 
es sich um eine fibrinoide Degeneration der Gefässwand handelt, 
welehe von der durch den arteriosclerotischen Process bereits ver- 
diekten Intima ihren Ausgang nimmt, sich jedoch auch auf die 
äusseren Theile der Wand erstrecken kann, womit die Widerstands- 
fähigkeit derselben natürlich aufs Aeusserste herabgesetzt wird. 
Macht man einen senkrechten Durchschnitt durch die er- 
krankte Gefässwand und färbt denselben in Pierocarmin, so zeich- 
nen sich diejenigen Theile, welche die beschriebene makroskopisch 
auffällige Veränderung darbieten, sofort durch eine intensiv gelbe 
Färbung aus und man erkennt im Innern derselben gleichzeitig | 
in ziemlich regelmässiger Anordnung spärliche rothgefärbte kleine 
Kerne, anscheinend in kleinen Lücken der homogenen, gla- 
sigen, gelben Substanz gelegen. Wenn schon hierdurch der Ein- 
druck hervorgerufen wird, dass hier ein eigenthümlich entartetes 
Gewebe vorliegt, so wird man daran um so weniger zweifeln, 
wenn man den allmähligen Uebergang zu den in der Tiefe gele- 
genen Gewebsschichten der Gefässwand verfolgt und man nun 
überdies bei der Untersuchung der ersten Anfänge des Prozesses 
in der Peripherie der erkrankten Stellen der Gefässwand findet, 
dass hier die durch ihre gelbe Färbung charakterisirten Theile 


Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 143 


bisweilen im Innern der selerotisch verdiekten Intima einge- 
schlossen sind, so dass die obersten (dem Gefässlumen zugewandten) 
Schichten der letzteren sich noch in ihrem ursprünglichen Zustande 
erhalten zeigen, während die tieferen Theile derselben bereits durch 
fibrinöse Substanz ersetzt sind, ein Verhältniss, welches an die 
bekanntlich ebenfalls von unten nach oben vorschreitenden fettigen 
Degenerationsprozesse in den selerotischen Platten der Arterien 
erinnert. Eine Verwechslung mit wirklichem Faserstoff, welcher 
einen thrombotischen Niederschlag auf der Innenfläche des Ge- 
fässes bildet, ist hier natürlich ganz ausgeschlossen und keine 
andere Erklärung möglich, als die, dass die fibrinoide Substanz 
durch einen in die Gefässwand selbst eingetretenen Degenerations- 
prozess entstanden ist. Fig. 3 ist einem solchen Präparate nach- 
gebildet; bei a sieht man noch intakte Gewebszüge die fibrinöse 
Substanz überdeeken, bei b tritt letztere an die Oberfläche und 
quillt daselbst zu einem flachen Hügel hervor. Uebrigens zeigt 
die Zeichnung den gewöhnlichen Befund vorgeschrittener Arterien- 
elerose: starke Verdiekung der Intima, Atrophie der Media (M.M.), 
welehe nicht nur stark verdünnt, sondern auch vielfach in ihrer 
Kontinuität unterbrochen ist. Das Präparat stammt von einem 
Aneurysma der Aorta, welches in die Trachea perforirt war. — 
In Bezug auf seinen histologischen Charakter schliesst sich der 
Prozess genau an die oben beschriebenen Erkrankungen der Pleura 
und des Pericardium an; auch hier ist mit der durch die gelbe 
Färbung sich kundgebenden chemischen Veränderung der Fibrillen- 
bündel eine starke Aufquellung und Homogenisirung sowie ein 
Auseinanderrücken der Gewebszellen verbunden, welche letztere 
schliesslich durch die Einklemmung in die Spalten der quellenden 
Grundsubstanz eine Atrophie zu erleiden scheinen. 

Dass die geschilderte Erkrankung der arteriellen Gefässwand 
unter Umständen auch die Grenzen der inneren Gefässhaut über- 
schreiten kann, habe ich in einem Fall an Aortenneurysma ge- 
sehen, welches mit einer kleinen Oeffnung in die Lungenarterie 
durchgebrochen war. Hier wurde im Umfange der Perforations- 
öffnung die Wand der Aorta allein durch eine dünne Schicht 
fibrinoider Substanz gebildet, welche der Aussenfläche der Lungen- 
arterie auflag; Schnitte, welche die verdünnte Stelle der Aorta im 
Zusammenhange mit den angrenzenden weniger veränderten Theilen 
derselben erkennen liessen, zeigten, dass die zurückgebliebene 


144 E. Neumann: 


fibrinoide Substanzschicht die Fortsetzung der Adventitia dar- 
stellte, während Media und Intima gänzlich fehlten. Hieraus geht 
hervor, dass die fibrinoide Umwandlung nicht nur durch die ganze 
Dicke der Gefässwand vorschreiten kann, sondern dass auch die 
degenerirten Theile einer vollständigen Auflösung anheimfallen 
können, sodass, abgesehen von der mit der Entartung verbundenen 
Erweichung und Konsistenzverminderung der Gefässwand, 
als zweites, das Zustandekommen einer Perforation begünstigendes 
Moment die aus dem Verlust der inneren Schichten sich ergebende 
Verdünnung hinzukommt !). 

In Bezug auf das Endocardium muss ich mich einstweilen 
bestimmter Angaben enthalten, da mir keine hinreichend bewei- 
senden Beobachtungen über das Vorkommen der gleichen Erkran- 
kungsform bei demselben zu Gebote stehen. Doch sei es mir ge- 
stattet zu bemerken, dass sich in der Substanz mancher Vegetatio- 
nen der Klappen bei sogenannter „verrucöser“ Endocarditis und 
zwar in der Basis derselben eine Gewebsstruktur findet, welche 
mir die Annahme sehr nahelegt, dass es sich hier um ein ent- 
zündlich gewuchertes Klappengewebe handelt, welches die beschrie- 
bene fibrinoide Metamorphose eingegangen. Doch finde ich aller- 
dings gerade hier die Unterscheidung von aufgelagerten thrombo- 
tischen Faserstoffmassen sehr schwierig. 


3. Synovialhäute. 


An den sogen. synovialen Sehnenscheiden (Schleim- 
scheiden) führt der fibrinoide Degenerationsprocess, wie ich in 


1) Von Interesse erscheint mir hier die Erinnerung an eine.alte An- 
gabe Rokitansky’s (Pathologische Anatomie, II, pag. 558, 1844). Derselbe 
erwähnt eine besondere Form von Aneurysmen, welche sich durch ihre Nei- 
gung zu Zerreissungen bei unbedeutendem Umfange auszeichnen, und be- 
schreibt dieselbe als mit einem Halse aufsitzende, erbsen-, bohnen- bis hasel- 
nussgrosse Säcke, in deren Wandung die beiden innern Gefässhäute zu 
Grunde gegangen sind, sodass dieselbe entweder nur aus der äusseren Zell- 
scheide besteht (Aneurysma mixtum externum) oder, was der gewöhnliche 
Fall ist, aus der Zellscheide und einer neugebildeten innern Gefässhaut — 
„es bildet sich alsbald eine innere Gefässhaut in Form einer recenten Auf- 
lagerung“ —. Diese von Rokitansky aus dem Blutfaserstoff abgeleitete 
und daher vermuthlich fibrinähnliche „recente Auflagerung“ scheint mir der 
von mir beschriebenen fibrinoiden Schicht, welche aus einer Entartung der 
Gefässwand hervorgeht, zu entsprechen. 


Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 145 


mehreren Fällen zu beobachten Gelegenheit hatte, zu einem sehr 
auffälligen Befunde, nämlich zu der Bildung der bekannten, über 
ihrer Bedeutung noch immer kontroversen Corpusceula oryzoidea 
(Reiskörperchen). Eine Darstellung dieser Entwieklungsweise der 
genannten Körper, welche mir bereits aus früheren gelegentlichen 
Beobachtungen sehr wahrscheinlich geworden war, ist vor einigen 
Jahren von Herrn Dr. Hoeftmann, der im hiesigen patholo- 
gischen Institute die Untersuchungen in zwei Fällen ausführte, frei- 
lich ohne Benutzung der Pierocarminfärbung, in seiner Disserta- 
tion gegeben worden!). In diesen Fällen handelte es sich um 
Erkrankungen der Sehnenscheiden der Fingerflexoren, welche in 
der gewöhnlichen Weise zu beträchtlich grossen, in der Gegend 
der Handwurzel zwerchsackartig eingeschnürten Geschwulstsäcken 
aufgetrieben und mit einer grossen Menge von Reiskörpern erfüllt 
waren. Die anatomische Untersuchung fand unter besonders 
günstigen Verhältnissen statt, da bei der Operation nicht nur 
der Inhalt entleert, sondern auch die Wand der Säcke mög- 
lichst vollständig exstirpirt worden war und da ausserdem in 
dem einen Falle, in welchem 6 Wochen zuvor durch Inzi- 
sionsöffnungen der Sack bereits von seinem Inhalt befreit worden 
war und sich innerhalb dieses kurzen Zeitraumes wiederum jene 
Körper in grosser Zahl gebildet hatten, es feststand, dass hier 
Bildungen jüngsten Datums vorlagen. 

Die Wand der beiden Säcke liess in übereinstimmender 
Weise einen chronischen Entzündungsprozess der Sehnenscheide 
erkennen, welcher vollständig den Charakter der fungösen Gelenkent- 
zündung an sich trug (Tenosynovitis fungosa nach Volkmann); sie 
war umgewandelt in eine dicke Lage eines zellen- und gefässrei- 
chen Granulationsgewebes, in welchem auch, wie Herr Dr. P. 
Baumgarten entdeckte, echte Tuberkel in Form kleinster, mit 
Riesenzellen ausgestatteter zelliger Heerde nicht fehlten. Der Innen- 
fläche hafteten in grosser Menge theils mittels eines Stieles, theils 
mit breiter Basis auf das Mannichfachste gestaltete, grösstentheils 
winzige Körperchen an, die in ihrem ganzen Verhalten den frei 
in der Höhle liegenden Corpusecula oryzoidea glichen, und dieselbe 
Substanz bekleidete auch in dünner Schicht einzelne Theile der 


1) Hoeftmann, über Ganglien und chronisch-fungöse Sehnenscheiden- 


entzündungen. Diss. inaug. Regimonti. 1876. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 10 


146 E. Neumann: 


inneren Höhlenwand, als wenn sie über dieselbe ausgegossen 
wäre. Ging hieraus bereits mit Wahrscheinlichkeit hervor, dass 
bei der Entstehung der Körper die Wandung des Sackes eine 
Rolle spielte, so ergab die mikroskopische Untersuchung senkrech- 
ter Durchschnitte mit Bestimmtheit, dass jene aufgelagerte Schicht 
nichts anderes als einen degenerirten Theil des Gewebes der Wan- 
dung darstellte. Hoeftmann (l. e. p. 62) beschreibt dieselbe 
nach Carmin-Präparaten als einen dieWand nach innen begrenzenden, 
auffallend dunkelroth gefärbten Saum: „dieser besteht aus amorphen, 
körnigen Massen, die theils einzelne formlose Plaques, theils durch 
Verschmelzen derselben Streifen und Klumpen bilden; es zeigt 
sich aber nirgends ein scharfer Uebergang zwischen der Granula- 
tionsschicht und der amorphen Masse, sondern es scheint, als ob 
nach innen zu sich in der Grundsubstanz der ersteren einzelne rothe 
Massen einlagern, die bald an Mächtigkeit zunehmen, während die 
Kerne dazwischen in ihren Contouren noch scharf erhalten blei- 
ben, jedoch an Menge abnehmen, so dass schliesslich in der in- 
nersten Schicht, wo die amorphe Substanz so mächtig, dass sie 
einen fast kontinuirlichen Saum bildet, sich nur noch vereinzelte 
Kerne nachweisen lassen.“ Neuerdings angefertigte Präparate, 
welche ich der beschriebenen Methode der Pierocarminfärbung 
unterwarf, liessen die Entwicklung der obersten, scheinbar amor- 
phen „Auflagerung“, die sich wiederum intensiv gelb färbt, aus 
dem darunter gelegenen zellenreichen Gewebe sehr deutlich er- 
kennen. Der Befund bot nur insofern eine Abweichung von der 
früher gegebenen Beschreibung des Degenerationsprozesses in se- 
rösen Häuten und Gefässen dar, als die fibrinoide Substanz der 
angeführten Darstellung Hoeftmann’s gemäss im Beginn nicht in 
Form längerer, Bindegewebsbündeln entsprechender Bänder sich 
zeigte, sondern vielmehr einzelne Klumpen eder Schollen bildete, 
ähnlich den amyloiden Schollen bei der Speckentartung der Milz 
und Leber; durch die Vereinigung dieser anfänglich getrennten 
Massen kam dann gegen die Oberfläche hin eine zusammenhän- 
gende amorphe Schicht zu Stande, in welcher nur spärliche Reste 
rother Zellkerne sich erhalten hatten. 

Derselbe Degenerationsprozess zeigte sich in gewissen breit- 
aufsitzenden konischen oder platten blattförmigen Auswüchsen der 
Innenfläche der Wand, welche ihrer ganzen Beschaffenheit nach 
als in der Entwicklung begriffene, adhärente Corpuscula oryzoi- 


Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 147 


dea aufgefasst werden mussten. Zum grössten Theile wurden die- 
selben aus einer fibrinoiden Substanz gebildet, welche an der Basis 
einen allmähligen Uebergang zu einem wohlerhaltenen, zellreichen 
Gewebe zeigt. Bisweilen bildete auch letzteres den Hauptbestand- 
theil und die Degeneration war nur auf die oberen Abschnitte, selbst 
wohl nur auf die äussersten Spitzen der Auswüchse beschränkt. 
Hier hatte also die Bildung der Corpuscula unzweifelhaft im Sinne 
Virchow’s!) mit einer villösen Gewebswucherung begonnen. Nicht 
so klar lag dieses Verhältniss zu Tage bei den mit dünnem, fa- 
denförmigem Stiele der Wand aufsitzenden und bei den freien 
Körpern. Dieselben bestanden fast gänzlich aus einer Masse, 
welche man, bei dem Mangel geweblicher Struktur, sehr wohl für 
ein amorphes Gerinnungsprodukt halten konnte; war ein Stiel 
vorhanden, so sah man diesen aus einem glänzenden, fasrigen Fi- 
brillenbündel bestehen, welches sich in die Masse des Körperchens 
als geschlängelter, zentraler Strang verfolgen liess und im Innern 
desselben in einzelne pinselförmig auseinanderweichende Fasern 
sich auflöste, von einer Gewebswucherung war hier Nichts zu kon- 
statiren. Dennoch wird von vornherein auch für diese Bildungen, 
da sie makroskopisch sich ganz ähnlich verhalten, derselbe Ent- 
stehungsmodus, den die Untersuchung jener kleinen Exkreszenzen 
ergeben hat, wahrscheinlich sein; wenigstens muss zugegeben 
werden, dass der weitere Fortschritt des beschriebenen Degenera- 
tionsprozesses zu einer vollständigen Vernichtung einer ursprüng- 
lich vorhandenen Gewebsstruktur geführt haben konnte. Eine ge- 
nauere Untersuchung ergab überdies, dass die scheinbar amorphe 
Substanz der feingestielten und der freien Körper dennoch nicht 
immer völlig einer geweblichen Struktur entbehrte.e Hoeftmann 
fand nicht nur bisweilen an den Stielen der Körper eine das 
Sehnenbiündel mantelartig umschliessende Schicht von Granulations- 
gewebe, sondern konstatirte auch an einigen freien Körpern eine 
Zusammensetzung aus „konzentrischen Schichten jener amor- 
phen Masse, die bei Carminfärbung sebon durch ihre dunkle Fär- 
bung abstechen und von einander getrennt werden durch mantel- 
artig dieselben umgebende, schmale Bindegewebsstreifen, die zum 
Theil deutliche fibrilläre Streifung und scharfe, spindlige Kerne 
zeigen“ (l. e. p. 64). Bei einem dieser Körper und zwar einem 


1) Virchow, Geschwülste, I, pag. 208. 


148 E. Neumann: 


der grössten überhaupt gelang es sogar, eine periphere Lage von 
länglichen Kernen nachzuweisen, die einen fast epithelartigen Ue- 
berzug bildeten, indem sie äusserst dicht gedrängt in vier- bis 
sechsfacher Lage übereinandergeschichtet waren, die grösseren der- 
selben befanden sich in der Peripherie, während sie nach innen 
hin kleiner wurden). Ferner habe ich selbst wiederholt an 
solehen Corpuscula oryzoidea, die ihrem äusseren Habitus nach 
durchaus den Eindruck einer amorphen Masse machten, eine Zu- 
sammensetzung aus breiten glänzenden, homogenen Bändern von 
gleichmässiger Breite beobachtet, welche nach Art von Bindege- 
websbündeln plexusartig untereinander verflochten waren, so dass 
zwischen ihnen nur schmale, spaltförmige Interstitien übrigblie- 
ben, in welchen deutlich Kerne erkennbar waren. Offenbar 
hängt es von der Architektonik des ursprünglich vorhandenen, der 
fibrinoiden Degeneration anheimfallenden Gewebes ab, ob die aus 
letzterm hervorgehenden Körper einen konzentrisch zwiebelscha- 
lenartigen Bau zeigen (was der gewöhnliche Fall zu sein scheint) 
oder ob sie die letzterwähute plexiforme Struktur darbieten. 

Ich will mich nicht des Fehlers schuldig machen, die aus 
den angeführten Beobachtungen sich für die Bildung der Corpus- 
cula oryzoidea ergebenden Resultate in der Weise zu verallge- 
meinern, dass ich einen anderen Entstehungsmodus leugne. Be- 
achtenswerth aber dürfte jedenfalls sein, dass auch derjenige 
Autor, welcher, soweit mir bekannt, zuletzt dieser Frage eine ein- 
gehende Untersuchung gewidmet hat, R. Volkmann (in seinen 
„Beiträgen zur Chirurgie“ p. 212) zu dem Schluss gekommen ist, 
dass die Corpuseula oryzoidea nicht durchweg als einfache ge- 
ronnene Niederschläge aus der Synovia oder einem Exsudat zu 
betrachten seien, dass vielmehr bei ihrer Entstehung, wie schon 
H.Meckel angegeben hatte, auch durch „Einlagerung von Albumi- 
naten“ veränderte Gewebstheile eine Rolle spielen. Er fand in 
einem reiskörperchenhaltigen Hygrom nicht nur die Fibrillenbün- 
del der dureh dasselbe hindurchverlaufenden, jedoch in ihrer Con- 
tinuität getrennten Fingerstrecksehnen durch eingelagerte Albu- 
minate aufgequollen und durchtränkt, sondern es zeigten sich auch 


1) Dieser Befund erinnert an eine Angabe Michon’s (Concours-These 
Paris 1857), dass er ein die amorphen, der Wand aufsitzenden Massen 
deckendes Epithel gefunden habe. 


Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 149 


„die derben Bindegewebszüge der Kapsel durch feingranulirte, keine 
Organisation zeigende Schichten weit auseinander geschoben und 
das aufgequollene Gewebe von denselben Massen so durchtränkt, 
dass die Struktur fast ganz verschwindet.“ Ebenso findet sich 
an einem anderen Orte bei Volkmann!) die Angabe, dass die 
Corpuseula oryzoidea zwar aus Bindegewebe beständen, in wel- 
chem bei Essigsäurezusatz Kerne hervortreten, dass die Struktur 
indessen durch infiltrirte Eiweiss- und Faserstoffmassen meist etwas 
verwischt, undeutlich wäre. Nur darin kann ich Volkmann 
nicht beistimmen, wenn er den Ursprung dieser infiltrirenden Al- 
buminate vorzugsweise in der Synovia sucht, da wir, wie aus dem 
früher Mitgetheilten hervorgeht, dieselbe Erscheinung auch in ver- 
schiedenen anderen Organen finden, wo eine Durchtränkung mit 
Synovia gar nicht in Frage kommt. Ausserdem möchte ich auch 
hervorheben, dass, da sich der beschriebene Degenerationsprozess 
in allen Stadien bis zur völligen Aufhebung der geweblichen Struk- 
tur verfolgen lässt, auch für solche Corpuseula oryzoidea, die als 
durchaus amorphe Massen sich darstellen, der gewebliche Ursprung 
keineswegs mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden kann. 

Ueber die in Schleimbeuteln und Gelenkhöhlen vor- 
kommenden Reiskörperchen stehen mir keine Erfahrungen zu 
Gebote; in letzteren habe ich jedoch bei chronischen fungö- 
sen, mit Tuberkelbildung verbundenen Entzündungen 
die Oberfläche der Granulationen öfters mit einer dünnen Schicht 
fibrinoider Substanz bedeckt gefunden, welche ich aus einer De- 
generation der obersten Gewebsschichten ableiten musste. 


4. Schleimhäute. 


Sowohl bei der mit eroupöser Auflagerung verbundenen als auch 
bei der reinen Diphtheritis’nimmt das Gewebe der Schleimhaut 
in seinen obersten Schichten, wie bekannt, eine dem geronnenen 
Fibrin ähnliche Beschaffenheit an. Diese stets als necrotisch zu 
betrachtenden Theile erscheinen unter dem Mikroskop amorph, 
meistens körnig und färben sich, mit Pierocarmin in der angege- 
benen Weise behandelt, gleichmässig intensiv gelb mit Ausnahme 
zerstreuter rother Kerne; ihre Grenze gegen das darunterliegende, 


1) R. Volkmann, Krankheiten der Bewegungsorgane in Pitha-Bill- 
roth’s Handbuch der Chirurgie, pag. 827. 


150 E. Neumann: Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung etec. 


meistens sehr zellreiche und mit blutgefüllten Gefässen versehene 
Gewebe ist eine scharfe und wird durch eine ziemlich regelmäs- 
sige, horizontale Linie gebildet, doch lassen sich sowohl elastische 
Fasern als Blutgefässe (letztere zum Theil noch mit kenntlichen 
Blutkörperchen erfüllt) in sie hinein verfolgen, wie ich insbeson- 
dere in einem Falle von diphtheritischem Croup in der Trachea 
sehr schön sehen konnte. Cohnheim und Weigert haben den 
Zustand neuerdings als Coagulationsnecrose bezeichnet und 
denselben auf eine Durehtränkung mit fibrinogenreicher gerinnender 
Lymphe bezogen, welche in dem zuvor abgestorbenen Theile ein- 
tritt. Ich meinerseits möchte grade in der Anhäufung gerinnender 
fibrinähnlicher Massen eine Ursache der eintretenden Necrose er- 
blicken und, wie schon oben angedeutet, den Vorgang als einen 
mit der beschriebenen fibrinoiden Degeneration anderer Gewebe 
verwandten auffassen. 


Zum Schluss füge ich hier die Bemerkung hinzu, dass die 
von mir empfohlene Pierocarminfärbung ein sehr brauchbares Mittel 
ist, um das von Langhans in der Placenta beschriebene „canali- 
sirte Fibrin“ zur Anschauung zu bringen, da dasselbe durch eine 
sehr ausgeprägte gelbe Färbung sich dabei scharf von den übrigen 
Theilen der Placenta abhebt. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI. 


Fig. 1. Schnitt durch die Pleura und das anstossende Lungengewebe bei 
Pleuritis. 
a, b Pleurablätter mit einer „Pseudomembran“ bedeckt, bei c unter 
einem stumpfen Winkel (einem scharfen Lungenrande entsprechend) 
zusammenstossend. 
d pilzförmige Erhebung der „Pseudomembran“, eee elastische Faser- 
züge der Pleura. 
Fig. 2. Ein Abschnitt von d der vorigen Figur bei stärkerer Vergrösserung. 
Schnitt durch die Wand eines Aortenaneurysma. I. Intima, M. 
Media, A. Adventitia. Bei a fibrinoide Degeneration der Intima, 
welche noch nicht bis an die Oberfläche heranreicht, bei b Verbrei- 
tung derselben bis zur Oberfläche. 


1. 


Fig. 


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Walther Flemming: Beiträge zur Kenntniss der Zelle etc. 151 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer 
Lebenserscheinungen. 


Theil Il. 


Von 


Walther Flemming, 
Professor der Anatomie in Kiel. 


Hierzu Tafel VO, VII, IX (1, 2, 3). 


Inhalt: 


Vorbemerkungen über die angewandten Benennungen. 

Abschnitt 1. Prüfung hinsichtlich des allgemeinen Vorkommens indirecter 
Kerntheilung. (Enthält zugleich die Besprechung der neuesten 
Literatur über Zelltheilung.) 
A. Einleitung. 
B. Amphibien (Siredon, Proteus, Triton, Hodenepithel von 

Salamandra, Krötenlarven). 

C. Pflanzen. 
D. Säugethiere. 


Anhang: Ueber die Kerntheilung bei mehrkernigen Zellen. 

Abschnitt 2. Neue Ergebnisse über die Morphologie und Mechanik der Zell- 
theilung. 
Einleitung. 


A. Anfangsphasen. 
B. Die Segmentirung der Kernfäden, und der Uebergang vom 
Knäuel zum Stern. 

C. Die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte. 

D. Die Längsspaltung der Kernfäden. 

E. Die Tochterkernfiguren. 

F. Die achromatische Fadenfigur. 

Schluss. 
Abschnitt 3. Ueber die Entwicklung der Samenfäden bei Salamandra. 
Bemerkungen zur Technik. 
Literaturverzeichniss. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 11 


152 Walther Flemming: 


Vorbemerkungen über die angewandten Benennungen. 


Bei der Beschreibung eines neuentdeckten Gebietes ist die 
Wahl der ersten Benennungen nicht gleichgültig, und Ueberein- 
stimmung der verschiedenen Erforscher in der Namengebung sehr 
wünschenswerth. Ich habe mich deshalb in meiner Terminologie 
den früheren und gleichzeitigen Beobachtern möglichst nahe zu 
halten gesucht, und für das von mir neu Beschriebene möglichst 
einfache Ausdrücke gewählt. In einigen Puneten konnte Ersteres 
nicht geschehen; diese Vorbemerkungen sollen die Gründe dafür 
darlegen und zugleich bestimmt definiren, was unter den hier ge- 
brauchten Namen zu verstehen ist, um Missdeutungen vorzubeugen. 

Den Ausdruck „Ruhe des Kerns“ habe ich, was mir selbst- 
verständlich schien, stets nur im Gegensatz zu den Veränderungen 
während der Theilung gebraucht, und fahre darin fort. Es soll da- 
mit nicht etwa gesagt sein, dass ein nicht in Theilung stehender 
Kern stets in absoluter Ruhe sein müsste; vielmehr habe ich selbst 
Bewegungen und Formveränderungen der ganzen Kerne und ihrer 
Netzwerke, wenn auch geringfügige erwähnt (Th. I, pag. 314, 317), 
wie solche neuerdings von Prudden!) und Schleicher (11) 
näher studirt sind. 

Die Namen für die morphologischen Theile des Kerns: 

1. Kerngerüst oder Kernnetz, intranucleares G. oder 
N.; darin als Verdiekungen: 

2. Netzknoten; und als besonders beschaffene Körper: 

3. eigentliche Kernkörperchen oder Nucleolen; 

4. Kernmembran oder -Wand; 

5. Zwischensubstanz des Kerns, d. i. seine ganze übrige 
Masse ausser den vorigen Theilen — behalte ich wie früher (Th. I, 
p. 349) bei; denn sie sind, bei Berücksichtigung der von mir a. a. O. 
und von Anderen gegebenen Beschreibungen dieser Theile, jeden- 
falls nicht misszuverstehen und involviren keinerlei unbewiesene 
Voraussetzungen, was bis jetzt mit allen anderen für diese Dinge 
gewählten Namen mehr oder weniger der Fall ist. 

Auf Grund eines reinen Missverständnisses hat Klein (12) 


1) Beobachtungen am lebenden Knorpel. Virchow’s Arch. Bd. 15, H. 2. 


Per 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 153 


das Wort „Gerüst“ angefochten; er meint „dieser Name!) müsse 
ein passives Stroma bedeuten, während das Netz der wesentliche 
und lebende Theil des Kerns sei“. Mich wundert nur, dass Klein 
den Namen „Netz“ in dieser Hinsicht für besser hält und allein 
gebraucht; denn ein Netz ist an sich gerade ebenso todt oder 
lebendig, wie ein Gerüst. Der letztere Name ist im Sinne der 
deutschen Sprache genauer und besser, und darum von mir ge- 
wählt, weil Gerüst ein Balkenwerk bezeichnet, welches nach 
drei Dimensionen ausgedehnt ist (wie es im Kern der Fall ist), 
Netz aber ein bloss flächenhaft ausgedehntes. So ist es ja im 
Grunde auch sprachlich ungenau, von dem „Retieulum‘“ eines 
Lymphknotens zu reden. Da aber dieser Gebrauch verbreitet, 
und Missdeutungen kaum denkbar sind, so habe ich stets auch 
das Wort „Netz“ oder „Netzwerk“ abwechselnd und gleichbedeu- 
tend mit „Gerüst‘“ gebraucht und fahre darin fort. 

Hiermit soll also ein für allemal der Gedanke ausgeschlossen 
sein, als ob ich das Kerngerüst für ein „passives Stroma“ hielte; 
im I. Theil dieser Arbeiten (p. 348 ff., p. 368 u. a. a. O.) findet 
sich genügend ausgesprochen und motivirt, dass und warum ich 
es vielmehr als einen besonders wesentlichen lebendigen Theil 
des Kerns ansehe. Freilich haben wir darum noch keinen Grund, 
es als den allein lebenden zu betrachten, und die Zwischensubstanz 
schlechtweg für flüssig und unbelebt zu halten; um so weniger, 
da sie bei der Theilungsmetamorphose des Kerns sichtlich bethei- 
ligt ist?), und da Klein (12) kürzlich gute Gründe dafür beige- 
bracht hat, dass sie nicht flüssig ist. 

Von Schleicher (11) ist kürzlich gegen den Ausdruck 
„reticuläre Structur‘‘ oder „Gerüst‘‘ der Einwand erhoben worden, 
dass sie nicht exact seien, weil die so benannten Theile in ihrer 
Form veränderlich, contractil seien. Das Letztere ist zuzugeben 
und, wie ich eben erwähnt habe, von mir ja ebenfalls beobachtet; 
da aber eine gerüstförmige oder „reticuläre“ Anordnung der be- 
treffenden Substanz im Kern doch jedenfalls den vorherrschenden 
Zustand repräsentirt, und wir einmal einen kurzen Ausdruck brau- 
chen, so scheinen mir jene Namen dennoch die besten; ein beweg- 


1) Klein übersetzt allerdings: „Framework“. Ich würde auf diese 
Uebertragung nie verfallen sein, sondern mit „intranuclear structure“ 
übersetzt haben. Structura heisst ja: Gerüst. 

2) Vergl. hiefür und für das Nächstfolgende: Th. I, Abschnitt 2. 


154 Walther Flemming: 


liches Gerüst bleibt doch immer ein Gerüst. -— Ich entnehme 
übrigens einer freundlichen brieflichen Mittheilung Schleicher's, 
dass er die erwähnten Bedenken im Wesentlichen aufgiebt. 

Der summarischen Eintheilung des Gesammtkerns in „Kern- 
substanz“ und ‚„Kernsaft‘‘ kann ieh mich nicht anschliessen; es 
sprechen gegen diese folgende Gründe: 1) Unter „Kernsubstanz“ 
müsste man ausser der Kernmembran und dem Gerüst auch die 
Nueleolen einbegreifen, diese sind aber entschieden anders be- 
schaffen, wie jene. 2) Der Name Kernsubstanz sagt über die 
Beschaffenheit des betreffenden Dinges gar nichts aus, nicht ein- 
mal morphologisch; der Name Kernsaft würde die Voraussetzung 
bedingen, dass das betreffende Ding flüssig sei; was wir nicht 
wissen. 

Ich habe früher (Th. I p. 361) geäussert, dass man vielleicht 
die Namen Kernsubstanz und -Saft auf die Theilungsphänomene 
übertragen könne, indem man die tingirbare Substanz, welche 
die Tochterkerne anlegt, Kernsubstanz nennte, das Uebrigbleibende 
Kernsaft. Bei näherer Prüfung aber erscheint auch dies unthun- 
lich; denn auch in der letzteren Substanz giebt es noch geformte 
Dinge, die nicht tingirbaren, axial gestellten „Kernfäden“ (achro- 
matische Fäden, s. u.), ausserdem noch verästelte Fäden (s. Th. I 
Taf. 17 Fig. 15); diese Substanz kann also nicht einfach „Saft“ 
genannt werden. 

Den Namen Kernsubstanz werde ich also hiernach nur 
anwenden, um, im Gegensatz zu der umgebenden Zellsubstanz 
(Protoplasma), Materie zu bezeichnen, welche dem Kern angehört. 

Für die Kernvermehrung mit Fadenmetamorphose 
der Kernmasse habe ich den Namen „indirecte Kernthei- 
lung“ vorgeschlagen, der auf mehreren Seiten schon Verwendung 
gefunden hat. Eine direete Kerntheilung ist dem gegenüber eine 
solche ohne Fadenmetamorphose, eine unmittelbare Zerschnürung 
des Kerns. Indem ich diese Bezeichnungen weiter brauche, muss 
ich nochmals darauf hinweisen, dass sie provisorische sind. 
Denn wir wissen bis jetzt nicht, ob es eine directe Kerntheilung 
in letzterem Sinne wirklich giebt; sie wird nur hypothetisch ange- 
nommen, und ich selbst möchte mich dieser Hypothese gegenüber 
lieber für jetzt neutral halten !). 


1) Ich verweise hierfür auf den unter 13 citirten Aufsatz. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 155 


Wenn es sich herausstellen sollte, dass in der That keine 
direeten Kernzerschnürungen vorkommen, dass alle anscheinenden 
derartigen Fälle (z. B. farblose Blutzellen) sich auf Theilung mit 
Fadenmetamorphose zurückführen lassen, so würde für die letztere 
das Epitheton „indireet“ natürlich ganz überflüssig werden, sie 
repräsentirte dann die einzige Form der Kerntheilung. 

Inzwischen hat Schleicher (3) für die Bewegungen der 
nuclearen Fäden bei der Zelltheilung den Ausdruck Karyokinesis 
eingeführt; allerdings bezog er ihn bisher nur auf diejenigen 
Stadien, welehe der Aequatorialplatte voraufgehen (also meine 
Knäuel und Sterne), und ebenso ist noch neuerdings Strasburger 
(8) verfahren. Aus meinem Th. I ergiebt sich aber, dass auch in 
allen weiteren Stadien, in der Aequatorialplatte sowohl als in den 
rückläufigen Phasen der Tochterkerne, Bewegungen der Fäden 
fortdauern, und zwar Bewegungen, die keineswegs schwächer sind 
als diejenigen der ersten Mutterphasen; also wird man die Be- 
zeiehnung „Kinesis‘“ eonsequenterweise auch auf alle diese Stadien 
auszudehnen haben. In diesem Sinne adoptire ich hier den 
passenden und bequemen Ausdruck, und nach brieflicher Verstän- 
digung hat Schleicher sich mit dieser Ausdehnung desselben 
einverstanden erklärt. Wir werden also von nun an unter Karyo- 
kinesis verstehen: Sämmtliche Bewegungen oder Lagever- 
änderungen, welche die im Kern entstehenden Fäden 
während der Zelltheilung durchmachen, vom Anfang der 
Knäuelform des Mutterkerns bis zur Rückkehr der Ge- 
rüstform der Tochterkerne. 

Hierbei muss ich nur einen Vorbehalt machen. Schleicher 
(a. a.0.) nennt dieselben Bewegungen der Fäden, die ihm sonst 
karyokinetische heissen, zuweilen auch „amoeboide“. Beides kann 
ich keinesfalls gleichbedeutend finden, und muss letztere Bezeich- 
nung hier ausdrücklich ausschliessen. Das Wort amoeboid invol- 
virt hier zwar an sieh nur einen Vergleich, keine Erklärung oder 
Deutung; aber wir setzen bei den Bewegungen einer „amoeboiden 
Zelle“ als selbstverständlich voraus, dass die nächsten Ursachen 
für die Formänderung dabei in der Zelle selbst liegen, und nennen 
diese deshalb eontractil. Bei der Bewegung oder Lageveränder- 
ung der Fäden einer Kernfigur aber wissen wir noch durchaus 
nichts Sicheres darüber, ob ihre nächsten Ursachen in den Fäden, 
oder ausserhalb derselben liegen, oder ob beides gleichzeitig 


156 Walther Flemming: 


der Fall ist. Und es ist ohnehin nicht zulässig, die typischen 
Manoeuvres dieser Fäden, die in mehreren Phasen bei ihnen allen 
fast isochronisch, in einem und demselben Sinne erfolgen!), mit 
den ganz unregelmässigen Kriechbewegungen einer Amoebe zu 
vergleichen. Ich vermeide es sogar, die Fäden contraetil 
zu nennen, damit nicht leichtbefriedigte Gemüther in diesem 
blossen Wort schon glauben mögen irgend welche Erklärung 
zu finden. 

Statt „karyokinetische Figur‘ werde ich der Kürze wegen, 
wie bisher, Kernfigur sagen. Auch Strasburger hat diesen 
Namen jetzt acceptirt (8, p.285), allerdings bisher nur für die 
Mittelstadien der Reihe, die Spindel- oder Tonnenformen. Ich 
wende dagegen, wie früher, den Namen Kernfigur auf alle 
Formphasen des Fadengebildes an. 

Für die Theilungsstadien, welche den Sternphasen entspre- 
chen, sollen gelegentlich die Worte Monaster (Muttersternphase) 
und Dyaster (Tochtersternphase) in Anwendung kommen, welche 
von H. Fol für die Strahlung im Protoplasma der Eizelle ein- 
geführt, nnd kürzlich bereits von E. Klein (12) für die entspre- 
chenden Kernfiguren gebraucht sind. (S. in meinem Th. I, p. 421 
Abs. 3.) 

Einige der neueren Schriftsteller haben inzwischen Anstoss 
daran genommen, dass ich in der Formenreihe der Kernthei- 
lung eine bestimmte Anzahl von Phasen aufgestellt und benannt 
habe. Der Haupteinwand, der dabei geltend gemacht wurde: dass 
Repräsentanten meiner Phasen von Salamandra nicht bei allen 
andern Objeeten zu finden seien, fällt nunmehr ‘fort; denn aus 
No. 13 des Lit. Verz., aus dem hier folgenden Abschnitt 2, unter 
Vergleichung der neuesten Publikationen Strasburger’s, Klein’s 
und Arnold’s geht wohl zur Genüge hervor, dass beiden verschie- 
densten Zellenarten von Amphibien, Säugethieren, Pflan- 
zen (und wie ich gleich als meine vorläufige Annahme hier notiren 
möchte: auch bei Eizellen, überhaupt allenthalben bei der 
(indireeten) Zelltheilung) die Kernfiguren während der Theilung 
successiv Formen durchlaufen, welche sich der Reihe nach durch 
die Benennungen kurz und passend bezeichnen lassen: Knäuel 


1) So wenigstens vom Beginn der Muttersternphase bis zum Ende der 
Tochtersternphase. 


en ie 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 157 


(Korb), Stern, Aequatorialplatte, dann für jeden Tochterkern 
umgekehrt: Stern, Knäuel; wenn dies auch nicht bei allen Zel- 
lenarten gleich deutlich hervortritt. Hiernach, und durch die 
Nothwendigkeit kurzer Ausdrücke, scheint mir mein Verfahren 
hinreichend berechtigt; auch haben die neueren Autoren schon 
allgemein von jenen Ausdrücken in ihrer Darstellung Gebrauch 
gemacht. — Ich will nur nochmals !) besonders darauf hinweisen, 
dass ich unter einer Phase keinen bestimmt begrenzten Abschnitt 
verstehe, was ja dem Sinne dieses Wortes direct zuwider laufen 
würde; sondern, wie es das Wort sagt, eine Erscheinungsform, 
welche bei der Scheidung eines Zellkerns regelmässig und in be- 
stimmter Reihenfolge mit den übrigen durchlaufen wird. 

Die Phase, welche der Theilung der Kernfigur voraufgeht (z. B. 
Fig. 12 Taf.1 hier) habe ich Aequatorialplatte genannt. Stras- 
burger bezeichnete das entsprechende Stadium der Pflanzenzellen- 
theilungen früher als Kernplatte; in seiner neuen Mittheilung 
braucht er für dasselbe, und zugleich aueh noch für die zunächst 
darauf folgenden Trennungsstadien, auch die Worte „Kerntonne“ 
oder „Kernspindel“, je nach der Form bei verschiedenen Zellen- 
arten (l. e. p. 284). Für die Stadien mit schon vorgeschrittener 
Localtrennung (z. B. Fig. 23, 25 Taf. 2 hier) werde ich die letzteren 
Ausdrücke als sehr passende gleichfalls benutzen, für die vorherge- 
hende Phase aber, in der die Elemente in der That im Aequator 
durcheinandergeschoben und zu einer Plattenform angeordnet lie- 
gen, mir den Namen Aequatorialplatte reserviren; denn es 
ist ja offenbar für die Physiologie des Vorganges von wesentlicher 
Bedeutung, dass das Stadium, welches der Trennung vorhergeht, 
und somit zwischen den progressiven und regressiven Theil der 
ganzen Karyokinesis mitten inne steht, eine Zusammendrängung 
der Elemente nach der Aequatorialebene zu darstellt, und es 
scheint passend, das gleich durch den Namen anzudeuten. Nähe- 
res hierüber wird unten im 2. Abschnitt gesagt werden. 

Es handelt 'sich für weiteres Studium der Theilungserscheinun- 
gen um ein kurzes Wort für Dasjenige, was ich bisher „tingir- 
bare Substanz des Kerns“ genannt habe. Da der Ausdruck 
„Kernsubstanz“ offenbar zu vielen Missverständnissen ausgesetzt 
wäre (s. weiter oben), so will ich dafür einstweilen den Namen 


1) Vergl. Th. I, Seite 394 oben. 


158 Walther Flemming: 


Chromatin bilden. Es soll damit nicht präjudieirt sein, dass 
diese Substanz ein bestimmt constituirter, in allen Kernen sich 
gleichbleibender chemischer Körper sein müsste; obwohl dies ge- 
wiss möglich ist, wissen wir doch noch lange nicht genug über die 
nuclearen Stoffe, um es anzunehmen !). Mit Chromatin soll dem- 
nach nur bezeichnet sein: diejenige Substanz im Zellkern, 
welche bei den als Kerntinetionen ?) bekannten Behand- 
lungen mit Farbstoffen die Farbe aufnimmt. Aus meiner 
Darstellung der Tinetionsergebnisse bei ruhenden und in Theilung 
begriffenen Kernen (Theil I, Abschnitt 1) folgt von selbst, dass das 
Chromatin durch den ganzen ruhenden Kern vertheilt ist, zwar 
vorwiegend in den Nucleolen, dem Netzwerk und der Membran, 
aber auch in der Zwischensubstanz; während es bei der Kern- 
theilung sich lediglich in den Fadenfiguren ansammelt. 

Für die nieht färbbare Substanz des Kerns bietet sich damit 
von selbst der Name Achromatin, und es erklären sich demnach 
die im Weiteren gebrauchten Worte chromatisch und achro- 
matisch. 


Abschnitt l. 


Prüfungen bei anderen Objekten (Amphibien, Säugethiere, Pflanzen) 
hinsichtlich des allgemeinen Vorkommens der indireeten 
Kerntheilung. 


Dieser Abschnitt enthält zugleich die Besprechung der Literatur, welche seit 
der Abfassung des I. Theils erschienen ist. 


A. 


Die Fortsetzung meiner Arbeiten über Bau und Lebensphäno- 
mene der Zelle hat sich zunächst auf die Frage gerichtet, welche 


1) Darum vermeide ich auch einstweilen Beziehungen zu dem Namen 
Nuclein, so lange wir nicht wissen, ob diese Verbindung überhaupt im Kern 
bestimmt localisirt und an gewisse morphologische Theile gebunden ist. 
Vergl. auch Theil I, pag. 356 oben. 

2) Bekanntlich giebt es eine Anzahl von Tinctionen, besonders mit 
verschiedenen Carmintincturen, welche zugleich oder sogar vorzugsweise auf 
Zellprotoplasma wirken, die Kerne weniger betreffen. Diese Tincetionen sind 
hier selbstverständlich ausgeschlossen. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 159 


Verbreitung die im ersten Theil beschriebene indirecte Kern- 
theilung besitzt. Eine vollgültig sichere Antwort darauf ist zwar 
natürlich ohne Untersuchung aller betreffenden Objeete nicht mög- 
lieh; doch habe ich zu dem Schluss gelangen können, dass ein an- 
derer Vermehrungsmodus, als der der Zelltheilung mit indirceter 
Kernvermehrung, bisher nicht nachgewiesen ist und also vorerst kein 
Grund vorliegt, an einen anderen zu glauben. Dies gilt wenigstens 
für die fixen Gewebszellen der Thier- und wohl auch Pflanzen- 
körper. Für freie, amöboide Zellen bleibt es noch fraglich, ob auch 
bei ihren Theilungen Vorgänge am Kern mitspielen, die der indi- 
recten Kerntheilung homolog, nur weniger augenfällig sind, — oder 
ob hier wirklich direete Kernzerschürungen vorkommen. 

Die Begründung hierfür habe ich zum Theil bereits in einem 
andern Ortes (13) erschienenen Aufsatze gegeben. 

Es trifft sich eigen, dass gleichzeitig mit meinem eben er- 
wähnten Aufsatz ein anderer von E. Klein veröffentlicht wurde 
(12), in welchem in. dem fraglichen Punkt gerade das Entge- 
sengesetzte ins Auge gefasst wird. — Während nämlich Klein 
nach eigenen Untersuchungen bei Triton meine sachlichen Anga- 
ben über die indirecte Kerntheilung bis in’s Detail hinein be- 
stätigt gefunden hat, hält er daneben an der Annahme einer di- 
receten noch fest. Allerdings nicht ohne eine Begründung; diese 
aber kann ich als beweiskräftig nicht anerkennen. 

Sie besteht in Folgendem: Klein hat beobachtet, dass das 
Abwerfen der äusseren Hautepithelschicht beim erwachsenen Tri- 
ton mit sehr rascher Wiederholung vor sich geht (alle 5—7 Tage), 
Klein meint deshalb, (s. p. 417 ff.) wenn der Ersatz lediglich 
durch Zelltheilung mit indireeter Kernvermehrung erfolgte, so 
müsse man eine sehr grosse Zahl von Theilungsfiguren in den per- 
sistenten Epithelschichten finden. Er hat Zählungen der in je einem 
Scehwanzquerschnitt (von zwei Zellen Dieke)vorhandenen Kernfiguren 
angestellt, und fand in zwei solchen Versuchen einmal 17 Theilungen 
auf 840 Kerne, das andere Mal 23 : 240; diese Zahl der Theilun- 
gen erscheint ihm zu gering, um den Ersatz für die abgestossen 
Zellenlagen in wenigen Tagen zu liefern. Lediglich aus diesem 
Grunde nimmt er an, dass daneben noch eine andere Zellvermeh- 
rungsform mit directer Kernspaltung stattfinden müsse. 

Ich gestehe, dass ich diesen Schluss in keiner Weise begrün- 
det finden kann. Auch wenn ich die von Klein gegebenen Ver- 


160 Walther Flemming: 


hältnisszahlen zu Grunde lege, finde ich die Menge der Theilun- 
gen vollkommen ausreichend, um den Abwurf einer einfachen 
Zellenschicht (denn es wird nur eine Lage abgeworfen, wie 
Klein selbst p. 410 angiebt) in drei bis vier Tagen reichlich zu 
ersetzen. Ich stelle hierfür folgende einfache Rechnung zur Er- 
wägung: 

An der Stelle von Klein’s erster Zählung (17 Theilungen 
auf 840 Zellen) haben wir ein Gebiet, wo zu gegebener Zeit etwa 
auf je 50 Zellen eine Theilung kommt. Vorausgesetzt, dass die 
Frequenz der Theilungen sich auf diesem Gebiet dauernd gleich 
bleiben soll, wird also jedesmal, wenn eine Zelle mit der Thei- 
lung fertig ist, irgend eine andere damit anfangen. Die Dauer 
einer Theilung lässt sich nach meinen Beobachtungen (Theil I) an 
Salamanderlarven auf durchschnittlich 3 Stunden annehmen; bei 
Triton wird es wohl ähnlich sein. Es würden dann auf den Tag 
8 Theilungen kommen, also 6 Tage!) verlaufen, bis auf dem be- 
treffenden Gebiet aus jenen 50 Zellen 100 (genau 98) geworden 
sind, d. h. bis sich die Zellenzahl überhaupt verdoppelt hat. 

Auf dem Gebiet von Klein’s zweiter Zählung aber, wo die 
Theilungen weit zahlreicher waren (23 : 240) würde fast auf je 10 
Zellen schon eine Theilung kommen, und nach gleicher Berech- 
nung die Verdoppelung der Zellen bereits in 1!1/, Tag erreicht 
sein. Nimmt man das Mittel zwischen den beiden Gebieten (etwa 
2!/; Tag), so hat man damit selbst noch eine geringere Zeit als 
diejenige, binnen welcher nach Klein’s Beobachtungen die Deck- 
schichte wirklich abgelöst wird, und also ein Ersatz dafür fertig 
gestellt sein soll (5—7 Tage). 

Da nun aber vollends die Zellen an den betreffenden Haut- 
stellen zwei oder mehr Lagen dick liegen, und Theilungen nicht 
bloss in einer, sondern mindestens in zweien dieser Schichten 
vorkommen, so würden damit noch doppelt so viel Zellen produ- 
eirt werden, als zum Ersatz einer Lage nöthig sind. Es folgt 
daraus, dass die Zellentheilungen nicht einmal so frequent zu erfol- 
gen brauchen, wie auf den Gebieten, wo Klein gerade gezählt 
hat, um doch den Ersatz liefern zu können. 

Dass das Vorkommen eingeschnürter und gelappter Kernfor- 


1) Genau noch weniger, da man eigentlich Zinseszinsrechnung anwen- 
den müsste. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 161 


men nicht zu Schlüssen auf directe Kernspaltungen berechtigen 
kann, habe ich a. a. ©. (13) und im Theil I d. A. wohl genügend 
gezeigt: noch Niemand hat an localisirten Gewebszellen eine di- 
reete Trennung soleher Kernform unter dem Auge geschehen se- 
hen, wenigstens kenne ich keine Beschreibung, die dies bewährte. 
Klein hat dies im vorliegenden Falle überhaupt nicht versucht, 
da seine Angaben 1. ce. sich nur auf conservirtes Gewebe beziehen ; 
ich habe dagegen sehr vielfach den Versuch gemacht und auf viele 
Stunden ausgedehnt, ob sich direete Durchschnürungen solcher 
Kerne am lebenden Object einstellen würden; aber bis jetzt 
immer mit negativem Erfolg. 

Ebensowenig ist es mir verständlich, dass Klein eine Stütze 
für die Annahme direeter Kernzerschnürungen in Bildern finden 
will, wie sie seine Fig. 33—35 Taf. 18 l. ec. darstellen, und damit 
eine Ansicht Eberth’s aufnimmt (2), die ich speciell bestritten 
habe (Th. D. Es sind dies Knäuelformen !), die gerade einmal in 
der Mitte etwas eingeschnürt erscheinen, oder eine solehe Anord- 
nung der Fäden haben, dass sich eine gewisse Doppelsymmetrie 
ergiebt ?). Solehe kann man öfter an fixirten Objeeten finden °); 
aber nach ihnen den Schluss zu ziehen, dass sich eine solche 
Kernfigur im Weiterleben einfach mitten durchgeschnürt hätte, ist 
nieht im Mindesten gerecht. Ich habe beschrieben, dass in allen 
von mir lebend beobachteten Fällen von Kerntheilungen niemals 
solche directe Theilungen der Kernfigur vorkamen, sondern 
immer regelrecht vorher die Sternform und die Aequa- 
torialplatte auftrat. Dagegen können einzelne conservirte 


1) Die Verwechselung, die ich durch mehrfachen Hinweis im Theil I 
(pag. 374 Anm., pag. 405, 406) abzuwenden gesucht hatte, ist bei Klein doch 
eingetreten (pag. 414 a. a. O.): er schreibt Eberth die Bezeichnung von 
Formen, wie Fig. 4 Taf. 1 hier, als Korbformen (basket) zu. Diese Formen 
sind vielmehr von mir anfänglich Körbe genannt, während Eberth und 
Mayzel mit diesem Ausdruck Kernfiguren in beginnender Tochtersternphase 
meinen, wie etwa Fig. 25 und 26 Taf. 5 hier. Damit daraus keine Missver- 
ständnisse entstehen, habe ich die erstgenannten Formen dann Knäuel ge- 
nannt. 

2) Es ist ganz denkbar, dass die Dicentrie schon in den Stadien vor 
der Aequatorialplatte mehr oder weniger ausgeprägt und erkennbar sein 
kann. Ich habe manche derartige Figuren in meinen Präparaten. 

3) Z. B. meine Fig. 6 und 7, Taf. 1 hier. 


162 Walther Flemming: 


Präparate, nach denen allein Klein geurtheilt hat, nicht in Be- 
tracht kommen !). 

Weit überzeugender aber als der negative Befund, dass man 
eine direete Kerntheilung noch nicht mit hinreichender Sicherheit 
gesehen hat, scheint mir die positive Thatsache: dass Zell- 
theilung mit indireeter Kerntheilung bis jetzt noch an 
jedem Object gefunden worden ist, welches man ernst- 
lich und mit den nöthigen Cautelen und Methoden da- 
rauf untersucht hat, falls es überhaupt nicht zu ungün- 
stig war, mit Ausnahme der farblosen Blutzellen. 

Ich habe in dieser Richtung eine Reihe neuer Prüfungen an 
folgenden Objecten angestellt: Axolotl, Krötenlarven, Säuge- 
thierembryen, geborenen Säugethieren, Pflanzenzellen 
(Nothoseorodon und Allium), Ovarialeizellen von Salamandra, 
Spermakeimzellen von derselben. 

Dass sich hier überall indirecte Kerntheilung finden würde, 
konnte ich zwar von vornherein annehmen. Durch die sehr exten- 
siven Untersuchungen Mayzel’s (s. Theil I) wissen wir bereits, 
dass dieselbe bei Batrachiern und deren Larven, ebenso bei Vogel- 
embryen vorkommt; Semper und Balfour haben Kernfiguren in 
dem Follikelinhalt wachsender Ovarien von Fischen gesehen, 
Bütschli an Blutzellen des Hühnerkeims, E. van Beneden an 
der Keimscheibe des Kaninchens; Mayzel und Eberth haben 
solehe in der Hornhaut von Vögeln und Säugethieren, bei patholo- 
gischer Zellenvermehrung, gefunden. Für Pflanzenzellen endlich sind 
wir durch Strasburger schon lange über das weit verbreitete 
Vorkommen von Kernfadenfiguren bei der Theilung unterrichtet ?). 

Was ich bei den genannten Objecten zu prüfen hatte, war 
also nicht mehr das Vorkommen dieser Dinge überhaupt, sondern 

1) Ich selbst habe mich im Winter 1877, wo ich noch keine lebende 
Theilung sicher beobachtet hatte, nach fixirten Objecten in demselben Irrthum 
befunden wie jetzt Klein und früher Eberth: ich schloss nach Bildern, wie 
Klein’s Fig. 33, auf directe Theilungen dieser Figuren, und habe damals 
den Theilungsgang dem entsprechend in einem Vortrag falsch dargestellt 
(Schriften des naturw. Vereins, Kiel 1878, Februar, p. 31, Fig. 13). Im Sommer 
1878 haben mich die lebenden Objecte eines Besseren belehrt. (S. am gleichen 
Ort, 1. August 1878.) 

2) Die betreffende Literatur siehe mn Th. I und in Nr. 13 des hiesigen 
Lit.-Verz. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 163 


die Fragen: 1) finden sie sich auch in physiologisch wachsen- 
den Geweben hier überall in der Reichlichkeit, dass es zulässig 
ist auch hier die sämmtliche Zellenvermehrung auf diese Processe 
zurückzuführen? Und ferner: 2) finden sich auch bei allen diesen 
Objeeten sämmtliche Hauptphasen der indireeten Kerntheilung 
vertreten, welche ich bei Salamandra aufstellen konnte !)? 

Die letztere Frage ist für die Fortführung der Arbeiten über 
Zell- und Kerntheilung von grosser praktischer Bedeutung. Wenn 
wir versuchen wollen, auf optischem Wege tiefer in die Mechanik 
dieser Vorgänge einzudringen — ein Anfang dazu ist im. nächsten 
Abschnitt dieser Arbeit gemacht — so erscheint es mir unum- 
gänglich, dabei besonders die Amphibien und zwar vor Allen 
die Urodelen zu Grunde zu legen, einfach deshalb, weil diese 
die grössten Zellen und Kerne haben. Es wird — das kann 
ich nach vielfältiger Vergleichung behaupten — mit unsern 
heutigen optischen Mitteln niemals möglich sein, an 
den bis jetzt auf Theilungsvorgänge untersuchten Arten 
von Pflanzenzellen, Säugethier-, Vögel-, Fisch- und 
vielen Evertebraten-Zellen so viel Detail von den Thei- 
lungserscheinungen zu sehen, wie Salamandra, Triton 
und Siredon schon bei mittelstarken Linsen sehen lassen. 
Wenn man aber an letztern Objecten das allgemeine Wesen des 
Processes weiter studiren will, muss man vorher wissen: sind alle 
Hauptphasen, die bei ihnen vorkommen?) auch bei den anderen Ob- 
jeeten vertreten, oder ist vielleicht Manches davon bloss jenen 
eigenthümlich und deshalb unwesentlich? 

Ich konnte freilich auch hier schon vorweg vermuthen, dass 
letzteres nicht der Fall sein würde. Zwar haben viele Unter- 
sucher der Säugethier- und Pflanzenzellentheilung die Anfangs- 
und Endformen (Knäuel, Sterne) nicht gesehen oder beobachtet, 
und lediglich über das Mittelstadium, die Kernspindel oder Kern- 
tonne, berichtet; aber es finden sich auch Angaben von Semper’°) 
und Balfour über Sternformen bei Fischen; Schneider 
hat Knäuelformen (,„Rosetten“) von Würmern (Eizellentheilung) 
beschrieben, Eberth’s Abbildungen zeigen, dass es auch in der 


1) S. Theil I, pag. 409. 
2) Siehe die Tabelle, Th. I, p. 409, und hier, Abschnitt 2, am Schluss. 
3) Siehe Lit.-Verz., Th. I. 


164 Walther Flemming: 


entzündeten Hornhaut von Säugethieren (Kaninchen) derartige 
Formen giebt; und da die übrigen Beobachter auf solche Formen 
überhaupt noch nicht geachtet hatten, so konnten sie in ihren 
Fällen sehr wohl übersehen sein. — 

So, wie es hiernach vorauszusetzen war, habe ich denn auch 
Alles bei den untersuchten Objeeten im Wesentlichen gefunden; 
darum halte ich mich bei ihrer Beschreibung sehr kurz, und gebe 
diese eigentlich nur, um die Zweifel, die auf vielen Seiten noch 
gegenüber diesen Dingen zu herrschen scheinen, beseitigen zu 
helfen, und zugleich zu den Angaben Anderer Stellung zu nehmen. 


B. 


Amphibien. 


Dass beim Axolotl (und überhaupt bei geschwänzten 
Amphibien) die Verhältnisse der Kernfiguren ganz die gleichen 
sein würden wie beim Salamander und seiner Larve,, war voraus- 
zusetzen, und wurde im letzten Frühling und Sommer durch Unter- 
suchung mehrerer älterer, und eines sehr jungen aus dem Ei ge- 
zogenen Siredon, am Epithel (Haut, Kiemenbögen, Lunge), im 
Knorpel (Kiemenbögen), im Bindegewebe (ebenda) und an rothen 
Blutzellen bestätigt. Vortheile gegenüber Salamandra bietet das 
Objeet nicht, die Zellen sind vielmehr etwas kleiner wie dort !). — 
Das Gleiche gilt für Proteus anguineus, bei dem die übrigen 
Zellenarten keineswegs so bedeutende Grössen haben, wie es be- 
kanntlich bei seinen rothen Blutzellen der Fall ist. So lange es 
daher nicht gelingt, Proteus aus dem Ei zu züchten oder experi- 
mentell an ihm Zellenvermehrung zu erzielen, möchte ich em- 
pfehlen, sich an ihm nicht mit Zelltheilungsstudien zu bemühen. 

Seit dem Erscheinen des I. Theiles dieser Beiträge sind von zwei 
anderen Seiten Mittheilungen über die Zelltheilung bei geschwänzten Amphi- 
bien (Triton) publieirt worden. 

Peremeschko (5) untersuchte bei der Tritonlarve den Vorgang lebend 
und mit Reagentien. Seine Specialarbeit, die unmittelbar nach der meinigen 


1) Nach brieflicher Mittheilung hat Mayzel inzwischen ebenfalls den 
Axolotl hinsichtlich der Kerntheilung geprüft, mit gleichem Ergebniss. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 165 


erschien !) und diese noch nicht berücksichtigte, lässt einige Punkte erheblich 
von meinen Befunden abweichen), doch in einer so eben publiceirten Mit- 
theilung desselben Autor’s über die Theilung der rothen Blutkörper bei 
Krötenlarven (16) erscheint schon Manches von diesen Widersprüchen ausge- 
elichen. Es bleiben, wenn ich diese letzte Aeusserung Peremeschko’s mit 
zu Grunde lege, noch folgende wesentliche Differenzen zwischen uns: 

1) Eine anfängliche bedeutende Vergrösserung des Kerns, welche von 
P. als wesentliche betrachtet wurde, kann zwar vorkommen, aber fast 
ebenso oft fehlen. 

2) Peremeschko lässt noch immer zunächst Körner im Kern ent- 
stehen, und zu Fäden „auswachsen“, welche die weiteren Kernfiguren bilden. 
Ich konnte dagegen an den grösseren Kernen bei Salamandra feststellen °), 
dass diese anscheinenden Körner nur optische Durchschnitte von Fäden sind, 
und dass sich das ganze Fadengewinde des folgenden Stadiums in continuo 
auf Grund des ruhenden Kernnetzes, wenn auch nicht aus diesem allein, 
hervorbildet. Dies ist nun auch für Peremeschko’s Object (Triton) von 
Klein bestätigt worden (s. u.). 

3) Dass es Stadien geben sollte, wo Körner und Fäden im Kern ver- 
mischt vorkämen (Peremeschko p. 452, Fig. 54 u. 55), kann ich hiernach 
nicht zugeben; die anscheinenden Körner sind hier nichts Anderes als optische 
Schnitte. 

4) Auch in der letzteitirten Mittheilung hält P. daran fest, dass in 
dem Stadium der Aequatorialplatte (Kerntonne) die Fäden in der Mitte aus- 
einanderreissen sollen. Ich habe im Th. I bereits geschildert, dass die Sache 
ganz anders liegt, dass die Fäden der zwei Tochterkernanlagen in diesem 
Stadium bereits getrennt sind, und verweise für Näheres über die höchst 
eigenthümliche Mechanik dieser Vorgänge auf den hier folgenden Abschnitt 2 

5) Ferner beschreibt Peremeschko, dass in oder kurz nach diesem 
Trennungsstadium die Fäden der beiden Tochterkernhälften so liegen sollen, 
dass sie sich mit ihren Enden untereinander kreuzen (l. c. p. 442—443, 
Fig. 35, 36). 

Nach diesem Wortlaut wäre anzunehmen, dass es sich hier um die 
wirkliche Durcheinanderschiebung der gegenseitigen Fäden handelt, welche 
z. B. hier in meiner Fig. 10—13 Taf. I, in m. Th. I in Fig. 2g und 8 
Taf. 16 dargestellt ist; und ich glaube auch, dass Peremeschko’s Fig. 63 
wirklich einem solchen Zustand entsprechen kann. Die Figuren 35 und 36 
aber, auf die er sich ebenfalls bezieht, sind damit keineswegs gleichbedeutend, 


1) Peremeschko’s vorläufige Mittheilung ging dagegen der meinigen 
um kurze Zeit voraus. 

2) Vergl. dafür: Theil I, pag. 407—408. 

3) Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass man für diese Feststellung 
sich an die bestconservirten und schärfst gefärbten, aufgehellten Objecte hal- 
ten muss, wie mir solche in grosser Zahl vorliegen. 


166 Walther Flemming: m 


sie sind offenbar keine eigentlichen Aequatorialplatten mehr, sondern schon 
getrennte Tochtersterne, und diese nur anscheinende Durchkreuzung der 
Strahlenenden beruht, wie es mir vorkommt, darauf, dass die Figuren Pere- 
meschko’s schräg lagen. 

6) In seiner erstgenannten Arbeit hat Peremeschko die Knäuel- und 
Sternformen des Mutterkerns noch nicht auseinandergehalten und ihre typische 
Folge (Knäuel-Stern) nicht erkannt. Nach seiner Darstellung der Blut- 
zellentheilung im letztgenannten Aufsatz (p. 674) glaubte ich hoffen zu dürfen, 
dass wir hierüber jetzt einig seien; doch nach seiner neuesten Arbeit (18, p. 
182, s. unten) bin ich nicht sicher, ob dem so ist. 

7) Endlich hat Peremeschko die von mir beschriebene rückläufige 
Metamorphose der Tochterkerne nicht beachtet (obwohl er nach seinen Ab- 
bildungen die betreffenden Formen offenbar richtig gesehen hat), und eine 
Stelle auf p. 674 des letztg. Aufs. (unten) lässt schliessen, dass er die homo- 
genen Klümpchenformen der Tochterkerne (vergl. Fig. 29 Taf. 2 hier) für 
Natur hält, was sich allerdings mit der regressiven Metamorphose der Töchter 
schlecht vertragen würde. Ich habe gezeigt, dass diese Formen am lebenden 
Kern nur scheinbar homogen sind, wegen der Blässe des Objects (s. Th. I, 
Fig. 5k Taf. 16, Text p. 388 dort); dass sie ausserdem auch durch Reagen- 
tienwirkung künstlich hervorgebracht werden können, davon wird unten (siehe: 
Pflanzenzellen) noch die Rede sein. 


Als Vorstehendes geschrieben war, erschien so eben eine weitere Mit- 
theilung Peremeschko’s (18), als Fortsetzung der besprochenen. Aus ihrem 
Inhalt ist bemerkenswerth der Befund einer Nervenkerntheilung (l. ce. 
p- 172), welche zu beobachten bisher noch nicht geglückt war; ferner, dass 
Peremeschko das Verhalten der Kerne bei der Theilung weisser Blut- 
zellen als ganz gleich darstellt mit dem beianderen Zellenarten, 
und eine Anzahl entsprechender Bilder mittheilt (Fig. 16-25). Wenn sich 
Letzteres bestätigt, würde es meines Frachtens bei weitem den wichtigsten 
Theil der Arbeit darstellen; denn nach den bisherigen Befunden haben 
Bütschli und ich annehmen müssen, dass der Kerntheilungsvorgang bei 
farblosen Blutzellen gegenüber dem anderer Zellenarten sehr abwiche, so 
sehr, dass ich ihn vorläufig (vergl. Th. I, am Schlusse) als eine directe 
Theilung gegenüber der indirecten, karyokinetischen, bezeichnet habe. Doch 
gestehe ich, gegen diese Trennung von vorn herein eine Aversion empfunden 
zu haben, und habe deshalb stets betont (l. e. p. 423, und: 13 Lit.) dass 
möglicher Weise doch die Kernveränderung auch bei der Theilung der amö- 
boiden Zellen im Princip homolog sein könne mit den Verhältnissen bei an- 
dern, nur einfacher oder weniger deutlich. Sollte bei Triton diese Deutlich- 
keit grösser sein, so würde ich mich sehr freuen, durch Peremeschko jetzt 
die allgemeine Homologie hergestellt zu sehen. Vor der Hand jedoch bin ich 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Tiebenserscheinungen. 167 


durch seine Darstellung (p. 171) noch nicht durchaus überzeugt, dass die 
fraglichen rundlichen Zellen sicher farblose Blutzellen waren '). 

Dass die Theilungen der Bindesubstanzzellen und Muskelzellen 
in allem Wesentlichen mit denen der Epithelzellen übereinstimmen, hatte ich 
bereits beschrieben (Th. I, 394 ff.), und dasselbe hatte für die ersteren auch 
Peremeschko selbst in seiner vorl. Mittheilung erwähnt. Der Autor liefert 
jetzt dafür noch eine Anzahl Zeichnungen nach dem lebenden Object. 

Aus Peremeschko’s Besprechung meiner Angaben (am Schluss) geht 
hervor, dass er die Differenzen, die ich oben notirte, auch jetzt im Wesent- 
lichen aufrecht hält. Gerade das, was ich als mein wesentlichstes Ergebniss 
ansehe, die Regelmässigkeit in der Folge und Rückfolge der Kern- 
figuren, hat Peremeschko nicht gefunden. Er sagt wörtlich: „es sei ihm 
bei Triton nicht gelungen, alle die Phasen der Kerntheilung zu beobachten, 
die ich bei Salamanderlarven beschrieben habe“; und ich nehme Act von 
seiner Aeusserung „dass die letzteren wahrscheinlich ein viel günstigeres Ob- 
jekt für diese Beobachtungen darstellen, als das seinige ist“. Dies ist frei- 
lich wahr 2); aber Peremeschko hat inzwischen aus Klein’s Arbeit (12, 
s. u.) ersehen können, dass sich gerade auch bei Triton das von mir Be- 
schriebene hinreichend bestätigen lässt, wenn man nur wohlconservirte, scharf 

gefärbte und klar aufgehellte Präparate benutzt. 

In Peremeschko’s Besprechung meiner Angaben ist Einiges zu be- 
richtigen. Er behauptet, „die gelappten Kerne seien meistens compact, 
ohne Gerüst“, und führt an, „Flemming zeichne sie auch ohne Gerüst“, 
wobei er meine Fig. 10 Taf. XV, Th. I, eitirt. Der Autor hat wohl meine 
Ausführungen über die Reagentienwirkungen auf Kerne nicht berücksichtigt 
(l. e. p. 329 ff.); er hätte daraus ersehen können, dass die Kerne in dem Ob- 
ject der betr. Fig. 10 nur scheinbar ohne Gerüst sind (vergl. das Citat 
derselben Figur auf p. 330 1. c., Zeile 10). In Fig. 1m Taf. XV, Fig. 1, 2 
Taf. XVI habe ich ebenfalls gelappte Kerne, und zwar lebendige gezeich- 
net, aber mit Gerüsten. 

Ferner schreibt mir Peremeschko wiederholt irrig den Ausdruck 
„Axenplatte* zu, offenbar für das Stadium, das ich Aequatorialplatte 

1) Ich kann über Triton zwar nicht urtheilen, da ich bisher vergeblich 
versucht habe, von ihm Larven zu erhalten. Bei Salamandra aber sind im Lar- 
venschwanz die fixen Zellen oft von so rundlichen Formen, dass die Diagnose 
zwischen ihnen und Wanderzellen sehr misslich ist. Und innerhalb der Blut- 
gefässe sind die Jugendformen rother Blutzellen, die noch kein oder wenig 
Hämoglobin haben, von farblosen Blutzellen nicht zu unterscheiden. Erstere 
aber theilen sich, wie ich beschrieb, indirect. 

2) Wenn ich auch die Larve von Triton noch nicht habe studiren 
können, so kenne ich doch seine Kerntheilungen vom erwachsenen Thier> 
theils nach Mayzel’s, theils nach eigenen Präparaten, und erlaube mir da- 
nach obiges Urtheil. 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 12 


168 Walther Flemming: 


genannt habe. Ich habe ersteren niemals gebraucht; er hat gar keinen 
Sinn, denn die Theilungsaxe der Zelle ist doch die Linie, die von einem 
Theilungspol zum andern geht; in dem betreffenden Stadium aber sind die 
Kernfäden in der Ebene des Aequators zu einer Platte gruppirt. Auch 
verstehe ich nicht, wie Peremeschko seine Fig. 2 l. c. mit meinen Aequa- 
torialplatten (z. B. Fig. 12, 13 Taf. 1 hier) vergleichen kann. Die erstere ist 
so undeutlich, dass ich nicht weiss, wo ich sie in der Figurenreihe unterbrin- 
gen soll; am ersten noch bei den Knäuel- oder Sternformen. Dagegen scheint 
mir seine Fig. 63 Tafel XIX in der That eine Aequatorialplatte zu sein. 

Ich habe in meinem Th. I p. 371 gesagt: „Wenn aber auch in den 
jetzt folgenden Stadien (grobe Knäuel, Sterne) noch Trennungen der Fäden 
in freie Körner, und Wiederverschmelzungen der letzteren vorkommen soll- 
ten (Schleicher, Peremeschko), so würde mich dies Wunder nehmen“, 
Peremeschko bemerkt jetzt (18 p. 181), dass ich ihm diese Ansicht un- 
richtiger Weise zugeschoben hätte. In der That ist in seiner ersten vorläu- 
figen Mittheilung nicht wörtlich, wie bei Schleicher, von einem Zerfallen 
von Fäden zu Körnern, sondern nur von einem sehr unregelmässigen Figuren- 
spiel die Rede, und ich bedaure also, mich nicht dem entsprechend genauer 
ausgedrückt zu haben; der Sache nach war ich aber im Recht, denn Pere- 
meschko zeigt gleich auf der folgenden Seite 182, dass er auch jetzt gerade 
derselben Meinung ist, der ich damals gegenübertreten wollte, indem er 
wörtlich sagt: „Man sieht nicht selten auch im sternförmigen Kern, dass an 
der Stelle der Fäden Körner und kurze Stäbchen auftreten“. Ob man sich 
das Auftreten dieser angeblichen Körner durch ein Zerfallen der Fäden, oder 
anders (wie? Flemming) erklären will, war für meine Kritik gleichgültig, 
denn ich habe überhaupt bestritten, dass solche Körner neben 
Fäden in diesen Stadien bei Salamandra vorkommen, erkläre hier 
alle scheinbaren Bilder der Art für optische Schnitte, und muss nach 
Klein’s und meinen eigenen Erfahrungen vermuthen, dass es bei Triton und 
überall ebenso ist. 

Endlich erklärt Peremeschko die hellen Höfe um die Kernfiguren, 
die zuerst Eberth, dann Strasburger und ich gesehen haben, für Arte- 
facte. Er lässt dabei ausser Acht, dass ich diese Höfe an lebenden Epithel- 
zellen bei Salamandra constatirt habe (Th. I pag. 376), was bei den blasseren 
Elementen der Tritonlarve vielleicht nicht thunlich ist. Dass aber diese Höfe 
sich allerdings durch Reagentienwirkung vergrössern können, habe ich schon 
an derselben Stelle erwähnt; und dass sie von Natur verschieden gross aus- 
fallen können, ist schon aus meinen früheren Figuren (l. c. Taf. XVII, XVII 
ersichtlich. 

Die Arbeit Kleins (12) behandelt das gleiche Object wie die eben er- 
wähnte (Triton, Zelltheilung im Hautepithel des erwachsenen Thiers !)), und 


1) Bei Salamandra sind die Theilungen beim Erwachsenen durchaus 
ebenso beschaffen wie bei der Larve; ich schliesse danach, dass es bei Triton 
nicht anders sein dürfte. 


re er 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 169 


giebt für dieses eine vollständige Bestätigung meiner Befunde an Salaman- 
dra, bis in die Einzelheiten. Besonders werthvoll ist es mir, dass Klein 
sich auch hier von der regressiven Umwandlung der Tochterkerne überzeugt 
hat (l. c. p. 415, siehe meinen Th. I, p. 391 u. a.), während alle Anderen, 
die gleichzeitig oder nach meinen dortigen Angaben über die Sache schrieben 
(Schleicher, Peremeschko, Strasburger) diese so augenfällige und 
doch gewiss nicht unwichtige Thatsache unbeachtet lassen oder sogar für 
viele Objecte negiren (Strasburger, s. u... Auch darin, dass die ersten 
Anfangsstadien der Theilung nicht aus Körnern, sondern aus gewundenen 
Fäden bestehen, finde ich bei Klein Zustimmung. Es bleiben nur wenige 
Puncte, in denen seine und meine Angaben sich nicht ganz decken, und die 
mir dabei wesentlich genug scheinen um sie hier zu markiren: 

1) Klein lässt das Stadium der Aequatorialplatte oder Kerntonne!) 
fast unberücksichtigt, oder identificirt es doch mit der Dyasterfigur, welche 
der schon erfolgten localen Trennung der Tochterkerne entspricht ?); diese 
letztere Figur lässt er direct aus dem Mutterstern, dem Monaster, hervor- 
gehen, ohne zu erwähnen, wie er sich die Umordnung dabei denkt. 

Nun erscheint mir aber gerade diese Umordnung als eine besonders 
wichtige Phase der Karyokinesis, weil gerade sie es ist, die den Uebergang 
aus der Monocentrie in der Zelle zur Dicentrie kennzeichnet. Es ist mir ganz 
ersichtlich, warum Klein diesen Punkt weniger beachtet hat: er arbeitete 
nur an conservirten Präparaten, an denen die eigentlichen, flach zusammen- 
gedrängten Aequatorialplatten selten gefunden werden, weil sie nur kurz dauern. 

Es wärde mir ebenso gegangen sein, wenn ich nicht gleich anfangs 
viele lebendige Theilungen verfolgt hätte. Bei solchen sieht man niemals, 
dass ein Mutterstern sich direct in zwei Tochtersterne trennte; sondern es 
tritt immer ganz unfehlbar ein Stadium dazwischen ein, wo die 
Fäden sich in den Aequator zusammendrängen, wie in Fig. 10—14 
Taf. I hier, erst dann folgt die locale Trennung, die Tonnenform und die 
Tochtersterne. 

2) Die Längsspaltung der Strahlen des Muttersterns (Fig. 9 Taf. I 
hier, Th. I p. 379) scheint Klein bei Triton nicht gefunden zu haben, we- 
nigstens hat er darüber nichts erwähnt®). Dass diese Erscheinung bei Triton 
wirklich ganz fehlen sollte, ist mir bei der sonstigen Uebereinstimmung, und 
auch nach Peremeschko’s unten citirten Befunden, nicht wahrscheinlich. 
Näheres über die Doppelfäden wird im folgenden Capitel gesagt werden. 


1) Siehe z. B. Fig. 10—14 Taf. I hier. 

2) Siehe Klein’s Fig. 20—22, und Fig. 15, 16 Taf. I hier; Fig. 8, 6, 11 
aR.18. Th. 1. 

3) Vergl. dagegen Peremeschko, a. a. O. p. 182, welcher Doppel- 
strahlen jedenfalls gesehen hat, wenn er auch über ihre Deutung noch zwei- 
felhaft zu sein scheint. 


170 Walther Flemming: 


Theilungen der Hodenepithelzellen bei Urodelen 
Salamandra) * 


Die Arbeit an diesem Object habe ich zwar zum grossen 
Theil mit Hinbliek auf die cellularen und nuclearen Vorgänge bei 
der Spermatogenese aufgenommen (vergl. darüber Abschnitt 3); es 
stellten sich aber dabei die Hodenepithelien von Salamandra als 
ein sehr gutes Speeimen für Beobachtung der Zell- und Kern- 
theilung heraus, und zugleich als eines, bei dem die Karyokinese 
einige eigenthümliche Abweichungen gegenüber anderen Zellenar- 
ten desselben Thieres zeigt. Der Uebersichtlichkeit wegen will ich 
diese Besonderheiten hier zusammenstellen; Einiges davon findet 
noch im Abschnitt 2!) und Abschn. 3 specielle Besprechung. 

Wenn man einen Salamanderhoden mit zahlreichen Zellthei- 
lungen gefunden hat — was in der geeigneten Jahreszeit (Juli, 
August) sehr leicht ist — und diese Theilungen ohne Zusatz, oder 
mit Essigsäure oder Färbung ?) bei 200—500facher Vergrösserung 
untersucht, so fällt vor Allem neben den übrigen Theilungspha- 
sen, die den bisher von mir beschriebenen "ganz gleichen, eine 
Form durch ihre Fremdartigkeit auf: es ist dies das Stadium, 
das offenbar der Aequatorialplatte entspricht (Taf. 3 Fig. 41, 42, 50). 
Es präsentirt sich wie eine bauchige Fischreuse. Bei etwas 
lockeren Figuren dieser Art, besonders wenn man sie schräg oder 
gerade vom Pol gesehen vor sich hat (Fig. 41), erkennt man leicht, 
dass je zwei Fäden an den Polen in einander umbiegen. In der 
Aequatorialebene aber sucht man oft an diesen Figuren vergeb- 
lich nach deutlichen Unterbrechungen der Fäden, wie sie bei 
anderen Zellenarten 3) so ersichtlich vorkommen *). Deshalb ha- 
ben mich diese Formen anfangs sehr frappirt, da sie das Gesetz 
umzustossen schienen, das ich für die Theilungen anderer Zellen- 
arten bereits früher aufzustellen gehabt hatte: dass die Gruppi- 
rung der Fäden in Abschnitte, die je einem Tochterkern zugehö- 
ren sollen, in der Phase der Aequatorialplatte schon erfolgt ist. 


1) Unter: „die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte“. 

2) Methoden s. Abschn. 3. 

3) S. Th. I, pag. 382, 383 ff., Fig. 13, 14 Taf. 17; hier: Fig. 12 Taf. 1 u.a. 

4) Diese Figuren erinnern dadurch sehr an viele Abbildungen 
Bütschli’s (in dessen Werk: Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge 
der Eizelle etc.) von Kernspindeln bei Infusorien. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 171 


Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar. — Erstens kann 
man an manchen Fäden in einer solchen Kernfigur deutliche Un- 
terbreehungen im Aequator wahrnehmen, auch wo die Uebrigen 
hier keine zeigen (s. die Figuren). Ferner sieht man bei Reagen- 
tienwirkung (besonders Essigsäure) im Aequator an Fäden, die 
vorher anscheinend ganz continuirlich von Pol zu Pol der Figur 
liefen, bald Unterbrechungen, bald blosse Aufblähungen auf- 
treten (Taf. 3 Fig. 59), offenbar ein Zeichen, dass hier eine diffe- 
rente Beschaffenheit des Fadens vorgelegen haben muss. Endlich 
ganz entscheidend ist die Beobachtung des lebenden Objects, des- 
sen Figurenreihe auf Taf.3 Fig. 35 gezeigt ist. Da hier in den 
vorhergehenden Stadien (a, b) ja getrennte Fadenschleifen, von 
halber Länge wie die Tonnenfigur vorkommen, so muss man urthei- 
len, dass der äquatoriale Zusammenhang der Fäden (siehe 35 d, 
ein Faden) in dieser Figur nichts anderes repräsentirt, als eine 
temporäre Berührung oder Verschmelzung der einander ge- 
genüberstehenden Fadenenden. Danach ist es verständlich, wenn 
an diesen Verschmelzungsstellen die Beschaffenheit der Substanz 
der Art abweichend von der des übrigen Fadens ist, dass hier 
die erwähnten Aufquellungen (Fig. 59) durch das Reagens (Essig- 
säure) zu Stande kommen. 

Ich habe die letzteren bisher nur an Essigsäurepräparaten gefun- 
den; an mit Chromsäureebehandelten und gefärbten findet sich statt 
dieser Anschwellungen' vielfach an den Zusammenhangsstellen im 
Aequator eine blassere und etwas'verdünnte Stelle. — An den Essig- 
säurepräparaten finde ich zuweilen eine helle, kreuzförmige oder 
längsgestellte Spalte in der Mitte einer solehen Anschwellung 
(Fig. 59 und 59a, siehe deren Erkl.). 

Ob diese äquatoriale Verschmelzung von Fadenenden viel- 
leicht eine allgemeine Eigenschaft dieser Phase ist, lässt sich noch 
nicht entscheiden. Dass sie auch bei anderen Zellenarten vor- 
kommt, habe ich früher besprochen und abgebildet !), und schon 
dort nach den vorhergehenden Stadien geschlossen, dass die Fä- 
den, die man hier hie und da im Aequator zusammenhängen sieht, 
dies nicht schon vorher dauernd gethan haben können, sondern 
sich erst aneinandergelegt haben müssen. 


1) Th. I, p. 381: 4. Phase, ff.; ebenda p. 387; Fig. 6, 7 Taf. 18, 13 
Taf. 17. 


172 Walther Flemming: 


Bei der Trennung der beiden Tonnenhälften bemerkt man 
hier oft recht deutlich, dass je zwei, vorher verschmolzene Fäden- 
enden einen dünnen Strang zwischen sich ausziehen, der erst spä- 
ter durchreisst. Diese Stränge sind nicht identisch mit den achro- 
matischen Fäden, von denen gleich die Rede sein wird, denn sie 
zeigen sich oft deutlich tingirt. 

Eine andere Eigenheit der Hodenzellentheilungen ist die 
Deutlichkeit der blassen, achromatischen Fadenfigur!) in- 
nerhalb der chromatischen (s. Taf. 3 Fig. 43—47). 

Bei keiner anderen Zellenart von Salamandra habe ich sie 
bis jetzt so scharf darstellen können ; nur annähernd in einigen 
Fällen bei Knorpelzellen. In Sternformen (wie Fig. 40) finde ich 
bei den Hodenzellen noch nichts von diesen Fäden, erst nach dem 
Auseinanderweichen der Aequatorialplatte (Fig. 43) werden sie 
deutlich. Man sieht in letzteren Stadien oft einzelne ehromatische 
Fadenschleifen aus den übrigen unordentlich herausgerückt, manch- 
mal bis an die Pole der achromatischen Spindel gerückt (Fig. 43 
bis 44); bei schwächerer Vergrösserung sieht solche Figur aus, als 
läge in dem Pol der feinfadigen blassen Spindel, oder nahe an 
ihm, noch ein grobes gefärbtes Korn 2). Es handelt sich dabei 
um nichts weiter, als um Unregelmässigkeiten in der Mechanik 
der Kernfigur, wie sie auch in anderen Stadien vorkommen: es 
liegen ja auch in den Knäuel- und Sternphasen (Taf. 1 Fig. 8, 
Taf. 3 Fig. 35 b) oft einzelne Schleifen zeitweise weit abgerückt; so 
kommt es auch in der Aequatorialplatte und Kerntonne (Taf. 3 Fig. 45, 
Taf. 1 Fig. 10 u.f.) oft vor, dass der eine Schenkel einer Schleife 
herausgeklappt gefunden wird. Dass dies blosse Unregelmässigkei- 


1) Vergl. Abschnitt 2, am Schluss. 

2) An einem kleinzelliseren Object, wie Salamandra ist, würde des- 
halb auch der sorgfältigste Beobachter solche Bilder nicht anders wie in die- 
sem Sinne deuten. Die Kernfiguren in Fig. 43 und 44 sind eben gross genug, 
um mit Hartnack 9 a imm. deutlich zu sehen, dass es sich nicht um Körner, 
sondern um Fadenschleifen handelt, deren einer Schenkel, oder auch beide, 
natürlich oft in der Verkürzung gesehen werden, wo sie dem entsprechend 
liegen. 

Diese Dinge sind also etwas ganz Anderes, wie die wirklichen diffe- 
renzirten Körper besonderer Art, die sich an den Polen bei Eizellen finden 
(Taf. 2 Fig. 33), und hier, wie es scheint, durch Verschmelzung von Kör- 
nern in den achromatischen Fäden entstehen (Taf. 3 Fig. 32). 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 173 


ten sind, ergiebt sich einfach aus dem lebendig-beobachteten Ver- 
lauf einer Hodenzellentheilung, wie in Taf. 3 Fig. 35. Man sieht 
ja hier, dass die regellos herausgerückten Fadenschleifen in b 
nachher wieder richtig unter die übrigen eingeordnet werden. So 
wird es denn wohl auch bei Fig. 43 und 44 sein: die einzelnen 
Schleifen an den Polen haben hier ihren Weg zu diesen schon 
vorläufig gefunden, mag es nun sein, um gleich dort zu bleiben, 
oder um vorher noch unter die Uebrigen nach dem Aequator zu- 
rückzukehren. 

In manchen Fällen habe ich an Kernfiguren von Hodenzel- 
len, wie Taf. 3 Fig. 46 und 47, auch Andeutungen von äquatorialen 
Differenzirungen in den blassen Fäden gesehen, welche offenbar 
Strasburger's „Zellplattenelementen“ entsprechen. Ob sie hier 
bei meinem Object abgegrenzte körperliche Elemente sind, oder 
nur der Ausdruck einer Vacuolisirung (durch die Reagentien) der 
blassen Fäden an dieser Stelle, oder endlich ob sie nur Unter- 
brechungen der Fäden im Aequator entsprechen, kann ich bei der 
Zartheit der Verhältnisse und der Nothwendigkeit von Reagen- 
tien hier nicht entscheiden. Am lebendigen Object (Fig. 35) sieht 
man von den achromatischen Fäden überhaupt nichts. 

Endlich ist es auffallend, dass die Längsspaltung der 
Kernfäden in der Knäuel- oder Sternphase (Taf. 1 Fig. 9), die bei 
den ektodermatischen Epithelien, den Bindesubstanz-Muskel- und ro- 
then Blutzellen von Salamandra so auffallend und so deutlich ist, 
siclr bei den Hodenzellen nicht ausspricht. In einigen Stern- und 
Knäuelformen habe ich jedoch auch hier Andeutungen davon ge- 
sehen, allerdings nur der Art, dass je ein Faden aus zwei engan- 
einanderliegenden zusammengesetzt war, nie mit einer so schar- 
fen Spaltung, wie bei jenen anderen Zellenarten (Epithel Taf. 1 
Fig. 9 hier, Bindesubstanz Th. I Taf. 17 Fig. 11). Wenn hier also 
eine solche Spaltung ebenfalls typisch vorkommt, so muss sie kurz 
dauern und muss im Stadium der Kerntonne auch schon eine Wie- 
derverschmelzung erfolgt sein; denn in diesem ist die Zahl der 
Fadenschleifen so gering, dass eine Verdoppelung der Elemente 
des Sterns unmöglich angenommen werden kann. Feinstrahlige 
Sterne, wie sie im Epithel massenhaft vorkommen (Th. I Taf. 17 
Fig. 12) habe ich bei Hodenzellen nie gefunden. — Einiges über 
die Fädenspaltung wird noch im Absehn. 2 seine Stelle finden. 


174 n Walther Flemming: 


Bei Krötenlarven (wahrscheinlich Bufo) habe ich das 
Epithel des Mundbodens und der Bindegewebstheile des Kopfes und 
der Schwanzflosse untersucht, und Knäuel und Sternformen der Mut- 
ter- und Tochterkerne, sowie Aequatorialplatten, ganz wie bei Sala- 
mandra gefunden. Als Proben aus vielen gebe ich nur zwei For- 
men auf Taf. 3 Fig. 27 u. 28. Nur Längsspaltung der Sternstrah- 
len beim Mutterkern war nirgends deutlich erkennbar, was auch 
für das demnächst zu beschreibende Objeet gilt: bei der Klein- 
heit der Elemente wird es aber kaum möglich sein hier diese Er- 
scheinung zu sehen, auch vorausgesetzt, dass sie existirt. 

Es werden aber bei den Batrachiern und ebenso bei den 
Säugethieren und Pflanzen die Kernfiguren leichter durch die Rea- 
gentien entstellt, als bei den gesechwänzten Amphibien; beson- 
ders häufig betrifft dies die Tochterkernpaare in ihren Stern- und 
Knäuelphasen (Fig. 28, vergl. Taf. 3 Fig. 29), welche oft zusam- 
menschrumpfen und eine solehe Verbackung der Fäden erleiden, 
dass sie wie homogene Klumpen erscheinen. 

Ueber die Zelltheilung im Knorpel von Batrachiern ist inzwischen 
die ausführliche Arbeit Schleicher’s (3) erschienen; sie wurde gleichzeitig 
mit meinem Th. I, am Orte unmittelbar vor diesem publicirt. 

Auf den ersten Blick scheinen Schleicher’s Abbildungen und Beschrei- 
bungen gegenüber den meinen grosse Differenzen zu bieten; denn nach 
Schleicher würden sich freie Körner und Fäden im Kern bilden, und eine 
Zeit lang Bewegungen ohne alle Regelmässigkeit ausführen (denn wenn auch 
Schleicher Sternformen des Mutterkerns sehr richtig beobachtet hat, so 
nahm er sie doch nicht für typische, bei jeder Theilung an bestimmter Stelle 
wiederkehrende); das Stadium der Aequatorialplatte findet sich bei ihm nicht 
erwähnt; die Tochterkerne würden nach ihm zunächst zu homogenen Klum- 
pen werden, dann in „Körner und Stäbchen“ zerfallen. Kurz, gerade das, 
was ich gefunden und als besonders wesentlich hervorgehoben habe, die 
Regelmässigkeit in der gesammten Formenreihe, nimmt Schleicher aus- 
drücklich in Abrede. 

Trotzdem war ich beim ersten Blick auf Schleicher’s Figuren über- 
zeugt, dass er vollkommen richtig, nur nicht ausreichend beobachtet hat, und 
dass in seinen Objecten sämmtliche Phasen der Kerntheilung vertreten sind, 
die ich beschrieben habe. Ich glaube, wer sorgfältig die beiderseitigen Figu- 
renreihen vergleicht, wird schon danach diese Meinung mit mir theilen. 
Schleicher’s Objecte sind bei ihrer Kleinheit weit ungünstiger wie die 
meinigen; er hat sie hauptsächlich nur lebend untersucht und nicht durch 
geeignete scharfe Tinctionen controlirt, hat danach nur soviel beschrieben 
und offenbar sehr getreu gezeichnet, als sich am lebendigen Präparat mit 
voller Sicherheit sehen lässt; und dies ist eben lange nicht Alles. Seine Bil- 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 175 


der stellen daher nur Bruchstücke der wirklichen Kernfiguren dar; dennoch 
kann ich aus vielen derselben ganz gut diagnosticiren, welche Phase sie be- 
treffen. ; 

Ich habe übrigens inzwischen, gleichzeitig mit Schleicher’s Publica- 
tion, schon mitgetheilt!), dass im Knorpel bei Salamandra ganz dieselbe 
Formenreihe der Theilung zu finden ist, die ich für alle übrigen Gewebszel- 
len aufgestellt habe. Hiernach durfte ich es wohl überflüssig finden, die 
Kerntheilung auch im Knorpel der Batrachier nochmals zu prüfen; denn es 
scheint ganz undenkbar, dass gerade nur im Knorpel bei diesen so grosse 
Abweichungen vorkommen sollten, wie es Schleicher’s Angaben entsprechen 
würde, während ja, wie so eben erwähnt, im Epithel und Bindegewebe ?) bei 
denselben Thieren der Process in nichts Wesentlichem von dem bei Salaman- 
dra gefundenen abweicht. — 

Ich erspare es hiernach auch, auf verschiedene Angriffe zu entgegnen, 
die Schleicher gegen meine vorläufigen Angaben gerichtet hatte; sie sind 
durch meinen Theil I im Voraus widerlegt und ich hoffe, dass Schleicher, 
nachdem er die Freundlichkeit gehabt hat, einige meiner Präparate zu prüfen, 
sie nicht weiter aufrecht halten wird. — Nur das Eine muss ich in dieser 
Hinsicht bemerken, dass Schleicher’s Aeusserung (p. 284): „ich hätte nur 
das für andere Gewebe gelehrt, was er (Schleicher) schon für den Knor- 
pel beschrieben habe* — nicht sachlich richtig ist. Denn erstens sind meine 
bezüglichen Arbeiten schon ein Jahr vor dem Erscheinen von Schleicher’s 
erster vorläufiger Mittheilung begonnen und ganz unabhängig von dieser ge- 
wesen, zweitens aber und besonders habe ich ja keineswegs dasselbe be- 
schrieben wie Schleicher, sondern etwas ganz Anderes, und möchte darum 
meine Ergebnisse nicht mit denen seiner eben besprochenen Arbeit indentifi- 
eirt wissen. 

Da letzteres inzwischen von einigen Seiten eeschehen ist, will ich hier 
kurz die sehr wesentlichen Unterschiede kennzeichnen, die zwischen 
Schleicher’s und meinen Resultaten bestehen: 

Schleicher hat für die Theilung von Knorpelzellen be- 
schrieben, dass in dem vorher homogen beschaffenen Kern- 
inhalt?) Körner und Fäden von unregelmässiger Form und 
Zahl auftreten, amoeboide Bewegungen ganz unregelmässi- 
ger Art ausführen (Karyokinesis) und dann zu der von 
Bütschli und Strasburger entdeckten spindel- oder tonnen- 
förmigen Figur zusammentreten; dass diese sich darauf in 


DieCh..T p. 395, Tat. 16, Kıc.. 10. 

2) und auch bei rothen Blutzellen, s. u. Peremeschko. 

3) Seitdem hat sich jedoch Schleicher auch an seinen Objeeten von 
dem Vorkommen intranuclearer Structuren überzeugt, und befindet sich nach 
freundlicher briefl. Aeusserung über den Bau des Zellkerns im Ganzen mit 
mir in Uebereinstimmung. 


176 Walther Flemming: 


die zwei Tochterkernmassen trennt; dass deren jede dann 
zu einem homogenen Klümpchen wird; dass dieses auf eine 
Zeit lang wieder „in Körner und Stäbchen zerfällt“, welche 
wieder Bewegungen ausführen und dann zu einem Kern 
mit einander verschmelzen. 

Ich habe dagegen für die Theilung der meisten Geweb- 
zellenarten beschrieben, dass sich im Kern im Anschluss 
an dessen Gerüststructur und Membran, ein in sich zusam- 
menhängendes Fadengewinde von gleichmässiger Dicke 
ausbildet, das nach und nach sämmtliche tingirbare Sub- 
stanz des Kerns in sich fasst, und sich zu einem Knäuel 
formt, der darin schon regelmässige Ordnung zeigt, dass 
seine Windungen im Ganzen gleiche Abstände von einander 
haben. Dann zerfällt dieser gewundene Faden in Seg- 
mente, und diese Fadenstücke machen Lageveränderungen 
durch, welche regelmässig und typisch folgende Phasen 
zeigen: Knäuel, Stern (Systolen und Diastolen desselben), 
Aequatorialplatte; Trennung; dann für die Fäden jeder 
Hälfte, also jeden Tochterkern, wieder umgekehrt: Stern, 
Knäuel, Ruhe. 

Es ergiebt sich von selbst, dass Dieses etwas Anderes ist, 
als Schleicher’s Befund, und dass die hiermit erkannte 
Ordnung bessere Aussicht auf Verstehen der Mechanik des 
Vorgangs giebt, als wenn wir bloss mit ganz irregulären, 
amoeboiden Bewegungen zu rechnen hätten. 


C. 


Pflanzen. 


In den Arbeiten Strasburger’s, welche bis 1879 publieirt 
waren, findet sich für Pflanzenzellentheilungen nur die Mittelform 
der Kernfiguren (Kernspindel, Kerntonne) beschrieben und ist 
ausserdem für einige Pflanzen auch von granulirten Anfangssta- 
dien die Rede. Da es mir aber a priori wahrscheinlich war, dass 
sich Repräsentanten der ganzen, von mir beschriebenen Formen- 
reihe auch hier ergeben würden, so unternahm ich es bei No- 
thoscorodon fragrans und nahestehenden (Allium odorum 
u. A.) darnach zu suchen. Dies ist mir inzwischen sehr abgekürzt 
worden durch zwei im letzten Sommer publieirte Aufsätze Stras- 
burger’s (8, 14). Nach Kenntnissnahme von Schleichers und 
meinen Angaben hat derselbe sich durch eigene Prüfung über- 


N‘ 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 177 


zeugt, dass gewundene Fadenknäuel in den Anfangsstadien auch 
bei seinen pflanzlichen Objeeten vorkommen, und dass sich auch 
bei den Tochterkernen Formen finden, welche den von mir be- 
schriebenen entsprechen (s. Strasburger’s Taf. IV 1. c., Fig. 13 
bis 17, 31—34, 27, 55). 

Es bleibt hiernach aber noch eine Anzahl, meines Erachtens 
wesentlicher Punkte, in denen Strasburger noch keine Ueber- 
einstimmung zwischen unseren Objecten gefunden hat; ich aber 
solche theils wirklich finde, theils nicht ausgeschlossen sehen 
kann !). 


1) Strasburger hält auch jetzt noch daran fest, dass in den ersten 
Anfangsstadien distinete Körner in den Kernen auftreten, und erst nach- 
mals zu Fäden auswachsen sollen. 

Nach den Exemplaren dieser Stadien dagegen, welche ich selbst bei 
Allium und Nothoscorodon finde, muss ich sagen, dass mir diese Auf- 
fassung nicht begründet scheint. Bei schon etwas weiter vorgeschrittenen 
Formen, wie in Fig. 20, 18 Taf. 2 hier, kann man ohne Mühe erkennen, dass 
wirklich nur Fäden, und optische Schnitte von solchen vorliegen; obwohl 
erst die scharfe Tinction und der Beleuchtungsapparat dies hinreichend er- 
kennen lässt. Die Formen Fig. 20 liegen freilich schon nicht mehr weit vor 
solchen, für die auch Strasburger jetzt das alleinige Vorkommen von 
Fäden zugiebt (vergl. seine Fig. 14, 15 Taf. 37 a. a. O.). Aber auch von 
den vorangehenden Stadien, von denen in Fig. 19 hier eines skizzirt ist, kann 
man nicht behaupten, dass sie aus Körnern beständen. Wo sie hinrei- 
chend locker gebaut sind, unterscheidet man stellenweise deutliche Faden- 


1) Es ist mir bei den Allium- und verwandten Arten, die mir Herr 
College Engler freundlichst verschaffte, leider nicht gelungen recht gün- 
stige Stadien der Entwicklung zu treffen, wo die Theilungen im Endosperm 
so massenhaft gehäuft zu finden sind, wie ich dies an gütig gesandten Prä- 
paraten Strasburger’s bewundern konnte. Doch habe ich eine hinreichende 
Anzahl von Theilungsstadien durch längeres Suchen zusammengefunden, um 
das Obige daraus schliessen zu können. 

Die Theilungen lassen sich bei diesen Pflanzen durch Chromsäure und 
Pikrinsäure nicht so sicher und schön conserviren, wie bei Thiergeweben; es 
ist dafür zu empfehlen, die Knospen oder sonstigen Stücke vor dem Einlegen 
anzuschneiden. Ich stimme Strasburger darin zu, dass der Alkohol 
die Theilungen hier oft sehr gut conservirt; einige Stadien (besonders Toch- 
terknäuel) erleiden jedoch dadurch leichter wie bei Thierzellen Schrumpfung, 
was auch Strasburger a. a. O. zugiebt. Meistens habe ich Alkoholhärtung 
und Kernfärbung mit Alauncarmin gebraucht. Der Alkohol ist auch bei 
Thierzellentheilungen brauchbar, aber viel unsicherer als Chrom und Pikrin. 


178 Walther Flemming: 


windungen; doch gehören dazu bei der Kleinheit der Objecte, und bei der 
hier sehr dichten Lagerung der fraglichen „Windungen oder Körner“, schon 
starke Systeme, und ich gebe gern zu, dass die Sicherstellung, ob allein Eins 
oder das Andere vorliegt, an diesen Kernen unmöglich ist. Hier aber 
scheint mir der Analogieschluss in sein volles Recht treten zu können. Ein 
Epithelkern von Salamandra, wie ihn meine Fig. 2c Taf. 17 im I. Theil 
dieser Beiträge zeigt, befindet sich im entsprechenden Zuständ wie der kleine 
runde Pflanzenkern in Fig. 19 Taf. 2 hier; jener ist aber viel grösser, dabei 
von flacher Form, deshalb gelingt es bei ihm leicht festzustellen, dass er 
nur Windungen und nicht Körner enthält !). 

Bei dem Pflanzenkern von Fig. 19 hier dagegen ist dies nicht möglich, 
auch wenn hier ebenfalls bloss Windungen da sind; da dieselben bei ihrer 
Feinheit und der Kleinheit des Kerns entsprechend viel dichter liegen, und 
da ausserdem, weil der Kern mehr rund ist, relativ viel mehr Windungen 
übereinander liegen und sich gegenseitig verdunkeln, als es bei dem platten 
Epithelkern der Fall ist. 

Daher erlaube ich mir, aus dem günstigen Object auf das ungünstigere 
zu schliessen; und verstehe es nicht recht, dass Strasburger und Andere 
sich dazu in diesem und anderen Fällen nicht entschliessen wollen. Denn 
durch mein Verfahren wird auch für diese Stadien die Homologie bei Thieren 
und Pflanzen hinreichend hergestellt, durch die Annahme aber von körnigen 
Anfangsstadien bei Pflanzen u. A. — welche doch, wie hier erörtert ward, 
durch die Thatsachen nicht postulirt ist — wird gleich für die ersten Thei- 
lungsphasen eine erhebliche Verschiedenheit bei den genannten Objecten auf- 
gestellt. 

2) Das Vorkommen von Sternformen des Mutterkerns hat Stras- 
burger an Pflanzenzellen bisher nicht speciell bestätigt; nur für Psilotum 
triquetrum (Sporenmutterzellen) bemerkt er, dass zuweilen eine radiäre An- 
ordnung vorkomme, doch nicht so ausgesprochen wie bei meinen Objecten. 
Ich muss zugeben, dass ich die Muttersterne bei Allium und Nothoscorodon 
noch nicht in solcher Deutlichkeit und Eleganz der Form vorgefunden habe, 
wie bei Thierzellen; sie scheinen dort immer mehr zusammengedrängt zu 
sein und zu Biegungen der Strahlen zu neigen. Doch glaube ich den be- 
treffenden Formen, die ich bis jetzt bei Pflanzen gefunden habe (Beispiel 
Fig. 21 und 22 Tafel 2) immerhin einen deutlich radiären Bau zuschreiben 
zu müssen, um so mehr, da an den Tochterkernen auch hier, bei den 
Pflanzen, recht augenfällige Radiärformen sich finden (Fig. 24). 

3) Die Stadien bei Pflanzen, die Strasburger früher mit dem Namen 
Kernplatte belegt hatte (z. B. seine Fig. 20—22 Taf. IV, Lit.-Verz. 8), 


1) Vergl. den Text Th. I, p. 368 oben: die einzelnen scheinbaren 
Körner in der Fig. 2c Tafel 17 sind nur optische Schnitte, wie auch in 
anderen der Figuren. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 179 


entsprechen offenbar denjenigen, welche ich bei Thierzellen Aequatorial- 
platte genannt habe. 

In diesen sind nun an meinen thierischen Objeeten aufs Deutlichste 
zwei Systeme von etwa gleichlangen und gleichdicken Fäden 
vorhanden, je einem, künftigen Tochterkern entsprechend; 
jeder Faden ist zu einer Schleife geknickt, die den Umbiegungs- 
winkel nach dem betreffenden Pol kehrt), und die aequatorialen 
Enden der beiden Fädengruppen liegen zwischeneinandergeschoben oder ein- 
ander etwa gegenüber. (Siehe Fig. 10—14 Taf. 1 hier.) Eine Continuitätstren- 
nung der Fäden beider Tochterkerngruppen findet von diesem Stadium aus 
nicht mehr Statt, sie hat schon vorher Statt gefunden: nur kann 
allerdings eine temporäre Verschmelzung, und dann Trennung von Faden- 
enden jetzt Statt finden. 

Nach Strasburger’s Darstellung dagegen würden die Elemente der 
Kernplatte bei den Pflanzen nebeneinandergelagerte Körner sein, von 
etwa elliptischer Form, die sich erst jetzt halbiren (s. Strasburger’s Fig. 
20—22, 47—48, 35, 56 u. a.). 

Für solche Fälle, in denen Strasburger zugiebt, dass vor diesem 
Stadium Fäden, nicht Körner vorhanden sind (Nothoscorodon u. A.), ist 
es mir nicht verständlich geworden, wie er sich die Lagerung dieser Ele- 
mente zur Aequatorialplatte, resp. Kerntonne denkt. 

Ich habe in Fig. 23 Taf. 2 hier eine Aequatorialplatte von Allium 
odorum (aus dem Umfang des Fruchtknotens) wiedergegeben, mit Hartnack 9% 
imm. gesehen und vergrössert dargestellt ?). Soviel ist an dieser Figur, und 
anderen ähnlichen, ganz sicher, dass Fäden da sind, und nicht unregel- 
mässig geformte und verwaschen aussehende Körner, wie sie Strasburger 
in den entsprechenden, vorher citirten Figuren darstellt. Im Specielleren 
aber habe ich freilich die Verhältnisse in dieser Figur nur so dargestellt, 
wie sie mir zu seinscheinen, nnd wie sie jedenfalls sein können. Sie liegen 
schon zu sehr an der Grenze des Erkennbaren, als dass man dies behaupten 
könnte. Das Element links oben in der Figur scheint eine abgerückte ge- 
bogene Fadenschleife zu sein; an den Polarseiten glaube ich Umbiegungen 
von Fäden zu sehen. — Aber wenn dies für diesen Fall und viele ähnliche 
nicht zu beweisen ist, so darf man ebensowenig behaupten, dass Alles dies 
nicht da sei, und dass etwa gar die Fäden an den Polen alle frei aufhörten. 
Denn der aequatoriale Durchmesser der färbbaren Figur in Fig. 23 Taf. 2 


1) Abgesehen von Unregelmässigkeiten in der Lagerung (vergl. Ab- 
schnitt 2, und Fig. 14 Taf. 1, Fig. 35d Taf. 3 hier. 

2) Stärkere Immersionen (z. B. Seibert und Krafft Nr. 11) nützen hier- 
für auch nicht mehr. Was sie an der Vergrösserung verstärken, nehmen sie 
an Licht weg. Ich bin für solche Objecte allmählig dahin gekommen, dass 
ich nichts mehr beschreibe, als was ich nicht auch mit Imm. 9 von Hartnack 
sehen kann. 


180 Walther Flemming: 


ist = 18 u, der polare = 15—16 u; der aequatoriale Durchmesser der Aequa- 
torialplatte in Fig. 14 Taf. 1 dagegen, von Salamandra, beträgt 28 a, der 
polare 22 u. Hier kann man gerade noch ganz deutlich sehen, dass man 
Fadenschleifen vor sich hat, die an der Polseite umbiegen; dort bei der 
Pflanze, bei den kleineren Verhältnissen, ist das nicht zu verlangen. 

Hiernach kann ich nicht glauben, dass wirklich eine so tief greifende 
Heterologie zwischen diesen Stadien bei Pflanzen und Thieren besteht, wie 
sie aus Strasburger’s Angaben folgen würde; sondern muss es für das 
Wahrscheinlichste halten, dass die Aequatorialplatten der Pflanzen im Wesent- 
lichen in derselben Art gruppirt sind wie bei Thierzellen, wenn man dies 
auch bei ersteren nur an besonders günstigen Objecten wird entscheiden 
können. 

Ich übersehe hierbei nicht, dass bei dem letztuntersuchten Stras- 
burger’schen Object (Tradescantia-Haare) die Grössenverhältnisse günstiger 
sind; nach seinen Massangaben p. 3 l. c. würden die Kerndimensionen hier 
denen von Salamandra ziemlich nahe kommen. Aber so viel ieh ent- 
nehme, hat Strasburger bei diesem Object bis jetzt noch keine geeigneten 
Tinetionen angestellt; vielleicht sind sie hier auch nicht ausführbar. Ohne 
gute Tinetion und Aufhellung mit aetherischem Oel aber würde 
ich auch bei Salamandra den Bau von Aequatorialplatten, wie 
in Fig. 10—14 Taf. I hier, nicht sicher erkennen können, sie wür- 
den meistens nur als Anhäufungen von undeutlichen Körnern oder Stäbchen 
erscheinen. Die Reagentien, welche auch Strasburger angewandt hat, 
(Chromsäure, Alkohol, Osmiumsäure) würden mir hierbei ohne Tinetion 
sehr wenig helfen; und da Strasburger auch sonst die letztere noch nicht 
in derselben Weise, wie ich, ausgenutzt zu haben scheint, so muss ich mir 
zunächst erlauben, mich mehr auf meine eigenen Erfahrungen zn verlassen. 

4) Strasburger scheint für sicher zu halten, dass bei Pflanzen nach 
dem Stadium der Kerntonne die beiden Tochterkernmassen je zu einem 
homogenen Klümpchen verschmelzen, und erst nachträglich diese Klumpen 
sich wieder zu Fadencomplexen differenziren. 

Hieran muss ich zweifeln. Ich würde diesen Zweifel nicht äussern 
ohne eigene Prüfung lebender pflanzlicher Theilungen, wenn ich mir von 
solcher eine Entscheidung versprechen könnte; das ist aber nicht der Fall. 
Denn soviel ist gewiss, dass, wie ich früher erwähnt habe, in dem Stadium 
meiner Fig. 28 Taf. 2 hier die Windungen der Tochterkernfäden meistens 
sehr dicht zusammenrücken; am lebenden Object sehen die Tochter- 
kerne dann selbst bei der grosskernigen Salamandra scheinbar homogen aus 
(vergl. in m. Theil I Taf. 16 Fig. 3ik), und man braucht erst Essigsäure 
oder andere Dinge, um zu zeigen, dass sie es doch nicht sind (Ebenda, k!). 
Bei einem kleineren Pflanzenkern wäre darüber auch so keine Sicherheit zu 
hekommen. 

Ich habe aber ein anderes Argument. Aus eigenen conservirten und 
tingirten Präparaten von Salamandra kann ich in Menge Tochterkerne de- 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 181 


monstriren, weiche sich durchaus als homogene, höckerige Klumpen darstellen 
(z. B. Fig. 29 Taf. 2). Das sind fast durchweg solche Präparate, an denen 
auch die übrigen Kernfiguren, sowie die ruhenden Kerne mehr oder minder 
Schrumpfung und (die ersteren) Zusammenballung erlitten haben. Je besser 
dagegen im Allgemeinen die Conservation, je regelmässiger geformt 
die Muttersterne und -Knäuel sind, desto weniger findet man von sol- 
chen homogenen Tochterkernen. Ich kann dies behaupten, nachdem 
ich nunmehr ein recht grosses Material geprüft, und einige Tausende von 
conservirten Kerntheilungen, von verschiedener Güte der Erhaltung, vor 
Augen gehabt habe. 

Ich halte also dafür, dass man an diesem Stadium im Leben überhaupt 
nicht feststellen kann, ob es homogen oder fadig differenzirt ist; dass aber 
in der That das Letztere stattfindet, und dass überall, wo solche Tochter- 
kernpaare an Reagentienpräparaten homogen erscheinen, eine künstliche 
Verklumpung der Fadenwindungen vorliegt. Besonders leicht verklumpend 
wirkt in dieser Hinsicht der Alkohol. — 

Auch bei den Tochtersternen (in Formen wie Fig. 26 Taf. 2 u. 24 
Taf. 2) kommen solche künstliche Conglutinationen oft vor, und zwar natür- 
lich besonders an der Stelle, wo die Fäden der Halbsterne am engsten ge- 
nähert liegen, nämlich an der Polarseite, resp. im Centrum des Sterns. Es 
hat dies verschiedene der Schriftsteller zu der Meinung geführt, dass die 
Fäden der Tochterfiguren in dieser Form „zunächst an der Polseite mit ein- 
ander verschmölzen“. Auch diese Bilder muss ich vielmehr als Artefacte 
auffassen. 

Dabei bestimmt mich noch ganz besonders Folgendes: 

In Präparaten von Amphibien u. A., welche überhaupt an Schrum- 
pfungen reich sind, findet sich, dass ausser dieser Tochterkernphase auch 
unter den Mutterkernfiguren gerade die am häufigsten zu einer homo- 
genen Masse zusammengeklumpt sind, in welchen ebenfalls die Fadenelemente 
besonders dicht gedrängt liegen: nämlich die systolischen Sterne und die 
Aequatorialplatten. Bei diesen kann aber nicht der geringste Zweifel sein, 
dass dies Artefacte sind und dass die Fäden in natura getrennt waren. Der 
Schluss daraus ergiebt sich fast von selbst: In der Mutterfigur 
folgen aufeinander die Formen: Knäuel-Stern-Aequatorialplatte, 
indem dabei sicher und nachweisbar keine Verschmelzung, keine 
Wiederneubildung von Fäden erfolgt, sondern die Fäden durch 
die beiden Figuren hindurch morphologisch erhalten bleiben 
und nur umgeordnet werden. Bei den Tochterfiguren anderer- 
seits folgen aufeinander die Formen: Aequatorialplatte — Stern 
— Knäuel. Es liegt schon a priori am Nächsten, dass es dabei 
in Bezug auf das morphologische Erhalten-Bleiben der Fäden 
nicht anders sein wird, als vorher beim Mutterkern; dies wird, wie 
mir scheint, noch stärker dadurch bezeugt, dass die besteonservirten Präpa- 
rate es zeigen, und nicht dadurch in Frage gestellt, dass man es an den 
lebenden und an weniger gut conservirten Objecten nicht immer sehen kann. 


182 Walther Flemming: 


Ich möchte nicht dahin verstanden werden, als ob ich hiermit die 
Vollkommenheit der Präparate Strasburger’s irgend herabsetzen wollte, 
deren Schönheit mir die gesandte Probe hinreichend gezeigt hat. Aber ge- 
rade für diese Stadien der Tochterkerne sind diese pflanzlichen Objeete be- 
sonders ungünstig, man wird daran vielleicht niemals etwas anderes erzielen 
können, als die erwähnten artificiellen Verschmelzungen. Denn die Kerne 
und Kernfiguren sind hier erstens relativ klein, und zweitens ist die Menge 
der Windungen resp. Fadenstücke grösser, daher die Lagerung dichter, als 
bei vielen Zellen von Amphibien; je enger aber ihre Lagerung, desto leichter 
sind sie natürlich der Conglutination durch die Reagentien ausgesetzt, und 
desto mehr macht solcher Knäuel am lebenden Kern den Eindruck des Ver- 
schmolzenseins. 

Vielleicht mögen, wie ich gern zugeben will, die Verhältnisse in diesem 
Stadium bei Pflanzen vielfach überhaupt so liegen, dass eine Unterscheidung: 
ob Windungen, ob homogene Beschaffenheit — wirklich unmöglich bleibt. 
Es kann ja sein, dass in den Stadien der Tochterkerne, welche Strasburger 
z. B. von Tradescantia (l. e. p. 7 unten) nach dem Leben beschreibt, und 
ebenso in vielen anderen Öbjecten, die Fäden dieser Kerne wirklich ganz 
bis zur Berührung aneinandertreten. Aber es ist doch noch ein Unter- 
schied zwischen Berührung und Verschmelzung. Nehmen wir die erstere 
an, so bleibt der Fadenbau auch in diesem Stadium gewahrt, und es lässt 
sich damit eine hinreichende Homologie der Formenreihe für Thier- und 
Pflanzenzellen durchführen; nimmt man eine Verschmelzung an, so ist 
diese Homologie zerstört. So lange die Wahl zwischen diesen zwei Annahmen 
bleibt — und das scheint mir noch durchaus der Fall zu sein — ziehe ich 
entschieden die erstere vor !). 

5) Die Längsspaltung der Fäden (Th. 1 Taf. 17 Fig. 10, 11, 16 
Fig. 5, hier Taf. 1 Fig. 9) hat Strasburger bei Pflanzen nicht gesehen 
und scheint nicht anzunehmen, dass sie hier vorkommt. Nach Objecten, wie 
sie meine Fig. 21 Taf. 2 hier zeigt, muss ich Letzteres doch glauben, obwohl 
sie offenbar auch hier viel undeutlicher ist wie bei Thierzellen, und obwohl 
ich auch für Letztere zugebe (s. o. b. Hodenzellen), dass die Erscheinung 
vielleicht in manchen Fällen fehlen kann. — In Fig. 21 sind nur diejenigen 
Fäden doppelt dargestellt, bei denen dies Verhalten ganz deutlich und un- 
zweifelhaft mit Hartn. Imm. 9 und Zeiss Imm. 2 vorliegt, auch schon mit 
schwächeren Systemen erkennbar ist. Es ist möglich, dass in derselben Kern- 
figur auch alle übrigen Fäden gespalten sind und nur die Hälften enger 
aneinanderliegen, wie bei den doppelt dargestellten; bei manchen sieht es so 


1) Strasburger giebt übrigens in seiner letzten Mittheilung zu, dass 
der Alkohol gerade in den hier in Rede stehenden Phasen Veränderungen 
gedachter Art machen könne. Auch Chrom- und Pikrinsäure verhalten 
sich hierin, so viel ich finde, bei Pflanzen nicht unschuldiger. 


vr BR EATTE 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 183 


aus, ich habe es aber in der Zeichnung nicht dargestellt, wo es nicht ganz 
sicher war. 

Ich bemerke dazu noch, dass die betreffenden Objeete von Allium 
Alkoholpräparate sind, und dass ich an solchen auch bei Thierzellen die 
Fädenspaltung nie so deutlich finde, wie an Chrom- und Pikrinpräparaten. 

6) Eine der. hauptsächlichsten Differenzen endlich ist folgende: gerade 
diejenige Erscheinung bei der Kerntheilung, die mir für die Physiologie und 
Mechanik des ganzen Processes besonders bemerkenswerth erschienen ist, die 
rückläufige Wiederholung der Figurenreihe des Mutterkerns durch die der 
Tochterkerne, erkennt Strasburger zwar für meine Objecte an, leugnet sie 
aber für die seinigen. 

Dies ist mir nicht ganz verständlich, weil Strasburger’s eigene Be- 
schreibung im Wesentlichen sämmtliche Formen enthält, welche durch die 
rückläufige Metamorphose der Tochterkerne postulirt werden: (Siehe seine 
Taf. IV l.c. Fig. 23, 24, 57, 58: Tochtersterne; 26, 27, 28, Tochter- 
knäuel, allerdings stark parallelfadig. In der Beschreibung der Zelltheilung 
bei Tradescantia, p. 5, heisst es: „Die Stäbchen legen sich nunmehr etwas fächer- 
förmig auseinander“. Es ist sehr möglich, dass dieses Auseinanderklappen 
bei Pflanzenzellen nicht so hochgradig wird, wie bei vielen Thierzellen; 
immerhin involvirt es eine Sternform, besonders deutlich wenn vom Pol ge- 
sehen. Was darauf folgt (Str. ebenda p. 7): die „quere Streifung‘“ dann die 
„feckige Zeichnung“ der lebend gesehenen Kerne würde ich eben für aequi- 
valent halten mit den gegitterten und Knäuelphasen der Tochterkerne, wie 
sie in meinen Figg. 17 Taf. 17, 2, 3 Taf. 18, 18 Taf. 17, Theil I dieser Bei- 
träge, gezeichnet sind; nur dass die Copie der Mutterphasen durch die Toch- 
terphasen bei den Thierzellen viel deutlicher ausfällt). 

Wenn ich also in allen bis hier besprochenen Puncten noch keinen 
Grund finde, erhebliche Verschiedenheiten des Theilungsvorgangs bei Pflanzen 
und Thieren anzunehmen, so sind dagegen in einigen andern wirkliche Diffe- 
renzen bei beiden Objecten jetzt sicherzustellen. 

Erstens in dem Verhalten der Nucleolen. Diese erhalten sich 
bei Pflanzen während der Karyokinesis im Mutterkern weit länger in ihrer 
Form, als bei Thieren, und umgekehrt treten sie dort in den Tochterkernen 
weit früher wieder auf, wie hier. Dies ist durch die neue Mittheilung Stras- 
burger’s (8) erwiesen, und ich kann es durchaus bestätigen (s. Fig. 18 
Taf. 2 hier). Nach einigen Figuren Eberth’s (2) wäre ein ähnliches Ver- 
halten auch bei manchen Wirbelthieren anzunehmen. Ich habe mit Rücksicht 
darauf nochmals viele der betreffenden Stadien (lockere Knäuelform) von 
Salamandra und Siredon, wie auch von Säugethieren bei bestem Licht mit 
starken Systemen geprüft, kann jedoch versichern, dass hier in der That 
nichts von Nucleolen zu erkennen ist (vergl. Fig. 3, 4, 5 Taf. 17, Th. J). 

Für die Beurtheilung der physiologischen Rolle, die die verschiedenen 
Bestandtheile des Kerns bei der Theilung spielen, ist diese Thatsache jeden- 
falls als wichtig zu notiren (s. Abschnitt 2). 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 13 


184 Walther Flemming: 


Eine andere Differenz liegt darin, dass bei Pflanzen die blassen, nicht 
tingirbaren Fäden, die noch innerhalb der tingirbaren Kernfigur in axia- 
ler Lagerung vorkommen (z. B. Fig. 22—26 hier), weit deutlicher hervor- 
treten. Dasselbe ist jedoch auch bei manchen Thierzellenarten der Fall !). — 
Dieser Unterschied ist aber kein fundamentaler. Ich habe nunmehr auch bei 
Salamandra diese Fäden gefunden; sie sind freilich bei Epithel-, Blut- und 
Bindegewebszellen (s. Fig. 12 Taf. 1 hier) nur selten, und auch dann fast 
niemals besonders scharf zu sehen, deutlicher bei den Hodenepithelien und 
zuweilen bei Knorpelzellen (womit eine Beobachtung Schleicher’s bestätigt 
wird (Fig. 3, 4, 10 Taf. 13); in allen diesen Fällen ist übrigens Untersuchung 
in nicht zu stark brechenden Medien nöthig, um sie hier zu erkennen. Hier- 
nach muss ich denken, woran ich früher noch zweifelte (Th. I), dass diese 
Fäden, in mehr oder minder deutlicher Ausprägung, ganz wohl ein allge- 
meines Vorkommen bei der indirecten Zelltheilung sein können und müssen 
sie gewiss, neben der eigentlichen tingirbaren Kernfigur, für das weitere 
Studium des Vorgangs grosse Beachtung verdienen. (Weiteres hierüber und 
zur Begründung s. im Abschnitt 2.) 

Hiermit gerathe ich nun in einige Collision mit der Definition und 
Eintheilung der Kerntheilungstypen, welche Strasburger so eben in seiner 
eitirten Schrift (8 p. 284) aufgestellt hat. Er bezeichnet diejenigen Formen 
der Aequatorialplatte, welche er selbst in dem Integument der Ovula be- 
Nothoscorodon, und ich überall bei Salamandra fand (z. B. Fig. 12 Taf. 1 
hier) als Kerntonnen, die Formen mit jenen blassen Fasern als Kernspin- 
deln; seine Ansicht geht dahin, dass bei den Spindeln eine Sonderung 
der Kernsubstanz in die eigentlichen Kernplattenelemente ?) und jene blassen 
Fasern stattfände, bei den Tonnen aber eine solche Sonderung überhaupt 
nicht einträte. — Nun aber finde ich, wie gesagt, dass diese Sonderung auch 
in den letzteren bei Salamandra nicht ausbleibt; es wird sich also fragen, ob 
jene Unterscheidung aufrecht erhalten werden soll, da sie hiernach vielleicht 
nur auf ein Mehr oder Minder der Deutlichkeit herauskommen dürfte ?). Als 
bequeme Bezeichnungen der Totalform kann man die Ausdrücke Tonne und 
Spindel natürlich trotzdem benutzen. 


Strasburger hat in jüngster Zeit ausgesprochen: „die Beob- 
achtungen der Kerntheilung in ausgeprägten Thieren und Pflanzen 
gäben bis jetzt, oft bis in die feinsten Details, übereinstimmende 


1) So: beim Endothel der Froschhornhaut (Mayzel); ferner bei Ei- 
zellen und Furchungszellen. 

2) Das ist das Nämliche, was ich Kernfigur nenne, das Tingirbare. 

3) Vergl. am Schluss des Abschnitts 2, unter: „Die achromatische 
Fadenfigur“. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 185 


Resultate‘; und: „diese Uebereinstimmung sei trotz bestehender 
Abweichungen noch gross genug, um in beiden Fällen auf gleiche, 
die Theilung beherrschende Kräfte schliessen zu lassen.“ 

Ich habe eine solche Uebereinstimmung von vornherein für 
wahrscheinlich gehalten, und hoffe, dass sie sich noch bis in viel 
feineres Detail wird durchführen lassen, als dies jetzt anzugehen 
scheint. Soll dies aber geschehen, so werden vor Allem erst die obigen 
Punkte aufgeklärt werden müssen, die ich deshalb hier unter 1) 
bis 6) genau zusammengestellt habe: denn wenn Strasburger’s 
bisberige Ansichten über sie aufrecht gehalten würden, dann scheint 
mir durch’sie keineswegs eine Uebereinstimmung, sondern 
eine so erhebliche Differenz bedingt zu werden, dass es viel- 
mehr sehr schwer sein würde, für beide Fälle auf gleiche wir- 
kende Kräfte zu schliessen. Ich führe als ein besonders deut- 
liches Beispiel dafür nur das oben unter 3) besprochene Stadium 
der Aequatorialplatte an: wenn wir wirklich im einen Fall 
(Pflanzen) hier Körner hätten, die sich erst um diese Zeit theilen; 
im anderen (Thiere) aber Fadensegmente, die sich schon lange 
vorher, im Knäuel- oder Kranzstadium getrennt haben und in der 
Aequatorialplatte nur einander gegenüberrücken — so würde ich 
zunächst keine Möglichkeit sehen für beide Erscheinungen gleiche 
wirkende Kräfte zu construiren. 


D. 
Säugethiere. 


Für pathologische Fälle sind durch Eberth (2) vom Kanin- 
chen schon einige Kernfiguren beschrieben worden, in denen sich 
deutlich Knäuel- und Sternformen erkennen lassen. Es fragte sich 
für mich, ob sich dieselber auch im physiologischen Wachsthum 
ergeben würden. 

Ich habe sie in grosser Menge gefunden: 1) bei Kaninchen- 
embryen im Epithel und der Bindesubstanz des Amnion, im 
Körperepithel und Bindegewebe, im wachsenden Muskel und im 
Knorpel. Das Amnion ist ein besonders bequemes und an Thei- 
lungen reiches Objeet. Behandlung: Chromsäure 0,1 pCt., Safranin 
oder Hämatoxylin; oder Pikrinsäure, Hämatoxylin oder Partsch- 
Grenacher’sches Alauncarmin. 


186 Walther Flemming: 


Ferner 2) bei saugenden Kätzchen im Mesenterium und 
Omentum (Bindegewebszellen und Zellen der jungen Fettanlagen). 
Behandlung ebenso, oder noch bequemer: Essigsäure 0,5 pCt. auf 
die am Objeetglas ausgebreitete Membran, vorsichtiges Abwaschen 
mit Wasser, Hämatoxylin. 

Fig. 30 a—d geben nur einige Beispiele. Die Kernfiguren 
unterscheiden sich, so weit man bei ihrer geringeren Grösse ur- 
theilen kann, in nichts Wesentlichem von denen bei Salamandra. 
Deutliche feinfadige Kernspindeln (im Sinne Strasburger's, S. 0. 
bei „Pflanzenzellen“) konnte ich hier bisher nicht sehen, halte 
dies aber bei der Kleinheit der Verhälnisse für keinen Beleg ge- 
gen ihr Vorkommen. Die Tochter-Kernknäuel (s. Fig. 28, 29 von 
der Krötenlarve), die systolischen Sterne und Aequatorialplatten 
werden öfter durch die Reagentien verschrumpft und zu homoge- 
nen klumpigen Massen geballt, als bei den Amphibien, was bei 
den kleinen Elementen natürlich ist, denn je kleiner die Kern- 
figur, desto weniger locker liegen die Fäden, desto leichter wer- 
den sie also conglutinirt werden. 

Der Versuch, am frischen Omentum die Theilung auf geheiz- 
tem Objectglas zu verfolgen, war resultatlos, denn die lebenden 
Kernfiguren bleiben hier wegen ihrer Blässe undeutlich. 


Untersuchungen, die ich über die Kernvermehrung bei der 
Theilung thierischer Eizellen begonnen habe, sind noch 
nieht zum Abschluss gelangt. Vorläufig möchte ich aber die Ver- 
muthung aussprechen, dass auch hier, so abweichend die Ver- 
hältnisse auf den ersten Blick aussehen, in den Hauptsachen Ho- 
mologie sich ergeben wird. Die färbbaren Elemente („Kernplat- 
tenelemente“) sind bekanntlich in Ei- und Furchungszellen relativ 
klein und schwer zu beobachten; ich sehe bis jetzt jedoch keinen 
stichhaltigen Einwand dagegen, dass auch hier die Theilung mit 
Knäuel- und Sternformen beginnen kann; für die Eier von Meso- 
stomum hat Schneider ja die ersteren bereits nachgewiesen. 

Die Skizzen Taf.2 Fig. 31—34 habe ich mir erlaubt nach Prä- 
paraten von Toxopneustes lividus zu zeichnen, die mir von 
Herman Fol vor zwei Jahren zum Geschenk gemacht wurden !); 


1) Osmium-Carmin. Ein anderes mitgesandtes Präparat Fol’s, Pi- 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 187 


sie sind ganz einfach gehalten, da sie nur zeigen sollen, in wel- 
cher Art ich ihre Formen auf die Verhältnisse bei anderen Zellen 
beziehen möchte. Fig. 34 würde die Aequatorialplatte sein (vergl- 
Taf. 1 Fig. 10—14 von Salamandra, Taf. 2 Fig. 22 (eigentlich noch 
Stern) und Fig. 23 von Pflanzen); Fig. 31: Trennung und begin- 
nende Tochtersternform = Fig. 25, weiter Fig. 26, Taf.2. Fig. 32,33: 
Knäuelform der Tochterkerne = Taf. 2 Fig. 28, Taf. 3 Fig. 352g.) 
— Bei der Kleinheit der Kernfiguren der Eizellen, der Feinheit 
ihrer Fäden und der Verdunkelung durch die grosse körnerreiche 
Masse des Eiprotoplasmas, ist es freilich nicht möglich den Bau 
dieser Figuren so klar zu sehen wie bei den anderen Objecten, 
und ich kann nicht beweisen, dass er wirklich derselbe ist; halte 
dies aber für das Nächstliegende. Eigenthümlich sind bei den 
Eizellentheilungen Wirbelloser die Elemente, die in den blassen 
Kernfäden, an oder nahe den Polen, in den Stadien der Tochter- 
knäuel deutlich werden (Fig. 32x) und bald zu einem glänzenden 
Körper zusammenzurücken scheinen (Fig. 33x). Es ist dies, was 
H. Fol (6) ‚corpuscule central d’un aster‘ nennt. 

H. Fol selbst hat in dem eben eitirten Werk zahlreiche 
schöne und sorgfältige Abbildungen der betreffenden Stadien ge- 
geben (Taf. 6ua a. a. O.), die, wie mir scheint, mit der hier ge- 
kennzeichneten Auffassung nicht in Widerspruch stehen, wenn 
auch Einzelnes darin auf den ersten Blick so erscheint. So beson- 
ders, dass die Tochterkernfiguren, welche ich als Knäuel anse- 
hen möchte (Fig. 32, 33 hier), in den Abbildungen Fol’s und An- 
derer aus getrennten Körperchen zu bestehen scheinen. Ich gebe 
zu, dass man bei manchen solchen Figuren mehr den letzteren Ein- 
druck erhält; andere sehen mir aber wieder ganz wie zusammen- 
hängende und etwas geschrumpfte Knäuel aus, und da einige Ver- 
änderung durch die Reagentien mir hier in allen Fällen im Spiel 
zu sein scheint, so halte ich die Annahme, dass meine Auffassung 
durchführbar ist, für gestattet. 


Das wesentliche Ergebniss der vergleichenden Untersuchung, 


über die ich so eben berichtete, lautet also kurz: 
U 


krinsäure, zeigt die achromatischen Fäden sehr schön erhalten, die chro- 
matische Kernfigur dagegen ist hier weniger deutlich. 


188 Walther Flemming: 


1) Die Hauptglieder der von mir bei Salamandra aufgestellten 
Reihe der Kerntheilungsfiguren: 


Mutterkern Tochterkern 
(progressiv). (regressiv). 
Ruhe (Gerüst) ' Ruhe (Gerüst) 
Knäuel Knäuel 
\ Stern 4 Sterne 


\ Aequatorialplatte / 
(oder Kerntonne, Kernspindel) 

haben sich bei fast allen den untersuchten Objecten in gleicher 
Reihe wiederfinden lassen und zeigen nur bei manchen for- 
melle Abweichungen, welche nicht als wesentlich zu betrachten 
sind; bei denjenigen der Objecte, wo die Uebereinstimmung in 
einzelnen Punkten nicht klar ausgesprochen ist, liegen die Beob- 
achtungsverhältnisse so ungünstig, dass es mindestens ebenso gut 
freistehen muss jene Uebereinstimmung anzunehmen, als sie zu 
bezweifeln. 

Es ist also gestattet, das bei Salamandra gefundene Gesetz, 
wonach die Mutterformen in umgekehrter Reihe durch die Toch- 
terformen copirt werden, auch auf die übrigen untersuchten Ob- 
jeete auszudehnen; und es ist hiernach ferner denkbar (obschon, 
wie ich ausdrücklich zugebe, noch nicht erwiesen), dass die Me- 
chanik des Theilungsvorganges, wie sie im folgenden Ab- 
schnitt für die Urodelen näher dargelegt wird, für alle Zellenarten 
überbaupt bei Thieren und Pflanzen Geltung hat. Diese Annahme 
beansprucht für sich dasselbe Recht, mit welchem wir 
auch inanderen Dingen Analogieschlüsse von Bekanntem 
auf Unbekanntes machen. 

2) Irgend welche Belege dafür, dass ausser dem Typus der 
indirecten Kerntheilung oder Karyokinesis noch andere, fundamen- 
tal davon verschiedene Kernvermehrungsarten vorkämen, haben sich 
bei dieser Untersuchung nicht ergeben !). 


1) Vergl.,Nr. 13, Lit.-Verz. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 189 


Anhang. 
Ueber die Kernvervielfältigung bei mehrkernigen Zellen. 


Auf die mehrkernigen Zellen ist in jüngster Zeit ein beson- 
deres Interesse gelenkt, indem ein in Dingen der Cellularphysiolo- 
gie ausgezeichneter Forscher, Ed. van Beneden, sie als Reprä- 
sentantinnen einer direeten, ohne Fadenmetamorphose verlaufen- _ 
den Kerntheilung in Anspruch genommen hat (1). Ich habe an 
einem anderen Orte (13) ausgeführt, weshalb ich meinem Freund 
van Beneden hierin nicht beitreten kann, und dass nichts im 
Wege steht, auch in den mehrkernigen Zellen die Kernproduction 
auf indireete Theilung zurückzuführen. 

Kurz darauf hat M. Treub (17) für verschiedene mehrker- 
nige Zellenarten von Phanerogamen (Humulus, Vinca, Urtica) nach- 
gewiesen, dass bei der Kernvermehrung in ihnen die typischen 
Kernfiguren zu finden sind; und das Gleiche ergiebt sich aus den 
neuerdings veröffentlichten Untersuchungen von Schmitz (15) für 
die vielkernigen Zellen der Siphonocladiaceen (Thallophyten). 

Einen indirecten Beweis dafür, dass es bei Thierzellen ebenso 
ist, hatte ich schon am eben eitirten Ort erbracht (13, p. 14); den 
direeten kann ich jetzt nachtragen. 

Objecte, die sich zum Studium der Production vielkerniger 
Zellen ganz vorzüglich eignen, sind die Hodenepithelien von 
Salamandra !) zur Zeit, wo die Samenbildung beginnt (Juli, Au- 
gust). Wie im Abschnitt 3 näher beschrieben wird, führen die 
massenhaften indireeten Kernvermehrungen, die hier auftreten, 
nur zum Theil zur Zellvermehrung; anderntheils bleibt diese aus 
und es resultiren vielkernige Zellen (Taf. 3 Fig. 49—52), die zum 
Theil zu einer Grösse und einem Kernreichthum anwachsen kön- 
nen, der ihnen vollsten Anspruch auf den Namen Riesenzellen 
giebt 2). Die Abbildungen zeigen ohne Weiteres, dass die Repro- 
duetion der Kerne hier nach dem Typus der indireeten Theilung 
verläuft; und wenn es auch nicht zu widerlegen ist, dass etwa 


1) Und wohl auch von anderen Thieren. 
2) Ueber die Beziehungen dieser Bildungen zu von la Valette St. 
George’s Spermatocysten siehe Abschnitt 3. 


190 Walther Flemming: 


daneben noch direete Kernzerschnürungen vorkommen könnten, so 
sieht man doch durchaus keinen Grund für eine solche Annahme. 

Zwei Erscheinungen sind nun bei diesen Objeeten besonders 
auffallend, und bemerkenswerth für die Physiologie der 
Kerntheilung. 

Erstens, dass die Kerne in je einer multinuelearen 
Zelle vorwiegend alle zugleich in Theilung gefunden 
werden. Dieselbe Erfahrung hat auch Treub bei seinen Pflan- 

zenobjeeten gemacht; er sagt (a. a.0. p.2 Sep. Abd.): „Les noyaux 
“ d’une m&me cellule se divisent de pröference tous & la fois.“ 

Zweitens, dass sogar fast immer die Kerne in je einer 
multinuelearen Zelle sich sämmtlich in der gleichen 
Theilungsphase befinden (für Beides s. d. Abbildungen). 

Man sieht dies Beides so häufig, dass ich es anfangs für ein 
unabänderliches Gesetz gehalten habe; doch mit Unrecht. Denn 
bei längerem Suchen fand ich eine ziemliche Anzahl von Fällen, wie 
der in Fig. 52 dargestellte (s. d. Erkl.), wo die Mutterzellen, Kern- 
figuren von verschiedenen Phasen enthielten; und wo also an- 
zunehmen ist, dass die einen Kerne entweder später als die ande- 
ren in Theilung getreten, oder langsamer damit vorwärts gekom- 
men sind. 

Es kommt auch vor, dass ein Kern in einer multinuclearen 
Zelle ganz ungetheilt verharrt, während andere sich theilen. Al- 
lerdings habe ich bis jetzt bei allem Suchen nur wenige derartige 
Fälle gefunden, in denen ruhende Kerne neben Theilungs- 
figuren lagen. Erstere waren dann in der Minderzahl (Fig. 49a). 

Die eben erwähnten Fälle sind aber gegenüber der gleich- 
zeitigen Theilung aller Kerne relativ so selten, dass die letztere 
jedenfalls als die Regel betrachtet werden muss. Danach lässt 
sich der selbstverständliche und nicht unwichtige Schluss ziehen, 
dass die nächsten Ursachen, welche einen Kern zur 
Theilungsmetamorphose veranlassen, nicht oder nicht 
allein in ihm selbst wirken, sondern zugleich durch 
die ganze Substanz der Zelle hindurch thätig sind, in 
welcher er liegt. Wenn dies für vielkernige Zellen gilt, so 
wird es sich auch auf einkernige beziehen lassen; und damit wer- 
den wir darauf geführt, auch in dem Protoplasma der in Thei- 
lung tretenden Zelle nach etwa erkennbaren Erscheinungen, die dar- 
auf Bezug haben, genauer zu suchen als dies bis jetzt geschehen ist. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 191 


Ausserdem kommt hier in Betracht, was im Abschnitt 3 näher 
besprochen wird: dass sogar in ganzen Abschnitten 'der Ho- 
denkanäle, und zwar in Abschnitten von recht bedeutender Aus- 
dehnung, die Theilungen zum grössten Theil, oft sogar sämmtlich 
in gleichem Stadium gefunden werden. Dies zeigt offenbar, dass 
die zur Theilung disponirenden Einflüsse von Aussen her auf die 
betreffenden Zellen wirken müssen; man wird wohl selbstverständ- 
lich hier an die Beschaffenheit der Transsudate denken, welche 
aus den Blutgefässen her, oder indirect durch die Lymphwege, an 
die Zellen herangelangen. 

Fälle, die den gleichen Gedanken anregen, hatte ich schon 
früher an Kiemenblättern von Salamandra gefunden. Ich habe 
mehrere solche vor mir gehabt, an welchen fast sämmtliche 
Bindesubstanzzellen des Kiemenblattes zweikernig 
waren. 

Ich erinnere hierfür an die bekannten Befunde, nach denen 
in der Leber des Kaninchens oft auf grosse Strecken hin die Le- 
berzellen sich grossentheils zweikernig oder mehrkernig ergeben. 
Ich selbst habe an einer Schweinsleber ausgedehnte Stellen ge- 
funden, wo etwa 50 Procent der Leberzellen zwei oder mehr, zum 
Theil bis fünf Kerne besassen. 

Schon ehe ich die indirecte Theilung bei den vielkernigen 
Hodenzellen auffand, war mir im Frühling d. J. ein einzelner 
Fall der Art auch bei einer Epithelzelle des Mundbodens von der 
Salamanderlarve vorgekommen. Die Zelle (Taf.1 Fig. 16) enthält 
sechs Kernfiguren, und zwar sind es drei Paar Tochtersterne. Es 
scheint dies aber im Epithel bei Salamandra eine Seltenheit zu 
sein, denn es blieb bis jetzt der einzige Fall, den ich hier bei 
aller Aufmerksamkeit fand. — Ein gutes Objeet für das Studium 
solcher Riesenzellentheilungen muss das Amnion von Säugethier- 
embryen (Kaninchen) sein; denn seine Bindesubstanz ist stellen- 
weise sehr reich an schönen, vielkernigen Zellen. Bis jetzt habe 
ich aber noch keine solche mit Kerntheilungen fixirt gefunden 
und vermuthe darum, dass es sich hier ebenso, wie vielfach an- 
derswo, um schubweises Auftreten von Theilungen handelt, und 
dass ich bisher nicht so glücklich war, einen solchen Schub mit 
der Fixirung zu treffen. 

Das beschriebene kann, wie mir scheint, auch zur Aufklä- 
rung einer Angabe von Eberth (2) dienen: dieser stellt in seiner 


192 Walther Flemming: 


Taf. 19 Fig. 19 eine Zelle mit vier Kernfiguren dar (Phase wahr- 
scheinlich: Tochterknäuel), die er als eine gleichzeitige Vier- 
theilung einer Zelle auffasst. Wie Strasburger und ich selbst 
(Th. I p. 404) dem gegenüber hervorzuheben hatten, haben wir 
niemals gesehen, dass eine Zelle sich zur Zeit in mehr als zwei 
Zellen getheilt hätte; trotzdem glaube ich, dass Eberth’s Beob- 
achtung vollständig richtig ist, dass sie aber die Theilung einer 
zweikernig gewesenen Zelle repräsentirt, deren Kerne, ganz 
wie bei meinen Objeeten, gleichzeitig in Action getreten, und in 
der Phase der Tochtersterne fixirt worden waren. 

Schon nach dem hier Mitgetheilten und den erwähnten Be- 
funden Treub’s besteht also kein Recht zu dem Glauben, dass 
die vielkernigen Zellen durch einen anderen Modus der Kernver- 
mehrung entständen, oder ihre Kerne auf eine andere Weise ver- 
mehrten, als durch indirecte Kerntheilung, mit den auch 
sonst allgemein verbreiteten Phasen der Karyokinesis. 


Absehnitt 2. 


Neue Ergebnisse über Morphologie und Mechanik der Zelltheilung. 


Unser verehrter Altmeister in der entwicklungsgeschichtli- 
chen Forschung, v. Bischoff, sagt in einem kürzlich erschienenen 
Aufsatz : 

„Do glaube ich noch jetzt, bei aller Conjugation der Kerne, 
und bei allen karyolytischen, spindelförmigen und sonnenstrahligen 
Figuren, dass das Wesen der Befruchtung nicht beobachtet, son- 
dern nur mit dem Gedanken erfasst werden kann !).“ 

Mit ebenso vielem Recht, wie über das Wesen der Befruch- 
tung, könnte man diesen Satz über das Wesen der Zelltheilung 
aussprechen. Für beide Fälle ist er unbestreitbar, so weit es sich 
um das wirklich-letzte Wesen der Prozesse handelt. Alle die 


1) Leopoldina-XV, Aug. 1879, p. 128. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 193 


Arbeit, welche gegenwärtig in die Vorgänge bei der Befruchtung, bei 
der Zelltheilung, überhaupt bei allen Lebensäusserungen der Zelle 
einzudringen sucht, kann sich zunächst nur auf das morphologisch- 
und chemisch- Wahrnehmbare richten. Wer aber jenen Ausspruch 
zum Motto nehmen wollte, um dieser Arbeit die Wichtigkeit abzu- 
sprechen, würde Unrecht haben. Wir werden allerdings das in- 
nerste Wesen dieser Vorgänge wohl niemals sehen können. Wir 
können auch nicht sehen, welches im lebenden Körper die Stel- 
lungen der Herzklappen bei Systole und Diastole sind; trotzdem 
dürfen wir behaupten sie gut zu kennen, weil wir sie hinreichend 
mit dem Gedanken erfasst haben; dieser Gedanke aber ist ledig- 
lich abgeleitet aus genauer anatomischer, physiologischer und phy- 
sikalischer Beobachtung. Wenn wir jetzt Beobachtungen über 
die Lebenserscheinungen der Zelle sammeln und vergleichen, so 
geschieht auch dies in der Hoffnung, dass sie zu erklärenden Ge- 
danken und physikalischem Verständniss jener Erscheinungen hel- 
fen werden und müssen, und dass sie dazu unumgänglich nöthig 
sind. Ohne diese Idee würde ich keinen Grund sehen, mein Mi- 
kroskop weiter zu benutzen. 

Mit dieser Einleitung wollte ich es motiviren, dass ich in der 
folgenden Beschreibung mich ziemlich stark in’s Detail vertiefe, 
und die grossen Lücken meiner Beobachtungen nur darin finde, 
dass sie noch lange nicht detaillirt genug sein konnten. 

Um über die Mechanik dieser Vorgänge auch nur Vermu- 
thungen zu machen, muss man zunächst genau wissen, welches 
ihre sichtbaren Formerscheinungen sind und was daran regu- 
lär, was variabel ist. 


Welche Kräfte sind in der Zelle während ihrer Theilung 
thätig? — Der erste Schritt zur Lösung dieser Frage muss ge- 
than werden durch Beantwortung der anderen, rein morphologi- 
schen: Erfolgen die Lageveränderungen der sichtbaren geformten 
Elemente in Zelle und Kern nach einem bestimmbaren Schema, 
und wenn, nach welchem? 

Nach den ersten Arbeiten von Bütschli, Strasburger und 
O. Hertwig schien sich ein solches Schema ziemlich einfach zu 
geben; man kannte nur die Kernplatten und Kernspindeln, man 


194 Walther Flemming: 


glaubte sonach zu haben: eine längsfaserige Differenzirung des 
Kerninhalts, darin eine Anhäufung von Körnern im Aequator, eine 
Theilung dieser Körner, und ein Abrücken ihrer Hälften gegen 
die Pole. 

Nach den neueren Arbeiten über Thierzellentheilungen ist 
dies Schema nicht mehr zu halten, zum Mindesten nicht als Allge- 
meingültiges. Es ist ohne Erläuterung klar, dass die Knäuel- und 
Sternformen gar nicht darin unterzubringen sind. Ebensowenig 
passt in dasselbe der Bau der Aequatorialplatten') bei Thierzellen. 
— Bei solcher Sachlage muss man eben fast von vorn anfangen, 
und vor Allem wo möglich die Morphologie des Vorgangs genauer 
feststellen, als dies bisher geschehen ist. 

Hierfür blieb mir zunächst fast allein der Weg, an fixirten 
und conservirten Präparaten zu arbeiten. Denn die Hoffnung, bei 
Salamandra und ähnlich günstigen Objeeten an der lebenden 
Zelle noch weiter zu kommen, erwies sich zunächst als trügerisch; 
nur bei den Hodenzellen (s. u.) habe ich hierin geringe Erfolge 
gehabt, im Uebrigen an der Salamanderlarve mich in diesem Som- 
mer überzeugt, dass sich in vivo nicht mehr sehen lässt, als was 
ich schon beschrieben habe. 

Die conservirten Präparate haben mich dafür etwas entschä- 
digt. Ich habe nach und nach eine grosse Sammlung von solchen 
angelegt, und indem ich stets die besteonservirten Kerntheilungen 
ausmusterte und verglich, und viele Hunderte von solchen für jedes 
Stadium vor Augen bekam, manche neue Einblicke erhalten. 

Eine solche Massenuntersuchung ist schon desshalb werth- 
voll, weil je nach der Einwirkung der Reagentien die Kernfiguren 
bald mehr locker, bald mehr zusammengedrängt ausfallen; in 
ersterem Fall lässt sich ihr Bau natürlich besser durchblicken. 
Ferner hat mir an scharfgefärbten Präparaten das Arbeiten mit 
dem Beleuchtungsapparat sehr geholfen; indem man durch ihn 
die Reflexe mildert und fast nur das Gefärbte im Object sieht, 
kann man die Fäden oft genauer verfolgen. 


1) Vorläufige Beschreibungen und Vermuthungen hinsichtlich dieser 
Phase hatte ich schon im I. Theil, p. 383 gegeben. Für das Nähere siehe 
weiter unten in diesem Abschnitt. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 195 


A. 


Anfangsphasen. 


Für diese war die neue Ausbeute am geringsten. Ueber die Art, 
in der sich die tingirbare Kernfigur aus dem ruhenden Kern hervor- 
bildet, kann ich meinen früheren Angaben (Th. I p. 364 ff.) nichts 
Wesentliches hinzusetzen. Bei der Durchmusterung einer sehr gros- 
sen Menge von ersten Anfangsstadien, wie die im Th. I Taf. 17 
Fig. 1, 2, hier Taf. 1 Fig. 1, 2 gezeichneten, und einer noch viel 
grösseren Zahl noch nicht in Theilung getretener Kerne, ergab 
sich nur immer überzeugender der Eindruck: dass die feinfadige 
dichte Knäuelform (Fig. 1 b) mit der die Karyokinesis anhebt, sich 
bildet auf morphologischer Grundlage des Netzwerks im 
ruhenden Kern, aber aus der gesammten tingirbaren Substanz des 
Kerns. Nach der hier angenommenen Bezeichnung drücke ich dies 
so aus: das Chromatin des ganzen Kerns wird allmählig in das 
Netzwerk aufgenommen, dieses wächst dadurch und nimmt eine 
gleichmässige!) Anordnung an, dergestalt, dass seine Fäden 
mehr und mehr einen ebenmässig gewundenen Verlauf bekommen, 
und dass diese Windungen im Ganzen gleiche Distanzen gegen- 
einander erhalten; abgesehen davon, dass die Windungen ausser- 
dem noch meistens in der Peripherie der Kernfigur sich enger 
lagern, als im Centrum. — Darauf Verkürzung, und zugleich Ver- 
dickung dieses zusammenhängenden Fadengewindes. Eine Dis- 
eontinuität desselben schon in diesen Stadien halte ich selbst bei 
Salamandra nicht für nachweisbar, viel weniger bei anderen Ob- 
jeeten mit kleineren Kernen; trotzdem für nicht unmöglich. 

Nicht der geringste Anhalt ergab sich dafür, dass anfangs 
Körner vorhanden sein, und „zu Fäden auswachsen“ sollten, wie 
dies Andere behaupten (Peremeschko, Strasburger Il. e.). Ich 
empfehle diesen Behauptungen gegenüber recht gut gefärbte, und 
mit Balsam aufgehellte Objecte, natürlich von grosskernigen Ge- 
weben. 

Besonders habe ich ferner das Verhalten der Nueleolen 
während der Entstehung der Kernfigur in’s Auge gefasst. Für 
Salamandra liess es sich dabei ganz sicher stellen, dass sie schon 


1) Statt der ungleichmässigen, die es normal im ruhenden Kern hat. 


196 Walther Flemming: 


in sehr frühen Stadien des Mutterknäuels (Th. I Taf. 17 Fig. 2 e) 
verschwunden sein können, und dass sie, umgekehrt entsprechend. 
erst in den spätesten Tochterstadien wieder auftreten. In beiden 
Fällen zeigen sich die betreffenden Körperchen übrigens als Ver- 
diekungen der Netzbälkehen; ob sie schon den eigentlichen Nu- 
cleolen entsprechen, oder nur Verdickungen der Bälkchen, in 
welchen noch die Nucleolen als besondere Körper liegen, oder 
sich bilden werden, ist hier nieht zu entscheiden. 

Bei den Theilungen der Pflanzenzellen dagegen ist es ganz 
evident — und ich kann darin Strasburger’s neueste Angaben 
(1. e.) nur bestätigen — dass die Nucleolen in der Mutterkernfigur 
sich viel länger erhalten, so wie sie auch hier in den Tochter- 
figuren relativ viel frühzeitiger wieder auftreten!) (S. 
Strasbuger’s Figuren, Lit. 8). 

Ich glaube zu sehen, dass die Nucleolen in diesen Fällen 
nie ganz frei liegen, sondern stets mit Bälkchen zusammenhängen 
und möchte deshalb mit Strasburger (l. ec. p. 279), vermuthen, 
dass ihre Bildung durch Anschwellung einzelner Bälkchen einge- 
leitet wird. Sie sind bei vielen Pflanzenzellen relativ bei Weitem 
grösser, als bei Thierzellen. 

Ich finde, dass hier sowohl die schwindenden Nucleolen in den 
Mutterstadien, als die wiedererscheinenden in den Tochterstadien, 
regelmässig excentrisch liegen. Auch für die ruhenden 
Kerne scheint mir übrigens eine solche Lage die Regel zu sein. 

Aus diesen wenigen Kenntnissen über das Verhalten der 
Nucleolen bei der Zelltheilung lassen sich immerhin schon einige 
bemerkenswerthe Schlüsse ziehen: 

Erstens der: dass die Nucleolen nicht die zunächst wich- 
tigen und anstossgebenden Factoren bei der Kerntheilung, 
beziehungsweise Zelltheilung sein können. — Nach dem Ver- 
halten bei Thierzellen, wo die Nucleolen sich im Beginn des 
Theilungsvorganges schon vertheilt haben, könnte man zu 
der Annahme versucht sein, dass ihre Auflösung und Auf- 
nahme in das Netzwerk erst. die Anregung zu dessen wei- 
terer Umgestaltung giebt. Ich habe mich vor solcher Hypo- 


1) Dieser Umstand ist wohl auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass 
von einer regressiven Metamorphose der Tochterkerne auch hier 
bei Pflanzenzellen geredet werden kann. Weiteres darüber s. u. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 197 


these wohl gehütet. Das Verhalten bei Pflanzenzellen zeigt 
aufs Klarste, wie unrichtig sie wäre; denn hier persistiren 
die Kernkörperchen noch mitten im Knäuelstadium. 

Zweitens: Dass die Nucleolen überhaupt keinerlei mor- 
phologischen Antheil an der Kernvermehrung nehmen — 
was sich nach dem Mitgetheilten von selbst versteht. 

Drittens, und dies ist allerdings noch kein Schluss, son- 
dern nur eine aufgeworfene Vermuthung: dass die Dinge, 
die wir Nucleolen nennen, vielleicht gar keine morphologisch 
wichtige Theile des Kerns sein mögen, sondern nur Ablage- 
rungen von Substanzen, welche für den Stoffwechsel im 
Kern verbraucht und wieder neugebildet werden; sie würden 
damit gewiss physiologisch wichtige Theile des Kerns bleiben, 
— was ohnehin durch ihr fast allgemeines Vorkommen be- 
währt wird, — aber doch keine eigentlich organischen 
d. h. morphologisch-wesentlichen Kernbestandtheile. 

Nach dem, was wir über ihre Entstehung bisher wissen 
(s. 0.) scheint ihr Auftreten in den Netzbälkehen zu erfolgen 
oder doch von diesen auszugehen; es ist also der eben ge- 
brauchte Ausdruck Ablagerung nicht so zu verstehen, als 
ob sie frei in der Zwischensubstanz anschössen. 


Es ist hiefür besonders bemerkenswerth, dass nach Stras- 
burger (14 p. 4) Körner in den Tradescantiakernen vorkommen, 
welehe er nach ihrer Jodreaction als Stärke anspricht. 

Ich stelle jedoch das eben Gesagte nicht als Hypothese auf, 
und will nur Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenken, was 
bei unserer bisherigen totalen Unkenntniss über das Wesen der 
Nucleolen wohl angebracht ist. 

Es dürfte hier am Orte sein, eine Frage zu berühren die ich 
im ersten Theil dieser Beiträge schon einmal kurz gestreift habe !). 
Viele sehr gute Beobachter ?2) haben Endigungen von Nervenfasern 
im Kernkörperchen beschrieben. Ich glaube, dass Zweifel an der 
objeetiven Richtigkeit dieser Beobachtungen nicht berechtigt sind; 
wohl aber kann es die Frage sein, ob die gesehenen Stränge in 
den betreffenden Fällen wirklich Nervenfasern gewesen sind, und 


1) A. a. 0. p. 351. 
2) S. am eben citirten Ort, sowie in dem Aufsatz J. Arnold’s: „Ueber 
feinere Structur der Zellen ete.“, Virchow’s Archiv Bd. 77, 1879. 


198 Walther Flemming: 


nicht etwa Netzbälkchen des Kerns, die gerade einen etwas 
gestreckten Verlauf hatten und in der Continuität von Nerven- 
fasern lagen, welche an die Zelle heran oder an ihr vorbeizogen. 
— Das Verhalten der Nucleolen bei der Zelltheilung scheint mir 
wenigstens die Annahme sehr schwierig zu machen, dass die- 
selben intranucleare Nervenendorgane sein sollten; denn man hätte 
in diesem Fall anzunehmen, dass ein solches Endorgan bei der 
Zelltheilung im Mutterkern sieh morphologisch auflösen, im Toch- 
terkern sich ebenso neu bilden müsste, und dabei im letzteren 
Falle stets richtig sein Nervenende wieder treffen müsste. Ehe 
man sich zu einer solehen Annahme entschliesst, müssten, wie es 
mir scheint, noch zwingendere Gründe für eine intranucleare Ner- 
venendigung vorliegen, als ich sie bis jetzt in den oben erwähnten 
Beobachtungen finden kann. 

Ich will hierzu vorläufig bemerken, dass ich in meinen Kie- 
menblattpräparaten von Salamandra sehr schön Nervenfasern bis 
zwischen die Epithelzellen verfolgen, auch nicht ausschliessen kann, 
dass sie vielleicht Zweige an die Epithelzellen schieken, obwohl 
sich dies nicht sicher sehen lässt; dass ich aber bei sorgfältigem 
Suchen noch kein einziges Bild gesehen habe, nach welchem man 
auf das Eintreten einer nervösen Endfaser in einen Kern schlies- 
sen könnte. 


B. 


Die Segmentirung der Kernfäden und der Uebergang 


vom Knäuel zum Stern. 


Für diese Stadien und das folgende habe ich jetzt wesent- 
liche neue Einblicke gewonnen, nach ‚denen sich meine früheren 
Anschauungen und Vermuthungen über die Lageveränderungen 
der Fäden ergänzen und verbessern lassen. 

Es ist im I. Theil (p. 368, 375) gesagt worden, dass in 
Knäuelformen vom Habitus der Fig. 16, 2, 3 Taf. I hier Unter- 
brechungen des Fadengewindes bei den geschwänzten Amphibien 
noch nicht mit Sicherheit zu erkennen sind, geschweige denn bei 
Organismen mit kleineren Kernen. Es bleibt bei der anfänglichen 
Feinheit der Fäden, und der Dichtigkeit der Windungen trotzdem 
möglich, dass solehe Unterbrechungen, oder dazu disponirte Stellen 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 199 


schon jetzt, ja schon von Anfang an existiren, es ist aber an 
meinen sämmtlichen, oben im Abschnitt 1 besprochenen Objecten 
nichts zu sehen, was einen solehen Sehluss sicherstellen, oder gar 
ein „Auswachsen von Körnern zu Fäden“ annehmen lassen könnte. 

Die ersten sichern Unterbrechungen in dem Fadenknäuel 
sehe ich in Stadien wie Fig. 4 T.1. Aber dann kann man 
wiederum spätere, schon mehr lockere Knäuel finden, schon auf 
dem Uebergang zu Kranzformen, oder selbst Kränze, in denen 
noch keine, oder nur einzelne Discontinuitäten zu sehen sind. Man 
darf daraus vermuthungsweise schliessen, dass die Zertheilung des 
continuirlichen Fadenknäuels in einzelne Fadenstücke an keinen 
ganz bestimmten Zeitpunkt der Karyokinese gebunden ist. 

Und sie kann sogar noch später erfolgen. — Früher nahm 
ich vermuthungsweise an !), dass in der Kranzphase (Fig. 6 Taf. 17 
Th. D) schon alle Fadenabsehnitte von gleicher Länge gebildet 
seien, dass jeder davon sich zunächst in die ungefähre Form einer 
8 lege, so dass er eine Schlinge nach central, die andere peri- 
pheriewärts kehre — und dass dieses die Kranzform sei; — 
dass ferner dann die peripheren Umbiegungen des Kranzes sich 
trennten, und so der Stern mit seinen freien Enden resultire; 
und dass endlich — was freilich nur rein vermuthet wurde — 
auch die centralen Umbiegungen sieh trennen könnten, und dem- 
nach die Aequatorialplatte (Fig. 14 Taf. 17 Th. Eis Tone nt 
hier) aus zwei gleichen Gruppen isolirter Hälften von Fadenab- 
schnitten bestehen würde; abgesehen von der Längsspaltung der 
Fäden, die ausserdem inzwischen jeden Abschnitt noch einmal in 
2 Längshälften getheilt hat. 

Nach meinen jetzigen Erfahrungen gestaltet sich die Sache 
anders, und zwar etwas einfacher. Wenn man davon ausgeht, 
dass die Segmentirung des Fadenwerkes bald früher bald später 
erfolgt, steht der Annahme nichts entgegen dass sie sich zum 
Theil auch bis in die Kranz- und Sternphase hinein verzögern 
kann. Dann sind ihre letzten Nachzügler in Bildern zu finden, 
wie sie z. B. meine Fig. 11 Taf. 17 Th. I zeigt, wo gerade noch 
eine letzte Schlinge in der Abtrennung begriffen ist. Diese muss 
nicht (wie dort bei 5,52) an der äussersten Umbiegung in der 
Peripherie, sondern kann auch weiter central erfolgen. 


1) Th. I, p. 377, weiter p. 383. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 14 


200 Walther Flemming: 


Mit andern Worten: die richtenden Kräfte, die das 
Fadengebilde in die Kranzform und weiter in die regel- 
mässigere Sternform bringen, beginnen im einen Fall 
auf den Knäuel schon zu wirken, ehe er in gleiche Seg- 
mente zerfallen war, im andern Fall auch erst dann, 
wenn dies schon geschehen ist. (Offenbar sind ja Kranz- 
formen, wie Fig. 6 Taf. 17 Th. I, schon die Ansätze zum Stern, 
indem viele Fäden hier schon im Ganzen radiäre, wenn auch noch 
stark gebogene Verlaufsriehtungen bekommen haben.) 


Ich würde sehr gern die Erklärung auf einem andern Wege suchen, 
der mit den Ansichten Strasburger’s, Peremeschko’s und Schleicher’s 
ll. cc. mehr zusammenführte: wenn, wie nach Diesen, zunächst im Kerne 
Körner entstehen und zu Fäden äuswachsen, so könnten hiernach die Unter- 
brechungen, die sich in den Knäueln und Kränzen wie Fig. 4, 5 Taf. 1 hier, 
Fig. 6 Taf. 17 Th. I finden, einfach auf freie Enden von Fäden zurückzu- 
führen sein, die noch in der Verlängerung begriffen sind: die Discontinuität 
wäre damit das Primäre, nicht, wie ich und ebenso Klein es ansehen, das 
Secundäre. 

Aber eine solche Annahme wird mir eben deswegen unmöglich, 
weil, nach ihr, selbstverständlich um so mehr Unterbrechungen zu finden 
sein müssten, je weiter zurückliegende Stadien man untersucht; während, 
wie aus meiner Beschreibung hervorgeht, gerade das Umgekehrte der Fall 
ist. Ferner auch schon deswegen, weil ich bei meinen Objecten überhaupt 
niemals Körner finde. 


Noch bemerkenswerther für die Mechanik des Vorganges 
scheint mir der weitere Punkt, den ich jetzt, für Salamandra we- 
nigstens, sicherstellen kann: die centralen Umbiegungen der 
Fäden in der Kranz- und Sternform trennen sich über- 
haupt nicht). 


1) Ich will im Folgenden mit „Schleife“ ein Fadensegment von der 
Form eines v oder u bezeichnen, an dem also ein Winkel, und zwei gleich 
dicke und gleich- oder nahezu gleichlange Schenkel mit freien Enden zu 
unterscheiden sind. Der Winkel kann bald spitzer bald stumpfer sein, und 
ist in den meisten Fällen ausgerundet, nicht scharf; die Schenkel sind bald 
gerade, bald geschwungen, zuweilen um einander gedreht. 

Ich weiss wohl, dass Schleife kein ganz scharfer Ausdruck für einen 
solchen v-förmig oder u-förmig geknickten Faden ist; doch ist er ja in eini- 
gen Fällen in ganz entsprechendem Sinne schon eingebürgert (Schleife 
eines Weges; Henle’sche Schleifen in der Niere), ich weiss keinen besseren 
und komme ohne ein kurzes Wort nicht aus. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 201 


Diese Sicherheit habe ich erst durch sorgfältige Vergleichung 
einer grossen Menge von Kernfiguren der betreffenden Stadien 
gewonnen. 

Es giebt nämlich Varianten, in Bezug auf die Länge der 
entstehenden Fädensegmente sowohl!) als auf die Diehtigkeit 
ihrer Lagerung. Wo letztere gross ist, bleibt es unmöglich zu 
entscheiden, ob im Centrum eines Sterns freie Enden liegen oder 
nicht. Aber die Figuren fallen in vielen Fällen so locker aus, 
dass man jeden einzelnen Faden darin abgrenzen kann, und es 
trifft das. besonders immer zusammen mit grosser Kürze der Seg- 
mente. Unter solchen Exemplaren findet man nun viele, welche, 
wie Fig. 8, 9 Taf. I, Fig. 35ab und 40 Taf. 3, das Zustande- 
kommen und den Bau der Sternfigur sehr anschaulich demonstriren 
können. Als die zusammensetzenden Elemente zeigen sich Faden- 
schleifen, genau oder. nahezu in der Mitte ihrer Länge geknickt 
oder auch sanfter gebogen; diese Schleifen können, bevor es zur 
eigentlichen Radiärform kommt, oft sehr wirr durcheinander oder 
auseinandergerückt liegen ?), wie in Fig. 5, 6, 7, 8 Taf. I, 35ab 
Taf. 3 hier. Oftmals liegen einzelne Fäden ganz aus der übrigen 
Gruppe dislocirt (Fig. 8, 9, 35). Die Ordnung aber, welcher 
auch diese sich zu fügen haben, liegt darin, dass mit dem An- 
tritt der Monasterphase nunmehr die Umbiegungswinkel 
der Schleifen nach dem Centrum hingezogen, die freien 
Enden der Schenkel vom Centrum abgekehrt werden. 

Es können dazu oft lange vergebliche Ansätze gemacht wer- 
den, und dadurch recht wirre Figurenbilder entstehen, deren Ver- 
stehen mir lange Mühe gemacht hat. Dahin gehören besonders 
Anordnungen wie in Fig. 6 und 7 Taf. I, wo die Schleifen, in 
zwei ziemlich gleichen Portionen, nach den Polen zu fast von ein- 


1) Vielleicht auch ziemlich grosse Varianten in der Zahl von Segmen- 
ten, und damit der Strahlen der Sterne (die letztere selbstverständlich die 
doppelte der Segmente). 

2) Und es begreift sich wohl, dass Andere (Schleicher, Pere- 
meschko), offenbar nach solchen Objeeten urtheilend, den Bewegungen der 
Fäden in diesen Stadien alle Regelmässigkeit abgesprochen haben. — Ich 
selbst habe diese anscheinend ordnungslosen Formen zwar wohl berücksich- 
tigt (Th. I p. 377 oben), aber absichtlich zunächst nicht sie, sondern die 
regulären zum Ausgangspunkt der Beschreibung genommen und früher 
fast nur von Letzteren Beispiele gezeichnet. 


202 Walther Flemming: 


ander abrücken, so dass man denken könnte, sie wollten sich jetzt 
schon zu den Tochterkernen sondern, ohne sich vorher zur Aequa- 
torialplatte gruppirt zu haben. Auf diesen Glauben ist auch Klein 
verfallen (12). Aber ich kenne solche Bilder hinreichend von den 
lebenden Theilungen her, und weiss, dass man bei deren Ver- 
folgung niemals eine derartige direete Trennung geschehen sieht, 
sondern dass die Fäden sieh stets vorher wiederim Aequator 
zusammenfinden. — In solchen Figuren liegen viele der Schlei- 
tenwinkel schon deutlich nach dem Centrum oder der Aequatorial- 
ebene hingewandt (s. Fig. 6, 7 Taf. I), andere noch nicht; und 
es ist möglich, dass auch die schon centrirten Schleifen diese 
Lage noch zeitweilig wieder aufgeben können; dass, um mich so 
auszudrücken, die Centralattraetion in ihrer Stärke längere Zeit 
schwankt, und zeitweise ganz erlahmt, so dass es dann wieder 
sehr unregelmässige Fädenlagen giebt. Endlich aber überwiegt 
die eentrirende Kraft; auch die letzten ungehorsamen Faden- 
schleifen werden einrangirt und die Sternform ist fertig, nach 
dem einfachen Schema: Winkel der Schleifen nach dem 
Centrum, Enden der Schenkel nach der Peripherie 
(Fig. 8, 9, 40 hier und Fig. 10, 11 Taf. 17 Th. ]). 

Es muss hier nun eingeschaltet werden, dass die Sternformen 
nicht bei allen Zellenarten so regelmässig ausfallen, wie in denen 
des Epithels, Bindegewebes, Blutes (d. h. rothe Zellen) und (wie 
ich wenigstens für Salamandra auch behaupten kann) des Knorpels. 
Bei den Hodenzellen von Salamandra, deren Theilungsfiguren 
sich zugleich besonders durch Kürze der Fadensegmente aus- 
zeichnen, rücken die Umbiegungsschleifen der Fäden nur 
selten so dieht an das Centrum, dass die betreffende Figur 
reeht deutlich den Eindruck eines Sternes macht (Fig. 40). 

Hier, bei Hodenzellen, konnte ich die betreffenden Stadien 
lebend unter dem Auge verfolgen, wobei man Bilder wie in 
Fig. 10 a—c auftreten und sich langsam verändern sieht '). Nach 


1) Verfahren: Freischwimmende Zellen in frisch aus dem angeschnitte- 
nen Hoden entnommener Flüssigkeit, ohne jeden Zusatz eingedeckt. Die 
Theilungen halten sich dabei häufig längere Zeit lebend und im Fortgang, 
sterben aber doch viel öfter ab als am Larvenschwanz. Die Fäden sind an 
jenen ganz freiliegenden Zellen natürlich klarer erkennbar, als am letzteren 
Object. ® 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 203 


dem Eindruck soleher Objecte würde man zunächst an wirklich 
ganz unregelmässige karyokinetische Bewegungen denken, wie sie 
Schleicher als typisch angesehen hat; doch wenn man dieselben 
fixirt (mit Essigsäure, Pikrinsäure) und färbt, so lässt sich durch 
die Schraube feststellen, dass auch in anscheinend ganz regellosen 
Figuren doch eine Ordnung besteht, nämlich eben die, dass die 
Winkel dem Centrum mehr genähert liegen als die freien Enden 
der Schleifenschenkel (vergl. Fig. 40 und deren Erklärung). 

Es ist übrigens möglich, dass auch bei Hautepithelzellen 
die Annäherung der Schleifen an das Centrum in manchen Fällen 
nicht weiter geht wie z. B. in Fig. 9 Taf. I hier'); die Regel 
aber sind bei Epithel-, Bindegewebs- und rothen Blutzellen gut 
ausgesprochene Sterne, in denen die Schleifen sich im Centrum 
ganz oder nahezu berühren. 


Für die eben eitirten Abbildungen bitte ich Folgendes zu berücksich- 
tigen: Es ist nicht wohl möglich, eine solche Gruppe von umgebogenen Fä- 
den, die nach dem angegebenen Typus: „Biegungswinkel central, Enden 
peripher“ gelagert sind, wirklich anschaulich durch Zeichnung wiederzugeben, 
man müsste denn ein sehr grosses Format und körperliche Schattirung dazu 
nehmen. Wenn also auch an meinen Objecten, wie z. B. Fig. 9, 40, die Ein- 
stellung zeigt, dass die Schleifen durchweg dem Centrum näher liegen als 
die freien Enden, so konnte dies in der Zeichnung nur dadurch ganz schema- 
tisch angedeutet werden, dass die Schleifen meistens dunkler dargestellt sind 
als die Enden. — Es kommt nun aber noch hinzu, dass nicht alle Fäden 
gleichweit vom Centrum entfernt liegen; ferner, dass man natürlich viele 
Fäden mehr oder weniger von oben, im queren oder schrägen optischen 
Durchschnitt sieht; endlich, dass die Fadenschenkel nicht stets rein radiäre 
Richtungen einhalten, sondern vielfach gebogen und gewunden liegen. Alles 
dies wirkt zusammen dahin, dass die Sternform auch nach Tinction an vielen 
Exemplaren kaum herauszukennen ist (insbesondere bei den Hodenzellen mit 
ihren kurzen Fadensegmenten); und gar am blassen lebenden Object, wo 
man die einzelnen Fäden nur schwer mit der Einstellung verfolgen kann, 
wird sie vielfach ganz undeutlich, es sind da systolische Sterne mit geboge- 
nen Strahlen oft gar nicht unterscheidbar von Aequatorialplatten, und die 


1) Solche stark zerstreute Figuren, wie sie mir von Epithelzellen in 
Menge vorliegen, theils mit einfachen, theils Doppelfäden, entsprechen jedoch 
wohl gewiss Diastolen; die betreffende Systole kann immerhin ein kurz- 
strahliger Stern sein, wie Taf. 2 Fig. 30 c. Bei den Hodenzellen aber braucht 
es, nach meinen directen Beobachtungen am lebenden Object, zu einer so 
engen Centrirung wirklich nicht zu kommen. 


204 Walther Flemming: 


einzige Möglichkeit der Diagnose des Stadiums liegt in fortgehender Be- 
obachtung. 

Im Abschnitt 1 bei „Pflanzenzellen“ wurde schon gesagt, dass auch 
bei diesen ganz reine Sternformen nicht zu finden waren; vermuthlich wohl 
aus ähnlichen Gründen. 

Die Segmente, d. i. Schleifen, scheinen in je einer Kernfigur 
immer nahezu gleicheLänge zu haben!) (dagegen sind sie 
in der einen Kernfigur länger wie in der anderen); und ferner sind 
die zwei Schenkel einer Schleife zu der Zeit, wo die eigentliche 
Sternform besteht, untereinander ziemlich gleich lang. Auch dies 
ist dureh die Zeichnung nicht gut wiederzugeben: diejenigen Fäden, 
resp. Schleifenschenkel, die in vielen meiner Figuren hier, sowie 
in Fig. 8, 10, 11, 12 Taf. 17 Th. I, in der Verkürzung, also in 
optischen Schnitten gesehen wurden, mussten natürlich so 
dargestellt werden, dass sie kürzer als die übrigen erscheinen; 
was also nicht reell zu nehmen ist. — Peremeschko (5, 16) 
hält dafür, dass bei Triton während dieser Phasen abwechselnde 
Verlängerungen und Verkürzungen, Verfeinerungen und Verdickun- 
sen der Fäden vorkommen. An meinen lebenden Objeeten von 
Salamandra kann ich hiervon niehts feststellen; alle anscheinen- 
den Verkürzungen von Fäden können hier auf blosse Lageverän- 
derungen bezogen werden, der Art, dass die Fäden schräg oder 
vertikal gegen die Objeettischebene zu liegen kommen und also 
nur verkürzt gesehen werden. — Doch will ich hiermit Pere- 
mesehko’s Annahme nicht entgegen treten, da ich die lebende 
Tritonlarve nieht untersuchen konnte. 

Wenn ich früher annahm, dass in der systolischen Sternform 
wenigstens die polaren Strahlen sieh verkürzen müssten (Th. I 
p. 381), so kann ich diese Annahme jetzt nicht mehr für nothwen- 
dig halten. Die Erklärung dafür findet sich unter dem folgenden 
Titel. 


1) Doch kann ich die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass bei sehr 
flachgeformten Zellen (z. B. Endothelien, vergl. Fig. 10 Taf. 17 Th. I) die 
Strahlen des Sterns, die sich gegen die Flachseiten richten, wirklich etwas 
kürzer sind; jedoch ist dies nicht so hochgradig wie es in der Figur erscheint, 
wo man auf diese Strahlen fast der Länge nach sieht und wo sie deshalb 
sehr verkürzt gezeichnet werden mussten. } 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 205 


C. 


Die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte. 


Dies Stadium ist für die Erkenntniss der Physiologie der 
Zelltheilung deshalb besonders wichtig, weil es den Uebergang des 
monocentrischen Kräftespiels in der Zelle in ein dicentri- 
sches enthält. 

Die Form der Kernfigur, die ich Aequatorialplatte genannt 
habe (Taf.1 Fig. 10—14) entspricht offenbar Strasburger's „Kern- 
platte“, zum Theil auch noch seiner „Kerntonne oder Spindel.“ 
Der genannte Forscher und Andere nehmen für ihre Objecte als 
selbstverständlich an, dass dabei eine bündelförmige Gruppe von 
Kernfäden vorliegt, in der Mitte der Zelle etwa parallel zur Axe 
geordnet, welche sich sämmtlich in ihrer Mitte, also im Aequator 
der Zelle, erst jetzt halbiren, und auseinanderrücken. 

Dass diese Annahme für meine Objeete nicht zutrifft, ist 
bereits in meinem Th. I, p. 381 ff. begründet, indem dort gezeigt 
wurde, dass man bei allen dort untersuchten Zellenarten in diesen 
Stadien stets Unterbrechungen der Fäden im Aequator findet, 
niemals aber Aequatorialplatten, in denen alle Fäden in der Axen- 
richtung durch die ganze Kernfigur hindurchreichten. Wie aber 
diese Figur morphologisch zu Stande kommt, hatte ich damals 
noch nicht ermittelt und deshalb nur einige Vermuthungen darüber 
geäussert (l. c. p. 383), die ausdrücklich als solche bezeichnet 
wurden. 

Diese Lücke kann ich jetzt ausfüllen, und zwar in unerwartet 
einfacher Weise. 

Wie oben angeführt, trennen die centralen Fadenschleifen sich 
nicht während des Bestehens der Sternform. Sie thun es 
ebensowenig während der Dauer der Aequatorialplatte. 
Sie werden vielmehr aus der Sternform mit herübergenommen, und 
nur umgeordnet in einer Weise, die sich am Einfachsten aus 
folgendem Schema ergiebt: 

Nehmen wir der Uebersichtlichkeit wegen an, man hätte einen 
Stern von nur acht Strahlen, d. h. also von vier Fadenschleifen, 
deren jede den Winkel nach dem Centrum, die Schenkelenden nach 
der Peripherie wendet (1 im Holzschnitt): 


206 Walther Flemming: 


EL 
an 


1. 2. 


, 


Man denke sich nun einen als Krafteentrum wirkenden Punkt, 
der die Eigenschaft haben soll, die Winkeltheile der Fäden 
anzuziehen, die freien Schenkelenden abzustossen; dies 
Centrum wird bei der Anordnung Fig. 1 die Sternform zu erhalten 
streben. Man denke sich ferner dieses Centrum in zwei getheilt, 
und diese nach den Polen auseinanderrückend. Ein jedes wird die 
Umbiegungswinkel, die ihm zunächst liegen, mit sich ziehen in 
die Lage, welche durch Fig. 2 im obigen Holzschnitt gezeigt wird: 
damit ist der Stern auseinandergeklappt in zwei Hälften, in wel- 
chen die Fadenschleifen jetzt nach dem Typus liegen: Winkel 
nach dem Pol, Schenkelenden nach dem Aequator. 

So sind zwei, noch flache oder glockenförmige Tochter- 
sterne entstanden, in deren jedem zugleich, mit Bezug auf das 
Territorium der künftigen zugehörigen Halbzelle, wieder dieselbe 
Anordnung herrscht wie vorher im Mutterstern: Winkel central, 
Schenkelenden peripher. 

Dass es so und nicht anders zugeht, ergiebt sich fast schon 
aus einem unbefangenen Blick auf die vorhergehenden und fol- 
genden Formen: Taf. 3 Fig. 35 a—e nach einer lebend verfolgten 
Theilung. In ab ist offenbar die gleiche Anzahl Faden- 
schleifen in der Mutterfigur vorhanden, wie in e in bei- 
den Tochterfiguren zusammen; und so wird man dies überall 
in den gleichen Stadien finden; wenn auch nicht alle Fäden ganz 
deutlich einzeln zu verfolgen und zu zählen sind, kann man es 
doch sehr wohl abschätzen. Es brauchen also nur die in Fig. 35 ab 
vorhandenen Schleifen in der oben (Holzschnitt) bezeichneten Weise 
umgeordnet zu werden, damit Fig. 35d und weiter 35e daraus 
entsteht. 

Das Stadium nun, in welchem dies geschieht, Fig. 35 e, wird 
sich freilich an der lebenden Zelle bei allen bisher benutzten 
Objeeten schwerlich genau darauf prüfen lassen: da die blassen 
lebenden Fäden in ihm besonders dicht gelagert sind, sieht man 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 207 


immer nur undeutliche Bilder dieser Phase, wie Th. I, Taf. 16 
Fig. 1g, 4d, Fig. 35 c hier. Aber an gut conservirten und scharf 
tingirten Aequatorialplatten erhält man hinreichenden Aufschluss. 
Unter Hunderten von solchen, die ich nach und nach untersuchte !), 
fanden sich viele, in denen die Fäden hinreichend locker lagen ?), 
um grossentheils im ganzen Verlauf verfolgt zu werden. Aus 
diesen Vielen sind einige Beispiele in Taf. 1 Fig. 10—14 ge- 
zeichnet. 

Niemals habe ich zunächst, wie gesagt, eine solche Aequatorial- 
platte gefunden, in welcher sämmtliche Fäden nachweisbar im Aequa- 
tor zusammengehangen hätten (wie es der Ansicht Anderer entsprechen 
würde). Man findet dies (für Epithel-Bindegewebs-Blutzellen) im- 
mer nur bei einzelnen Fäden. Eine Abweichung bilden wieder die 
Hodenzellen, bei denen allerdings ein solcher Zusammenhang 
im Aequator sehr vielfach zu beobachten ist (Fig. 35 d, 42, 59). 
Aber gerade hier liess sich durch fortlaufende Beobachtung des 
lebendigen Objects (Fig. 35) finden, dass dieser Zusammenhang 
weit naturgemässer als ein secundärer, denn als ein primärer 
aufzufassen ist. Denn die dort verfolgte Reihe ergiebt ja, dass 
vor dem Stadium, in welchem solche Zusammenhänge im Ae- 
quator vorkommen (Fig. 35d), ein anderes liegt (Fig.35ab), in 
welchem im Ganzen eine gleiche Anzahl gleich grosser Faden- 
schleifen vorhanden ist, wie später in beiden Toehterportionen 
zusammengenommen. Um demnach aus der ersteren Figur die 
letzteren abzuleiten, erscheint es als das Nächstliegende und Na- 
turgemässeste anzunehmen : die Schleifen in Fig. 35 b lagern sich 
so, dass ihre Winkel nach den Polen, die freien Enden nach der 
Aequatorialebene zu liegen kommen, und die freien Enden gera- 
then dabei theilweise in Berührung und vielleicht temporäre Ver- 
schmelzung. 

Dieser Annahme entspricht nun vollständig dasjenige, was 
man an recht locker und durchsichtig gebauten, gut gefärbten 
Aequatorialplatten schen kann. Ich will dies durch ein Holzschnitt- 


1) Die Präparate liegen sämmtlich aufbewahrt vor. 

2) Denn hier, wie in allen Stadien, giebt es individuelle Verschieden- 
heiten; bei der einen Zelle enggedrängte, bei der anderen verstreutere Lage 
der Fäden der Kernfigur. 


208 Walther Flemming: 


schema, wie oben, unter Verweis auf die genaueren Abbildungen 
der Objecte selbst verdeutlichen: 


Holzschnitt 1. 


Stern 
m mm nn 


Diastole Systole Aequatorialplatte-Kerntonne 


ISEZERW 


2. 3. 
6. Ti: 
Gehen wir aus von dem diastolischen Stern, 1. (vgl. z. B. Fig. 9 
hier). In der Systole, 2. neigen sich seine Strahlen, d. h. die Schen- 
kel der Fadenschleifen, gegen die Aequatorialebene (vgl. Fig. 8 
hier, Fig. 5 T. 18 Th. D. In der dann folgenden eigentlichen Ae- 
quatorialplatte (3) schlägt diese Neigung über die Parallelebene _ 
des Aequators hinüber, die Winkel werden polarwärts, die Schen- 
kelenden äquatorialwärts gezogen, die Schleifen sind jetzt umge- 
klappt; aber sie liegen bis jetzt noch schwach geneigt gegen 
die Aequatorialebene, daher die stark abgeplattete Form dieser 
Kernfigur (3. im Holzschnitt, vergl. Taf. 1 Fig. 10, 11, 13). Mehr 
und mehr werden dann die Winkel polarwärts abgerückt, die 
Schenkel stellen sich immer steiler gegen den Aequator (4. im 
Holzschnitt, vergl. Taf. 1 Fig. 12, 14, Taf.2 Fig. 23), bis endlich 
die tonnenartigen Formen erreicht sind. In den letzteren Stadien 
(oder auch schon vorher) kann es nun zur Berührung und Ver- 
schmelzung von Schenkelenden kommen (im Holzschn. 6, 7 ange- 
deutet), die sich bei der folgenden Entfernung der Tochterkernfigu- 
ren wieder trennen. 
Wenn man sich statt der wenigen Fadenschleifen, die im 
Holzschnittschema angegeben sind, die vielen denkt, welche die 


4. 5. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 209 


Abbildungen zeigen ; wenn man ferner berücksichtigt, dass man es 
mit körperlichen Figuren zu thun hat und dass die meisten Fäden 
nicht so gesehen werden, wie sie das Schema auf die Papierebene 
projieirt, sondern in verschiedener Verkürzung, resp. als optische 
Durchschnitte ; und wenn man endlich hinzunimmt, dass die Schlei- 
fenschenkel vielfach nicht gerade gestreckt, sondern in Curven lie- 
gen, und dass nicht alle mathematisch-genau einrangirt sind, son- 
dern dass manche Unregelmässigkeiten vorkommen: so wird man 
wohl ohne Schwierigkeit die Figuren der Tafeln in dem gegebenen 
Schema unterbringen können, und wird es verstehen, dass am 
lebenden Object, wo man fast nichts als blasse optische Schnitte 
sieht, das Bild einer solchen Aequatorialplatte nicht anders aus- 
fallen kann, als es in den Figuren der Taf. XVI Th. I ange- 
deutet ist. 

Auch werden hiernach leicht die anscheinend sonderbaren Bil- 
der verständlich, welche in der Phase der Aequatorialplatte sich 
oft an minder deutlichen Objeeten, besonders an lebendigen bieten, 
wie ich sie im Th. I. auf Taf. 16 Fig. 2k und 6, Taf. 17 Fig. 13 
dargestellt habe: man findet hier, besonders im Aequator, geschlän- 
gelte Fäden, die oft (Taf. 16.1. e. Fig. 6) Verbindungsbrücken zwi- 
schen den polar angeordneten Fäden zu sein scheinen, aber es 
nicht sind !). Man denke sich im Holzschnitt II Fig. 3 u. 4 statt 
der 4 Fadenschleifen deren etwa 20—60, körperlich in einer Ton- 
nenform angeordnet, aber nur zum Theil mit graden, zum andern 
Theil mit stark geschlängelten Schenkeln, die durcheinander- 
geschoben liegen: so werden bei wechselnder Einstellung Bilder 
entstehen müssen wie in jener, Fig.13, Th.I Taf.17, Fig.6 Taf. 16. 

Die auf Taf. 2 Fig. 15a gezeichnete Aequatorialplatte giebt 
ein Beispiel solcher geschlängelter und etwas irregulärer Lage 
eines Theiles der Fäden, in einem Zustand, wo die Figur schon 
kurz vor der Scheidung in ihre Tochterhälften steht. 

Die einzige sonstige Möglichkeit, an die ich denken könnte, um die 
Figuren in anderer Weise aus einander abzuleiten, und zwar in solcher Art, 
dass ein wirklicher primärer Zusammenhang der Fäden aus dem Sternstadium 


her und eine nachträgliche Trennung im Aequator dabei zulässig bleiben 
könnte, würde folgende sein: 


1) Vielleicht gehören hierher auch Bilder, wie sie vor mir bereits 
Eberth beschrieben hat (a. a. O. Fig. 9a b Taf. 19, s. Text p. 529); er be- 
zieht sie auf Verbindungsbrücken der Fäden. 


210 Walther Flemming: 


Man könnte annehmen, dass die Fadenschleifen der Sternfigur sich 
gerade streckten, und die so gestreckten Fäden sich zu einem Bündel 
parallel der Axe um diese anordneten, und dass dann eine Halbirung jedes 
Fadens in der Aequatorialebene erfolgte. Der Process würde dann etwa nach 
diesem Schema darzustellen sein: 


Holzschnitt III. 


SL | I\ 
TI AAN 


le 


Dies ist aber mit dem wirklichen Habitus der Figuren nicht verein- 
bar, aus folgenden Gründen: 

l) bei einem solchen Verlauf müsste man an den Polarseiten der 
Aequatorialplatten und Kerntonnen stets freie Fadenenden finden (vergl. 
obiges Schema, 2, 3, 4). Dies ist nicht der Fall; wo nur irgend die Figur 
locker genug ist, um dort überhaupt etwas deutlich zu sehen, sieht man 
Umbiegungen (Fig. 12, 13, 14 an den Polseiten). 

2) Unterbrechungen der Fäden in der Aequatorialebene müssten erst 
in den späten Stadien der Kerntonnen (Holzschnitt IH, 4) zu finden sein; 
man sieht sie aber in allen Aequatorialplatten. 

3) und besonders: die Figur müsste in polarer Richtung viel länger 
gestreckt sein, als sie ist; sie müsste immer mindestens eine Länge 
haben, gleich dem Durchmesser eines diastolischen Sterns (folgt 
einfach aus der Betrachtung des Schema’s, Holzschn. III). 

Dies trifft aber keineswegs ein, die Aequatorialplatten haben vielmehr 
bedeutend geringere polare Länge, als der Stern Durchmesser hat; dies 
Verhältniss ist durchweg dasjenige, welches dem früheren Schema (Holz- 
schnitt II) entspricht (s. dort 1, 3, 4). 

Aus all’ diesen Gründen muss ich die eben erwähnte An- 
nahme unmöglich finden und die meinige ihr gegenüber festhalten. 
Für die letztere spricht übrigens weiter noch sehr deutlich das 
Verhalten der Tochterkernfiguren in ihrer ersten Phase, der Stern- 
form: denn die Tochtersterne bestehen aus gerade ebenso 
langen Schleifen wie der Mutterstern, nicht aus ein- 
zelnen geradlinigen Fäden (s. weiter unten); es ist von 
selbst klar, dass dies sich nach dem Schema Holzschnitt II auf's 
Einfachste ergiebt, bei anderen Voraussetzungen aber sehr compli- 
eirte Erklärungen erfordern würde. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 211 


Unter den Voraussetzungen, die oben bei der Erläuterung des 
Holzschnitts II gemacht wurden, würde sich auch ein Verständniss 
für eine bis jetzt räthselhafte Erscheinung eröffnen, nämlich für 
die abwechselnden Systolen und Diastolen der Sternfor- 


men (Th.I p. 380). 
Holzschnitt IV. 


Diastole Systole Diastole Aequatorialplatte 
2. 3. 4. 


ee Den Figuren sollen die in der Mitte angebrachten Punkte 
eine ganz schematische Bezeichnung für die hypothetischen Kraft- 
centren sein. In der diastolischen Sternform (1.) ist ein solches 
Centrum da; man kann nun annehmen, dass ein Ansatz zur Zer- 
legung dieses Centrums in zwei bereits mit jeder Systole gemacht 
wird (2), dass aber diese Versuche mehrmals misslingen, und die 
Fadenfigur zunächst wieder in die Monoeentrie zurückfällt (3), bis 
endlich die trennende Kraft das Uebergewicht erhält (4). Bei 
Jedem verfehlten Versuche dieser Art werden die Schleifenwinkel 
durch die auseinanderrückenden Centren etwas nach polarwärts 
von einander abgezogen, dadurch die Schleifenschenkel nach 
äquatorialwärts gegeneinander geneigt (2), und das entspricht voll- 
kommen der systolischen Form der Sterne. 

Dass eine solche Neigung der Strahlen gegen den Aequator 
bei dieser Form zu Grunde liegen müsse, habe ich schon früher 
angegeben, glaubte aber zugleich noch annehmen zu müssen, dass 
eine Verkürzung der polaren Strahlen mitspiele (Th. I p- 381). 
Es ist auch schwierig zu entscheiden, ob eine solche nicht wirklich 
vorkommt, doch würde nach dem obigen Schema ihre Annahme nieht 
nöthig sein, um den Habitus der systolischen Sterne zu erklären. 


D. 


Die Längsspaltung der Kernfäden. 


Diese Erscheinung habe ich bei der Darstellung an diesem 
Ort bis jetzt unberücksichtigt gelassen. — Sie ist mir in ihrer 


212 Walther Flemming: 


Bedeutung ebenso vollkommen räthselhaft geblieben, wie früher 
(Th. I, p. 380, 383). Nach sehr viel ausgedehnterer Untersuchung 
kann ich, wie schon damals, behaupten, dass sie bei den Thei- 
lungen der Epithelien, Bindesubstanzzellen, Muskelzellen, rothen 
Blutscheiben und Knorpelzellen von Salamandra ein constantes 
Phänomen der Kerntheilung, und hier an jedem gut conservirten 
und gefärbten Object !) schon mit 300facher Vergrösserung deutlich 
erkennbar ist. An Kunstproduete wird Niemand denken, wenn er 
nur einige, geschweige denn viele wohlerhaltene Exemplare gesehen 
hat. Wollte man ja annehmen, dass die vollständige Spaltung in 
zwei Längsfäden erst durch Wirkung von Reagentien ?) zu Stande 
käme, so müsste man doch zugeben, dass eine Disposition dazu, also 
ein Aufbau der Fäden aus zwei differenzirten Längshälften, dafür 
schon vorgelegen haben muss; sonst wäre die Erscheinung kaum 
zu verstehen. Ausserdem spricht der Umstand, dass bei den ge- 
nannten Zellenarten die Fädenstücke der Aequatorialplat- 
ten, der Kerntonnen und der Anfangsphasen der Toch- 
terkerne von halber Dieke und von doppelter Zahl ge- 
funden werden, wie am diekstrahligen Mutterstern — 
wohl hinreichend für die Natürlichkeit der Doppelfäden. 

Allerdings bin ich aber bei der Untersuchung der Hoden- 
zellentheilungen (s. o. Abschnitt 1) zunächst zweifelhaft gewor- 
den, ob die Fädenspaltung allgemeine Verbreitung hat. Denn 
hier konnte ich, wie am eben eit. Orte mitgetheilt ist, nur in ein- 
zelnen Fällen Andeutungen von Längsspaltung an Reagentienprä- 
paraten sehen, an den lebenden freischwimmenden Hodenzellen 
nichts davon mit Sicherheit feststellen (s. Fig. 35). Auch sind 
hier die Fäden der Kerntonnen und die Tochtersterne ebenso dick 
wie die der Muttersterne und -Knäuel (vergl. Fig. 35). 

Es bleiben demnach zwei Möglichkeiten: entweder, die Fä- 
denspaltung kommt überhaupt nicht bei allen Zellenarten vor; 
oder sie ist bei Objeeten, wie den Hodenzellen, ein wenig augen- 


1) Wo dagegen etwas Quellung eingetreten ist, da werden die Doppel- 
fäden häufig wieder mit einander verbacken. Dies tritt sehr gewöhnlich an 
Essigsäurepräparaten auf, auch wenn im Uebrigen die Formen der Kern- 
firuren gut fixirt sind. 

2) In einigen günstigen Fällen habe ich jedoch die Doppelfäden ja 
auch lebend wahrnehmen können, s. Th. I, p. 380, Fig. 5 Taf. 16. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 213 


fälliger und sehr rasch vorübergehender Process, dergestalt, dass 
die Fädenhälften sich kaum von einander entfernen und im Sta- 
dium der Kerntonne meist schon wieder mit einander verschmol- 
zen sind. 

Dass man von der Fädenspaltung an den anderen Objecten, 
die im Abschnitt 1 dies. Abh. besprochen sind (Triton, Batrachier, 
Pflanzen, Säugethieren), bis jetzt nichts sehen konnte, beweist 
übrigens an sich nicht, dass sie bei diesen fehlen müsste, weil diese 
Objeete fast alle viel zu klein und ungünstig für Entscheidungen 
darüber sind (für Pflanzen siehe jedoch Taf. 2 Fig. 21). 

Sonst habe ich noch Folgendes über die Fädenspaltung fest- 
stellen können: 

1. Sie kann schon im lockeren Knäuelstadium oder in der Kranz- 
form, oder endlich, was doch das Häufigste bleibt, in der 
Sternform auftreten. Ich habe dies schon früher a. a. O. 
vorläufig ausgesagt, kann es aber jetzt durch eine viel grös- 
sere Zahl von Objecten belegen. 

2. Die Fädenspaltung tritt entweder durchaus gleichzeitig bei 
allen Schleifen oder Fadensegmenten der betreffenden Kern- 
figur auf; oder, wenn sie sich auch an den einen Fäden 
etwas früher als an anderen vollzieht, so ist ihr Auftreten 
auf einen sehr kurzen Zeitraum confinirt. Dies geht deut- 
lich daraus hervor, dass man fast immer, wo überhaupt 
Fädenspaltung in einer Kernfigur vorliegt, dieselbe durch die 
sanze Figur hindurch antrifft: sehr selten dagegen Bilder, 
wo einzelne Fadenstücke schon gespalten, andere noch unge- 
gespalten sind !). — Dies beweist, dass das Moment, wel- 
ches die Tendenz zur Längsspaltung der Kernfäden setzt, 
gleichzeitig durch die ganze Kernfigur hindurch wirksam 
sein muss. 


E. 
Die Tochterkernfiguren. 
Während sie sich aus der Aequatorialplatte sondern und aus- 
einanderzurücken beginnen, zeigen sie die etwas variablen Formen, 


1) Ein Bild letzterer Art ist in der Fig. 7 Taf. 17, Theil I, dargestellt. 
Die Stelle in Fig. 5 Taf. 17 daselbst hingegen, wo ein ganz kleiner Faden- 
abschnitt breit gespalten dargestellt ist, beruht auf einem Zeichenfehler. 


214 Walther Flemming: 


die mit Körben (Eberth), Halbtonnen (Strasburger) oder halb- 
aufgeblüthen Compositenblumen (Mayzel) verglichen worden sind 
Doch wird ihr Bau durch diese Vergleiche nicht vollständig er- 
läutert. Nach allen drei Vergleichsobjeeten würde man an Stäb- 
chen denken, die sowohl nach dem Pol wie nach dem Aequator 
freie Enden haben. Das ist jedoch (sicher wenigstens bei den 
Urodelen) nicht der Fall, sondern wie sich schon aus den oben 
beschriebenen Bauverhältnissen der Aequatorialplatten ergiebt, 
haben wir nach der Trennung ebenso wie vor derselben: Faden- 
schleifen, deren Schenkel an den Polen in einander übergehen. 
Dies wird die schematische Figur 15 Taf. I leicht erläutern, vergl. 
Holzschnitt II, 5. Zuweilen finden sich übrigens solche Figuren, 
die diesem Schema an Regelmässigkeit kaum etwas nachgeben: 
jede Tochterfigur hat etwa Palmenform, indem die eine Hälfte 
der Schleifenschenkel central als Stamm, die andere peripher als 
Blätterglocke gruppirt ist; doch allerdings die erstere nie so ganz 
dicht gelagert, wie es das Schema Fig. 15 giebt. Besonders häufig 
finde ich regelmässige Formen solcher Art bei rothen Blutzellen. 

Ob diese Form constant durchsehritten wird, kann ich nicht 
sagen; jedenfalls ändert sie sich bald in der Art, dass die central 
liegenden Schenkel ebenfalls mehr in die Peripherie, zwischen die 
übrigen rücken (Fig. 11 Taf. 18 Th. I). Die polaren Umbie- 
sungen bleiben auch jetzt erhalten !') (Fig. 35 e Taf. 3, Fig. 15e, 
15d Taf. 2). 

Dass diese Tochterkernfiguren einen radiären Bau haben, 
— wenn auch den von abgeflachten und hohlgeformten 
Sternen — versteht sich besonders bei der Ansicht vom Pol von 
selbst, und ich glaube daher ganz im Recht zu sein, wenn ich 
schon in dieser Phase die Repetition des Muttersterns sehe. Bei 
vielen Exemplaren wird die Aehnlichkeit mit letzterem noch voll- 
kommener, indem ein Theil der Strahlen des Tochterkerns am 
Rande nach der Polseite hin umklappt (Fig. 16 Taf. 17 Th. D; 
doch gebe ich zu, dass letzteres nicht in allen Fällen eintritt, und 
dass auch, wo es vorkommt, die Tochtersterne doch immer etwas 
abgeflacht bleiben. 


1) Wenigstens finde ich dies überall, wo die Figur hinreichend locker 
gebaut ist um dergleichen deutlich zu sehen; wo die Fäden eng liegen, sind 
solche Dinge nicht zu entscheiden. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 215 


In solchen Fällen, wo die Kernfiguren überhaupt recht locker 
angeordnet sind, zeigt sich die radiäre Anordnung bei den Tochter- 
sternen besonders deutlich; ebenso lässt sich an solchen auf das 
Sicherste sehen, dass die Schleifen an der Polseite erhalten bleiben 
(Fig. 15 c, 15d Taf. 2, s. Erkl.). 

Ich habe die Vermuthung hingestellt (Th. I p. 395), dass 
die Fädenschleifen bei Salamandra noch in der Kerntonne, oder 
auch erst in den Tochtersternen, je 2 zu 2 der Länge nach mit 
einander wieder verschmölzen. Es wäre in der That schwierig, 
diese Annahme zu umgehen, mit Hinblick auf die Längsspaltung, 
die vorher im Mutterstern stattfand. Nach dieser zeigen sich die 
Fäden, ganz wie zu erwarten, halb so dünn und doppelt so 
zahlreich wie vorher (s. Fig. 10, 11—14 hier), aber in den spä- 
teren Formen der Tochtersterne sind sie wiederum halb so zahl- 
reich und doppelt so dick, wie in den feinstrahligen Figuren. 
Die Annahme einer Längsverschmelzung von zwei zu zwei Fäden 
bietet dafür gewiss die nächstliegende Erklärung. — 

Ich finde nun, dass sich durch diese Annahme auch ein an- 
derer Befund aufklären lässt, den ich früher beschrieb und der 
damals räthselhaft erscheinen musste. Man findet hin und wieder 
— nieht häufig — Doppelsterne in einer Zelle (Fig. 9 Taf. 17 
Theil I), welche man zunächst als Tochtersterne ansehen könnte 
gleich denen in Fig. 24 oder 30 d hier, — wenn sie nicht doppel- 
strahlig wären, gerade so wie die in Spaltung begriffenen Mutter- 
sterne Fig. 9 hier. Aus letzterem Grunde habe ich ihre Deutung 
früher fraglich gelassen, und selbst für möglich gehalten, dass sie 
Abnormitäten des Theilungsvorganges vorstellen könnten. — Wenn 
man sich aber erinnert, dass die Längsspaltung der Strahlen am 
Mutterstern bald früher bald später eintreten kann (s. oben), 
so liegt es nahe zu erwarten, dass es sich mit dem regressiv-ent- 
sprechenden Vorgang, der (hypothetischen) Wiederverschmelzung 
je zweier Fadenschleifen, ähnlich verhalten mag. Für gewöhnlich 
würde dieselbe sehon in der Kerntonne oder selbst schon in der 
Aequatorialplatte erfolgen, wo sich bei der dichten Lagerung der 
Elemente davon nichts Deutliches erkennen lässt; hie und da 
könnte sich aber die Wiederverschmelzung bis in die spätere, eigent- 
liche Sternform der Tochterkerne verzögern, und damit fänden dann 
Bilder, wie die doppelstrahligen Doppelsterne in Fig. 9 Taf. 16 


Theil I, von selbst ihre Erklärung. — 
Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 18. 15 


216 Walther Flemming: 


Nach andern Untersuchern soll in den Stadien der Fig. 15 
Taf. 1, 24, 26 Taf. 2 eine Verschmelzung der Fäden an der 
Polseite eintreten, und von hier aus gegen den Aequator weiter- 
greifen. Für die urodelen Amphibien kann ich dies nicht zugeben, 
und bei den anderen Objeeten, die ich untersuchte (Abschn. 1) 
wenigstens keinen Beweis dafür finden. — Es ist wahr, dass in 
vielen Fällen die Fäden, und besonders die Fadenschleifen an den 
Polen, recht eng gedrängt liegen, so dass sie am lebenden Object 
den Eindruck einer confluirten Masse geben; ebenso, dass man oft 
an gefärbten Reagentienpräparaten solche Polverschmelzungen sieht; 
ich besitze solche in Menge, aber es sind dies immer solche, an 
denen auch andere Kernfiguren Quellungen oder Schrum- 
pfungen zeigen: je schöner und vollkommener conservirt das 
Object, desto weniger findet man von solchen verbackenen Tochter- 
kernen. Ich muss dieselben also für Kunstproducte halten, und 
kann mich dabei auch für Triton auf Klein berufen, der von 
einem Homogenwerden der Tochterkerne nichts aussagt, und der 
nach seinen Abbildungen zu urtheilen über sehr schön conservirte 
Objecte verfügt hat. 

Ueber die folgenden Formen der Tochterkerne habe ich 
meinen früheren Mittheilungen wenig hinzuzusetzen: ich finde durch 
ausgedehntere Untersuchung nur bestätigt, dass auf die Sternform 
eine Kranzform folgt, also auch noch von radiärem Typus 
(Fig. 17 Taf. 17 Th. D), aber mit gewundenen und geschlungenen 
Fäden, an denen sich immer weniger Unterbrechungen finden; 
und die, von der Polseite betrachtet, häufig eine freie Mitte er- 
kennen lässt. Es scheint mir diese Umformung nicht besser er- 
klärbar, als durch die Annahme, dass jetzt die peripheren Enden 
der Schleifenschenkel in den Tochterkernen mit einander ver- 
schmelzen; die centralen Umbiegungen brauchen, wie sich aus dem 
Öbigen ergiebt, überhaupt niemals getrennt gewesen zu sein. — 

Es scheint, dass ganz reine Kranzformen, mit freiem Mittel- 
feld, nicht immer vorzukommen brauchen; deshalb habe ich auch 
die Kranzform als besondere Phase gestrichen und in die folgende 
einbezogen (gilt ebenso für die Mutterformen, s. 0.). ° 

Es verengert sich darauf die Figur zu einem Knäuel, und 
dessen Windungen lagern sich so dicht, dass sie am lebenden 
Präparat als homogener Klumpen imponiren und durch Reagentien 
oft zu einem solchen entstellt werden (Fig. 29; Näheres darüber 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 217 


s. in Abschnitt I bei „Pflanzenzellen“. — Ich behaupte nicht, dass 
nicht bei Zellen anderer Organismen (Strasburger u. A.) wirk- 
lich Zusammenlagerungen der Fäden in diesem Stadium vorkommen, 
welehe bis zur Berührung gehen; sehe aber keinen Grund dies eine 
Verschmelzung zu nennen, um so weniger, da in dem alsbald fol- 
genden Stadium der Fadenbau der Tochterkerne wieder auf's Deut- 
lichste hervortritt. 

Denn es folgen jetzt die Tochterfiguren mit querer Gitterung 
(Fig. 2, 3 Taf. 18 Th. I) und gehen endlich in die unregelmässi- 
geren Gerüste über, die zum Ruhezustand zurückleiten. In Formen 
der Töchter, wie sie Fig. 1b Taf. 1 vom Mutterkern zeigt, bemerkt 
man bei Urodelen zuerst unregelmässige Verdickungen in den Bälk- 
chen: den Netzknoten, vielleicht schon den Bildungsstellen von 
Nucleolen entsprechend. Wie Strasburger (8) gezeigt hat, treten 
die letzteren dagegen bei Pflanzenzellen schon weit früher auf. 


F. 


Die achromatische Fadenfigur. 


Durch die Arbeiten von Bütschli, Strasburger, ©. Hert- 
wig und Mayzel ll. ec. waren schon seit längerer Zeit von ver- 
schiedenen Objecten !) jene Formen der Kerntheilungsfigur be- 
kannt, in denen ein Bündel feiner Fasern, meist in Gestalt einer 
Spindel, von Pol zu Pol angeordnet liegt, und an der Mitte dieses 
Bündels sich gröbere Elemente angehäuft finden (z. B. Fig. 34); 
welche letzteren dann sich trennen und, als Grundlagen des 
Tochterkerns, polarwärts auseinanderrücken. Diesen Formen ver- 
dankt der Name „Kernspindel“ seine Entstehung. 

Die genannten Autoren hatten anfangs angenommen, dass die 
letzterwähnten gröberen Elemente (die sie meist als „Körner“ be- 
zeichneten und die identisch mit Strasburger's „Kernplatten- 
elementen“ sind) Anschwellungen jener feineren Fasern (der „Kern- 
fasern“) seien. 

In Mayzel’s Ergebnissen an der Frochhornhaut und anderen 
Objecten (1876—77, siehe die Figuren bei Strasburger. Jenai- 


1) So: Eizellen von verschiedenen Wirbellosen, Infusorien, Pflanzen 
(Bütschli, Strasburger, Hertwig); Endothel der Froschhornhaut 
(Mayzel). 


218 Walther Flemming: 


sche Zeitschr. Dec. 1877, nach Präparaten Mayzel’s) ist jedoch 
bereits die richtige Erkenntniss enthalten, dass die „Kernplatten- 
elemente“ nicht bloss Körner sind, und dass sie, was noch wich- 
tiger, nicht Anschwellungen der feinen „Kernfasern“ darzustellen 
brauchen, sondern ohne Continuität mit diesen sein können. Dass 
Letzteres der Fall sein kann, hat auch Strasburger am eit. Ort 
bereits zugegeben. 

Ich habe mich nun inzwischen überzeugt: 

1) dass die erwähnten Kernplattenelemente an jenen Objecten 
jedenfalls die Homologa sind zu den Bestandtheilen der 
tingirbaren Kernfigur, also zu den Kernfäden, bei Sala- 
mandra u. a. Amphibien (Th. I, 420 u. a). 

2) Dass dieselben sich von jenen anderen, feinen „Kernfasern“ 
durch jene eben erwähnte Eigenschaft durchweg unterschei- 
den: die ersteren sind stark tingirbar, die letzteren nicht 
— ein Unterschied, dem von anderen Seiten keine Aufmerk- 
samkeit geschenkt zu sein scheint !). 

3) Dass die tingirbaren Kernfäden an allen denjenigen Objec- 
ten, die ich schon damals prüfen konnte, nicht Anschwellun- 
gen der blassen Kernfasern, sondern neben ihnen gelegen 
sind (s. Th.I. Taf. 18, Fig. 17). 

Diese Punkte habe ich nun an allen weiteren Objeeten, die ich 
prüfte, bestätigt gefunden. 

Zunächst konnte ich auch bei denselben Zellenarten von Sa- 
lamandra, deren Theilungen im Th. I beschrieben sind und wo ich 
die blassen Fäden früher vermisste und deshalb ihr Vorkommen 
noch für zweifelhaft hielt ?), jetzt das letztere nachweisen. Dies 


1) Arnold (s. am Schluss) hat soeben die gleiche Wahrnehmung mit- 
getheilt. 

2) Theil I p. 419, 420. Dass hierfür Grund vorlag, und dass diese 
Zweifel nicht etwa bloss auf oberflächliche Untersuchung hin erhoben wur- 
den, dafür kann ich mich jetzt auch auf einen so ausgezeichneten und sach- 
kundigen Beobachter wie Strasburger berufen.. Dieser selbst hat, nach 
Kenntniss meiner Beschreibung und Präparate von Salamandra und nach 
eigener genauer Prüfung seiner pflanzlichen Objecte, gerade ebenso geurtheilt, 
wie ich es damals vermuthungsweise that: indem er annahm, dass in den 
betreffenden Fällen (Salamandra, Nothoscorodon u. A.) die feinen Kernspindel- 
fasern in der That fehlten (Strasburger, 8, p. 283 ff... Wenn ich ihm 
jetzt also hierin entgegentrete, so habe ich damit auch mich selbst zu be- 
richtigen. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 219 


gelingt hier allerdings nicht leicht, und nur an einer Minderzahl 
von Zelltheilungen. 

Da die feinen Fäden bei scharfer und reiner Kerntinction 
keine Spur von Farbe aufnehmen, und bei starker Aufhellung ganz 
unsichtbar werden, so bemerkt man grade an den besten Präpa- 
raten von gefärbten Kernfiguren von ihnen nichts. Um sie aufzu- 
suchen, habe ich also jetzt diese Methoden vermieden, und einfach 
mit Essigsäure gearbeitet, oder Chrom- und Pikrinpräparate bloss 
in Wasser oder verdünntem Glycerin untersucht. Hierbei fand 
ich an Theilungen von Epithelzellen, Bindegewebs- und Knorpel- 
zellen, in den Stern- und Aequatorialplattenphasen, zuweilen 
deutlich erkennbare, wenn auch immerhin sehr zarte derartige 
Kernfasern an den Polen (Taf. 1 Fig. 12). | 

Noch viel klarer erkennbar sind sie bei Hodenzellenthei- 
lungen von Salamandra (Taf. 3 Fig. 43 ff.); die Objeete sind mit 
Chromsäure fixirt und in Glycerin aufbewahrt; bei klarer Dam- 
marlackaufhellung sieht man dagegen auch in den Hodenzellen 
diese Fäden nicht. Sehr deutlich sind sie öfter in Objecten, bei 
denen die Lackaufhellung unvollkommen gerathen, Wasser oder 
Alkohol zurückgeblieben ist. 

Es ist wahr, dass bei den anderen, vorher erwähnten Zellen- 
arten diese blassen Fäden an den Polen, und ebenso die zwischen 
den Trennungshälften der Kernfigur im Aequator ausgespannten 
Fäden (Fig. 46, 47, 31 ff.) viel zarter, und meist weniger regel- 
mässig geradlinig gestreckt sind wie bei den Hodenzellen und an- 
deren Objeeten; dass vielfach nur Spuren, und in den meisten 
Fällen gar niehts von ihnen erkennbar ist; doch glaube ich auch 
hier, dass die wenigen positiven Fälle schwerer wiegen müssen 
als die vielen negativen, wenn sich”durch erstere der Schluss auf 
eine allgemeine Gleichartigkeit dieser Vorgänge gewinnen lässt. 

An Pflanzenzellen sind diese achromatischen Fäden oft aus- 
serordentlich deutlich, wie schon Strasburger’s zahlreiche Ab- 
bildungen zeigen. Strasburger ist das verschiedene Verhalten 
der beiden Fädenarten gegen Tinction noch nicht bekannt gewe- 
sen: es lässt sich gerade hier, bei Pflanzenzellen sehr schön de- 
monstriren, da die Kerntinetionen hier schärfer auszufallen pflegen 
wie bei den meisten Thiergeweben (s. Fig. 25 und 26 von Allium 
odorum, aus der Peripherie eines Fruchtknotens. Die Farbenin- 
tensität ist (wie auch in meinen früheren Bildern) möglichst ge- 


220 Walther Flemming: 


nau so gegeben, wie sie an den Präparaten vorliegt). Uebrigens 
kann auch hier bei den einen Kerntheilungsfiguren die achroma- 
tische Fadenspindel aufs deutlichste zu sehen sein, während an- 
dere, unmittelbar daneben in derselben Gewebsformation liegend, 
sie nur verwaschen oder gar nicht zeigen. 


Mit den eben beschriebenen blassen Fäden nun scheint mir eine 
Erscheinung geradezu identisch zu sein, welche vielfach erwähnt, 
aber so viel ich finde, noch in keine Beziehung zu jenen gesetzt 
ist. Es sind dies die blassen Fäden, die nach der Beschreibung 
Stra sburger's und Anderer beim Auseinanderweichen der Toch- 
terfiguren zwischen diesen ausgespannt liegen bleiben, und welche 
Strasburger neuerdings als Zellfäden bezeichnet hat, da sich 
in ihnen bei Pflanzen die „Zellplatte“ anlegt. 


Beim Ansehen der zahlreichen Abbildungen in Strasburger’s Buch: 
„Ueber Zellbildung und Zelltheilung“ ist es mir fast befremdend, dass der 
Gedanke an die Identität dieser Fäden mit den späteren „Zellfäden“ nicht 
schon zum Ausdruck gekommen ist. Strasburger hat aber offenbar nicht 
die Ansicht, die ich hier vertrete, da er in seiner neuen Arbeit (8, p. 277) 
bei der Beschreibung des Trennungsstadiums von Nothoscorodon sagt: „Fig. 22 
zeigt den nächsten Zustand: die Kernplattenhälften sind weiter auseinander- 
gerückt, es beginnt das Einziehen der feinfaserigen Spindelhälften in diesel- 
ben. Zwischen den beiden auseinander weichenden Kernplattenhälften werden 
die Fäden sichtbar, die ich nicht weiter Kernfäden nennen will, vielmehr 
von jetzt an Zellfäden. Diese Namenänderung ist nothwendig, weil die 
Bezeichnung Kernfäden einerseits zu einer Verwechselung mit deı Fäden 
innerhalb der Kernfigur führt, andererseits aber die Zellfäden auch nicht 
von der Kernsubstanz stammen, vielmehr von dem zwischen die Kernhälften 
eindringenden Zellplasma gebildet werden, so weit aber zunächst Kernsubstanz 
in diesen Fäden vorhanden ist, diese alsbald in die beiden Schwesterkerne 
einbezogen wird.“ Strasburger nimmt also an, dass die früheren Kern- 
spindelfäden morphologisch zu existiren aufhören, in die Tochterkerne aufge- 
nommen werden, und dass die von ihm Zellfäden genannten Dinge neu zwi- 
schen den Kernhälften auftreten. — Die Objecte, auf die sich diese seine 
Beschreibung bezieht, sind Alkoholpräparate von Nothoscorodon, wie auch 
ich sie (nebst Allium) benutzt habe, nur dass ich auch noch Färbung an- 
wandte. Ich kann an diesen Objecten nichts finden, was zu Strasburger’s 
obiger Ansicht nöthigte; Kernfiguren, wie z. B. in Fig. 23, 25, 26 hier machen 
ganz den Eindruck, dass die blassen Fäden an den Polen Fortsetzungen der 
blassen Fäden im Aequator sind, und dass eine und dieselbe feinfadige 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 221 


achromatische Spindel vom Stadium Fig. 22 bis zum Stadium Fig. 26 be- 
stehen bleibt. — Dagegen will ich dem nicht widersprechen, dass bei der 
Rückverwandlung der Tochterkerne diese achromatischen Fäden in jene wie- 
der mit einbezogen werden können, wie Strasburger dies annimmt. 

Ich finde, dass diese Fäden überall, wo ich sie überhaupt 
deutlich darstellen kann, eben denselben Unterschied gegen die 
Kernfäden zeigen, wie jene blassen Fasern der Kernspindel: sie 
sind nicht tingirbar (Fig. 25, 26). Und es scheint mir, wie 
gesagt, die einfachste Annahme, dass diese Fäden gar nichts 
Anderes sind als jene: dass sie nicht etwa von den Kernhälf- 
ten ausgesponnen, oder anderweitig gebildet werden, sondern von 
vorn herein im Innern der Aequatorialplatte und Kerntonne ange- 
legt sind, schon ehe diese sich trennt; und dass also die beiden 
tingirbaren Trennungshälften sich nur an ihnen entlang verschie- 
ben, indem sie nach den Polen rücken und dadurch die blassen 
Fäden im Aequatorialtheil frei werden lassen. — Jedenfalls 
steht dieser Annahme, so viel ich sehe, für jetzt nichts im Wege. 


Allerdings ist mir eine Erscheinung wohl bekannt, die man 
gegen die eben vorgetragene Ansicht, und für ein Ausgesponnen- 
werden der Fäden, geltend machen könnte: die chromatischen 
Fäden in den auseinanderrückenden Tochterfiguren sind an ihren 
äquatorialen Enden zuweilen verdünnt, und solche verdünnte 
Enden werden zuweilen mit gegenüberliegenden zusammenhängend 
gefunden (Fig. 42,43). Doch es ist ja oben (in diesem Abschnitt ©) 
schon gezeigt, dass öfter in dieser Phase Berührung mit Verschmel- 
zung von Fädenenden vorkommt, und es lässt sich ganz wohl 
denken, dass an diesen Stellen dann, beim Auseinanderrücken, 
jene Verbindungsfäden wirklich ausgezogen werden; darum können 
aber jene hier in Rede stehenden, achromatischen Fäden ganz 
unabhängig hiervon noch daneben existiren und brauchen beide 
Dinge nichts miteinander zu thun zu haben. 


Der Annahme, dass diese achromatischen Fäden nur von den 
auseinanderrückenden Tochterkernfiguren selbst ausgesponnen, also 
aus ihnen heraus entwickelt würden, würde auch schon folgende 
einfache Thatsache widersprechen, die jedes gute Tinctionspräparat 
soleher Formen zeigt: die tingirbaren Tochterkernfiguren 
sind an Masse stets gleichzuschätzen der vorherigen 
Mutterkernfigur. Sollte eine so beträchtliche Substanzmenge, 
wie sie namentlich bei den Pflanzenzellen die achromatischen Fä- 


222 Walther Flemming: 


den ausmachen, aus ihnen heraus entwickelt werden, so würde 
sich schwer begreifen lassen, dass sie dabei gleiches Volum be- 
wahren. 

Ausserdem ist die Annahme, dass diese Fäden (Zellfäden 
Strasburger) mit den blassen Fäden der Kernspindel identisch 
sind, in keinem Widerspruch mit bisher beobachteten Thatsa- 
chen: sie bedingt vor Allem keinerlei Zweifel an der Richtigkeit 
von Strasburger’s Angaben über die Theilung bei Tradescan- 
tia (14). Allerdings bemerkt derselbe für dieses Object nichts über 
das Vorhandensein von feinen Fasern in den vorhergehenden Pha- 
sen, und rechnet diese Theilung deshalb unter die Gruppe der 
„Kerntonnen“; doch halte ich es für vollkommen möglich, dass 
hier, so wie bei vielen anderen Objecten (gerade auch Salaman- 
dra) die feinen Fäden im Stadium der Aequatorialplatte nur des- 
halb nicht erkennbar sind, weil sie durch die hier sehr dieken 
und massigen tingirbaren Fäden verdeckt werden. Bei einer Ae- 
quatorialplatte von Nothoseorodon oder Allium, wie in Fig. 23 hier, 
freue ich mich schon, gerade deutlich sehen zu können, dass die 
tingirbare Figur aus Fäden, nicht aus Körnern besteht; ob 
nun dazwischen in dieser Figur noch feine untingirbare Fasern 
stecken, wie deren einzelne in der Mitte, an der Scheidungsstelle, 
und viele an den Enden ja sichtbar werden), das ist nicht erkenn- 
bar, aber völlig möglich. — An manchen derartigen Figuren sind 
auch an den Polen die blassen Fäden nicht erkennbar. 

Die neueste Aeusserung Strasburger’s über die betreffen- 
den „Zellfäden“ bei Tradescantia: ‚Es kann keinem Zweifel un- 
terliegen, dass diese Substanz schon vorher zwischen den Kern- 
stäbchen (d. i. den tingirbaren Kernfäden) vertreten war, denn man 
sieht die Stäbchen sich deutlich aus derselben zurückziehen* — 
würde sich mit meiner Auffassung sehr gut vereinbaren lassen, wenn 
sie auch offenbar nicht dasselbe mit ihr besagt. 

Diese meine Auffassung also ist kurz wiederholt folgende: 
In der Theilungsmetamorphose des Zellkerns sondern sich in dem- 
selben zwei morphologisch unterscheidbare Figuren. 
Die eine nimmt sämmtliches Chromatin des Kerns auf und stellt 
die tingirbare Fadenfigur dar. Die andere besteht aus Achroma- 
tin; es ist dabei aber festzuhalten, dass nicht die sämmtliche 
achromatische Substanz des Kerns in sie einzugehen braucht, da 
zwischen den blassen Fasern der Kernspindeln in vielen Fällen 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 223 


noch erheblicher Raum übrig bleibt. In welchem Zeitpunkt der 
Karyokinese die letztere Figur sich morphologisch zuerst ausprägt, 
wissen wir nicht; nach den jetzigen Kenntnissen wird sie erst um 
die Zeit, wo die tingirbare Figur die Form des Sterns oder der 
Aequatorialplatte hat, in Gestalt einer polar- gestreekten Faden- 
spindel deutlich. Es bleibt jedoch möglich, dass die Fäden die- 
ser Spindel auch schon vorher, während der Knäuelform der tin- 
girbaren Figur, irgendwie morphologisch angelegt sind. 

Man kann also die beiden differenten Fadenfiguren, die so 
entstehen, als chromatische und achromatischeFigur unter- 
scheiden; die erstere ist identisch mit dem, was hier sonst für ge- 
wöhnlich Kernfigur genannt wird; die zweite identisch mit 
Strasburger's Zellfäden, und zugleich mit der feinfaserigen 
„Kernspindel“ der Autoren. Ich werde jene Bezeichnungen im 
Weiteren gebrauchen. 

Der äusseren Form nach besteht noch der Unterschied, dass 
bei den einen Zellenarten die achromatische Figur sehr lang ge- 
streckt ist, deshalb in den Stadien des Sterns und der Aequato- 
rialplatte an den Polen über die chromatische deutlich hervor- 
ragt (Th. I. Taf. 18 Fig. 17, Fig. 25, 34 hier); bei den anderen 
aber eine kurzgestutzte Form hat, und deshalb in der chromati- 
schen Figur oft verborgen bleibt. 

Jene würden Strasburger’s „Kernspindeln“, diese seinen 
„Kerntonnen“ entsprechen. — Fig. 12 hier zeigt eine Aequatorial- 

platte letzterer Form (Epithel von Salamandra), in welcher an den 
Polen die achromatischen Fäden, allerdings sehr blass, etwas her- 
vorragen. 

Die achromatischen Figuren verdienen jedenfalls ein nicht 
minder aufmerksames Studium, als die chromatischen; denn in so 
fern es überhaupt zulässig ist, Richtungs- oder Attractionscentren 
anzunehmen und zu localisiren, welche die Umlagerungen der 
chromatischen Kernfäden beherrschen, muss man die Lage solcher 
Centren in den Raumbereich der achromatischen Figur fallen lassen. 

Ihr Studium ist aber bei Wirbelthierzellen wegen ihrer gros- 
sen Blässe sehr schwierig. Ich habe bis jetzt in wenigen Fällen, 
bei Knorpel-, Bindesubstanz- und Epithelzellen, in den achromati- 
schen Fäden äquatoriale Differenzirungen wahrnehmen können, 
welche den Strasburger'schen Zellplatten zu entsprechen 
scheinen (Taf. 2 Fig. 15b), welche letzteren bei Pflanzen ja äus- 


224 Walther Flemming: 


serst deutlich sind. Ob diese Dinge bei den Thierzellen constant zu 
nennen sind und hier dieselbe Bedeutung haben, die ihnen Stras- 
burger für die Pflanzenzelltheilung gab, kann ich noch nicht beant- 
worten. Nach Strasburger und Treub haben die Zellfäden in sol- 
chen Fällen, wo die Theilung desZellkörpers nicht durch Absehnürung, 
sondern durch Spaltung geschieht, diese Spaltung einzuleiten oder 
doch dabei mitzuwirken. (Näheres s. in: 14 u.A.) Bei Thierzellen 
finden sich jedoch diese Fäden, oder Zellplattenelemente, auch in Fäl- 
len, wo die Theilung sicher mit Abschnürung erfolgt (z. B. Schleim- 
zellen des Epithels, Salamanderlarve, Th. 1. Taf. 16 Fig. 4; s. auch 
Strasburger 14, p.12); grade ein solcher deutlicher Fall ist z. B. 
auf Taf. 2 Fig. 15b hier abgebildet, man sieht dort mitten in dem 
Einschnürungshals eine lichte Marke, in der sehr feine Elemente 
in der Aequatorialebene in gleichen Abständen vertheilt zu sein 
scheinen. Deutliche Fäden waren in diesem Falle nicht sichtbar, 
doch eine Längsstreckung der Retieulirung im Zellplasma in der 
Nähe der Theilungsmarke zu erkennen. — Natürlich wäre es a 
priori das Annehmbarste, dass diese Dinge hier überall dieselbe 
Bedeutung für die Zelltheilung haben, wie bei Pflanzenzellen, dass 
also auch in den Fällen, wo die Zelltheilung durch Absehnürung 
erfolgt, diese Differenzirungen der blassen Fäden dazu in Bezie- 
hung stehen. 

Die achromatische Fadenfigur ist gerade an denjenigen Ob- 
jeeten besonders augenfällig ausgesprochen, an welchen Bütschli, 
H. Fol, Strasburger, 0. Hertwig zuerst gearbeitet haben: so 
besonders Eizellen, viele Pflanzenzellen. Daher erklärt es sich, 
dass diese Formen der „Kernspindel“, mit verhältnissmässig mas- 
sigen blassen, polar geordneten Fasern und verhältnissmässig 
kleinen ehromatischen Fäden (vergl. Fig. 31—34) den ge- 
nannten Untersuchern anfangs als typisch für die Kerntheilung 
überhaupt erschienen sind !). Sie sind dies ebensowenig, als an- 
dererseits ein specifischer Unterschied zwischen ihnen und den 
sonstigen Formen zu existiren braucht; nach dem, was hier ent- 
wiekelt ist, handelt es sich doch wahrscheinlich nur um formale 
Verschiedenheiten, und wird damit die Gesammtauflassung sehr 
vereinfacht. Bei den ebengenannten Objeeten, Eizellen u. A., sind 
die Kerne eben wohl relativ ärmer an Chromatin, als sie es z.B. 


1) Auf die Färbungsresultate haben übrigens die genannten Autoren 
noch keine Aufmerksamkeit gerichtet. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Tebenserscheinungen. 225 


bei sämmtlichen Zellen von Salamandra sind; so wird natürlich 
dieses Verhältniss auch in der Theilung stark hervortreten, indem die 
chromatischen Fäden — Strasburger’s „Kernplattenelemente“ — 
an Masse oft weit zurückstehen gegen die achromatischen. Es wird 
freilich wohl so bald nicht gelingen, z. B. bei Eizellen zu ent- 
scheiden, ob diese kleinen chromatischen Fäden (Fig. 31—33, 34) 
hier wirklich dieselben Lagerungen und Formen durchmachen, 
wie bei den Gewebszellen. Bisher sind dieselben von Stras- 
burger und Anderen vielfach nur als Körner erwähnt worden, 
die sich trennen sollen. Ich habe, wie oben (Abschn. 1) gesagt, 
bis jetzt vergeblich sicherzustellen gesucht, ob diese Elemente auch 
beim Ei Fadenschleifen sind. Die Verhältnisse sind dafür selbst 
an sonst günstigen Objeeten (Echinodermen) zu klein, und zu sehr 
verdeckt durch das dotterhaltige Plasma der Eizelle. An Pflan- 
zenzellen, wo die Dimensionen der ehromatischen Elemente relativ 
bedeutender sind (Fig. 22—26), sieht man dagegen ja deutlich, 
dass es Fäden sind und nicht Körner, und an einzelnen be- 
sonders günstigen Objecten, wie die der beiden genannten Figu- 
ren, lässt sich denn auch nahezu noch sehen, dass Fadenschlei- 
fen vorhanden sind, die an der Polseite umbiegen (Fig. 23), ge- 
rade wie in den Aequatorialplatten bei Salamandra (Fig. 10—14). 
Ebenso bei den Hodenzellen (Fig. 44, 45). Also in Fällen, wo 
die deutlichsten, feinfadigen achromatischen „Kernspindeln“ 
vorliegen, wie hier, walten daneben in der chromatischen Fi- 
gur dieselben Verhältnisse ob wie bei den Theilungen der Zellen, 
in welchen von den feinen achromatischen Fäden nichts zu er- 
kennen ist. Da liegt doch wohl die Annahme am Nächsten, dass 
es sich ebenso auch bei den Eizellen u. A., und überhaupt aller- 
wege ähnlich verhalten wird, dass die Dinge, die hier wegen ihrer 
Kleinheit und Undeutlichkeit wie Körner aussehen, ebenfalls Fa- 
denschleifen sind ; dass also die Reihe der chromatischen Figuren 
überall in den Hauptsachen übereinstimmen wird mit der Reihe, 
die ich bei den Amphibien finde und bei so vielen anderen Ob- 
Jeeten bestätigen konnte. Dies ist natürlich bis auf Weiteres nur 
eine Annahme; aber es muss zugegeben werden, dass sie die 
einfachste und nächstliegende ist, weil sie eine allgemeine Ueber- 
einstimmung unter Formen herstellen kann, die sonst als äusserst 
heterolog erscheinen müssten. 

Eben deshalb, um die Aussicht auf eine solche allgemeine 


226 Walther Flemming: 


Homologie möglichst weit offen zu halten, habe ich auch hier und 
weiter oben (Abschn. I) besonders hervorgehoben, dass die Mög- 
liehkeit eines allgemeinen Vorkommeus der achromatischen Faden- 
figur neben der chromatischen nicht ausgeschlossen erscheint, ob- 
schon die erstere bei vielen Zellenarten nicht zu sehen ist; und 
habe mich deshalb Strasburger’s Unterscheidung von Kern- 
tonnen (denen die achromatischen Fäden fehlen würden) und Kern- 
spindeln (mit solchen) nicht anschliessen wollen. Ich proponire 
zunächst folgende Betrachtung der Sache: 

Man gehe von der Annahme aus, — die übrigens durch die 
Tinetionsresultate hinlänglich motivirt ist — dass die Kerne ver- 
schiedener Zellenarten Chromatin und Achromatin in verschie- 
denem Mengenverhältniss enthalten; und dass eben diese Differenz, 
wenn schon in geringerem Grade, auch bei verschiedenen Zellen- 
individuen einer und derselben Gewebsart vorkommen kann. Wenn 
ein Kern, der recht reich an Achromatin und relativ arm an 
Chromatin ist, in Theilung geräth, so werden die achromatischen 
Fäden entsprechend grösser, deutlicher ausfallen und weniger 
durch die ehromatischen Fäden verdeckt werden; dann wird im 
Trennungsstadium das Bild einer „Kernspindel‘“ hervortreten. Im 
umgekehrten Fall werden die achromatischen Fäden zart und blass 
sein, vielfach deshalb ganz unsichtbar bleiben; man sieht dann in 
den betreffenden Phasen oft nichts anderes als die grobfadige 
chromatische Kernfigur, wie bei den meisten Zellen von Sala- 
mandra, im Integument von Nothoscorodon nach Strasburger, 
u. A. m. — Unter dieser Betrachtungsweise lassen die scheinbar 
differenten Formen sich einfach unter einem einheitlichen Ge- 
sichtspunkt zusammenfassen, und es wird damit sogar leicht ver- 
ständlich, dass von zwei Zellen der gleichen Art, im selben Ge- 
webe, die eine nur die grobe chromatische Figur zeigt, die an- 
dere daneben die feine achromatische, was ich, wie früher erwähnt, 
bei Thierzellen wie Pflanzenzellen oft gefunden habe: die Ursache 
kann lediglich darin liegen, dass der eine Kern chromatinreicher 
oder -ärmer war wie der andere. 

Darum scheint mir diese Anschauung, als die einfachere und 
einheitlichere, der Annahme zweier ganz verschiedenen Kernthei- 
lungstypen vorzuziehen. Doch gebe ich gern zu, dass erst weitere 
Untersuchung darüber zu entscheiden haben wird, ob die Letztere 
wirklich auszuschliessen ist. 


theilungsvorgangs, das im Th. I (p. 409) aufgestellt wurde. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 


227 


Um die Ergebnisse aus diesem Abschnitt recht übersichtlich 
zu machen, bringe ich sie in das tabellarische Schema des Zell- 


Die 


Hauptglieder der Reihe konnten dabei wie früher bestehen bleiben; 
in einigen Punkten sind, entsprechend den neuen Ermittlungen, 
Aenderungen angebracht. 
Ich bitte für die Tabelle auch die Holzschnitte I. IL. IV oben 
im Text zu vergleichen. 


IE 


Mutterkern 
(progressiv). 
Gerüst (Ruhe). 


° | Ansammlung des Chromatins zum 


2. 


Knäuel, 
der sich allmählig lockert, unter 
Verdickung seiner Fäden. 


Segmentirung 
d. i. deutliche Trennung!) in 
Fadenstücke. 
Bevor die Segmentirung ganz 
vollendet ist, tritt gewöhnlich eine 


Kranzform 
des Fadengewindes auf, offenbar 
schon Einleitung zu dem folgen- 
den radiären Typus. 

Die Segmente biegen sich zu 
Schleifen, beginnen sich nach 
dem Typus: WinkelderSchleife 
nach dem Centrum, freie En- 
den ihrer Schenkel nach der 
Peripherie, zu ordnen, und so 
entsteht die 

Sternform. 

(In dieser und der vorhergehen- 
den Phase werden die achroma- 
tischen Fäden deutlich.) 

Systolen und Diastolen des Sterns 
(Erklärung vergl. Text, d. Abschn. 
C.); Längsspaltung der Strahlen, 
die aber auch schon in den vori- 
gen Phasen geschehen kann. 

Nachdem durch die Systolen des 
Sterns schon Versuche dazu ge- 
macht sind, folgt die 

definitive Umordnung der Schlei- 
fen in den Typus: Winkel nach 
den Polen, freie Enden nach 
dem Aequator (gilt für je eine 
Hälfte der vorhandenen Schleifen- 
zahl). 

Damit ist entstanden die 


(.) 


N 
2 


Tochterkerne 

(regressiv). 

Gerüst (Ruhe). 
Wiedervermischung des Chroma- 
tins und Achromatins. 

Knäuel, 
der sich allmählig verdichtet, 
Unterbrechungen des Fadengewin- 
des sind nicht mehr deutlich. 


Unterbrechungen des Gewindes 
werden immer weniger und un- 
deutlicher sichtbar (Verschmel- 
zung von Fädenenden?) 

Oft: Kranzform. 

Die Fäden nehmen geschlängel- 
tere Lagen an. 


Sternform. 


Längsverschmelzung von je 


zwei Fäden? 


Allmählige Wiederordnung der 
Schleifen in je einer Tochterfigur 
nach dem Typus (in Beziehung 
auf die künftige Halbzelle): 
Winkel nach dem Centrum, 
freie Enden nach der Peri- 
pherie. 


4. Aequatorialplatte. 7 


1) Es soll hiermit die Möglichkeit offen bleiben, dass die Segmentirung, 


228 Walther Flemming: 


Wenn in diesem Schema in der That der allgemeine, typische 
Lagewechsel gegeben ist, den die Kernfäden bei der Theilung 
durchmachen, so ist damit natürlich eine wirkliche Theorie der 
Kerntheilungsmechanik noch bei Weitem nicht gewonnen. Das 
Unbekannte, das hier wie überall in den Kauf genommen werden 
muss, ist die Ursache des Uebergangs von der Monocentrie in 
die Dieentrie: die Zerlegung einer hypothetischen, attrahirenden 
oder richtenden centralen Kraft, in zwei derartige Richtungs- 
eentren, die nach den Polen auseinanderrücken. 

Auch in den Anschauungen, welche Strasburger über das 
mechanische Wesen der Zelltheilung geäussert hat !), ist die Ur-. 
sache, aus welcher sich ein polarer Gegensatz in der Zelle, be- 
ziehungsweise in der Kernspindel oder Kerntonne ausbildet, um 
deren Theilung zu veranlassen — als unbekannt und gegeben 
hingenommen. Gedanken über die speciellere Mechanik des Thei- 
lungsvorganges hat Strasburger bis jetzt nur an ein Stadium 
geknüpft, das der Aequatorialplatte, Kernspindel oder Kerntonne, 
also das der Theilung unmittelbar vorangehende. Er hält es für 
annehmbar ?), dass bei den Kernspindeln eine abstossende Action 
von den Polen ausgehe, und die Elemente der Kernplatte (d. i. 
also meine chromatischen Fäden) in den Aequator zusammendränge. 
Ich gebe durchaus zu, dass man sich die Kräfte, welche z. B. aus 
meiner Fig. 9 Taf. 1 die Fig. 10, oder aus meinem Holzsehnitt I 
oben Fig. 1 die Fig. 2 hervorgehen lassen, ebensowohl als von 
den Polen abstossende, wie als vom Centrum aus richtende vor- 
stellen könnte. Beide Annahmen sind einstweilen rein hypothetisch, 
ich will keine von beiden verfeehten, und habe die obige Dar- 
stellung, wonach man sich ein anfangs centrales, später in axialer 
Richtung getheiltes Krafteentrum zu denken hätte, ausdrücklich 
nur zur Erleichterung des Verständnisses benutzt. 

Müsste man aber schon zwischen jenen beiden wählen, so 
würde ieh der letzteren vor der ersteren (Strasburger’s) den 
Vorzug geben müssen. Denn seine Anschauung, dass die Aequa- 


oder die Disposition bestimmter Stellen zur Trennung, schon im vorigen Sta- 
dium bestanden haben kann, wenn auch nicht erkennbar. 
1) Zellbildung und Zelltheilung, 2. Aufl., p. 246, 272, und: 8, p. 285 ff. 
2) 8, p. 285. Seine frühere (am oben a. 0.) viel positiver lautende Be- 
hauptung in dieser Richtung (vergl. meinen Th. I, p. 416 ff.) hat Strasbur- 
ger an dieser Stelle schon erheblich gemildert. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 229 


torialplatte durch eine von den Polen ausgehende, abstossende 
Action gebildet werde, würde eben nur für diese einzelne Figur 
einen Erklärungsweg zeigen; während die Zuhülfenahme centri- 
render Attractionen, wie ich sie im Obigen angewandt habe, auch 
die Sternformen und selbst zum Theil noch die Knäuelformen 
mechanisch verständlich machen hilft (s. oben). — Ferner kann 
ich nicht zugeben, dass, wie Strasburger jetzt vermuthet (8, p. 286), 
bei der Bildung der „Kerntonnen‘“ das Kräftespiel ein ganz anderes 
sein sollte wie bei den „Kernspindeln“. In dem Objeet z. B. 
meiner Fig. 13 u. 14 (Epithel, Salamandra), die nach Strasburger 
doch Kerntonnen wären, sind zwar die achromatischen Fäden nicht 
erkennbar, diese Figuren sind aber gewiss darum nicht speeifisch 
verschieden von Fig. 12 (dasselbe Epithel, Salamandra), welche die 
achromatischen Fäden eben wahrnehmen lässt. Damit hat sie aber 
alle Requisite einer „Kernspindel“; es sind in ihr gewiss die 
gleichen wirkenden Kräfte anzunehmen, wie in Figur 23 — und, 
wie ich eben denken muss, in allen Kernfiguren dieser und an- 
derer Phasen, ungeachtet äusserlicher Formunterschiede. 

Ueber diese wirkenden Kräfte selbst wissen wir also noch 
nichts. Der Weg zu ihrer Erforschung aber wird, wie mir scheint, 
erleichtert durch die hier gegebene, genauere Darstellung der Mor- 
phologie des Vorganges. Es wird dadurch möglich, zunächst die 
Frage nach Sitz und Wesen dieser Kräfte exaeter zu stellen, wie 
es bisher geschehen konnte. Es fragt sich: 

l) Haben wir ein materielles Substrat dieser Kräfte in 
derjenigen Substanz zu suchen, welche zwischen den Kern- 
fäden liegt? 

oder 2): gehen die richtenden Kräfte in der Zelle viel- 
mehr eigentlich von den Kernfäden selbst aus? 

oder 3): gehen dieselben vielleicht gar nicht von den Kernsub- 
stanzen selbst, sondern vom Protoplasma der Zelle aus, und 
üben ihre richtende Wirkung auf die ersteren nur von Aussen ? 

oder endlich 4): Wirken mehrere dieser Factoren, oder 

Alle, zugleich? 

Wenn man die Annahme 1) zu Grunde legen will, so würden 
die Krafteentren in die achromatische Substanz zu liegen kommen, 
die zwischen den chromatischen Kernfäden bleibt, und welche, 
in Gestalt der achromatischen Fäden, ja auch einen morpho- 
logischen Bau besitzt. 


230 Walther Flemming: 


Unter der Annahme 2) ist es klar, dass die chromatischen 
Kernfäden sich nicht in allen ihren Abschnitten physikalisch gleich- 
artig verhalten können. Dasselbe wird jedoch gleichfalls schon 
postulirt durch die Annahme 1). Mögen die Fäden in der Weise 
des Holzsehnitts II typisch gerichtet werden, oder mögen sie 
selbst sich durch Anziehung und Abstossung richten, in beiden 
Fällen müssen sie dann je zur Zeit an den Winkeln anders be- 
schaffen sein wie an den Schenkelenden. Man wollte einmal die Vor- 
aussetzung machen, die oben bei der Beschreibung der Einfachheit 
wegen zu Grunde gelegt wurde: es handle sich in Fig. 1. 2 jenes 
Holzschnitts um ein Centrum, das attrahirend auf die Winkel der 
Schleifen wirkt, abstossend auf ihre Schenkelenden, und das sich 
in Fig. 3. 4 ebenda in zwei getheilt habe, die nach den Polen 
rücken. Die Umlagerung der Fäden würde sich dann sehr einfach 
z. B. unter der Annahme darstellen: jeder Schleifenschenkel sei 
ein Magnet, der etwa seinen positiven Pol am Winkel, seinen 
negativen am freien Ende habe; und das hypothetisch gedachte 
Centrum sei ein negativer Magnetpol, der in 1. 2 im Centrum 
läge, in 3. 4 in zwei getheilt nach den Polen rückte. Unter der 
Voraussetzung, dass der Magnetismus des Centrums stärker wäre, 
als der der Fäden, wird ein Blick auf die Figur und die zuge- 
hörige Erläuterung im Text das hinreichend klar stellen. — Ich 
brauche wohl kaum zu bemerken, dass ich hiemit nicht eine magne- 
tische Theorie der Zelltheilung aufgestellt haben will; aber man 
wird zugeben, dass es den Erscheinungen gegenüber in der That 
sehr nahe liegt, hier an Vorgäuge electropolarer Natur zu denken, 
und dass sich damit eine Aussicht ergeben würde, dem Wesen der 
Zelltheilung auch von physiologischer Seite näher zu kommen. 

Ich habe diesem Gedanken schon im Anfang 1879 in einem, 
im Kieler physiologischen Verein gehaltenen Vortrag kurz Ausdruck 
gegeben; in dem schon vorher entstandenen, und alsbald nachher 
erschienenen Werke von Herman Fol (6) ist derselbe, ganz unab- 
hängig von meinen Arbeiten, ebenfalls für das Verständniss des 
Theilungsvorgangs herangezogen worden (v. a. a. O.: La theorie 
eleetrolytique des mouvements protoplasmiques, p. 264 ff.). Da 
Fol sich in diesen Erörterungen wesentlich nur auf die Vorgänge 
im Protoplasma der Eizellen bezieht, die näheren Formveränder- 
ungen am Kern aber ihm bei der Abfassung noch nicht bekannt 
waren, so will ich ein Eingehen auf seine Ideen so lange ver- 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 231 


schieben, bis die Zahl der Anknüpfungspunkte sich vermehrt 
haben wird. 

Wenn man eine Construction in obigem Sinne, also nach 
eleetrischen oder magnetischen Polaritäten, zu Grunde legen wollte, 
so würde offenbar die obige Annahme 1) vor 2) den Vorzug ver- 
dienen. Denn es wäre, Annahme 2) vorausgesetzt, sehr schwierig 
ein Verständniss dafür zu finden, dass die Schleifenwinkel in je 
einer Tochterfigur, welche alle die gleiche Polarität haben, ein- 
ander genähert bleiben, und ebenso dass die Enden der Schleifen- 
schenkel, ebenfalls gleich-polar, sich einander in der Aequatorial- 
platte nähern. Unter der Annahme 1) dagegen, welche zulässt, 
dass die Polarität der hypothetischen Richtungscentren die der 
Kernfäden an Kraft überwiegen mag, wären jene Umstände ein- 
facher erklärbar. 

Für die unter 3) und 4) aufgeführten Annahmen giebt es, so 
viel ich sehe, bis jetzt keinen bestimmten Anhalt; da aber nichts 
ihrer Möglichkeit im Wege steht, durften sie nicht unerwähnt 
bleiben. — 

Es ist hier der Ort, auch den Versuch zur Erklärung der 
strahligen Plasmastructuren zu erwähnen, den Klein in seiner 
letzten Arbeit (12, p. 416—417) gemacht hat. Klein nimmt am 
ruhenden Kern einen Zusammenhang der Fäden des Kernnetzes 
mit Fädengerüsten im Zellplasma an), und denkt, dass die Radien- 
systeme im Plasma bei der Zelltheilung entstehen, indem das Netz- 
werk des Kernes sich eontrahire und damit die Netzfäden des 
Zellplasma eoncentrisch zu sich heranziehe. Ich bin ebenfalls ge- 
wiss der Ansicht, dass die Strahlungen im Plasma und die Kern- 
figurenformen mechanisch mit einander in Beziehung stehen; ich 
habe dies früher (Th. I p. 421 ff.) schon hervorgehoben und dar- 
selest, dass offenbar die Muttersternfigur des Kerns im Ganzen 
dem Monaster im Plasma, die Sternformen der Tochterkerne dem 
Dyaster im Plasma entsprechen. Es ist aber auch ersichtlich, 
dass unter Berücksichtigung der Metamorphose des Kerns, und 
aller der hier beschriebenen Lageveränderungen der Kernfäden, 


1) Wie auch Frommann. Ich möchte hier vorläufig wiederholen, 
dass ich einen solchen Zusammenhang keineswegs in Abrede stellen kann 
und will, aber bis jetzt nichts gesehen habe, was ihn positiv beweist. Näheres 
darüber in der Fortsetzung dieser Beiträge. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 16 


232 Walther Flemming: 


die Erklärung der Strahlung im Plasma nicht in so einfacher Weise 
gefunden werden kann, wie Klein sie an jener Stelle sucht. 


Wenn sonach das ganze physiologische Resultat dieses 
Abschnitts nur darin besteht, dass sich jetzt mehr Ordnung in 
unsere Kenntnisse bringen, und eine etwas genauere Fragestellung 
gewinnen lässt, wie früher, so mag das als ein sehr geringer 
Fortschritt erscheinen. Ich halte es aber für besser, mich zunächst 
hiermit zu begnügen, als irgend eine Hypothese aufzustellen, die 
vielleicht im Anfang Aufmerksamkeit finden würde, um nach eini- 
ger Zeit das dunkle Schicksal anderer zu theilen. 

Das Ergebniss, auf das es mir für jetzt besonders ankommt, 
ist die Wahrung der Möglichkeit, den Zelltheilungsvorgang 
überall auf prineipiell und fundamental gleiche Er- 
scheinungen zurückzuführen, und damit der Annahme überall 
gleicher spielender Kräfte. Raum zu lassen. Wenn es so grosse 
morphologische Verschiedenheiten gäbe, wie Strasburger und 
Andere dies noch annehmen, und mit der Voraussetzung gleicher 
wirkender Kräfte vereinbaren zu können glauben; so würde mir 
die letztere Annahme unmöglich werden. Ich gebe sie aber nicht 
auf. Ich habe hier versucht zu beschreiben, was an meinen Ob- 
jeeten deutlich zu ersehen ist, und damit zu vereinbaren, was An- 
dere gesehen haben, wenn letzteres auch zum Theil recht schwer 
und nur durch Vermuthungen möglich war. Ich überlasse es nun 
dem Leser zu urtheilen, ob er lieber fundamentale Verschieden- 
heiten annehmen, oder mit mir denken will, dass ein genauerer 
Einblick auch bei anderen schwierigeren Objeceten noch Ueberein- 
stimmungen mit dem Typus herausstellen wird, der hier darge- 
legt wurde. 

Uebrigens bin ich ganz darauf vorbereitet, dass meine Anga- 
ben über diesen Typus an vielen Stellen zunächst wenig Glauben 
finden werden. Namentlich betrifft dies die Schilderung der Schei- 
dung der Kernfigur in ihre Tochterhälften, welche in diesem Ab- 
schnitt unter den Titeln: „Die Segmentirung der Kernfäden“ und: 
„Die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte“ gegeben 
ist. Ich sehe ja aus den neuesten oben besprochenen Arbeiten, 
dass die besten Beobachter unter meinen Mitarbeitern sich noch 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 233 


nicht von der Annahme trennen können, dass erst in der Phase 
der Aequatorialplatte oder Kerntonne eine Trennung, eine Zerreis- 
sung von vorher zusammenhängenden Elementen erfolgen müsse, weil 
es an den relativ kleinen, oder sonst ungünstigen Elementen ihrer 
Objecte so aussieht. Da ich einen ziemlichen Theil dieser Objecte 
nachuntersucht habe, so darf ich mir das Urtheil erlauben, dass 
es dort zwar so aussieht, aber nicht so zu sein braucht, vielmehr 
ganz gut ebenso sein kann wie bei Salamandra. Deshalb sehe 
ich ruhig den Zweifeln entgegen, die sich wahrscheinlich gegen 
die hier gegebene Darstellung erheben werden. Es wird ja wohl 
einmal ein Untersucher mit der erforderlichen Sorgfalt die Kern- 
theilung bei Salamandra nachprüfen; dann wird er finden, was 
ich beschrieben habe — und ausserdem hoffentlich noch mehr — 
und wird bestätigen müssen, dass meine Construction des Vorgan- 
ges ihre hinreichende Begründung hat, so seltsam sie auf den 
ersten Blick Demjenigen erscheinen mag, der die Vorzüge dieses 
Objeetes noch nicht aus eigener Anschauung und aus dem Ver- 
gleich mit anderen kennt. 


Absehnitt 3. 


Ueber die Entwicklung der Samenfäden bei Salamandra. 


Ich habe diesen Gegenstand im Sommer 1879 zur Untersu- 
ehung genommen, hauptsächlich, um damit vielleicht etwas Neues 
über die Lebenerscheinungen des Zellkerns zu erfabren. Denn 
dass die Spermatozoenköpfe sich aus der Substanz von Zellkernen 
hervorbilden, kann man nach den vielen neueren Arbeiten über 
dies Thema wohl ausgemacht nennen. Wenn auch einige Unter- 
sucher (v. Ebner, Neumann) der Ansicht sind, dass die Gebilde, 
welche die Köpfe liefern, durch eine freie Neubildung im Zellpro- 
toplasma entstehen, so wird doch auch von ihnen den entsprechen- 
den Gebilden die Natur von Kernen nicht direct abgesprochen. 

Es fragte sich also für mich, was sich an den günstigen, 
grosskernigen Elementen von Salamandra über das Wesen des 


234 Walther Flemming: 


Vorgangs ergeben würde, und ob irgend eine Stütze für eine freie 
Kernbildung, im eben gedachten Sinn, sich finden liesse. 

War Letzteres nicht der Fall — und das habe ich freilich 
a priori vermuthet — so ergab sich eine andere Frage. Wenn das 
Material, das die männliche Keimdrüse dauernd oder periodisch neu 
zu liefern hat, nicht auf Grund freier Zellbildung, sondern nach 
dem bisher allein bekannten Modus, durch Zelltheilung entsteht, 
so müssen sich hier massenhafte Zelltheilungen finden; und das 
wird auch gewiss von allen den Forschern, die eine freie Kern- 
bildung hier nicht annehmen, vorausgesetzt. Aber unter allen den 
vielen und genauen Specialuntersuchungen, die über die Sperma- 
togenese angestellt wurden, ist keine, in welcher sich indirecte 
Kernvermehrung bei Wirbelthieren in den Samendrüsengängen 
beschrieben findet '). v. la Valette St. George, bei dem man 
die Vermehrungsart der Hodenepithelien besonders nahe berück- 
sichtigt findet, schildert sie durchaus unter dem Bilde einer di- 
reeten Kermn- und Zellabsehnürung. Kommt solche hier wirklich 
vor? Oder wenn nicht, was ist der Grund, dass bei den vielen 
Studien über den Gegenstand hier die indireete Kerntheilung nicht 
schon massenhaft gesehen worden ist ? 

Dass sie hier im Hoden überhaupt sich findet, war mir von 
vornherein sicher durch eine Angabe von J. Spengel (26). Auf 
S. 31 dieses Werks beschreibt derselbe aus dem Hoden einer Coe- 
eilia rostrata eine Zelle mit einer sternförmigen, durch Hämatoxylin 
stark gefärbten Figur an Statt der Körner, und ferner von verschie- 
denen Gattungen (besonders Epierium glutinosum, Taf. II. e. 
Fig. 23 u. 32): „dass an einzelnen Zellballen des Hodens fast 
sämmtliche Kerne in höchst eigenthümlicher Weise umgebildet 
waren: es fand sich an ihrer Stelle eine oft wunderbar gestaltete, 
in Hämatoxylin beinahe schwarz gefärbte Figur, die ich am Lieb- 
sten mit chinesischen Schriftzeichen vergleichen möchte.“ Es sind 
dies nach den Zeiehnungen jedenfalls Kerntheilungsfiguren, durch 
die Aufbewahrung in Alkohol etwas verstümmelt. Spengel selbst 
sagt weiter: „Da so umgewandelte Zellen sehr oft wiederkehren, 
in verschieden behandelten Präparaten, und stets massenhaft bei- 
sammen, so bin ich geneigt auch diese Bilder auf Zelltheilungen 


1) Abgesehen von der gelegentlichen Angabe von Spengel (l. e.), die 
im Text alsbald zur Sprache kommt. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 235 


zu beziehen.“ Diese vorsichtige Ausdrucksweise ist dadurch er- 
klärlich, dass zur Zeit der Abfassung (vor 1876) die ersten An- 
gaben über Gewebszellentheilung (Strasburger, Mayzel 1875), 
dem Verfasser noch kaum bekannt sein konnten. 

Ausserdem wissen wir ja schon durch Bütschli und Auer- 
bach (Lit. siehe im I. Theil), dass bei Wirbellosen (Arthropoden), 
die Theilung der Spermatozoen-Keimzellen mit Fadenfiguren ein- 
hergeht ?). 

In der That habe ich denn auch gefunden, dass die Ver- 
mehrung der Hodenepithelkerne resp. Zellen von Sala- 
mandra, behufs der Samenfädenbildung, mit indirecter 
Kerntheilung verläuft. — Diese findet sich zur Zeit vor der 
Samenreifung in solchen Massen, dass es nicht motivirt. 
ist, daneben noch an irgend einen anderen Theilungs- 
modus, etwa directe Kernzerschnürung, zu denken; und 
ausserdem ergiebt sich kein positiver Befund, der für einen solchen 
andern Modus sprechen könnte. 

Der Grund aber dafür, dass von diesen massenhaften indirecten 
Theilungen im Hodenepithel bei Wirbelthieren noch nichts bekannt 
geworden war, liegt grossentheils darin, dass dieselben schub weise, 
und auf kurze Zeiträume zusammengedrängt, verlaufen, 
in den (viel grösseren) Intervallen aber sistiren. Wer mit seiner 
Untersuchung in die Intervalle geräth, hat keine Aus- 
sicht, auch nur eine einzige Theilung zu finden 3). Die 
Aufklärung hierüber folgt am Schluss. 


1) Während meiner Untersuchungen schrieb mir Mayzel, dass er sehr 
schöne Kernfiguren in den Hodenzellen von Raupen gefunden hat; ebenso 
dass er sich auch mit der Vermehrung der Hodenzellen bei Triton und Sala- 
mandra beschäftigt habe, doch sei es ihm hier noch nicht gelungen, alle typi- 
schen Theilungsfiguren aufzufinden. 

2) Indem ich vermuthe, dass hierauf die negativen Befunde der Auto- 
ren grossentheils beruhen, mache ich allerdings den noch unbewiesenen, aber 
. wahrscheinlichen Schluss, dass es sich hierin bei Raninen und Säugethieren 
ebenso verhält, wie bei Urodelen. 

Ein weiterer Grund für jene negativen Befunde liegt aber auch in den 
bisher gebrauchten Reagentien. Kali bichromiecum z. B. zerstört die Kern- 
figuren (Siehe Lit. 13). 


236 Walther Flemming: 


Während des April, Mai und Juni habe ich vergebens eine 
ziemliche Anzahl von Salamandramännchen getödtet; keine Thei- 
lung war im Hoden zu finden. In der letzten Hälfte des Juli tra- 
ten dieselben in Menge auf, und waren dann bis gegen Ende Sep- 
tember, doch in abnehmender Masse, anzutreffen. Gleichzeitig mit 
den ersten Theilungsschüben im Juli trat auch die erste Spermato- 
zoenbildung auf, anfangs spärlich und bis gegen Ende September an 
Frequenz zunehmend !). Aber beides findet sich auch dann kei- 
neswegs durch die ganze Geschlechtsdrüse gleichmäs- 
sig verbreitet. 

Die Hoden von Salamandra, Triton u. A. bestehen, wie durch 
die Untersuchungen von Leydig (21), Duvernoy (20) und Spen- 
gel (l. e.) bekannt ist, aus einer Reihe grösserer und kleinerer, 
an Aesten des Samenganges aufgereihten Abschnitten oder Lap- 
pen, von verschiedener Farbe, die, entsprechend Leydig’s Be- 
schreibung 1. e., etwa zwischen grau, weiss und blass-schwefelgelb 
wechselt. Es fällt auf, dass beiderseits nicht nur die Zahl der 
Lappen gleich, sondern auch die Grösse, Form und auch Farbe 
der symmetrisch gegenüberliegenden nahezu eine und dieselbe 
ist. Ich muss mich Spengel in der Annahme anschliessen, dass 
diese segmentirte Form „nur das Resultat complieirter Wachsthums-, 
Degenerations- und Regenerationsvorgänge sei“ (l. c. p. 65). Die 
verschiedene Farbe der Abschnitte aber ist jedenfalls bedingt 
durch den Entwicklungszustand der Drüsenepithelien, wie dies 
schon Leydig erkannt hat (l. e. p. 74). 

Leydig sagt an dieser Stelle von den jüngeren Entwick- 
lungsstufen: „In den grauen Lappen haben die kurzen Drüsen- 
schläuche keine Spermatozoiden, sondern sind von grossen, 0,0120mm 
messenden Zellen angefüllt. Der Inhalt der Zellen ist blass, fein- 
körnig, der grosse Kern hat mehrere Nucleoli.“ — Es muss hier- 
nach zufällig Leydig ebensowenig, wie einem anderen Beobach- 
ter bei Salamandra und Triton geglückt sein gerade einen Thei- 
lungsschub zu treffen; denn sonst würden die massenhaften und 


1) Ob diese Zeitverhältnisse an allen Orten und bei in Freiheit leben- 
den Thieren die gleichen sind, kann ich nicht sagen. Die von mir benutzten 
Salamander waren aus Prag, Tübingen und Heidelberg bezogen (einige schon 
überwintert, die meisten diesjährig), wurden in grossen Behältern mit Moos 
und Erde halb im Freien gehalten und mit Regenwürmern gefüttert. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 237 


auffallenden Kerntheilungsfiguren hier gewiss von ihnen nicht un- 
bemerkt geblieben sein. 

Mein Präparationsverfahren war: 1. Untersuchung des frischen 
Objects, Anschneiden des Hodenlappens, etwas Zupfen, Abstreichen 
der hervorquellenden Flüssigkeit auf das Objectglas, Eindeekung 
ohne Zusatz. 2. Ebenso, und Färbung auf dem Objecetglas mit 
Bismarckbraun in Essigsäure gelöst !), oder ebenso, nach vorheriger 
Pikrin- oder Chrombehandlung, mit Hämatoxylin. 3. Schnitte vom 
in Alkohol abs. gehärteten Hoden, Färbung mit Carminalaun. 

Was zunächst die ruhenden Epithelzellenkerne angeht, so ist 
Leydig’s Aeusserung „sie hätten mehrere Nucleoli“, wohl nicht 
wörtlich zu nehmen, sondern auf ihre sehr dichten und diekbal- 
kigen Reticula zu beziehen (Fig. 37, 48 Taf. 3). Offenbar liegt 
das gleiche in der Abbildung Spengel’s vor (l. e. Fig. 27, 28 
Taf. II), obschon auch er nur Körner gezeichnet und ihre Ver- 
bindung zu Netzen nicht beachtet hat?). Uebrigens sind die Balken 
nicht gleichmässig dick, sondern enthalten zahlreiche Knoten. — 

Diese diehten, grobbalkigen Kernnetze scheinen 
eine allgemeine Eigenthümlichkeit der Hodenepithelien 
zu sein, auch bei Wirbellosen: ich verweise u. a. auf die Abbil- 
dungen von Grobben (Decapoden), Lit. Th. I. 

Das Protoplasma der Hodenzellen kann ich nicht eben fein- 
körnig nennen: frisch sieht es homogen aus und enthält einzelne, 
aus Fett oder Leeithinkörpern bestehende Körnchen, an Essigprä- 
paraten sieht man darin oft Streifungen, ähnlich wie sie im Plasma 
frischer Knorpelzellen vorkommen (Th. I, Taf. 15 Fig. 2e). 

In einem Hodeneanalabschnitt ?), der keine Theilungen hat, 
sind die Epithelzellen alle von etwa gleicher, und zwar bedeu- 


1) Diese bequeme Kerntinction verdanke ich einer brieflichen Mittheilung 
von Mayzel. Die Präparate blassen leider in Glycerin nachträglich oft ab; 
im Anfang sind die Tinctionen schön und scharf. Die Bismarckbraunfärbung 
ist, wie bekannt, von Weigert angegeben. 

2) Offenbar entsprechen wohl diesem Zustand der Kerne auch die Ab- 
bildungen, welche v. la Valette in Fig.5, 6 Taf. 34, Fig. 34, 35, 36 Taf. 35 
giebt und als zweites Bildungsstadium der. Spermatocyten bezeichnet. 

3) Damit ist nicht ein ganzer Hodenlappen gemeint, sondern nur 
eine gewisse, variabel grosse Strecke seines Canalsystems. Ehe die Theilun- 
gen überhaupt beginnen, können aber allerdings selbst durch den ganzen 
Lappen hindurch die Elemente von gleicher Grösse sein. 


238 Walther Flemming: 


tender Grösse. Wo schon Theilungen geschehen sind, finden sich 
in verschiedenen Stufen kleinere Zellen resp. Kerne; und zwar 
immer solche von gleicher Grösse haufenweise bei einander. 
Und wo man Theilungen in flagranti findet, da liegen sie gleich- 
falls in grosser Ausdehnung haufen- oder nesterweise (8. 
Fig. 48a), offenbar ganz dasselbe, was Spengel bei Epicrium 
elutinosum gesehen hat (L. ce. Fig. 26). 

Wie von la Valette St. George!) gefunden und ausführ- 
lich beschrieben hat, geschieht die Spermatogenese bei Anuren 
(Frosch, Kröte) in der Weise, dass die Hodenepithelzellen durch 
Kernvermehrung zu grossen Mutterzellen anwachsen, zugleich aber 
durch interne Zellenabgrenzung den Charakter von blossen viel- 
kernigen Zellen verlieren. v. la Valette hat diese Gebilde passend 
Spermatocysten genannt, die Inhaltszellen, aus denen je ein 
Samenfaden entsteht, Spermatocyten. Er nimmt an, dass bei 
Triton und Salamandra ganz die gleichen Verhältnisse vorliegen. 

In der That lässt sich das, was ich beschrieben und weiter 
zu beschreiben habe, mit diesen Angaben gut vereinigen. An 
frischen Zupfpräparaten sowohl von solchen Stellen, die noch keine 
Theilungen haben, als von solchen mit Theilungen, findet man 
zahlreiche mehr- und vielkernige Zellen wie in Fig. 49, be- 
ziehungsweise Zellen mit mehreren oder vielen Theilungs- 
figuren, wie in Fig. 50—52. Ich habe solche Schollen gesehen, 
die über 12 Kernfiguren der gleichen Phase führten; bis zu sol- 
chen Zuständen ist das Protoplasma der Zelle noch vielfach ein 
Ganzes, keine Abgrenzung im Zellenterritorium lässt sich darin 
sehen — ich bemerke, dass ich besondere Aufmerksamkeit auf 
diesen Punct verwandt habe, und dass die Abwesenheit von Zellen- 
srenzen hier ganz leicht und sicher festzustellen ist, da die mehr- 
fachen Kerne vielfach einander berühren (Fig. 49). Bei stär- 
 kerer Kernvermehrung (und vielleicht auch manchmal schon bei 
geringerer tritt dann aber die Abmarkung von Zellenleibern ein. 
In jedem Zupfpräparat findet man als grösste Masse der vorhan- 
denen Elemente zwar nicht Spermatocysten, sondern einzelne 
Zellen mit ruhenden Kernen oder Kernfiguren, wie sie die Figg. 
36—47 zeigen; aber es steht natürlich der Annahme nichts im 
Wege, dass diese sämmtlich aus zerstörten, geplatzten Spermatocysten 


1) Vierte Mittheilung ete., in diesem Archiv. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 239 


frei geworden sind. Und der Befund an Schnitten von gehär- 
teten Hoden bekräftigt es hinreichend, dass die gesammte Samen- 
zellenvermehrung auch hier auf jenem von v. la Valette entdeckten 
Wege der endogenen Zellbildung vor sich geht. Die Schnitte zeigen, 
dass in der That jene Haufen oder Bezirke im Epithel der Ca- 
näle, die wie oben gesagt, Theilungen von gleichen Phasen, 
oder Kerne von gleicher Grösse führen (Fig. 48 T. 3), dem 
Inhalt je einer Spermatocyste entsprechen; man kann viel- 
fach deutlich am Schnitt die kernhaltige Cystenmembran erkennen 
(Fig. 48)1). 

Auffallend ist bei Salamandra nur die Grösse der Sperma- 
toeysten, die Massenhaftigkeit der Zellenvermehrung in ihnen: denn 
es kann hier als das Gewöhnliche gelten, dass eine Cyste es auf 
viele Hunderte von Tochterzellen bringt, während bei Anuren, 
wenigstens nach v. la Valette’s Zeichnungen zu urtheilen, diese 
Zahl geringer bleibt. 

Nur in einem wesentlichen Punct also differiren meine bisher 
besprochenen Befunde von denen v. la Valette’s, und können 
zu ihrer Ergänzung dienen: er hat keine Bilder indirecter Zell- 
theilung gefunden, der Art wie die hier beschriebenen, sondern 
er lässt die Kerne sich durch Abschnürung (,„Furchung“, dies. 
Arch. Bd. 12 p. 820) theilen ?) (viele seiner Figuren |. e.). Dies 
beruht aber wohl nur darauf, dass v. la Valette gerade keine 
Theilungsschübe getroffen hat, vielleicht auch darauf, dass die 
Kernfiguren bei den kleineren Elementen seiner Objecte schwieriger 
zu erkennen sind. Als Vermuthung möchte ich es immerhin äus- 
sern, dass die eigenthümlichen Bilder der Kerne in einigen Oysten 
seiner Fig. 34 (Bombinator) Kernfiguren entsprechen könnten. 

Von den Eigenthümlichkeiten, welche die Formen der Kern- 
figuren in den Hodenzellen gegenüber anderen’Zellenarten zeigen, 
ist schon oben im Abschnitt 2 die Rede gewesen, auf den ich 


1) Dagegen habe ich nicht feststellen können, dass an meinen Objecten 
ausserdem noch bindegewebige, radiär durch die Canäle ziehende Septa 
vorkämen, wie sie von la Valette bei Anuren gefunden und unter dem 
Namen Follikelhaut beschrieben hat. 

2) Doch halte ich es für möglich, dass der Fig. 4 und Fig. 119 in 
von la Valette’s neuester Abhandlung (Fünfte Mitth., dieses Archiv 1878, 
p- 261) indirecte Kerntheilungen zu Grunde gelegen haben; er deutet diesel- 
ben aber nicht in dieser Weise. 


240 Walther Flemming: 


hier verweise. Es mag nur noch besonders betont sein, dass der 
synchronische Verlauf der Theilungen aller Kerne oder 
Tochterzellen in je einer Mutterzelle oder Spermatoeyste 
zwar durchaus als die Regel anzusehen ist, daher eben die haufen- 
weise Vertheilung gleicher Theilungsphasen; dass aber von dieser 
Regel doch auch zahlreiche Ausnahmen vorkommen. 


An den Hoden von Rana temporaria habe ich zum Ver- 
gleich einige Prüfungen im Lauf des October vorgenommen, und 
auch hier bei einigen Thieren Stellen (resp. Cysten) mit indireeten 
Kerntheilungen gefunden, wenn auch bis jetzt nicht zahlreich. Es 
ist nicht zu zweifeln, dass es sich bei den Anuren mit den Thei- 
lungen ganz ähnlich oder gleich verhalten wird wie bei den Uro- 
delen, da die ganzen Verhältnisse der Spermatocystenbildung in 
beiden Fällen doch wohl homolog sind. Ich habe es daher für 
überflüssig gehalten, noch weiter bei Fröschen nach Theilungen 
zu suchen. 


Ich wende mich nun zu der Entwickelung der Samen- 
fäden aus den Zellen der Cysten. 

Zur Orientirung vorher einige Worte über die fertigen Samen- 
fäden der Urodelen. Ihr Bau ist lange bekannt (Leydig, Lehrb. 
der Hist. u. a. a. O.), besonders genau von Schweigger-Seidel 
(23, 1865) bei Triton beschrieben: sie bestehen danach (Fig. 54 
hier) aus dem lang spiessförmigen Kopf k, dem kurz eylindrischen 
Mittelstüick m und dem, mit undulirendem Kamm versehenen 
Schwanz (f). Schweigger-Seidel hat bereits gefunden, dass auf 
Essigsäurezusatz das Mittelstück aufquillt und eine feine Membran 
sich vom Kopfe abhebt (l. e. Fig. B. 4, hier 54). Auch die Tinetions- 
fähigkeit bei Carminbehandlung hat Schweigger-Seidel geprüft, 
und festgestellt, dass das Carmin bei vorsichtiger Anwendung nur 
das Köpfchen des Samenkörpers, nicht Mittelstück und Schwanz 
färbt (p. 326) !). 


1) Die Stelle auf Schweigger-Seidel’s p. 315 a. a. O., nach welcher 
sich bei Triton das Mittelstück (b) gefärbt hätte, scheint mir ein Druckfehler 
zu sein, da er diese Sache sonst wohl auf p. 326 hätte erwähnen müssen. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 241 


Er hat bei diesen Färbungen nach eigner Angabe viel 
Schwierigkeiten gehabt, und sie sind nur blass gerathen. Unsere 
"heutige Tinetionstechnik macht die Sache leichter. Ich habe seit 
lange die gewöhnliche Färbung mit Methylviolett, oder anderen 
Anilinen in Cursen benutzt, um an Hodenschnitten zu zeigen, 
dass die Samenfädenköpfe Kernen entsprechen: sie färben sich 
damit brillant. Sehr brauchbar ist dazu auch das Alauncarmin 
(Fig. 56 hier), mit Untersuchung in Wasser oder Glycerin: der 
Kopf allein ist scharf rosenroth gefärbt, das Mittelstück ganz nnge- 
färbt, glänzend, Faden und Kamm blass und farblos. 

Auf die weiteren Feinheiten im Bau der Samenfäden, welche 
an anderen Objeeten von mehreren Forschern, besonders genau 
von Th. Eimer (24) studirt worden sind, habe ich hier noch nicht 
einzugehen, und wende mich nunmehr zu der Spermatogenese. 

Es existirt, so viel mir bekannt ist, nur eine kurze Beschrei- 
bung und wenige Abbildungen v. la Valette’s, welche den Vor- 
gang der Samenfadenbildung bei Salamandra betreffen !). Es heisst 
dort: „Der Kern streckt sich und wird zum Kopfe des Samen- 
körpers. Mehrfach sieht man ihn eingerollt in der Zelle. Seine 
äusserste Spitze bildet in der Länge von 0,008 mm einen vom üb- 
rigen Kopfe deutlich abgesetzten Anhang. Die zwei, von v. la 
Valette gezeichneten späteren Entwicklungsstadien der Fäden 
(l. e. Fig. VII, 5, 6) entsprechen im Ganzen der Fig. 55ab ec hier. 


Uebrigens lässt er es möglich, dass das Mittelstück bei Urodelen nicht ganz 
dem bei Raninen entsprechen möge. 

Während des Schreibens dieser Arbeit erhalte ich Nr. 76, October, des 
Quart. journ. mier. science, mit dem Aufsatz von Heneage Gibbes: Struc- 
ture of the Vertebrate Spermatozoon. Der Verfasser beschreibt die be- 
kannten, hier oben erwähnten Formeigenschaften der Urodelen-Samenfäden, 
wobei man eine Erwähnung der früheren Literatur, namentlich Schweigger- 
Seidel’s, vermisst. Als neu hat Gibbes gefunden, was ich bestätigen 
kann, dass der Rand des undulirenden Flossenkammes sich als ein ver- 
dickter, spiraliger Strang darstellt (filament, Gibbes). Bezüglich der Tinc- 
tion findet der Verfasser, wie Schweigger-Seidel und ich (s. hier oben), 
dass das Mittelstück sich gegen Färbung nicht wie der Kopf, sondern wie 
der Schwanz verhält. 

Die wichtigste, und höchst interessante Angabe von Gibbes ist jeden- 
falls die, dass die Samenfäden der Säugethiere ebenfalls ein ‚‚filament“, 
also ein Homologon des Flossenkammes besitzen. 

1) Zweite Mittheilung, dies Archiv, Bd. II. 


242 Walther Flemming: 


Die drei bei ihm dargestellten jungen Stadien dagegen (Fig. VII 
2, 3, 4), die als „Zellen mit verändertem Kerne“ erläutert sind 
und nur einen nach und nach sich verlängernden Kern im Innern 
einer kleinen Zelle zeigen, enthalten nicht ganz das, was ich ge- 
funden habe. 

Man braucht im August und September nicht lange zu suchen, 
um auf Thiere zu treffen, in deren Hoden alle Bildungsstadien der 
Samenfäden neben einander vorliegen. Fig. 53 und 55 zeigt ihre 
Bilder vom frischen Präparat, ohne Zusatz; Fig. 57 nach Essig- 
säure-Bismarckbraun-Behandlung; Fig. 56 nach Fixirung mit Alko- 
hol und Alauncarminfärbung. 

Allerdings ist es mit der Samenzellenbildung in sofern ge- 
rade so wie mit den Theilungen, dass sich die Elemente einer 
Cyste fast alle im gleichen Stadium befinden; und der Leser 
könnte sich deshalb wundern, dass in den betreffenden Abbildun- 
gen die verschiedenen Entwicklungsstadien bunt durcheinanderlie- 
gen. Dafür ist zu berücksichtigen, dass diese Bilder nach Prä- 
paraten gezeichnet sind, die von der frisch abgestrichenen Flüs- 
sigkeit aus dem angeschnittenen und zerzupften Hoden, mit Fixi- 
rung und Färbung, auf dem Objectglas gemacht wurden: dabei 
serathen natürlich vielfach die Elemente aus verschieden weit 
entwickelten Cysten durcheinander, und es sind gerade solche 
Stellen, die zum Zeichnen ausgesucht wurden. 

Es fällt vor Allem auf, dass die Figur, die sich offenbar 
als die Bildungsgrundlage des Samenfadenkopfes ausweist (Fig. 53, 
56, 57), nicht ein Kern ist und nicht als solcher in der 
Zelle liegt, wie es v. la Valette’s Figuren entsprechen würde; 
sondern der künftige Kopf ist eine Substanzportion desKerns 
und liest in diesem, umschlossen von der Kernmembran k m. 
Und weiter fällt es sofort auf, wenn man einen vergleichenden 
Blick auf die gefärbten Präparate wirft, dass dieser Körper, der 
zum Kopf wird, nichts anderes ist als die tingirbare Substanz 
des Kerns. Wie sich dieselbe sondert, zeigt am Klarsten die 
Fig.57. Durch die Essigsäure und Farbe sieht man an den noch 
nicht in Umwandlung getretenen Kernen hier die sehr dichten, 
srobbalkigen Retieula scharfmarkirt; die jungen Köpfe sind an 
Masse und Quantität der Farbe, die sie aufnehmen, klärlich gleich 
mit der Substanz des Netzwerks, addirt mit der färbbaren Sub- 
stanz, die noch in der Zwischenmasse des Kerns vertheilt, ge- 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 243 


steckt hat; sie selber sind in diesen ihren jüngsten Stadien 
netzförmig gebaut (a b e)'!) in den folgenden (d) verdichten sie sich 
immer mehr und verschmelzen endlich (e, f) zu einer homogenen 
Masse. Bei solehen Reagentienwirkungen, wo die Retieula über- 
haupt nicht deutlich hervortreten ?), s. Fig. 56, hat man ganz ent- 
sprechende Bilder: es sind hier die jungen Köpfe gerade ebenso, 
wie die noch unveränderten Kerne, scheinbar ohne Retieulirung; 
aber die Gesammintensität der Farbe zeigt sich auch hier 
grösser am jungen Kopf als am noch unveränderten Kern, und 
wiederum am gereiften Kopf grösser als am jungen. 

Man braucht diese Bilder nur kurz anzusehen, um sofort den 
Schluss zu ziehen: es ist nicht der ganze Kern, sondern 
die tingirbare Substanz des Kerns, das Chromatin, was 
zum Samenfadenkopf wird. 

Die Formen nun, welche der junge Kopf successiv annimmt, 
sind in Fig. 56 und 57 successiv gezeigt; es ist zuerst ein längli- 
ger und dabei umgeknickter, nicht rein eylindrischer Strang, der 
immer mehr in die Länge wächst, dabei dünner wird, und zugleich 
an Liehtbreehungsvermögen (und ebenso an Tinctionsfähigkeit) 
zunimmt. Je länger er wird, desto mehr windet er sich, und es 
entstehen dabei in den Stadien der Fig. 53 u. 57e knäuelför- 
mige Anordnungen, die den Knäuelformen bei der Zelltheilung 
(z. B. Fig. 36) sehr ähnlich sein können; man könnte sie fast mit 
solchen verwechseln, wenn nicht in Hodenabschnitten, bei denen 
die Samenfadenbildung schon im Gang ist, die Theilungen über- 
haupt ganz fehlten oder doch nur selten noch vorkämen. 

Weiter liegt der immer schlanker gewordene Kopf in schön 
geschwungener Spiralanordnung innerhalb des Kerns: das 
dickere Ende ist das hintere (Fig. d, e, fu.a.). 

Der Contour des Kerns, also die Kernmembran (k m) ist in 
Stadien, wie Fig. 56 f, meist deutlich wahrnehmbar; von da ab 
getraue ich mir nicht mehr zu sagen, wo er geblieben ist. In 
Formen, wie 568 und 57 d, f sieht man zu beiden Seiten des Ko- 
pfes meist einen blassen, aber deutlichen Substanzstreifen entlang- 
laufen, so wie ihn die Zeichnungen angeben; es scheint mir dies 
aber sicherlich schon die Anlage des Schwanzes zu sein und 


1) Bei a in Fig. 57 (rechts) ist der Buchstabe a vergessen. 
2) Ich verweise zur Erläuterung dieser Wirkungen auf Th. I, p. 329 ff, 


244 Walther Flemming: 


ich muss mit den früheren Forschern annehmen, dass dieser aus 
dem Plasma der Zelle, nicht aus dem achromatischen Rest des 
Kerns entsteht. Den Verbleib dieses Restes möchte ich vielmehr 
anderswo suchen: wenn man zu dem reifen Samenfaden Essig- 
säure setzt, so hebt sich, wie Schweigger-Seidel fand, vom 
Kopf eine zarte, vorher unsichtbare Membran ab, die nicht tingir- 
bar zu sein scheint. Ich möchte vermuthen, dass dies das Resi- 
duum der achromatischen Kernsubstanz ist. 

Das Mittelstück des Samenfadens wird seit Schweigger- 
Seidel allgemein als ein Produet der Zellsubstanz, nicht des 
Kerns angesehen; dafür besteht der gewichtige Grund, dass es 
sich bei Kerntinetionen nicht färbt. Ueber seine Entwicklung, 
einen jedenfalls wichtigen Punkt, habe ich noch nichts sicher aus- 
machen können. Der Vorgang kann kaum anders gedacht werden 
als in der Art, dass das dickere (dem künftigen Schwanze zuse- 
hende Ende des Kopfes (Fig. 57 bei e) mit dem Zellplasma jetzt 
in Verbindung tritt, und zwar in der Art, dass diese Verbindungs- 
stelle (als „Mittelstück“) differenzirt bleibt. — Die Kernmembran 
ist an solehen Formen (wie eben an der Stelle Fig. 57 e) oft noch 
gut erkennbar, aber es ist nicht sicher zu entscheiden, ob sie an 
der betreffenden Stelle wirklich klafft, oder nur eine Falte macht. 

Die fast reifen Samenfädenköpfe in meiner Fig. 55 — For- 
men, wie sie auch schon v. la Valette (a. a. O.) bekannt waren 
— haben an variablen Stellen, oft an mehreren zugleich, seitlich 
blasse, plattenförmige Substanzreste ansitzen (s. v. la Valette’s 
und meine Figuren), und ebensolche Substanz findet sich einge- 
schlossen von den spiraligen Windungen der Köpfe (ebenda). Es 
sieht am meisten danach aus, dass diese Substanz nicht dem Zell- 
protoplasma entstammt, sondern den Rest des Achromatins im 
Kern darstellt, welehes nach und nach ganz zu der oben erwähn- 
ten, hyalinen Hülle des Kopfes verdichtet wird. 

An diesen Stadien fällt noch ein, bisher unbeschriebenes 
Merkmal auf: auf das Mittelstück folgt gegen den Schwanz zu 
zunächst eine Verdünnung, dann ein kleines, meist rauh contourir- 
tes Knötehen, das direet in den Schwanzfaden übergeht (Fig. 55 ab 
bei k). Die Verdünnung ist nicht mit dem „Hals“ der Samenfä- 
den gleichzusetzen, welcher von Eimer (l. ce.) bei anderen Objec- 
ten entdeckt wurde; denn dieser folgt direet nach hinten auf den 
Kopf, jene Verdünnung aber auf das Mittelstück. — Uebrigens ist 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 245 


am reifen Samenfaden von Salamandra weder die Verdünnung 
noch das Knötchen mehr erkennbar. 

Ueber die Bildung des Schwanzes und seines Flossenkam- 
mes habe ich bisher nichts mit Sicherheit ermitteln können; dass 
diese Theile aus dem Protoplasma des Spermatocyts gebildet wer- 
den ohne Mitbetheiligung der Kernsübstanz, lässt schon ihr nega- 
tives Verhalten gegen Kernfärbungsmittel schliessen. Denn das 
Achromatin des Kerns würde seiner Masse nach bei weitem nicht 
ausreichen, um jene Theile zu liefern; und ausserdem konnte ich 
ja den Verbleib des Achromatins anderswo finden. 

Es scheint mir jedoch, dass der Schwanzfaden und Kamm in 
folgender Art entstehen: das Zellplasma faltet sich zwischen die 
Windungen, in die sich der Kopf legt, hinein, indem es sich so 
zu einem gleichfalls gewundenen Strange verdichtet, der nachher 
mit dem Kopf sich allmählig grade streckt. So liegt er denn zu- 
nächst neben dem Kopf entlang gelagert, sein freies Ende nach 
derselben Seite hin gekehrt, wie das des Kopfes (Fig. 55 d) — eine 
Lage, — in der diese jungen Samenfäden in der That oft ge- 
funden werden, wo sie nicht schon durch die Präparation ver- 
zerrt sind (in Fig.55 a,b, c hat der Schwanz zwar im Ganzen 
noch diese Lage, hat sich aber schon etwas daraus gelöst). — Dies 
entspräche auch dem Situs, den bei Bombinator igneus Kopf und 
Schwanz bleibend gegeneinander behalten (vergl. die Angaben 
Eimer’s a. a. 0). 

Was die späteren Entwicklungsstadien der Samentäden, bez. 
Spermatocysten angeht, so habe ich die Ergebnisse v. laValette’s!) 
nur zu bestätigen. Ich gebe in Fig. 58 noch einen Ueberblick 
von einem Hodenschnitt, welcher Durchschnitte mehrerer Cysten 
verschiedener Entwicklungsstufen zeigt; in jeder Cyste sind die 
Fäden alle ganz oder nahezu im gleichen Ausbildungsstadium. 


Das wesentlichste allgemeine Ergebniss dieser Befunde lässt 
sich in Folgendem ausdrücken: 

Man kann die Zelltheilung einen ungeschlechtlichen 
Fortpflanzungsprocess nennen. Bei ihr sondert sich das Chro- 
matin des Kerns vom Achromatin, sammelt sieh zu typisch geform- 


1) S. dessen Mittheilung in dies. Arch. Bd. 12, Fig. 31, 32 u. a. a. O, 


246 Walther Flemming: 


ten Figuren und scheidet sich in zwei Theile, die die Grundlagen 
der Tochterkerne abgeben. 

Es giebt nun jedenfalls zu denken, dass, wie ich hier gezeigt 
habe, bei der geschleehtlichen Fortpflanzung, der Conju- 
gation von Samenzelle und Eizelle, die Vorbereitung der ersteren 
zu diesem Vorgang in der Hauptsache den gleichen Charakter 
trägt wie dort: auch hier eine morphologische Trennung des Chro- 
matins, das offenbar den wesentlichen Theil, so zu sagen das Be- 
fruchtungsorgan des Samenfadens liefert, nämlich den Kopf, — 
von dem Achromatin. 

Es stellt sich damit von selbst die Frage, ob auch bei der 
Vorbereitung des Kerns der Eizelle, also bei der Reifung des 
Eies im Ovarium, sich eine entsprechende Scheidung beider Sub- 
stanzen ausspricht !). 

Was im Speciellen in meinen Befunden gegenüber denen v. 
la Valette’s (s. o.) abweicht, stelle ich hier nochmals kurz zu- 
sammen: Es ist nicht der ganze Kern, welcher sich streckt und 
zum Kopf wird, sondern der Kopf bildet sich im Kern, aus des- 
sen Chromatin. Eine abweichende Beschaffenheit der äussersten 
Spitze des Kopfes konnte ich nicht constatiren. Die Zellenver- 
mehrung im Hoden behufs der Samenbildung geschieht nieht mit 
direeter Kerntheilung, welche überhaupt noch nirgends nachgewie- 
sen ist, sondern mit indirecter. 

Vor langer Zeit hat Kölliker (19) angegeben, dass beim 
Meerschweinchen die in Bildung begriffenen Samenfäden spira- 
lig aufgerollt im Innern der Bildungszelle lägen. Diese 
Angabe hat bisher von Allen, die sich darüber äusserten, den di- 
reetesten Widerspruch erfahren ?). Ich habe über die Verhältnisse 
beim Meerschweinchen noch keine Erfahrung; merkwürdig und des 
Notirens werth ist es aber wohl gewiss, dass hier bei einer ganz 
anderen Wirbelthierform Bilder vorkommen °), die auf das Augen- 
fälligste an das von Kölliker Beschriebene erinnern. Freilich 
ist dabei festzuhalten: das Spiralig-Aufgewundene ist hier bei 


1) Hierauf gerichtete Arbeiten habe ich seit dem letzten Frühling, ge- 
meinsam mit Hrn. Stud. Wiebe, unternommen und es wird darüber im 
nächstfolgenden Theil dieser Beiträge berichtet werden. 

2) Vergl. u. A. Schweigger-Seidel, a. a. O. 

3) z. B. meine Fig, 53 de, 56. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 247 


Salamandra nicht ein Samenfaden, sondern ein Samenfadenkop f, 
und liegt nicht bloss in einer Zelle, sondern in einem Kern. Auch 
will ich hiermit nicht die Vermuthung aufstellen, dass ähnliche 
Verhältnisse, wie diese Spirallagerung, überall vorkämen, wogegen 
die Befunde Anderer wenigstens bis jetzt durchaus zu sprechen 
scheinen. 

Eine Darstellung übrigens, welche für die Plagiostomen 
auf ein ähnliches Verhalten schliessen lässt, findet sich in dem 
umfassenden unter Nr. 25 d. Lit.-Verz. eitirten Werke Semper’s. 
In Fig.14 seiner Taf. 17, und dem zugehörigen Text (s. p. 262 u. a.) 
beschreibt derselbe die jungen Formen der Samenfädenköpfe aufs 
Deutlichste als geschwungene Stäbehen. Auch sonst lassen 
sich meine Befunde in sehr Vielem mit denen Semper’s in Homo- 
logie bringen; seine Ampullen sind offenbar gleiehwerthig den 
Spermatocysten der Amphibien; Semper hat erkannt und in 
vielen Abbildungen dargestellt, dass der Inhalt einer solchen an 
Spermatozoen sich zur Zeit stets in gleichem Reifungsstadium be- 
findet. Ueber die Vermehrung des Ampulleninhalts durch Zell- 
theilung finde ich bei ihm keine Angaben, die mit meinen Befun- 
den in sichere Beziehung zu bringen wären, möchte aber vermu- 
then, dass die kleinen und eigenthümlichen Kernformen, die er in 
Taf. 17 Fig. 18 dargestellt hat, vielleicht dahin gehören; bei den 
ziemlich kleinzelligen Geweben der Fische wird das Detail der 
Formen schwer festzustellen gewesen sein. Auch das ist hervor- 
zuheben, dass Semper die jungen Spermatozoenköpfe als deutlich 
inBläschen eingeschlossen erkannt hat (p.262 unten, Fig. 18b). 
Er spricht diese Bläschen zwar als Zellmembranen an, viel- 
leicht darf ich aber darin statt dessen die Kernmembranen 
erkennen und damit auch hierin unsere Befunde in Einklang 
bringen. 

Im Uebrigen kann ich die vielen werthvollen Detailangaben, 
die in Bezug auf andere Thierformen über die Genese der 
Samenfadentheile vorliegen (Kölliker, v. la Valette, Anker- 
mann, Schweigger -Seidel, v. Ebner, Merkel, v. Brunn, 
Neumann, Sertoli u. A.) hier ohne eigene Kenntniss der Ob- 
jeete noch nicht in Vergleich ziehen; das geht auch ohnedem aus 
ihnen hervor, dass an eine durchgreifende Uebereinstimmung in 
allen Einzelheiten für die ganze Wirbelthierreihe nicht zu 
denken ist. Dennoch, so gross auch die morphologischen Abwei- 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 18. 17 


248 Walther Flemming: 


chungen sind, glaube ich die Möglichkeit festhalten zu können, 
dass ein Prineip sich überall wiederfinden lassen wird: die Schei- 
dung der Kernsubstanz in die zwei Substanzen, die ich hier Chro- 
matin und Achromatin genannt habe, und die Verwendung der 
ersteren, um den essentiellen Theil des Samenfadenkopfes zu 
bilden. 

Ich habe mich ganz fern gehalten vom Eingreifen in die 
Erörterung über die Spermatogenese, die besonders von v. la Va- 
lette, Merkel, v. Ebner, Neumann und Sertoli während des 
letzten Jahrzehnts geführt worden ist; denn ich wäre mit der 
Untersuchung einer einzelnen Thierform dazu nicht berechtigt. 
Für diese Form: Salamandra, oder ich darf wohl gleich ohne 
Serupel sagen: für die Urodelen — muss ich mich den letzten 
Angaben v. la Valette’s in der Hauptsache, um die es sich bei 
jener Controverse bisher gehandelt hat, durchaus anschliessen: 
dass sich hier, wie bei seinen Objeeten, durch Kerntheilung bez. 
Zelltheilung Spermatocysten bilden, deren Inhaltszellen dann 
je einen Samenfaden liefern. Es ist hierbei nicht ausgeschlossen, 
dass auch eine einzelne Hodenepithelzelle, ohne sich zu theilen, 
frei werden und sich irgendwo im Innern des Canals zu einem 
Samenfaden umbilden könnte. Ich finde an meinem Object nichts, 
was an die langgestreckten Spermatoblastenzellen anderer Autoren 
und an anderes von ihnen Gesehene erinnerte; aber ihre Beschrei- 
bungen sind viel zu präcise, als dass ich zweifeln könnte, dass 
ihnen richtige Beobachtungen zu Grunde liegen. Die grossen Ab- 
weichungen in der Form, auf welche diese Beobachtungen hin- 
weisen, lassen aber meines Erachtens noch immer die Möglichkeit 
zu, dass das Prineip der Spermabildung für alle Thierformen das 
gleiche bleibt und sich überall im Wesentlichen auf das Gesetz zu- 
rückführen lässt, das v. la Valette am Schlusse seiner fünften 
Mittheilung formulirt hat. 

Jedenfalls kann ich nach dem vorliegenden Material nicht 
annehmen, dass ein Spermatozoenkopf sich auf andere Weise zu 
bilden vermag, als aus einem vorhandenen, durch indi- 
recte Theilung entstandenen Zellkern. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 249 


Ich bin endlich noch Rechenschaft schuldig für die Angabe 
(s. oben), dass die Theilungen der Hodenepitheiien bei Salamandra, 
und wahrscheinlich wohl auch anderswo, schubweise eintreten. 
— Dieser Schluss gründet sich auf Folgendes: 

Wo man bei einem Salamander an irgend einer Stelle eines 
Hodenlappens Theilungen gefunden hat, da finden sie sich auch 
in ziemlich ebensogrosser Zahl an anderen Stellen durch den 
ganzen Lappen vertheilt; und ebenso in anderen Lappen von 
gleicher Farbe beim selben Thier, auch auf der anderen Seite. 

Wo man umgekehrt bei der ersten Probe keine Theilungen 
findet, da wird man fast immer bei demselben 'Thier auch weiter 
vergeblich danach suchen. 

Nun finden sich aber Thiere mit Theilungen und Thiere 
ohne Theilungen stets nebeneinander während der ganzen Zeit 
von Juli bis Ende September). Ich habe immer sofort, wenn ich 
ein Thier mit Theilungen fand, noch einige andere untersucht, um 
zu sehen ob nunmehr vielleicht allgemein die Zellvermehrung im 
Gange sei; aber es fanden sich sowohl im Juli, als August, als 
auch gegen Ende September auch solehe ohne Theilungen, und 
zwar ziemlich in gleicher Zahl wie die anderen. 

Man kann aber nicht annehmen, dass die Thiere, bei denen 
man keine Theilungen gefunden hat, überhaupt an Samenfäden 
steril geblieben wären: denn es fand sich um Anfang October 
bei allen (7) Männchen, die ich um diese Zeit untersuchte, Sper- 
matozoenbildung; und angesichts der Masse der dann gebildeten 
Spermatozoenköpfe, überhaupt der gewachsenen Grösse der Hoden- 
lappen, ist nothwendig anzunehmen, dass überall bei diesen Thieren 
vorher eine starke Kern- bez. Zellvermehrung vor sich gegangen 
sein muss. 

Nach dem Allen scheint die Annahme unmöglich, dass bei 
einem Thier, bei dem die Theilungen einmal begonnen haben, die- 
selben nun ohne Unterbrechung fortliefen, bis die Spermatozoen- 
bildung beginnt; es müssen vielmehr Pausen in den Theilungen 
angenommen werden. 

Doch sind diese Pausen in der genannten Zeit bei Salaman- 
dra nicht so lang, dass man nicht im Ganzen doch bei jedem 


1) Nur während der Zeit vom 22. August bis 15. September habe ich 
mit der Untersuchung pausirt. 


250 Walther Flemming: 


zweiten oder dritten Thier auf Theilungen träfe.. Wenn es bei 
Anuren ebenso ist, so kann man fragen, warum die Untersucher 
beim Frosch nicht sehon längst die wahren Zelltheilungen ge- 
funden haben. Dafür ist nicht zu vergessen, dass bei der gerin- 
geren Grösse der Elemente die Kernfiguren hier nicht so leicht 
zu erkennen sind. Ich habe, wie oben erwähnt, solche bei 
Rana temporaria gefunden; ich glaube aber selbst, dass sie mir 
entgangen wären, wenn ich vorher nicht die Formen der indi- 
reeten Kerntheilung an grösseren, günstigeren Objeeten kennen 
gelernt hätte !). 


Der nächste Theil dieser Beiträge wird über weitere Ergeb- 
nisse bezüglich der Structur von Zelle und Kern, ferner über die 
Entwieklungsgeschichte und den Bau des Övarialeies berichten. 


Bemerkungen zur Technik. 


Bei fortgesetzter Vergleichung habe ich immer wieder bestätigt gefun- 
den, dass die von mir bisher gebrauchte Pikrin- und Chromsäure, mit nach- 
folgender Hämatoxylin- oder Anilinfärbung, für Wirbelthierzellen (auch 
Säugethiere) vor dem Alkohol u. a. Reagentien Vorzüge hat. Dass man auch 
mit ersteren Mitteln oft Schrumpfungen und Verzerrungen (mit Pikrinsäure 
zuweilen auch andererseits Quellungen) der Kernfiguren und ruhenden 
Kerne bekommt, geht schon aus meiner Darstellung hervor; durch die an- 
dern Reagentien geschieht dies aber noch häufiger und stärker, namentlich 
der Alkohol hat Neigung, die Fäden in allen Phasen mit engerer Lagerung 
zusammenzuklumpen. — Essigsäure bewirkt oft das Gleiche und lässt die 
Kernfäden oft etwas aufquellen, wodurch namentlich die Doppelstrahlen 
unkenntlich werden können. 

Doch habe ich zur Bequemlichkeit vielfach jetzt auch ängewendet: 
1) directe Färbung des frischen Objects mit Essigsäure-Bismarckbraun nach 
Mayzel (s. oben, Hodenzellen; jetzt auch von Peremeschko benutzt). Die 


1) Ausserdem aber werden die Kernfiguren gerade durch die Reagen- 
tien, welche leider für die genannten Arbeiten meistens benutzt wurden — 
Chromkali, Osmium — zerstört oder undeutlich. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 251 


Präparate blassen bei Aufbewahrung in Glycerin leicht ab, sind aber Anfangs 
sehr brauchbar. 2) Präparate aus Alkohol, Färbung mit Alauncarmin nach 
Partsch!), Darstellung nach Grenacher?). 3) Färbung von Pikrin- oder 
Alkoholpräparaten mit Picrocarmin. Letzteres macht oft Quellungen, beson- 
ders wenn nicht ganz neutral. 

Wo man Zeit ersparen will, und es nicht darauf ankommt, Kernthei- 
lungen möglichst schön zu erhalten, sondern nur ihre Hauptformen fest- 
zustellen, können alle diese Methoden dienen. Die Anilin- und Hämatoxylin- 
färbungen erfordern, wie früher (Th. I) gesagt, ziemliche Sorgfalt, und die 
letzteren gerathen mir nur dann recht schön, wenn ich sehr langsam mit 
sehr dünnen Lösungen färbe und öfter probire, um Ueberfärbung zu ver- 
meiden. Doch würde ich immer nur die letzteren Behandlungen wählen, 
wo es auf feineres Studium der Karyokinesis abgesehen ist. 

Am Amphibienhoden habe ich bisher bei Härtung mit Chrom- 
und Pikrinsäure nur schlechte Erfolge gehabt; beide härten ihn nicht genug, 
machen sehr störende Gerinnungen in der Zwischenflüssigkeit, und öfter wie 
anderswo Schrumpfungen der Kernfiguren. Mit Chrom- oder Pikrinbehand- 
lung des frischen Hodenpräparats auf dem Objectträger nebst Färbung be- 
kommt man jedoch gute Erfolge (s. Fig. 42 bis 47 Taf. 3), man muss sich 
nur vor Ueberfärbung hüten. 

Bei Pflanzenzellen gerathen alle gebräuchlichen Kernfärbungen be- 
sonders leicht und intensiv, die mit Hämatoxylin (nach Chrom-, Pikrin- oder 
Alkoholbehandlung) meistens so dunkel, dass sie für feinere Studien schlecht 
brauchbar sind. (Weiteres s. oben bei: Pflanzenzellen, Abschn. 1.) 


In einer während des Druckes d. Beitr. erschienenen Abhandlung ?) 
spricht A. Brandt in einer persönlichen Bemerkung sein Bedauern darüber 
aus, dass ich im I. Theil zwar zwei seiner Arbeiten ceitirt habe, einer Ana- 
lyse derselben aber ausgewichen sei. 

Ich habe dıe Arbeiten Brandt’s, gleich vielen anderen, welche das Ei 
und die Eitheilung betreffen, dort lediglich deshalb *) nicht analysirt, weil 
jener Theil meiner Schrift sich zunächst mit Zelltheilungen in Geweben be- 
schäftigen wollte. Es war naturgemäss, die Besprechung jener Literatur auf 
den folgenden Theil meines Arbeitsplanes zu verschieben, der selbst specieller 
mit der Eizelle zu thun haben wird. Dies war mit Bezug auf die Arbeiten 

1) Dies Archiv, Bd. 14, 1877, p. 180. 

2) Ebenda Bd. 16, 1879. Für Curszwecke finde ich die Methode beson- 
ders bequem und empfehlenswerth. 

3) A. Brandt, Commentare zur Keimbläschentheorie des Eies. Il. 
Dies. Arch. Bd. XVII, Heft 4. 1880, p. 571. 

4) Th. I, p. 398 Anmerkung, p. 400, 


252 Walther Flemming: 


Brandt’s um so mehr motivirt, als ich dieselben nicht besprechen kann, 
ohne ihnen in Manchem ausführlicher entgegenzutreten; ich erinnere nur 
daran, dass Brandt den Kern des Eies als eine amöboide „primäre Zelle“ 
betrachtet, die Gerüste in Zellkernen als „Verzweigungen des Kernkörper- 
chens“ ansieht, die Theilungsmetamorphose des Kerns auf „amöboide“ Be- 
wegungen !) zurückführt. Wer meine Ergebnisse über den Kern im Th. I 
p- 356, 357 ff., und hier im Abschnitt 2 berücksichtigen will, wird daraus 
schon ersehen, dass ich die betreffenden Anschauungen Brandt’s nicht thei- 
len kann, und seinen Ausspruch: „dass meine Wahrnehmungen so zu sagen 
eine Brücke zu seiner Amöboidtheorie bildeten“ ablehnen muss. Die nähere 
Motivirung dafür habe ich aber erst an dem Ort zu geben, wohin sie dem 
Gegenstand nach gehört. 


Citirte Literatur 


auf deren Nummern im Text verwiesen ist. 


A. Ueber Zelltheilung. 
(Nach der Reihenfolge der Publication. Frühere Lit. siehe unter Nr. 4.) 


1. Beneden, E. van, La maturation de l’oeuf ce. des mammiferes. 
Bull. de l’acad. roy. de Belg. 2. Ser. t. 40, 1875. 

2. C. J. Eberth, Ueber Kern- und Zelltheilung. Virchow’s Archiv, 
1876. S. 523. 

3. W. Schleicher, Die Knorpel-Zelltheilung. Dies. Archiv. Bd. 16, 
p. 248, Dec. 1878. 

4. W. Flemming, Th. I dieser Beiträge, dies. Arch. Bd. 16, p. 302. 
Dec. 1878. 

5. Peremeschko, Ueber die Theilung der thierischen Zellen. Dies. 
Arch. Bd. 16, 1879. 

6. Fol, Herman, Recherches sur la f&condation et le commencement 
de l’henogenie chez divers animaux. Gen&ve 1879. 
7. E. Klein, ÖObservations on the Structure of Cells and Nuclei, 
II. Quart. Journ. of mier. Science. Vol. 19. N. $., 1879. 

8. E. Strasburger, Neue Beobachtungen über Zellbildung und Zell- 
theilung. Botan. Zeitung Nr. 17 und 18, 25. April 1879. 

9. E. Klein, Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur des Zellkerns 
und der Lebenserscheinungen der Drüsenzellen. Centralbl. f. d. med. Wiss, 
Nr. 17, 26. April 1879. 


1) Vergl. hier p. 155 unten ff. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 253 


10. W. Flemming, Zur Kenntniss der Gerüste im Zellkern und 
ihrer Veränderung durch chromsaure Salze. Centralbl. f. d. med. Wiss,, 
Nr. 23, 18. Mai 1879. 

11. W. Schleicher, Nouvelles communications sur la cellule cartila- 
gineuse vivante. Bull. de l’acad. roy. de Belg. 2. Ser. T.47. Nr. 6, Juin 1879. 

12. E. Klein, On the glandular epithelium and division of nuclei in 
the skin of the newt. Quart. Journ. of mier. science, July 1879. 

13. W. Flemming, Ueber das Verhalten des Kerns bei der Zellthei- 
lung, und über die Bedeutung mehrkerniger Zellen. Virchow’s Arch., Bd. 77, 
März 1879. 

14. E. Strasburger, Ueber ein zu Demonstrationen geeignetes Zell- 
theilungsobject. Sitz.-Ber. der Jenaischen Ges. f. Med. u. Nat., 18. Juli 1879. 

15. Schmitz, Sep.-Abdr. a.d. Sitz.-Ber. der niederrheinischen Ges. f£. 
Natur- und Heilk. in Bonn, 4. Aug. 1879: Mehrkernige Zellen und Zellthei- 
lung bei Thallophyten. Eine frühere Mittheil. desselben Autors schon vom 
5. Mai 1879, ebenda. 

16. Peremeschko, Ueber die Theilung der rothen Blutkörperchen 
bei Amphibien. Centralbl. f. d. med. Wiss., Nr. 38, August 1879. 

17. M. Treub, Sur la pluralit& des noyaux dans certaines cellules 
vegetales. Comptes rendus, 1. Sept. 1879. 

18. Peremeschko, Fortsetzung von Nr. 5, dies. Arch., Bd. 17, 1879. 


Nachtrag: J. Arnold, Beobachtungen über Kerntheilungen in den 
Zellen der Geschwülste. Virchow’s Archiv, Bd. 78. (Erschien nach Abschluss 
dieser Arbeit, wird, als in vielen Puncten wichtig, im nächsten Theil näher 
besprochen werden.) 


B. Ueber Entwicklung der Samenfäden. 


19. Kölliker, Beiträge zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse und 
der Samenflüssigkeit wirbelloser Thiere, nebst einem Versuch über das Wesen 
und die Bedeutung der sogenannten Samenthiere. Berlin 1841. 

20. Duvernoy, Fragments sur les organes genito-urinaires etc., 3. 
fragment. Mem. pres. par divers savants & l’Acad&mie des sciences. 1851. 

21. Leydig, Untersuchungen über Fische und Reptilien. 

22. v. la Valette St. George, Ueber die Genese der Samenkörper. 
Fortlaufende Arbeiten in diesem Archiv: 1. Mittheilung Bd. 1, p. 403 ff.; 
2. Mittheilung Bd. 3, p. 263; 4. Mittheilung Bd. 12, p. 797; 5. Mittheilung 
Bd. 15, p. 261. 

23. Schweigger-Seidel, Ueber die Samenkörperchen und ihre Ent- 
wicklung. Dies. Arch. Bd. 1, p. 309. 

24. Th. Eimer, Untersuchungen über den Bau und die Bewegung 
der Samenfäden. Phys.-med. Gesellsch. in Würzburg, N. F., Bd. 6. 


254 Walther Flemming: 


25. C. Semper, das Urogenitalsystem der Plagiostomen und seine 
Bedeutung für das der übrigen Wirbelthiere. Arb. a. d. zool.-zoot. Institut 
in Würzburg, 1875. 

26. Spengel, Das Urogenitalsystem der Amphibien. Arbeiten a. d. 
zoolog.-zootom. Inst. in Würzburg. III. 

27. E. Neumann, Untersuchungen über die Entwicklung der Sper- 
matozoiden. Dies. Archiv, Bd. 11, p. 292. 

28. Grobben, Beiträge zur Kenntniss der männlichen Geschlechts- 
organe der Decapoden. Wien, Hölder, 1878. 


Nachtrag: Heneage Gibbes, Structure of the vertebrate spermato- 
zoon, Quart. journ. mier. science Nr. 76, 1879. 

Weismann, Beiträge zur Natur-Geschichte der Daphnoiden. Zeitschr. 
f. wiss. Zool. 1879. (Enthält Manches hier in Betracht kommende; konnte, 
wie andere Literatur über Wirbellose, hier noch nicht analysirt werden.) 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI, VII, IX (1,2, 3). 


Für alle Zeichnungen gilt Folgendes: 

1. Sie sind mit Hartnack Syst. 7, 8, 9 & imm., Zeiss 1 und 2 & imm,, 
gezeichnet und zur Verdeutlichung meistens etwas vergrössert dargestellt. 

2. Ueberall soll durch die hellere oder dunklere Schattirung 
an den Fäden der Kernfiguren ausgedrückt sein, dass die verschieden 
schattirten Strecken in verschiedenen Ebenen liegen (meistens: die bei tie- 
ferer Einstellung gesehenen Theile heller gehalten). 

3. Wo im Verlauf oder an den Enden von Fäden gleich grosse 
dunkle oder helle Punkte oder Kreise dargestellt sind (beispielsweise: 
Taf.I Fig. 1b, Fig. 2, 11, 12), da bezeichnen dieselben nicht Körner oder 
Kernkörperchen, sondern optische Quer- oder Schrägschnitte von Fäden. 

4. Die dunkle Schattirung der Kernfadenfiguren entspricht überall 
der Tinction; in Fig. 35 Taf. 3 (nach dem lebenden Präparat) sind, um 
Fehler bei der Lithographie auszuschliessen, die Fäden ebenfalls dunkler ge- 
geben als sie in den blassen lebenden Kernfiguren aussehen. 

5. Wo in den Figuren der eine Schenkel oder Theil einer Faden- 
schleife kürzer und dunkler gezeichnet, ist die Kürze nicht reell zu nehmen, 
es soll dadurch nur ausgedrückt sein, dass der betreffende Theil in optischer 
Verkürzung gesehen ist. 

6. Das Zellplasma ist überall nur schematisch gehalten. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


E7 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 255 


15 


2. 


Tafel VII (1). 


(Bitte die Holzschnitte im Abschnitt 2 zu vergleichen.) 
(Alle Abbildungen von Salamandra). 


a: Ruhender Epithelzellenkern, aus einer Gegend, wo zahlreiche 
Theilungen vorlagen. Von den Bälkchen des Gerüstes sind nur die- 
jenigen gezeichnet, die bei nahezu der gleichen Einstellung zu sehen 
waren. 

b: Ein Anfangsstadium der Theilung, mit drei noch erhaltenen 
Nucleolenresten. Zwischensubstanz des Kerns schon nicht mehr 
tingirbar. Auch hier nur etwa die Hälfte der sichtbaren Fadenwin- 
dungen gezeichnet. — Alle anscheinenden Körner sind optische 
Querschnitte ausser den drei Nucleolen. 

Ein Kern, der durch den Schnitt zerbrochen ist; man sieht unten 
in der Figur nur die untere Wand der Kernfigur, oben, an der 
Spitze, ist sie ganz geblieben. Man kann so im unteren Theil der 
Figur jeden einzelnen Faden sehr klar verfolgen. Vergrössert dar- 
gestellt. 

Das Stadium ist um Weniges weiter, wie das der vorigen Figur 
in b. Zeigt deutlich (auch mit Seibert XI a imm. controlirt), dass 
kein einziges Korn, sondern nur gewundene Fäden da sind. Da diese 
vielfach abgebrochen, glaubt man freie Enden zu sehen, solche sind 
aber sicher nicht vorhanden gewesen, denn im oberen, noch ganz 
erhaltenen Theil der Figur ist keine einzige Unterbrechung; 
die Stellen, an welchen hier Fäden als aufhörend gezeichnet wur- 
den, sind solche, an denen dieselben senkrecht in die Tiefe biegen, 
wo sich jeder weiter verfolgen lässt. Dies konnte der Deutlichkeit 
zu Liebe nicht mitgezeichnet werden. 


3 und 4. Kernfiguren in ähnlichen Knäuelstadien, Fig. 4 etwas weiter, 


b. 


schon mit deutlichen Unterbrechungen, mit noch sichtbarer Kern- 
membran. 
Ein Knäuel schon durchweg in Schleifen segmentirt, in Auflösung. 


6 und 7. Ebenso, dabei (als nicht regelmässige Erscheinung) Sonde- 


rung der Fäden in zwei etwa gleiche Gruppen, die aber nicht 
direct zur Theilung führt; es würde vielmehr Stern und Aequatorial- 
platte folgen (s. folgende Figuren). 

Sternform, in der einige (3) Schleifen zeitweilig abgerückt sind. 
Locker angeordnete Sternform, zugleich Längsspaltung der Fäden. 
Die bei höherer Einstellung sichtbaren Fädentheile sind dunkler 
dargestellt. (Ist in der Lithographie nicht gehörig ausgedrückt.) 

11. Auf die Sternform folgend, Aequatorialplatten. 


. Ebenso, etwas stärker vergrössert dargestellt: an den Polen sieht 


man achromatische Fäden, doch sehr blass, hervorragen — am 


256 Walther Flemming: 


unteren Pol nur eben erkennbar. — Die dunklen Kreise entsprechen 
überall optischen Quer- und Schiefschnitten von Fäden; Körner sind 
nicht vorhanden, wie überhaupt in keiner der Figuren der Tafel. 
Fig. 13 und 14. Aequatorialplatten mit einzelnen etwas abgerückten Schleifen. 
Fig. 15. Schematische Figur, den Bau der auf die vorige folgenden Form 
(Kerntonne) erläuternd. 
Fig. 16. Eine dreikernige Epithelzelle mit eben erfolgter Kerntheilung (drei 
Paar Tochtersterne). 


Tafel VIII (2). 


Fig. 17—26: Theilungen von Pflanzenkernen, 17—19von Nothoscorodon 
fragrans, die übrigen von Allium odorum. 


(Alle nach Tinctionspräparaten, die Kernfiguren sind überall in der Intensität 
gefärbt zu denken, wie in Fig. 25—26. Alkohol-Alauncarmin.) 


Fig. 17. Ruhender Kern aus dem Endosperm. 

Fig. 18. Mutterknäuel ebendaher, Nucleolen hier noch vorhanden. 

Fig. 19. Früheres Anfangsstadium; erscheint körnig, bei gutem Licht sind 
jedoch Fäden zu sehen und lassen sich die sämmtlichen scheinbaren 
Körner als optische Schnitte von Fäden annehmen (vergl. Fig. 1b 
und 2, Taf. 1} WEigsi2le,Waf.x17 Th: 

Fig. 20. Ein etwas weiter vorwärts liegendes Stadium; hier ist die Deutung 
der anscheinenden Körner als optische Schnitte ganz einleuchtend. 

Fig. 21. Sternform von Allium (wie die folgenden aus der Peripherie des 
Fruchtknotens). Ein Theil der Fäden mit deutlicher Spaltung; 
diese ist nur bei denjenigen gezeichnet, wo sie ganz unzweifelhaft 
zu sehen war. 

Fig. 22. Flache Sternform ebendaher, an den Enden tritt die achromatische 
Fadenspindel hervor. (Die dunkel gehaltenen Fadenenden sind die 
in optischer Verkürzung, also von oben gesehenen; die Fäden liegen 
etwas gebogen.) 

Fig. 23. Aequatorialplatte von Allium (vergl. vor. Tafel und den Text unter: 
Pflanzenzellen, Abschn. 1). Das Element links oben ist wahrschein- 
lich eine abgerückte Fadenschleife (vergl. Fig. 43--45, Fig. 13); es 
ist klar erkennbar, dass nur Fäden und nicht Körner vorliegen, im 
Uebrigen sind die Verhältnisse so dargestellt, wie sie zu sein schei- 
nen, denn die Kernfigur ist um ein Drittel kleiner wie diejenigen 
in Fig. 10—14 Taf. 1, wo gerade noch das Gezeichnete klar erkenn- 
bar ist. 

Fig. 24. Tochtersterne von Allium. Liegen schief übereinander, bei ver- 
schiedener Einstellung sichtbar. 

Fig. 25. Allium, kurz nach der Trennung der Kernfigur. Achromatische 
Fadenspindel sowohl in der Mitte, als an den Polen sichtbar. 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 257 


Fig. 26. Ebenso, etwas späteres Stadium: die Tochtersterne von flacher und 
gehöhlter Form, man sieht in die Höhlung der unteren hinein. Be- 
stehen ganz aus distineten, unverschmolzenen Fäden. 

Fig. 27, 28, 29 vom Mundepithel der Krötenlarve, Chrom-Saffranin. 27 Mut- 
terknäuel, Seibert imm. XI; 28 Tochterknäuel, Hartnack 9 imm. 3; 
29 Tochterknäuel, in denen die Fäden durch Reagentienwirkung 
conglutinirt sind, so dass sie wie homogene Ballen erscheinen. 

Fig. 30 abc. Theilungen von Bindesubstanzzellen im Omentum des saugen- 
den Kätzchens, worin massenhafte Theilungen; a aus einer Fettan- 
lage; Essigsäure-Alkohol-Hämatoxylin; d. Bindesubstanzzelle in Thei- 
lung (Tochtersterne) aus dem Amnion des Kaninchens; dies enthielt 
hier und im Epithel zahlreiche Theilungen in den verschiedensten 
Phasen. 

Fig. 31—34. Skizzen von Eizellentheilungen zum Vergleich (nach Präparaten 
von H. Fol, von Toxopneustes lividus, Osmium Carmin). 34 würde 
der Aequatorialplatte entsprechen (Fig. 10—14 vor. Taf.), 31 der 
Trennung bezw. weiter: Sternform der Tochterkerne, 32 und 33 der 
Knäuelform der Tochterkerne (vergl. Fig. 15b, 28). 


Folgende Figuren: Nachträge zu Taf. I, von Salamandra, Epithel. 


Fig. 15a: Aequatorialplatte mit theilweise geschlängelten und unregelmässig 
gelagerten Fäden. 

Fig. 15 b: Zelltheilung, wie immer während der Knäuelphase der Tochter- 
kerne (vgl. Fig. 28, 32); man sieht hier am Einschnürungshals eine 
sehr zarte helle Marke, darin äusserst feine Elemente gleichmässig 
vertheilt (entsprechend den Zellplattenelementen Strasburger’s?). 

Fig. 15c: Tochtersterne kurz nach der Trennung, das Paar etwas schief ge- 
sehen: deutliche polar-centrale Umbiegungen. 

Fig. 15d: Ebenso, etwas später; ebenfalls schrägliegend. Vom Pol gesehen, 
würde der obere Kern als Ring mit freier Mitte erscheinen, doch 
an der einen Seite (oben) nur schwach geschlossen durch eine ein- 
zelne Fadenschleife; der Ring des unteren Kerns nicht geschlossen, 
würde bei Polansicht Hufeisenform haben. Dies wird oft gefunden. 

Beide Figuren zeigen, dass die Existenz von isolirten Faden- 
schleifen aus der Aequatorialplatte bis in diese Sternform fort- 
dauert (Vrgl. die Holzschnite im Abschn. 2). 


Tatel IX ß). 
Aus den männlichen Keimdrüsen von Salamandra, 
Juli, August, September. 


Fig. 35 ag: Lebend verfolgte Theilung einer Hodenepithelzelle (aus Sperma- 
tocyste) frisches Präparat ohne Zusatz. Die Fäden der Deutlichkeit 


258 


Fig. 36, 


Fig. 37. 


Walther Flemming: 


halber dunkler dargestellt, als sie lebend erscheinen. Von a bis g 
verlief nahezu eine Stunde. 

Die isolirt abgerückten Fadenschleifen in a am oberen Pol sah 
man sehr langsam abgerückt und wieder herangezogen werden; 
dann die in b am unteren Pol ebenso abrücken, waren in c wieder 
vollständig einrangirt. d verlängerte sich etwas und führte dann 
rasch zur Trennung über (e). Nach g starb die Zelle ab, nachdem 
eben die Einschnürungsmarke (links) erschienen war. 
wie alle folgenden: Zellen aus Spermatocysten. 36: Mutterknäuel. 
Zelle nicht in Theilung, das charakteristische dichte, 
grobbalkige Kerngerüst der Hodenzellen. 38, 39 Mutterknäuel. 
40 Mutterstern (die Winkel der Schleifen sind schematisch dunkel 
dargestellt. Vergl. Fig. 9 Taf. I. 41 und 42 Aequatorialplatten 
(hier mit der Kerntonne zusammenfallend), 41 schräg von oben, 
und mit leicht geschlängelten Fäden, 42 von der Seite. Wie meistens, 
die tieferliegenden Fäden blasser dargestellt. 44—45 solche Kern- 
tonnen in beginnender Trennung, einzelne Fäden bezw. Schleifen- 
schenkel sind unregelmässig abgerückt (nach den Polen) oder aus- 
geklappt. Man sieht die achromatischen Fäden. 46, 47 Toch- 
tersternform und -Knäuelform, die achromatischen Fäden erscheinen 
körnig (vielleicht nur Reagentienwirkung). 


(Fig. 37—41. Essigsäure-Bismarckbraun nach Mayzel, Fig. 36 und 42—47 


Fig. 48. 


Chromsäure-Hämatoxylin). 


Aus einem Schnitt durch einen Juli-Hoden, schwache Vergrösserung, 
Alkohol-Alauncarmin. 4 Spermatocystendurchschnitte, Inhaltszellen 
je in gleichen, gegeneinander in verschiedenen Theilungsstadien: die 
Formen der Kerne sind an den nebengezeichneten Zellen vergrössert 
dargestellt (a: vergl. Fig. 42, b: etwa Fig. 36, c schon fertige Thei- 
lungen, d: Fig. 37). Das gleiche Verhalten überall im Hoden ver- 
theilt. 


Fig. 49—52: Vielkernige Zellen und deren Theilung. Essigsäure- 


Fig. 49. 


Bismarckbraun. 


Vierkernige Zelle ebendaher, Kerne ruhend. 


Fig. 49a. Zelle mit einem ruhenden Kern und zwei Tonnen. 
Fig. 50 mit 6 Kerntonnen, 5l: mit 6 Paar Tochterknäueln, 52: nebeneinan- 


Fig. 53. 


der in der Zelle zwei Kerntonnen (eine schräg liegend) und 1 Paar 
Tochtersterne, der letztere Kern war also früher in Theilung getre- 
ten als die beiden anderen. 

Schmalere Kerntonne, in der an einzelnen Fäden die äquatorialen 
Anschwellungen oder Aufquellungen aufgetreten sind (vergl. Abschn. 3) ; 


Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 259 


Fig. 


Fig. 53. 


Fig. 54. 


links eine solche im Profil, in der Mitte von vorn, bei a: die letz- 
tere Anschwellung stärker vergrössert dargestellt. (Vielleicht nur 
Reagentienwirkung.) Essigsäure-Bismarckbraun. 

Zugleich Unregelmässigkeit der Kernfigur. Oben ein Schleifen- 
schenkel herausgeklappt, unten eine Schleife abgerückt, beide sehr 
in Verkürzung gesehen (vergl. z. B. Fig. 35d, rechts unten). 

(Aus Versehen ist diese Figur und die folgende mit 53 bezeichnet). 


53—58: Spermatogenese. (Salamandra, September— October.) 


Bildung von Samenfädenköpfen in Kernen, nicht Zellen; das 
Protoplasma der Zellen ist nicht mitgezeichnet, jede Figur gleich 
einem Kern. Frisch ohne Zusatz. 
Fertiger Samenfaden, Vordertheil: k. Kopf, m. Mittelstück, f. Schwanz 
mit Flossensaum. Sofort nach Zusatz sehr verdünnter Essigsäure 
beobachtet, das Mittelstück ist dadurch etwas gequollen. 

Vergl. Fig. 56h: fertiger Samenfaden mit Alauncarminfärbung. 
Mittelstück (m) und Schwanz ungefärbt. 


Fig. 55 ab cd aufeinanderfolgende spätere Bildungsstadien von Samenfäden, 


frisch s. Text. k: fragliches Knötchen hinter dem Mittelstück; 
letzteres ist frisch nicht zu erkennen. d: anfängliche Lage von 
Schwanz und Kopf zu einander. 


Fig. 56 (Alkohol-Alauncarmin) und 57 (Essigsäure-Bismarckbraun) zeigen die 


Fig. 58. 


Uebergangsstadien der Bildung der Köpfe in den Kernen, aus dem 
Chromatin derselben. Vergl. Fig. 53 (frisch, schwächer vergr.), 8. 
Text Abschn. 3. km. in Fig. 56 und 57: Kernmembran. 

Die Mittelstücke der jungen Fäden in d, e, f Fig. 57 durch die 
Essigsäure aufgequollen. 

Skizze aus dem Schnitt von einem Octoberhoden, Alcohol-Alaun- 
carmin; schwache Vergr. — 7 Spermatocysten in einem Canaldurch- 
schnitt, mit Inhalt in verschiedenen Bildungsstadien. 


Kiel, December 1879. 


260 C. Janisch: 


Ueber J.J.Woodward’s neueste Mikrophotographien 
von Amphipleura pellucida und Pleurosigma 
angulatum. 


Von 


€. Janisch, 
Director der Wilhelmshütte bei Bornum-Seesen. 


Hierzu Tafel X, XI, XII. 


I. 


Unter den zur Prüfung starker mikroskopischer Objective 
gebräuchlichen Prüfungs-Objeeten gilt zur Zeit Amphipleura pel- 
lucida, zumal in Balsam liegend, wohl als das schwierigste. Um 
nun an diesem Objecte die Leistung verschiedener Objective fest- 
zustellen, hat J. J. Woodward inWashington mit den vorzüglichsten 
ihm zur Verfügung stehenden Objectivsystemen aus best renom- 
mirten amerikanischen, englischen und deutschen Werkstätten eine 
Anzahl mikroskopischer Aufnahmen ein und derselben Frustel 
von Amphipleura pellueida hergestellt und über die gewonnenen 
Resultate unter Einsendung einer Serie dieser Photogramme im 
Journal of the Royal Microscopical Society, 1879, S.663 ff. aus- 
führlich berichtet. 

Da die erzielten Resultate für jeden Mikroskopiker von gros- 
sem Interesse sind, so wandte ich mich an Herrn Woodward 
mit der Bitte, mir eine Serie dieser Photogramme zur Publication 
geneigtest zu überlassen, welchem Gesuche Herr Woodward in 
freundlichster Weise entsprach, wofür ich demselben hiermit auch 
öffentlich meinen verbindlichsten Dank sage. 

Eine Reproduction der erhaltenen 17 Copien in der Original- 
grösse wäre aber der Kosten wegen nicht ausführbar gewesen, 
weshalb ich die einzelnen Bilder in ihren Contouren ausgeschnit- 
ten und auf drei Tafeln zusammengestellt habe. Hiernach sind 


Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 261 


die beigegebenen drei Tafeln beiMax Gemoser in München nach 
wiederholter photographischer Aufnahme und hierbei um ein Dritt- 
theil verkleinert in photographischem Pressendruck hergestellt. 
Wie alle photographischen Reproductionen, so geben auch diese 
drei Tafeln die ganze Schönheit der Woodward’sehen Original- 
Photogramme nicht vollständig wieder; aber der Druck ist als ein 
so gelungener anzusprechen, dass durch denselben die Verschie- 
denheit in der Leistung der einzelnen Objective im gleichen Maasse 
wiedergegeben ist, wie in den Originalen. 

Die Woodward’schen Original - Photogramme sind bei sehr 
bedeutender, 2700- bis 3400facher Vergrösserung angefertigt. Be- 
kanntlich kann man aber zur Steigerung der Vergrösserung beim 
 Photographiren das gewöhnliche Ocular mit gutem Erfolge nicht 
zu Hülfe nehmen; ebenso ist eine Verlängerung der Camera in 
dem Maasse, dass das Objectivsystem allein eine so starke Ver- 
grösserung ergeben würde, gleichfalls nicht ausführbar, da bei 
starken Objectivsystemen nur für einen ganz bestimmten Bildab- 
stand — entweder also für den kurzen continentalen Tubus von 
8 Zoll Länge, oder für den 10zölligen englischen Tubus — die 
sphärische Aberration der Linsen mit grösster Sorgfalt corrigirt 
ist. Bei den gewöhnlichen (Wasser-)Immersions-Systemen, bei de- 
nen die einzelnen Linsen, um den Einfluss verschieden dicker 
Deckgläser zu corrigiren, mittelst eines feinen Schraubengewindes 
einander genähert oder von einander entfernt werden können, kann 
diese Correctionsschraube auch benutzt werden, um bei grösserem 
Bildabstande, wenigstens innerhalb mässiger Grenzen, die auftre- 
tende Krümmung des Gesichtsfeldes zu beseitigen. Die von Carl 
Zeiss in Jena in neuester Zeit hergestellten Objectiv-Systeme für 
homogene Immersion (Oel-Immersion) besitzen aber eine solche 
Correetionsschraube nicht, und da grade diese so vorzüglichen 
Systeme für den Bildabstand, für welchen sie adjustirt sind, so 
äusserst empfindlich sind, dass schon eine Verschiebung des Bild- 
abstandes von wenigen Centimetern eine Veränderung des Correc- 
tionszustandes sichtbar werden lässt, so würden die neuen Zeiss’- 
schen Systeme nur zu photographischen Aufnahmen von verhält- 
nissmässig schwacher Vergrösserung zu verwenden gewesen sein, 
wenn nicht Woodward eine Einrichtung ersonnen hätte, die es 
gestattet, den Bildabstand in jede gewünschte Entfernung zu ver- 
schieben, die Vergrösserung des Objeetivsystems hierdurch also be- 


262 C. Janisch: 


liebig zu steigern; durch die Veröffentlichung dieses Verfahrens hat 
sich Woodward den Dank aller Microphotographen erworben. 

Schon früher wurde beim Sonnen- oder Gasmikroskope eine 
Concavlinse angewandt, um die Vergrösserung des Objectivsystems 
zu steigern und das auf dem Schirme entworfene Bild möglichst 
plan zu machen. Woodward hat sich nun eine solche achroma- 
tische Concav - Linse, Amplifier, von Tolles in Boston schon vor 
10 Jahren machen lassen, welche bei einem Durchmesser von 
0,7 Zoll und einer Brennweite von 6,5 Zoll so geschliffen ist, dass 
sie an Stelle des Oculars eingesetzt, die aus dem Objectiv austre- 
tenden Strahlenkegel in gleicher Richtung, wie beim Beobachten 
mit dem Ocular, fortlaufen lässt. Diesen Amplifier verwendet 
Woodward beim Photographiren in nachstehender Weise. 

Nachdem ein beliebiges Object mit irgend einem schwachen 
Objective ganz genau eingestellt worden ist, wird das Oecular ent- 
fernt und an dessen Stelle die Concavlinse gebracht, die in eine 
längere Hülse gefasst ist, die sich sanft im Tubus verschieben 
lässt und die eine feine Eintheilung, z. B. in Millimeter, trägt. Das 
Mikroskop wird nun, ohne die genaue Einstellung zu ver- 
ändern, in die photographische Camera gebracht und die Con- 
cavlinse durch Versuche so lang vor- oder zurückgeschoben, bis 
auf der Visirscheibe das Object in grösster Schärfe erscheint, wo 
alsdann die Ebenheit des Gesichtsfeldes die gleiche sein wird, 
wie beim Beobachten dureh das Oeular. Die so ermittelte Stellung 
der Schiebhülse im Tubus wird an der Scala abgelesen und notirt, 
und diese Stellung der Hülse ist für jedes andere Objectiv, 
also auch für die Oel-Immersionssysteme, für den gewähl- 
ten Bildabstand stets die gleiche. Für geringere oder grössere 
Bildabstände muss aber die Stellung der Concavlinse durch neue 
Versuche ermittelt werden. Zeiss giebt seinen Systemen für ho- 
mogene Immersion zu photographischen Aufnahmen eine ähnliche 
Concavlinse auf Wunsch bei, die das vom Objectiv erzeugte Bild 
zwei- bis dreimal vergrössert. 

Um beim Beobachten mit diffusem Tageslichte oder 
bei Lampenlicht so feine Details, wie die Querstreifen von Am- 
phipleura pellueida, sichtbar zu machen, muss bekanntlich die 
allerschiefste Beleuchtung angewendet werden, die’ meist nicht 
durch den Spiegel allein, sondern nur mittelst des Abbe’schen 
(oder eines ähnlich eonstruirten) Beleuchtungsapparates zu erzielen 


Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 263 


ist. Wird dagegen direetes Sonnenlicht wie beim Photogra- 
phireu, zur Beleuchtung angewendet, so reicht, wie Woodward 
durch seine Versuche festgestellt hat, eine weit weniger schiefe 
Beleuchtung zur Siehtbarmachung dieser Details aus. Woodward 
gebraucht deshalb zur Beleuchtung beim Photographiren einen 
3zölligen Illuminator von 12° Oeffnungswinkel, welcher in einem 
Winkel von nur 45° gegen die Achse des Mikroskops geneigt, 
monochromatisches Sonnenlicht auf das Object wirft. Mit diesem 
Illuminator sind die Aufnahmen der in den Figuren 1 bis 11 auf 
Tafel X und XI dargestellten Bilder gemacht. Um dann zu be- 
weisen, dass bei monochromatischem Sonnenlichte eine Zunahme 
der Schrägheit der Beleuchtungs-Büschel keine Verbesserung der 
Leistung des Objectivs erzeugt, sind die Photogramme Fig. 12 und 
Fig. 13 auf Taf. XI beigefügt, welche dieselbe Fruste! darstellen, 
wie sie mittelst eines Immersions-Illuminator bei schrägstem 
Lichteinfall, ohne das Bild zu verzerren, gesehen wird. 

Auch diese Ermittelung Woodward’s, dass eine Schiefe der 
Beleuchtung von nur 45° gegen die Mikroskop-Achse geneigt zur 
photographischen Darstellung der Querstreifen von Amphipleura 
pellueida oder ähnlich feiner Structuren bereits ausreichend ist, ist 
für die Mikrophotographie von grossem Werthe, weil jedes Ob- 
jeetiv bei so mässiger Schiefe zweifellos bessere Bilder giebt, als 
bei allerschrägstem Lichteinfall. Diese Ermittelung wird theoretisch 
dadurch erklärt, dass — da bei Amphipleura pellueida die Streifen- 
Distanz 0,23 u beträgt und das photographisch wirksamste Licht 
eine Wellenlänge von 0,40 bis 0,42 u umfasst — bei jedem Sy- 
steme von 1,00 numerischer Oeffnung und darüber hinaus bereits 
das erste Beugungsbüschel schon voll in die Oeffnung eintritt, 
sobald der einfallende Strahlenkegel pp. 45° in Balsam gegen die 
Achse geneigt ist. Da nun ein zweites Beugungsbüschel doch 
auf alle Fälle unerreichbar ist, so giebt eine grössere Schiefe kei- 


nen Vortheil mehr, sondern nur Nachtheil — stärkere Lichtver- 
luste und grössere Empfindlichkeit des Objeetives gegen alle klei- 
nen Abweichungen. — Beim Sehen aber, wo Licht von grösserer 


Wellenlänge wirken muss, oder auch wenn noch feinere Streifun- 
gen, unter 0,20 « Abstand, photographirt werden sollten, müsste 
eine schrägere Beleuchtung angewendet werden, damit auch nur 
das erste Beugungsbüschel in die Oeffnung des Objeetivs ein- 


fallen, und durch Zusammenwirken dieses Beugungsbüschels mit 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 18. 18 


2364 C. Janisch: 


dem direet einfallenden Licehtbüschel das Bild der Structur entste- 
hen kann !). 

Die auf Taf. X und XI in den Figuren 1 bis 13 dargestellte 
Frustel von Amphipleura pellueida ist nach Woodward’s Mes- 
sungen 0,0037 Zoll Engl. lang und hat 102 Querlinien in !/ıooo Zoll. 
Diese Frustel liegt auf einem Präparate, das aus einer Aufsamm- 
lung in den botanischen Gärten von Hull im Jahre 1859 ursprüng- 
lich trocken liegend dem Herrn W. A. Sellivant in Columbus, - 
Ohio, zugesandt und von diesem Woodward zugestellt wurde. 
Behufs Anstellung der photographischen Aufnahme hat Wood- 
ward dies Präparat in Balsam eingelegt, wodurch bekanntlich die 
Sichtbarmachung der Querlinien noch erschwert wird. 

Ueber seine Aufnahmen und die hierbei erzielten Resultate 
bemerkt Woodward: 

A. Photogramme von Amphipleura pellueida, beleuchtet durch 
monochromatisches Sonnenlicht; Condensor ein 3zölliges 
Objeetiv von 12° Winkelöffnung, in einem Winkel von 45° 
zur Achse des Mikroskops geneigt: 

Fig. 1. Zeiss Oel-Immersions-System 1/s°; Oeffinungswinkel 114°; 
(Original-Vergröss. 2830) 1886mal vergrössert. 

Fig. 2. Dasselbe Objectiv (Orig.-Vergr. 2760) 1840mal. 

Fig. 3. Zeiss Oel-Imm.-System 1/s“; Oeffnungswinkel 115%. — 
(Orig.-Vergr. 2700) 1800mal. 

Fig. 4. Tolles Oel-Immersions-System !/ıo“; Oeffnaungswinkel 122°; 
(Orig.-Vergr. 2700) 1800mal. 

Fig. 5. Spencer Glycerin - Immersions - System 1/0“; Oeffnungs- 
winkel 105°; (Orig.-Vergr. 2830) 1886mal. 

Fig. 6. Spencer Glycerin- Immersions-System !/s‘; Oeffnungswin- 
kel 106°; (Orig.-Vergr. 1900), 1266mal. 

Fig. 7. Das Negativ von Fig. 6 auf 1840fache Vergrösserung ge- 
bracht; (Orig.-Vergr. 2760). 

Fig. S. Tolles Wasser- Immersions -System Y/ıs; Oeffinungswin- 
kel 91°; (Orig.-Vergr. 2760), 1840mal. 

Fig. 9. Powell and Lealand Wasser - Imm. - System 1/s“; Oeff- 
nungswinkel 105°; (Orig.-Vergr. 2700), 1800mal. 

Fig.10. Powell and Lealand Wasser-Imm. - System !/ıs‘; Oeff- 
nungswinkel 103°; (Orig.-Vergr. 2700), 1800mal. 


1) Abbe, Beiträge zur Theorie des Mikroskops, im IX. Bande dieses 
Archivs, S. 440 u. ff. i 


Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 265 


Fig.11. Powell and Lealand Wasser- Imm.-System 1/5; Oeff- 
nungswinkel 91°; (Orig.-Vergr. 2900), 1022mal. 

B. Photogramme von Amphipleura pellucida, beleuchtet durch 
monochromatisches Sonnenlicht mit einem Immersions-Illu- 
minator und bei dem schrägsten Lichteinfall, den jedes 
Öbjeetiv ohne Bildverzerrung zuliess. 

Fig.12. Zeiss Oel-Immersions-System !/ıs“ (dasselbe wie bei Fig. 1); 

(Orig.-Vergr. 2830), 1886mal. 

Fig.13. Tolles Oel-Immersions-System (dasselbe wie bei Fig. 4); 

(Orig.-Vergr. 2760), 1840mal. 

„Seit meiner Untersuchung dieser Objective bin ich gezwun- 
sen, dem Zeiss’schen !/ıs“, sowohl bei Lampen-, wie bei Son- 
nenlicht den Vorzug vor allen andern genannten, und, ich 
darf in der That hinzusetzen, vor allen Objeetiven zu geben, 
welche ich jemals untersucht habe.“ 

„Hiernächst kommt eine Gruppe, welche das !/ıo‘‘ Oel-Immer- 
sionssystem von Tolles, das !/s“ und das !/ıo“ Glycerin-Immer- 
sionssystem von Spencer, und das !/s“ Oel-Immersionssystem 
von Zeiss umfasst. Alle diese Objeetive leisten in der That 
Vorzügliches. Als ich im letzten Januar (1879) an Zeiss 
schrieb, sprach ich die Ansicht aus, dass die Leistung seines 
!/;“ völlig gleich käme „dem Besten aus der grossen Samm- 
lung von Objeetiven, welche dem Museum angehören.“ Aber 
weitere Versuche überzeugten mich, dass meine erste photo- 
graphische Arbeit dem Spencer’schen !/ıo“ keine Gerechtig- 
keit widerfahren liess. Später empfing ich noch das !/s“ von 
demselben Verfertiger und das "/ıo‘“‘ Oel-Immersionssystem von 
Tolles. Nach fortgesetzten Versuchen betrachte ich nun diese 
drei Objective an definirender Kraft als dem Zeiss’schen 1/s“ 
überlegen. Wie sie mit diesem und jedem anderen zu ver- 
gleichen seien, mag nach den Photogrammen unparteiisch be- 
urtheilt werden. Von den Wasser-Immersions-Objectiven steht 
das Tolles’sche !/ıs nach meiner Schätzung obenan; dem- 
nächst kommen die Objective von Powell and Lealand.“ 

„Durch das Studium dieser Photographien wird unter an- 
deren Punkten auch erwiesen, dass die Ueberlegenheit der 
Glycerin- und Oel-Immersions-Objective keine blosse Folge 
ihres grösseren Oeffnungswinkels ist. Denn die Apertur von 
Spencer’s !/s“ übertrifft nur wenig, die des Yo’ gar nicht 


266 


C. Janisch: 


diejenige des '/s“ von Powell and Lealand und dennoch 
ist ihre Leistung eine viel bessere. Ebenso ist der Oeffnungs- 
winkel des Zeiss’schen Oel-Immersions-Systems !/ıs‘ that- 
sächlich geringer, als der Oeffnungs-Winkel von Tolles Yıo“', 
und trotzdem überragt die Leistung des Ersteren das Letz- 
tere; ein ähnliches Resultat ergiebt die Vergleichung von 
Tolles !/ıs“ mit den Powell and Lealand’schen Objec- 
tiven. Dessen ungeachtet zweifle ich nicht im mindesten, 
dass jede Gradzunahme des inneren Winkels über 82° von 
wesentlichem Vortheile sein wird, immer vorausgesetzt, dass 
die Aberrationen sorgfältig eorrigirt sind; aber ein Nachstehen 
in der gebrauchten Formel oder in der Geschicklichkeit und 
Sorgfalt, welche auf die Construction verwandt worden, mag 
die Vortheile, welche aus dieser Quelle hergeleitet werden 
sollen, mehr als unwirksam machen. Ferner zweifle ich über- 
haupt nicht an der Ueberlegenheit im Allgemeinen des Gly- 
cerins als Immersionsflüssigkeit über Wasser, oder des Cedern- 
öls und anderer Flüssigkeiten, welche dem Crown Glase an 
Liehtbrechung und Zerstreuung sehr nahe kommen, über Gly- 
cerin. Aber diese Ueberlegenheit zeigt sich nicht blos des- 
halb, weil ein vergrösserter Winkel ermöglicht wird. Denn es 
ist in der That, da der Winkel der Totalreflexion aus Crown- 
glas in Wasser etwas mehr als 60° beträgt, theoretisch 
keineswegs unmöglich, Wasser-Immersions-Objective mit einem 
Winkel zu construiren, welcher ebenso gross ist, wie der der 
Oel-Immersions Objeetive von Zeiss, oder der Glycerin-Objec- 
tive von Spencer. Die Schwierigkeit besteht in diesem Falle 
nur darin, die Aberrationen zu beseitigen, welche unvermeid- 
lich durch Refraction an der Oberfläche des Deckglases und 
der ebenen Vorderfläche des Objectivs entstehen. Diese Aber- 
rationen fallen gänzlich fort, sobald die Immersions-Flüssig- 
keit die gleiche Breehung und Zerstreuung hat, wie das zu 
der Frontlinse und dem Deckglase verwendete Glas; sie sind 
vergleichungsweise unbedeutend bei Glycerin, viel beträcht- 
licher bei Wasser und am grössten bei trockenen Objectiven. 
Professor Abbe hat in der bereits erwähnten Abhandlung 
die Aufmerksamkeit auf diesen Umstand gelenkt, welcher 
mir sogar wichtiger erscheint, als die Thatsache, dass homo- 
gene Immersion keinen Verlust giebt durch Reflexion an der 


Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 267 


vorderen Oberfläche des Objectivs, und Glycerin Immersion 

nur sehr wenig; doch muss auch dieses seinen Einfluss haben.“, 

„Alle diese Umstände in Betracht gezogen, bin ich geneigt 
eine weitere Verbesserung an Objeetiven eher in der Rich- 
tung von homogener Immersion als von Glycerin-Immersion 
zu erwarten. Dazu haben wir bei homogener Immersion 
noch den grossen Vortheil, die Correcetionsfassung für ver- 
schiedene Dieke der Deckgläser entbehren zu können und 
hierdurch von dem bejammernswerthen Verluste an Zeit be- 
freit zu werden, welcher durch den Gebrauch jener, bei Gly- 
cerin- und Wasser-Immersion durchaus erforderlichen Vor- 
richtung herbeigeführt wird.“ 

„Aus letzterem Grunde gebe ich für gewöhnliche Arbeiten 
meinem Zeiss’schen !/s‘“ den Vorzug vor den Objectiven, 
von welchen ich gesagt habe, dass sie jenes an definirender 
Kraft etwas überträfen, weil es sofort Resultate giebt, welche 
nicht wesentlich geringer sind, als die besten, die ich mit 
den anderen Objectiven nur mit vieler Mühe und Zeitverlust 
erhalten kann.“ 

„Endlich habe ich, um die herrliche Leistung des Zeiss’- 
schen !/ıs‘ an einer trocken liegenden Amphipleura-Schaale 
zu zeigen, der Serie die Photographie Nro. 14 von einer sehr 
zarten Frustel, auf einem Präparate von Amphipleura pellu- 
cida von Bridge of Allan, Schottland, hinzugefügt, welches 
von meinem Freunde, Professor Hamilton L. Smith in Ge- 
neva, New-York, angefertigt worden ist. Diese Frustel ist 
nur 0,0029” Jang und hat 105 Streifen in 0,001”. Sie ist 
3400mal vergrössert.“ 

Letztere Frustel erscheint auf unserer Taf. XI in Fig. 14 in 
2266facher Vergrösserung. 

Da Woodward zu diesen Versuchen nur die allerbesten 
ihm zur Verfügung stehenden Objeetive benutzt hat, von denen 
bereits bekannt, dass sie die Querstreifen von Amphipleura pel- 
lueida gut und schön lösen, so ist es ganz natürlich, dass die 
Unterschiede in der Leistung der einzelnen Systeme keine gewal- 
tig grossen sein können. In der Mitte der Frustel erscheinen 
deshalb die Querstreifen bei allen Bildern in fast gleicher Deut- 
lichkeit. Je vorzüglicher aber die Correetion des Linsensystems 
ausgeführt ist, eine desto grössere Ausdehnung erreicht die Eben- 


268 C. Janisch: 


heit des Gesichtsfeldes, so dass mit den best corrigirten Objecti- 
ven die Querstreifen über die ganze Frustel, bis zu den äusser- 
sten Enden derselben in fast gleicher Schärfe, wie in der Mitte 
erscheinen; während bei nicht ganz gelungener Correetion eine 
scheinbare Krümmung des Gesichtsfeldes eintritt, wo dann die 
Enden ein mehr oder minder verschwommenes Bild zeigen. 

Bei Woodward’s Original-Photogrammen treten diese Unter- 
schiede in der grösseren oder geringeren Ausdehnung des ebenen 
Sehfeldes sehr ersichtlich auch noch an zwei anderen Amphipleura- 
Schaalen hervor, die in demselben Gesichtsfelde liegen, und zwar 
die Eine dicht an dem einen Ende, die Zweite zur Seite der dgr- 
gestellten Frustel; auch an diesen Exemplaren zeigen die best 
corrigirten Systeme die Querstreifen auf der ganzen Schaale in 
gleicher Deutlichkeit; während bei abnehmender Planheit des Ge- 
sichtsfeldes zunächst die Querlinien theilweise oder ganz ver- 
schwinden, bis schliesslich selbst die Contouren der Randfrusteln 
undeutlich werden. 

Diese Unterschiede in der Leistung der Objective, die von 
den Mikroskopikern als „Wölbung‘ oder ‚„Unebenheit des Ge- 
sichtsfeldes“ bisher bezeichnet wurden, sind, wie ich aus einem 
Vortrage des Herrn Professor Abbe: Ueber die Bedingungen des 
Aplanatismus der Linsensysteme (gehalten in der Sitzung der Je- 
naischen Gesellsch. f. Medizin und Naturwissenschaft am 28. Nov. 
1879) erfahre, die Wirkung von Convergenz-Fehlern der Objective. 


II. 


Als vor etwa drei Decennien Pleurosigma angulatum als eins 
der schwierigsten Prüfungsobjeete für starke Mikroskop-Objectiv- 
systeme aufgestellt wurde, galt es als Beweis einer sehr vorzüg- 
lichen Ausführung des Systems, wenn dasselbe bei schiefster Spie- 
gelstellung auf der Oberfläche dieser Diatomee drei sich unter 
einem Winkel von 60 Grad schneidende Liniensysteme zeigte, wenn 
auch zunächst noch jedes dieser Systeme gesondert. Kurze Zeit 
darauf, zumal nach Construction der Immersions-Systeme, gelang 
es die Objeetive so weit zu verbessern, dass die drei Liniensysteme 
gleichzeitig zur Ansicht gebracht werden konnten, wodurch die 
Oberfläche als in kleine sechseckige Felder getheilt erschien. 
Aber bei nur etwas veränderter Einstellung und bei kleiner Ab- 


Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 269 


änderung der Beleuchtung erschienen statt der Sechsecke kleine 
Kreise, oder Dreiecke oder rautenförmige Felder. Es entbrannte 
nun ein heftiger Streit unter den Mikroskopikern, ob die Structur 
dieser Diatomeenschaale nur durch drei Streifensysteme, oder 
durch Kreise oder Sechsecke gebildet werde, wobei die Meinungen 
auch darüber auseinander gingen, ob die Felderzeichnugen erhaben 
oder vertieft seien. 

Dass dieser Streit ein müssiger gewesen, ist durch Abbe's 
Theorie der mikroskopischen Wahrnehmung festgestellt worden, 
wonach bei Structuren, die eine bestimmte Feinheit überschreiten, 
das mikroskopische Bild nicht mehr „das Abbild körperlicher For- 
men darstellt, sondern nur das Vorhandensein solcher Structurbe- 
dingungen beweiset, als zur Erzeugung des die Abbildung vermit- 
telnden Beugungsphänomens nothwendig und hinreichend sind.“ 
(Abbe in Schultze’s Archiv IX. 1873. S. 452.) 

Zur Erläuterung seiner Theorie liess Abbe bei Carl Zeiss 
in Jena einen Diffractionsapparat anfertigen, mit dessen Hülfe an 
den gröbsten hierbei in Betracht kommenden Structurverhältnis- 
sen das Erscheinen der Absorptions- und der Beugungsbilder sehr 
klar zur Anschauung kommt !. Um für feinere Structuren die- 
selben Erscheinungen wahrnehmen zu können, construirte Abbe 
eine kleine Blende mit einem Stege in der Mitte, der das Absorp- 
tionsbild so vollständig abblendet, dass durch die beiden seitlichen 
halbmondförmigen Oeffnungen nur die Beugungsbilder durchgelas- 
sen werden. Wird nun beim Beobachten einer Pleurosigma-angu- 
latum-Schaale diese Blende dicht über die hintere Linse eines 
Weitwinkel-Objectivs ‘so jeingesetzt, dass der Steg parallel der 
Mittelrippe der Frustel verläuft, so treten neue, der Mittelrippe 
parallel verlaufende, sehr diehtstehende Längenlinien auf. 

Diese brillante Erscheinuug ist von Woodward mittelst 
eines Zeiss’schen Oel-Immersionssystems 1/s‘ bei 1850maliger Ver- 
grösserung photographirt worden. Nach einer solchen Original- 
aufnahme wurde das Bild auf Taf. XII Fig. C in 1085facher Ver- 
grösserung durch photographischen Pressendruck hergestellt. 

Abbe glaubte anfänglich, dass nur diejenigen Theile der 


1) Ueber diesen Diffractions-Apparat hat L. Dippel ausführlich be- 
richtet in der Berliner Zeitschrift für Mikroskopie, II. Jahrgang 1879—1880, 
Heft II, Seite 42 u. ff. 


270 C. Janisch: Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien ete. 


Frustel, die dem Deckglase anhängen, zwischen denen und dem 
Deckglase also keine Luftschicht befindlich ist, diese Erscheinung 
zeigen. Woodward hat jedoch durch Versuche festgestellt, dass 
das Erscheinen oder Nichterscheinen dieser Diffractionslinien einzig 
und allein von der Intensität der Beleuchtungsbüschel ab- 
hängig ist, so dass beim Beobachten mit diffusem Tageslichte, 
oder bei Lampenlicht nur die dem Deckglase anhängenden Theile 
der Frustel diese Diffraetionslinien zeigen, während bei Beleuch- 
tung mit direetem Sonnenlichte diese Erscheinung über die ganze 
Frustel siektbar wird. 

Auf Taf. XII ist in Fig. B dieselbe Frustel mit demselben Ob- 
jective in ganz gleicher Entfernung des Schirmes vom Präparate, also 
in gleicher Vergrösserung in einer solchen Beleuchtung dargestellt, 
dass die Schaale die bekannte Zeichnung der hexagonalen Felder 
zeigt. Da aber zur deutlichsten Siehtbarmachung der Diffractions- 
linien die Einstellung ein ganz klein wenig gegen die Einstellung, 
die die Hexagone am deutlichsten zeigt, geändert werden muss, 
so ist die Vergrösserung der beiden Figuren C und B auch eine 
etwas verschiedene, welche Differenz jedoch Woodward kaum 
auf 1 Procent schätzt. In Figur A dieser Tafel ist sodann die 
vollständige Schaale der Frustel von Pleurosigma angulatum, 
die zu diesem Versuche ausgewählt worden, abgebildet, aufgenom- 
men mit Powell and Lealand’s Wasser - Immersions-System /s“ 
bei 730facher Vergrösserung und hier wiedergegeben in 428mali- 
ger Vergrösserung. 

Die photographirte Pleurosigma-Schaale ist 0,0106 lang, 
0,0020“ breit und hat 46 diagonale und ebenso viele Querlinien 
in Yıooo Zoll; während bei dem in Fig. C dargestellten Abbe’schen 
Experimente 85 Längenlinien in "/ıooo Zoll erscheinen. 


Conrad Keller: Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 271 


Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 


Von 


Dr. Conrad Keller in Zürich. 


Hierzu Tafel XIII, XIV. 


Im Frühjahr 1879, als ich in Neapel die Entwicklung ma- 
riner Spongien verfolgte, suchte ich mir gleichzeitig einen Ein- 
blick in die Fauna des Golfes zu verschaffen. 

Es stand mir hierzu lebendes Material aus dem Kriegshafen 
und aus den Aquarien der Station sozusagen täglich zur Verfügung, 
wiederholt wurden auch aus verschiedenen Tiefen bei Capri und 
bei Ischia lebende Spongien heraufgeholt. 

Sodann besitzt die zoologische Station eine reichhaltige 
Spongiensammlung, deren Werth dadurch noch erhöht wird, dass 
Oscar Schmidt, der um die Kenntniss der Mittelmeerarten so 
verdiente Forscher, die einzelnen Stücke theils selbst bestimmt, 
theils die vorhandenen Bestimmungen durchgesehen hat. 

Zeigt die Fauna von Neapel mit derjenigen des adriatischen 
Meeres auch eine vielfach Uebereinstimmung, so ist ihr Charakter 
dennoch bemerkenswerth und abweichend geworden durch das Auf- 
treten von Formen, welche der Adria fehlen, dagegen aus dem 
atlantischen Gebiet bekannt geworden sind. 

Ich erinnere an die zierliche Tisiphonia agarieiformis, die 
durch Wyville Thomson aus den Tiefen des Golfstromes be- 
kannt wurde und auch auf Schlammgrund der neapolitanischen Ge- 
wässer vorkommt. 

Neu für Neapel und für das Mittelmeergebiet überhaupt ist 
das allerdings nur einmal beobachtete Vorkommen der atlantischen 
Gattung Phakellia Bow. Während die englischen Küsten und 
diejenigen von Florida als das Gebiet der Phakellien bisher be- 
kannt waren, hat sich die Phakellia folium dureh ihre Anwesenheit 
im Golfe bemerkbar gemacht. 


Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 19 


Conrad Keller: 


[80] 
=T 
DD 


Ist die Fauna erst vollständig durehgearbeitet, so dürften 
noch weitere zu atlantischen Formen hinneigende Species bekannt 
werden. 

So ist das atlantische Gebiet die eigentliche Heimat der Cha- 
lineen und sind dieselben hier durch eine ungemein häufige Form, 
welche ich als Chalinula tertilis bezeichnet habe, bereichert, eine 
Form, welche offenbar stark an Halichondria simulans (Chalina 
simulans) anklingt. 

Ich bin nieht in der Lage, jetzt schon eine faunistische Zu- 
sammenstellung sämmtlicher bekannten und noch zu beschreiben- 
den neuen Arten, welche der Golf beherbergt, liefern zu können, 
führe aber in Folgendem einige neue und gut ausgeprägte Arten 
auf, weil sie mir der Erwähnung werth erscheinen. 


l) Rhizasxinella clavigera Nov. gen. et spec. 
(Taf. XII, Fig. 1—3.) 


Einen hübschen aber seltenen Schwamm, welcher nur zwei- 
mal in einer Tiefe von 120 Meter gedredget wurde, und weleher 
unbestimmt in den Sammlungen der Station sich vorfand, glaubte 
ich anfänglich der Gattung Axinella einverleiben zu sollen, muss 
ihn jedoch nach genauerer Prüfung von derselben abtrennen. 

Oscar Schmidt hatte 1862 in seinen Spongien des adria- 
tischen Meeres die Gattung Axinella aufgestellt und vereinigt da- 
rin diejenigen Kieselschwämme, deren einfache Nadeln durch ein 
vorzugsweise in der Längsrichtung ausgedehntes Hornnetzwerk im 
Axentheile umschlossen werden. Sehr zutreffend charakterisirt er 
die hieher gehörenden Formen als Halichondriae subelasticae et 
tlexibiles. Axis firmior et fibris subeorneis et spieula ineludentibus 
formatus. Aus der Adria werden fünf Arten aufgeführt: 

1) Axinella einnamomea (Grantia einnamomea Nardo); 

2) Axinella verrucosa (Spongia verrucosa Esper); 

3) Axinella polypoides; 

4) Axinella eannabina (Spongia cannabina Esper); 

5) Axinella foveolaria (Grantia foveolaria Nardo). 

Als sechste Mittelmeerart fügte er 1868 in seinen „Spongien 
der Küste von Algier“ noch die algerische Species Axinella sali- 
eina hinzu. 

In den neapolitanischen Gewässern kamen mir nur Ax. ein- 


Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 273 


namomea und Ax. polypoides zu Gesicht. Erstere ist auf den 
schroff abfallenden Gründen bei Capri in der Nähe der blauen 
Grotte und um die Faraglionefelsen herum ziemlich häufig und ge- 
wöhnlich dicht mit ihrem bekannten Parasiten Palythoa axinellae 
besetzt. 

Die neue, auffallend gestaltete Spongie, welche bisher nur 
zweimal mit der Dredge aus sandigem Grunde heraufgeholt wurde 
und wovon ein Exemplar in den Sammlungen der Station, das 
zweite dagegen in den Sammlungen des schweizerischen Polytech- 
nikums aufbewahrt ist, theilt die elastische Beschaffenheit mit den 
Axinellen, Clathrien und Raspailien. Auch der strauchartige Ha- 
bitus dieser Gattungen findet sich hier wieder. 

Diese Art besitzt ganz wie Axinella polypoides eine feste, 
die Kieselgebilde umschliessende Hornachse, welche auf Quer- und 
Längsschnitten sehr scharf markirt ist, ja an manchen Stellen durch- 
schimmert. 

Dagegen weicht die Nadelbildung von den Axinellen ab und 
ist die Art ihrer Befestigung auf dem Boden völlig abweichend. 
Während die Axinelle mit einfacher oder membranartig verbrei- 
teter Basis ihrer Unterlage aufsitzen, findet sich bei unserem 
Schwamm ein reich entwickelter Wurzelschopf. 

Derselbe mag in ähnlicher Weise zur Fixirung auf dem san- 
digen oder schlammigen Grunde dienen, wie die Wurzelausläufer 
von Tisiphonia agarieiformis, in deren Gesellschaft diese Art auf- 
gefunden wurde. 

Diese Eigenthümlichkeit mag trotz der nahen Beziehung zu 
Axinella die Aufstellung einer besonderen Gattung rechtfertigen. 

Der sich senkrecht erhebende, drehrunde Stiel trägt am Ende 
die grossen, scharf abgesetzten keulenförmigen Individuen und wir 
haben somit eine Analogie mit andern Coelenteraten, beispiels- 
weise mit den Tubulariden und Campanulariden, deren Körper 
ebenfalls in zwei deutlich getrennte Abtheilungen, als Hydrocaulos 
und als Hydranth bezeichnet, zerfallen. 


Wurzelschopf. 


Derselbe fixirt die basale abgerundete Portion des Stieles und 
reicht bis auf eine Höhe von 2 em. 

Die Hornsubstanz, welche wohl in ähnlicher Weise wie bei 
den Spongiden ein Ausscheidungsproduct von Mesodermzellen dar- 


274 Conrad Keller: 


stellt, ist in diesem Abschnitt spärlich entwickelt und findet sich 
nur in den grösseren vom Stiel abgehenden Ausläufern reichlicher. 

Die Nadeln verlaufen vorherrschend longitudinal. Schon bei 
einem jungen, etwa 3 Zoll hohen Exemplar, das noch ein einzi- 
ges unentwickeltes Keulchen an der Spitze trägt, fand ich den 
Wurzelschopf auffallend entwickelt. 


Stielabschnitt. 

Der drehrunde, dichotomisch verzweigte Stiel besitzt überall 
ungefähr den gleichen Durchmesser von 5 mm. 

Die deutlich begränzte Hornachse ist braungelb und ihr 
Durchmesser beträgt im Mittel 2 mm. 

Die stabförmigen geraden Kieselnadeln liegen ausserordent- 
lich dicht. In der Achse liegen sie der Längsachse parallel, sind 
an beiden Enden abgerundet bis geknöpft (Fig. 3b). Die Nadeln 
der Rinde sind etwas schwächer (Fig. 3a) und kürzer, stehen senk- 
recht oder schief zur Oberfläche und ragen über dieselbe hervor. 
Nach aussen sind sie zugespitzt. Das gegen die Achse gerichtete 
Ende ist geknöpft. 

Im Stielabschnitt ist das Canalsystem ganz unentwickelt. 


Die keulenförmigen Individuen 
sind im ausgebildeten Zustande scharf vom Stiel abgesetzt, wal- 
zenförmig mit einer Einschnürung in der Mitte. 

Jüngere Keulen sind mehr kugelig und ohne Osculum.! 

Gegen das Ende der entwickelten Keulen findet sich ein 
Oseulum von eirca 3 mm Weite. An einer grossen, 6 Zoll hohen 
Staude mit sechs Individuen fand ich eine Keule mit zwei Mund- 
öffnungen. 

Im Wesentlichen ist der Bau der Keule derselbe wie im Sten- 
gelstück und lässt sich eine Rindenschicht von cavernösem Bau 
(Fig. 2) und ein centraler Kern von fester Consistenz unterscheiden. 
Der Centraltheil ist, wie Durehschnitte lehren, nichts anderes als 
das kolbig erweiterte Ende der Stielachse und reicht bis in die 
Nähe des Osculum. 

Im Rindentheil liegen die stecknadelförmigen, am inneren 
Ende geknöpften Nadeln in Zügen, die senkrecht zur Oberfläche 
gerichtet sind. Das Osculum ist von einer dichtern Lage paralleler 
vorstehender Nadeln umgeben und wird dadurch kranzmündig oder 
rüsselmündig. 


Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 275 


Die Wände des in der Rinde verlaufenden Gastralraumes 
sind glatt. 
Die Farbe des Schwammes ist weisslich oder gelbgrau. 


Cribrella labiata Nov. spec. 
(Taf. XII, Fig. 4—6). 


Diese neue Art wurde wiederholt in der |Nähe von Capri 
mit der Dredge aus einer Tiefe von 100 bis 120 m heraufgeholt 
und bildet meist längliche Knollen nach Art der Chondrosien oder 
vieler Suberitesarten. Letzterer Gattung müsste man ihn, gestützt 
auf die Kieselgebilde, auch einverleiben, wenn die Oscularbildung 
nicht völlig abweichend wäre. Mit Bezug auf die Einströmungs- 
öffnungen trägt diese Art den ausgeprägtesten Charakter der von 
Schmidt in den Spongien des adriatischen Meeres aufgestellten 
Gattung Cribrella, welche er diagnostizirt als: Halichondriae, qua- 
rum foramina microscopica, per quae aqua intrat in corpus, non 
disposita sunt sine ordine supra totam superficiem, sed collecta in 
acervos et cribra distinete eircumseripta. 

Wie aus der in natürlicher Grösse ersichtlichen Abbildung 
hervorgeht, ist diese neapolitanische Art von den bisher bekannten 
Mittelmeerarten (Cribrella hamigeraO.S. und Cribrella elegans O. S.) 
stark abweichend. 

Die Porenbezirke liegen ziemlich weit auseinander und bil- 
den längliche oder kreisrunde oder unregelmässige Siebe, welche 
kraterartig auf kegelförmigen Erhebungen sitzen, bei vielen Exem- 
plaren aber auch einfach in die Oberfläche eingegraben erscheinen. 

Die Poren sind verhältnissmässig weit und von blossem Auge 
sichtbar. 

Die Wand jedes Porensiebes, wohl ein modifizirtes Osculum 
darstellend, ist umgeben von einer gegen die Umgebung scharf 
abgesetzten, vorstreckbaren Lippe, einem hellen, schwefel- 
gelben Ringwall. Diese schwefelgelben Lippen können sich, na- 
mentlich wenn der Schwamm ruhig im frischen Seewasser liegt, 
schornsteinartig emporheben, wird er beunruhigt, so legen sich 
dieselben über die Porensiebe hinweg und können diese beinahe 
vollständig verschliesen. 

Die Porenfelder sind wie auch das innere Schwammgewebe 
hell schwefelgelb. 


Conrad Keller: 


[80] 
= 
{er} 


Wie man sich durch die mikroskopische Analyse überzeugt, 
wird diese Färbung bedingt durch eine Unmasse farbstoffhaltiger 
Mesodermzellen. Dieser Farbstoff ist wohl ganz identisch mit 
demjenigen von Aplysina aerophoba Nardo. 

An der Luft zeigt er wenigstens ganz die gleiche Verände- 
rungen, der Schwamm wird schmutzig blaugrün bis schwarz und 
die farbstoffhaltigen Zellen werden unter dem Mikroskop rasch 
spangrün. 

Zwischen den Porenbezirken ist die thalartig vertiefte, glatte 
und glänzende Schwammoberfläche im Leben röthliehgrau bis 
graugelb. 

Die Kieselgebilde sind in diesem Schwamm nur von einerlei 
Art. Wie bei Suberites sind es geknöpfte Nadeln, mit weitem 
Centralkanal versehen, der am geknöpften Ende sich blasig er- 
weitert. 

Sie sind schwach gebogen und liegen regellos durch einan- 
der. Nur in der Lippengegend findet man sie in paralleler La- 
gerung. 4 
An der Oberfläche liegen sie dichter als im Innern und bil- 
den eine deutlich abgegränzte feste Rinde von I—2 mm Dicke, 
ähnlich wie bei Stelletta, Geodia und andern Corticaten. 

Die Markmasse enthält ein reichentwickeltes, unregelmässiges 
Canalsystem. In den grösseren Canälen trifft man als häufige 
Bildung von Strecke zu Strecke eine in derMitte durchbohrte quer- 
gestellte Membran diaphragmaartig ins Canallumen vorspringend. 

Derartige Bildungen trifft man übrigens, wenn auch weniger 
zahlreich, bei Esperien. 


Tuberella Nov. genus. 
(Taf. XIV.) 


Zwei Arten kugeliger Spongien, welche gar nicht selten vor- 
kommen, weiss ich in keiner der bisherigen Gattungen unterzubrin- 
gen, trotzdem dieselben Anklänge nach mehreren Richtungen hin 
besitzen. 

Aeusserlich gleiehen sie, der Gattung Tethya auffallend, stim- 
men mit derselben auch in der Anordnung der Nadeln völlig über- 
ein, indem von einem Centrum aus spiralig gedrehte Nadelzüge, 


Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 277 


aus einfachen Stabnadeln gebildet, streng radiär nach der Ober- 
fläche ausstrahlen. Dagegen fehlt eine deutliche Rinde voll- 
ständig. Die Hartgebilde sind nur von einerlei Art und die für 
Tethya so charakteristischen Kieselsterne fehlen vollständig. Da- 
gegen findet man höchstens eine Andeutung einer Rindenschicht 
durch feinere Nadeln, welche als schwache Lage in der Rinde 
stecken. 

Sie der Gattung Radiella, welche Oscar Schmidt 1870 in 
seinen Grundzügen einer Spongienfauna des atlantischen Gebietes 
begründet, einzuverleiben, geht aus dem Grunde nicht, weil die 
geknöpften Stecknadeln fehlen. 

Nahe Beziehungen dieser Arten finden sich zur Gattung 
Rinalda ©. Schm. 

Eine einlässlichere anatomische Darstellung findet sich für 
diese Gattung zwar bei Oscar Schmidt nicht, dagegen lieferte 
uns eine solche unlängst Merejkowsky in seinen Etudes sur les 
Sponges de la mer Blanche, St. Petersbourg 1376 an der Hand 
seiner Rinalda avitica. Daraus geht soviel hervor, dass die Hart- 
gebilde und das Canalsystem, auf welche es doch in der Systematik 
zunächst aukommen muss, zu sehr von dem differiren, was sich 
an den von mir aufzustellenden Arten vorfindet. 

Ich bin daher zur Aufstellung einer neuen Gattung genöthigt 
und verstehe unter den Tuberellen kugelige oder knollige Spongien 
vom Habitus der Tethyen mit einfachen stabförmigen Nadeln, welche 
von einem deutlich umgränzten Centrum aus in derben, spiralig 
gedrehten Zügen nach der Oberfläche verlaufen. Zwischen diesen 
Zügen finden sich kleinere, schwächere Stabnadeln als schwache An- 
deutung einer Rindenlage. Kieselsterne fehlen vollständig, ebenso 
geknöpfte Elemente. Osculum nicht vorhanden. 

Man wird kaum fehl gehen, wenn man annimmt, dass die 
Gattung Tuberella sich eng an Tethya anschliesst und aus ihr 
durch vollständigen Ausfall der Kieselsterne hervorgegangen ist. 

Ich fand zwei hieher gehörige Arten: 


1) Tuberella tethyoides Nov. spec. 
(Taf. XIV, Fig. 7—9.) 
Aus den Aquarien der zoologischen Station und aus der Ge- 
send von Nisita wurde mir dieser Schwamm wiederholt einge- 
bracht. In den Sammlungen fand ich ihn unter Exemplaren von 


278 Conrad Keller: 


Tethya lyneurium, womit er allerdings ohne ganz genaue Unter- 
suchung verwechselt werden muss. Ja sogar bei der mikroskopi- 
schen Prüfung muss mit der grössten Genauigkeit verfahren 
werden, um die Verschiedenheit von Tethya Iyneurium zu con- 
statiren. 

Die aus stabförmigen Nadeln gebildeten Züge stimmen damit 
ganz überein und gegen die Oberfläche des Schwammes hin finde 
ich nicht selten Gruppen von Sternen, von denen ich aber mit 
Bestimmtheit angeben kann, dass dieselben gar nicht von unserer 
Schwammart abstammen. 

Einmal sind die Stacheln der Sterne nicht so lang wie bei 
Tethya Iyneurium und stumpfer. Dann fällt bei genauerer Prü- 
fung der Umstand sofort auf, dass ihr Lichtbrechungsvermögen 
von demjenigen der umgebenden Kieselgebilde verschieden ist. 

Kommen solche Sterne zur Ansicht, so genügt ein Zusatz von 
concentrirter Essigsäure, um dieselben unter Entwicklung von Koh- 
lensäure zum Verschwinden zu bringen. 

Diese Sterne von kohlensaurem Kalk stammen zweifellos von 
zusammengesetzten Ascidien, der Gattung Didemnum zugehörig, 
ab, welche mehrere ungemein häufige Arten aufweist und deren 
Cellulosemantel diese Kalksterne in unzähligen Mengen enthält. 

Nach dem Zerfall dieser im Aquarium sehr bald absterben- 
“ den Ascidien können diese mit andern Gegenständen vom Schwamm 
aufgenommen werden, wie man zuweilen im Gewebe Nadeln von 
Renieren- und Suberitesarten antrifft. 

Die Knollen, denen ein deutliches Osculum fehlt, erreichen 
einen Durchmesser von 5—8 em. 

Gegen die Peripherie hin liegen vereinzelte Subdermal- 
räume. 

Die Oberfläche ist im unverletzten Zustande durch hervor- 
stehende Nadeln, wie behaart oder mit einem feinen Flaum über- 
zogen. 

Vereinzelt erheben sich spitzere oder stumpfere Papillen. 

Die Farbe des lebenden Schwammes variirt, sie ist bald in- 
tensiv gelbroth mit heller Basis, bald gelb und roth gefleckt. Es 
hängt dies von der Stärke der Entwicklung braunrother Zellgrup- 
pen ab, welche unter der Oberfläche liegen und eine ca. 1—11/; mm 
dieke Schicht bilden. Im Innern ist der Schwamm schwefelgelb 
(Fig. 8). 


Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 279 


Ob diese Art, was durch die Anordnung der Kieselgebilde 
und den äusseren Habitus allerdings wahrscheinlich gemacht wird, 
direet aus Tethya lyneurium herausgebildet hat, oder ob die äus- 
sere Aehnliehkeit auf blosser Mimiery beruht, will ich hier unent- 
schieden lassen. 


2) Tuberella papillata Nov. spec. 
(Taf. XIV, Fig. 10.) 

Damit benenne ich einen grossen hübschen Schwamm, wel- 
chen ich während meines Aufenthaltes in Neapel dreimal erhielt 
und der Knollen von 8—10 em Durchmesser bildet. 

Der central gelegene Kern ist massiger und die Faserzüge 
derber, als bei der vorhergehenden Art. 

Die ganze Oberfläche ist bedeckt mit einer Menge spitzer, 
ungefähr '/s cm hoher Papillen. Bei einem jungen Exemplare fand 
ich diese dieht gedrängten oben abgerundeten Kegel alle von glei- 
cher Grösse. Ein grösseres Stück, wovon ich in beigegebener Ta- 
fel XIV Fig. 10 eine Abbildung gebe, zeigte neben den spitzen Pa- 
pillen vier über die andern hervorragende ungefähr 1'/; cm hohe 
zitzenartige Gebilde, aber ohne Osculum. 

An der Basis erscheint der Schwamm stark eingeschnürt und 
mit verbreiterter Basis aufsitzend. 

Die Farbe desselben ist im Leben ein dunkles Rothbraun. 
Die Spitzen der Papillen sind weiss. Im Alcohol wird er schmut- 
zig braun. 

Wie man sich an einem durchschnittenen Stück überzeugen 
kann, ist der lebende Schwamm im Innern orangegelb, der Kern 
dagegen weisslich. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII und XIV. 


Tafel XI. 


Fig. 1. Rhizaxinella clavigera. Nov. spec. in natürlicher Grösse und mit 2 
entwickelten Individuen und einer noch jungen Keule. 

Fig. 2. Durchschnitt durch ein halb ausgebildetes keulenförmiges Individuum. 
Central liegt das kolbig erweiterte Ende der Stielachse, am Rande 
die cavernöse Rinde. Natürliche Grösse. 


280 Oscar Schmidt: 


Fig. 3. Starkvergrösserte Nadeln von Rhizaxinella clavigera. 
a) aus der Rinde, 
b) aus dem Achsentheil. 

Fig. 4. Cribrella labiata Nov. spec. in natürlicher Grösse. 

Fig. 5. Durchschnitt durch dieselbe mit Mark und Rindensubstanz. Natür- 
liche Grösse. 

Fig. 6. Nadeln von Cribrella labiata stark vergrössert. 


Tafel XIV. 


Fig. 7. Tuberella tethyoides. Nov. gen. et. spec. in natürlicher Grösse. 
Durchschnitt durch Tuberella tethyoides. 

Darstellung des Kieselselscelettes von Tuberella thetyoides. Stärkere 
Vergrösserung. 

Fig. 10. Tuberella papillata. Nov. spec. In natürlicher Grösse. 


Be 
a 
Noto 0) 


Zusatz zu obiger Abhandlung (von Keller). 


Von 


Oscar Schmidt. 


Ich ergreife mit Erlaubniss des Herrn Verfassers, die Gele- 
genheit, einige die Spongienfauna Neapels betreffende Beobachtun- 
gen hier anzufügen, welche schon seit einigen Jahren der Ver- 
öffentlichung harren. Von den von Herrn Keller beschriebenen 
Arten erinnere ich mich nicht, eine zu Gesicht bekommen zu ha- 
ben, dagegen kenne ich verschiedene andere bisher unbekannte 
Arten, die wiederum meinem Mitarbeiter entgangen sind. 


Stelletta carbonaria N. 


Sie bildet unregelmässige Körper von schwärzlichem, schlak- 
kenartigem Aussehn, das durch diesen Habitus sich von allen 
anderen mir je vorgekommenen Spongien unterscheidet. Dieses 
Aussehn stellt sich nieht in Folge späterer Veränderungen ein, 
sondern ist dem frischen Schwamme eigenthümlich. 


Zusatz. 281 


An Harttheilen finden sich spitz-spitze und stumpf - spitze 
Stabnadeln als Hauptmasse, dann sparsam Gabelanker mit kür- 
zerem Stiel, feine schlankstrahlige Sternchen und Spiralsterne, wie 
bei Spirastrella. 


Stelletia fibulifera N. 


Von unregelmässiger unbestimmter Gestalt. Von Kieselkör- 
pern: a) grössere Umspitzer, b) ganz feine schlanke Umspitzer, 
e) einfache Anker, oft mit gebogenem Schaft, d) Spangen, ähn- 
lich denen der Desmaeidinen, e) Sternchen mit keulenförmigen Ra- 
dien, f) Sternehen mit schlanken, spitzen Radien, nicht genau von 
einem Centrum ausgehend, sondern den Spiralsternen verwandt. 


Tethyophaena silifica N. 


Körper stumpf kegelförmig, mit unregelmässigen kleineren 
Höckern besetzt, gegen 6 cm hoch, röthlichgelb, also äusserlich 
ähnlich wie die Keller’sche Tuberella tethyoides. Aufgebrochen 
bietet Tethyophaena auch denselben Anblick, wie der obengenannte 
Schwamm und wie Tethya. Sie besitzt die bekannten stumpf- 
spitzen Tethyen-Nadeln in Spiralbündeln geordnet, aber es fehlen 
und zwar wiederum wie bei Tuberella, die Sterne. Statt deren 
ist unsere Spongie erfüllt von unregelmässigen röhrigen oder zel- 
lenförmigen Verkieselungen. Die Verkieselung tritt zu den ver- 
schiedensten Momenten der Gewebebildung ein, theils schon wenn 
die Zellen noch vollkommen getrennt sind, theils wenn sie sich zu 
längeren Bändern gestreckt haben. Im letzteren Falle entstehen 
oft lange Röhren, die parallel sich mit einander verbinden und 
gleichsam zu Blöcken mit einander verwachsen, theils sich kreu- 
zen. Dazwischen finden sich auf den mikroskopischen Schnitten 
die unregelmässigsten Kiesel-Labyrinthe. 

So erscheint also das Kieselmaterial, welches von der Tethya 
zu den Sternen verarbeitet wird, hier zu unregelmässigen Verkie- 
selungen der Zellenwände und der amorphen Weichtheile verwen- 
det zu werden. 

Die Verwandtschaft mit Tuberella tethyoides ist die aller- 
nächste; vielleicht wäre es‘vorzuziehen, statt des von mir verwen- 
deten Namens die neue Form Tuberella silifica zu nennen, worü- 
ber die Vergleichung weiterer Exemplare entscheiden mag. 


282 Oscar Schmidt: Zusatz. 


Zwei fernere neue Arten aus dem Golf von Neapel habe ich 
in der Sammlung der Station hinterlegt als Plicatella!) vil- 
losa und Phakellia plicata. Ihre Harttheile stimmen mit de- 
nen der genannten Gattungen überein; diejenigen der Phakellia 
plicata mit denen der Ph. ineisa, nur dass sie etwas grösser sind. 
Auch hier müssen noch mehr Exemplare beobachtet werden. 

Der interessanteste Fund Kellers ist Rhizaxinella elavigera, 
wozu ich aus der Nähe von Marseille und ebenfalls vom Schlamm- 
srunde durch die Güte Marions einen Pendant kenne und be- 
sitze. Im Aeusseren stimmt der Schwamm von Marseille mit jenem 
auffallend überein, vor allem in der Anpassung an den weichen 
Boden dufch Wurzelbildung. Jedoch ist der Stiel unregelmässig, 
stellenweise platt, und die Kolben, welche Keller wegen des Os- 
eulums mit Recht Individuen nennt, entbehren dieser Oeffnungen 
und verhalten sich sammt den Stielen wie gewisse mundlose Su- 
beriten. Diesen schliessen sie sich auch durch die Nadeln an. 
Ich bemerke, dass ich mit Rücksicht auf diese auch Kellers 
Schwamm eher zur Familie der Suberitiden ziehen würde. Ich 
möchte sogar die beiden Vorkommnisse für blosse Varietäten eines 
noch näher zu bestimmenden mittelmeerischen Suberiten halten, 
wobei Sub. lobatus und massa in erster Reihe ins Auge zu fassen 
wären. Es ist einer der Fälle, wo die Artbildung in Folge ver- 
änderter Lebensweise zu demonstriren ist. Ob die bewurzelte 
Form jetzt noch Varietät oder in ihren Nachkommen schon fest 
ist, bleibt dabei gleichgültig. Einen weiteren Beleg hierfür liefert 
eine gleichfalls in Marseille von demselben Standort erhaltene 
wurzelbildende Renierine. Beide Spongien werden im II. dem- 
nächst erscheinenden Hefte der „Spongien des Meerbusens von 
Mexico“ besprochen und abgebildet werden. 


1) Spongienfauna d. atl. Oceans. 1870. S. 41. 


Bernhard Rawitz: Ueber den Bau der Spinalganglien. 283 


Aus der histologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 


Von 


Dr. Bernhard Rawitz, Unterarzt. 


Hierzu Tafel XV. 


I. 
Die Struktur der Zellen. 


Erwägungen über die rückläufige Erregbarkeit waren es, die 
mich im Sommersemester 1878 veranlassten, Untersuchungen über 
die Spinalganglien anzustellen, indem ich hoffte, eine anatomische 
- Unterlage für jene Beobachtung zu finden, oder ihr dieselbe zu 
entziehen: auf jeden Fall also eine physiologische Streitfrage auf 
anatomischem Wege entscheiden zu können. Als selbstverständlich 
setzte ich dabei voraus, dass der Bau dieses kleinen Organes, das 
durch den Bell’schen Lehrsatz eine grosse Bedeutung gewonnen 
hatte, völlig klar und nicht mehr Objekt der Diskussion sei. 

Bald aber wurde ich eines Besseren belehrt. Das Studium 
der sehr umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand zeigte 
mir eine solche Verwirrung der Ansichten über die Struktur 
der das Organ konstituirenden Elemente, dass ich, wollte 
ich anders mein Ziel erreichen, über diesen Punkt durch eigene 
Untersuchungen mir Klarheit verschaffen musste. 

Je tiefer ich aber eindrang, um so mehr trat die Erwägung 
zurück, die als Ausgangspunkt gedient hatte, um so schärfer drängte 
sich die Frage über die Natur der Ganglienzellen in den Vorder- 
grund und um so weiter wurden die Gesichtspunkte, die zu erle- 
digen nothwendig erschien. 

In seinem „Handwörterbuch der Physiologie“ (Bd. 3, Abth. 1, 
p- 360) tritt Rudolf Wagner für die ausschliessliche Bipolarität 
de rGanglienzellen in den Spinalganglien ein. In diesen Unter- 


284 Bernhard Rawitz: 


suchungen und seiner späteren Arbeit), die nur an torpedo an- 
gestellt sind, weist er die Existenz unipolarer Zellen zurück. Der 
Umstand, dass der aus dem Ganglion austretende Nervenstamm 
dieker sei, als der eintretende, erhält nach ihm dadurch seine Er- 
klärung, dass die von der Ganglienzelle abgehende Nervenfaser 
stärker sei, als die an dieselbe herantretende. Er fasst als Haupt- 
kriterium einer sensiblen Faser auf die Interpolation einer Ganglien- 
zelle in ihren Verlauf und bringt dies mit dem Bell’schen Lehr- 
satze in Verbindung. Diese Beobachtungen, die nur an einer Ord- 
nung einer Thierklasse gewonnen waren, wurden zwar bestätigt, 
haben aber eine Verallgemeinerung nicht erfahren. 

Bidder?) konstatirte, gleichfalls bei Fischen, und zwar an 
den Ganglien des Trigeminus und Vagus vom Hecht, das aus- 
schliessliche Vorkommen bipolarer Zellen. 

(In diesem Theile der Arbeit ist ausschliesslich auf die Struk- 
tur der unipolaren Zellen Rücksicht genommen, während die der 
bipolaren (Taf. XV Fig. 1u.2) als nicht von hervorragender Wich- 
tickeit bei Seite gelassen wurde. Ich will daher nur ganz kurz auf 
die von Bidder angegebenen Details eingehen. Er behauptet, dass 
eine eigentliche Unterbrechung der Faser durch die Zelle, ein 
Uebergehen der ersteren in die letztere nieht stattfinde, sondern 
dass vielmehr die Zelle in einer Erweiterung der Nervenfaser 
liege. Das heisst mit anderen Worten: von einem Mantel Nerven- 
substanz umhüllt liegt eine fortsatzlose Zelle. Die Methode der 
Untersuchung, Zerzupfen in Wasser, ein leichter Grad von Fäul- 
niss, hat aber so wenig berechtigten Anspruch auf das Prädikat 
„tadellos“, dass die dadurch gewonnenen Resultate nicht allein 
mit Vorsicht, sondern auch mit Misstrauen aufgenommen werden 
müssen.) 

Stannius?) findet bei Fischen gleichfalls nur bipolare Zellen, 
deren Fortsätze von theils schmalen, theils breiten Nervenfasern 
gebildet werden. 

Auch Henle (in seiner Nervenlehre) und Kölliker (mikro- 


1) R. Wagner: Neue Untersuchungen über den Bau und die Endi- 
gung der Nerven und die Struktur der Ganglien. 

2) Bidder: Zur Lehre vom Verhältniss der Ganglienkörper zu den 
Nervenfasern. 

3) Stannius: Das peripherische Nervensystem der Fische. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 285 


skopische Anatomie) erkennen bei Fischen das Vorkommen bipo- 
larer Zellen an. In neuester Zeit ist Holl (Wiener Acad. Sitzungs- 
berichte 1877) für die Bipolarität der Zellen bei höheren Wirbel- 
thieren in die Schranken getreten. Er machte Querschnitte vom 
ein- und austretenden Stamme, zählte die Nervenfasern und hat 
deren Anzahl bei beiden stets gleich gefunden. 

Die Physiologie hat sich dieser Thatsachen bemächtigt und 
darauf eine Theorie von der Funktion der Spinalganglien gegrün- 
det. Die von der Peripherie ausgehenden sensiblen Reize werden 
im Spinalganglion verstärkt, erhalten hier also gewissermassen 
relais. So ist es leicht erklärlich, dass keiner dieser oft ganz 
minimalen Reize auf dem langen Wege von der Peripherie zum 
Centrum verloren geht. 

Der Fehler in der physiologischen und der anatomischen 
These liegt darin, dass in dieser die bei einer Thierklasse ge- 
machte Beobachtung als massgebend für die gesammte Wirbel- 
thierreihe hingestellt und in jener eine so ungenaue Thatsache in 
verallgemeinernder Weise angewendet wird. 

Nirgends ist bekanntlich der Schluss per analogiam gefähr- 
licher und für die Wissenschaft verwirrender, als im Gebiete der 
Neurohistologie. Was für die Fische gilt, gilt nicht nothwendig 
für Frösche, und was bei diesen als Thatsache festgestellt ist, ist 
es darum noch nicht bei Vögeln und Säugern. 

Jede Beobachtung über die Spinalganglien, zu der das Mate- 
rial aus einer anderen Thierklasse genommen wurde, hat daher 
Thatsachen zu Tage gefördert, die den eben angeführten oft dia- 
metral gegenüberstehen. 

Kölliker), der, wie schon erwähnt, die Wagner’schen 
Beobachtungen für die Fische bestätigt, sagt: „Ich läugne das 
Vorkommen ähnlicher Verhältnisse bei höheren Thieren auf das 
Bestimmteste“. Er behauptet mit Recht gegen Rudolf Wagner, 
dass es durchaus kein Kriterium für eine sensible Faser sei, dass 
sie in ihrem Verlaufe eine Ganglienzelle habe; ihr Aussehen als 
Faser wird in Nichts dadurch geändert. Ferner erkennt er die 
Nothwendigkeit bipolarer Zellen für den Bell’schen Lehrsatz nicht 
an. Nach ihm entsteht das Ganglion der hinteren Wurzel bei 
höheren Thieren dadurch, dass um die Nervenfasern und zwischen 


1) Kölliker: Mikroskop. Anatomie, Bd. 2, p. 502 u. ft. 


286 Bernhard Rawitz: 


dieselben sich Ganglienzellen lagern, die allem Anscheine nach 
besonderen Nervenfasern als Ursprung dienen, mit den durch das 
Ganglion hindurchgehenden aber nichts zu thun haben. D.h. er 
statuirt für die Spinalganglien höherer Wirbelthiere das ausschliess- 
liche Vorkommen unipolarer Zellen. 

Aehnliches behauptet Hyrtl!): „Der Bau aller Intervertebral- 
knoten stimmt darin überein, dass die Fasern der hinteren Wurzel 
zwischen den unipolaren Ganglienzellen der Knoten hindurchgehen, 
ohne mit ihnen sich zu verbinden, aus den Ganglienzellen aber 
neue Fasern entstehen, welche sich zu den durchgehenden hinzu- 
gesellen und somit die Summe der austretenden Fasern eines 
Ganglions grösser, als jene der eintretenden ist“. 

Auch Henle (Nervenlehre) vindizirt den Spinalganglien höhe- 
rer Wirbelthiere unipolare Zellen. 

Sehwalbe?) ist in neuerer Zeit wieder voll für die Unipo- 
larität der Zellen bei höheren Wirbelthieren in die Schranken ge- 
treten. Der Hauptfehler seiner schönen Arbeit scheint mir darin 
zu liegen, dass er eigentlich eine petitio prineipii begeht, indem 
er das, was er erst beweisen muss, nämlich die Unipolarität, als 
bewiesen voraussetzt. Darum ist auf seine Untersuchungen so 
wenig von physiologischer Seite Rücksicht genommen worden. 

Diesen anatomischen Beobachtungen zur Seite stehen die 
Experimente Axmanns?), die derselbe in einer Monographie 
veröffentlicht hat. Aus denselben, gegen die Lothar Meyer 
(in Virchow’s Archiv, Bd. 6), eine sehr schwache Widerlegung 
versucht hat, geht hervor, dass in den Ganglien ein System von 
Nervenfasern seinen Ursprung nimmt, das der Ernährung und 
Sekretion vorsteht. 

Die Axmann’schen Untersuchungen erhalten eine werthvolle 
Unterstützung in den pathologisch-anatomischen Beobachtungen 
Baerensprungs*®), der bei Fällen von Herpes Zoster die zur 
Sektion gelangten, Veränderungen in den Spinalganglien fand, und 


1) Hyrtl: Anatomie, pg. 832 (9. Aufl.) 

2) G. Schwalbe: Ueber den Bau der Spinalganglien nebst Bemerkun- 
gen über die sympathischen Ganglienzellen. M. Schultze’s Archiv, Bd. 4. 

3) Axmann: Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und Physiologie 
des Gangliennervensystems des Menschen und der Wirbelthiere. Berlin 1853. 

4) v. Baerensprung: Beiträge zur Kenntniss des Zoster, Charite- 


Annalen 1863. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 287 


zwar Wucherung des Bindegewebes. Die dadurch hervorgerufene 
Kompression der nervösen Elemente sieht Baerensprung als 
Ursache der Krankheit an. Seine Angaben über die anatomische 
Gliederung des Ganglion sind durchaus falsch. 

So standen die Verhältnisse, als Arnold!) seine Unter- 
suchungen über die Zellen der Sympathicusganglien veröffentlichte. 
Schroff und unvermittelt standen die anatomischen Thatsachen ein- 
ander gegenüber und jede neue Arbeit vermehrte noch die Kluft. 
Erst die Arnold’schen Beobachtungen schienen die verbindende 
Brücke bilden zu wollen. 

Er fand, dass zwar eine gerade, breite Nervenfaser an die 
Ganglienzelle herantrete, dass aber noch ausserdem eine zweite 
Nervenfaser von demselben Pole der Zelle, wie die erste, abginge. 
Diese zweite Faser, die Beale schon früher beschrieben, aber nicht 
abgebildet hat, nimmt ihren Ursprung in feinen, vom Kernkörperchen 
entspringenden Fäserchen, welche den Zellenleib wie mit einem 
Netze überziehen, unter sich in manchfacher Kommunikation stehen 
und sich am Abgangspole zu einer feinen, zarten Faser vereinigen, 
die die breite in mehr oder weniger zahlreichen Spiralturen um- 
windet. 

Diese Arnold’sche „Spiralfaser“, die bei den sympathischen 
Ganglienzellen vorkommt, wird stillschweigend auch den Zellen 
der Spinalganglien zugeschrieben. 

Kollmann und Arnstein, Bidder?), W. Krause, Cour- 
voisier und viele Andere bestätigten und erweiterten die Arnold’- 
schen Beobachtungen. 

Bestätigt sich die Arnold’sche Spiralfaser wirklich, dann 
fällt der frühere durchgreifende Unterschied von unipolaren und 
bipolaren Zellen fort; dann haben wir überall bipolare Zellen, 
nur dass bei der einen Thierklasse die Nervenfasern von den ent- 
gegengesetzten Polen abgehen, bei der. anderen von demselben. 
Man hat dann nur zwischen oppositipolen und geminipolen Zellen 
zu unterscheiden (Courvoisier). 

Wollte ich der Frage über den Bau der Spinalganglien näher 


l) Arnold: Ueber die feineren histologischen Verhältnisse der Gang- 
lienzellen in dem Sympathicus des Frosches. Virchow’s Archiv Bd. 32. 
2) Bidder: Die Endigungsweise der Herzzweige des n. vagus beim 
Frosch. Reicherts-du Bois-Reymonds Archiv 1868. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 20 


288 Bernhard Rawitz: 


treten, so musste ich in erster Linie auf die Arnold’schen Unter- 
suchungen Rücksicht nehmen und Stellung zur „Spiralfaser“ ge- 
winnen. Dabei musste auf alle die Untersuchungen zurückgegriffen 
werden, die in früherer und neuester Zeit über die Struktur der 
Ganglien-Zelle angestellt sind und es mussten Probleme von durch- 
aus untergeordneter Bedeutung zu lösen versucht werden. So ent- 
stand der erste Theil meiner Arbeit „über die Struktur der Zellen“. 

Was auch immer meine Untersuchungsresultate ergeben 
mochten, ob sie für, ob wider die Spiralfaser sprachen, es muss- 
ten die Uebergänge von der Ganglienzelle, wie sie bei den Knor- 
pelfischen, zu der, wie sie beim Menschen sich zeigt, gefunden 
werden; es musste ferner die Topographie der Ganglien selber, 
im weitesten Sinne des Wortes, festgestellt werden. Dies war nnr 
möglich durch eine successive Untersuchung des Organes durch 
die gesammte Wirbelthierreihe. Die Ergebnisse dieser noch nicht 
abgeschlossenen Arbeit sollen im zweiten Theile niedergelegt werden. 

Da in allen anatomischen Fragen, in’s besondere bei denen 
der Neurohistologie, das Hauptkriterium die Entwicklungsgeschichte 
abgeben muss, meine Untersuchungen mich ausserdem bei jungen 
Thieren höchst interessante und wichtige Verhältnisse kennen 
lehrten (efr. meine vorläufige Mittheilung „die Markentwieklung 
in den Spinalganglien.“ Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1879 
Nr. 42), so ergaben sich als dritter Theil meiner Arbeit Studien 
über die genesis der Spinalganglien. 

In folgendem will ich die Resultate meiner Untersuchungen 
über die Struktur der Zellen mittheilen. 

Zerzupft man ein Spinalganglion eines höheren Wirbelthieres 
in 0,75 °/, Kochsalzlösung, so sieht man Folgendes: 

Die Ganglienzellen haben eine birn- oder besser eine keulen- 
förmige Gestalt. Ihre Substanz, die deutlich, etwas grob sranulirt 
erscheint, lässt zwei Schichten erkennen, welche sich ziemlich 
scharf gegen einander absetzen. Die eine hellere und feiner granu- 
lirte liegt an dem Pole der Zelle, von dem aus der Nerv abgeht, ist 
gegen die zweite halbkreisförmig begrenzt und enthält eine Menge von 
unregelmässig angeordneten, hellen, ovalen Kernen (Taf. XV Fig. 4), 
die Courvoisier!) Polarkerne genannt hat und die weiter unten 


1) Courvoisier: Ueber die Zellen der Spinalganglien, sowie des 
Sympathicus beim Frosch: M. Schultze’s Archiv Bd. IV 1868. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 289 


ausführlicher zu besprechen sind. Im dunkleren, gröber granu- 
lirten Theile liegt der Zellkern. Derselbe ist rund oder leicht 
oval, hat eine bläschenförmige Gestalt und setzt sich gegen seine 
Umgebung nicht scharf begrenzt ab, von der er sich durch sein 
helleres Aussehen unterscheidet. In ihm liegt das stärker licht- 
brechende, kreisrunde, zuweilen einfache, zuweilen doppelt vor- 
handene Kernkörperehen. Im ersteren Falle, wenn es einfach ist, 
hat es öfters eine Vacuole. - 

Konstant ist die Lagerung des Kernes und sein Verhältniss 
zur abgehenden Nervenfaser, und zwar liegt der Kern dem Ner- 
venabgang genau gegenüber !)., Den Pol, an dem der Kern liegt, 
nenne ich deshalb Kernpol, denjenigen, von dem aus der Nerv 
abgeht, den Nervenpol. An letzterem befindet sich eine unregel- 
mässig begrenzte Zone orangefarbenen oder rothbraunen Pigmentes 
(Taf. XV Fig. 3), das grobkörnig oder stäbchenförmig erscheint. Es 
liegt dies Pigment in jener vorhin beschriebenen helleren Zone, deren 
bogenförmige Grenze ihre Konkavität dem Nervenpole zukehrt. 
Beiläufig will ich erwähnen, dass das Pigment durch alle Rea- 
sentien seine Farbe verliert. Von der Zelle geht nur eine Nerven- 
faser ab, die sehr bald doppelt konturirt erscheint. Im doppelten 
Kontur treten nach kurzer Einwirkung des Reagens deutlich die 
Lantermann’schen Einkerbungen auf. Den Nerv in die Zelle 
hinein zu verfolgen, ist nicht möglich, da er in manchen Fällen 
am Anfang der hellen, kernhaltigen Zone endet oder, wenn dies 
nicht der Fall ist, in seinem Verlaufe durch die dunkle Protoplas- 
mamasse dem Blicke des Beobachters entzogen wird. 

Als Anomalie möchte ich folgende Erscheinung erwähnen. 
Eine Zelle hatte die Gestalt einer nach unten zu abgerundeten 
Wulff’schen Flasche, also zwei an verschiedenen Stellen der Zelle 
aber nach derselben Richtung hin abgehende Fasern. Die eine 
derselben, die kürzere, konnte vor einer scharfen Kritik nicht be- 
stehen, sie erwies sich als Kunstprodukt, das durch die Präparir- 
nadel hervorgebracht war. Die andere liess sich eine ziemlich grosse 
Strecke weit verfolgen und zeigte dann eine dichotomische Theilung 
mit Ranvier’scher Einsehnürung (Taf. XV Fig. 6). Es entspricht 
dies der von Ranvier) beschriebenen Form der „T-Faser“. Er 


1) Dies Verhältniss kommt bei bipolaren Zellen nicht vor, hier liegt 
der Kern in der Mitte der Zelle. cfr. Fig. 1 und 2 auf Taf. XV. 
2) Ranvier: Comptes rendus, 1875, p. 1274. 


290 Bernhard Rawitz: 


behauptet, dass es keine unipolaren Zellen gäbe, sondern jede 
bipolar sei. In kurzer Entfernung vom Nervenpol findet nach ihm 
eine diehotomische Theilung statt, so dass die eine der dadurch 
entstehenden Fasern zum Centrum, die andere zur Peripherie geht. 
Die Verjüngung, die an der Einschnürung stattfindet, soll ein Ab- 
reissen der Theilung erleichtern und so die Seltenheit derartiger 
Bilder erklären. 

In allerdings nur ausserordentlich seltenen Fällen ist es mir 
gelungen, diese Beobachtung zu wiederholen. Aber gerade des- 
wegen bin ich nicht geneigt, die Ranvier'schen Schlussfolgerun- 
gen als berechtigt anzuerkennen. Darum weil man in vielen hundert 
Untersuchungen drei- oder viermal dichotomische Theilungen an- 
getroffen hat, ist man noch nicht genöthigt anzunehmen, dass dies 
die Regel sei und in allen anderen Fällen durch persönliches Un- 
geschick das Bild zerstört werde. Es ist eine eigenthümliche Er- 
scheinung, dass selbst die grössten Histologen einer physiologischen 
Theorie zu Liebe ihre Geschicklichkeit bezweifeln und die Rich- 
tigkeit der von ihnen gefundenen Thatsachen in Frage stellen, 
anstatt dass sie, umgekehrt, der physiologischen Theorie zu Leibe 
gehen. 

Wenn ferner Ranvier annimmt, dass von den durch die 
Theilung entstehenden beiden Fasern die eine centripetal, die an- 
dere centrifugal verlaufe !), so muss ich das auf das Entschie- 
denste in Abrede stellen. In den wenigen Fällen, in denen ich 
das erwähnte Bild zur Beobachtung bekam, fand die Theilung in 
sehr grosser Entfernung von der Abgangsstelle statt. Ferner bil- 
den die beiden Theilfasern einen spitzen, nicht einen gestreckten 
Winkel, was doch der Fall sein müsste, wenn sie wirklich nach 
entgegengesetzten Richtungen gehen würden. Endlich zeigen 
meine sämmtlichen Schnittpräparate (ich habe ein Ganglion stets 
serienweise ohne Verlust in viele Schnitte zerlegt), auch nicht die 
geringste Andeutung von einem derartigen Verhältnisse. 

Schwalbe führt in seiner schon erwähnten Arbeit eine, 
leicht zu wiederholende, Beobachtung an, die ebenfalls gegen die 
Ranvier'sche Behauptung spricht. Der aus einem Ganglion aus- 
tretende Nervenstamm ist stets dieker, als die eintretende sensible 


1) Dadurch würden auf das leichteste die oben erwähnten Holi’schen 
Beobachtungen erklärt. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 291 


Wurzel; bei der Eidechse z. B. beträgt nach ihm die Breite des 
eintretenden Stammes 0,149 mm, die des austretenden 0,249 mm. 


Aus diesen Gründen muss ich die zweite Ranvier’sche Be- 
hauptung als irrig zurückweisen und kann die erste nur in sehr 
beschänktem Masse gelten lassen. 


Kehren wir nach dieser Abschweifung zum Ausgangspunkte 
zurück. 


Hatte das zu untersuchende Object längere Zeit (2—3 Stun- 
den) in der Kochsalzlösung verweilt, dann traten folgende Erschei- 
nungen -auf (Taf. XV Fig. 5). Die Zelle füllte die Kapsel nicht ganz 
aus, sondern hatte sich von derselben zurückgezogen. Auf der 
Kapsel zeigte sich eine eigenthümliche Zeichnung, wodurch ein 
Bild entstand, wie es Arnold beschrieben und auf das ich später 
noch näher eingehen muss. Ein ziemlich regelmässiges Maschen- 
netz überspann die Zelle und schien in letzter Instanz mit dem jetzt 
strahlig erscheinenden, zuweilen Fortsätze aussendenden Kernkör- 
perchen zusammenzuhängen. Dies sind reine Schrumpfungser- 
scheinungen. 


Die Masse der Zellen beim Frosche vom Nerven- zum Kernpol 
schwanken zwischen 0,10248mm und 0,6222 mm, die grössten 
Durchmesser der Kerne schwankten zwischen 0,03014 mm und 
0,01507 mm, die der Kernkörperchen zwischen 0,00822 mm und 
0,00411 mm: also bei einer ziemlich beträchtlichen Schwankungs- 
breite ziemlich grosse Werthe. 


So werthvoll diese Methode, die den Ausgangspunkt für fast jede 
histologische Detailuntersuchung bilden sollte, auch ist, so ist sie 
doch zur Erkennung derjenigen Strukturverhältnisse, um die es sich 
hier handelt, nicht mass- und ausschlaggebend. Die Isolation 
der Zellen kann nur durch sehr gewaltsames Zerzupfen geschehen 
und ist meist unvollkommen, denn das pericelluläre Bindegewebe 
ist sehr zäh und schwer zerreisslich. Ich musste mich daher nach 
anderen Methoden umsehen, die das Bindegewebe lösten, oder zum 
wenigsten seine Resistenz minderten, ohne dass dabei die histo- 
logische Integrität der Zellen verletzt würde. Eine solche Me- 
thode aufzufinden ist mir leider nicht gelungen. Alle wirken in 
stärkerer oder schwächerer Weise alterirend ein und bei ihrer 
Anwendung muss man daher auf das Peinlichste die Fehlerquellen 
berücksichtigen. Am zweckentsprechendsten ist mir die von Ar- 


292 Bernhard Rawitz: 


nold!) empfohlene Behandlungsweise erschienen, die richtig und 
kritisch angewandt, die besten, ja fast allein brauchbaren Re- 
sultate liefert. Dieselbe besteht darin, dass man das Objeet 
A—5 Minuten in 0,2% Essigsäure und dann auf 12—48 Stunden 
in 0,01% Chromsäure legt. Ich wendete gewöhnlich 0,1% "Es- 
sigsäure und dann 0,01%. Chromsäure an und liess die Ganglien 
in dem ersten Reagens, je nach ihrer Grösse, 5—10 Minuten, im 
letzteren 24—48 Stunden liegen und zerzupfte dann in Glycerin. 
Als Tinktionsmittel habe ich fast ausschliesslich Goldehlorid (2% 
und 0,1/0) benutzt, das mir die histologisch und ästhetisch schön- 
sten Bilder lieferte, ohne dass ich die anderen Reagentien ver- 
nachlässigte. 

In so zubereiteten Objeeten ist die Isolation der Zellen sehr 
leicht, die sich bei einiger Uebung ohne die geringste Gewaltan- 
wendung bewerkstelligen lässt. Der Zellenleib hat sich ziem- 
lich stark von der Kapsel retrahirt; dieselbe erscheint in unge- 
färbten Präparaten als glashelle, hier und da etwas gefaltete Mem- 
bran, die überall geschlossen ist und keinerlei Verlet- 
zungen erkennen lässt. Sie begleitet den einzigen abge- 
henden Axencylinder und wird, nachdem derselbe sich mit Mark 
umgeben, zur Schwan’schen Scheide (Tat. XV Fig. 9). 

Die Zellen sind unipolar, d.h. nieht oppositipol; nirgends 
ist, wie ich nochmals hervorheben muss, an der Kapsel auch nur 
die geringste Andeutung einer Verletzung vorhanden, die den Ver- 
dacht erwecken könnte, als sei eine zweite Faser abgerissen !). 

Dies gilt für Kaltblüter wie für Warmblüter. Guye t) hat 
im Sympathieus des Kaninchens bipolare Zellen gefunden. Da 
man für gewöhnlich die beim Sympathieus gefundenen Resultate 
auf die Spinalganglien anwendet und umgekehrt (was wohl nieht 
immer ganz gerechtfertigt sein dürfte), so möchte ich die Rich- 
tigkeit jener Beobachtungen anzweifeln. 


1) loco eitato. 

2) Nochmals will ich hervorheben, dass ich auf die Struktur und das 
Vorkommen der bipolaren Zellen in diesem Theile keine Rücksicht genom- 
men habe, da es mir nur daran lag, die Existenz der unipolaren Zellen nach- 
zuweisen. 

3) Guye: Centralblatt für die med. Wissensch., 1866. Die Ganglien- 
zellen des Sympathicus beim Kaninchen. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 293 


Die Unipolarität aller Ganglienzellen in den Spi- 
nalganglien, namentlich der höheren Wirbelthiere, die 
durch die Arnold’sche Untersuchungsmethode auf das leichteste 
zu demonstriren ist, ist eine nicht zu bestreitende That- 
sache. Dabei will ich vorläufig die Spiralfaser unberücksichtigt 
lassen. 

In keiner Weise kann ich daher die Arndt’schen !) Unter- 
suchungsresultate als richtig anerkennen. 

Nach ihm sollen die Ganglienzellen unseres Organes wenig- 
stens bipolar sein; aber auch multipolare sollen vorkommen. 
Seine Figur 16 stellt eine solche multipolare Zelle dar. Lanzett- 
förmige Fortsätze sollen vom Zellenrande nach verschiedenen Rich- 
tungen hin ausstrahlen und zum grossen Theil Kommissurfä- 
den sein. 

Aber wie die Verbindung zweier Ganglienzellen im Rücken- 
mark von allen vorurtheilsfreien Beobachtern, in erster Linie von 
Deiters in seinem berühmten Werke, in’s Reich der Fabeln ver- 
wiesen ist, ebenso gehört dahin die Behauptung von einer Ver- 
bindung zweier Ganglienzellen im Spinalganglion. Wer an der 
Hand einer sicheren Methode, deren Fehlerquellen genau gekannt 
sind, den Bau jenes kleinen Organes zu erforschen sucht, wer 
Vergrösserungen anwendet, die innerhalb der Grenze für die Lei- 
stungsfähigkeit unserer Instrumente liegen, dem wird eine der- 
artige Behauptung unbegreiflich erscheinen. 

Deiters nennt die Verbindung zweier Ganglienzellen des 
Rückenmarkes eine histologische Absurdität, man könnte das 
Gleiche von der Arnold’schen Beobachtung sagen. Wer bei tau- 
sendfacher Vergrösserung untersucht, und zwar Gebilde von so 
ausserordentlich zarter Beschaffenheit, wie die Ganglienzellen, die 
so sehr leicht auch durch das scheinbar harmloseste Reagens ver- 
ändert werden, der begiebt sich jeder Kritik. Hier hört das Wis- 
sen auf, hier beginnt der Glaube, die exakte Forschung muss sich 
beugen vor dem kühnen Fluge einer allzu üppigen Phantasie. 

2°/, Goldehloridlösung, welche die Zeilen etwas härtet, aber 
auch brüchiger macht und nach deren Anwendung man Isolationen auf 
grosse Strecken nicht ausführen kann, giebt sehr schöne, überzeu- 

1) Arndt: Ueber die Ganglienkörper der Spinalganglien. M. Schultze’s 
Archiv 1875. 


294 Bernhard Rawitz: 


gende Bilder von der Unipolarität. Die überall geschlossene Kapsel 
begleitet, wie weiter oben schon erwähnt, die abgehende Faser. In- 
teressant ist der Verlauf dieser letzteren innerhalb der Kapsel (Taf. XV 
Fig.7). Stets am Kernpole entspringend verlässt sie nieht immer in 
gerader Richtung die Zelle, sondern macht erst eine Halbkreistour um 
dieselbe innerhalb der Kapsel, um dann ihren Lauf zur Peripherie 
einzuschlagen. Schwalbe!) nennt derartige Fasern „umwindende“ 
und führt auf dieses Verhältniss den Umstand zurück, dass es so 
schwer sei, die Zellen mit ihren Fortsätzen auf weite Strecken zu 
isoliren. 

Neben den unipolaren Zellen findet man nicht so selten, wie 
man a priori anzunehmen geneigt wäre, apolare Zellen. Die- 
selben sind weniger häufig bei erwachsenen, als bei jugendli- 
chen Thieren (10—14 Tage alten), weniger zahlreich bei Poikilo- 
thermen, als bei Homoiothermen. Sie liegen nie allein für sich, 
in welchem Falle sie vor der Kritik kaum bestehen könnten, son- 
dern stets mit einer ausgesprochen unipolaren Zelle zu- 
sammen in einer Kapsel (Taf. XV Fig. 5). Die gesammte Zelle 
hat dann stets eine etwas langgestreckte Form. Die apolaren, rich- 
tiger fortsatzlosen Elemente, liegen den fortsatzführenden als 
halbmondförmige Kuppen an, deren Enden leicht zugespitzt er- 
scheinen. Dass man es hier nicht mit doppelkernigen Zellen zu 
thun hat, geht daraus hervor, dass zwischen beiden ein feiner 
dunkler Streif sichtbar ist, der mit der Kapsel zusammenhängt 
und offenbar die Grenze zwischen beiden bildet. Ob solche Ge- 
bilde funktionsunfähige alte Zellen oder Jugendformationen sind, 
was wahrscheinlicher ist und was schon Siegmund Mayer?) 
für ähnliche Gebilde im Sympathicus angenommen hat, will ich 
unerörtert lassen. 

Bei Anwendung der 2°/, Goldlösung findet man einen tink- 
toriellen Unterschied zwischen Zelle einerseits und Kapsel und 
Nerv andererseits. Letztere sind schwach rosa gefärbt, während 
die erstere eine tiefblaue, fast schwarze Farbe angenommen hat, 
ein Verhältniss, dessen schon Bidder °) Erwähnung thut. 

Neben den gewöhnlichen birn- oder keulenförmigen Zellen 


else: 
2) Siegmund Mayer im Stricker’schen Handbuche. 
3) Bidder: Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1868. 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 295 


findet man auch kleine eckige, oder noch häufiger Pokal ähnliche 
Gebilde, mit dünnem kurzem Fortsatz (Taf. XV Fig. 10). Derselbe ist 
an seinem Ende etwas zugespitzt. Diese Elemente, die einen Kern 
besitzen, der im Verhältniss zu ihrem Durchmesser ausserordent- 
lieh gross ist und den ganzen Kernpol ausfüllt, sind offenbar ju- 
sendliche Zellen. Sie kommen verschwindend selten bei erwach- 
senen Thieren vor (beim Frosche habe ich sie gar nicht gefunden), 
dagegen relativ häufig bei jugendlichen (10—14 Tage alt). 

Die Zellen erscheinen schon grob granulirt bei Anwendung 
von 0,750/, NaCl-Lösung. In noch viel höherem Grade tritt diese 
sranulirte Beschaffenheit nach Anwendung der Arnold’schen Me- 
thode hervor. Die Zelle retrahirt sich dabei mehr oder weniger 
stark von der Kapsel (hier scheinen individuelle Differenzen vor- 
zuliegen) und zwar findet dabei die Retraktion hauptsächlich vom 
Nervenpole aus statt. Der Kern wird in seinen Konturen ver- 
wischt und ist nur undeutlich sichtbar, das Kernkörperchen ver- 
liert seinen Glanz. Dabei erhält es eine strahlige Beschaffenheit, die 
namentlich bei Anwendung einer stärkeren Vergrösserung, etwa des 
Seibert’'schen Immersionssystems No.7, deutlicher wird (Taf. XV 
Fig. 11). In dem wirren Bilde, das unter solchen Umständen der 
Zellenleib darbietet, sondern sich bei längerer Beobachtung Er- 
scheinungen ab, die frappant an das von Arnold beschriebene 
Verhältniss erinnern. Es sieht in der That so aus, als ob die 
ganze Zelle übersponnen sei von einem Netzwerk äusserst feiner 
Fäden, deren-Durchmesser unmessbar ist. Alle diese Fäden schei- 
nen vom Kernkörperchen auszugehen, von dem sie mit dreiecki- 
ger Basis entspringen. Welches Schicksal dieselben erleiden, das 
entzieht sich an ungefärbten Präparaten der Beobachtung. 

Ist das, was man hier sieht !) aber wirklich die Erscheinung 
präformirter Gebilde ? 

Wenn man bedenkt, welchen chemischen Eingriffen das Gang- 
lion ausgesetzt wird, wenn man berücksichtigt, dass man aus 
einem Heer von Granulis sich allerlei Formationen konstruiren 
kann, so wird man stutzig. 

Die Essigsäure, in so verdünnter Form und in so kurzer Zeit 
sie auch angewendet wird, lässt die Elemente aufquellen. Ja, sie 


1) Vergl. auch: Courvoisier, Beobachtungen über den sympathischen 
Grenzstrang. M. Schultze’s Archiv, Bd.2. 


396 Bernhard Rawitz: 


muss es thnn, um die nachher folgende Isolation überhaupt zu er- 
möglichen. Diese quellende Wirkung wird paralysirt durch die 
schrumpfende der nachher angewendeten, dünnen Chromsäurelösung. 
Dieses Reagens muss mindestens 24 Stunden einwirken, um allen 
Theilen die genügende Widerstandsfähigkeit gegen die Insulte der 
Präparirnadel zu verleihen. Dieses sind die Nachtheile der Methode, 
die berücksichtigt werden müssen, und die eine Menge von Fehler- 
quellen setzen. Man kann aber Fehlschlüsse vermeiden, wenn man 
scharf kritisch beobachtet. Ein weniger alterirendes Reagens, das 
Kochsalz, das doch immerhin den inneren Bau der Elemente un- 
berührt lässt, wenn es auch nicht gewährt, ihre äussere Gestalt 
bei seiner Anwendung zu erhalten, dieses Reagens bringt das 
fragliche Fadennetz .nicht zur Beobachtung. (Das Fadennetz, das 
nach stundenlanger Einwirkung auftritt, gehört der Kapsel an und 
weist auf Faltenbildungen in derselben und Schrumpfung hin.) 
Wir haben ausserdem ein grobgranulirtes Object, das wir bei 
starker Vergrösserung betrachten müssen. Nur zu leicht verbindet 
man da, absichtslos, die einzelnen Granula zu Linien, und hat man 
erst eine Linie, so ist ein Liniennetz bald gefunden. 

Ich kann aus jenen Gründen jenes Arnold’sche Fadennetz 
nieht als präformirt anerkennen, ebensowenig wie ich die strah- 
lige Beschaffenheit des Kernkörperchens als natürlich betrach- 
ten kann. Ich halte diese Erscheinungen vielmehr für 
Schrumpfungsphänomene. 

Hier möchte ich einer Untersuchungsweise das Wort reden, 
die ich in ihren schüchternen Anfängen in meiner Arbeit über „die 
Ranvier’schen Einschnürungen und Lantermann’schen Einker- 
bungen“ (His-Braune — du Bois-Reymond Archiv 1878 Anat. 
Abth.) entwickelt habe. Jede Betrachtung eines Objeetes, das län- 
gere Zeit der Einwirkung eines Reagens ausgesetzt war, muss in 
Betreff der feineren Struktur falsche Resultate liefern, weil das 
Endprodukt der Einwirkung, nicht deren Reihenfolge zur Beob- 
achtung gelangt. Aber gerade die Erkennung der letzteren ist, 
wenigstens bei Arbeiten im Gebiete der Neurohistologie, von ent- 
scheidender Wichtigkeit. Erst wenn man gesehen hat, wie das 
Gewebe unter der ailmähligen Einwirkung der Zusatzflüssigkeit 
Veränderungen eingeht, wenn man die Natur dieser Veränderun- 
gen erkannt hat, erst dann ist man berechtigt, Schlüsse über die 
Struktur zu ziehen. Ich glaube wohl, dass eine Menge falscher 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 297 


und ungenauer Beobachtungen der Wissenschaft erspart blieben, 
wenn diese Betrachtungsweise streng durchgeführt würde. 

Auch die Spiralfaser kann ich nicht als präformirt 
anerkennen. 

Um dieselbe überhaupt zu Gesicht zu bekommen, muss man 
Färbemittel anwenden, und zwar sollen dünne Goldlösungen (0,10) 
und dünne Charminlösungen von Vortheil sein. Mit letzteren, die 
Bidder !) empfohlen hat, habe ich kein Glück gehabt; die Ob- 
jeete wurden darnach brüchig und die Bilder nicht verwerthbar. 
Aber auch mit der Goldimprägnirung habe ich fast durchweg ne- 
gative Resultate zu verzeichnen. Ich will nicht sagen, dass ich 
nie die Spiralfaser gesehen habe, aber wenn ich ein Bild unter 
dem Mikroskop hatte, das an dieselben erinnerte, so konnte es 
doch eine scharfe Kritik nicht ertragen. Striche, die quer über 
die Schneide der Nervenfaser gehen, die einen leicht geschlängel- 
ten Verlauf haben oder sich zu einer Spirale vereinigten, die täu- 
schend dem Arnold’schen Bilde glich, berechtigten mich einer- 
seits, wie das seltene Vorkommen andererseits nicht, dieselben 
als Ausdruck einer zweiten Nervenfaser aufzufassen. 

Auch die Abbildungen der Vertheidiger der Spiralfaser kön- 
nen mich von der Präexistenz derselben nicht überzeugen. Bid- 
der’s und Arnold’s Bilder sind ein wenig schematisch, Koll- 
mann’s und Arnstein’s?) sind nicht ganz klar. Auch der Zeich- 
nung, die W. Krause °) in seiner allgemeinen Anatomie giebt, 
dürfte wohl keine überzeugende Kraft zukommen. 

Eben jene oben erwähnten Fehlerquellen der Isolationsme- 
thode sind auch hier zu berücksichtigen: nach der leichten Quel- 
lung die stärkere Schrumpfung der nervösen Elemente. Die Scheide 
wird für den Nerven etwas zu weit und legt sich in Folge des- 
sen und in Folge der Präparation in Falten, die jenes Bild vor- 
täuschen. 

Die Arnold’sche Spiralfaser ist also ein optisches 
Phänomen, hervorgerufen durch Faltenbildung der 
Scheide. 


1) Bidder: Reichert-du Bois-Reymond’s Archiv 1868. 

2) Kollmann und Arnstein: Die Ganglienzellen des Sympathicus. 
Zeitschrift für Biologie, Bd. II. 

3) A. W. Krause: Allgemeine und mikroskopische Anatomie 1876. 


298 Bernhard Rawitz: 


Arnold hat ferner eine Beobachtung wiederholt, die schon 
Harless !) am Torpedo gemacht hat, die seitdem vielfach be- 
schrieben ist, der aber nie rechter Glauben geschenkt wurde. Er 
lässt den Axeneylinder im Kernkörperchen enden und betrachtet 
letzteres als eine knopfartige Anschwellung des ersteren. Ja, er 
geht noch weiter. Nach ihm ist der Kern der Zelle nichts wei- 
ter, als eine Anschwellung des Nervenmarkes. So kommt er, mit 
Rücksicht auf jenes Fadennetz, schliesslich zum Leugnen der Zel- 
lennatur des Ganglienkörpers. 

Mir ist es leider nie gelungen, auch nur andeutungsweise 
ähnliche Bilder zu erhalten. 

Aber selbst wenn es richtig wäre, wenn der Kern eine Fort- 
setzung des Markes, das Kernkörperchen das Ende des Axeney- 
imders wäre (logisch müsste man das Verhältniss umkehren), selbst 
wenn das Fadennetz in Wirklichkeit vorhanden wäre, so sehe ich 
doch in der ganzen Arnold’schen Deduktion auch nicht einen 
zwingenden Grund für das Leugnen der Zellennatur. Ausserdem, 
in zweiter Linie, sprechen auch alle physiologischen Thatsachen 
so dagegen, dass man ruhig den Arnold’schen Pessimismus ab- 
lehnen kann. 


Betrachten wir nun den Kern und jene oben erwähnten „Po- 
larkerne.“ 


Was den ersteren anlangt, so habe ich zu den bisher bekannten 
Thatsachen Neue nicht hinzuzufügen. Davon, dass derselbe eine 
Membran habe, ein Schluss, der aus dem an ihm beobachteten 
doppelten Kontur gezogen wird, habe ich mich nicht überzeugen 
können. Uebrigens ist diese Frage von so untergeordneter Be- 
deutung, dass ein näheres Eingehen darauf nicht der Mühe lohnt. 


Nur bei jugendlichen Thieren findet man hin und wieder 
Zellen, die zwei Kerne haben, bei erwachsenen kommt er nur ein- 
fach vor. 


In der oben erwähnten helleren Schicht der Zelle, die am 
Nervenpol liegt, hat Courvoisier ?) eine Kernanhäufung beschrie- 
ben. Diese Kerne sollen sich von den sogenannten Kapselkernen 
dadurch unterscheiden, dass sie weniger glänzend sind und sich 


1) Harless: Müller’s Archiv, 1841, p. 283. 
2) Ic: 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 299 


in Goldlösung nicht färben. Dem letzteren kann ich nicht ganz 
zustimmen. In meinen Präparaten sind alle Kerne, ob sie der 
Kapsel, ob dem perizellulären Bindegewebe angehören, ob es die 
Polarkerne sind, gleichmässig rosa tingirt. Ihre Gestalt ist läng- 
lich oval ; ihre Substanz deutlich grob granulirt, ihre Zahl sehr 
wechselnd. Weniger reichlich und gut sind sie bei Poikilothermen 
zu sehen (Taf. XV Fig. 9), Säuger, besonders Meerschweinchen 
und Kaninchen, haben sie in grosser Menge (Taf. XV Fig. 12), 
wie überhaupt der Reichthum der Kapsel und des Bindegewebes 
an Kernen bei den letzteren ein ungleich grösserer ist, als bei 
den ersteren. 

Die Polarkerne sind in der hellen Schicht unregelmässig an- 
geordnet und scheinen vollkommen mit den Kapselkernen iden- 
tisch zu sein. Diese letzteren werden sichtbar, wenn die Zelle 
sich von der Kapsel retrahirt hat, man sieht sie dann regelmäs- 
sig, wandständig angeordnet. Sie sind die Kerne eines von Fraent- 
zel !) beschriebenen Endothelialüberzuges der Kapsel. 

Häufig kann man um dieselben deutliche Striche sehen, die 
viereckige oder polygonale Felder auf der Kapsel bilden. Die 
Thatsache, dass diese Kerne meistens wandständig gesehen wer- 
den, ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Retraktion ‘der 
Zelle von der Kapsel gleichmässig von den Seiten her erfolgt. 

Aber auch auf dem Theile der Kapsel, der den Zellenleib 
bedeckt, sind sie vorhanden und man kann dies unter günstigen 
Umständen leicht konstatiren, namentlich dann, wenn die Präparate, 
nur angefärbt sind (Taf. XV Fig. 13) und man sich des Abbe’schen 
Beleuchtungsapparates ohne Blendung bedient. In letzterem Falle, 
wo die Objeete in Licht ertränkt werden, sieht man die nervösen 
Bestandtheile zwar nicht oder nur sehr undeutlich. Dagegen tre- 
ten die kernigen Elemente des Bindegewebes, und dazu muss 
wohl die Kapsel gerechnet werden, obwohl in ihr keine Fibrillen 
vorhanden sind, wie Arndt °) behauptet, in schönster Weise 
hervor. 

Die Kapsel erscheint dann, namentlich bei Säugern, mit 
zahlreichen Kernen bedeckt. Unter solehen Verhältnissen fällt 
auch das Auffallende in der Kernanhäufung am Nervenpole weg. 


1) Fraentzel: Virchow’s Archiv, Bd. 38, p. 554. 
2) 1. c. 


300 Bernhard Rawitz: 


Bei gewöhnlicher Beleuchtung und intensiverer Färbung werden 
die über der Zelle gelegenen Kerne wenig sichtbar in Folge der 
dunkleren Tinktion des Zellenleibes, treten dagegen mehr am 
Nervenpole hervor, weil hier, als am locus minoris resistentiae, die 
stärkste Retraktion stattfindet. 

Aus diesem Grunde bin ich geneigt, Kapsel- und Polarkerne 
als identisch zu betrachten. Dass sie wirklich Kerne eines Endo- 
thelüberzuges sind, geht ausser aus jener oben beschriebenen Be- 
obachtung noch aus folgender hervor. In einem Präparate vom Gan- 
glion gasseri des Frosches zeigte eine kleine Zelle fünf grosse, dun- 
kelrothe Kerne (Taf. XV Fig. 14), die in viereckigen Feldern lagen. 
An einem Ende der Kapsel fand sich ein Eindruck und an dem- 
selben ein rundliches Gebilde mit Kern, Kernkörperchen und 
einem Fortsatz, der nach der freien Seite hin abging. Es war 
also offenbar eine Zelle aus der Kapsel ausgetreten, wodurch die 
Kerne der letzteren schön sichtbar wurden. 

Welche Grösse diese Kerne erreichen können, zeigt die bei- 
gegebene Abbildung einer Ganglienzelle aus dem Ganglion gasseri 
von Triton eristatus (Taf. XV Fig. 15). 

Nur Weniges möchte ich noch über die „fibrilläre Struktur“ 
unserer Gebilde hinzufügen. 

Deutliche Bilder von derselben zu erhalten, war mir nicht 
möglich, obgleich ich auf das minutiöseste die von Max Schultze 
angegebenen Untersuchungsmethoden befolgte und namentlich das 
Jodserum anwendete, zu dessen Herstellung mir, in Folge eines 
glücklichen Zufalles, das Fruchtwasser von einem Wiederkäuerem- 
bryo zu Gebote stand. 

Indessen wage ich nicht, aus meinen negativen Resultaten 
einen Sehluss zu ziehen. Die bestechende Konsequenz der von 
Max Sehultze aufgestellten Theorie von der fibrillären Struktur 
der nervösen Elemente, die Wucht der von ihm vorgebrachten 
Thatsachen drängen jeden Zweifel an ihrer Richtigkeit zurück, ob- 
gleich sie ihn nicht ganz zu beseitigen vermögen. 

Darauf kam es mir aber auch bei meinen Untersuchungen 
gar nicht an. Ich wollte Klarheit über die Existenz der Spiral- 
faser gewinnen und bin zu der Ueberzeugung gelangt, dass die- 
selbe nicht als präformirt zu betrachten ist. 

Vielmehr kommen in den Spinalganglien der (von 
mir untersuchten Arten) Amphibien und Säugethiere (leider 


Ueber den Bau der Spinalganglien. 301 


konnte ich von Reptilien und Vögeln kein brauchbares Material 
erlangen) nur unipolare Zellen vor. 

Damit ist denn die alte Kluft zwischen den Beobachtungen 
an Torpedo und an Säugern wieder hergestellt. 

Diese zu überbrücken muss nun meine nächste Aufgabe sein; 
es müssen sich Verbindungen in der vorhandenen Wirbelthierreihe 
zwischen dem einen Extrem zum anderen herstellen lassen, es 
müssen, durch eine successive Untersuchung der Spinal- 
ganglien bei allen Wirbelthierklassen, Uebergänge von den 
Fischen zum Menschen gefunden werden. 

Am Schlusse dieser Abhandlung ist es mir eine angenehme 
Pflicht, den Gefühlen des Dankes gegen meinen hochverehrten 
Lehrer, Herrn Geh. Med.-Rath du Bois-Reymond öffentlich 
Ausdruck verleihen zu können für die Erlaubniss, meine Unter- 
suchungen in der histologischen Abtheilung des physiologischen 
Laboratoriums hiesiger Universität anstellen zu dürfen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV. 


Fig. 1. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion von torpedo marmorata. 

Fig. 2. Ganglienzelle aus der motorischen Portion des Ganglion Gasseri vom 
Hecht. 

Fig. 3, 4, 5. Ganglienzellen aus dem Spinalganglion vom Frosch in Kochsalz 
(0,75 °/,) isolirt (*%%,). 

Fig. 6. Dichotomische Theilung. 

Fig. 7, 8. Ganglienzellen aus dem Spinalganglion des Frosches nach der 
Arnold’schen Methode isolirt, mit 2°, Goldcehloridlösung impräg- 
nirt (80%/,, 50%/,). 

Fig. 9. Eine ebensolche Zelle mit 0,1 °, Goldchloridlösung behandelt. 

Fig. 10. Becherförmige Zelle aus dem Ganglion Gasseri eines jungen Hundes 
(14 Tage alt) (3%%/,). 

Fig. 11. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion des Frosches nach der Arnold- 
schen Methode isolirt (?%%/,). 

Fig. 12. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion des Meerschweinchens (2%%/,). 

Fig. 13. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion eines jungen Hundes (3%%/,). 

Fig. 14. Ganglienzelle aus dem Ganglion Gasseri des Frosches mit Piecrocar- 
min tingirt. 

Fig. 15. Ganglienzelle aus dem Ganglion Gasseri von Triton cristatus. 


302 E. Neumann: 


Ueber Degeneration und Regeneration 
zerquetschter Nerven. 


Von 


Professor E, Neumann 
in Königsberg i. Pr. 


(Nach in Gemeinschaft mit Dr. G. Dobbert angestellten Untersuchungen.) 


Hierzu Tafel XVI. 


Obwohl bereits seit geraumer Zeit kaum ein Jahr verflossen 
ist, welches nieht neue Untersuchungen nach Nervendurehschnei- 
dungen und die hienach eintretenden Degenerations- und Regenera- 
tions-Vorgänge zu Tage gefördert hätte, so ist doch unstreitig der ge- 
sicherte Erwerb auf diesem Forschungsgebiete immer noch als ein 
wenig befriedigender zu bezeichnen; vielmehr hat fast jede neue 
Arbeit auch neue Zweifel geweckt. Eine andere Methode, welche 
sich zum Studium dieser Prozesse eignet, da sie in gleicher Weise, 
wie die Durchschneidung, eine Unterbrechung der Leitung im Ner- 
ven bewirkt, nämlich die Zerquetschung desselben an umschriebe- 
uer Stelle, ist bisher, wie es scheint, nicht zur Anstellung einer 
grösseren systematischen Versuchsreihe benutzt worden und doch 
kann es keinem Zweifel unterworfen sein, dass dadurch viel ein- 
fachere und übersichtlichere anatomische Verhältnisse geschaffen 
werden. Dieser Umstand ermuthigte mich, von Neuem das schwie- 
rige Problem in Angriff zu nehmen und ich theile in den folgen- 
den Zeilen die Resultate mit, zu welchen eine nach der genannten 
Richtung hin durehgeführte Untersuchung, an der Herr Dr. G. 
Dobbert thätigen Antheil nahm, geführt hat. 

Die Literatur, soweit mir dieselbe bekannt ist, enthält nur 
wenige kurze, speziell hierhergehörige Notizen; so hat z. B. Erb!) 


1) Erb, zur Pathologie und pathol. Anatomie peripherer Nerven, 
Archiv f. klin. Mediein. Bd. V. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 303 


einige Experimente mitgetheilt, in welchen er bei Fröschen und 
Kaninchen den N. ischiadieus oder Aeste desselben mit einer Pin- 
zette zerquetscht hatte; ebenso berichten Hertz!) und neuerdings 
Ranvier?) über solche Versuche und auch Beneke?°) bediente 
sich bei seinen Versuchen neben der einfachen Diseision und Ex- 
eision eines Nervenstückes der Quetschung durch einen kräftig zu- 
geschnürten und dann sofort wieder entfernten Ligaturfaden, ohne 
jedoch in der Beschreibung die Folgen dieser verschiedenen ope- 
rativen Eingriffe zu sondern. 

Bei unseren in grosser Zahl an Fröschen und Kaninchen 
ausgeführten Experimenten benutzten wir stets das letztere von 
Beneke angegebene Operationsverfahren. Ein etwa '/;, mm dicker 
Zwirnfaden wurde unter dem Nerven durchgeführt, eine Schlinge 
aus demselben gebildet, diese über einem eylindrisch zusammenge- 
rollten kleinen Lederstücke oder einer kleinen Federspule mit 
Kraft zugezogen, unmittelbar darauf durchschnitten und entfernt. 
Bei Kaninchen wurden zu den Versuchen ihrer leichten Zugäng- 
lichkeit wegen theils die N. ulnares (oberhalb der Ellenbogenbeuge) 
theils die N. tibiales postiei (in der Kniekehle) gewählt und der 
Ligatur eine Freilegung der Nerven durch Inzision der Bedeckung 
vorausgeschickt. Zu den Froschexperimenten diente dagegen aus- 
schliesslich der N. ischiadicus oberhalb der Theilungsstelle und 
zwar wurde auch hier anfänglich so verfahren, dass die Haut ge- 
spalten und der Nerv in dem Muskelinterstitium aufgesucht wurde. 
Bald machte ich jedoch die Erfahrung, dass man mit einem noch 
einfacheren Operationsverfahren eben so sicher zum Ziele kommt, 
es genügte nämlich unterhalb des Nerven hart am Knochen den 
Oberschenkel mit einer Nadel zu durchstechen und mittelst der- 
selben den Ligaturfaden einzuführen, der alsdann über der Rücken- 
fläche des Oberschenkels zugeschnürt wurde; bei dieser Ligatur 
en masse ist die Wirkung auf den Nerven, wie ich mich über- 
zeugte, ganz dieselbe wie bei isolirter Zerquetschung desselben ; 
ausserdem werden auch die Muskeln von der Ligatur durchsehnit- 


1) Hertz, über Degeneration und Regeneration durchschnittener Ner- 
ven. Virchow’s Archiv, Bd. 46. 
2) Ranvier, Lecons sur l’histologie du systeme nerveux. II. p. 25. 
3) Beneke, über die histologischen Vorgänge in durchschnittenen 
Nerven. Virchow’s Archiv, Bd. 55. 
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 18, 21 


304 E. Neumann: 


ten, während die dünne und elastische Haut (ich benutzte meistens 
jüngere Exemplare von Rana temporanea) gewöhnlich keine Kontinui- 
tätstrennung, abgesehen von den Stichstellen, erleidet, obwohl es 
allerdings auch vorkommt, dass dieselbe in gewissem Umfange 
zersprengt wird. Abgesehen von letzteren Fällen ist der Eingriff 
offenbar ein sehr geringfügiger und ich habe nur wenige Frösche 
dabei verloren, obwohl ich häufig genug die Operation doppelseitig 
ausführte. 

Ich beginne die Darstellung meiner Versuchsergebnisse mit 
einer kurzen Beschreibung der makroskopisch wahrnehmbaren Ver- 
änderungen. Dieselben beschränken sich fast lediglich auf die 
Quetsehstelle, da der peripherische Theil des Nerven trotz ein- 
tretender Degeneration sein normales Aussehen kaum ändert; es er- 
klärt sich dies daraus, dass unter den genannten Bedingungen 
immer bald, wie wir sehen werden, eine Neubildung von Nerven- 
fasern folgt und die Degeneration also nicht, wie nach Durchschnei- 
dungen, zu einer makroskopisch kenntlichen Atrophie vorschreitet. 
An der Stelle der Umsehnürung sind die Veränderungen, wie be- 
greiflich, im Allgemeinen um so auffälliger, je kürzere Zeit nach 
der Operation verflossen ist. Der unmittelbare Effekt derselben 
besteht in einer tiefen eireulären Schnürfurche, sodass centrales 
und peripherisches Nervenstück nur durch ein sehr dünnes Fila- 
ment in Verbindung bleiben; die röthliche und transparente Be- 
schaffenheit des Verbindungstückes lehrt sofort, dass hier alles 
Mark aus den Nervenfasern ausgepresst ist und hiermit im Ein- _ 
klange steht, dass der Nerv ober- und unterhalb der Schnürstelle 
bei aufmerksamer Betrachtung oft eine deutliche kolbige Aufschwel- 
lung erkennen lässt, — Verhältnisse, welche in dem sogleich zu 
erwähnenden mikroskopischen Befunde der einzelnen Fasern ihr 
vollständiges Spiegelbild finden. In der nächsten Zeit markirt sich 
dieQuetschung weniger durch eineEinschnürung, da diese sich ziem- 
lich bald ganz ausgleicht, als vielmehr durch eine mehr oder weni- 
ger intensive Röthung, welche hauptsächlich von Blutextravasaten 
herrührt (s. weiter unten); nieht selten bildet sich in diesem Sta- 
dium sogar eine spindelförmige Auftreibung der verletzten Stelle 
aus. Allmählig verliert sich alsdann im weiteren Verlaufe die 
Röthung, der Durchmesser des Nerven nimmt wieder etwas ab 
und zuletzt bleibt als Merkzeichen der Verletzung nur eine flach 
eingeschnürte etwas transparente graue Stelle zurück, welche 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 305 


eine etwas grössere Ausdehnung hat als die ursprüngliche Schnür- 
furche. Auch diese letzte Spur verwischt sich allmählig vollstän- 
dig, bei Kaninchen schon nach 10—14 Tagen, bei Fröschen frühe- 
stens nach einem Monat. 

Eine Verwachsung des Nerven mit der Umgebung tritt, selbst 
bei gleichzeitiger Verletzung der letzteren durch die beschriebene 
Umschnürung en masse, während der ganzen Dauer des Heilungs- 
prozesses nicht ein; ebensowenig kommt es an der Quetschstelle 
zu einer festen Verlöthung der Nervenfasern untereinander durch 
ein Narbengewebe, vielmehr lassen sich letztere jederzeit leicht in 
ihrem Verlaufe durch die Quetschstelle hindurch verfolgen und 
hierin liegt für die mikroskopische Untersuchung ein sehr wesent- 
licher Vortheil gegenüber den Schnittwunden, bei denen bekannt- 
lich sehr bald eine so innige Verschmelzung der Nervenstimpfe 
mit einem Narbengewebe stattfindet, dass es nur mit Mühe gelingt, 
ihr Verhalten innerhalb desselben zu erkennen. Besonders geeig- 
net für die isolirte Darstellung der einzelnen Fasern ist die von 
mir bereits vor längerer Zeit!) zum Studium der Nervenregenera- 
tion empfohlene und seitdem von fast allen späteren Unter- 
suchern (Eichhorst, Ranvier, Tizzoni u. A.) mit Vorliebe 
benutzte Behandlung mit Ueberosmiumsäure. Wenn der ver- 
letzte Nerv, frisch dem Körper entnommen, 24 Stunden lang 
in einer Iprocentigen Lösung dieses Reagens verweilt hat und 
alsdann noch auf einige Tage in destillirtes Wasser eingelegt 
worden ist, so ist der Zusammenhang seiner Fasern so gelockert 
und diese selbst haben so an Festigkeit gewonnen, dass ihre Isoli- 
rung auf grosse Strecken hin, auch durch den Ort der Verletzung 
hindurch, keine grösseren Schwierigkeiten darbietet, als bei einem 
ganz normalen Nerven. 

Wenn noch kürzlich Ranvier?) das Zerzupfen des zentralen 
Stumpfes durchschnittener Nerven und die Herstellung von Prä- 
paraten, an welchen man die Fasern desselben in die jungen Fasern 
der Narbe übergehen sieht, als eine mühsame und delikate Ope- 
ration bezeichnet hat, so kann man an zerquetschten Nerven, die 
sich im Zustande der Regeneration befinden, diesen Uebergang 
bei jeder Faser mit Leichtigkeit erkennen und die verschiedenen 

1) E. Neumann, Degeneration und Regeneration nach Nervendurch- 


schneidungen. Archiv f. Heilkunde, IX, p. 193. 1868. 
2) Ranvierl. c. I. p. 60. 


306 E. Neumann: 


Modifikationen desselben in dem Präparat eines einzigen kleinen 
Nervenbündels übersehen. — Dass andererseits die Osmiumbe- 
handlung auch mancherlei Schattenseiten hat, kann nicht geläugnet 
werden; hierher rechne ich vor Allem den Umstand, dass an sol- 
chen Präparaten eine Darstellung des Achsencylinders durch Tink- 
tionsmittel nur sehr unvollkommen gelingt; wenigstens ist es mir 
nicht möglich gewesen, denselben durch irgend ein von mir ver- 
suchtes Mittel so deutlich innerhalb der schwarzen Markscheide 
zu färben, wie es etwa die von Cossy und De&jerine!) gegebenen 
Abbildungen von Präparaten, die mit Pierocarmin behandelt worden, 
zeigen. Auffallender Weise bezeichnen die genannten Autoren die 
von ihnen angewandte Methode als die Ranvier’sche, während 
Ranvier selbst (l.c. Ip. 327), ebenso wenig wie ich, an Osmium- 
Präparaten eine Färbung der Achseneylinder durch Pierocarmin 
erzielte, wenn es sich um degenerirte Nerven, auf welche sich die 
Angaben von Cossy und Dejerine beziehen, handelte. Sehr 
schöne Färbungen der Kerne kann man dagegen durch Benutzung 
saurer Carminlösung (nach Schweigger-Seidel) erhalten. 

Um eine feste Basis für die Beurtheilung der mikroskopischen 
Veränderungen zu gewinnen, mit welchen der Nerv auf das ihm 
zugefügte Trauma reagirt, ist es natürlich zunächst erforderlich, 
die unmittelbare Wirkung der Quetschung zu kennen. Dieselbe 
wird durch die Fig. I dargestellt. Man sieht die Faser in einer 
der Breite des zur Umschnürung benutzten Ligaturfadens entspre- 
chenden Längeausdehnung aufs Aeusserste verdünnt und, wie die 
Osmiumfärbung darthut, vollständig ihres Markgehaltes beraubt; 
dieser verdünnte, meist etwas geschlängelte Theil der Fasern nimmt 
nach aufwärts wie nach abwärts sehr allmählig an Breite zu, so- 
dass 2 lange, spitz ausgezogene Kegel gebildet werden, und hier- 
auf folgt, indem dabei meistens wiederum ein geringer Abfall der 
Faserbreite stattfindet, der Uebergang in die normal beschaffenen 
Abschnitte. Fragen wir, wie sich in diesem Zustande die ein- 
zelnen Bestandtheile der Nervenfaser verhalten, so ist es zunächst 
klar, dass die Schwann’'sche Scheide in ihrer Kontinuität er- 
halten bleibt, sie ist es, welche, indem sie ihres Inhaltes verlustig 
gegangen ist, die dünne fadenförmige Verbindung zwischen beiden 


1) Cossy und Dejerine, Recherches sur la degenerescence des nerfs 
separes de leur centre. Archives de physiologie, 1875, p. 567. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 307 


Nervenenden herstellt; in gleicher Weise verhalten sich die Binde- 
gewebsfibrillen der Henle’schen Scheide, welehe man ebenfalls 
deutlich in ihrer Kontinuität durch die Quetschstelle hindurch ver- 
folgen kann, theils frei zwischen den kollabirten Schwann’schen 
Scheiden verlaufend theils den letzten so innig anhaftend, dass 
es schwer zu entscheiden ist, ob das wellig geschlängelte Aus- 
sehen der letzteren nicht vielleicht den begleitenden Fibrillen zu- 
zuschreiben ist. Ueber die Kerne der Schwann’schen Scheide 
giebt eine gelungene Carmintärbung Auskunft: sie lehrt, dass die- 
selben durch die quetschende Wirkung des Fadens nicht (oder 
wenigstens nur zum Theil) verdrängt werden, denn es ist sehr 
gewöhnlich, dass man in den dünnen Verbindungsfäden der Ner- 
venfasern rothe Kerne, kleine spindelförmige Auftreibungen be- 
dingend, eingelagert findet (Fig. la), woraus zu folgern sein dürfte, 
dass sie der Innenfläche der Schwann’schen Scheiden nicht 
locker anliegen, sondern derselben inniger adhäriren resp. in der 
Membran der Scheiden fest eingefügt sind. — Ueber das Verhalten 
des Nervenmarks ist es ebenfalls leicht sieh zu orientiren; es ist 
unzweifelhaft aus der Quetschstelle nach beiden Seiten hin ver- 
drängt und in die angrenzenden Theile der Fasern hineingepresst 
worden; dies geht theils aus der meistens deutlich sichtbaren Auf- 
schwellung derselben vor ihrem Uebergange in die normal be- 
schaffenen Theile theils aus der intensiven Schwärzung der Fasern 
ober- und unterhalb der Einschnürung hervor. Achtet man auf 
den letzten Umstand, so kann man oft genau die Grenze angeben, 
bis zu welcher das eingepresste Mark vorgedrungen; in einer 
scharf gezeichneten, übrigens sehr wechselnd gestalteten Bogenlinie 
(Fig. 1 b. b.), welche von einem Rande der Nervenfaser zu dem 
anderen hinüberläuft, hört das normale Aussehen der Nervenfaser 
mit ihrem hellen Mittelstreifen und ihren dunkeln Rändern auf 
und von hier ab sieht man den Inhalt der Faser durch eine gleich- 
mässig dunkelschwarze Markmasse gebildet, welche unter allmäh- 
ligem Abklingen der Farbe sich bis in die Spitzen jener kegel- 
förmigen Faserabschnitte erstreckt. Von Interesse ist hiebei die 
Frage, ob die Ranvier’schen Sehnürringe, falls solche in unmittel- 
barer Nähe der Quetschstelle im Bereiche der Markeinpressung 
vorhanden sind, dem weiteren Vordringen des Markes ein Ziel 
setzen; es ist das entschieden nicht der Fall, vielmehr wird das 
Mark durch dieselben hindurchgepresst, sie verbreitern sich dabei 


308 E. Neumann: 


etwas und erscheinen von derselben dunkelgeschwärzten Mark- 
masse erfüllt, wie sie sich beiderseits von ihr befindet (Fig. 2). 
Es stimmt dies sehr wohl mit der von Boll!), Hesse?) u. A. kon- 
statirten Thatsache überein, dass ein künstlich durch Zusatz von 
Wasser in den Nervenfasern erzeugter Markstrom durch die Ran- 
vier’schen Einsehnürungen hindurchgeht, ohne an ihnen ein sol- 
ches Hinderniss zu finden, dass man das Vorhandensein einer 
wirklichen Scheidewand daselbst anzunehmen hätte. — Am schwie- 
rigsten ist die Ermittlung des Verhaltens des Achseneylinders; 
sicher ist, dass er gemeinsam mit dem Marke an der Stelle der 
Ligaturumschnürung eine vollständige Unterbrechung erleidet und 
dass der dieser Stelle der Faser entsprechende Abschnitt des- 
selben nach oben und unten verdrängt wird, fraglich dagegen, ob 
er sich hier inmitten des Markes als axiales Band erhält oder 
ob er sich mit diesem etwa vermischt. Dürfen wir den zen- 
tralen hellen Streifen im Bilde einer normalen, mit Osmium be- 
handelten Nervenfaser als Ausdruck der Sonderung des Inhalts 
desselben in Markscheide und Achseneylinder betrachten, so scheint 
die letzte Annahme wahrscheinlicher, da, wie angegeben, in den 
an die Ligatur angrenzenden Theilen jener helle Streifen in der 
Mitte fehlt und vielmehr eine gleichmässig dunkle Färbung auf- 
tritt. Eine Entscheidung hierüber (und auch über den Verbleib 
der neuerdings wiederum von mehreren Forschern mit Bestimmt- 
heit angenommenen Achsencylinderscheide?) wird sich vermuthlich 
erst fällen lassen, wenn wir in dem Besitz vollkommenerer Mittel 
zur Darstellung des Achseneylinders gelangt sein werden, als wir 
sie gegenwärtig besitzen ?). — 

An den beschriebenen, durch die Verletzung erzeugten Zustand 
der Fasern schliessen sich nun, wie es bei Durchschneidungen der 


1) Boll, über Zersetzungsbilder der markhaltigen Nervenfaser. Archiv 
f. Anat. und Physiol. 1877 p. 288. 

2) Hesse, zur Kenntniss der peripherischen markhaltigen Nervenfaser- 
ibid. 1879 p. 34. 

3) Wenn vorstehend, sowie auch im weiteren Verlaufe dieser Abhand- 
lung die Kühne-Ewald’schen „Hornscheiden“ keine Berücksichtigung ge- 
funden haben, so wird diese Versäumniss, hoffe ich, Entschuldigung finden, 
nachdem Hesse (l. c.) mit, wie mir scheint, guten Gründen die Präexistenz 
derselben als morphologischer Bestandtheile der Nervenfasern ange- 
fochten hat. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 309 


Fall ist, Veränderungen, theils degenerativer theils regenerativer 
Natur. Während der periphere an der Quetschstelle gelegene 
Theil der Faser eine Umwandlung ertährt, der ihn des Leitungs- 
vermögens beraubt, entwickeln sich innerhalb der Schwann’schen 
Scheide zuerst an der Stelle, wo dieselbe durch die Quetschung 
ihres Inhaltes beraubt ist, weiterhin im ganzen peripherischen Ab- 
schnitte zum Ersatz für die degenerirten Elemente neue funktions- 
fähige Nervenfasern. In der Beschreibung der Detail’s dieser Vor- 
gänge will ich die bei den verschiedenen Versuchsthieren, Fröschen 
und Kaninchen gewonnenen Resultate auseinander halten. 


I. Versuche bei Fröschen. 


Schon Eiechhorst!) ist der früher vielfach verbreiteten An- 
sicht, dass sich Frösche zum Studium der Nervenregeneration nicht 
eignen, entgegengetreten und hat angegeben, dass sich bei den- 
selben, wenn sie unter günstigen Verhältnissen sich befinden und 
namentlich auch gefüttert werden, der Regenerationsprozess in 
derselben Weise, wie bei Kaninchen, allerdings langsamer, voll- 
zieht. Nach meinen sehr zahlreichen Froschexperimenten kann ich 
diesen Angaben nieht nur beipflichten, sondern muss diese Thiere 
sogar ganz besonders zu Untersuchungen über die Wirkung der 
Nervenquetschung empfehlen, da die Operation, in der oben ange- 
sebenen Weise ausgeführt, eine höchst einfache ist und die danach 
eintretenden Heilungsvorgänge sich in relativ kurzer Zeit ent- 
wickeln, sodass ich z. B. schon nach 12 Tagen an der Quetsch- 
stelle neugebildete Nervenfasern zu erkennen im Stande war. Man 
erhält dieses günstige Resultat übrigens auch ohne dass man den 
Fröschen Nahrung giebt oder ihnen in anderer Beziehung eine be- 
sondere Pflege zu Theil werden lässt, wenn man nur einem Um- 
stande Rechnung trägt, der bekanntlich auf das ganze vegetative 
Leben der Frösche von entscheidendem Einfluss ist: der Jahreszeit. 
Während der Wintermonate bis zum Frühjahr hin ist die Reaktion, 
welche dem Trauma folgt, eine äusserst träge oder wohl selbst = 
Null, man sieht alsdann nicht nur die Neubildung von Nervenfasern 
ausbleiben, sondern auch die degenerativen Veränderungen des 


I) Eichhorst, über Nervendegeneration und Nervenregeneration. 
Virchow’s Archiv Bd. 59. 


310 E. Neumann: 


peripherischen Nerventheils bleiben auf einer minimalen Stufe 
stehen. Man muss sich daher lediglich an Sommerfrösche (natür- 
- lieh frisch eingefangene) halten und wählt am besten die Zeit zwi- 
schen Anfang Juni und Ende September. Die Schnelligkeit, mit 
welcher hier die Restitution eines zerquetschten Nerven erfolgt, ist 
geradezu überraschend im Vergleich mit dem torpiden Verhalten 
der Winterfrösche und die von früheren Beobachtern erhaltenen 
negativen Resultate können sich nur auf letztere beziehen. Uebri- 
gens habe ich es meistens vorgezogen, junge kleine Frösche zu 
benutzen, da sie die Operation nicht nur besser zu ertragen schei- 
nen, sondern auch die Energie des Heilungsprocesses bei ihnen 
offenbar eine grössere ist. 


1. Periphere Degeneration. Beginnen wir mit der in dem 
peripherischen Nerventheile eintretenden Degeneration. Dieselbe 
ist, wie ich besonders betonen möchte, in allen Fällen zu beobach- 
ten, in welchen später eine Restitution erfolgt; niemals habe ich 
gesehen, dass eine Neubildung von Nervenfasern an der Quetsch- 
stelle eine direkte Verbindung zwischen den Fasern des zentralen 
Nerventheils und den intakt gebliebenen peripherischen Fasern 
hergestellt hätte. Diese Thatsache scheint mir für die noch immer 
nieht entschiedene, vielmehr selbst in neuester Zeit!) in verschie- 
denem Sinne beantwortete Frage, ob durchschnittene Nerven bei 
passender Coaptation durch eine Naht prima intentione zusam- 
menwachsen können, nicht ohne Interesse zu sein, denn sicherlich 
sind die Bedingungen zu einer Wiedervereinigung in unserem Falle, 
wo die beiden Enden jeder Faser mittelst der Schwann’schen 
Scheide mit einander in Verbindung bleiben und sich in kurzer 
Distanz gegenüberstehen, als so günstige zu bezeichnen, wie sie 
durch die gelungenste Nervennaht kaum erreicht werden und, wenn 
wir trotzdem sehen, dass der vom Zentrum durch die Quetschung 
abgetrennte Nerv zunächst einer Degeneration unrettbar verfällt und 
dass demnach die Funktionsfähigkeit desselben durch in ihm neu 
entstehende Fasern wiederhergestellt werden muss, so wird eine 
prima reunio eines durchschnittenen Nerven mit Erhaltung der 
peripherischen Fasern zum Mindesten nicht als wahrscheinlich gel- 
ten können. 

Dass das nach Quetschungen auftretende Bild der paralyti- 


1) Cfr. Gluck, Virchow’s Arch., Bd. 72, p. 624. Ranvier ]. cc. p. 276. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 311 


schen Degeneration in allen Stücken übereinstimmt mit dem, wel- 
ches man nach Nervendurchschneidungen beobachtet, bedarf kaum 
einer besonderen Erwähnung, und ich kann daher, nachdem noch 
in neuester Zeit so zahlreiche genaue Beschreibungen und Abhil- 
dungen des Zustandes gegeben worden sind, welche in den 
wesentlichsten Punkten eine erfreuliche Uebereinstimmung erkennen 
lassen, hier von einer Darstellung desselben ab ovo absehen. Ins- 
besondere gilt dies von der vielbesprochenen Zerstücklung und dem 
Schwunde des Markes aus den Fasern, Erscheinungen, deren Kennt- 
niss noch kürzlich durch die Untersuchungen Colasanti’s !) vervoll- 
ständigt worden ist; es mag genügen, wenn ich hier nur einige noch 
schwebende Streitfragen berühre. 

Während früher in Betreff der degenerativen Veränderungen 
hauptsächlich die Frage kontrovers war, ob dieselben nur in der 
erwähnten Zerklüftung und allmählig vorschreitenden Resorption 
der Markscheide beständen oder ob daneben auch der Achseneylin- 
der dem Untergang anheimfällt, liegt die Sache gegenwärtig an- 
ders; fast alle Autoren erkennen an, dass die degenerirten Fasern 
weder als die leeren, ihres Inhalts gänzlich beraubten Schwann- 
schen Scheiden noch als die von letzteren bekleideten Achsen- 
eylinder zu betrachten seien, sondern dass sich bei ihnen vielmehr 
im Innern der Scheiden unter gleichzeitiger Vermehrung der Kerne 
eine eigenthümliche, der normalen Faser fremde Inhaltmasse ent- 
wickelt, welche, weder die Charaktere des Markes noch die des 
Achseneylinders an sich tragend, die Stelle beider einnimmt und 
somit einen im Allgemeinen kontinuirlichen eylindrischen, jedoch 
ungleichmässig breiten und von verschiedenen Einschliüssen unter- 
brochenen Strang darstellt. Ich glaube das Verdienst für mich in 
Anspruch nehmen zu dürfen, in einer früheren Arbeit zuerst auf 
diese den normalen Bestandtheilen sich substituirende in Osmium- 
Präparaten „matt glänzend und leicht gelblich“ erscheinende In- 
haltsmasse hingewiesen und dieselbe dadurch richtig charakterisirt 
zu haben, dass ich, was auch neuerdings Tizzoni?) adoptirt hat, 
die degenerirten Fasern als solche bezeichnete, „die in den em- 


l) Colasanti, über die Degeneration durchschnittener Nerven. Arch. 
f. Anat. u. Physiol. 1878, Physiologische Abtheilung, p. 206. 


2) Tizzoni, Referat in dem Hoffmann-Schwalbe’schen Jahres- 
bericht für 1878, p. 105. 


312 E. Neumann: 


bryonalen Zustand, in welchem eine Scheidung zwi- 
schen Mark und Achseneylinder noch nicht besteht, zu- 
rückgekehrt sind‘. Später hat Ranvier!) auf diese Substanz 
den Namen Protoplasma angewandt, welcher vollständig meiner 
Auffassung entspricht, obwohl ich bemerken möchte, dass man 
sowohl an frisch in Humor aqueus oder Blutserum als auch an nach 
Osmiumbehandlung in Wasser zerzupften Nerven an jener Sub- 
stanz vergebens nach der „körnigen“ Beschaffenheit sucht, welche 
an den meisten andern Orten zu den charakteristischen Attributen 
des Protoplasma gehört, dass dieselbe vielmehr, wenn man von den 
in sie eingelagerten Fetttröpfehen, Markballen ete. absieht, ein fast 
absolut homogenes höchstens leicht längsstreifiges Aussehen besitzt. 
— Aus der bezeichneten Auffassung ergiebt sich nun ohne Weiteres 
der Schluss, dass gleichzeitig mit der fortschreitenden Zerstückelung 
und Abnahme des Markes auch der Achseneylinder aus der Faser 
verschwindet, dass, mit anderen Worten, die Schicksale beider bei 
der paralytischen Degeneration solidarisch verknüpft sind. Ueber- 
all, wo die Osmium-Säure in leicht sichtbarer Weise eine Unter- 
breehung der Markscheide durch jene protoplasmatische Masse 
nachweist, ist auch die Kontinuität des Achseneylinders unter- 
brochen, sodass ein einheitlich beschaffener (protoplasmatischer) 
Inhalt den Querschnitt der Nervenfaser erfüllt, und je mehr der 
Markgehalt der Faser redueirt wird, desto mehr schwinden auch 
die Bruchstücke des Achseneylinders, welche sich, wie Cossy und 
Dejerine?), Engelmann?) und Ranvier‘) gezeigt haben, an- 
fänglich noch durch Carmin innerhalb der Markstücke nachweisen 
lassen. Im Widerspruch mit dieser Auffassung des Degenerations- 
prozesses stehen nur vereinzelte Angaben neuerer Untersucher, so 
behauptet Rumpff>), dass er bei Fröschen noch 16 Tage nach 
der Durchsehneidung des Ischiadieus in dem peripherischen Theil 
desselben den Achsencylinder vollständig erhalten gefunden habe, 
während bereits die Erregbarkeit erloschen war und Korrybutt- 


1) Ranvier Comptes rendus LXXV p. 1831. 1873. 

2) lc 

3) Engelmann, über Degeneration von Nervenfasern. Pflüger’s Archiv 
XIII p. 486. 

4) 1. c. I p. 328. 

5) Rumpff, Untersuchungen aus dem Heidelberger Physiol. Labora- 
torium II p. 318. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 313 


Daskiewiez!) will sich durch Anwendung von Goldcehlorid auf 
degenerirte Nerven überzeugt haben, dass in denselben Bruchstücke 
des Achseneylinders persistiren und zwar auch an solchen Stel- 
len, wo das Mark bereits verschwunden ist. Rumpff möchte ich 
indessen zu erwägen geben, ob nicht das von ihm dargestellte 
und für den Achsenceylinder erklärte eylindrische Band vielleicht 
ein durch die Behandlungsmethode (Entmarkung durch Aleohol und 
Aether) erzeugtes Artefakt (Gerinnungsprodukt?) war und in Be- 
treff der Angabe von Korybutt-Daskiewiez kann ich gleichfalls 
einen Zweifel nicht unterdrücken; bei der bekannten Launenhaftig- 
keit der Goldfärbung muss jedenfalls eine sehr grosse Sicherheit 
in der Anwendung der Methode vorausgesetzt werden, wenn ein 
Untersucher es unternimmt, daraus, dass sich gewisse Inhaltstheile 
der Fasern, die sich übrigens in keiner Weise morphologisch von 
dem übrigen Inhalt differenzirten, stärker färbten, auf ihre Natur 
als Achseneylinderbruchstücke schliessen zu wollen. 

Eine Frage von grossem Interesse ist natürlich die nach dem 
Ursprunge jener protoplasmaartigen Masse, welche sich den nor- 
malen Bestandtheilen der Nervenfasern substituirt. Die Beant- 
wortung derselben ist schwieriger als man nach den vorliegen- 
den Aeusserungen der neueren Autoren, die meistens kurz darü- 
ber hinweggehen, erwarten sollte. Ich hatte mich bei früherer Ge- 
legenheit (l. e.) dahin ausgesprochen, dass der veränderte Inhalt 
der Fasern aus einer chemischen Umwandlung des Markes her- 
vorgehe, vermöge deren die Differenzirung des Markes und Ach- 
seneylinders aufhört. In demselben Sinne haben sich später Eich- 
horst ?2) undSigmund Mayer?) geäussert; Ersterer fügte hinzu, 
dass wahrscheinlich auch der Achsencylinder eine chemische Um- 
wandlung erfährt, in Folge deren eine vollständige Verschmelzung 
zwischen ihm und dem Marke eintritt, Letzterer formulirte die Hy- 
pothese genauer, indem er eine „Alteration in dem chemischen 
und morphologischen Verhalten des Markes und Achseneylinders“, 
und die Bildung einer homogenen kernreichen Masse aus denselben, 


l) Korrybutt-Daskiewicz, über Degener. und Regener. der markhal- 
tigen Nerven. Diss. inauguralis, Strassburg 1878, p. 30. 

2) Eichhorstl. c. 

3) Sigmund Mayer, die peripherische Ganglienzelle und das sym- 
pathische Nervensystem, 1876 p. 15. 


514 E. Neumann: 


welche ‚in ihren chemischen und morphologischen Charakteren mehr 
dem Achseneylinder als der Markscheide sich nähert“, annimmt 
und hinsichtlich der Natur des im Marke eintretenden chemischen 
Processes vermuthet, dass daselbst „eine Scheidung in eine fettige 
und eine albuminoide Substanz Platz greife, von denen erstere 
sehr rasch zur Resorption gelangt, letztere aber mit der Achsen- 
eylindersubstanz einheitlich verschmilzt.‘“ Eine andere Ansicht wird 
von Ranvier vertreten. Nachdem seine Untersuchungen über 
die normale markhaltige Nervenfaser !) ihn zu dem Ergebnisse 
geführt hatten, dass nicht nur die Kerne der Schwann’schen 
Scheiden in eine Protoplasma-Masse eingebettet seien, sondern 
auch die Innenfläche derselben von einer dünnen Schicht Proto- 
plasma in mehr oder weniger beträchtlicher Ausdehnung bedeckt 
und dadurch von der Markscheide getrennt sei, glaubte er sich 
zu dem Schlusse berechtigt, dass der protoplasmatische Inhalt 
paralytisch degenerirter Fasern aus einer Vermehrung des normal 
vorhandenen Protoplasma hervorgehe, welches an Stelle der durch 
Resorption schwindenden andern Bestandtheile der Nervenfasern 
treten soll. Nicht also um eine Umwandlung des Markes und 
Achseneylinders im Protoplasma, wie ich mit Eichhorst und 8. 
Mayer annehme, sondern um eine einfache Verdrängung durch 
dasselbe würde es sich handeln. 

Eine sichere Entscheidung zwischen beiden gegenüberstehen- 
den Ansichten dürfte einstweilen unmöglich sein. Wer möchte sich 
zutrauen, ein sicheres Urtheil darüber abzugeben, inwieweit zu der 
Bildung von körnigem Protoplasma aus der hyalinen Substanz eine 
Endothelzelle, wie eine solche bei entzündlichen Prozessen vor- 
kommt, die Bestandtheile der alten Zellsubstanz verwandt werden 
oder ob etwa ein in der Zelle ursprünglich in minimaler Menge vor- 
handenes Protoplasma durch von aussen her zugeführtes Material 
wächst und die alte Zellsubstanz verdrängt? Dieselben Schwie- 
rigkeiten stellen sich in unserem Falle der Entscheidung entgegen 
und man wird sich der Ranvier'schen apodiktischen Darstellung 
gegenüber jedenfalls dessen bewusst bleiben müssen, dass nicht 
nur im Allgemeinen die Thatsache als feststehend zu betrachten 
sein dürfte, dass gewisse spezifisch ausgebildete („geformte“) Ge- 
webselemente in den indifferenten embryonalen Zustand des Proto- 


1) Ranvier, Archives de Physiol. normale et pathologique IV p. 119. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 315 


plasmas zurüickkehren können, sondern dass auch für unseren 
speziellen Fall die Annahme einer solchen Umwandlung durch 
gewisse Umstände sehr nahe gelegt wird. Ranvier selbst hat 
sich dieser Wahrnehmung nicht verschliessen können und prüft 
man seine Angaben genauer, so findet man, dass er sich der von 
mir aufgestellten „bizarren Theorie“ an einigen Stellen sehr nähert. 
Er nimmt wenigstens gleichfalls an, dass während des Degenera- 
tionsprozesses, bevor es zu der von ihm behaupteten vollständigen 
Resorption des Markes kommt, eine Aenderung der chemischen 
Konstitution desselben eintritt, in welcher Beziehung er sich auf 
die viel schwächere Färbung beruft, welche viele Markballen 
unter der Einwirkung der Osmiumsäure annehmen !). Auch über 
die Natur dieses chemischen Vorganges äussert er sich in ähnli- 
cher Weise, wie es S. Mayer gethan hatte; indem er nämlich 
das Myelin als eine Mischung von Fett und Proteinsubstanz be- 
trachtet, lässt er das Fett aus demselben bei der Degeneration 
durch einen Verseifungsprozess (la myeline est transformde en un 
savon organique ]. e. II. 17) verschwinden und in löslichem Zu- 
stande in benachbarte Gewebselemente eindringen, in welchen es 
sich wiederum in Tropfenform niederschlagen soll. Abweichend 
von der Hypothese S. Mayer’s, die Ranvier übrigens gänzlich 
ignorirt, wäre hiernach nur der Umstand, dass der Letztere schliess- 
lich auch die zurückbleibende Eiweisssubstanz des Markes durch 
Resorption aus den Fasern verloren gehen lässt, während Jener 
ein Zurückbleiben und eine Amalgamirung derselben mit der Ach- 
sencylindersubstanz vermuthet. Aber auch in dieser Beziehung 
ist der Gegensatz kein schroffer, denn Ranvier macht eine ent- 
schiedene Coneession zu Gunsten letzterer Auffassung, wenn er an 
einer Stelle seines Werkes?) das Zugrundegehen des Markes als 
eine „Absorption“ desselben durch das Protoplasma der Fasern 
bezeichnet und den Vorgang mit der Absorption von Myelinemul- 
sionen, welche in die Bauchhöhle eines Thieres eingespritzt wer- 
den, durch das Protoplasma contraktiler Zellen vergleicht. Ran- 
vier erkennt somit an, dass dem die degenerirten Fasern erfül- 
lenden protoplasmatischen Inhalte gewisse Bestandtheile der alten 
Markscheide einverleibt werden. 


1) Ranvier, Lecons, Bd. II p. 9. 
Zul e. 1, mp: 824% 


316 E. Neumann: 


Ich will hier nicht auf die von einigen anderen Autoren hinsicht- 
lich dieser Frage gemachten Angaben eingehen, welche zwar auch den 
zurückbleibenden Inhalt der Fasern als Residuum des Markes zu be- 
trachten scheinen, sich jedoch in mehr oder weniger unbestimmter 
Weise darüber aussprechen !), und beschränke mich darauf, späteren 
Untersuchern folgende zwei Beobachtungen zur Prüfung zu empfeh- 
len, in welchen ich bemerkenswerthe Stützen der Umwandlungs- 
theorie erblieke: 1) finde ich in degenerirteu Nerven nicht selten 
Fasern, welche an gewissen Stellen einen ganz allmähligen Ueber- 
gang zwischen markhaltigen und marklosen Theilen zeigen, indem 
an Osmiumpräparaten die dunkelblauschwarze Farbe der ersteren 
sich in ein mattes Grau verliert, welches alsdann in den leicht 
gelblichen Schimmer übergeht, welcher den marklosen „protoplas- 
matischen“ Theilen zukommt. Ich habe diese Thatsache bereits 
früher (l. e. p. 201) hervorgehoben und muss an der Richtigkeit der 
Beobachtung festhalten ; Fig. 3 möge zur Illustration derselben dienen. 
In der Regel sind freilich die schwarzen Markmassen aufs Schärfste 
gegen die farblosen Theile abgegrenzt; 2) im Beginn des Dege- 
nerationsprozesses finden sich öfters umschriebene, Markdefekte und 
entsprechende Protoplasmaanhäufungen an Stellen, wo eine Prä- 
existenz von Protoplasma bisher nicht erwiesen ist, nämlich an 
peripherischen Stellen, wo keine Kerne vorhanden sind (Fig. 9), 
somit namentlich an den Enden der interannulären Segmente beider- 
seits von den Ranvier’schen Schnürringen (Fig. 8). Die sichere Fest- 
stellung dieser Thatsache, welche, wie mir scheint, einen entschei- 
denden Beweis für die Möglichkeit einer Umbildung des Inhalts 
der Fasern in Protoplasma abgeben würde, unterliegt allerdings 
grossen Schwierigkeiten und es ist mir wohl bekannt, dass nach 
Ranvier dem Protoplasma in den normalen Fasern eine sehr 
weite Verbreitung zukommt, indem er nicht nur die Innenflächen 
der Sehwann’schen Scheiden in der ganzen Ausdehnung der in- 
terannulären Segmente von einer dünnen Protoplasmaschicht be- 
kleidet sein lässt, sondern auch ein Eindringen desselben in die 
Inzisuren der Markscheide und einen Uebergang desselben an 
den Schnürringen auf den Achseneylinder, um welchen es eben- 


1) Am unzweideutigsten ist die Angabe von Korrybutt-Daskiewicez 
l. c. p. 34 „das Mark wird umgewandelt, um in der Folge als Material 
für die Neubildung verbraucht zu werden“. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 817 


falls einen vollständigen Ueberzug bilden soll, annimmt !). Diese 
Aufstellungen sind indessen bisher, soweit mir die Literatur be- 
kannt ist, von keinem andern Beobachter bestätigt worden. Ran- 
vier selbst hat sich an einem andern Orte ?2) neuerdings mit viel 
grösserer Reserve darüber ausgesprochen (‚chez les jeunes sujets, 
la masse de protoplasma, qui entoure le noyan du segment inter- 
annulaire est plus considerable; on peut la suivre & une plus 
grande distance sous la membrane de Schwann en dehors des 
limites du noyan, elle semble m&me la doubler dans toute son 
etendue“) und Engelmann?) sagt mit grosser Bestimmtheit „die 
den Kern bergende, im Längsprofil spindelförmige protoplasmaar- 
tige Masse hat höchstens 2 bis 3 Mal die Länge des Kerns, über 
diese Entfernung hinaus lässt sie sich nicht erkennen.“ Von der 
Erledigung dieser noch schwebenden Streitfrage wird es natürlich 
abhängen, in welcher Weise die obige Beobachtung an degene- 
rirten Nerven zu deuten ist. — Schliesslich bemerke ich in 
Bezug auf die kürzlich von Tizzoni®) und Korybutt- Das- 
kiewiez) aufgestellte Behauptung, dass der Hauptfaktor bei der 
Zerstörung der Markscheide das Eindringen von Wanderzellen 
sei, welche das Myelin in sich aufnehmen und theils im Innern 
der Fasern umbilden, theils damit beladen wieder heraustreten 
sollen, dass ich diesem Momente jedenfalls eine nur untergeordnete 
Bedeutung für die periphere Degeneration beilegen kann, da ich 
jenseits der Quetschstelle nur sehr selten in den Fasern Wander- 
zellen ähnliche Gebilde gesehen und noch weniger mich von dem 
häufigen oder konstanten Vorkommen Myelin beladener Zellen aus- 
serhalb der Fasern überzeugen konnte. 

Wie schon oben erwähnt, ist der protoplasmatische Inhalt 
der degenerirten Nerven stets reich an Kernen. Dass es sich da- 
bei um eine wirkliche Vermehrung der normal vorhandenen Kerne 
handle, habe ich gegen Sehiff®), welcher meinte, dass die prä- 
existenten Kerne nach dem Verschwinden der Markscheide nur in 
grösserer Zahl deutlich sichtbar hervortreten, nachgewiesen und 


1) Ranvier, Lecons, Bd. I p. 119. 

2) Ranvier, Traite technique d’histologie, p. 735. 

3) Engelmann I. c. p. 475. 

4) Tizzoni, Zentralbl. f. d. medizin. Wiss. 1878, Nro. 13. 
5) Korrybutt-Daskiewicz l. ce. 

6) Schiff, Archiv f. gemeinschaftl. Arbeiten, I p. 609. 1854. 


318 E. Neumann: 


ist gegenwärtig wohl fast allgemein anerkannt, nur Engelmann !) 
hat auffälliger Weise noch in neuerer Zeit einen unzweifelhaft 
unbegründeten Widerspruch dagegen erhoben. Wenn es auch einige 
Schwierigkeiten hat, sich hiervon an ungefärbten Osmiumpräpa- 
raten zu überzeugen, da die Umrisse der Kerne selbst hier nur 
wenig deutlich sich aus dem mattglänzenden Protoplasma hervor- 
heben und auch dem geübten Auge meistens nur die stärker glän- 
zenden, häufig erheblich grossen, rundlichen Kernkörperchen sicht- 
bar sind, so sind doch Präparate, die nachträglich mit Carmin, Hä- 
matoxylin, Bismarekbraun behandelt worden, ganz unzweideutig, 
insbesondere seitdem wir durch Ranvier wissen, dass je einem 
interannulären Segment der normalen Faser nur ein Kem zu- 
kommt. Die im Allgemeinen sehr unregelmässige, häufig gruppen- 
weise Vertheilung der Kerne ist von Eichhorst, Cossy und 
Dejerine, Ranvier u. A. in vortrefflichen Abbildungen wieder- 
gegeben und bedarf deshalb keiner wiederholten Beschreibung; 
um so unvollkommener ist unsere Kenntniss über ihren Ursprung. 
Da ich eine „Einwanderung von Kernen“, wie Korybutt - Das- 
kiewicz will, aus dem oben angeführten Grunde nicht gelten lassen 
kann, so bleibt meines Dafürhaltens nur die Alternative zwischen einer 
Kernvermehrung durch Theilung, welche von den meisten Autoren 
bisher angenommen, von den Wenigsten aber durch Beobachtungen 
gestützt ist, und einer freien Kernbildung, wie sie S. Mayer 
wahrscheinlich zu machen gesucht hat. Detaillirte Angaben über 
das Vorkommen von Theilungsformen der Kerne, welche dem alten 
von Remak aufgestellten Schema (Vergrösserung des Kerns, bis- 
quitfürmige Einschnürung und Theilung des Kernkörperchens, 
später \des Kerns selbst) entsprechen, sind von Ranvier (l. e. II 
p. 3) nach Beobachtungen an Kaninchen gemacht worden, und man 
wird sich hiernach allerdings schwer von dem Gedanken einer 
Kerntheilung lossagen können; trotzdem kann es nach den neue- 
sten Erörterungen Flemmin g’s ?) vielleicht zweifelhaft erscheinen, 
ob man berechtigt ist, aus den von Ranvier beschriebenen Bil- 
dern einen solchen Schluss zu ziehen. Ich habe Aehnliches 
einige Male gleichfalls bei Kaninchen, nicht aber bei Fröschen 
gesehen und möchte einstweilen glauben, dass die Mayer’sche 


1) Engelmann, 1. c. p. 486. 
2) Flemming, über das Verhalten des Kerns bei der Zelltheilung etc, 
Virch. Archiv, Bd. 77 p. 1. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 319 


Idee einer freien Entstehung von Kernen in dem Protoplasma der 
Fasern um so weniger zu verwerfen ist, als auch unter anderen 
Verhältnissen nach mehrfachen Angaben !) eine antochthone Kern- 
bildung in den Achsencylindern kernloser Fasern vorzukommen 
scheint. Man möge wenigstens nicht vergessen, dass, um die in 
degenerirten Fasern zu beobachtende Verbreitung der Kerne über 
alle Theile derselben aus einfachen Kerntheilungen zu erklären, 
man gezwungen wäre, entweder eine Aktivität der Kerne selbst, 
welche sie zu Wanderungen innerhalb der Fasern befähigt, oder 
lebhafte Protoplasmaströmungen anzunehmen, denen die Kerne fol- 
gen. Diese beiden Annahmen dürften aber nach unserem gegen- 
wärtigen Wissen keine grosse Wahrscheinlichkeit für sich haben 
und sie erscheinen insbesondere für diejenigen Fälle unstatthaft, 
in welchen man zwischen die in kurzen Intervallen (von 0,05 bis 
0,2 mm) gelegenen Kerne eylindrische Bruchstücke des Markes, 
welehe die Scheide der Fasern vollständig erfüllen und die 
Kerne von einander absperren, eingeschaltet findet. Ich habe 
solehe Bilder bei Winterfröschen öfters gefunden, bei denen selbst 
nach längerer Zeit der Degenerationsprozess in einem Anfangs- 
stadium stehen geblieben war (Fig. 4, 5, 7). Sehr auffällig war 
mir hier auch das öftere Vorkommen von Kernen zu beiden Sei- 
ten einer Einschnürung, welche ich für einen veränderten Ranvier- 
schen Schnürring halten musste, also an einer Stelle, wo früher 
keine Kerne präexistirten (Fig. 6). 

Noch eine andere Frage hat selbst in neuester Zeit eine ver- 
schiedene Beantwortung gefunden, die Frage nämlich, welchen 
Gang die Degeneration in den vom Centrum abgetrennten Nerven 
einschlägt. Während Tizzoni die Behauptung Erb’s, dass die- 
selbe in centrifugaler Richtung vorschreitet, bestätigt, will sich 
Colasanti überzeugt haben, dass sie, wie schon früher Beneke 
(l. e.) angegeben, „gleichzeitig und gleichmässig“ sämmtliche Ab- 
schnitte des peripherischen Nervenstückes ergreift und Ranvier?) 
erneuerte eine dritte, vor längerer Zeit von W. Krause 3) ausge- 


1) H. Müller, Würzb. Med. Zeitschr. I, p. 531. Roth, Virchow’s 
Archiv Bd. 55 p. 157, Bd. 58 p. 255. 
2) Ranvier, Lecons, II, p. 549. 
3) W. Krause, die terminalen Körperchen der einfach sensiblen Ner- 
ven, p. 26. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 22 


320 E. Neumann: 


sprochene Ansicht, dass nämlich die degenerativen Veränderungen 
in den peripherischen Endausbreitungen des Nerven beginnen und 
von hier centripetal nach oben hinauf rücken. Da sich meine eige- 
nen Untersuchungen nicht auf die letzten Nervenendigungen erstreckt 
haben, so vermag ich die letztere Angabe, insofern sie den sehr 
früzeitigen Eintritt der Degeneration in denselben (nach Ranvier 
bei Kaninchen bereits in 24 Stunden) betrifft, nicht zu bestreiten, 
dagegen muss ich mich in Bezug auf das Verhalten der weiter 
aufwärts gelegenen Theile der Nervenbahn entschieden an Erb 
anschliessen. Gerade die Frösche sind, wie dieser Forscher be- 
reits erinnert, wegen des relativ langsamen Ablaufs des Prozesses 
für die Entscheidung der in Rede stehenden Frage ein sehr gün- 
stiges Untersuchungsobjekt. Bei einem Vergleich von Nerven- 
stiieken des Ischiadieus nahe unterhalb der Quetschungsstelle und 
anderen, welche den Unterschenkel- oder Fussnerven entnommen 
waren, habe ich ganz konstant gefunden, dass die Veränderungen 
in ersteren immer weiter vorgeschritten waren als in den letzte- 
ren; je weiter ich mieh von der Stelle der Läsion entfernte, ein 
desto früheres Stadium der Degeneration stellte sich heraus. Na- 
türlich gilt dies nur für diejenige Periode, in welcher der Process 
noch in der Ausbildung begriffen ist; hat derselbe seine Höhe er- 
reicht, so lässt sich ein Unterschied der mehr central oder peri- 
pherisch gelegenen Abschnitte des Nerven in Bezug auf die dege- 
nerativen Veränderungen nicht mehr wahrnehmen, sondern nur 
hinsichtlich der mittlerweile zu Stande gekommenen regenerativen 
Vorgänge, von welchen ich hier gleich bemerken will, dass ich 
sie bei meinen Versuchen ebenso wie die Degeneration, stets in 
centrifugaler Richtung fortschreiten sah. — Von besonderem In- 
teresse erschien mir die Beachtung der Frage, ob die, wie bereits 
erwähnt, sehr schnell eintretende Neubildung von Nervenfasern an 
den Quetschstellen dem weiteren Fortschritte derDegeneration in dem 
peripherischen Stücke Einhalt thut, wie man nach den über die 
schnelle Herstellung der Nervenleitung in durchschnittenen und wie- 
der durch die Naht vereinigten Nerven gemachten Angaben vermu- 
then sollte. Ich muss diese Frage aufs Bestimmteste verneinen. Wäh- 
rend ich zu der Zeit, wo die „Ueberbrückung‘“ der Quetschstelle 
durch neue Fasern beginnt (nämlich bei Sommerfröschen nach 2 
Wochen) die Degeneration selbst in der Nähe dieser Stelle noch 
wenig vorgeschritten fand, so war dieselbe später im ganzen peri- 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 321 


pherischen Nerven hochgradig entwickelt, hatte also gleichzeitig 
mit der Regeneration weitere Fortschritte gemacht. Es ergiebt 
sich hieraus, dass eine einfache Restitution der alten Fasern, ein 
Rückgängigwerden des Degenerationsprozesses selbst bei Beginn 
desselben nicht mehr möglich ist, dass der Nerv vielmehr stets 
seine später wieder eintretende Leitungsfähigkeit neugebildeten 
Fasern verdankt. 

2. Die Veränderungen der Quetschstelle Wir ge- 
langen hiermit zu der Betrachtung derjenigen Vorgänge, welche der 
Nervenquetschung eigenthümlich sind und für welehe die Unter- 
suchungen an durchschnittenen Nerven keine Analogie bieten. 
Erinnern wir uns des Zustandes der Nervenfasern, welcher als das 
unmittelbare Ergebniss der Umschnürung sich ergiebt, so würde 
die Frage, deren Beantwortung uns jetzt obliegt, sich einfach so 
gestalten: wie kommt die Ausfüllung derjenigen Nervenstrecke, 
aus welcher durch die Quetschung der Inhalt ausgepresst worden 
ist, mit neuer leitungsfähiger Nervensubstanz zu Stande? oder mit 
anderen Worten: wie bilden sich in dem leeren Theile der 
Schwann’schen Scheide neue Nervenfasern? Dass in der That die 
zwischen centralem und peripherischem Nervenstücke die Verbindung 
herstellenden Schwann’schen Scheiden sich im Verlaufe des gan- 
zen Regenerationsprozesses erhalten, und dass die Faserneubil- 
dung innerhalb derselben erfolgt, kann nicht dem mindesten 
Zweifel unterliegen und es wäre durchaus irrig, anzunehmen, dass 
es zu irgend einer Zeit durch den Untergang dieser Scheiden in 
den Quetschstellen in ähnlicher Weise, wie bei Durchschneidun- 
gen, zu einer Aufhebung der Faserkontinuität käme. Diesem Um- 
stande verdanken wir es, dass wir für diesen Fall eine jede Be- 
theiligung der ausserhalb der Fasern befindlichen Gewebs- 
theile, insbesondere des Peri- und Endoneurium, an der Faserneu- 
bildung, wie eine solche für den Heilungsprozess nach Nerven- 
durchscheidungen noch in neuester Zeit behauptet worden ist !), 
ausschliessen und von vornherein annehmen dürfen, dass die durch 
die Quetschung lädirten Nerven selbständig aus sich heraus sich 
regeneriren. Der einzige Einwand, der hiegegen erhoben wer- 
den könnte, besteht in der Möglichkeit, dass Wanderzellen die 


1) Gluck, Experimentelles zur Frage der Nervennaht und der Nerven- 
regeneration, 1. c. 


322 E. Neumann: 


Schwann’schen Scheiden penetriren und alsdann bei der Neubil- 
dung der Fasern eine Rolle spielen. Ich muss diesen Einwand, 
obwohl derselbe durch die sehon erwähnten Angaben von Tizzoni 
und Korybutt-Daskiewicz eine gewisse faktische Unterlage 
zu erhalten scheint, für durchaus unerheblich halten, da ich nach 
meinen Erfahrungen das Eindringen soleher Zellen an der Quetsch- 
stelle ebenso wie in dem übrigen peripherischen Nerventheil für 
ein nur ausnahmsweises halten kann und überdies nichts beob- 
achtet habe, was die an sich unwahrscheinliche und selbst von 
Tizzoni nicht behauptete Betheiligung dieser eingewanderten 
Zellen an dem Regenerationsprozesse wahrscheinlich zu machen 
geeignet wäre. 

Der folgenden Beschreibung der von mir an der Quetsch- 
stelle beobachteten Erscheinungen liegen vor Allem Isolationsprä- 
parate der Fasern zu Grunde, die sich, wie schon erwähnt, leicht 
herstellen lassen, da ein die Fasern fest verlöthendes Narbenge- 
webe fehlt. Ich verfuhr meistens in der Weise, dass der Nerv 
nahe oberhalb und ebenso unterhalb der Quetschstelle durchschnit- 
ten wurde und dieses exeidirte Stück alsdann nach vorheriger Be- 
handlung in Osmium und Aq.-destillata durch Zerzupfen in seine 
einzelnen Fasern zerlegt wurde. War der peripherische Degenera- 
tionsprozess aber, wie es in den früheren Stadien der Fall ist, 
noch wenig ausgebildet, so fand ich es, um eine Verwechslung 
zwischen peripherischen und centralen Theilen der Fasern zu ver- 
meiden, rathsam, den Nerv an der Quetschstelle selbst zu durch- 
schneiden und alsdann das Endstück beider Nerventheile einer 
gesonderten Untersuchung zu unterwerfen. In Bezug auf den 
Zeitraum, über welchen sich meine Beobachtung erstreckt, sei fer- 
ner bemerkt, dass ich, obwohl die entscheidenden Vorgänge be- 
reits in die ersten Wochen fallen, ich es doch nicht versäumt habe, 
die operirten Thiere zum Theil auch in sehr viel späteren Termi- 
nen (bis zum 95. Tage hin) zu untersuchen. 

Die ersten Veränderungen, welche auftreten, bestehen darin, 
dass 1) die kollabirten Primitivscheiden der Fasern sich wiederum 
mit einer geringen Menge kleiner krümliger Markpartikelchen 
füllen und dadurch etwas an Breite gewinnen (Fig. 10) und dass 
2) sowohl ober- als unterhalb eine Zerstücklung des Markes, ein 
Zerfallen desselben in unregelmässige Bruchstücke von verschiede- 
ner Länge stattfindet. Die erstere Erscheinung dürfte ihre ein- 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 323 


fachste Erklärung darin finden, dass in den beiderseits an die 
Quetschstelle zunächst anstossenden Theilen der Nervenfasern das 
daselbst zusammengepresste und in seiner molekulären Struktur 
durch den mechanischen Eingriff alterirte Mark in ähnlicher Weise, 
wie es Ranvier !) bei Discisionen für das die Sehnittenden er- 
füllende Mark angiebt, dem quellenden Einflusse eindringender 
Diffussionsströme ausgesetzt ist; natürlich wird unter solchen Ver- 
hältnissen ein Theil des Markes in die entleerten Theile der Fa- 
sern zurückstauen müssen, da sich seiner Expansion nach dieser 
Richtung hin der geringste Widerstand entgegenstellt. Jedenfalls 
haben diese, schon in den ersten Tagen sich zeigenden aus kleinen 
Markkrümeln zusammengesetzten Inhaltsreste der gequetschten Fa- 
sern keine direkte Beziehung zu der Regeneration, es lässt sich 
annehmen, dass sie durch einfache Resorption später verschwinden. 
Was 2) die an die Quetschung sich beiderseits anschliessende 
Zerklüftung des Markes in gewissen Strecken betrifft, so handelt 
es sich hier um dieselbe Erscheinung, die man bekanntlich auch 
an den Endstücken durchschnittener Nerven wahrnimmt und für 
welche neuerdings von Colasanti die Bezeichnung ‚‚traumatische 
Veränderung‘ zur Unterscheidung von den Degenerationsvorgängen 
im peripherischen Nerven gebraucht worden ist. Nach meinen 
Beobachtungen gestalten sich diese Veränderungen in äusserst un- 
regelmässiger Weise, so dass fast jede Faser ein anderes Bild dar- 
bietet, kleine Markkrümel, runde Markballen, eylindrische Mark- 
fragmente wechseln nicht nur in der verschiedensten Weise mit 
markleeren Strecken, sondern es finden sich auch Stellen, in denen 
(nach Osmiumfärbung) gefärbte und farblose Theile durch allmähliges 
Abklingen der Farbe in einander übergehen. Was das Verhältniss 
dieses Zustandes der zunächst an die Quetschstelle anstossenden 
Fasertheile zu der peripherisehen Degeneration betrifft, so trat bei 
meinen Versuchen die letztere stets so frühzeitig ein, dass sie sich 
unmittelbar an jene anschloss, niemals konnte ich demnach einen 
Ranvier’schen Schnürring als Grenze derselben konstatiren, wie 
es Engelmann bei seinen Durchschneidungsversuchen, in denen 
die periphere Degeneration selbst nach Wochen noch nicht einge- 
treten war, fand !). Ebensowenig aber ergaben meine Beobachtungen 


l) Ranvier, Lecons, Bd. I p. 292. 
1) Offenbar rührt diese Differenz davon her, dass Engelmann unter 
ganz anderen Verhältnissen operirte. Er benutzte erwachsene Exemplare 


324 E. Neumann: 


eine Bestätigung der Angabe Engelmann’s, dass der centrale 
Theil der Faser sich nur unterhalb des ersten Schnürrings verän- 
dert zeigt und oberhalb desselben sein normales Ansehen beibe- 
hält: vielmehr habe ich nur ausnahmsweise an derjenigen Stelle, wo 
der Uebergang der mit zerklüftetem Mark erfüllten Fasern zu der 
normalen Struktur stattfand, einen Ran vier’schen Schnürring ge- 
sehen, fast immer befand sich diese Uebergangsstelle innerhalb 
eines interannulären Segments. Ich vermag jedoch nicht darüber 
zu entscheiden, ob die Veränderung oberhalb oder unterhalb des 
zunächst über der Quetschstelle gelegenen Schnürrings Halt gemacht 
hatte, denn es lässt sich vermuthen, dass, ebenso wie in den peri- 
pherischen degenerirenden Fasern, auch in diesen centralen Faser- 
theilen, soweit sie von der „traumatischen Veränderung“ betroffen 
werden, die Sehnürringe unkenntlich werden. 

Ehe ich mit der Beschreibung der Veränderungen fortfahre, 
muss hier die Frage berührt werden, ob wir berechtigt sind, die 
oberhalb der Quetschstelle sich zeigenden Veränderungen mit denen, 
welche unterhalb derselben eintreten und sich centrifugal in den 
Fasern verbreiten, zu identifieiren? Es ist bekannt, dass diese 
Frage für die Nervendurchschneidungen, bei welchen ganz ähn- 
liche Verhältnisse vorliegen, in verschiedenem Sinne beantwortet 
ist. Dass auch hier die Fasern des centralen Stumpfes nicht in- 
takt bleiben, haben zuerst Schiff!) und Lent ?) beobachtet; spä- 
ter habe ich in meiner Arbeit über Nervenregeneration ®) nicht 
Anstand genommen, zu behaupten, dass der hier eintretende Pro- 
zess im Wesentlichen mit dem der peripheren Degeneration iden- 
tisch sei, und hahe demnach die oben aufgeworfene Frage hinsicht- 
lich der Nervendurehschneidungen bejaht. Nachdem sodann Eich- 
horst ) sich meiner Auffassung angeschlossen, trat Ranvier °) mit 
der gegentheiligen Behauptung hervor, dass zwischen den Verände- 
rungen des centralen Stumpfes und denen des peripheren Abschnit- 


von Rana esculenta in einer für die Entwicklung der De- und Regeneration 
ungünstigen Jahreszeit (März bis Mai); ich dagegen hatte es mit jungen, 
frischeingefangenen Sommerfröschen zu thun. 

1) Schiff Il. ce. p. 609. 

2) Lent, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie VII p. 147. 

3). C2 9.7208: 

4) Eichhorst l. ce. p. 21 Separatabdr. 

5) Ranvier, Comptes rendus LXXV p. 1831 und LXXVI p. 491. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 325 


tes sehr wesentliche Differenzen obwalten, indem dort das Mark, 
anstatt durch ein energisches Wachsthum des Kernes und des Pro- 
toplasma in einzelne Bruchstücke zerfällt zu werden, eine Zerthei- 
lung in feine Fetttröpfehen erleidet, der Achsenceylinder aber 
nieht nur bis zur Durchschneidungsstelle hin sich erhal- 
ten, sondern sogar hypertrophiren soll. Auch in seiner spä- 
teren Veröffentlichung !) hält er hieran fest, obwohl er sich doch 
gezwungen sieht zuzugestehen, dass wenigstens in einer gewissen 
Zahl von centralen Fasern die Erscheinungen sich denen, welche man 
im peripherischen Nerventheile beobachtet, sehr ähnlich gestalten °). 
Sieht man sich bei anderen neueren Untersuchern um, so scheint 
es, dass Ranvier’s Aufstellung bei denselben keinen Anklang ge- 
funden; mehrere derselben sprechen sich sehr entschieden gegen die- 
selbe aus; so giebt z.B. Tizzoni an, dass „nach Durchschneidung 
eines Nerven sowohl dessen centraler Stumpf als der peripherische 
einer Entartung der Markscheide und des Achseneylinders anheim- 
falle, nur verlaufen diese degenerativen Prozesse in letzterem ra- 
scher und vollständiger“; Rumpff lässt ebenfalls in dem centralen 
Stücke „die Auflösung eines Theils des gequollenen Achsenceylin- 
ders“ erfolgen und protestirt ausdrücklich gegen Ranvier’s An- 
nahme einer Hypertrophie desselben und Sigmund Mayer äus- 
sert sich dahin, dass die „sogenannten degenerativen Umwandlun- 


1) Ranvier, Lecons Bd. II p. 31. 

2) ibidem p. 39 (‚„quelquesuns fibres montrent une segmentation ana- 
loque & celle des tubes du segment peripherique“) u. p. 72 („nous avons 
observe dans le segment central des modifications de la myeline & peu pres 
analogues & celles, qui se produisent dans le segment peripherique“). Hier- 
nach muss jedenfalls die Kritik, welche Ranvier an Eichhorst’s Arbeit, 
dem er einen schweren Vorwurf daraus macht, dass er beide Enden eines 
durchschnittenen Nerven in gleicher Weise degeneriren lässt, ausübt, sehr 
ungerecht erscheinen. Ganz unverständlich aber ist es, wenn Cossy und De- 
jerine (l. c. p. 581) gleichfalls meinen und Eichhorst’s Angaben wider- 
sprechen und gegen dieselben als Beweis anführen, dass sie selbst in einem 
20 Jahre alten Amputations-Stumpfe normale Nervenfasern angetroffen hätten ! 
Bei einiger Aufmerksamkeit hätten die genannten Untersucher sicher erkannt, 
dass sich jene Angaben nur auf die erste Zeit (vor eintretender Faserneu- 
bildung) und auf das centrale Schnittende des Nerven beziehen, und sie 
hätten sich alsdann vielleicht veranlasst gefunden, ihre hinsichtlich des Zu- 
standes der Nervenfasern innerhalb der ersten Wochen nach der Durchschnei- 
dung aufgestellte entschieden irrthümliche Behauptung „le bout central d’un 
nerf sectionne presente une integrit& absolue‘‘ näher zu prüfen. 


326 E. Neumann: 


gen am centralen Stumpfe ebenso auftreten wie am peripheren“ 
und schliesst sich in Bezug auf die Auffassung des Wesens dieser 
Vorgänge für beide Theile meiner und Eichhorst’s Ansicht an 
(1. e. p. 61). Was nun den Erfolg der Nervenquetschung betrifft, 
so muss ich gleichfalls daran festhalten, dass sich die im centralen 
Faserende eintretenden Veränderungen nieht wesentlich von den- 
jenigen unterscheiden, welche im ganzen peripherischen Verlauf der 
Nervenfasern eintreten und behaupten, dass, soweit die Osmium- 
säure eine Kontinuitätstrennung des Markes dokumentirt, auch eine 
Zerstückelung des Achseneylinders stattfindet, welche mit dem völ- 
ligen Untergange desselben endet, wenigstens ist es mir niemals ge- 
lungen, in den Interstitien zwischen den Markstücken, obwohl man 
doch erwarten sollte, dass hier die Wahrnehmung des Achseneylinders, 
falls derselbe sich erhalten sollte, durch das Fehlen der Markes er- 
leichtert sein müsste, denselben zu konstatiren. Vielmehr finde ich, dass 
in unmittelbarer Nähe der Quetschstelle der von den Sehwann’schen 
Scheiden umfasste Raum zwischen den Markfragmenten leer ist und 
dass er weiter aufwärts von einer farblosen, in Bezug auf ihr Bre- 
chungsvermögen mit dem Protoplasma übereinstimmenden, jedoch 
homogenen Substanz ausgefüllt wird, welche sich genau so wie in 
den peripherischen Nervenabschnitten verhält, so dass das anato- 
mische Bild hier ein ganz übereinstimmendes ist. Demgemäss 
glaube ich annehmen zu dürfen, dass, soweit die durch die Quet- 
schung bedingte moleculäre Alteration des Markes sich erstreckt, 
dasselbe sich gleichsam wie ein Caput mortuum verhält und sammt 
dem von ihm umschlossenen Theile des Achsencylinders einer 
einfachen Resorption anheimfällt, dass aber darüberhinaus in den 
von der mechanischen Wirkung der Quetschung nicht betroffenen 
Theilen der Nervenfasern eine reactive Thätigkeit eintritt, welche, 
wie bei der peripheren Degeneration in der Hauptsache darin be- 
steht, dass auf Kosten des normalen Inhalts der Fasern eine ver- 
mehrte Bildung von protoplasmaartiger Substanz stattfindet, wobei 
ich es wiederum dahingestellt sein lassen muss, in wieweit es 
sich dabei um eine Umbildung des Markes und des Achseneylin- 
ders oder vielmehr um eine einfache Verdrängung durch das 
ursprünglich in deren Fasern vorhandene, sich vermehrende Pro- 
toplasma handelt. 

Schon in 5, 6 Tagen hat sich das Aussehen der Fasern ver- 
ändert. Das hier vorliegende Stadium des Prozesses ist dadurch 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 327 


charakterisirt, dass in der ganzen Ausdehnung der Quetschwirkung 
eine Erfüllung derSchwann’schen Scheiden mit jener protoplasmaar- 
tigen Substanz zu Stande gekommen ist und dass gleichzeitig eine 
Kernvermehrung sichtbar wird (Fig. 11, 12). Die Fasern erscheinen 
daselbst als schmale mattglänzende Bänder oder Stränge, welche 
mit einer mehr oder weniger grossen Zahl von Kernen besetzt sind 
und nach beiden Seiten hin allmählig sieh verbreitern. Ihr Ueber- 
gang zu den normal beschaffenen centralen Fasern wird durch 
Abschnitte vermittelt, in welehen noch verschieden reichliche 
Marküberreste und Fetttröpfehen neben kernreichem Protoplasma 
enthalten sind und ebenso bezeichnen an Menge zunehmende Mark- 
massen den Uebergang zu den peripherischen, in beginnender De- 
generation begriffenen Fasern. 

Welches ist der Ursprung dieser Protoplasmamasse, welche die 
Fasern an den durch die Quetschung ihres Inhalts beraubten, später, 
wie wir gesehen haben, einige kleine Markkrümel enthaltenden 
Parthieen erfüllt? Wir haben uns hier, wie es scheint, zwischen 
folgenden Möglichkeiten zu entscheiden: entweder konnte der Her- 
gang der sein, dass bei der Quetschung gleichzeitig mit den Kernen 
(s. oben) auch eine geringe Menge Protoplasma in den gequetschten 
Theilen der Fasern zurückbleibt und dass diese nunmehr unter gleich- 
zeitiger Vermehrung der Kerne zunimmt, so dass schliesslich eine 
vollständige Ausfüllung der leeren kollabirten Scheiden zu Stande 
kommt oder man müsste statuiren, dass von den beiden an die 
Quetschstelle anstossenden Theilen der Faser aus, das daselbst 
auf Kosten des Markes und Achseneylinders sich bildende Proto- 
plasma sich allmählig in die leeren Abschnitte der Scheide ein- 
schiebt und sie erfüllt. In letzterem Falle würde die Mitte der 
Quetschstelle am längsten in dem kollabirten Zustande verbleiben, 
im ersteren könnte dagegen die Verbreiterung derselben gleichzeitig 
in ihrer ganzen Länge stattfinden. Meine Beobachtungen sprechen 
mehr für das letztere Verhältniss, doch ist es mir nicht gelungen, 
wie man erwarten könnte, im Umfange der Kerne gesonderte 
Protoplasma-Massen zu sehen, deren spätere Verschmelzung zu einer 
kontinuirlichen Ausfüllungsmasse anzunehmen wäre). 


1) Ich erwähne hier beiläufig eine Beobachtung, welche ich an den 
Gefässen der Quetschstelle machte. Schon makroskopisch zeichnete sich, 
wie oben angegeben, die letztere einige Tage nach der Operation durch eine 


328 E. Neumann: 


3. Regeneration. In dem beschriebenen Zustande sind 
die Fasern vorbereitet zur Erzeugung neuer, von den alten 
Schwann’schen Scheiden umschlossener Fasern, deren erste si- 
chere Spur ich, wie angegeben, bereits am 12. Tage nach der 
Operation wahrnehmen konnte — ein Zeugniss für die geringere 
Bedeutung des Eingriffs im Vergleiche zur Durchschneidung, bei 
welcher Eichhorst als frühesten Termin für die beginnende Re- 
generation bei Fröschen den 30. Tag bezeichnet hat (l. e. p. 20). 

Bei ihrem ersten Auftreten erscheinen die neuen Fasern als 
blasse, schmale Bänder von homogenem Aussehen, welche im In- 
nern der altenFaserscheiden eingeschlossen sind, theils 


starke Röthung aus; bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich als 
Ursache dieser Erscheinung grosse Mengen freiliegender rother Blutzellen 
(neben weniger reichlichen farblosen, zum Theil Marktröpfchen in sich ein- 
schliessenden Wanderzellen), welche die Nervenfasern auseinander drängten. 
Ich war anfänglich geneigt, dieses Extravasat auf eine durch die Quetschung 
bewirkte Gefässzerreissung zu beziehen; bald jedoch erkannte ich eine an- 
dere Ursache desselben und es ist mir dadurch um so mehr zweifelhaft ge- 
worden, ob die Zerquetschung in der oben beschriebenen Weise mit einem 
Faden ausgeführt, zu einer Kontinuitätstrennung der in den Nerven einge- 
schlossen und durch das Neurileum vor direkter Berührung mit dem Faden 
geschützten Gefässe Veranlassung giebt, als die Blutung nicht unmittelbar 
nach der Quetschung, sondern immer erst einige Tage nachher einzutreten 
scheint. Dagegen lässt sich mit grosser Sicherheit eine Haemorrhagia per 
diapedesin feststellen; stets zeigten sich nämlich in den Fällen, wo ein 
erhebliches Extravasat im Nerven vorgefunden wurde, im Bereiche der Quetsch- 
stelle die zwischen den Nervenfasern verlaufenden capillaren Gefässe stark 
erweitert, strotzend mit dichtzusammengepressten rothen Blutkörperchen er- 
füllt und nach Fixirung durch Osmium-Säure liessen sich noch deutlich ein- 
zelne Körperchen erkennen, welche, im Durchtritt durch die Gefässwand be- 
griffen, in dieselbe eingeklemmt waren. Hier war also auf mechanische 
Weise durch die Quetschung eine moleculäre Alteration der Gefässwände 
erzeugt worden, welche (wahrscheinlich in Folge vermehrter Reibungswider- 
stände) zu einer Stockung des Blutstromes, einer Aufstapelung der Blutzellen 
und unter der Einwirkung des Blutdrucks zu einem Austritt derselben aus 
den Gefässen geführt hatte. — Sollte nicht manchen der nach starken Kontu- 
sionen beim Menschen sich langsam ausbildenden Blutungen derselbe Vorgang 
zu Grunde liegen? — An der Arteria cruralis sah ich als Folge der 
quetschenden Umschnürung wiederholt gleichzeitig mit der Durchtrennung 
der inneren Schichten eine umschriebene sackige Ausbuchtung der Adventitia, 
also ein kleines artificielles Aneurysma entstehen. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 329 


dieselben ganz erfüllend, theils von einem Protoplasmamantel um- 
hüllt, theils endlich neben zurückgebliebenen grösseren Protoplas- 
mamassen, Markkugeln ete. vorbei verlaufend. Während sie an 
den letzteren Stellen einen dem konvexen Rande der alten Fasern 
entsprechenden Bogen bilden, ist auch an den anderen Theilen 
ihr Verlauf meistens kein ganz gerade gestreckter, da die nach 
innen vorspringenden, zahlreichen Kerne der Scheiden sie zu leich- 
ten Ausbiegungen bald nach der einen, bald nach der anderen Seite 
nöthigen. Ihre Kontouren sind anfänglich durch zwei wenig mar- 
kirte Linien bezeichnet, allmählig aber werden dieselben schärfer 
ausgeprägt, glänzender, breiter und hiemit geht eine zunehmende 
Intensität der durch Osmium erzeugten Schwärzung der Fasern pa- 
rallel, was auf die wachsende Ausbildung der Markscheide schliessen 
lässt. Gleichzeitig nimmt auch die Breite der Fasern zu, zeigt aber 
stets im Verlaufe derselben eine gewisse Ungleichmässigkeit, indem 
ein Mal sehr bald in regelmässigen Intervallen die Ranvier'schen 
Sehnürringe sichtbar werden, andererseits die Fasern aber auch 
an denjenigen Stellen, wo sie an vorspringenden Kernen resp. an 
Residuen des alten Faserinhaltes vorbeistreichen, in der Profilan- 
sicht verschmälert, also abgeplattet sind. Den Abschluss des Re- 
generationsprozesses endlich bildet die Entstehung neuerSchwann’- 
schen Scheiden um die jungen Fasern, wobei die letzten noch an- 
heftenden kernhaltigen Protoplasmamassen mit den von ihnen um- 
schlossenen Markballen abgestreift werden, so dass diese nunmehr 
zwischen den neuen Fasern frei liegen. Die alten Scheiden 
scheinen hierbei in dem Endoneurium aufzugehen. 

Diese Verhältnisse wiederholen sich in fast gleicher Weise 
(abgesehen natürlich von gewissen Differenzen, welche sich aus der 
oben gegebenen Beschreibung des der Regeneration vorausgehen- 
den Stadiums ergeben) in den neuen Fasern der Quetschstelle, wie 
in denen des peripherischen Nerventheiles, bei eintretender Re- 
generation. Sie sind übrigens, seitdem Eichhorst die ersten 
guten Abbildungen von der nach Durchschneidungen in den alten 
Fasern vor sich gehenden Faserneubildung, wie sie vor längerer 
Zeit bereits von Remak !) vermuthet und dann von mir in meiner 


l) Remak, über Wiedererzeugung von Nervenfasern. Virchow’s Archiv 
Bd. 23 p. 441. — Remak gelang es in der hier mitgetheilten Beobachtung, wel- 
che bekanntlich ein Kaninchen betrifft, an welchem vor 8 Monaten der Ischia- 


330 E. Neumann: 


mehrfach erwähnten Arbeit mit Bestimmtheit nachgewiesen wurde, 
gegeben hat, zu bekannt, als dass hier eine ausführlichere Darle- 
sung derselben erforderlich wäre. Ein näheres Eingehen verlangen 
nur diejenigen Punkte, welche für die natürlich im Vordergrunde 
stehende und noch immer strittige Frage nach der Entstehungsweise 
dieser neuen Fasern von Bedeutung sind. Von diesem Gesichts- 
punkte aus ist es sicher zunächst von grossem Interesse festzu- 
stellen, was sieh über die Art und Weise beobachten lässt, wie 
diese neuen Fasern sich mit den unveränderten (centralen) Theilen 
der alten Fasern in Verbindung setzen? Wie sich erwarten lässt, 
gestalten sich hier die Verhältnisse ähnlich, wie an durchschnitte- 
nen Nerven. Ich stelle im Folgenden diejenigen Fakta zusammen, 
welche ich bei speciell auf diese Angelegenheit gerichteter Auf- 
merksamkeit zu ermitteln im Stande war. 

1. Der Anschluss der neuen Fasern an die alten findet stets 


. 
dieus durchschnitten worden war, nicht den Uebergang der alten.Fasern in 
die neugebildeten durch das feste Narbengewebe hindurch zu verfolgen und 
erklärte es nur für „sehr wahrscheinlich“, dass die Schwann’schen Scheiden 
der ersteren sich direkt in die scheidenförmige Umhüllung fortsetzten, welche 
die Bündel der letzteren einschloss.. Bei meinen Untersuchungen früherer 
Heilungsstadien (aus der 2. bis 3. Woche) konnte ich die Thatsache, dass die 
Fasern des centralen Rumpfes eines durchschnittenen Kaninchennerven sich 
innerhalb der Narbe, in Bündel neuer, schmaler Fasern, welche von einer 
Fortsetzung der Schwann’schen Scheide umhüllt wurden, fortsetzen, durch 
direkte Beobachung feststellen, und habe dieselbe seitdem stets in meinen 
Vorlesungen an Präparaten demonstrirt. Eine Bestätigung lieferten die Unter- 
suchungen Eichhorst’s und Ranvier’s. Wenn freilich Letzterer nicht er- 
wähnt, dass diese Beobachtung schon vor ihm gemacht wurde, und mir sogar 
in Betreff der Regeneration neuer Fasern die Ansicht zuschreibt, dass die- 
selben durch eine von Neuem eintretende Differenzirung zwischen Mark und 
Achseneylinder in den degenerirten Theilen der alten Fasern sich bilden !), 
dass letztere sich somit einfach wieder restituiren und in statum integrum 
zurückkehren (eine Ansicht, die ich ausdrücklich zurückgewiesen habe |. c. 
p. 215), so beruht dies auf einem Missverständniss, zu welchem ich durch 
meine Beschreibung keine Veranlassung gegeben zu haben glaube. Dass 
Ranvier’s Beobachtungen mit meinen und Eichhorst’s Angaben sehr gut 
übereinstimmen, geht am besten aus einem Vergleiche seiner Abbildungen 
mit denen Eichhorst’s hervor. Abgesehen davon, dass Eichhorst damals 
die Ranvier’schen Schnürringe noch nicht würdigte, lässt sich eine wesent- 
liche Differenz hier nicht finden. 
1) Ranvier, Lecons, Bd. U p. 43, 74, 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 331 


etwas oberhalb der Quetschstelle statt, ebenso wie in dem cen- 
tralen Stück eines durchschnittenen Nerven oberhalb des Schnitt- 
endes. Diese Thatsache ergiebt sich unmittelbar daraus, dass sich 
die oben beschriebenen degenerativen Vorgänge auf den nach 
oben an die Quetschstelle anstossenden Theil der Nervenfasern bis 
zu einer gewissen Entfernung hin fortpflanzen. 

2. In der grossen Mehrzahl der Fälle findet man als Fort- 
setzung der alten Fasern eine neue Faser (Fig. 14—20, Fig. 22), 
indess kommt es auch vor, dass sich zwei ausgebildete Fasern 
an die alte Faser anschliessen (Fig. 21). Eine grössere Zahl habe 
ich nie gesehen, wenn auch allerdings dieselbe im weiteren Ver- 
lauf der Fasern sich auf drei bis vier steigern kann. Es steht 
dies in Uebereinstimmung mit den Angaben Eichhorst’s, welcher 
durehschnittene Froschnerven bis zu dem Eintritt der Faserneubil- 
dung untersuchte; er fand hier ebenfalls gewöhnlich nur eine, 
selten zwei neue Fasern in der alten Scheide und hebt mit Recht 
den Gegensatz hervor, in welchem diese Thatsache zu den Be- 
funden bei Kaninchen steht, indem man hier nach Durchschnei- 
dungen die alten Fasern in ganze Bündel neuer Fasern überge- 
hen sieht. 

3. Die Endstücke der alten Fasern zeigen lange Zeit hin- 
durch ein durchaus unregelmässiges Verhalten (ich beobachtete 
dies selbst noch am 88. Tage an vielen Fasern); später bildet 
sich an der betreffenden Stelle ein echter Schnürring (Fig. 20). 
Jedenfalls besteht von vorn herein insofern eine Achnlichkeit mit 
dem Verhalten eines Sehnürringes, als das Mark an der Verbin- 
dungsstelle zwischen alten und neuen Fasern fast immer (einige 
Ausnahmefälle habe ich allerdings gesehen; dieselben lassen sich 
vielleicht auf eine Quetschung der Fasern bei der Präparation und 
ein dadurch bedingtes Zusammenfliessen des Markes der alten und 
neuen Fasern zurückführen), eine Unterbrechung erleidet und die 
dünne Markscheide der neuen Faser sich nicht kontinvirlich in 
das Mark der alten Faser fortsetzt; das letztere endet gewisser- 
massen blind, aber, wie gesagt, in sehr unregelmässigen, von dem 
typischen Bilde der Endigungsweise des Markes in einem Schnür- 
ringe sehr abweichenden Formen. Während bei letztern das Mark 
in einer zur Faseraxe genau vertikal gestellten Linie scharf ab- 
schneidet, finden wir in unserem Falle die Grenzkonturen des 
Markes der alten Faser durch eine aus Bogensegmenten zusam- 


332 E. Neumann: 


mengesetzte Linie gebildet; das Mark schiebt in der Richtung 
gegen die neue Faser hin zahlreiche, theils flach konvexe, theils 
stärker gewölbte Fortsätze vor, vergleichbar einer aus zusammen- 
gesinterten Wachstropfen gebildeten Masse (Fig. 16, 17, 21, 23). 
Sehr häufig finden sich lange zungenförmig gestreckte Fortsetzun- 
sen der alten Markscheide, welche sich über die neuen Fasern in 
grosser Ausdehnung hinüberlegen; bisweilen sieht man letztere 
auch beiderseits von solchen Fortsätzen eingefasst und zwischen 
dieselben eingeschoben (Fig. 19), nicht selten endlich kommen hiezu 
noch frei abgelöste Marktropfen und grössere klumpige Markmas- 
sen, namentlich am, Ende der langen zungenförmigen Fortsätze. 
Die Abbildungen geben nur eine kleine Zahl von Beispielen für 
diese vielfachen Variationen unterworfenen Verhältnisse. — Noch 
ein zweiter Umstand unterscheidet die freien Enden der alten Fa- 
sern wesentlich von der Endigungsweise der Fasersegmente, welche 
in einem Schnürringe zusammenstossen. Bei letzteren hören die 
beiden glänzenden Randsäume der Fasern, welche dem optischen 
Durchschnitte der Markscheide entsprechen, sich allmählig ver- 
schmälernd mit freien Enden auf und bleiben von einander so weit 
entfernt, als es der Breite des Schnürrings entspricht; am Ende der 
alten Fasern dagegen sehen wir meistens die beiderseitigen Rand- 
säume ineinander übergehen, indem sie sich in die in der oben 
beschriebenen Weise unregelmässig gestalteten Begrenzungslinien 
fortsetzen. Während dort also das Mark eine hohle Röhre bildet, 
welche sich gegen den Schnürring öffnet und den von ihm um- 
schlossenen Achseneylinder hervortreten lässt, hat es den Anschein, 
als ob in dem Ende der alten Fasern der centrale Inhalt vollständig 
von einer dicken Markhülle umflossen wäre. Dass dem wirklich 
so ist, ist allerdings nicht anzunehmen, da es nicht begreiflich 
wäre, dass ein Nerv wieder leistungsfähig werden könnte, wenn 
der Achseneylinder an der Stelle, wo die alten Fasern aufhören, 
nicht mit dem Inhalte des peripherischen Theiles des Nervenroh- 
res in Kontinuität stände; es scheint mir vielmehr aus dem Ange- 
führten nur hervorzugehen, dass diese Kommunikationsöffnung von 
den knolligen Protuberanzen des Markes häufig überragt und durch 
dieselben dem Blicke entzogen wird. 

4. Die neuen Fasern beginnen unterhalb des alten Faseren- 
des (abgesehen von den erwähnten seltenen Ausnahmefällen, in 
denen das Mark beider unmittelbar ineinanderfliesst) mit feinen 


\ 
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 333 


seitlichen Kontouren, welche im weiteren Verlaufe nicht nur schär- 
fer, markirter und glänzender werden, sondern auch, indem die 
Faser eine geringe Verbreitung erfährt, etwas weiter auseinander- 
treten, die Fasern spitzen sich also nach oben hin, wie in einem 
Schnürringe, konisch zu (Fig. 22, 23). In späteren Terminen las- 
sen sich diese Kontouren sehr leicht bis in die unmittelbare Nähe 
des Markes der alten Fasern verfolgen, es bleibt ein so geringes 
Interstitium, wie zwischen den in einem Schnürringe zusammen- 
stossenden Marksegmenten; in früherer Zeit dagegen findet sich 
zwischen den alten und den neuen als sehr blasse Bänder begin- 
nenden Fasern eine beträchtliche Lücke, innerhalb deren ich einen 
Verbindungsstrang als Fortsetzung des Achseneylinders der alten 
Faser nicht erkennen konnte; dieselbe erschien vielmehr von 
einer blassen, nicht differenzirten Masse erfüllt, welche ich als 
Ueberrest des durch die Degeneration enstandenen Protoplasma 
auffassen muss (Fig. 14--18). In einem Nerven, welcher vor 
43 Tagen zerquetscht worden war, fanden sich noch Fasern vor, 
bei denen dieser Abstand 20 bis 30 Mikromillimeter betrug. 


5. An der Uebergangsstelle befinden sich in der früheren 
Zeit (bis zur 6. Woche) meistens ein oder mehrere Kerne (Fig.14, 
17, 18) und auch unterhalb derselben erscheint die neue Faser mit 
einer grösseren Zahl von Kernen besetzt. Häufig liegen zwei Kerne 
nebeneinander und die Faser läuft in flachen Bogen bei ihnen 
vorbei; in andern Fällen windet sie sich zwischen zwei einander 
schräg gegenübergelegenen Kernen hindurch. In späterer Zeit 
zeigt sich an der Uebergangsstelle kein Kern und auch der Kern- 
reichthum des Anfangsstückes der neuen Faser nimmt ab, bis 
schliessslich nur ein Kern für die ganze Strecke bis zu dem er- 
sten Schnürringe derselben übrig bleibt (Fig. 21, 22). 


Nieht minder wichtig, als die eben erörterten sich auf die 
Verbindung zwischen alten und neuen Fasern beziehenden Verhält- 
nisse, ist für die Beurtheilung ihres Ursprungs die Beobachtung des 
Ganges, welchen ihre Entwicklung in dem Nerv unterhalb der 
Quetschstelle einschlägt. Als allgemeine Regel hat sich mir in 
dieser Beziehung, wie bereits oben erwähnt, der Satz ergeben, 
dass nach der Peripherie hin sowohl die Zahl als der 
Ausbildungsgrad der neuen Fasern abnimmt, oder mit 
anderen Worten, dass in tieferen Theilen des Nerven 


334 E. Neumann: 


die neuen Fasern später entstehen und sich ausbilden, 
als in höhergelegenen. Sehr häufig habe ich mich davon 
überzeugen können, dass in einiger Entfernung von der Quetsch- 
stelle schon zahlreiche, kräftig entwickelte neue Fasern bestanden, 
während an mehr peripherischen Theilen dieselben nur spärlich, 
schmäler und blasser waren und dass in noch grösserer Entfernung 
nur degenerirte Fasern und keine neugebildeten vorhanden waren. 
Hiemit ist keineswegs ausgeschlossen, dass eine neue Faser, wie 
sich nicht selten beobachten lässt, in ihrem Verlaufe gegen die 
Peripherie hin sich in einer Mehrzahl (zwei, höchstens drei) von 
- Fasern fortsetzt; immer geschieht dies an der Stelle eines Schnür- 
ringes und das Bild der Faser ist alsdann ganz entsprechend dem 
bekannten Aussehen einer Theilungsstelle normaler Fasern (Fig. 22). 
Wenn sich hieraus der Schluss ableiten lässt, dass nach vollendeter 
Restitution des Nerven die Faserzahl nach der Peripherie hin 
wächst, so liegt hierin doch kein Widerspruch gegen die Behaup- 
tung, dass während der Regenerationsperiode im Allgemeinen die 
Zahl der im Querschnitt des Nerven enthaltenen neuen Fasern 
in höher gelegenen Theilen desselben eine grössere ist als in tie- 
feren. Ebensowenig wird das oben bezeichnete Gesetz durch die 
interessante auch von Ranvier !) erwähnte Thatsache umgestossen, 
dass öfters unter den im Verlaufe einer neuen Faser aneinander- 
gereihten interannulären Segmenten einzelne sich befinden, welche 
auffälligweniger ausgebildet sind als ihre beiderseits an sie angren- 
zenden Nachbarsegmente. Immerhin sind dieses Ausnahmefälle ge- 
genüber der allgemeinen Regel, welche insofern Beachtung ver- 
dienen, als sie von einer gewissen Selbständigkeit der einzelnen die 
neuen Fasern zusaınmensetzenden Segmente Zeugniss ablegen. 
Diese letztere scheint nun auch in einem zweiten Gesetze 
zum Ausdruck zu gelangen, welches ich vorläufig allerdings nur 
hypothetisch hinzustellen wage: das Wachsthum der Fasern 
nach der Peripherie hin erfolgt diskontinuirlich; je- 
des folgende Segment entwickelt sich selbständig 
und steht mit den bereits zu einer zusammenhän- 
senden Kette aneinandergeschlossenen oberhalb gele- 
senen Segmenten anfänglich mittelst einer nicht dif- 
ferenzirten, kernhaltigen Protoplasmamasse in Verbin- 


1) Ranvier, Lecons, II, p. 55. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 339 


dung, innerhalb deren sich ein Achseneylinder nicht 
erkennen lässt (Fig. 24, 25); erst später, wenn die Ausbildung 
des neuen Gliedes weiter vorgeschritten ist, bildet sich an der 
oberen Grenze desselben ein Scehnürring. Wir treffen hier also 
auf ein ähnliches Verhältniss, wie es an der Uebergangsstelle zwi- 
schen alten und neuen Fasern besteht. Ich verkenne nicht, dass 
man ein gewisses Recht hat, die Mangelhaftigkeit unserer Unter- 
suchungsmittel als Grund für die scheinbare Diskontinuität der 
neuen Fasern zu betrachten; es scheint mir indess, dass wir einst- 
weilen den Boden der anatomischen Beobachtung nicht verlassen 
dürfen und uns davor hüten müssen, aus aprioristischen Gründen 
die Existenz eines kontinuirlichen Achsencylinders als nothwendig 
vorhanden vorauszusetzen, wenn wir dieselbe nicht konstatiren 
können. Ein solcher Nachweis scheint aber auch andern Beob- 
achtern nicht gelungen zu sein und selbst bei Anwendung der 
Chlorgoldmethode hat Korybutt-Daskiewiez!) das Resultat 
erhalten, dass in den degenerirten Fasern diskontinuirliche, beider- 
seits frei endigende Bruchstücke neuer Fasern auftreten. 

Auf Grund meiner Beobaehtungsresultate kann ich mich 
demnach der alten Waller’schen, neuerdings von Ranvier wie- 
der aufgenommenen Theorie, dass ein vom Centrum abgetrennter 
Nerv sich dadurch regenerirt, dass von dem centralen Stumpfe aus 
neue Fasern in ihn kontinuirlich hineinwachsen, nieht anschliessen. 
Wenigstens in Betreff der nach Nerven quetschungen ein- 
tretenden. Vorgänge muss ich mich derselben gegenüber negi- 
rend verhalten und gewiss ist nicht anzunehmen, dass die Rege- 
neration des peripherischen Theiles eines durehsehnittenen Nerven 
(von der in der Narbe eintretenden Faserneubildung ganz abge- 
sehen) in anderer Weise erfolgt, als dies nach Quetschungen der 
Fall ist. Ranvier gesteht selbst ein, dass es ihm nicht gelungen 
ist, die Vorgänge zu beobachten, durch welche sich das von ihm 
behauptete peripherische Fortwachsen der Jungen Fasern voll- 
zieht ?), er stützt seine Behauptung lediglich durch den Hinweis 

1) Korybutt-Daskiewiez l. c. p. 30. Die hier versuchte Ableitung 
dieser Faserstücke aus restirenden Fragmenten des Achsencylinders kann ich, 
wie bereits oben erwähnt wurde, nicht adoptiren. 

2) Ranvier, Lecons, II, p. 73: „je voudrais pouvoir vous montrer des 
preparations, sur lesquelle ce processe (la croissance peripherique du eylin- 
dre-axe) s’observerait directement; mais les nerfs en voie de regene- 


Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 18. 23 


336 E. Neumann: 


auf die Analogie mit der Entwicklung der Nerven beim Embryo 
und auf die Thatsache, dass die Regeneration degenerirter Nerven 
in der Richtung von dem Centrum nach der Peripherie fortschreitet. 
Was den ersteren Hinweis betrifft, so wird allerdings zur Zeit 
von den bewährtesten Embryologen die Ansicht vertreten, dass die 
als erste Anlage der peripheren Nerven zu betrachtenden Protoplas- 
mafäden aus centralen Ganglienzellen kontinuirlich nach der Pe- 
ripherie hervorwachsen; aber eine Entscheidung darüber, ob die 
Bildung des aus dieser protoplasmatischen Anlage hervorgehenden 
Achsencylinders in gleicher Weise kontinuirlich von dem Centrum 
nach der Peripherie vorrückt oder ob dieselbe nicht vielmehr dis- 
kontinuirlich, absatzweise geschieht, ebenso wie die Bildung der 
Markscheide, steht noch aus, wie ja bekanntlich von Engelmann 
selbst für die fertig ausgebildeten Nervenfasern eine Unterbrechung 
des Achsencylinders in jedem Ranvier’schen Schnürringe behauptet 
wird. Ebenso muss ich gegen die zweite von Ranvier zum Beweise 
hervorgezogene Thatsache den Einwand erheben, dass die Kon- 
tinuität des centrifugalen Wachsthums der jungen Fasern inner- 
halb degenerirter Nerven durch die bisherigen Beobachtungen 
zum Mindesten nicht sichergestellt ist; ausserdem aber würde, 
selbst wenn dies der Fall wäre, daraus nicht unbedingt zu folgern 
sein, dass die centralen Fasern in die degenerirten, in denen sie 
einen für ihre Vegetation günstigen Boden („milieu convenable 
pour leur vegetation“) finden sollen !), hineinwachsen, wie die Wur- 
zeln einer Pflanze in das Erdreich, sondern es liesse sich ein kon- 
tinuirliches Fortwachsen der jungen Fasern auch durch eine kon- 
tinuirlich fortschreitende Umbildung des Inhaltes der degenerirten 
Fasern erklären. 

Wenn nun aber das Wachsthum der Fasern, worauf meine 
Beobachtungen mich hinleiten, nach dem Gesetze der Diskonti- 
nuität erfolgt, so würde damit selbstverständlich die Waller- Ran- 
vier'sche Theorie gänzlich unvereinbar sein und ich sehe alsdann 


ration, A cause de la grande intrication de leurs fibres, sont un des plus 
mauvais objets, que l’on puisse choisir pour &tudier la croissance 
des nerfs“. — Trotz dieses Eingeständnisses führt es Ranvier (ibid. p. 71) 
als Beobachtungsthatsache („fait observ&*) an, dass die vom zentralen 
Stumpf auswachsenden Fasern „se prolongent & travers le segment eicatriciel 
jusqu’au segment periphörique et y p&nterent!“ 

1) Ranvier, Lecons, U, p-. 75. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 337 


keine andere Möglichkeit der Erklärung als die Annahme, dass 
die neuen Fasern einer in dem protoplasmatischen In- 
halt der degenerirtenFasern eintretenden spezifischen 
Differenzirung („formativen Thätigkeit“) ihren Ur- 
sprung verdanken und dass der Impuls zu dieser Dif- 
ferenzirung sich in der Richtung vom Centrum nach 
der Peripherie von Strecke zu Strecke fortpflanzt, so 
dass die neuen Fasern also aus lauter einzelnen Segmenten sich 
aufbauen, die erst nachträglich verschmelzen. Dass hiebei von den 
in dem Protoplasma enthaltenen Kernen die Bildung der einzelnen 
Segmente ausgeht und dass diese Kerne somit gewissermassen 
die Angrifispunkte für den centralen Impuls darstellen, kann viel- 
leicht als wahrscheinlich bezeichnet werden. Ob hiebei aus dem 
Inhalt der alten Faser eine einzelne neue Faser oder eine Mehr- 
zahl solcher hervorgeht, werden wir uns theils von der Energie 
des centralen Impulses, theils von der Quantität des in den dege- 
nerirten Fasern angehäuften Bildungsmaterials, auf welches der- 
selbe einwirkt, abhängig vorstellen dürfen. 

Man wird in dieser Anschauungsweise, obwohl dieselbe von 
der isolirten Bildung der einzelnen Fasersegmente ausgeht, keine 
Rückkehr zu der einst von Philippeaux und Vulpian !) auf- 
gestellten, später indess von Vulpian ?) selbst widerrufenen Lehre 
von der „Regeneration antogenique“ vom Centrum abgetrennter 
Nerven erblicken können; sie unterscheidet sich von dieser vielmehr 
wesentlich dadurch, dass sie eine gewisse „trophische“ (formative) 
Impulse leitende Verbindung mit dem Centrum als nothwendig zur 
Bildung neuer Fasersegmente betrachtet. Sie setzt jedoch allerdings 
voraus, dass die Fortleitung dieser Impulse durch das in den alten 
Fasern enthaltene protoplasmatische Material auf gewisse Streeken 
hin vermittelt werden kann, noch bevor sich aus demselben ein 
Achseneylinder gebildet hat. Auch auf die Regeneration des peri- 
pherischen Nerventheils nach vollständiger Kontinuitätstrennung 
(Durchschneidung, Exeision) lässt sich diese Theorie ohne Zwang 
übertragen; nur würde hier derselben eine Ueberbrückung der 
Narbe durch neue Fasern vorangehen müssen, deren Hervorwach- 


1) Philippeaux und Vulpian, Comptes rendus 1859, p. 507. Archi- 
ves genörales 1861, I, p. 782. 
2) Vulpian, Archives de physiologie, 1874, p. 704. 


338 E. Neumann: 


sen aus dem centralen Stumpfe, trotz einiger entgegenstehenden 
Angaben, wohl kaum zweifelhaft sein kann. 


II. Versuche an Kaninchen. !) 


Da die Resultate der bei Kaninchen ausgeführten Nerven- 
quetschungen im Wesentlichen mit denen bei Fröschen beschrie- 
nen übereinstimmen, so beschränke ich mich hier auf eine kurze 
Skizze. Natürlich folgen alle Phasen des De- und Regenerations- 
Prozesses schneller aufeinander und sind überdies an viel konstan- 
tere Zeiträume gebunden, als bei Fröschen. Schon am 3. Tage 
nach der Quetschung findet man die dünnen, etwas wellig ge- 
schlängelt erscheinenden Verbindungsfäden, welche unmittelbar 
nach denselben zwischen dem peripherischen und centralen Theile 
der einzelnen Fasern ausgespannt sind, nicht mehr, sie sind 
breiter geworden und ebenso, wie die noch kenntlichen konisch 
zugespitzten Faserenden mit einer homogenen, nach Osmiumbe- 
handlung zwischen Gelb und Grau variirenden Masse erfüllt. 
Nach aufwärts schliesst sich hieran eine Zerklüftung des Mar- 
kes in eylindrische Bruchstücke und Ballen, welche zum Theil 
in protoplasma-artiger Masse liegen; eine Abgrenzung dieses Zu- 
stands durch einen Ranvier’schen Schnürring ist nicht zu kon- 
statiren. In dem peripherischen Nerventheile zeigt sich gleich- 
zeitig der Beginn der Degeneration, welche sich namentlich durch 
die Anhäufung von Protoplasma um die vergrösserten Kerne, aus- 
serdem durch Zerklüftung des Markes zu erkennen giebt. 

Am 4. und 5. Tage ist die Quetschstelle zwar immer noch 
an der geringeren Breite der Fasern kenntlich, doch hat dieselbe 
etwas zugenommen, da die Fasern theils durch eine reich- 
liche Protoplasmamasse, theils durch Markkügelchen stärker aus- 
gedehnt sind. In der Peripherie wird die Zerklüftung slärker, die 
Enden der Markeylinder runden sich ab. Am Ende des 6. Tages 
ist die Quetschstelle nicht mehr mit Sicherheit zu bestimmen, man 
kann von jetzt ab nur von einer Uebergangsstelle sprechen, an 
welcher normale Faserabschnitte an degenerirte grenzen. Hier 


1) Dieser Theil der Untersuchungen, von Herrn Dr. @. Dobbert selbst- 
ständig durchgeführt, ist von demselben bereits in seiner Inauguraldisserta- 
tion „über Nervenquetschung“, Königsberg 1878 mitgetheilt worden. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 339 


zeigt sich als Inhalt der Fasern eine mattgelblichglänzende, 
durch eingelagerte, fettartig glänzende Körnchen granulirte Sub- 
stanz, an vielen Stellen auch grosse Markballen, welche die Fasern 
spindelförmig auftreiben. Schon um diese Zeit (6. Tag) sind 
die ersten Spuren der beginnenden Regeneration wahr- 
nehmbar, man bemerkt in den degerirten Fasern das Auftreten je 
eines schmalen, blassen oder leicht grau gefärbten Bandes, welches 
sowobl nach der Peripherie hin nur eine kurze Strecke zu verfolgen ist 
als auch gegen die Uebergangsstelle hin undeutlich wird. 
Gleichzeitig wurde nunmehr eine starke Vermehrung der Kerne 
an der Quetschstelle sehr auffällig, so wurden z.B. in einem Falle 
auf einer Strecke von 0,4mm 25 Kerne gezählt (während im nor- 
malen Zustande die einzelnen Kerne fast 1 mm von einander ent- 
fernt sind ?). 

Am 9. Tage haben die neugebildeten Fasern schon meist 
deutlich graue Färbung angenommen, sind aber auch jetzt nur in 
der Nähe der Uebergangsstelle zu finden und nicht überall mit 
gleicher Deutlichkeit wahrnehmbar, namentlich nicht an der 
Uebergangsstelle selbst, wo oft 1 bis 2 Kerne lagern. 

Nach 12 Tagen ist die Faserneubildung weiter nach der Peri- 
pherie vorgeschritten, man findet an den Fasern bereits Ranvier’- 
sche Einschürungen. An der Uebergangsstelle stossen alte und 
neue Fasern zuweilen mit scharf kontourirten, etwas zugespitzten 
Enden aneinander. Die periphere Degeneration bildet sich mitt- 
lerweile gleichzeitig immer stärker aus und breitet sich nach ab- 
wärts aus; man findet Bilder, welche auf Kerntheilung schliessen 
lassen, so zeigten sich z. B. in einer Faser zwei Kerne, welche 
zusammen einen eiförmigen Körper von der Grösse eines einfa- 
chen grossen Kerns bildeten, der eine derselben war abgerundet, 
der andere schmiegte sich diesem halbmondförmig an und war nur 
durch eine äusserst schmale Spalte von ihm getrennt. 

Am Ende des 20. Tages markirte sich der Uebergang zwi- 
schen alter und neuer Faser dadurch, dass die erstere meistens 
scharf und abgerundet, letztere dagegen zugespitzt endet; es ent- 
steht so ein an einen Ranvier’schen Schnürring erinnerndes Bild; 
gewöhnlich liegt auf jeder Seite ein Kern. 

Die schönsten Bilder der Regeneration erhält man vom 29. 


1) Toel, Diss., Zürich 1875. 


340 E. Neumann: 


Tage ab. Man sieht jetzt die alten und neuen Fasern ziemlich 
regelmässig in einem regelrechten Ranvier’schen Schnürring zu- 
sammenstossen. Die Färbung der neuen Fasern wird immer in- 
tensiver grau; meistens stösst an die alte Faser nur eine einzige 
neue an, selten findet man neben einer Hauptfaser noch ein oder 
zwei ganz schmale, die noch über die Verbindungsstelle der er- 
stern mit der alten Faser hinaus sich eine Strecke weit nach 
aufwärts verfolgen lassen. ‚In der Peripherie zeigen sich inner- 
halb der meisten degenerirten Fasern noch Markkugeln und ceylin- 
drische Markstücke ; die eingeschlossenen neuen Fasern erscheinen 
peripheriewärts zunehmend blasser und schmaler. In einer ge- 
wissen Entfernung von der Quetschstelle hören sie auf, die alten 
Fasern sind hier sehr schmal, jedoch da, wo sie Körner oder 
Markreste umschliessen, spindlig aufgetrieben, sie sind von gewissen 
spindelförmigen Bindegewebslementen schwer zu unterscheiden. Am 
Ende der Versuchsreihe (44. Tag) erschienen die neuen Fasern 
zwar noch viel schmäler (in maximo ?/; so breit) als die alten, 
waren aber übrigens schon gut entwickelt, nur spärliche Proto- 
plasmareste der degenerirten Fasern hafteten ihnen an und die 
Zahl ihrer Kerne hatte abgenommen. 

Eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung, die sich an den Fa- 
sern des centralen Nervenstückes bei diesen Versuchen zeigte, sei 
hier schliesslich erwähnt; wie nämlich bereits von Ranvier und 
Korybutt-Daskiewicz erwähnt wird, zeigte sich hier in kur- 
zer Entfernung von der Quetschstelle nicht selten der normale 
durch Osmium schwarz gefärbte Faserinhalt auf kürzeren oder 
grösseren Strecken (0,026 — 0,066 mm) durch eine blasse protoplamas- 
tische Substanz unterbrochen, innerhalb deren sich nebst einigen 
Körnern meistens eine oder zwei feine, wellig geschlängelte, 
jedenfalls neugebildete Fasern erkennen liessen, die in den Ver- 
lauf der alten Fasern eingeschaltet erschienen (Fig. 27, 28, 29). In 
einzelnen Fällen sah ich dieselbe Erscheinung auch bei Froschner- 
ven oberhalb der Quetschstelle (Fig. 26). In einem Falle wieder- 
holte sich diese Interposition schmaler Nervenfasern in dem Verlauf 
einer breiteren Faser sogar zwei Mal. Mir scheint diese Thatsache 
insofern ein besonderes Interesse darzubieten, als sie darauf hin- 
weist, dass im Verlaufe einer Faser gewisse Abschnitte derselben 
von den eingreifendsten Metamorphosen betroffen werden können, 
ohne dass der unterhalb gelegene Theil des Nerven (der sich 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 341 


bis zur Quetschstelle hin normal verhält!) dem „trophischen“ Ein- 
flusse des Centrum entzogen wird. Dass der hier auftretenden Faser- 
bildung in derselben Weise, wie bei der peripheren Degeneration, 
ein Untergang des betreffenden Abschnittes des alten Achsencylin- 
ders vorausgeht, ist mir sehr wahrscheinlich und es würde hier 
somit der Fall vorliegen, dass sich eine in einem Nerven einge- 
schaltete, nicht specifisch differenzirte Protoplasmamasse als fähig 
erweist, die trophische Verbindung mit dem Centrum zu unterhal- 
ten, zu welcher Annahme wir uns schon früher durch die Beob- 
achtung der Regeneration im peripherischen Nerventheile veranlasst 
sahen. Die interessante, in neuerer Zeit von S. Mayer!) aufgefun- 
dene und wiederholt besprochene Thatsache, dass auch in ganz nor- 
malen Nerven ohne jede vorhergegangene Verletzung sich öfters 
Faserstrecken in den verschiedensten Stadien der Degeneration und 
Regeneration zeigen, giebt vielleicht die Möglichkeit an die Hand, 
über die Berechtigung jener Annahme weitere Aufschlüsse zu erlangen. 

Im Hinblick auf die an durchschnittenen Nerven bei Kanin- 
chen gemachten Beobachtungen will ich es übrigens nicht unter- 
lassen, einige freilich nicht wesentliche Differenzen derselben ge- 
genüber den mitgetheilten Quetschversuchen hervorzuheben. Die eine 
derselben betrifft den Zeitraum, innerhalb dessen die ersten neuen 
Fasern sichtbar werden; derselbe ist nach Durchschneidungen ein 
grösserer als nach Quetschungen in gleicher Weise, wie wir es 
bei Fröschen gefunden haben; während nämlich bei Quetschungen 
sechs Tage genügten, sah Eichhorst die ersten Spuren einer 
Faserneubildung am centralen Stumpfe eines durchschnittenen Ka- 
ninchennerven erst am 14. Tage. Sodann haben wir, wie meine 
eigene, Eichhorst's und Ranvier’s Beobachtungen zeigen, für 
Nervendurchschneidungen bei Kaninchen es als Regel zu betrachten, 
dass sich im Anschluss an die alten Fasern ein Bündel neuer 
Fasern ausbildet, während man nach Quetschungen für gewöhnlich 
eine einzelne neue Faser als Fortsetzung der alten antrifft. 


1) Sigismund Mayer l. c. p. 11, sowie ferner „über Degenerations- 
oO I 2) ” 

und Regenerationsvorgänge in peripherischen, normalen Nerven“, Wiener 

Akad. Sitzungsberichte 1878, Bd. 77. Prager Medieinische Wochenschrift 

1878 und 1879. 


342 E. Neumann: 


An die vorstehende Untersuchungsreihe schloss ich einige 
Experimente an, in welchen ein Ligaturfaden um einen Nerven 
gelegt, fest zugeknotet und in der Wunde mit kurz abgeschnittenen 
Enden zurückgelassen wurde. Von den Ergebnissen dieser Ver- 
suche will ich nur eins erwähnen: bei einem Kaninchen war der 
Nervus tibialis in der Kniekehle ligirt worden und als das Thier 
nach 2!/; Monaten getödtet wurde, zeigte sich an der Ligaturstelle 
eine etwa linsengrosse Anschwellung des Nerven, in welche die 
Ligatur eingeschlossen war, so dass dieselbe lose in einer kleinen 
Höhle des Knotens lag. Bei der mikroskopischen Untersuchung 
zeigte sich der Nerv bis auf eine kurze Entfernung von dem 
Knoten normal, hier jedoch begannen Bündel schmaler neugebilde- 
ter Nervenfasern, welche, fächerförmig ausstrahlend, die Ligatur 
allseitig umgaben und die Wand der erwähnten Höhle bildeten; 
jenseits der knotigen Auftreibung traten dieselben alsdann wieder 
zu einem eylindrischen Strange zusammen, um ihren Lauf nach 
der Peripherie fortzusetzen. Wir haben hier also ein Seitenstück 
zu einem Falle, dessen Virchow !) Erwähnung thut. „Be&clard 
berichtet von einem Manne, dem bei der Amputation des Ober- 
schenkels der Ischiadieus unterbunden wurde; die Wunde heilte 
per primam intentionem, aber der Kranke starb (es wird nicht 
angegeben, wie lange nachher?) an Tetanus, der Nerv enthielt 
in einer beträchtlichen Verdiekung denKnoten der noch 
nicht ausgefallenen Ligatur.“ 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV. 


Fig. 1. Froschnerv unmittelbar nach der Zerquetschung. a Kern innerhalb 
der Quetschstelle, bb Grenze der Markeinpressung. 

Fig. 2. Ein ebensolcher Nerv; das Mark ist bei r. durch einen Ranvier’schen 
Schnürring hindurchgepresst worden. 


HJ 
3 
[3% 


Degeneration des peripherischen Theiles eines Nerven 85 Tage nach 
der Zerquetschung (Winterfrosch) bei a, a, a blasse Markreste, wel- 
che allmählig in ein farbloses Protoplasma übergehen. 


1) Virchow, Geschwülste, III, p. 254. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Die 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 343 


Periphere Degeneration desselben Nerven; die beiden Kerne, a, a 
sind durch einen 0,17 mm langen Markeylinder von einander ge- 
trennt. 

Periphere Degeneration desselben Nerven, zwischen die beiden Kerne 
a, a ist ein 0,19 mm langes grossentheils markhaltiges Nervenstück 
eingeschaltet. 

Periphere Degeneration desselben Nerven. Die beiden Kerne a, a 
erscheinen, von Protoplasma umgeben zu beiden Seiten einer einge- 
schnürten Stelle (veränderter Ranvier’scher Schnürring) gelegen. 
Periphere Degeneration desselben Nerven. Zwischen den beiden 
Kernen, welche 0,015 mm von einander entfernt sind, ein den Quer- 
schnitt der Faser erfüllendes Markstück. 


folgenden Präparate 8—26 beziehen sich auf im Sommer operirte Frösche. 


8. 


10. 


U]. 


2: 


lo. 


. 14. 


5 JkaR 


16. 
217. 
18. 
218) 
. 20. 


>. 2ale 


. 22. 


Periphere Degeneration, 24 Tage nach der Zerquetschung. Zu bei- 
den Seiten eines Ranvier’schen Schnürringes befindet sich eine 
Protoplasma-Anhäufung. 

Periphere Degeneration desselben Nerven. An der Peripherie der 
Faser ein mit Protoplasma ausgefüllter Markdefekt ohne Kern. 
Zentraler Theil eines vor 3 Tagen zerquetschten Nerven. In die 
Quetschstelle sind Markkrümel eingetreten; im Umfange des Kerns 
Protoplasma- Anhäufung. 

Zentraler Theil eines vor 8 Tagen zerquetschten Nerven. Die Quetsch- 
stelle bereits mit Protoplasma ausgefüllt, Kernwucherung, bei a 
Marküberreste. 

Zentraler Theil eines vor 10 Tagen zerquetschten Nerven. Derselbe 
Zustand, doch lassen die auffällig scharfen Konturen bei a bereits 
eine neugebildete Nervenfaser vermuthen. 

Quetschstelle nach 12 Tagen. Deutliche neue Faser, zwischen meh- 
reren Kernen sich hindurchwindend. 

Zentraler Theil der Quetschstelle nach 13 Tagen. Die neue Faser 
lässt sich nicht bis zum Ende der alten Faser verfolgen. Zwischen 
beiden liegt ein kernhaltiges Protoplasma. 

Quetschstelle nach 14 Tagen. Die neue Faser scheint ebenfalls in 
gewisser Entfernung vom Ende der alten Faser zu beginnen. 
Quetschstelle nach 26 Tagen. 

Quetschstelle nach 43 Tagen. 

Präparat desselben Nerven. 

Präparat desselben Nerven. 

Quetschstelle nach 50 Tagen. Alte und neue Fasern stossen in 
einem Ranvier’schen Schnürringe zusammen. 

Quetschstelle nach 57 Tagen. Neubildung von 2 Fasern als Fort- 
setzung einer einfachen alten Faser. 

Quetschstelle nach 76 Tagen. Auf die alte Faser folgt zunächst ein 
0,1 mm langes Segment einer neuen Faser, welche sich sodann in 


344 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


23. 
. Peripherische degenerirte Faser, in welcher sich eine neue Faser zu 


25. 


. 28. 


29. 


E. Neumann: Ueber Degeneration und Regeneration etc. 


einem Ranvier’schen Schnürring in 2 Fasern spaltet. Die Breite 
der alten Faser beträgt 0,013, die der neuen 0,010 mm. 
Quetschstelle nach 88 Tagen. 


bilden begonnen hat, 43 Tage nach der Quetschung. Die neue 
Nervenfaser erscheint in der Mitte unterbrochen durch Protoplasma, 
in welchem ein Kern nebst zahlreichen Markballen sich befindet. 
Ein ähnliches Präparat von dem peripherischen Theil eines Nerven, 
95 Tage nach der Quetschung; zwischen den beiden Segmenten der 
neuen Faser ist eine 2 Kerne enthaltende Protoplasma-Masse ein- 
geschaltet. 


. Nervenfaser aus einem vor 57 Tagen zerquetschten Nerven, dicht 


oberhalb der Quetschstelle. In die Faser ist eine neue, viel schmä- 
lere Faser eingeschaltet, an der Verbindungsstelle a scheint ein 
Schnürring zu bestehen. 

Nervenfaser aus dem vor 14 Tagen zerquetschten N. ulnaris eines 
Kaninchens oberhalb der Quetschstelle. Die eingeschaltete schmale 
Faser hat eine Länge von 0,026 mm. 

Nervenfaser aus dem vor 93 Tagen mit einer bleibenden Ligatur 
umschnürten N. fibialis eines Kaninchen oberhalb der Ligaturstelle. 
Interposition einer aus 2 Segmenten, von denen das eine schmäler 
und blasser ist als das andere, zusammengesetzten Faser in eine alte 
breite Faser. 

Präparat aus demselben Nerven, ebenfalls oberhalb der Ligatur. 
Einschaltung eines aus 2 nebeneinanderlaufenden Fasern bestehen- 
den Segmentes in den Verlauf einer einfachen Faser. 


C. Arnstein: Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz betr. 345 


Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz 
betreffend. 


Von 


Prof. ©. Arnstein in Kasan. 


In diesem Archiv (Bd. XVII Heft 3) hat Alexander Dogiel 
über ein die Lymphgefässe umspinnendes Netz von Blutcapillaren 
berichtet, ohne einer Mittheilung von Biesiadecki aus dem Jahre 
1872 Erwähnung zu thun. Das betreffende Werk (Untersuchungen 
aus dem pathologisch-anatomischen Institute zu Krakau) ist leider 
in Kasan nicht zu haben. Da ich aber durch Prof. Waldeyer 
auf die Existenz eines Referates aufmerksam gemacht wurde, so 
glaube ich die Angelegenheit unverzüglich zur Sprache bringen zu 
müssen. Aus dem betreffenden Referate (Hofmann-Schwalbe’s 
Jahresbericht, Artikel „Haut“ p. 170) ersehe ich, dass Biesia- 
decki das perilymphatische Capillarnetz bereits 1872 gesehen 
hat, und zwar an den grösseren Lymphgefässen im Unterhautzell- 
gewebe. Die Angaben von Alexander Dogiel beziehen sich auf 
die grösseren und kleineren Lymphgefässe des äusseren Ohres, 
der Haut der Schenkel und des Mesenteriums. 

In den neuesten Handbüchern von Ranvier (1878), Toldt 
(1877) und in der so sorgfältig durchgearbeiteten mikroskopischen 
Anatomie von Krause (1876) ist die Beobachtung von Biesia- 
decki nicht notirt. Ebenso wenig konnte ich in dem medieini- 
schen Centralblatt und in den Jahresberichten (Virchow-Hirsch und 
Hofmann-Schwalbe) in den Abschnitten „Lymphgefässe“ und „Blut- 
gefässe“ etwas auf das umspinnende Capillarnetz Bezügliches auf- 
finden. Das oben eitirte Referat in dem Abschnitt „Haut“ des 
Jahresberichtes für 1872 ist mir leider entgangen, weil ich damals 
keine Veranlassung hatte die Referate in diesem Abschnitt durch- 
zusehen. Aus demselben Grunde habe ich einen hierher gehörigen 
Passus aus dem Artikel „Haut“ von Biesiadecki, in Strieker’s 
Handbuch p. 588, übersehen. 


346 C. Arnstein: Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz betr. 


Isidor Neumann weiss über das perilymphatische Capillar- 
netz aus eigener Anschauung nichts zu berichten, obgleich er in sei- 
nem Buche (Zur Kenntniss der Lymphgefässe der Haut 1873) die 
Arbeit von Biesiadecki eitirt. Auf p. 4 findet man folgenden 
Passus: ebenso (wie die Musculatur) stehen die vasa vasorum 
der Lymphgefässstämme hinter jenen der gleichweiten 
Arterien an Zahl zurück; Biesiadecki hat jüngst das Ver- 
halten der vasa vasorum des Näheren erörtert. Doch 
glaube ich nach Kenntnissnahme des Eingangs erwähnten Referates 
Schwalbe’s den Schluss ziehen zu müssen, dass Neumann die An- 
gaben von Biesiadecki falsch verstanden und daher es unterlassen 
hat sich von dem interessanten Sachverhalt persönlich zu überzeugen. 

Diese Zeilen mögen genügen, um den Beobachtungen von 
Biesiadecki die Priorität zu wahren und darzuthun, dass das 
perilymphatische Capillarnetz sich bis jetzt dem Bewusstsein der 
Histologen nicht eingeprägt hat). 


Kasan, den 28. März 1880. 


1) In dem Virchow-Hirsch’schen Jahresberichte für 1873, Referat über 
Histologie, pag. 52, IX, Nro. 4 ist das betreffende Werk Biesiadecki’s von 
mir zwar citirt, jedoch kein Auszug daraus gegeben worden, weil es mir da- 
mals nicht zur Hand war und ich das Citat nach einer anderen Quelle geben 
musste. So erklärt es sich auch, dass der Artikel Dogiel’s so, wie er mir 
eingesendet worden war, im Archiv zum Abdrucke gelangt ist. Prof. v. Reck- 
linghausen, in dessen Besitz sich das Biesiadecki’sche Buch befindet, 
war so freundlich, mich auf die betreffenden Angaben aufmerksam zu machen. 

Waldeyer. 


Walther Flemming: Ueber Epithelregeneration etc. 347 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie 
Kernbildung. 


Von 


Walther Flemming, 
Professor der Anatomie in Kiel. 


(Supplement zu: Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserschei- 
nungen, Th. II, dies. Archiv 1880, Bd. 18, p. 151.) 


Indem die neueren Untersuchungen über Zelltheilung und 
Kernvermehrung aus naheliegenden Gründen besonders die epithe- 
lialen Gewebe zum Terrain wählten, haben sie, ausser den nähe- 
ren Kenntnissen über die Theilungsvorgänge selbst, einen Wahr- 
scheinlichkeitsschluss ergeben, der für die allgemeine Gewebelehre 
nicht unwichtig ist; er lautet: die Regeneration der Epithe- 
lien, wie aller Gewebszellen, geschieht dureh Zelltheilung 
in den tiefen Schichten, mit Kerntheilung unter den 
allerwege bekannt gewordenen Erscheinungen der Kern- 
metamorphose (Karyokinese). Es besteht kein Grund, 
Vorgänge andrer Art — wie z.B. ‚freie Zell- oder Kernbil- 
dung* — bei der Epithelzellenvermehrung vorauszu- 
Setzen. 

Diesem Gedanken habe ich schon vor etwa 1'/, Jahren zwar 
deutlich, aber sehr kurz Ausdruck gegeben !); denn er kam mir, 
nach den vielseitigen und massenhaften Befunden von 
Kerntheilungsfiguren in wachsenden Epithelgeweben, 
so selbstverständlich vor, dass es mir nicht erforderlich schien ihn 
noch besonders zu commentiren. In Letzterem habe ich mich ge- 
täuscht: eine eben erschienene Arbeit?) zeigt, wie fest die alten 


1) Dies Archiv, Bd. XVI, p. 397. 

2) Die physiologische Regeneration des Flimmerepithels der Trachea. 
Von Dr. Otto Drasch. Sitzungsber. d. Wiener Acad. d. Wiss., Math. nat, 
Cl. B. 80, 16. October 1879. 


348 Walther Flemming: 


Ideen auch gegenüber den neuen Thatsachen noch haften können, 
und giebt mir deshalb Anlass hier zur Erwägung zu stellen, ob 
sie dazu in diesem Fall wirklich ein Recht haben. 

Zwar weiss ich wohl, dass eine grosse Zahl von Biologen 
heute an dem anfangs hervorgehobenen Satz nicht mehr zweifelt. 
— Aber auch in neuerer Zeit sind Anschauungen, denen derselbe 
gegenübertritt, oder mit denen er doch nicht zusammenfällt, von 
mehreren Seiten geäussert. 

Eine so schwerwiegende Stimme wie die Henle’s!) hielt 
noch vor Kurzem an der Wahrscheinlichkeit fest, dass der Ver- 
mehrung der Hautepithelzellen ein freies Entstehen von Kernen 
nahe der Bindegewebsgrenze, und eine Bildung von Zellen um 
diese Kerne zu Grunde läge; obschon Henle die Möglichkeit, 
dass dabei dennoch Zelltheilungen vorliegen könnten, nicht geradezu 
ausschliesst. 

Dieser Auffassung steht diejenige nahe, wenn auch nicht ganz 
gleich, welche 1871—1873 Lott?) durch ausführliche Arbeiten zu 
stützen suchte; Arbeiten, in welchen zugleich die Formveränderun- 
sen, die die Zellen des Corneaepithels bei ihrem Wachsthum und 
ihrem Vorrücken gegen die Oberfläche typisch durchmachen, vor- 
trefflich studirt und beschrieben sind. Mit letzterem Theil der 
Lott’schen Untersuchung habe ich es hier nicht zu thun. In Be- 
zug auf die Lieferungsquelle der neuen Zellen vertritt Lott die 
Meinung, dass die Fusstheile der nach der Oberfläche aufrücken- 
den Epithelzellen von diesen selbst abgeschnürt werden, und als 
anfangs kernlose Zellenreste — „Rudimente‘“ Lott — das Keim- 
material für neue Zellen darstellen sollen: dergestalt, dass in die- 
sen Rudimenten Kerne durch Verdichtung sich neubilden, und die 
Zellen dann nach oben in die Länge wachsen, indem ihre Fuss- 
theile wiederum zurückbleiben. — Diese Ansicht unterscheidet 
sich von der vorher angeführten Henle’s, wie man sieht, dadurch, 


1) J. Henle, Handbuch der Eingeweidelehre. 2. Aufl, p. 3 Anmer- 
kung. Allerdings weiss ich nicht, ob diese Anschauung noch jetzt aufrecht 
erhalten wird. 

2) Ueber den feineren Bau und die physiologische Regeneration der 
Epithelien, insbesondere der geschichteten Pflasterepithelien. Von Dr. Gustav 
Lott. Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histologie in 
Graz, herausg. von A. Rollet. 3. Heft, 1873. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 349 


dass sie keine freie Kernzeugung in einem Blastem aufstellt, nähert 
sich jener aber doch darin, dass sie immerhin eine Kernneubil- 
dung ohne Theilung stattfinden lässt, wenn schon im Bereich von 
Zellprotoplasma. 

W. Krause hat dann 1876!) eine Darstellung der Epithel- 
neubildung mit Bezug auf die Cornea gegeben, welche die eben 
bezeichnete im Wesentlichen wiederholt, ohne Lott’s Arbeiten 
dabei anzuführen ?). — Es ist merkwürdig genug, dass dabei 
gerade W. Krause selbst, vor all den neueren Arbeiten über den 
Gegenstand, die wahren Kerntheilungen im Epithel der Hornhaut 
gesehen ?), und damit den richtigen Schlüssel zum Verständniss 
der Epithelregeneration in der Hand gehabt hat, ohne ihn zu be- 
nutzen; es liess sich erklärlicher Weise damals noch nicht ahnen, 
dass diese anscheinend granulirten (eigentlich geknäuelten) Kerne 
Theilungen seien. Krause hat sie demnach für die Neubildungs- 
frage ausser Acht gelassen und ist gerade auf das Entgegengesetzte, 
auf die Lott’sche Hypothese der freien Kernbildung gerathen ?). 

Der Glaube an eine solche war so lange vollkommen moti- 
virt, als man noch nichts von den Merkzeichen der Zelltheilung 
kannte, welche durch die Kerntheilungserscheinungen geliefert 
werden. Grade der Umstand, dass sich mit den Untersuchungs- 
methoden und an den Objeeten, die man gerade benutzt hatte, an- 
scheinend keine Kerntheilungen finden lassen wollten — Theilun- 
gen, die man noch dazu immer unter dem fälschlich-hergebrachten 
Bilde einer directen Kernabsehnürung suchen zu müssen glaubte, 


1) Handbuch der Allgem. Anatomie, 1876, p. 25. 

2) Vergl. in der unten besprochenen Arbeit von Drasch, p. 1 Anm. 
— Wenn ich selbst (dies. Arch. Bd. 16 p. 397) nicht die Arbeit Lott’s, son- 
dern nur die Angabe Krause’s kurz erwähnt habe, so geschah dies, weil ich 
dort nur die Frage nach der Entstehung der Kerne kurz berührt habe, in 
welcher ich ebensowohl Lott, als seinem Nachfolger Krause Unrecht geben 
musste; und weil ich darum glaubte, Lott mit der Erwähnung seiner Prio- 
rität in dieser Sache keinen besondern Dienst zu leisten. 

3) Allg. und mikr. Anatomie, 1876; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1870. 

4) Durch eine Mittheilung Pfitzner’s bin ich darauf aufmerksam ge- 
macht, dass bereits vor 7 Jahren auch Henle, wie die Fig. 275, 3, 4 in sei- 
ner Eingeweidelehre von 1873 zeigt, an Hodenepithelzellen Kerntheilungs- 
figuren (Knäuelform) mit grosser Treue dargestellt hat, ohne dass sie natür- 
lich damals in ihrer wahren Bedeutung erkannt werden konnten. 


350 Walther Flemming: 


— gerade dieser Umstand ist es ja gewesen, der immer wieder den 
Gedanken eingab, dass es sich um freie Kernbildung handeln müsse. 

Da aber eine freie Kernbildung von Niemandem gesehen 
war und ist, so war dieser Glaube nichts als eine hypothetische 
Aushülfe, dieweil man nichts Besseres hatte. Seine Motivirung 
verschwindet, nachdem zunächst Bütschli, Strasburger u. A. 
einige der charakteristischsten Formen der Kerntheilung bekannt 
gemacht, nachdem dann Mayzel und Eberth, Peremeschko 
und ich!) gezeigt haben, dass diese Kerntheilungsformen in krank- 
haft- und normalwachsenden Epithelien massenhaft vorkommen, 
und nachdem endlich Pfitzner und ich?) gefunden haben, dass 
diese Theilungen nicht etwa bloss in pathologischen Fällen und 
bei Larven und Embryen, sondern z. B. auch im geschichteten 
Hautepithel erwachsener Wirbelthiere constant zu fin- 
den sind. 

Trotzdem wird jetzt in der vorher angezogenen Arbeit von 
Drasch wiederum der Versuch gemacht, für die Regeneration des 
Flimmerepithels der Trachea eine freie Kernbildung°) im 
Sinne Lott’s vorauszusetzen. Die Arbeit ist dabei, was das Stu- 
dium der Zellenformen und ihrer Wachsthumsveränderungen an- 
geht, so reich an guter Beobachtung und mit so grosser Sorgfalt 
ausgeführt *), dass man dadurch bestochen werden könnte, auch 


1) Die Literatur s. in diesem Archiv, Bd. XVI, p. 398 und 425 ff. 

2) S. ebenda, p. 397. 

3) Ein für allemal soll bemerkt sein, dass ich den Ausdruck „freie 
Kernbildung“ hier stets im Sinne der bisherigen Anschauung der Botani- 
ker brauche; wobei das Wort „frei“ nicht eine Generatio spontanea in un- 
organisirtem Blastem bedeutet, sondern nur im Gegensatz zu: „durch Thei- 
lung“ steht. Ich verstehe also unter „freie Kernbildung* die (hypothetische, 
unbewiesene) Neuentstehung eines Kerns im Zellprotoplasma dort, 
wo vorher keiner war; sei es nun wie Lott und Drasch annahmen, 
durch Verdichtung, oder wie Auerbach wollte, durch Tropfenbildung. 

4) Hiervon muss ich nur die Deutung ausnehmen, die Drasch den 
Becherzellen giebt: er hält sie für vorübergehende Entwicklungsformen 
der Flimmerepithelzellen. Ich halte dagegen die Ansicht F. E. Schulze’s 
für durchaus richtig, nach der die Becherzellen allerorten, wo sie vorkom- 
men, eigenartige und besonders fungirende Epithelzellen darstellen; und 
möchte glauben, dass Drasch sich hiervon gleichfalls überzeugt haben 
würde, wenn er auch andere Epithelarten genauer geprüft, und vor Allem 
sich auch bei Evertebraten umgesehen hätte. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 351 


die obige Voraussetzung ihres Verfassers als begründet hinzuneh- 
men. Es scheint mir deshalb richtig, zu zeigen, dass sie dies 
nicht ist. 

Drasch nimmt ebenso wie Lott an, dass von den aufrlicken- 
den Epithelzellen kernlose Rudimente zurückbleiben, in welchen 
dann neue Kerne durch Verdichtung entstehen, und welche als 
Ersatzzellen nachwachsen. Für solche freie Kernentstehung bringt 
Drasch keine neuen positiven Belege, sondern beruft sich (p. 22) 
auf Lott, bei dem es p. 282 heisst: 

„Die so zurückbleibenden Protoplasmareste (Rudiment-Zellen) 
bilden nun offenbar die Grundlage zur Bildung neuer kernhal- 
tiger Fusszellen. Diese Kernbildung scheint mir mit einer all- 
gemeinen Verdichtung des Protoplasma zu beginnen, aus dem 
sich dann der Kern differenzirt. Dafür spricht das Verhalten 
gegen die Hämatoxylintinetion. Man sieht nämlich solche, bei 
denen sich das Rudiment nur schwach tingirt, während es sich 
in anderen Fällen sehr intensiv, fast wie ein Kern tingirt, ohne 
dass man aber noch einen begrenzten Kern selber wahrnehmen 
könnte. Ferner spricht dafür die verschiedene Form der Rudi- 
mente, indem man ausser den erst beschriebenen (zugespitzte) 
solche finden kann, deren freies Ende schon wieder vollkom- 
men abgerundet, zuweilen sogar breit ist, ohne dass sie einen 
Kern zeigen; aber grade diese sind es, die sich stärker tin- 
giren. 

Allein auch dies erleidet eine, wenn auch seltnere Ausnahme, 
indem es vorkommt, dass Kernbildung im untersten Abschnitt 
schon eintritt, ehe die Trennung vollzogen ist.“ 

Die einzigen Gründe, welehe Lott und ebenso Drasch zur 
Annahme einer freien Kernbildung bestimmt haben, sind also kurz- 
geordnet folgende: 

1. Beide konnten in den tiefsten Epithelschiehten und überhaupt 

im Epithel keine Kerntheilungen finden. 

2. Sie fanden in der tiefsten Schieht kleine, kegelförmige nach 
oben gespitzte, oder auch anders geformte Protoplasmakörper 

— „Rudimente“ — die sich zuweilen durch nach aufwärts 

gerichtete Fortsätze mit schon höher gerückten Zellenleibern 

in Verbindung zeigten. 
3. Sie fanden in den einen dieser „Rudimente“ Kerne, in an- 


deren keine solche; und fanden endlich, dass die einen Ru- 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 24 


352 Walther Flemming: 


dimente sich mit Hämatoxylin dunkler färben als die ande- 
ren, und als das Protoplasma der höher aufgerückten Epithel- 
zellen. Sie nahmen solche stärker tingirbare Stellen als An- 
fänge von Kernneubildung. 


1) Der erste dieser Gründe, der negative Befund beider 
Forseher in Bezug auf wahre Kerntheilung im modernen Sinn ist 
nun völlig ohne Bedeutung, angesichts der Methoden 
und Objeete, die von ihnen benutzt wurden. 


Beide Arbeiter nämlich haben vorzugsweise!) Kali bichro- 
mieum oder Müller’sche Lösung zum Isoliren verwendet. Mit 
der Sorgfalt, die sich wie gesagt im Uebrigen in Drasch’s Unter- 
suchung kundgiebt, eontrastirt es, dass er sich grade an dies un- 
glücklichste Mittel gehalten hat, das sich zur Ermittlung der Vor- 
sänge an den Kernen nur wählen liess; nachdem ich vor demsel- 
ben hinlänglich gewarnt zu haben glaubte ?), da ich selbst, ebenso 
wie Mayzel, mein Lehrgeld durch lange vergebliche Arbeit damit 
gezahlt hatte. 


Da diese dreifach wiederholte Erinnerung von Drasch so 
ganz übersehen wurde, erlaube ich mir, zum Frommen künftiger 
Arbeiter, hiermit folgende deutlich sichtbare Warnungstafel auf- 
zustellen: 


Wer mit Kali biehromieum oder anderen Chromsalzen Kern- 
theilungen suchen, oder ausschliessen will, begiebt sich auf einen 
hoffnungslosen Irrweg. 


An den hier eitirten Stellen habe ich dies hinlänglich moti- 
virt, indem dort gezeigt wurde, — was auch schon Mayzel er- 
fahren hat — dass die Chromsalze nicht nur die Structur der 


1) Sowie 10 p. c. Kochsalzlösung, die sich, soweit meine Erfahrungen 
reichen, nicht viel günstiger verhält. — Dass beide Autoren in geringem 
Maass auch andere Reagentien gebraucht haben, wird unten zur Sprache 
kommen; dass sie sich im Wesentlichen aber an das Chromkali gehalten 
haben, geht so deutlich aus ihrer Darstellung, ihren Abbildungen und deren 
Erklärung hervor, dass ich mit dieser Behauptung kein Unrecht zu begehen 
glaube. 

2) Dies Archiv Bd. XVI, 1878, p. 337; Centralblatt f. d. med. Wissen- 
schaften, 1879, 18. Mai, Nr. 23; Virchow’s Archiv, Bd. 77, März 1879, p. 19 
unten ff. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 853 


ruhenden Kerne stark verändern, sondern noch viel mehr die Kern- 
theilungsfiguren verstiimmeln oder zerstören '). 

Ich habe zwar bei fortgesetzten Versuchen mit chromsaurem 
Kali gefunden, dass man wohl hin und wieder, unter ganz uncon- 
trolirbaren Bedingungen, sehr mässige Erhaltungen von Kernthei- 
lungsfiguren damit erzielen kann; immer sind sie auch dann so 
undeutlich und verzerrt, dass man schon auf ihren Befund vorbe- 
reitet sein, und die unveränderten Formen durch andere Reagentien 
gut kennen muss, um jene zu diagnostieiren. 

Wenn also Lott, Draseh und viele Andere mit dieser 
Methode keine Kerntheilungen gefunden haben, so ist dies ganz 
natürlich, beweist aber nicht, dass solche wirklich fehlten. 

Beide Forscher haben nun allerdings ausserdem auch Mittel 
gebraucht, welche Kernfiguren besser erhalten: Chromsäure (Lott 
p- 268, Drasch p. 2, 3), Lott auch Pikrinsäure (p. 270)2). Aber 
diese Anwendungen scheinen, nach der Kürze, mit der die beiden 
Autoren über diese Reagentien hinweggehen, und bei dem Fehlen 
aller Abbildungen von Präparaten, die damit angefertigt wären, 
wohl nur kurze und gelegentliche gewesen zu sein. 

Ausserdem ist ja bekannt, dass die Chromsäure 3) weit 
schlechter Epithelzellen isolirt, als die Chromsalze; und ferner 
ist die Färbung von Chromsäurepräparaten mit Hämatoxylin viel 
schwieriger und erfordert viel mehr Sorgfalt, als die von Chrom- 
kalipräparaten; Drasch und Lott geben auch überhaupt nicht an, 
dass sie Chromsäureobjeete gefärbt hätten. Ohne Tinetion aber 
wird es, bei den kleinzelligen Säugethiergeweben um die es sich 
hier handelt, sehr schwierig sein und sehr vielen Suchens be- 


1) Um nicht missverstanden zu werden, hebe ich wie früher 1. c. her- 
vor, dass diese ungünstigen Eigenschaften der Chromsalze sich im Wesent- 
lichen nur auf die Kerne beziehen, nicht aber auf die Formen von 
Zellenieibern, welche vielmehr durch sie, wie wohl hinreichend bekannt 
ist, sehr schön erhalten werden können. 

2) Von der von Drasch ebenfalls angewandten Osmiumsäure kann 
ich absehen, denn sie ist für Kerntheilungspräparate in ihrer Art ebenfalls 
ganz ungünstig; sie erhält zwar die Theilungen, lässt sie aber so blass, dass 
sie an kleinkernigen Geweben kaum zu finden sind, und gestattet, wenigstens 
nach all meiner bisherigen Erfahrung, keine gute Hervorhebung derselben 
durch Tinction. 

3) Pikrinsäure noch viel schlechter. 


354 Walther Flemming: 


dürfen, um selbst mit Chromsäure in Isolationspräparaten Theil- 
ungen zu finden, es müssten denn solche gerade in loco in ganz 
besonderer Masse vorhanden sein. 

Ich würde nicht so verfahren, wenn ich im Trachealepithel 
oder Cornealepithel danach suchen wollte; sondern würde durch 
die in Chromsäure oder Pikrinsäure gehärtete Trachea oder Horn- 
haut in grosser Menge dünne Schnitte legen, diese gut mit Häma- 
toxylin oder Hermann’scher Anilinfärbung tingiren und aufhellen. 
Bei diesem Verfahren brauche ich in der Haut einer er- 
wachsenen Salamandra gewöhnlich nur ein halbes 
Dutzend Schnitte dnrehzusuchen, um eine oder mehrere 
Kerntheilungen im Epithel zu finden; vielfach sind sie 
auch häufiger. Aber sie sind hier allerdings auch wegen der 
Grösse viel leichter zu finden. Wollte ich statt dessen das Epithel 
mit der schlecht macerirenden Chromsäure isoliren, so hätte ich 
die Wahrscheinlichkeit, auf eine gut isolirte Zelle mindestens ein 
Dutzend zu bekommen, die noch zusammenhaften und also die 
Kerne schlecht erkennen lassen; ich hätte demnach so sehr wenig 
Chance, Kerntheilungen leicht und klar zu beobachten. 

Drasch hat allerdings auch Schnitte angefertigt (mit welchem 
Reagens, ist nicht gesagt 1. e. p. 3), jedoch, wie er angiebt, nur 
um den Situs der Epithelzellen zu überblicken; und ebensowenig 
hat Lott, nach seinen Worten 1. c. p. 267, das Schnittverfahren 
eultivirt. 

Es geht aus dem Gesagten hervor, dass in dem Tracheal- 
epithel und Cornealepithel sehr wohl Kerntheilungen vorkommen 
können, obschon Lott und Drasch sie bei dem eingeschlagenen 
Verfahren nicht gefunden haben). — 

2, Die dem 2ten Grund (s. o.) entsprechende Thatsache 
ist völlig zuzugeben; sie hat ja auch mit der Kernneubildung 
nichts zu thun. Ich stimme Lott und Drasch durchaus darin 
bei, dass die „Rudimente“ zurückgebliebene Theile der aufge- 
rückten Zellkörper sind, die sich von jenen abgeschnürt haben; 
nur nehme ich dabei an, dass diese Trennung als Zelltheilung 
und unter Kerntheilung erfolgt, und dass also der eine Tochter- 


1) Für Anderes, was dabei noch zur Aufklärung in Rede kommen 
kann, erlaube ich mir auf den Aufsatz: „Ueber das Verhalten des Kerns bei 
der Zelltheilung“, Virchow’s Archiv 1879, zu verweisen. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 355 


kern in dem betreffenden „Rudiment‘“‘“ — d. i. der fussständigen 
Tochterzelle zurückbleibt. — Und damit komme ich auf den 
dritten Punct. 

3. Dass man in Isolationspräparaten aus Chromkali solche 
„Rudimente“ finden kann, die keine Kerne enthalten, in denen man 
bei guter Tinction die Anwesenheit von solchen sicher ausschliessen 
kann — dies beweist in der vorliegenden Frage nichts. Denn 
es sollte jedem geübten Epithel-Isolator bekannt sein, dass man 
auch bei den besten Einwirkungen, beim schonendsten Arbeiten 
nicht bloss ganze Zellen isolirt erhält, sondern auch vielfach 
Zellenbruchstücke, denen man es oft nicht anmerken kann, ob 
und wo sie abgebrochen sind. 

Dass ferner Zellen der tiefen Epithelschichten sich vielerorten 
stärker tingiren, als die der mittleren und oberen, ist bekannt. 
Für ebenso bekannt habe ich es gehalten, dass gerade bei der 
Hämatoxylinfärbung, auch mit den bestwirkenden Lösungen und 
bei gleichmässigster Einwirkung in Bezug auf die Kerne'), das 
Zellprotoplasma oft recht ungleich im Farbenton ausfällt: nicht 
nur die eine Zelle dunkler als die andere, sondern selbst ein 
Theil eines Zellenleibes oft dunkler als der übrige Theil. 

Hiemit muss es sich nun doch von selbst verbieten, dass man 
aus einer stärkern Tinction eines Protoplasmastückes schon den 
weitgehenden und ohne Analogie dastehenden Schluss zieht, es 
wolle sich in diesem Protoplasmastück ein Kern bilden. 

Aber ich halte es ausserdem für ganz möglich, dass Manches 
von jenen stärkeren Färbungen in „Rudimenten“, wie sie Lott 
und Drasch beobachtet haben, wirklich auf Kernsubstanzen zu 
beziehen sein mag: nämlich auf Kerntheilungsfiguren?), die 


1) Ich erlaube mir das Obige ziemlich positiv hinzustellen, weil ich 
auf Grund meiner letzten Arbeiten in Färbungen, und gerade auch Hämato- 
xylinfärbungen, eine recht ausgedehnte vieljährige Erfahrung habe. Um eine 
Hämatoxylintinetion recht gleichmässig zu erhalten, pflege ich sogar oft die 
Tinetur um das eingelegte Stück her (durch Schütteln) in fortwährender Be- 
wegung zu halten, und weiss sehr gut, was eine gute, was eine schlechte 
Färbung der Art ist. Dennoch kann ich versichern, dass auch bei den best- 
gerathenen Tinctionen, wo alle Kerne im Präparat durchaus die gleiche 
Nuance haben, in Bezug auf das Zellprotoplasma dabei doch die Un- 
gleichmässigkeiten oft vorkommen, von denen hier oben die Rede ist. 

2) In diesen Fällen natürlich Tochterfiguren. Die zugehörige Schwe- 


356 Walther Flemming: 


durch die Chromkalibehandlung verändert waren. Denn 
diese Veränderungen bestehen zuweilen!) in einer diffusen Zu- 
sammenquellung der färbbaren Fadenfigur (Chromatin) mit der 
nicht färbbaren (Achromatin), mit gleichzeitiger Verwischung der 
Grenze gegen das Zellplasma; diese Masse färbt sich dann bei 
Tinetion wie ein Kern, aber oft blasser; ein soleher tingirter, 
schlechtbegrenzter Klumpen kann dann ganz aussehen wie die 
Dinge, welche Lott und Drasch als Kernneubildungen ansahen. 

Wenn man Alles Gesagte berücksichtigt, zeigt sich nicht die 
mindeste Schwierigkeit für die Annahme, dass die von Lott und 
Drasch untersuchten Epithelien, wie andere, durch Zelltheilung 
mit Kerntheilung, unter den allgemeinen Erscheinungen der Karyo- 
kinese sich regeneriren. In vollem Einklang steht damit der ge- 
wiss richtige Befund beider Forscher, das Vorkommen zweikern- 
iger Zellen in den betreffenden Epithelien betreffend ?). Wie ich 
an anderem Orte ?) auseinandergesetzt habe, lassen sich zwei- und 
mehrkernige Zellen einfach als verunglückte Zelltheilungen auf- 
fassen, bei denen es nur zur Kerntheilung, nicht zur Scheidung 
des Zellenleibes gekommen ist. Daraus folgt aber auch der Rück- 


sterfigur würde in der, von dem betreffenden „Rudiment* abgeschnürten 
Zelle zu suchen sein. 

1) Nicht immer so. In anderen Fällen, und stets dort, wo die Kern- 
membran bei der Mutter noch erhalten, oder bei den Töchtern schon wieder 
neugebildet war, erscheint der durch Chromsalze verunstaltete und gefärbte, 
karyokinetische Kern scharf vom Plasma abgesetzt, im Inneren dagegen ent- 
weder gleichmässig tingirt, oder noch mit streifigen verstümmelten Resten 
der Fadenfigur durchzogen (wie es Taf. XV Fig. 14d dies. Archiv, Bd. XVI, 
andeutet, oft auch in anderen Formen). — Die Sterne und Aequatorialplat- 
ten werden aber durch die Chromsalze auch oft in der Art verändert, dass 
sie sich in Form von unregelmässigen, höckerigen Klumpen im Inneren eines 
hellen Raums zusammenballen. 

Bei den Fällen, um die es sich oben im Text handelt, also bei Toch- 
terkernen in Knäuel- oder Sternform ist noch keine Kernmembran angelegt, 
kann also jene diffuse Verquellung leicht zu Stande kommen. 

Zu schwache Pikrinsäure verändert die Kernfiguren oft in ähnlicher 
Weise, wie die Chromsalze. 

2) Lott p. 275 und a. and. OÖ. Drasch scheint in ihrem Antreffen 
weniger Glück gehabt zu haben (p. 12 1. c.), vergl. jedoch seine Fig. IV, 2 
und VIII, 3. 

3) Virchow’s Archiv 1879, Bd. 77: „Ueber das Verhalten des Kerns“ 
etc., p. 15. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 357 


schluss, dass dort, wo man mehrkernige Zellen findet, Kerntheil- 
ungen vor sich gehen oder gegangen sind. 


Ich habe den Schluss, dass alle Epithelregeneration 
durch karyokinetische Zelltheilung in den tiefen Schich- 
ten vor sich geht, im Eingang dieses Aufsatzes als einen Wahr- 
scheinlichkeitsschluss bezeichnet. Er ist in der That nichts 
weiter als ein solcher; aber er ist der wahrscheinlichste den wir bis 
jetzt machen können. 

Es lässt sich allerdings nicht ausschliessen, dass entweder 
noch daneben, oder dass stellenweise sogar allein freie Kernbildung 
vorkommt. Aber es hat sich eine solche, wie am Schluss noch zu 
berühren sein wird, bisher nirgends zeigen lassen; während die 
Neubildung mit Kerntheilung für viele Orte wirklich gezeigt ist. 
Die Sachlage in dieser Beziehung ist, soviel das Epithel angeht, 
folgende !): 

Karyokinetische Zelltheilungen sind gefunden: im Epithel 
der Hautdecke bei Wirbelthierlarven, (Amphibien) Wir- 
belthierembryen (Vögel, Säugethiere), im Epithel der 
Hodencanäle (Amphibien, Fische, Arthropoden), im Epi- 
thel der Ovarialgänge (Arthropoden, Balbiani), im Epithel 
der Hornhaut bei erwachsenen Amphibien und Säuge- 
thieren bei Regeneration nach Verletzung, sowie auch (Krause) 
im normalen Hornhautepithel; endlich im normalen, geschichteten 
Hautepithel beim erwachsenen Salamander und Triton. Dazu 
füge ich noch, dass Pfitzner kürzlich auch im Epithel der Darm- 
drüsen beim erwachsenen Salamander zahlreiche karyokinetische 
Theilungen fand, von denen mir Präparate vorliegen. — 

In vielen dieser Fälle wurden die Theilungen so zahlreich 
gefunden, dass sie zur Erklärung der gesammten Epithelregene- 
ration völlig ausreichen; in den übrigen Fällen, wo nur einzelne 
Theilungen gesehen wurden, war auch die Untersuchung nicht 
ausgedehnt. 


1) Die näheren Angaben, auf die ich für das Folgende verweise, finden 
sich im I. und II. Theil meiner „Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer 
Lebenserscheinungen“, dies Archiv Bd. XVII und XVII, 


358 Walther Flemming: 


Sollte man nun wirklich, bei dieser Lage der Kenntnisse, 
annehmen wollen, dass sich z. B. zwar im Hautepithel der Amphi- 
bien die Zellen und ihre Kerne durch Theilung fortpflanzen, im 
Epithel der Trachea aber bei Säugern sich mit freier Kernbildung 
vermehren? Dass zwar in dem pathologisch wuchernden Hornhaut- 
epithel, und unter Umständen auch im normalen, die Kernver- 
mehrung auf dem Wege loyaler Erbfolge durch Theilung geschehe, 
unter anderen Umständen aber, oder nebenbei, auch durch Gene- 
ratio spontanea von Kernen im Protoplasma? 

Ich kann mir nicht denken, dass ein Biolog, der die Sache 
ernstlich überlegt, ohne Noth und Anlass eine Hypothese ma- 
chen sollte, die eine so gewaltige Ungleichheit einschliesst; dass 
Jemand den Werth des Analogieschlusses so gering schätzen sollte, 
um ihn hier absichtlich nicht anzuwenden. — Desshalb habe ich 
mir auch nicht die Mühe genommen, im vorliegenden Falle im 
Epithel der Trachea noch selbst nach Kerntheilungen zu suchen; 
ich überlasse es dem, der es will, indem ich mir vorauszusagen 
erlaube, dass er sie finden wird, wenn er die hier empfohlenen 
Methoden anwendet. Allerdings würde ich rathen, solche Arbeit 
zunächst an grosszelligen Geweben, am besten von geschwänzten 
Amphibien, zu beginnen. — 


Ueber das Verhalten der Theilungen im geschichteten Haut- 
epithel habe ich dem kaum etwas hinzuzufügen, was ich selbst!) 
(Salamander) und weiter E. Klein?) (Triton) bereits darüber aus- 
gesagt haben. Der Annahme des letzteren Autors, dass ausser den 
indirecten Theilungen noch directe ®) vorkämen, bin ich p. 159 ff. 
Bd. XVIII dieses Archivs entgegengetreten, indem ich zeigte, dass 
die indireeten Theilungen für die Erklärung der Regeneration völlig 
genügen. Näheres über das Hautepithel wird demnächst Pfitzner 
mittheilen. 

Die Theilungen finden sich hier nicht bloss in der tiefsten 
Schicht, sondern so weit nach aufwärts, als die Zellen noch nicht 
eigentlich abgeplattete Formen haben. Es sind das die Schichten 


1) Dies Archiv und Virchow’s Archiv a. a. O. 

2) Quart. Journ. mier. science, July 1879. 

3) Dagegen scheint Klein darin mit mir einig zu sein, dass kein 
Grund ist hier an eine freie Kernentstehung zu denken. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 359 


die nach Morphologie und Reactionen der Zellen dem Stratum 
Malpighii der Säugethierhaut entsprechen, welches ja auch bei 
andern geschichteten Epithelien, als denen der Haut, überall sein 
Aequivalent hat. Um für den langen unbequemen Namen Stratum 
Malpighii !) einen kurzen, und zugleich physiologisch-bezeichnenden 
zu gewinnen, würde man also deutsch einfach Keimschicht sagen 
können. 


Giebt es überhaupt eine freie Kernbildung? Ich 
habe mir erlaubt, solche hier mehrfach hypothetisch und unbe- 
wiesen zu nennen. Dies kann man thun, ohne die bezüglichen 
Angaben vieler und vortrefflicher Beobachter zu ignoriren; und 
ohne den Forschern selbst damit ein Unrecht zu thun, die aus 
ihren richtigen Beobachtungen Schlüsse zogen, welche nach der 
grade herrschenden Meinungsrichtung berechtigt schienen, aber es 
nicht immer zu bleiben brauchen. 

Man erinnere sich nur, wie fest in der Phytologie bis noch 
vor Kurzem der Glaube an die freie Kernbildung im Embryosack 
stand, mit welcher Sicherheit diese Annahme in den Lehrbüchern 
vorgetragen wurde; und man halte damit zusammen, was Stras- 
burger, der diese Annahme bis dahin selbst getheilt hatte, im 
vorigen Jahre ?) aussprach: 

„Eine freie Kernbildung inden Embryosäcken giebt 
es nicht, alle Kerne gehen aus einander durch Theilung 
hervor“ — 
ein Satz, den Strasburger durch genaue Beschreibung bei vielen 
Pflanzenformen jetzt hinreichend bewährt. Mit Recht äussert er 
im Anschluss daran, dass die vorliegenden Angaben über freie 
Kernbildung im Thierreich einer erneuten Prüfung bedürften. Sollte 
eine solche nicht vielleicht auch in den sehr einzelnen Fällen aus 
dem Pflanzenreich °), für welche Strasburger noch an einer freien 


1) Die heute ganz sinnlos gewordenen Namen „Rete Malpighii, Rete 
mucosum, Stratum mucosum“ sind wohl hoffentlich von den meisten Histio- 
logen schon allmählig ausser Curs gesetzt. 

2) Botanische Zeitung 1879, 25. April, Nr. 17. 

3) Copulation der Spirogyren, Keimung von Ulothrix. Strasburger 
a. a. OÖ. p. 274, 


360 Walther Flemming: 


Kernbildung festhält, Ergebnisse liefern die mit Anderem mehr in 
Einklang stehen? — Wir Zoologen haben lang genug gemeint, 
dass bei der Eitheilung Kerne untergehen und sich neubilden 
müssten; und haben uns doch geirrt. 

Von den vielen Aussagen über freie Kernbildung bei thie- 
rischen Gewebs- oder Eizellen will ich hier nur von den neueren 
einige der wichtigsten und bekanntesten zur Sprache bringen: 
zunächst die Angaben von Weismann über die Bildung der Kerne 
der Polzellen und der Keimhaut bei Inseetenembryen !); die Er- 
fahrungen von Auerbach?), auf das gleiche Objeet und auf die 
Furehung der Froscheier sich beziehend; und die Schilderungen 
des gleichen Vorgangs vom Rindenprotoplasma des Keims bei 
Knochenfischen, welche kürzlich Kupffer?) gegeben hat, unter 
Hinzuziehung der früheren Angaben E. von Beneden’s, Haeckel’s, 
Lereboullet’s, van Bambeke’s und Anderer, die sich am letzt- 
eitirten Ort zusammengestellt finden. 

Man kann die Genauigkeit der betreffenden Beobachtungen 
so vollkommen anerkennen, wie ich es thue, und doch in ihnen 
noch keinen sichern Beweis dafür finden, dass in irgend einem 
dieser Fälle die Kerne durch freie Bildung im Protoplasma, und 
nicht durch Theilung, entstanden seien. In denjenigen dieser 
Fälle, welche den Fischkeim betreffen, ist die Furchung desselben 
bereits vorgeschritten und eine Ableitung der fraglichen Kerne 
von den schon vorhandenen läge doch wohl im Bereich der 
Möglichkeit, wenn sie sich auch nicht nachweisen liess. Aber 
auch wenn man hiervon absieht, und wenn man das Dipterenei 
heranzieht, bei dem die Erscheinung auftritt, ehe eine anderweite 
Zelltheilung oder Kerntheilung ersichtlich ist *): so lässt sich doch 
heute nicht behaupten, dass der Protoplasmakörper der Eizelle, 
in dem diese anscheinend freie Kernbildung auftritt, oder die 
Stellen, an welchen sie auftritt, vorher kernlos waren. In die 
Substanz dieser Eizelle sind vorher Spermatozoen eingedrungen — 


1) Aug. Weismann, Ueber die Entwicklung der Dipteren im Ei. 
Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 13, 14, 1863. 

2) L. Auerbach, Organologische Studien, I, II. p. 82, 85. 

3) C. Kupffer, Ueber die Entwicklung des Ostseeherings. Jahresber. 
der Comm. z. wiss. Unters. der deutschen Meere, Jahrg. 4—6. 1878. p. 200, 

4) Vergl. Weismann, a. a. O. p. 162, 163 u. a., Auerbach a. a. 0. 
pag. 85. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 3617 


am Wirbelthierei, nach Kupffer’s und Hensen’s Beobachtungen, 
in grosser Zahl; — jeder Spermatozoenkopf aequivalent der wirk- 
samen Substanz eines Zellkerns. Wenn sich dieselben bisher 
nicht morphologisch verfolgen liessen, so ist damit nicht bewiesen, 
dass sie sich wirklich auflösen und jede Form und Localisation 
verlieren. Ferner wissen wir nicht, ob an den hier in Rede ste- 
henden Objeeten nicht auch der Eikern schon Theilungsproducte 
abgegeben haben kann; hier, wie dort, ist die bisherige Unmög- 
lichkeit der Verfolgung kein Gegenbeweis. Man braucht sich nur 
zu erinnern, dass eine Zeit lang auch der Schluss auf den 
totalen morphologischen Untergang des Eizellenkerns (Keimbläs- 
chens) gemacht worden ist, weil sich von ihm zu der betreffenden 
Zeit an ungünstigen Objeeten nichts finden lassen wollte — ich 
rede leider zum Theil aus eigener Erfahrung !) — und dass wir 
jetzt durch Bütschli, O0. Hertwig u. A. erfahren haben, wie 
wenig berechtigt dieser Schluss war. 

Es würde mir wenigstens nicht verständlich sein, wenn nach 
all den neueren Arbeiten über die Schieksale des Kerns der Ei- 
zelle, und über die Richtungskörperbildung, noch Jemand glauben 
sollte, dass alles dies nur besondere Fälle seien, und dass es 
wirklich Eizellen gäbe, in denen der ursprüngliche Kern ganz 
verschwände. Wer diesen Glauben eine Zeit lang theilte, hat um 
so mehr Anlass auszusprechen, dass derselbe heute nicht mehr be- 
rechtigt ist. Denn zu einer solchen Berechtigung würde minde- 
stens ein sicher beobachteter Fall gehören, in welchem der Kern 
des Eies total untergeht, und einen solchen Fall giebt es nicht; 
dagegen giebt es ja jetzt zahlreiche, in denen das Gegentheil nach- 
gewiesen ist. 

Nicht anders wie in diesen Fällen scheint mir die Sache in 
denen zu liegen, welche von Seiten der experimentellen Patho- 
logie für eine freie Kernbildung geltend gemacht wurden; wie 
dies in den bekannten Arbeiten von Arnold?) und Klebs?), auch 
durch Mayzel*) geschah. Wenn es auch hier überall sehr danach 


1) S. dies. Archiv Bd. 16, p. 411—413. 

2) Die Vorgänge bei der Regeneration epithelialer Gebilde. Virchow’s 
Archiv, Bd. 46, 1869, p. 168. 

3) Die Regeneration des Plattenepithels. Arch. f. experim. Path. und 
Pharm. Bd. III. 

4) Siehe: Centralbl. f. d. med. Wiss. 1875, Nr. 50 (am Schluss). Nach 


362 Walther Flemming: 


aussah, dass die betreffenden Kerne neu und unabhängig von den 
praeexistirenden entstehen, und wenn demnach die Untersucher 
diesen Schluss gezogen haben, so darf man doch sagen, dass ein 
eigentlicher Beweis für denselben nicht vorliegt. Eberth'!) und 
Hoffmann?) sind ihm bereits mit triftigen Gründen entgegenge- 
treten, ohne dass damit andrerseits eine direete Widerlegung ge- 
liefert wäre; Eberth selbst spricht sich in dieser Hinsicht sehr 
vorsichtig, und sehr viel Spielraum lassend aus). 

Zur Zeit dieser Untersuchungen wusste man eben noch nichts 
von den Kerntheilungsfiguren ), von ihrer oftmaligen Blässe und 
selbst Unsichtbarkeit an lebenden Geweben, von ihrem oft schub- 
weisen Auftreten und ihrem Fehlen in den Intervallen solcher 
Schübe °), endlich von ihren Beeinflussungen durch Reagentien. 

In der Haut der Batrachierlarven z. B. finde ich die Theil- 
ungsfiguren lebend sehr blass, ohne Reagentien kaum studirbar; 
es ist deshalb ganz natürlich, dass die Beobachter der Substanzver- 
lust-Regeneration, die sich hier an das lebende Object hielten, 
von diesen Dingen nichts gesehen haben. — Während die ruhen- 
den Kerne des lebenden Hautepithels an der Salamanderlarve 
deutlich sichtbar sind (dies Arch. Bd. 16 p. 313, 361 ff.), erscheinen 
sie am Kiemenblattepithel derselben, sowie auf der Haut der Tri- 
tonlarve, unsichtbar (s. ebenda, und bei Peremeschko, Centralbl. 
f. d. m. W. 27 Juli 1878); die Theilungsfiguren sind am lebenden 


brieflichen Mittheilungen darf ich jedoch vielleicht annehmen, dass auch 
Mayzel jetzt, nach weiterer Verfolgung der Kerntheilungsvorgänge, die freie 
Kernbildung in den betreffenden Fällen nicht mehr für so zweifellos hält. 

1) Die Regeneration des Hornhautepithels. Virchow’s Archiv Bd. 51, 
1870, p. 361. 

2) Epithelneubildung auf der Cornea. Virchow’s Arch. Bd. 51, 1870, 
pag. 373. 

3) „Dass wir eine freie Kernbildung neben einfacher und doppelter 
Theilung der ursprünglichen Kerne für sehr wahrscheinlich halten müssen, 
womit wir aber die Abkunft der kleinen Kerne von den grösseren nicht 
läugnen wollen“, p. 367. 

4) Mayzel allerdings hatte solche gefunden und in demselben Aufsatz, 
der oben eitirt ist, beschrieben; aber es liess sich damals noch nichts über 
ihre allgemeine Verbreitung und typische Bedeutung bei der Zelltheilung 
ahnen. 

5) S. den Aufsatz in Virchow’s Archiv Bd. 77: Ueber das Verhalten 
des Kerns bei der Zelltheilung, p. 18. 


Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 363 


Kiemenblatt sehr blass; am Hautepithel deutlicher, aber hier immer 
noch weit blasser als die ruhenden Kerne; während letzteres sich 
bei Triton nach Peremeschko gerade umgekehrt verhält. Bei 
Säugethieren (Kätzchen, Omentum) fand ich die lebenden Kern- 
theilungen blass bis fast zur Unsichtbarkeit, während ‚hier die 
ruhenden Kerne auch im Leben ganz deutlich sind. 

Bei diesen so grossen Verschiedenheiten der Objeete bedarf 
es für die Entscheidung der hier besprochenen Frage einer sehr 
sorgfältigen Auswahl und Vergleichung der letzteren, unter gleich- 
zeitiger Anwendung der massgebenden Reagentien. Das Vermissen 
von Kerntheilungsfiguren an irgend einem bestimmten lebenden 
Gewebe giebt, nach dem eben Gesagten, keineswegs eine Gewähr 
dafür, dass solche wirklich fehlen, und dass sie nicht durch ge- 
eignete Zuziehung von Pikrinsäure, Chromsäure, selbst schon 
Essigsäure, auch hier dargestellt werden könnten, — neben den 
Dingen und vielleicht sogar zum Theil als die Dinge selbst, welche 
den Untersuchern der Substanzverlustränder als Zeichen einer 
freien Kernbildung erschienen sind. 


Der Leser dieses Aufsatzes mag den Eindruck bekommen 
haben, dass ich darin für den Satz: „omnis nucleus e nucleo“ ein- 
getreten bin. Ich thue dies aber nicht anders als unter Anhän- 
gung der Clausel: so viel wir bis jetzt wissen. Ich zweifle 
nicht an der Möglichkeit einer freien Zellbildung !), einer freien 
Kernbildung, einer Generatio spontanea überhaupt; ich kann die 
Vorstellung einer solchen nicht einmal, wie Andere es thun, aben- 
teuerlich finden; es scheint mir selbst die Hoffnung, dass sich die 
Bedingungen für solche Vorgänge einst werden näher erkennen 
und künstlich nachahmen lassen, auf kein blosses Ideal gerichtet. 


1) Das, was man jetzt „Zellbildung“ oder „freie Zellbildung“ zu nen- 
nen pflegt — so die betreffenden Vorgänge im Embryosack der Pflanzen 
(vergl. Strasburger a. a. 0.) und im Rindenplasma von Eiern (Weismann, 
Kupffer a. a. 0.) — ist ja nichts Anderes als eine Territorienscheidung 
in einem gegebenen lebenden Protoplasmakörper, der mehrere Kerne enthält, 
also im Grunde nur eine besondere Form der Zelltheilung. Mit dem Oben- 
stehenden aber meine ich auch eine eigentliche Generatio aequivoca von 


Protoplasma. 


364 B. Solger: 


Will man sich aber solchem Ziel nähern, so kann es dazu 
nicht der geeignete Weg sein, dass man das x, das noch gesucht 
werden soll, die freie Kernbildung, als gegeben und selbstver- 
ständlich annimmt und unbedenklich damit rechnet. Als ein viel 
besserer, Weg erscheint es, vor Allem aufs Genaueste und mit 
immer neuen Mitteln die vitalen Vorgänge der Zellen- und Kern- 
neubildung weiter zu erforschen, wie sie uns die Natur selbst 
vormacht. Bis jetzt hat diese Forschung mit Sicherheit noch keine 
andere Art solcher Neubildung gezeigt, als: Zellenfortpflanzung 
durch Zelltheilung, mit Kernvermehrung durch meta- 
morphotische Kerntheilung. 


Kiel, den 17. April 1880. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seiten- 
organe der Fische. 


II. Die Seitenorgane der Knochenfische !). 


Von 


B. Solger 
in Halle an der Saale. 


Hierzu Tafel XVII. 


Die Ueberschrift dieses dritten Abschnitts, welcher zunächst 
die Darlegung des thatsächlichen Materials beschliessen, und als- 
dann das Facit der gesammten Untersuchung ziehen soll, nennt 
eine Abtheilung der Fische, die der Teleostier, welche in zahl- 
reichen Formen und Individuen die Gewässer unserer Heimath be- 
völkert. Zu jeder Jahreszeit leicht und reichlich zu beschaffen, 


1) I. u. I. s. Bd. XVII dies. Arch., Seite 95 und 458 ff. S. 467, Z. 14 
v. o. sind die Worte: „in dorso-ventraler Richtung“ zu streichen. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 365 


scheinen die Knochenfische auf den ersten Blick das dankbarste 
Untersuchungsmäterial abzugeben. Wer jedoch dem Gegenstande, 
mit welchem diese Arbeit sich beschäftigt, durch eigene Beobach- 
tung näher getreten ist, dem kann es nicht entgangen sein, dass 
nur einige Repräsentanten der bei uns so reich vertretenen Ab- 
theilung zur histologischen Durchforschung gleichsam einladen, 
Acerina cernua an der Spitze, demnächst Zota fluviatilis und einige 
andere; denn gerade bei den gemeinsten Formen unserer Knochen- 
fische stösst die Untersuchung des feineren Baues auf nicht uner- 
hebliche Schwierigkeiten, indem oft genug das gering entwickelte 
Sinnesepithel in das Innere enger, von Hartgebilden umschlossener 
Röhren sich zurückzieht. Eine die ganze Abtheilung der Knochen- 
fische umfassende Darstellung unserer Sinnesorgane, die man viel- 
leicht nach der Fassung der Ueberschrift erwarten könnte, ent- 
halten also diese Blätter nicht; dafür sollen aber die Ganoiden 
und die Dipnoer thunlichst berücksichtigt werden. Aus Mangel 
an frischem oder gut conservirtem Material muss freilich die Schil- 
derung der Seitenorgane dieser Abtheilungen fast ausschliesslich 
den Angaben der Autoren folgen; allein der Vollständigkeit des 
Bildes halber glaubte ich die Organe der genannten Gruppen nicht 
mit Stillschweigen übergehen zu dürfen. 


Dipnoi. 

Was zunächst die Seitenorgane der Dipno@r betrifft, so sind 
mir wohl Angaben über die Anordnung derselben, über Kanäle, 
in denen sie liegen, sowie über die Spuren, die sie den Hautver- 
knöcherungen aufdrücken, bekannt geworden; den feinern Bau dieser 
Sinnesorgane scheint jedoch bisher noch Niemand berücksichtigt 
zu haben. 

Von Ceratodus erwähnt Günther in seiner bekannten 
Monographie !) feine Poren in der Kopfhaut, die indessen nicht 
regelmässig angeordnet seien. Vielleicht sind sie auf die Min- 
dungen des Seitenkanalsystems zu beziehen; doch möchte ich auf 
die unbestimmte Angabe nicht viel Gewicht legen. Ganz unzwei- 
deutig lautet dagegen Günther’s Beschreibung der Seitenlinie 


1) A. Günther, Descript. of Ceratodus etc. in Philos. Transactions of 
the royal soc. of London 1871, vol. 161, p. 514. 


366 B. Solger: 


selbst !): „the lateral line is elarely marked, its scales being per- 
forated at the base of the exposed portion.“ Die Seitenlinie 
zählt vom Kopfe bis zur Gegend des Afters 22—23 solcher grosser, 
durchbohrter Schuppen; kleiner sind die Schuppen des Schwanzes, 
deren noch etwa 17 auf einander folgen. 

Aus der Gruppe der Dipneumones ist Lepidosiren wieder- 
holt anatomisch untersucht worden, und wenn das Augenmerk der 
Forscher auch nicht speciell auf unser Thema gerichtet war, so 
enthalten doch auch hierfür die Arbeiten von Hyrtl, M’Donnell 
und Peters manche schätzenswerthe Angabe. Zunächst ist die 
Existenz eines Ramus lateralis vagi, sowie einer deutlichen am 
Kopfe verzweigten, am Rumpfe einfachen Seitenlinie hervorzuheben, 
wichtige Punkte, die schon bei Hyrtl?) sich angemerkt finden. 
Er schildert in seiner Monographie beiderlei Gebilde, nämlich den 
Nerven und das Kanalsystem, deren Zusammengehörigkeit jetzt 
freilich jedermann geläufig ist, in ganz bestimmten Ausdrücken, 
ohne jedoch den Nerven mit der Seitenlinie in Beziehung zu 
bringen: die Auffassung der Seitenorgane als Sinnesapparat’wurde 
bekanntlich erst einige Jahre später durch Leydig begründet. 
Der Verlauf des Kanalsystems am Rumpfe wie am Kopfe bewegt 
sich in den wiederholt beschriebenen Bahnen. Bezüglich des Kopf- 
theils hebt Hyrtl die vollkommene Uebereinstimmung mit der bei 
Chimaera beobachteten Ramification hervor, und die von Peters?) 
gelieferte Abbildung von Protopterus bestätigt Hyrtl’s Vergleichung. 
Dagegen scheinen nach M’Donnell’s*) Schilderung am Kopfe 
von Lepidosiren nicht wie bei Chimaera Halbkanäle, sondern wirk- 
liche Kanäle vorzuliegen, die mit „stetig aneinander gereihten 
Oeffnungen“ nach aussen münden. Die Seitenlinie selbst schliesst 
sich bezüglich des Verhaltens ihrer Schuppen an die von Esox 
bekannte Form (s. u.) an. M’Donnel beschreibt sie folgender- 
massen: „The lateral line proper is suffieiently visible all along 
the body, but no openings are to bee seen by the nacked eye. 
The scales are eleft at the margin, not tunnelled.“ Die Schuppen 


1) 1. ec. S. 515. 

2) J. Hyrtl, Lepidosiren paradoxa, in Abhandl. d. böhm. Gesellsch. 
d. Wiss. 1845. 

3) Müll. Arch. 1845. 

4) 1. cup. 176. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 367 
sind also am freien Rande ausgekerbt, und nicht von einem Kanal 
durchsetzt. 


Ganoideiü. 


Auch die Litteraturangaben über die Seitenorgane der nächst- 
folgenden Gruppe, der Ganoiden, lassen uns bezüglich des feineren 
Baues im Stiche. Am besten sind sie noch, dank den vor Jahren 
von Leydig angestellten Untersuchungen, bei der Gattung Aei- 
penser gekannt. Als Untersuchungsmaterial dienten dem genannten 
Forscher Acipenser nasus und A. Nacarii. Der Verlauf des Kanal- 
systems am Rumpfe und am Kopfe bietet keine bemerkenswerthen 
Besonderheiten dar. Die Wand der dem Kopfe angehörigen Kanäle 
wird durch Ossificationen gestützt, die entweder als „eigene 
Schleimröhren-Knochen“ sich darstellen oder von den Deckknochen 
des Schädels geliefert werden; der Rumpftheil ist den Seitenschil- 
dern eingebettet. Was wir von dem morphologischen Verhalten 
der Seitenorgane selbst durch Leydig erfahren, lasse ich wörtlich 
folgen: „Mit Bezug auf den feineren Bau sei erwähnt, dass von 
Strecke zu Strecke ein Nervenstämmchen von 0,028 Dicke in 
den Kanal tritt (Taf. I Fig. 26), darin nach zwei Seiten ausein- 
ander weicht und dadurch ein niedriger Längswulst hervorgebracht 
wird, der den von mir beschriebenen knopfförmigen und linearen 
Nervenausbreitungen im Seitenkanalsystem verschiedener Knochen- 
und Knorpelfische entspricht. Dem Eintrittspunkt der Nerven gegen- 
über ist fast immer der knöcherne Kanal von einer grösseren 
Oeffnung durchbrochen“ !). Die Beschreibung bezieht sich offen- 
bar auf den Kopftheil der Seitenorgane. Am Rumpfe liegt der 
Seitennerv oberflächlich; ein Aestehen vom II. Spinalnerven ge- 
sellt sich zu ihm, verläuft aber, da es motorische Fasern enthält, 
nur auf eine kurze Strecke mit ihm (Stannius). 

Noch spärlicher sind unsere Kenntnisse von dem Verhalten 
der Seitenorgane der übrigen Ganoiden. Sie sind von den Ana- 
tomen, die von unseren Sinnesorganen handeln, ganz unberück- 
sichtigt geblieben; so kommt es, dass ich nur über kurze, zer- 
streute Notizen zu berichten habe. Was zunächst Amia angeht, 
so finde ich in Franque’s bekannter Monographie dieses Gano- 


1) Leydig, Anat.-histol. Unters. über Fische u. Rept. 1853, S. 11. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 18. 95 


368 B. Solger: 


iden für unsern Gegenstand nur die Worte: „Linea lateralis fere 
recta“. Etwas mehr ist von Lepidosteus und Polypterus zu melden, 
und zwar erstrecken sich die in der Litteratur niedergelegten Be- 
obachtungen sowohl auf die Anordnung der Seitenorgane, soweit 
sie sich am Schuppenkleide ausspricht, sowie auch auf den Ver- 
lauf des Nervus lateralis. Auch meine eigenen Beobachtungen 
gehen nicht über das hinaus, was sich durch die einfache Beob- 
achtung des unverletzten Thieres ermitteln lässt. Die von mir 
gegebene Beschreibung und die bildliche Darstellung beziehen 
sich auf je ein trocken aufbewahrtes Exemplar von Lepidosteus 
viridis und von Polypterus bichir der Hallenser vergleichend-ana- 
tomischen Sammlung; die Angaben der Autoren (L. Agassiz u. A.) 
sollen an passender Stelle eingeflochten werden. 

An dem mir vorliegenden Exemplar von Lepidosteus fällt die 
Seitenlinie wenig in’s Auge. Sie verläuft unverzweigt horizontal 
nach rückwärts; die Poren des Seitenkanals markiren sich als 
kaum merkliche Ausschnitte am untersten Ende des hinteren Ran- 
des jeder Schuppe, also ähnlich wie es Agassiz!) von L. Grayi 
beschreibt, nur dass hier der untere Schuppenrand die „echanerure“ 
aufweist. Unser Autor spricht übrigens wiederholt von den Röhren 
(tubes) der Schuppenreihe, welche der Seitenlinie entspricht: es 
kann somit darüber kein Zweifel bestehen, dass hier „Seitenorgane 
in Kanälen“ vorliegen. Der Seitennerv repräsentirt einen einfachen 
Stamm (J. Müller ?)). 

Längs der Seitenlinie bemerke ich an dem Lepidosteus un- 
serer Sammlung rechterseits 61, links 62 rhomboidale Platten; 
von ihnen sind rechts 27, links 32 durch den Besitz einer lineären, 
2—3 mm langen Vertiefung ausgezeichnet, die jedoch die ge- 
sammte Dicke der Schuppe nicht zu durchsetzen scheint. Diese 
schmalen Furchen verlaufen sämmtlich senkrecht zur Längsaxe 
des Fisches und liegen ;zugleich in der einen Diagonale der 
Schmelzsehuppen. Sie folgen einander übrigens nicht in regel- 
mässigen Abständen, sondern stehen bald in Gruppen, bald sind 
sie durch eine oder durch mehrere nicht besonders characterisirte 
Schuppen von einander getrennt. Während dieser Complex von 
Vertiefungen über die ganze Ausdehnung des Rumpfes bis zum 


l) L. Agassiz, Rech. s. l. poissons fossil. Tom. II S. 3. 
2) Arch. f. Naturg. 1846, S. 199. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 369 


Schwanze sich verfolgen lässt, verläuft eine zweite, etwas kürzere 
und weit weniger regelmässig angeordnete Reihe ganz ähnlicher 
Furchen in der Dorsalgegend des Rumpfes nahe der Medianebene 
bis zur Rückenflosse. Ich zähle auf der einen Seite 21, auf der 
anderen 23 derartiger Grübchen; sie halten sich aber nicht, wie 
die vorigen, an einer Längsreihe von Schuppen, sondern greifen 
abwechselnd in das Gebiet der einen oder anderen benachbarten 
Serie über, so dass ihre Verbindungslinie einen gebrochenen oder 
welligen Contour darstellt. Offenbar gehören beide Furchenreihen 
zusammen; die Frage, wie sie aufzufassen sein werden, wird bei 
Polypterus, zu dessen Beschreibung wir uns jetzt wenden, „wieder 
aufzunehmen sein. 

Zunächst betrachten wir die Seitenlinie von Polypterus 
(P. bichir). Sie beginnt mit einem kurzen, aufwärts convexen 
Bogen, zieht aber alsdann geradlinig weiter bis an’s Leibesende; 
sie wird durch eine Reihe von Schmelzschuppen dargestellt, deren 
jede eine geradlinige, 3—4 mm lange, rinnenförmige Vertiefung 
trägt, die bis zum hintern, freien Rande der Schuppe sich fortsetzt 
(Fig. 1 a). Die Continuität dieser Reihe wird nur gegen das 
Leibesende hie und da durch eine gewöhnliche Schmelztafel mit 
glatter Oberfläche unterbrochen. Ganz gleiche Vertiefungen, eben- 
falls der Längsaxe des Körpers parallel gerichtet, nur meist etwas 
kürzer, trifft man aber auch dorsal und ventral von der eigent- 
lichen Linea lateralis. Ventral von ihr sind sie auf einzelne 
Schuppen oder auf kurze Längsreihen, und zwar auf die Gegend 
unmittelbar hinter dem Schultergürtel beschränkt. Dorsal von 
der Seitenlinie formiren sie eine ziemlich geschlossene Linie, die 
hart an die Rückenflosse sieh hält und bis in die Nähe des Schwanz- 
endes zu verfolgen ist. Das Alles wird schon von L. Agassiz 
vortrefflich beschrieben !) und bildlich erläutert. Er fährt dann 
fort: „On remarque en outre sur les flancs quelques pores &pars 
et dispersees irrögulierement entre ces deux series continues“, 
d. h. zwisehen Linea lateralis und der eben beschriebenen Rücken- 
linie. Es ist dies eine zweite Form von Vertiefungen (Fig. 1, b), 
deren Aehnliehkeit mit den bei Lepidosteus beschriebenen lineären 
Furchen nicht zu verkennen ist. Fassen wir sie etwas genauer 
in’s Auge! 


DilzesPp. 50: 


370 B. Solger: 


Ich zähle beiderseits über 20 Schuppen, die ziemlich im 
Mittelpunkte ihrer freien Fläche einen seichten, stichförmigen Ein- 
druck zeigen. Diese Schuppen stehen bald einzeln, bald in kurzen 
Längsreihen, zu dreien etwa,'hinter einander, und beschreiben in 
ihrer Gesammtheit eine nicht nur vielfach unterbrochene, sondern 
auch unregelmässig geschwungene Linie. Nach den bisher vor- 
liegenden Thatsachen kann eigentlich auf die Frage nach der Be- 
deutung der bei Lepidosteus und Polypterus angetroffenen zweiten 
Form von Schuppenseulpturen eine sichere Antwort zur Zeit gar 
nicht gegeben werden. Allein man wird doch schon jetzt dabei 
an die von Mustelus von mir beschriebenen Gruben oberhalb 
der Seitenlinie !), sowie an die senkrecht zur Längsaxe des Rum- 
pfes gestellten spindelförmigen Epithelknospen von Acanthiasem- 
bryonen ?2) denken dürfen. Vermuthlich beherbergen die Grübchen 
im Schuppenkleide der beiden Ganoiden ähnliche Bildungen, die 
vielleicht bei späteren Untersuchungen als Hautsinnesorgane aus 
der Gruppe der Werkzeuge eines „sechsten Sinnes“ (Leydig) sich 
herausstellen dürften. — Der Rückenkantenast des Vagus, der 
nach J. Müller und Stannius bei Polypterus vorkommt, hat mit 
den Gruben oder deren Inhalt wohl nichts zu thun; denn einmal 
fehlt er bei Lepidosteus, wo wir doch die Schuppensculpturen 
eonstatiren konnten, und andrerseits kommt dieser Nervenzweig 
bei Knochenfischen vor, denen solche Vertiefungen fehlen, z. B. 
bei Cyprinoiden und Clupeiden (Stannius), und bei Esox (Fee). 


Knochenfische. 


Die Zusammenstellung der Litteratur über die Seitenorgane 
der Knochenfische, die ich am Schlusse des von mir mehrfach an- 
geführten Aufsatzes in der „Leopoldina“ beifügte, muss um drei 
Arbeiten vermehrt werden, welche die Teleostier ausschliesslich 
oder neben andern Abtheilungen der Fische berücksichtigen. Die 
eine dieser Arbeiten ist schon vor einer längern Reihe von Jahren 
veröffentlicht worden; ich muss desshalb für mich die Nachsicht 
ihres Verfassers dafür erbitten, dass sie jetzt erst zu ihrem Rechte 


1) s. d. Arch. Bd. XVII, Taf. XXXIX Fig. 6 und p. 475. 
2) Ebd., Fig. 2, p. 472. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 371 


gelangt. Der Aufsatz stammt aus Hyrtl’s Feder und ist über- 
schrieben: „Der Seitenkanal von Lota“ !). 

Hyrtl liefert dort durch Injection des Seitenkanals den 
interessanten Nachweis, dass bei Lota das gesammte Seitencanal- 
system nur durch vier freie Oeffnungen, von denen zwei an 'der 
Schnauzenspitze, zwei am Schwanzende sich finden, mit der Aussen- 
welt communieirt; am Rumpfe entspricht jedem Myocomma eine 
Erweiterung?), jedem Septum intermuseulare eine sehr beträchtliche 
Einschnürung des Kanals. 

In dem Jubiläumsbande der Halle’schen naturforschenden 
Gesellschaft ?) ist die zweite Arbeit niedergelegt. F. Leydig hat 
nämlich das von ihm vielfach geförderte Thema der Hautdecke 
und der Hautsinnesorgane der Wirbelthiere neuerdings wieder in 
Angriff genommen und die von ihm bei Petromyzon und einer 
Anzahl einheimischer Knochenfische ermittelten Thatsachen in einer 
umfangreichen Abhandlung mitgetheilt. Ich werde später Gelegen- 
heit haben, ausführlicher darauf einzugehen. 

Die dritte der hier nachzutragenden Arbeiten, welche den be- 
kannten Anatomen Sappey zum Verfasser hat, ist jüngsten Datums, 
und nennt sich: „Etude sur l’appareil, mucipare et sur le systöme 
Iymphatique des poissons“ (Paris, Folio). Das Original konnte 
ich leider nicht einsehen und so bin ich denn mit meinem Berichte 
auf das kurze Referat beschränkt, das der ‚Guide naturaliste“ in 
der ersten Nummer *) dieses Jahrgangs seinen Lesern brachte. 
Aus dem gleichen Grunde muss auch eine Kritik des Buches selbst 
wegfallen, und nur das Resume, das mit Sappey’s eigenen Worten 
mitgetheilt wird, bleibt der Beurtheilung überlassen. Diese Zu- 
sammenfassung der Ergebnisse bewegt sich nun freilich in Aus- 
drücken, die nicht anders wie veraltet uns anmuthen, und nur am 
Schlusse derselben wird in sehr zurückhaltender Weise der einzig 
möglichen Auffassung der Seitenorgane als ächter Sinnesorgane 
einigermassen Rechnung getragen. Man urtheile selbst, ob ich zu 


1) Wiener Sitzungsberichte, 1866, S. 551. 

2) und, wie zu vermuthen ist, gleichzeitig auch ein Endorgan. 

3) Halle a. d. S., 1879, M. Niemeyer. — Die Leydig’sche Arbeit 
führt den Titel: Neue Beiträge zur anatomischen Kenntniss der Hautdecke 
und Hautsinnesorgane der Fische. 

4) Den Herren F. Lataste und R. Blanchard in Paris für diese 
Nummer und die vorhergehenden besten Dank. 


372 B. Solger: 


viel gesagt habe! Der Schleimapparat (appareil mueipare), lesen 
wir dort, erscheint unter zweierlei Form: einmal als Drüsengebilde 
mit geradlinigen Ausführungsgängen (,d’une part, par des glandes 
et des conduits rectilignes“), zweitens als System von Gängen grös- 
seren Kalibers, die nicht aus Drüsen entstehen („de l’autre part 
des conduits plus gros, qni n’ont pas de glandes pour origine‘‘). 
Mit den „glandes“ der ersten Form sind offenbar die Lorenzini’- 
schen Ampullen der Selachier gemeint, die wir dem Plane der vor- 
liegenden Untersuchung gemäss hier bei Seite lassen können. Die 
zweite Form repräsentiren unsere „Seitenorgane in Kanälen‘. Was 
wir über den Verlauf der Hauptstämme am Kopfe und am Rumpf 
erfahren, können wir hier füglich übergehen. Dagegen verdient 
die Angabe Sappey’s über die Anordnung der Quercanälchen 
(rameaux) am Rumpfe hervorgehoben zu werden. Der Hauptgang, 
heisst es, öffnet sich bald mit einer einzigen Reihe von Querca- 
nälchen, die sammt und sonders nach derselben Seite gerichtet sind, 
bald mit zwei Reihen, so dass der Hauptgang alsdann doppelt ge- 
fiedert erscheint (‚‚tantöt par une seule rangee de rameaux se diri- 
geant tous du m&me cöte, tantöt par deux rangees sur le conduit 
princeipal a la maniere des barbes d’une plume“) !). Von nervösen 
Endorganen wird in dem Resume zwar nichts ausdrücklich er- 
wähnt, doch wird schliesslich den Seitencanälen mancher, vielleicht 
aller Fische, die Fähigkeit zugeschrieben, zu der Perception von 
Tasteindrücken zu dienen („les conduits — paraissent destines 
chez certains poissons, et peut-&tre chez tous, a recueillir les im- 
pressions tactiles‘). 

Nach diesem literarischen Excurse kehre ich zur Darstellung 
meiner eigenen Untersuchungen zurück. Ich habe die beiden in 
diesem Archive bisher veröffentlichten Aufsätze ebenso wie auch 


1) Von Besonderheiten der Querkanälchen, die bei selteneren oder weniger 
bekannten Formen zur Beobachtung kommen, und wahrscheinlich auch Sappey 
aufgefallen sein werden, seien hier nur zwei Beispiele erwähnt. Bei Curi- 
matus gehen Gruppen von Quercanälchen (2—3) abwechselnd bald dorsal, 
bald ventral ab. Ziemlich häufig ist das Auftreten von dendritisch ver- 
zweigten Querkanälchen. Derartige Seitenlinien mit zierlichen, baumartigen 
Ausläufern (lineae later. ramulosae) von Scarus und Megalepis bildet z. 
B. G. Bianconi ab (Memorie d. accad. d. scienze d. instit. di Bologna 
T. VIII); ähnliches berichten Heckel und Kner von Alosa. Besonders 
schön sehe ich sie am Kopfe von Hypophthalmus. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 373 


diesen mit der Ueberschrift: „Neue Untersuchungen“ versehen und 
der Inhalt der früheren Mittheilungen mag diese Bezeichnung wohl 
rechtfertigen. Der hier vorliegende dritte Theil, welcher den 
Schluss des Ganzen bildet, verdient jedoch diesen Titel nicht in 
vollem Masse. Wirklich neu untersucht wurde eigentlich nur 
Acerina; auch die Angaben über die embryonalen Seitenorgane, 
sowie kürzere Notizen über Gobiodon, Tetrodon und einige andere 
Teleostier sind anderweitig von mir noch nicht veröffentlicht wor- 
den. Dagegen ist die erste Hälfte des von den Knochenfischen 
handelnden Abschnittes im Wesentlichen eine Ergänzung und wei- 
tere Ausführung der von mir schon an andern Orten!) auszugs- 
weise publieirten Mittheilungen, die übrigens auch der Abbildungen 
entbehrten. 

Ich unterscheide auch hier wieder: „Freie Seitenorgane‘‘ und 
„Seitenorgane in Kanälen“; entwicklungsgeschichtliche Bemerkungen 
werden den Uebergang von der Beschreibung der ersten Form zur 
Darstellung der zweiten vermitteln. 


Freie Seitenorga.ne. 


Als typischer Träger dieser Form der Seitenorgane kann 
auch jetzt noch, wo die Zahl der erwachsenen Fische mit freien 
Seitenorganen seit F. E. Schulze’s Entdeckung ?) sich gemehrt 
hat, die Gattung Gobius gelten; hier stehen die Organe des 
Rumpfes, wie des Kopfes in gleicher Weise auf der Oberfläche 
zu Tage. Die Möglichkeit, mit diesem interessanten Objecte aus 
eigener Anschauung mich vertraut machen zu können, verdanke 
ich der Liberalität des k. k. österreichischen Ministeriums und der 
gütigen Empfehlung durch Herrn Professor Dr. Claus; ich hatte 
nämlich in der zoologischen Station zu Triest während einiger 
Wochen Gelegenheit, F. E. Schulze’s Resultate prüfen und hie 
und da erweitern zu können. Seit dieser Zeit (September 1877) 


1) s. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1877, Nr. 37 u. 45, und Leopol- 
dina 1878, XIV. 9—10 Mai. 

2) Die Organreihen waren übrigens schon von älteren Beobachtern ge- 
sehen worden, ohne dass jedoch ihr Bau und ihre Bedeutung erkannt worden 
wäre; sie werden z. B. von Cuvier und Valenciennes (Hist. nat. d. 
poiss. Band XII), bei Gobius niger als: „lignes formees de points saillans 
et serres‘‘ beschrieben. 


374 B. Solger: 


konnte Gobins nur gelegentlich wieder untersucht werden, und ich 
muss demnach an dieser Stelle auf meine früheren Angaben !) ver- 
weisen. Nur soviel zur Erklärung einiger Abbildungen, die jetzt. 
erst zur Veröffentlichung gelangen, und zur physiologischen Auf- 
fassung der Organe zu bemerken erforderlich sein wird, soll hier 
Platz finden. 

Fig. 2 zeigt ein vollständiges Organ nach 48 stündiger Ein- 
wirkung des von OÖ. und R. Hertwig angegebenen Gemisches von 
Osmium- und Essigsäure. Das Gewebestückchen war vom Kopfe 
eines lebenden Gobius durch einen Scheerenschnitt entnommen 
und ursprünglich zum Maceriren in die genannte Flüssigkeit ein- 
gelegt worden. Es zeigte sich jedoch, dass die zur Isolirung ge- 
wisser Sinnesepithelzellen der Medusen empfohlene Mischung nicht 
ohne Weiteres — was ja auch Niemand überraschen wird — die- 
selbe Wirkung auf die entsprechenden Gewebe der Fische ausübt. 
Der Sinneshügel konnte wohl durch zweckmässige Manipulation 
aus der ihn umschliessenden Epidermis herausgeschält werden, 
doch war der Zusammenhang seiner Elemente nicht merklich ge- 
lockert. — Das Organ ist im Halbprofil dargestellt, der Rand des 
Epidermisspaltes durch den Contur e angedeutet. Die eigent- 
lichen Sinneszellen (Birnzellen, Kolbenzellen, k) mit den zarten 
Härchen sind in mehrfachen, einander parallelen Reihen ange- 
ordnet. Von dem umschliessenden indifferenten Cylinderepithel 
(Mantelzellen, m) sind die Köpfe der Zellen zu sehen; über dieser 
äusserst zierlichen Mosaik erhebt sich ein hyaliner, säulenförmiger 
Aufsatz (r), die hyaline Röhre Schulze’s, die, meiner Auffassung 
nach, ein Abscheidungsproduct eben dieses indifferenten Cylinder- 
epithels darstellt und demnach auch nicht hohl, sondern geradeso, 
wie die Cupula, mit welcher sie identisch ist, solide sein wird. 
— In einer früheren Mittheilung bezeichnete ich die aus der 
Lederhaut in’s Sinnesepithel eintretenden Nervenfasern als mark- 
los; seitdem lagen mir Osmiumpräparate vor, welche unzweifelhaft 
noch innerhalb des Epithels die Markscheide erkennen liessen. 
Schwankungen dieses Verhaltens mögen auch hier nicht selten sein. 

Auch die beiden folgenden Zeichnungen (Fig. 3 und 4) be- 


1) Die einige Jahre vorher (1874) publicirte Arbeit Winther’s über 
denselben Gegenstand (Schiodte’s Naturh. Tydsskr. IX) war mir damals leider 
unbekannt geblieben. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 375 


ziehen sich auf Gobius. Zu Fig. 3 gehört folgende von mir schon 
früher gegebene Auseinandersetzung !): „Am Unterkiefer bis in 
die Gegend des Praeopereulum findet sich eine mediale und 
eine laterale Reihe (von Seitenorganen), die in zweifacher Hin- 
sieht von einander abweichen (G. minutus). Die mediale besteht 
1. aus grösseren Organen als die laterale; sodann lässt sich 2. nach 
Anwendung von Argent. nitrie., welches u. A. die Lichtung der 
Epidermisspalte gleichmässig braunschwarz färbt, besonders leicht 
constatiren, dass die Längsaxe der Spalte in beiden Reihen ver- 
schiedene Riehtung besitzt: sie folgt in der lateralen Reihe der 
Längsausdehnung des Unterkiefers und steht senkrecht auf der- 
selben in der medialen.“ In der betreffenden Figur ist die late- 
rale Reihe mit a, die mediale mit b bezeichnet. Höchst wahr- 
scheinlich differirt — doch kann ich dafür nicht einstehen — in 
demselben Sinne wie die Richtung der Längsaxe des Spaltes in 
den beiden eoncentrischen Curven, weiche die Seitenorgane des 
Unterkiefers in ihrer Gesammtheit repräsentiren, auch die Auf- 
reihung der Sinneszellen (Fig. 2, k), so dass die Colonnen der 
Sinneshaare hier radiär, dort tangential angeordnet sein werden. 
In ähnlicher Weise mögen auch die Organe der übrigen Gruppen am 
Kopfe, resp. die Reihen der Sinneszellen, bald der Länge, bald 
der Quere nach hinter einander folgen; und auch zwischen den 
Organen des Rumpfes und denen des Schwanzes könnte insoferne 

ein gewisser Antagonismus obwalten (Centralblatt 1877, Nr. 45). 
! .! Wir hatten bisher 
Y nur Örganreihen im Auge, 
une ? 9% % deren einzelne Glieder 
zwar die Colonnen ihrer 
Sinneszellen um den Be- 
trag von 90° verschieden 
orientirt zeigten, dabei 
aber parallele oder” con- 
#, ,„  eentrische Linien formir- 
le 2 een RA ten (Fig. 3). Man wird 
sich aber sehr leicht über- 
N 7 zeugen, dass dies keines- 
I. 7% wegs die Regel bildet, 
! > sondern dass die Organ- 

1) Centralblatt f. d. med. Wiss, 1877, Nr. 45. 


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376 B. Solger: 


reihen meist in Winkeln auf einander treffen. Es ist somit eine 
nicht geringe Mannichfaltigkeit des Arrangements denkbar, von wel- 
cher der beigefügte Holzschnitt nur die einfachsten Formen sche- 
matisch wiedergiebt. 

Aus der ganzen Erörterung, die ja nur eine weitere Aus- 
führung der von Malbranc!) ausgesprochenen Ideen ist, folgt nun, 
dass auf diese Weise auch bei manchen Fischen, wie es der genannte 
Autor für die Amphibien zu erweisen suchte, ganze Reihen von 
Organen, d. h. eine grössere Anzahl in gleichem Sinne angeord- 
neter Colonnen von Sinneszellen durch eine in bestimmter Rich- 
tung fortschreitende Welle gleichzeitig und gleichartig dann 
affieirt werden, wenn der Stoss senkrecht auf die Reihe trifft 
(Schema I und II, Pfeil a); dagegen werden die Organe successive, 
aber immer in demselben Sinne erschüttert werden, wenn 
der Stoss der Längsausdehnung der Reihe parallel gerichtet ist 
(Schema I und II, Pfeil b) oder unter irgend einem Winkel auf 
sie trifft (Schema III und IV, Pfeil e). Dabei muss der Eindruck 
wiederum ein verschiedener sein, je nachdem die Richtung der 
Welle parallel zur Längsaxe der Colonne der Sinneszellen, oder 
zu ihr senkrecht ist. Damit wäre ohne Zweifel ein sehr leistungs- 
fähiger und empfindlicher Apparat gegeben, der dem Thiere über 
Wellenbewegungen der verschiedensten Richtung und Intensität 
Kenntniss zu verschaffen vermöchte. Die gallertartige Cupula 
(Röhre) wird dabei als Schutzorgan gegen nicht allzu heftige In- 
sulte fungiren können, ohne die, Schwingungen der Sinneshaare 
allzusehr zu beeinträchtigen. 

Der erwachsene Gobius hat also, wie nun zur Genüge erör- 
tert wurde, zeitlebens feststehende Seitenorgane und bewahrt so- 
mit den embryonalen oder jugendlichen Typus dieses Hautsinnes- 
apparates. Bei der Mehrzahl der Knochenfische repräsentirt dieses 
Verhalten bekanntlich nur einen vorübergehenden Zustand, indem die 
Organe zunächst in eine vom Integument gebildete Rinne zu liegen 
kommen, deren Ränder zum Kanal sich schliessen. Man sollte nun er- 
warten, dass bei freibleibenden Seitenorganen derartige Kanäle über- 
hauptnicht angelegtwürden. Die Untersuchung des Kopfes von Gobius 
lehrt aber, dass hier merkwürdigerweise ein System von tunnel- 
artigen Röhren vorkommt, die zwar nicht in derselben Ausdehnung 


1) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Band XXVI. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 377 


bestehen, wie bei vielen andern Knochenfischen (beim Kaulbarsch 
. 2. B.), aber da, wo sie vorhanden sind, äusserlich die grösste 
Aehnlichkeit mit den Verzweigungen des Seitencanalsystems am 
Kopfe zur Schau tragen. Diese Kanäle oder wenigstens ihre Oeff- 
nungen waren schon Cuvier!) aufgefallen und manche Arten von 
Gobius, an welchen sie besonders hervorstachen, wurden nach die- 
sem Merkmal von ihm benannt. Neuerdings sind sie von Winther?) 
abgebildet worden. 

Was enthalten denn nun aber diese Kanäle? wird man fragen. 
Man denkt natürlich zunächst an weiter ausgebildete Seitenorgane, 
und ich selbst ging vor längerer Zeit daran, einen dieser Kanäle, 
nämlich den der Praeopereulargegend, in Querschnitte zu zerlegen, 
in der sichern Erwartung, sie demonstriren zu können. Das Re- 
sultat war jedoch ein negatives und ich sprach daher in einer 
früheren Notiz dem betreffenden Kanale weitergebildete Seitenor- 
gane ab. Vielleicht gelingt ihr Nachweis aber doch bei vorsich- 
tiger Entkalkung. 

Mit diesem gleichzeitigen Besitz von Kopfkanälen und frei 
ausserhalb derselben stehenden Seitenorganen steht jedoch Gobius 
nicht allein. Ich bin bei Untersuchung von Gobiodon (G. quin- 
questriatus, Museum Godeffroy, Spiritusexemplar), einem Verwandten 
von Gobius, auf ganz ähnliche Verhältnisse gestossen. Gobiodon 
hat nun zwar ebensowenig wie der vorige den Unterkieferast des 
Seitenkanalsystems; dafür scheinen aber auch hier in einer seichten 
Vertiefung des Unterkiefers zwei Reihen verschieden grosser Seiten- 
organe sich zu finden; an dem vorliegenden Weingeistexemplar 
konnte ich freilich nur kleinere und grössere Coriumpapillen nach- 
weisen. Auch hier lassen sich, wie bei Gobius, beide Reihen bis 
zur unteren Mündung eines kurzen, oben gleichfalls offenen Kanals 
verfolgen, der in senkrechtem Verlaufe der Längsausdehnung des 
Praeopereulum folgt. Auch bezüglich der Anordnung der Seiten- 
organe des Rumpfes scheinen die beiden Glieder derselben Gruppe 


1) Cuvier und Valenciennes, 1. c. $. 33. (Gobius geniporus) und 
S. 87 (G. quadriporus). 

2) 1. c. — Ich bin leider gezwungen, den Inhalt dieser Arbeit aus 
dem Gedächtniss anzugeben. F. E. Schulze’s Arbeiten über die Seiten- 
organe sind, soviel ich mich erinnere, dem dänischen Zoologen unbekannt 
geblieben. 


378 B. Solger: 


übereinzustimmen. Bei Gobius konnte ich „Querreihen von 3—7 
Organen“ constatiren; auf die Beziehung der Organreihen zur 
Metamerie des Leibes achtete ich damals leider noch nicht. Auch 
Gobiodon hat am Rumpfe freie Seitenorgane, die in Querreihen 
auf Coriumpapillen stehen und höchst wahrscheinlich durchweg 
segmental angeordnet sind. 

Weitere Beispiele freier Seitenorgane liefern Gasterosteus 
pungitius und aculeatus. Ich selbst habe den ersten Nachweis 
dieses Verhaltens am kleinen Stichling !) geliefert und in einer 
früheren Mittheilung (Leopoldina) die Thatsache kurz berichtet. 
Leydig?) hat hierauf auch am grossen Stichling freie Seiten- 
organe constatirt und auch am Kopfe „weder von Schleimcanälen 
noch von Schleimporen etwas“ wahrgenommen. Meine Angaben über 
G. pungitius gelten nur für den Rumpf, da ich des vielen Pigments 
wegen das Integument des Kopfes damals bei Seite liess. Zur 
Erleichterung einer Nachuntersuchung schalte ich die Angabe der 
Methode hier ein. Man schneidet Längsstreifen aus der Haut der 
Seitenlinienregion und bringt sie sofort in dünne Silbernitrat- 
lösungen, und sodann in Wasser. Schon nach kurzer Zeit gelingt 
es, die Epidermis in grösseren Fetzen abzuheben. Die Lichtung 
des Epidermisspalts über jedem Seitenorgan hat sich dabei intensiv 
braunschwarz gefärbt und ermöglicht es auf diese Weise, den Ab- 
stand der Organe von einander leicht zu bestimmen. Zur Controle 
dieser Methode wurde ein zweites Verfahren eingeschlagen, das 
darauf hinaus lief, beweisende Präparate der Lederhaut und der 
eintretenden Nerven an die Hand zu geben. Zu diesem Zwecke 
wurden wiederum Hautstücke aus der Gegend der Linea lateralis 
dem frischen Thiere entnommen und nun in eine schwache Lösung 
von Osmiumsäure gebracht. Man entfernt sodann, um die Leder- 
haut von der Fläche studiren zu können, das Epithel, was ohne 
Schwierigkeit gelingt. Es zeigen sich nun in regelmässigen Ab- 
ständen dünnere und daher durchsichtigere, runde oder ovale 
Flecke in derselben, deren Centrum von mehreren markhaltigen 
Nervenfasern durchsetzt wird. Die Abstände zwischen fraglichen 
Gebilden waren an den Präparaten der Epidermis und der Leder- 
haut dieselben; am vordern Rumpfende kamen auf ein Metamer 


1) G. pungitius kommt in der Gegend von Halle bei Teuchern vor. 
2) Hallenser Festschrift, S. 162. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 379 


je zwei Organe (ein dorsales und ein ventrales), weiter gegen 
das Leibesende nur eines. 

Ein mehrfach interessantes Untersuchungs-Object bilden allem 
Anscheine nach die Seitenorgane des Hechtes (Esox lueius). Ich 
darf es wohl unterlassen, die von mir früher gegebene Auseinan- 
dersetzung hier zu reprodueiren, da unterdessen Leydig über 
diesen Gegenstand ausführlicher gehandelt hat, und begnüge mich 
daher mit wenigen Bemerkungen. 

Leydig berichtet von Seitenorgangruppen, die in zwei 
Puncten von den übrigen abweichen: einmal darin, dass sie nicht 
von ausgekerbten Schuppen umfasst werden, und dann darin, dass 
sie quer zur Längsaxe stehen; die einzelne Reihe zählt 6—10 
Organe. Dem Bonner Anatomen lagen die von F. F&e publieirten: 
„Recherches sur le nerf pneumogastrique chez les poissons“ (Strass- 
burg 1869), in denen gerade über die Seitenorgane von Esox be- 
merkenswerthe Angaben sich finden, nicht vor, und er musste es 
also dahingestellt sein lassen, ob nicht der französische Autor 
schon vor ihm diesen Fund gemacht habe. In der, wie es scheint, 
wenig verbreiteten Abhandlung von F&e, deren Hauptwerth übrigens 
in der Zusammenfassung theils bekannter, theils neuer macrosco- 
pischer Data liegt, liest man nun allerdings eine Stelle, die keinen 
Zweifel mehr zulässt, dass dieser Forscher die Querreihen der 
Seitenorgane in der That schon vor Leydig gesehen hatte. Ich 
setze die betreffende Stelle !) wörtlich hieher: „Il existe quelque- 
fois des series de corpuscules semblables, dont la direction est 
perpendiculaire & celle des precedents; elles partent de l’angle 
superieur et posterieur de l’Echancrure et s’elevent un peu au- 
dessous d’elle.“ Doch hatte der Verfasser, wie er selbst in einer 
Anmerkung angiebt, diese Querreihen der Seitenorgane (,„corpus- 
eules“) nur in der unmittelbaren Nähe der Schuppen der Seiten- 
linie angetroffen. 

Oballe diese Organe, nämlich die dereigentlichenlinea lateralis?) 


1) 1. c. 8. 1. 

2) Vielleicht hat schon Stannius (Verjüngungserscheinungen 8. 19) 
diese freien Seitenorgane des Hechtes unter den Augen gehabt und sie nur 
fälschlich als Zerfallserscheinungen eines einheitlichen Nervenknopfes gedeutet. 
Man liest dort folgendermassen: „Ging man von den äusseren Oeffnungen aus 
in die knöchernen Höhlen, welche sonst in den mit seröser Flüssigkeit ge- 
füllten Säckchen die von Leydig beschriebenen Nervenknäuel enthalten, so 


380 B. Solger: 


der accessorischen Seitenlinien !), und endlich die in Querreihen 
angeordneten Endorgane ausschliesslich vom Ramus lateralis n. 
vagi versorgt werden, bedarf noch genauerer Untersuchung. 

Aber was berechtigt denn dazu, höre ich fragen, die aufge- 
zählten Organe sammt und sonders für Seitenorgane auszugeben ? 
könnten denn nicht recht wohl becherförmige Organe darunter 
sein, und müsste man diese dann nicht nach F. E. Schulze’s Vor- 
gang streng von den Seitenorganen trennen? — Ich antworte dar- 
auf zunächst mit Leydig’s Worten?). Die Seitenorgane des 
Hechtes sind zwar „unter sich verschieden gross, doch im Allge- 
meinen umfänglicher als die „Becher.“ Es zeigt sich wieder eine 
zellige Zusammensetzung und abermals eine unzweifelhafte Son- 
derung der Elemente in eine Mittelpartie und in eine Wandschicht. 
An den Zellen der Randschieht — Mantelzellen — unterscheiden wir 
ein etwas bauschiges Ende und einen vorderen, stabartig verengten 
Theil. Mit diesem neigen sie alle — bei Besichtigung des Organs 
von oben — schön strahlig zusammen. Das Ende der Mantelzellen 
ist eine zarte Borste und diese erscheint als Abschluss einer hellen 
Innenzone des stabartigen Theils der Zelle. Die Zellen der Mittel- 
partie oder des inneren Ballens sind körniger, kürzer und breiter 
und an ihrem Gipfel kann sich ein glänzendes Körnchen abheben.“ 
Vergleichen wir diese Beschreibung und die zugehörigen Abbil- 
dungen mit den nicht minder gut studirten freien Seitenorganen 
von Gobius, so zeigen sich zwar manche nicht unerhebliche Diffe- 
renzen, aber in der Hauptsache stimmen die Schilderungen über- 
ein. Da ist in erster Linie die Sonderung der Zellknospe in eine 
Mittelpartie und eine Randschicht zu nennen; die Leydig’schen 
Mantelzellen entsprechen den blassen Cylinderzellen Schulze’s, 
die birnförmigen Zellen hier den „körnigen, kürzeren und brei- 
teren“ Elementen der Mittelpartie dort. Dagegen widerstreiten 


vermisste man dieselben und fand trockene runde Haufen von blassen, körn- 
chenhaltigen Zellen, diese eng aggregirt, von einem Saume längerer Zellen 
umgeben, isolirt von den Nervenzweigen, die in Detritus zerfallen oder unge- 
ordnet daneben lagen“. 

1) Bei Mugil capito, einem Teleostier mit Seitenorganen in Kanälen 
sind nach Baudelot (Arch. d. Zool. esper. Tome II, S. 229) alle Schuppen, 
wie sonst die der Seitenlinie canalisirt. 

2) Hallenser Festschrift, S. 160 ff, 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 381 


sich die Angaben über gewisse Fortsatzbildungen. Nach Schulze 
tragen nur die Sinneszellen, d. h. die wahrscheinlich mit Nerven- 
ausläufern direet verbundenen Birnzellen je ein starres Haar, und 
derselbe verwerthet diese Thatsache auch für die von ihm aufge- 
stellte Theorie der Funktion der Seitenorgane als „Wellenorgane.“ 
Leydig findet an den Zellen des inneren Ballens, die soeben 
Schulze’s Sinneszellen gleichgestellt wurden, und zwar an ihrem 
Gipfel ein „glänzendes Körnchen“; den Mantelzellen theilt er eine 
„zarte Borste“ zu und spricht die Vermuthung aus), die Gesammt- 
heit dieser hellen Fäden möchte Schulze’s hyaline Röhre vorstellen. 

Trotz dieser Differenzen steht, wie mich dünkt, Nichts im 
Wege, die geschilderten Organe als echte Seitenorgane anzuer- 
kennen; denn — von dem Grössenunterschiede abgesehen — die 
characteristische Sinneszelle konnte ja nachgewiesen werden und 
das morphologische Verhalten dieser Neuroepithelzelle leitet uns 
doch in erster Linie, wenn wir zwischen Seitenorganen und Sinnes- 
bechern uns entscheiden sollen: dort eine kurze, birn- oder kolben- 
förmige Zelle mit starrem Haare, hier ein langes, fadenförmiges 
Gebilde, dessen freies Ende ein kurzes Stiftehen trägt. 

Die Entscheidung der Frage hätte also gar keinen Augenblick 
zweifelhaft sein können, wenn nicht neuerdings wieder durch 
Leydig die scharfe morphologische Trennung beider Hautsinnes- 
organe angefochten worden wäre. Seine Darstellung des Baues 
der Seitenorgane wurde oben wiedergegeben; auch über das Ver- 
hältniss derselben zu den Sinnesbechern lasse ich den Autor selbst 
sprechen: „Es bleibt beachtenswerth‘“, lesen wir auf Seite 161 der 
öfters eitirten Abhandlung, „dass beim Hecht die becherförmigen 
Organe und die Organe des Seitenkanalsystems am Rumpf im 
Wesentlichen des Baues übereinstimmen“. Ohne neue Untersu- 
chungen ist dieser Widerspruch der Autoren nicht zu beseitigen. 
Für spätere Untersucher — ich selbst verlasse nunmehr dieses 
Arbeitsfeld — hat Eisig?) die Wege vorgezeichnet, zwischen wel- 
chen sie zu wählen haben werden. 

Nach dem Gesagten steht also die Gattung Gobius mit 
ihren zeitlebens freistehenden Seitenorganen nicht mehr allein. Die 
Zahl der Knochenfische, die ihm hierin gleichen, kann ohne Zwei- 


1) 1. c. S. 156 und 157. 
2) Mittheil. d. zool. Stat. z. Neapel, Bd. I S. 330. ff. 


382 B. Solger: 


fel noch bedeutend vermehrt werden, wenn erst alle die Teleostier, 
welche die Handbücher der zoologischen Systematik mit dem Zu- 
satze: „Seitenlinie unsichtbar“ oder „undeutlich“ aufführen, ge- 
nügend untersucht sein werden. Zum Beweise, wie viel auf diesem 
Gebiete noch zu thun ist, sei hier nur eine Stelle aus einem un- 
serer ersten ichthyologischen Werke eingeflochten, die mir be- 
sonders interessant scheint. Sie findet sich in v. Siebold’s Buche: 
„Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Der berühmte Zoologe 
spricht von den Verdiensten Ekström’s (1838) um die richtige 
Auffassung der Varietäten der Karausche, die nämlich in dem 
Nachweise bestehen, „dass der Giebel (Seekarausche) nichts an- 
deres sei als eine in Teichen ausgeartete Karausche“ (Teichka- 
rausche) und knüpft daran folgende Bemerkungen. „Ich füge 
noch hinzu,. dass die Entwicklung der Seitenlinien bei den See- 
und Teichkarauschen ganz besonderen Schwankungen unterworfen 
ist und dass sich dieselbe, namentlich bei den gestreckten Ka- 
rauschenformen !) sehr häufig mehr oder weniger unterbrochen zeigt, 
ja sogar bis auf ein Paar Schuppen ganz verschwunden“ erscheint, 
(S. 102), und in einer Anmerkung ‚heisst es: „Es scheint, als ob 
die mangelhafte Entwicklung und das fast gänzliche Verschwinden 
der Seitenlinien am häufigsten bei denjenigen Varietäten der Ka- 
rausche wahrgenommen werden kann, welche in kleinen Tümpeln 
und sumpfigen Gewässern zur Entwicklung kommen.“ Es handelt 
sich dabei offenbar nicht um eine Rückbildung der Seitenorgane 
selbst, sondern nur um ein Ausbleiben der Kanalbildung (s. u.), 
mit andern Worten um freie Seitenorgane. 

Es gereicht mir zur grössten Freude, bei dieser Gelegenheit 
eine Schuld des Dankes für die liebenswürdige Unterstützung ab- 
tragen zu können, die Herr Amtmann Nehrkorn (Riddagshausen 
bei Braunschweig) meinen Arbeiten angedeihen liess. Herr Nehr- 
korn hat die grosse Güte gehabt, mir vor kurzem drei lebende 
Exemplare von Carpio Kollarii, der bekanntlich als Bastard 
zwischen Cyprinus carpio und Carassius vulgaris gilt, freundlichst 
zu übersenden. Aus den Ergebnissen der noch nicht abgeschlos- 
senen Untersuchung, die von einem bestimmten, hier nicht näher 
zu erörternden Gesichtspunkte ausging, mag nur das auf das Ver- 
halten der Seitenlinie bezügliche hier Platz finden. Bei der Karpf- 


1) Den Teichkarauschen, s. Fig. 6 des citirten Werkes. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 383 


karausche sehe ich nun die Seitenlinie wesentlich wie beim Karpfen; 
sie ist in ununterbrochenem, gestrecktem Verlaufe bis zum Schwanze 
zu verfolgen und zeigt etwa 35 canalisirte Schuppen. Carpio Kol- 
larii schlägt also in dieser Beziehung dem Karpfen nach und hat 
wie dieser durchweg Seitenorgane in Kanälen. 


Entwicklungsgeschichtliches. 


Es wird nun Zeit, auch die Entwicklungsgeschichte zu Wort 
kommen zu lassen. Bezüglich der Knochenfische — die Selachier 
verhalten sich, wie schon geschildert, hierin anders — kann es 
gleich von vorne herein als Regel von wahrscheinlich allgemeiner 
Gültigkeit bezeichnet werden, dass sie während des Embryonal- 
lebens freistehende Seitenorgane besitzen. Dabei missen wir aber 
auch gleich zugestehen, dass wir weniger die Entwicklungsge- 
schichte der Endorgane, als die des Kanalsystems kennen. 

Die ersten Beobachtungen stammen von F. E. Schulze!) 
Er hat an sehr jungen Knochenfischen, „einige Tage oder besser 
Wochen“, nachdem sie das Ei verlassen hatten, die Sinneshügel 
beschrieben und abgebildet. Man begegnet dann einer von be- 
sonders differenzirten Oberhautzellen gebildeten Epithelerhebung, 
deren Form einem niedrigen, oben abgestutzten Kegel gleicht. 
Die eigentliche Epidermis wölbt sich rings über die Peripherie 
des Kegels hinweg, hört jedoch über der abgestutzten oberen 
Fläche der Epithelknospe mit scharfem Rande auf, und lässt auf 
diese Weise ein ovales oder spindelförmiges Feld derselben unbe- 
deckt. Das Organ selbst baut sich aus zwei verschiedenen Zell- 
formen auf; die centrale Partie des Hügels wird von eonischen 
meilerartig zusammengelegten Elementen mit hellem Kern einge- 
nommen, die von der Basis desselben bis zur freien Fläche 
reichen. Ihre Zahl (10—40) wechselt nach der Grösse des Or- 
gans; dem verschmälerten peripherischen Ende dieser Zellen sitzt 
Je ein starres, etwa 0,014 mm langes Haar auf. Diese centralen 
Zellen werden von einer Lage „einfacher blasser Chlinderzellen“ 
mantelartig umgeben, während eine „helle, zarte Röhre‘ den Haar- 
büschel umschliesst. Diese Röhre „entspringt von dem Grenzrande 


l) Arch. f. Anat. und Physiol. 1867 und Arch. f. mikrosk. Anat. VI. 
26 


Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. a 


384 B. Solger: 


der oberen abgestutzten Hügelfläche, ragt rechtwinklig zu dieser 
frei in’s Wasser hinaus und hört an ihrem äusseren Ende quer 
abgestutzt und offen auf“. 

Vergleicht man diese Schilderung der Organe mit der oben 
von Gobius und Esox gegebenen Beschreibung, so fällt das Ge- 
meinsame derselben sofort in die Augen. Die centralen Zellen 
sind natürlich mit den als Sinneszellen bezeichneten kolben- oder 
birnförmigen Zellen identisch, die blassen Cylinderzellen entsprechen 
den indifferenten Deckzellen. Die Entwicklung der Endorgane 
war also hier so weit vorgeschritten, dass diese Phase ohne wei- 
teres den frei bleibenden Organen an die Seite gestellt werden 
konnte. Dagegen sind die frükeren Entwicklungsstadien bisher 
noch nicht beschrieben worden. 

Nach F. E. Schulze haben Eisig und Leydig embryonale 
Seitenorgane beobachtet und darüber kurz berichtet. Ihr Augen- 
merk war auf die segmentale Anordnung derselben gerichtet. So 
konnte Eisig an „jungen Seefischen“, namentlich am Rumpfe von 
Macropodius-Larven sich von der Metamerie der Seitenorgane über- 
zeugen, und zu dem gleichen Ergebnisse gelangte Leydig nach 
Untersuchungen an Salmenbrut. „Winzige, noch unpigmentirte 
und mit grossem Dottersacke versehene Fischehen“, schreibt der 
zuletzt Genannte in seiner neuesten Publication, „zeigen an der 
Seitenlinie etwa 30 Sinneshügel; sie sind so vertheilt, dass je 
eines unmittelbar hinter je einem Septum intermuseulare zu stehen 
kommt, mithin immer ein Stück einem Wirbelabschnitte entspricht“. 
Ich kann die soeben aufgeführten Angaben Eisig’s und Leydig’s 
auf Grund von Beobachtungen, die unabhängig von ihren Arbeiten 
angestellt waren, vollkommen bestätigen. Als Untersuchungsma- 
terial dienten Forellenembryonen von ca. 20mm Länge, die ich der 
zuvorkommenden Freundlichkeit des Herrn Amtmann Graefe in 
Zwätzen, Vorstandsmitglied des Jenaer Fischereivereins, zu ver- 
danken habe. Fig. 5 zeigt ein solches embryonales Seitenorgan 
(s), nach Behandlung mit sehr verdünnten Chromsäurelösungen 
("/;%/) von der Fläche gesehen. Einen Unterschied zwischen der 
Differenzirung der Organe des Kopfs und den am Rumpfe stehen- 
den Gebilden kann ich nieht wahrnehmen. Die Gebilde sind von 
spindelförmiger Gestalt und überall so gestellt, dass der längere 
Durchmesser der Spindel dem Verlauf der später auftretenden 
Kanäle parallel gerichtet ist. Obwohl nun ziemlich beträchtliche 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 385 


Zwischenräume je zwei benachbarte Endorgane von einander 
trennen, so sind sie doch in gewissem Sinne auch jetzt mit ein- 
ander verbunden; es geht nämlich von den Spitzen der Spindeln 
jeweils eine eigenthümliche Streifung aus (Fig. 5), die zwar in 
grösserer Entfernung allmählig undeutlicher wird, aber doch an 
allen Organen weit genug sich erstreckt, um in ihrer Gesammtheit 
die Reihenanordnung der Seitenorgane deutlich hervortreten zu 
lassen. Da die nackte Lederhaut davon nichts mehr aufweist, so 
muss der Grund dieser Erscheinung in der Epidermis gesucht 
werden; wahrscheinlich sind es Verschiedenheiten der Differen- 
zirung und Anordnung der Oberhautzellen, welche die beschriebene 
Erscheinung, die einigermassen an die bei ruhiger See von den 
Schiffen hinterlassene Spur erinnert, zu Stande bringen. 

Hinsichtlich des feineren Baues der Epithelknospen ist 
hervorzuheben, dass man bei hoher Einstellung zuerst sehr kleine, 
glänzende Kreise bemerkt, die beim Senken des Tubus in 
eine feine Streifung sich fortsetzen. Ich deute diesen Befund im 
Sinne F. E. Schulze’s, dass nämlich hier die meilerartig zu- 
sammengelegten, kolbenförmigen Zellen mit ihren Sinneshaaren 
vorliegen. Die indifferenten Cylinderzellen hatten sich wahr- 
scheinlich von den übrigen Oberhautzellen zur Zeit noch nicht 
gesondert. 

Es ist nun noch die Metamerie des Rumpfes von Forellen- 
embryonen kurz zu besprechen. Wie Eisig und Leydig, finde 
auch ich die Organe ebenfalls streng segmental angeordnet so 
zwar, dass jedem Metamer je ein Organ entspricht, welehes immer 
in dem von dem dorsalen und ventralen Schenkel eines Septum 
intermuseulare gebildeten Winkel seinen Platz erhält. Den Ab- 
stand zweier Organe bestimmte ich an langen, zusammenhängenden 
Reihen zu 0,25 mm. 

Hart oberhalb der Reihe der Seitenorgane findet sich auf 
Fig. 5 noch eine zweite Art von Epithelknospen abgebildet (b), 
die noch schärfer als die vorige Form von der umgebenden Epi- 
dermis sich sondert. Ihre rundliche Gestalt sowie ihr mehr gleich- 
mässiger Aufbau aus rundlichen Zellen unterscheiden sie sofort 
von den Seitenorganen. Hierzu kommt auch noch die unregel- 
mässige Vertheilung in der sie auftreten, als weiteres characte-- 
ristisches Merkmal. Zwar trifft man sie immer dorsal von der 
Seitenlinie, allein sie entbehren der segmenfalen Anordnung. Auf 


386 B. Solger: 


drei embryonale Seitenorgane kommt etwa ein Gebilde dieser Art, 
das ich kurzweg für die Anlage eines becherförmigen Organs er- 
klärt haben würde, wenn nicht Leydig’s jüngste Publication zur 
Zurückhaltung mahnte. Uebrigens wird die Untersuchung des 
erwachsenen Thieres die Bedeutung dieser rundlichen Epithel- 
knospen bald klarlegen. 

Wenden wir uns nun zur Entwicklung des Kanalsystems! 
Die Entstehung desselben geht am Kopfe und am Rumpfe in der- 
selben Weise vor sich, und zwar nach F. E. Schulze, der zu sol- 
chen Studien namentlich die Schwanzwurzel junger Schollen em- 
pfiehlt, folgendermassen: Bei Fischen dieser Art bis 15mm Länge 
stehen die Seitenorgane am Schwanze noch frei zu Tage; mit 
fortschreitendem Wachsthume werden sie successive in der Rich- 
tung von vorne nach hinten von Hautfalten überwölbt. Unser Ge- 
währsmann konnte den Vorgang in allen seinen Phasen beobachten. 
Zunächst erheben sich „ein Paar längliche schmale lippenartige 
Hautvorsprünge“, ein dorsaler und ein ventraler !), die sich „mit 
ihren oberen convexen Rändern über dem Sinnesorgane selbst 
zusammenneigen“. Sie nähern sich schliesslich bis zur Berührung 
oder legen sich auch wohl etwas über einander, um alsdann, das 
Endorgan überwölbend, mit einander zu verschmelzen, während 
nach vorne und nach hinten von dem Sinneshügel die Falten lang- 
samer sich entgegenrücken, und überhaupt nicht vollständig zur 
Vereinigung gelangen. Auf diese Weise kommt ein Kanal mit 
durchbrochener Decke zu Stande; die übrig gebliebenen Oeffnungen 
stellen die „Poren“ der Seitenlinie dar. Diese Poren können dann 
secundär bei manchen Teleostiern zu kürzeren oder längeren Röh- 
ren (Querkanälchen) sich ausziehen, deren peripherische Oeffnungen 
dann unter Umständen sehr weit von dem Hauptkanal zu liegen 
kommen (bei Hypophthalmus z. B.). 

Als Anhang gleichsam zu der Darlegung der entwicklungs- 
geschichtlichen Thatsachen erlaube ich mir eine Bemerkung über 
Helmichthys beizufügen, dessen Larvennatur ihn ja an diese 
Stelle weist. Das Thier war lebendig in das von Flesch?) ange- 
gebene Gemisch von Chromsäure- und Osmiumsäurelösung gebracht 


1) Bei Tetrodon persistirt diese Rinnenform der Seitenlinie wie bei 
den Holocephalen. 
1) s. dies. Arch. Bd. XVI, S. 300. 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische, 387 


worden; nach einiger Zeit konnte die Epidermis in grösseren 
Stücken abgehoben werden. Wie die Organe am Kopfe sich ver- 
halten, lasse ich dahingestellt: M’Donnell zufolge scheinen sie 
hier in Kanälen zu liegen. Für den Rumpf kann ich dagegen das 
Vorkommen freier Seitenorgane mit Sicherheit behaupten. Wahr- 
scheinlich sind sie hier auch segmental angeordnet, wie folgendes 
Schema versinnlieht. Die mit 1, 2, 3 u. s. f. bezeichneten Punkte 
oe) bedeuten die in regelmässigen Abständen einan- 
© 0: © eo. oder folgenden Seitenorgane; hinter 2 und 4 

stehen aber kleinere Zellcomplexe, die zwar 
nieht minder regelmässig aufgereiht sind, allein, wie es scheint 
immer ein Metamer überspringen. Man darf wohl hier gleich- 
falls an becherförmige Organe denken. 


Seitenorgane in Kanälen. 
(Acerina cernua.) 


Die Aufgabe, den letzten Theil unseres Stoffes darzustellen, 
kann füglich mehr, als es bisher geschah, den beigefügten Abbil- 
dungen überlassen werden, in denen das, was an den Schilder- 
ungen Leydig’s und F. E. Schulze’s zu ergänzen ist, sich wie- 
dergegeben findet. Die erste der auf Acerina bezüglichen Figuren 
(Fig. 6) stellt mehrmals vergrössert einen der Nervenknöpfe mit 
dem bedeckenden Sinnesepithel in situ dar, nach Einwirkung von 
ÖOsmiumsäurelösung und nach Abtragung der äusseren Wandung 
des Schleimkanals. Von der heller gebliebenen indifferenten Aus- 
kleidung des Hohlraums heben sich zwei intensiver gefärbte, ovale 
Platten deutlich ab, an denen, wie F. E. Schulze!) zuerst zeigte, 
wieder eine schmale peripherische Zone und ein centrales, sehr 
dunkles Mittelfeld erkennbar sind. Fig. 7, die einen Schnitt durch 
ein mit Goldehlorid behandeltes Objeet darstellt, bringt neben be- 
kannten Dingen (Birnzellen, Cylinderzellen, intraepithelialem Plexus 
markhaltiger Nervenfasern) auch einiges Neue. Zunächst erkennt 
man auch hier wieder Reste einer Cupula, die in unversehrtem 
Zustande auch bei Knochenfischen das gesammte Epithellager als 
glashelle Gallerthaube überdeckt und unter Umständen wohl er- 


1) In Leydig’s neuester Publikation (S. 163) findet sich dieses Ver- 
dienst irrthümlich mir zugeschrieben. 


388 B. Solger: 


halten als scharfbegrenzte Scholle isolirt werden kann. Sie zeigt 
an ihrer freien Oberfläche kleine Felder, die an Form und Grösse 
mit den Köpfen der Cylinderzellen, von denen sie abgeschieden 
wird, übereinkommen (Fig. 9). Die letzte Zeichnung, Fig. 10; 
stellt diese Sculptur der Cupula terminalis von Corvina dar, wie 
sie bei starker Vergrösserung nach Behandlung mit Anilinblau 
auch am frischen Objecte wahrgenommen werden konnte. 

In den untersten Saum des in Fig. 7 dargestellten Neuro- 
epithels sind eine Menge Kerne eingezeichnet, die Nuclei der Ba- 
salzellen (ba). Fig. S bringt dieselben Gebilde mit anderen Me- 
thoden behandelt deutlicher zur Anschauung, und zwar c nach 
Ösmiumbehandlung in situ, und d dieselben isolirt nach Macera- 
tion in Palladiumchlorür. Sie kommen nur innerhalb der Aus- 
dehnung des centralen Mittelfeldes vor und dem entsprechend sind 
auch die Füsse der indifferenten Cylinderzellen verschieden ge- 
staltet, je nachdem sie der inneren Zone (Fig. 8, b) oder der Peri- 
pherie entstammen (Fig. 8,d). 


Ergebnisse. 


Es bleibt mir nur mehr übrig, die Resultate der nun abge- 
schlossenen: „Neuen Untersuchungen“, sowie die Ergebnisse neu- 
erer Beobachtungen, die an Seitenorganen der Selachier und Kno- 
chenfische von Balfour, Leydig u. A. gemacht worden, zusam- 
menzufassen und in einigen Sätzen die Fortschritte zu formuliren, 
die auf diesem Gebiete zu verzeichnen sind. 

1. Freie Seitenorgane, wie sie Gobius, Gobiodon, Gasterosteus, 
Esox zeitlebens und allen bisher untersuchten Knochenfischenem- 
bryonen eigen sind, kommen bei Selachiern in der Regel nicht 
zur Beobachtung. 

2. Die Rinnenform der Seitenlinie, die bei Teleostiern ein 
rasch vorübergehender Zustand zu sein pflegt, persistirt bei den 
Holocephalen, am Rumpfe von Echinorhinus spinosus und bei 
Tetrodon. 

3. Ausser den Birn- oder Kolbenzellen (Sinneszellen) und den 
indifferenten Cylinderzellen betheiligt sich noch eine dritte Zell- 
form am Aufbaue des Endorgans; man trifft nämlich zwischen den 
Basen der central gelegenen Cylinderzellen kleine rundliche Ele- 
mente mit grossem Kerne, Basalzellen (Acerina, Chimaera, Haie). 


Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 389 


4. Die Cupula terminalis, ein Abscheidungsproduct der Cy- 
linderzellen, die keineswegs durch Einwirkung von Reagentien 
künstlich hervorgerufen wird, kommt schon den freien Seitenor- 
ganen zu („hyaline Röhre“) und wird auch nach der Ausbildung 
von Rinnen (Chimaera) oder Kanälen (Rochen, Acerina, Corvina) 
beibehalten. 

5. In weitaus den meisten Fällen lässt sich eine streng 
regelmässige Anordnung der Endapparate des Seitenorgansystems 
nachweisen, so dass man, ganz im Gegensatz zu der Vertheilung 
der becherförmigen Organe, dieses Merkmal geradezu als charac- 
teristisch für die Seitenorgane bezeichnen muss. Diese Regel- 
mässigkeit spricht sich aus 

einmal in dem reihenweisen Auftreten der Organe (Kopf 
von Gobius, Rumpf von Esox u. s. w.) und ist namentlich bei 
Amphibien und deren Larven !) gar nicht zu verkennen, 

sodann zweitens in der so häufig zu beobachtenden meta- 
meren Vertheilung längs der sog. Seitenlinie, die bei gleichem 
Abstande, gleicher Richtung und segmentalem Auftreten der Or- 
sane die denkbar vollkommenste Reihe darstellt. 

Halle, den 20. April 1880. 


Erklärung der Figuren auf Tafel XVII. 


Fig. 1. Schuppen des vorderen Rumpfabschnitts von Polypterus bichir. 
Natürliche Grösse. a, Schuppe der Seitenlinie, Erklärung der Be- 
zeichnung b im Texte. 

Fig. 2. Seitenorgan des Kopfes von Gobius, halb von der Seite gesehen, 
nach 48 stündiger Einwirkung der von O. und R. Hertwig ange- 
gebenen Osmium-Essigsäure-Mischung. k Kern der Epithelknospe, 
m Mantel von indifferenten Cylinderzellen, r hyaline Röhre Schulze’s, 
e Epidermis. 

Fig. 3. Die Lichtung des Epidermisspaltes über den beiden Reihen von 
Seitenorganen am Unterkiefer von Gobius, mit Arg. nitr. behan- 
delt. a die laterale, b die mediale Reihe. 

Fig. 4. Seitenorgan von Gobius minutus bei hoher Einstellung, Härchen 
(h) und hyaline Röhre (r) im optischen Querschnitt. 


J)) s.Malbranc, |. c. 


Fig 


10. 


B. Solger: Neue Untersuchungen etc. 


Seitenorgane (s), und becherförmiges Organ (b) von einem 2cm 
langen Embryo von Salmo fario. Schwache (!j, %/,) Chromsäure- 
lösung. 

„Nervenknöpfe“ (Leydig) aus dem Kopfabschnitt (Infraorbital- 
gegend) der Schleimkanäle von Acerina cernua in situ, nach 
Einwirkung von Osmiumsäure, mehrmals vergrössert; p heller Rand- 
theil, ce dunkles „Mittelfeld“ (F. E. Schulze). 

Schnitt durch das Sinnesepithel desselben Objectes !/;°/, Goldchlorid 
(Cohnheim’s Methode). B Birnzellen, ba Basalzellen, n markhal- 
tige Nervenfasern, zwischen den Cylinderzellen einen Plexus bildend. 
cp tiefste Schicht der Cupula. 

Die zelligen Elemente des nämlichen Objectes isolirt. a Birnzelle, 
b Cylinderzelle aus dem centralen Abschnitt des Epithellagers, c 
Cylinderzellen mit Basalzellen, sämmtlich in Osmium macerirt, d 
Cylinderzellen aus dem Randtheil und Basalzelle, beide aus !/;°/o 
Palladiumchlorür. 

Cylinderzellen mit daranhängender Cupula (Randtheil), von dem 
nämlichen Objecte wie die vorhergehenden Präparate; !/;°/, Palla- 
diumchlorür. Seibert Obj. V, Oberhäuser’s Z. A., Abstand des 
Objects. 

Oberflächenzeichnung der Cupula von Corvina, frisch in Anilinblau. 
Schieck, Immers. 9. 


Zusatz bei der Correetur. Nachdem Tafel uud Text dieser Ab- 
handlung von der Redaction schon in Arbeit gegeben waren, kam mir Mer- 


kel’s Buch: „Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der 


Wirbelthiere“, zu Gesicht. Auf eine Besprechung der Meinungsverschieden- 


heiten, die zwischen uns bestehen, gedenke ich später einzugehen. 


Heschl: Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 391 


Zur Geschichte des zusammengesetzten MikrosKops,. 


Von 
Prof. Heschl in Wien. 


Hierzu Tafel XVI1. 


Den Anlass zu den nachstehenden Mittheilungen gab mir ein 
Mikroskop, welches unzweifelhaft aus dem vorigen Jahrhundert 
stammend, unter einigen alten Utensilien auf dem hiesigen Insti- 
tute vorfindig ist. Während meiner Dienstzeit als Assistent Ro- 
kitansky’s hatte ich es gelegentlich kennen gelernt und wollte 
es jetzt, da derartige Instrumente dermalen schon selten geworden 
sind, zum Gegenstande einer Demonstration in einer Sitzung der 
hiesigen k. k. Gesellschaft der Aerzte machen. Da mir jedoch dieses 
eine Mikroskop als ein zu ärmlicher Gegenstand für diesen Zweck 
erschien, so suchte ich mir noch einige andere „historische“ In- 
strumente zu verschaffen, so dass ich schliesslich neun derselben 
zusammenbrachte, von denen im folgenden, und zwar von dreien 
derselben genauer, die Rede sein soll. 

Wenn ich dieselben nach der Zeit ihrer muthmasslichen An- 
fertigung mit Zahlen bezeichne, so erhielt ich Nr. 1 und 7 aus 
dem k. k. physikalischen Institute der Universität zu Gratz durch 
die Güte des H. Prof. Dr. L. Boltzmann; Nr. 2 und 9 aus der 
Lehrmittelsammlung der anatomischen Lehrkanzel der Universität 
Innsbruck von H. Prof. Dr. Carl von Dantscher; Nr. 3 aus 
dem k. k. physikalisch-astronomischen Hofkabinette zu Wien durch 
den Herrn Director Dr. Josef Krist: Nr. 6 aus dem physi- 
kalischen Cabinette der Universität in Wien von H. Prof. Dr. Vietor 
von Lang; zwei von Herrn Prof. Dr. Vietor von Pierre von 
der hiesigen technischen Hochschule und zwar Nr. 8 aus dessen 
Privatbesitz und Nr. 4 aus dem physikalischen Cabinette der ge- 
dachten Hochschule; das letzte endlich, Nr. 5 ist das Eingangs 


392 Heschl: 


erwähnte Instrument meines eigenen Institutes. Ich beehre mich 
den geehrten Herren Collegen und Instituts-Vorständen hiemit 
meinen verbindlichsten Dank für ihr freundliches Entgegenkommen 
auszusprechen. 

Die Instrumente und ihre hauptsächlichsten Leistungen sind, 
nach chronologischer Ordnung aufgeführt, die folgenden: 

1. Ein Instrument, welches genau der Abbildung entspricht, 
welche Harting (Das Mikroskop UI. Bd. S. 114) von den Mikros- 
kopen Cuff’s giebt. Dasselbe ist ohne Angabe des Ateliers und 
der Zeit in der es angefertigt wurde; da jedoch das Grazer Ca- 
binett auch noch andere ältere physikalische Apparate aus dem 
vorigen Jahrhunderte enthält -— oder früher enthielt, — welche 
aus dem Lehrmateriale der Jesuiten vor ihrer Abschaffung durch 
Kaiser Josef stammen, so wird man nicht fehl gehen, wenn man 
annimmt, dass auch dieses Mikroskop um 1750 nach dem damals 
besten Muster angeschafft wurde. Seine Objective sind einfache 
bieconvexe Linsen, in der primitivsten Weise gefasst: d. i. lediglich 
durch Aufschrauben einer Messingkapsel auf das untere Ende 
eines an das Mikroskoprohr anzuschraubenden kleinen Cylinders 
befestigt, übrigens ganz lose in der betreffenden Höhlung lagernd. 
Das Mikroskoprohr ist unten aus Messing, zum grössten Theile 
jedoch aus Holz und Pappe, das Ocular nach Ramsden kann durch 
Einschieben oder Ausziehen des Tubus dem Objective näher oder 
ferner gestellt werden. 

Die optischen Leistungen sind theils wegen Blindwerdens der 
Linsen theils wegen der mangelnden Correcturen der chromatischen 
und sphärischen Abweichungen unbedeutend: sie geben nur schwache 
und undeutliche Umrisse der Gegenstände: und es lassen sich 
wegen des Zustandes der Linsen die Vergrösserungen nicht einmal 
annähernd angeben. 

2. Nr. 2 ist ein 4eckiges Thürmchen aus Holz mit einem 
Ausschnitte an der vorderen Wand für die Beleuchtung des im 
Innern angebrachten Spiegels, dann zwei Spalten in den Seiten- 
wänden für die durchzusteckenden Objectträger; in der oberen 
Schlussplatte steckt ein doppelt ausziehbarer Tubus aus Holz und 
Pappe mit je einem Objeetive und Oculare. Ersteres ist eine 
einfache bieconvexe Linse, steckt in einem hölzernen Cylinderchen 
und wird in diesem befestigt durch ein Schüsselchen aus Blech, 
das dem centralen Theile der Linse entsprechend durchbohrt 


Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 393 


und seinerseits durch einen federnden Drahtring fixirt ist. In 
gleicher Weise, durch einen Drahtring, sind die beiden Linsen 
des Oculares befestigt; die ganze Arbeit weist darauf hin, dass 
das Instrument eine billige Dutzend-Arbeit einer Nürnberger Fabrik 
des vorigen Jahrhunderts ist; seine optischen Leistungen sind aus 
denselben Gründen wie bei 1 gleich null. 

3. Das dritte Instrument — (Fig. 1) — ist ein sehr nett 
aussehendes, vortrefflich erhaltenes, elegantes Mikroskop des wäh- 
rend 1760—1790 als Mikroskop-Verfertiger berühmten Akademikers 
und Physikers G. F. Brander in Augsburg, als dessen Werk es 
auch ausdrücklich bezeichnet ist. 

Dasselbe ist 32 Cm hoch, hat eine massive ovale Messingfuss- 
platte a, auf der sich ein gefällig gebogener Bügel b mit einer 
Flügelschraubenmutter zur Befestigung einer Stange e erhebt, die 
in sein oberes Ende eingesteckt wird, mit Gelenk zum Umlegen 
des Tubus versehen ist und als Träger von Tisch und Tubus dient. 

Der Spiegel d ist excentrisch auf der Fussplatte mittelst 
eines horizontal im Kreise beweglichen Armes e befestigt, plan 
und doppelt, und um die horizontale und verticale Axe beweglich. 

Die Stange c trägt für Tisch und Tubus zunächst ein würfel- 
förmiges Gehäuse f aus vergoldetem Messing mit offenen Seiten- 
flächen; mit der hinteren Fläche ist dasselbe an der Stange be- 
festigt, die vordere Fläche trägt innerhalb eines zierlich ausge- 
führten Eichen- und Lorberkranzes die Worte G. F. Brander 
Aug. Vind. fecit; die untere Platte enthält die Mutter für die 
hohle eylindrische Stellschraube & des Tisches h; die obere Platte 
das Gewinde zur Aufnahme des Objeetives i und ein zweites zum 
Aufschrauben des Tubus. 

In dem freien Raume zwischen der oberen und unteren Platte 
bewegt sich in Nuhten der Objekttisch h auf- und abwärts. Er 
besteht aus zwei parallelen Metallplatten, zwischen welche der 
Objeetträger eingeschoben wird. Seine obere Platte wird durch 
die Spiralfeder 1 an die untere, resp. den Objeetträger angepresst, 
und an seine untere Platte ist die Schraube g befestigt, welche 
den Tisch hebt und senkt. Im unteren Ende der Hohlschraube & 
ist eine biconvexe Linse m von flachen Krümmungen mittelst eines 
Drahtringes befestigt, die das vom Planspiegel kommende Licht 
eoncentrirt auf das Object wirft. 

Der Tubus besteht aus zwei Theilen: der untere stellt einen 


394 Heschl: 


7,3 em langen vergoldeten und schön gravirten Messingeylinder 
dar, der den oberen aus Pappe und Holz gefertigten Theil lose 
aufnimmt, welcher ausziehbar ist und das Ocular n nach Ramsden 
enthält. 

Der Objeetive sind 7; davon zwei mit Lieberkühn’schen 
Spiegeln. Jedes von ihnen besteht aus einer biconvexen Linse, 
welche in der oben bei 2 auseinandergesetzten Weise mit Metall- 
plättchen und Drathring befestigt ist. Da der Tubus absehraubbar 
ist, so können die Objeetive auch als einfache Mikroskope ge- 
braucht werden; dagegen können die beiden mit Lieberkühn’schen 
Spiegeln versehenen Objeetive von dem wie die Figur zeigt vor- 
bereiteten Mikroskopkörper nicht befestigt werden. Um sie aber 
doch verwenden zu können wird statt des Objeetives bei i und 
des Tubus ein Arm o befestigt — Fig. 2 — der wieder zur Auf- 
nahme aller Objecetive darunter auch jener mit den Lieberkühn’- 
schen Spiegeln eingerichtet ist. Unter die vertikale Axe der ent- 
sprechenden Linse ist die Mitte des Spiegels stellbar; doch ist er 
auch bei dieser Stellung eines Objeetivs zu schiefer Beleuchtung 
verwendbar. Ausserdem aber lässt sich auch auf diesem Arme der 
Tubus mit dem Oculare befestigen, so dass das Mikroskop hier 
wieder als einfaches und zusammengefasstes zu verwenden ist. 
Das Objeet wird in einer kreisrunden Oeffnung des hölzernen 
Schiebers, der als Objeetträger funktionirt, eingeschlossen und 
dieser zwischen den beiden Platten des Objeettisches eingeklemmt, 
nur dass jetzt die das Objeet enthaltende Stelle des Trägers bei * 
Fig. 2 ziemlich weit aus dem Gehäuse hervorragt. Zu gleichem 
Zwecke offenbar sind dem Instrumente mehrere Streifen aus starkem 
Glase beigegeben. 

Die Vergrösserungen auf 18 Cm Sehweite berechnet sind die 
nachstehenden: 


a. als einfa-b. als zusam- 
I. Objective. ches Mikros- mengesetztes 
kop. Mikroskop. 
1 11 45 
2 16 70 
3 22 110 
4 50 240 
5 90— 100 500 
II. Mit dem , 1 12 60 
kühn’schen Spiegely 2 20 100 


Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 395 


Die Vergrösserungen a, i. e. die mit den einfachen Linsen 
hervorgebrachten, sind durchwegs recht brauchbar, ausgenommen 4; 
an dieser Linse fehlt jedoch das gleichzeitig als Blende die- 
nende Metallplättehen an der unteren Linsenfläche so dass die 
Linse nur durch den Drahtring allein befestigt ist. Demgemäss 
sind die Abweichungen so beträchtlich, dass selbst die Linse 
allein unverwendbar ist. Mit Objectiv 5 allein sieht man ‘eben 
noch bei schiefer Beleuchtung eine Spur von den Längsstreifen 
der Schuppen von Hipparchia Janira $. Die sämmtlichen Ver- 
srösserungen b aber, also die des zusammengesetzten Mikroskopes, 
sind nach unseren heutigen Begriffen gänzlich unverwerthbar, de- 
finiren undeutlich und lösen gar nichts und sie können bei der 
höchst sorgfältigen Erhaltung der Linsen bis heute auch zur Zeit 
ihrer Anfertigung nicht mehr geleistet haben. 

Die beiden mit den Lieberkühn’schen Spiegeln versehenen 
Objeetive sind gleichfalls allein angewandt überraschend gut, da- 
gegen mit dem Oculare auch nicht brauchbar. Anders müssen sie 
wohl Brander selbst erschienen sein; ich finde wenigstens in 
einem Verzeichnisse der geometrischen, astronomischen und physi- 
kalischen Instrumente, welche in dem Brander’schen Labora- 
torium 1785 zu haben waren, unter No. 60 „Microscopium, welches 
vor ein und dieselbe Lentille sowohl simplex als compositum ist, 
und zwar in beiden Fällen für durchsichtige und undurchsichtige 
Gegenstände, mit einfacher und doppelter Beleuchtung bei dem 
Tag- und Nachtlichte zu gebrauchen. Als Compositum hat es 
ein Glasmierometer und alle nöthige Zugehör“; beigefügt ist hand- 
schriftlich 100 fl. 

Dem Mikroskop beigegeben sind ausser mehreren für die 
Neugierigen, alias Dilettanten berechneten Objeeten, nämlich zwei 
Flöhen, Maushaaren, feinen Schnitten von Hollundermark, einem 
Mückenflügel, u. a., welche in eleganten Schiebern befestigt sind 
noch mehrere zur Aufnahme selbst anzufertigender Objeete vorbe- 
reitete Schieber gleicher Art, runde Objeetplättehen und Deck- 
gläschen nebst federnden Drahtringen in zierlichen Büchschen, 
eine hübsche eiselirte Scheere und ein in seiner Mitte in quadra- 
tische Felder eingetheiltes Glasmierometer zum Einlegen in den 
Tubus unterhalb des Ramsden’schen Oculares. Ich habe es leider 
versäumt die Feinheit der Theilung zu messen und ihre Genauig- 
keit zu untersuchen; nach meiner Erinnerung schätze ich die erste 


396 Heschl: 


auf nicht über Yıo Linie; die Striche sind jedoch sehr rein 
und fein gezogen: es stimmt diess auch so ziemlich mit einer 
Angabe bei Harting (l. e.S. 367), der ein Brander’sches Miero- 
meter untersucht und die Theilung von 1 Zoll in 100 Theile ge- 
funden hat. 

Nach unseren heutigen Vorstellungen von der Brauchbarkeit 
eines derartigen Instrumentes würde selbst bei viel grösserer Voll- 
kommenkeit des optischen Theiles schon der zu den heutigen 
Untersuchungen ganz unverwendbare Objecttisch das Instrument 
als nicht verwendbar erscheinen lassen. 

Von grösserem Interesse ist an dem vorliegenden Instrumente 
nur der seitlich verstellbare Spiegel: es muss aber bezweifelt 
werden, dass er in dem Sinne Dienste that, wie wir jetzt die 
schiefe Beleuchtung gebrauchen, nämlich vorzugsweise oder fast 
ausschliesslich für gewisse Testobjeete, weil derartige damals gar 
nicht bekannt waren. Für unser Mikroskop aber ist bei der 
Stellung Fig. 1 schief einfallendes Licht gleichbedeutend mit gar 
keiner Beleuchtung und für die Stellung Fig. 2, bei der Anwendung 
des Lieberkühn’chen Spiegels, kann auch nur an gerade von 
unten kommendes Licht gedacht werden. 

4. Das vierte Instrument ist das Eingangs erwähnte unseres 
Institutes: die Zeit seiner Anschaffung, sein Preis, so wie die 
Werkstätte aus der es hervorging, sind unbekannt; und was die 
Zeit seiner Anfertigung betrifft, so kann sie unmöglich später 
gesetzt werden, als die Zeit des allgemeineren Bekanntwerdens 
der Kunst, achromatische Objeetive zu verfertigen, sie fällt also 
spätestens in das erste Jahrzehend unseres Jahrhunderts. In dem 
ältesten der auf dem Institute vorhandenen Inventare, aus dem 
Jahre 1842 wird es als „grosses zusammengesetztes Mikroskop“ 
mit seinen Bestandtheilen in unverkennbarer Weise beschrieben, 
aber auf — 10 fl. Werth angegeben: und schon 1830 hat Roki- 
tansky’s Vorgänger Johannes Wagner eine Bittschrift um 
einen Beitrag zur Reparatur und Vervollständigung eines 
Plössel’schen Mikroskopes eingebracht, „um eine 500 malige Ver- 
grösserung zu gewinnen‘. 

Das in Rede stehende alte Instrument ist in einem 21 Cm 
hohen, mit einem 23 Cm hohen Glassturze versehenen Kasten (Fig. 3) 
an einer horizontalen Welle befestigt, mittelst welcher es umlegbar 
und in jeder Stellung durch die Schraube a feststellbar ist. Die 


Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikrosk ops. 397 


vordere dem Lichte zugekehrte Wand des Kastens wird beim Ge- 
brauche entfernt und dadurch werden nebst dem Spiegel zwei 
unten im Kästehen angebrachte Lädchen mit den Objectiven, einer 
Pincette und einem Froschhalter frei. 

An der genannten Welle ist eine verticale Stange b befestigt 
welche unten den concaven metallenen Beleuchtungsspiegel 
trägt, der selbst um 2 horizontale Axen beweglich und auf der 
Stange nach auf- und abwärts verschiebbar ist: seitliche Bewe- 
gung fehlt. 

Etwas unterhalb des oberen Kastenrandes findet sich der 
eigenthümlich gestaltete und ungemein grosse Objecttisch und 
zwar in ganz fester Verbindung mit der Stange. Er besteht aus 
zwei über einander liegenden Metallplatten von 12 Cm Breite und 
9Cm Länge; die untere ce trägt die Scheibe mit den Blenden und 
mittelst 4 an den Ecken angebrachten 2Cm hohen Säulchen zwei 
je 1,6 Cm breite und 8,5 Cm lange mit Federklammern versehene 
Messingstreifen dd; die inneren Ränder der letzteren sind mit 
einer Nuthe versehen, in welche der eigentliche obere Objecttisch 
ee von vorne her eingeschoben wird. 

Der 13,5 Cm hohe Tubus ist mittelst Triebwerkes gegen den 
Objeettisch beweglich, eine feinere Einstellung ist nicht vorhanden, 
wohl auch bei den relativ geringen Vergrösserungen, die das In- 
strument gewährt, nicht so absolut erforderlich; das Triebwerk ist 
von ziemlich roher Arbeit. 

Öbjective sind fünf vorhanden, die wieder aus je einer bicon- 
vexen Linse bestehen, in deren Befestigung in so ferne ein Rück- 
schritt gegen das Brander’sche Mikroskop zu constatiren ist, als 
dieselben lediglich durch die aufgeschraubte Metallkapsel mit cen- 
tralem Löchelchen in ihrer Lage erhalten werden sollen, somit we- 
niger fixirt sind, als durch das fest aufsitzende Metallschälchen mit 
dem federnden Drahtringe. 

Am unteren Ende des Tubus befindet sich auch ein Gewinde 
zur Anbringung eines Lieberkühn’schen Spiegels, mit welchem das 
Mikroskop auch in der Fig. 3 abgebildet ist. 


Das Ocular (nach Huygens) besteht aus zwei grossen bicon- 
vexen Linsen, dem grösseren Collective und dem etwas kleineren 
und mit stärker gekrümmten Flächen versehenen eigentlichen 
Oeulare; zwischen beiden ist keine Blende angebracht. Diese 


398 Heschl: 


Linsen sind durch aufgeschraubte Metallringe und zwar sehr 
schlecht befestigt. 
Die durch dieses Mikroskop gegebenen Vergrösserungen, auf 
25 Cm Sehweite berechnet, sind 
mit Objectiv 1—30 


4 „2-45 
r » .3— (ohne Linse) 
» und 68 

5—80 


„ ” 
Schon die beiden ersten ‚sind nicht viel werth, die beiden 


letzteren aber ganz unbrauchbar, sowohl wegen der mangelnden Cor- 
rectionen als mancher Defecte der Linsen. 

Das Instrument weist im mechanischen Theile in so ferne 
einen Fortschritt auf, als es einen feststehenden und grossen Ob- 
jeettisch besitzt und die Einstellung in den Tubus verlegt ist. Vom 
ersteren können die Federklammern entfernt werden und derselbe 
ist dann auch ganz frei, was eben nebst der Festigkeit und 
Grösse den Hauptvorzug des modernen Objecttisches darstellt. 

Dagegen musste schon zur Zeit der Anfertigung des Instru- 
mentes jede Möglichkeit einer intensiveren optischen Wirkung 
ausfallen, einmal wegen der gänzlichen Vernachlässigung der Sorge 
für bleibende Centrirung der Linsen — ihre lose Einfügung — 
dann wegen des Abganges der Correcetion der Aberrationen. 

5. Dieses Mikroskop wurde 1815 von Sr. Majestät Kaiser 
Franz I. bei der Gründung der Wiener technischen Hochschule 
aus dem k.k. physikalisch-astronomischen Hofkabinette der physi- 
kalischen Lehrkanzel der bezeichneten Hochschule zum Geschenk 
gemacht und war gewiss eins der bestausgestatteten jener Zeit. 

Seine Einrichtung entspricht am meisten der, wie sie Har- 
ting (l. ec. S. 126) von dem Tiedemann’schen Mikroskope schil- 
dert; insbesondere ist der Träger der drei Hauptbestandtheile des- 
selben, Spiegel, Tisch und Tubus, eine mittelst Charniers auf dem 
Boden des Mikroskopkastens befestigte Stange, die zum Gebrauche 
aufgerichtet und zur Verwahrung umgelegt wird. 

Der grosse Concavspiegel (Fig. 4a) aus Glas ist ausser den 
beiden Bewegungen um zwei horizontale Axen noch mittelst eines 
Armes seitlich verstellbar, letzteres jedoch, wie mir scheinen will, 
nicht sowohl wegen der dadurch zu erzielenden schiefen Beleuch- 
tung, sondern deshalb, weil der Spiegel bei aufgerichtetem Stative 


Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 399 


wegen der Höhe des oberen Randes des Kastens gar nicht senk- 
recht unter den Objecttisch gestellt werden kann; er ist also an 
einem Arme befestigt, mittelst dessen er 180° nach oben gedreht 
und dadurch centrisch unter den Objecttisch gebracht wer- 
den kann. 

Der letztere ist mittelst sehr sorgfältig ausgeführten Trieb- 

werkes beweglich und stellt einen schmalen, aussen kreuzförmig 
_ gerandeten mit weiter runder Oeffnung versehenen Ring b dar, 
der in der Ruhelage des Mikroskopes zur Aufnahme des Tubus 
dient; aus ihm wird der letztere beim Gebrauche herausgenom- 
men und in den oberen Arm c eingesteckt. Im Öbjeettische 
wird nun ein Einsatz befestigt, der mittelst zweier im rechten 
Winkel gegeneinander wirkenden Schrauben sanfte horizontale 
Verschiebung gewährt, oder ein anderer mit einer ringförmigen 
Federklammer. In beiden ist aber die benutzbare Fläche klein und 
gewährt weder Sicherheit dem Objeetträger noch Bequemlichkeit. 

Die Objective sind einfache biconvexe Linsen, daher nicht cor- 
rigirt; sie liegen, wie bei lund 4 lose auf dem unteren Rande der 
eylindrischen oder conischen Hülse und werden lediglich durch 
Aufschrauben einer in der Mitte durchbohrten Deckkapsel fixirt; 
es sind ihrer im Ganzen sechs; die Metallarbeit an den Hülsen, 
wie an den übrigen Theilen des ganzen Mikroskopes, ist äusserst 
sorgfältig und elegant. 

Das Ocular ist wie bei Martin (Harting l. e. S.117) aus 
vier planconvexen Linsen zusammengesetzt, deren Stellung im Tu- 
bus in der Fig. 4 angedeutet ist. Die unterste entspricht einem 
Colleetivglase, wie sich aus der Wirkung ihrer Entfernung ergibt, 
welche sich als Steigerung der Vergrösserung, Abnahme des Lichtes 
und der optischen Wirkung darstellt. Die oberen drei entsprechen 
keiner mir bekannten Composition; das Colleetiv und die beiden 
unteren Linsen des Triplets sind mit der planen, die oberste 
Linse mit der convexen Fläche nach unten gekehrt: die beiden 
oberen Linsen sind relativ klein, die beiden unteren auffallend 
gross. Das Gesichtsfeld ist auffallend gross. 

Die optische Wirkung des Ganzen ist wegen der mangelnden 
Correetionen ziemlich unbedeutend; da jedoch das Instrument mit 
Ausnahme eines schadhaft gewordenen Objectives (No. 4) sehr gut 
erhalten ist, so wird die Vorstellung von seinen einstigen Leistun- 
gen eine ziemlich richtige sein. 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 27 


400 Heschl: 


Die Vergrösserungen auf 25 Cm. Sehweite berechnet sind zu- 
nächst die folgenden: 
mit Objectiv 1— 15 


„ > 2— 35 
„ „ 3— 60 
» N d— Linse beschädigt 
„ „ 5—140 
6—170. 


” ” 

Die Wirkung ist bei den Objeetiven 1—3 leidlich bezüglich der 
Definition, besonders bei Lampenlicht, bezüglich des Auflösungs- 
Vermögens sehr gering; man sieht z. B. die Borstenhaare des 
Milbenscorpions, die Umrisse der Schuppen von Hipparchia Ja- 
nira 9 recht gut, aber weder mit dem Öbjeetiv 3 noch mit 5 
(140fache Vergrösserung) auch nur eine Spur der Längsstreifen 
der letzteren. 

Beigegeben sind dem Instrumente ausser den üblichen Klam- 
mern, Inseetenhaltern, einem Fischhalter u. dgl., noch eine Linse 
zur Beleuchtung von oben und ein Lieberkühn’scher Spiegel, der 
mittelst einer langen eylindrischen Hülse auf den unteren engeren 
Theil des Tubus aufgesteckt wird. 

Alle Arbeit daran ist eine sehr sorgfältige und genaue, die 
Ausstattung elegant. Als Verfertiger nennt sich ein in der Ge- 
schichte des Mikroskopes bisher sonst — mir wenigstens — unbe- 
kannter Name; die Inschrift auf dem Tubus lautet: „Otteny: 
Mecha. Fe. in k.k. Phis. Kabin.“ Ich habe Sehritte gethan, um 
näheres über ihn zu erfahren und werde, wenn sie von Erfolg sind, 
darüber das Wissenswerthe mittheilen. 

Ueber die noch folgenden kann ieh kurz hinweggehen. 

6. Als sechstes Instrument zeigte ich ein im Jahre 1817 
für das physicalische Cabinet der Wiener Universität bei Voigt- 
länder!) in Wien angekauftes Mikroskop; dasselbe hat vier in 
einen Revolver gefasste Objective und ein Ramsden’sches Ocular. 
Die Objeetive 1—3 bestehen aus einer unteren planconcaven (Flint- 
glas) und einer oberen biconvexen (Crownglas) Linse, welche 
jedoch weder mit einander noch in ihrer Fassung durch Kitt be- 
festigt sind, sondern lose über einander lagern und durch ein 
aufgeschraubtes Deckelchen fixirt werden. 


1) Auch dieser Name fehlt bei Harting. 


Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskopes. 401 


Dass unter solchen Umständen, trotz ziemlich guter Correction 
der chromatischen Abweichung, die Leistungen nicht bedeutend 
sein können, wird nicht auffallen. 

Die Vergrösserungen (für 25Cm Sehweite) sind die folgenden: 

mit Objectiv 1—20 
” „ 2—40 
” ” 3—60. 

Man erkennt jedoch kaum die Striche eines Möller'schen 
100theiligen photographischen Mikrometers, von den Längsstreifen 
der Hipparchia Janira 2 keine Spur. 

Vom Objeetiv 4 fehlt die Flintglaslinse, es gibt (mit.dem 
Ocular) eine Vergrösserung von 280, an den Schuppen der Hippar- 
chia Janira @ sind die Längsstreifen kenntlich, von Querstreifen 
keine Spur, die Ränder stark farbig, der Grund trübe. 

' Der Objecttisch ist beweglich, sehr klein, mit Beleuchtungs- 
linse und Insectenhalter versehen. 

Ich hatte seither Gelegenheit noch ein aus dieser Zeit stam- 
mendes Instrument der Londoner Firma Dixley !) von schöner 
Ausführung, mit Revolver-Objeetiv-Träger und beiläufig derselben 
Wirkung wie No.6 zu untersuchen. Die Objeetive sind leidlich 
achromatisch, die beiden Linsen zusammengekittet, jedoch ebenfalls 
nur durch Aufschrauben der Kapsel befestigt. 

7 und 8 sind zwei Instrumente von „Fraunhofer“, und zwar 
7 von Utzschneider, Reichenbach und Fraunhofer in Bene- 
dietbeuren (1811—1820?), 8 von Utzschneider und Fraunho- 
fer in München (1820—1826) mit je einem Huygens’schen Oculare 
und je drei achromatischen, aus einem zusammengekitteten und in 
der Fassung ein für allemal festgemachten Linsenpaare, bestehen- 
den Objectiven. Die beiden Mikroskope haben sehr kleine ringför- 
mige Objeettische, in welche die feine Einstellung verlegt ist, — 
die gröbere geschieht durch Verschieben des Tubus in der Hülse 
mittelst der Hand —, grosse Lichtstärke, grosses Gesichtsfeld 
jedoch geringe Vergrösserung (20, 30 und 45 mit den Objectiven 
1—2—3), schräge Stellung des Spiegels gestattet; Definition ziem- 
lich gut, Auflösungsvermögen natürlich irrelevant, aber auch nicht 
bedeutend, da die Objective einen sehr geringen Oeffnungswinkel 
haben. 


1) Auch bei Harting nicht genannt. 


402  Heschl: Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskopes. 


Zu dem Instrument No. 7 gehören noch 6, offenbar von 
Fraunhofer oder seinem Nachfolger Merz auf spätere Bestel- 
lung gelieferte Objeetive, welche allein oder zu je 3 — die stär- 
keren — zum Uebereinanderschrauben eingerichtet sind und auf das 
Deutlichste den grossen Fortschritt zeigen, der durch diese Sel- 
ligue-Chevalier'sche Methode in der Construction der Mikros- 
kope angebahnt und herbeigeführt worden ist. Die Vergrösserun- 
gen gehen von 20—210; Definition und Resolution gut, noch heute 
ganz verwendbar. 

Das 9. Instrument ist ein gewiss vor 1830 bezogenes Instru- 
ment von Chevalier in Paris, welches zum Aufschrauben auf 
den Deckel des Kastens eingerichtet ist. Es hat vier achromati- 
sche zum Uebereinanderschrauben vorgerichtete Objective von heute 
noch leidlich guter Wirkung; offenbar sind ein oder auch zwei 
stärkere Objective verloren gegangen. Die vorhandenen haben so 
kleine Fassungen, dass wohl schon aus der Unbequemlichkeit der 
Hantirung mit ihnen das Aufkommen der jetzigen Einrichtung 
der fixen „Systeme“ allein erklärlich wäre. Es besitzt das In- 
strument ferner Drehscheibenblendung, beweglichen Objeettisch, 
ausziehbaren Tubus, zwei Oculare nach Huygens. Die Vergrös- 
serungen gehen mit dem schwächeren Oculare von 20—150, mit 
dem stärkeren von 25—210; mit, wie gesagt, leidlich guter Wir- 
kung, wenigstens übertrifft dasselbe die anderen bisher beschriebe- 
nen Instrumente beträchtlich, obschon auch die sphärische und 
die chromatische Abweichung noch lange nicht in dem heute mög- 
lich gewordenen Grade beseitigt sind, sondern an Probeobjeeten 
noch lästig genug hervortreten. 


©. F. W. Roller: Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 403 


Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 


Von 


€. F. W. Roller. 


(Anatomisches Institut zu Strassburg, Elsass.) 


Hierzu Tafel XIX. 


Der Darstellung einer aufsteigenden Acustieuswurzel schicken 
wir voraus, dass funieulus gracilis, funiculus cuneatus und corpus 
restiforme sich, wie dies nicht von allen bisherigen Bearbeitern 
der medulla oblongata genügend hervorgehoben ist, bei ihrem Auf- 
steigen!) im verlängerten Marke recht wohl von einander trennen 
lassen und im Allgemeinen folgende Verhältnisse darbieten. 

Der funieulus gracilis, welcher zur contralateralen Pyramide 
eine grosse Anzahl Fasern entsandt hatte, setzt, nachdem die Py- 
vamidenbildung vollendet ist, die Abgabe seiner Fasern fort; ein 
Theil derselben durehzieht als fibrae arciformes internae das Mark 
zu Raphe und Olive, ein anderer begibt sich, die hintere Peri- 
pberie des nucleus funieuli euneati umziehend, zum corpus resti- 
forme. Der funieulus cuneatus erhält sich eine Strecke weiter 
als wohlcharakterisirter Strang, reich an grauer Substanz mit vie- 
len meist grossen runden Zellen, die zum Theil den von Merkel?) 
für die sog. trophische Trigeminuswurzel näher beschriebenen 
„blasigen“ gleich sind. Auch aus dem funiculus cuneatus gehen 
zahlreiche Fasern in die fibrae arciformes und in das corpus resti- 
forme über. 


1) Da wir die menschliche medulla oblongata im Auge haben, welche 
wesentlich eine aufsteigende Richtung einhält, so werden wir mit „oben“ die 
Gehirnseite, „unten“ die Rückenmarkseite, „vorne“ die Ventral-, „hinten“ 
‘ die Dorsalseite bezeichnen. 


2) Untersuchungen aus dem anatomischen Institut zu Rostock. 1874. 
Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 18. 28 


404 C. F. W. Roller: 


Er aber auch enthält die radix ascendens nervi acustici, 
wenigstens zu ihrem grössten Theile. 

Das corpus restiforme, welches als Hervorragung an der äus- 
sern Seite des funiculus cuneatus ein wenig höher als das untere 
Ende der Olive auftritt, nimmt im Aufsteigen theils durch den er- 
wähnten Faserzufluss, theils durch solchen von Seiten der fibrae 
arciformes und direct von der Olive zu. Den Zusammenhang zwi- 
schen corpus restiforme und Olive in evidenterer Weise als seit- 
her geschehen, nachzuweisen, ist uns auf passend geführten Schräg- 
schnitten gelungen. Zur Verstärkung des corpus restiforme trägt 
die Kleinhirnseitenstrangbahn von Foville und Flechsig bei'). 

An der Stelle, an welcher der funiculus gracilis geschwun- 
den ist, nachdem er sich in seiner oberen Parthie in breitem 
Bande nach vorne gewendet hatte, wenig oberhalb der Spitze des 
calamus scriptorius tritt innerhalb dieser vorwärts ziehenden Fasern 
und, nachdem sie geschwunden, an ihrer Stelle ein Herd kleiner 
und mittelgrosser Zellen von verschiedener länglicher oder rund- 
licher Gestalt auf. Innerhalb der grauen Substanz, in welcher 
diese, übrigens spärlichen Zellen liegen, nach aussen vom soli- 
tären Bündel, erscheinen Faserquerschnitte, welche rasch an 
Zahl zunehmen. Vom corpus restiforme sind sie durch den funi- 
culus euneatus mit seinem stark entwickelten nucleus getrennt. 
Die longitudinalen Bündel, welchen sie entsprechen, lassen sich 
nach aufwärts verfolgen bis in den grosszelligen Acustieusherd ?). 
In diesem steigen sie aufwärts bis zu den Ebenen, in welchen 
aus ihm die Bündel der inneren Wurzel ?) des Hörnerven wenig- 


1) Wenn wir von dem Verlauf der Fasern in bestimmter Richtung 
sprechen, so soll damit über den Sinn, in welchem sie leiten, Nichts ausge- 
sagt sein. Anderen Ortes werden wir die hiefür in Betracht zu ziehenden 
Momente würdigen. 

2).So nennen wir den Herd nach seinen charakteristischen Elementen, 
den grössten der Oblongata, obwohl er bei seiner beträchtlichen Ausdehnung 
auch eine grosse Anzahl kleinerer enthält. Es ist der äussere Acusticuskern 
Clarke, Meynert, obere Henle, welcher unter diesem Namen ihn mit 
dem medialen zusammenfasst, medialer Kern der vorderen Acusticuswurzel 
W. Krause. 

3) Innere oder vordere Abtheilung der centralen Bahn des nervus acu- 
sticus Stilling, hintere Wurzel Clarke, hinterer medialer Strang Henle, 
vordere Hauptwurzel Meynert, vordere Wurzel W. Krause. 


Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 405 


stens zu ihrem grössten Theile hervorgehen. Hier sieht man mehr 
und mehr von den Querschnitten in diese Wurzel übergehen, 
welche im weiteren Aufsteigen beträchtlich an Umfang zunimmt 
und in breitem Zuge das Mark verlässt. Auf Querschnitten lassen 
sich die schräg abgeschnittenen Fasern in ihrem Uebergang aus 
der longitudinalen in die transversale Richtung beobachten, Fig. 2. 
Während die Bündel der aufsteigenden Acustieus-Wurzel sich im 
Aufsteigen mehren, nimmt der Umfang des funiculus euneatus 
und seines nucleus rasch ab, ein Umstand, welcher das Hervor- 
gehen mindestens eines grossen Theiles der Wurzel!) aus dem ge- 
nannten Strange sehr wahrscheinlich macht, während aus diesem 
andere Bündel in das gleichfalls anwachsende corpus restiforme 
übergehen. Jenes Hervorgehen lässt sich indessen auf Frontal- 
schnitten (parallel zur Ventrikelebene) direct beobachten; es er- 
scheint zum Theil als Hereinbiegen der Cuneatusfasern in die 
Bahn der radix ascendens n. acustiei unter starker Krümmung, 
Fig. 3. Das Areal des funiculus euneatus wird allmälig vollständig 
von der radix ascendens mit zwischen ihren Bündeln befindlicher 
grauer Substanz eingenommen, Fig. 1. Ein Unterscheiden der dem 
Acustieus zugehörigen Bündel nach abwärts innerhalb des funi- 
culus euneatus ist auf solchen (Frontal-) Schnitten eine gewisse 
Strecke weit möglich, dann freilich verlieren sie sich unter den 
übrigen den funieulus euneatus constituirenden Fasern. 

Auf Schrägschnitten (vgl. die Figuren -Erklärung) ist die 
Umbiegung der aufsteigenden in die Richtung der austretenden 
Wurzel gleichfalls direkt wahrnehmbar. Fig. 4. 

Oberhalb des Austrittes der genannten Acustieus-Wurzel sind 
die Querschnitte der Bündel, welehe ich für die Radix ascendens 
erklären muss, geschwunden; wenig höher, noch im Bereiche des 
Aecustieusherdes treten Querschnitte, wenn auch fortwährend in 
geringer Zahl, auf’s Neue auf, sie gehören Fasern an, welche von 
oben, durch den Pons herabkommend, in den grossen Acustieusherd 
eintreten. Ueber die oberen Verbindungen dieser „radix des- 
cendens“?) aber haben wir unsere Untersuchungen noch nieht abge- 


1) Zuwachs noch von anderen Stellen werden wir anderen Ortes nach- 
weisen. 


2) Es liesse sich rechtfertigen diese Wurzel vielmehr „aufsteigend“, die 


andere „absteigend“ zu nennen, wir haben die Bezeichnungen, so wie wir 


406 C. F. W. Roller: 


schlossen und führen daher das in Bezug darauf von uns Beob- 
achtete nicht an. Da auch bestimmt Faserzüge aus dem Klein- 
hirn in den grosszelligen Acusticusherd gelangen, so ist dieser 
ein Centralherd für von verschiedenen Richtungen einstrahlende 
Faserzüge des Hörnerven, während freilich Deiters!) ihm die 
Beziehung zum Acusticus gänzlich absprechen wollte. 

Indem wir die aufsteigende Wurzel in den Herd gelangen, 
die austretende daraus hervorgehen sahen, bleibt zu fragen, ob 
wir eine directe Umbiegung der Fasern aus der einen in die an- 
dere Richtung anzunehmen haben. Ein Theil der Fasern der radix 
ascendens tritt wahrscheinlich, nachdem sie in den Herd gelangt 
sind, mit dessen Zellen in Verbindung, um durch deren Vermitte- 
lung ihre Verlaufsänderung zu erfahren. Ein Theil aber — dies 
ergeben unsere Präparate, wie wir glauben, mit voller Deutlichkeit 
— geht unmittelbar aus der einen in die andere Richtung über. 

Es ist auffallend, dass die radix ascendens n. acustiei, die 
verhältnissmässig leicht zu constatiren ist, noch nicht beschrieben 
wurde. Wir erklären uns dies daraus, dass vielleicht die schräge 
Scehnittriehtung, bei welcher die direete Wahrnehmung gelingt (s. 0.) 
nicht methodisch angewendet wurde. Viele Autoren sahen die 
Querschnitte von longitudinalen Bündeln innerhalb des Acustieus- 
Kernes, hielten sie aber wie z. B. Meynert für „die innere Ab- 
theilung des Klein-Hirnstieles“°?). Der Umstand, dass an der von 
uns bezeichneten Stelle das Gebiet des funinculus euneatus mit 
seinem nueleus durch die radix ascendens in der beschriebenen 
Weise — aus jenem Strang hervorgehend — eingenommen wird 
und die Umbiegung in die austretende Wurzel sind nicht beob- 
achtet worden. 

Wir beschränken uns auf die vorstehende kurze Mittheilung; 
für die nähere Ausführung, bei welcher wir eine Reihe wichtiger 
Details mittheilen und die übrigen Verhältnisse des centralen 


gethan haben, gewählt, weil wir in der Darstellung die im Mark aufstei- 
sende Richtung eingehalten haben. 

1) Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark des Menschen und 
der Säugethiere. 1865. z. B. S. 168. 

2) Strieker, Handbuch der Lehre von den Geweben des Menschen 
und der Thiere. 1870. Fig. 257, 8. 767 ist so unter 8. F. C. — jedenfalls 
grossentheils — unsere radix ascendens bezeichnet. 


Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 407 


Acustieusverlaufes erörtern werden, verweisen wir auf eine aus- 
führliehe Arbeit über die Organisation der medulla oblongata und 
des pons, deren Veröffentlichung wir vorbereiten. — 

Wir fügen bei, dass wir in derselben den Nachweis führen 
werden, dass das solitäre Bündel Meynert!) im Wesentlichen eine 
aufsteigende Glossopharyngeuswurzel darstellt, wie dies früher zum 
Theil von Clarke?), neuerlich von Duval®) und Obersteiner*) 
ausgesprochen ist?). Wir werden die Herde und Verbindungen 
des Stranges dort schildern. 

Auf die Bedeutung der Thatsache, dass spinale Wurzeln der 
cerebralen Sinnesnerven: Trigeminus, Acusticus, Glossopharyngeus ®) 
existiren, brauchen wir nicht erst hinzuweisen. 


Juni 1880. 


1) Von Stilling, welcher (medulla oblongata S. 60) an die Möglich- 
keit dachte, dass diesem Bündel eine Function der Sonderung zukomme, als 
dickes Fascikel weisser Längsfasern beschrieben, runde Bündelformation von 
Lenhossek, slender column ÖOlarke, Respirationsbündel W. Krause. 

2) Philosophical transactions, 1868, S. 277: The slender column has 
the same kind of important connexions with the vagal and glossopharyngeal 
nuclei as those which it has been shown to form with the spinal-accessory ; 
but it has moreover a direct and especial connexion with the 
glossopharyngeal nerve. cf. fig. 30, Taf. X. 

3) Robin et Pouchet, Journal de l’anatomie et de la physiologie. 
Mai-Juin 1880. 

4) Allgemeine Wiener medicinische Zeitung No. 25, 1880. 

5) Stieda, welchen Henle (Nervenlehre 1879, S. 222) als den Ver- 
treter der Ansicht, dass das solitäre Bündel Glossopharyngeus-Wurzel sei, an- 
führt, entwickelt (Ueber den Ursprung der spinalartigen Hirnnerven. 1873. 
3. 8f.) keine andere Anschauung als Meynert, welcher (l. c., $. 789) das 
solitäre Bündel als gemeinsame aufsteigende Wurzel der nervi glossophar., 
vag. und access. aufführt. Stieda leugnet freilich (l. c.) den Ursprung der 
sensibeln Nerven aus Kernen. 

6) Unserer Ueberzeugung nach auch des Opticus. (cfr. J. Stilling 
auf der Badener neurologisch-psychiatrischen Versammlung, Juni 1880.) 


408 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


w 


E. Nagy v. Regeeczi: 


Erklärung der Figuren auf Tafel XIX. 


Querschnitt der Oblongata. S. B. Stelle des solitären Bündels, wel- 
ches in der Höhe des hier abgebildeten Schnittes bereits in die 


‘ Wurzeln des n. glossopharyngeus übergegangen ist. r. a. a. Radix 


ascendens n. acustici. c. r. corpus restiforme. r. gl. Radix n. glos- 
sopharyngei. r. v. Radix nervi vagi. r. a. T. radix ascendens n. tri- 
gemini. 

Querschnitt. N. m. a. Nucleus magnocellularis n. acustici. U. f. Aus 
der longitudinalen in die transversale Richtung umbiegende Fasern 
der Radix ascendens acustici. r. i. a. Radix interna n. acustici. 
Frontalschnitt (parallel zur Ebene des Ventrikelbodens). N. m. a. 
Nucleus magnocellularis n. acustici. r. a. a. Radix ascendens n. 
acustici. N. f. c. Nucleus funiculi cuneati. 

Schrägschnitt in einem Winkel von etwa 45° zur sagittalen Ebene. 
Die Schnitte begannen vom Sulcus longit. ventr. IV aus und wurden 
in schräger Richtung lateral vorwärts geführt. N. m. a. Nucleus 
magnocellularis n. acustici. r. a. a. Radix ascendens n. acustici. r. 1. a. 
Radix interna n. acustici. r.a.t. Radix ascendens n. trigemini. Um 
die gegenseitige Lage der aufsteigenden Wurzeln des n. acusticus 
und des n. trigeminus zu zeigen, wurde, da bei der angewandten 
Schnittrichtung nicht beide, oder die eine dann nur in Spuren, auf 
demselben Schnitt erscheinen können, die rad. asc. n. trig. von einem 
wenig entfernten Schnitte derselben Serie eingetragen. p. ma). t. 
Portio major n. trigemini. p. min. t. Portio minor n. trigemini. 


Alle Figuren beziehen sich auf den Menschen. 


Ueber die Epithelzellen des Magens. 


Von 
Dr. E. Nagy v. Regeczy. 


(Aus dem k. ungarischen physiologischen Institut zu Budapest.) 


Nebst einem Holzschnitt. 


Während die Epithelzellen des Dünndarmes als Object viel- 


seitiger und eingehender Untersuchung dienten, fanden die des 
Magens im Allgemeinen viel weniger Berücksichtigung, und wurde 
auch weniger über diesen Gegenstand veröffentlicht. 


Ueber die Epithelzellen des Magens. 409 


Nach F. E. Schulze!) wäre die freie Oberfläche der Magen- 
epithelien nicht geschlossen. 

Nach Heidenhain?) würden die ganz frischen Epithelzellen 
durch eine Membran vollständig geschlossen sein. 

Ebstein?) fand sowohl offene als auch geschlossene Zellen, 
und ist der Meinung, dass die im Ruhezustand intacte Zellenmem- 
bran während der Verdauung berste. 

Nach der neuesten Mittheilung von Biedermann‘) besteht 
das Epithel des Magens aus cylindrisch oder pyramidal geformten 
Zellen, deren Seitenflächen mit einer deutlichen Membran über- 
zogen sind, während die obere freie Oberfläche jedoch immer offen 
sei. Die äussere Oeffnung dieser Zellen sei mit einem rundlichen 
Körper ausgefüllt, welcher von der übrigen Zellsubstanz sowohl 
in chemischer als in morphologischer Hinsicht abweiche, welchen 
Theil er auch als „Pfropf“ bezeichnet. Dieser Pfropf sei in hohem 
Maasse quellungsfähig, gegen wässerige Lösungen des Anilinblau 
sehr empfindlich, und zeige fein längsstreifige Struetur. 

Seiner Auffassung nach würden also die offenen freien Enden 
der Zellen mittelst dieses Pfropfes verstopft sein, damit sich der 
Zelleninhalt nicht entleere, in der Weise wie wenn eine Flasche 
durch einen Korkstöpsel verschlossen wird. Er sah an diesem 
Pfropfe bei Behandlung mit Osmiumsäure, dass derselbe eine 
Längsstreifung zeigte; über die Natur der Längsstreifung aber 
will er sich nieht entschieden äussern), hält es jedoch für wahr- 
scheinlich, dass die Streifen kleine Kanälchen sind, und bei der 
Schleimabsonderung in der Weise eine Rolle spielen, dass sie den 
Austritt des Zellinhaltes vermitteln. 

Eine ähnliche Längsstreifung wurde früher auch an den Epi- 
thelzellen des Dünndarmes beschrieben. Später entdeckten A. Gelei 
und Prof. v. Thanhoffer im hiesigen physiologischen Institut das 


1) Arch. f. mikr. Anat. IH. Bd. 

2) Arch. f. mikr. Anat. VI. Bd. 

3) Arch. f. mikr. Anat. IV. Bd. 

4) Wiener akad. Sitzungsber. LXXI. Bd. III. S. 377. 1875. 

5) l. c. S. 392: „Ueber deren Wesen ich mich allerdings nicht ganz 
bestimmt aussprechen will, denn ob die oben beschriebene Streifung als Aus- 
druck von Porenkanälchen oder als Stäbchenstruktur anzusehen sei, wage ich 
kaum zu entscheiden“. — 


410 E. Nagy v. Regeczy: 


Flimmern, wodurch unsere Anschauung über die Natur der Längs- 
streifung eine Umänderung erfuhr. 

Es befindet sieh nun im Magen ein ähnliches Flim- 
merepithelium. 

Ich fand einzelne flimmernde Zellen zuerst in dem Magen- 
schleim hungernder Frösche; der Zellenkörper war auffallend lang, 
seinem inneren Ende zu verdünnt, mit grossem länglichen Kern 
und Nucleolus und körnigem Zelleninhalt. Ueber ihren Ursprung 
im Unklaren machte ich weitere Untersuchungen, und es gelang 
mir oft an der ausgeschnittenen oder abgeschabten Magenschleim- 
haut mit Hilfe von Nadeln Flimmerzellen und Flimmerzellengruppen 
zu isoliren, und zwar an frisch getödteten Fröschen ohne jede 
vorhergehende Behandlung. 

Meine Untersuchungen setzte stud. med. J. Ballagi fort, und 
das Flimmerepithelium an der Magenschleimhaut wurde ausser 
allen Zweifel gestellt. 

Nicht immer gelang es jedoch die Flimmerhaare sichtbar zu 
machen; so wurden sie bei fettiger Entartung oder Infiltration der 
Zellen unsichtbar; ein anderesmal war anstatt freistehender Flimmer- 
haare am äusseren Ende der Zelle bloss eine dunkle entsprechend 
breite Linie sichtbar, als wenn die Flimmerhaare aneinander gekittet 
gewesen wären; ein anderesmal wiederum bedeckten die Flimmer- 
haare nicht die ganze äussere Oberfläche der Zelle, sondern nur 
einen kleineren Theil derselben, als wenn sie sich theilweise ab- 
gelöst hätten. Ebenso sahen wir Flimmerzellen, deren Haare sich 
vor unseren Augen verloren, wahrscheinlich durch Zurückziehen 
in den Zelleninhalt. 

Wir erhielten diese Zellen aus verschiedenen Theilen der 
Magenschleimhaut, so dass es wahrscheinlich ist, dass dieselben 
die ganze Schleimhautoberfläche bekleiden. 

Die Flimmerhaare werden durch die verschiedensten che- 
mischen Reagentien sehr leicht zerstört, und unsichtbar gemacht, 
so auch sehon durch destillirtes Wasser, welches den äusseren 
Theil der Zelle bis zum Kern aufquellen, und dieselben den sog. 
Becherzellen ganz ähnlich macht. Nach Behandlung mit wasser- 
entziehenden Lösungen (Salzwasser) gewinnen die Zellen ihre 
ursprüngliche Form wieder. Ein Austreten des Zelleninhaltes habe 
ich nie beobachten können, nur wird der äussere Theil der Zelle 
durch die hochgradige Quellung so durchsichtig gemacht, dass es 


Ueber die Epithelzellen des Magens. 411 


nur mit grösster Aufmerksamkeit möglich ist die Gegenwart des 
Zelleninhaltes zu erkennen. 

Zu den Untersuchungen scheint eine dünne Salzlösung, Jod- 
serum, chromsaure Kalisolution, Hyperosmiumsäure am zweck- 
dienlichsten zu sein. 

Ausser bei dem Frosche haben wir bis jetzt bei einigen 
Fischen und bei der Katze Flimmerzellen gesehen, weitere Unter- 
suchungen sind im Gange. 

Die verschiedenen Zellenformen sind auf dem beigefügten 
Holzschnitte zu sehen. (Froschmagen.) An einigen scheint es, 


als wenn auf der äusseren’ Seite der Zelle in Form einer lichten 
Linie wirklich eine Membran vorhanden wäre; auf anderen wieder 
scheint diese lichte Linie unter den Flimmerhaaren zu sein. Ich 
halte es trotzdem nicht für wahrscheinlich, dass dieser lichte Strei- 
fen eine Zellenmembran sei, nachdem ich an einigen Zellen amö- 
boide Bewegungen bemerkte, welche Bewegungen bei Gegenwart 
einer Membran schwerlich vorkommen könnten. Als Folge dieser 
Bewegungen zeigt sich hie und da eine Verdünnung an dem mitt- 
leren Theil der Zelle, und ein Ablösen des äusseren Theiles. Die 
Zelle a zeigt die Veränderung nach Wasserzusatz. 


Zusatz: Herr Dr. Regeczy theilte mir auf eine diesbezüg- 
liche Anfrage noch mit, dass eine Verwechslung mit Oesophagus- 
epithelien ausgeschlossen sei und dass Herr J. Ballagi das Flim- 
merepithel auch in situ an Schnittpräparaten der Magenwand 
nachgewiesen habe. 

Waldeyer. 


412 Johann Czokor: 


Die Cochenille-Carminlösung. 


Von 


Dr. Johann Czokor, 
Adjunkt und Docent im k. k. Thierarznei-Institute zu Wien. 


Jedem Histologen dürfte es bekannt sein, dass die zur Tin- 
ction mikroskopischer Präparate in Verwendung stehende, aus dem 
käuflichen Carmin bereitete ammoniakalische Lösung keineswegs 
allen Anforderungen entspricht. In früherer Zeit vor etwa 6—7 
Jahren konnte man in der That aus dem käuflichen Carmin-Präpa- 
rate eine gut tingirende Flüssigkeit darstellen, heutzutage ist dies 
nicht mehr der Fall. Die Ursache dürfte in einer anderen, wahr- 
scheinlich billigeren Darstellungsweise des Farbstoffes liegen. Da 
in der neueren Zeit Härtungsmittel verwendet werden, welche jede 
Carmintinetion erschweren, so das chromsaure Kali und die Chrom- 
säure und da man in Folge dessen oft nicht weiss, ob der schön 
und exaet ausgeführte Schnitt auch gut tingirt wird, so war das 
Bestreben und die Aufmerksamkeit der Histologen schon lange . 
dahin gerichtet, eine Farbelösung zu erzeugen, welche unter allen 
Verhältnissen und unter den verschiedenen Bedingungen die an- 
gefertigten Präparate in einer bestimmten Weise tingirt und zwar 
in der Art, dass der Histologe schon von vornherein weiss, wel- 
chen Ton ein Präparat aus Alkohol und welchen ein solches aus 
Chromsäure annehmen wird; dabei wurde auf das Differenzirungs- 
Vermögen ein grosser Werth gelegt. Die Folge davon war eine 
Reihe von Recepten für gut tingirende Lösungen, welche den 
Anforderungen entsprechen sollen; alle sind mit Nachtheilen ver- 
bunden und gewöhnlich findet man, dass die gut tingirenden 
Lösungen unbeständig sind (Hämatoxylin und Anilinfarben), dass 
dagegen die haltbaren Farbstoffe (Carmin) das Gewebe zu diffus 
imprägniren. 

Schon durch längere Zeit mit diesem Gegenstande beschäf- 
tigt, ist es mir endlich gelungen eine Carminlösung darzustellen, 
welche den Anforderungen vollkommen entspricht und, nebst einem 


Die Cochenille-Carminlösung. 413 


ausgezeichneten Differenzirungs-Vermögen, alle Gewebe und Or- 
gane in derselben Art färbt, ohne Rücksicht ob sie in Chromsäure 
oder in Alcohol gehärtet wurden. Da in einem neueren Werke 
über mikroskopische Technik (von Prof. Dr. v. Thanhoffer) zwar 
die Vorzüglichkeit des Farbstoffes anerkannt, jedoch die Haltbar- 
keit der Lösung als eine kurz dauernde beschrieben wird, so muss 
ich meinen damals begangenen Fehler, als ich die Bereitungsweise 
der Lösung beschrieben hatte (Wiener Medizinische Wochenschrift 
1880) wieder gut machen. Es wurde nämlich vergessen anzugeben, 
dass in die Carminlösung eine Spur von Carbolsäure hineinzu- 
geben ist, wodurch die Haltbarkeit auf wenigstens ein halbes Jahr 
verlängert wird. 

Eine von Dr. Grenacher im Archiv für mikroskopische 
Anatomie, XVI. Bd., 3. Heft, Seite 463 beschriebene Darstellungs- 
weise einer gut tingirenden Carminlösung aus dem käuflichen 
Carmin, gab die Veranlassung zur Darstellung dieser Lösung, 
welche dem Grundprinzipe nach dasselbe ist, nur mit dem Unter- 
schiede, dass statt Carmin die Cochenille selbst verwendet wird. 

Im Handel finden sich gewöhnlich zwei Arten der Cochenille 
vor, die eine führt den Namen Bluteochenille und dient zur Dar- 
stellung jenes Farbstoffes, welcher zum Färben der türkischen 
Mützen (Fez) verwendet wird. Eine feinere Art besteht aus klei- 
neren Thieren von dunkelrother Farbe, welche an der Oberfläche 
wie mit Asche übersät erscheinen. Aus beiden Cochenill-Arten kön- 
nen Lösungen bereitet werden, welche die früheren Tinctionsflüs- 
sigkeiten bei weitem übertreffen. 

Die Darstellungsweise ist folgende: 7,0 gr Cochenille 
einer dieser Arten werden mit ebensoviel gebranntem Alaun 
in einer Reibschale zu einem feinen Pulver verrieben. Dazu kom- 
men 700,0 gr destillirtes Wasser, das Ganze zum sieden ge- 
bracht wird auf etwa 400,0 gr eingekocht. Nach dem Ab- 
kühlen ist eine Spur von Carbolsäure dieser Lösung hinzu zu 
fügen, so dass dieselbe den Geruch darnach hat und nun wird 
einigemale filtrirt. Am Filter bleibt eine schmutzig-rothe Masse, 
der Carminlack, zurück, während sich eine in dünnen Schichten, 
rothe, in dieken Schichten violette Lösung abfiltrirt, letztere ist 
die brauchbare Carminlösung, sie hält sich ganz gut ein halbes 
Jahr, muss nach dieser Zeit abermals filtrirt und mit einer Spur 
Carbolsäure versehen werden und ist dann wieder zu gebrauchen. 


414 Johann Czokor: Die Cochenille-Carminlösung. 


Die aus der feineren Cochenille bereitete Carminlösung tin- 
girt alle Gewebe ohne Rücksicht auf die angewandten Härtungs- 
mittel in kürzerer oder längerer Zeit prachtvoll, mit einem aus- 
gezeichneten Differenzirungs-Vermögen. Alle Kerne nehmen einen 
dem Hämatoxylin ähnlichen Ton an, während die übrigen Bestand- 
theile in den verschiedenen Nüancen von Kirschroth bis Dunkel- 
roth gefärbt werden. Solehe Präparate haben das Ansehen als ob 
eine Doppeltinetion mit Hämatoxylin und Carmin vorgenommen 
wäre. Gehirn und Rückenmark aus Chromsäure tingiren sich 
ebenso intensiv wie andere Gewebe. Theile, welche in Alcohol 
gehärtet wurden, brauchen etwa 3—5 Minuten in der Lösung zu 
verweilen, Objeete aus Chromsäure oder chromsaurem Kali da- 
gegen tingiren sich in ebensovielen Stunden. 

Auch die Blut-Cochenille ist gut verwendbar und unterschei- 
det sich in ihrer Leistung von der vorhergehenden nur dadurch, 
dass das Zwischengewebe weniger intensiv gefärbt wird, demnach 
sich dieser Farbstoff der Grenacher’schen Carmin-Lösung nähert. 
Als Conservirungsmittel für die mit der Cochenille-Carminlösung 
tingirten Präparate möchte ich den Damarlack oder Canadabalsanı 
anempfehlen, obwohl sich auch Glycerin dazu eignet. 

Schon vor 2 Jahren hat P. Mayer (Zool. Station, Neapel) 
s. zool. Anzeiger 1878, p. 345, die Cochenille zur Herstellung einer 
guten Tinctionsflüssigkeit empfohlen !); er bedient sich indessen 
einer alkoholischen Lösung, hebt aber ebenfalls die Aehnlich- 
keit der Färbung mit der Hämatoxylintinetion hervor. Da es wün- 
schenswerth sein kann, auch über eine wässrige Cochenillesolution 
zu verfügen, so habe ich auch die von mir hergestellte Flüssigkeit 
zur Kenntniss der Fachgenossen bringen wollen. Uebrigens ist 
mir die Mittheilung P. Mayer’s erst bekannt geworden, nachdem 
ich die wässrige Cochenillelösung schon längere Zeit verwendet 
hatte. 


1) Vgl. auch: Mittheilungen aus der zool. Station zu Neapel. Bd. I, 
Heft 1, pag. 14. 


H. Grenacher: Tleber die Augen einiger Myriapoden. 415 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 


Zugleich eine Entgegnung an Herrn Prof. Dr. V. Graber 
in Czernowitz. 


Von 


Dr. H. Grenacher, 
‚Professor der Zool. u. vergl. Anat. 
in Rostock. 


Hierzu Tafel XX u. XXI. 


Im verflossenen Jahre habe ich die Resultate ausgedehnterer 
Studien über das Arthropodenauge veröffentlicht!), die, obschon 
leider noch recht lückenhaft gegenüber der unübersehbaren Fülle 
der in Betracht kommenden Formen und Entwiekelungszustände, 
doch über einfache und zusammengesetzte Augen bei Insecten, 
Spinnen und Krebsen mancherlei neue Aufschlüsse und Gesichts- 
punkte ergeben haben dürften. Die Gründe, die mich veranlasst 
haben, von einer analogen Behandlung der Augen der vierten hier 
in Frage kommenden Classe der Myriapoden damals noch 
abzusehen, habe ich im Vorworte meines Buches flüchtig ange- 
deutet. Ich habe mich unterdessen vielfach bemüht, zur Unter- 
suchung brauchbares Material zu erhalten, und bin darin in dan- 
kenswerther Weise von einer Reihe von Forschern unterstützt worden, 
so dass ich es jetzt vielleicht wagen darf, einen Nachtrag zu 
meiner früheren Arbeit zu liefern. Leider bleiben auch hier einige 
und zwar recht wesentliche Fragen einstweilen noch ungelöst ; ich 
habe aber keine Hoffnung, sie mit dem mir zu Gebote stehenden 
Materiale noch lösen zu können, und trete wenigstens mit den 
Resultaten, von denen ich wünsche, dass sie als gesicherte werden 
gelten können, vor die Fachgenossen. 


1) H. Grenacher, Untersuchungen über das Sehorgan der Arthro- 
poden, insbesondere der Spinnen, Inseeten und Crustaceen. Göttingen 1879, 
mit 11 Taf. 4°. 


416 H. Grenacher: 


Unterdessen hat das Myriapodenauge in der neueren Zeit 
doch mehr die Aufmerksamkeit auf sich gezogen als früher. So 
ist namentlich ebenfalls im verflossenen Jahre in diesem Archive 
ein Aufsatz von Graber !) erschienen, der sich, ausser mit den 
einfachen Augen der Arachniden, auch specieller mit jenen befasst. 
Darin finden auch meine früheren Untersuchungen Berücksichtigung, 
und erfahren, wie der Verfasser wenigstens meint, in mehreren 
fundamentalen Punkten recht wesentliche Correcturen. 

Nun weiss ich sehr wohl, wie viel noch an meiner Arbeit 
zu ergänzen und zu berichtigen ist, besser vielleicht als irgend ein 
Anderer, und ich werde demgemäss einem Jeden, der gelegentliche 
Versehen corrigirt und Irrthümer ausmerzt, nur dankbar sein. Dazu 
wird es freilich, wie ich glaube, ziemlich eingehender und genauer 
Studien bedürfen, und blos gelegentlich angestellte flüchtige Streif- 
züge in das notorisch schwierige Gebiet dürften wohl kaum zu 
solchen Resultaten führen. Einem solchen flüchtigen Streifzug 
scheint aber der Aufsatz Graber’s seine Entstehung zu verdanken 
und ich bedaure, durch das Interesse der eigenen Vertheidigung, 
wie durch den Wunsch, Irrthümern den Weg zu verlegen, damit 
sie nicht als wissenschaftlich constatirte Thatsachen figuriren, ge- 
nöthigt zu sein, eine Anzahl darin enthaltener ernster Beobachtungs- 
fehler blosslegen zu müssen. 

Bevor ich deshalb zu meiner im Titel genannten Aufgabe 
übergehe, möge man mir gestatten, meine Vertheidigung zu führen, 
resp. einige der Irrthümer Graber's so gut es angeht wieder 
zu beseitigen. Auch die Besprechung des Myriapodenauges wird 
noch Veranlassung zu zahlreichen Correeturen geben, die das oben 
ausgesprochene Urtheil als ein berechtigtes erscheinen lassen. 


1. 


Ich glaube das Verdienst in Anspruch nehmen zu dürfen, in 
der Frage nach der morphologischen Zusammensetzung des ein- 
ftchen wie des facettirten Arthropodenauges unter Anderm durch 
den Nachweis eines beiden Augenformen angehörigen constanten 


1) V. Graber, Ueber das unicorneale Tracheaten- und speciell das 
Arachnoideen- und Myriapoden-Auge. Dies. Arch. Vol. XVII. 1879. pag. 58 
—94. Mit Taf. V—-VI. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 417 


Elementes, der Retinazelle mit ihrem Stäbehen, einen nicht un- 
wesentlichen Fortschritt angebahnt zu haben. Im gewöhnlichen 
Stemma — einer Spinne etwa — lagern sich diese Retinazellen als 
diserete Gebilde palissadenartig neben einander; vorn trägt jede 
ihr bald so, bald anders beschaffenes Stäbehen, dessen Entstehung 
von der Zelle abhängig ist, und nach hinten geht jede in eine 
Faser des Optieus über. Während im Stemma die Zahl dieser 
Elemente eine wandelbare, nicht limitirte, meist aber sehr ansehn- 
liche ist, verhält sich dies im Facettenauge, wo sie sich wieder 
finden, in sofern anders, als hier jeder Facette nur eine bestimmte 
kleine Anzahl — meist sieben — solcher Zellen zukommen, deren 
Stäbehen wohl auch selbständig bleiben, in sehr vielen Fällen aber 
zu einem in der Axe des ganzen Complexes gelegenen stabartigen 
Gebilde (Rhabdom, wie ich, Sehstab, wie frühere Autoren es 
genannt haben) verschmelzen können. 

Dies, sowie das hier nicht zu erörternde Verhalten der vor 
den percipirenden Organen gelegenen lichtbreechenden Partien des 
Auges hat mir die Möglichkeit gegeben, auf eine wie ich glaube 
einfache und ungezwungene, weil in sich widerspruchslose Weise 
das Verhältniss des Stemma zum Facettenauge morphologisch zu 
bestimmen, und auch die funetionelle Seite des letzteren einer 
Revision zu unterziehen; und ich darf wohl annehmen, dass, ganz 
abgesehen von dem persönlichen Vertrauen, das man mir allenfalls 
als Beobachter entgegenbringen mag, auch hier das alte Wort: 
„Simplex sigillum veri“ gewichtig zu Gunsten der neuen Darstel- 
lung in die Wagschale fallen dürfte. 

Auch nach einer andern Seite hin glaubte ich hoffen zu 
dürfen, einen Anstoss gegeben zu haben, dessen Wirkungen freilich 
der Natur der Dinge nach sich nicht so unmittelbar äussern können. 
Im letzten Abschnitte meiner Arbeit habe ich nämlich das Retina- 
element der Arthropoden mit dem der übrigen Thiere in Vergleichung 
gebracht, und, soweit die fremden und eine Anzahl eigener Beob- 
achtungen ein Urtheil gestatteten, überall eine im Principe gleiche 
Zusammensetzung nachweisen können. Wie wichtig dies für eine 
künftige generelle Definition dessen, was man jetzt noch oft ganz 
willkürlich und nach subjeetivem Gutdünken als Retina bezeichnet, 
werden dürfte, leuchtet wohl von selber ein. 

Meine Untersuchungen haben also vor Allem die Einzelligkeit 
der constituirenden Elemente der Retina ergeben, - und sie ist die 


418 H. Grenacher: 


Voraussetzung für die Vergleichbarkeit desselben im einfachen mit 
dem des zusammengesetzten Auges, wie nicht minder der Retina- 
elemente der verschiedenen übrigen Thierkreise und -Klassen. 
Der Formwerth des Retinaelementes als einer einfachen Sinneszelle 
manifestirt sich aber durch den Besitz eines nur in einfacher 
Anzahl vorhandenen Zellkernes. 

Hierin liegt nun die prineipielle Differenz zwischen meinen 
Untersuchungsresultaten und denen Graber’s. Ist seine Darstellung 
richtig, so habe ich bei meinen Beobachtungen sehr ernste Fehler 
begangen, die mich zu folgenschweren Trugschlüssen verleitet 
haben. In seiner vorhin eitirten Arbeit sucht er den Nachweis zu 
führen, dass das Retinaelement des Stemma dem ihm von mir vin- 
dieirten Character einer einfachen Sinneszelle nicht entspreche; es 
bestehe aus mehreren, zwei oder gar drei Zellen, wie das Vor- 
handensein ebensovieler Kerne beweise. Damit wäre denn freilich 
das Schicksal eines der wesentlichsten Theile meiner Arbeit — die 
morphologische Zurückführung des Facettenauges auf das Stemma 
— gründlich besiegelt, und die Untersuchung kann wieder von 
vorn beginnen. 

Aber damit nicht genug. Seither hat derselbe so productive 
Verfasser eine neue Arbeit über das Auge der Anneliden!) ver- 
öffentlicht, die den gleichen Tenor für diese Thierklasse einhält, 
und eine nicht zu unterschätzende Stütze zu Gunsten seiner allge- 
meinen Auffassung des Retinaelementes zu bieten scheint. Trotz 
zahlreicher, aus eigenen früheren und neuerdings wiederholten 
Beobachtungen hervorgegangener Bedenken liegt mir der letztere 
Aufsatz vorläufig ferner; ich muss es einstweilen Andern anheim- 
stellen, die, wie ich zu zeigen haben werde, ganz unerlässliche 
genauere Controle der Graber’schen Ansichten vorzunehmen, und 
habe mich hier nur an seine erste Arbeit zu halten. 

Wird nun so nach Graber eine Vergleichung des Retina- 
elementes des Stemma mit dem des Facettenauges vor der Hand 
unmöglich, so bietet er doch nach einer andern Richtung hin eine 
Art von Schadloshaltung, und zwar da, wo man es a priori kaum 
für wahrscheinlich hätte halten sollen. Er verweist uns nämlich 


1) V. Graber, Morphologische Untersuchungen über die Augen der 
freilebenden marinen Borstenwürmer. Dies. Arch. Vol. XVII, pag. 243—323, 
Taf. XXVII—XXX. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 419 


auf die von ihm früher eingehender studirten Endorgane der tym- 
panalen Sinnesorgane der Orthopteren als auf die wahren Ho- 
mologa der Retinaelemente des Stemma. Ohne die Möglichkeit 
einer derartigen Uebereinstimmung auch nur entfernt bestreiten 
zu wollen, liegt es aber vor allem weit näher, an die thatsächliche 
Prüfung seiner Gründe heranzutreten, um zu sehen, ob diese Tren- 
nung zwischen den Retinaelementen des einfachen und des zu- 
sammengesetzten Auges irgendwie berechtigt ist. 

Zunächst mögen einige Worte über das Material gestattet sein, 
das Graber seinen Untersuchungen zu Grunde legte. Ausser 
einigen Myriapoden (Scolopendra, Iulus, Lithobius) hat er noch 
Seorpione untersucht, die ich in meiner oben genannten Arbeit 
ebensowenig wie die Myriapoden berücksichtigen konnte. Von 
Spinnen wird Zpeira eingehender behandelt, ausserdem finden 
sich noch ein paar Notizen über Thomisus und Tegenaria. Meine 
eigenen Untersuchungen über Arachniden erstreckten sich über 
die Gattungen Phalangium, Epeira, Lycosa, Saltieus, die ein- 
gehend untersucht wurden; dazu kommen noch die Stemmata 
einiger Inseeten und Insectenlarven, die Graber ziemlich fremd 
geblieben zu sein scheinen. Unsern beiderseitigen Untersuchungen 
ist demnach blos die Gattung Zpeira gemeinsam. Um nun über 
die beanstandeten Punkte ein competentes Urtheil gewinnen zu 
können, habe ich ausser den Myriapoden, die weiter unten geson- 
dert zur Sprache kommen werden, auch die Augen der Scorpione 
einer Revision unterzogen, ebenso aber auch neue Untersuchungen 
an frischgesammeltem Materiale von Epeira und Lycosa — und, 
wie ich wohl versichern darf, frei von Vorurtheil und Voreinge- 
nommenheit — angestellt. Auf die Gattung Tegenaria mich 
einzulassen, dazu fühlte ich mich allerdings nicht veranlasst, da 
ich von frühern Versuchen her nur zu gut weiss, welche Schwie- 
rigkeiten sich gerade dem Studium dieser Augen entgegenstellen, 
und wie vorsichtig man gerade hier mit der Deutung seiner Be- 
funde sein muss. Trotz meines Wunsches, Graber hätte sich, 
bevor er über meine Resultate so bestimmt und allgemeingültig ab- 
urtheilte, veranlasst fühlen mögen, mir hinsichtlich des Materiales 
etwas auf meinen eigenen Boden zu folgen, und namentlich eine 
oder die andere der oben neben Epeira genannten Spinnengat- 
tungen, sowie die Inseetenstemmata zu berücksichtigen, so bin ich 


doch weit entfernt, aus dem Unterlassen soleher Nachprüfung einen 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 29 


430 H. Grenacher: 


Vorwurf ableiten zu wollen. Sind seine Resultate, als. was er sie 
ausgeben möchte, Thatsachen, so ist damit die von mir postu- 
lirte Gesetzmässigkeit im morphologischen Aufbau der beiden 
Augenformen der Arthropoden nebst allen weiteren Consequenzen 
daraus gesprengt, gleichviel, woher sonst die Faeta überhaupt 
stammen mögen. 

Der hervorgehobene Differenzpunkt unserer beiderseitigen 
Auffassungen des Retinaelementes ist wohl der wichtigste, aber 
nicht der einzige. Ich gedenke indessen keineswegs, mich auf 
alle derselben einzulassen; eine Anzahl derselben ist zu gering- 
fügig an sich, um dabei zu verweilen. Die Graber’sche Auffassung 
des ersteren findet sich hauptsächlich in dem „Retina“ überschrie- 
benen Abschnitte seiner Arbeit (besond. pag. 67—80); mit ihm 
werde ich beginnen, und den Rest, soweit es mir die Mühe der 
Discussion zu lohnen scheint, daran anknüpfen. 

Nach Graber besteht der „Retina-Strahl“, mein Retina- 
element, in den meisten der von ihm untersuchten Fälle aus einer 
basalen Ganglienzelle, der sich nach aussen (vorn) noch der min- 
destens aus einer, zuweilen aber aus zwei Zellen („Stäbehenzellen“) 
bestehende stäbchentragende „Endschlauch“ anschliesst. In den 
dieses Resultat nicht ergebenden Fällen (einige Myriapoden) führt 
er die durch die Kleinheit des Objeetes bedingte Erschwerung der 
Beobachtung als Erklärungsgrund an. Mit Hinweglassung alles 
des auf die Myriapoden Bezüglichen will ich hier die Resultate 
meiner Nachprüfung vorlegen. 

Graber spricht, wie bemerkt, von G@anglienzellen im 
Grunde des Auges, und nähert sich also sehr einer früher viel 
verbreiteten Auffassung. Dass meine Deutung der Retinaelemente 
als epitheliale, sehr wahrscheinlich in allen Fällen der Hypodermis 
entstammende Gebilde angefochten, und jene Bezeichnung für sie 
zu substituiren versucht werden könnte, darauf musste ich wohl 
gefasst sein, so lange nicht durch gerade in den Sinnesorganen 
schwierige Definitionen sichere Grenzpfähle, innerhalb deren die 
Anwendung solcher Termini gestattet ist, errichtet sind. Würde 
Graber in diesem Sinne das Wort gebrauchen, so würde es mir 
nicht einfallen, dagegen Widerspruch erheben zu wollen. Aber 
abgesehen von der durch seine Auffassung ganz veränderten Be- 
deutung für den Aufbau des Retinaelementes zieht er sich hinter 
die Autorität von Leydig zurück, dessen früheren analogen An- 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 421 


gaben ich nach seiner Ansieht nicht genügende Beachtung ge- 
schenkt habe (l. e. pag. 68). 

Meine Auseinandersetzung mit Leydig über diesen Gegen- 
stand findet sich pag. 56 meines Buches und wenn Graber sich 
nur die Mühe genommen hätte, die betr. Stellen in den Leydig’- 
schen Schriften aufmerksam zu lesen, so würde er wohl mit seinem 
Vorwurfe nicht hervorgetreten sein. Leydig spricht in seiner 
hier hauptsächlich zu Rathe zu ziehenden Hauptarbeit !) von zweier- 
lei Formen von Ganglienzellen im Spinnenauge: die ersten sind 
jene bipolaren, die zwischen Stäbchen und Linse liegen sollen, 
hier also doch sicher nicht in Frage kommen können. Dass er 
aber in der von Graber (l. e. pag. 68) mir entgegengehaltenen 
Stelle seiner „Histologie“ pag. 253 dieselben Elemente gemeint 
hat, geht doch aus dem Satze: „bipolare Ganglienkugeln, deren 
unteres rohrartig ausgezogenes Ende die Stäbchen ein- 
zuschliessen schien“ so evident hervor, dass es doch wohl 
auf eine gewisse Flüchtigkeit der Leetüre hinweist, wenn er 


damit gegen mich argumentiren will. — Die andere Form erwähnt 
Leydig pag. 442 der unten eitirten Abhandlung (‚am hintern 
Augensegment entwickeln die Nervi optiei — durch Aufnahme 


körniger und zelliger Elemente ein Analogon des Sehganglion im 
facettirten Auge“); da diese aber ausserhalb des Pigmentes (vgl. 
Fig. 24 Taf. XVII l. e.; ferner Fig. 135 pag. 256 der „Histo- 
logie“), damit aber auch, da das Auge bis zur Grenzeuticula hin 
pigmentirt ist, ausserhalb des Auges liegen, so wird doch 
Graber mit diesen kaum noch gegen mich operiren wollen. — 
Genau so dem Sinne nach habe ich mich schon früher über diesen 
Punkt ausgesprochen. 

Meine Untersuchungen über das Verhalten der Retinaelemente 
bei Scorpionen hinsichtlich der uns hier beschäftigenden Fragen 
habe ich an drei Formen angestellt: Duthus afer, Ischnurus cau- 
dieula und Lychas americanus (die beiden letzteren aus dem 
Mus. Godeffroy). Ich habe mich auf die Mittelaugen be- 
schränkt, und meistens Längsschnitte der Prüfung unterworfen, 
sie auf verschiedene Weise entfärbt und theilweise auch künstlich 
tingirt. (Nur von Buthus habe ich auch Querschnitte untersucht, 


1) Fr. Leydig, Zum feineren Bau der Arthropoden. Müller’s Arch. f. 
Anat. u. Physiol. 1855. 


492 H. Grenacher: 


und an diesen, wie ich nur beiläufig bemerken will, die von 
Graber beschriebene Gruppirung der Stäbchen zu je fünf bestä- 
tigen können.) Es dürfte die Bemerkung nicht überflüssig sein, 
dass der Erhaltungszustand des von mir benutzten Materiales in 
jeder Hinsicht ein zufriedenstellender war. 

Graber hat nun in den Augen der Scorpione drei dem Re- 
tinaelemente angehörende Kerne aufgefunden: „Vorder“- und „Hin- 
ter“-(Ganglienzellen-)Kerne sowohl in den Mittel- als den Seiten- 
augen; „Mittelkerne‘“ nur einmal angedeutet in einem Zupfpräparate 
des Seitenauges (l. ec. pag. 75). Diese Kernformen sind geradezu 
überraschend ungleich entwickelt: während die „Hinterkerne“ gar 
nicht übersehen werden können, sind die „Vorder“- und „Mittelkerne“ 
nur mit grosser Mühe nachweisbar; immerhin hat Graber wenig- 
stens die ersteren bei Duthus „wiederholt eonstatirt“ und „glaubt 
sich von ihrer Existenz hinlänglich überzeugt zu haben“ (l. e. 
p. 72), wie er sie in der That dann auch zeichnet und sogar misst. 

Leider bin ich selbst nicht entfernt so glücklich gewesen, 
mich von der Existenz dieser Kerne überzeugen zu können; ich 
möchte im Gegentheil behaupten, dass eine mit allen mir zu Ge- 
bote stehenden Hülfsmitteln vorgenommene Prüfung mir die feste 
Ueberzeugung von ihrer Nichtexistenz beigebracht hat. Graber 
hat in Wort und Bild ganz unzweideutig angegeben, wo diese 
Vorderkerne liegen und zu suchen sein sollen; ihre von ihm auf 
ca. 0,005 mm bestimmten Dimensionen liegen noch keineswegs jen- 
seits der Grenze, an der die Wahrnehmbarkeit durch die besseren 
starken Systeme der Gegenwart Schwierigkeiten bietet, falls nicht 
andere Umstände, wie versteckte Lage, ungewöhnliche Transparenz 
od. dgl. hinzukommen. Und doch habe ich an meinen zahlreichen 
Präparaten auch nicht ein einzigesmal etwas wahrnehmen können, 
was auch nur entfernt einem Zellenkerne ähnlich gewesen wäre; 
Wasser- und Oellinsen (Zeiss) schienen hier in gleicher Weite 
ihren Dienst zu versagen. An Tinctionspräparaten hätte ich inner- 
halb wie ausserhalb des Auges die Kerne zählen können, aber in 
der von Graber angegebenen Region war auch hierbei absolut 
Niehts zu erkennen, trotzdem diese Schnitte mir Hunderte und 
Tausende von Enden, welche diese Kerne beherbergen sollten, in 
untadeliger Schärfe und Deutlichkeit zeigten. Fussend auf dem 
unbestreitbaren Rechte, meinen eigenen Sinneswahrnehmungen in 
solchen Fragen in erster Linie Vertrauen zu schenken, muss ich 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 423 


demnach einen positiven Irrthum Graber’s hier annehmen, und 
bin ausser Stande, dessen Entstehung in irgend einer plausibeln 
Weise zu erklären. 

Ganz anders steht es freilich mit den Hinter-, Basal- oder 
Ganglienzellkernen. Diese Dinge existiren wirklich und un- 
zweifelhaft, wie man schon bei Anwendung relativ schwacher Ver- 
grösserung mit Leichtigkeit sieht. Graber beschreibt sie völlig 
correet nach Form und Färbung, nach Grösse und Lichtbrechungs- 
vermögen, kurz, meine eigenen Beobachtungen stimmen nach 
diesen Seiten hin bis auf’s Einzelne mit den seinigen überein. 
Freilich nur bis auf einen kleinen, doch nicht ganz nebensächlichen 
Umstand. Wie in aller Welt konnte Graber auch nur für einen 
Moment auf den Gedanken kommen, diese Gebilde für Zellkerne 
zu erklären? Das ist mir heute noch ein ungelöstes Räthsel. Schon 
beim ersten Durchlesen seines Aufsatzes waren mir diese Dinge 
stark verdächtig, da ich doch auch schon einige Formen von Zell- 
kernen im Arthropodenauge zu Gesichte bekommen habe, so euriose 
aber noch nie. Die spätere Untersuchung ergab denn auch auf 
den ersten Blick, wie berechtigt mein Misstrauen war: sie haben 
mit Zellkernen weiter nichts gemein, als den gewiss nicht sehr 
wesentlichen Umstand, dass sie, wie jene meistens auch, mikro- 
skopische Körper von rundlicher Form sind. Damit sind aber die 
Aehnlichkeiten vollkommen erschöpft, denn sonst sind es solide, 
harte Körper, mit einer schwankenden Anzahl von Vacuolen ver- 
sehen, die Graber natürlich als Nucleoli ansieht und beschreibt, 
und vor allem mit einem sehr hohen Brechungsindex, den Graber 
ganz treffend (und ohne dadurch stutzig zu werden!) als „fast 
öltropfenartig“ bezeichnet. (Mir scheint übrigens, beiläufig be- 
merkt, der Brechungsindex, nach dem Aussehen der in Glycerin 
liegenden Präparate zu schliessen, noch über den der Fette hin- 
auszugehen.) Aus dem Umstande, dass sie sich in den zur Ent- 
färbung verwandten verdünnten Mineralsäuren und Alkalien, sowie 
in Terpentinöl nieht verändern, kann ich über ihre Natur blos 
den Schluss ziehen, dass sie weder aus kohlensaurem Kalk noch 
aus Fett bestehen; eine eingehendere Prüfung ihrer chemischen 
Beschaffenheit muss ich Denen überlassen, die besser damit Be- 
scheid wissen als ich. — Uebrigens nehmen sie künstliche Farb- 
stoffe mit Leichtigkeit auf, noch weit leichter und reicher, als 
wirkliche Kerne, und halten sie auch mit grösster Zähigkeit fest. 


424 H. Grenacher: 


Bei Duthus liegen sie in jedem Längsschnitte durch das 
Auge zu Hunderten in einer bestimmten Region dicht vor der Ver- 
einigung der Opticusfasern mit den Retinazellen, und bilden also 
eine der Retinabegrenzung entsprechende Kugelschale; wie Graber 
(l. e. Taf. V, Fig. 14) sehr hübsch zeichnet, sind sie hier kugelig 
und von ziemlich gleicher Grösse. Bei Ischnurus sind sie mehr 
oval und sowohl absolut als auch relativ kleiner, auch variabler 
in der Grösse. Bei dem einen von mir untersuchten Exemplare 
von Zychas waren sie nur durch spärliche und ziemlich kleine 
Körnchen angedeutet, die hauptsächlich durch ihre Lichtbreehung 
sich als analoge Bildungen zu erkennen gaben. — Im Uebrigen 
bin ich nicht sicher, ob diese Körper überhaupt im Innern der 
Retinazellen liegen, oder vielleicht nur zwischen sie eingelagert 
sind, ihre relativ leichte Isolirbarkeit (sie schwimmen in mit Na- 
deln zerzupften Schnitten immer in ziemlicher Anzahl frei herum) 
lässt mich daran denken, obschon ich es leider bei meinem spär- 
lichen Materiale versäumte, auf diesen Punkt, der für mich freilich 
nur ein nebensächlicher ist, specieller zu achten. Ob sie mit den 
von mir früher beschriebenen Körpern im Innern der Retinulazellen 
von Notonecta (1. s. e. pag. 83, Taf. VII, Figg. 49, 51, 52), sowie 
mit andern, in den Augen von Zpeira vorkommenden unregel- 
mässigen Körpern (die ich früher nicht erwähnte, weil ich noch 
Zweifel hegte, ob sie überhaupt dem Auge von Hause aus zu- 
kämen, oder etwa Kunstprodukte wären, was ich jetzt nach er- 
neuter Prüfung für ausgeschlossen halte) in Parallele zu stellen 
sind, muss ich vorläufig auf sich selbst beruhen lassen. Mag es 
nun auch noch so schwierig sein, diese Körper nach morpholo- 
gischer und physiologischer Seite hin genau zu deuten — das Eine 
ist jedenfalls sicher und sehr leicht zu beweisen, dass sie mit 
Zellkernen nicht das Geringste zu thun haben; dass demnach 
der Hinweis Graber’s auf ihre Form ete. (l. e. pag. 72) als Ar- 
gument für die Existenz gesonderter Ganglienzellen wohl kaum 
verfangen dürfte. 

Nun hätte mir noch obgelegen, auf den von Graber nur 
einmal und andeutungsweise im Seitenauge gesehenen Mittelkern 
zu fahnden. Ich muss aber gestehen, dass ich mich dieser Arbeit 
um so eher überhoben glauben durfte, als die von mir darauf sorg- 
sam untersuchten Mittelaugen nichts davon erkennen liessen, und 
hier hätte man sie, wenn typisch, doch wohl auch erwarten müssen. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 425 


Wenn es nun mit den bisher besprochenen „Kernen“ so miss- 
lich aussieht, so darf man freilich darum doch noch nicht anneh- 
men, dass die Retinaelemente der Scorpione kernlos wären. Den 
einzig vorhandenen wirklichen Zellkern hat Graber freilich über- 
sehen, und derselbe ist doch weder klein, noch durch besonders 
versteckte Lage schwierig zu finden. Dass sie ihm bei Duthus, 
wo sie an Grösse hinter seinen vermeintlichen „Ganglienzellkernen“ 
nicht zurückbleiben (sie messen ca. 0,012—0,013 mm in der Länge, 
ca. 0,09 mm in der Breite; jene haben ca. 0,01 mm Durchmesser) 
entgangen sind, scheint mir ein ebenso charakteristisches Moment 
für die Genauigkeit seiner Untersuchung, wie dass er letztere für 
Zellkerne halten konnte; zudem liegen sie so dicht vor der Zone 
jener stark lichtbrechenden Körner, dass man beim Einstellen auf 
diese immer eine Menge jener Kerne zugleich im Gesichtsfelde 
hat. Ganz selbstverständlich sind sie von weit bescheidenerem 
Habitus als jene, und machen sich nicht so aufdringlich bemerkbar; 
sie wollen deshalb, wie die Kerne in andern Arthropodenaugen 
unter analogen Umständen auch, etwas gesucht sein. — Auch bei 
Ischnurus wie bei Lychas habe ich sie in der gleichen Region 
und mit derselben Leichtigkeit und Bestimmtheit aufgefunden; sie 
sind hier ebenfalls die allbekannten ovalen Bläschenformen, nur, 
entsprechend der geringen Grösse der Thiere und Augen, kleiner 
als bei Buthus. 

Von dem „embarras de richesse“ an Zellkernen bleibt dem- 
nach verzweifelt wenig übrig. Mein Correetor hat Kerne beschrie- 
ben, die nieht existiren, Dinge für Kerne gehalten, die keine sol- 
chen sind, und schliesslich die wirklichen Kerne völlig übersehen, 
also alle überhaupt möglichen Fehler in einem Athemzug began- 
gen — gewiss ein etwas tragikomisches Ergebniss einer gerade 
auf Zellkerne sich beziehenden Berichtigung! Jedenfalls habe ich 
vorläufig noch keine Veranlassung erhalten, meine morphologischen 
Anschauungen über das Retinaelement des Stemma nach den Scor- 
pionaugen zu modifieiren. Sehen wir nun zu, ob und wie sie vor 
dem Spinnenauge Stand halten. 

Aus meinen Untersuchungen über die Sehorgane der Spinnen 
glaube ich den Nachweis eines eigenthümlichen, bei den Augen 
ein und desselben Thieres vorkommenden Dimorphismus der 
Retinaelemente als eines der interessantesten Resultate betrach- 
ten zu dürfen. Dieser noch nirgends sonst beobachtete, zur Zeit 


426 H. Grenacher: 


morphologisch wie physiologisch noch unerklärliche, aber, wie ich 
glaube, durch die unter sich übereinstimmenden Untersuchungs- 
resultate von drei Gattungen als Familienrepräsentanten wenig- 
stens als Faetum feststehende Dimorphismus besteht darin, dass 
bei der einen Augenform der Kern die normale Lage zwischen 
dem Stäbchen und dem Eintritt der Opticusfaser hat, bei der an- 
dern aber vor dem Stäbchen sich findet. (Für diese relativen 
Lagenverhältnisse von Stäbehen und Kern wendet Graber die 
Bezeichnungen „präbacilläre“ und „postbaeilläre Kerne“ 
an, die ich hier im Interesse der Kürze des Ausdruckes adoptiren 
will.) Graber findet nun, dass die von mir betonten Kerne in 
den verschiedenen Thieren nicht minder wie in den Augen ein 
und desselben Thieres einen sehr ungleichen Werth besitzen sollen 
(l. e. pag. 69)'). Da er nun von der Mehrzelligkeit, resp. Mehr- 
kernigkeit der Retinaelemente überzeugt ist, so folgert er einfach, 
dass es viel wahrscheinlicher sei, ich hätte die kleinen Vorder- 
kerne in den Augen, in denen ich nur Hinterkerne beschrieben 
habe, übersehen, als dass die Retina des einen Auges nur Vorder-, 
die des andern nur Hinterkerne besitze. 

Hier wollen wir einen Moment Halt machen, um die hier zu 
Tage tretende Logik näher zu betrachten. Warum soll ich nun 
aber blos die kleinen Vorderkerne übersehen haben? Sind seine 
Prämissen von der Mehrzelligkeit des Retinaelementes richtig, so 
ergibt sich doch mit absoluter logischer Nothwendigkeit, dass ich 
in allen Spinnenaugen mit postbacillärem Kerne den präba- 
eillären, nieht minder aber auch in allen Augen mit präbaeil- 
lärem Kerne den postbaeillären, d. h. in diesem Falle den 
von ihm als „Ganglienzellenkern“ bezeichneten übersehen haben 
muss. Warum Graber aber die nothwendigen Folgerungen aus 
seinen Prämissen nur zur Hälfte, soweit sie die „Vorderkerne“ be- 
treffen, zieht, die andere Hälfte aber hinsichtlich der „Hinterkerne“ 
mit Stillsehweigen übergeht, würde schwer zu verstehen sein, wenn 
nicht im Späteren ein Schlüssel für diese einseitige Handhabung des 
Schlussverfahrens gegeben wäre. 


1) In der von ihm nach meinen Untersuchungen gegebenen Aufzählung 
der Augenformen mit präbacillärem Kern finde ich zu meinem Erstaunen 
auch die Phryganea genannt, deren Stemma mir durch das Fehlen der 
Stäbchen so merkwürdig scheint. Wie kann aber in einem stäbchen- 
losen Retinaelement von einem präbacillären Kerne die Rede sein ? 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 427 


Genug — auf jene halbe Folgerung hin macht sich Graber 
an die Untersuchung des Vorderauges von Epeira — und findet 
richtig „den von Grenacher hier gänzlich übersehenen Präbaeil- 
lärkern“ (l. e. pag. 74). Auch hier sind sie, wie bei den Scor- 
pionen, sehr klein und schwierig nachzuweisen, aber trotzdem 
glaubt Graber „sie doch wirklich gesehen zu haben“. 

Ich will nun nieht mit der Darstellung aller von mir zur 
Prüfung vorgenommener Manipulationen, die an reichlich gesam- 
meltem frischen Material (E. diadema) angestellt wurden, ermüden; 
ich glaube mich einfach auf die Versicherung beschränken zu dür- 
fen, dass die Resultate genau so ausfielen, wie die schon früher 
veröffentlichten, also genau so negativ, wie oben bei den Scor- 
pionen !). 

Im medialen Hinterauge von Zpeira habe ich blos Retina- 
elemente mit präbacillären Kernen gefunden und beschrieben, und 
Graber hat bei seiner Nachprüfung diese auch wiedergefunden. 
Wo bleiben aber die „Ganglienzellenkerne“, die doch, wenn er 
mit seiner Auffassung Recht hat, hinter dem Stäbchen als post- 
bacilläre sich finden müssten, und jedenfalls um so eher, als er 
den Ganglienzellen eine so integrirende Rolle zuschreibt? Da- 
mit siehts nach seinem eigenen Geständniss misslich aus, und 
selbst sein Finderglück scheint ihm hier untreu geworden zu sein. 
Er sagt nämlich selbst (l. e. p. 76): „an einem medianen, d. i. 
der Körperlängsachse parallelen Schnitte erscheint die Retina in 
der That in der von Grenacher angegebenen Art, wobei gegen- 
über dem Vorderauge besonders der Umstand bemerkenswerth ist, 
dass anscheinend sämmtliche Opticusfasern ohne die geringste ba- 
sale Anschwellung in die stäbchentragenden Endschläuche über- 
gehen und damit also gegenüber dem gewöhnlichen Verhalten eine 
nicht zu verkennende Abweichung begründen“. Also blos eine 
Ausnahme soll dies Verhalten sein; hätte Graber sich die Mühe 
gemacht, eine beliebige Zycosa- oder Saltieus-Art auf ihren Augen- 
bau zu prüfen, so würde er wohl gefunden haben, dass es sogar 
für eine bestimmte Augenform geradezu Regel ist, die die Rich- 
tigkeit seiner Prämissen einfach über den Haufen wirft. 


1) Nur eine kleine technische Notiz: will man durch Tinctionsmetho- 
den das in Frage stehende vordere Mittelauge von Epeira prüfen, so ist eine 
vorherige Pigmentzerstörung, welche häufig die Tinction erschwert, über- 
flüssig, da die Stäbchenregion hier pigmentfrei ist. 


428 H. Grenacher: 


Freilich geht es auch hier ohne „Ganglienzellen® nun einmal 
nicht ab, nur liegen sie leider in einem ganz anderen Theile des 
Auges, im äusseren Winkel desselben, wo sie „eine Anhäufung 
dieker Ganglienzellen mit sehr deutlichen Kernen, die jenen des 
Vorderauges sozusagen identisch sind“ bilden; dabei entgeht ihm 
aber ihre völlige Unabhängigkeit von den ersteren Elementen nicht, 
sie sind also für seine Auffassung unbrauchbar. 

Mir selbst ist das hier berührte Faetum nicht neu; ich kenne 
es schon seit der Zeit der Drucklegung meines Buches, als es für 
eine Erwähnung darin leider schon zu spät war. Ich kann hier 
noch ergänzend hinzufügen, dass in diesem äussern Retinawinkel 
nicht nur Zellen mit basalen Kernen sich finden, die ganz denen 
des Vorderauges gleichen, sondern auch Stäbchen, die ebenfalls 
mit jenen des Vorderauges übereinstimmen, namentlich auch 
darin, dass sieh vor ihnen keine Kerne mehr nachweisen 
lassen. Sie sind freilich auf Schnitten nicht leicht gleichzeitig 
mit jenen Zellen, die nicht gerade, sondern mehrfach gebogen 
verlaufen, zur Ansicht zu bringen, so dass zwar ihre Zugehörigkeit 
zu diesen Zellen sich mit allem Grund vermuthen lässt, aber nicht 
zur Evidenz zu demonstriren ist. Ueberdies findet sich in dieser 
Region auch ein störender Streif Tapetum. Ich meinerseits ziehe 
demnach aus diesen Beobachtungen einfach den Schluss, dass zwar 
wohl der weitaus überwiegende Theil der Retina (wie namentlich 
Flächenschnitte durch diese besonders deutlich zeigen) in einer 
von der des Vorderauges abweichenden Weise gebaut ist, dass 
aber doch ein kleiner Theil ihrer Elemente hinsichtlich ihres typi- 
schen Baues mit jenem des Vorderauges übereinstimmt. Eine Er- 
klärung dieses seltsamen Verhaltens, das sich, wie ich sicher weiss, 
auch im entsprechenden Auge von Argiope Brünnichü (Epeira fas- 
ciata), und, wie ich glaube, ausserdem noch in den Augen einer 
Reihe anderer Spinnen (Zegenaria, Argyroneta ete.), aber noch 
verwickelter und schwieriger zu deuten, wiederholt, muss vorläufig 
als unmöglich zurückgeschoben werden; wir können daraus bloss 
ersehen, wie viel es hier noch zu thun giebt. Wenn auch die An- 
deutung Graber’s, dass es sich eventuell um ein unterhalb des 
gemeinsamen Glaskörpers differenzirtes „subordinirtes Binnenauge“ 
handeln möge, unmöglich ernst zu nehmen ist, so soll doch 
sein Verdienst, zuerst darauf aufmerksam gemacht zu haben, nicht 
geschmälert werden. 


Ueber dig Augen einiger Myriapoden. 429 


Nachdem ich nun auch für die Spinnenaugen die Graber’- 
schen Berichtigungen in ihrem wahren Werthe gezeigt zu haben 
glaube, möchte ich nur noch anführen, dass ich seit der Publication 
meines Buches noch mehrfach Untersuchungen über die dort noch 
behandelten Gattungen neu angestellt habe, in der Hoffnung einige 
früher noch unklar gebliebene Punkte aufhellen zu können. Aber 
hinsichtlich der Kernvertheilung sind meine Resultate die gleichen 
geblieben. Damit ist auch schon meine Ansicht über die auch bei 
Spinnen von Graber andeutungsweise gesehenen „Mittelkerne“ 
ausgesprochen, und die ihm gelungene Tinetion derselben (l. e. 
pag. 75) beweist für mich um so weniger, als ja auch jene omi- 
nösen „Ganglienzellkerne“ des Scorpionauges sich auf’s Schönste 
färben lassen. Vielleicht haben wir es hier mit analogen Gebilden 
zu thun. 

Weit kürzer können wir die andern Controversen erledigen. 

Graber ist auch nicht damit einverstanden, dass ich früher 
gesagt habe, für einen directen Zusammenhang zwischen Stäbchen 
und Nervenfaser fehlen im Arthropodenauge noch alle Indieien. 
Dass er selbst solche Indicien aufgefunden hätte, die sich mit 
einiger Aussicht auf Beachtung als solche ausgeben könnten, wird 
er doch kaum behaupten wollen; dass er aber auf Grund meiner 
eigenen Abbildungen mir die Berechtigung zu jenem Ausspruche 
streitig machen will, zeugt von einer Neigung zu Schlüssen, zu 
denen die Thatsachen nicht berechtigen. „Indieien“ nennen 
wir auf Deutsch „Anzeichen“; wenn die Stäbehen in vielen Fällen 
eine scharfe Abgrenzung nach hinten nicht erkennen lassen, son- 
dern sich allmählig in dem Inhalt der zu ihnen gehörigen Zelle 
zu verlieren scheinen, so ist dies an sieh noch kein „Anzeichen“ 
dafür, dass sie sich in eine, in das andere Zellenende eintretende 
Nervenfaser fortsetzen — um so weniger, wenn in andern völlig 
analogen Fällen eine scharfe Abgrenzung der Stäbchen nach hinten 
einem solchen Zusammenhang oder Uebergang entschieden wider- 
spricht. Hier sind es diese negativen Instanzen, die das Urtheil 
über die ersteren, für sich indifferenten, bestimmen müssen. 

Auch hinsichtlich der „praeretinalen Zwischenlamelle“, wie 
Graber eine von ihm aufgefundene Cutieula zwischen Glaskörper 
und Retina zu nennen vorschlägt, dürften einige einschränkende 
Bemerkungen wohl am Platze sein. Zuerst hat er sie bei den 
Seorpionen nachgewiesen, wo sie in der That durch ihre ansehn- 


430 H. Ernacher 


liche Stärke gar nicht zu übersehen ist; dann aber bei Spinnen, 
wo sie weit zarter und feiner auftritt. Auch bei diesen glaube 
ich ihn im Rechte; wenigstens haben meine neueren Beobachtungen, 
besonders an den Vorderrandaugen von Lycosa spee.!) mir wieder- 
holt Bilder geliefert, die sich gut mit dieser Deutung vertragen, 
und es mir in der That und ganz ausnahmsweise gestatten, einer 
Graber’schen Berichtigung meiner eigenen früheren Beobachtungen 
zuzustimmen. Weniger aber kann ich seiner Neigung zu genera- 
lisiren beipflichten, denn er nimmt ohne Weiteres die Existenz 
dieser Membran in allen Stemmata’s als erwiesen an. Bei den 
Augen der Wasserkäferlarven glaubt er a priori ihre Existenz vor- 
aussetzen zu dürfen, und in einer Note fügt er hinzu, dass er sie 
wirklich später auch aufgefunden habe (l. e. pg. 67). Ich muss 
gestehen, dass ich seiner Angabe, die ich selbst noch nicht nach- 
prüfen konnte, bis dahin um so weniger Gewicht beimessen kann, 
als er ganz mit derselben Bestimmtheit die Existenz einer der- 
artigen Cuticula auch bei Myriapoden behauptet, wobei er sie 
freilich an völlig unmöglichen Orten auftreten lässt. Ebensowenig 
glaube ich seine daraus gezogenen, aber nur andeutungsweise mit- 
getheilten Folgerungen als berechtigte anerkennen zu können, da 
die Genese des zweischichtigen Stemma aus der Hypodermis, auf 
welche die Analogieschlüsse hinweisen, auch mir noch völlig un- 
klar und erst durch die direkte Beobachtung zu ermitteln ist. 

Damit kann ich diesen Abschnitt beschliessen, obschon ich 
mich noch mit einer Reihe von Ansichten und Beobachtungen 
Grabers, sowohl in dem eitirten Aufsatze als in dem über das 
Annelidenauge, im Widerspruche weiss. Nach dem von mir Vor- 
gebrachten muss ich alle auf die Kernverhältnisse des Retina- 
elementes bezüglichen Angaben und Deutungen Grabers als völlig 
verfehlte betrachten, und kann nur in dem Nachweis einer Cutieula 
zwischen Retina und Glaskörper des Spinnenauges eine wirkliche 
Berichtigung finden. 

1) Besagte Lycosa, eine grössere süddeutsche Art, zeigte mir, beiläufig 
bemerkt, auch, dass die von mir gegebene Darstellung der Stäbchenverthei- 
lung der Vorderrandaugen nicht allen Arten dieser grossen Gattung zukommt. 
Bei ihr fand ich die Stäbchen nicht auf einen Theil der Retina beschränkt, 
wie meine Abbildung (l. c. Taf. III, Fig. 22) zeigt, sondern über die ganze 
Retina verbreitet, ähnlich wie beim entsprechenden Auge von Epevra. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 431 


I. 


Die in der frühern Literatur über das Arthropodenauge zer- 
streuten spärlichen Notizen über das Sehorgan der Myriapoden !) 
speciell heranzuziehen, lohnt für unsern Zweck um so weniger der 
Mühe, als eine Vergleichung der neuern Resultate mit den früher 
gewonnenen keine Ergebnisse von irgend welchem Belang in Aus- 
sicht stell. Auch eine Vergleichung der Ergebnisse mit den von 
Sograff?) gewonnenen, die noch vor der Graber’schen Arbeit im 
Drucke erschienen sind, ist durch die aphoristische Fassung, in 
der sie bis jetzt vorliegen, kaum möglich. Während Graber eine 
besondere Besprechung der Augen von Scolopendra, Lithobius und 
Julus für überflüssig hält, da sie mit den Stemmaten der Spinnen 
und Inseeten in den wesentlichsten Punkten übereinstimmen sollen, 
werden wir sehen, dass sie eine solche kurze Abfertigung doch 
nicht ganz verdienen. Auch Sograff findet von seinem Unter- 
suchungsmaterial (Scolopendra, Lithobius und Cermatia), dass die 
ersteren beiden gänzlich mit den Augen der Acslwuıs- und anderer 
Käferlarven, sowie mit den Spinnenaugen übereinstimmen, was 
doch wohl etwas schwer zu vereinigen sein dürfte, wenn man den 
tiefgreifenden Unterschied zwischen jenen beiden Augencategorien, 
auf den ich besonders aufmerksam machte, nicht unterschätzt. 

Meine eigenen Untersuchungen erstrecken sich auf folgende 
Formen: 

1. Heterostoma australicum 
2. BDranchiostoma australicum 
3. Cormocephalus foecundus 


4. ei gracılıs 

5. Scolopendra morsitans 

6. a cingulata 

7. R tahıtiana 

8. . spee. (grosse Form aus Süd-America) 
9 r- spee. (kleine Form aus Corsica) 

10. Y spec. (dto. aus Florida) 


1) Vgl. darüber: Milne Edwards, Lecons sur la physiologie ete. Vol. 
XII. 1876. pag. 240. 

2) N. Sograff, Vorläufige Mittheilungen über die Organisation der 
Myriapoden. Zool. Anzeiger, II. Jahrg., Nr. 18, pag. 16. — 1879, 


432 H. Grenacher: 


11. Scutigera (Oermatia) araneoides (aus Süd-Deutsehland und aus 

Neapel) 

12. Lithobius forficatus 
13. Lulus sabulosus 
14. Glomeris spec. 

Die Nummern 1—5 und 7 verdanke ich dem Mus. Godeffroy, 
für Nr. 6, 8 und einige Exemplare von 14 bin ich der Güte des 
Herrn Dr. L. Koch in Nürnberg, für Nr. 9 und 10 Herrn Prof. 
R. Leuckart in Leipzig, für die Scutigera aus Neapel (Nr. 11), die 
vorzüglich conservirt waren, Herrn Dr. W. Spengel in Göttingen 
verpflichtet. Allen genannten Herren hier meinen wärmsten Dank! 

Wie die vorstehende Aufzählung zeigt, ist trotz der Beschränkt- 
heit des Materials im Verhältniss zu dem überhaupt bekannten 
doch eine Reihe von Trägern verschiedener Ausbildungsstufen des 
Sehorgans Gegenstand der Untersuchung gewesen. Während die 
Scolopender bekanntlich jederseits nur 4 Stemmata aufweisen, 
steigert sich diese Zahl bei Julus, Lithobius und Glomeris um ein 
Ansehnliches, so dass man hier von gehäuften Ocellen spricht; 
die Scutigera endlich besitzt eine so grosse Zahl von Einzelaugen, 
die sich so innig aneinanderfügen, dass man ihnen ein ächtes 
Facettenauge zuschreibt. Der Untersucher dieser Augenformen 
sieht sich deshalb einer Reihe von Fragen gegenüber, die zu lösen 
er versuchen muss, und zwar sowohl hinsichtlich des allgemeinen 
und speciellen morphologischen Baues, als auch des Leistungs- 
werthes derselben. Da nachgewiesenermassen das Facettenauge 
der Inseeten sich auf die gleiche morphologische Grundlage mit 
dem einfachen zurückführen lässt, so gilt diese Frage auch hier; 
da dort das Stemma nach Art des Vertebratenauges vermittelst 
Bildprojeetion, das Facettenauge aber nach der von J. Müller 
formulirten musivischen Weise sieht, so darf man dieser Frage 
auch hier nicht aus dem Wege gehen. Wenn diese Probleme, 
namentlich das letztere, auch hinsichtlich der am meisten diver- 
sirenden Typen der Reihe, der Scolopender mit nur 4 Augen 
jederseits am einen Ende, der Seutigera mit einem aus mehreren 
Hunderten von Facetten gebildeten zusammengesetzten Auge am 
andern Ende der Reihe, eine zweifellose, entscheidende Antwort 
in Aussicht zu stellen scheinen, so liegen doch eine Anzahl von 
Zwischenstufen vor, diejenigen mit gehäuften Ocellen, für welche 
‚eine Antieipation der Entscheidung zum mindesten sehr kühn wäre. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 433 


Bei diesen sind die paar Dutzend Augen zu gering an Zahl, um 
ohne Weiteres das Zustandekommen einer Gesichtswahrnehmung 
auf dem musivischen Wege behaupten zu können; zu gross wieder 
auf der andern Seite, um nicht den bekannten, von J. Müller 
gelegentlich so lebhaft betonten Einwand von der Unverständlich- 
keit eines Gesammtsehfeldes, zusammengesetzt aus einer der Augen- 
zahl entsprechenden Anzahl von unter sich verkehrten Partial- 
sehfeldern, wieder ins Gedächtniss zu rufen. — Wie sich Sograff 
bei seinen Untersuchungen diesen Fragen gegenüber gestellt hat, 
kann ich natürlich aus seinen Notizen nicht ersehen; wohl aber 
ist Graber ruhig darüber hinweggegangen. Stimmen die Myria- 
podenaugen, wie Graber meint, hinsichtlich ihres morphologischen 
Aufbaues durchgängig mit den Spinnen- und Insectenstemmaten so- 
weit überein, dass man für erstere eine besondere Besprechung 
nicht mehr nöthig findet, so muss sich das hinsichtlich des aus 
ihren Formverhältnissen ableitbaren Leistungswerthes, ihrer opti- 
schen Functionen, wohl ebenfalls von selbst verstehen, und dann 
sind wir bei der zunehmenden Complication der Fälle bald ad 
absurdum, d. h. vor das völlig Unverständliche geführt. 

Wie weit meine eigenen hier mitzutheilenden Beobachtungs- 
ergebnisse noch von einer nach allen diesen Seiten hin befriedi- 
genden Lösung entfernt sind, weiss ich nur zu gut. Hier spielt 
auch stark das erreichbare Material herein. Unsere einheimische 
Fauna bietet an Myriapoden bekanntlich herzlich wenig, und dies 
Wenige stellt schon durch die geringe Körpergrösse und die da- 
durch bedingte Kleinheit der Augen, noch mehr aber dureh die 
Schwierigkeiten, die sich einer zuverlässige Resultate liefernden 
Erhärtungstechnik entgegenstellen, nicht geringe Anforderungen 
an die Geduld des Untersuchers. Die grössern Exoten aber sind 
nicht leicht und namentlich schwierig in einem Erhaltungszustand 
zu erhalten, der, statt allen möglichen Zweifeln Thür und Thor zu 
öffnen, die Bildung wenigstens einer subjectiven Ansicht zulässt. 
Unter diesen Umständen habe ich blos Formen hier zu besprechen 
gewagt, von denen mir eine grössere Anzahl von Exemplaren zur 
Verfügung stand, und nur diejenigen Ergebnisse als Thatsachen 
angeführt, die sich als die Resultate vielfacher und unter sieh 
übereinstimmender Beobachtungen ergeben haben. Nur ganz aus- 
nahmsweise haben vereinzelte, nur einmal gemachte Beobachtungen 
hier Aufnahme gefunden. — Die innegehaltene Reihenfolge ist eine 
willkürliche, lediglich dem allgemeinen Augenhabitus angepasste. 


434 H. Grenacher: 


1. Augen der Scolopendridae. 


Aus der Reihe der oben sub No. 1—10 genannten Vertreter 
dieser grossen Familie habe ich für die Schilderung in Wort und 
Bild nur eine kleine Anzahl ausgewählt, da der Bau der sämmt- 
lichen genannten von mir untersuchten Formen in den wichtigsten 
Zügen übereinstimmt, und nur innerhalb mässiger Grenzen Schwan- 
kungen beobachtet wurden. Taf. XX, Figg. 1—5, Schnitte durch 
verschiedene Augen darstellend, zeigen die Uebereinstimmung des 
Baues nicht minder, als die hier sich findenden Differenzen hin- 
sichtlich der graduellen Ausbildung der einzelnen Theile. Allge- 
mein ist hinter der geschichteten Cornealinse, deren Dicke meist 
nur wenig hinter dem aequatorialen Durchmesser zurückbleibt, der 
sog. „Glaskörper“ zu finden (Gk der Figg.), der, wie die Linse 
aus der Cutieula, seinerseits aus der die Cutieula ausscheidenden 
Hypodermis hervorgeht; ebenso allgemein findet sich hinter dem 
Glaskörper die mächtig entwickelte Retina, aus einer im Ganzen 
etwa halbkugeligen Ansammlung von Zellen (Rz) bestehend, die 
an dem einen Ende ein Stäbchen (St) tragen, an dem andern in 
eine Faser des Opticus sich fortsetzen. Umschlossen wird das 
Ganze durch eine innere Outicula (Cu!) von ansehnlicher Dicke, 
der nach aussen noch reichliches Pigment (Pg) aufgelagert erscheint. 

Ueber die Linse kann ich einfach auf die Zeichnungen ver- 
weisen; sonst habe ich dem, was diese zeigen, nichts hinzuzu- 
fügen, als dass ich sie im Allgemeinen weicher und leichter schneid- 
bar gefunden habe, als es sonst bei Chitinanhäufungen dieses Um- 
fangs gewöhnlich ist. 

Die Zusammengehörigkeit von Glaskörper und Hypodermis 
(Hy) ist nicht leicht anderswo so in die Augen springend zu 
sehen, wie gerade hier. Es fehlen hier nach meinen Erfahrungen 
nämlich die den Uebergang zwischen beiden vermittelnden Pig- 
mentzellen, die in dem Stemma der Spinnen, Insecten und Insec- 
tenlarven als ein diaphragmatischer Ring den Einfall störenden 
Seitenlichtes abhalten; höchstens treibt das der Grenzeutieula auf- 
gelagerte Pigment in der Peripherie unregelmässige Sprossen zwi- 
schen die Hypodermiszellen hinein (Taf. XX, Fig. 2, von Scolop. 
tahitiana). Die unter der Cutieula gelegenen Hypodermiszellen 
gehen deshalb bei der Annäherung an die stark prominirende 
innere Linsenwölbung in rascher Riehtungsänderung auf diese über, 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 435 


wobei sie den von der Retina nicht bedeckten Seitentheilen der 
Linse noch ungefähr senkrecht aufsitzen, aber, je näher sie der 
Retina rücken, um so schräger sich inseriren, um schliesslich der 
innern Linsenfläche fast parallel zu streichen (vgl. bes. Fig. 2 
| Seolop. tahitiana] und 4 | Heterostoma australicum]). Dabei nehmen 
die Zellen sehr rasch an Länge zu, und füllen den schmalen spal- 
tenförmigen Zwischenraum zwischen Linse und Retina völlig aus. 
Uebrigens sind diese innersten Zellen durchaus nicht immer deut- 
lich zu erkennen. Ich habe mehrfach sonst ganz gut erhaltene 
Präparate bekommen, bei denen die Retina der Linse ganz unmittel- 
bar anzuliegen und der Glaskörper nur eine peripherische Zone 
um die letztere zu bilden schien (Fig. 1 von Seolop. tahitiana ; 
Fig. 3 von Cormocephalus foecundus). Auch die Kerne sowohl 
der Hypodermis- wie der Glaskörperzellen waren nicht immer deut- 
lich zu erkennen, doch habe ich sie genügend oft, und dann über 
allen Zweifel sicher so gesehen, wie sie die Figuren 2 (Scol. tahi- 
tiana) und 4 (Heterostoma australicum) wiedergeben, und es er- 
giebt sich daraus, dass auch hierin, wie in der Richtung der Glas- 
körperzellen, ein gewisser Gegensatz gegen das Arachnidenstemma 
besteht, wo sie immer dicht vor dem innern Ende der Zelle liegen, 
während sie hier im Allgemeinen ınehr die Mitte derselben inne- 
halten. 

Bei einzelnen Exemplaren mehrerer der untersuchten Species, 
die oben genannt sind, fanden sich bemerkenswerthe individuelle 
Abweichungen, die mir interessant genug erscheinen, um sie hier 
besonders zu erwähnen. Besagte Exemplare, die zugleich mit 
den andern in meinen Besitz gelangten, zeichneten sich vor der 
Mehrzahl der übrigen schon durch das blosse Aussehen, nicht 
minder aber auch beim Anfassen aus. Sie waren, statt hornbraun 
wie die übrigen, mehr grünlich tingirt, als ob sie zuerst in Chrom- 
säure gelegen hätten, wofür aber sonst nichts sprach, ferner war 
das Integument weit weniger fest und resistent, sondern weich, 
biegsam, fast schlaff. Die vordere Hälfte eines Schnittes durch 
ein Auge eines so beschaffenen Exemplares von Dranchiostoma 
australicum, Linse, Glaskörper und benachbarte Partien der Retina 
darstellend, zeigt Fig.5. Hier fällt zunächst die ungemein geringe 
Diekenentwickelung der Linse auf, mit der übrigens auch die 
redueirte Leibescutieula vollständig harmonirt. Dafür besitzt der 
Glaskörper eine überraschende Mächtigkeit ; seine Zellenlage bildet 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 18. 30 


436 H. Grenacher: 


eine hinter der Linse an Dieke nicht zurückbleibende, ja sie sogar 
an den Rändern noch um ein Beträchtliches übertreffende Schicht, 
die übrigens noch mehr als hierdurch durch die Riehtung der 
Glaskörperzellen zur Linse gegen die vorhin beschriebenen Fälle 
contrastirt. Obgleich auch hier die centrifugale Richtung ihrer 
hintern Enden, besonders bei zu den peripherischen Linsentheilen 
gehörigen Zellen unverkennbar ist, stellen sich doch die der Lin- 
senmitte aufsitzenden Zellen so sehr axial, dass dadurch im Ge- 
gensatz zu den als Norm anzusehenden andern Fällen hier eine 
continuirliche, in der Dieke nicht allzu variable Glaskörperlage zu 
Stande kömmt, die sehr an den Glaskörper im Arachniden- und 
Insectenstemma erinnert, und, wie wir sehen werden, der morpho- 
logischen Deutung des Ganzen eine nicht ohne Weiteres zu igno- 
rirende Schwierigkeit in den Weg legt. 

Eine Erklärung dieser auf den ersten Anblick frappirenden 
Anomalie glaube ich in Folgendem versuchen zu dürfen. Zunächst 
möchte ich nochmals ausdrücklich hervorheben, dass der geschil- 
derte Befund blos ein paar Exemplaren verschiedener Species zu- 
kam, die anderen zahlreicheren Exemplare aber in keiner Weise 
von dem als normal angesehenen Verhalten abwichen. Ich halte 
es deswegen für das Wahrscheinlichste, dass die betreffenden Spe- 
cimina kurze Zeit vor dem Einsammeln eine Häutung überstanden 
hatten, ihre Cutieularbildungen daher noch ziemlich weit von ihrer 
Ausbildung entfernt waren, wie die Reduction in ihrer Dieke nicht 
minder als ihre andere Färbung anzunehmen nöthigen. Damit 
stimmt denn auch die Verdickung der Hypodermis und besonders 
des Glaskörpers, dem die Linse ihre Entstehung verdankt, als 
auf eine gesteigerte secretorische Thätigkeit hinweisend vollständig 
überein; wie nieht minder der noch anzuführende Umstand, dass 
bei anderen Exemplaren mit etwas dickerer Cutieula und Linse 
sowohl Hypodermis als Glaskörper eine entsprechend geringere 
Entwickelung zeigten. 

Die überall sehr massige, halbkugelige Retina besteht aus 
Zellen, die hinsichtlich ihres Baues in keiner Weise von den früher 
von mir beschriebenen Retinaelementen des Spinnen- und Insecten- 
auges abweichen. In den von mir untersuchten Fällen mag sich 
die Zahl derselben mindestens auf einige hundert belaufen, und 
die Zahl der Nervenfasern des Optieus, die, am der Linse ent- 
gegengesetzten Pole das Auge erreichend, eine becherartige Um- 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 437 


hüllung um dasselbe bilden, um sich mit ihnen zu vereinigen, ist 
sicher eine ebenso ansehnliche. Die Zellkörper sind intensiv braun 
pigmentirt, ganz oder nur theilweise (Scolop. tahitiana, Pig:o1 12); 
die zugehörigen Stäbchen sind überall pigmentfrei und auch nicht 
durch Pigmentscheiden von einander getrennt. Der körnige Farb- 
stoff der ersteren wird durch verdünnte Mineralsäuren nur schwie- 
rig und unvollständig gelöst, aber geröthet (Fig. 4); Aetzkali, in 
genügender Verdünnung daraufeinwirkend, entfernt ihn am besten. — 
Die Retinazellen sind eylindrisch oder prismatisch, oft auch etwas 
spindelförmig aufgetrieben, mit einem einzigen, runden, in den 
meisten Fällen (aber nicht immer) deutlichen Kern an demjenigen 
Ende, in welches die Nervenfaser eintritt; immer sind sie scharf 
und bestimmt von einander abgegrenzt. Ihr relatives Grössenver- 
hältniss zum Stäbchen ist bei den verschiedenen Formen schwan- 
kend, und bestimmt, wie ein Blick auf meine Zeichnungen lehrt, 
hauptsächlich den Habitus der Schnitte dureh die Augen; wo, wie 
bei Heterostoma australicum (F ig. 4) sich längere Zellen finden, 
sind die Stäbchen kurz, und umgekehrt gehören zu längeren Stäb- 
chen kürzere Zellen (vgl. Fig. 1, von Seol. tahitiana , Fig. 3 von 
Oormocephalus foecundus, Fig. 5 von Branchiostoma australicum). 
Das meist aus runden Körnern bestehende Pigment scheint, wenn 
das in Fig. 6 dargestellte Verhalten von Oormocephalus gracilis 
(Querschnitt durch die Retinazellen) als das normale angesehen 
werden darf, in der Mantelfläche der Zellen abgelagert zu sein, 
und die innern Theile derselben freizulassen. 

Sehr schwierig finde ich das Studium der zu den Retina- 
zellen gehörigen Stäbehen, trotz ihrer meist ansehnlichen Grösse, 
weil der Erhaltungszustand derselben meistens in den Spiritus- 
exemplaren, wie sie uns zu Gebote stehn, viel zu’ wünschen übrig 
lässt. Die Abgrenzung derselben gegen die Retinazellen bietet 
der Beobachtung nirgends Schwierigkeit, da sie überall scharf und 
bestimmt ist; da die Grenzlinien aller in das gleiche Niveau 
fallen, so lässt sich überall (auch wo wie bei Seol. tahitiana nur 
der auf die Opticusfaser-Insertion folgende Zellentheil pigmentirt 
ist, Fig. 1, 2) die Stäbehenregion mit voller Sicherheit feststellen. 
Bei der Mehrzahl der untersuchten Exemplare scheinen sie Ver- 


1) Bei Fig. 2, ebenfalls von Scolop. tahitiana, sind die Stäbchen (St.) 
nicht in ihrer ganzen Länge ausgezeichnet. 


438 H. Grenacher: 


änderungen erlitten zu haben, die der Untersuchung wenig günstig 
sind, vor Allem hinsichtlich ihres Lichtbrechungsvermögens, das 
sich meist als sehr schwach (verglichen mit dem in andern Arthro- 
podenaugen) herausstellte. Am störendsten war aber jedenfalls 
die Verkittung derselben zu einer gestreiften Masse, innerhalb 
deren sich die Conturen der Einzelstäbchen schwer oder gar nicht 
verfolgen, kurz, nähere Details über ihren eigentlichen Bau nicht 
gewinnen liessen (vgl. Figg. 1—3, Scol. tahitiana und Cormocephalus 
foecundus). In andern Fällen gestaltete sich die Sache in sofern 
günstiger, als sich die Stäbchen mit voller Bestimmtheit als von 
einander isolirte, stark lichtbreehende eylindrische Bildungen con- 
statiren, und so die aus dem obigen Befunde sich erhebenden 
Zweifel an ihrer Stäbchennatur beseitigen liessen (vgl. Fig. 4, 
Heterostoma australicum und Fig. 5, Branchiostoma australicum, 
St.). Am günstigsten aber für die Untersuchung erwiesen sich 
die oben besprochenen Exemplare mit dünner Cutieula und Linse, 
wohl weil bei ihnen das schwächere Integument ein leichteres 
und rascheres Eindringen des Alkohols und dadurch eine bessere 
Conservirung ermöglichte. Bei diesen habe ich mehrfach das 
Verhalten beobachten können, welches die Fig. 7 für Cormocephalus 
gracilis versinnlichen soll; die Abbildung zeigt Querschnitte durch 
eine Anzahl Stäbehen bei sehr starker Vergrösserung, und es 
resultirt daraus, dass die Stäbchen rundliche Röhren sind, von 
einem ansehnlichen, gegen das freie Ende hin sich verjüngenden 
Lumen durchsetzt, das den zugehörigen Retinazellen durchaus fehlt. 
Eine Zusammensetzung der Stäbchen aus longitudinal zusammen- 
gefügten Stücken, wie sie sonst, im Spinnenstemma namentlich, 
vorkommt, konnte hier nicht beobachtet werden. I 
Eine besondere und wichtige Eigenthümlichkeit der Retina 
ist nun noch nicht zur Besprechung gekommen, nämlich die un- 
gewöhnliche Richtung der Retinaelemente im Verhältniss zur Augen- 
axe. Vergleichen wir ein Myriapodenauge von dem uns jetzt be- 
schäftigenden Bau mit den von mir 1. ec. abgebildeten Spinnen- 
oder Insectenaugen, so ergibt sich eine ganz auffällige Abweichung 
zwischen beiden dadurch, dass bei den letzteren im Allgemeinen 
die Längenaxe des Retinaelements gegen den optischen Mittelpunkt 
der Linse gerichtet ist, während sie hier nahezu oder völlig pa- 
rallel der Ebene des Linsenaequators verläuft; ja es kann sogar 
soweit kommen, dass (wenigstens bei den vordersten Stäbchen) 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 459 


die Spitze derselben weiter nach hinten liegt, als der mit der Re- 
tinazelle verwachsene Basaltheil. Die Bedeutung dieser eigen- 
thümlichen Lagerung für die Schätzung des physiologischen Lei- 
stungswerthes der Augen werden wir später zu diseutiren haben ; 
hier handelt es sich um die Constatirung des Factums. Diese 
Anordnung bedingt es auch, dass die einander gegenüberliegenden 
Stäbehen, wie die Figg. 1, 3—5 zeigen, mit ihren Spitzen sich be- 
rühren, während ihre Axen mehr oder weniger genau in eine Linie 
zusammenfallen, was freilich nieht überall gilt, wie dieselben Figuren 
ausweisen; Längsschnitte zeigen deshalb gerade oder im Ziekzack 
verlaufende Trennungslinien; an zuweilen beobachteten Querschnit- 
ten treten hingegen meist dreistrahlige Spaltenräume im Innern auf. 

Hier mag auch der zur Beobachtung gelangten einzelnen 
Formen zukommenden Besonderheiten gedacht werden, auf die ich 
aber, da ich nicht weiss, wie viel davon dem jeweiligen Erhal- 
tungszustand zuzuschreiben ist, kein allzugrosses Gewicht legen 
möchte. Zunächst fällt die verschiedene Beschaffenheit der Retina 
in der Gegend des Eintritts der Sehnerven auf. Bei Scolopendra 
tahitiana zeigt das Pigment dort eine eigenthümliche Ausbuchtung 
(vgl. Fig. 1) gegen den Optieus hin, wodurch eine schmale spal- 
tenförmige Einziehung angedeutet wird, in der ich wohl noch 
die Retinazellen, aber keine zu ihnen gehörigen Stäbehen mehr 
habe nachweisen können. Hinsichtlich der letzteren Punkte stimmt 
Heterostoma australicum (Fig. 4) damit überein, aber von einer 
Ausbuchtung der Retina kann man nieht mehr reden. — Gerade 
umgekehrt zeigt Cormocephalus foecundus (Fig. 3) sowie C. graeilis 
an besagter Stelle eine Art von papillenartiger Vorragung der 
Retina, deren freie, ebenfalls stäbehenlose Zellenenden die Stäb- 
chen ihrer seitlichen Nachbarn, die je weiter nach hinten um so 
kürzer werden, sozusagen nach vorn drängen. — Aufmerksam 
möchte ich ausserdem noch auf Heterostoma australicum machen 
wegen der auffallenden Längendifferenzen der Stäbchen in den 
verschiedenen Zonen des Auges (Fig. 4). Die kurzen Retinazellen 
zunächst am Glaskörper tragen sehr lange Stäbchen; weiter nach 
hinten kehrt sich das Verhältniss ziemlich plötzlich um, so dass die 
Stäbehen, weiter vorn 21/,—3mal so lang wie ihre Zellen, hier sich 
auf die Hälfte der Länge der letzteren, selbst noch weniger verkürzen. 

Den das Auge versorgenden Nervus opticus (Op der Figuren) 
fand ich immer sehr stark und gut entwickelt, aus sehr zahlreichen 


440 H. Grenacher: 


Fasern bestehend, die sich mehr oder weniger deutlich in Bündel 
sruppiren. In mehreren Fällen wurden zahlreiche im Optieus ge- 
legene Kerne beobachtet. — Die Opticusfasern treten beim Ein- 
tritt in das Auge becherförmig anseinander, ziehen über die Re- 
tinazellenschicht in nach vorn an Dicke abnehmender Lage hin, 
und biegen gewöhnlich ziemlich plötzlich, oft fast rechtwinklig 
nach den Zellen hin ab. Ihre Verbindung mit den letzteren konnte 
nicht mit genügender Schärfe beobachtet werden; doch liegt kein 
Grund zu der Annahme eines andern als des bei den übrigen Ar- 
thropodenaugen beobachteten Verhaltens vor. 

Die das Auge umhüllende Cuticula (Cu!) zeichnet sich bei 
den Scolopendriden durch eine auffallende Dieke aus. Sie setzt 
sich sowohl auf den Optieus, als auf die innere Fläche der Hy- 
podermiszellen der Augenumgebung fort, und lässt bei starken 
Vergrösserungen, namentlich bei Kali-Präparaten, deutliche Schich- 
tung erkennen (Fig. 8, Cu!, von Heterostoma australicum). — Schliess- 
lich habe ich noch des die äussere Augenoberfläche umhüllenden 
Pigmentes zu gedenken. Dasselbe ist in mehr oder weniger 
dieker Masse angehäuft, am dieksten gemeiniglich an der Linsen- 
peripherie, wo es auf die Innenseite der Hypodermis übergeht, 
auch unregelmässige Sprossen zwischen ihre Zellen treiben kann 
(Fig. 2, Scolop. tahitiana, Pg). Ueberall fand ich es intensiv 
schwarzblau, mit Säuren sich röthend (Fig. 4), mit Kali sich schön 
indigoblau lösend. — Auch auf den Opticus setzt es sich meist 
eine Strecke weit fort, aber nicht in eontinuirlicher Lage, sondern 
in unregelmässigen Längs- und Querzügen (Fig. 1). Das körnige 
Pigment ist in dicht aneinandergelagerten Zellen eingeschlossen, 
die der Cutieula fast wie ein Epithel aufruhen (Fig. 8, Pg, von 
Heterostoma australicum); einige gut erhaltene Präparate mit Flä- 
chenansiehten der Pigmentzellen zeigten diese als stark in der 
Querrichtung des Auges verlängert. 

Indem ich hiermit diese Schilderung des Scolopendridenauges 
schliesse, brauche ich wohl kaum darauf hinzuweisen, wie wesent- 
liche Differenzen sie gegen die Graber’sche Darstellung derselben 
Augenform (die von Sograff lasse ich als zu aphoristisch hier 
ausser Betracht) darbietet. Graber zeichnet den Glaskörper irr- 
thümlich als eine einfache Lage epithelialer gleichlanger und 
radiär zum Linsencentrum gestellter Zellen wie bei.den Arach- 
niden (l. e. Taf. VI Fig. 17). Auch ist ihm die ganz auffallende 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 441 


Richtungsdifferenz der Retinaelemente mit ihren Stäbchen, die er 
parallel der Augenaxe streichen lässt, statt annähernd senkrecht 
darauf, augenscheinlich völlig entgangen. — Die Stäbchen sind 
nach ihm von einem pigmentirten „Endschlauch“ bis an ihr Ende 
umgeben (Fig. 18 1. e.), von dem ich keine Kenntniss habe; dass 
die unvermeidlichen drei Kerne des „Retinastrahls“ nicht fehlen, 
versteht sich fast ebenso sehr von selbst, wie dass ich meinerseits 
nur den einen derselben, den von ihm sog. „Ganglienzellenkern“, 
der mit dem von mir gezeichneten übereinstimmt, als existenzbe- 
rechtigt anerkennen kann. Auch hier findet Graber eine Cutieula 
zwischen Retina und Glaskörper, von der ich meinerseits nichts 
zu sehen bekommen habe. Dagegen kann ich seiner Angabe, dass 
unter der das Auge äusserlich umschliessenden Cuticula die Kerne 
der sie abscheidenden Matrix liegen sollen, bedingungsweise zu- 
stimmen, da ich einigemal Andeutungen von solehen gesehen zu 
haben glaube, freilich nicht mit der Sicherheit, um jeden Zweifel 
auszuschliessen. 


2. Augen von Lithobius. 


An die Augen der Scolopendriden scheinen sich mir, trotz 
mancher gewichtigen Differenzen, von den hier überhaupt in Frage 
kommenden die von Lithobius am nächsten anzuschliessen. Bekannt- 
lich sind sie jederseits in beträchtlicherer Anzahl vorhanden 
(einige 30) und in engerer Gruppirung, so dass sie zu den aggre- 
sirten oder gehäuften Punktaugen gezählt zu werden pflegen. Die 
Einzelaugen sind unter sich nicht völlig gleich gross; auffällig ist 
freilich nur die überwiegende Grösse der jederseits am meisten 
nach hinten gelegenen. — Ihr Studium fand ich besonders schwierig, 
weil die Weichtheile sich nicht leicht so härten lassen, dass man 
den Beobachtungen volles Vertrauen schenken darf. 

Die Augen stehen auf einer mässig gewölbten Fläche so an- 
geordnet, dass ihre Axen, denen der Einzelaugen eines facettirten 
analog, unter sich Winkel bilden. Zwischen den fast völlig kreis- 
runden Linsen erhalten sich Cutieularstreifen, die, gleich dem übri- 
gen Integumente, oberflächlich intensiv tingirt sind; diese Streifen 
sind von Porenkanälen durchsetzt, die mit langgestreekten, die 
Zwischenräume zwischen den einzelnen Augen erfüllenden Drüsen- 
zellen (Dr Fig. 9) in Verbindung stehen. Nach innen zu ist die 


442 H. Grenacher: 


Augenregion durch ein eutieulares Septum, welches von den Opti- 
cusfaserbündeln durchbohrt wird, abgegrenzt. 

Einen Längsschnitt durch zwei Einzelaugen eines ziemlich 
kleinen Exemplares zeigt die Fig. 9; derselbe ist mit verdinnter 
Salzsäure in der Art seines Pigmentes beraubt, dass die Kerne 
durch das in Lösung übergeführte Pigment sich tingirten; Fig. 10 
stellt einen (etwas schematisirten) Querschnitt durch die Weich- 
theile zwischen Linse und Retina dar. 

Die Linsen sind schön bieonvex, mit etwas stärkerer innerer 
Wölbung. Die Weichtheile bilden einen kurzen, hinten abgerun- 
deten überall pigmentirten Cylinder, dessen Länge meist etwas 
die Dieke übertrifft, zuweilen aber auch um ein Geringes hinter 
ihr zurückbleibt. Vergebens sehen wir uns hier nach einem Glas- 
körper um, wie wir ihn bei den Seolopendriden fanden. An der 
äussersten Linsenperipherie findet sich ein Kreis kleiner Pigment- 
zellen (Pg Fig. 9), welche die Zwischenräume zwischen den ein- 
zelnen Linsen überziehen. An sie schliesst sich nach innen, gegen 
die Augenaxe hin, ein Kranz grosser prismatischer Zellen an, die, 
keilförmig gestaltet, sich zu einem diekwandigen, durch und durch 
pigmentirten Hohleylinder zusammenfügen, und der innern Linsen- 
wölbung derart aufsitzen, dass nur durch eine die Linsenaxe ein- 
schliessende Calotte Licht in das pigmentfreie Innere des Auges 
eindringen kann (HZ Fig. 9, 10). Der Binnenraum dieses Hohl- 
eylinders ist in einer höchst eigenthimliehen, mir sonst nirgends 
bei Arthropodenaugen bekannt gewordenen Weise ausgefüllt; näm- 
lich durch sehr zahlreiche, feine, von den innern Zellenrändern 
ausgehende und senkrecht zur Augenaxe gerichtete Haare von 
ziemlich geringem Lichtbrechungsvermögen, die freilich im Leben 
wohl zu einer optisch homogenen Masse zusammengebacken sein 
dürften. Die Abgrenzung der Zellen gegen ihren Haarbesatz ist 
ziemlich scharf, aber etwas ausgezackt; die Haare selbst leicht 
wellig gebogen. Dass es wirkliche Häärchen sind, das sieht man 
besonders evident an ihren punktförmigen optischen Querschnitten, 
wenn ihre Richtung in die optische Axe des Mikroskops fällt. — 
Die sehr deutlichen grossen Kerne dieser Zellen liegen in oder 
etwas hinter ihrer Mitte nahe am Aussenrande. Zu Fig. 10, die 
einen Schnitt durch diese Zellen darstellt, habe ich zu bemerken, 
dass sie nach unvollständigen Schnitten, deren ich eine ziem- 
liche Anzahl gesehen habe, ergänzt ist. Die Zahl der Zellen darin 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 443 


dürfte für die Mehrzahl der Augen etwas zu gross ausgefallen 
sein, und eher den grösseren Augen an der hintern Grenze des 
Complexes entsprechen, wo die Elemente numerisch stärker ver- 
treten sind. 

Den hintern Theil des Auges bildet wieder die halbkugelige, 
hier nur von einer geringen Zahl von Zellen (einigen zwanzig nach 
meiner Schätzung) gebildete Retina, «deren Elemente durch und 
durch rothbraun pigmentirt, gegen die Linse hin scharf abgegrenzt, 
pyramidal gestaltet und nach hinten verjüngt sind; hier gehen sie 
sehr deutlich (wenigstens die mittleren) in je eine Faser des Op- 
tieus über (vgl. Fig. 9, Rz). Uebrigens sind sie unter sich gleich- 
lang, und ihre sehr deutlichen Kerne stimmen nach Form und 
Lage mit denen der Haarzellen, gie wir vorhin besprochen haben, 
so überein, dass man sich der Vermuthung nicht entschlagen kann, 
die beiderlei functionell so weit von einander getrennten Gebilde 
seien nur Modifieationen ein und derselben Grundlage, wie ich es 
schon früher (l. e.) für die entsprechenden Theile der Augen von 
Schwimmkäferlarven darzuthun versucht habe. Zwischen ihren 
vordern Endflächen und den haarartigen Fortsätzen der vordern 
Zellenlage findet sich ein etwa halbkugeliger pigmentfreier Hohl- 
raum, in welchem die zugehörigen Stäbchen liegen. Ueber diese 
etwas Befriedigendes auszusagen bin ich freilich ausser Stande, 
da die Erhaltung und Untersuchung derselben Schwierigkeiten be- 
gegnet, die kaum zu besiegen sind. Man kann Dutzende von 
Exemplaren untersuchen ohne etwas zu finden, was nur irgendwie 
an die anderwärts so bestimmt charakterisirten Stäbehen erinnerte, 
und doch spricht alle Wahrscheinliehkeit dafür, dass sie, wenn sie 
nicht überhaupt völlig fehlen, gerade hier in diesem Raume und 
im Zusammenhang mit den so deutlich in Nervenfasern auslaufen- 
den Zellen sich finden müssen. Aber in dem besagten Hohlraum 
zeigt sich meistens, ausser blassen und unregelmässigen Körnchen, 
so gut wie nichts, was Aehnliehkeit mit Stäbchen hätte. Indessen 
hat mir Geduld, vielleicht auch der Zufall, wenigstens soweit ge- 
holfen, dass ich nieht nur die Anwesenheit von Stäbchen gerade 
hier wahrscheinlieh machen, sondern auch über ihre ungefähre 
Lage, Grösse und Form wenn auch nur unbestimmte und unsichere 
Anhaltspunkte bieten kann. Was ich hierüber gesehen habe, ist 
in Fig. 9 (St) niedergelegt, die ich so gut es anging nach einer 
Reihe von unter sich übereinstimmenden Präparaten entwarf. Man 


444 H. Grenacher: 


erkennt radiäre Trennungslinien, sehr zart und unbestimmt zwar, 
aber doch deutlich, die mit den Begrenzungen der Retinazellen 
correspondiren. Durch ihre Convergenz nach vorn missen die 
durch sie markirten Stäbchen conisch, besser wohl pyramidal ge- 
formt sein; die blassen Granulationen sind zuweilen in undeut- 
lichen Querreihen angeordnet, so dass man unwillkürlich an jene 
so vielfach besprochene „Plättehenstruktur“ erinnert wird. Damit 
ist aber so ziemlich Alles erschöpft, was ich darüber sagen kann, 
und man sieht leicht, dass die Hauptsache noch erst zu lösen ist. 

Endlich habe ich noch einiger Zellkerne zu erwähnen, die 
ich zwar nur in einigen Fällen, in diesen aber mit genügender 
Sicherheit constatiren konnte. Sie liegen hinter der Linse, auf 
ihrer höchsten Wölbung flach ausgebreitet und ziemlich nahe an- 
einander (K Fig. 9); in Flächenansichten konnte ich an tingirten 
Präparaten einigemal übereinstimmend fünf derselben zählen. Trü- 
sen mich meine Erinnerungen nicht, so waren es meist kleinere, 
noch nicht ausgebildete Thiere, bei denen ich sie am besten con- 
statiren konnte, womit ich übrigens nicht behaupten will, dass sie 
bei ausgewachsenen fehlen. Ueber ihre Bedeutung Vermuthungen 
zu äussern scheint mir z. Z. noch unstatthaft. — Ferner ist noch 
zu bemerken, dass auch hier jedes Auge für sich noch von einer 
zarten, sich auf den Opticus fortsetzenden Cutieula (Cul, Fig. 9) 
umhüllt ist. 

Bei einer Vergleichung meiner Resultate mit denen Graber’s 
beschränkt sich die Uebereinstimmung zwischen uns auf die all- 
gemeine Form des Auges und auf die Linse; alles Andere weicht 
soweit von einander ab, als ob wir himmelweit von einander ver- 
schiedene Thiere untersucht hätten. Er zeichnet einen „aus sehr 
breiten Pflasterzellen bestehenden Glaskörper“ über die innere 
Linsenwölbung (l. ec. Taf. VI Fig. 24), von dem ich keine Kennt- 
niss habe; er lässt die Stäbchen parallel der Augenaxe bis gegen 
die Linse heranreichen, und versieht sie mit „Endschläuchen“ (ez 
seiner Fig.) — kurz, von dem, was ich hier beschrieben habe, hat 
er ebensowenig gesehen, wie ich etwas von dem, was er fand, 
wiederzufinden im Stande war. Wer der Wahrheit näher gekom- 
men ist, wird ja wohl die Zukunft entscheiden. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 445 


3. Augen von IZulus. 


Die Augen unserer einheimischen Julus-Arten gehören wie 
die vorhin besprochenen gleichfalls unter die sog. gehäuften Punkt- 
augen; damit scheint aber auch, wenn wir gute Schnitte beider 
Formen vergleichen, die Aehnlichkeit erschöpft zu sein. Es 
finden sich in der That hier recht gewichtige Unterschiede, die 
durch die systematischen Differenzen wenigstens theilweise be- 
greiflich erscheinen. 

In Fig. 11 habe ich Durchschnitte durch zwei solcher Augen 
abgebildet; das eine (1) nach vollständiger Pigmentzerstörung durch 
Säure, das andere (2) beim ersten Beginn der Einwirkung derselben. 
Das Pigment hat sich hier gerade soweit gelockert, dass die von 
ihm verdeckten Theile in ihren allgemeinen Umrissen kenntlich 
hervortreten. 

Die Cornealinsen, die auf diese Bezeichnung, wie die Fig. 
11 (L) zeigt, keinen Anspruch erheben können, erinnern in ihrer 
allgemeinen Form auffallend an die von mir früher beschriebenen 
Bildungen der Cornea bei Limulus (l. ec. Taf. XL, Fig. 123). Nach 
aussen hin ist kaum oder gar nicht von einer Wölbung zu reden; 
hervorzuheben wäre hier nur eine leichte Verdiekung der scharf 
abgesetzten äussersten Cutieularlage von im allgemeinen linsen- 
artiger Configuration. Nach innen springen sie dafür um so mehr 
vor, und zwar als massige conische Zapfen mit abgestutzter End- 
fläche, die meistens, aber nicht immer, eine leichte, selten regel- 
mässige linsenförmige Wölbung zeigt. Wie die ganze Cutieular- 
hülle des Thieres sind sie durch und durch verkalkt, und bedürfen, 
um schnittfähig zu werden, einer vorsichtigen Auslaugung dureh 
Säuren. 

Die Mantelflächen dieser Coni sind von Zellen (Pg Fig. 11) 
umgeben, die namentlich nach dem Kegel zu starke Pigmentmassen 
aufgespeichert enthalten. Diese Zellen scheinen ebenfalls, wie die 
analog gelegenen haartragenden Zellen von Zithobius, nur einen 
einfachen Kranz um den Kegel zu bilden, d.h. unter sich und mit 
dem Kegel gleiche Länge zu haben; doch lässt sich dies nieht mit 
voller Sicherheit aus meinen Präparaten behaupten. Die grossen 
Kerne sind mit Leichtigkeit nachweisbar. 

Hinter der freien Endfläche des Kegels schliessen sich an 
diese Zellen die ebenfalls stark pigmentirten Retinazellen an, 


446 H. Grenacher: 


die in Form und Anordnung, wie Fig. 11 (Rz) lehrt, so sehr mit 
den bei Lithobius beschriebenen übereinstimmen, dass ı eine specielle 
Darstellung überflüssig erscheint. 

Auch hier habe ich mehrfach, wenn auch nicht so oft und 
so unzweifelhaft wie bei Lithobius, den Uebergang je einer Faser 
des Optieus in eine solche Zelle erkennbar genug eonstatiren können. 
Ebenso scheinen sie numerisch ungefähr mit jenen übereinzu- 
stimmen. — Ganz abweichend verhalten sich jedoch die zugehö- 
rigen Stäbchen, für die ich überhaupt, ausser bei der nachher zu 
besprechenden @Glomeris, kein Analogon bei den Arthropoden kennen 
gelernt habe. In der Abbildung habe ich zwei gleich häufig vor- 
kommende Ansichten, in denen sich die Stäbehen zu präsentiren 
pflegen, nebeneinander vereinigt; die anscheinend so verschiedenen 
Formen des Auftretens, wie sie die mit 1 und 2 bezeichneten 
Augen der Fig. 11 zeigen, erklären sich leicht aus der Vergleichung 
mit Fig. 12, welche diese Region im Querschnitte zeigt, und aus 
der sich jene Bilder als Schnitte das eine Mal der Länge, das 
andere Mal der Quere nach durch die ovale Stäbehenlage heraus- 
stellen. — Die Einzelstäbehen sind hier relativ stärker lichtbrechend 
und weit resistenter als bei Zithobius, also auch weit leichter 
wahrzunehmen; sie sehen aus wie kurze, starre, dicht aneinander- 
liegende Borsten, und auch auf ihren optischen Querschnitten er- 
kennt man ohne besondere Schwierigkeit das auch bei sehr starken 
Vergrösserungen noch sehr feine und zarte Mosaik derselben. 
Sie erscheinen meist zu einzelnen streifenförmigen Bündeln in 
longitudinaler Anordnung vereinigt, doch könnte dies möglicher- 
weise Kunstprodukt sein. Das Wichtigste aber ist die T’hatsache, 
dass die Zahl dieser Stäbchen die der Retinazellen um ein Be- 
deutendes, ja um das Vielfache übertrifft, eine ganze Anzahl der 
ersteren also auf je eine der letzteren kommt, so dass man das Ver- 
halten der Stäbchen zu ihren Zellen am ehesten mit dem bürsten- 
artig modifieirter Haare eines Flimmerepithels zu ihrem Substrate 
vergleichen könnte. — Ferner ist noch auf die horizontale Richtung 
der Stäbchen, die ganz mit der bei den Scolopendriden hervorge- 
hobenen übereinstimmt, hinzuweisen. Wohl finden sich öfters, doch 
nicht immer, im Grunde des von den Stäbchen eingenommenen 
haumes dem Lichte entgegengerichtete, diese treten aber vor der 
Masse der übrigen, die vor ihnen liegend sie völlig bedecken, be- 
deutend zurück. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 447 


Endlich wären noch besondere der Retina aufgelagerte Pigment- 
zellen zu erwähnen. In dem noch mit Pigmentirung versehenen 
Auge 2 der Fig. 11 sind schmale Pigmentzüge angegeben, die, aus 
der Hauptmasse des Pigmentes anscheinend heraustretend, sich 
gegen die Optieus-Insertion hin ausdehnen; in entfärbten Augen 
sind diese Streifen verschwunden, doch erkennt man dafür in ana- 
loger Anordnung lange spindelförmige Kerne (Pg! Fig. 11, 1), 
die ich um so mehr auf jene Pigmentstreifen zurückführen muss, 
als sie mit den Kernen der Retinazellen, wie dieselbe Figur zeigt, 
nichts gemein haben. In den Fig. 12 gezeichneten Querschnitten 
war, da Manches hier zu wünschen übrig liess, von diesen Kernen, 
resp. Zellen nichts zu erkennen; doch habe ich seither deutlich sie 
auch an analogen Präparaten auffinden können. — Weitere Pig- 
mentzellen finden sich zwischen den Basen der Linsenkegel an der 
Cuticula. 

Eine stärkere Cutieula, von den Opticusästen durchbohrt, 
grenzt auch hier den Augencomplex nach innen vom Ganglion 
opticum ete. ab; eine sehr feine Cuticula umhüllt die Einzelaugen 
und die Optieusäste. 

Auch von den Augen dieser Thiere hat Graber bildliche Dar- 
stellungen gegeben, deren Genese mir völlig unbegreiflich ist (l. e. 
Taf. VI, Fig. 21. 22). Er zeichnet die ganzen inneren Kegelpro- 
tuberanzen als von einer doppelten Zellenlage umschlossen; die 
innere, einem Pflasterepithel nach seiner Zeiehnung vergleichbare, 
soll ein Glaskörper sein, die äussere eine Retina mit Ganglien- 
zellkernen und Stäbchen, beide dureh eine Cutieula von einander 
getrennt. 


4. Augen von Glomeris. 


Die Augen von Glomeris nehmen hinsichtlich des äusseren 
Habitus eine Art von Mittelstellung zwischen denen von Lithobius 
und von Julus insofern ein, als sie mit ersteren die Configuration 
der Linse, mit letzteren die der Retina in den wesentlichsten Merk- 
malen theilen (vgl. Fig. 13). Ich kann mich um so mehr auf eine 
kurze Besprechung derselben beschränken, als das von mir ver- 
arbeitete Material weder sehr reichlich, noch hinsichtlich seiner Er- 
haltung ein besonders günstiges war, und ich deshalb auch nicht 
im Stande bin, für die Vollständigkeit und Correetheit meiner 


448 H. Grenacher: 


Beobachtungen in dem Grade einzutreten, wie bei den andern 
Gattungen. 

Die ungleich grossen Einzelaugen stehen ansehnlich weiter 
von einander ab, als bei Lithobius und Julus. Die schön sphärisch 
sewölbten Linsen derselben prominiren nach aussen wie nach innen 
beträchtlich, und sind, wie bei letzteren, mit dem ganzen Integu- 
mente verkalkt. Ein besonderer Glaskörper scheint ebenso wie 
bei den beiden Gattungen zu fehlen, wenigstens habe ich an 
meinem Materiale nicht das Geringste von einem solehen wahr- 
nehmen können. Die abgerundet kegelförmige Retina, wie bei 
Julus namentlich an der Stäbchengrenze stark pigmentirt (Fig. 13, 2), 
besteht aus einer ziemlichen Anzahl meist horizontal gelagerter, 
deutlich gekernter Zellen, von denen sich die vordersten stäbehen- 
losen der Linse seitlich anlegen (Fig. 13, 1). Auf ihrer Aussen- 
fläche ist die Lage der Retinazellen von der becherartigen Aus- 
breitung der Fasern des Optieus umgeben; letztere sind durch 
eine zarte Cuticula von den spindelförmigen Pigmentzellen (Pg), 
die in der Umgebung der Einzelaugen sich finden, abgegrenzt. 

Wie aus Fig. 13 hervorgeht, sind die Stäbchen dicht hinter 
der Linse und fast genau so angeordnet, wie sie in dem Auge 
2 Fig. 11 von Julus erscheinen; nur ist, entsprechend der grössern 
Tiefe der Retina bei Glomeris, der von der Stäbehenmasse ge- 
bildete Zapfen um ein beträchtliches grösser als dort, und zeigt 
ausserdem an der Berührungstelle mit der Linse eine basale Ver- 
breiterung. — Die Stäbehen selbst sind mir hier weit weniger 
selbständig erschienen als bei Julus; sie scheinen blos in der 
Gestalt der zart quergestreiften Säume aufzutreten, wie ich sie 
in der Zeichnung wiederzugeben versuchte. — Unter den wenigen 
befriedigenden Schnitten, die mir gelangen, habe ich keinen zu 
Gesicht bekommen, der dem von Julus Fig. 11, 1 abgebildeten 
entsprochen hätte; doch deutete öfters eine Einstellung in die 
Tiefe auf eine weitere Erstreckung der Stäbehen im Sinne jener 
Figur. Den in Fig. 14 abgebildeten Querschnitt durch ein solches 
Auge von Glomeris möchte ich nicht gerade als einen Beleg für 
jene Ansicht ausgeben, da er ebensowohl ein Schrägschnitt sein 
kann; er wurde gezeichnet, weil er an einigen Stellen deutlicher 
als Fig. 13 die zu den einzelnen, durch Pigmentanhäufungen kenn- 
lichen Zellen gehörigen Stäbehenantheile wahrnehmen liess. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 449 


- 


5. Auge von Scutigera (Cermatia). 


Ein Sehorgan von besonderem Interesse ist das der genannten 
Gattung deshalb, weil es von aussen wie von innen betrachtet in 
seinem Gesammthabitus durchaus den Eindruck eines zusammen- 
gesetzten Auges, wie solche den Insecten und Crustaceen zukommen, 
macht, ohne sich doch auf jene zurückführen zu lassen. Dies gilt 
sowohl hinsichtlich seiner Architeetur im Ganzen, weil es als aus 
einer Anhäufung einer beträchtlichen Anzahl von Einzelaugen her- 
vorgegangen betrachtet werden muss, wie auch hinsichtlich seiner 
Function, weil, wie dort, die Einzelleistung der. Componenten für 
sich der Gesammtleistung durchaus untergeordnet erscheint. 

Aeusserlich machen die Augen von Scutigera ganz den Ein- 
druck ächter Facettenaugen; sie sind nämlich rundlich dreieckig, 
von mässiger sphärischer Wölbung, und mit zahlreichen (einigen 
Hunderten) sich dicht berührenden 5—6 eckigen Einzelfacetten, 
deren zugehörige Weichtheile radiär nach aussen divergirend an- 
geordnet sind; sie weisen mit einem Worte alle jene Bedingungen 
seeundärer Natur auf, die ich in meinem Buche (l. e. pg. 2) für 
das Inseeten- und Crustaceenauge hinsichtlich ihrer physiologischen 
Bedeutung diseutirte. Völlig eigenthümlich ist aber ihr innerer 
Bau, ebenso abweichend von dem der Inseeten- und Crustaceen- 
augen, wie das Facettenauge von Zimulus (vgl. 1. e. pag. 125 u. ff. 
Taf. XI Fig. 123—126), mit dem sie, beiläufig bemerkt, auch keine 
nachweisbare nähere Verwandtschaft zeigen. | 

Die ziemlich dünnen Cornealinsen (Lf Fig. 15, 17) zeigen 
nach aussen eine mässige Convexität; nach innen fand ich sie 
individuell verschieden, bald ganz flach convex, bald ganz eben, 
und wieder in anderen Fällen selbst leicht concav. Ihr dichter 
Anschluss an einander, wie überhaupt ibr ganzer Bau, erinnert 
durchaus an das typische Facettenauge. 

Nicht minder übereinstimmend mit dem ächten facettirten 
Auge scheinen auf den ersten Anblick die hinter den Cornealinsen 
gelegenen Weichtheile zu sein. Man glaubt einen zwar etwas 
grossen, sonst aber nicht gerade abnormen Krystallkegel hinter 
Jeder Linse, hinter diesem wieder eine Retinula mit ihrem Rhab- 
dom zu sehen, und wenn auch die beiden letztern dadurch, dass 
sie die Mantelfläche des Kegels grösstentheils umhüllen, etwas be- 
fremdlich erscheinen, so könnte man doch leicht geneigt sein, 


450 H. Grenacher: 


darin nur eine eigenthümliche Weiterbildung eines Verhaltens zu 
erkennen, das ich schon früher (l. c. Taf. VII, Fig. 75) von Peri- 
planeta abgebildet habe. Ja, selbst bis auf weit mehr unterge- 
ordnete Dinge scheint sich die Uebereinstimmung zu erstrecken; 
es scheinen nämlich auch die von mir als verschiedene Formen 
getrennten Pigmentzellen (1‘* Ordnung oder Hauptpigmentzellen, 
die im Insectenauge fast immer den Krystallkegel umhüllen; 2ter 
Ordnung, die zur optischen Isolirung der Einzelaugen von einander 
dienen) in ganz analoger Weise ausgebildet zu sein, wie dort. 

Trotz dieser anscheinenden Uebereinstimmung ist der Unter- 
schied zwischen beiden Categorien so gross als nur möglich; 
sie haben ausser der hier nicht in Betracht kommenden Linsen- 
facette fast nichts mit einander gemein, als das Prineip der Com- 
bination von an sich nur zu geringfügiger Leistung befähigten 
Einzelaugen zu einem Gesammtorgan von weit grösserer Leistungs- 
fähigkeit, wobei es freilich, dem Modus dieser Leistung ent- 
sprechend, nicht ohne mehrfache, eine gewisse Analogie zeigende 
Umbildungen der Einzelbestandtheile des Auges abgeht. 

Was nun zunächst den als Krystallkegel angesprochenen 
Apparat anbelangt, so erkennen wir bei näherer Prüfung, dass er 
unter die früher von mir beschriebenen Formen desselben (bei In- 
secten und Crustaceen) nicht eingereiht werden kann. Ich habe 
in meinem schon öfters eitirten Werke nach dem Auftreten des 
Krystallkegels drei Augenformen unterschieden (l. e. pg. 75): 
l. acone Augen, bei denen es zeitlebens nie zur Bildung eines 
ächten Krystallkegels kommt, sondern immer vier Zellen an dessen 
Stelle gefunden werden; 2. pseudocone Augen, bei denen statt 
des Krystallkegels eine ungeformte flüssige Substanz sich findet; 
und 3. eucone Augen, bei denen ächte Krystallkegel als cutieulare 
Ausscheidungsprodukte von ebensoviel Zellen, als der Krystallkegel 
Segmente hat, nachweisbar sind. Da die uns hier beschäftigende 
Bildung nach meinen Untersuchungen wenigstens in keine der 
genannten Abtheilungen einzureihen ist, so haben wir hier ein 
Novum vor uns. 

Ueber die Form, Lage und Zusammensetzung des fraglichen 
Gebildes, das ich hier zum Unterschiede von den Krystallkegeln als 
Krystallkörper bezeichnen will, geben die Figg. 15—18 Auskunft. 
Es sind schlanke, mit der Spitze nach innen gekehrte Kegel, deren 
Längenverhältniss zur Retinula sechwankend ist, je nachdem das 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 451 


Präparat aus der Mitte oder aus den peripherischen Partien des 
Auges stammt; die in der Mitte ragen weiter nach innen als die 
seitlichen, nehmen dort also einen grösseren Bruchtheil in Anspruch 
als hier. Ich habe sie leider im frischen Zustande nicht unter- 
suchen können, sondern war ausschliesslich auf Spiritusexemplare 
von meistens sehr guter Erhaltung angewiesen. Untersucht man nun 
Schnitte von solchen, ohne Zusatz von pigmentzerstörenden Säuren, 
so ist die Substanz dieser Kegel zwar stark lichtbreehend, fast wie 
bei den Insecten, aber nie so klar und durchsichtig, wie bei diesen fast 
immer, sondern leicht granulirt; ausserdem zeigt die Masse auf 
Längs- wie auf Querschnitte ziemlich unregelmässige Zerklüftungen. 
Lässt man auf derartige Schnitte nun vorsichtig Säuren (ich wandte 
Salzsäure an) einwirken, so verändert sich in wenig Minuten, lange 
bevor das Pigment Spuren von Einwirkung zeigt, ihr Aussehen 
ganz bedeutend. Die Kegelsegmente machen nämlich eine Art 
von Lösungs- oder Schmelzungsprocess durch, indem sie unter 
völligem Verluste ihres eigenartigen starken Lichtbrechungsver- 
mögens, von den Klüften her beginnend, sehr rasch kleiner und 
immer kleiner werden, um bald völlig zu verschwinden. An ihrer 
Stelle bleibt dann zurück, was meine Zeichnungen zeigen: sehr 
unregelmässig den Kegel längs durchziehende, im Allgemeinen von 
der Axe aus radiär gerichtete, aber auch häufig ganz willkürlich 
kreuz und quer verlaufende Membranen mit starken Faltungen, 
und dazwischen allerlei lose Coagula und Granulationen. 

Was sind nun diese Kegelsegmente in morphologischer Hin- 
sicht? Sind es Zellen, wie im aconen, Cutieularbildungen, wie in 
euconen Auge? Ich kann sie für keines von beiden halten, und 
weiss sie überhaupt einstweilen nicht unterzubringen. Ich habe 
mir alle denkbare Mühe gegeben, um eventuelle Kerne in den 
Segmenten, überhaupt im Innern des Kegels, nachzuweisen. Es ist 
mir nieht geglückt; ich habe mit keinem Hülfsmittel und an kei- 
nem Orte auch nur Andeutungen von Kernen aufzufinden vermoeht. 
So, wie sie im fertigen Auge auftreten, können sie meines Erach- 
tens also nicht als Zellen angesprochen werden, womit aber selbst- 
verständlich nicht gesagt sein soll, dass sie zu keiner Zeit ihrer 
Existenz Zellen gewesen seien. Ich halte es im Gegentheil nach 
Abwiegung aller Instanzen noch für das Wahrscheinlichste, dass 
sie modificirte, ihres Kernes verlustig gegangene Zellen sind 
— denn, wie gesagt, ich kann an die Existenz eines Kernes, der 

Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 3l 


459 H. Grenacher: 


mir entgangen sein sollte, nach den Dutzenden von daraufhin 
aufs Sorgfältigste durchmusterten Schnitten kaum mehr glauben. 
— Aber auch dass sie Cutieularbildungen (das Wort im 
weitesten Sinne genommen) sind, will mir nicht in den Sinn; wir 
hätten dann das Recht, nach den Zellen zu fragen, denen sie ihre 
Entstehung verdanken, und da diese, wie die sog. „Semper'schen“ 
Kerne bei den Krystallkegeln der Insecten und Crustaceen bewei- 
sen, doch nicht völlig spurlos zu verschwinden pflegen, hier aber 
nichts von ihnen aufzufinden war, so bestimmt mich dies, der 
ersten Deutung einstweilen, wenn auch selbstverständlich mit allen 
in solehen Fällen gebotenen Reserven, den Vorzug zu geben. 

Wie dem nun auch sein möge — optisch vertreten diese 
Krystallkörper wohl jedenfalls die ächten Krystallkegel, mögen 
sie morphologisch sich auch noch so weit von ihnen entfernen. 
Da die Segmente der letzteren bei allen Schwankungen doch 
immer bei derselben Form die gleichen Zahlenverhältnisse aufwei- 
sen, so lag es nahe, hier das gleiche Verhalten vorauszusetzen. 
Indessen scheint das doch nicht zuzutreffen; es ist zwar schwie- 
riger, als man glauben möchte, auf Querschnitten bestimmte, sichere, 
keinem Zweifel Raum gebende Zählungen vorzunehmen, da die 
trennenden Membranen meist recht kraus durch- oder nebenein- 
ander herlaufen, doch hat eine Anzahl von Fällen mich überzeugt, 
dass die Schwankungen sich zwar innerhalb mässiger Grenzen 
halten (6—8 oder 9 Segmente), aber doch von Beständigkeit keine 
Rede ist (vgl. Fig. 16, Querschnitte durch die Enden zweier Kry- 
stallkörper unweit der Basis)!). 

Für die pereipirenden Organe des Einzelauges steht meines 
Erachtens nichts im Wege, den schon früher von mir vorgeschla- 
genen Ausdruck „Retinula“, der ja nur eine Retina en miniature 
bedeutet, die in das Gesammtauge eingeht, beizubehalten; dagegen 
könnte hier die Anwendung des Ausdrucks „Rhabdom“, mit dem 
ich die zu einem gemeinsamen Stab verschmolzenen Einzelstäb- 
chen im höher organisirten Facettenauge bezeichnete, Anstoss er- 
regen, da er nur auf den untern Theil des Ganzen passen würde. 


1) W. Steinlin (Beiträge zur Anatomie der Retina, in: Verhandlgn. 
der St. Gallischen naturw. Ges. 1865/66. pag. 85 des Sep.-Abdr.; Taf. IH, 
Fig. 17—19) zeichnet „Krystallkörper“ von „Lithobius“ (wohl sicher nach der 
ganzen Form auf Scutigera zu beziehen) fünftheilig. 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 453 


Wenn ich ihn trotzdem hier gebrauche, so weiss ich, dass ich der 
Kürze des Ausdrucks die Consequenz zum Opfer bringe. Die Reti- 
nula mit dem von ihr gebildeten und umschlossenen Rhabdom 
zeichnet sich durch eine exquisite Trichterform aus (vgl. Fig. 15, 
17); mit ihrem nach vorn geöffneten Vorderende umschliessen sie 
eng anliegend die innern zwei Drittel oder drei Viertel des Kry- 
stallkörpers, während der innere solide, der Trichterröhre zu ver- 
gleichende Theil der das Auge nach innen abgrenzenden Cuticula 
aufruht. Das eigentliche Charakteristicum von Retinula und Rhab- 
dom aber ist ihre Zusammensetzung aus zwei etagenförmig über- 
einander lagernden Zellreihen, von denen die eine, der Trichter- 
mündung entsprechende, aus 9—12 Zellen nebst zugehörigen Stäb- 
chensäumen besteht, und sich von der andern, innern, die nur aus 
3—4 Zellen und Stäbehen sich aufbaut, durch eine feine und 
zarte, aber doch ohne besondere Schwierigkeit nachweisbare Tren- 
nungslinie abgegrenzt erweist. 

Zur nähern Orientirung über die Verhältnisse der Form und 
Lage der Retinulaelemente sowie ihrer Stäbchen bitte ich die Figu- 
ren 17 und 18, welehe Seitenansichten resp. optische Längsschnitte 
(Fig. 18 nur durch den vordern Theil), sowie Fig. 19 A,B, C, 
welche Querschnitte durch dieselben in verschiedenen Höhen dar- 
stellen, vergleichen zu wollen. Wie man daraus erkennen wird, 
sind die Retinulazellen im Allgemeinen prismatisch, mit zwei 
geraden Seitenflächen ihre Nachbarn berührend, während die freie 
(abaxiale) Aussenfläche, namentlich der hinteren Zellen, mehr un- 
regelmässig, oft kantig, vorspringt. Die axialwärts gerichtete 
Fläche, bei den Zellen der vordern Reihe ebenfalls eben, bei denen 
der hinteren aber durch das hier drehrunde Rhabdom flach rinnen- 
förmig ausgehöhlt, trägt den Stäbchensaum, der ein im Allgemei- 
nen recht ansehnliches Volumen erreicht, und ein bald (im vordern 
Abschnitt) prismatisches, bald (im hintern Abschnitt) als Segment 
eines Cylinders auftretendes Ansehen hat. Welche Variationen 
hinsichtlich der Grösse und des Aussehens (namentlich der Quer- 
schnitte der Stäbehen) sich finden, davon geben meine Zeiehnun- 
gen (bes. Fig. 19) wohl eine genügende Vorstellung. 

Da die Verengerung des Triehters nach hinten eine ziemlich 
beträchtliche ist, die Zählung der Stäbchen einer grössern Anzahl 
von Querschnitten sowohl durch den vordern als hintern Theil 
desselben aber im Durchschnitt die gleichen Zahlen ergibt, so folgt 


454 H. Grenacher: 


daraus, dass die Verengerung nicht dadurch entsteht, dass einzelne 
Stäbchen, resp. Zellen vor dem hintern Rande endigen, sondern 
nur sich verschmälern (vgl. Fig. 19, C, 1., Querschnitt dieht vor 
dem blinden Ende des Trichters). Anders aber scheint sich dies 
im hintern Theil der Retinula zu verhalten. Hier sind, wie schon 
bemerkt, 3—4 Zellen am Aufbau dieses Abschnittes betheiligt, die 
senau wie bei den höher differenzirten Formen des Facettenauges 
der Inseeten der Länge nach aneinanderliegend ein axiales Gebilde, 
aus ebensoviel Einzelstäbehen bestehend als Zellen da sind, aus- 
scheiden. Prüft man nun Querschnitte durch diesen Theil (Fig. 19, 
B, 1—3; C,2), so wird man wohl ziemlich ausnahmslos (ich kann 
mich wenigstens nicht erinnern es anders gesehen zu haben) vier 
Zellen in der Umgebung des Rhabdoms finden; liegt der Sehnitt 
mehr nach vorn gegen die Trichteröffnung hin, so zeigt sich das 
Rhabdom auch meist deutlich 4theilig, aber so, dass fast immer 
3 der Segmente ein entschiedenes Uebergewicht über das 4te be- 
haupten, während Querschnitte weiter nach hinten meist nur drei 
Segmente aufweisen. Hier scheint also ein allmähliges Auskeilen 
eines Stäbchens stattzufinden, an dem sich die zugehörige Zelle 
nicht betheiligt. 

Als ein Punkt von besonderer Bedeutung ist nun noch die 
Verbindung dieser Zellen mit den Fasern des Opticus (Op. Fig. 17) 
hervorzuheben. Dieser letztere tritt, in sehr zahlreiche, unter der 
innern Cuticula (Cu) in regelmässiger Anordnung sieh ausbrei- 
tende Aeste gespalten, wie bei den Facettenaugen der Inseeten 
und Crustaceen zu den Einzelaugen heran. Bei diesen letzteren 
ist es mir nur ganz ausnahmsweise gelungen (vgl. l. ec. Tai. VII 
Fig. 44 von Tipula), durch die Beobachtung des Eintritts der Ner- 
venfaser in die Retinulazelle den Nachweis zu führen, dass die beim 
einfachen Auge so allgemein beobachtete Form des Uebergangs 
der Nervenfaser in die Substanz der stäbchentragenden Zelle auch 
hier Geltung hat, und andere Formen, etwa freie Nervenendigung, 
oder directe Verbindung der Nervenfasern mit den Stäbchen einst- 
weilen ausserhalb der Wahrscheinlichkeit liegen !). Nun ist klar, 


1) Claus (Organismus der Phronimiden, in: Arb. Zool.-zoot. Inst. Wien 
II. Heft 2. page. 70 d. Sep.-Abdr.) scheint aus der Seltenheit jener Beobach- 
tungen sowohl, wie aus dem röhrigen Bau der Retinula der Phronimiden 
eine solche freie Nervenendigung noch immer für möglich, resp. bedingt 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 455 


dass für die beiden Zellenreihen, welehe den vordern und hintern 
Abschnitt der Retinula zusammensetzen, auch gesonderte Nerven- 
verbindungen existiren müssen, wenn sie morphologisch und func- 
tionell mit den entsprechenden Perceptionsorganen der Insecten 
und Crustaceen gleichwerthig sind. Für die inneren Zellen, die 
mit breiter Basis der untern Grenzeutieula aufsitzen, ist dieser 
Nachweis nun freilich mit nicht geringeren Schwierigkeiten ver- 
knüpft, als bei den andern Facettenaugen überhaupt, und in der 
That ist es mir aueh nie gelungen, ein deutliches Durchtreten einer 
Nervenfaser durch die (im optischen Schnitte gesehene) Cutieula 
und Vereinigung derselben mit der Substanz der Retinulazellen 
zu beobachten, was freilich bei den winzigen Dimensionen u. s. w. 
der hier in Frage kommenden Gebilde nicht überraschen kann. — 
Anders sieht es mit den äussern Retinulazellen (RI! Fig. 17, 18) 
aus, die um die ganze Länge der innern (RIT) von der Optieus- 
ausbreitung entfernt sind. Diese gehen an ihrem Hinterende, und 
zwar an einem nach aussen (abaxial) gerichteten Zipfel in je eine 
feine Faser aus (N, Fig. 17, 18), die, den innern Retinulazellen 
äusserlich aufliegend, sich nach hinten bis zur Cutieula verfolgen 
lässt, um dort freilich sich den Blieken zu entziehen. Dies Ver- 
halten, zwar schwierig und nur mit ebenso starken als scharfen 
Vergrösserungen bei Exemplaren bester Erhaltung zu beobachten, 
habe ich so oft eonstatirt, dass alle anfänglich dagegen gehegten 
Zweifel nothwendig verschwinden mussten, und wie ich glaube 
wird auch eine objeetive Beurtheilung an der noch nicht beobach- 
teten Perforation der Cutieula durch die Nervenfasern keinen An- 
stoss nehmen. — Bemerkt mag auch noch werden, dass die Quer- 
schnitte durch die innersten Partien der Retinula nicht selten noch in 
ihrer Umgebung die punktförmigen Querschnitte dieser Fasern zeigen. 

Die Kerne der Retinulazellen liegen bei beiden Abschnitten 
nahe an den Vorderenden; sie sind mit Leichtigkeit (an entfärb- 
ten Präparaten besonders) nachzuweisen, namentlich leicht dann, 
wenn sie mit gelöstem Pigmente, das sie begierig aufnehmen, im- 
bibirt sind. Mehr Kerne in den Retinulazellen nachzuweisen, als 
die gezeichneten, ist mir hier ebensowenig als bei anderen Myria- 
poden oder sonstigen Arthropoden gelungen. 

Ich möchte nun noch die Aufmerksamkeit auf eine Struktur- 


wahrscheinlich zu halten. Vielleicht dient auch der vorliegende Fall dazu, 


seine etwaigen Bedenken beseitigen zu helfen. 


456 H. Grenacher: 


eigenthümlichkeit der Stäbchen lenken, die mir nicht häufig, 
aber doch ein paarmal vorkam, und welche Fig. 18 versinn- 
lichen soll. Während nämlich die Stäbehensäume im Allgemeinen 
durch ihre klare und homogene Beschaffenheit, sowie durch ihre 
relativ starke Liehtbrechung sich auszeichnen, habe ich bei sonst 
sehr gut erhaltenen Exemplaren zuweilen Stäbehen getroffen, die 
durch eine feine und zarte, sonst aber nicht gerade sehr regel- 
mässige Querstreifung den Eindruck etwa der bekannten „Plätt- 
chenstruktur“ machen, oder noch besser, als ob sie wieder aus 
einer Unzahl winziger mit einander verlötheter, horizontal gerich- 
teter Stäbchen bestünden (Fig. 15, Rm'). Ob wir hier Anklänge 
an die Stäbchenbildung bei Julus und Glomeris vor uns haben, 
d. h., die Stäbehensäume von Scutigera als aus einer grossen An- 
zahl einzelner Häärchen hervorgegangen ansehen müssen, ist natür- 
lich nicht so ohne Weiteres zu entscheiden. 

Die Pigmentirung des Auges beruht theils auf der Ablage- 
rung von Pigmentkörnern in den Retinulazellen selbst (vgl. Fig. 15), 
theils in der Ausbildung besonderer Pigmentzellen. Erstere sind 
namentlich reich pigmentirt in der unmittelbaren Nachbarschaft 
der Stäbehen. Von den Pigmentzellen lassen sich drei distinete 
Formen unterscheiden. Zunächst ist die Basis der Krystallkörper 
von einem Kranze grosser abgeplatteter Pigmentzellen umgeben, 
welche den Zwischenraum zwischen dem Vorderrande der Retinula 
und der Corneafacette erfüllen, und den Einfall alles anderen als 
des durch die letztere kommenden Lichtes völlig hindern (Figg. 15 
—18, Pg.). Auch hier scheinen keine constanten Zahlen zu herr- 
schen, 8—10 dürfte aber etwa der Regel entsprechen. Nur selten 
sind sie übrigens so stark vorgewölbt, wie Fig. 16 (Querschnitt) 
sie zeigt; meist sind sie ganz flach, dann aber schwierig zu zäh- 
len. — Die zweite Form liegt zwischen den Einzelaugen, ungefähr 
in der gleichen Höhe mit den vorigen, d. h. mit ihren Kernen 
(Fig. 17, 18, 19, Pg!.). Diese sind lang spindelförmig ausgezogen, 
vielleicht sogar Pigmentfäden, die bis zur inneren Cuticula reichen, 
was nach geschehener Entfärbung sich freilich nur schwierig con-. 
statiren lässt. Der ersten Kategorie kommen scheibenförmig ab- 
geplattete, der zweiten spindelförmige Kerne zu. — Eine dritte 
Reihe findet sich am hinteren Abschnitt der Retinula, dieht hinter 
dem Ende des Krystallkörpers (Fig. 18, 19, C, 2. Pg!T), wo sie 
auf oder zwischen den Retinulazellen liegen, mit ihren Kernen 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 457 


etwa im Niveau der letzteren, von diesen aber durch ihre ebenfalls 
langgezogene Gestalt auf den ersten Blick zu unterscheiden. — 
Endlich wäre noch die dichte Pigmentirung der Sehnerven und der 
innern Cuticula zu erwähnen, die aber nicht näher geprüft wurde. 


Damit habe ich meine Erfahrungen über diese interessante 
Augenform und zugleich über die Augen der Myriapoden über- 
haupt erschöpft. Sehen wir nun zu, ob und wie sich die hier 
mitgetheilten Resultate zusammenfassen und in physiologischer 
Hinsicht verwerthen lassen. 

In morphologischer Beziehung stossen wir gleich beim An- 
fang auf ernstliche Schwierigkeiten in sofern, als eine der Haupt- 
fragen sich meines Erachtens mit dem vorliegenden Materiale nicht 
genügend lösen lässt; nämlich die Frage, ob die Weichtheile des 
Myriapodenauges im Allgemeinen als einschichtig oder als 
zweischichtig zu bezeichnen sind. Ich habe in meinen frühern 
Untersuchungen auf die einfachen Augen der Larven einiger 
Wasserkäfer, besonders von jungen Dytiscus- und von Acilius- 
Larven besonders hinweisen können, weil bei diesen das Hervor- 
gehen nicht nur des Glaskörpers, sondern auch der Retina aus 
den Elementen der Hypodermis sich durch die ununterbrochene 
Continuität manifestirt; ich habe dann ferner den Gegensatz be- 
tont, in dem sich die Stemmata der Spinnen und Insecten zu jenen 
dadurch befinden, dass durch die Unterbrechung jener Continuität 
die Retina ein Stratum für sich bildet, dessen aus allgemeinen 
Gründen wahrscheinliche Entstehung aus der Hypodermis aus der 
anatomischen Anordnung der Theile allein sich nicht mehr er- 
schliessen lässt. Wie verhalten sich nun die Myriapodenaugen zu 
jenen beiden Formen? So einfach wie Sograff können wir uns, 
glaube ich, nieht aus der Affaire ziehen, der, jenen gewichtigen Unter- 
schied anscheinend völlig ignorirend, sagt (l. c.): „Die Augen der Litho- 
bien und Scolopendren gleichen gänzlich den Augen der Aeilius- 
und anderer Käferlarven, sowie den Spinnenaugen“. Hier kann es 
für den Einzelfall nur heissen: entweder — oder; und zur Verein- 
fachung der Frage trägt es sicherlich nicht bei, wenn wir bei ver- 
schiedenen Exemplaren ein und derselben Art hier Thatsachen be- 
obachten, die nur in dem einen Sinne deutbar sind, dort aber 
wieder andere, die schnurstracks die entgegengesetzte Interpretation 
nöthig machen. 


458 H. Grenacher: 


In der That, hätte ich blos Präparate zu Gesicht bekommen, 
wie sie Fig. 1—4 von Scolopendern, Fig. 11 und 13 von Julus 
und Glomeris zeigen; hätte ich ferner nicht gelegentlich die mit 
K bezeichneten Kerne hinter der Linse von Lithobius (Fig. 8) be- 
merkt — nach kurzer Ueberlegung würde wohl mein Urtheil sich 
für die Einschichtigkeit der Weichtheile des Myriapodenauges, und 
für den Anschluss an das der Wasserkäferlarven haben entscheiden 
müssen. Denn trotz aller als secundär zu betrachtenden Unter- 
schiede in der Form- und Grössenentwickelung der Einzelbe- 
standtheile spricht die Anordnung der Elemente des Glaskörpers 
der Scolopender, mit ihren nach aussen gewandten Enden, so- 
wie die Anlagerung der gleichgerichteten Retinazellen an jene, 
gewichtig genug für eine Vergleichung in jenem Sinne. Noch 
weniger zweifelhaft kann die Einschichtigkeit der Augen von Julus 
und Glomeris sein, obgleich hier durch den Ausfall des Glaskörpers 
die Aehnlichkeit mit den Augen jener Käferlarven in den Hinter- 
grund tritt. Nun halte man aber daneben die Fälle wie Fig. 5 uns 
einen zeigt, in denen, von geringfügigeren Differenzen ganz abge- 
sehen, der Glaskörper, nach der Art des Spinnenauges angeordnet, 
eine eontinuirliche unter der Linse hinziehende Schicht, anscheinend 
völlig ausser Uonnex mit der Retina stehend, bildet — was soll 
man dazu sagen? Wüssten wir nicht, dass das Thier, dem dies 
Präparat entnommen ist, inandern Exemplaren genau den gleichen 
Augenbau wie Fig. 1—4 zeigt, so würden wir in dieser Form ein 
ebenso typisches zweischichtiges Auge erkennen, wie im Spinnen- 
oder Inseetenstemma. Welchen von diesen beiden Zuständen, die 
sich in den verschiedenen Phasen des individuellen Lebens ab- 
wechselnd ablösen, sollen wir nun als den primären ansprechen, 
um den andern (was an sich keine Schwierigkeit böte) darauf zu- 
rückzuführen? Hier, glaube ich, kann blos die Beobachtung der 
ersten Anlage in der Entwiekelung eine sichere Antwort geben; 
ich wenigstens fühle mich ausser Stande, aus den bisher vorliegen- 
den Thatsachen allein zu entscheiden. — Analog steht es bei Zi- 
thobius, wo die paar von mir nicht immer gesehenen Zellenkerne 
ein Hinderniss bilden, das Auge schlechthin als ein einschichtiges 
zu betrachten. Von Scutigera haben wir noch nicht gesprochen, 
aus dem einfachen Grunde, weil hier die Elemente des Krystall- 
körpers einer morphologischen Deutung sich nicht fügen wollen; 
sind es, wie ich oben vermuthungsweise andeutete, ihres Kernes 


ur 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 459 


verlustig gegangene Zellen, so ist selbstverständlich von einer Ein- 
schichtigkeit des Auges nicht mehr zu reden. 

Hier tritt uns nun entgegen, dass es hauptsächlich die Chilo- 
poden unter dem zur Untersuchung gelangten Materiale sind, 
welche zu solchen Zweifeln Veranlassung geben, während die beiden 
Chilognathen, Julus und Glomeris, solche weniger anregten — 
immer die durch die Untersuchung gelieferten Resultate als zu- 
treffende vorausgesetzt. Bei den bekanntlich bedeutenden anato- 
mischen Verschiedenheiten, die sonst die beiden Ordnungen von 
einander trennen, kann es auch nicht besonders überraschen, wenn 
diese auch im Augenbau ihren Ausdruck finden sollten; und es 
sollte mich nur freuen, sie constatiren zu können, wenn der jetzige 
Zustand unserer Kenntnisse, der jede Formulirung noch verbietet, 
nur eine präcisere, minder verclausulirte Fassung gestattete. 

Wie wir daraus ersehen, sind auch der Möglichkeit, die hinter 
der Linse gelegenen Weichtheile des Myriapodenauges auf einander 
zurückzuführen, sehr enge Grenzen gezogen. 

Vergleichen wir die Zellen des Glaskörpers der Scolopen- 
driden mit denen im Spinnenstemma, so sind wir um beiden ge- 
meinsame Züge nicht verlegen. Hier noch weniger als dort ist 
ihre Genese aus den Elementen der Hypodermis anzuzweifeln ; 
hier wie dort ist die Linse auf sie zurückzuführen, und hier wie 
dort tritt uns ihre hervorragende Durchlässigkeit für Licht ent- 
gegen. — Schon anders gestaltet es sich bei Lithobius. Statt eines 
bestimmten Glaskörperstratum treten uns hier eigenthümliche Zellen 
entgegen, die haartragenden Zellen -(H Z Fig. 9, 10): mit der starken 
Pigmentirung des Zellenleibes, welche die eine Seite der Function 
der Glaskörperzellen ausschliesst, tritt zugleich die Bildung jener 
feinen eiliären Anhänge auf, die wir nur hier, bisher sonst nirgends, 
finden. Dass sie am Aufbau der Linse sehr wesentlich betheiligt 
sein mögen, darauf lässt ihre Lagerung schliessen; dass aber auch 
hier ihre Leistung durch die noch so räthselhaften Elemente, deren 
Kerne (K Fig. 9) zur Beobachtung kamen, ergänzt wird, ist zum 
mindesten nicht unwahrscheinlich. — Bei Zulus und Glomer:s fällt 
Alles fort, was irgendwie auf die Bezeichnung „Glaskörper“ Anspruch 
erheben könnte; dafür tritt dann die Continuität der Hypodermis 
mit den Augenweichtheilen inelusive Retina um so entschiedener 
in den Vordergrund. Als unzweifelhaft am Linsenaufbau betheiligt 
sehen wir bei Julus diejenigen Pigmentzellen an, welche den Kegel- 


460 H. Grenacher: 


mantel der inneren Linsenprotuberanz überziehen; wie aber die 
Bildung der abgestutzten Grenzfläche des Conus zu Stande kommt, 
das wissen wir einfach nicht. — Dasselbe gilt auch für G@lomeris. 
— Bei Seutigera endlich treffen wir wieder anscheinend analoge 
lichtdurcehlassende Elemente in einer Beziehung zur inneren Linsen- 
fläche (die Segmente des Krystallkörpers), die uns unbedingt auch 
die Abhängigkeit der Linse von jenen verrathen würde — wenn 
sie eben nur Zellen wären; andere Elemente aber können wir 
kaum dafür verantwortlich machen. 

Den Beweis zu führen, dass auch die Zurückführung der Re- 
tinaelemente auf die Hypodermis in allgemeiner Weise zur Zeit noch 
nicht gelingen kann, das darf ich mir wohl ersparen. Hoffentlich 
sind spätere Forscher glücklicher als ich. 

Unabhängig von der Unsicherheit der morphologischen Deu- 
tung der einzelnen Augenbestandtheile, nicht berührt von der vor- 
läufigen Ergebnisslosigkeit derselben, bleibt die Würdigung der 
Leistung des Myriapodenauges, über die noch ein paar Worte ge- 
stattet sein mögen. 

Während man nach Graber’s Untersuchungen einfach an- 
nehmen müsste, dass wenigstens die Augen der Scolopendriden, 
sowie von Lithobius und Julus nach Art des Spinnenauges — wir 
können auch sagen, des Vertebratenauges — durch Bildperception 
funetioniren, unbekümmert um die Schwierigkeiten, die sich bei 
letzteren beiden Gattungen aus der grösseren Augenzahl ergeben, 
stellt sich nach meinen Untersuchungen die Sache für mich in 
einem ganz andern Lichte dar. Weit entfernt, die Bilderzeugung 
wenigstens durch die so schön und regelmässig gewölbten Linsen 
von Scolopendriden, Lithobius und @Glomeris in Abrede stellen 
zu wollen (für Zulus ist sie mir allerdings mehr als zweifelhaft), 
glaube ich doch den Nachweis wagen zu dürfen, dass dieselbe hier 
fast ebenso nutzlos, d. h. unwesentlich ist, wie im Facettenauge 
der Inseeten und Crustaceen. Ich stütze mich hiefür auf den Bau 
der Retina: allerdings nicht, wie dort, um aus der geringfügigen 
Zahl der pereipirenden Elemente, für welche uns auch hier die 
Stäbchen gelten müssen, oder aus ihrer aus der Projeetionsebene 
des Bildes hinausgerückten Lage die Insuffieienz derselben zur 
Bildpereeption zu demonstriren; sondern ich fusse wesentlich auf 
ihrer Richtung zum einfallenden Lichte, um darzuthun, dass 
an eine Perception nach jenem Modus nicht wohl zu denken ist, 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 461 


so lange die zur Zeit geltenden Anschauungen über die Rolle der 
Stäbehen beim Perceptionsacte Geltung haben. 

Vergleichen wir das Auge eines der von mir untersuchten 
Scolopendriden mit dem Stemma einer Spinne, Insectenlarve 
oder eines Inseetes, wie ich sie früher (1. e. Taf. I—V.) zur Dar- 
stellung brachte, so ergeben sich die schon oben angedeuteten, für 
die Interpretation in funetioneller Hinsicht besonders wichtigen 
Unterschiede zwischen beiden Formen wie folgt. Im gewöhnlichen 
Arthropodenstemma treffen wir in einem durch die Ausdehnung 
des Glaskörpers bestimmten, bald grösseren bald kleineren Abstand 
von der Linse die Retina als eine mehr oder weniger regelmässig 
eoncentrisch mit der Linse gekrümmte Projectionsfläche, auf der 
die pereipirenden Elemente (Stäbchen) annähernd senkrecht, also 
so stehen, dass sie ihre Querschnitte dem auf der Projectionsfläche 
zur Vereinigung gelangenden Lichte zur Durchstrahlung darbieten; 
und darauf beruht die gesonderte Perception des von den beson- 
dern leuchtenden Punkten des Gesichtsfeldes kommenden Lichtes. 
Hier dagegen, im Scolopendridenauge, schliessen sich dicht an die 
Linse eine Menge senkrecht zur Augenaxe gerichteter, 
schichtenweise hinter einander liegender Perceptionselemente an, 
von einer Anordnung also, die eine gesonderte Perception des von 
bestimmten Punkten kommenden, durch die Linse in bestimmter 
Tiefe wieder vereinigten Lichtes geradezu zur Unmöglichkeit machen 
muss. Denn es ist nicht einzusehen, warum die Lichtstrahlen, 
die vor und nach ihrer Vereinigung hinter der Linse eine Menge 
von Stäbchen der Quere nach zu durchsetzen haben, alle diese 
nicht, sondern nur ganz allein jene erregen sollen, auf denen sie 
sich vereinigen: affıciren sie aber alle durchlaufenen Stäbchen, so 
erregt das von einem Punkte ausgehende Strahlenbüschel statt 
eines oder nur weniger Stäbchen, wie im Spinnenauge z. B., deren 
eine ganze Menge. Da dies aber von jedem von einem beliebigen 
Punkte der Aussenwelt, der überhaupt Strahlen in das Auge senden 
kann, ausgehenden Strahlenbüschel gilt, so müssen nothwendig alle 
Stäbchen ziemlich gleichmässig von der gesammten Lichtmasse 
affieirt werden. Damit ist aber die Fundamentalbedingung für die 
gesonderte Perception verletzt. 

Zum gleichen Resultate führt eine etwas andere Betrachtungs- 
weise. Jedes der quer gerichteten Stäbchen ist seiner ganzen Er- 
streekung nach der Durchstrahlung ausgesetzt, aber auf jeden 


462 H. Grenacher: 


Bruchtheil seiner Erstreckung kann durch die Projeetion der Linse 
anderes, von verschiedenen Punkten der Aussenwelt ausgehendes 
Licht fallen. Dass ein solches Stäbchen nur an einer bestimmten 
Stelle pereipire, wäre eine willkürliche, durch keinen Anhaltspunkt 
zu stützende Annahme; reagirt es aber überall gleichmässig, so 
müssen die verschiedenartigsten Eindrücke sich mischen oder com- 
pensiren, und damit ist wieder jede Speeification aufgehoben. 

Kurz, wir mögen die Sache drehen und wenden wie wir wollen: 
sind die von mir als Perceptionsorgane analog denen in andern 
Augen gedeuteten Stäbehen wirklich die Träger dieser Funetion, 
so ist, und hauptsächlich durch ihre Anordnung, eine jede Unter- 
scheidung der lichtaussendenden Körper der Aussenwelt, jedes auf 
Loealisirung der Eindrücke beruhende Sehen, ausgeschlossen, und 
es bleibt nichts übrig, als die Wahrnehmung von Hell und Dunkel 
in ihren verschiedenen Abstufungen; und dies Resultat wird auch 
durch den Umstand, dass jederseits vier solcher unvollkommen 
funetionirenden Augen vorhanden sind, nicht wesentlich modifieirt. 

Wenn uns bei dieser Betrachtungsweise unser Resultat als ein 
etwas paradoxes erscheint, so ist das wohl hauptsächlich dem 
Umstande zuzuschreiben, dass hier unverhältnissmässig grosse Mittel 
aufgewandt werden, mit denen, wie man versucht ist zu sagen, die 
Natur weit mehr hätte ausrichten können. Es wäre in der That 
anscheinend ein Leichtes gewesen, aus einem solchen Scolopen- 
dridenauge ein Organ zu schaffen, das hinsichtlich der Leistungs- 
fähigkeit sich an die Spinnenaugen hätte anreihen lassen; es hätte 
dazu ja nur der Umlagerung des ohnehin schon vorhandenen 
Materials, der Zellen des Glaskörpers, sowie der Retina nebst den 
Stäbchen bedurft. Warum sie dies unverantwortlicher Weise unter- 
lassen hat, diese Frage zu erörtern können wir den Teleologen 
und Dysteleologen überlassen. 

Prüfen wir nun ein Einzelauge von Julus und von Glomeris 
nach diesen Gesichtspunkten, so dürfte die Ausführung, dass das 
Resultat ganz das gleiche wie vorhin sein müsse wegen derselben 
Anomalie der Stäbehenrichtung zum einfallenden Lichte, wohl 
überflüssig sein. Selbst wenn man die Einzelstäbehen in diesen 
Augen, die, wie ich oben gezeigt habe, numerisch die Zellen, sowie 
auch die zutretenden Optieusfasern weit übertreffen, als ebensoviele 
Klementarorgane der Perception in Reehnung bringen wollte — was 
aber schwierig plausibel zu machen sein dürfte — so würde da- 


oO 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 465 


dureh das Resultat nieht berührt werden. — Nur in einer Be- 
ziehung hat das Auge dieser Thiere, namentlich von Julus, einen 
Vorsprung vor dem der Scolopendriden voraus, indem die Ein- 
zelorgane sich nach den Bedingungen des musivischen Sehens er- 
gänzen können. Bei der so geringen Anzahl von Augen bei Julus, 
der noch weit geringern bei Glomeris dürfte aber dieser Vorsprung 
kaum hoch anzuschlagen sein. 

Nicht ganz so leicht ist der Nachweis des gleichen Verhaltens 
für das Auge von Zithobius zu führen, da hier, die Richtigkeit meiner 
Beobachtungen vorausgesetzt, wenigstens ein Theil der Stäbchen 
ihre Querschnitte dem einfallenden Lichte zuwenden. Hier kommt 
aber noch mehr ein Umstand in Betracht, der zwar auch bei den 
vorhin besprochenen Augen sich findet, jedoch nur als ein Mo- 
ment von secundärer Bedeutung: es ist dies der Mangel an dem 
die Stäbehen von einander isolirenden Pigment, der eine scharfe 
Localisirung des Reizes nicht gestattet. Ausserdem ist der nur 
geringen Stäbcehenzahl Rechnung zu tragen als eines ferneren Mo- 
mentes für die Unwahrscheinlichkeit der Bildperception. Dagegen 
würde auch in diesem Falle durch die Aneinanderlagerung einer 
wenn auch nur beschränkten Anzahl von Einzelaugen eine gewisse 
Abstufungsfähigkeit der gleichzeitigen Eindrücke nach der Art des 
musivischen Sehens anzunehmen sein. 

Weit einfacher liegen die Dinge für das Auge von Sceutigera. 
Ich habe dasselbe schon oben als ein zusammengesetztes bezeichnet, 
dessen Anordnungsverhältnisse, von allen innern Structurverschie- 
denheiten abgesehen, durchweg nur mit denen der Insecten und 
Crustaceen verglichen werden können. Dass auch die aus der 
morphologischen Beschaffenheit abzuleitende Leistung des Einzel- 
auges sowohl wie des Gesammtcomplexes von der dort herrschen- 
den nicht in irgend wesentlichen Beziehungen differiren kann, 
glaube ich hier um so weniger ausführen zu müssen, als ich schon 
früher (l. e. pag. 142—157) die hierbei maassgebenden Factoren 
einer eingehenden Analyse unterworfen habe, und daher wohl dar- 
auf verweisen darf. 

Nur noch eine kurze Bemerkung zum Schlusse. In meinem 
Buche habe ich geglaubt, das Facettenauge von Limulus in nähere 
Verwandtschaft zu dem Myriapodenauge bringen zu dürfen (l. e. 
pag. 131). Jetzt, nach näherer Kenntniss dieses letzteren, habe ich 
jene Ansicht allerdings zu modifieiren, d. h. jene Verwandtschaft 


464 H. Grenacher: 


auf diejenigen Myriapodenaugen einzuschränken, die, wie Julus 
und Glomeris, am evidentesten einschichtig sind, wie es das Auge 
von Limulus auch zu sein scheint. Eine weitere Discussion darüber 
würde, da noch eine Reihe von Lücken auszufüllen sind, zu 
nichts führen. 


Rostock, Ende Juni 1880. 


Nachtrag. 


Wenige Tage nach Absendung des Manuscripts vorstehender 
Arbeit erhielt ich durch die Güte des Verfassers die nunmehr ge- 
druckte ausführliche Arbeit Sograff’s über Myriapoden !). Der 
Text ist mir leider unverständlich, aber die — beiläufig bemerkt, 
mit seltener Meisterschaft gezeichneten und ebenfalls sehr schön 
in Farbendruck ausgeführten — Tafeln (namentlich Taf. III) bie- 
ten, falls ich sie richtig verstehe, wenigstens einige Anhaltspunkte 
zur Vergleichung seiner Resultate mit den meinigen. Seine Unter- 
suchungen erstrecken sich auf Scolopendra aralo-caspica (Fig. 16, 17), 
Lithobius forficatus (Fig. 14) und Cermatia coleoptrata (Scutigera 
araneoides) (Fig. 15). Trotzdem ich nach diesen Zeichnungen eine 
Reihe von Differenzen zwischen unsern Untersuchungen sehe, sind 
sie doch weit eher unter sich vergleichbar, als mit denen Gra- 
ber’s, da (für Scolopendra und Lithobius wenigstens) die Elemente 
der Retina überall einzellig dargestellt sind. 

Von Scolopendra hat Sograff keinen Längsschnitt durch 
das ganze Auge, sondern nur einen Querschnitt durch die Retina 
(Fig. 17) sowie ein Stück eines Längsschnittes einer Randpartie 
derselben (Fig. 16) gegeben. Aus beiden geht hervor, dass auch 
hier die Stäbehen horizontal gelagert sind; freilich scheint der 
Erhaltungszustand seines Materiales, nach der Art zu schliessen, 
wie er die Stäbchen wiedergibt, sehr ungünstig gewesen zu sein. 
— Bei Lithobius scheint ihm die Differenzirung der hinter der 
Linse gelegenen Zellen des Augenmantels in haartragende Zellen 
und Retinazellen nicht klar geworden zu sein; er zeichnet sie im 


1) Anatomie von Lithobius forficatus. Moskau 1880. Mit 3 Taf. gr. 4°. 
(In russischer Sprache.) 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 465 


ganzen Umfang gleichmässig, die vordern ohne den charakteristi- 
schen Haarbesatz, die hinteren ohne Stäbchen; ausserdem fehlt die 
Andeutung des Uebergangs der Opticusfasern in die Retinazellen. 
Dagegen sind ihm die hinter der Linsenmitte gelegenen Kerne 
nicht entgangen; nach der Buchstabenbezeichnung (erp. vit.) zu 
schliessen, bezeichnet er sie als Glaskörper, was morphologisch 
sicherlich nicht zu beanstanden ist, obschon sie physiologisch 
kaum die Rolle eines solchen spielen können. 

Am wenigsten scheint seine Untersuchung des Auges von 
Scutigera (Cermatia) vom Glück begünstigt gewesen zu sein. Ich 
finde in seiner Figur 15 zwar wohl den „Krystallkörper“ (erp. 
vitr.), sowie die Retinula (nrv.) wieder, aber von all den so eigen- 
thümliehen Structurverhältnissen, welche ich ausführlich oben be- 
schrieben habe, ist nichts angegeben. — Wenn die kugeligen 
Körper, die er im Krystallkörper zeichnet, Kerne der Segmente 
desselben vorstellen sollten, so ist es ja wohl möglich, dass er 
hierin vielleicht glücklicher war als ich; doch können in dieser 
Region gar leicht Verwechselungen mit Kernen der Pigmentzellen 
oder der vordern Retinulazellen vorkommen. 


Rostock, 10. Juli 1880. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX und XXl. 


Bedeutung einiger mehrfach vorkommenden Buchstaben. 


L = Linse. 

Lf = Linsenfacette (Fig. 15, 17). 

Cu — Aeussere (Leibes-) Cuticula. 
Cul — (Cutieula um das Einzelauge. 
CuH == Innere Cuticula. 

Gk — Glaskörper. 

Hy = Hypodermis. 

Rz — Retinazellen. 

RIT, RIN — Retinulazellen. 


St — Stäbchen. 


466 


Fig. 


Fie. 


Fie. 


IS) 


o 


6. 


„10. 


H. Grenacher: 


Rm!, RmlU = Rhabdom. 

Pg, PgT, PIH — Pigmentzellen. 

HZ — Haartragende Zellen (Fig. 9, 10). 
Kk — Krystallkörper. 

Op — Nervus opticus. 

N — Nervenfaser (Fig. 17, 18). 


IEaTRE ER: 


Durchschnitt durch ein Auge von Scolopendra tahitiana (Ver. '20/,) 
mit noch erhaltenem Pigment. 

Seitlicher Theil des Glaskörpers und der Retina von derselben Art. 
(Vgr. *5°%/,, Imm. 1. Oc. II Zeiss.) Die Stäbchen (St.) sind aus 
Raumrücksichten im Verhältniss zu den Retinazellen viel zu kurz 
gezeichnet. 

Durchschnitt durch ein Auge von Cormocephalus foeeundus. (Ver. 
340/,, Imm. 1. Oc. IL) Das Pigment ist grossentheils durch Kalilauge 
zerstört. 

Durchschnitt durch ein Auge von Heterostoma australiecum (Vgr. 
340/ , Imm. 1. Oc. U); nach Behandlung mit Ac. nitr., wodurch das 
Pigment nur theilweise gelöst, aber geröthet wurde. 

Durchschnitt durch den vorderen Theil eines Auges von Branchio- 
stoma australicum (Ver. °#%,, Imm. 1. Oc. ID); Linse noch unausge- 
bildet, der Glaskörper sehr stark und abnorm entwickelt, was auf 


überstandene Häutung schliessen lässt. 


Querschnitt durch einige Retinazellen von Cormocephalus gracilis 
(Vgr. °6%/,, Imm. 3, Oe. D). Die Pigmentkörner sind etwas zu klein 
ausgefallen. 


Querschnitt durch einige Stäbchen der gleichen Art; bei derselben 
Vergrösserung gezeichnet. 

Cuticula und äussere Pigmentlage (Pg.) eines Auges von Heterostoma 
australicum im Querschnitt, nach Entfärbung durch Kalilauge (Vgr. 
460, Lmm.21.,0e. 111): 

Schnitt durch zwei Einzelaugen von Lithobius; von einem ziemlich 
kleinen Exemplar. (Vgr. °%/,, Imm. 2. Oc. I.) Nach Entfärbung 
durch Salzsäure, und Kerntinktion durch das gelöste Pigment. — 
Zwischen den Einzelaugen liegen einzellige Integumentdrüsen (Dr.). 
K, Kerne hinter der Linse. 

Querschnitt durch ein solches Auge in der Region der haartragen- 
den Zellen, etwas schematisirt; bei gleicher Vergr. gezeichnet. 


Fig. 


le 


„12. 


1. 


. 14. 


ID. 


16. 


17, 


418, 


2319: 


Ueber die Augen einiger Myriapoden. 46 


Tate! XXI. 


Schnitt durch zwei Einzelaugen von Julus (1, 2), bei gl. Vergr. — 
1, Auge mit zerstörtem, 2, Auge mit noch fast völlig erhaltenem 
Pigment. 

Querschnitt durch die Retina zweier solcher Augen, entfärbt, bei 
gleicher Vergr. 

Schnitt durch zwei Einzelaugen von Glomeris (Ver. °*%,, Imm. 1. 
Oc. II). 1, mit zerstörtem, 2, mit erhaltenem Pigment. 
Wahrscheinlich etwas schräger Schnitt durch ein Auge von Glomeris, 
bei gl. Vergr. 

Zwei Einzelaugen von Seutigera, noch mit Pigment (Vgr. 3°%/,, E, 
Oc. ID). 

Querschnitt durch zwei Einzelaugen ebendaher, in der Region der 
vordern Pigmentzellen (Pg.) (Vgr. °°°/,, Imm. 2. Oc. II). 
Einzelauge, ebendaher, mit Salzsäure entfärbt, mit Pigmenttinktion. 
(Vgr. dieselbe.) 

Vorderer Theil der Weichtheile eines Einzelauges des gleichen Thie- 


res, gleiche Vergr. und Behandlung. 


Querschnitte durch eine Anzahl Retinulae desselben Thieres in ver- 


schiedenen Höhen, bei gl. Vgr. — A, vier Querschnitte durch den 
vordersten Theil, in der Region der Kerne. — B, 1—3. Querschnitte 
durch den innern soliden Theil. — C, 1, 2. Querschnitte durch Re- 


tinulae eines andern Exemplares; 1, durch den innersten Theil des 
Trichters, 2, durch den soliden Theil. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 32 


468 J. Stilling: 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 


Von 


Dr. 3. Stilling, 
Privatdocent der Augenheilkunde a. d. Universität Strassburg. 


(Anatomisches Institut zu Strassburg, Elsass.) 


Hierzu Tafel XXI. 


Bereits seit einer Reihe von Jahren bin ich mit Untersuchungen 
über den Bau der optischen Centralorgane beschäftigt und habe 
auch einen Theil der erhaltenen Resultate mehrfach mitgetheilt, so- 
wie die entsprechenden Präparate demonstrirt. Da jedoch die Voll- 
endung des grösseren Werkes, mit dessen Herausgabe ich beschäftigt 
bin, noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, folge ich mit 
Vergnügen der Aufforderung des Herrn Professor Waldeyer, in 
diesem Archiv eine gedrängte Uebersicht der Untersuchungen 
zu geben, soweit sie die Endigungen des Sehnerven betreffen. 

Was zunächst die Methoden der Untersuchung anlangt, so 
habe ich bis noch vor einem Jahre ausschliesslich die Methode 
der successiven Querschnitte benutzt. Schon dabei wird es klar, 
eine wie grosse Rolle bei der Untersuchung eines noch immer 
wenig erforschten Gebietes die fortwährende genaue Betrachtung 
mit unbewaffnetem Auge spielt. Schon die einfache Betrachtung 
der natürlichen Oberfläche der Gehirntheile und eine aufmerksame 
Vergleichung derselben an einergrossen Anzahl verschiedener Gehirne 
liefert Aufschlüsse über allerlei Verhältnisse, die demjenigen schlech- 
terdings entgehen müssen, der von vorn herein mit der Anfertigung 
der Querschnitte beginnt. Der bisher nur von wenigen Beobach- 
tern gesehene obere Vierhügelast, der Ursprung der Traetusfasern von 
einem grossen Theile der Oberfläche des Sehhügels, die Zwischen-Vier- 
hügelwurzel und Anderes gehört hierher. Demnächst spielt keine 
kleine Rolle die aufmerksame makroscopische Betrachtung einer 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 469 


jeden Durchschnittsfläche, nicht etwa nur des Durchsechnittes. An 
Präparaten, die gut in Müller’'scher Lösung gehärtet, nachher 
gut ausgewässert in Alkohol gelegt sind, scheidet sich bereits sehr 
schön die Faserung von der eingelagerten grauen Substanz ohne 
Anwendung weiterer färbender Mittel, und treten schon bei auf- 
merksamer Betrachtung der Schnittflächen Verhältnisse zu Tage, 
auf welche man bei alleiniger Anwendung der successiven Quer- 
schnitte für die mikroseopische Untersuchung vielleicht gar nicht, 
jedenfalls aber nur mit unendlicher Mühe gelangen könnte. Es 
gehört hierher der Faserverlauf durch die Corpora genieculata, vor 
Allem aber die massenhaften Uebergänge von Traetusfasern zwi- 
schen die Faserbündel des Grosshirnschenkels. Aber wenn man 
sich auch auf solehe Weise recht werthvolle Anhaltspuncte ver- 
schaffen kann für die späteren, genaueren, mikroscopischen Unter- 
suchungen mittelst der successiven Querschnitte, so kommt man 
dennoch nach und nach zu der Ueberzeugung, dass man damit 
allein nicht ausreicht. Die Anatomie des Grosshirns muss um so 
mehr zunächst für das unbewaffnete Auge gelichtet werden, als 
die so vielfach höckrige Beschaffenheit der Oberfläche, die mannich- 
faltigen Verbiegungen, ja halb spiraligen Windungen der Faser- 
züge der Querschnittsmethode noch bedeutend grössere Schwierig- 
keiten in den Weg thürmen, als dies für das Rückenmark und die 
Medulla oblongata, ja selbst das Kleinhirn, der Fall ist. Wir be- 
dürfen ferner um so dringender eines Leitfadens in den Faser- 
labyrinthen des Grosshirns, als schliesslich die Querschnittsmethode, 
da wo sie den Faserverlauf auf längere Strecken hin zu enträthseln 
sich bestrebt, doch keinen völlig anschaulichen Beweis für ihre 
Sätze zu geben vermag, sondern den Forscher zwingt, durch logische 
Combination die mangelhafte Anschauung zu ergänzen. 

Aus allen diesen Gründen habe ich seit einiger Zeit eine 
Methode wieder hervorzuholen und weiter auszubilden versucht, 
die bereits früher, besonders von den älteren Meistern der Anatomie, 
vielfach ausgeübt worden ist, sich aber bis jetzt keine bedeutende 
und keine bleibende Stellung zu erringen vermocht hat, nämlich 
die Methode der Zerfaserung. Ich habe versucht, auf grössere 
Strecken mit Pincette und Scheere, mit Messer und Nadel, die Fa- 
serbündel zu isoliren, und die Resultate dieses Verfahrens sind 
bis jetzt sehr befriedigend ausgefallen. Nicht nur gelang es, die 
Verhältnisse des Chiasma klar zu legen, die Ursprünge aus dem 


470 J. Stilling: 


Thalamus opticus und den Vierhügeln anschaulicher darzustellen 
als dies auf Durchschnitten möglich ist, es gelang mir vor allen 
Dingen der Nachweis, dass der Opticus zum Theil aus dem ver- 
längerten Mark, resp. dem Rückenmark entspringt, so dass der- 
selbe höchst wahrscheinlich zum Theil ein reiner Spinalnerv ist, 
eine Thatsache, die nicht nur in anatomischer, sondern auch in 
physiologischer und pathologischer Hinsicht von grosser Bedeu- 
tung ist. 

Die vorgängige Behandlung von Hirntheilen, die für die Zer- 
faserung bestimmt sind, ist eine mannichfache. Als erstes und ein- 
fachstes Verfahren nenne ich die gewöhnliche Härtung in Müll er’- 
scher Lösung und Alcohol, also dieselbe Vorbereitung wie für die 
Anwendung der Querschnittsmethode. Man fertigt von dem vorlie- 
senden Hirnstück zwei Durchsehnittshälften, und beginnt von der 
Fläche mit den Präparationsinstrumenten denjenigen Faserzügen 
in die Tiefe nachzugehen, deren Verlauf man studiren will. Die 
querdurchschnittenen Fasern heben sich leicht ab von den längs- 
durchschnittenen beim Betrachten der Schnittfläche, so dass man 
die letzteren schonend von den ersteren ablösen kann, und nun auf 
längere Strecken längsverlaufende Fasern, gleichviel ob dieselben 
einen gestreckten oder gebogenen Verlauf haben, gut verfolgen 
kann. Die absteigende Wurzel z.B. erhält man auf diese einfache 
Weise am Besten. 

In anderen Fällen legt man die in Müller’scher Flüssigkeit 
längere Zeit aufbewahrten Hirnstücke nach der Auswässerung nur 
kurze Zeit in Alcohol, so dass sie nicht denjenigen Grad von 
Härtung erreichen, welcher für Anfertigung von feinen Durchschnit- 
ten nöthig ist, und zieht alsdann mit feinen Pincetten, vorsichtig 
operirend und mit Hülfe der Lupe, die einzelnen Faserplatten von 
einander ab. — Behufs weiterer Isolation empfiehlt es sich ein 
auf solche Weise bereits etwas zerfasertes Präparat eine Zeitlang 
in Glycerin zu legen, bis es anfängt weich zu werden, worauf 
man denn auf ähnliche Weise, wie vorhin, aber unter Wasser 
präparirend, die Faserzüge noch weiter trennen kann. Ist man an 
der Grenze angelangt, so kann man das Präparat mit Pierocarmin 
rasch färben, und dann nach vorheriger Entwässerung in Nelkenöl 
einlegen, durch welche Procedur die Fasern sehr geschmeidig und 
doch so consistent werden, dass sie sich noch weiter und so weit 
trennen lassen, dass das Präparat im Oel schwimmend der Unter- 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 471 


suchung mit schwachen Vergrösserungen leicht zugänglich wird. 
Zur definitiven Aufbewahrung giesst man das Präparat in ein 
Uhrschälehen, welches mit Canadabalsam gefüllt und dann ver- 
schlossen wird. Es liegt dann im Balsam wie ein Bernsteinein- 
schluss und stellt ein äusserst zierliches und elegantes, leicht trans- 
portables Demonstrationsobjeet dar. 

Ganz besonders für demonstrative Zwecke aber angewendet 
zu werden verdient der Holzessig, ein Reagens zu dessen Studium 
für die vorliegenden Zwecke ich durch Herrn v. Recklinghau- 
sen veranlasst worden bin. Zuerst dureh denselbon auf die Mög- 
lichkeit aufmerksam gemacht, dass durch Holzessig eine Isolation 
der einzelnen Faserbündel an vorher gut gehärteten Präparaten 
zu bewerkstelligen sei, habe ich mir die Ausbildung dieser Modifica- 
tion der Zerfaserungsmethode in letzter Zeit ganz besonders ange- 
legen sein lassen. Man verwendet theils rohen, theils rectifieirten 
Holzessig, und präparirt unter Wasser, bis der gewünschte Grad 
der Isolirung erreicht ist. Für mikroskopische Präparate fällt 
hier besonders der Umstand in’s Gewicht, dass das Bindegewebe 
völlig glasig durchsichtig aufquillt, die Nervenfasersubstanz elän- 
zend weiss wird, und sich von der bräunlich verfärbten grauen 
Substanz in ausgezeichnet schöner Weise abhebt. Man kann be- 
hufs Aufbewahrung die Präparate eine Zeitlang in verdünntem 
Holzessig einfach liegen lassen, bis sie genügend durchmustert und 
gezeichnet sind, oder sie auch für immer sichern, indem man sie 
nach der so eben beschriebenen Weise mit Pierocarmin und Nel- 
kenöl, oder auch einfach mit letzterem behandelt. Schwache mi- 
kroskopische Vergrösserungen können alsdann leicht angewandt 
werden. 

Was nun die rein mikroskopische Untersuchung anlangt, so 
habe ich mich bis jetzt noch fast ausschliesslich an die Anfertigung 
von feinen Querschnitten gehalten und gestrebt, die Zerfaserungs- 
methode durch die Schnittführung zu controliren und umgekehrt. 
Mikrotome habe ich nicht benutzt, sondern mit grossen Massen 
(wie dieselben von Benediet Stilling angegeben sind) aus 
freier Hand geschnitten. Die Vergleichungen, die ich angestellt 
habe mit Mikrotompräparaten, schien mir mindestens nicht einen 
Vorzug der letzteren zu ergeben. — Immerhin erlaube ich mir 
schon jetzt zu bemerken, dass die Zerfaserungsmethode auch für 
die mikroskopische Untersuchung mit höheren Vergrösserungen bei 


472 J. Stilling: 


gehöriger Ausbildung mit grossem Vortheil wird verwendet wer- 
den können, und dabei in erster Linie wiederum der Holzessig 
eine Rolle spielen wird. Er ist mir schon jetzt gelungen, Nerven- 
faserbündel auf Strecken von mindestens ein Pariser Zoll Länge 
soweit zu isoliren, dass sie nach Färbung mit Pierocarmin sehr 
starken Vergrösserungen zugänglich sind. — Die Vortheile der 
seschilderten Präparationsweisen, mit Vorbehalt weiterer sorg- 
fältiger Ausbildung derselben gegenüber der ausschliesslichen An- 
wendung der Querschnittsmethode liegen zu sehr auf der Hand, 
als dass es nöthig wäre, an dieser Stelle darüber noch weitere 
Bemerkungen zu machen. Nur mag es mir gestattet sein, meine 
Ueberzeugung schon jetzt dahin auszusprechen, dass ein befriedi- 
gender Abschluss der Anatomie des centralen Nervensystems zu 
erwarten sei nicht von der Anwendung einer Methode allein, son- 
dern der beständigen Combination beider, durch ihre fortwährende 
gegenseitige Controle. — Ich gebe nunmehr eine kurze, gedrängte 
Darstellung der auf dem geschilderten Wege erhaltenen Resultate. 


1. Chiasma nervorum opticorum. 


Die Verhältnisse des Chiasma sind von den alten Meistern 
der Anatomie (wie Arnold) im Ganzen richtig geschildert wor- 
den. Ihre Angaben haben durch die bekannten Experimente von 
Gudden in neuerer Zeit zum grossen Theil abermalige Bestäti- 
gung gefunden, soweit dies für die Untersuchung an Thieren mög- 
lich war. Für einen defmitiven Abschluss der hier in Betracht 
kommenden Verhältnisse ist es jedoch nothwendig, den Bau des 
menschlichen Chiasma ins Auge zu fassen. 

Es besteht dasselbe aus einem Kern sich kreuzender Faser- 
bündel, um die gewissermassen eine zweite Lage von Bündeln in 
der Art herumgelegt und dann zusammengeschlagen ist, dass die 
innere sich kreuzende Lage vollkommen von der äusseren einge- 
schlossen ist; eine Anschauung, für die auch die Thatsache spricht, dass 
mitunter im Inneren des Tractus sich ein blinder Kanal findet 
wie zuerst Wagner beschrieben, ich selbst habe bestätigen können. 
Es gelangen auf diese Weise ungekreuzte Bündel auf die Vorder-, 
Hinter- und Seitenfläche des Chiasma. Die ungekreuzten 
Bündel sind beim Menschen mindestens ebenso mäch- 
tig, als die gekreuzten, ein bis jetzt noch nicht in dieser Art 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 473 


dargestelltes Verhältniss, dessen genaue auschauliche Kenntniss 
nur mittelst der Isolationsmethode zu erlangen ist. Die ausschliess- 
liche Anwendung der Methode der Querschnitte trägt die Schuld, 
dass man beim Menschen die Zahl der ungekreuzten Bündel für 
bedeutend schwächer hielt, als dies in Wahrheit der Fall ist. Da 
die ungekreuzten Bündel die gekreuzten gleichsam einwickeln, so 
können Flächenschnitte ihren Verlauf und ihre Zahl nicht genü- 
gend klar legen. — Die völlige Einwicklung der inneren Schichten 
durch die äussere bedingt ferner die Existenz zweier mächtigen 
Commissuren, der Commissura arcuata anterior und posterior der 
alten Anatomen. Die Existenz der letzteren hat für Thiere Gud- 
den !) mittelst seiner eigenen bekannten Methoden wiederum be- 
wiesen; was die beim Menschen sehr mächtige, den ganzen vor- 
deren Winkel des Chiasma füllende und sich zugleich auf Vorder- 
und Hinterfläche ausbreitende Commissura arcuata anterior be- 
trifft, so fehlt dieselbe, nach dem was ich gesehen habe, bei den 
von@udden untersuchten Thieren. Es ist eine höchst interessante 
Aufgabe für die vergleichende Anatomie, durch die gesammte 
Thierreihe hindurch zu constatiren, welche Sehnervenfasern bei der 
untersten Olasse vorhanden sind, und welche neuen sich allmäh- 
lich bei der Fortentwicklung zu höher organisirten Geschöpfen hin- 
zugesellen, doch ist hier nicht thunlich weiter bei dieser Frage zu 
verweilen. Auch über die an die Commissura posterior sich an- 
schliessende Meynert’sche Commissur soll hier Nichts ausführli- 
cheres gebracht werden. 

Bündel, die aus dem Tuber einereum kommen, hat bereits 
Gudden beschrieben. Ich fand Fasern derselben beim Menschen 


in directem Zusammenhange mit bipolaren Nervenzellen dieses 
Gebildes. 


2. Oberflächlicher Verlauf und Theilung des 
Traetus opticus. 
Während seines Verlaufes an der Hirnbasis ist der Traetus 
optieus verwachsen mit der Substantia perforata antica, und zeigt 


1) Ich schliesse mich Gudden in sofern völlig an, als ich die hintere 
Commissur ebenfalls als nicht zum eigentlichen Tractus gehörig betrachten 
kann, sehe dieselbe jedoch als eine Verbindung von Hirntheilen an, welche 
eine sehr directe Beziehung zur Physiologie des Sehens besitzen. 


474 J. Stilling: 


sich auf feinen Querschnitten, dass die Zellen derselben am Rande 
des Tractus sich zwischen dessen Faserzüge hineindrängen !). 

In der Nähe des Sehhügels theilt sich der Tractus in drei 
Aeste. Zwei gehen zu den beiden Corporibus genieulatis, der 
dritte Ast geht zwischen den beiden anderen hindurch, sich in 
der Furche hinziehend, die durch die beiden Kniehöcker gebildet 
wird, begreift in sich die Faserzüge des Brachium conjuneti- 
vum anticum, direct hinüberziehend zum Corpus quadrigeminum 
superius ?). Die verschiedene Ausbildung der Faserzüge zwischen 
der ursprünglichen Theilungsstelle und dem Brachium conjuncti- 
vum anticum trägt die Schuld daran, dass der mittlere Ast bisher 
noch wenig beschrieben worden ist. Die denselben repräsentiren- 
den Faserzüge sind häufig so schwach ausgeprägt, dass sie bei 
nicht sehr minutiöser Betrachtung unbemerkt bleiben müssen, in 
andern Fällen sind sie stärker, und können so mächtig werden, 
dass ein dieker eylindrischer Strang von der Theilungsstelle nach 
dem oberen Vierhügel geht, gegen den sich das Brachium con- 
jJunetivum anticum durchaus nicht absetzt. Eine aufmerksame Ver- 
gleichung verschiedener Gehirne bei Betrachtung der Oberfläche 
schafft hier bereits völlige Klarheit; von grossem demonstrativen 
Werthe ist auch hier die Behandlung mit Holzessig. Querschnitte 
vollends zeigen den direeten Uebergang des Brachium conjuneti- 
vum anticum in den Stamm des Tractus, sowie die völlige Tren- 
nung von der grauen Substanz des Thalamus. 

Wir haben also zunächst die drei oberflächlichen Aeste und 
ihre weitere Theilung zu betrachten. 


1) Dies Verhältniss ist bereits von J. Wagner sehr richtig geschildert. 
Vgl. Henle, Anatomie, 2. Aufl., Bd. III, Abth. 2, pag. 284. 

2) Huguenin (Archiv f. Psychiatrie, Bd. V, p. 341 ff.) bildet bereits 
diesen Ast richtig ab, giebt jedoch an, ebenda p. 192, dass nur die oberfläch- 
lichen Faserzüge des Brachium conjunctivum anticum aus dem Traetus stam- 
men. Forel (Archiv f. Psychiatrie, VII, p. 460) hat* offenbar den Ast auch 
gesehen, aber nicht bis zur Theilungsstelle verfolgt. Er sagt, er stamme aus 
der die Corp. geniculata bedeckenden Opticusfaserung. Die Theilung des 
Astes in einen oberflächlichen und tiefen Zug scheint keiner dieser beiden 
Forscher bemerkt zu haben. Ich habe dieselbe zuerst 1879 gezeigt. (Vgl. 
Zehender, Bericht des Heidelberger Ophthalmologencongresses, sowie Hirsch- 
berg’s Oentralblatt für Augenheilkunde, Februar 1880.) Schwalbe (Neuro- 
logie, 1880) bildet ebenfalls den mittleren Ast ab und beschreibt seinen Ver- 
lauf, die Theilung ausgenommen. 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 475 


Erster Ast. Derselbe nimmt seinen Lauf nach dem Corpus 
genieulatum laterale zu, und soll den Angaben der Handbücher 
nach aus demselben entspringen, welche jedoch den Thatsachen 
nieht entsprechen. Die Querschnitte wie die Isolationspräparate 
weisen übereinstimmend nach, dass die Traetusfasern über und 
neben dem Corpus geniculatum laterale und durch dasselbe hin- 
dureh ihren Lauf fortsetzen. Schon das Verhältniss des dicken 
Traetus optieus zu dem kleinen Hügel der grauen Substanz des 
C. genieulatum fordert zu einer näheren Untersuchung auf, und bei 
oberflächlicher Betrachtung zeigt sich, dass dasselbe völlig bedeckt 
ist von einer Rindenschiehte von Traetusfasern, die auf der Ober- 
fläche des Thalamus fächerartig ausstrahlend weiter verlaufen !). 
Die bekannten weissen Schichten im Inneren zeigen sich auf einer 
Reihe successiver Querschnitte als directe Fortsetzungen der Trac- 
tusfasern, die auf der Thalamusseite wieder austreten, um sich in 
der grauen Substanz, welche dessen Füllung bildet, zu verlieren. 
Aber auch aussen wie innen vom Corpus geniculatum laterale laufen 
ziemlich mächtige Faserzüge um dasselbe herum in den Thalamus. 
Die äusseren verlieren sich in der grauen Substanz des Pulvinar ?), 
die inneren, mehr vertical aufsteigend und dann ebenfalls diver- 
gent ausstrahlend in denjenigen Theil der grauen Thalamussub- 
stanz, welche dem Tegmentum Cruris cerebri näher gelegen ist. 
Es verhält sich demnach das Corpus genieulatum laterale dem 
Traetus gegenüber wie ein eingeschobenes Ganglion (nach Art ‘der 
Spinalganglien) und verdient besser den Namen Ganglion gen. 
laterale. 

Zweiter Ast. Derselbe geht, wie bereits erwähnt, zwischen 
beiden Corporibus genieulatis hindurch, das Brachium conjuncti- 
vum in sich fassend, nach dem oberen Vierhügel zu. Ehe er sich 
zu diesem herüberschlägt, giebt er einen kleinen Ast, wie der 
erste, nach der Oberfläche des Thalamus ab, der sich in die Tae- 
nia Thalami optiei verliert. Am oberen Vierhügel angekommen, 
theilt er sich in einen oberflächlichen und einen tiefen Ast. Der 
letztere dringt direet in die graue Substanz im Innern des Corpus 
quadrigeminum superius. 


1) Bereits von Reil beschrieben. 

2) Vgl. auch Huguenin, a. a. O. p. 193, und von früheren Autoren 
Reichert (Bau des menschlichen Gehirns, 1859, Taf. III Fig. 30 mit Er- 
klärung). 


476 J. Stilling: 


Der oberflächliche Ast theilt sich wiederum doppelt. Die 
obersten Faserzüge in ziemlich starker Lage bilden quer herüber- 
ziehend eine Commissur mit den entsprechenden der andern 
Seite, die zunächst sich anchliessenden tieferen ziehen zwischen 
den Vierhügeln in der durch dieselben gebildeten Furche zu dem 
Velum medullare superius, speciell nach dem Frenulum hin. Schliess- 
lich strahlt ein Theil der Fasern noch auf die Oberfläche des 
Vierhügels, dort eine ähnliche Deckschicht bildend, wie der erste 
und theilweise dieser zweite Ast auf der Oberfläche des Seh- 
hügels. 

Dritter Ast. Geht nach dem Corpus geniculatum mediale 
zu, welches ebenfalls irrthümlich in den Handbüchern als Kern 
des Sehnerven bezeichnet wird. Zwar treten Fasern in seine Sub- 
stanz ein, welche die Verbindung mit dem oberen Vierhügel ver- 
mitteln, aber ein sehr grosser Theil strahlt direet über dasselbe 
hinweg zum oberen Vierhügel, ein anderer noch bedeutend mäch- 
tigerer Theil geht hinter ihm vorbei direet in das Brachium 
conjunetivum posterius, welches zum Theil auch nur als ein Ast 
des Traetus betrachtet werden muss. Auch dieser graue Körper 
ist demnach nur ein Ganglion, eine Auffassung, die dadurch viel 
Gewicht erhält, dass man beim Menschen wie beim Affen über- 
zählige Corpara genieulata medialia antrifft, und beim Menschen 
sogar vorkommt, dass das C. gen. mediale nur mit zwei feinen 
Aestehen am Tractus gewissermassen angehängt ist, ganz ähnlich 
wie das Ganglion sphenopalatinum am zweiten Trigeminusast. 
Das wichtigste dem in Rede stehenden dritten Traetus-Ast zuge- 
hörige ist der zweifellose Ursprung aus dem hinteren 
Vierhügel, welcher graue Körper somit ähnliche Beziehungen 
zum Sehen besitzen muss, wie der vordere )). 


1) Meynert (Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben, IV. 
Lieferung 1870, p. 742) beschreibt Bündel zum hinteren Vierhügel, die durch 
Vermittlung des C. eeniculatum mediale vom Sehnerven aus eintreten. Dem- 
nach ist ihm der directe hintere Vierhügelast, der ohne Verbindung mit der 
grauen Masse des inneren Kniehöckers ist, nicht bekannt geworden. Hugue- 
nin (a a. O. p. 342) beschreibt diejenigen Faserzüge, welche von der Deck-* 
schichte des C. genic. mediale nach dem hinteren Vierhügel gehen. Diese 
Verbindung ist auch eine directe, jedoch eine von sehr geringer Mächtigkeit 
in Vergleich zu den Fasermassen, welche direct in das Brachium conjuneti- 
vum posterius eintreten. Sie sind vermittelst der Querschnittsmethode, des 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 477 


Wie aus der gegebenen Schilderung resultirt, gehen die bis- 
her beschriebenen Aeste mit ihren Faserzügen nicht allein in die 
innere graue Substanz des Thalamus und der Vierhügel, sondern 
sie bedecken auch die Oberfläche beider Gebilde mit einer dünnen 
Platte weisser Substanz. Es entspricht diese, den Thalamus wie 
die Corpora quadrigemina einhüllende Deckschichte dem Tectum 
optieum (Stieda) der niederen Vertebraten. Ueber ihre genauere 
Struetur soll an dieser Stelle nichts Weiteres mitgetheilt wer- 
den und verweise ich in Bezug auf die Details auf meine grössere 
Arbeit. 

Wir kommen nunmehr zu dem wesentlichsten Theile dieser 
Skizze, nämlich zu denjenigen Aesten des Tractus opticus, die 
mehr in der Tiefe der betheiligten Hirnprovinzen verlaufen, und die 
sich zwischen die aufsteigenden Bündel der Crus cerebri drängen. 

Der am meisten in der Tiefe verlaufende Ast drängt sich 
mit horizontal verlaufenden Faserzügen zwischen die nahezu ver- 
tical aufsteigenden Bündel des Grosshirnschenkels, und dringt in 
feine Plexus sich auflösend oder auch in gröberen ungetrennten 
Faserzügen verlaufend (letzteres besonders beim Pavian in eminen- 
ter Deutlichkeit) direet in die graue Substanz des grossen mandel- 
förmigen Kernes ein, welcher dieht an der Grenze des Grosshirn- 
schenkelfusses innerhalb der Haube und dicht oberhalb der Sub- 
stantia nigra pedunculi auf Horizontal- und Verticalschnitten scharf 
begrenzt hervortritt. Derselbe wurde zuerst von Luys gesehen 
und als „Bandelette accessoire de l’olive superieure“ bezeichnet. 
Forel nennt ihn „Luys’schen Körper“, Henle „Corpus subthalami- 
cum“, eine Benennung, welche, wie Waldeyer mit Recht geltend 
macht, den andern und auch den von mir angewandten (Nucleus 
amygdaliformis, welche Benennung der Form freilich am besten 
entsprechen würde) vorzuziehen ist, da schon eine Mandel in 
der Gehirnanatomie vertreten ist. 

Schon vor einigen Jahren habe ich den Ursprung des Tractus 
opticus aus diesem Kerne entdeckt und auch auf dem ophthalmo- 
logischen Congresse zu Heidelberg die zahlreichen Faserzüge de- 


gewundenen, halb spiraligen Verlaufes halber eben nicht gut darzustellen, 
vortrefflich durch Isolation. — J. Wagner (vgl. Henle, a. a. O. pag. 425) 
hat dagegen, allem Anschein nach die directe hintere Verbindung bereits 
wahrgenommen. 


478 J. Stilline: 


monstrirt, welche auf Querschnitten, meistentheils in zierlichen 
Bogen und sich dann plexusartig auflösend, zuweilen jedoch auch 
steil von ihrer ursprünglichen Richtung abgehend, in diesem Cor- 
pus subthalamieum endigen. Die ganze Lage dieses grossen Gang- 
lienkörpers, der schöne multipolare Nervenzellen zeigt, die zahl-- 
reichen Faserzüge, die aus ihm heraustreten, Alles dies scheint 
darauf hinzudeuten, dass man hier ein grosses Reflexeentrum vor 
sich hat, welches einerseits mit eerebralen, andererseits mit spinalen 
Bahnen Verbindungen herstellt. 

Allein jene Faserzüge, welche mit den spinalen Bahnen ver- 
mittelst jenes grossen Kernes communieiren, und noch weniger 
jene von diesem Kern nach abwärts strahlenden Faserzüge selbst 
darf man nicht etwa als direete absteigende oder spinale Wurzeln 
des Sehnerven auffassen. Es sind dies spinale Verbindungsäste, 
aber keine wirklich spinalen Wurzeln. Als solche hat man nur 
das Recht, jene Nervenstränge zu bezeichnen, welche vom 
Stamme aus direct ohne jede Vermittlung grauer Sub- 
stanz in die Stränge der Medulla oblongata oder spi- 
nalis übergehen. Man müsste sonst die Verbindungen, welche 
zwischen Vierhügel und Medulla bestehen, ebenfalls als spinale 
Wurzeln des Sehnerven bezeichnen. 

Der Sehnerv besitzt nun eine solche wirklich absteigende 
wahrscheinlich direet spinale Wurzel, und ist bis jetzt der ein- 
zige höhere Sinnesnerv, von welchem eine derartige Verhindung 
mit Evidenz makroskopisch demonstrirt werden kann. Es 
schlagen sich die Bündel derselben mehrere Millimeter von der 
Oberfläche entfernt in halb spiraliger Windung dicht vor dem Gang- 
lion geniculatum laterale in die Tiefe, strahlen dabei fächerartig 
auseinander und bilden einen Complex von Nervenbündeln, der eine 
Breite von mindestens 4 Millimetern, und eine Dicke von etwa 
1 Millimeter aufweist, an der hinteren Partie des Grosshirnschen- 
kels neben dem Ganglion genieulatum mediale und dem Brac- 
ehium eonjunetieum posterius vorbei an der Oberfläche des Gross- 
hirnschenkels direct bis zur Pons Varolii geht. In seinem weite- 
ren Verlaufe theilt sich dies mächtige Bündel mehrfach, theils um 
innerhalb der Pons Verbindungen der verschiedensten Art einzu- 
gehen, theils aber tief herunter in die Bahnen der Medulla spina- 
lis selbst einzustrahlen. Dasjenige Bündel, welches sich am wei- 
testen abwärts bisher hat verfolgen lassen, geht in die Pyrami- 
denkreuzung über. 


Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 479 


Wie bereits oben angedeutet, hat diese Wurzel direct nur 
nachgewiesen werden können mittelst der Zerfaserungsmethode. 
Die successiven Querschnitte in horizontaler Richtung geführt, die 
schon lange in ihrer ganzen Reihe von mir angefertigt waren, 
ehe ich die absteigende Wurzel selbst entdeckte, werden dem völ- 
ligen Verständniss erst zugänglich durch die makroskopische Prä- 
paration, liefern aber dann auch für diese die beste mikroskopi- 
sche Illustration, die die Querschnittsmethode geben kann. Es ist 
die Darstellung der spinalen Sehnervenwurzel ein Paradigma da- 
für, dass sich die beiden Methoden in wünschenswerther Weise 
ergänzen können. 

Die Auffindung der absteigenden, resp. wirklich spinalen 
Wurzel des Sehnerven ist gewiss zunächst von grosser Bedeu- 
tung für die Physiologie des Sehens, gestattet aber auch die Ver- 
muthung, dass für die übrigen höheren Sinnesnerven derartige 
Verbindungen sich auffinden lassen werden. 

Ich gestatte mir im Uebrigen an dieser Stelle die Bemer- 
kung, dass die physiologischen Folgerungen, die ich bisher aus 
meinen Untersuchungen habe ziehen können, genau stimmen mit 
den Anschauungen von Goltz, zu denen derselbe vermittelst der 
experimentalen Methode gelangt ist. 

Zum Schlusse verweise ich nochmals auf meine ausführlichere 
Darstellung, in welcher ich mit möglichster Genauigkeit auch die 
historischen Verhältnisse zu berücksichtigen bemüht sein werde. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXH. 


Fig. 1. Menschliches Chiasma, die beiden Tractus noch im Zusammenhang 
mit den Corpora geniculata lateralia. Zerfaserungspräparat. 
Cgl Corp. genic. laterale. 
Ca Commissura anterior. 
Cp Commissura posterior. 
Ungekreuzte Bündel. 
**) Kreuzung. 
Fig. 2. Horizontalschnitt durch Tractus und Thalamus in der Fläche des 


Corpus subthalamicum. Natürliche Grösse. Vom Tractus aus gehen 


480 Gabriel Denissenko: 


in horizontaler Richtung zahlreiche Züge in den mandelförmigen 
Kern. 

Pc Pedunculus cerebri. 

To Tractus optieus. 

Cs Corpus subthalamieum. 

Tho Thalamus opticus. 

*) Fasern des Tractus, die aus dem C. subth. entspringen. 

Fig. 3. Radix descendens von einem Horizontalschnitt aus isolirt. Natür- 
liche Grösse. 

Cgl Corp. genic. laterale. 
Pe Pedunculus cerebri. 
Rd Radix descendens. 

Fig. 4. Dasselbe Präparat, äussere Ansicht. Man sieht die Bündel der 
Radix descendens (Rd) unter den nach dem Corpus geniculatum 
mediale hin strahlenden Faserzügen des Tractus hervorkommen und 
längs des Grosshirnschenkels in die Pons Varolii verlaufen, 


Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 


Von 


Dr. Gabriel Denissenko 
(St. Petersburg). 


Hierzu Figur A auf Tafel XXI. 


Die Angaben über die Netzhautgefässe der Fische stehen 
immer noch zum Theil im Widerspruch; während nämlich H. 
Müller !), J. Hyrtl?) und Max Schultze®) das Vorkommen 

1) H. Müller, Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie 
und Physiologie des Auges. 1. Bd. Leipzig 1872. 

2) J.Hyrtl, Ueber anangische (gefässlose) Netzhäute. Sitzungsberichte 
der Wiener Akademie. Bd. 43. Abth. I. 1861. 

3) Max Schultze, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Archiv 
für mikroskopische Anatomie. Bd. 2. 1866. 


Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 481 


von Gefässen in der Retina der Fische überhaupt bestreiten, be- 
richtet W. Krause !), dieselben bei einem Fische (Aal) gesehen 
zu haben. Nach ihm erwähnt W. Müller?) nur kurz, dass aus- 
ser beim Aal, auch bei einigen Cheloniern solche vorkommen. 
Weiter finden wir in der Literatur keine Angaben über diese 
Frage und alle folgende Forscher: Th. Leber ?), W. Krause *) 
und viele andere eitiren nur die erwähnten Autoren. 

Nach W. Krause und W. Müller breiten sich die Gefässe 
in der Retina der Fische genau so aus wie in der aller anderen 
Thiere, welche dieselben überhaupt führen, d. h. nur in den in- 
nersten Schichten und erreichen die Zwischenkörnerschicht. Dass 
die Gefässe überhaupt in den innersten Schichten der Retina vor- 
kommen, ist seit H. Müller bekannt und allgemein angenommen. 
So z. B. sagt Max Schultze?°), dass die Capillargetässe der Re- 
tina vor den pereipirenden Elementen liegen, nämlich zwischen 
Limitans interna und äusserer granulirten Schicht. Das Faetum 
des Vorhandenseins der Gefässe in der Netzhaut der Fische er- 
schien so ausserordentlich auffallend, dass W. Krause‘), der zuerst 
dieselben beim Aale gesehen und beschrieben hat, bemerkte: „Wenn 
M. Schultze sie gefunden hätte, als sich dieser Forscher bei Ge- 
legenheit seiner Untersuchungen der Retina in phylogenetische 
Speeulationen verlor, so würde er vielleicht auch den Aal für 
einen sehr vornehmen „aristokratischen“ Fisch erklärt haben“. 
Als noch berechtigteren Repräsentanten der Fischaristokratie in 
diesem Sinne würden wir den jungen Karpfen vorschlagen, weil 
bei diesem, was wohl vor uns noch Niemand beobachtet hat, 


1) W. Krause, Die Membrana fenestrata der Retina. Leipzig 1868. 
pag. 28. 

2) W. Müller, Ueber die Stammesentwickelung des Sehorgans der 
Wirbelthiere. Beiträge zur Anatomie und Physiologie als Festgabe an Carl 
Ludwig. Leipzig 1875. p. 53. 

3) Th. Leber, die Blutgefässe des Auges. Stricker’s Handbuch der 
Lehre von den Geweben. Leipzig 1872. 

4) W. Krause, Die Nerven-Endigung in der Retina. Archiv für 
mikroskopische Anatomie. Bd. 12. 1876. 

5) Max Schultze, Die Retina. Stricker’s Handbuch der Lehre von 
den Geweben. Leipzig 1872. p. 1026. 

6) W. Krause, Die Membrana fenestrata der Retina. Leipzig 1868. 
pag. 28. 


482 Gabriel Denissenko: 


die Gefässe nicht allein in den innersten Schichten, sondern auch 
in der äusseren Körnerschicht vorkommen. 

Auf der beigelegten Zeichnung sehen wir, dass die Gefässe, 
aus der Hyaloidea austretend, sich mit ziemlich dünnen Aesten 
durch die Ganglienzellen (g) und Moleeularschicht (m) zur inne- 
ren Körnerschicht (i. k) hindurch ziehen, wo sie sich unter spitzem 
Winkel in zwei, mitunter drei Aestchen theilen. 

Ein Aestchen des Gefässes (v‘) durchzieht erst die innere 
Körnerschicht, die Zwischenkörnerschicht, die äussere Körner- 
schicht, in ihrer ganzen Dicke, ohne sich zu verästeln und, indem 
es die Peripherie (bis s‘) unmittelbar unter der Membrana limitans 
ext. erreicht hat, theilt es sich in einige winzige Capillaren, die 
nach verschiedenen Richtungen auseinander weichen. 

Ein anderes Aestchen desselben Gefässes (v), nachdem es sich 
in der inneren Körnerschicht abgezweigt hat, geht in die Zwischen- 
körnerschicht und biegt sich in die innere Körnerschicht wieder um (v). 
Ein drittes Gefäss (r‘) geht aus der inneren Körnerschicht in die 
äussere und theilt sich an der Pheripherie derselben in zwei 
Aeste, welche ebenfalls nach verschiedenen Richtungen auseinander 
weichen. 

Im Allgemeinen kann man sagen, dass die in der Moleeular- 
schicht vorkommenden Gefässe dieselbe unverzweigt durchziehen, 
indem sie aus der Hyaloidea austreten und zur inneren Körner- 
schicht gehen, in der letzten sich theilen, miteinander anastomo- 
siren und ausserdem zu der äusseren Körnersehicht Aestehen 
schicken. | 

Das Lumen der'Gefässe fanden wir sehr verschieden: in der 
äusseren Körnerschicht —= 0,005—0,006 mm, in der Molecular- 
schicht bei einigen Gefässen 0,015 mm, in der inneren Körner- 
schicht sogar nicht selten bis zu 0,036 mm, so dass sie die ganze 


Dieke dieser Schiehte einnehmen. — Es ist uns auch öfters ge- 
lungen derartige grosse Gefässe auf Längs- und Querschnitten mit 
Blutkörperchen angefüllt zu beobachten. — Die Grösse der aus 


der Hyaloidea austretenden Gefässe ist also geringer als die der 
Gefässe in der inneren Körnerschicht. Dieses Factum steht au- 
genscheinlich in Widerspruch mit den allgemein anerkannten Ge- 
setzen der Gefässverzweigung, so auch mit Leber’s Angabe !): 


1) Th. Leber, Die Blutgefässe des Auges. Stricker’s Handbuch der 
Lehre von den Geweben. Leipzig 1872. p. 1052. 


Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 483 


„die gröberen Aeste der Centralgefässe verlaufen alle in der Ner- 
venfaserschicht der Netzhaut und je weiter nach aussen in der 
Reihenfolge der Schichten, um so kleiner werden die darin vor- 
kommenden Gefässe, die letzten dringen bis zur Zwischenkörner- 
schicht vor; äussere Körner- und Stäbehenschiehten sind gefäss- 
los.“ Siehe auch Kölliker), Max Schultze 2), W. Krause), 
Schwalbe *) u. A. Das Gesammtbild der Structur der Retinage- 


fässe des jungen Karpfens erscheint gleichmässig. — Die Gefässe 
sind nach dem Typus der Capillaren gebaut, obgleich sie, wie 
schon erwähnt, ziemlich grosse Dimensionen erreichen. — Grosse 


wie kleine Gefässe haben ausserordentlich dünne Wandungen; 
Zellkerne der wandständigen Zellen sind nur selten zu beob- 
achten. 

Das Gefässnetz auf der Oberfläche der äusseren Körner- 
schicht erscheint als ein sehr dichtes, hier reichen die Entfer- 
nungen zwischen den Gefässen nur bis zu 0,015 mm. Es ist mir 
nicht gelungen Gefässe zwischen den Stäbehen und Zapfen oder 
eine Perforation der Membrana limitans externa durch ein Gefäss 
zu beobachten. — In der inneren Körnerschicht vertheilen sich 
die Gefässe in ein minder dichtes Netz; aber hier kommen stär- 
kere Zweige vor, welche zur Bildung des Netzes eine grössere 
Anzahl von Aestchen abgeben. 

Wie schon erwähnt, sagt W. Krause), dass in der Retina 
des Aales viele Gefässe vorhanden seien, wir hingegen haben trotz 
wiederholter Untersuchungen in der Retina beim alten Aal kein 
einziges Gefäss gesehen. — In der Retina eines erwachsenen 
Karpfen haben wir die Gefässe im Gegensatz zu der grossen 
Anzahl derselben in der Retina eines jungen, von uns beobachte- 
ten Thieres, nur in geringer Anzahl, vollständig obliterirt und 
nicht mehr normal gefunden. Ihr Lumen war bedeutend verengt, 


1) Kölliker, Gewebelehre. Aufl. 4. Russisch übersetzt p. 699. 

2) Max Schultze, Die Retina. Stricker’s Handbuch der Lehre von 
den Geweben. p. 1026. 

3) W. Krause, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Hannover 
1876. 

4) Schwalbe, Mikroskopische Anatomie des Sehnerven, der Netzhaut 
und des Glaskörpers. Gräfe und Saemisch. Handb. der gesammten Augen- 
heilkunde. I. Theil. Leipzig 1874. 

5) W. Krause, Membr. fenestr. d. Retina. Leipzig 1868, p. 28. 


Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 33 


484 Gabriel Denissenko: 


sie enthielten keine Blutkörperchen mehr und erschienen in Form 
dünner Schnürchen, die mit den für ein Gefäss charaeteristischen 
Kernen stellenweise besetzt waren. — Es ist uns öfters gelungen 
(mit dem Hartnack’schen Immersionssystem No. 12) eine Verbin- 
dung mehrerer Aestchen (3—4) mit characteristischen Ausbuchtun- 
gen und nicht ganz obliterirtem Lumen an der Verbindungsstelle 
zu beobachten. — Das beschriebene Bild haben wir öfters und 
jedesmal in der inneren Körnerschicht gesehen, in der äusseren 
Körnerschicht dagegen, haben wir Nichts ähnliches beobachtet. 

Wie soll man sich nun diesen Widerspruch im Vorkommen 
der Gefässe in der Retina des Karpfen erklären? Wir glauben, 
dass das Vorkommen der Gefässe in der Retina der Fische über- 
haupt nur an jugendlichen Exemplaren zu beobachten ist, weil sie 
in späteren Stadien ihr Aussehen verändern und nicht die Form 
mit Blut gefüllter Canäle haben, wie beim Jungen. Dagegen bei 
erwachsenen Thieren haben die Gefässe die Form dünner Fäden 
oder Schnüre mit den characteristischen Merkmalen der im Oblite- 
rationsstadium begriffenen Gefässe. So sahen wir es beim Karpfen 
und so wird es wohl auch beim Aal der Fall sein. 

W. Krause !) spricht die Vermuthung aus, dass die Gefässe 
der jungen Thiere sich später in Folge des Wachsthums des Au- 
ges nach vorn (resp. lateralwärts) und synchronischer Dehnung 
des Sehnervenstammes in die Länge verlieren. Das Wachsthum 
hat zur Folge die Ausdehnung des Gefässes, Verminderung seines 
Lumen und endlich seine Obliteration. 

Diese Ansicht hat Manches für sich, denn bei den besproche- 
nen Fischen finden wir sie vollständig bestätigt. 


1) W. Krause, Die Nerven-Endigung in der Retina. Arch. f. mikr. 
Anat. Bd. 12. 1876. 


Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 485 


Erklärung der Abbildung Figur A auf Tafel XXI. 


Ein Schnitt durch die Retina eines jungen Karpfen Hartnack 3, V. 
Tubus '/, eingeschoben. Müller’sche Flüssigkeit, nachher Spiritus. Gefärbt mit 
Haematoxylin und Eosin in Glycerin. 

z. s. Zapfen und Stäbchenschicht. 

f. e. Limitans externa. 

a. k. Aeussere Körnerschicht. 

z. k. Zwischenkörnerschicht. 

i. k. Innere Körnerschicht. 

m. Moleculärschicht. 

g. Ganglienzellenschicht. 

l. i. Limitans interna. 

A. Stützbalken der Inneren Körnerschicht. 

B. Räume in der Inneren Körnerschicht. 

t. Räume in der Zwischenkörnerschicht. 

t‘. Balken in der Zwischenkörnerschicht. 

r. Ein mittelgrosses Gefäss, welches von der Hyaloidea ausgegangen ist. 

r‘. Ein mittelgrosses Gefäss, welches zur äusseren Körnerschicht geht. 

s. Theilung des Gefässes in der inneren Körnerschicht. 

s’. Die Gefässe der äusseren Körnerschicht. 

v. Die Gefässe der inneren Körnerschicht. 

v‘. Das Gefäss der Zwischenkörnerschicht, welches in die äussere Kör- 
nerschicht übergeht. 


Die Zeichnung ist von Dr. Heitzmann angefertigt. 


486 Alexander Qisow: 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 


Von 


Alexander Cisow, 
Assistenten am histologischen Laboratorium der Universität zu Kasan. 


Hierzu Tafel XXIII und XXIV. 


Die letzten Jahre haben eine ganze Reihe eingehender Ar- 
beiten über das Gehörorgan gebracht. Diese Arbeiten waren ebenso 
extensiv, wie intensiv und haben wesentlich die vergleichende 
Morphologie dieses interessanten Organs in vielen Punkten klar 
gelegt. In dieser Beziehung sind vor allem die Arbeiten von 
Hasse, Hensen, Retzius und Paul Meyer zu nennen. In 
jüngster Zeit hat Kuhn es unternommen den Gegenstand auf 
breiter Grundlage zu bearbeiten; den zwei in diesem Archiv er- 
schienenen Publicationen sollen noch weitere folgen. Wenn wir 
uns dennoch entschliessen über Studien zu berichten, die sich auf 
ein so vielfach und gründlich bearbeitetes Thema beziehen, so ge- 
schieht es, weil gerade die Ganoiden in letzter Zeit nicht in das 
Bereich der Untersuchungen gezogen wurden. Das Gehörorgan der 
Knorpelfische wurde überhaupt wenig untersucht. Von den älteren 
Anatomen berücksichtigen nur Weber!), Breschet?) und Ibsen 
die Knorpelfische. Die im Jahre 1878 im Archiv für Anatomie und 
Physiologie erschienene Arbeit von Retzius bezieht sich auf die 
Plagiostomen und behandelt nur die macroseopischen Verhältnisse 3). 
Dasselbe gilt für die Angaben von Hasse ‘). 


!) E.H. Weber, De aure et auditu hominis et animalium. Lipsiae 
1820. 

2) Breschet, Recherches anatomiques et physiologiques sur organ 
de l’ouie des Poissons. Paris 1838. 

3) Retzius, Zur Kenntniss von dem membranösen Gehörlabyrinthe 
bei den Knorpelfischen. Archiv f. Anat. u. Physiol. U. und II. Heft. 1878. 

4) Hasse, Die vergl. Morphologie und Histologie des Gehörorgans der 
Wirbelthiere. Bd. I. 1873. 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 487 


Das häutige Labyrinth der Ganoiden steht, wie wir gleich se- 
hen werden, dem Labyrinthe der Knochenfische, wie es Breschet 
gezeigt, viel näher als dem der Plagiostomen, und was die Neu- 
roepithelien anlangt, so stehen meine Beobachtungen mit den von 
Retzius !) an Knochenfischen gemachten, beinahe in vollem Ein- 
klange. Da in den Schriften der genannten Forscher die Littera- 
tur sehr genau berücksichtigt wurde, und Kuhn noch jüngst in 
den Spalten dieses Archivs sehr detaillirte geschichtliche Angaben 
gemacht hat, so glaube ich die Litteratur nur insoweit berücksich- 
tigen zu müssen, als sie zur Erklärung und richtigen Deutung des- 
sen beitragen kann, was ich an Ganoiden gesehen habe. Das fern- 
stehende Gehörorgan der Säuger habe ich daher aus der Discussion 
ganz ausgeschlossen. 


IE 
Topographie. 


Das Gehörlabyrintk der Ganoiden (Acip. Ruthenus, Acip. Stu- 
rio, Aecip. Schiffa) liegt zu beiden Seiten des Gehirns und zwar 
des Mittelhirns und des verlängerten Marks. Das vertical stehende 
Septum (eine Fortsetzung der dura mater) trennt das Labyrinth 
vom Gehirn und besitzt Oeffnungen, durch welche Gefässe und 
Nerven zum Labyrinth treten. Dieses Septum ist sowohl mit dem 
Rande der knorpeligen Höhle, die das häutige Labyrinth umgiebt, 
als mit dem oberen Abschnitte der Innenwand des Sacculus und 
der Innenwand des Utrieulus verwachsen. Mit Ausnahme der ge- 
nannten Theile liegt das übrige häutige Labyrinth in den knorpe- 
ligen Nebenhöhlen des Schädels, d. h. in dem sogenannten knor- 
peligen Labyrinthe. Das letztere wird von dem ersteren nicht 
vollkommen ausgefüllt, es bleibt ein Zwischenraum übrig (cavum 
perilymphaticum), der von dem s. g. perilymphatischen Gewebe 
ausgefüllt wird. Dieses Gewebe besteht aus bindegewebigen Bal- 
ken, und flächenhaft ausgebreiteten Lamellen, in denen Blutgefässe 
und zahlreiche elastische Fasern eingeschlossen sind. Sowohl Balken, 
als Lamellen besitzen einen endothelialen Belag. In den Zwischen- 
räumen dieses lockeren weichen Gewebes ist eine farblose Flüs- 


l) Retzius, Das Gehörlabyrinth der Knochenfische. Stockholm 1872. 


488 Alexander Qisow: 


sigkeit enthalten, in der Iymphoide Zellen und abgefallene Endo- 
thelien zu finden sind. Entfernt man. von dem knorpeligen La- 
byrinthe das oben erwähnte Septum, so tritt eine knorpelige Höhle 
zu Tage, die den mittleren Theil des häutigen Labyrinthes ent- 
hält — den utrieulus und den sinus superior utrieuli. Das cavum 
vestibuli wird somit nach innen von dem Septum, nach aussen 
vom Knorpel begrenzt. Nach unten und innen von dieser Höhle 
sieht man eine ovale Vertiefung, die dem hier gelegenen Sacculus 
entspricht. Das ist die fovea saceuli et lagenae. Weiter 
nach unten, aussen und vorne liegt als Fortsetzung des cavum 
vestibuli — die fovea recessus utriculi, allseitig vom Knorpel 
umgeben. Die Höhlung weitet sich nach vorn und etwas nach 
aussen zum cavum anterius aus, und enthält die ampullae sa- 
gittalis et horizontalis. Die Grenze zwischen fovea recessus utri- 
euli und cavum anterius bildet ein knorpeliger Vorsprung, der in 
das cavum anterius hineinragt. | 

Die Höhlung des ersten sagittalen Abschnittes setzt sich in 
das cavum canalis sagittalis fort, begiebt sich nach oben 
und hinten und mündet mit breiter Oefinung in das obere vordere 
Ende des cavum vestibuli. Die Höhlung des (zweiten) horizonta- 
len Abschnittes setzt sich in das cavum canalis horizontalis fort, 
welches sich in horizontalem Bogen nach aussen und hinten be- 
giebt, um in das cavum posterius zu münden. Nach hinten geht 
das cavum vestibuli in das cavum posterius über. Letzteres 
stellt einen kurzen, eanalförmigen Raum dar, der sich nach hinten 
begiebt und mit der Höhlung der frontalen Ampulle verbindet. 
Das cavum posterius enthält den sinus posterior und den hinteren 
Theil des horizontalen Canals des häutigen Labyrinths. Von der 
Höhle: der frontalen Ampulle aus nach vorn und oben verläuft das 
cavum canalis frontalis, indem es bogenförmig nach unten 
in den hinteren oberen Abschnitt des eavum vestibuli übergeht. 
Nach Eröffnung der genannten Höhlen wird erst das häutige La- 
byrinth der Beobachtung zugänglich. 

Das häutige Labyrinth der Ganoiden zerfällt in sechs Ab- 
sehnitte: 1) Utrieulus mit dem sinus superior et posterior, 2) Re- 
cessus utrieuli mit den ihm anliegenden 3) ampulla horizontalis 
und 4) ampulla sagittalis und der gesondert gelegenen 5) ampulla 
frontalis. Aus diesen Ampullen entspringen die drei entsprechen- 
den halbzirkelförmigen Canäle, die in den Utrieulus münden. End- 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 489 


lich 6) in den Saceulus. Dieser liegt an der unteren Wand des Utri- 
eulus und zerfällt in einen vorderen und einen hinteren Abschnitt 
— die Lagena. Zum Sacculus gehört auch der ductus endolympha- 
ticus mit dem saceus endolymphatieus. 

Der Utrieulus s. vestibulum proprium (Fig. 1 und 2 u) liegt 
im cavum vestibuli und bildet den mittleren Theil des häutigen La- 
byrinthes, mit welchem alle übrigen Abschnitte ecommunieiren. Ab- 
gesehen von seinen beiden sinus besitzt der Utrieulus die Form eines 
abgeflachten, ziemlich breiten von vorn nach hinten gerichteten 
Cylinders. Seine äussere Wand ist convex, die innere (gegen das 
Septum gekehrte) abgeflacht. Nach vorne öffnet sich der Utrieu- 
lus mit breiter Oeffnung in den recessus utrieuli (Fig. 1 r. u.). 
Letzterer wird von ersterem nur durch einen First an der unteren 
Wand getrennt. Nach hinten und etwas nach aussen geht der 
Utrieulus in den sinus posterior über. Letzterer stellt einen Canal 
vor, dessen breites, vorderes Ende in den Utriceulus übergeht, wäh- 
rend das hintere in die frontale Ampulle mündet (Fig. 1u.2a.f). 
Nach oben setzt sich der Utrieulus direkt in den sinus superior 
fort (Fig. 1s. s), der nach oben sich verengt und mit dem apex 
sinus superioris abschliesst. Letzterer ist übrigens nur beim Aecip. 
sturio ausgesprochen. In dem oberen Theil des sinus superior 
münden zwei halbmondförmige Canäle und zwar — vorn — das 
hintere Ende des sagittalen — hinten — das vordere des frontalen 
habzirkelförmigen Canals. 

Der recessus utriculi hat die Form eines horizontal lie- 
genden Cylinders, dessen untere Wand eingedrückt, d. h. abge- 
flacht ist, gleichzeitig ist die obere convexe Wand dicker, über- 
haupt ist die Wand des recessus utrieuli dicker, als die des utri- 
eulus. Indem sich der recessus von dem vorderen Ende des utri- 
culus nach vorne begiebt, weicht er gleichzeitig etwas nach aussen 
ab, so dass er mit der horizontalen Axe des utriculus einen Win- 
kel bildet. An dem vorderen Ende des recessus utrieuli liegen 
zwei Oefinungen, die durch eine von der unteren Recessuswand 
aufsteigende Falte getrennt sind. Durch diese Oeffnungen com- 
munieirt der recessus mit der horizontalen und sagittalen Ampulle. 

Die horizontale Ampulle (Fig. 1a. h.) ist mehr nach 
aussen und hinten geneigt, während die sagittale Ampulle 
(Fig. 1a. sg.) nach innen und vorne liegt. Die obere Wand beider 
Ampullen ist convex, während die untere abgeflacht und verhält- 


490 Alexander Qisow: 


nissmässig dick ist. Diese untere Wand bildet eine Querfalte, die in 
die Höhle der Ampulle hineinragt, und von der einen Seitenwand 
bis zur anderen reicht, d.i. das Septum transversum. In der 
mittleren Partie ist die Falte höher als an den Seiten. Diese Höhe 
des Septum transversum beträgt ungefähr ein Drittel der Ampul- 
lenhöhe. Die obere Fläche des Septum erscheint (bei der Ansicht 
von oben) an den Rändern breiter, als in der mittleren Partie 
(Fig.5 0). An der äusseren Fläche der unteren Ampullenwand 
sieht man eine Furche, die dem Septum transversum entsprechend 
verläuft, in der Mitte ihres Verlaufs sich vertieft und den Ampul- 
lennerv aufnimmt. Auf Verticalschnitten, die in der Richtung der 
genannten Furche geführt werden, reicht das Septum transversum 
von der einen Seitenwand bis zur anderen (Fig. 11). Schneidet 
man aber unter rechtem Winkel zur Verlaufsrichtung der Furche, 
so erscheint das Septum als Vorsprung, der in die Ampulle hin- 
einragt und auf einer Kuppe das Epithel der cerista acustica trägt. 
Gleich oberhalb der beiden Endpunkte des Septum transversum 
an :beiden Seitenwänden der Ampullen liegen die sogenannten 
plana semilunata. Das sind halbmondförmige Bildungen, die 
als dunkle Flecke durch die unversehrte Ampullenwand hindureh- 
schimmern. Die horizontale Ampulle besitzt nur ein planum semi- 
lunatum, das an der äusseren Ampullenwand liegt (Fig.5 p. 8). 
Die frontale Ampulle, die in das hintere Ende des sinus po- 
sterior mündet (Fig. la. f}, liegt nach hinten und etwas nach aus- 
sen vom Utrieulus und zeigt dieselben anatomischen Verhältnisse, 
wie die eben beschriebenen Ampullen. Die drei halbzirkel- 
förmigen Canäle stehen mit je einer Ampulle in Verbindung. 
Der canalis semicireularis horizontalis ist horizontal gestellt, wäh- 
rend die beiden anderen (can. semieire. frontalis et sagittalis) ver- 
tical gestellt sind. Der canalis frontalis (Fig. 1 e. f) beginnt an 
der entsprechenden Ampulle, verläuft nach oben und etwas nach 
aussen, biegt sich auf der Höhe bogenförmig, verläuft nach vorn 
und etwas nach innen und steigt dann hinab bis an den oberen 
Abschnitt des sinus superior, um hier mit breiter, trichterförmiger 
Oeffnung zu münden. Dieser Canal bildet also einen nach oben 
convexen Bogen. Der sagittale Canal beginnt mit rundlicher 
Oeffnung an der sagittalen Ampulle (Fig. 5 o. f), steigt anfangs 
aufwärts, biegt sich darauf nach hinten und begiebt sich hinab- 
steigend nach innen und unten. Er mündet ebenfalls mit breiter, 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 491 


triehterförmiger Oeffnung in den oberen Theil des sinus superior. 
Die Convexität des sagittalen Canals ist geringer, als die der bei- 
den übrigen. Der horizontale, halbzirkelförmige Canal begibt sich 
von der horizontalen Ampulle nach aussen und biegt sich dann, 
in einer horizontalen Ebene verlaufend, nach hinten und schliess- 
lich (in der Nähe der frontalen Ampulle) nach vorn. Dieser letzte 
nach vorn gerichtete Abschnitt des Canals verläuft neben der obe- 
ren und äusseren Seitenwand des sinus posterior. Die Wände des 
sinus und des Canals sind auf dieser Strecke verwachsen. Die 
Liehtungen der halbzirkelförmigen Canäle sind auf dem Querdurch- 
schnitte oval. Die Länge der einzelnen Canäle ist verschieden, 
am längsten ist der horizontale, am kürzesten der sagittale 
Canal. 

Der Saceulus bildet den unteren Theil des häutigen Laby- 
rinths (Fig. 1 s) und liegt zum grössten Theil in der fovea saceuli 
et Lagenae. Er besitzt eine länglich ovale Form, sein vorderer 
Abschnitt ist jedoch höher und breiter als der übrige Theil und 
erhebt sich kuppelförmig (Fig.3 c. p.). Die innere Wand des Sac- 
eulus ist dieker und flacher als die äussere, an welcher eine 
seichte Furche zu sehen ist (Fig. 2), die von oben nach unten 
verläuft und den eigentlichen Saceulus von dessen hinterem Theil, 
der Lagena, abgrenzt. An der hinteren Wand ist diese Grenze 
nicht angedeutet, daher besitzen Saceulus und Lagena eine gemein- 
schaftliche Höhle. Die obere, innere Wand des Sacculus verbindet 
sich (nach vorn zu) mit der unteren Wand des Utrieulus. Der 
Uebergang des Sacculus in den Utrieulus geschieht derart, dass die 
untere Wand (Boden) des Utriculus sich von innen an die vordere 
Wand des Saceulus heftet, in diese Verbindung geht jedoch der 
obere kuppelförmige Theil des Sacculus nicht ein, da er nach 
aussen verschoben ist und der äusseren Wand des Utrieulus an- 
liegt. Da, wo Utrieulus und Saceulus sich berühren, sieht man 
von innen eine seichte Furche. Um uns diese Verhältnisse klar 
zu machen, betrachten wir Fig. 3, die den mittleren Theil des 
häutigen Labyrinthes mit dem Saeculus darstellt. In dem mittle- 
ren Theile der Figur sieht man den Utrieulus (w), der nach oben 
in den sinus superior (s. s) übergeht; in den letzteren münden 
der sagittale und frontale halbzirkelförmige Canal. An den Sei- 
tentheilen der Figur sieht man den recessus utrieuli (r. u.) und 
den sinus superior (s. p). Unmittelbar unter dem sinus superior 


492 Alexander Qisow: 


sieht man durch die dünne innere Wand des Utrieulus das trieh- 
terförmige Ende des horizontalen halbzirkelförmigen Canals durch- 
schimmern. Ausserdem sieht man mehr nach vorn den kuppelför- 
migen, jenseits der äusseren Wand des Utrieulus gelegenen Ab- 
schnitt des Sacculus. Dieser kuppelförmige Theil sechimmert so- 
mit durch die äussere und innere Labyrinthwand durch, während 
der untere Theil des Saceulus frei vorliegt. Was die Communi- 
cation zwischen Utrieulus und Saceulus anlangt, so gehen die 
Höhlen beider durch einen kurzen Canal in einander über. Dieser 
verticale canalis utriculo - saceularis durchbohrt mit ovaler 
Oeffnung einerseits die untere Wand des Utrieulus, andererseits die 
obere Wand des Saceulus. Etwas nach unten von dieser letztern 
Oeffnung sieht man an der vorderen inneren Wand des Saceulus 
eine ovale Oeffnung (Fig. 3 o. d. e), die in einen häutigen Canal 
führt (Fig. 3 und 4 d. e). Dieser von Hasse als duetus endo- 
Iymphatiecus beschriebene Canal beginnt am Sacculus und steigt 
zwischen der vorderen inneren Wand des Utriculus und dem Septum 
in die Höhe, wo er'in einen Blindsack, den saceus endolympha- 
tieus, übergeht. Dieser Sack ist nach vorn geknickt und commu- 
nieirt keineswegs mit der Schädeloberfläche. Canal und Blind- 
sack sind von perilymphatischem Gewebe umgeben. Der ductus 
endolymphaticus wird von einigen Anatomen dem aquaeductus ve- 
stibuli der Säuger homolog gesetzt. Weber nennt Monro als den 
Entdecker des in Rede stehenden Canals bei Fischen. Weber 
selbst nennt den Canal: canalis auditorius externus und lässt ihn 
bei Plagiostomen vom Saceulus aufsteigen und in einen unter der 
äussern Haut gelegenen Sack — den sinus auditorius externus — 
übergehen. Von diesem sinus aus führen 2—3 Canäle an die 
Sehädeloberfläche. Später hat Breschet den Canal bei Haien 
und Rochen als „tube ou canal aseendant“ beschrieben und auch 
bis an die Schädeloberfläche verfolgt. Im Gegensatz zu diesen 
Forschern behauptet Hasse !), dass der Saceus endolymphatieus 
bei Fischen (Spinax acanthias, Raja torpedo) ein nach aussen 
vollkommen geschlossener Blindsack ist, während Retzius?) in 


1) Hasse, Die vergleichende Morphologie und Histologie des Gehör- 
orgeans der Wirbelthiere. Bd. I. 1873. 

2) Retzius, Zur Kenntniss von dem membranösen Gehörlabyrinthe bei 
den Knorpelfischen. Arch. f. Anat. u. Physiol. Heft II u. III. 1878. 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 495 


seiner letzten Arbeit über das Gehörlabyrinth der Knorpelfische 
die Angaben der älteren Anatomen bestätigt. Retzius hat die 
fraglichen Verbindungscanäle bei Acanthias vulgaris und Raja cla- 
vata durch Injection und Präparation nachgewiesen. Ich habe den 
in Rede stehenden Blindsack wiederholt präparirt und genau mi- 
kroskopisch untersucht, habe ihn mehrere Male injieirt, aber nie- 
mals eine Communication mit irgend welchen Canälen ausserhalb 
des Labyrinths nachweisen können. Bei den Ganoiden stellt so- 


mit der saccus endolymphaticus einen nach aussen abgeschlossenen 
Blindsack dar. 


1. 
Struetur der Wand des häutigen Labyrinths. 


Nach Retzius !) besteht die Labyrinthwand aus einem festen 
knorpeligen Gewebe mit hyaliner Grundsubstanz, in der nur spär- 
liche Fibrillen vorkommen. In dieser Grundsubstanz sind spindel- 
förmige Zellen eingebettet, die oft der Wandfläche parallel an- 
geordnet sind. Retzius nennt dieses Gewebe — Spindelknorpel. 
Hasse ?) ist mit Retzius einverstanden, unterscheidet aber noch 
einen Basalsaum an der inneren Fläche der Labyrinthwand. 
Kuhn °) stimmt ebenfalls mit den genannten Forschern überein. 
Von allen Autoren wurden in dem Grundgewebe Canäle beschrie- 
ben, in denen Blutgefässe verlaufen; besonders engmaschig er- 
scheint das Blutgefässnetz in dem Verbreitungsbezirke der Nerven. 
Diesen letzten Punkt können wir vollständig bestätigen, was aber 
die Structur des Grundgewebes anlangt, so können wir die Ansich- 
ten unserer Vorgänger nicht acceptiren. 

Legt man ein Stück des häutigen Labyrinths eines eben ge- 
tödteten nicht zu grossen Fisches in eine indifferente Flüssigkeit 
und betrachtet es bei starker Vergrösserung, so sieht man auf 
hellem durehsichtigem Grunde feinkörnige, abgeflachte verzweigte 
Gebilde mit central gelegenem ovalen Kerne. Die feineren Fort- 


1) Retzius, Das Gehörlabyrinth der Knochenfische. Stockholm 1872. 
2) Hasse, Das Gehörorgan der Fische. Anat. Studien. Heft II. 1872. 
3) Kuhn, Ueber das häutige Labyrinth der Knochenfische. Archiv f. 
mikrosk. Anat. Bd. XIV. 1877. 


494 Alexander Qisow: 


sätze dieser sternförmigen Zellen theilen sich und anastomosiren 
unter einander. Durch diese Anastomosen werden Zellen verbun- 
den, die sowohl neben als über einander liegen. Man erhält so- 
mit ein Bild, das an die Cornea erinnert. Dieses Zellennetz tritt 
auch sehr scharf hervor, wenn man das häutige Labyrinth mit 
Goldehloridkalium behandelt. Das Zellprotoplasma färbt sich dun- 
kel, während Kerne und Grundsubstanz hell bleiben (Fig. 33). 
Auf Verticalschnitten erscheinen die in Rede stehenden Zellen spin- 
delförmig, sie sind in Reihen angeordnet, die der Innenfläche der 
Labyrinthwand parallel laufen. Diese Spindelform wird dadurch 
bedingt, dass der grösste Theil der Zellenfortsätze von dem Schnitt 
getroffen wird, es treten nur diejenigen Fortsätze hervor, die in 
einer Ebene mit dem Zellkörper liegen. An ÖOsmiumpräparaten 
tritt das Zellprotoplasma mit den Fortsätzen noch schöner hervor. 
Man überzeugt sich ausserdem, dass die Zelle der Grundsubstanz 
nicht unmittelbar anliegt, es bleibt zwischen den beiden ein heller 
Zwischenraum, der auf die Vermuthung führt, dass die anastomo- 
sirenden Zellen in besonderen Räumen liegen. Diese Vermuthung 
wird zur Gewissheit, wenn man die Silberimprägnation zu Hülfe 
nimmt. An Silberpräparaten sieht man in der Flächenansicht auf 
braunem Grunde ein System von hellen sternförmigen unter ein- 
ander anastomosirenden Figuren, die in verschiedenen Ebenen 
liegen und sich zum Theil deeken. Auf Fig. 32 ist dieses Saft- 
canalsystem bei verschiedener Focalstellung aufgenommen. Die 
Configuration dieses Safteanälchennetzes ist der des Zellnetzes 
sehr ähnlich (conf. F. 33). An Verticalschnitten sowohl wie an 
Flächenpräparaten, die mit Pierocarmin gefärbt sind, sieht man 
sehr deutlich die gefärbten Zellen in den farblosen Safträumen 
liegen. Letztere erscheinen an Verticalschnitten als schmale Spal- 
ten, die in parallelen Reihen angeordnet sind und spindelförmige 
Zellen enthalten. Weitere Aufschlüsse erhält man mittelst des 
Chlorpalladiums, das man 24 Stunden in einer Lösung von 1lp.m. 
einwirken lässt. An Verticalschnitten sieht man in der glashellen 
durchscheinenden Grundsubstanz die in Rede stehenden Saftbahnen 
als ein System von communieirenden Röhren, jdie mit besonde- 
ren doppelt contourirten Wänden versehen sind. Diese fei- 
nen, aber bei starker Vergrösserung mit doppelten Contouren ver- 
sehenen Röhrenwände färben sich in Chlorpalladium gelbbraun 
und treten daher in der glashellen Grundsubstanz sehr scharf her- 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 495 


vor (Fig. 31). In den Lichtungen der Röhren sieht man Kerne 
mit mehr oder weniger Protoplasma. Ob es möglich sein wird 
dieses Canalsystem zu isoliren und zu injieiren, wage ich noch 
nicht zu behaupten, ja ich weiss nicht einmal, ob dasselbe mit 
dem von Budge!) aus dem hyalinen Knorpel dargestellten Canal- 
netze zu identifieiren ist. Meine Untersuchungen werden in dieser 
Richtung noch fortgesetzt. 

Die auseinandergesetzten Strueturverhältnisse beziehen sich 
nicht auf alle Theile der Labyrinthwand. In den dünneren Wän- 
den des utrieulus und in der äusseren Wand des sacculus gibt es 
elastische Netze, die in einer faserigen Grundhaut liegen. In letz- 
terer findet man ausserdem Zellen, die zerstreut liegen, und die 
oben beschriebene Form besitzen. Die elastischen Netze liegen in 
zwei Lagen übereinander. An der inneren Fläche des saceulus 
besteht dieses Netz aus feinen elastischen Fasern, während in den 
äusseren Wandschichten das grossmaschige elastische Netz aus 
diekern Fasern construirt ist. | 

Was das Epithel an der Innenfläche des häutigen Laby- 
rinths anlangt, so verhält es sich ähnlich dem der Knochenfische. 

In der Nähe des Neuroepithels an der erista et macula acu- 
stica findet man in grosser Zahl die seit M. Schultze bekannten, 
verästelten, grobkörnigen, in Osmium sich dunkel färbenden Zellen. 
M. Schultze nannte sie „Cylinderzellen mit sternförmigem Quer- 
schnitt“, Hasse — flaschenförmige Pigmentzellen, Retzius — 
protoplasmatische Epithelien. Die Bedeutung dieser Zellen ist un- 
klar, mit Nerven haben sie nichts zu schaffen. Das flache poly- 
gonale Epithel setzt sich in den sinus superior et posterior, sowie 
in den recessus utrieuli fort. In der Nähe der macula acustiea 
utrieuli werden die flachen Zellen dieker, cubisch, hier findet man 
Uebergangsformen zu den Basalzellen des Neuroepithels (Fig. 8 u. 
9, g.). In den Ampullen geht das flache Epithel an der Kuppel 
in eylinderförmiges über, die Zellen sind hier radiär gestellt. Am 
Boden der Ampullen findet man die erwähnten protoplasmatischen 
Epithelien (Retzius). An den Seitenwänden der Ampullen, d. h. 
an den Enden des septum transversum, liegen die plana semilunata 
(Steifensand). Diese Gebilde (Fig. 6. p. s.) bestehen aus Cylinder- 


1) Budge, Weitere Mittheilung über die Saftbahnen im hyalinen 
Knorpel. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. XVI. 1878. 


496 Alexander (isow: 


zellen, die an den Rändern niedrig sind, gegen die Mitte des 
planum aber stetig an Höhe zunehmen (Fig. 11). An ihrer freien 
Fläche sieht man häufig ovale Kugeln (Albuminatkugeln-Retzius), 
die wahrscheinlich von dem Zellprotoplasma abgesondert werden. 
Der runde Kern der Zelle enthält ein glänzendes Kernkörperchen. 
In den halbeirkelförmigen Canälen wird das flache Epithel an der 
äusseren convexen Seite etwas dicker d. h. höher. Das flache 
Epithei des sacculus geht, wie im utrieulus an der macula acu- 
stiea saceuli in eylinderförmiges über. Auch im saceulus findet 
man in der Umgegend des Nervenepithels sternförmige protoplas- 
matische Epithelien. Die Wand des ductus endolymphatieus ist 
der oberen Wand des saceulus ähnlich gebaut, das polygonale 
flache Epithel wird nur an der Grenze des sacculus etwas höher. 
Ductus und saceus endolymphatieus sind mit einem Brei gefüllt, 
der aus kleinen Kalkkrystallen besteht (Fig. 10). Von aussen wird 
der duetus endolymphatieus von perilymphatischem Gewebe um- 
geben. Letzteres befindet sich auch zwischen Septum und ductus 
endolymphatieus. Das Septum ist eine bindegewebige von elasti- 
schen Fasern durchsetzte Haut, deren Dieke mit der Grösse der 
zur Untersuchung verwendeten Exemplare sehr wechselt. Bei grös- 
seren Fischen ist sie mit der innern Wand des utrieulus und der 
oberen Wand des saceulus verwachsen. Die Höhle des Labyrinths 
ist von einer klaren Flüssigkeit, der sogenannten Endolymphe, 
erfüllt. 


Ill. 


Verlauf des nervus acustieus und seiner Zweige im 
Gehörlabyrinth. 


Im Gehörlabyrinthe der Ganoiden giebt es acht gesonderte 
Endausbreitungen des nervus acustieus: 1) Die macula acustica 
recessus utrieuli, 2) die macula acustica saceuli, 3) die 
macula acustica Lagenae, 4) die erista acustica amp. 
sagittalis, 5) die erista acustica amp. horizontalis, 6) 
erista acustica ampullae frontalis, endlich 7) und 8) die 
beiden von Retzius entdeckten papillae basilares. 

Der Gehörnerv verlässt die medulla oblongata als kurzer ab- 
geflachter Stamm, der sich nach aussen wendet und in zwei 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 497 


Zweige theilt: den ramus vestibularis und ramus cochlearis. 
Der ramus vestibularis begibt sich nach aussen an die untere 
Wand des recessus utrieuli, hier theilt er sich in zwei Zweige, 
den ramulus ampullae sagittalis und den ramulus amp. 
horizontalis. In dem Winkel zwischen den genannten Aesten 
entspringt der ramulus recessus utriculi. Er bezieht zum 
Theil seine Fasern aus dem ramus vestibularis, zum Theil aus 
dessen Aesten und breitet sich fächerförmig an der untern Wand 
des recessus utrieuli aus, indem er die macula acustica utrieuli 
bildet. Die beiden für die Ampullen bestimmten Aeste verlaufen 
an der unteren Wand der betreffenden Ampullen bis zum suleus 
transversus, der bei Ganoiden schwächer ausgebildet ist, als bei 
den Teleostiern. Von hier aus dringen die Nerven durch das se- 
ptum transversum bis an das Epithel der erista acustica. Beide 
Ampullennerven werden häufig durch einen an der unteren Wand 
des recessus utrieuli verlaufenden ramulus anastomotieus verbunden. 

Der ramus cochlearis begibt sich, nach hinten verlaufend, 
an die innere Wand des saceulus. Auf dieser Strecke entspringen 
aus ihm die ramuli saceuli, die an die maecula acustica saceuli 
herantreten. Weiter nach hinten entspringen aus dem ramus coch- 
learis die kleinen büschelförmigen ramuli basilares cochleae. 
Diese Zweige verlaufen nach oben und vorn zu den von Retzius 
entdeckten papillae partis basilaris. Das sind nach innen vor- 
springende kleine Erhöhungen an der unteren Wand des utrieulus. 
Das sie bedeckende Epithel entspricht vollkommen dem Epithel 
an den cristae et maculae acusticae. Nach Abgang der genannten 
Aeste theilt sich der ramus eochlearis in die beiden Endäste: den 
ramulus lagenaris cochleae und den ramulus amp. fron- 
talis (Fig. 3 u. 4 r. a. f.). Der letztere verläuft nach oben und 
hinten an der unteren Wand des sinus posterior und der fron- 
talen Ampulle und breitet sich vor dem suleus transversus fächer- 
förmig aus, um durch das septum transversum bis an das Epithel 
der cerista acustica vorzudringen. Der zweite Endast — der ramu- 
lus lagenaris cochleae (Fig. 3 und 4 r. 1. ec.) geht nach unten und 
hinten, indem er sich fächerförmig an dem hinteren Ende des 
saceulus, in der macula acustica Lagenae ausbreitet. In Bezug 
auf den nervus acusticus muss noch bemerkt werden, dass einige 
seiner Zweige mit bipolaren Ganglienzellen versehen sind und 
zwar: der ramus vestibularis, ramus cochlearis, ramulus recessus 


498 Alexander (isow: 


utrieuli, ramulus saceuli und ramulus lagenae. Diese Ganglien 
fehlen hingegen an den Zweigen, die sich zu den Ampullen und 
den papillae basilares begeben. 

Es wurde bereits erwähnt, dass der nervus acustieus acht 
gesonderte mit Nervenepithel bedeckte Endapparate besitzt. Letz- 
tere sind folgendermassen gelagert und geformt. Das Nervenepi- 
thel (erista acustica M. Schultze) der Ampullen liegt auf der 
oberen Fläche des septum transversum. Dieses Epithellager ist 
daher wie die obere Fläche des septum breiter an den Enden 
d. h. an den Seiten und schmäler in der Mitte. Die übrigen End- 
apparate des Hörnerven besitzen verschiedene Grösse und Form. 
Die macula acustica saceuli: besitzt die Form eines oblongen 
Fleckes, der an Osmiumpräparaten dunkel erscheint. Diese dunkle 
Färbung hängt von der dunklen Färbung des Neuroepithels d. h. 
der Cylinderzellen ab, aber noch mehr von den zahlreichen myelin- 
haltigen Nerven, die in der Wand des saceulus dichte Plexus bil- 
den. Diese Nervenendigung liegt an der innern Fläche des sac- 
culus, dessen Wand hier verdickt ist. Der mittlere und zum Theil 
der vordere Abschnitt des sacculus ist von ihr eingenommen, wäh- 
rend in dem hinteren Abschnitt eine gesonderte Nervenendigung, 
die macula acustica Lagenae liegt. Diese ist kleiner als die ma- 
cula saceuli und besitzt eine rundliche Form. Was die macula 
acustica utrieuli anlangt, so ist sie ebenfalls dunkel gefärbt und 
liegt an der inneren Fläche der verdiekten unteren Wand des 
recessus utrieuli, zwischen dem ramulus amp. sagittalis und dem 
ramulus amp. horizontalis. Endlich müssen die beiden von Neuro- 
epithel bedeckten papillae partis basilaris erwähnt werden. Sie 
liegen an der inneren Fläche der unteren Utrieuluswand als kleine 
rundliche Flecken, die von Retzius zuerst beim Hecht beschrie- 
ben wurden. 

Es erübrigen noch ein paar Worte über die membranae 
teetoriae und die Otolithen. Die ersteren bedecken als feine homo- 
gene, durchlöcherte Häute das Epithel der maculae acusticae, ihre 
gegen das Epithel gekehrte Fläche zeigt Vertiefungen, sodass die‘ 
Membran in der Flächenansicht durehlöchert erscheint. Ihre nach 
innen gekehrte Fläche d. h. die obere — ist noch von einer halb- 
flüssigen, schleimigen, in frischem Zustande vollkommen homogenen 
Masse bedeckt, in welcher die Otolithen liegen. Beim Acipenser 
giebt es nur einen grossen Otolithen (sagitta), der auf der macula 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 499 


saceuli liegt. Auf der macula utrieuli und maeula lagenae fehlen 
die grossen Otolithen der Knochenfische (Lapillus, Asteriseus). Hier 
liest aber eine Masse kleiner Steine, die eine concentrische Strei- 
fung erkennen lassen (Fig. 10). Im Centrum dieser Otolithen sieht 
man einen homogenen Kern, der von mehr oder weniger zahlrei- 
chen Schichten bedeckt ist, je zahlreicher diese Schichten, um so 
grösser der Stein. Er wächst also durch Auflagerung neuer Schich- 
ten. An den cristae acusticae fehlen sowohl die Otolithen, wie die 
membranae tectoriae. Das Epithel ist hier aber von der sogenann- 
ten ceupula terminalis (Lang) bedeckt. Nach der Beschreibung 
von Hasse, Retzius und Kuhn ist es ein durchsichtiges, zartes 
längsgestreiftes Gebilde, das kuppelförmig in die Höhle der Am- 
pulle hineinragt. 
Hensen!) hält die Cupula für ein Kunstproduet, weil er 
an frischen, jungen, durchsichtigen Exemplaren von Gobius, Barsch 
und Hering nichts von einer cupula terminalis sehen konnte, wohl 
aber sehr lange Hörhare, die in die Höhle der Ampullen hinein- 
ragten. Bei den Ganoiden bekommt man an gehärteten Labyrin- 
then eine ebensolche cupula terminalis zu Gesicht, wie sie für die 
Knochenfische beschrieben wurde. Hingegen sieht man nichts von 
einer cupula, wenn man die cerista einem eben getödteten Fische 
entnimmt und in indifferenter Flüssigkeit untersucht. Ich bin daher 
geneigt mit Hensen die cupula als Kunstproduct anzusehen. 


IV. 
Der Endapparat des Gehörnerven. 


Die Structur des Epithels, das die maculae und cristae acu- 
sticae bedeckt, sowie die Beziehungen dieses Epithels zu den 
Enden des nervus acusticus sind immer noch als offene Fragen 
zu betrachten, trotz vielfältiger und sorgfältiger Untersuchungen, 
die gerade in letzter Zeit veröffentlicht wurden. Die älteren Be- 
obachter (Hartmann, Krieger) liessen den Hörnerv in End- 
schlingen auslaufen, während die späteren Autoren einen Zusam- 


1) Hensen, Bemerkungen gegen die cupula terminalis. Archiv für 
Anat. u. Physiol. VI. Heft. 1878. i 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 34 


500 Alexander Qisow: 


menhang der Epithelien mit den Fasern des nervus acustieus sta- 
tuirten. Meissner, Stannius, Leydig und Reich vertreten 
eine dritte Ansicht, die in der Annahme von spindelförmigen Ver- 
diekungen der Nervenfasern gipfelt. Diese Verdickungen (Nerven- 
zellen) sollen an der Grenze des Epithels liegen und sich als 
“ fadenförmige Gebilde zwischen die Epithelien fortsetzen. F. E. 
Schultze beschreibt einen direeten Uebergang der Fasern des 
Hörnerven in die Hörhaare. Diejenigen Autoren, welche den un- 
mittelbaren Zusammenhang der Neuroepithelien mit den Nerven- 
fasern statuirten, zerfallen wiederum in zwei Lager. Die einen 
(Oedenius, Kölliker, Rüdinger, Grimm, Ebner und Kuhn) 
bestätigen die Angaben von Max Schultze, der die sogenannten 
Fadenzellen mit den Fibrillen des Hörnerven in Verbindung bringt, 
während die anderen (Hasse, Deiters, Hensen, Retzius, 
Paul Meyer) den Hörnerven mit den Oylinderzellen in Verbin- 
dung setzen. Zu dieser letzten Ansicht bekennt sich auch Kuhn 
in seiner letzten Arbeit „Ueber das häutige Labyrinth der Am- 
phibien“ (dieses ‘Archiv Bd. XVII). Gleichzeitig statuiren aber 
Kuhn und Paul. Meyer die Existenz feinster Nervenfäden, die 
frei zwischen den Cylinderzellen endigen. 

Bei der Mittheilung dessen, was ich gesehen, werde ich zu- 
erst das Neuroepithel und dann die eigentlichen Nervenendi- 
sungen behandeln: 


a) Das Neuroepithel. 


An Isolationspräparaten ist es leicht die von M. Schultze 
untersehiedenen Zellformen wiederzufinden. Die Cylinderzellen 
und die Fadenzellen. Die Cylinderzellen sind etwas auf- 
gebaucht an der Stelle, wo der Kern liegt. Letzterer ist oblong 
und besitzt ein glänzendes Kernkörperchen. An jedem aufge- 
bauchten Cylinder kann man zwei Theile unterscheiden, einen 
peripheren und einen centraler (Fig. 19 e. e.). Der periphere 
Theil ist eylinderförmig, breiter als der centrale, beginnt un- 
mittelbar am Zellkörper und verjüngt sich etwas gegen das 
freie Ende, welches gewöhnlich mit einem hellen Saume abschliesst 
(Fig. 19 0.). Dieser strueturlose Saum tritt besonders an Osmium- 
präparaten hervor, weil er farblos und hell bleibt, während die 
Zelle dunkelgekörnt erscheint. Manchmal fehlt der Saum an iso- 
lirten Zellen. Das sind verstümmelte Zellen mit abgefallenem 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 501 


Saum. An gut conservirten Zellen sieht man an der freien Fläche 
des Saumes ein Büschel feiner Härchen. Sie erscheinen als helle 
Fäden, die an der Basis aneinandergerückt sind und gegen die 
Peripherie hin pinselförmig auseinanderfahren. Diese sog. Hör- 
haare sind sehr lang, sie messen 0,01—0,022 mm. In jedem Büschel 
zählt man 6—8 Haare (Fig. 19 h.). An dicken Schiefschnitten 
überzeugt man sich, wenn die Grenzen der freien Zellflächen scharf 
hervortreten, dass die Büschel in die Mitte der freien Zellfläche 
sich inseriren. Dieses Verhältniss tritt auf Fig. 14 sehr klar her- 
vor. Aber auch an Verticalschnitten überzeugt man sich, dass die 
Hörhaare von der Mitte der freien Zellfläche und nicht etwa an 
der Grenze zwischen zwei Zellen entspringen, wie es Ebner be- 
schrieben. An Präparaten, die mit Osmium und darauf mit Chrom- 
säure bearbeitet wurden, sieht man häufig (Fig. 19 e, Fig. 20 h 
und Fig. 21 h) statt des Haarbüschels nur ein Haar, das mit brei- 
ter Basis am Zellsaum beginnt und sich gegen das freie Ende 
verjüngt, es ist viel dicker als die Haare des Büschels, während 
die Länge dieselbe bleibt. Welche Bilder dem natürlichen Sach- 
verhalt entsprechen, ist schwer zu entscheiden. Retzius hält das 
Hörhaar für ein zusammengesetztes Gebilde, das unter Umständen 
in einzelne Stäbe zerfallen kann, während Kuhn die Biüschel- 
form als die natürliche ansieht und das Erscheinen eines einzel- 
nen dicken Haars auf ein Zusammenkleben der feinsten Härchen 
zurückführt. Berücksichtigt man die Beobachtungen von Hensen, 
welcher an lebenden Exemplaren von Gobius, Barsch ete., nur ein 
Haar an jeder Zelle gesehen hat, so scheint die Deutung von 
Retzius die richtigere zu sein. Die übrigen Autoren sehen das 
Hörhaar als einfaches Gebilde an. Ein Durchtreten der Härchen 
durch den Zellsaum, wie es Grimm, Rüdinger, Paul Meyer 
beschrieben, habe ich nie beobachtet. Der grösste Theil der Be- 
obachter konnte das in Rede stehende Verhalten nieht bestätigen. 
Das centrale Ende der Cylinderzelle verjüngt sich und geht in 
einen centralen Fortsatz über (Fig. 19 e.), der jedoch grüssten- 
theils fehlt, daher erscheint das centrale Ende gewöhnlich abge- 
stumpft (Fig. 19 a. b.). Der eentrale Fortsatz, wenn er vorhanden 
ist, erscheint nach meinen Beobachtungen nie so fein und lang, 
wie er von einigen Beobachtern (Kuhn, Retzius, Hasse) be- 
schrieben wird. Er ist im Gegentheil verhältnissmässig kurz und 
ist weder varicös noch fadenförmig, wohl aber streifig und ver- 


502 Alexander Qisow: 


hältnissmässig diek (Fig. 19 c.e.). Da in den meisten Fällen, so- 
wohl an Isolationspräparaten als an Verticalschnitten das eentrale 
Ende der Cylinderzellen abgestumpft erscheint, so ist es möglich, 
dass ein centraler Fortsatz überhaupt fehlt, und das, was als Fort- 
satz manchmal imponirt, als abgerissener der Zelle anliegender 
Nervenfaden zu deuten ist. Die häufig zu beobachtende Streifung 
an der Zelle unterstützt diese Deutung. Wir kommen darauf noch 
zurück. In Osmium und Chlorgold erscheinen die Cylinderzellen 
dunkel. An Osmiumpräparaten erscheinen die dunkelgefärbten 
Cylinderzellen körnig. Diese Körnelung rührt daher, dass eine 
zwischen den Cylinderzellen vorhandene körnige Kittsubstanz durch 
das Osmium gefärbt wird und den Cylinderzellen anhaftet. An 
gelungenen Macerationspräparaten schwinden diese Körnchen und 
die Cylinderzelle erscheint dann längsstreifig (Fig. 25 u. 27). 
Diese zarten Längsstreifen erscheinen bei starker Vergrösse- 
rung als feine, häufig varicöse Fäden, die bis an den helleren 
Saum der Zelle reichen. Manchmal ist auch der untere centrale 
Fortsatz streifig, wodurch der letztere den Nervenfibrillen, die un- 
terhalb der Cylinderzellen einen Plexus bilden, sehr ähnlich wird. 
Bei wechselnder Foealstellung überzeugt man sich, dass die Strei- 
fung nur eine oberflächliche ist, bei scharfer Einstellung auf 
die tieferen Partien des Zellprotoplasma oder auf den Kern schwin- 
det die Streifung. Wir machen auf dieses Verhältniss besonders 
aufmerksam angesichts dessen, dass einige Beobachter die Nerven- 
fäden bis an den Kern durch das Zellprotoplasma hindurch ver- 
folgt haben wollen. Es muss aber schon hier bemerkt werden, 
dass wir eine Verbindung des -Nervenfadens mit dem Zellkern 
durchaus in Abrede stellen. Die körnige Kittsubstanz, sowie die 
Streifung der Cylinderzellen in den Ampullen der Vögel hat be- 
reits Ebner constatirt. Dieser Forscher lässt es aber unentschie- 
den, ob die Striehelung von den Abdrücken herrührt, welche die 
Fadenzellen auf der Oberfläche der Cylinderzellen hinterlassen, 
oder von Nervenfasern, die an der Oberfläche der Cylinderzellen 
sich in längslaufende Fäden auflösen. Wir schliessen uns mit 
einiger Modification der letzteren Ansicht an und glauben, dass 
die erstgenannte Möglichkeit nieht in Betracht kommen kann, weil 
die peripheren Fortsätze der Fadenzellen viel dicker sind, als die 
feine Streifung der Oberfläche der Cylinderzellen. An den cristae 
acusticae sind alle Cylinderzellen gleich lang, was an den maculae 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 503 


acusticae nicht der Fall ist. An der Peripherie der macula acu- 
stiea Lagenae und in der Mitte der maeula utrieuli sind die Cy- 
linderzellen um die Hälfte kürzer, als an den übrigen Localitäten. 

Was die andere Zellenart — die Fadenzellen angeht, so 
ist ihre Form verschieden je nach der Lagerung des Kerns (Fig. 22 f). 
Liegt der Kern in der Mitte des fadenförmigen Gebildes, so resul- 
tirt eine Spindelform (Fig. 22 u. 23), d. h. wir haben die von M. 
Schultze beschriebene Fadenzelle vor uns. Von dem ovalen Zell- 
körper, in welchem der Kern liegt, umgeben von einer dünnen Pro- 
toplasmaschicht, treten zwei dünne blasse Fortsätze ab; der Kern 
dieser Zellen reicht nie bis zwischen die Cylinderzellen, sondern liegt 
immer tiefer. Zwischen den letzteren liegt nur der periphere Fort- 
satz der Fadenzelle (Fig. 22, 25, 26, 27, f). Er steigt bis an den hellen 
Cuticularsaum der Cylinderzellen empor, wo er mit etwas verbrei- 
tertem Ende abschliesst, oder richtiger mit dem Cuticularsaum ver- 
schmilzt, indem letzterer eine continuirliche Grenzschicht bildet, 
gleichsam eine membrana limitans externa (Fig. 20, 21 0). Der 
untere centrale Fortsatz der spindelförmigen Fadenzellen ist kei- 
neswegs varicös, wie er vielfach beschrieben wird, er ist aller- 
dings manchmal feiner, als der periphere und inserirt sich etwas 
verbreitert an dem Basalsaum. Die anderen Fadenzellen, deren 
Kerne tief unten liegen, besitzen nur einen peripheren Fortsatz, 
während der den Kern beherbergende Zellkörper unmittelbar dem 
Basalsaum aufsitzt (Fig. 22 f). Der Fortsatz entspringt vom ko- 
nischen Zellkörper und reicht bis an den Cuticularsaum, mit dem 
er verschmilzt (Fig. 24). Reisst der Fortsatz ab, so erhalten wir 
verstümmelte conische Zellen (Fig. 23f'), die den Basalzellen M. 
Schultze’s vollkommen entsprechen. Dort wo das Epithel nie- 
driger ist (in der Mitte der macula recessus utrieuli und an der 
Peripherie der macula Lagenae) sind auch die Fortsätze der Basal- 
zellen kürzer (conf. Fig. 23 II). Daraus folgt, dass die Basal- 
zellenals solche nicht existiren. Das, was die Autoren unter 
diesem Namen beschreiben, sind Fadenzellen, deren Kerne im un- 
teren centralen Ende der Zelle liegen und deren periphere Fortsätze 
abgerissen sind (Retzius). 

An Isolationspräparaten sieht man nicht selten folgende Bil- 
der (Fig. 24). Mehrere periphere Fortsätze der Fadenzellen hän- 
gen an dem Cutieularsaum unter einander zusammen. Zwischen 
den Fadenzellen erscheinen Zwischenräume, aus denen die Cylin- 


504 Alexander Gisow: 


derzellen herausgefallen sind. An anderen Präparaten (Fig. 26 I 
und II) sind die Cylinderzellen noch erhalten. An den Stellen, 
wo die Cylinderzellen eine geringe Höhe besitzen, wie in der 
Mitte der macula acustica recessus utrieuli und in der Peripherie 
der macula Lagenae, fehlen die spindelförmigen Fadenzellen M. 
Schultze’s vollkommen. Man findet zwischen den Cylinderzellen 
nur die Basalzellen M. Schultze’s, deren periphere Fortsätze bis 
an den Cuticularsaum reichen (Fig. 23 III). An Schnittpräparaten 
aus der Mitte der maculae acusticae recessus utrieuli treten ge- 
wöhnlich nur die kerntragenden Basaltheile der fraglichen Zellen 
hervor, während die Fortsätze zwischen den Cylinderzellen ver- 
deckt werden (Fig. 34). 

Da wir nun die Basalzellen als verstümmelte Fadenzellen 
mit tiefliegendem Kerne erkannt haben und uns (wie weiter unten 
auseinandergesetzt wird) überzeugt haben, dass nur die Cylinder- 
zellen mit Nerven in nähere Beziehungen treten, so unterscheiden 
wir Cylinderzellen und Stützzellen, indem wir die letztere 
von Retzius gewählte Bezeichnung, sowohl auf die Fadenzellen, 
als die Basalzellen M. Schultze’s anwenden. 

Hat man sich an Isolationspräparaten über die Form der 
epithelialen Elemente instruirt, so gelangt man auch zu einer rich- 
tigen Deutung dessen, was man an einem Verticalschnitte des 
Epithelstratums sieht. An einem regelrecht geführten Schnitte aus 
der erista aecustica (Fig. 12 u. 20) sieht man an dem freien Rande 
des Epithels einen hellen in Osmium sich nicht färbenden Saum, 
den sogenannten Cuticularsaum (Fig. 20 0). Von diesem Saume 
aus und zwar entsprechend der Mitte der freien Fläche je einer 
Cylinderzelle tritt ein langes, an der Basis breites, gegen das 
freie Ende sehr feines Haar ab. Niemals sitzen diese Haare an 
der Grenze zwischen den freien Flächen der Zelle oder an dem 
Rande. Unmittelbar an den hellen Cuticularsaum schliessen sich 
die dunkeln Cylinderzellen, die durch helle, schmale Zwischen- 
räume getrennt sind. Diese hellen Linien sind die peripheren Fort- 
sätze der Fadenzellen. Ungefähr in der Mitte einer jeden Cylin- 
derzelle liegt ein heller ovaler Kern. Diese Kerne liegen alle in 
einem Niveau (Fig. 20 d). Die centralen Enden der Cylinderzellen 
reichen nicht bis an den Basalsaum, sondern hören an Schnitt- 
präparaten mit stumpfen Enden auf, oder stossen unmittelbar an 
die unterhalb liegenden Kerne der Fadenzellen. Diese Kerne 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 505 


liegen in zwei- bis dreifacher Reihe übereinander und erscheinen 
besonders scharf an carminisirten Präparaten. Endlich sieht man 
in der Tiefe, unmittelbar über dem Basalsaum, eine Reihe Kerne, 
die in conischen Zellkörpern liegen, das sind die M. Schultze’- 
schen Basalzellen, deren nach oben strebende Fortsätze durch die 
Kerne der Fadenzellen grösstentheils verdeckt werden. Die an 
Schnittpräparaten hervortretende Schichtung des Epithelstratums ist 
also nur eine scheinbare. Es giebt hier keine Elemente, die über- 
einanderliegen, sondern nur solche, die nebeneinander liegen. 

Alle drei Ampullen verhalten sich in Bezug auf das Neuro- 
epithel vollkommen gleich. An Verticalschnitten des Epithels aus 
der macula acustica findet man dasselbe Bild (Fig. 29). Nur in 
der Mitte der macula recessus utrieuli und an der Peripherie der 
macula Lagenae, wo die Cylinderzellen kürzer sind, erscheint nur 
eine Reihe Kerne unmittelbar über dem Basalsaum, die übrigen 
Kernreihen fehlen, weil eben die spindelförmigen Fadenzellen an 
diesen Stellen fehlen. Zwischen den Cylinderzellen giebt es hier, 
‘wie feine Schnitte und namentlich Zupfpräparate (Fig. 23) lehren, 
nur Fadenzellen mit basalem Zellkörper. Eine körnige Masse 
(Kittsubstanz), die zwischen den Basaltheilen der Fadenzellen liest, 
verdeckt gewöhnlich die Fortsätze der letzteren. An Vertical- 
schnitten aus der macula sacculi und utrieuli (Fig. 30 und 34) 
sieht man an den Cylinderzellen eine scharfe Längsstreifung, die 
von feinen der Zelle entlang verlaufenden Nervenfäden abhängt. 

Es sei hier noch erwähnt, dass ich die Beobachtung von 
Kuhn, hinsichtlich des Zusammenhangs der Fadenzellen mit dem 
eentralen Ende der Cylinderzellen nicht bestätigen kann. Aller- 
dings findet man an Isolationspräparaten Formen, die den von Kuhn 
beschriebenen und abgebildeten ähnlich sind. Sie entstehen aber 
durch Zusammenkleben von Fadenzellen und Cylinderzellen. Rollt 
man solche Gebilde, so findet man gewöhnlich den peripheren 
Fortsatz der Fadenzelle eng anliegend an der Cylinderzelle. 
Wird nun dieser Fortsatz bei weniger günstiger Lagerung von der 
Cylinderzelle maskirt, so wird ein Zusammenhang beider Zell- 
arten simulirt. 

b) Die Nervenendigungen in den cristae und macu- 
lae acusticae. 

Den Verlauf der Nerven in den cristae acusticae studirt man 
am besten an Verticalschnitten, die das Septum transversum der 


506 Alexander Qisow: 


Länge nach oder quer treffen. Auf Fig. 11 sieht man das Septum 
transversum im Längsschnitt, dasselbe reicht von der einen Sei- 
tenwand bis zur anderen und ist von dem Nervenepithel bedeckt. 
Von dem letzteren erscheinen bei schwacher Vergrösserung nur 
die Cylinderzellen scharf gezeichnet und ebenfalls noch die Kerne 
der sogenannten Basalzellen. Unter dem Epithel sieht man die 
myelinhaltigen mit Osmium gefärbten Nerven. Sie verlaufen in 
zwei dieke Stämmchen getheilt, etwas schief gegen das Epithel. 
Auf diesem Wege zerfallen sie in einzelne Nervenfasern, die hart 
an der Grenze des Epithels sich der weiteren Beobachtung entzie- 
hen. Auf Fig. 9 sieht man das Septum transversum im Querschnitt 
als ziemlich steilen Hügel an der unteren Wand der Ampulle. 
Das Nervenepithel an der Kuppe liegt auf einer flachen Einsen- 
kung des Septum und verhält sich ebenso wie auf dem Längs- 
schnitt (Fig. 11). Ein dickes Nervenstämmchen, umgeben vom 
perilymphatischen Gewebe, sieht man an der Aussenseite der un- 
teren Ampullenwand verlaufen (Fig. 9 n). Da wo letztere sich 
zum Septum transversum einstülpt, zerfällt das Stämmchen in ein- 
zelne Nervenfasern, die verschieden diek sind und ungetheilt bis 
an das Epithel verlaufen, wo sie sich gewöhnlich der Beobachtung 
bei schwacher Vergrösserung entziehen. 

Bevor wir jedoch den schwierigen Versuch machen die intra- 
epithelialen Nerven aufzusuchen, mögen einige Bemerkungen über 
die Structur der an das Epithel herantretenden myelinhaltigen Fa- 
sern Platz finden. 

An den Nervenfasern der Fische lässt sich die fibrilläre 
Structur der Axencylinder verhältnissmässig leicht demonstriren. 
An Zupfpräparaten, die mit Osmium behandelt waren, sieht man 
an isolirten Nervenfasern nach innen von der Schwann’schen 
Scheide, die Lanterman’schen Einkerbungen der Myelinscheide. 
Bei scharfer Einstellung erscheint der Axentheil der Nerven- 
faser auch bei erhaltener Myelinscheide streifig, viel schärfer 
tritt aber diese Streifung an den Stellen hervor, wo die ge- 
nannten Scheiden in Folge der Präparation abhanden gekommen 
sind und der Axeneylinder frei liegt. An diesem unterscheidet 
man einen scharfen Contour — die Axencylinderscheide (Horn- 
scheide) und den fibrillären Inhalt (Fig. 18). Ebenso häufig be- 
kommt man an Schnittpräparaten die Fibrillen des Axeneylinders 
zu Gesicht, namentlich an den Stellen, wo der nackte Axeneylin- 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 507 


der in das Neuroepithel ausstrahlt (Fig. 12). Sowohl an Sehnitt- 
wie an Isolationspräparaten des Nervenepithels sieht man manch- 
mal (Fig. 13, 15) Axeneylinder, die büschelförmig auseinanderfal- 
len. Obgleich diese bereits von M. Schultze beschriebenen Bü- 
schel, wie wir weiter sehen werden, keine normale Erscheinung, 
sondern nur Folgen der Präparation sind, sind sie jedoch insofern 
instructiv, als die Fibrillen hier sehr scharf und fast isolirt her- 
vortreten. Diese Fibrillen kann man sich an Osmiumpräparaten 
sowohl im reellen als im optischen Querschnitte zur Anschauung 
bringen. Auf Fig. 16 sieht man im Epithel helle, scharf punk- 
tirte Kreise, von denen einige unmittelbar in Nervenfasern über- 
gehen. Das sind eben Nervenfasern, die durch den Schnitt ge- 
rade an der Stelle getroffen wurden, wo sie aus der verticalen in 
die horizontale Richtung übergehen. Aus diesen Auseinanderset- 
zungen wird der Leser ersehen haben, dass die fibrilläre Struetur 
der Axeneylinder an den Fasern des Gehörnerven verhältnissmässig 
leicht zu demonstriren ist. Die Lehre von M. Schultze, obgleich 
von vielen Histologen angefochten, interpretirt die Erscheinungen 
viel besser, als die Lehre von dem homogenen oder gar flüssigen 
Aggregatzustand des Axeneylinders. Die fibrilläre Struetur des 
Axeneylinders hat in der letzten Zeit in Hans Schultze !) einen 
sehr geschickten Vertheidiger gefunden, und wir können diesem 
Autor nur beipflichten. — Unsrerseits möchten wir darauf aufmerk- 
sam machen, dass das Verhalten des Axeneylinders an der Peri- 
pherie, d. i. die Auffaserung und der Uebergang in feine Fibrillen 
sich schlechterdings mit dem flüssigen Aggregatzustande nicht ver- 
einigen lassen. 

Die von Boll studirten Zersetzungsbilder beweisen im besten 
Falle nur, dass innerhalb der Axencylinderscheide eine Flüssig- 
keit sich befindet; die Existenz der Fibrillen wird aber durch 
diese Bilder keineswegs widerlegt. An Rissstellen von Nerven- 
fasern, die mit Osmium behandelt waren, sieht man nicht selten 
Tropfen einer Flüssigkeit austreten, die sich im Osmium selbst 
nach wochenlangem Liegen nicht färbt (Fig. 18). 


l) Hans Schultze, Axencylinder und Ganglienzelle. Arch. f. Anat. u. 
Physiologie IV. u. V. Heft. 1878. 

Die fibrilläre Structur der Nervenelemente bei Wirbellosen. Archiv f. 
mikrosk. Anatomie. Bd. XVI. 1878. 


508 Alexander Gisow: 


Alle diese Thatsachen zusammengenommen führen uns zu der 
Ansicht, dass der Axencylinder als Fibrillenbündel auf 
zufassen ist, das von einer Scheide umschlossen und in 
einer Flüssigkeit suspendirt ist. 

Kehren wir nun zu den intraepithelialen Nervenendigungen 
zurück. Es wurde bereits erwähnt, dass die Nervenfasern steil 
gegen das Epithel aufsteigen, ohne Theilungen einzugehen. Einige 
Fasern verlieren an der Grenze des Epithels die Myelinscheide, 
sowie die Sehwann’sche Scheide und steigen als Axeneylinder, 
ohne in Fibrillen zu zerfallen in die Höhe. Andere behalten an- 
fangs die äusseren Scheiden innerhalb des Epithels und steigen, 
ohne sich zu theilen, zwischen den Fadenzellen empor (Fig. 7). 
Nachdem sie die unteren Enden der Cylinderzellen erreicht ha- 
ben, biegen sie bogenförmig um, verlaufen eine kurze Strecke ho- 
rizontal, verlieren darauf ihre Scheiden und setzen dann ihren 
Weg als nackte Axeneylinder fort (Fig. 20). Dass die Nervenfa- 
sern im unteren Theil des Epithels sich nicht auffasern, ersieht 
man aus Fig. 16. Es treten hier zwei myelinhaltige Fasern an 
das Epithel und setzen ihren Weg als nackte Axenecylinder fort. 
Der Schnitt hat letztere quer getroffen, daher sieht man runde, 
scharf eontourirte, fein punktirte Scheiben. Etwas höher im Epi- 
thel sieht man ähnliche, nur etwas kleinere Scheiben, deren Zu- 
sammenhang mit myelinhaltigen Fasern nicht zu demonstriren ist. 
Der scharfe Contour der Kreise (Fig. 16 e) rührt von der Axen- 
eylinderscheide her, die feine aber scharfe Punktirung von den 
quer durchsehnittenen Fibrillen. Diese Bilder beweisen meines 
Erachtens nach, dass die Axeneylinder in der Tiefe des Epithels 
sich nicht auffasern, wie es M. Sehultze und Kuhn behaupten. 
Letzterer beschreibt ein intraepitheliales, nervöses Netz, das sich 
zwischen den Cylinderzellen und den Basalzellen ausbreitet. Ich 
habe viel Mühe darauf verwandt, um dieses Netzes ansichtig zu 
werden, muss aber gestehen, dass es mir nicht gelungen ist. Ich 
vermisse in diesem Niveau nicht nur das Netz, sondern auch 
isolirte Fibrillen, wohl aber sieht man Fibrillenbündel (i. e. Axen- 
eylinder, die ihre Myelinscheide verloren haben), gegen die Cy- 
linderzellen ziehen und auf diesem Wege sich in zwei oder drei 
Zweige spalten (Fig. 12). Diese Zweige schlagen eine horizontale 
Richtung ein und entziehen sich dann gewöhnlich der Beobach- 
tung. Es muss jedoch erwähnt werden, dass man in seltenen Fällen 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 509 


Bilder erhält; die eine Auffaserung des Axeneylinders bei seinem 
Eintritt in das Epithel zu demonstriren scheinen und somit der 
Auffassung von M. Schultze und Kuhn günstig sind. 

Fig. 13 stellt ein Isolationspräparat dar, aus der Crista acu- 
stica, während Fig. 15 einem Schnittpräparat aus der macula sac- 
euli entnommen ist. Die Büschel feinster Fibrillen entstehen, wie 
ich meine, in Folge mechanischen Insults. An dem Schnittpräpa- 
rat Fig. 15 ist das Epithel von der Unterlage zum grössten Theil 
abgerissen, während aber die eine Nervenfaser (c‘) noch Andeu- 
tungen von Theilungen des Axencylinders zeigt, ist die andere 
Faser (c) schon an der Eintrittsstelle verstümmelt, d. h. büschel- 
förmig ausgefasert. An Isolationspräparaten (Fig. 13) leiden die 
nackten Axencylinder noch viel leichter. Solche Präparate 
stehen in direetem Widerspruch mit guten Osmium- und Chlorgold- 
präparaten, an denen man die Axencylinder immer eine Strecke 
weit in’s Epithel verfolgen kann, wo sie sich häufig theilen und 
eine horizontale Richtung einschlagen (Fig. 12, 17, 20). 

Was wird nun aus diesen horizontalen Fibrillenbündeln? An 
Schnittpräparaten ist es unmöglich darüber Aufschluss zu erhal- 
ten. Verschafft man sich aber Flächenansichten des Epithels, indem 
man grössere oder kleinere Epithelfetzen isolirt, an denen die Lage 
der Cylinderzellen abgestreift ist, so erhält man Bilder, die auf 
einen Plexus von Fibrillenbündeln schliessen lassen. Man sieht näm- 
lieh im optischen Querschnitt die Kerne der Fadenzellen als helle 
Kreise, manchmal ist in ihnen auch ein Kernkörperchen als 
glänzender feiner Punkt zu constatiren. In einem Niveau mit den 
Kernen, zum Theil etwas oberflächlicher sieht man Fibrillenbündel 
verlaufen, die sich theilen und untereinander anastomosiren. Man 
bekommt somit ein fibrilläres Balkenwerk zu Gesicht, in dessen 
Maschen Kerne eingelagert sind. Kombinirt man diese Bilder mit 
den Verticalabschnitten, so gelangt man zu der Vorstellung, dass 
die Nervenfasern bis an die centralen Enden der Cylinderzellen 
vordringen, darauf einen horizontalen Verlauf einschlagen, um mit 
den benachbarten Fasern Fibrillen auszutauschen. Es kommt so- 
mit ein Plexus zu Stande, der zwischen den centralen Enden der 
Cylinderzellen und den oberen Kernen der Fadenzellen liegt. Dieser 
Plexus ist nicht zu verwechseln mit dem vorerwähnten von Kuhn 
beschriebenen nervösen Netze, das wir bei den Ganoiden vergebens 
gesucht haben. Das von Kuhn für die Knochenfische beschrie- 


510 Alexander Qisow: 


bene Netz liegt tiefer, d. h. gleich oberhalb der Basalzellen und 
besteht aus einzelnen feinen Fäden, während derselbe Autor in 
einer jüngst erschienenen Arbeit: „Ueber das häutige Labyrinth 
der Amphibien“ (dieses Arch. Bd. XVII. p. 479) einen weitmaschi- 
gen intraepithelialen Plexus beschreibt, der möglicherweise mit 
dem von mir beschriebenen Plexus identisch ist, obgleich seine 
Abbildungen von den meinigen differiren. Die isolirt verlaufen- 
den, feinen Nervenfäden im Bereiche der unteren Kernreihe stelle 
ich für die Ganoiden in Abrede. 

Wie verhalten sich nun die Fibrillenbündel des intraepithe- 
lialen Plexus zu den Elementen des Neuroepithels? Wir kommen 
nun zu dem Angelpunkte der Lehre von dem Endapparate des Hör- 
nerven. Die Ansichten der Forscher differiren in diesem schwie- 
rigen Punkte ungemein, weil die gegenwärtigen Untersuchungsme- 
thoden kaum ausreichen, um einen sicheren Entscheid zu treffen. 

Studirt man an Osmiumpräparaten, die man mit feinen Nadeln 
zerzupft hat, die isolirten Gebilde des Neuroepithels, so findet 
man in günstigen Fällen, abgesehen von den im vorigen Abschnitte 
beschriebenen Cylinder- und Fadenzellen, dünne Fibrillenbündel, 
von denen noch feinere Zweige abgehen. Diese Zweige bestehen 
ihrerseits aus einer gewissen Anzahl von Fibrillen und erscheinen 
in den meisten Fällen abgerissen. In anderen Fällen kann 
man sie bis an die Cylinderzellen verfolgen, wobei man 
entschieden den Eindruck erhält, als ob der fibril- 
läre Nervenzweig unmittelbar in das längsstreifigePro- 
toplasma der Cylinderzellen übergehe. Fig. 25 ist eine 
möglichst getreue Wiedergabe eines Isolationspräparates aus der 
cerista acustica. Abgesehen von den kurzen Zweigen, die sich di- 
rect zu den Oylinderzellen begeben, sieht man solche (p‘), die 
abgerissen enden. Hier ist höchstwahrscheinlich der Zusammen- 
hang mit der Cylinderzelle durch Präparation zerstört. Es wurde 
bereits erwähnt, dass die Längsstreifung an den Cylinderzellen 
nur an deren Oberfläche zu constatiren ist. Dasselbe sieht man 
auf der in Rede stehenden Figur. Die feinen Nervenfibrillen, 
welche diese Streifung bedingen, liegen somit an der Oberfläche 
und nicht etwa in der Tiefe des Zellprotoplasma. Eine Verbin- 
dung der Nervenfäden mit dem Zellkern, die einige Beobachter 
constatirt haben wollen, müssen wir durchaus in Abrede stellen. 
Es fragt sich nun, ob diese oberflächlich gelegenen Fibrillen mit 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 511 


dem Zellprotoplasma organisch verbunden sind oder ob sie dem 
letzteren nur unmittelbar anliegen? Der Umstand, dass die Cylin- 
derzellen sich in Osmium und Chlorgold dunkel färben, scheint 
auf den ersten Blick für die nervöse Natur dieser Gebilde zu 
sprechen. Allein, abgesehen von dem Fettgewebe färben sich die 
von Retzius sogenannten protoplasmatischen Zellen des häutigen 
Labyrinths und viele Drüsenepithelien (Nussbaum) ebenso stark 
im Osmium und was das Chlorgold anbelangt, so werden durch 
dasselbe bekanntlich viele nicht nervöse Elemente dunkel gefärbt. 
Berücksichtigt man weiter, dass an isolirten Cylinderzellen die 
feine Längsstreifung sehr häufig fehlt, so muss man voraussetzen, 
dass die Verbindung der Cylinderzellen mit den an sie herantre- 
tenden Nervenfibrillen keine sehr innige ist. Es muss hier er- 
wähnt werden, dass einige Autoren Paul Meyer !), Kuhn 2), ab- 
gesehen von der Endigung der Nerven in Cylinderzellen, noch 
feine Nervenendigungen zwischen den Cylinderzellen beschreiben 
und abbilden. Ebner °) lässt diese feinen Fäden in den Ampul- 
len der Vögel in Hörhaare auslaufen und Fr. E. Schulze ‘) be- 
hauptet dasselbe für Gobius. Solche zwischen den Cylinderzellen 
gelegene Nervenfäden habe ich bei Fischen nie gesehen, trotzdem 
ich sehr eifrig darnach gesucht habe. An Verticalschnitten sieht 
man zwischen den dunkeln Cylinderzellen (Fig. 28, 29) die peri- 
pheren Fortsätze der Fadenzellen und Basalzellen als feine helle 
Streifen. 

Dieser Unterschied in den Nervenendigungen bei Fischen 
einerseits und bei Amphibien und Reptilien andererseits erklärt 
sich aus dem Umstand, dass bei den letzteren die Fadenzellen 
felllen. Es existiren bei Amphibien und Reptilien nur fortsatzlose, 
tiefliegende Kerngebilde, die Kuhn als Basalzellen beschreibt 
(l. e. p.518). Es ist also erklärlich, dass in diesem Falle die 


1) Paul Meyer, Etudes histologiques sur le Labyrinthe membraneux 
chez les Reptiles et les oiseaux. Paris 1876. 

2) Kuhn, Ueber das häutige Labyrinth der Amphibien. Archiv für 
mikr. Anat. Bd. XVII. 1880. 

3) Ebner, Das Nervenepithel der crista acustica in den Ampullen der 
Vögel. Separatabdr. aus d. Bericht. des naturwiss. Vereins zu Innsbruck. 1872. 

4) F. E. Schulze, Zur Kenntniss der Endigungsweise der Hörnerven 
bei Fischen und Amphibien. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862. 


512 Alexander Qisow: 


Nervenfäden in den leeren Zwischenräumen zwischen den Cylin- 
derzellen verlaufen und dort verhältnissmässig leicht zu constati- 
ren sind. Bei den Fischen hingegen existiren diese leeren Zwi- 
schenräume nicht, sie werden von den peripheren Fortsätzen der 
Fadenzellen und Basalzellen eingenommen. Es ist also klar, dass 
die Nervenfäden nur zwischen Cylinderzellen und Fadenzellen ver- 
laufen können, d. h. den Öylinderzellen unmittelbar aufliegen müs- 
sen, sie umstellen letztere allerseits, präsentiren sich aber an 
Schnittpräparaten (Fig. 30, 34) nur an der dem Beobachter zuge- 
kehrten Zellfläche — daher die feine Längsstreifung. Diese Ner- 
venfäden verlaufen bis an den freien Rand des Epithels, indem 
sie mit dem Zellprotoplasma in Contact treten. Für die Behaup- 
tung eines organischen Zusammenhanges zwischen Cylinderzellen 
und Nerv reichen die thatsächlichen Beobachtungen nicht aus. 
Sollen wir schliesslieh unsere Ansicht in einen Satz formuliren, so 
würde er etwa folgendermassen lauten: aus dem intraepithe- 
lialen Nervenplexus treten feine Fibrillenbündel, die 
sich an den Cylinderzellen derart vertheilen, dass letz- 
tere von den Nervenfäden umstellt werden. 

Ebensowenig habe ich an meinen zahlreichen Zupf- und 
Schnittpräparaten etwas gesehen, was auf einen Zusammenhang 
der Fadenzellen mit Nerven hingewiesen hätte. Niemals war ein 
varieöser, centraler Fortsatz an ihnen nachzuweisen, wie mir das 
so häufig an den Riechzellen der regio olfactoria gelang!). An 
nicht verstümmelten Fadenzellen läuft der centrale Fortsatz immer 
in eineVerbreiterung aus, die dem Basalsaum unmittelbar aufsitzt. 
In Osmium und Chlorgold bleiben die Fadenzellen immer hell, 
während die Cylinderzellen dunkel erscheinen, daher kann man 
namentlich an Chlorgoldpräparaten die dunkelgefärbten Nerven 
sehr leicht bis an die Cylinderzellen verfolgen (Fig. 28, 29, 30). 
Zwischen den dunkeln Cylinderzellen erscheinen die peripheren 
Fortsätze der Fadenzellen als helle Streifen oder Interstitien. An 
etwas dicken Schnitten oder gequollenen Cylinderzellen fehlen 
diese hellen Zwischenräume. Endlich muss ich noch daran erin- 
nern, dass ich in der Region der centralen Fortsätze der Faden- 
zellen, d. h. in der Tiefe des Epithelstratums, Nervenfäden nicht 


1) Centralblatt f. med. Wissenschaft. 1874, 44 u. Arbeiten der natur- 
forschenden Gesellschaft zu Kasan. 1879. 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 513 


gesehen habe, wohl aber streifige Axeneylinder, die über die Kerne 
der Fadenzellen hinaus bis an die Cylinderzellen verfolgt werden 
konnten. Man müsste also rücklaufende Nervenfäden annehmen, 
wollte man einen Zusammenhang der Fadenzellen mit den Nerven 
postuliren, eine Voraussetzung, für welche die Untersuchung gar 
keine Anhaltspunkte gegeben hat. 

In Bezug auf die Nervenendigungen im Epithel der maecula 
recessus utriculi, maculae sacculi und maculae Lagenae können 
wir uns kurz fassen, da das Verhalten der Nerven an diesen Stel- 
len ein ähnliches: ist, wie in den cristae acusticae. Auf einem 
Schnitte, der durch die ganze macula geht (Fig. 8) sieht man eine 
Anzahl Nervenstämmchen sich auf dem Wege zum Epithel in 
einzelne myelinhaltige Nervenfasern auflösen. Die einzelnen Fa- 
sern verlaufen mehr oder weniger gewunden und theilen sich manch- 
mal bevor sie das Epithel erreichen, was an der crista acustiea 
nur innerhalb des Epithels geschieht. Eine Theilung der Nerven- 
fasern innerhalb des Epithels kann man auch an den maculae 
acusticae beobachten (Fig. 30 8). An Verticalschnitten aus der 
macula recessus utrieuli (Fig. 28) und der macula saceuli (Fig. 30) 
sieht man die myelinhaltigen Nerven im Epithelstratum die helle 
Schicht der Fadenzellen durchsetzen und bis an die Cylinderzellen 
vordringen. Hier verlieren sie gewöhnlich ihre Scheiden (Sehwann’- 
sche und Myelinscheide), werden zu nackten Axeneylindern, die 
in die horizontale Richtung umbiegen und eine Strecke weit noch 
verfolgt werden können, oder sie entziehen sich der Beobachtung, 
bevor sie noch die horizontale Richtung eingeschlagen haben. In 
anderen Fällen verlieren die myelinhaltigen Nerven, wie an der 
erista acustica, ihre Scheiden noch vor dem Eintritt in das Epi- 
thel und theilen sich als nackte Axencylinder innerhalb des Epi- 
thels. An Isolationspräparaten aus der macula acustiea utriculi et 
saceuli ist es mir ebenfalls gelungen die Beziehungen der Cylin- 
derzellen zu den Nerven festzustellen. Auf Fig. 27 I sieht man 
eine Cylinderzelle aus der macula utrieuli, welche direct in einen 
dünnen Zweig eines streifigen, kurz abgerissenen Axencylinders (n) 
übergeht. Fig. 27, II bezieht sich auf eine Cylinderzelle aus der 
macula saceuli. Man sieht einen Zweig von dem Axencylinder (n) 
abgehen, sich theilen und mit der Cylinderzelle in Contact treten; 
die eine von den Zweigfasern (p‘) ist abgerissen. 


514 Alexander Qisow: 


V. 
Schluss. 


Die Resultate unserer Untersuchungen lassen sich folgender- 
massen formuliren. 

1. Das häutige Labyrinth der Ganoiden unterscheidet sich 
nicht wesentlich von dem der Knochenfische. Diese bereits von 
Breschet festgestellte Homologie bezieht sich nach meinen Unter- 
suchungen auch auf die mikroskopischen Verhältnisse. 

2. Der ductus endolymphatieus beginnt bei den Ganoiden 
am saceulus und läuft in einen Blindsack (saceus endolymphaticus) 
aus, der mit dem äusseren Medium nicht communieirt, zum Un- 
terschied von den Plagiostomen, bei welchen Weber und in letz- 
ter Zeit Retzius Canäle nachgewiesen haben, die vom saceus 
endolymphatieus an die Schädeloberfläche gehen. 

3. Die von Retzius bei den Knochenfischen entdeckten 
papillae partis basilaris werden durch meine Untersuchungen auch 
für die Ganoiden festgestellt. 

4. Hinsichtlich der Struetur des häutigen Labyrinths kann 
ich den Anschauungen meiner Vorgänger (Hasse, Retzius, 
Kuhn), die das betreffende Gewebe als „Spindelknorpel“ bezeich- 
nen, — nicht beitreten. Nach meinen Beobachtungen besitzt das 
in Rede stehende Gewebe viel Aehnlichkeit mit der Cornea. Auch 
hier gibt es Safteanäle, in denen netzförmig verbundene Protoplas- 
makörper liegen. Die Grundsubstanz des häutigen Labyrinths 
enthält Bindegewebsfibrillen, die am besten mittelst der Trypsin- 
verdauung zur Anschauung gebracht werden. 

5. Das Neuroepithel ist an allen eristae et maculae acusticae, 
sowie an den papillae partis basilaris gleich. Es ist einschichtig 
und besteht aus zwei Zellenarten, die sich durch ihre Form un- 
erscheiden. Die Cylinderzellen liegen zwischen den peripheren 
Fortsätzen der Fadenzellen. Das Protoplasma der Cylinderzellen 
ist körnig; an der Stelle, wo der oblonge Kern mit dem glänzenden 
Kernkörperechen liegt, ist der Cylinder etwas ausgebaucht. Manch- 
mal zeigt die Oberfläche der Cylinderzelle eine feine Längsstreifung. 
An ihrem freien Ende sind die Cylinderzellen von einem hellen 
Grenzsaum bedeckt, der von einer Zelle auf die andere continuir- 
lich übergeht. Von diesem Saum, entsprechend der Mitte der Zell- 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 515 


oberfläche, erhebt sich mit breiter Basis ein langes Hörhaar, das 
sich manchmal an der Spitze auffasert. Das entgegengesetzte in- 
nere Ende der Cylinderzelle reicht ungefähr bis in die Mitte des 
Epithelstratums, wo es gewöhnlich mit abgestutztem Ende aufhört. 
Die Form der Fadenzellen ist eine etwas verschiedene, je nach der 
Lagerung des Zellkerns. Liegt letzterer ungefähr in der Mitte 
des fadenförmigen Gebildes, so resultirt daraus eine Spindelform, 
— das sind die M. Schultze’schen Fadenzellen mit peripherem 
und centralem Fortsatz. Der erstere reicht bis an den Cutieular- 
saum, der letztere inserirt sich mit etwas verbreitertem Ende an 
den Basalsaum der Labyrinthwand. Liegt hingegen der Kern an 
dem centralen Ende der Fadenzelle, so stösst auch der conische 
Zellkörper unmittelbar an den Basalsaum. Diese Zellen besitzen 
nur einen peripheren Fortsatz und entsprechen den Basalzellen 
M. Schultze’s. Ihr Fortsatz reicht, wie bei den übrigen Zellen, bis 
an den Cuticularsaum. 

6. Hinsichtlick der Nervenendigungen bin ich zu folgenden 
Resultaten gekommen : Die Nervenfasern treten in das Epithel- 
stratum entweder als Axencylinder, die von der Axeneylinder- 
scheide bedeckt sind, oder sie behalten anfangs die Schwann’sche 
Scheide und die Myelinscheide bei. Sie gehen, ohne sich zu thei- 
len, an den centralen Fortsätzen der Fadenzellen und ihren Kernen 
vorbei. In dem Niveau der unteren Enden der Cylinderzellen 
theilen sich die Axencylinder, während die myelinhaltigen Fasern 
die Myelinscheide verlieren und eine horizontale Richtung ein- 
schlagen, um bald darauf ebenfalls Theilungen einzugehen und 
mit den benachbarten Fibrillenbündeln zu anastomosiren. Dadurch 
kommt unterhalb der Cylinderzellen ein Plexus blasser Nerven- 
fasern zu Stande. Aus diesem Plexus treten feine Fibrillenbündel 
ab, die sich an die centralen Enden der Cylinderzellen begeben; 
hier legen sie sich an die Cylinderzelle und verlaufen an ihrer 
Oberfläche bis an den Cutieularsaum, ohne jedoch letzteren zu 
durchbohren. 

Aus dieser Beschreibung folgt, dass die feinen Nervenfäden, 
welehe die Cylinderzellen umgeben, als Nervenendapparat aufzu- 
fassen sind, während die Zellen nur als Träger der Nerven (Hasse) 
gelten können. 


Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 18. 35 


Alexander Qisow: 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII u. XXIV. 


Mit Ausnahme der beiden ersten Figuren beziehen sich alle übrigen 
auf den Acipenser ruthenus. 


Fig. 1 u. 2. Häutiges Labyrinth des acipenser sturio. Fig. 1 von innen, 


Fig. 4. 


Fig. 6. 


Fig. 7. 


Fig. 2 von aussen gesehen. Natürliche Grösse. 


u. — utrieulus. c.s. — canalis sagittalis. 
8.8. —-sinus superior. a. h. — amp. horizontalis. 
a.8.8. — apex sinus superioris. a.s. — amp. sagittalis. 
a.f. — amp. frontalis. r. u. — recessus utriculi. 
c.f. — canalis frontalıs. s. — sacculus. 

e.h. — canalis horizontalis. lag. — Lagena. 


Der mittlere Theil des häutigen Labyrinths von acipenser ruthenus 
von innen gesehen. Die Nerven sind durch Osmium dunkel gefärbt. 
Loupenvergrösserung 15. 


r. u. — recessus utriculi. p. b. — papillae basilares. 

ce. f. — canalis frontalis. r. b. c. — ramuli basilares coch- 
ce. s. — canalis sagittalis. leae. 

s. e. — saccus endolymphaticus. o.d.e. — orifieium ducti endo- 
d. e. — ductus endolymphatieus. lymphatici. 

s. p. — sinus posterior. r.s.  — ramuli sacculi. 


Häutiges Labyrinth des acip. ruthenus, Osmium. Natürliche Grösse. 


r. a. f. — ram. amp. frontalis. n.a. — nervus acusticus. 

r. 1. c. — ram. lagenaris cochleae. r.a.h. — ram. amp. horizontalis. 
r. a.s. — ram. amp. sagittalis. d.e. — duetusendolymphaticus. 
r.s. — ram. sacculi. r.b. — ram. basilares cochleae. 


Die untere Wand des recessus utriculi mit den anliegenden (hori- 
zontalen und sagittalen) Ampullen. Osmium. 15-fache Vergrösserung. 


p.v. — ramus vestibularis. r.a.h. —ram. amp. horizontalis. 
r.r.u. — ram. recessus utriculi. m.a.r.u.— macula ac. rec. utriculi. 
p-s. — planum semilunatum. e.8 — canalis sagittalis. 

0. — septum transversum. r.a.s. — ram. amp. sagittalis. 


Seitenwand (d) der frontalen Ampulle mit dem Epithel des planum 
semilunatum (p. s.). Ausserdem ist das seitliche Ende des septum 
transversum mit dem Epithel der crista acustica (c. a.) zu sehen. 
Hartnack. Ocul. 3. Object. 4.. 

n. — Nervenfasern. 


Verticalschnitt aus der erista acustica Hartnack. ocul. 3. Object. 7. 
d. — Cylinderzellen. n. — Nervenfasern. 

f. — Fadenzellen. g. — Wand des septum. 

h. — Hörhaare. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 
11. 


13. 


14. 


15. 


16 


19. 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 517 


Macula acustica recessus utriculi. Verticalschnitt. Hartnack. ocul. 3. 
Object. 4. 


m. — Cylinderepithel. n. — Nervenbündel. 

c. — Pflasterepithel. a. — Utriculuswand. 

Septum transversum. Querschnitt. Hartnack. ocul. 3. Object. 4. 

ce. a. — Epithel der crista acustica. s.t. — septum transversum. 

g. -— Uebergangsepithel. n. — Nervenstamm. 

f. — einzelne Nervenfasern. c. p. — Perilymphatisches Gewebe. 


Lapilli maculae recessus utriculi. Hartnack. Ocul. 3. Object. 7. 
Verticalschnitt der frontalen Ampulle. Hartnack. Ocul. 3. Object. 4. 
p- s. — planum semilunatum. f. — einzelne Nervenfasern. 

c. a. — Epithel der crista acustica. n. — Nervenstamm. 

a. — Ampullenwand. 


. Verticalschnitt aus der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11. 


d. — Cylinderzellen. f. — Fadenzellen. 
h. — Hörhaare. n. — Nervenfaser. 
k. — Kerne der Cylinderzellen. 0. — Axencylinder. 


Isolationspräparat des Epithels aus der crista acustica. Hartnack. 

Ocul. 3. Object. 11. 

d. — Cylinderzellen. n. — Axencylinder, bei p in Fi- 
brillenbüschel zerfallend. 

Oberfläche des Epithels der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3. 

Object. 11. 

a. — Oberfläche der Cylinderzellen. 

h. — Bündel der Hörhärchen. 

Verticalschnitt aus der macula utrieuli. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11. 

o. — Saum. n. — Nervenfaser. 

d. — Cylinderzellen. c’‘. — sich theilende Axencylinder. 

f. — Fadenzellen. 

u. 17. Verticalschnitt aus der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3. 

Object. 11. 


d. — Cylinderzellen. n. — myelinhaltige Nervenfaser. 
f. — Fadenzellen. c. — Querdurchschnitte der 
Axencylinder. 


Isolirte Nervenfaser aus dem ramulus ampullae frontalis. Hartnack. 
Ocul. 3. Object. 11. 


0. — Axencylinder. d. — helle Tropfen. 
m. — Myelinscheide. c. — Kerne der Schwann’schen 
Scheide. 


Die isolirten Cylinderzellen aus der crista acustica (a. e.) und (b, c, d) 
aus der macula acustica utriculi. Hartnack. Ocul. 3. Object 11, 
h. — Hörhaar. o. — Saum. 


k. — Kern. 


518 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 26. 


Fig. 27. 


Fig. 28. 


20. 


21. 


22. 


23. 


24. 


Alexander Qisow: 


Verticalschnitt aus der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11. 


h. — Hörhaar. d. — Cylinderzellen. 
o. — Saum. f. — Fadenzellen. 
c. — der nackte Axencylinder. e. — Basalzellen. 

n. — eine sich theilende Nervenfaser. 


Isolationspräparat der Cylinderzellen aus der crista acustica. Hart- 
nack. Ocul. 3. Object. 11. 


h. — Hörhaar. o. — Saum. 

d. — Cylinderzelle. f. — peripherer Fortsatz der 
Fadenzelle. 

Isolationspräparat von Cylinder- und Fadenzellen nach Bearbeitung 

mit chromsaurem Ammoniak. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11. 

d. — Cylinderzellen. f. — Fadenzellen. 

f. — Basalzellen. 


Isolationspräparat. Osmium. Hartnack. Ocul. 3. Object. 8. 

f. — Fadenzellen. f. — Basalzellen. 

Anheftung peripherer Fortsätze der Fadenzellen an den Cuticular- 
saum. Hartnack. Ocul. 3. Object 8. 


o. — Saum. p- — der periphere Fortsatz der 
f. — Fadenzelle. Fadenzelle. 


. Isolationspräparat, Gruppen von Cylinderzellen, deren untere Fort- 


sätze in Verbindung mit Nervenzweigen sich befinden. Hartnack. 
Ocul. 3. Object. 11. 


n. — sich theilender Axencylinder. f. — der periphere Fortsatz der 
Fadenzelle. 
p- — Nervenzweige, welche vom p‘. — Abgerissener Nervenzweig. 


Axencylinder kommend in 
die unteren Fortsätze der 
Cylinderzellen übergehen. 


Isolirter Saum, mit welchem die peripheren Fortsätze der Faden- 

zellen in Verbindung stehen. Hartnack. Ocul. 3. Object. 8. 

0. — Saum. f. — der periphere Fortsatz der 
Fadenzelle. 


Zwei isolirte Cylinderzellen (I) aus der macula utriculi und (II) aus 
der macula saceuli. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11. 

d. — Cylinderzelle. f. — peripherer Fortsatz der 
p- — Nervenzweig. Fadenzelle. 


Verticalschnitt aus der macula acustica utriculi. Chlorgoldpräparat. 
Hartnack. Ocul. 3. Object. 8. 

0. — Saum. k. — Capillaren. 

d. — Cylinderzellen. a. — Utriculuswand. 

f. — Fadenzellen. n. — myelinhaltige Nervenfaser. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


29. 


30. 


33. 


Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 519 


Verticalschnitt aus der macula acustica sacculi. Chlorgoldpräparat. 
Hartnack. Ocul. 3. Object. 8. 

(wie Fig. 28.) 
Verticalschnitt aus der macula sacculi. Chlorgoldpräparat. Hartnack. 
Ocul. 3. Object. 8. 

(wie Fig. 28.) 


. Verticalschnitt aus der Wand des häutigen Labyrinths, mit Chlor- 


palladium bearbeitet. In der hellen Grundsubstanz ist ein Netz 
hohler, unter sich anastomosirender Gänge sichtbar. Hartnack. 
Ocul. 3. Object. 8. 


. Flächenschnitt aus der Wand des häutigen Labyrinths, mit Argent. 


nitr. bearbeitet. In der dunklen Grundsubstanz ist ein Netz heller 
sternförmiger, unter sich anastomosirender Canäle sichtbar. Hart- 
nack. Ocul. 3. Object. 8. 


Flächenschnitt aus der Wand des häutigen Labyrinths, bearbeitet 
mit Chlorgold. In heller Grundsubstanz ist ein Netz dunkelgefärh- 
ter, unter sich anastomosirender Zellen, mit hellen Kernen sichtbar. 
Hartnack. Ocul. 3. Object. 8. 


Verticalschnitt aus der Mitte der macula recessus utriculi. Hartnack. 
Ocul. 3. Object. 11. 

d. — Cylinderzellen. 

f. — Kerne der Basalzellen. 

n. — Nervenfaser. 


Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn. 


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Fig. 38. Fig. 34 Fig.15° 


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