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Archiv
Mikroskopische Anatomie
herausgegeben
von
v. la Valette St. George in Bonn
und
W. Waldeyer in Strassburg.
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
Achtzehnter Band.
Mit 24 Tafeln und 6 Holzschnitten.
Bonn,
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen)
1880.
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Inhalt.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. Von Dr. Moritz
Nussbaum, Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut
zu Bonn. Hierzu Tafel I-IV. h
Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. Von Prof. R. widddhsheid in
Freiburg i. B. Hierzu Tafel V vn ee nerh
Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Trrtztinär hihi:
Von Prof. E. Neumann in Königsberg i. Pr. Hierzu Tafel VI .
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. II. Theil.
Von Walther Flemming, Professor der Anatomie in Kiel.
Hierzu Tafel VII, VIIL, IX (1, 2, 3) und 5 Holzschnitte
Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien von een
pellueida und Pleurosigma angulatum. Von C. Janisch, Director
der Wilhelmshütte bei Bornum-Seesen. Hierzu Tafel X, XI, XII.
Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. Von Dr. Conrad Keller
in Zürich. Hierzu Tafel XIII und XIV
Zusatz zu vorstehender Abhandlung von Oscar ek ;
Ueber den Bau der Spinalganglien. Von Dr. Bernhard a
I. Die Struktur der Zellen. (Aus der histologischen Abtheilung des
physiologischen Institutes zu Berlin.) Hierzu Tafel XV
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. Von Prof.
E. Neumann in Königsberg i. Pr. (Nach in Gemeinschaft mit
Dr. G. Dobbert angestellten Untersuchungen.) Hierzu Tafel XVI
Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz betreffend. Von
Prof. C. Arnstein in Kasan . ae re
Ueber Epithelregeneration und N Beie ee Von
Walther Flemming, Professor der Anatomie in Kiel .
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische.
III. Die Seitenorgane der Knochenfische. Von B. Solger in Halle
a. d. Saale. Hierzu Tafel XVII . Er gr re a:
Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. Von Prof. Heschl
in Wien. Hierzu Tafel XVII . Me N a NER,
Eine aufsteigende Acusticuswurzel. Von C. F. W. Roller. (Anatomi-
sches Institut zu Strassburg, Elsass.) Hierzu Tafel XIX .
Seite
130
151
260
271
280
283
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347
364
391
403
Ueber die Epithelzellen des Magens. Von Dr. E. Nagy v. Regeczy.
(Aus dem k. ungarischen physiologischen Institut zu Budapest.)
Nebst einem Holzschnitt .
Die Cochenille-Carminlösung. Von Dr. J ee De Adjunkt Se
Docent am k. k. Thierarznei-Institute zu Wien :
Ueber die Augen einiger Myriapoden. Zugleich eine te an
Herrn Prof. Dr. V. Graber in Czernowitz. Von Dr. H. Grenacher,
Professor der Zool. u. vergl. Anat. in Rostock. Hierzu Tafel XX
und XXI . N >
Ueber die centralen ee des Nena opticus. Von Dr. J. Stil-
ling, Privatdocent der Augenheilkunde a. d. Universität Strassburg.
(Anatomisches Institut zu Strassburg, Elsass.) Hierzu Tafel XXI
Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. Von Dr.
Gabriel Denissenko (St. Petersburg). Hierzu Figur A auf
Tafel XXII A aha A ee
Ueber das Gehörorgan der en Von Alexander Qisow, Assi-
stenten am histologischen Laboratorium der Universität zu Kasan.
Hierzu Tafel XXIII und XXIV
Seite
408
412
415
468
480
486
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich.
Von
Dr. Moritz Nussbaum,
Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut zu Bonn.
Hierzu Tafel I—IV.
Angeregt durch die Arbeiten von la Valette St. George's
und gefördert durch sein eifrigstes Interesse entstanden die fol-
senden Untersuchungen. Sie setzen sich zum Ziele, die Differen-
zirung des Geschlechts histologisch zu definiren. Man wird dem-
‚gemäss nur eine Beschreibung des Entwicklungsvorganges, keine
experimentelle Prüfung der zahlreichen Hypothesen über die Ent-
stehung des Geschlechts erwarten dürfen. Wir wagen nicht zu er-
klären warum ?, durch welche äusseren und inneren Bedingungen
das eine oder das andere Geschecht sich entwickele; glauben aber
über den Ablauf des Vorganges selbst einigen neuen Aufschluss
geben zu können.
Was die Form der Darstellung anlangt, so wurde die Ein-
theilung in Kapitel gewählt, um nicht genöthigt zu sein, Zusam-
mengehöriges an verschiedenen Stellen vorzubringen oder Fremd-
artiges mit einander zu vermischen. Es wird demgemäss im ersten
Abschnitt von der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen bei den
Batrachiern, im zweiten von demselben Vorgange bei den Teleo-
stiern gehandelt werden; ein dritter Abschnitt beschäftigt sich mit
den Hüllen der Zeugungsstoffe. Der vierte Abschnitt verbreitet
sich über die Regeneration der Geschlechtsproducte; der fünfte Ab-
schnitt betrifft das Wesen der sogenannten Leydig’schen Zwischen-
substanz des Hodens und der homologen Bildung im Eierstock.
In einem beschliessenden allgemeinen Theile werden die in den
voraufgehenden mehr beschreibenden Abschnitten gesammelten
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 18. 1
2 Moritz Nussbaum:
Thatsachen unter einheitliche Gesichtspunkte geordnet und diese
mit den frühern über unseren Gegenstand geläufigen Anschauungen
verglichen werden. Der letzte Abschnitt wird am meisten der
Nachsicht bedürfen, da ich bei der Fülle des zu berücksichtigen-
den Stoffes kaum hoffen darf, den Gegenstand ausführlich genug
oder gar erschöpfend dargestellt zu haben.
Das Material zu meinen Untersuchungen danke ich zum
grössten Theil der Liberalität des Herrn vonia Valette St.George.
Herr Geheimrath von Leydig stellte mir ebenso bereitwillig die
Vorräthe seiner Sammlung zur Verfügung. Herr Geheimrath
Pflüger wandte mir eine grosse Zahl von Hundeembryonen zu.
Die Herren DDr. Brock und Colasanti beschenkten mich mit
einer Collection von Cephalopoden, die sie für meine Zwecke zu
verschiedenen Jahreszeiten eingesammelt hatten.
r
Von der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen
bei den Batrachiern.
Untersucht man Eier von Rana fusca, an denen die Furchung
eben abgelaufen ist — also etwa 20 Stunden nach der Zweithei-
lung —, so findet man ihren Inhalt aus pigmentirten und farb-
losen Zellen zusammengesetzt. Die farblosen übertreffen die mit
schwarzem körnigem Pigment gefüllten Zellen um ein Bedeutendes
an Grösse; die kleineren pigmentirten Zellen mit deutlich sicht-
barem Kern haben, frisch in Humor aqueus gemessen, einen Durch-
messer bis zu 32 «; die grösseren farblosen bis zu 45 u. Was an
den grösseren hellen Furchungszellen uns von hervorragendem In-
teresse zu sein scheint, ist ihre völlige Ausfüllung mit den charac-
teristischen Dotterplättchen, die so dicht gelagert und von einer
so stark glänzenden Beschaffenheit sind, dass man den Kern der
Zelle nicht wahrnehmen kann. Hierdurch unterscheiden sich die
Furchungszellen im Ei der Rana fusca wesentlich von denen der
Rana esculenta; wohl sind auch bei Rana esculenta im abgefurch-
ten Ei noch alle Zellen theils pigmentirt, theils mit Dotterplättchen
angefüllt; allein niemals so sehr, dass man die Kerne der Zellen
nicht erkennen könnte. In seinen Untersuchungen über die Ent-
wicklung der Wirbelthiere gibt Remak auf Tafel IX und XI Ab-
bildungen von Furchungszellen der Rana esculenta.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 3
Es ist klar, dass eine derartige Beschaffenheit der Zellen,
wie sie sich bei Rana fusca findet, dann für das Studium der Ent-
wieklung eines Organes von Bedeutung werden kann, wenn aus dem
embryonalen Zellenmaterial sich die einzelnen Theile nicht gleich-
zeitig aufbauen und die Bildungszellen für das betreffende Organ
am längsten jenen auffälligen embryonalen Character bewahren. Man
wird, durch dies unverkennbare Merkmal unterstützt, mit grosser
Sicherheit die Veränderungen dieses wohl abgegrenzten Zelleom-
plexes verfolgen können. Für die Geschlechtsdrüsen ist dies nun bei
Rana fusca in befriedigender Weise der Fall.
Mit der fortschreitenden Entwicklung schwinden die Dotter-
plättchen allmälig aus den Zellen und den sich bildenden Geweben.
Man erkennt schon deutlich die Querstreifung der Musculatur, und
noch immer steckt in allen Theilen jene Dottersubstanz, deren
Plättehen nur langsam einen Einschmelzungsprocess erleiden. End-
lich sind alle Theile frei und viele ganz durchsichtig geworden;
nur in einem einzigen Complex fadenartig angeordneter, grosser
Zellen, median zu den Wolff’schen Gängen und in dem mittleren
Drittel der Pleuroperitonealhöhle gelegen persistiren die Dotter-
plättehen noch. Man bemerkte diesen Zellenhaufen schon früh,
wenn die äusseren Kiemen noch bestehen, als etwas Characteristi-
sches; doch wird er erst recht auffällig, wenn er nicht nur durch
die Grösse seiner Zellen, sondern auch durch den alleinigen Be-
sitz von Dotterplättehen vor allen übrigen Gebilden des Körpers
sich auszeichnet. Das ist etwa um die Zeit der Fall, wenn die
ganze Larve 1,4 cm und vom Munde bis zum Ansatz des Schwan-
zes 5 mm misst. Aus diesen nach Lage und Beschaffenheit aus-
gezeichneten Zellen geht wie wir später zeigen werden der func-
tionelle Theil der männlichen und weiblichen Geschlechtsdrüse
hervor, weshalb ich für sie den Namen „Geschlechtszellen“ vorzu-
schlagen mir erlaube.
Die Geschlechtszellen sind meist oval und stecken wie ge-
sagt voller Dotterplättchen. Die grössten unter ihnen messen —
Längs- und grösster Querdurchmesser — 40 und 35 u; die klein-
sten 35 und 24 u. Demgemäss bleiben die Zellen an Grösse nicht
hinter denjenigen zurück, welche im eben abgefurchten Ei ange-
troffen werden. Die kleineren gehen durch Theilung aus den
grösseren hervor; so verlängert und verbreitert sich die primäre
Anlage. In dieser findet sich noch eine andere Art von Zellen,
4 Moritz Nussbaum:
beim ersten Auftreten hell und klar, sich gleichzeitig mit der
Theilung der Geschlechtszellen vermehrend und diese völlig um-
wachsend. Diese zweite Art von Zellen, die in Allem mit dem
zelligen Belag an anderen Stellen der Pleuroperitonealhöhle über-
einstimmen, haben Kerne von 9 u Länge und 4,5 « Breite; in je-
dem Kerne ist ein Kernkörperchen vorhanden.
Die sogleich zu beschreibenden Veränderungen der primären
Anlage sind durchaus typische, indem sie in derselben Reihenfolge
an einer sehr grossen Zahl von Exemplaren in zwei aufeinander
folgenden Jahren beobachtet wurden. Allgemein gültige Angaben
über zeitliches Auftreten, sowie präcise Bestimmungen der Be-
ziehungen zum Erscheinen gewisser anderer Anlagen, beispiels-
weise der Beine, lassen sich jedoch nicht machen. Man muss von
Tag zu Tag aus einer reichen Brut mehrere Exemplare unter-
suchen und wird alsdann die Entwicklung der Organe in der Folge
sich abspielen sehen, wie sie unten wird geschildert werden. Zum
Beweise wie trüglich äussere Merkmale, führe ich Folgendes an.
Im Winter 1877/78 zog ich zwei Bruten getrennt, von denen die
eine gut, die andere nur kümmerlich sich nähren konnte. Unter-
suchte ich nun die gut genährten, deren Hinterbeine schon die
Anlage der Zehen zeigten, so fand sich in den Geschlechtsdrüsen
dasselbe Stadium wie in den schlecht genährten, obwohl die letz-
teren nichts weiter als jene weisslichen Höckerchen zur Seite des
Afters, die erste nur mit der Loupe sichtbare Anlage der Hinter-
beine, aufwiesen. Man kann also nicht mit Sicherheit bestimmen,
welcher Zustand der Geschlechtsdrüsen bei diesem oder jenem
Entwicklungsgrade der Larve wird gefunden werden; man ist da-
gegen wohl im Stande anzugeben, welche Veränderung einem be-
stimmten Zustande voraufgeht oder folgen wird. Zugleich zeigt
aber auch der obige Versuch, welche grosse Rolle in der thieri-
schen Oekonomie die Geschlechtsorgane spielen: das Individuum
verkümmert wegen mangelnder Ernährung; die Geschlechtsdrüsen
entwickeln sich weiter.
Wenn ich nunmehr zur Schilderung der Entwicklungsvor-
gänge in der Anlage der Geschlechtsdrüsen zurückkehrend den-
noch auf den gleichzeitigen Entwicklungsgrad anderer Organe
Rücksicht nehmen werde, so möge dies darin seine Begründung
finden, dass diese relativen Beziehungen immerhin einen annähern-
den Anhaltspunkt gewähren. Könnten wir die Bedingungen so
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 5
genau beherrschen wie beim bebrüteten Hühnchen, so würde ihnen
allerdings ein grösseres Gewicht beizulegen sein.
Laich von Rana fusca, am 4. April in ein frei gelegenes Bas-
sin abgesetzt, war bis zum 2. Mai soweit entwickelt, dass die aus-
seschlüpften Larven bei 1,4 cm Gesammtlänge eine Rumpflänge
von 5 mm besassen. Die Geschlechtsdrüsenanlage war 0,65 mm
lang und 50 « breit, die Geschlechtszellen voll von Dotterplättchen,
40:35 u bis zu 35:24 u gross und von hellen Peritonealzellen um-
srenzt. Neben den von den bedeutend kleineren Peritonealzellen
völlig umgebenen ungetheilten Geschlechtszellen fanden sich manche
grössere in Theilung begriffene der Art, dass sich in die Einschnü-
rungsstellen die Peritonealzellen eindrängten, so dass die Annahme
berechtigt ist, es theilen sich die grossen Geschlechtszellen und
werden alsdann durch das gleichzeitige Wachsthum der Peritoneal-
zellen auseinandergedrängt. Dementsprechend mass die Anlage
bei Exemplaren derselben Brut 8 Tage später 0,7 mm in der Länge
60 «u in der Breite, die Geschlechtszellen der überwiegenden Mehr-
zahl nach nur noch 35:24 u. Mit diesem Vermehrungsprocess
seht der Schwund der Dotterplättehen Hand in Hand. Dies ge-
schieht allmälig: es ist gleichsam ein Einschmelzen der Plättchen,
die nach und nach an Zahl und Grösse abnehmen. An einigen
Stellen liegen noch völlig mit den Dotterelementen vollgepfropfte
Zellen, daneben andere, wo schon einige der Plättchen kleiner ge-
worden sind; bis immer mehr und mehr das Protoplasma, der
Kern und sein grosses Kernkörperchen frei und deutlich zu Tage
treten, und schliesslich die ganze Dottermasse aus den Zellen
geschwunden ist.
Die Umwandlung geschieht bei Rana fusca so regelmässig,
dass kein Zweifel darüber sein kann, wie sehr die Peritonealzellen
von den Geschlechtszellen verschieden sind. Man wird wohl kaum
daran denken, dass sie durch Abspaltung von den grossen, so
lange noch mit den Dotterelementen ganz und gar erfüllten Ge-
schleehtszellen entstanden seien; wir werden die Unabhängigkeit
dieser beiden Elemente bei der Forelle noch deutlicher demon-
striren können. Bei Rana esculenta liegen dagegen die Verhält-
nisse weit ungünstiger, indem die Dotterelemente auch aus den Ge-
schleehtszellen schon früh schwinden; diese also nicht zu einer be-
stimmten Zeit die ausschliesslich den embryonalen Character tra-
genden Theile der Larve sind. Man sieht vielmehr schon ganz
6 Moritz Nussbaum:
freie Geschlechtszellen, während noch die Muskeln und die Zellen
der Wolff’schen Gänge mit Dotterplättchen angefüllt sind, so dass
sich hier nicht mit derselben Sicherheit wie bei Rana fusca die
Verschiedenheit der Peritonealepithelien von den Geschlechtszellen
und die continuirliche und ausschliessliche Entwicklung des func-
tionellen Theiles beider Geschlechtsdrüsen aus den primären Ge-
schlechtszellen darthun lässt.
Verweilen wir also noch vorläufig bei der Entwicklung der
Geschlechtsorgane von Rana fusca.
Wir constatirten vorher, dass in der Geschlechtsdrüsenanlage
zweierlei Zellen zu unterscheiden seien, von denen beide einen
Vermehrungsprocess durchmachen und wo dann schliesslich die
eine Art der Zellen „Geschlechtszellen“ durch die andere Art
„Peritonealzellen“ auseinandergedrängt und umhüllt werde. Die
continuirliche Grössenabnahme der Geschlechtszellen, deren Grösse
aber beständig die umgebenden Peritonealzellen um Vieles über-
traf, ihre gleichzeitige Vermehrung ohne dass eine einzige unter
ihnen aufgetreten wäre, in der die Dottersubstanz fehlte, während
die Peritonealzellen schon frühzeitig frei von Dotterplättchen sich
zeigten, dies Alles lieferte einen unzweideutigen Beweis dafür,
dass kein Uebergang von Peritonealzellen zu Geschlechtszellen
denkbar sei. Ein solcher Uebergang könnte ja nur in der Weise
vor sich gehen, dass gewisse Peritonealzellen sich vergrösserten;
da aber die Peritonealzellen frei von Dotterplättchen, so müssten
die muthmasslich vergrösserten ebenfalls frei von Dotterplättchen
sein, was aber durch keine Beobachtungsthatsache gestützt wird.
Wenn nun gegen Ende Mai die Anlage der Hinterbeine bei Be-
trachtung mit der Loupe deutlicher hervortritt und die Larven vom
Kopf bis zum Schwanzende eine Grösse von 2,3 cm erreicht haben
tritt ein Vermehrungsprocess der bis dahin von Dotterplättchen be-
freiten Geschlechtszellen ein, der sich in einem Punkte von dem vor-
her gehenden wesentlich unterscheidet. Bis dahin wurde, soweit sich
dies überhaupt mit Sicherheit angeben lässt, jedes Theilproduet der
Geschlechtszellen von den Peritonealzellen wie von einer Kapsel ein-
gehüllt; von nun an findet eine Theilung der Geschlechtszellen statt,
derart, dass die neugebildeten Zellen für eine lange Zeit innerhalb
der sich dehnenden und von peritonealen Zellen gebildeten Kapsel
zusammenliegen bleiben und in der Kapsel eine Reihe von Verände-
rungen durchlaufen. In Fig. 4und5 Tafel I sind beginnende Kern-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 7
theilungen der Geschlechtszellen nach einem Alkoholpräparat darge-
stellt. Es wurden absichtlich aus dem zerzupften Schnitt solche Zellen
als Vorlage für die Zeichnungen benutzt, an denen die äussere Hülle
eingerissen und namentlich in Fig. 5 mit ihren Kernen h zu erkennen
ist. An frischen Zerzupfungspräparaten Fig. 7, gewonnen vom eben ge-
tödteten Thier und entweder in Humor aqueus erwachsener Frösche
oder ganz farblosem Jodserum untersucht ist die Hülle mit ihren
Kernen nicht zu erkennen. Ueberhaupt haben die einzelnen Bestand-
theile der Zellen in frischem überlebendem Zustande ein so gleich-
artiges Liehtbrechungsvermögen, dass man erst nach einiger Zeit den
Zellkern und noch später das Kernkörperchen wahrnimmt. In Fig. 6
und 8 sind mehrfache Theilungen der primären Geschlechtszellen
nach frischen Präparaten gezeichnet. Fig. 9, 10, 11 und 12 stellen
gleich alte Theilungsstadien, in absolutem Alkohol gehärtet dar.
Durch den absoluten Alkohol wird vorwiegend das Zellprotoplasma
getrübt, das am frischen Präparat ganz homogen erscheint; indem
sich dieses nun gleichzeitig etwas contrabirt, lässt es die umge-
bende Hülle mit ihren Kernen deutlich hervortreten (vergl. Fig. 9,
10, 11 und 12). Einige Tage später werden auch die Kerne der
Zellen in den Kapseln an frischen Präparaten granulirt; die Gra-
nulirung nimmt mehr und mehr zu und wenn man nun einem fri-
schen Präparat absoluten Alkohol zusetzt, so schrumpfen die Kerne
und nehmen die in Fig. 14 wiedergegebene grobgranulirte Con-
figuration an!). Zugleich ist nicht zu verkennen, dass im Zell-
protoplasma weniger grob gerinnende Substanz mehr vorhanden
ist; der Zellenleib sieht wie leer aus.
Fig. 13 und 14 (Alkoholpräparate) stellen nur einen kleine-
ren Theil einer ganzen Kapsel mit ihrem Inhalt dar; doch lässt
sich aus Figur 14 durch Vervollständigung der Umgrenzungslinie
1) Bei Tritonen tritt in diesem Stadium eine netzartige Anordnung der
festen Kernbestandtheile ein, wie sie im Verlauf der Zelltheilung bisher an
vielen Objecten beobachtet wurde. Bei Rana fusca ist das Phaenomen nicht
deutlich; von Rana esculenta findet sich ein solcher Kern in Fig. 93 dargestellt.
Man vergleiche die Untersuchungen Flemming’s (Dieses Archiv Bd.
XVI pag. 302, Tafel XV—XVIII) und die ebendaselbst gegebene literarische
Uebersicht, zu der mir die Bemerkung gestattet sei, dass Leydig im Jahre
1864 (vom Bau des thierischen Körpers pag. 14), also vor Fromann, eine
balkenartige Structur in Kernen des Unterhautbindegewebes von Tritonen-
larven beschrieben hat.
8 Moritz Nussbaum:
zu einem Kreise die Grösse einer solchen Kapsel construiren. In
Figur 14 hatten alle Zellen den gleichen, eben beschriebenen Ha-
bitus. In Figur 13 ist bei x eine Zelle noch nicht soweit vorge-
schritten, indem sie noch den Character des in Fig. 12 wiederge-
gebenen, der Zeit nach voraufgehenden Stadiums trägt. Die Hülle
mit ihren Kernen bei h ist in beiden Fällen deutlich zu erkennen;
sie leitet sich, wie hier nochmals wiederholt sein mag, von den
Peritonealzellen ab. An Grösse sind die in den Kapseln vereinig-
ten Theilstücke der primären Geschlechtszellen alle gleich, ihre
Kerne sind in frischem Zustande rundlich, im Durchmesser 9,6 u
bis 10 u gross. Die Kerne der Hülle sind von länglich eiförmiger
Gestalt S «u lang und 4 u breit.
Inzwischen haben sich die Hinterbeine der Larve deutlich ent-
wickelt und gegliedert. An den Kernen der in den kugligen oder läng-
lichen Kapseln eingeschlossenen Theilstücke der primären Geschlechts-
zellen geht nun eine eigenthümliche Wandlung vor sich, wie sie von
la Valette St. George vor einiger Zeit schon von den Spermato-
gonien, den Samenmutterzellen in den Hodenschläuchen erwachsener
Thiere geschildert hat. Man darf vermuthen, dass jene bei von la
Valette St. George „trauben- oder maulbeerförmig‘“ genannte Thei-
lung des Kernes in den funetionellen Theilen der Geschlechtsdrüsen
ungemein weit verbreitet vorkommt, da sie von unserem Autor
nicht allein bei Amphibien (ef. Archiv für mikroskopische Anatomie
Bd. XII, Tafel 34 Fig. 8; Tafel 35 Figg. 35, 36°, 42, 43, 44 und an-
deren) als regelmässig vorkommendes Stadium in der Entwicklung
der Samenfäden abgebildet, sondern auch (Archiv für mikrosko-
pische Anatomie Bd. XV, Tafel 19, Figur 133) gelegentlich beim
Menschen und (l. e. Tafel 17 Fig. 80) der Ratte aufgefunden wurde.
Wir werden nun zeigen können, dass dieselbe Veränderung nicht
allein in den allerfrühesten Entwicklungsstadien der Geschlechts-
drüsen beider Geschlechter, sondern auch bei der Neubildung der
männlichen und weiblichen Geschlechtsproduete erwachsener Am-
phibien eine grosse Rolle spielt. In den Hoden von Reptilien,
Fischen und Cephalopoden haben sich zuweilen ähnliche Formen
nachweisen lassen, unter dem Eierstocksepithel des Hundes habe
ich öfter Derartiges beobachtet.
Während die bis hierher geschilderten Veränderungen in den
Geschlechtsdrüsen der Amphibien sich für die Untersuchung in
vortheilhaftester Weise bei Rana fusca abspielten, indem die An-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 9
lage sich durchaus gleichmässig entwickelte, dürfte sich für die
Untersuchung des maulbeerförmigen Kernstadiums am meisten das
vordere Ende der Geschlechtsdrüsenanlage von Bufo einereus em-
pfehlen. Hier sind alle in einer Kapsel enthaltenen Zellen in dem-
selben Stadium; nur einige haben noch den grobgranulirten Kern
wie in Figur 14. Die meisten Zellen zeigen jenen traubenförmig
oder maulbeerförmig zerklüfteten Kern, wie es aus einem feinen
in Alkohol erhärteten Schnitt in Fig. 17a dargestellt ist. Auch
jetzt noch ist das Protoplasma der Zellen nur wenig getrübt; aber
auch die Kerne sind heller geworden, genau so wie sie von la
Valette St.George in überaus getreuer Weise vom „Hodeneierstock“
des erwachsenen Thieres dargestellt hat. Es scheint, dass die Zel-
len sich stark mit Wasser imbibirt haben, und dass daher sich ihr
geblähter Zustand erklären liesse. Denn wenn man die Geschlechts-
drüsenanlage nur mit einem kleinen zugehörigen Theile des Rum-
pfes in den absoluten Alkohol einlegt, so sind namentlich an den
peripheren Schichten des Organes, wo der Alkohol energisch ein-
wirken konnte, die Grenzen der einzelnen Zellen verwischt. Man
erhält alsdann Bilder wie in Fig. 17b. Die Kapsel hat sich weit
von dem Inhalt zurückgezogen, und scheinbar regellos liegen in
dem Centrum, von einem kleinen Hof körnig geronnenen Proto-
plasmas umgeben, die Kerne. Hat man dagegen die ganze Larve,
die um diese Zeit schon die Hinterbeine besitzt, lebend in Alko-
hol gebracht und untersucht nach 4 bis 5 Stunden, so ist die Was-
serentziehung in den Geschlechtsdrüsen keine so energische und
man kann ganz wohl die Grenzen der Zellen und die eigenthüm-
liche Configuration der Kerne erkennen. Im frischen Zustande ist
es schwer Zellgrenzen aufzufinden; es ist dagegen leicht die maul-
beerförmigen Kerne zu isoliren. Von derGrösse der Kapseln möge Fig.
16 aus dem unteren Abschnitt der Geschlechtsdrüsenanlage von
Bufo ein. nach einem Alkoholpräparat mit der Camera lucida bei
Zeiss CC, Oec. III gezeichnet eine Vorstellung geben. Dieselben
sind meist länglich und stossen durch wenig Zwischensubstanz von
einander getrennt, dicht an einander. Figur 17a ist bei Zeiss F,
Öe. I gezeichnet; der Schnitt hat das in Alkohol gehärtete Prä-
parat so getroffen, dass nur eine kleine Scheibe einer grösseren
Kapsel zur Darstellung kam. So liegen nun die Zellen mit den
vielfach eingekerbten Kernen ohne Zwischenlagerung anderer Ele-
mente in ihren Hüllen, und dasselbe lässt sich von den Geschlechts-
10 Moritz Nussbaum:
drüsenanlagen anderer Batrachier aussagen. In der Geschlechts-
drüsenanlage aller Larven von Rana fuseca und esculenta, Peloba-
tes fuscus, Alytes obstetricans, auch in dem eigentlichen, unteren
Geschlechtsdrüsentheil von Bufonen liegen in den Kapseln von
Exemplaren mit deutlich gegliederten Hinterbeinen nur die bisher
beschriebenen Formen, allerdings meist aus den in Figg. 12, 14,
17a dargestellten gemischt.
Aber es ist sicher, dass an allen diesen Objeeten die maul-
beerförmige Kerntheilung in allen Zellen Platz greift; nur ist die
Umbildung keine so gleichzeitige als im vorderen verdickten Ende
der Geschlechtsdrüsenanlage von Bufo einereus. Bombinator igneus
habe ich im Larvenzustande nieht untersuchen können; doch glaube
ich behaupten zu dürfen, dass auch bei diesem Thier sich Aehn-
liches finden wird. Man wird diesen Schluss nicht zu gewagt fin-
den, wenn man bedenkt, dass von la Valette St. George im
Hoden erwachsener Bombinatoren dieselben Bildungen gefunden
hat, und sich nunmehr herausgestellt hat, dass diese so überaus
characteristische Kerntheilung bei allen den übrigen Larven wie-
dergefunden wurde, wo sie im erwachsenen Thier bis jetzt im
Hoden bekannt geworden war.
Die maulbeerförmige Kerntheilung leitet nun eine höchst wich-
tige Veränderung in den Geschlechtsdrüsen ein. Wie man aus
den mitgetheilten Figuren leicht ersehen kann, sind die einzelnen
Theilstücke klein und bleiben es auch zum grössten Theil. Nur
ein einziger Kern vergrössert sich und wird dadurch zu einer
Vorstufe der männlichen oder weiblichen Zeugungskeime; die übri-
gen Kerne treten an die Peripherie und erzeugen auf diese Weise
eine epitheliale Hülle der Keimzelle, welche beim Ei schon lange
den Namen Follikelepithel führt; bei der Ursamenzelle, der „Sper-
matogonie‘‘, dagegen von von la Valette St. George „Follikel-
haut“ genannt worden ist. Das Protoplasma der Zelle folgt nicht
sogleich dem sich gleichsam überstürzenden Theilungsvorgang des
Kernes; es theilt sich erst später, wie dies ja auch bei der ge-
wöhnlichen Zweitheilung von Zellen zu geschehen pflegt. Nur ist
bei der maulbeerförmigen Kerntheilung der Vorgang kein so augen-
fälliger, da bei dem vollständigen Auseinanderweichen der Kern-
theilstücke jeder neue Kern nur mit einem winzigen Protoplasma-
mantel bedacht wird (vergl. von la Valette St. George, Archiv
für mikroskopische Anatomie, Bd. XII pag. 802).
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 11
Wir sind hier an einem Punkte angelangt, die Bildung des
epithelialen Ueberzuges der Keimzellen betreffend, welcher eine
eingehende Besprechung und Kritik verlangte. Doch bitte ich
vorläufig mit mir die weitere Entwicklung zu verfolgen, um später
bei der Betrachtung der Verhältnisse im erwachsenen Thier darauf
einzugehen.
Bisher war die Anlage der Geschlechtsdrüsen ganz indiffe-
rent; bei allen untersuchten Larven fanden sich dieselben Zustände,
die sich somit als die ersten Entwicklungsstufen der männlichen
oder weiblichen Keimdrüse präsentiren. Von nun an bleibt es
nicht bei dieser anfänglichen Gleichförmigkeit; jedes der beiden
Geschlechter hat einen nun folgenden, specifisch männlichen oder
weiblichen Entwieklungsmodus, der auch später bei der Neubil-
dung von Geschlechtsstoffen derselbe bleibt. Doch gehen auch im
erwachsenen Thier wie in der Larve den specifischen Entwicklungs-
stufen wiederum indifferente, beiden Geschlechtern gemeinsame
Stadien vorauf.
Betrachten wir zuerst die weitere Entwicklung der indiffe-
renten Anlage zu einer weiblichen Keimdrüse, so empfiehlt sich
hierzu, wie für die direet voraufgehenden Umformungsprocesse, am
Meisten das vordere Ende der Geschlechtsdrüsenanlage von Bufo
einereus.
‘* Ueber dieses Organ hat von Wittich (Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zoologie Bd. IV pag. 158) schon ausführlicher berichtet,
indem er sagt, dass „jener obere Theil sich schon äusserst früh-
zeitig zu einer vollkommen weiblichen Geschlechtsdrüse bei allen
Larven entwickelt. Schon in sehr frühen Zeiten finden wir sowohl
bei den sich zu Männchen, wie bei den sich zu Weibehen ausbil-
denden Thieren in dieser vorderen Anschwelluug mit Dottermasse
und Eikapseln umgebene Keimbläschen mit ihren Fleeken.“ Die
einzelnen Details des Entwicklungsmodus wurden von Wittich nicht
in den Kreis der Beobachtungen hineingezogen. Bei erwachsenen
Männchen wurde das Organ zuerst von Jacobson!) als rudimen-
tärer Eierstock, an der Spitze des Hodens gelegen, beschrieben
1) Jacobson: Det kongelige Danske Videnskabernes Selskabs Natur-
videnskabelige og mathematiske Afhandlinger. Tredie Deel 1828 (nach v.
Wittich eitirt).
12 Moritz Nussbaum:
und späterhin von Bidder!), von Wittich?), Leydig°), von
la Valette St. George*t) und Spengel?’) genauer unter-
sucht; von Wittich und Spengel wiesen sein Vorkommen auch
bei erwachsenen Weibehen nach. Der Inhalt dieses rudimentären
Eierstocks oder „Hodeneierstocks“ besteht aus Eiern, die nicht zur
vollständigen Entwicklung gelangen. Wer einwenden wollte, dass
dieses immerhin zweifelhafte Organ nicht zum Studium der Ei-
entwicklung benutzt werden dürfe, möge berücksichtigen, dass
die wahren Eier nach demselben Gesetz und genau in derselben
Weise wie diese in einen Follikel eingeschlossenen, Dotter und
Membrana granulosa aufweisenden Gebilde sich entwickeln. Nur
ist es an anderen Stellen schwieriger den Process zu verfolgen,
weil die Entwicklung nicht so gleichmässig und auch die Be-
schaffung des Materials schwieriger ist, indem der vordere Ab-
schnitt der Krötengeschlechtsdrüsen weit eher zur Entwicklung
kommt als die eigentlichen Geschlechtsdrüsen. Was von la Va-
lette St. George (Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XII
pag. 808) vom Organ des erwachsenen Thieres gesagt hat, unter-
schreibe ich für die Bildungsstadien in der Larve.
Wir betrachten also wiederum die Entwieklung des rudimen-
tären Ovarium bei Krötenlarven mit deutlich gegliederten Hinter-
beinen. Einige Tage nach der maulbeerförmigen Kerntheilung der
Zellen in den Kapseln beginnt wie gesagt eine Vergrösserung eines
Kerntheilstückes und ein rapides Wachsthum des zugehörigen
Protoplasmas, während die übrigen aus der Theilung hervorge-
henden Kerne klein bleiben und, an die Peripherie der von nun
an Keimzelle zu nennenden mittleren Zelle rückend, mit ihrem
1) Bidder: Vergleichende anatomische und histologische Untersuchungen
über die männlichen Geschlechts- und Harnwerkzeuge der nackten Amphibien;
Dorpat 1846.
2) von Wittich: Beiträge zur morphologischen und histologischen Ent-
wicklung der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der nackten Amphibien. Zeit-
schrift für wissenschaftliche Zoologie 1853 pag. 125.
3) F. Leydig, Anatomisch-histologische Unteruschungen über Fische
und Reptilien, Berlin 1853.
4) von la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper
4. Mittheilung; Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XII, pag. 797.
5) J. W. Spengel: Das Urogenitalsystem der Amphibien. I. Theil.
Der anatomische Bau des Urogenitalsystems; Arbeiten aus dem zoologisch-
zootomischen Institut in Würzburg. III. Bd., pag. 1.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 13
erstarrenden Protoplasma eine epitheliale Hülle um die Keimzelle
bilden. Die äussere, von uns Kapsel genannte und von den Perito-
nealzellen abgeleitete Umhüllung;, schliesst sackartig eine grosse Zahl
von Keimzellen mit dem zugehörigen Follikelepithel ein. Die Keim-
zellen wachsen; der Kern, den wir von nun an Keimbläschen nen-
nen wollen, erhält mehrere Keimfleeke, die sich in der Folge noch
vermehren. Das Protoplasma des Eies, denn dieses ist im vorlie-
senden Falle die sogenannte Keimzelle, wird immer mehr und
mehr von Körnchen getrübt: es bildet sich der Dotter. Nicht in
allen Eizellen ist nur ein einziges Keimbläschen enthalten; man
findet zuweilen zwei bis drei darin. Mit dem Wachsthum der Ei-
zellen geht nun ein Vorgang Hand in Hand, den zuerst Pflüger
in seinem grossen Werke: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere
und des Menschen, beschrieben hat. Von der Kapsel schieben sich
feine Fortsätze zwischen die im Inneren gelegenen, von ihrem
Follikelepithel schon umhüllten Eizellen vor und trennen diese
von einander; so dass noch bevor die Vorderbeine der Larven
deutlich sichtbar geworden sind, jedes Ei von einer bindegewebi-
gen Hülle, die nun auch vaseularisirt wird, umschlossen ist. In
Figur 18 ist ein Stadium dargestellt, wo noch eine gemeinsame
Kapsel die schon vom Follikelepithel umgebenen Eizellen einschliesst.
Figur 19 gibt ein Bild von einem Ei mit mehreren Keimbläschen;
Figur 20 von zwei Eiern in einer Follikelmembran eingeschlossen.
Figur 21 und 22 stellen Eier dar aus der gemeinsamen Kapsel
mit dem zugehörigen Follikelepithel isolirt. Das Vorkommen von
solchen Eiern gleichzeitig mit den in Figur 19 wiedergegebenen
macht es wahrscheinlich, dass noch Theilungen von Eiern vor-
kommen, die schon mit einem Kranz von Follikelepithelien ver-
sehen sind, und dass die aus der Theilung hervorgehenden defi-
nitiven Eier dann entweder, wie es die Regel ist, vollständig durch
die später hinzukommende Follikelmembran isolirt werden, oder,
wie es bei Figur 20 der Fall, in einem Follikel vereint liegen
bleiben. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass von vorn-
herein getrennte Eier von einer gemeinschaftlichen Follikelmem-
bran umgeben werden. Jedenfalls ist es nicht gar zu selten, dass
bei erwachsenen Thieren zwei und mehr Eier in einem Follikel
angetroffen werden.
Selbstverständlich finden sich im Laufe der fortschreitenden
Entwicklung neben ausgebildeten Eiern auch noch Entwicklungs-
14 Moritz Nussbaum:
stadien derselben. Dies gilt in weit höherem Maasse von den
eigentlichen Eierstöcken der Batrachier als von dem rudimentären
Övarium der Kröten. Stets liegen die jüngeren Stadien der Ober-
fläche näher, so dass das von Pflüger aufgestellte Gesetz über
das Fortschreiten der Eientwicklung von der Peripherie gegen das
Centrum zu auch bei den Batrachiern bestätigt wird. Die Erken-
nung der Entwicklungsstadien als solcher ist aber nicht schwierig,
weil vom ersten Beginn der Bildung bis zum Aufhören der Zeu-
gungsthätigkeit, abgesehen vom ersten Stadium — der embryona-
len Zelle —, sich für die Neubildung von Eiern stets derselbe
oben beschriebene Bildungsmodus wiederholt. Wir werden weiter
unten zeigen können, dass die einzelnen Stadien der Entwicklung
bei zeugungstähigen Amphibien sogar streng auf die einzelnen
Jahreszeiten vertheilt sind und dabei die Reihenfolge einhalten, in der
die Entwicklungsstadien der ersten Eier nach einander auftraten.
Hiermit will ich vorläufig die Bildungsgeschichte des Eies
bei den Anuren abschliessen, und indem ich die Bildung des Fol-
likelepithels und die von Goette entwickelte Lehre von der Ent-
stehung des Eies durch Verschmelzung mehrer Zellen einer ein-
gehenden Besprechung im allgemeinen Theil aufbewahre, mit
wenigen Worten die wesentlichsten Resultate der Untersuchung zu-
sammenstellen.
Die Eier der Batrachier bilden sich aus einer beschränkten
Anzahl embryonaler Zellen — Geschlechtszellen —, deren Deri-
vate nach vielfachen Theilungen und Veränderungen ihres Aus-
sehens in grossen Säcken beisammen liegen und von denen jedes
mindestens zu einem Ei mit dem zugehörigen Follikelepithel sich
ausbildet. Die Sonderung der Amphibieneier in einzelne Follikel
geschieht durch die Wucherung jener vorhin erwähnten Säcke,
deren Zellen sich von dem Peritonealepithel ableiten.
Für die Schilderung des Entwicklungsganges in der Geschlechts-
drüsenanlage, der zur Ausbildung von Hoden führen wird, haben
wir auf das in Figur 17a dargestellte Stadium zurückzugehen. Alle
früheren Stadien, dieses eingeschlossen, sind eben beiden Ge-
schlechtern gemeinsam. Von dem Zustande der maulbeerförmigen
Kerntheilung der zu grösseren Gruppen vereinigten und wie ge-
sagt von Kapseln umschlossenen Zellen geht die Anlage direet in
den functionellen Theil der männlichen Geschlechtsdrüse dadurch
über, dass wiederum, wie beim Ei, ein Theilstück des maulbeer-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 15
förmigen Kernes im Wachsthum den übrigen vorauseilt und ebenso
von einer grösseren Menge Protoplasma umgeben wird. Die übri-
gen Kerntheilstücke bleiben klein und bilden die Follikelhaut,
indem sie sich epithelartig um die mittlere Zelle, die Spermato-
gonie, gruppiren. Die Spermatogonien haben ein beschränkteres
Wachsthum als das Ei.
Die definitive Gestaltung der männlichen Drüse hängt nun
noch von zwei Bildungsvorgängen ab. Erstens werden die grossen
Kapseln durch arkadenartige Einstülpungen von der Aussenfläche
her in kleinere Abtheilungen zerlegt, welche zu Hodenampullen
oder Hodenschläuchen werden. Während nämlich im Stadium der
maulbeerförmigen Kerntheilung die Kapseln gross und rundlich
oder länglich sind, lassen sich aus den Hoden junger, zu Anfang
August eingefangener Männchen von Rana fusca die von der
Schnautze bis zu den Zehen der ausgestreckten Hinterbeine 5,3 cm,
von der Schnautze bis zum After 2 em messen, durch zweistündige
Maceration in offieineller Salzsäure vielfach eingebuchtete Gebilde
auch wohl schon einzelne kleine Schläuche isoliren; erst nach und
nach entstehen dann durch weitergehende Spaltung die isolirt ver-
laufenden Hodenkanäle. Man vergleiche hierzu Figg. 83 und 89
von einem viermonatlichen Pelobates fuscus.
Der zweite hier zu berücksichtigende Vorgang betrifft die
Herstellung einer Verbindung zwischen Hoden und dem Geschlechts-
theile der Urniere. Es unterliegt heute wohl keinem Zweifel mehr,
dass sowohl Hoden als Eierstock mit dem vorderen Ende der Ur-
niere oder dem Wolff’schen Körper in Verbindung treten. Ent-
wicklungsgeschichtlich hat dies für die Vögel Waldeyer festge-
stellt; für Rochen und Haie Semper, für die Reptilien Braun;
für die Säugethiere in jüngster Zeit Kölliker. Bei den Amphi-
bien bedarf es des entwicklungsgeschichtlichen Nachweises nicht,
da bei den meisten Species mit Leichtigkeit im erwachsenen
Thiere die Communication der Hodenausführungsgänge mit den
Canälen der Urniere nachgewiesen werden kann. Bei den Amphi-
bien bleiben nämlich, wie dies.Spengel im Anschluss an Bidder
und Hyrtl nachgewiesen, in der Regel die Malpighischen Knäuel
der vom Samen zu passirenden Harnkanäle bestehen. Beim Frosch
sollen im erwachsenen Thier in den zum Nebenhoden oder bes-
ser gesagt zum Geschlechtstheile der Urniere umgewandelten Harn-
kanälen die Glomeruli nicht mehr nachgewiesen werden können.
16 Moritz Nussbaum:
Doch gelang es mir vor einiger Zeit an Rana esculenta zu zeigen,
(Sitzungsbericht der Niederrheinischen Gesellschaft vom 19. Nov.
1877) dass auch bei erwachsenen Fröschen die Glomeruli in den
samenableitenden Harnkanälen erhalten bleiben können. Die von
mir zur Untersuchung benutzten Frösche waren von Köpenik be-
zogen. Ich führe dieses an, weil ich keinen Grund habe an der
Richtigkeit der Darstellung Spengel’s zu zweifeln; wohl aber
daran denken möchte, dass unter den als Rana esculenta be-
zeichneten Fröschen immerhin Varietäten vorkommen, von denen
die eine, wie die übrigen Amphibien, in den samenabführenden
Harnkanälen die Malpighi’schen Knäuel zeitlebens behält, die an-
dere sie aber, wie die Reptilien und Säugethiere schon früh ver-
liert. Die von mir untersuchten Frösche waren geschlechtsreif,
da ohne jeden Druck auf die Hoden die Samenfäden in die Niere
abgesetzt worden waren. In Figur 92 ist die Verbindung eines
vom Bidder’schen Längscanale abtretenden Samenganges mit
einer Bowmann’schen Kapsel nach einem in absolutem Alkohol
gehärteten Präparat dargestellt. Wie man sieht, fehlt in der mit
Samenfäden erfüllten Kapsel der Glomerulus nicht; und ich will
hinzufügen, dass ich in allen Abschnitten der betreffenden Harn-
kanäle Samenfäden gefunden habe. Zwischen den Harnkanälen
waren keine Samenfäden gelegen.
Somit wäre für die Plagiostomen, Amphibien, Reptilien und
Säugethiere der Weg genau bekannt, der vom Hoden zum W olff-
schen Gange oder Vas deferens führt. Die Verbindung wird durch
die vorderen Urnierenkanäle hergestellt, die verschieden an Zahl
bei den einzelnen Species, im Laufe der individuellen Entwieklung
mehr oder weniger verändert werden. Bei den weniger hoch orga-
nisirten Classen bleiben die Glomeruli zeitlebens erhalten, so dass
die Einmündung der Vasa efferentia des Hodens in die Bowman’-
sche Kapsel der vorderen Urnierenkanäle zu jeder Zeit demonstrirt
werden kann. Ein mustergültiges Object ist das Mesorchium und
der vordere Theil der Urniere bei den Tritonen. Zur Zeit der
Brunst kann man die Samenkörper von den Vasa efferentia des
Hodens durch die isolirten vorderen Urnierenkanäle bis zum Harn-
samenleiter hin verfolgen. In einem Falle fand ich die sieben vor-
deren gänzlich von einander getrennten Urnierenkanäle von der
Bowman’schen Kapsel bis zur Einmündung in den Harnsamen-
leiter mit Spermatozoen gefüllt. Diese vorderen Harnkanäle haben
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 17
jeder einen Glomerulus; nur die Wimpertrichter, die bei jungen
Thieren und bei den Weibehen auch im vorderen Theile der Urniere
in den Hals der Harnkanäle einmünden, waren obliterirt und, wie dies
Spengel richtig dargestellt hat, auf winzige Reste eingeschrumpft.
Bei den höheren Thierelassen gehen die Glomeruli der Ur-
niere nach kurzem Bestand im Embryo schon zu Grunde; die um-
gewandelten vorderen Urnierenkanäle bilden den compacten Neben-
hoden, an dem die frühere Organisation von Harnkanälen nicht
mehr erkannt werden kann. Interessant ist es, dass bei den Am-
phibien Uebergänge zwischen diesen extremen Formen sich finden.
Mit dieser Kenntniss ist jedoch die Frage nach der Ent-
stehung der Verbindung zwischen Hoden und Urniere noch keines-
wegs erledigt; die Frage hat sich vielmehr nach einer ganz anderen
Seite zugespitzt. Bekanntlich war Waldeyer geneigt, die ganze
Hodenanlage vom Wolff’schen Gange abzuleiten. Während aber
der Vorgang der Hodenentwicklung beim Huhn in seinen Einzel-
heiten noch nicht bekannt ist und die von Waldeyer ausge-
sprochene Ansicht nach dem vorliegenden Beobachtungsmaterial
nur die wahrscheinlichste war, hat in neuerer Zeit Semper durch
ausgedehnte Beobachtungen bei Rochen und Haien die Entwicklung
der männlichen Geschlechtsdrüse dahin präeisirt, dass die Hoden-
kanäle!) in zwei ihrer Bedeutung und Abstammung nach verschie-
dene Abschnitte, in einen functionellen und einen ableitenden Theil
zu trennen seien.
In seinem Werk: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und
seine Bedeutung für das der übrigen Wirbelthiere (Arbeiten aus
dem zoologisch-zootomischen Institut zu Würzburg Bd. II pag. 362)
sagt Semper: „Die männliche Keimdrüse der Plagiostomen ent-
steht durch die Verwachsung zweier verschiedener Theile des indif-
ferenten Embryo’s. Einerseits findet eine dem Vorgang beim Weib-
chen analoge Veränderung und Einwanderung der Zellen des Keim-
epithels in das Stroma der Hodenfalte statt; andrerseits bildet sich
durch Verwachsung und Auswachsen der Segmentalgänge in die
Basis und nachher bis in die Spitze der embryonalen Keimfalte
hinein das Hodennetz aus, welches nur als fortleitendes Canal-
1) Das Wort Hodenkanal ist hier ganz allgemein gebraucht; es haben be-
kanntlich die functionellen Theile der Hoden die verschiedensten Formen gra-
der oder gewundener, kurzer oder langer Schläuche, Ampullen u.s. w.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 2
18 Moritz Nussbaum:
system ftir die, in den eigentlichen männlichen Keimdrüsen,
den Ampullen, gebildeten Samenkörperchen dient, niemals aber
selbst zum samenbereitenden Organ wird.“
Einen ähnlichen Bildungsmodus hat Braun (Arbeiten aus
dem zoologisch-zootomischen Institut in Würzburg Bd. IV) für die
Reptilien nachgewiesen. Die Geschlechtsdrüse wird in gleicher
Weise bei beiden Geschlechtern angelegt. Durch Einwucherungen
vom Wolff’schen Körper her, die mit hoher Wahrscheinliehkeit
von der äusseren Wand Malpighi'scher Körperchen abgeleitet
werden (pag. 148 und 149), entwickeln sich die Hodencanäle, in
welche die zu Ureiern vergrösserten Keimepithelzellen von der
Oberfläche der Genitalanlage her einwandern. Bei dem Eierstock
gehen die vom Wolff’schen Körper ausstrahlenden Schläuche bald
zu Grunde, während das Ureierlager auf dem Ovarium sich be-
deutend vergrössert. Es existirt also auch bei Reptilien ein Unter-
schied zwischen functionellem und ausführendem Theile des Ho-
dens. Der ausführende Theil stammt vom Wolff’schen Körper;
der die Samenfäden produeirende Theil bildet sich aus dem Ur-
eierlager, dem Keimepithel.
Es fragt sich nun, ob die über die Entwicklung des Hodens
bei Amphibien, Vögeln und Säugethieren vorliegenden Beobach-
tungen, die bei Weitem nicht einen gleichen Anspruch auf Aus-
führlichkeit machen können, als die von Semper und Braun bei
Plagiostomen und Reptilien angestellten: ob jene Beobachtungen,
sage ich, eine zwingende Nöthigung enthalten, für diese Classen
ein anderes Bildungsgesetz zu formuliren als das für Plagiostomen
und Reptilien erkannte; ob in der That, wie die Mehrzahl der Au-
toren geneigt ist anzunehmen, bei Amphibien, Vögeln und Säuge-
thieren der ganze Hoden vom Wolff’schen Körper abstamme. Bei
einer näheren Prüfung der bis jetzt bekannten Thatsachen dürfte
dies nicht der Fall sein.
Was die Amphibien anlangt, so bin ich mit Bezug auf die
Entstehung der Verbindung des ableitenden Systems mit den Ho-
denkanälen zu keinem definitiven Resultate gekommen. Mit Sicher-
heit kann ich nur von dem Stadium berichten, wo der funetionelle
Theil fertig gebildet ist und ganz gewiss noch keine Verbindung mit
der Urniere existirt; dann erst wieder von dem Stadium, wo die
Verbindung so weit hergestellt ist, dass kein unzweideutiger Be-
weis geliefert werden kann, ob die Verbindungsstücke von den
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 19
Malpighi’schen Körperchen zum Hoden oder etwa in umgekehr-
ter Riehtung gewuchert seien. Es ist dies eine Lücke, welche ich
durch fortgesetzte Untersuchungen auszufüllen hoffe. Jedenfalls ist
es sichergestellt, dass der functionelle Hodentheil bei Batrachiern
unabhängig vom Wolff’schen Gange entsteht, und dass in den
ableitenden Theil die vordere Parthie der Urniere wie bei Pla-
giostomen und Reptilien übergeht. (Vergleiche hierzu auch v. Wit-
tich, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1853, pag. 127 unten.)
Ueber die Entwicklung des Hodens beim Huhn berichtet
Waldeyer (Eierstock und Ei pag. 139). Zu einer Zeit wo inner-
halb des Hodens die Samenkanälchen noch nicht unterscheidbar
waren, sah man einzelne helle Canäle des Wolff’schen Körpers
an der Grenze des Hodens liegen, da wo letzterer dem Wolff-
schen Körper aufsitzt. Vom siebenten Tag werden die Samen-
kanälchen im Inneren des Hodens deutlich und es lässt sich eine
Verbindung zwischen ihnen und den Canälen des Wolff’schen
Ganges nachweisen. Waldeyer vermuthet, die Samenkanälchen
entständen durch Proliferation der dorsal gelegenen engeren Canäl-
chen des Wolff’schen Körpers. Es gelang nicht, eine Betheiligung
von Seiten des Keimepithels nachzuweisen, obschon sich in dem-
selben wie bei den weiblichen Individuen „Primordialeier“ ausge-
bildet hatten.
Bornhaupt hatte für das Hühnchen, Egli für das Kaninchen
eine Abstammung der Hodencanäle vom Peritonialepithel behauptet;
aber wie Bornhaupt von Waldeyer, erfuhr Egli lebhaften
Widerspruch vou Kölliker. Kölliker theilt von vierzehntägigen
Kaninchenembryonen mit, dass der Hoden an den deutlich gewun-
denen soliden Samenkanälchen erkennbar sei; während Egli für
dieses Stadium neben der von Kölliker nachgewiesenen 27u
breiten Verbindung des Hodens mit Malpighi’schen Körperchen der
Urniere auch jede Andeutung des zukünftigen Geschlechts in der
Geschlechtsdrüsenanlage vermisst hatte. Es stehen mir keine ei-
genen Beobachtungen an Kaninchenembryonen zu Gebote; ich bin
also nicht berechtigt, die Daten des einen Autors zu Gunsten des
Anderen zu verwerfen. Wenn wir uns aber nach untrüglichen
Merkzeichen in beiden Mittheilungen umsehen, so lassen. sich, wie
ich glaube, sogar beide Beobachtungsreihen recht gut combipiren.
Kölliker beschreibt von einem 14 tägigen Kaninchenembryo eine
deutliche Albuginea des Hodens; diese hat Egli erst am 16. Tage
30 Moritz Nussbaum:
gesehen. Egli hat auch noch vom 16. Tage den Inhalt der vom Hoden
zum Wolff’schen Körper ziehenden Falte genau geschildert und
keine Verbindungen mit den Kanälen der Urniere, wohl aber Ge-
fässe darin gefunden. Es ist somit fast unzweifelhaft, dass Egli
frühere Stadien beschrieben hat als Kölliker, und man ist nicht
genöthigt anzunehmen, Egli seien die Verbindungen mit dem
Wolff’schen Körper entgangen, weil die Untersuchung möglicher-
weise da abgebrochen wurde (18. Tag), wo sich bei Egli die Ver-
bindung eben herstellen wollte. Denn wir finden bei Kölliker
erst vom 16.—17. Tag mit aller Bestimmtheit eine Verbindung zwi-
schen dem Hoden und „dem Epithel eines Malpighi’schen Glome-
rulus“ nachgewiesen. Da aber mit Rücksicht auf das Auftreten
der Albuginea des Hodens bei Egli und Kölliker eine Differenz
von mindestens zwei Tagen sich findet, so werden wir eine ähn-
liche mit Bezug auf die weiteren Stadien annehmen ‚dürfen und
somit die Annahme wahrscheinlich finden, dass bei Egli’s 18tägi-
sen Embryonen in der That noch keine Verbindung zwischen Hoden
und Urniere sich ausgebildet hatte.
Gegen die von Kölliker geübte Kritik, die Ableitung der
Hodenkanälchen vom Peritonialepithel anlangend, ist Nichts einzu-
wenden. Man muss gestehen, dass für die Säugethiere bis jetzt
noch zu wenig Beobachtungsmaterial vorliegt; genug aber, um mit
Rücksicht auf die bei Plagiostomen, Reptilien und Amphibier ge-
wonnenen Resultate die Behauptungen Egli’s sehr wahrscheinlich
zu machen.
Wäre demgemäss unsere Deutung zu Gunsten einer Lösung
des Widerspruchs zwischen den Angaben Kölliker’s und Egli’s
die richtige, so könnten wir auch für Kaninchenembryonen an-
nehmen, dass die Hodenkanäle aus zwei Quellen, dem Keimepithel
und der Urniere stammen, und, was nicht unwichtig ist hervorge-
hoben zu werden, dass der in den functionellen Abschnitt überge-
hende Theil sich eher ausbilde als der ableitende.
Für die Batrachier glauben wir den Nachweis geliefert zu
haben, dass der funetionelle Theil beider Geschlechtsdrüsen aus
einer beschränkten Anzahl embryonaler Zellen durch fortgesetzte
Theilung hervorgehe, und dass er dann mit der vorderen Parthie
der Urniere in Verbindung trete. Beim Männchen ist die Verbin-
dung eine dauernde, indem späterhin der vordere Urnierentheil
und der Wolff’sche Gang als Ausführungsgang fungiren. Bei den
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 21
Weibchen gehen die im Mesovarium bei jungen Thieren nachweis-
baren Zellstränge, die bis zuMalpighi’schen Körperchen der Ur-
niere wie bei den Männchen zu verfolgen sind, bald zu Grunde.
Als Ausführungsgang der weiblichen Keimstoffe dient der durch
Abschnürung vom Peritonialepithel entstandene Müller’sche Gang,
der bei den Männchen kurz nach seiner Anlage verkümmert.
Die Sonderung im funetionellen Theile zu Hoden oder Eier-
stock geht bei den Batrachiern in der Weise vor sich, dass nach
einer Reihe von Theilungsvorgängen der embryonalen Anlage, die
beiden Geschlechtern gemeinsam sind, zur Bildung des Hodens viele
Elemente in grossen Säcken oder Schläuchen vereinigt bleiben, beim
Eierstock dagegen jedes einzelne von einer bindegewebigen Hülle
umwachsen und so von seinen Nachbarn gesondert wird. Es ist so-
mit die überwiegende bindegewebige Wucherung, welche dem
Eierstock seinen ersten speeifischen Character aufdrückt. Dann
wächst die Eizelle ungetheilt weiter; die Spermatogonie aber theilt
sich und erzeugt in ihrer Follikelhaut eine grosse Zahl von
Samenzellen.
I.
Von der Entwieklung der Geschlechtsdrüsen bei den
Teleostiern.
Als Untersuchungsobjeet wurden fast ausschliesslich Embryo-
nen der Forelle verwandt. Die Gründe, welehe für die Wahl
dieses Teleostiers massgebend waren, liegen nicht sowohl in der
hervorragenden Stellung des Thieres im System, als vielmehr in
den practischen Vorzügen, die es in seinen ersten Entwicklungs-
stadien vor fast allen bekannt gewordenen Wirbelthierembryonen
aufweist. Die Entwicklung ist eine ungemein langsame; die Leich-
tigkeit der Präparation erlaubt bei der Möglichkeit, viele Exem-
plare von derselben Entwicklungsstufe auf einmal zu erhalten,
eine ausgedehnte Untersuchung. Es finden sich keine störenden
Kniekungen und Biegungen am Embryo vor; die Schnittfähigkeit
gehärteter Embryonen übertrifft, mit Ausnahme etwa der Haie, bei
Weitem die aller Wirbelthiere; die Isolirung der Theile am frischen
Objeet gelingt mit der Eleganz, wie sie wohl nur bei der Präpa-
ration von Insecten erreicht wird. Vor den Sommerlaichfischen
22 Moritz Nussbaum:
hat die Forelle den Vortheil, dass das ungemein die frische Un-
tersuchung störende Pigment der äusseren Bedeckung erst weit
später auftritt; so dass, kurz gesagt, die Forelle oder die Salmoni-
den überhaupt ein Musterobject für embryonale Studien abgeben.
Den grössten Theil des Materials bezog ich von der Fisch-
zuchtanstalt zu Hüningen. Da jedoch von dort nur embryonirte
Eier, an denen die Augen schon sichtbar sind, verschickt werden,
so bin ich Herrn Prof. von la Valette St. George zum grössten
Danke verpflichtet für die Güte, mit der er mir frisch befruchtete
Eier der Bachforelle zugewandt hat. An diesen wurden die Beob-
achtungen über die ersten Entwicklungsstadien gemacht. Die Eier
kamen in fliessendem Wasser bei 3° R. Anfangstemperatur, die
mit der fortschreitenden Jahreszeit (von Anfang Dezember bis zum
Mai hin) auf 7°R. stieg, zur Entwicklung.
Die angewandten Methoden sind bekannt. Die Embryonen
wurden gestreckt, gehärtet; die Gegend der Geschlechtsdrüsenan-
lage in Schnittserien zerlegt; die Anlage selbst, frisch oder in Sal-
zen der Chromsäure und dem sehr empfehlenswerthen absoluten
Alcohol gehärtet, zerzupft und auf feinen Schnitten untersucht. Für
die frische Untersuchung glaube ich folgende Methode empfehlen
zu können. Auf einem trocknen Objectträger wird die Eihaut mit
Nadeln oder noch besser mit einem feinen lanzenförmigen Messer-
chen eingerissen. Ist die Haut des Dottersackes einigermassen resi-
stent, so hat sich zwischen dem Embryo und der Eihaut eine klare
in Aleohol gerinnende Flüssigkeit abgeschieden, die man nur aus-
treten zu lassen braucht, um mit Pincetten von der gemachten Oeff-
nung her, die Eihaut gänzlich zerreissen und den Embryo mit
seinem Dottersack unverletzt austreten lassen zu können. Bei
den frühesten von mir untersuchten Stadien ist der Dotter jedoch
jedesmal ausgeflossen; ich habe den Dottersack erst bei einmo-
natlichen Embryonen erhalten können und dann recht lange die
Circulation am unverletzten, in Jodserum gelagerten Thier beob-
achtet. Zur Anfertigung frischer Isolationspräparate muss jedes-
mal der Dotter entfernt werden. Ist er ausgelaufen, so saugt man
behutsam mit einer zweiten gleichfalls trocknen Glasplatte den
Embryo an und setzt einen Tropfen Jodserum zu. Die Entfer-
nung des Dotters ist unbedingt nöthig, weil jede wässrige Flüs-
sigkeit dicke Gerinnungen in ihm erzeugt und die weitere Beob-
achtung illusorisch macht. Bei Embryonen, die gehärtet werden
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 23
sollen, ist die Erhaltung des Dottersacks und damit die Erhaltung
des Blutes in den Gefässen für das Studium vieler Theile wün-
schenswerth und macht keine Schwierigkeiten. Die kleinsten Em-
bryonen kann man wegen ihrer Durchsichtigkeit in toto untersu-
chen; an den grösseren ist die Präparation der einzelnen Theile,
wie gesagt, eine überraschend leichte; mit Messer und Pincette
lässt sich die ganze Vorniere von dem Glomerulus bis zum ge-
meinschaftlichen Mündungsstück beider Wolff’schen Gänge isoliren.
Wir beginnen die Beschreibung der Geschlechtsdrüsenent-
wicklung mit den Beobachtungen an dreiwöchentlichen 4 mm lan-
sen Embryonen, deren Urwirbel noch blasenförmig sind. Augen-
und Ohrblase sind angelegt. Die Linse ist eine hohle Einstül-
pung, die Chorda dorsalis noch aus kleinen eng aneinander gela-
serten Zellen zusammengesetzt. In allen Zellen stecken noch feine
Dotterkörner; am frischen Präparat ist von einem Wolff’schen
Gange oder Darmkanal noch Nichts zu sehen. Nur bei dem einen
oder dem anderen Exemplar scheint es, als wenn man bei der
Seitenlage des Embryo ventral vor der Chorda auf kurze Strecken
ein röhrenförmiges Gebilde erkennen könnte. Wo aber später die
Rückenflosse entsteht, liegen Zellen, die sich durch ihre Grösse
und die Grösse ihrer Kerne auszeichnen. An der bezeichneten
Stelle finden sich in Querschnitten dieser Embryonen, die in 5%
doppelt chromsaurem Ammoniak erhärtet und dann in Carmin
gefärbt wurden, dieselben Zellen wieder (vgl. Fig. 34); man er-
kennt ausserdem, dass die Wolff’schen Gänge in der Abschnürung
begriffen sind. Auf die Details der Entwicklung der Nierenorgane
soll jedoch hier nicht näher eingegangen werden; zur Orientirung
will ich nur noch hinzufügen, dass das hier beobachtete Stadium
ungefähr dem von Rosenberg über die Teleostierniere (Hecht)
in Fig. 1 dargestellten entspricht.
An Embryonen, die nur einige Tage älter geworden waren,
liessen sich auch am frischen Präparat die Wolff’schen Gänge bei
der Seitenlage sowohl, wie bei der Rückenlage deutlich erkennen;
an vierwöchentlichen Embryonen erschien der Darm, und bei allen
an derselben Stelle die durch ihre Grösse ausgezeichneten Zellen,
die ich von nun an mit der bei Fröschen gebrauchten Bezeich-
nung „Geschlechtszellen“ benennen will. Mit dem Auftreten des
Darmes wurde am frischen Präparat die Auskleidung des zelligen
Belages der Peritonealhöhle immer deutlicher und man erkannte
24 Moritz Nussbaum:
wie in die Mosaik dieser kleinen Zellen beständig in der Gegend
der späteren Rückenflosse zwischen Darm und den Wolff’schen
Gängen und diesen aufliegend die grossen Geschlechtszellen einge-
streut waren.
Figur 35 ist nach einem frischen in Jodserum untersuchten
Isolationspräparat bei Zeiss CC, Oe. III mit der Camera lucida ent-
worfen. Links in der Figur ist die Oberfläche des Urnieren-,
Wolff’schen, Ganges dargestellt; nach rechts ein optischer Längs-
schnitt durch das Lumen des Ganges. Das Letztere geschah aus
dem Grunde, um durch die Eigenthümlichkeit der Zellen die Lage
im Embryo genau bestimmen zu können. Wenn nämlich die
vereinigten Urnierengänge die Leibeswand durchbrochen haben,
ist im vorderen gewundenen Abschnitt derselben am lebenden Prä-
parat lebhafte Wimperung sichtbar. Nicht weit von der Stelle,
wo die Geschlechtszellen zwischen dem Peritonepithel auf. den
Woltf’schen Gängen gelegen sind, hört die Wimperung auf; die
Gänge tragen hier ein einfaches eubisches Epithel. Wie aus Fig. 35
hervorgeht, liegen die grossen Geschlechtszellen im Peritoncal-
epithel eingestreut, mit ihm in einfacher Lage den Wolff’schen
Gang überziehend. Dasselbe zeigt sich in Figur 36 nach einem
Querschnitt durch die entsprechende Gegend eines zehn Tage jün-
geren und in doppeltehromsaurem Ammoniak gehärteten Embryo;
die Geschlechtszellen erscheinen als grosse Zellen in dem ein-
schichtigen Peritonealepithel.
Wie bei den Batrachiern, so bleiben auch bei der Forelle die
Geschlechtszellen lange inert liegen. Das eben geschilderte Sta-
dium betrifft Embryonen, die Mitte und Ende Dezember aus dem
Ei heraus präparirt wurden und lcm lang waren. Im Verlauf des
Januar ist eine Theilung und Vermehrung sowohl der Geschlechts-
zellen als der Peritonealzellen zu beobachten, die sich in der
Weise gestaltet, dass die Theilstücke der Geschlechtszellen als-
bald durch die zwischenwuchernden Peritonealzellen von ein-
ander getrennt werden. Dadurch wird die Geschlechtsdrüsenanlage
gestreckter und die Geschlechtszellen rücken immer weiter aus-
einander.
Da man nun leicht die ganze Geschlechtsdrüsenanlage auf
einem Frontalschnitt erhalten kann, so ist es nicht schwer sich
davon zu überzeugen, dass kein Uebergang zwischen den beiden
Zellenarten stattfindet. Die Frontalschnitte entnahm ich gradge-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 25
streekten und in absolutem Alcohol gehärteten Embryonen, bei
denen nach Entfernung des Dottersackes der Darm mit einer Pin-
cette herausgerissen wurde. Bei einiger Uebung wird man sich
davon überzeugen, dass die Anfertigung feiner Frontalschnitte, in
denen die Geschlechtsdrüsenanlage und die Wolff’schen Gänge
enthalten sind, recht gut und sicher gelingt. Im Anfang Februar
geschieht nun an der Geschlechtsdrüsenanlage eine eigenthümliche
Veränderung. Man kann sie bei sorgfältiger‘ Betrachtung der
Flachschnitte wohl gewahren, doch tritt sie deutlicher an Quer-
schnitten hervor. Ein solcher ist in Figur 37 von einem in dop-
pelt chromsaurem Ammoniak gehärteten 2cm langen Embryo dar-
gestellt. Während in den voraufgehenden Stadien die Geschlechts-
zellen frei zwischen der einfachen den Wolff’schen Gang decken-
den Lage von Peritonealepithelien gelagert waren, sieht man nun-
mehr nicht allein die Geschlechtszellen von den Peritonealzellen
vollständig eingehüllt, sondern auch diese letzteren gegen den
Wolff’schen Gang zu in mehrfacher Lage. Es hat sich aus den
Peritonealzellen eine Hülle der Geschlechtszellen und ein Stroma
der Geschlechtsdrüsenanlage gebildet. Fig. 31 zeigt die Einhül-
lung der Geschlechtszellen durch die Peritonealepithelien in über-
zeugender Weise an einem dünnen Frontalschnitte. Die Ge-
schlechtszelle g! ist noch nicht überwuchert; g? ist auch ventral
von Peritonealzellen umgeben.
Fig. 38 und Fig. 39 mögen die vorhin gemachte Behauptung
von einer gleichzeitigen Vermehrung der Geschlechtszellen und
der Peritonealepithelien näher illustriren. Figur 39 ist nach einem
aus absolutem Alcohol gewonnenen Isolationspräparat der ganzen
Geschleehtsdrüse einer Seite bei Zeiss CC, Oe. Ill entworfen und
stellt einen Theil der Anlage dar. Man erkennt die Theilungs-
vorgänge in den Geschlechtszellen und die grossen Abstände zwi-
schen den in Theilung begriffenen Complexen. Diese Abstände
werden durch die Peritonealepithelien ausgefüllt, die auch schon
die Geschlechtszellen ventral umwachsen haben; der Vereinfachung
halber ist das Letztere nicht in der Zeichnung wiedergegeben
worden. Wollte man annehmen, die Geschlechtszellen hätten sich
aus den Peritonealepithelien gebildet, so müssten um diese Zeit
isolirte Uebergangsformen vorhanden sein, die kleiner wären als
die früher beobachteten ungetheilten Geschlechtszellen. Dies ist
aber nicht der Fall. Die vorhandenen kleineren Zellen sind zwar
26 Moritz Nussbaum:
grösser als die Peritonealepithelien; sie sind aber immer in Grup-
pen beisammengelagert, und gehen ganz sicher durch Theilung
aus den primären Geschlechtszellen hervor. In den Geschlechtszel-
len kann man Theilungsvorgänge beobachten (siehe Fig. 33 oben).
Wenn man annehmen wollte, dass die Zellen in den Gruppen durch
Vergrösserung der Peritonealzellen hervorgingen, so ist erstens
kein Grund einzusehen, weshalb diese Vergrösserung stets gruppen-
weise erfolgte, und zweitens, weshalb mit der beginnenden Ver-
grösserung der Peritonealzellen die anfänglichen Geschlechtszellen
spurlos verschwänden. Sobald nämlich die Theilung der Geschlechts-
zellen begonnen hat, wird man keine grossen Geschlechtszellen in
der ganzen Anlage mehr vorfinden, wie sie aus früherem Stadium
in Fig. 31 abgebildet sind. In den früheren Stadien kamen neben
den grossen Geschleehtszellen keine Formen vor, welche man als
Uebergänge von Peritonealzellen zu Geschlechtszellen hätte deuten
können; es hatte aber zu der Zeit die vielfache Theilung der Ge-
schlechtszellen noch nicht begonnen.
Bei etwas weiter entwickelten Exemplaren — Fig. 40, bei
Zeiss CC, Oc. III nach einem Flachschnitt der Geschlechtsdrüse
einer 2,4 cm langen Forelle ohne Dottersack — sind die durch
Theilung der Geschlechtszellen gebildeten Zellengruppen durch
weite Intervalle von einander getrennt. Die Zellengruppen sind
allseitig von den Peritonealzelien umgeben. Liegen viele Zellen in
einem Nest beisammen, so sind die einzelnen Zellen kleiner, als
wenn nur wenige in einem Neste gefunden werden. Man vergleiche
die bei derselben Vergrösserung entworfenen Figuren 32 und 33
aus derselben Geschleehtsdrüsenanlage einer 2,5 cm langen Forelle.
Die Peritonealzellen auf der Oberfläche dieser isolirten Nester sind
nicht dargestellt. Wie mir scheint, ist die verschiedene Grösse der
Zellen in den Nestern, die sich umgekehrt verhält wie die Grösse
der Nester selbst, das weite Auseinanderrücken der Nester und die
beständige Verkleinerung ihrer Zellen mit fortschreitender Ent-
wieklung (ef. Fig. 39 und Fig. 40) ein schwerwiegender Beweis
gegen die Annahme, dass die Peritonealzellen durch Wachsthum in
Geschlechtszellen übergehen könnten. Man findet ebensowenig jetzt,
als in den nächstfolgenden Stadien, wenn wiederum die Abkömm-
linge der Geschleehtszellen sich gewaltig vermehren, Zellen von
der Grösse und Beschaffenheit, wie sie in früheren Stadien (Fig. 38g)
vorgekommen waren, so dass bei der absolut sicheren Controle über
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 27
die ganze Geschlechtsdrüsenanlage behauptet werden darf, dass alle
Zellen in den Nestern von den anfänglichen grossen Geschlechts-
zellen abstammen.
Für das Verständniss des Ueberganges zum nächstfolgenden
Stadium ist Fig. 33 nicht ohne Bedeutung. Die Peritonealzellen
umgeben rings die Nester, sie sind in starker Vermehrung be-
griffen. Während der gleichzeitigen Vermehrung der Zellen in
den Nestern schieken sich die Peritonealzellen an, wie es auch
schon von früheren Stadien vermerkt worden war, die Nester
selbst zu durchwachsen, so dass von den grösseren Gruppen wie-
derum kleinere kuglige oder längliche Gebilde abgegrenzt wer-
den. In Figur 33 sieht man nun unten die Peritonealzellen deut-
lich in das Innere eines solchen Nestes eindringen und wenn man
ältere Exemplare untersucht, so gewahrt man den Fffeet dieses
Vorganges.
Bei 2,4 cm langen Forellen vom 1. Mai lagen die Nester noch
sehr weit aus einander — Figur 40 —; bei 2,6 cm langen Exem-
plaren vom 15. Mai sind die Nester näher gerückt, und man er-
kennt in der Figur 41 —, bei derselben Vergrösserung wie Fig. 40
gezeichnet — dass der Durchwachsungsprocess noch im Fortschritt
begriffen ist. Auch jetzt noch kann unzweifelhaft dargethan wer-
den, dass die Vermehrung der Nester nicht auf Kosten vergrös-
serter Peritonealzellen geschehen ist. In Figur 40 liegen die Nester
durch weite Intervalle von einander getrennt. Der Uebergang in
das durch Figur 41 wiedergegebene Stadium geschieht nun in der
Weise, dass die Nester durch eignes Wachsthum einander näher
rücken; nicht etwa so, dass in den grossen Zwischenräumen neue
entständen. Dabei werden vergrösserte Gruppen immer durch das
Zwischenwuchern der Peritonealepithelien von einander getrennt,
so dass beständig die Vermehrung beider Zellenarten Hand in
Hand geht: an keinem Punkte der Entwicklung aber ein Ueber-
gang der einen Form in die andere constatirt werden kann.
Bis hierher habe ich die Entwicklung der Geschlechtsorgane
der Forelle continuirlich verfolgen können; dann aber ging mir
durch einen unglücklichen Zufall die junge Brut zu Grunde. Am
empfindlichsten ist der Mangel solcher Stadien, an denen die Bil-
dung der Follikelepithelien in beiden Geschlechtern hätte studirt
werden können. Es ist wahrscheinlich, dass bei der Forelle sich
ein analoger zur Bildung von Ei und Follikelepithel oder Sperma-
28 Moritz Nussbaum:
togonie und Follikelhaut führender Vorgang vollzieht, wie er oben
von den Amphibien beiderlei Geschlechts geschildert wurde. Dafür
spricht die ursprüngliche Gleichartigkeit der Zellen in den Nestern
und ihre grosse Verschiedenheit von den bedeutend kleineren
männlichen und weiblichen Follikelepithelien. Wir neigen auch
für die Forelle zu der Annahme, dass aus jeder Zelle eines „Ur-
eier“-Nestes, abgesehen natürlich von den Zellen, welche zu Grunde
gehen, ein Ei mit seinem Follikelepithel oder eine Spermatogonie
mit ihrer Follikelhaut sich bilde. Dass die maulbeerförmige Kern-
theilung aber in der Classe der Fische vorkommt und zur Bildung
von Eizelle oder Spermatogonie sammt den umhüllenden Epithe-
lien beider führe, konnte an verschiedenen Objecten nachgewiesen
werden.
An dieser Stelle mag eine kurze Schilderung der Geschlechts-
‚ organe einer 5,5 em langen jungen Tinca chrysitis Platz finden;
wir werden später gelegentlich der Behandlung der Regenerations-
vorgänge in den Geschlechtsdrüsen auf ähnliche Verhältnisse zu-
rückkommen.
Junge 5,5 cm large Tinca chrysitis am 20. August in absolutem
Alkohol getödtet. Die Geschlechtsorgane stellen dünne, lange, der
Schwimmblase beiderseits aufliegende Fäden von ungefähr Ilmm
Durchmesser dar. Nach abwärts verschmächtigen sich die Fäden
und gehen als platte weissliche Stränge hinter dem Reetum bogen-
förmig weiter. Bei der Betrachtung mit der Loupe schienen sie
sich mit dem einfachen Mündungsstück der Wolff’schen Gänge
— jetzt Harnleiter, da die Niere definitiv gebildet war — zu ver-
binden. Nachdem die unteren Abschnitte beider Geschlechtsdrüsen,
sowie die schmale Beckenniere sammt Ausführungsgängen heraus-
präparirti, zeigt sich bei mikroskopischer Betrachtung, dass von
den vereinigten Wolff’schen Gängen jederseits ein Zellstrang in
der oben beschriebenen bogigen und zum hinteren Leibesende
ziehenden Fortsetzung der Geschlechtsdrüsen verläuft. Ein Lumen
ist in diesem Zellstrang nicht sichtbar, es konnte auch nicht bis
an die Geschlechtsdrüse verfolgt werden, während die begleiten-
den Blutgefässe deutlich siehtbar blieben.
Auf feinen Längs- und Querschnitten der ganz compaeten
Geschlechtsdrüse zeigte sich eine Anordnung der Theile wie in
Fig. 41. Doch war um die einzelnen Zellennester schon mehr
Bindegewebe in deutlichen Zügen angeordnet und die Zellen in
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 29
den Nestern selbst verhielten sich theilweise anders als bei der
zuletzt geschilderten jungen 2,6cm langen Forelle. In einigen
Nestern oder Schläuchen lagen Zellen beisammen von der in
Fig. 41 dargestellten Beschaffenheit, eng aneinandergepresst. Auf
dünnen Schnitten nahm sich der Querschnitt eines solchen Nestes
wie eine zierliche Mosaik grosskerniger Zellen aus, von denen in
Fig. 47a einige bei Zeiss F, Oc. I nach einem Aleoholpräparat wie-
dergegeben sind. In anderen Schläuchen oder Nestern war bei
einigen der Zellen, die noch durch keine andere Zellenart von
einander getrennt waren, eine maulbeerförmige Theilung des
Kernes eingetreten; vergl. Fig. 47b aus demselben Präparat wie
Fig. 47a. In noch auderen Schläuchen sah man neben Zellen mit
maulbeerförmig getheiltem Kern auch solche mit einfachem gros-
sen Kern und von einem Kranze kleinerer Zellen umgeben.
Zwar fehlt uns eine continnirliche und gleichmässige Ent-
wicklungsreihe; doch finden wir dieselben Stadien hier nebenein-
ander gelagert, deren Reihenfolge bei den Batrachiern uns bekannt
ist, und wir hoffen in der Deutung unseres Befundes nicht fehl zu
gehen, wenn wir die maulbeerförmige Kerntheilung als Uebergangs-
stadium zwischen einer Primordialzelle und der von einer zelligen
Hülle umgebenen Eizelle oder Spermatogonie ansehen.
Nicht selten waren auf feinen Schnitten der Geschlechtsdrüse
dieser jungen Tinca schon vollständig abgeschnürte Eier zu finden.
Man konnte alsdann in der bindegewebigen Kapsel neben den
Kernen der Follikelepithelien (Membrana granulosa) das helle Proto-
plasma des Eies und den grossen Kern — das Keimbläschen —
mit einem Keimfleck deutlich erkennen. Die grössten Masse der
vorhandenen, als ächte Eier anzusprechenden Bildungen betrugen
bei der meist länglichen Gestalt derselben 25 resp. 20u mit einem
runden 11x breiten Keimbläschen.
Trotzdem nun dieses Exemplar das einzige untersuchte ge-
blieben ist, so dass bei der geringen Entwicklung der Theile nicht
einmal über das Geschlecht mit Sicherheit etwas ausgesagt werden
kann, so geht doch soviel mit Gewissheit aus dem hier gemachten
Befunde hervor, dass bei den Knochenfischen die maulbeerförmige
Kerntheilung in der Entwicklung der Geschlechtsproduete dieselbe
Rolle wie bei den Amphibien spielt; indem hier wie dort die
Theilstücke des Kernes mit dem nöthigen Protoplasma umgeben
sich derart differenziren, dass eine stärker wachsende centrale
30 Moritz Nussbaum:
Zelle zur Keimzelle (Eizelle oder Spermatogonie) und die peri-
pheren, im Wachsthum zurückbleibenden, das Follikelepithel dieser
Keimzelle bilden.
Was die Uebereinstimmung der Körperentwicklung zur Aus-
bildung der Geschlechtsorgane betrifft, so scheinen beide bei den
Fischen nicht immer gleichen Schritt zu halten. Wenigstens fand
ich bei 18 Exemplaren 10 bis 11 em langer im März untersuchter
Abramis brama nur vier Weibchen mit entwickelten Ovarien.
Von diesen 4 Exemplaren hatte das eine milchweisse Ovarien mit
grossen undurchsichtigen Eiern; bei zwei Exemplaren waren in
den Eiern noch keine Dotterkugeln abgelagert, die Ovarien daher
hell und durchsichtig; bei dem vierten Exemplar fand sich auf
einer Seite ein ziemlich entwickelter Eierstock, an dessen Eiern
das Follikelepithel gut zu erkennen war; auf der anderen Seite
lag median an dem mächtigen Fettkörper ein 3 cm langer dünner
Faden, worin die Entwicklung nicht weiter gediehen war als bei
2,5 cm langen Forellen; ef. Fig. 41. Von den übrigen Exemplaren
war eins deutlich als Männchen zu erkennen; die Hodenacini waren
gebildet und in der Entwicklung so weit vorgeschritten als es
Brock (Morphologisches Jahrbuch, IV. Bd. Fig. 1 auf Tafel XXIX)
dargestellt hat. Der Rest der Thiere hatte unentwickelte Geschlechts-
organe; nur ganz vereinzelt fand sich in den Zellennestern der-
selben schon eine maulbeerförmige Kerntheilung. Makroskopisch
betrachtet waren die Geschlechtsdrüsen ganz dünne Fäden mit
sehr bedeutend entwickeltem Fettkörper.
Etwas Aehnliches zeigte sich mir bei Perca fluviatilis, wo im
Dezember in den meisten Weibehen der grosse Ovarialsack vor-
wiegend ganz undurchsichtige, der Reife nahe Eier enthielt. An-
dere gleich grosse Exemplare wiesen einen nur winzigen, durch-
scheinenden Eierstock auf, in dessen Eiern es noch nicht zur Bil-
dung von Dotterelementen gekommen war. Offenbar haben wir es
in diesem Falle nur mit einer Verzögerung in der Reifung ange-
legter Geschlechtsproducte zu thun; während die bei Abramis be-
obachteten Thatsachen mehr auf ein protrahirtes Verharren der
Geschlechtsorgane auf embryonalem Stadium hinweisen. Beide
Vorgänge gehören aber als Hemmungen in der Entwieklung unter
denselben Gesichtspunkt.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 31
Il.
Von den Hüllen der Geschlechtsstoffe.
Die folgende Untersuchung wird sich ausschliesslich auf die
primären Hüllen der Geschlechtsstoffe beschränken, wird also
eingehen auf das Follikelepithel beim Ei, und beim Samenfaden-
bündel auf die seit von la Valette St. George bekannt ge-
wordene Follikel- und Cystenhaut. Es wird zu eruiren sein, wie
weit verbreitet diese Bildungen im Thierreiche vorkommen; es
wird vorzüglich darauf geachtet werden müssen, ob die morpho-
logisch sich entsprechenden Theile der männlichen und weiblichen
Geschlechtsdrüse in derselben Species diese Hülle gleichzeitig be-
sitzen oder ihrer gleichzeitig entbehren.
Die Discussion der gefundenen Thatsachen werde ich zwar
für einen allgemeinen Theil aufzusparen mich bemühen; doch
halte ich es für das Verständniss der hier zu beriehtenden Beob-
achtungen nöthig, vorher Einiges über die Entwicklung der männ-
lichen Geschlechtsproducte beizubringen. Und dies kann wohl
nicht besser geschehen, als wenn ich das von v. la Valette St.
George aufgestellte Gesetz der Spermatogenese hier einschiebe.
Auf dieser Basis wird eine Verständigung leichter möglich sein.
„Der Binnenraum der zur Bereitung der Samenelemente be-
stimmten Hohlräume der männlichen Geschlechtsdrüse enthält zwei
Arten von Zellen, wovon die eine — jungen Eizellen durch-
aus ähnlich — als Ursamenzellen oder Spermatogonien
dazu bestimmt ist sich zu vermehren, in gleicher Weise durch
Theilung, so wie durch Umbildung ihrer Abkömmlinge, der Sper-
matocyten, die Samenkörperchen — Spermatosomen zu
entwickeln. Sie produciren einen Zellenhaufen, der entweder
durch Aneinanderlagerung der peripherischen Zellen eine beson-
dere Hülle erhält — Keimkugeln, Samenkugeln, Spermato-
ceysten (Inseeten, Amphibien), oder bleiben hüllenlos, Samen-
knospen, Samensprossen, Spermatogemmen bei geringerer
oder stärkerer Abgrenzung des zu den Zellen gehörigen Protoplas-
mas. In manchen Fällen erhält sich eine aus der Theilung her-
vorgehende Zelle oder deren Kern im Fusse der Spermatogemme.
Die Form und Grösse der Samenknospen resultirt aus dem Ent-
wieklungszustande ihres Inhalts und dem Drucke, welchen sie von
32 Moritz Nussbaum:
ihrem nachbarlichen Nachwuchse zu erleiden haben. Die zweite
Art von Zellen, welche ich die Follikelzellen nenne, sind
unter sich verbunden zu einem Gewebe, welches sowohl die Sper-
matogonien einbettet, als auch die Spermatogemmen durch Zwi-
schenwachsen mehr oder weniger umhüllt und befestigt.“ (Die
Spermatogenese bei den Säugethieren und den Menschen von v. la
Valette St. George, Bonn 1878. p. 48.)
Es würde zu weit führen, wenn ich auf die Details der di-
vergirenden Meinungen anderer Autoren hier eingehen wollte; es
ist dies in erschöpfender Weise in der oben eitirten Schrift ge-
schehen. Einige huldigen der Ansicht, dass jene von von la Va-
lette St. George Follikelzellen genannte, kleinere zweite
Art von Zellen Ersatzzellen seien, während sie doch nach der
obigen Darstellung nur von untergeordneter Bedeutung sind und
an der Samenbildung sich nicht betheiligen. Grössere Meinungs-
verschiedenheit kann kaum gedacht werden; allein ich glaube,
wer nur immer über eine grosse Reihe von Thierklassen seine
Untersuchungen ausgedehnt hat, wird sich der von von la Valette
St. George gegebenen Deutung anschliessen und die nebensäch-
liche Bedeutung der Follikelzellen zugeben.
Noch ein zweiter Punkt verdient hier volle Berücksichtigung.
Zufolge der grossen Uebereinstimmung der von G@oette (Entwick-
lungsgeschichte der Unke Taf. I, Fig. 1—8), über die Oogenese
bei Bombinator igneus gegebenen Abbildungen mit den ersten
Entwieklungsstadien der Samenfäden bei den Batrachiern, glaubte
von la Valette St. George sich der Goette’schen Interpreta-
tion der Eitheile nicht anschliessen zu sollen und sagt (Die Sper-
matogenese bei den Amphibien, Bonn 1876, p. 27): „Das Follikel-
epithel kommt nach den bisherigen Beobachtungen von aussen her
zu der Eizelle. Dürfte man annehmen, dass es aus der Spaltung
des Ureies hervorginge, so wäre es mit der Cystenmembran der
Ursamenzelle als homolog zu erachten. Darüber müssen weitere
Untersuchungen entscheiden. Soviel ist gewiss, dass die Darstel-
lung Goette’s, soweit sie die Vereinigung einer Anzahl Kerne
zum Keimbläschen betrifft, etwas Auffallendes an sich hat und viel-
leicht eine andere Deutung nicht ausschlösse, welehe dahin ginge,
das Follikelepithel!) von den Zellenderivaten des Primordialeies ab-
1) Anm. d. Ref.: Wir setzten in dem Citat statt „Follikelmembran“
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 33
zuleiten; der übrig bleibende Kern als Keimbläschen würde dann
nebst dem Reste des Protoplasmas die bleibende Eizelle reprä-
sentiren.“
Es wäre demgemäss die Fig. 1 bei Goette in dem Sinne auf-
zufassen, dass g einen maulbeerförmig getheilten Kern eines Primor-
dialeies darstellte, aus dem, mit den erforderlichen Theilstücken
des Zellprotoplasmas umgeben, sich sowohl Eizelle als Follikel-
epithel entwickeln würde und nicht, wie es Goette gewollt, das
Keimbläschen des Eies. Wie zutreffend die Voraussage von 1a
Valette St. George’s mit Bezug auf die Entstehung des Folli-
kelepithels beim Ei war, ist für Amphibien und Teleostier in den
vorigen Abschnitten dargethan worden. Zugleich ergab sich für
diese Thierklassen, dass die Spermatogonie und ihre Follikelzellen
durch den gleichen, mit maulbeerförmiger Kerntheilung eingeleiteten
Theilungsprocess aus einer Primordialsamenzelle hervorgehen, wie
Ei und Follikelepithel aus einem Primordialei. Die Spermatogo-
nie und die zugehörigen Follikelzellen haben also gleichen Ur-
sprung; sind aber, sobald sie einmal gebildet worden, der Form
und Function nach ebenso verschieden als Ei und Follikelepithel.
Wir werden später nachweisen, dass derselbe Vorgang: die Spal-
tung sogenannter Primordialzellen beim männlichen Geschlecht in
Spermatogonie und Follikelzellen; beim weiblichen Geschlecht in
Ei und Follikelepithel, sich auch im erwachsenen Thier wieder-
holt. Da nun zur Bildung der Cystenmembran oder des sie ver-
tretenden Cystenkernes die Spermatogonie in ihrer Follikelhaut noch-
mals denselben eigenthümlichen Theilungsvorgang durchmacht wie die
männliche oder weibliche Primordialzelle, so ist es erklärlich, dass
v.la Valette St. George, der an Embryonen keine Untersuchun-
gen angegestellt hatte, diesen Vorgang als den zu vergleichenden
herausgriff. Die Cystenmembran entsteht also dort, wo sie vor-
kommt, durch Wiederholung desselben Vorganges, der zur Bildung
der Follikelhaut führte, und insofern als beim Ei nichts Aehnliches
bis jetzt constatirt wurde, ist sie der männlichen Keimdrüse durch-
aus eigenthümlich. i
Das von v. la Valette St. George entwickelte Gesetz der
Spermatogonese wird durch diese Modifikation in der Deutung der
„Follikelepithel“, weil von dem Autor unter „Follikelepithel“ nur die Mem-
brana granulosa gemeint sein kann.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 3
34 Moritz Nussbaum:
Hüllen, wie kaum der Erwähnung bedarf, in keiner Weise tan-
girt. Nach wie vor bleibt uns die Spermatogonie der Ausgangs-
punkt der Samenkörperbildung, sowohl Follikelzellen als Cysten-
membran oder der ihr entsprechende Cystenkern sind für die Sper-
matogonese nur nebensächliche Gebilde.
Obschon es mir bis jetzt noch nicht gelungen ist, eine ähnliche
durch maulbeerförmige Kerntheilung eingeleitete Bildung der Ge-
schlechtsstoffe und ihrer oben besprochenen Hüllen aus einer Pri-
mordialzelle bei allen höheren Thierklassen bestimmt nachzu-
weisen, so wird immerhin der Befund, dass jene Hüllen bei
den niederen Thieren fehlen und bei den höheren in beiden
Geschlechtern gleichzeitig vorkommen oder gleichzeitig fehlen,
eine Beigabe für den Vergleich der männlichen und weib-
lichen Zeugungsstoffe liefern. Gehen wir die verschiedenen Thier-
klassen durch, so ist das Capitel von den Eihüllen in der preis-
gekrönten Schrift Ludwig’s (Ueber Eibildung im Thierreich) schon
sehr umfassend behandelt worden; die entsprechenden Hüllen der
Samenfadenbündel sind bis jetzt noch nicht Gegenstand einer aus-
führlichen Erörterung gewesen.
In der einschlägigen Literatur herrscht jedoch mit Bezug auf
die Benennung der hier zu berücksichjigenden Theile eine so
grosse Verwirrung, dass ich mir erlaube vorweg zu bemerken, was
ich unter den einzelnen von mir angewandten Namen verstanden
wissen möchte.
Die einzelnen Elemente des Hodens wird man je nach ihrer
Form Sehläuche, Ampullen, Aeini benennen können. So besteht
der Hoden der Säugethiere, Vögel, Reptilien, der meisten Amphi-
bien, Cephalopoden, einiger Insecten aus Schläuchen; die Hoden
anderer Inseeten, des Flusskrebses, vieler Fische aus Acinis, die
der Plagiostomen aus Ampullen. Diese Abtheilungen entsprechen
dem in der Oogenese durch Pflüger entdeckten Stadium der Ei-
schläuche, wie sie bei vielen weiblichen Thieren dem Prineip
nach, wenn auch in modifieirter Gestalt zeitlebens persistiren. Man
wird den Namen „Follikel“ auf eine solche grössere Abtheilung
des Hodens nicht übertragen, ihn nieht mit Hodenschlauch, Ho-
denampulle, Hodenaeinus eoordiniren, da er diesen Begriffen in
der That subordinirt ist. Denn ein Eifollikel ist nur ein Theil eines
Eischlauches und ihm entsprieht im Hoden die einzelne Sperma-
togonie sammt ihren Follikelzellen.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 35
Da nun die Eizelle gewöhnlich ungetheilt weiter wächst, die
Spermatogonie sich aber vielfach theilt, so wird ein Eifollikel sel-
ten mehr als eine, aber zu verschiedenen Zeiten verschieden grosse
Eizelle umschliessen. Der Samenfollikel dagegen wird zu verschie-
denen Zeiten eine verschiedene Zahl von Zellen oder deren Deri-
vaten als Inhalt führen, von der ungetheilten Spermatogonie bis
zum reifen Samenfadenbündel hin.
Der Begriff der Samencyste würde sich so weit es auf den
wesentlichen Inhalt ankommt, mit dem Begriff eines Samenfollikels
decken. Von la Valette St. George wählte diesen Ausdruck,
weil bei einigen Thieren entweder die peripherischen Zellen der
getheilten Spermatogonie nochmals eine vollständige kernhaltige
Haut — die Cystenhaut — bilden, oder weil in vielen Fällen an
der Basis des Samenfollikels eine Zelle zurückbleibt, deren Kern
— Cystenkern — bis zur Ausstossung der Samenfäden aus dem
Follikel deutlich an seiner Grösse zu erkennen ist, der aber mit
der Follikelhaut, sobald die Samenfäden diese verlassen haben, durch
fettige Entartung zu Grunde geht.
Untersuchen wir, welche Bestandtheile des Samen- und Eifol-
likels homolog sind, so würde die Spermatogonie oder die aus ihr
durch Theilung hervorgegangene Summe von Samenfäden auf allen
Entwieklungsstufen der Eizelle, die Follikelkaut dem Follikelepi-
thel entsprechen. Für die Cystenhaut oder den Cystenkern gibt
es keine homologe Bildung im Eierstock; ebensowenig wie die
einzelnen Samenfollikel von einer bindegewebigen Membran umhüllt
sind, wie es bei den Eifollikeln der Wirbelthiere der Fall ist.
Stellen wir die homologen Theile einander gegenüber, so
entsprechen sich
oR 2
1. Hodenschlaueh, Ampulle, Aeinus . . . . Eischlauch.
2. Samenfollikel. . . . . 12 %2. »Bitollikel.
3. Spermatogonie, emenladenbiindel l.chran Bizelle.
4Eollikelhaut „ann. Follikelepithel.
Für die Säugethiere ist dan, okeranen von Follikelzellen
zwischen den Spermatogonien und ihren Derivaten durch von la
Valette St. George überzeugend genug dargethan worden. Wenn
es auch bisher nicht gelang, isolirte Follikel im frischen Zustande
darzustellen, so kann dies bei der bekannten Weichheit des Hoden-
gewebes keinen Grund abgeben gegen die Annahme, dass auch
56 Moritz Nussbaum:
bei den Säugethieren die Follikelzellen zu einer Haut zusammen-
treten und die Abkömmlinge jeder Spermatogonie von ihrer Nach-
barschaft trennend einhüllen, ebenso wie das Follikelepithel das
Ei. Man wird ganz gewiss den Follikelzellen nicht mehr die Be-
deutung von jungen Samenmutterzellen — Ersatzzellen — zusprechen
wollen, wenn man sie, resp. ihre Kerne, in regelmässigen Abständen
von der Membrana propria der Hodenschläuche bis gegen das
Lumen zu zwischen Gruppen von Spermatocyten gelagert findet.
Ueber die Abstammung der Follikelzellen kann ich nichts mit
Sicherheit aussagen; es kommen wohl maulbeerförmige Kernthei-
lungen der Spermatogonien vor, (ef. Tafel XIX Fig. 133 der oben
eitirten Schrift von la Valette St. George’s) doch müssen über
diesen Punkt weitere Untersuchungen noch angestellt werden.
Aber selbst wenn Spermatogonie und Follikelzellen aus einem ur-
sprünglich gleichen Zellenlager in der Weise sich differenzirten,
dass von einem Complex von Zellen eine einzige an Grösse zu-
nähme und die übrigen im Grössenwachsthum zurückbleibend jene
bevorzugte Zelle, die Spermatogonie, umhüllten, so wäre die Ueber-
einstimmung mit der durch Pflüger und Waldeyer bei Säuge-
thieren nachgewiesenen Bildung von Ei und Follikelepithel voll-
ständig und der Homologisirung der Theile stände kein Hinderniss
im Wege, wenn die Ableitung der männlichen und weiblichen
Geschlechtsstoffe bis jetzt in derselben Weise möglich gewesen
wäre, wie bei Plagiostomen, Reptilien, Amphibien und Fischen.
Nach den bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen über die
Entwicklung der Geschlechtsdrüsen bei den Säugethieren darf
wohl mit Sicherheit angenommen werden, dass jener namentlich
bei Amphibien von Anfang an so deutlich characterisirte Zustand
der grossen Geschlechtszellen mit embryonalem Character fehlt.
Es existirt vielmehr auf dem bindegewebigen Stroma der
Genitalanlage das Waldeyer’sche Keimepithel. Von diesen zu
Anfang gleichen und kleinen Zellen vergrössern sich erst einige
secundär, und dies gilt für Säugethiere!), Vögel?), Repti-
1) Theodor Egli, Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte
der Geschlechtsorgane; Zürich 1876. (Baseler Dissertation).
A. Kölliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren
Thiere; Leipzig 1879.
2) Th. Bornhaupt, Untersuchungen über die Entwicklung des Uro-
genitalsystems beim Hühnchen. Riga 1867 (Dorpater Dissertation). Die Arbeit
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 37
lien !), Plagiostomen?), wie ich selbst bestätigen kann. Die Ansich-
ten über die Ableitung der Geschlechtsstoffe bei Säugethieren und
Vögeln vom Keimepithel, resp. dessen vergrösserten Zellen sind
augenblicklich noch eontrovers; meine eignen Untersuchungen halte
ich für zu lückenhaft, als dass ich darüber berichten könnte, so
dass wir mit Bezug auf die oben einander gegenübergestellten Theile
bei den Säugethieren vorläufig nur von einer Analogie reden dürfen;
wenn auch mit Rücksicht auf die leichter zu studirenden Verhältnisse
bei Amphibien und Knochenfischen die Hoffnung berechtigt erscheint,
dass auch bei Säugethieren eine bis ins Detail gehende Homologie
nachzuweisen sein wird.
Mit Bezug auf das erste Erscheinen eines Unterschiedes zwi-
schen Spermatogonien und Follikelzellen in den Hoden der Säuge-
thiere hätte ich nachzutragen, dass in den schon ausnehmend leicht
zu isolirenden Hodenschläuchen 12 em langer Rindsembryonen dieser
Unterschied auffallend ausgesprochen ist, ähnlich wie es von la
Valette St. George in seiner Schrift (die Spermatogenese bei
den Säugethieren ete.) vom Kalbe beschrieben und abgebildet hat.
Bei 7,5 cm langen Rindsembryonen sind dagegen die Hodenschläuche
noch erst kurze Stummel mit knospenartigen Auswüchsen; ein deut-
licher Unterschied zwischen den Zellen im Inneren der Schläuche
ist bei solehen Embryonen noch nieht wahrzunehmen; jedenfalls
sind alle Zellen bedeutend kleiner als die bei 12cm langen Em-
bryonen vorhandenen Spermatogonien.
Der Cystenkern am Fusse reifender Samenfollikel scheint
nach den Untersuchungen von la Valette St. George’s regel-
mässig bei den Säugethieren vorzukommen.
Ueber die Spermatogonese bei den Vögeln ist bis jetzt noch
Wenig nur bekannt geworden. Auch hier bilden, wie ich gefunden
habe, Spermatogonien den Ausgangspunkt der Samenfadenentwick-
selbst ist mir nicht zugänglich gewesen; ich kenne sie nur aus den Referaten
Waldeyer’s und Kölliker’s.
W. Waldeyer, Eierstock und Ei, Leipzig 1870.
1) M. Braun, Das Urogenitalsystem der einheimischen Reptilien; Ar-
beiten aus dem zoolog.-zootom. Institut in Würzburg. Bd. IV, 1878.
2) C. Semper, Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und seine Be-
deutung für das der übrigen Wirbelthiere; Arbeiten aus dem zoolog.-zootom.
Institut in Würzburg. Bd. II, 1875.
F. M. Balfour, On the structure and development of the vertebrate
ovary, Quarterly journal of microscopical science. Vol. XVllI. — New. Ser.
38 Moritz Nussbaum:
lung. Neben den grossen Spermatogonien finden sich im Inneren
der Hodenschläuche Follikelzellen, welehe auch späterhin die
durch Theilung einer Spermatogonie entstehenden Spermatocyten
einhüllen.
Am deutlichsten sind diese Verhältnisse bei ganz jungen
Thieren oder an erwachsenen während der Ruhezeit des Geschlecht-
lebens im Winter zu studiren. Es ist bekannt, dass unter Um-
stinden der Nachweis des Follikelepithels beim Eie auf erhebliche
Schwierigkeiten stösst; man muss oft genug die ganze Entwick-
lung des Eies verfolgen und geeignete Methoden ausfindig machen,
um sich mit Sicherheit über diesen Punkt aussprechen zu können.
Es fehlt in der Literatur nicht an Beispielen zur Illustration des
Gesagten. Bedeutend schwieriger wird der Nachweis der entspre-
chenden Hülle im Hoden, da hier, selbst unter sonst günstigen
Bedingungen, wie bei den Amphibien, schon frühzeitig die zellige
Struetur verloren geht. Ich erinnere an die Beobachtung von la
Valette St. George’s, der an den Hüllen reifer Samenfaden-
bündel der Amphibien weder Kerne noch Zellengrenzen mit Hülfe
von Argentum nitrieum nachweisen konnte; während beides auf
früheren Entwieklungsstadien ohne weitere Präparation möglich ist.
Bei vielen Inseeten bleiben zwar an den reifen Samenfadenbündeln
die Kerne der Hülle erhalten und deutlich sichtbar; doch sind die
Zellengrenzen in derselben nicht mehr aufzufinden, wie es vor der
Umwandlung der Spermatocyten in Spermatosomen der Fall war.
Man darf demgemäss an den reifen Hoden keine Untersuchun-
zen anstellen wollen, die den Nachweis der Follikelhaut zum
Zweck haben; man wird nur die undeutlichen, allerdings stets vor-
handenen Reste derselben vorfinden.
Als das beste Mittel, feine Schnitte herzustellen habe ich in
Uebereinstimmung mit von la Valette St. George die Erhär-
tung in absolutem Alcohol gefunden. Nur müssen die Hoden ab-
solut frisch sein und dürfen höchstens eine Stunde lang in die
Flüssigkeit eingelegt werden, weil später eine derartige Schrum-
pfung der Gewebe eintritt, dass von einer Untersuchung nieht mehr
die Rede sein kann. Sperlingshoden, die etwa einen Tag in ab-
solutem Alcohol gelegen haben, sind ganz verzerrt auf der Ober-
fläche, während nach einstündiger Einwirkung die Oberfläche des
im Winter grobschrotkorngrossen Organes glatt und eben bleibt.
Dabei ist eine vorzügliche Schnitteonsistenz erreicht; die Schnitte
® Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 39
werden am besten in verdünntem Glycerin untersucht. Auch leistet
die Präparation frischer Hoden in Jodserum von geeigneter Con-
centration wesentliche Dienste.
Auf Querschnitten der Hoden von jungen Krähen (Anfang
Juni eingefangen) wird man ausschliesslich gewundene mit seit-
lichen Ausläufern besetzte breite Schläuche vorfinden (cf. Fig. 84),
an die sich in dem dorsalwärts gelegenen zugeschärften Rande
die engeren graden Hodencanäle anschliessen und zum Nebenhoden
zusammentreten. Das Epithel der graden Hodenschläuche ist eu-
bisch und niedrig; in den gewundenen Schläuchen sieht man
Spermatogonien, Spermatocyten und die zugehörigen Follikelzellen.
In Fig. 57 ist ein solcher Querschnitt eines gewundenen Hoden-
schlauches dargestellt. Die Membrana propria aus deutlich abge-
srenzten Zellen zusammengesetzt ist nicht in die Zeichnung auf-
genommen worden. An dieser Membrana propria anliegend finden
sich nun Spermatogonien von Follikelzellen umgeben und weiter
in das Lumen des Schlauches hineinragend Gruppen von Sper-
matocyten ih ihrer Follikelhaut, deren helle mit einem Kern-
körperchen versehene Kerne deutlich bei F sichtbar sind. Man
findet bei sorgfältiger Durchsuchung feiner Schnitte alle Ueber-
gänge von der ungetheilten Spermatogonie bis zu Spermatocyten-
Gruppen immer in eine Follikelhaut eingeschlossen, so dass es
keinem Zweifel unterliegt, dass innerhalb der durch Theilung ihrer
Zellen wachsenden Follikelhaut die Spermatocyten aus der Sper-
matogonie durch Theilung hervorgehen. Die Spermatogonien sind
amoeboid; in Fig. 85 findet sich eine solche aus den Hoden von
Emberiza eitrinella zu Ende März in Jodserum untersucht; in Fig.
61 ist ein Bruchstück eines quergetroffenen Hodenschlauches mit
seiner Membrana propria von einem jungen Cypselus apus darge-
stellt. Sg. ist eine in Theilung begriffene Spermatogonie. Alle
Spermatogonien oder die durch Theilung aus solchen hervorge-
gangenen Spermatocytengruppen sind von Follikelzellen eingehüllt.
Die Figuren 61 von Cypselus und 57 von Corvus ergänzen ein-
ander, da bei beiden jungen Thieren eine continuirliche Reihe von
Entwieklungszuständen von der Spermatogonie an bis zur Samen-
zelleneyste nachzuweisen war. So findet man es auch im Winter
(Dezember) in den Hoden erwachsener Vögel; ich habe auf diesen
Punkt Passer domestieus und Emberiza eitrinella untersucht. Bei
allen den vorgenannten Thieren in den angegebenen Perioden ist
40 Moritz Nussbaum:
also die Entwicklung schon ziemlich weit vorgeschritten, da man
neben den Ausgangstadien, den Spermatogonien, ganze Samenfol-
likel mit zelligem Inhalt antrifft. Die grössten Eifollikel junger
weiblicher Krähen, gleichaltrig mit den beschriebenen Männchen,
hatten einen Durchmesser von 60u. Es ist dies durckaus in Ueber-
einstimmung mit den Befunden bei jungen Amphibien, wo auch
bald nach der definitiven Formgestaltung des jungen Thieres, also
kurze Zeit nach der Metamorphose, ächte Samenzellenfollikel
und junge Eier angetroffen werden. — Die weitere Entwicklung
der Spermatocyten zu fertigen Samenfäden kann hier nicht Gegen-
stand ausführlicher Erörterung sein; wie überall, wird auch bei
den Vögeln der Kern zum Kopf und das Protoplasma der Samen-
zelle zum Schwanzfaden (v. la Valette St. George, Schweigger-
Seidel, Bütschli). — Im Winter findet man im Lumen der Hoden-
schläuche verfettete Kugeln: die letzten Reste der verödeten Samen-
follikel, die eine einfache fettige Degeneration erleiden, nachdem
die Samenfäden aus ihnen herausgetreten sind; während der Ei-
follikel nach Entleerung des Eies noch zuvor den gelben Körper bildet.
Somit wäre auch für die Vögel zum Mindesten eine Analogie
der männlichen und weiblichen Geschlechtsstoffe zu constatiren,
die bis auf die letzten Elemente durchzuführen ist. Es entspricht
dem Ei die Spermatogonie; das Follikelepithel des Eies wird im
Hoden durch eine Summe von Follikelzellen repräsentirt, die mit
dem durch Theilung complieirten Wachsthum der Spermatogonie
sich gleichfalls vermehren und eine zarte Hülle um die aus den
Spermatogonien hervorgegangenen einzelnen Gruppen von Sperma-
tocyten bilden.
Ein Cystenkern scheint bei den Vögeln zu fehlen.
Aehnlich wie bei den Vögeln verhält es sich bei den Repti-
lien. Von dem Bau des Follikelepithels beim Ei der Reptilien
wird im folgenden Abschnitt ausführlich gehandelt werden. Für
den Nachweis der entsprechenden Haut der Samenfollikel ist die
Zeit nach der Begattung, also Ende Juni, die geeignetste; es ge-
lingt zwar auch noch im April an den grossen Follikeln, in denen
die Umbildung zu Samenfäden noch nicht erfolgt ist, die Kerne
dieser Haut nachzuweisen; doch sind sie um diese Zeit schon sehr
platt geworden. Nach meinen Erfahrungen ist die Erhärtung der
Hoden in absolutem Alcohol — einen Tag lang — das beste Mit-
tel gute Schnitte anzufertigen.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 41
Im Juni, nach der Brunst, sind die Hodenschläuche mit ver-
schiedenen Entwicklungsstufen der Samenzellen angefüllt. Im Lu-
men der Schläuche liegen verfettende Reste entleerter Follikel; der
Membrana propria sitzen Ketten von Spermatogonien auf, deren
Kerne zuweilen in maulbeerförmiger Theilung angetroffen werden.
Die Ketten dieser Spermatogonien liegen ohne Dazwischenkunft
kleinerer Zellen aneinander, so dass mit Rücksicht auf das Vor-
kommen isolirter Spermatogonien, die’ von Follikelzellen umgeben
sind, es den Anschein hat, als bildeten sich die Follikelzellen und die
von ihnen umhüllte Spermatogonie aus einer Primordialzelle, wie bei
den Amphibien. In absolutem Alcohol gehärtet, messen die gröss-
ten ungetheilten Spermatogonien 16 «, ihr Kern 12,5 u. Weiter
finden sich Theilungsstadien von Spermatogonien in ihrer Follikel-
haut bis zu solchen Follikeln hin, wie es in Fig. 54 dargestellt ist.
Die Kerne der Follikelhaut haben das ihnen bei allen Thierklassen
gemeinsame glänzende Wesen, sind von elliptischer Gestalt und
führen ein bis zwei Kernkörperchen. Die Abgrenzung der Sperma-
toeyten ist deutlich, ihre Kerne in dem gezeichneten Stadium
grob granulirt. Im April sind die Follikel grösser geworden; die
einzelnen Spermatocyten kleiner. Die Kerne der Spermatocyten
fangen an glänzend zu werden und sich zu strecken. Die Abgren-
zung der einzelnen Follikel gegen einander ist sehr scharf; die
Kerne der Follikelhaut beginnen zu schwinden und sind nur schwer
nachweisbar.
Es entwickeln sich demgemäss die Spermatosomen der Rep-
tilien in derselben Weise, wie es dasvon v. la Valette St. George
aufgestellte Gesetz verlangt. Den Ausgangspunkt bilden Sperma-
togonien in einer Follikelhaut; beide wachsen; die Spermatogonie
erzeugt durch Theilung die Spermatocyten, die auch weiterhin
von einer deutlichen Follikelhaut umgeben werden. Die Um-
bildung der Spermatocyten in Samenfäden habe ich nicht verfolgt.
Auf der Grundlage der entwicklungsgeschichtlichen Studien
Braun’s dürfen wir demgemäss bei den Reptilien eine vollstän-
dige Homologie zwischen Samen- und Eifollikel statuiren.
Durch die Arbeiten v. la Valette St. George’s sind die
Hüllen an den Samenballen der Amphibien bekannt geworden;
die Kenntniss des Eifollikelepithels ist älteren Datums. Wir wer-
den in dem folgenden Abschnitt Gelegenheit nehmen, über” den
Bildungsmodus der Folikelhaut bei erwachsenen Thieren zu be-
42 Moritz Nussbaum:
richten und verweisen bezüglich ihrer Entstehung in der Larve
auf das im ersten Abschnitt darüber Gesagte. Die d‘ Follikelhaut
ist wie das 2 Follikelepithel schon früh entwickelt. Die Cysten-
haut fand ich zuerst bei Fröschen von 3 cm Länge (5 Monate alte
Rana fusea), in deren kleinen Hodenschläuchen die Spermatogo-
nien innerhalb ihrer Follikelhaut schon Theilungen bis zur Bildung
je einer grossen Öyste eingegangen waren; ebensoweit waren die
Hoden in 2 cm langen Bufö einereus entwickelt. Die Entstehung
der Cystenhaut geht auch in ihrem ersten Auftreten bei diesen
jungen Thieren in derselben Weise vor sich, wie es von la
Valette St. George von erwachsenen Amphibien beschrieben hat.
Der Kern der Spermatogonie theilt sich maulbeerförmig !); das
Zellprotoplasma innerhalb der Follikelhaut folgt bald diesem ra-
piden Theilungsprocess des Kernes, und aus den so entstandenen
Zellen liefern eine grössere oder kleinere Zahl von peripher gele-
genen die Cystenhaut; die centralen theilen sich weiter und wan-
deln sich nach und nach zu Samenfäden um, beständig von ihren
Hüllen — Cysten- und Follikelhaut — eingeschlossen, die sie wie
das Ei erst bei ihrer Reife durchbrechen.
Man muss nun festhalten, dass die Cystenhaut eine Bildung
späteren Datums ist als die Follikelhaut; indem sowohl bei
ganz jungen Thieren als auch bei erwachsenen die Follikelhaut weit
eher vorhanden ist und die Zelle — die Spermatogonie — umgibt,
aus der die Cystenhaut und die von der Cystenhaut eingeschlosse-
nen Samenfäden hervorgehen.
Wer sich über das Vorhandensein der beiden Häute an den
Samenfollikeln der Amphibien schnell orientiren will, möge auf
die Empfehlung von v. la Valette St. George den Hoden von
Bombinator igneus als Musterobject benutzen. Die geeigneteste
Jahreszeit ist Ende Juli und Anfang August; weil alsdann schon
genug grössere Follikel vorhanden sind und ihr Inhalt noch nicht
zu Samenfäden umgewandelt ist, die durch ihr starkes Lichtbre-
chungsvermögen die Untersuchung erschweren. An feinen Schnit-
ten in Alcohol gehärteter Hoden aus dieser Jahreszeit sieht man
beide Häute deutlich, wie Fig. 53 zeigt. Die Cystenhaut allein
bringt man am besten durch Abstreifen mit der Messerklinge von
1) Vergl. Fig. 50 aus dem Hoden von Bombinator igneus und Fig. 67
aus dem Hoden von Rana fusca.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 43
der Schnittfläche frischer Hoden zur Ansicht, indem man in Hu-
mor aqueus desselben Thieres untersucht. Bei Bombinator igneus
ist die Cystenhaut so resistent, dass fast in jedem Präparat unver-
letzte Cysten in grosser Zahl angetroffen werden, was bei den
übrigen Amphibien keineswegs immer der Fall ist. Auch noch
aus einem anderen Grunde verdient Bombinator igneus den Vor-
zug; weil nämlich in der Cystenhaut durchschnittlich 8 bis 10 Kerne
gelegen sind, während bei Rana fusca fast regelmässig nur ein
Kern, höchstens deren zwei angetroffen werden. Bei Bombinator
igneus kann man frische Cysten mit ganz fertigen Samenfäden im
Innern isoliren, was bei Rana niemals gelingt.
Man darf sich nun bei der Untersuchung der Amphibienho-
den nicht der Hoffnung hingeben, beim Abstreifen mit der Messer-
klinge vom frischen Präparat nur intacte Cysten zu finden. Das ist
keineswegs der Fall, da die Cystenhaut lehr leicht zerreisslich ist.
Namentlich platzen diejenigen Cysten leicht, deren Inhalt schon einen
hohen Entwicklungsgrad erreicht hat, vielleicht schon in fertige Sa-
menfäden umgewandelt ist. Man findet demgemäss in einem frischen
Präparat vom Hoden: freie Samenfäden, einzelne amöboide Zellen
und grössere amöboide Zellenhaufen oder ruhende Kugeln von Zellen.
Die Kugeln von Samenbildungszellen sind nicht mit den Samen-
follikeln oder Cysten zu verwechseln; sie sind vielmehr Bruch-
stücke der Follikel aus den Umhüllungshäuten herausgerissen
und, wie alle amöboiden Zellen, beim Absterben zu Kugeln zu-
sammengeflossen. Die unverletzten Cysten haben eine ächte Haut,
worin bei Bombinator viele, bei Rana esculenta einige und bei
Rana fusca nur ein bis zwei Kerne eingelagert sind. Die Ku-
geln sind hüllenlos, sie entbehren einer Membran. Die Cysten, so
lange sie unverletzt ‘sind, zeigen ‘wegen der vorhandenen Cysten-
haut keine amöboide Bewegung, sie sind ausserdem leicht durch
die relativen Verhältnisse ihres Umfanges zur Zahl und Grösse
der in ihnen enthaltenen Zellen von den nackten Kugeln zu unter-
scheiden. Man braucht nur einmal kurze Zeit nach dem Laichge-
schäft einen feinen Schnitt eines in Alcohol gehärteten Amphibien-
hodens zu durchmustern, um sich davon zu überzeugen, dass in
den grossen Follikeln viele und kleine Zellen, in den kleinen
Follikeln dagegen wenige aber grosse Zellen gelegen sind. In den
nackten Kugeln herrscht diese Gesetzmässigkeit nicht; wohl aber
in den frisch isolirten unverletzten Cysten. Man wird vergeblich
44 Moritz Nussbaum:
nach einer Haut und ihren Kernen bei den Kugeln suchen; die
„Haut“ der Kugeln ist nichts Anderes als die erhärtete Rinden-
schicht des Protoplasma’s einer unregelmässigen Zahl zusammen-
geballter Spermatocyten.
Das Vorhandensein zweier ächten Häute an den Samenballen
der Amphibien hindert natürlich nicht, den Vergleich zwischen den
Geschlechtsstoffen durchzuführen. Der Entstehung nach sind Sper-
matogonie und Eizelle, die 5 Follikelhaut und das 2 Follikel-
epithel homologe Theile. Die Cystenhaut ist eine dem männlichen
Geschlecht ausschliesslich zukommende spätere Bildung: mit den
Samenzellen zugleich durch Theilung aus der Spermatogonie her-
vorgegangen. Es bleibt also auch der fertige Samenfollikel dem
Eifollikel homolog, da zur Bildung der Cystenhaut keine neuen
Elemente von Aussen her aufgenommen werden.
Für die Teleostier erlaube ich mir, auf das im zweiten Ab-
schnitt über die erste Entwicklung der Geschlechtsorgane Gesagte
hinzuweisen. Hieran anknüpfend erwähne ich den in jüngster Zeit
von Brock !) geführten Nachweis des Follikelepithels beim Tele-
ostierei, dessen Existenz His für gewisse Stadien bestimmt in Ab-
rede gestellt hatte. In der Arbeit Brock’s (pag. 561) findet man
eine erschöpfende Zusammenstellung der diesbezüglichen Literatur
und im Anschluss an Ludwig?) eine Widerlegung der Ansicht
von His. Auf den von Brock unentschieden gelassenen Bildungs-
modus des Follikelepithels der Fischeier wird im folgenden Ab-
schnitt näher eingegangen werden. Hier gilt es, die bis jetzt un-
bekannte homologe Bildung im Hoden der Knochenfische aufzu-
suchen. Das von Brock in Fig. 1 abgebildete Stadium vom Hoden
des Alburnus lueidus ist in der Entwicklung noch nicht so weit
vorgeschritten, als dass es schon zur Bildung von Samenfollikeln
sekommen wäre. Auf das Studium der [Samenentwicklung ist
Brock nieht eingegangen, und es ist deshalb wohl erlaubt, aus
seiner Nomenklatur die Bezeiehnung „Follikel“ auszumerzen und
nur den gleichfalls angewandten Ausdruck „Acinus“ beizubehalten.
Brock bezeichnet nämlich sowohl mit „Follikel“ als „Acinus“ das
einem Hodenschlauch oder Hodencanal aequivalente Element. Wir
haben die Gründe hierfür oben auseinandergesetzt. Follikelbildung
1) J. Brock: Morphologisches Jahrbuch, IV. Bd. pag. 505 sqq.
2) Ludwig: Ueber die Eibildung im Thierreich, pag. 147.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 45
kommt innerhalb der Acini vor; die beiden Bezeichnungen können
demgemäss nicht promiscue gebraucht werden.
im zweiten Abschnitt wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit
dargethan, dass wie bei den Batrachiern, so auch bei den Tele-
ostiern Spermatogonien und Follikelzellen zugleich aus Primordial-
samenzellen hervorgehen. In Fig. 76b ist ein maulbeerförmig ge-
theilter Kern einer Spermatogonie aus dem Hoden von Üyprinus
erythrophthalmus, im November frisch in Jodserum untersucht, dar-
gestellt. Es ist somit wohl unzweifelhaft, dass der bei Batrachiern
geschilderte Vorgang der Follikelbildung im Hoden, der ja eben-
falls durch maulbeerförmige Kerntheilung der Spermatogonien ein-
geleitet wird, auch bei den Teleostiern Platz greift.
Ich will nun versuchen den Bau eines Teleostierhodens zur
Zeit des Bestehens ächter Follikel im Zusammenhang zu schildern.
Ein passendes Object ist der Hoden von Cyprinus erythrophthalmus
im November.
Die Hoden stellen zwei compacte Säulen dar, die bis zur
Leber auf beiden Seiten des Darmes in die Höhe reichen. Die
Ausführungsgänge verlaufen im unteren Abschnitt der Bauchhöhle
frei und münden hinter dem After: haben sie die Hoden erreicht,
so legen sie sich ihnen dorsalwärts an. Die äussere Oberfläche
der Hoden ist glatt; das Innere durch spärliches Bindegewebe,
worin die Blutgefässe verlaufen, in Abtheilungen gebracht, die ihrer
Gestalt nach den Namen Acini verdienen und einem Hodenschlauch
der Säugethiere aequivalent sind. Die Acini sind von einer kern-
haltigen Membrana propria umgeben, zeigen ein Lumen im Innern,
an das von der Membrana propria her die einzelnen Samenfollikel
heranreichen. Diese Samenfollikel haben eine kernhaltige Membran
und je nach ihrer Grösse einen verschiedenen Inhalt. Die klei-
neren enthalten in der Follikelhaut eingeschlossen grössere Zellen
mit granulirten Kernen; die grösseren Follikel sind aus einer
grossen Zahl kleiner Zellen mit glänzenden Kernen zusammenge-
setz. An der Membrana propria finden sich bei aufmerksamer
Betrachtung und hinreichend feinen Schnitten erhärteter Hoden,
Spermatogonien d. h. grosse Zellen mit ungetheiltem Kern und
solche, deren Kern schon eine maulbeerförmige Theilung einge-
gangen ist.
Um den Nachweis zu erbringen, dass wir es im Hoden mit
ächten Follikeln zu thuu haben, das heisst mit einer verschieden
46 Moritz Nussbaum:
grossen Zahl von Samenzellen in eine kernhaltige Membran einge-
schlossen, ist es nöthig Isolationspräparate herzustellen. Man ge-
winnt diese, wenn man nach der Vorschrift von la Valette St.
George’s mit der Messerklinge vom frischen Hoden abgestreifte
Gewebstheile in Humor aqueus oder Jodserum untersucht. Doch
ist bei Fischen die Follikelhaut so zart, dass es nicht so leicht
wie bei Batrachiern oder Insecten gelingt, die Follikel unversehrt
zu erhalten. Man gewinnt schon eher überzeugende Präparate,
wenn man kleine Hodentheile einen Tag lang in 5% molybdän-
saurem Ammoniak aufbewahrt und dann mit der Messerklinge ab-
gestreifte Partikelchen in der Conservirungsflüssigkeit untersucht.
In Figur 51 ist ein auf diese Weise isolirter Follikel mit deutlich
kernhaltiger Membran dargestellt; sein Umfang, die Grösse und
Beschaffenheit der in ihm enthaltenen Zellen stimmen genau mit
den Verhältnissen unzweifelhafter Follikel wie sie auf feinen
Schnitten in Alkohol erhärteter Hoden gefunden werden. Man möge
hierzu Fig. 73 vergleichen.
In den frisch untersuchten Präparaten trifft man, wie in allen
nicht geschlechtsreifen Hoden der Wirbelthiere, neben den selten
unversehrten Follikeln Bruchstücke derselben, die theils amoeboid
wie es Figg. 77, 78 und 79 zeigen oder unbeweglich kugelförmig
sind. In diesen Kugeln steht wiederum wie bei Batrachiern der
Inhalt in keinem Verhältniss zum Umfange, wie es bei unverletzten
Follikeln der Fall ist. Man kann auch ganz bequem den Nach-
weis der Entstehung dieser Kugeln führen. Hat man einen unver-
letzten Follikel im Praeparat aufgefunden, so verdränge man die
indifferente Zusatzflüssigkeit allmälig durch Wasser. Im Anfang
wird die Follikelhaut noch deutlicher; alle Kerne treten klar und
scharf hervor; bald aber platzt die Follikelhaut, und aus dem
Inneren tritt eine grössere Anzahl meist kugliger Bruchstücke her-
vor, deren periphere Schicht unter dem Einflusse des Wassers
erstarrt. Diese Kunstproducte sind es, welche von der weitver-
breiteten Annahme einer endogenen Entstehung von Samenbildungs-
zellen in sogenannten Mutterzellen geführt haben. Es gibt aber
keine endogene Zellbildung, wie von la Valette St. George
schon vor vielen Jahren hervorgehoben hat; sondern alle Samen-
fäden einer Cyste gehen durch fortgesetzte Theilung der Sperma-
togonie hervor, und die supponirten Mutterzellen, in denen die
Spermatosomen sich entwickeln sollen, existiren in Wahrheit nicht,
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 47
sondern werden durch die kuglige Begrenzung der Theilstücke
eines gesprengten Follikels vorgetäuscht. Eine eigene Cystenhaut
oder einen Cystenkern habe ich bis jetzt bei Knochenfischen noch
nicht beobachtet. Bei Sem (ohne Schwanzflosse) langen 4‘ Tinca
chrysitis war die Anordnung der Theile und der feinere Bau des
strangförmigen und noch durchscheinenden Hodens dieselbe wie
sie vorher von Cyprinus beschrieben wurde. Im Innern der Hoden-
acini fanden sich Spermatogonien und ächte Samenfollikel, die
auch frisch isolirt wurden. Es verdient wohl nochmals hervorge-
hoben zu werden, dass mit der Reifung der Samenkörper die
Follikelhaut immer zarter wird und ihre Kerne allmälig verschwin-
den, so dass bei völliger Reife der Samenfäden keine intacten
Follikel mehr isolirt werden können. Da sie aber, so lange die
zellige Natur der Spermatocyten noch erhalten ist, bestehen, so
wird man mit Rücksicht auf die entwicklungsgeschichtlichen Daten
bei den Teleostiern Samen- und Eifollikel homologisiren können.
Auch bei den Plagiostomen entspricht zweifellos der Samen-
follikel dem Eifollikel, wie es von la Valette St. George in
dem Programm der Bonner Universität vom Jahre 1878 (De Sper-
matosomatum evolutione in Plagiostomis) ausgesprochen hat. Es
ist jedoch vorläufig noch nicht erlaubt, eine völlige Homologie der
Theile zu behaupten; daSemper zwar die functionellen Theile des
Hodens und Eierstocks vom Keimepithel entstehen lässt; doch mit
dem Unterschiede, dass beim Eierstock die Primordialeier, beim
Hoden die Follikelepithelien derselben zu den eigentlichen Ge-
schlechtsstoffen heranreifen (ef. Semper, Das Urogenitalsystem
der Plagiostomen pag. 392). Wir werden im allgemeinen Theil
ausführlich hierauf zurückkommen.
Von Petromyzonten habe ich bis jetzt nur Thiere mit fast
völlig reifen Geschlechtsstoffen zu untersuehen Gelegenheit gehabt.
In den Hoden waren nur ausgebildete Spermatosomen vor-
handen, und der Nachweis einer Follikelhaut gelang nicht mehr,
wie dies wohl erwartet werden konnte. Die Ovarien der Anfangs
Dezember untersuchten Weibchen stellen zwei krausenförmige,
langgezogene Organe dar; Säcke, in deren Inneres zipfelartige mit
undurchsichtigen Eiern besetzte Vorsprünge hineinragten. Die Eier
waren alle auf derselben Entwicklungsstufe, was sehr wohl zu den
Angaben passt, welche über das Absterben der Petromyzonten nach
dem Laichgeschäft gemacht worden sind. In seiner schönen Ab-
48 Moritz Nussbaum:
handlung über den Befruchtungsvorgang beim Ei von Petromy-
zon Planeri (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XXX,
pag. 437sqgq.) hat Calberla auch verschiedene Mittheilungen über
das Eierstocksei dieser Fische gemacht, und dabei vorzüglich die
Umwandlungen des Keimbläschen und den Mieropylenapparat, Ein-
zelheiten, die für die Zwecke seiner Arbeit von Bedeutung. waren,
berücksichtigt. Ich kann aus eigener Erfahrung seine Beobach-
tungen über die Wandlungen des Keimbläschen bestätigen; das-
selbe hat zuerst nur einen Keimfleck (Eierstock eines 12 cm lan-
gen Ammocoetes vom 18. Dezember) und bekommt erst später
viele Keimflecke, ein Vorgang der bei den Knochenfischen und
Amphibien sich in derselben Weise vollzieht. Calberla hat in
seinen Zeichnungen das Follikelepithel des Petromyzonteneies nicht
aufgenommen; es ist aber ganz sicher vorhanden und kann bei den
der Reife nahen Eiern durch Wasserzusatz deutlich sichtbar ge-
macht werden; indem dann durch Imbibition die vorher platten
Zellen aufquellen und deutliche Kerne zeigen. Nach aussen vom
Follikelepithel liegt die bindegewebige Theca follieuli; nach innen
vom Follikelepithel eine aus zwei Lamellen zusammengesetzte
Zona, deren Porenkanäle wohl erst später als Anfang Dezember
deutlich sichtbar werden. Die lamellöse Beschaffenheit der Zona
hat Calberla richtig beschrieben und Gegenbaur!) (Ueber den
Bau und die Entwicklung der Wirbelthiereier) hat etwas Aehn-
liches von der Dottermembran des reifen Hühnereies gemeldet.
Uns interessirt hier das Vorhandensein des Follikelepithels, dessen
aequivalente Bildung sich im Hoden zur geeigneten Jahreszeit,
wohl im Sommer bis Herbst, wird gleichfalls nachweisen lassen;
auch hier wird erst die Entwicklungsgeschichte eine Homologisi-
rung der Theile gestatten.
Weiter reichen meine Beobachtungen bei Wirbelthieren
nicht; doch glaube ich das gleichzeitige Vorkommen von Follikelepi-
thelan den weiblichen Geschlechtsstoffen und einer Follikelhaut bei
den männlichen als ein gesetzmässiges ansprechen zu dürfen. Es
ist bei dem an Amphibien und Teleostiern geführten Nachweis
von der Homologie dieser Theile auch zu erwarten, dass bei allen
Wirbelthieren Ei und Spermatogonie, 2 Follikelepithel und
Follikelhaut als homologe Bildungen in Grundlage entwicklungs-
geschichtlicher Untersuchungen werden erkannt werden.
1) Müller’s Archiv 1861.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 49
Bei den Wirbellosen sind die Hüllen der Geschlechtspro-
ducte nicht so weit verbreitet, und kommen, auffallend genug,
innerhalb eines Typus nicht allen Abtheilungen gleichmässig zu,
was wohl eine tiefere Verschiedenheit der im System zusammen-
gestellten Gruppen bezeichnen möchte, als man nach dem Bau der
übrigen Organe erwarten sollte. Es liegt mir selbstverständlich
fern, diesem Umstande ein grösseres Gewicht beizulegen.
Jedenfalls bezeichnet das Vorhandensein dieser Hüllen einen
Fortschritt in der Organisation; da sie sowohl den niedrigsten Thie-
ren, als den Jugendformen der höheren fehlen. —
Wir werden nunmehr eine Reihe von Abtheilungen der wir-
bellosen Thiere durchmustern und diejenigen voraufstellen, bei wel-
chen ächte kernhaltige Hüllen der Geschlechtsstoffe vorhanden sind.
Von den Geschlechtsorganen der Cephalopoden hat in jüng-
ster Zeit noch J. Brock berichtet !). Nach seinen Untersuchun-
gen würde die dem Follikelepithel des Eies entsprechende Follikel-
haut an den Samenbündeln fehlen; dies ist jedoch nicht ganz zu-
treffend. Ich habe zwar nicht an frischen Hoden Untersuchungen
anstellen können; aber ich glaube an dem vorzüglich in absolutem
Aleohol eonservirten Material soweit orientirt zu sein, um Folgen-
des mit Bestimmtheit vertreten zu können.
Wie Brock schon angegeben, findet man, der Membrana
propria der Hodenschläuche direet aufsitzend, eine schöne regel-
mässige Mosaik grosser, meist gegen einander abgeplatteter Zellen:
die Spermatogonien. Follikelzellen fehlen in dieser Schicht, man
sieht aber an den kurz nach dem Laichgeschäft eingefangenen
Exemplaren viele Kerne der Spermatogonien in maulbeerförmiger
Theilung. Ich weiche nun in der Deutung der weiteren Befunde
in sofern von Brock ab, als ich die Samenbildung, wie bei den
übrigen Thieren, direct in dieser Schicht ihren Anfang nehmen
lasse. Es finden sich nämlich oberhalb der Lage von Sper-
matogonien ächte Samenfollikel mit einem Inhalt, dessen Bezie-
hungen zum Umfange der Follikel genau die schon bei früheren
Gelegenheiten beschriebenen sind, und die in derselben Weise aus
Je einer Spermatogonie hervorgehen, wie dies von la Valette
St. George zuerst bei Amphibien bewiesen hat. Wie bei den
Vögeln, liegen aber auch bei den Cephalopoden stets mehrere Sätze
1) J. Brock, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 32, pag.1sqq.
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 4
50 Moritz Nussbaum:
von Bildungsstadien zu Samenfäden übereinander, nicht nebenein-
ander, wie dies bei den Batrachiern der Fall ist; wo man neben-
einander, und der Membrana propria aufsitzend, zu bestimmten
Jahreszeiten alle Stadien von der Spermatogonie bis zum reifen
Samenfollikel findet. Bei den Cephalopoden ist dies ganz anders.
Die Spermatogonien bilden eine continuirliche Schicht auf der
Membrana propria und alle weiteren Entwicklungsstadien werden
gegen das Lumen zu vorgeschoben, so dass bei Hoden mit völlig
reifen Samenfäden diese ausschliesslich um das Lumen der Hoden-
schläuche gruppirt sind. Was Brock daher als Epithel bezeich-
net, ist die Summe der unreifen Follikel, aus den von ihm als
Matrix bezeichneten Spermatogonien hervorgegangen. Ob sich wie
bei den Amphibien eine resistente Follikelhaut wird nachweisen
lassen, weiss ich nicht. Man sieht aber in regelmässigen Inter-
vallen, wie bei Säugethieren und Plagiostomen dies von la Va-
lette St. George abgebildet hat, die Kerne von Follikelzellen
deutlich die Abgrenzung der verschieden weit entwickelten Sper-
matocyten in Follikel markiren. Je weiter man sich bei der
Durchmusterung eines feinen Schnittes dem Lumen nähert, desto
undeutlicher werden die Follikelkerne; an reifen Samenfädenbün-
deln sind keine Follikelkerne mehr nachweisbar, wie dies ja mit
wenigen günstigen Ausnahmen — Bombinator igneus, einige In-
secten — bei allen Thieren der Fall ist. Ich bedauere diese An-
gaben nicht durch Abbildungen erläutern zu können, und, vorläufig
auf eine demnächst erscheinende Mittheilung über die Spermato-
genese bei den Cephalopoden verweisend, mich mit dem Gegebe-
nen bescheiden zu müssen.
Bei den Insecten sind die Hüllen der Geschlechtsorgane wohl
kaum noch strittig, wenn auch die Auffassung derselben im Ho-
den eine verschiedene ist. So hat von la Valette St. George
in seiner zweiten Mittheilung über die Genese der Samenkörper }),
namentlich aus den Hoden von Tenebrio molitor „Samencysten“ be-
schrieben, deren kernhaltige Membran nach unserem Autor durch
Verschmelzung der peripheren Schicht der Keimkugeln zu Stande
1) v. la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper,
Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. III pag. 270; vergleiche auch Bd. X,
Tafel 35, Figg. 43—47.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 51
kommt. Bei Aphiden hat Balbiani!) vom Hoden des Drepano-
siphum platanoides in den sogenannten Follikeln Oysten beschrie-
ben und ihre kernhaltige Umhüllungshaut durch Wucherung der Fol-
likelwandung, d.i.derMembrana propria, erklärt. Auch in dieser Dar-
stellung ist der Ausdruck Hodenfollikel besser durch den Namen Ho-
denbläschen, Aeinus, zu ersetzen; die Cysten bezeichnen dann dasselbe
wie unsere Samenfollikel. Bütsc hli ?) zeichnet in der seinen beiden
Abhandlungen beigegebenen Tafel XL deutliche Abtheilungen in den
Hodenschläuchen, die er durch Zwischenwuchern des Hodenschlauch-
epithels entstanden denkt. Eine deutliche kerntragende Membran an
den einzelnen Samenfäden oder Samenzellenballen zu isoliren, ist
Bütschli nicht gelungen. Diese Membran existirt aber wirklich und
ist mit Unrecht geleugnet worden. Man muss nur zu ihrer Darstel-
lung ein geeignetes Object auswählen, da sie oft sehr zart ge-
bildet ist, wie es ja auch grosse Unterschiede in der Entwicklung
des Eifollikelepithels giebt. Es empfiehlt sich am Meisten der
von v. la Valette St. George schon untersuchte Tenebrio mo-
litor. Hat man bei den Larven die Hoden herauspräparirt, so
braucht man sie in Jodserum nur zu zerzupfen, um hier und da
im Präparat die schönsten Follikel, deren Haut noch aus deutli-
chen Zellen zusammengesetzt ist und deren Inhalt ebenfalls noch
aus zelligen Spermatocyten besteht, zu erhalten. Die Ausbeute an
unverletzten Samenfollikeln ist reicher, wenn man dem Präparat,
bevor man es in Jodserum zerzupft, durch einige Minuten lange
Einwirkung von Ueberosmiumsäure mehr Consistenz gegeben hat.
Durch kurzdauernde Einwirkung von absolutem Alkohol kann man
auch schnittfähige Präparate gewinnen und sich hierbei überzeu-
gen, dass der von v. la Valette St. George aufgestellte Bildungs-
modus der Follikelhaut bei den Insecten der richtige ist. Es theilt
sich die Spermatogonie; die peripherischen Theilstücke werden
Zellen der Follikelhaut; die central gelegenen liefern durch fort-
gesetzte Theilung und Umbildung die Samenfäden des Follikels.
Bei Tenebrio molitor ist an den reifen Samenfädenbündeln die
Zusammensetzung der Follikelhaut aus Zellen verwischt; doch
l) Balbiani: Memoire sur la generation des Aphides, Annales des
sciences naturelles 1869, pag. 1sqgq.
2) Bütschli: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XXI, pag.
402 und 526.
52 Moritz Nussbaum:
bleiben ihre Kerne sichtbar, wie es in Figg. 59 und 60 von dem
erwachsenen Mehlwurm im August dargestellt ist. Hat man die
Follikelhaut bei Tenebrio molitor einmal gesehen, so wird man bei
schwierigeren Objeeten, zu denen auch die Hoden von Hydrophilus
piceus und Blatta orientalis gehören, sie nicht mehr verkennen.
Wie die Entwicklungsgeschichte lehrt !) ist die Anlage der
Geschlechtsdrüsen eine indifferente. Doch kann vorläufig eine durch-
greifende Homologie bei den Insecten noch nicht mit Sicherheit
aufgestellt werden ; da nach den übereinstimmenden Angaben der
Autoren das Follikelepithel mit dem Ei der Insecten aus gleich-
artigen Zellen des Keimfaches hervorgeht, aber nicht durch Ab-
spaltung von einer Primordialzelle, wie es für die Samenfollikel
der Inseeten durch von la Valette St. George nachgewiesen
wurde. Allein, wenn man bedenkt, dass in den Eiröhren der In-
secten jedenfalls viele Eianlagen zu Grunde gehen, so wird man
wohl vermuthen dürfen, dass sich vielleicht die eigentliche Bildung
der Granulosa der bleibenden Eizellen bei der Kleinheit der Ele-
mente bisher nicht hat aufdecken lassen, und dass sie in ähnlicher
Weise wie im Hoden erfolge. Ausser der von den Amphibien und
Teleostiern gebotenen Analogie gewinnt die Annahme, dass die
Granulosa sich durch Abspaltung vom Primordialei bilde, noch
sehr viel an Wahrscheinlichkeit durch die Beobachtungen Spen-
gel’s an Bonellia ?), wo unter den vielen gleichen Zellen eines
Keimfaches nur eine einzige zum Ei heranreift. Die übrigen Zel-
len bleiben klein, umgeben das Ei aber nicht als Granulosa und
betheiligen sich auch nicht an der Ausbildung der Dotterhaut,
sondern gehen einfach zu Grunde. Man würde demgemäss anneh-
men können, dass von den Eianlagen des blinden Ovarialendes
der Insecten nur wenige, wie es in der That der Fall ist, zu Eiern
heranreifen. Die übrigen gleichartigen Zellen des Keimfaches würden
aber nicht zur Granulosa der bevorzugten Zellen werden, sondern
zu Grunde gehen. Die Entstehung der Granulosa der Eier durch Ab-
1) H. Meyer: Ueber die Entwicklung des Fettkörpers, der Tracheen
und der keimbereitenden Geschlechtstheile bei den Lepidopteren. Ztschr. f. w.
Zool. Bd. 1.
Leydig: Der Eierstock und die Samentasche der Insecten, 1866 pag. 55.
A. Brandt: Ueber das Ei und seine Bildungsstätte, Leipzig 1878.
2) J. W.Spengel, Beiträge zur Kenntniss der Gephyreen (Mittheilun-
gen aus der zoologischen Station zu Neapel, I. Bd.).
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 53
spaltung vom Primordialei gedacht, würde eine maulbeerförmige
Kerntheilung vermuthen lassen, die ich im Keimfach allerdings
noch nicht gesehen habe. Weitere Untersuchungen müssen
definitive Entscheidung bringen; wir begnügen uns vorläufig mit
dem Nachweis zelliger Hüllen an den Geschlechtsstoffen der In-
secten und vermuthen, dass diese Hüllen gleichen Ursprung haben.
Von den Generationsorganen der Crustaceen habe ich bis
jetzt nnr den Hoden von Astacus fluviatilis zu verschiedenen Jahres-
zeiten untersuchen können; doch lehrt eine Zusammenstellung der
in den Arbeiten von Leydig, Claus, Waldeyer u. A. gemachten
Angaben und ein Vergleich der beigegebenen Zeichnungen, dass
unter den Crustaceen die zelligen Hüllen der Keimstoffe beider
Geschlechter entweder gleichzeitig vorhanden sind oder fehlen. Es
sei erlaubt, dies an einigen Beispielen zu erläutern.
Von Astaeus fluviatilis beschreibt Waldeyer!) eine Granu-
losamembran der Eier, die in ähnlicher Weise wie bei den Wirbel-
thieren mit den Eizellen gleicher Abkunft sei. Ei und Granulosa
entstehen in der Weise vom Keimepithel, dass eine Zelle sich
durch Wachsthum hervorthut und von den benachbarten, klein ge-
bliebenen Zellen umgeben wird.
Nach den neuesten Untersuchungen Grobben’s ?) würde man
im Hoden des Astacus eine dem Eifollikelepithel gleichwerthige
Bildung vermissen. Ich will nun von vornherein bemerken, dass
die Beobachtungen Grobben’s durchaus richtig und correct sind,
dass dieselben aber, sobald man die Verhältnisse in den der Reife
nahen Hoden berücksichtigt, sehr wohl eine andere Deutung zu-
lassen. Die Bildung der Samenzellen geht nämlich in derselben
Weise vor sich, wie bei den Wirbelthieren, mit dem Unterschiede
freilich, dass die Spermatocyten ihre Zellnatur mehr oder weniger
beibehalten. In den Wintermonaten findet man in den durch-
scheinenden Acinis der Hoden zweierlei Gebilde vor; grosse Zellen:
Spermatogonien und zwischen diesen, in derselben Weise gruppirt,
wie es Grobben in Fig. 1 Tafel V abgebildet hat, die Kerne der
Follikelzellen; auch in diesem oder jenem Acinus reife, bei der
überstandenen Brunstperiode nicht entleerte Spermatosomen; wohl
1) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 85.
2) C. Grobben: Beiträge zur Kenntniss der männlichen Geschlechts-
organe der Decapoden. Wien 1878.
54 Morits Nussbaum:
ein untrügliches Zeichen, dass die alten Aeini nicht zu Grunde
gehen, und dass die Regeneration in derselben Weise wie bei den
meisten Wirbelthieren abläuft. Grobben nennt die Spermatogo-
nien Spermatoblasten, unsere Follikelzellen dagegen Ersatzkeime
und nimmt an, dass durch Vergrösserung der Follikelzellen die
Spermatoblasten entständen. Untersucht man aber den Krebshoden
im August, so findet man in den vergrösserten Acinis ächte Samen-
follikel, Gruppen von Spermatocyten, die durch regelmässig gestellte
Follikelzellenkerne von einander abgegrenzt sind. Es muss dies
nochmals besonders betont werden, dass man von den Follikel-
zellen zu allen Jahreszeiten nur die Kerne erkennen kann und
keine deutliche Zellengrenzen, so dass die Vorstellung, diese Kerne
seien in eine Membran eingelagert, sehr gestützt wird. Zur Unter-
suchung empfehle ich feine Schnitte durch Hoden, die eine halbe
Stunde etwa in absolutem Alcohol gehärtet wurden; doch erkennt
man dasselbe auch an frischen Zerzupfungspräparaten. Dass nun
unsere Auffassung von der Natur der von Grobben Ersatzkeime
genannten Kerne die richtige sei, geht auch wohl daraus hervor,
dass man dieselben nicht allein an der Basis, sondern auch zwi-
schen den einzelnen Spermatocytengruppen (Follikel) und an der
Begrenzung gegen das Lumen sieht. Es ist mir jedoch bis jetzt
nicht gelungen, die Herknnft der Follikelzellen nachzuweisen; ich
hoffe dies nachzuholen, da ich bis jetzt noch keine continuirliche
über das ganze Jahr sich erstreckende Untersuchungsreihe besitze.
Wir fügen also die Spermatogenese bei Astacus fluviatilis dem all-
gemeinen Gesetz von la Valette St. George’s ein: durch Theilung
der Spermatogonien entstehen Spermatocyten, welche durch die
zwischen den Spermatogonien gelagerten Follikelzellen umhüllt
und gruppenweise angeordnet werden, so dass in jedem Follikel
die Abkömmlinge einer Spermatogonie den ganzen von Grobben
trefflich geschilderten Umwandlungsprocess zu Spermatosomen durch-
machen. Grobben selbst führt einen Vergleich zwischen Hoden
und Eierstock durch, worin er dieselben Theile gleichsetzt, deren
Homologie wir früher ausgesprochen haben. Allein mit der Zurück-
weisung der Bedeutung der Follikelzellen im Hoden, welche Grob-
ben ihnen beilegt, müssen wir einen Widerspruch gegen seine
Auffassung der Eifollikelepithelien vereinigen. Beide Bildungen,
die männliche Follikelhaut und das weibliche Follikelepithel, sind
vergleichbar; aber nicht in dem Sinne Grobben’s, dass sie Er-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 55
satzkeime darstellen; sondern deshalb weil beide vergängliche Hül-
len der Geschlechtsstoffe abgeben.
Wir werden von nun ab einige Beispiele vorführen, wo männ-
liche und weibliche Geschlechtsstoffe der zelligen Hüllen entbehren.
Unter den Crustaceen sind es, wie ich aus einem Vergleich der
diesbezüglichen Literatur feststellen konnte, die Phyllopoden und
Copepoden. Für die erste Ordnung habe ich Leydig’s Werk:
Naturgeschichte der Daphniden, für die zweite das von Claus:
Die freilebenden Copepoden, als Quelle benutzt.
Nach Leydig entbehren die Eier der Daphniden einer Gra-
nulosa; im Hoden und zwar im blinden Ende der Schläuche kommt
nur eine Art von Zellen vor, aus denen sich die Samenkörper
entwickeln. Man vergleiche die Generationsorgane der in Fig. 46
dargestellten weiblichen Sida erystallina mit den in Fig. 47 der-
selben Tafel VI dargestellten eines männlichen Thieres; ebenso
das Ovarium von Daphnia longispina auf Tafel II Fig. 16 mit dem
Hoden von Daphnia reetirostris auf Tafel X Fig. 77. Vom Hoden
der Sida erystallina hat auch Grobben eine Abbildung (Fig. 10
Tafel V l.e.) gegeben. Das Interessante am Hoden der Sida cry-
stallina ist nicht die Bildung der Samenkörper von einem blinden
Keimfach aus, sondern das Fehlen der Follikelzellen, deren gleich-
werthige Bildung im Eierstock des Thieres ebenfalls fehlt; da, wie
gesagt, die Eier der Sida erystallina einer Membrana granulosa
entbehren. Es gibt auch bei den Wirbelthieren beide Arten der
Anordnung der Spermatogonien wie bei den Crustaceen, ohne dass
desshalb in dem mit Sida erystallina vergleichbaren Falle die Fol-
likelzellen fehlten. Im Hoden der Sida erystallina wird von einer
bestimmten Stelle aus für den Nachwuchs gesorgt, wie wir es bei
den Hoden der Rochen und Haie durch Semper kennen gelernt
haben. Bei Astacus fluviatilis sind dagegen, wie bei Säugethieren
etwa, die Zellen für den Nachwuchs an der Membrana propria der
persistirenden Hodenschläuche überall gelagert. Es ist nun nicht
der Modus der Regeneration der Geschlechtsstoffe, welcher bei
Sida das Fehlen der bei Astacus zu beobachtenden Follikelzellen
bedingt; denn bei den Rochen und Haien kommen in den reifen-
den Ampullen ächte Follikelzellen vor, obwohl sie ganz sicher
nicht zur Neubildung dienen, da die ganzen Ampullen zu Grunde
gehen, nachdem sie sich der Samenkörper entledigt haben. Man
findet aber bei Rochen und Haien Follikelzellen in den Hodenam-
56 Moritz Nussbaum:
pullen und eine Granulosa der Eier gleichzeitig wie bei Astacus;
man vermisst Beides gleichzeitig bei Sida erystallina. Die Ersatz-
keime des blinden Keimfaches im Hoden der Sida erystallina sind
demgemäss nicht in Form der Follikelzellen unter die eben zur
Entwicklung gelangenden Spermatogonien im Hoden von Astacus
gemischt, sondern es fehlen bei Sida die hüllenden Follikelzellen
im Hoden und Ovarium, während sie bei Astacus sich finden.
Für die Copepoden bitte ich in dem oben angeführten Werke
von Claus die Figg. 6 und 7 auf Tafel IV zu vergleichen. Der auf
Tafel V Fig. 12a dargestellte Hoden von Euchaeta lässt ebenfalls
nur einerlei Elemente erkennen und gleicht dem in Fig. 12b der-
selben Tafel dargestellten Eierstock eines anderen Copepoden —
Cetochilus longiremis — durchaus. Eier und Samenballen entbeh-
ren einer zelligen Hülle.
Es gibt somit unter den Crustaceen Ordnungen, deren Ge-
schlechtsstoffe, wie bei den Wirbelthieren, mit einer zelligen Hülle
umgeben sind, so bei Astacus. Andere Crustaceen (Sida) entbeh-
ren der zelligen Hüllen an den Zeugungsproducten und bei diesen
ist im Hoden ein Modus der Neubildung erhalten, wie es bei vie-
len anderen Thieren, namentlich Würmern, und unter den Wirbel-
thieren bei Plagiostomen vorkommt und im Ovarium bei allen Thie-
ren sich erhalten hat; da in allen Ovarien, sei es von einem blin-
den Keimfache, oder sei es von der Oberfläche her die Neubil-
dung der Eier sich vollzieht, und niemals in den alten Eischläu-
ehen, wie bei den Hodenschläuchen der höher organisirten Thiere,
eine neue Generation von Geschlechtsstoffen entsteht.
Bei den Würmern kenne ich aus eigener Anschauung nur
die Generationsorgane von Lumbricus terrestris, Haemopis vorax
und Tubifex rivulorum. Eier sowie Samenballen entbehren einer
zelligen Hülle. Nach der Zusammenstellung Ludwig’s (Ueber
die Eibildung im Thierreich p. 78) fehlt bei allen Würmern eine
Membrana granulosa an den Eiern; es steht zu erwarten, dass in
Uebereinstimmung damit die Spermatogemmen der Würmer eben-
falls nackte Zellenhaufen darstellen, wie es bei den von mir unter-
suchten Species der Fall ist, wo auch die reifen Samenfäden nur
durch eine im Centrum der Samenballen gelagerte Protoplasma-
masse und durch keine zellige Hülle zusammengehalten werden.
Die centrale Protoplasmakugel findet ihr Analogon in den Proto-
plasmaresten der Samenfollikel höherer Thiere, die allerdings in
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 57
anderer Anordnung innerhalb der Follikel nach Ausbildung der Sa-
menfäden angetroffen werden. Man vergleiche hierzu die Figuren
12, 31, 32 der zur Abhandlung von la Valette St. @eorge’s (De
Spermatosomatum evolutione in Plagiostomis) beigegebenen Tafel
und unsere Fig. 70 von Rana fusca im August. Diese verschiedene
Anordnung bei niederen und höheren Thieren tritt jedoch nicht un-
vermittelt auf; es finden sich Uebergänge dazu im Laufe der Sa-
menfädenentwicklung bei den höheren Thieren. Beginnen nämlich
die in ihren Häuten eingeschlossenen Spermatocyten der Rana
fusca die charakteristische Umwandlung zu Spermatosomen, was
von Ende Juli bis September beobachtet werden kann, so gruppi-
ren sich die Elemente an den Wänden des Follikels in der Weise,
dass die langgezogenen Kerne, jetzt wohl schon Köpfe der Sa-
menfäden, der Cystenhaut dicht anliegen; der Rest des zur Bil-
dung der Schwanzfäden untersuchten Protoplasma’s liegt central
rings von den Köpfen der Spermatosomen eingeschlossen. Erst
später sind alle Samenfäden gleich gerichtet: die Köpfe nach unten
gegen die Membrana propria, der Protoplasmarest, wie es Fig. 70
zeigt, gegen das Lumen der Hodenschläuche zu gewandt.
Die Spermatogenese bei den Mollusken ist zwar noch nicht
über das Stadium der Spermatoblastentheorie hinausgekommen, wie
die neueste Arbeit von M. Duval') beweist; doch scheint nach
allen seit Meckel?) über diesen Gegenstand gegebenen Darstel-
lungen weder an den Eiern noch an den Samenballen der zwitt-
rigen Gastropoden eine zellige Hülle vorzukommen.
Von Echinodermen habe ich Asteracanthion rubens unter-
sucht; Eier und Samenballen sind von keiner besonderen zelligen
Hülle umgeben; dasselbe gilt von den Geschlechtsproducten der
Schwämme?°). Wie Ludwig‘) berichtet, ist am Ei der Holothurien
von verschiedenen Autoren ein Follikelepithel nachgewiesen worden.
Ich habe mir bis jetzt Semper’s grosses Werk über die Holothurien
nicht verschaffen können; kann daher vorläufig über die Ueberein-
stimmung der fraglichen Theile bei diesen Thieren Nichts angeben.
1) La spermatogenese &tudiee chez les Gasteropodes pulmonös. Journal
de Micrographie 1879.
2) Ueber den Geschlechtsapparat einiger hermaphroditischer Thiere.
Müller’s Archiv 1844. Tafel XIV.
3) Vergl. Haeckel: Kalkschwämme.
4) Ueber Eibildung im Thierreich, pag. 14 und 15.
58 Moritz Nussbaum:
IV.
Von der Regeneration der Geschlechtsstoffe.
In den beiden ersten Abschnitten wurde gezeigt, dass bei Am-
phibien und Teleostiern Eier und Samenfäden aus indifferenten Ge-
schlechts-Zellen hervorgehen und bei ihrer ersten Entstehungeiner gan-
zen Reihe gemeinschaftlicher Veränderungen unterliegen; die Frage
nach der Regeneration der Geschlechtsstoffe im erwachsenen Thier
gewann dadurch einen gewaltigen Reiz und wie schon Pflüger!)
für die Eier der Säugethiere dargethan hat, so konnten auch wir
an erwachsenen Amphibien und Teleostiern einen eyclischen, von
Brunst zu Brunst wiederkehrenden Process der Neubildung erken-
nen, der im Wesentlichen eine einfache Wiederholung der ersten
Entwicklungsvorgänge darstellt.
Seitdem Pflüger darauf hingewiesen, dass zum Studium
der Regenerationsvorgänge in den Ovarien die Beobachtungszeit
_ über ein ganzes Jahr ausgedehnt werden müsse, haben Viele ihre
Untersuchungen schon in dieser Weise angestellt, und auch wir
haben diese Mahnung befolgt. Wir werden demgemäss eine kurze
Beschreibung vom Inhalt der Hodencanäle und der Ovarien zu
verschiedenen Jahreszeiten geben und beginnen mit der männlichen
Geschlechtsdrüse von Rana fusca.
Die Hoden der Rana fusca zu Ende des Begattungsgeschäftes
sind klein und resistent; die Samenblasen voll einer milchigen
Flüssigkeit, worin bewegliche Spermatosomen und amoeboide Zel-
len suspendirt sind. Auf dem frischen Querschnitt des Hodens
sind die Schläuche deutlich zu erkennen; ihr abgestreifter Inhalt,
in Humor aqueus untersucht, besteht aus entleerten Cysten, wie
sie von la Valette St. George auf Tafel XXXIV in Fig. 10—12
seiner Abhandlung über die Spermatogenese bei den Amphibien
abgebildet hat; man sieht Spermatogonien mit grossem Kern (bis
zu 21,6 u), der auch hin und wieder in maulbeerförmiger Theilung
begriffen ist. Nur selten erhält man Spermatogonien von einem
Kranze kleiner Zellenkerne umstellt, wie es Fig. 49 aus dem Ho-
den einer Rana fusca zu Ende Juli zeigt. Die kleinen Zellenkerne
1) Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen, Leipzig
1863, pag. 90, 91.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 5
an der Peripherie soleher Spermatogonien gehören der Follikel-
haut an, was leicht an feinen Schnitten durch erhärtete Hoden
dargethan werden kann. Neben diesen grösseren Elementen,
den nackten Spermatogonien, die sich, wie von la Valette St.
George zuerst beschrieb, durch amoeboide Bewegung auszeich-
nen, trifft man auf kleinere Zellen, freie Kerne von 7—15 u Durch-
messer; es sind dies die Theilproduete der Spermatogonien. Feine
Schnitte in Aleohol gehärteter Hoden zeigen, namentlich auf dem
Querschnitt der Canäle, ein eigenthümliches Bild. An der Mem-
brana propria sitzen in ihrer Follikelhaut die Spermatogonien,
theils ungetheilt, theils mit maulbeerförmig getheiltem Kern; da-
neben solche Follikel, die schon vier oder acht Zellen enthalten,
deren Grösse mit den im frischen Präparat gefundenen überein-
stimmt. Nach innen von diesen Entwicklungsstufen der Samen-
fäden ragen, gegen das Lumen wie ein Wald von Lanzen conver-
girend, hohle, zusammengefallene, stumpfzipflige Säckchen: die
letzten Reste der Samenfollikel. Ich besitze ein Präparat, wo die
Entleerung der Samenfollikel so vollständig geworden, dass im
ganzen Hoden kein reifer Samenfaden mehr zu finden war; mei-
stens trifft man sie aber noch frei im Lumen der Schläuche auch
noch später als zu Anfang April: ein Umstand, der die Unter-
suchung wesentlich erschwert. Fig. 71 stellt einen entleerten Sa-
menfollikel dar, dessen Cystenkern bei Ck undeutlich hervorschim-
mert; die Basis des geplatzten Follikels wird durch eine in Thei-
lung begriffene Spermatogonie von der Membrana propria des
Hodenschlauches abgehoben; die Spitze desselben ragt frei in das
Lumen des Hodenschlauches hinein.
Im Juni findet man an der Wand der Hodencanäle im Wesent-
lichen noch das vorherbeschriebene Bild; die Zahl der Spermato-
eyten in den angelegten Follikeln ist noch, nicht gross; aber die
in der voraufgegangenen Brunst entleerten Follikel finden sich
Jetzt als verfettete Blasen, mit ihrem einstigen Inhalt, einigen zu-
rückgebliebenen Samenfäden gemischt, im Lumen der Schläuche
vor. Die alten Follikelreste lassen keine Organisation mehr er-
kennen; wenn schon im April, auch nach Behandlung mit Argen-
tum nitricum, (ef. von la Valette St. George) keine Zellengren-
zen an ihnen mehr nachgewiesen werden konnten, so ist im Juni
selbst der im April immerhin noch sichtbare Cystenkern ganz in
Fettkügelchen aufgegangen. Damit dürfte der Nachweis erbracht
60 Moritz Nussbaum:
sein, dass von den alten Samenfollikeln, oder von ihrem Cysten-
kern, wie man vermuthen könnte, die Regeneration nicht ausgeht.
Der ganze Follikel wird entleert; sein Inhalt, die Samenfäden, zur
Zeit der Brunst; die Hüllen bald darauf, nachdem sie fettig ent-
artet sind.
Bis in den Monat September hinein dauert bei Rana fusca
die Entwieklung der Samenfäden; die Hoden schwellen mächtig
an und werden wegen der vielen in den Follikeln aufgespeicherten
fertigen Samenkörper weicher, als sie es vorher waren. Die rei-
fenden Follikel, zuerst breitbasig der Membrana propria der Hoden-
canäle aufsitzend, werden durch den jungen Nachwuchs seitlich
zusammengepresst und flaschenförmig verlängert, bis im October
die Follikel sämmtlich schmal und gestreckt geworden sind, und
neben ihnen nur noch Ketten und Inseln von Spermatogonien an
der Membrana propria aufsitzen. Die Ketten von Spermatogonien,
wie sie von la Valette St. George (d. Archiv, Bd. XV, Tafel
XVIII, Fig. 95) vom Kater abbildet, und wovon wir in Fig. 69
eine Darstellung bei Rana fusca im October geben, sind durch
keine Follikelzellen von einander getrennt, grade so wie sie es im
Embryo waren, bevor durch maulbeerförmige Kerntheilung (ef. Fig.
14, 17a, 56) die Spermatogonie und ihre Follikelhautzellen sich
gesondert hatten. Die Spermatogonienketten sind das ganze Jahr
hindurch nachweisbar; aber in keinem Monat sind sie so zahlreich
als im October, weil alsdann die Bildung der für die Brunst des
kommenden Frühjahrs bestimmten Samenfäden definitiv abgeschlos-
sen ist, und bis zur Laichzeit neben den schon vorhandenen rei-
fen Follikeln nur noch die ersten Stadien, bis zu der von einer
Follikelhaut eingeschlossenen Spermatogonie aufwärts, sich ausbil-
den. Dieser allerjüngste Nachwuchs ist für die Brunst des zweit-
nächsten Jahres bestimmt. Es bleiben nämlich vom October bis zum
April alle vorhandenen Elemente unverändert, und man findet keine
Uebergangsformen zwischen Spermatogonien und reifen Follikeln,
was bei der Grösse solcher Follikel, deren Spermatocyten sich eben
in Spermatosomen umwandeln, mit Bestimmtheit behauptet werden
kann. Wohl findet man gegen Ende März vereinzelte Follikel mit
vier oder sechs Zellen im Innern; da jedoch alle weiteren Ueber-
gangsstadien fehlen — Follikel mit mehr als 30 Zellen —, so kann
man wie gesagt mit October die Samenbildung für abgeschlossen
betrachten, und alle der Membrana propria anliegenden Elemente
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 61
für die jüngsten Stadien ansprechen !). Durch das Studium der
Veränderungen, welche in den folgenden Monaten eintreten, wird
sich eine eontinuirliche Entwicklungsreihe construiren lassen. Wir
dürfen alsdann annehmen, dass auch zu den übrigen Jahreszeiten,
wenn die verschiedenen Entwicklungsstufen gleichzeitig vorkom-
men, die Spermatogenese sich nach dem festgestellten Modus voll-
zieht; zumal wenn der Nachweis gelingt, dass bei erwachsenen
Thieren dieselbe Reihenfolge innegehalten wird, wie bei der ersten
Ausbildung der Samenfäden in den Hoden junger Thiere.
Erhärtet man einen Hoden der Rana fusca in Alcohol und
schneidet feine Flachschnitte von den pigmentfreien Stellen der
Oberfläche, so erhält man je nach der Jahreszeit verschiedene Bil-
der; uns interessiren vorzugsweise die aus dem Monat October
und November. Fig. 66 gibt ein solches Präparat aus der Mitte
October. Man sieht durch die Membrana propria hindurch auf die
ihr zunächst gelegenen Elemente und findet grosse grobgranulirte
Kerne und eine stark markirte Felderung, bedingt durch die Häute
der reifen Samenfollikel, deren Oystenkerne bei der Einstellung dicht
unter der Membrana propria nur sehr selten durchschimmern, da sie,
wie ein Vergleich mit Fig. 69 lehrt, auch bedeutend mehr nach dem
Lumen zu liegen, als die jungen Spermatogonien. Was die Cysten-
kerne anlangt, so fehlen sie in keinem reifen Samenfollikel an der
Basis und können auch auf diesen Flachschnitten bei Senkung des
Tubus immer nachgewiesen werden. Lage und Form unterscheiden
sie dermgemäss von den Spermatogonien, von denen man in der
Flächenansicht dicht unter der Wandung der Hodenschläuche
nur die grossen Kerne sieht, die theils mit vielen Kernkörper-
chen versehen, theils in einfacher Theilung, theils in maul-
beerförmiger Kerntheilung sich befinden. Den Effect der einfachen
Theilung sieht man in Fig. 69 auf einem Querschnitt durch einen
Hodenkanal: die Spermatogonien bilden Ketten. Das Resultat der
1) Bei Rana esculenta sieht man im October nur in wenigen Follikeln
den Beginn der Umwandlung der Spermatocyten zu Spermatosomen, und noch
im Mai sind ganz junge Follikel vorhanden, so dass Rana esculenta nicht
mit fertigem Samenvorrath in den Winterschlaf geht. Es stimmt dies gut
mit der späten Laichzeit der Rana esculenta.
Bei Bombinator igneus sind im August schon Follikel mit reifen Samen-
fäden vorhanden; doch habe ich dieses Amphibium nicht während des gan-
zen Jahres untersuchen können.
62 Moritz Nussbaum:
maulbeerförmigen Kerntheilung kann man erst im folgenden Monat,
November, beurtheilen; indem dann wieder die meisten Spermato-
gonien von Follikelzellen umgeben sind. Auch liegen im November,
wie Fig. 67 zeigt, die jungen Spermatogonien ganz dicht beisammen;
während in Fig. 66, aus dem October, grosse Zwischenräume von
einer Spermatogonie bis zur anderen gegeben sind. Die Annähe-
rung der Spermatogonien beruht auf der Kettenbildung; die Ab-
grenzung der einzelnen Spermatogonien wird durch die Bildung
einer Follikelhaut bewirkt, deren Entwicklung schon im October
eingeleitet wurde. Sowohl in Fig. 66 als 69 — Präparate aus
dem Monat October — sieht man in einzelnen Kernen eine maul-
beerförmige Theilung. In Fig. 67, dem Präparat aus dem folgen-
den Monat (November), sind alsdann die grosskernigen Zellen (die
Spermatogonien) von einem Kranze kleiner Zellenkerne, die in
eine Haut eingeschlossen sind, umgeben; es hat sich wie beim
Embryo nach der maulbeerförmigen Kerntheilung einer Primor-
dialzelle von dem .us dieser Theilung hervorgehenden Zellen-
häufchen eine centrale Zelle vergrössert, und die übrigen sind um
diese herum zur Follikelhaut zusammengetreten. Für das bessere
Verständniss der folgenden Veränderungen füge ich eine Beschrei-
bung des Hodens von Bombinator im Juli ein, und bitte dazu die
Figur 44 zu vergleichen. In den Hodenampullen des Bombinator
igneus trifft man Anfangs Juli noch vereinzelte reife Samenfäden
(Ssm.), die bei dem abgelaufenen Laichgeschäft nicht entleert wor-
den sind. Unverletzte Follikel, mit reifen Samenfäden gefüllt, sind
nicht vorhanden. Der Membrana propria sitzen verschiedene Ent-
wicklungsstadien auf, von denen die in einer Follikelhaut einge-
schlossene Spermatogonie mit einfachem Kern — in der Figur
links unten — das kleinste und jüngste ist. Daneben sind schon
Follikel mit vielen Spermatocyten vorhanden; die Kerne derselben
sind grobgranulirt. Ob diese grobe Granulation eine netzartige
Anordnung der festen Kernbestandtheile repräsentire, lässt sich
bei Bombinator igneus nicht mit Sicherheit bestimmen. Dagegen
sieht man bei Tritonen und Salamandern die balkenartige Con-
figuration im Innern des Kernes sehr deutlich an den noch in
Theilung begriffenen Spermatoeyten, und da die Spermatocyten
bei anderen Thieren so lange „grob granulirte“ Kerne aufweisen,
als sie sich noch theilen, so werden beide Bilder: grobe Granu-
lirung oder deutliche netzartige Structur im Kern, dasselbe bedeu-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 63
ten, nämlich die Vorbereitungen für die Zellentheilung, worauf
schon im ersten Abschnitt (ef. pag. 7) hingewiesen wurde.
An den grösseren Follikeln habe ich in dem in Figur 44 ab-
gebildeten Präparat noch keine Cystenhaut erkennen können, die-
selbe tritt erst später deutlich hervor, und verweise ich hierzu auf
Fig. 53, aus dem ‚Hoden von Bombinator igneus zu Ende Juli.
In der Figur 44 sind nun auch die Uebergänge von der
Spermatogonie zu den vielzelligen Follikeln dargestellt. Man findet
nämlich eine ganze Reihe von maulbeerförmigen Kerntheilungen
der Spermatogonien. Fig. 50 giebt einen isolirten und in Humor
aqueus untersuchten, maulbeerförmig getheilten Spermatogonienkern.
Man sieht überhaupt bei keinem anderen Thier diese eigenthüm-
liche Kerntheilung so deutlich, als im Hoden von Bombinator igneus
zu Anfang Juli.
Nach dieser Abschweifung kehren wir zur genaueren Analyse
der Fig. 67 zurück. Das Präparat ist nach einem in absolutem
Aleohol gehärteten Flachschnitt von der Oberfläche des Hodens
der Rana fusca im November gezeichnet. Bei M liegt eine Sper-
matogonie mit maulbeerförmig getheiltem Kern, wie wir sie schon
in den Ketten aus dem vorigen Monat kennen gelernt haben (ef.
Fig. 69 M). Sg zeigt eine Spermatogonie mit einer Follikelhaut,
deren Kerne bei F sichtbar sind; der Kern der Spermatogonie ist
ungetheilt und trägt ein Kernkörperchen. Bei der weiteren Durch-
musterung des Präparates treffen wir aber auch auf Spermatogonien
in einer Follikelhaut, deren Kern wiederum deutlich maulbeer-
förmig zerklüftet ist; genau so wie es vorher aus dem Hoden von
Bombinator igneus beschrieben wurde. Da nun bei Rana fusca
kurze Zeit zuvor die nackten Zellen mit maulbeerförmig getheiltem
Kern an Zahl praevalirten und vom Dezember bis zum März hin
die Zahl der einkernigen Spermatogonien mit Follikelhaut nur vor-
übergehend, die maulbeerförmige Kerntheilung der Spermatogonien
in ihrer Follikelhaut aber eontinuirlich zunimmt, so erkennen wir
beim erwachsenen, geschlechtsreifen Frosch dieselbe Stadiologie
wie im jungen Thiere: Von den gleichgrossen Zellen der Ketten
oder Inseln umgibt sich jede nach einer maulbeerförmigen Kern-
theilung mit einer zelligen Hülle — der Follikelhaut. —
Die Spermatogonie wächst eine Zeit lang bis zu einem Durch-
messer von 30u, ihr Kern bis zu 214 Durchmesser ; dann theilt sich
der Kern wieder maulbeerförmig; jedes Stück bekommt sein Proto-
64 Moritz Nussbaum:
plasma zugetheilt, und durch die Gruppirung der so entstandenen
Zellen zu Haut und Inhalt entstehen innerhalb der Follikelhaut
die Spermatoeyten und ihre Cystenhaut: ein Vorgang, der wie im
vorigen Abschnitt angegeben, durch von la Valette St. George
zuerst nachgewiesen wurde. Nachdem wir nunmehr gezeigt haben,
auf welche Weise Follikelhaut und Cystenhaut entstehen und ver-
gehen, wird es nicht mehr erlaubt sein, an eine Regeneration zu
denken, die von diesen Theilen ihren Ausgang nehme. Bei
Rochen und Haien ist die Bedeutungslosigkeit der Follikelzellen
und des Cystenkernes für die Neubildung am evidentesten, da hier,
wie Semper gezeigt!), die ganzen Ampullen zu Grunde gehen,
nachdem die Samenfäden entleert wurden, mit ihnen die Reste
der zuerst durch von la Valette St. George nachgewiesenen
Follikelhaut und des Cystenkernes ?). Aber auch bei den Amphi-
bien lehrt die eontinuirliche Beoachtungsreihe der jährlichen Ver-
änderungen im Hoden, dass Follikelhaut und Cystenhaut vergäng-
liche Hüllen der Samenfadenbündel darstellen. Da nun weiter
die Kettenbildung in den Hodenschläuchen mit verschiedener Inten-
sität das ganze Jahr hindurch andauert, und während der Winter-
monate der Ablauf der weiteren Veränderungen bei allen Elementen
gleichmässig und protrahirt genug sich vollzieht, dass man die ein-
zelnen Phasen der Entwicklung in ihrer Aufeinanderfolge erkennen
kann, so wird man die Kettenbildung nackter Zellen als die erste
Stufe hinstellen, von der alle anderen ihren Ausgang nehmen.
Es ist ganz gleichgültig, ob man den Hoden ganz junger ein-
jähriger Thiere oder den von älteren untersucht; man wird die
Spermatogonienketten immer, zu bestimmten Jahreszeiten (bei Rana
fusca im October) freilich am reichlichsten, in den Hodenschläuchen
finden, so dass wir zu der Annahme gelangen: es bleiben bei der
ersten Entwicklung Zellen in den Hodenschläuchen liegen, aus
deren Theilung beständig junger Nachwuchs hervorgeht. Die
Zellen sind gross, protoplasmareich; sie entstehen nicht durch Um-
wandlung der „zweiten kleineren Art von Zellen“, deren Dignität
als Hüllzellen — Follikelzellen — von von la Valette St. George
festgestellt wurde.
1) Semper: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen. (Semper nennt
Beides zusammen „Deckzelle“).
2) von la Valette St. George: De spermatosomatum evolutione in
Plagiostomis. Bonn 1878.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 65
Wir konnten uns bei der Betrachtung der Regenerationsvor-
gänge im Hoden kurz fassen, weil die gewonnenen Resultate zum
besten Theile schon durch von la Valette St. George be-
kannt geworden sind, und auch der Nachweis von der Abstam-
inung junger Spermatogonien nur die Bestätigung der von ihm
ausgesprochenen Ansicht enthält, die er d. Arch. Bd. XV p. 201
dahin formulirt hat: „Man wird mich fragen, woher kommen denn
die neuen Spermatogonien, welche den zu Spermatogemmen ver-
brauchten zum Ersatz dienen müssen. Es gibt meiner Meinung
nach dafür zwei Möglichkeiten, entweder entstehen sie durch wie-
derholte Theilung des zurückbleibenden Fusskernes !) oder durch
direete Theilung und daraus hervorgehende Vermehrung der Ur-
samenzellen, ehe sie sich zu Samenknospen umbilden.“ Von la
Valette St. George weist durch sein Beobachtungsmaterial die
Wahrscheinlichkeit der letzteren Annahme nach. „Wollte man da-
ran denken“, fährt er fort, „dass die Follikelzellen für verbrauchte
Ursamenzellen eintreten könnten, so liessen sich dafür weder theo-
retische noch aus‘ der Erfahrung geschöpfte Anhaltspunkte bei-
bringen.“ ;
Ob der von v. la Valette St. George mehrfach abgebildeten
maulbeerförmigen Kerntheilung der Spermatogonien (l. ec. Figg. 80
und 133) bei den Säugethieren dieselbe Bedeutung zukomme mit
Bezug auf die Follikelzellenbildung wie bei Batrachiern, ist sehr
wahrscheinlich. Für die Bildung des Cystenkernes ist der Beweis
schon durch von la Valette St. George selbst erbracht worden.
Es würden demgemäss die beiden Typen der Regeneration
im Hoden der Wirbelthiere nur in der Art und Weise der Auf-
speicherung der jüngsten Elemente, nicht aber in deren Entwick-
lungsmodus verschieden sein, und da bei den meisten wirbellosen
Thieren die Samenkörper in Bündeln aus einer Primordialzelle
hervorgehen, so wäre die Samenkörperbildung bei den Wirbelthieren
nur um die Bildung zelliger Hüllen complieirt, die aber mit den
umschlossenen Samenkörpern aus derselben Primordialzelle hervor-
gehen. Es liegt nämlich die Matrix oder das Keimlager entweder
an einer besonderen Stelle des Hodens isolirt, oder an der Wand
der funetionirenden Hodenschläuche selbst; im ersten Falle wer-
den stets neue Drüsenelemente — Ampullen — gebildet, und die
1) Anm. d. Ref.: Fusskern ist mit Cystenkern synonym.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Ba. 18. 5
66 Moritz Nussbaum:
alten gehen zu Grunde; im zweiten bleiben die alten Drüsen-
schläuche erhalten. Bei den Wirbelthieren mit vergänglichen Drü-
senelementen sind alle Follikel einer Ampulle in demselben Sta-
dium der Entwicklung; bei den Wirbelthieren mit persistirenden
Drüsenschläuchen findet man im günstigsten Falle (bei Rana fusea
und Bombinator igneus im August) alle möglichen Entwicklungs-
stadien in einem Schlauche nebeneinander gelagert; nur die ein-
zelnen Elemente eines Follikels sind gleich weit entwickelt, (cf.
von la Valette St. George) und an die Stelle der entleerten
reifen Samenfäden und ihrer Hüllen rückt von der Wand her der
junge Nachwuchs ein.
Im Anschluss an das von la Valette’sche Gesetz der Sper-
matogenese stellen wir uns die Samenkörperbildung in der Weise
vor, dass durch Theilung von Matrixzellen Ketten entstehen, von
denen jede Zelle ein Samenkörperbündel produeirt und durch vor-
bereitende maulbeerförmige Kerntheilung seine zelligen Hüllen
liefert, wo sie vorhanden sind (vergl. den vorigen Abschnitt). Mö-
gen nun die Samenkörperbündel nackt oder häutig sein, in einer
Spermatocytengruppe — nach von la Valette Spermatogemme
oder Spermatocyste genannt — liefert jede Zelle einen Samen-
körper; kommt es zur Bildung von Samenfäden aus den Sperma-
tocyten, so liefert der Kern der Zelle den Kopf und das Proto-
plasma den Schwanzfaden.
Bei der Betrachtung der Regenerationsvorgänge im Eierstock
werden wir etwas weiter ausholen müssen, da wir uns in man-
chen Punkten von den geläufigen Anschauungen entfernen müssen,
dafür aber einen Anschluss an die geschilderten Entwicklungsvor-
gänge im Hoden gewinnen werden.
Unsere Kenntnisse von dem Bau des Eierstocks und der Ooge-
nese bei den Wirbelthieren begannen erst mit dem Erscheinen des
Pflüger’schen Werkes!) geordnete zu werden; die dort entwickel-
ten Gesichtspunkte sind bestätigt und massgebend für die weitere
Forschung geworden, welche durch Waldeyer’s?) Entdeckung des
Keimepithels wiederum einen treibenden Anstoss erhielt.
Die Beobachtungen Pflüger’s über die periodische Neubil-
1) E. F. W. Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des
Menschen;, Leipzig 1863.
2) W. Waldeyer: Eierstock und Ei; Leipzig 1870.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 67
dung und den Untergang zahlloser Eier bei den Säugethieren sind
so vielseitig bestätigt worden, dass man ohne Widerspruch diese
Thatsache allgemein annimmt, und die Neubildung bei allen perio-
disch brünstigen Thieren wiederfindet. Ebenso ist der Ort, von
dem die Neubildung ausgeht, ein streng vorgeschriebener: die
jungen Eier der Wirbelthiere entstehen stets an derselben Stelle,
wo sie bei ihrer Reife den Eierstock verlassen.
Zweifellos geht die allererste Entwicklung der Wirbelthiereier
von Zellen aus, welche im Peritonealepithel gelegen sind; mögen
diese Zellen von Anfang an, wie namentlich bei den Batrachiern,
als besondere Geschlechtszellen kenntlich sein oder erst secundär
im Keimepithel durch Grössenzunahme (Ureier) von anderen Zellen
der Leibeshöhle unterschieden werden können.
Ebenso dient bei den niederen Wirbelthieren die Peritoneal-
höhle als einziger Ausführungsgang der weiblichen Geschlechts-
drüse, und es bezeichnet einen Fortschritt in der Organisation,
wenn sich aus dem zelligen Belag der Leibeshöhle zwei röhrige
Gebilde, die Müller’schen Gänge, absondern, denen dann die Ab-
leitung der weiblichen Geschlechtsproducte zufällt. Soweit es bis
jetzt entwicklungsgeschichtlich festgestellt ist, entstehen zwar die
Müller’schen Gänge nicht nach demselben Schema. Sollte es
sich bestätigen, was wir im Gegensatz zu Rathke!), nach der
Beobachtung an einer jungen Tinca chrysitis vermuthen, dass bei
den Teleostiern sich der Müller’sche Gang aus dem Wolff’schen
Gange durch Sprossung bildet und späterhin den Eierstock um-
wächst, so gäbe es bei den Wirbelthieren drei verschiedene Arten
1) Rathke, Heinr.: Zur Anatomie der Fische. Müller’s Archiv 1836,
pag. 185: „Auch bei den Gräthenfischen bilden sich nur Geschlechtswerk-
zeuge einer Art, nämlich nur allein Eierstöcke und Hoden, aber diese Or-
gane wachsen bei ihnen, wenn wir die weiblichen Salmen ausnehmen —
deren Geschlechtsorgane ein ähnliches Verhalten zeigen, wie die der Cyclo-
stomen — allmälig weiter nach hinten aus, erhalten in ihrem Innern eine
mehr oder weniger deutliche Höhle, kommen dann dicht hinter dem After
mit der Bauchwand in Berührung und brechen zuletzt nach aussen durch.
Diejenigen Theile dieser Fische, welche ich Eierleiter und Eiergang, Samen-
leiter und Samengang genannt habe, sind keine besonders für sich entstan-
denen Theile, wie bei den höheren Wirbelthieren, sondern nichts weiter als
Fortsetzungen, Verlängerungen der Eierstöcke und der Hoden, gehören also
diesen eigentlich an und sind nur besondere Abtheilungen von ihnen“.
68 Moritz Nussbaum:
der Entstehung der Müller’schen Gänge, die, so verschiedenartig
sie auch auf den ersten Blick erscheinen mögen, dennoch nur als
Variationen der primitivsten Form nach dem Prineip der Arbeits-
theilung gebildet sind; denn die Müller’schen Gänge entstehen
immer aus den Zellen der Leibeshöhle, sei es durch direete Ab-
schnürung wie bei Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Amphi-
bien, oder durch Abspaltung von den Wolff’schen Gängen bei
Rochen nnd Haien oder endlich, wie bei den Knochenfischen, durch
Sprossenbildung aus den primitiven Harnleitern.
Die Anlage und Ausdehnung der ableitenden Wege bediakt
nun bei den Wirbelthieren eine dreifache Art der Entleerung rei-
fer Eier, und im Zusammenhang damit zwei Typen für die räum-
liche Entstehung des jungen Nachwuches:
1. Die Eier fallen in die Bauchhöhle und werden durch den Ab-
dominalporus nach Aussen befördert; so ist bei Cyclostomen,
dem Aal und den Salmoniden die Bauchhöhle der Ausfüh-
rungsgang des Eierstocks.
. Die Eier fallen in die Bauchhöhle und werden von den Mül-
ler’schen Gängen aufgenommen; es haben sich besondere
Ausführungsgänge aus der allgemeinen Leibeshöhle differen-
zirt, die mit offenem Trichter verschieden weit vom Eier-
stock beginnen und in eine Cloake oder in einen Urogeni-
talsinus münden, wie es bei den meisten Säugethieren, den
Vögeln, Reptilien, Amphibien, Rochen und Haien sich findet.
3. Die Eier werden direct in die Müller’schen Gänge entleert,
da diese die Ovarien umwachsen haben. Von den Säuge-
thieren darf man wohl die von Waldeyer (Eierstock und
Ei, pag. 11) aufgezählten Fälle, Lutra, Phoca, Mustelus und
Ursus, hierher rechnen; von übrigen Wirbelthieren sind die
Knochenfische mit Ausnahme der sub 1 angeführten Gattungen
namhaft zu machen.
Nach dieser Auseinandersetzung dürfte es nicht schwer fallen,
an den Eierstöcken der Wirbelthiere die Eibildung zu verfolgen;
trotzdem sind in der allerjüngsten Zeit bei Batrachiern und Kno-
chenfischen die Verhältnisse umgekehrt dargestellt worden, wie
sie sich in der Wirklichkeit verhalten und von guten Beobachtern
beschrieben worden sind. Man wird desshalb auch die Art unse-
rer obigen Darstellung, die von gegebenen Facten ausgeht, zu
würdigen wissen; da wir in Uebereinstimmung mit Waldeyer
DD
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 69
bei den Batrachiern die jüngsten Eibildungsstadien aussen an der
Oberfläche des Ovariums, bei den Teleostiern mit Ovarialkanal !)
innen auf der Oberfläche der gegen das Lumen des Ovarialkanales
gerichteten Balken finden, und bezüglich der Eierstöcke anderer
Wirbelthiere kein Widerspruch herrscht darin, dass die Neubildung
der Eier von der Oberfläche der Ovarien ausgehe.
Mit der Frage nach dem Ausgangspunkt der Eientwicklung
hängen zwei andere von der Entstehung und der Bedeutung des
Follikelepithels eng zusammen. Was die Bildung des Follikel-
epithels anlangt, so huldigt man seit Pflüger?) allgemein der
Annahme, das Follikelepithel komme von Aussen zur Eizelle, werde
ihr aufgelagert. Es sei gestattet, die verschiedenen Meinungen
der Autoren über die Details dieses Vorganges hier kurz vorzu-
führen.
Pflüger leitet die Membrana granulosa von dem Epithel
der nach ihm benannten Eischläuche ab. In den Schläuchen ent-
stehen durch Theilung von Ureiern, Eiketten, in denen jede Zelle
als Ei von einem Kranze von Epithelzellen umgeben und durch
Wucherung der bindegewebigen Schlauchwand abgeschnürt wird;
der Process der Umwachsung und Abschnürung schreitet aus der
Tiefe gegen die Oberfläche vor.
Waldeyer stellt den Vorgang in folgender Weise dar: Eier-
stock und Ei, pag. 43: „Als das Hauptresultat meiner Untersuchung
muss bezeichnet werden: dass sowohl die Eier als die Follikelepithel-
zellen direet vom Keimepithel, d.h. dem Oberflächenepithel des Eier-
stocks abstammen. — Der Process stellt sich wesentlich als eine gegen-
seitige Durchwachsung des bindegewebigen vascularisirten Stromas
und des Keimepithels dar, in Foige dessen grössere und kleinere
im Allgemeinen rundliche Massen des letzteren mehr und mehr in
das bindegewebige Stroma eingebettet werden. Die eingebetteten
Zellen lassen bald eine Verschiedenheit erkennen, indem ein Theil
von ihnen durch einfache Grössenzunahme zu Eiern auswächst —
1) Vergl. die Zusammenstellung der verschiedenen Typen im Bau des
Eierstockes der Teleostier bei J. Brock: Beiträge zur Anatomie und Histo-
logie der Geschlechtsorgane der Knochenfisci e, Morphol. Jahrb., IV. Bd. p. 541.
2) Ueber die Eierstöcke ete. pag. 64: „Alle Thatsachen weisen somit
theils mit Nothwendigkeit, theils mit einer sehr grossen Wahrscheinlichkeit
auf das eine Gesetz hin, demzufolge die membrana granulosa eine dem Ei
aufgelagerte Bildung ist“.
70 Moritz Nussbaum:
Primordialeier -— während der andere seine ursprüngliche Grösse
beibehält, ja durch vielfache Theilungsvorgänge, wie es mir wenig-
stens wahrscheinlich ist, noch kleinere Zellen erzeugt, die späteren
Follikelepithelzellen.“
Eine ähnliche Auffassung von der primären Gleichwerthigkeit
der Eizelle und ihrer Follikelepithelien theilt Leydig!), obschon
er die Ableitung beider Elemente vom Keimepithel nicht annimmt.
Von der grosszelligen Genitalanlage leitet Goette?) Ei und
Follikelepithel in der Weise ab, dass diese grossen Zellen sich
vermehren, und in sogenannten Umbildungsheerden eine Anzahl
ihrer central gelegenen Abkönmlinge verschmelzen und zum Ei
werden; andere, hierzu peripher gelagerte, das Follikelepithel
bilden.
Die Darstellung Semper’s ?) weicht in sofern von der Wal-
deyer’'s ab, als Semper die von Waldeyer‘) gleichfalls im
Keimepithel gesehenen Ureier Nester bilden lässt, von deren gleich-
1) Leydig: Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier; Tübingen
1872, pag. 131: „Letztere nun, — die Keimwülste — somit auch die primi-
tiven Eier vom Epithel abzuleiten, wie Waldeyer für andere Wirbelthiere
jüngst aufgestellt hat, gelang mir auf keine Weise. — — — Das Keimlager
ist sonach, wenn es als Organ sich gesondert hat, ein aus Zellen bestehender
Wulst, dessen Elemente nicht vom Epithel der Bauchhöhle herrühren können,
sondern von einem anderen höher gelegenen Keimblatt abstammen müssen“.
pag. 132: „Ein Follikel ist daher eine von Bindesubstanz umzogene
Gruppe ursprünglich gleicher Zellen, von denen eine der mittleren durch
stärkeres Wachsen und Umwandlung ihrer Substanz zum Dotter des Eies
wird, während die anderen das Epithel des Eifollikels liefern“.
2) A. Goette: Die Entwicklungsgeschichte der Unke; Leipzig 1875.
pag. 10, 11 und 831.
3) €. Semper: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen etc. in den Ar-
beiten aus dem zoologisch-zootomischen Institut in Würzburg. II. Bd., 1875.
pag. 465: „— — die Ureier darin (in der Genitalfalte) sind in bestän-
diger Vermehrung begriffen. Bei den weiblichen Individuen senken sich die
Ureiernester gruppenweise in das Stroma ein; in diesen Zellgruppen vergrös-
sert sich eine Zelle, die zum Ei wird, ihre Nachbarzellen legen sich unter
beständiger Vermehrung um dasselbe als Follikelzellen herum.“
4) W. Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 44: „Es verdient besonders
hervorgehoben zu werden, dass sich schon im Keimepithel selbst einzelne Zel-
len durch ihre Grösse und rundliche Form vor den übrigen auszeichnen und
als zukünftige Eier documentiren (Fig. 11b und 13a).“
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 71
artigen Zellen durch Unterschiede im Grössenwachsthum Ei und
Follikelepithel geliefert werden. Es stammen demgemäss bei Sem-
per sowohl Ei als Membrana granulosa vom Keimepithel ab, da
die Ureier vergrösserte Keimepithelzellen sind. Der Schwerpunkt
liegt aber in den Ureiernestern — die Differenzirung zu Ei und
Follikelepithelien geht erst in den Theilproducten der Ureier, den
Zellen der Ureiernester, vor sich.
Eine vermittelnde Stellung zwischen Waldeyer und Semper
nimmt Balfour!) ein. Nach Balfour umgeben sich von den
Zellen der Ureiernester einige mit Keimepithelzellen und bilden
so den Eifollikel; die übrigen nicht zu definitiven Eiern umge-
wandelten Zellen eines Ureiernestes gehen unter, und dienen den
zur Entwicklung gelangenden Eiern gleichsam als Nahrung.
Auch nach der von Kölliker!) gegebenen Darstellung wird
die Membrana granulosa dem Ei von Aussen aufgelagert; aller-
dings aus einer anderen Quelle als vom Keimepithel, das nur den
Ureiern und den von diesen gebildeten Eiketten in den Schläuchen
den Ursprung gibt. Die Membrana granulosa bildet sich nach
Kölliker aus Kanälen und Zellensträngen der Marksubstanz, die
wie die Hodenschläuche der männlichen Embryonen mit dem Epi-
thel eines Wolff’schen Canales (pag. 9731. c.) verbunden sind,
und im Eierstock mehr und mehr gegen die Rindenzone vordringend
vom Grunde der Schläuche aus die nackten Eizellen umwuchern
und mit einem Kranze von Follikelepithelzellen umgeben. Die
von Kölliker bis zur Urniere rückwärts verfolgten Schläuche in
der Markzone junger Säugethierovarien waren schon Waldeyer
bekannt und können beim Hunde vornehmlich gut gesehen werden.
Waldeyer hatte die Schläuche als Homologa der Samencanäle
gedeutet, und Semper in Grundlage seiner Beobachtungen an den
Embryonen von Plagiostomen das Homologon des ausführenden
Hodensystems darin vermuthet.
Wenn man bedenkt, wie dies seit Pflüger für die Oogenese
1) F. M. Balfour: On the structure and development of the verte-
brate ovary (Quarterly Journal of mieroscopical science, vol. 18. New ser.)
pag. 47: „The cells of the germinal epithelium arrange themselves as a layer
around each ovum, almost immediatly after its separation from a nest, and
so constitute a folliele“.
2) A. Kölliker: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhe-
ren Thiere. II. Aufl. pag. 971 gg.
72 Moritz Nussbaum:
bei den Säugethieren entweder deutlich ausgesprochen oder in den
meisten über unseren Gegenstand publieirten Abbildungen su sehen
ist, dass in den Pflüger’schen Schläuchen Ei an Ei gelegen ist
ohne Dazwischenkunft von Follikelepithelzellen, so wird die Kölli-
ker’sche Deutung nicht ganz unerwünscht den Widerspruch lösen,
welchen die Annahme mit sich führt, dass die viel kleineren Fol-
likelepithelien aus den grossen Zellen in den Eiketten hervorge-
gangen seien. Man wird sich noch leichter zu der Auffassung
Kölliker’s bekennen, wenn man sich erinnert, dass die dem
Centrum des Eierstocks zugewandten Eianlagen zuerst von einer
Membrana granulosa umgeben werden, also an einer Stelle, wo sie
zuerst mit den aus der Urniere sprossenden Zellensträngen zu-
sammentreffen müssen.
Wir glauben den augenblicklichen Stand der schwierigen
Frage von der Abstammung der Follikelepithelien hiermit darge-
legt zu haben und wollen nunmehr eine Schilderung unserer eig-
nen Befunde versuchen. Dabei sei im Voraus bemerkt, dass es
uns bis jetzt noch nicht gelungen ist, bei den Thieren, die das
Untersuchungsmaterial für die oben vorgeführten Ansichten der
Autoren geliefert haben, neue entscheidende Thatsachen aufzu-
finden, und dass wir nur bei Amphibien und Teleostiern befriedi-
senden Aufschluss erhalten haben, von dem allerdings ein allge-
meines Gesetz der Bildung und Bedeutung der Follikelepithelien
erwartet werden darf.
Für die Eierstöcke der Batrachier musste vor einem näheren
Eingehen auf die Regenerationsvorgänge selbst, die Beziehung der
flachen Peritonealepithelien zu den von Waldeyer entdeckten
Keimepithelinseln von Neuem studirt werden. Nach Waldeyer!)
1) W. Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 74. ef. Fig. 28. Diese An-
gaben sind neuerdings von Kolessnikow (d. Arch. Bd. XV, pag. 397) be-
stätigt worden; doch hat Kolessnikow den schon seit Swammerdam
bekannten kammerigen Bau der Froschovarien nicht gekannt; diese viel-
mehr als „zwei dünnwandige, gefaltete Säcke“ beschrieben. Ebenso unrichtig
ist sein Vergleich des Eierstocks bei den Batrachiern mit den von ihm unter-
suchten Teleostiern, da, wie schon Waldeyer gezeigt hat, das Peritoneum
der Teleostier nicht dieselben Beziehungen zu den Eierstöcken zeigt, wie das
der Batrachier. Kolessnikow glaubt die Frage nach der Eibildung bei den
Batrachiern entschieden zu haben; er ist jedoch zu dieser Annahme nicht be-
rechtigt, weil ihm sowohl bei der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen, als
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 73
sollen nämlich an vielen Stellen der Oberfläche die Anlagen junger
Eier: Keimepithelinseln, frei zu Tage liegen und nicht von dem
„Peritonealendothel“ überzogen sein. Brandt!) bemerkt hierzu:
„dass dieser Umstand durch zufällige locale Verletzung des Endo-
thels bedingt sein könnte.“ Nach meinen eignen Untersuchungen
muss ich dieser Behauptung beipflichten; da schon bei ganz jugend-
lichen Thieren eine continuirliche Silberzeichnung auf den noch
compacten Ovarien sich findet, und nach dem sogleich anzugeben-
den Verfahren auch bei den erwachsenen Fröschen als continuir-
licher Belag der inneren und äusseren Ovarienfläche nachgewie-
sen werden kann.
Die Präparation der Ovarien bei den Larven ist einfach; in-
dem man die mit salpetersaurem Silber behandelten Theile in Al-
cohol härtet und einen feinen Flachschnitt der Oberfläche unter-
sucht. Sehr instructiv sind Larven der Rana fusca von ca. 6 cm
Gesammt- und 3 cm Rumpflänge, da hier der Uebergang der eubi-
schen Peritonealepithelien in die späteren flachen und breit gezo-
genen Formen beobachtet werden kann. Bei jüngeren Larven
war nämlich die Anlage der Geschlechtsdrüsen, wie im ersten Ab-
schnitt des Näheren auseinandergesetzt worden ist, aus den embryo-
nalen Gesehlechtszellen und den cubischen Peritonealepithelien
zusammengesetzt. Die Peritonealepithelien umwachsen die Ge-
schlechtszellen und ihre Theilproduete, und bilden schliesslich eine
continuirliche Mosaik kleiner cubischer Zellen auf der freien
Fläche der Geschleehtsdrüsen. Wie nun anderwärts aus diesen
cubischen Belegzellen der Leibeshöhle sich das flache, Endothel
genannte, Zellenstratum entwickelt, so geht auch allmälig das
Epithel des Eierstocks in diese Form über; allerdings später als
an den übrigen Stellen der Leibeshöhle. Die Versilberung frischer
Präparate lässt an der vorderen Bauchwand, auf den Nieren weit
geschwungene Netze schwarzer Zellengrenzen erkennen, während
auf den Geschlechtsdrüsen noch das cubische Epithel persistirt.
Die Umwandlung geschieht, wie gesagt, bei 6 cm langen Larven
der Rana fusca; bei 4em langen der Rana esculenta; bei gleich-
auch bei der Untersuchung der Eierstöcke der erwachsenen Batrachier sehr
viele Stadien entgangen sind.
1) A. Brandt: Fragmentarische Bemerkungen über das Ovarium des
Frosches, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. XXVII, pag. 584 unten.
74 Moritz Nussbaum:
langen Larven von Alytes obstetricans. Mit der fortschreitenden
Entwicklung werden die Ovarien blasig und ihr äusserer zelliger
Belag immer flacher, bis schliesslich die Grösse der Silberzeich-
nung der anderer Stellen gleichkommt.
‚Sobald die Ovarien hohl geworden und aus mehreren getrenn-
ten Blasen zusammengesetzt sind, wird die Untersuchung schwie-
riger. Doch kommt man mit derselben Methode, womit Swam-
merdam den Bau des Eierstocks demonstrirte, auch hier zum
Ziele; man bläst nämlich eine Kammer der Ovarien, die mit dem
entsprechenden Stück der Wirbelsäule in 0,1°/, Silberlösung ge-
bracht wurden und ganz von der Flüssigkeit bedeckt sind, auf,
spült mit destilirtem Wasser ab und lässt aus einer Bürette abso-
luten Alcohol auf das Präparat fliessen, während man die aufgebla-
sene Ovarialkammer beständig mit Luft prall gefüllt erhält. Die
übrigen Höhlen des Ovariums bleiben eollabirt; die Wandung der
aufgehlasenen wird so resistent und glatt, dass man das ganze
Präparat mit Ausnahme der ÖOeffnungsstelle für den Tubus in
Theile zerlegen und unter dem Mikroskop untersuchen kann. Zur
Zeit der Eireife muss man zwar die grossen Eier mit einer Pincette
von der Unterfläche abzupfen ; es gelingt dies nach der Erhärtung
des aufgeblasenen Präparates in Alcohol leichter als man glauben
sollte. Unter dem continuirlichen, durch Behandlung mit Argentum
nitricum deutlich hervortretenden Zellenstratum der Oberfläche
sind zu verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Eibildungsstadien zu
treffen, und in Uebereinstimmung mit den vorher bei der Regenera-
tion der männlichen Geschlechtsproducte geschilderten Erscheinun-
gen ist mit October bei Rana fusea die Eibilduug für die kommende
Brunst abgeschlossen. Es sind aber auch schon die Eier für die
darauf folgende Brunst angelegt und mit Ausnahme der undurch-
sichtigen Dotterplättchen enthalten sie alle für ein Batrachierei
charakteristischen Theile. Was sich weiter an jüngstem Nachwuchs
findet, hat vorläufig noch nicht die Eigenthümlichkeiten des Wir-
belthiereies angenommen. Dieser für die drittnächste Brunst be-
stimmte Satz soll hier in seinen Veränderungen verfolgt werden.
Es wurden untersucht die Eierstöcke von Rana fusca und
esculenta, von Bufo einereus und Bombinator igneus; wie bei der
Beschreibung der Regeneration im Hoden wir vorzugsweise Rana
fusca berücksichtigten, so soll hier der Abwechslung halber sich
die Schilderung mehr an das Ovarium von Rana esculenta halten.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 75
Im November sind schon ziemlich grosse, undurchsichtige
Eier angelegt; wo jüngere mit diesen eng beisammen liegen, neh-
men die älteren stets die tiefste Lage ein, so dass die Jüngsten
Stadien der ventralen Oberfläche des Eierstocks am nächsten lie-
gen. In Fig. 45 ist dies durch verschiedene Abtönung der ein-
zelnen Stadien angedeutet; die jüngsten Stadien, (rechts unten)
direet unter dem durch Argentum nitricum sichtbar gemachten pe-
ritonealen Ueberzug gelegen, sind am hellsten gehalten; es folgen
in gleicher Höhe nach links eine gleichalte Anlage, und von da
ab, rechts nach dem Inneren des Ovarialsackes zu, zwei junge
Eier auf einem grossen undurchsichtigen gelagert, von dem nur
die untere Hälfte schematisch dargestellt ist. Die jüngsten Eibil-
dungsstadien werden aus gleichgrossen Zellen zusammengesetzt
und sind von einer bindegewebigen Membran umgeben, deren
Kerne deutlich siehtbar sind. Wir haben es hier offenbar mit dem
Analogon der Pflüger’schen Eiketten zu thun und glauben auch
in Fig. 68 das diesem Zustande voraufgehende Stadium erkennen
zu müssen. In Figur 68 liegt unter der endothelialen Zeichnung
der Oberfläche, und umgeben von den Zellen des dünnen Eier-
stockstroma’s, eine grosse Zelle, die ganz sicher kein Ei ist, da
das Follikelepithel ihr fehlt. Wir nehmen an, dass aus solchen
Zellen, die auch in den Eierstöcken der° übrigen Batrachier ge-
funden wurden, durch Theilung sich jene oben beschriebenen Ne-
ster ausbilden. Während der Wintermonate macht die Entwick-
lung der ersten Eibildungsstadien keinen erheblichen Fortschritt;
man sieht im März (Fig. 46) noch Theilungen der Zellen in den
Nestern (a); zugleich aber auch den Beginn der schon oft beschrie-
benen maulbeerförmigen Kerntheilung (b), die im August (Fig.
47) alle Zellen der Nester gleichzeitig ergriffen hat. Auf diese maul-
beerförmige Kerntheilung folgt die Ausbildung ächter Eier, die wir
namentlich deutlich bei Rana fusca zu Ende Juli verfolgen konn-
ten !). Ein maulbeerförmiges Theilungsstadium im Kerne eines Pri-
mordialeies ist auch in Fig. 65 bei M von Bufo einereus, drei Tage
nach dem Laichen untersucht, zu finden; die Silberlinien der Ober-
flächenzeichnung sind nicht dargestellt. Fig. 48 zeigt einen maul-
1) Dieser Zeit entspricht für Rana esculenta der Monat September;
doch gewann ich für Rana esculenta keine beweisenden Präparate, weil die
Umwandlung in fertige Eier zu schnell erfolgt war.
76 Moritz Nussbaum:
beerförmig zerklüfteten Kern aus dem Ovarium von Bombinator
igneus isolirt und frisch untersucht; vom „Hodeneierstock“ der
erwachsenen männlichen Kröte hat von la Valette St. George
dasselbe in Figg. 68 und 69 der 35. Tafel des XU. Bandes dieses
Archivs abgebildet. Aus diesen, kurze Zeit nach dem Laichen bei
allen Batrachiern aufzufindenden, in grossen Nestern beisammen
gelagerten Zellen mit maulbeerförmig getheiltem Kern gehen die
Eier hervor, welche nach der nächsten Brunst als ansehnliche
Kügelchen im entleerten Eierstock zu finden sind. Demgemäss
enthält der Eierstock der Batrachier direet nach dem Laichen die
Eier für die kommende Brunst und für die darauf folgende. In
den Wintermonaten bildet sich dann noch ein drittes Stadium
heran, wenn der erste Satz von Eiern seine völlige Reife erlangt
hat. Die Umwandlung der Nester zu definitiven Eiern geschieht
sehr rasch; in Fig. 63 ist ein solehes Stadium von Rana fusca zu
Ende Juli abgebildet. Von dem grossen Eischlauch ist nur ein
Theil dargestellt; die Kerne der bindegewebigen Schlauchwand
sind bei h zu finden, und man sieht, wie sich oben links die Binde-
gewebszellen von der Wand aus zwischen zwei von Follikelepithe-
lien (F) umgebene Eizellen einzwängen. Bei M liegt eine nackte
Zelle mit maulbeerförmig getheiltem Kern, also das Stadium, wie
es kurze Zeit nach dem Laichen alle Zellen der Nester oder
Pflüger’schen Schläuche aufwiesen. Rechts oben schliesst sich
in Fig. 63 an das nackte Urei eine kleine von Follikelepithelien
umgebene Eizelle an; ihr Keimbläschen ist klein, rund und hat
nur ein Kernkörperehen. Es finden sich demgemäss in der Fig. 63
die Uebergangsstadien von den Zellen der Ureiernester oder Pflü-
ger’'schen Eischläuche zu ächten Eiern beisammen vor. Zuerst
theilt sich der Kern jeder Zelle eines Nestes — Primordialei —
maulbeerförmig und auf die oft geschilderte Art bildet sich das
Ei und sein Follikelepithel; dann wächst von der Schlauchwand
das Bindegewebe um die einzelnen Eier, schnürt sie von einander
ab und erzeugt die vascularisirte bindegewebige Follikelmembran
— Theca follieuli.
Somit entwickeln sich die Eier der erwachsenen Batrachier
in derselben Weise wie im Embryo. Da wir nun erstens beim
Embryo die entstehenden Eier aus den Geschlechtszellen ableiten
konnten und den Nachweis führten, dass die Peritonealepithelien
nur bindegewebige Hüllen der Geschlechtszellen und ihrer Theil-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 77
producte liefern; da zweitens bei den erwachsenen Batrachiern
in Uebereinstimmung mit Waldeyer die jungen Eikeime als etwas
vom Peritonealepithel Verschiedenes erkannt wurden, und da drit-
tens die Eibildung, sobald sie im Embryo begonnen, continuirlich
weiter geht, so werden auch die späteren Eianlagen von den pri-
mären Geschlechtszellen abgeleitet werden dürfen. Ein directer
Beweis hierfür möchte allerdings schwer zu erbringen sein; allein
es gibt in dem ganzen Beobachtungsmaterial keinen Factor, der
zu Ungunsten unserer Annahme geltend gemacht werden könnte.
Vergleichen wir die Vorgänge der Regeneration in den männ-
lichen und weiblichen Geschlechtsdrüsen, so finden wir dieselbe
Uebereinstimmung die früher vom Embryo beschrieben wurde. Da-
bei ist jedoch nicht zu verkennen, dass in dem Entwicklungs-
modus der ersten schon in der Larve fertig gebildeten Ge-
schlechtsproduete und den im erwachsenen Thier hinzukom-
menden derselbe Unterschied, wie in der Aufeinanderfolge der
Organismen, der Individuen, hervortritt. Denn wie die fertigen
Keime zu neuen Individuen im Hoden und Eierstock ein Latenz-
stadium durchmachen, während das gesammte Zellenmaterial des
elterlichen Organismus in beständiger Theilung sich befindet, so
werden aus den Geschlechtszellen ebenfalls Zellen gesondert, die
länger inert liegen bleiben, als die sofort in Theilung verfallenen:
diese liefern die ersten Geschlechtsproducte; jene sind für den
Nachwuchs, die Regeneration, bestimmt.
Für die Neubildung der Geschlechtsstoffe bei den Teleostiern
würde hier noch Einiges über die Eibildung bei erwachsenen
Fischen beizubringen sein, nachdem im voraufgehenden Abschnitt
das Nöthige über die Regeneration im Hoden schon mitgetheilt
wurde.
Nachdem Waldeyer in dem schon vielfach eitirten Werk,
Eierstock und Ei, die Eibildung bei den Teleostiern (Hecht) im
Prineip identisch mit der Eibildung bei den übrigen Wirbelthieren
gefunden und den Ausgangspunkt dazu in das die innere Eierstocks-
oberfläche deckende „Keimepithel“ verlegt hatte, wurde in neuerer
Zeit von Kolessnikow!) und Brock?) dieser Vorgang durch
1) Kolessnikow: Ueber die Eientwicklung bei Batrachiern und Kno-
chenfischen; d. Archiv, Bd. XV pag. 382.
2) J. Brock: Beiträge zur Anatomie und Histologie der Geschlechts-
organe der Knochenfische; Morph. Jahrb., Bd. IV pag. 565, 566.
78 Moritz Nussbaum:
Abbildungen illustrirt. Ueber die Arbeit Kolessnikow’s ist
pag. 72 schon Einiges von uns gesagt worden. Die Abbildungen
Brock’s sind correet, und dieser Autor hat sehr wohl die Schwie-
rigkeiten gefühlt, welche sich für den Nachweis der Entwicklung
des Follikelepithels im Waldeyer’schen Sinne darbieten. Wir
glauben nun die Angaben Brock’s durch das Folgende ergänzen
zu können, indem wir eine Beschreibung der Eierstöcke von Ga-
dus lota zu verschiedenen Jahreszeiten geben !).
Im November sind die Ovarien der Gadus lota zwei statt-
liche, muskulöse Schläuche, die von der Leber her zu beiden Sei-
ten des Darmes nach abwärts ziehen und mit einem gemeinschaft-
lichen Gange auf der Urogenitalpapille hinter dem After ausmün-
den. Die peritoneale Oberfläche trägt ein plattes Epithel; darun-
ter folgt die organische Musculatur, und von dieser aus ragen in
das Innere eine grosse Zahl von Zotten hinein, auf denen die
Eier befestigt sind. Die Oberfläche der Zotten ist mit einem eubi-
schen Epithel bekleidet; darunter folgen die Anlagen der Eier und
die reifen Eier selbst. Das reife Ei der Gadus lota hat einen
Durchmesser von etwa I mm; daneben aber kommen kleinere Eier
bis zu einem Durchmesser von 16. vor. In diesen kleinsten iso-
lirten Eiern lässt sich die Membrana granulosa durch 5 Minuten
langes Einlegen in Ueberosmiumsäure deutlich sichtbar machen;
ef. Fig. 52; bei den grösseren Eiern sieht man diese epitheliale
Hülle am besten nach Wasserzusatz. Der Dotter der 16 « breiten
Eier ist hell; das Keimbläschen enthält bei einer Grösse von 8 u
gewöhnlich nur einen Keimfleck; in Figur 91 ist ein Keimbläs-
chen eines solchen in Jodserum untersuchten Eies dargestellt, wo
sich eben zwei kleinere Kügelchen von dem grossen Keimfleck
loslösen wollen. Wächst nämlich das Ei, so wird das Keimbläs-
1) Brock hat schon in seinem hier ceitirten Aufsatz über die Reifung
der Eier bei Sommer- und Winterlaichfischen die nöthigen Angaben gemacht;
wir können dieselben bestätigen und weisen auf die Uebereinstimmung (dieser
Verhältnisse bei Teleostiern und Batrachiern hin. Doch nicht alle Thiere
gehen mit fertigem Vorrath von Geschlechtsstoffen in den Winter; so wird
man in Uebereinstimmung mit Semper (Beiträge zur Anatomie und Physio-
logie der Pulmonaten, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. VIII, pag.
340 sqq.) bei Limnaeus stagnalis während der Wintermonate reife Eier oder
Samenfäden in der Zwitterdrüse vergeblich suchen; Helix pomatia hat da-
gegen im Januar reife Geschlechtsstoffe schon ausgebildet.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thbierreich. 79
chen vielkörnig; es treten viele Keimflecke darin auf. Ein solches
Keimbläschen ist in Fig. 90 bei derselben Vergrösserung wie
Fig. 91 dargestellt, so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass der
Zustand des Keimbläschens mit vielen Keimflecken dem mit einem
Keimfleck nachfolgt, und dass die vielen kleinen Keimflecke durch
Abtrennung von dem primären relativ grossen entstehen. In Fig. 90
ist neben dem Keimbläschen noch ein kleiner Ring körniger Sub-
stanz dargestellt, der sich von dem mehr peripher gelegenen, aber
nicht gezeichneten hellen und klaren Dotter deutlich abhebt. Wach-
sen die Eier, so schreitet diese körnige Zone nach der Peripherie
des Eies zu, und im reifen Ei werden neben feinkörniger Grund-
substanz grosse glänzende Kugeln im Dotter angetroffen. Gegen
das Follikelepithel ist der Dotter des reifen und des der Reife
nahen Eies durch eine 4 u dieke Porenhaut abgegrenzt, die bei
jüngeren Eiern vermisst wird. Auf die Bildung des Dotters und
der Porenhaut einzugehen ist hier nieht der Ort; die Veränderun-
gen des Keimbläschens haben dagegen für die Entstehungsge-
schichte des Eies hohe Bedeutung. Wir kommen darauf weiter
unten zurück.
Neben den eben beschriebenen Eiern finden sich im Novem-
ber noch Schläuche oder Nester dicht unter dem Epithel der In-
nenfläche. Ein solches Ureiernest ist in Fig. 42 isolirt dargestellt;
die Kerne der bindegewebigen Hülle sind bei h sichtbar.
Gadus lota laicht im Januar, und es bleiben die kleineren
Eier für die nächste Brunst und die schon im November vorhan-
denen jüngsten Anlagen für die zweitfolgende Laichperiode im
Eierstock zurück. Bis zum März haben sich aus dem jungen Nach-
wuchs schon wiederum Eier entwickelt; es gelingt aber um diese
Zeit die Umwandlung noch zu beobachten. Für die Untersuchung
halte ich das kurze, wenige Minuten dauernde Einlegen des ganz
frischen Eierstockgewebes in 0,1°/, Ueberosmiumsäure sehr zweck-
mässig; es ist dann ziemlich leicht, von den Zotten der Innenseite
grössere flächenhafte Stücke mit Nadeln abzuzupfen und an gefal-
teten Stellen das Profil, im Uebrigen die Ansicht der Theile von oben
auf weite Strecken zu erhalten. Man durchmustert mit schwäche-
ren Vergrösserungen das Präparat und isolirt aus ihm geeignete
Parthien. Die Zellennester sind noch vorhanden und in binde-
gewebige Kapseln eingeschlossen; die Zahl der Zellen eines Nestes
hat sehr zugenommen, und bei hinreichend starker Vergrösserung
80 Moritz Nussbaum:
(Zeiss Immers. M, Oc. 1) sieht man in einigen Kernen, siehe
Fig. 74 oben, eine maulbeerförmige Theilung. Die Veränderungen
in den Zellen gehen nicht gleichmässig vor sich, wie wir das ja
auch schon von den Eierstöcken der erwachsenen Batrachier, ef.
Fig. 63, kennen gelernt haben. In weiter entwickelten Nestern
oder Schläuchen erkennt man, wie Fig. 75 zeigt, die auf eine
maulbeerförmige Kerntheilung folgende Gruppirung der Theile.
Unten in der Figur ist eine noch kleine Eizelle von recht grossen
Follikelepithelien umgeben; die Abschnürung von dem darüber ge-
legenen grösseren und von einer kleinzelligen Membrana granulosa
umgebenen Ei markirt sich eben.
Dürften wir unseren Beobachtungen eine Deutung geben, so
würden wir auf das in Fig. 41 dargestellte Stadium von der Ge-
schlechtsdrüse der Forelle zurückgehen. Hier sind die Abkömm-
linge der zuerst frei zwischen den Zellen des Peritoneums gelagerten
Geschlechtszellen allseitig von den Derivaten des gewucherten Peri-
tonealepithels umgeben. Die Construction des definitiven Eierstocks
dürfte nicht schwer fallen, wenn wir uns vorstellen, dass in dem
Bindegewebe zwischen den grossen Nestern Spalten entstehen, und
durch Weiterwuchern beider Elemente, des Bindegewebes und der
Zellen in den Nestern, der zottige, balkige Bau des Fischeierstocks
sich ausbildet. Es würden dann alle Eianlagen und alle reifen
Eier von Peritonealepithel umgeben sein, und das auf der inneren
Oberfläche des Eierstocks von Waldeyer als Keimepithel ange-
sprochene Zellenstratum diese Bezeichnung nicht verdienen, weil
es nicht von den Geschlechtszellen, sondern von dem Peritoneal-
epithel abstammt, dessen Bedeutungslosigkeit für die Bildung der
Geschleehtsproducte bei den Embryonen der Batrachier und der
Teleostier von uns nachgewiesen werden konnte und das als
solches auch von Waldeyer niemals mit dem Keimepithel iden-
tifieirt worden ist. Man hat in neuerer Zeit, und wir kommen auf
diesen Punkt im allgemeinen Theile noch näher zurück, die Aehn-
lichkeit des von Waldeyer entdeekten Keimepithels mit anderen
Belegzellen seröser Höhlen nachgewiesen; es ist jedoch unberechtigt,
aus dieser Aehnlichkeit dem Keimepithel seine specifische Be-
deutung absprechen zu wollen; ja, wir sind sogar der Ueberzeugung,
dass die Analoga der grossen Geschlechtszellen der Batrachier
(ef. Fig. 43) bei allen Wirbelthieren im Keimepithel als etwas Be-
sonderes vorkommen, sich aber nicht durch so auffallend embryonale
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 81
Eigenschaften vor den übrigen Zellen, mit denen sie in einfacher
Lage gemischt auf dem Stroma der Geschlechtsdrüsenanlage sich
finden, von vorn herein unterscheiden lassen als bei den Batrachiern.
Jedenfalls liegen in dem Keimepithel der Embryonen, d. h. dem
peritonealen Ueberzug des schon früh angelegten bindegewebigen
Stroma’s der Geschlechtsdrüsen höherer Wirbelthiere die Zellen,
von denen die Geschlechtsstoffe abstammen, da nur in diesem
Oberflächenepithel und an keiner anderen Körperstelle Ureier, und
aus diesen Ureiernester sich bilden. Auf der anderen Seite darf
nun aber auch nicht ohne Weiteres der zellige Belag an den freien
Flächen der Geschlechtsdrüsen, in specie des Eierstocks, zu allen
Zeiten als ein Keimlager aufgefasst werden. Für die Batrachier
ist dies vorher nachgewiesen worden, und wenn unsere Auffassung
von der Entwicklung des Teleostierovariums die richtige ist, so
würde beim erwachsenen Teleostier das innere Oberflächenepithel
dieselbe Bedeutung haben wie der platte Zellenbelag des Batra-
chiereierstocks; es würde aus Peritonealzellen, sogenannten Endo-
thelien, bestehen. Da nun die ersten Eier sicher von den Ge-
schlechtszellen abstammen, so wird man jene von uns beschriebenen
unter dem Epithel der Innenfläche des Ovariums gelegenen Zellen-
nester in erwachsenen Fischen auch für Abkömmlinge der ersten
Geschlechtszellen halten, und so in dem Bildungsmodus beim erwach-
senen Thier nur eine Wiederholung der vom Embryo her bekannten
Vorgänge wiederfinden.
Bei Reptilien (Laeerta agilis, Anguis fragilis) habe ich, sobald
die reifen Eier den Eierstock verlassen hatten, in Uebereinstimmung
mit Leydig unter dem cubischen Oberflächenepithel junge Ei-
schläuche gesehen. Die Bildung der definitiven Eizelle und ihres
Follikelepithels konnte bei der Kleinheit der Theile und dem
Untergang zahlreicher Anlagen nicht verfolgt werden. An den
kleinsten Eiern ist die Membrana granulosa einschichtig, aus kleinen
Zellen zusammengesetzt; Eier von 0,15 mm Durchmesser haben eine
mehrfache, im Umkreise des Eies nicht gleichdieke Lage kleiner
Follikelepithelien. Bei grösseren Eiern tritt der von Gegenbaur')
Waldeyer?), Eimer?) u. A. hervorgehobene Unterschied der
1) Gegenbaur: Müller’s Archiv 1861.
2) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 71.
3) Eimer: d. Archiv, Bd. VII.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Ba. 18. 6
82 Moritz Nussbaum:
Follikelepithelien ein, der bekanntlich mit dem Wachsthum des
Eies wieder verschwindet. Während nämlich das mittelgrosse Ei
eine mehrschiehtige aus kleinen und grossen Zellen (ef. Fig. 62)
zusammengesetzte Membrana granulosa zeigt, wird das Follikel-
epithel des reifen Eies wieder auf eine einfache Lage kleiner
Zellen redueirt. In kleinen Eiern (cf. Fig. 58) sieht man das Keim-
bläschen mit einem Keimfleck und in diesem zuweilen noch ein
stark glänzendes Körperchen; in den grösseren Eiern sind mehrere
Keimflecke im Keimbläschen vorhanden.
Wenn es uns nun auch nicht gelungen ist, den Entwicklungs-
vorgang der Eier in erwachsenen Reptilien ausführlich zu ver-
folgen, so ist doch der Nachweis junger Anlagen, Zellennester,
Eischläuche, unter dem Epithel der Eierstocksoberfläche nicht
ganz bedeutungslos. Wir wissen durch die Untersuchungen
Braun’s!), dass bei den Embryonen der Reptilien die Ureier im
Oberflächenepithel des Eierstocks gelegen sind und finden dem-
gemäss dasselbe Verhalten wie bei den Amphibien und Teleostiern
wieder: die vergrösserten Zellen des embryonalen Keimepithels
der Reptilien senken sich wie die Geschlechtszellen der Amphibien
in die Tiefe, theilen sich und bilden sich zum Theil sofort zu
Eiern aus; ein anderer Theil bleibt dicht unter dem Epithel der-
jenigen Oberfläche liegen, wohin die reifen Eier entleert werden,
und bildet nach jeder Brunst den Ausgangspunkt für die Neu-
bildung von Eiern im erwachsenen Thiere. Es ist demgemäss
nur im Embryo das Epithel des Eierstocks ein Keimepithel im
Sinne Waldeyer’s, insofern als, mit Peritonealepithelien gemischt,
Ureier auf dem Eierstockstroma sich finden, die sich allerdings
erst zu einer gewissen Zeit erkennen lassen. Nach der Theilung
und Einwanderung der Ureier in den bindegewebigen Theil des
Eierstocks gilt Leydig’s Behauptung, dass die Eier der Reptilien
nicht — oder wie es uns zu sagen gestattet sei, nicht mehr —
vom Epithel der Eierstocksoberfläche abstammen: es sind alsdann
die Ureier daraus verschwunden, und die Anlagen zu jungen Eiern
befinden sich unter dem Epithel der Oberfläche.
Dasselbe glaube ich für die Säugethiere vertreten zu können.
Es fanden sich unter dem cubischen Epithel der Eierstocksober-
1) Braun: Arbeiten aus dem zoolog.-zootom. Institut in Würzburg,
Bd. IV.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 83
fläche kleine oder grössere Zellennester in einer bindegewebigen
Hülle eingeschlossen; bei trächtigen Hündinnen, mit mächtig ent-
wickelten gelben Körpern in den Eierstöcken, waren diese Ei-
schläuche kleiner als bei Hündinnen mit zurückgebildeten Corpora
lutea und narbig zerklüfteten Ovarien. Die Lage des Oberflächen-
epithels zu den Eischläuchen ist weniger gut an Längsschnitten
als an feinen Flachschnitten zu studiren, weil gerade über den
Schläuchen das Eierstocksepithel gewöhnlich sehr abgeflacht ist,
und man also Verhältnisse vor sich hat, wie sie von den soge-
nannten Endothelien her bekannt sind, die auf feinen Längsschnitten
auch wohl nur schwerlich gesehen werden können. Recht gut kann
man die Beziehungen des Oberflächenepithels zu den jungen Schläu-
chen, in denen es noch nicht zur Bildung von Eiern gekommen
ist, studiren, wenn man den Eierstock einer Hündin für einen Tag
in 0,1°/, Osmiumsäure einlegt und mit einem Scalpell breite Fetzen
des Epithels abhebt. Es zeigen sich alsdann eine continuirliche
einschichtige Mosaik polygonaler Zellen und dicht unter der Ober-
fläche an zahlreichen Stellen runde Lücken. Fig. 72 stellt ein
solches Präparat, von der Unterfläche gesehen, aus dem Ovarium
eines drei Monate alten Hundes dar; man erkennt die regelmässige
Mosaik des Epithels und dicht gestellte Vertiefungen, aus denen
die im Eierstockstroma haftenden jungen Eischläuche herausge-
rissen sind. Die flachen Grübchen auf der Unterfläche des Epithels
(ef. x in Fig. 72) sind durch abgeplattete Zellen gegen die Ober-
fläche geschlossen. Bei g ist eine Zelle auf der Unterfläche des
Epithels erhalten, deren Kern in maulbeerförmiger Theilung be-
griffen ist. Wachsen also die für die Regeneration bestimmten
Zellen durch Theilung zu Schläuchen aus, so dringen sie nicht
allein in die Tiefe vor, sondern flachen auch, bevor sie von dem
wuchernden Bindegewebe gänzlich in das Innere des Eierstocks
verlagert werden, das ihnen direct aufliegende Epithel ab.
Die verschiedene Grösse der Schläuche zu verschiedenen
Zeiten des Jahres und das Vorkommen von Uebergangsstadien zu
ächten kleinen Eiern erhebt also die von Pflüger behauptete
periodische Neubildung von Eiern bei den Säugethieren über allen
Zweifel. Ebenso ist aber auch der von Waldeyer (pag. 45, Eier-
stoek und Ei) gegebenen Auseinandersetzung die Berechtigung
nicht abzusprechen: weil in der That die Neubildung der Eier im
erwachsenen Thiere nicht den ganzen Cyelus wie im Embryo
84 Moritz Nussbaum:
durchläuft. Dies geschieht aber auch nicht im Hoden, wo ja
ebenfalls, wie wir vorher angenommen, von der ersten Entwicklung
her Zellen inert in den Schläuchen liegen bleiben, und, sobald sie
die Umwandlung zu Samenfäden erleiden sollen, die Weiterent-
wicklung von dem Stadium beginnen, worin sie bei der ersten
Entstehung gleichsam erstarrt waren; während ihre Schwesterzellen
schon gleich die ganze weitere Entwicklung zu fertigen Geschlechts-
producten durchlaufen hatten.
Es erübrigt zum Schlusse, noch einige Bemerkungen über die
Bedeutung des Follikelepithels beizubringen. Semper namentlich
stellt an vielen Stellen seiner Arbeit über das Urogenitalsystem
der Plagiostomen den Satz auf, dass die Follikelepithelzellen die
Fähigkeit haben, sich zu verändern und die Zahl der Follikel zu
vermehren. Wir finden hier also dieselbe Ansicht wieder, die von
la Valette St. George für die Regeneration im Hoden wider-
legt hatte. Aber auch für den Eierstock sind schon lange gute
Gründe beigebracht, dass dem Follikelepithel keine Bedeutung für
die Neubildung von Eiern zukomme. Die Semper’sche !) Beob-
achtung von dem Vorkommen polyedrischer oder runder Zellen
von sehr verschieden grossem Durchmesser zwischen den langen,
eylindrischen Zellen des Eifollikelepithels bei Raja elavata ist von
Balfour’?) richtig gedeutet worden; es kommt diesen vergrösserten
Epithelien kein anderer Werth zu, als den vergrösserten Granulo-
sazellen beim Eie der Reptilien ?); sie liefern Nährmaterial dem
Eie und werden bei der Bildung des Dotters aufgebraucht. Wenn
es erlaubt ist eine Ansicht über diesen Punkt vorzubringen, so
scheint die Aehnlichkeit der vergrösserten Granulosazellen mit
den Zellen des Corpus luteum darauf hinzudeuten, dass in den
Follikelepithelien solche chemische Processe vorgehen, welche die
Aufsaugung des in ihnen deponirten Materials erleichtern; vielleicht
dürfte an eine fettige Degeneration gedacht werden, wie sie sehr
schön an den gelben Körpern des Eidechseneierstocks gradatim
zu demonstriren ist. Die glänzenden gelblichen Körnchen der ver-
1) Semper: Das Urogenitalsystem der Plagiostomen etc. pag. 361.
2) Balfour: Quaterly journal of microscop. science; vol. 18. — new
ser. pag. 408.
3) Eimer: d. Arch. Bd. VIII und Braun: Arbeiten aus dem zoolog.-
zootom. Institut in Würzburg, Bd. IV.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 85
grösserten Follikelepithelien des Corpus luteum fliessen allmälig
zu grösseren Kugeln zusammen, worauf dann die Resorption erfolgt,
und das Corpus luteum vernarbt. Für die Dotterbildung verlegen
wir mit Gegenbaur!) den Schwerpunkt in die Eizelle selbst, die
das von den Follikelzellen zugeführte Material in sich verarbeitet;
wir nehmen mit Pflüger’) eine Betheiligung des Follikelepithels
an der Bildung der Zona radiata an und finden die wesentlichste
Bedeutung der Membrana granulosa darin, dass sie „als Spreng-
organ des Eierstocks zu dienen hat, welches dem Ei den Weg an
die Oberfläche bahnen muss ?).“
V.
Von der Bedeutung der Hodenzwischensubstanz.
Seit Leydig hat ein constanter Bestandtheil des Hodens der
Säugethiere, Vögel und Reptilien die Aufmerksamkeit vieler Be-
obachter erregt und mannigfache Deutung erfahren. Im Allgemei-
nen wurde die sogenannte Leydig’sche Zwischensubstanz zum
Bindegewebe gerechnet. Waldeyer hat sie mit ähnlichen Zellen
anderer Organe in das gut umgrenzte, neue Gebiet der „Plasma-
zellen“ eingereiht und darin wohl allgemeine Zustimmung er-
fahren.
Mit der Niederschrift dieser Arbeit beschäftigt finde ich in
dem eben erschienenen vierten Hefte des 15. Jahrganges des Jour-
nal de l’anatomie et de la physiologie par Ch. Robin et G. Pou-
chet einen Aufsatz des Herrn Tourneux, worin zum ersten Male
gewisse „Plasma“-Zellen des Ovariums mit den Zwischensubstanz-
zellen des Hodens verglichen werden. Dies würde nun für un-
sere Zwecke vou nebensächlicher Bedeutung sein, da ja bekann-
termassen in vielen Organen derartige Bildungen nachgewiesen
sind. Doch hoffe ich zeigen zu können, dass die Zwischensub-
stanz des Hodens ein Gebilde eigener Art ist. Sie findet aller-
dings ihr Homologon im Eierstock; ist aber mit diesem zugleich
von den Plasmazellen durchaus verschieden.
l) Gegenbaur: Müller’s Archiv 1861.
2) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen;
pag. 81.
3) Pfüger: eod. loc. pag. 41.
86 Moritz Nussbaum:
Herr F. Tourneux leitet seinen Aufsatz mit einer histori-
schen Darstellung ein, worin er Kölliker die Entdeckung der
Zwischensubstanz des Hodens zuschreibt. Es hat aber schon Mes-
sing diesen Irrthum berichtigt; trotzdem wird Messing’s Arbeit
in dem ziemlich umfangreichen Literaturverzeichniss bei Tour-
neux aufgeführt. Vor Kölliker hatte nämlich Leydig im
Jahre 1850 (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. II p. 47)
die sogenannte Zwischensubstanz des Säugethierhodens beschrieben
und mit folgenden Worten charakterisirt: „— die, wenn sie nur
in geringer Menge vorhanden ist, dem Laufe der Blutgefässe folgt;
die Samenkanälchen allenthalben einbettet, wenn sie an Masse sehr
zugenommen hat.“ Leydig beschrieb somit als der Erste die
Zwischensubstanz des Hodens. Seine ersten Angaben mögen aber,
nachdem er sie in seinem Lehrbuch der Histologie (1857) wiederholt
und erweitert hatte, in Vergessenheit gerathen sein. Kölliker’s
Mikroskopische Anatomie stammt aus dem Jahre 1854; so mag es
kommen, dass man die in jenem so verbreiteten Lehrbuch gege-
benen Notizen für die ersten Nachrichten über die fragliche Bil-
dung gehalten hat.
Geht man in der nun folgenden Literatur auf die Quellen
der verschiedenen Meinungen über das Wesen der Zwischensubstanz
zurück, so findet sich die eine in der Arbeit Boll’s vom Jahre
1869, Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der acinösen Drü-
sen, wo zum ersten Male die Zwischensubstanz des Hodens zum
Gefässsystem in nähere Beziehung gebracht wurde. Boll be-
schreibt vom Hoden des Igels und des Kaninchens accessorische
Zellen an den Uebergansszellen der Capillaren in Arterien und
Venen: „Sehr merkwürdig“, sagt er p. 20, „war bei beiden Thie-
ren die Structur der Blutcapillaren, die eine deutliche Zusammen-
setzung aus ziemlich starken, deutlich begrenzten, polygonalen
granulirten Zellen zeigten, so dass ich erst daran dachte, feine
Schläuche eines ächten Epithels vor mir zu haben, bis ich durch
die Anwesenheit von Blutkörperchen innerhalb derselben eines
Besseren belehrt wurde.“
Waldeyer fasst in seiner Arbeit: Die Entwicklung der Car-
einome (Virchow’s Archiv Bd. 55 p. 132) die Hodenzwischensubstanz
als einen Zellenbesatz namentlich der kleinen Arterien des Ho-
dens, als sogenannte Perithelien, auf. Mihalkowies (Beiträge
zur Anatomie und Histologie dse Hodens, Berichte der König].
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 87
Sächs. Ges. der Wissenschaften 18753) lässt die Lymphbahnen
zwischen den Zwischensubstanzzellen entstehen und von diesem
primären Lückensystem aus sich in die grösseren mit Endothel
bekleideten Lymphgefässe fortsetzen.
Nach diesen Autoren gehört also die Zwischensubstanz des
Hodens zum Bindegewebe, wofür sich auch, mehr allgemein gefasst,
Leydig, Kölliker und v. Ebner (v. Ebner: Untersuchungen
über den Bau der Samenkanälchen u. s. w. in den: Untersuchungen
aus dem Institut für Physiologie und Histologie in Graz 2. Heft
p- 200. 1871) ausgesprochen hatten. Waldeyer rangirte dann,
wie schon erwähnt, die Zwischensubstanz des Hodens unter die
Plasmazellen ein (Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 11).
Eine andere Reihe von Autoren rechnet die Zwischensub-
stanz des Hodens zum Nervengewebe. Nachdem Henle in seiner
Eingeweidelehre sehr zurückhaltend auf die Aehnlichkeit der Zel-
len mit Ganglienzellen hingewiesen hatte, glaubte später Letze-
rich und Harvey ganz bestimmt nervöse Apparate in der Zwi-
schensubstanz des Hodens zu erkennen.
Am ausführlichsten hat F. Hofmeister in den Wiener Sit-
zungs-Berichten vom Jahre 1872, p.77 sqq. über unseren Gegenstand
geschrieben. Hofmeister ist geneigt, die Zwischensubstanz des
Hodens als Epithelialgebilde aufzufassen; sagt aber, dass eine
eingehendere Deutung erst dann möglich sein wird, wenn eines-
theils die Entwicklung des Hodens von seinen ersten Anlagen an
bekannt, andrentheils auch das Bindegewebsgerüste desselben ge-
nauer studirt sein wird. Die Beziehung zu den Gefässen inter-
pretirt Hofmeister richtig dahin, dass diese in den Spalträumen
zwischen den Samenkanälchen verlaufen und demgemäss mit der
Zwischensubstanz streckenweise zusammentreffen müssen. _
Eine ähnlich umfassende Arbeit hat W. Messing in seiner
Inaugural-Dissertation (Anatomische Untersuchungen über die Te-
stikel der Säugethiere Dorpat 1877) geliefert. Auch Messing,
vielleicht mehr geneigt, die Zwischensubstanz des Hodens zum
Bindegewebe zu rechnen, erwartet eine definitive Entscheidung von
Seiten der Entwicklungsgeschichte.
Nun haben beide Autoren schon gewichtige Beiträge nach
dieser Richtung geliefert. Hofmeister gibt an, dass die Zwi-
schensubstanz bei viermonatliehen Embryonen am mächtigsten ent-
wickelt sei, fast zwei Drittel des Hodens ausmache; während der
88 Moritz Nussbaum:
Entwicklungsperiode einen Stillstand erleide, um dann wieder
von Neuem zu wuchern. Ich kann die Angaben Hofmeister’s
durchaus bestätigen. Messing beschreibt ausführlicher die mächtig
entwickelte Zwischensubstanz des Pferdes und berichtet über
Embryonen dieses Thieres p. 69: „Bei dem kleineren Embryo be-
stand, ich möchte fast sagen, der ganze Hoden aus dieser Zwi-
schensubstanz; die noch wenig entwickelten Hodenkanälehen waren
nur spärlich in dieselbe eingestreut.“
Was ferner für die Frage nach der Natur der Hodenzwi-
schensubstanz nicht ohne Bedeutung scheint, ist die Beobachtung
Ehrlich’s (Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XIII, p. 263),
dass neben den Zellen der Corpora lutea auch die Zellen der
Zwischensubstanz des Hodens nicht jene charakteristische Anilin-
färbung erleiden, wie sie bei der Mehrzahl der Plasmazellen
auftritt.
Von meinen eignen Untersuchungen, welche sich über eine
grosse Zahl von Säugethieren, Vögeln und Reptilien erstrecken,
habe ich im Detail nur Weniges anzuführen, da ich hier nur die
Angaben meiner Vorgänger zu bestätigen hätte. Ich verweise mit
Bezug hierauf auf die überaus sorgfältige Arbeit Hofmeister's
und erwähne nur Folgendes. Die Hodenzwischensubstanz ist, wie
Leydig zuerst für Säugethiere und Reptilien, Mihalkovies für
die Vögel nachgewiesen, constant vorhanden. Die Zwischensubstanz
folgt dem Laufe der Blutgefässe, bildet aber keine eigentlichen
Scheiden um dieselben, wie Boll zuerst angegeben hatte. Sie ist
in Strängen oder Kugeln angeordnet. Die Zahl der in den ein-
zelnen Strängen oder Kugeln gruppirten Zellen schwankt bedeu-
tend; oft liegen viele, oft nur wenige Zellen zusammen; selten ist
eine einzige Zelle, von Bindegewebe eingehüllt, isolirt anzutreffen.
Mihalkovics erkannte an der Aussenfläche grösserer Stränge
Endothelien. Wenn man nicht zu dünne Schnitte von Hoden, die
in Müller’scher Flüssigkeit erhärtet wurden, zerzupft, kann man
namentlich bei jüngeren Thieren eine continuirliche Haut um die
einzelnen Gruppen von Zwischensubstanzzellen nachweisen, so dass
man eher von Schläuchen, wie sie vom Eierstock bekannt sind,
reden könnte. Die Ueberosmiumsäure schwärzt die in den Zellen
der Zwischensubstanz enthaltenen Körnchen und macht die Zell-
grenzen deutlich; doch gelingt es nur schwer, bei dieser Behand-
lung Kerne der Umhüllungsmembran nachzuweisen. Wir finden
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 89
ein ähnliches Verhalten bei den Hodenfollikeln von von la Va-
lette St. George angegeben '); auch hier treten die Kerne der
Hülle — die Follikelkerne — bei der Behandlung mit Osmiumsäure
nicht deutlich hervor. In Fig. 80 Taf. IV ist ein Schlauch der
Hodenzwischensubstanz aus einem in Ueberosmiumsäure gehärteteu
Hoden eines dreimonatlichen Hundes dargestellt. Durch Herrn
von la Valette St. George wurde ich auf ein Object aufmerk-
sam gemacht, was Beides, die Kapselmembran und die Unabhän-
gigkeit der Zwischensubstanz von den Blutgefässen, in exquisite-
ster Weise demonstrirt. Es ist dies der Hoden von Seiurus vul-
garis, dem Eichhörnchen. Die beigefügte Zeichnung verdanke
ich ebenfalls der Güte des Herrn von la Valette St. George.
Das Präparat stammt von einem in Alcohol gehärteten Hoden, den
ich nachzuuntersuchen die Gelegenheit hatte. Ein anderes, in
ÖOsmiumsäure gehärtetes Präparat, zeigte zwar die Grenzen der
einzelnen Zellen distineter, doch nicht so evident die Kerne der
umhüllenden Membran, wie sie hier bei h dargestellt sind. Die
Lücken bei x sind durchsehnittene und nur in den Umrissen wie-
dergegebene Hodenkanäle.. Auch beim Eichhörnchen ziehen na-
turgemäss die Blutgefässe durch die Zwischensubstanz hindurch.
Die Abgrenzung der Zwischensubstanz in grössere und kleinere
mit eigner Membran versehene Kugeln weist jedoch sofort jede
intimere Beziehung zu den Blutgefässen zurück, die bei langge-
streekter Anordnung der Zwischensubstanz, wie sie sich vornehm-
lich beim Kaninchen findet, wohl vermuthet werden könnte. Aber
auch selbst dann kann man durch geeignete Methoden die Unab-
hängigkeit der Zwischensubstanz von den Blutgefässen nachwei-
sen. Man erreicht dies dadurch am einfachsten, dass man kleine
Keile aus der in Müller’scher Flüssigkeit oder 0,1% Osmium-
säure conservirten Hodensubstanz ausschneidet und vorsichtig die
Hodenkanäle mit Nadeln herauszerrt. Die Blutgefässe, und das
gilt von kleinen Arterien, Venen und Capillaren, liegen dann von
spärlichem Bindegewebe umhüllt frei zu Tage; daneben, aber in
durchaus eigenthümlicher Anordnung und nur auf kurze Strecken
dem Laufe der Blutgefässe sich anschliessend, die Zwischensub-
stanz. Dabei überzeugt man sich leicht von der Integrität sowohl
1) Archiv für mikroskop. Anatomie, Bd. XII pag. 801 (Tafel XXXIV,
Fig. 2 und 3).
90 Moritz Nussbaum:
der Blutgefässe als der Zwischensubstanz; die Arterien und Venen
haben ihre Adventitia und die Zellstränge ihre formgebende Hülle.
Um noch einen nebensächlichen Punkt kurz zu berühren, so
will ich hinzufügen, dass die Pigmentirung der Zwischensubstanz,
soviel ich aus eigener Erfahrung und durch den Vergleich der
Angaben verschiedener Autoren weiss, in einigen Species nur in-
dividuell bei Erwachsenen auftritt.
Wenn wir uns nun nach ähnlichen Bildungen im Eierstock
umsehen, so möchte ich zuvor an die Metamorphose erinnern,
welche bekanntermassen die Granulosazellen bei der Bildung des
Corpus luteum durchmachen. Es hat zwar nicht an Beobachtern
gefehlt, welche der Membrana granulosa jede Betheiligung am Zu-
standekommen eines gelben Körpers abgesprochen haben. Hier
wäre in erster Linie His (Beobachtungen über den Bau des Säuge-
thiereierstocks, Arch. f. mikroskopische Anatomie, Bd. I, pag. 151)
zu nennen. Doch hat in neuester Zeit G. R. Wagener (Bemer-
kungen über den Eierstock und den gelben Körper; Archiv für
Anatomie u. Entwicklungsgeschichte, Jahrg. 1879 pag. 175) über-
zeugend dargethan, dass bei der Bildung des Corpus luteum so-
wohl die Follikelhaut als die Membrana granulosa betheiligt seien.
Die Ansicht Bischoff’s!), Schrön’s?), Pflüger’s°) und Lusch-
ka’st), der sich auch Waldeyer?°) angeschlossen hatte, ist somit
von Neuem bestätigt worden. Wie von Baer zu dieser Divergenz
der Meinungen steht, habe ich nicht in Erfahrung bringen können,
da mir seine Werke nicht zugänglich waren, und sowohl His als
Wagener ihn als Gewährsmann für ihre Ansicht eitiren. Nach
Wagener (l. c. pag. 183) vergrössern sich die Granulosazellen
und nehmen Körnchen in ihren Leib auf. Von der Follikelhaut
her wandern Gefässe, von Riesenzellen begleitet, ein und liefern
den zweiten, bindegewebigen, Bestandtheil des Corpus luteum. Die
1) Bischoff: Entwicklungsgeschichte der Säugethiere und des Men-
schen, pag. 33.
2) Schrön: Beitrag zur Kenntniss der Anatomie und Physiologie des
Eierstocks der Säugethiere. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd.
XII, pag. 422.
3) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen,
pag. 9.
4) Luschka: Die Anatomie des menschlichen Beckens, pag. 331.
5) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 9.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 91
eigenthümliche Umwandlung der Granulosazellen zu grossen körner-
reichen Zellen wurde von Wagener gradatim verfolgt und ist
auch unter andern Bedingungen bei Reptilien schon früher beob-
achtet worden. Ich erinnere an die Untersuchungen Gegen-
baur's!), Waldeyer’s?) und Eimer’s°®) über die Eientwicklung
bei Reptilien. Die jüngsten fertigen Follikel, von denen sich ein
Exemplar aus dem Eierstock einer am 29. Juli untersuchten La-
certa agilis in Fig. 58 dargestellt findet, haben ein einschichtiges
helles Follikelepithel. In Eiern von 0,15 mm Durchmesser findet
eine Vermehrung der Granulosazellen statt; das Follikelepithel
wird mehrschichtig, aber noch sind alle Zellen gleich und von
blassem Aussehen. Bei grösseren Eiern finden sich nun, wie dies
schon Gegenbaur angegeben, zwei Arten von Zellen in der Mem-
brana granulosa, von denen die grösseren mit zahlreichen Körn-
chen erfüllt sind. Zwischen den grösseren Zellen sind kleinere ge-
lagert, die aussen nach der bindegewebigen Follikelwand zu ein
continuirliches Lager bilden, im Inneren der Membrana granulosa
dagegen die grossen granulirten Zellen allseitig umgeben. Die
Körnchen in den Zellen sind namentlich frisch und nach kurzer
Behandlung mit dünnen Lösungen von Ueberosmiumsäure (5 Minu-
ten in 0,1%, Osmiumsäure) deutlich zu sehen. Im absoluten Alco-
hol tritt die Granulation der grossen Zellen weniger hervor; um
so klarer aber der Unterschied zwischen den grossen und kleinen
Follikelepithelzellen. Nach einem in Alcohol erhärteten Schnitt
ist Fig. 62 gezeichnet: D ist der Dotter, Z die hier noch homogen
erscheinende Zona pellucida, F eine Lage des Follikelepithels. Es
unterliegt hier keinem Zweifel, dass die vorher homogenen Folli-
kelzellen sich in jene granulirten grossen Zellen umgewandelt
haben.
Vom Corpus luteum der Lacerta agilis gibt Leydig (Arten
der Saurier pag. 133) an, dass es von einer fettigen Metamorphose
des Follikelepithels herrühre. Es ist aber, wie Waldeyer (Eier-
1) Gegenbaur: Ueber den Bau und die Entwicklung der Wirbelthier-
eier. Archiv für Anatomie und Physiologie, 1861, pag. 523.
2) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 71.
3) Eimer: Untersuchungen über die Eier der Reptilien, Archiv für
mikroskopische Anatomie, Bd. VIII. Man vergleiche namentlich Fig. 20 der
Tafel XI.
92 Moritz Nussbaum:
stock und Ei, pag. 71) mitgetheilt hat, bei älteren der Reife nahen
Follikeln zwischen Dotterhaut und bindegewebiger Follikelwand
nur eine einschichtige Lage kleiner abgeplatteter Zellen übrig ge-
blieben, indem die übrigen höchstwahrscheinlich als Bildungs-
material für den Eidotter aufgebraucht wurden. Die Metamorphose
der restirenden Zellen des Follikelepithels zu den körnigen gros-
sen Zellen des Corpus luteum, auf dessen Innenfläche, wie ich
wenigstens für die erste Zeit seines Bestehens bestimmt versichern
kann, keine bindegewebigen Bestandtheile sich finden, geht also
in analoger Weise wieder vor sich, wie sie früher während der
Reifung des Eies sich schon vollzogen hatte. Nachdem das Ei den
Follikel verlassen, vergrössern sich die im Innern des Follikels
zurückgebliebenen Granulosazellen und bilden die Zellen des Cor-
pus luteum. Die grossen granulirten Zellen der das Echsenei um-
hüllenden Membrana granulosa und die Zellen des jungen Corpus
luteum haben die grösste Aehnlichkeit mit den Zwischensubstanz-
zellen des Echsenhodens.
Ist nun für die Zellen der Membrana granulosa nachgewie-
sen, dass sie in die den Zellen der Hodenzwischensubstanz sehr
ähnlichen Zellen des Corpus luteum übergehen, so wird man wohl
daran denken dürfen, dass unter Umständen eine bei normalen
Bedingungen zu einem Ei oder einer Spermatogonie heranwach-
sende Zelle in eine den Zellen der Corpora lutea oder der Hoden-
zwischensubstanz ähnliche Form sich umgebildet habe. Es stam-
men nämlich Ei und Follikelzelle aus derselben Quelle; mag man
nun an den für Vögel und Säugethiere von Waldeyer angegebe-
nen Modus der Eibildung denken, oder an den zweiten, wie ich
ihn für die Amphibien vorhin geschildert habe.
Dazu kommt Folgendes: Die Hodenzwischensubstanz und die
homologen Bildungen im Eierstock finden sich nachweislich nur
bei den Thierclassen, wo die wirklich reifenden weiblichen Keime
zu den angelegten in einem grellen Missverhältnisse stehen. Es ist
nämlich die Anlage dieser Keime bei einem Säugethier, einem
Vogel oder einem Reptil, sowohl im Embryo als bei jeder Brunst-
periode mindestens ebenso gross, als bei einem Amphibium oder
einem Fische, und doch ist die Fruchtbarkeit der Letzteren eine
ganz enorme im Vergleich mit den höheren Thieren. Es muss so-
mit, wie dies auch allgemein anerkannt wird, bei den höchst or-
ganisirten Thieren die grösste Zahl der Keime zu Grunde gehen.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 93
Indem wir nun noch hypothetisch annehmen, dass der functionelle
Theil auch des Hodens der Säuger und Vögel (für Reptilien ist es
ja bereits von Braun nachgewiesen worden) wie die Pflüger’schen
Eischläuche dieser Thierelassen vom Keimepithel abstamme, aber
einer nur einmaligen Abschnürung von der Oberfläche her seinen
Ursprung verdanke, während beim Eierstock periodische Neubil-
dung von der Oberfläche stattfindet, behaupten wir, die Hoden-
zwischensubstanz und die homologe Substanz im Eierstock besteht
aus Pflüger’schen Schläuchen, die auf einem niedrigen Entwick-
lungsgrade stehen geblieben sind, und sich entweder zu functionel-
len Hodenschläuchen oder zu Eiern hätten ausbilden können. Was
an Beweisen dafür vorgebracht werden kann, ist Folgendes.
Wie Pflüger angegeben, und wie sich leicht bestätigen lässt,
findet während des ganzen zeugungsfähigen Alters der Säuger
periodisch eine Neubildung von Eischläuchen von der Oberfläche
des Ovariums her statt. Und jedesmal zeigen sich alsdann in der
Zone, wo sich aus den neugebildeten Schläuchen schon kleine
. Follikel abgeschnürt haben, schlauchförmige Bildungen ganz mit
jenen grossen granulirten Zellen angefüllt, wie wir sie von der
Zwischensubstanz des Hodens beschrieben haben. Dass nun jene
Schläuche abortive Eischläuche sind, glaube ich aus folgendem Befunde
mit grosser Gewissheit darthun zu können. Von den Eierstöcken
zweier drei Monate alten Hündinnen wies der eine unter der Zone
der Eischläuche dicht gedrängt stehende, isolirte Eifollikel auf.
Die abortiven Eischläuche waren nicht sehr zahlreich eingesprengt.
In dem anderen Eierstock fanden sich unterhalb der Eischläuche
nur sehr selten fertige Follikel; dagegen starrte die Zone, welche
im anderen Eierstock durch die fertig gebildeten kleinen Eier
eingenommen wurde, von jenen abortiven Bildungen. Ueber Form
und Lage dieser Substanz orientirt man sich am besten an Eier-
stöcken, die in Ueberosmiumsäure gehärtet wurden. Die jungen
Eier und die unfertigen Schläuche sind alsdann schwach braun
gefärbt und homogen; die Zellen der abortiven Schläuche dagegen
strotzend von tief schwarz gefärbten eingelagerten Körnchen. Der
Zellenkern ist stark glänzend, hat ein grosses Kernkörperchen:
alles Eigenschaften, wie sie den Zellen der Zwischensubstanz und
den umgewandelten Granulosazellen zukommen. Zum Vergleich
mit der Hodenzwischensubstanz diene Figur 81, aus einem Schnitt
des in Osmiumsäure gehärteten Ovariums eines dreimonatlichen
94 Moritz Nussbaum:
Hundes. Die abgebildeten Schläuche liegen in der Zone der fer-
tigen Follikel und unterscheiden sich von den höher gelegenen
jüngeren schlauchförmigen Bildungen in der angegebenen Weise.
Sie kommen bei neugebornen Hündinnen noch nicht vor. Bei der
grossen Gesetzmässigkeit, in der wir seit Pflüger die von der
Oberfläche gegen das Centrum zu fortschreitende Entwicklung
der Eier kennen gelernt haben, sind wir berechtigt, die bespro-
chenen Sehäuche für abortiv zu erklären; da sie sich in der Zone
fertiger Follikel finden und diese Zone bei weiter gehender Ent-
wicklung ausserdem nicht reicher sondern ärmer an reifenden
Eiern wird. Es gehen auch von den fertig gebildeten Follikeln
noch eine grosse Zahl zu Grunde Wagener hat in seiner
Arbeit: Bemerkungen über den Eierstock und den gelben Körper
l. ec. Tafel VIII, eine Reihe interessanter Rückbildungen von Eiern
abgebildet. Am meisten beachtenswerth ist Fig. 19A, indem sich
hier die äusseren Granulosazellen schon ganz den Luteinzellen und
den Zellen in den abortiven Eischläuchen analog umgewandelt
haben. Auch die von His zuerst genauer studirten Kornzellen
der Follikelmembran möchte ich hierher rechnen. Der von His
gegebenen Beschreibung habe ich kaum etwas hinzuzufügen. Die
Zellen stimmen in Form und Verhalten gegen Reagentien durch-
aus mit der Hodenzwischensubstanz und dem Inhalt der abortiven
Eischläuche überein. Es ist von His schon hervorgehoben worden,
dass die Kornzellen in der Wand des reifenden Follikels immer
zahlreicher werden. Wenn man bedenkt, dass der reifende Follikel
durch seine zunehmende Grösse immer mit neuen abortiven Ei-
schläuchen in Berührung kommen wird, so hat dies Faetum nichts
Auffallendes. Recht instructiv sind die von His gegebenen Figuren
4 und 5 der 10. Tafel zum 1. Bd. des Archivs für mikroskopische
Anatomie.
Geeignete Objecte haben uns nun ferner gezeigt, dass die
schlauch- oder kugelförmigen Bildungen der Zwischensubstanz im
Hoden und Eierstock von den Plasmazellen absolut verschieden
sind, da beide Formen nebeneinander vorkommen können.
Die frappante Eigenthümlichkeit der Plasmazellen, in ihren
Leib bei gewisser von Ehrlich vorgeschriebener Behandlung den
Dahliafarbstoff aufzunehmen, (Archiv für mikroskopische Anatomie,
Bd. XIII) während die Kerne dieser Zellen und das übrige Ge-
webe ungefärbt bleiben, bestimmte mich, diese Reaction von Neuem
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 95
an einer grossen Zahl von Objecten zu prüfen. Ich kann nun,
wie Ehrlich bereits angegeben, durchaus bestätigen, dass die Zel-
len der Hodenzwischensubstanz und die Luteinzellen die Reaction
nicht zeigen. Es bleiben auch die abortiven Schläuche und die
Kornzellen des Eierstocks ungefärbt. Daneben finden sich aber
im Hoden und im Eierstock von Hunden — ich habe dreimonat-
liche und achtmonatliche Thiere untersucht — ächte Plasmazellen
von derselben Anordnung und demselben Verhalten gegen Dahlia
wie sie Ehrlich aus anderen Organen beschrieben, und wo sie
mit Leichtigkeit nachgewiesen werden können. Die Plasmazellen
sind spärlich, und liegen von einander durch grosse Zwischenräume
getrennt in Curvenzügen, die sich wohl dem Laufe der Blutgefässe
anschliessen mögen; sie sind meist spindelförmig im Hoden und
Eierstock und heben sich durch ihren tiefblau gefärbten Zellenleib,
in dem der ungefärbte Kern eine wie mit dem Locheisen ausge-
stemmte Lücke bei schwächerer Vergrösserung vortäuscht, von
dem ganzen übrigen, ungefärbten Gewebe scharf und bestimmt ab.
Ich glaube keine Zeichnung beigeben zu müssen, um dies Verhalten
zu illustriren. Die Präparate sind ohne Mühe herzustellen, und man
wird sich leicht von dem Gesagten überzeugen können. Ein gutes
Präparat wird sofort die Heterogenität der ächten Plasmazellen und
der Hoden- und Eierstockzwischensubstanz demonstriren. Am auf-
fälligsten wird der Unterschied, wenn man ein Stück der zu unter-
suchenden männlichen oder weiblichen Keimdrüse in Osmiumsäure
härtet; ein anderes nach Erhärtung in Alcohol mit Dahlia färbt.
Auf feinen Schnitten des Osmiumsäurepräparats kann man sich so-
fort über Lage und Form der Zwischensubstanz orientiren; die
Plasmazellen treten nicht hervor. Feine Schnitte des in Alcohol
gehärteten und in Dahlia gefärbten Präparates zeigen auffällig und
klar die Vertheilung und Gestaltung der Plasmazellen. Man sieht
auf den ersten Blick, dass beide Bildungen Nichts mit einander
gemein haben.
In Eierstöcken erwachsener Schweine habe ich Plasmazellen
vermisst; abortive Eischläuche und His’sche Kornzellen lassen sich
an Osmiumsäurepräparaten leicht nachweisen; ich muss deshalb
die Geschlechtsdrüsen junger Hunde zur Nachuntersuchung em-
pfehlen.
Bei der grossen Uebereinstimmung der von Hoden und Eier-
stock bis jetzt behandelten Gebilde — der Hodenzwischensubstanz
96 Moritz Nussbaum:
einerseits und der abortiven Eischläuche andrerseits — wird es
wohl erlaubt sein, beide für identisch und wie dies näher ausge-
führt wurde, von den Plasmazellen verschieden zu erklären. Die
abortiven Eischläuche stammen vom Keimepithel; wir vermuthen,
dass die Hodenzwischensubstanz bei Vögeln und Säugethieren aus
derselben Quelle sich ableite. Bestimmter kann dies schon nach
Braun’s Beobachtungen für die Hodenzwischensubstanz der Rep-
tilien geschehen. Es findet sich bei Braun die Angabe, dass
man in frühen Stadien eine Menge Ureier im Stroma des Hodens
finde. Von diesen Ureiern, die wie beim Ovarium vom Keimepi-
thel abgeleitet werden, wird weiter ausgesagt, dass sie in die Ho-
denkanälchen, die Abkömmlinge des Wolff’schen Körpers, ein-
wandern oder vielleicht zum Theil zu Grunde gehen. Der auf
p. 159 der oben eitirten Arbeit Braun’s gegebenen Formulirung::
„Ueber die Herkunft der eigenthümlichen gelben Zellen zwischen
den Hodenkanälchen der Eidechsen, auf welche Wagner, Ley-
dig u. A. aufmerksam gemacht haben, und die sich leicht in jedem
Zerzupfungspräparat nachweisen lassen, konnte ich mir keine be-
stimmte Ansicht bilden“ möchte ich jedoch nicht zustimmen, son-
dern mir vielmehr folgenden Schluss erlauben:
Da nachgewiesenermassen diese Zwischensubstanz in ihrem
ganzen Verhalten genau mit unzweifelhaften Abkömmlingen des
weiblichen Keimlagers übereinkommt, so wird man ungezwungen
die Zwischensubstanz des Echsenhodens als modifieirte Ureier an-
sehen dürfen.
Wir halten nach dem Gesagten die Hodenzwischensubstanz
und die abortiven Eischläuche für gleichartige Gebilde. Man wird
die Homologie derselben mit Bestimmtheit behaupten können, wenn
mit grösserer Gewissheit als bisher die Ableitung des functionellen
Theiles des Hodens vom Keimepithel auch für Vögel und Säuge-
thiere wird nachgewiesen sein.
Bei den höheren Thieren verkümmert demgemäss eine grosse
Zahl von Keimen und bildet im Hoden und Eierstock eine Sub-
stanz, die in Schläuchen oder Nestern zwischen den zur Reife ge-
langenden Theilen persistirt und bestimmte Veränderungen erleidet:
indem sie im Eierstock mit der Reifung der Follikel vernichtet
durch die periodische Neubildung von Eischläuchen wieder ersetzt
wird, im Hoden dagegen persistirend das bisher unter dem Namen
der Leydig’schen Zwischensubstanz bekannte Gewebe bildet.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 97
VI.
Allgemeine und resümirende Betrachtungen.
Die Vermehrung aller lebenden Formen und die Erhaltung
ihres Bestandes geschieht nur nach einem Prineip, dem der Thei-
lung. Wir kennen keine andere Art der Entstehung: denn für
eine sich heute noch vollziehende Generatio aequivoca ist trotz
der angestrengtesten Bemühungen kein einziger, stichhaltiger Be-
weis beizubringen gewesen.
Gehen wir auf die niedersten, einzelligen Organismen zurück,
wo uns die fundamentalen Erscheinungen des Lebens von allen
complieirenden Beigaben höherer Wesen nackt und frei entgegen-
treten, so gewahren wir bald eine doppelte Art der elterlichen Zeu-
gung. Das eine Mal genügt, wie bei der Vermehrung der Zellen
in den Leibern vielzelliger Organismen, die einfache Theilung
zur Erzielung einer Brut. Man ist darüber einig '), dass dieser
Modus alle Arten der ungeschlechtlichen Fortpflanzung umgreift.
Das andere Mal aber wird der Act der Theilung erst durch eine
Conjugation eingeleitet, und dieses sind die mannigfachen Arten
der geschlechtlichen Fortpflanzung. — Beide Fortpflanzungsformen
kommen gemischt oder abwechselnd im Thier- und Pflanzenreich
vor. — In ihrer primitivsten Gestalt vollzieht sich die Conjugation
in der Weise, dass die ganzen Leiber der einzelligen elterlichen
Individuen sich vermischen und entweder vereint oder nach der
Conjugation wiederum getrennt zur Theilung sich anschicken. Bei
diesen Wesen gibt es weder Geschlechtsorgane, noch sonstige ge-
schlechtliche Unterschiede: sie sind homologe Zellen, Individuen
und Generationsorgane zugleich. Das Individuum geht ganz auf
1) O. Bütschli: Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der
Eizelle, die Zelltheilung und die Conjugation der Infusorien. Frankfurt a. M.
1876, pag. 207: „Ich muss daher auch jetzt eine Fortpflanzung der Infuso-
rien auf anderem Wege als durch einfache Theilung oder Knospenbildung
(die nur als eine Modification der Theilung aufzufassen ist), für nicht erwie-
sen halten.“
C. Gegenbaur: Grundriss der vergleichenden Anatomie; zweite ver-
besserte Auflage, 1878, pag. 17: „diese Vermehrung durch Sprossenbildung
geht ohne scharfe Grenze in die am meisten verbreitete Art der Vermehrung,
nämlich jene durch Theilung über“.
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 7
98 Moritz Nussbaum:
in die Erhaltung der Art: was bei einer Amoebe noch vor Kurzem
dem Leibe zur Fortbewegung diente, kann bald darauf in ein Theil-
produkt aufgenommen und vom Mutterthiere losgelöst, als Junges
eine eigene Existenz führen.
Bei den mehrzelligen Organismen tritt die Individualität cha-
rakteristischer und selbstständiger hervor; für die Erhaltung der
Art sind bestimmte Drüsen: die Geschlechtsdrüsen, angelegt und
es unterliegt heute keinem Zweifel mehr, dass das Wesentliche der
geschlechtlichen Fortpflanzung vielzelliger Organismen in der Ver-
einigung der Producte der männlichen und weiblichen Geschlechts-
drüse besteht, dass alle voraufgehenden oder begleitenden Vor-
gänge nur den Werth besitzen, das Zusammentreffen von Samen-
körper und Ei mehr und mehr zu sichern.
Durch die neuesten Untersuchungen über das Wesen der Be-
fruchtung von Strassburger, van Bambeke, Bütschli, Fol,
OÖ. Hertwig, Calberla ') wurde der Beweis geführt, für die Auf-
fassung der organischen Welt von der höchsten Bedeutung, dass
die Vereinigung von Samen und Ei, also die Einleitung der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung bei vielzelligen Organismen, in der-
selben Weise sich vollziehe wie die Conjugation einzelliger Wesen.
Wird man in beiden dasselbe Prineip widererkennen ?
Die Conjugation einzelliger Organismen vollzieht sich zwi-
schen zwei homologen Zellen, denen alle das Leben charakterisi-
rende Eigenschaften zukommen. Wir werden demgemäss für die
Conjugation von Samen und Ei ‘die Fragen zu beantworten ha-
ben: 1) sind die Geschlechtsstoffe Zellen; 2) sind diese Zellen ho-
molog; 3) kommen dem’Ei und dem Samenkörper, jedem für sich,
alle das Leben charakterisirende Eigenschaften zu, das heisst, sind
die Geschlechtsproducte durch Theilung bestimmter Zellen ent-
standen, die zu einer sehr frühen Zeit — vor jeder histologischen
Differenzirung — in der embryonalen Anlage als etwas Besonderes
kenntlich waren ?
Die erste unserer drei Fragen hat eigentlich nur histori-
1) In Betreff der Literatur verweise ich auf die sorgfältigen Angaben
O0. Hertwig’s in seinen: Beiträgen zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung
und Theilung des thierischen Eies; Morphologisches Jahrbuch, Bd. I, p. 347;
Bd. HI, pag. 271. Die Arbeit Calberla’s über den Befruchtungsvorgang
beim Eie von Petromyzon Planeri findet sich: Zeitschrift für wissenschaft-
liche Zoologie, Bd. XXX, pag. 437.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 99
sches Interesse, da für das Ei schon Schwann !) dieselbe in be-
jahendem Sinne erledigt hat und spätere Einwände von Gegen-
baur?), Pflüger’), von la Valette St. George*) und vielen
Anderen gebührend zurückgewiesen worden sind. Auch die Auf-
fassung des thierischen Eies von Seiten Goette’s °) hat wohl bei
keinem Biologen Anklang gefunden; doch hat man die Annahme
Goette’s bisher blos aus Gründen, welche die Analogie an die
Hand gab, zurückgewiesen. Wir konnten zeigen, dass die von
Goette dargestellten Phasen der Entwicklung in der That vorkom-
men; wir glauben aber auch nachgewiesen zu haben, dass Goette
für die Construction der Oogenese bei den Batrachiern nicht alle
Stadien der Entwicklung vorgelegen, und dass demgemäss die be-
obachteten leicht falsch gedeutet werden konnten. DasEi der Ba-
trachier entsteht nicht durch Verschmelzung mehrerer Zellen ; das
dieser Auffassung zu Grunde liegende Bild — die maulbeerför-
mige Kerntheilung einer Primordialzelle — ist die Vorbereitung
zur Bildung von Ei und Follikelepithel: eine ächte multiple Zell-
theilung. Goette hat die Eigenthümlichheit des Batrachiereies,
viele Keimflecke im Keimbläschen zu tragen, auf die Vereinigung
mehrerer Kerne zum Keimblächen zurückgeführt; wir konnten so-
wohl für Batrachier, als Teleostier und Reptilien den Nachweis
liefern, dass die vielen Keimflecke durch Abspaltung von einem
früher vorhandenen solitären gebildet werden, indem stets bei den
kleinsten ächten Eiern nur ein Keimfleck, bei grösseren deren
viele vorhanden sind (ef. p. 76,79 und 82). Das Ei ist also seiner
Entstehung nach eine Zelle, die allerdings im weiteren Wachsthum
durch Einlagerung von Nährmaterial und bei den höheren Thie-
ren durch die Auflagerung. einer von Aussen hinzugekommenen
Membran, der Zona pellueida oder radiata, modifieirt wird.
In derLehre von der Entwicklung der männlichen Zeugungspro-
1) Schwann: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstim-
mung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. 1839.
2) C. Gegenbaur: Ueber den Bau und die Entwicklung der Wirbel-
thiereier mit partieller Dottertheilung; Müller’s Archiv 1861.
3) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Men-
schen, 1863.
4) von la Valette St. George: Ueber den Keimfleck und die Deu-
tung der Eitheile, d. Archiv, Bd. I.
5) A. Goette: Die Entwicklungsgeschichte der Unke, 1875.
100 Moritz Nussbaum:
ducte wird es stets als ein grosses Verdienst Kölliker’s!) zu ver-
zeichnen sein, den Nachweis geliefert zu haben, dass die Samen-
körper aus Zellen des zugehörigen Organismus entstehen; dass die
Samenkörper in ihren mannigfachen Formen stets eine modifieirte
aber ganze Zelle repräsentiren, ist durch von la Valette St.
George?) und Schweigger-Seidel?°) nachgewiesen worden; das
gefundene Gesetz wird durch neue sorgfältige Beobachtungen an
bis dahin ununtersucht gebliebenen Objecten immer mehr und mehr
bestätigt.
Nicht so einfach für uns wird die Beantwortung der zweiten
Frage zu geben sein; doch wollen wir versuchen, die für ihre Be-
jahung oder Verneinung geltend zu machenden Gründe gegenein-
ander abzuwägen.
Ehe wir jedoch auf die Dignität der Geschlechtsstoffe selbst
eingehen, sei es erlaubt, diejenigen Formveränderungen ins Auge
zu fassen, die im Gefolge der ausschliesslichen Ausbildung eines
Geschlechtes als äussere Geschlechtsverschiedenheiten auftreten;
es sind dies: die ganze äussere Form und die neben den Geschlechts-
drüsen in den Dienst der Fortpflanzung gestellten Organe.
Was die äussere Form anlangt, so nehmen ihre geschlecht-
lichen Verschiedenheiten von den höchsten zu den niedersten Or-
ganismen, oder bei höheren embryologisch rückwärts verfolgt, immer
mehr und mehr ab, bis schliesslich kein Unterschied mehr nach-
gewiesen werden kann. Dabei erkennen wir, dass das Geschlecht
nicht das einzig Formgebende innerhalb der Species ist; da sonst
beim Uebergang vom hermaphroditischen zum eingeschlechtlichen
Zustande neben ausgesprochen männlichen oder weiblichen Indivi-
duen nur noch solche vorkommen könnten, die auf niederen Ent-
wicklungsstufen des einen oder des anderen Geschlechts stehen ge-
blieben sind. Es gibt aber Formen, beispielsweise sei an die Ar-
beiter der Ameisen erinnert, die zum Zweek ganz anderer Aufgaben
als der Fortpflanzung in bestimmter, charakteristischer Weise ab-
1) A. Kölliker: Beiträge zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse
und der Samenflüssigkeit wirbelloser Thiere, 1841.
2) von la Valette St. George: Ueber die Genese der Samenkörper,
d. Arch., Bd. 1.
3) Schweigger-Seidel: Ueber die Samenkörperchen und ihre Ent-
wicklung, ebenda; beide Arbeiten erschienen gleichzeitig.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 101
geändert und von Männchen und Weibchen ihrer Art gleich weit
verschieden sind: in der Form des Bruststückes, in dem Mangel der
Flügel und zuweilen der Augen, sowie in den Instineten!). Man
wird wohl nicht einwenden, dass diese Arbeiter eben deshalb, weil
ihre Geschlechtsorgane verkümmert sind, jene eigenthümliche Or-
ganisation erhalten haben.
Die mäunliche und weibliche Form sind nur als Variationen
derselben Urform aufzufassen; Variationen, die einem bestimmten
Bedürfnisse, den speeifischen Leistungen beim Fortpflanzungsge-
schäft, am besten entsprechen. Dass diese Variation durchgreifen-
der ist, als diejenigen, welehe einen Organismus für eine andere
Leistung geschiekter machen, hängt ab von der Fülle der gestellten
Anforderungen; dass im concreten Falle sie nicht grösser zu sein
braucht, als bei einer Form, die nach anderer Richtung variirte,
und demzufolge alles Andere besser verrichtet als irgend eine Auf-
sabe beim Fortpflanzungsgeschäft, geht aus dem oben angeführten
Beispiel von den Arbeitern der Ameisen hervor.
Auch die äusseren Geschlechtsorgane bilden sich durch Va-
riation aus einer ursprünglich gleichen Anlage: männliche und
weibliche Copulations- und Leitungsapparate sind homologe Theile !).
Die Copulationsorgane sind nur einfach angelegt; die Leitungsap-
parate aber bei den meisten Thieren doppelt, also hermaphrodi-
tisch, so dass der ausgebildete männliche Leitungsapparat dem fer-
tigen weiblichen analog, der verkümmerte männliche Ausführungs-
gang dem ausgebildeten weiblichen homolog ist. Immer aber stammen
die Ausführungsgänge (Wolff-Müller’sche Gänge) von dem Epithel
der Bauchhöhle ab, der bei niederen Thieren die Function der Ab-
leitung der Geschlechtsproduete zugefallen war. Die Bedeutung
der Duplieität der Ausführungsgänge ist nicht leicht zu verkennen,
indem dadurch bei den Hermaphroditen eine Selbstbefruchtung er-
schwert und eine gegenseitige Copulation angestrebt wird.
1) Darwin: Ueber die Entstehung der Arten ; übersetzt von J. V. Carus,
1872, pag. 309.
1) Waldeyer: Eierstock und Ei, pag. 152: „Hier giebt es in der
That einen indifferenten, gewissermassen neutralen Urzustand, der sich dann
entweder nach der männlichen oder weiblichen Seite hin weiter ausprägt“.
Man vergleiche hierzu auch die älteren Arbeiten von Rathke und J. Müller,
eitirt bei Waldeyer. Ebenso Leuckart: Zeugung, Handwörterbuch der
Physiologie von R. Wagner, IV. Bd., pag. 763.
102 Moritz Nussbaum:
Wir haben nunmehr die Dignität der Geschlechtsdrüsen selbst
zu prüfen, deren Verschiedenheit zu allererst das Geschlecht cha-
rakterisirt und alle weiteren körperlichen und geistigen Unterschiede
inducirt.
Nach der bei Weitem grössten Mehrzahl bis jetzt vorhandener
entwicklungsgeschichtlicher !') Studien ist man nur berechtigt, eine
allerdings bis in die kleinsten Details durchgeführte Analogie
in den Geschlechtsdrüsen anzunehmen. Dass diese Kenntniss nicht
mit einem Schlage gewonnen wurde, beweist eine sorgfältige Muste-
rung der uns jetzt unbegreiflich erscheinenden Vergleiche ?), die
vor Reichert und von la Valette St. George auf diesem Ge-
biete durchgeführt wurden.
Die erste Entdeckung eines analogen Entwicklungsganges
männlicher und weiblicher Geschlechtsproducte und die Charakte-
risirung des Zeitmomentes, wo die Eigenthümlichkeiten des Ge-
schlechts an den bis dahin indifferenten Geschlechtsstoffen auftreten,
verdanken wir Reichert?). Von ihm wird zuerst eine Samen-
mutterzelle mit einer Eizelle verglichen, und obgleich die Vorstellung
über die Vermehrung der Zellen eine antiquirte ist, so bleibt doch
der aufgestellten Analogie stets eine hohe Bedeutung.
Die Reichert’schen Beobachtungen sind an Nematoden ge-
macht; bei höheren Thieren sind die feineren histologischen Ver-
hältnisse complieirter, und während man schon längst daran ge-
wöhnt war, das Ovarium als das Analogon des Hodens zu nennen,
1) Entwicklungsgeschichtliche Studien brauchen sich nicht auf die em-
bryonale Periode allein zu beschränken. Alle Beobachtungen des continuir-
lichen Ueberganges von einem gegebenen Zustande zu einem späteren, in der
äusseren Form und der histologischen Zusammensetzung veränderten, soweit
dies überhaupt in die Grenzen des Normalen fällt, gehören unter diesen
Begriff.
2) Von vielen nur eine Probe: A. Lereboullet (Anatomie des orga-
nes genitaux des animaux vertebres; Nova Acta Acad. Caes. Leop. T. XXI,
P. 1, 1851) stellt eine Analogie zwischen männlicher und weiblicher Geschlechts-
drüse auf, die er dadurch begründet, dass die Ampullen oder Schläuche der
Hoden mit den Graaf’schen Follikeln der Eierstöcke verglichen werden.
Wie die Membrana granulosa der Follikel die Eier producire, so liefere der
epitheliale Belag der Hodenschläuche oder Hodenampullen die Spermatozoen.
3) C. B. Reichert: Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Samen-
körperchen bei den Nematoden. Müller’s Archiv 1847, pag. 126.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 103
so gelang es doch erst von la Valette St. George!) dieselben
Analogien für die Geschlechtsproducte höherer Thiere aufzufinden,
die von Reichert bei den Würmern entdeckt worden waren. Der
Cardinalpunkt der Arbeiten von la Valette St. George’s mit
Bezug auf diese Frage, ist die Erkenntniss, dass die vergleichbaren
Theile bei niedern Thieren — Spermatogonie und Eizelle — bei
den höheren Thieren noch besondere Hüllen besitzen und mit diesen
einander analog sind. Trotz dieser grossen Uebereiustimmung in
den fertigen Geschlechtsprodueten und in der Art der Vereinigung
von Samen und Ei mit der Conjugation einzelliger Organismen,
bei der nachgewiesenen Homologie aller das Geschlecht charakte-
risirenden Einrichtungen, wird man in den Angaben der Autoren
über die erste Entstehung der Geschlechtsdrüsen jeden Anhalt für
eine Homologisirung der Geschlechtsstoffe vermissen. Aus den
Beobachtungen Waldeyer’s und Semper’s ist vielmehr mit grosser
Wahrscheinlichkeit zu folgern, dass der rudimentäre Hermaphrodi-
tismus höherer Thiere schon früh in der embryonalen Anlage vorge-
bildet sei. Auch diejenigen Autoren, denen wir die Aufklärung
über den Vorgang der Befruchtung verdanken, halten Samen und
Ei für ungleichwerthige Individuen (cefr. Bütschli, Studien über
die ersten Entwicklungsvorgänge ete. pag. 214). Wir können dem-
gemäss die Homologie der männlichen und weiblichen Zeugungs-
stoffe nur mit Rücksicht auf unsere eignen Beobachtungen aus-
sprechen; dabei setzen wir voraus, dass diese Beobachtungen sich
auch bei den übrigen Thierklassen mutatis mutandis werden bestä-
tigen lassen. Wir konnten uns nicht davon überzeugen, dass die
Eier aus dem Keimepithel und die Samenzellen vom Wolff’schen
Gange sich herleiten; sondern mit Semper und Braun führten
wir die functionellen Theile des Hodens und Eierstocks auf die-
selbe Quelle, das Keimepithel, zurück. Wir wurden aber durch
die Eigenthümlichkeiten unseres Untersuchungsmaterials dahin ge-
führt, im Keimepithel noch besondere Zellen „die Geschlechtszellen®
zu erkennen, von denen ausschliesslich durch fortgesetzte Theilung
die Geschlechtsstoffe abstammen.
1) von la Valette St. George: Die Spermatogenese bei den Amphi-
bien; d. Archiv, Bd. XII, pag. 821: „Als Ausgangspunkte des Vergleiches
würden Ei und Samenfollikel nebeneinander zu stellen sein mit ihrem Inhalte“.
Vergl. auch die Anmerkung dazu. ö
104 Moritz Nussbaum:
Es wäre demgemäss der nach Waldeyer schon sehr früh
ausgesprochene Gegensatz des Geschlechts nicht vorhanden; son-
dern in beiden Geschlechtern würden aus dem „Keimepithel* die
functionellen Theile der Geschlechtsdrüse sich entwickeln; aus den
Wolff’schen Gängen und der Urniere die Ausführungsgänge der
männlichen Geschlechtsdrüse hervorgehen, deren Homologon beim
Eierstock bald nach der Anlage verkümmert und von Kölliker
wohl mit Unrecht für die Matrix der Granulosazellen der Eier ge-
halten worden ist. Das Keimepithel anlangend, so vermuthen wir,
dass bei höheren Wirbelthieren den „Geschlechtszellen“ der Ba-
trachier gleichwerthige Zellen mit Peritonealepithelien gemischt
vorkommen, sich aber erst secundär als „Geschlechtszellen“ zu er-
kennen geben.
Während wir uns in diesem Punkte mehr der Semper’schen
Auffassung und Darstellung nähern, so kommen wir doch nicht
mit ihm über den Zeitpunkt und die Art der Geschlechtsdifferen-
zirung nach Ausbildung der Ureiernester überein. Den ausge-
sprochenen Hermaphroditismus und damit einen Gegensatz des
Geschlechts, statuirt Semper freilich erst in späterer Entwick-
lungsperiode als Waldeyer, aber seine prineipielle Auffassung
des Vorganges ist trotzdem, wie uns wenigstens scheint, dieselbe
zu der Waldeyer sich bekennt. Was für Waldeyer das Keim’
epithel (ef. Virchow und Hirsch Jahresbericht pro 1874, Bd. L,
pag. 172), das sind für Semper die Ureiernester, wovon unser
Autor pag. 392 seines Werkes über das Urogenitalsystem der Pla-
giostomen sagt: „Dort wird die centrale Zelle zum Ei und es
dienen ihr wohl die umgebenden Follikelzellen als Nährzellen
(Ludwig); hier wird umgekehrt die centrale Zelle resorbirt, grade-
zu aufgezehrt und die Ausbildung der Spermatozoen ist ausschliess-
lich an die Umbildung der Follikelepithelzellen gebunden.* Diesen
Bildungsmodus hat von la Valette St. George!) im Hoden
erwachsener Plagiostomen nicht auffinden können, obwohl nach
Semper kein Unterschied bei Embryonen und geschlechtsreifen
Männchen in der Bildung der Ampullen bestehen soll. Unsere
Untersuchungen haben uns gezeigt, dass aus den Ureiernestern,
den Pflüger’schen Schläuchen, sowohl Eier als Spermatogonien
1) von la Valette St. George: De spermatosomatum evolutione in
Plagiostomis; Bonn 1878.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 105
entstehen können, und dass der Unterschied der Geschlechtsstoffe
weder auf einer räumlichen Trennung zweier zuerst vereinigten hete-
rogenen Anlagen (Waldeyer), noch auf der Abspaltung von einer
gemeinschaftlichen Uranlage und darauf folgender verschiedenarti-
gen Entwicklung (Semper), sondern einfach in den verschiedenen
Wachsthums- und Umbildungsvorgängen derselben embryonalen
Zellen beruhe. Zellen eines Pflüger’schen Schlauches werden
zum Ei, indem sie bei Batrachieren aus sich eine Granulosa pro-
dueiren und alsdann ungetheilt weiter wachsen; sie werden zu
Samenfäden indem die der Eizelle morphologisch gleichwerthige
Spermatogonie sich vielfach theilt, beständig von einer der Granulosa
des Eies homologen Follikelhaut umschlossen. Eier und Sperma-
togonien sind bei Batrachiern und Knochenfischen ganz sicher ho-
mologe Bildungen, weil sie durch Variation aus derselben Anlage
hervorgegangen sind; es wird sieh dasselbe auch für die Ge-
schlechtsstoffe aller Wesen nachweisen lassen.
Wollen wir nun die Befruchtungs- und Conj ugationserschei-
nungen identifieiren, so werden wir von der Spermatogonie noch
einen Schritt weiter zu thun haben und physiologische Gleich-
werthigkeit zwischen den Spermatocyten und der Spermatogonie
verlangen müssen. Da die Spermatocyten jedoch durch Theilung
aus der Spermatogonie hervorgehen, und nicht jede Theilung der
Zellen mit Arbeitstheilung verbunden ist, so wird der Annahme
kein ernstes Bedenken entgegengetragen werden können, dass beim
Befruchtungsakt höherer Thiere zwei homologe Zellen zasammen-
treten, wie bei der Conjugation niederer Organismen. Es ist in
Uebereinstimmung mit der activen Rolle, die dem Samen bei der
Befruchtung zufällt, dass sowohl im Thier- wie im Pflanzenreich
die der Eizelle morphologisch entsprechende Spermatogonie sich
vielfältig theilt, und so auf einen weiblichen Keim viele männliche
liefert.
Man wird demgemäss die Geschlechter nicht als etwas Ver-
schiedenes, ihre Entstehung nicht als die fortschreitende Ausprä-
gung eines von vorn herein gegebenen, aber latenten und nicht in
die Erscheinung tretenden Gegensatzes auffassen. Die Bildung des
Geschlechts, am auffälligsten durch die Geschlechtsdrüsen reprä-
sentirt, vollzieht sich nicht etwa in der Weise, wie die Lunge aus
dem.Darm sich abspaltet, um mit dem zurückbleibenden Theile
desselben besser und vollendeter die Aufgaben zu lösen, welche
106 Moritz Nussbaum:
dem primitivrn Darm gestellt waren; die Differenzirung des Ge-
schlechts und die Entwieklung von Hoden und Eierstock geht aus
einer indifferenten Anlage vor sich, wie die Flügel und die Beine
eines Vogels, die verschiedenen Segmentanhänge eines Glieder-
thieres sich als homologe Theile entwickeln.
Es treten somit bei der Befruchtung nicht zwei heterogene
Elemente zusammen, die einander ergänzen, zusammen ein Ganzes
bilden; es treffen sich vielmehr zwei homologe Zellen, von denen
die eine zum Zweck der Conjugation sich in eine beweglichere
Form umgegossen, die andere sich mit Nährstoffen beladen und
mit Schutzvorrichtungen versehen hatte. Offenbar ist durch diese
Anschauuug an dem thatsächlichen Vorkommen des Hermaphrodi-
tismus und seinem rudimentären Bestehen bei den höchsten Thieren
in keiner Weise Zweifel erregt, wenn auch die Auffassung der
Erscheinungen modificirt wurde.
Man wird demgemäss ferner nicht daran denken dürfen, dass
bei der ungeschlechtlichen Zeugung in einer Zelle (oder einem
Complex von Zellen bei der Knospenbildung von Thieren mit
mehreren Leibesschichten) die beiden Energien enthalten seien,
die bei der Befruchtung von Samen und Ei zusammentreffen; die
ungeschlechtliche Zeugung geht entweder continuirlich neben der
geschlechtlichen her oder wechselt mit ihr ab. Bei niederen Thie-
ren ist der Vorgang augenfällig zu verfolgen. Auf eine Conjugation
— Verjüngung wie Bütschli dies treffend genannt hat — folgt die
Theilung der vereinigten oder wieder getrennten Individuen, die
dann ohne intereurrirende Conjugation eine Zeit lang fortgeht.
Besteht aber in den höheren Organismen nicht fortwährend eine
ungeschlechtliche Zeugung? Wo die Individualisirung einer Zellen-
colonie noch nicht gross genug geworden ist, schafft die unge-
schlechtliche Vermehrung, d. h. die ohne direkt voraufgehende
Conjugation erfolgende Theilung, neue Individuen; wo die Einord-
nung der Theile in ein einheitliches Ganze straffer geworden ist,
da sorgt die ungeschlechtliche Theilung der Zellen nur für den
Ersatz des abgängigen Alten im einheitlichen Organismus selbst.
Es scheint, als ob alle Zellen, ehe sie in Theilung verfallen
können, den Verjüngungsprocess der Conjugation durchgemacht
haben müssen; dann aber für lange Zeit auch in ihren Nachkommen
dieses Jneitamentes nicht mehr bedürfen. Die Theilung nach der
Conjugation schafft Individuen verschiedener Dignität, je nachdem
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 107
sie einfach additionell oder mit Arbeitstheilung verläuft. Bei ein-
zelligen Organismen gibt es nur eine einfache additionelle Thei-
lung; jede neu entstandene Zelle löst sich vom Mutterorganismus
los und wird dadurch individualisirt. Bei mehrzelligen Organismen
gehen beide Theilungsformen nebeneinander her und der Begriff
des Individuums — des zur selbständigen Existenz befähigten
Organismus — lässt sich nur experimentell feststellen; da manche
vielzelligen Organismen künstlich theilbar sind, und die einzelnen
Theile nicht allein fortleben, sondern zu vollständigen Individuen
wie der Stammorganismus wieder heranwachsen. Wir scheiden
vorläufig aus unserer Betrachtung denjenigen Zelleneomplex mehr-
zelliger Organismen aus, der durch einfache additionelle Theilung
sich vermehrend, den Zwecken des Gesammtorganismus nicht zu
Gute kommt und ausschliesslich für die Erhaltung der Art in Form
der Geschlechtsdrüsen bestimmt ist.
Die Individuen niederster Ordnung, die Zellen, treten bei den
Thieren in verschiedener Weise zu dem engeren Verbande eines
Individuums höherer Ordnung zusammen und sind nur unter ge-
wissen Bedingungen zu einer selbständigen Existenz befähigt. Oft
genügen dieselben Bedingungen unter denen ein Ganzes existirte,
für das gesonderte Fortleben der spontan oder künstlich geschaffenen
Theile; schliesslich aber sind die Bedingungen für das Bestehen
der Theile nur noch in dem complieirten Organismus, dem sie an-
gehören, selbst zu finden. So entsteht bei denjenigen Organismen,
in denen durch günstige Bedingungen gewissen Zellencomplexen
die Möglichkeit der Loslösung vom mütterlichen Organismus — der
Amme — gegeben ist, der Generationswechsel; bei anderen Thieren
wird diese Erscheinung unterdrückt, wenngleich der eine Factor
für ihre Entstehung — die ungeschlechtliche Vermehrung, die Zell-
theilung ohne direet voraufgehende Conjugation — vorhanden ist.
Zwischen den extremen Formen mangelt es nicht an Uebergängen.
In dem gewaltigen Formenreiehthum der Cestoden wechselt
mit geschlechtlicher Zeugung eine „ungeschlechtliche Vermehrung“
ab!), indem der Zelltheilungsprocess der Amme viele gleichartige
Segmente schafft. Meistens bleibt aber die Individualität der ent-
standenen Segmente latent, während in anderen Fällen?) jedes ein-
1) J. J. Steenstrup: Generationswechsel.
2) van Beneden: Les vers cestoides ou acotyles; Bruxelles 1850.
108 Moritz Nussbaum:
zelne Glied als selbständiges Thier von der Amme sich loslöst.
Während aber bei niederen Thieren die Segmentirung wenigstens
äusserlich ausgesprochen ist und bei den Cestoden in der Bethä-
tigung der Geschlechtsfunetionen sogar einen individuellen Cha-
racter bewahrt, geht bei höheren Thieren die im Embryo ange-
deutete Segmentirung bei der weiteren Entwicklung mehr und
mehr verloren.
Für das Pflanzenreich hat Vöchting neue experimentelle
Beiträge über Individuum und Individualisirung geliefert; doch
wird man seinem Ausspruch): „So führt also Alles zu der An-
nahme, dass in dem Stoff- und Kräftecomplex jeder einzelnen
lebendigen vegetativen Zelle des Organismus die Möglichkeit zur
Reproduction der Totalität mit ihrer mannigfachen Gliederung
gegeben ist“ für das Thierreich nicht beistimmen können; da es
den Anschein hat, als ob nach einer einmal vollzogenen Theilung
der Hauptfunctionen eine Reproduction des Ganzen aus einem
Theile allein nicht mehr möglich sei. Dieses scheint aus der Be-
theiligung aller Leibesschichten (Keimblätter) bei der Knospen-
bildung hervorzugehen.
Die Fähigkeit der Reproduction, welche Vöchting jeder
vegetativen Pflanzenzelle zuschreibt, kommt bei den mehrzelligen
thierischen Organismen nur einer einzigen Zellenart zu, und dies
sind die Geschlechtsstoffe. Auch hier geht der Vereinigung aller
Theilproduete einer Zelle (Eizelle nach der Befruchtung) in ein
Individuum höherer Ordnung eine Individualisirung jeder einzelnen
durch Theilung entstandenen Zelle vorauf, da die definitiven Eier
durch Teilung der Ureier sich bilden. Diesen Vorgang hat
Pflüger?) schon mit dem Generationswechsel verglichen, der in
der That Niehts weiter ist, als die Individualisirung von Theil-
produeten, die unter günstigen Bedingungen eine Selbständigkeit
erlangen.
Es ist nun offenbar nöthig, dass den Geschlechtsstoffen alle
das Leben characterisirenden Eigenschaften zukommen, und dass
nicht etwa eine Bindegewebs- oder Muskelzelle Zellencolonien durch
1) H. Vöchting: Ueber Organbildung im Thierreich; Bonn 1878,
pag. 255.
2) Pflüger: Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen;
pag. 58. :
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 109
Theilung erzeugen könne, in denen auch noch Drüsen, Nerven
und die mannichfachen Gewebstheile höherer Thiere enthalten
sind. Ist es entwicklungsgeschichtlich wahrscheinlich zu machen,
dass die Zellen, von denen die Geschlechtsstoffe durch einfache
additionelle Theilung sich ableiten, vor jeder histologischen Diffe-
renzirung und unbetheiligt an der in der Keimblätterbildung aus-
gesprochenen Arbeitstheilung aus dem befruchteten Ei zum Zweck
der Erhaltung der Art gesondert wurden ?
Wir glauben dies bis zu einem gewissen Grade in den be-
schreibenden Theilen und namentlich durch unsere Beobachtungen
an den Larven der Batrachier nachgewiesen zu haben. Es sei hier
unsere Aufgabe, aus der Literatur noch weitere Beweise beizubringen.
Den embryonalen Character unserer Geschlechtszellen hat
Götte!) sehon mehrfach in seinem Werk über die Entwicklung
der Unke erwähnt; auch dass die Dottersubstanz aus diesen Zellen
später schwinde als in allen aus den Embryonalanlagen hervor-
gehenden Körpertheilen. Indem er aber später die ganze Geschlechts-
leiste sammt dem Fettkörper auf die „Geschlechtszellen“ zurück-
führt, entzieht er uns den Boden eines zwingenden Beweises, und
so kommt es wohl, dass Götte selbst auf den embryonalen
Character der Geschlechtszellen kein Gewicht legt. Wir konnten
aber nachweisen, dass nur die Ureiernester aus den Geschlechts-
zellen hervorgehen und alles Uebrige: Oberflächenepithel, binde-
gewebige Hüllen der Geschlechtszellen von dem Peritonealepithel
sich ableitet, dessen proteusartige Gestaltungen durch die entwick-
lungsgeschichtlichen Funde der letzten Jahre hinlänglich bekannt
sind. Man denke an die flachen sogenannten Endothelien, die Wim-
perzellen des Peritoneums weiblicher Frösche, die Eileiterdrüsen,
die Epithelien der Niere, den Fettkörper, alles Abkömmlinge: des
Zellenbelags der Bauchhöhle.
Wir haben an verschiedenen Stellen schon darauf hingewiesen,
dass man für die höheren Thiere wohl schwerlich wegen des Man-
gels hervortretender embryonaler Charactere ihrer Geschlechtszellen
einen Beweis wird erbringen können; dagegen liefert die Ent-
wicklungsgeschichte niederer Thiere brauchbares Material.
So berichtet Leuekart?) über die Entstehung der Geschlechts-
1) A. Goette: Die Entwicklungsgeschichte der Unke; pag. 31, 831.
2) R. Leuckart: Die menschlichen Parasiten; Bd. II, pag. 65.
110 Moritz Nussbaum:
drüsen der Nematoden, dass die Anlage bei Männchen und Weib-
chen dieselbe sei und weiter wörtlich: „Vor vollständiger Entwick-
lung der Embryonalanlage besitzen die Zellen — die Anlage der
Geschlechtsdrüsen — eine grobkörnige Beschaffenheit und eine
frappante Uebereinstimmung mit den übrigen Embryonalzellen, dass
man deren direete Abstammung von diesen Gebilden nicht be-
zweifeln kann“. Die Gebrüder Hertwig!) konnten bei Medusen
die Gesehlechtsorgane von Zellen ableiten, die vereinzelt im Be-
reich der Magentaschen unter dem ‚Eetoderm gelagert waren, und
gestützt auf diesen Befund, suchten sie die Annahme wahrschein-
lich zu machen, dass weder die geschlechtliche Differenzirung mit
der Keimblätterbildung in Beziehung stehe, noch eine Nöthigung
vorliege, die Entwicklung der Geschlechtsorgane in der ganzen
Thierreihe in gleicher Weise mit dem einen oder dem anderen
Keimblatt in Zusammenhang zu bringen. Schon vor dieser Arbeit
der Gebrüder Hertwig war durch J. Ciamician?) die durch
von Beneden aufgestellte Hypothese von dem männlichen Cha-
racter des Eetoderms und dem weiblichen des Entoderms widerlegt
worden, da Ciamician durch direete Beobachtung nachgewiesen
hatte, dass es Formen unter den Hydroiden gebe, bei denen jene
behauptete Regelmässigkeit der örtlichen Ableitung von Ei und
Samen nicht zutreffe: indem bei Tubularia beides aus dem Eeto-
derm; bei Eudendrium die Eier aus dem Eetoderm, die Sperma-
tosomen aus dem Entoderm sich bilden. Vor dem Erscheinen der
Hertwig’schen Arbeit hatte ich in der Sitzung der Niederrhei-
nischen Gesellschaft zu Bonn vom 22. Juli 1878 und in der Sec-
tionssitzung für Anatomie und Physiologie vom 16. September 1878
auf der Naturforscher-Versammlung zu Cassel die Grundzüge meiner
Jetzt vorliegenden Arbeit vorgetragen und durch Abbildungen er-
läutert. Ich glaube also vor den Gebrüdern Hertwig den unsere
dritte Frage tangirenden Gedanken ausgesprochen und ihn wahr-
scheinlicher gemacht zu haben, als es das Beweismaterial der Ge-
brüder Hertwig erlaubt. Doch möchte ich auf Priorität weniger
1) O. und R. Hertwig: Der Organismus der Medusen und seine Stel-
lung zur Keimblättertheorie; Jena 1878; pag. 17 und 36.
2) J. Ciamician: Zur Frage über die Entstehung der Geschlechts-
stoffe bei den Hydroiden; Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie, Bd. XXX,
pag. 501.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 111
Anspruch erheben, als dem aufrichtigen Gefühl der Befriedigung
Ausdruck verleihen, dass auch das von anderer Seite gelieferte
Beobochtungsmaterial für die Richtigkeit unserer Annahme spricht.
Was meine Beobachtungen sachlich nun vor denen der Gebrüder
Hertwig voraus haben ist in dem lang erhaltenen embryonalen
Zustand der Geschlechtszellen bei den Batrachiern zu suchen, der
den „Geschlechtszellen“ der Medusen fehlt; diese Eigenthümlichkeit
macht es sicher, dass die Geschlechtszellen nicht von solchen Zellen
abstammen, die schon den embryonalen Character abgelegt und
vielleicht schon irgend welche Gewebsformation gebildet haben.
Das konnte an dem Material der Gebrüder Hertwig nicht nach-
gewiesen werden.
Das weitere Beweismaterjal für die Behauptung der absoluten
Unabhängigkeit der Geschlechtszellen von einem der drei Keim-
blätter, wohin sie nur aus irgend welchen Gründen verlagert worden
seien, ist weder in der Arbeit der Gebrüder Hertwig, noch in der
meinigen zu finden. Es würde auch ein nutzloses Bemühen sein,
bei Wirbelthieren diesen Beweis erbringen zu wollen. Es gibt
aber Beobachtungen an niederen Thieren, die unsere Annahme sehr
wahrscheinlich machen.
Von der Entwieklung der Moina rectirostris berichtet C. Grob-
ben!), dass vor der Sonderung der drei Keimblätter schon „die
Genitalzelle“ kenntlich sei, und aus dieser die Geschlechtsdrüsen
durch fortgesetzte Theilung entstehen. Auch ist von Grobben die
Verlagerung der getheilten Genitalzelle in das Innere des Körpers
direct beobachtet worden. Bei der immer noch nicht beseitigten
Unsicherheit über die Ableitung des Mesoderms bezeichnen die
Grobben’schen Beobachtungen gewiss einen Fortschritt unserer
Kenntnisse gegenüber dem von früheren Autoren eingenommenen
Standpunkte, demzufolge dieses Keimblatt bei niederen Thieren
mit den Anlagen der Geschlechtsdrüsen zugleich aus zwei symme-
trisch gelagerten, sogenannten Mesodermzellen hervorgehen sollte.
Was nun die Stellung anlangt, welche Kölliker?) zur Keim-
blättertheorie einnimmt, indem er sagt: „Es gibt keine einfachen
1) €. Grobben: Entwicklungsgeschichte der Moina rectirostris; Arbei-
ten aus dem zool. Institute der Universität Wien etc. II. Bd., pag. 203 sqg.
2) A. Kölliker: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhe-
ren Thiere, II. Aufl., pag. 390 u. 388.
112 Moritz Nussbaum:
histologischen Primitivorgane, vielmehr besitzen wahrscheinlich
alle Keimblätter potentia die Fähigkeit alle Gewebe zu er-
zeugen,“ und weiter: „Es kann daher nicht auffallen, wenn das
spätere, mittlere Keimblatt auch die Epithelien der Urniere und
der Geschlechtsdrüsen erzeugt,“ so müssen wir bekennen, dass wir
dieser Auffassung nicht beitreten können. Wir erklären das Ent-
stehen verschiedenartiger Gewebsformationen aus einem Keimblatt
durch eine in dieser morphologischen Einheit vollzogene Zusammen-
lagerung verschiedenartiger Zellen. Auch noch später kommen
derartige Verlagerungen vor, wie die Entstehungsgeschichte des
Auges beweist. Die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen im Bereich
des mittleren Keimblattes erklären wir demgemäss durch die dort-
hin gerichtete Einwanderung der Geschlechtszellen, welche auf
diese Weise in eine geschützte Körperhöhle deponirt werden.
Embryologische Studien an niederen Thieren machen es wahr-
scheinlich, dass die Anlagen der Geschlechtsdrüsen schon früh vor
jeder Arbeitstheilung der Zellen aus den zum Aufbau des Thier-
leibes verbrauchten Furchungskugeln abgesondert werden. Wir
glauben den Nachweis geliefert zu haben, dass aus den Geschlechts-
zellen nur die Geschlechtsstoffe hervorgehen, und dass aus dem
Peritonealepithel nur diejenigen Apparate sich bilden, welche ge-
sondert die Funetionen übernehmen, die vorher von der primitiven
Bauchhöhle summarisch geleistet wurden.
Es theilt sich demgemäss das gefurchte Ei in das Zellen-
material des Individuums und in die Zellen für die Erhaltung der
Art. In beiden Theilen geht die Zellenvermehrung continuirlich
weiter; nur tritt im Leibe des Individuums die Arbeitstheilung
hinzu, während in seinen Geschlechtszellen sich eine einfache
additionelle Theilung vollzieht. Die beiden Zellengruppen und ihre
Abkömmlinge vermehren sich aber durchaus unabhängig von ein-
ander, so dass die Geschlechtszellen an dem Aufbau der Gewebe
des Individuums keinen Antheil haben, und aus dem Zellenmaterial
des Individuums keine einzige Samen- oder Eizelle hervorgeht.
Nach der Abspaltung der Geschlechtszellen sind die Conti des In-
dividuums und der Art völlig getrennt, und wir glauben aus diesem
Verhalten die „Constanz“ der Art, d. h. die in der Erscheinung
des Atavismus gipfelnde Zähigkeit, mit der sich die Eigenthüm-
lichkeiten der Vorfahren vererben, begreiflicher zu finden. Denn
Samen und Ei stammen nicht von dem Zellenmaterial des elter-
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 113
lichen Organismus ab, sondern haben mit ihm gleichen Ursprung;
da sie aber in ihm aufbewahrt werden, so sind sie auch den Be-
dingungen unterworfen, welche auf den elterlichen Organismus
modifieirend einwirken, weshalb die Vererbung der „erworbenen“
Eigenschaften nicht ausgeschlossen ist.
Die Differenzirung des Geschlechts ist nicht die Uebertragung
zweier vorher vereinten Functionen an zwei verschiedene Ab-
kömmlinge einer Uranlage; sie ist vielmehr die Variation homologer
Zellen zur besseren Vollziehung der Conjugation. Ei und Samen-
körper gehen durch verschiedenartige Entwicklung gleichwerthiger
Zellen hervor, und die erste Verschiedenheit des Geschlechts beruht
einfach in einer weitergehenden Theilung der „männlichen“ Ge-
schlechtszellen, wie wir es bei den Pflanzen und beim Studium der
Ei- und Samenentwicklung selbst der höchst organisirten Thiere
deutlich gewahren. Dann kommt die Umwandlung der männlichen
und weiblichen Zeugungsstoffe hinzu: die Eizelle wird passiv, und
die Samenzelle vertauscht die trägere amoeboide Beweglichkeit
mit der Flimmerung. Erst bei ganz hoher Organisation tritt der
Unterschied in der Art der Aufspeicherung der Zeugungsstoffe, die
verschiedenartige Bindegewebsentwicklung in den Geschlechtsdrüsen,
die Entwicklung und Modification der Ausführungsgänge hinzu;
Körperanhänge, äussere Leibesform, die Instinete, der Intelleet
variiren zur besseren Leistung der Aufgaben, welche durch die
Umwandlung der Zeugungsstoffe ‚dem Manne‘“ und „dem Weibe“
zugefallen sind.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I, I, 111, IV.
BarkeleT.
Fig. 1. Geschlechtszellen der Larve von Rana fusca zu Anfang Mai. Der
Kern der Zellen ist unter den zahlreichen glänzenden Dotterplätt-
chen noch hicht sichtbar geworden; die Zellen selbst sind. von klei-
neren Peritonealzellen umgeben, in denen keine Dotterelemente mehr
vorhanden und deren Kerne (bei h) deutlich sichtbar sind. Alcohol-
präparat; Zeiss F, Oe. 1.
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 8
114
Fig.
Fig.
Moritz Nussbaum:
2. Geschlechtszellen der Larve von Rana fusca, einige Tage älter als
die vorige. Die Dotterplättchen sind beinahe vollständig aufgelöst;
der Kern und die umhüllenden Peritonealzellen (h) treten deutlicher
hervor. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss F, Oc. I.
3, 4 und 5. Geschlechtszellen der Larve von Rana fusca, Mitte Mai.
Die Dotterplättchen sind vollständig geschwunden; in Fig. 4 und 5
erkennt man Theilung des Kernes der Geschlechtszelle innerhalb
ihrer peritonealen Hülle. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss F. Oe. I.
. 6, 7 und 8. Geschlechtszellen der Rana fusca gegen Ende Mai. Die
Hüllenzellen sind nicht deutlich zu erkennen. Frisch in Jodserum
zerzupft; Zeiss F, Oc. I.
. 9, 10, 11 und 12. Geschlechtszellen der Rana fusca gegen Ende Mai.
Man erkennt die Hülle der einzelnen Nester (Pflüger’sche Schläuche)
deutlich; die Zellen in den Nestern haben sich etwas von der Wand
durch Schrumpfung zurückgezogen. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss
ELOG ME
. 13. Geschlechtszellen der Rana fusca zu Anfang Juni. Bei g ist noch
{e}
eine Zelle des nicht vollständig in der Zeichnung dargestellten Nestes
in dem vorhergehenden Stadium (cf. Fig. 10, 11 und 12) erhalten.
Bei & ist das Protoplasma der Zelle körnig; der Kern homogen mit
einem Kernkörperchen. Der Leib der übrigen Zellen ist durchsichtig
geworden; ihre Kerne sind im frischen Zustande grob granulirt und
schrumpfen in absolutem Alcohol in der dargestellten Weise zu-
sammen.
'. 14. Theil eines Pflüger’schen Schlauches (Nestes) mit den grob granu-
lirten Kernen in den einzelnen Zellen. Die Kerne der Kapselhülle
bei h. Aus der Geschlechtsdrüse der Larve von Rana fusca zu An-
fang Juni. Alcoholpräparat, zerzupft; Zeiss F, Oc. I (wie Fig. 13).
. 15. Aus dem unteren fadenförmigen Theile der Geschlechtsdrüse der vier-
beinigen Larve von Bufo cinereus gegen Mitte Juni. Bei & maul-
beerförmige Kerntheilung. Zerzupfungspräparat aus absolutem Al-
cohol; Zeiss CC, Oe. IH.
16. Aus einem feinen Schnitt ebendaher. Alcoholpräparat; Zeiss CC,
Oc. II.
. 17a. Aus einem feinen Schnitt von derselben Abtheilung der Geschlechts-
drüse. Der Alcohol hat nicht so intensiv eingewirkt wie bei Fig. 16;
man sieht die Zellengrenzen. Die Hülle ist nicht abgehoben; ihre
Kerne (h) deutlich sichtbar. Zeiss F, Oc. I.
. 17b. Von der entsprechenden Stelle eines stark im absoluten Alcohol ge-
schrumpften Präparates. Die Zellengrenzen sind nicht zu erkennen;
die Hülle ist weit vom Inhalt abgehoben. ’
. 18—22. Aus dem vorderen verdickten Ende der Geschlechtsdrüse (rudi-
mentäres Ovarium) zweibeiniger Larven von Bufo cinereus. Die
Figur 18 stammt von jüngeren Exemplaren als die folgenden; hier
Fig. 23.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 115
liegen die Eizellen E sammt ihrer Membrana granulosa F noch in
einer gemeinsamen bindegewebigen kernhaltigen (h) Hülle. Im abso-
luten Alcohol hat sich der Inhalt von der Hülle abgehoben; das
Ganze entspricht einem Pflüger’schen Eischlauch, in dem der Durch-
und Umwachsungsprocess, die Bildung einer bindegewebigen Hülle
für jedes Ei, noch nicht stattgefunden hat. In den kleineren Eiern
bemerkt man nur ein Keimbläschen, in den grösseren bisweilen zwei
oder mehrere; so in Figur 18 bei E oben, ebenso in Figur 19. Bei
den Exemplaren, von denen die in Figur 20, 21 und 22 dargestellten
Präparate stammen, war jedes Ei schon von einer bindegewebigen
Hülle, der Follikelmembran, umgeben. In Fig. 20 liegen zwei Eier
in einer Follikelmembran. Man muss mit Berücksichtigung der
Grössenverhältnisse der Eier, in denen nur ein Keimbläschen vor-
kommt, solcher, deren Keimbläschen sich theilt und der Follikel
worin zwei Eier gefunden werden, annehmen, dass noch Theilungen
von Eizellen vorkommen, die sich schon mit Follikelepithel umgeben
haben. In Fig. 20 ist die bindegewebige Hülle vom Inhalt abge-
hoben; in Fig. 21 und 22 ist dieselbe gar nicht dargestellt worden,
Alcoholpräparate bei Zeiss F, Oc. I entworfen.
Ein Ei mit seinen Hüllen aus dem vorderen Abschnitte der Ge-
schlechtsdrüse einer vierbeinigen Kröte (Bufo einereus) vom 12. Juni.
(Der Schwanz war schon abgeworfen.) Zerzupfungspräparat aus ab-
solutem Alcohol; Zeiss F, Oc. I (vergl. von la Valette St. George,
dieses Archiv Bd. XII, Tafel 35, Fig. 74); h Kerne der Theca folli-
euli; F Kerne des Follikelepithels.
Fig. 24 und 25. (g) Geschlechts- und (h) Hüllzellen von 3,5 em langen Lar-
ven des Triton cristatus aus 2°/, doppelt chromsaurem Ammoniak
isolirt. Zeiss F, Oe. I.
. Aus der Geschlechtsdrüse einer 6 cm langen Larve von Salamandra
maculata. Es sind fertige Eier vorhanden, wie in der Figur dar-
gestellt. Es kommen aber auch die Vorstufen dazu, wie sie von
Rana fusca in Fig. 17a dargestellt worden, vor. In den Schläuchen
sind aber nicht alle Zellen zugleich in maulbeerförmiger Kernthei-
lung, so dass ich bei der Anfertigung der Zeichnung in den mir zu
Gebote stehenden Präparaten dieselbe übersehen habe. Nachdem
ich aber alle meine Präparate zur Controle mit den Zeichnungen
nochmals revidirte, fand ich an einigen Stellen in langgestreckten
Pflüger’schen Schläuchen mit vier bis fünf Eiern noch eine oder
zwei Zellen, deren Kern sich „maulbeerförmig“ theilte. Um diese
Zellen war noch kein Follikelepithel gelagert; die Keimbläschen
der fertigen Eizellen im Schlauche waren rund begrenzt, die Eier
selbst von ihrem Follikelepithel umgeben. Auch hier waren die
Keimbläschen der kleineren Eier rund und einfach; in grösseren
Eiern kamen Theilungsstadien oder zwei völlig getrennte Keimbläs-
116
Fie. 27.
Fig. 28%
Fig. 31.
Fie, 32.
. 39.
Moritz Nussbaum:
chen vor; genau wie es vorher vom vorderen verdickten Ende der
Geschlechtsdrüse bei den Bufonenlarven angegeben wurde. — Schnitt
durch die in absolutem Alcohol erhärtete Drüse, Zeiss CC, Oec. 1.
Flächenschnitt von der in Alcohol erhärteten Geschlechtsdrüse einer
6 cm langen Larve von Salamandra maculata, um das Vorhandensein
eines „Endothels“ in dieser Zeit zu demonstriren. Zeiss F, Oc. I.
‚28b, 29 u. 30. Aus doppelt chromsaurem Ammoniak isolirte Hüllen
der 'Geschlechtszellen einer 3 cm langen Larve von Salamandra
maculata.
Flächenschnitt von der Geschlechtsdrüse einer 1,5 cm langen jungen
Forelle mit Dottersack. Die Geschlechtszelle g! liegt noch im Niveau
der Peritonealzellen; g?* wird von ihnen umwachsen. Bei g? sind
nicht alle deckenden und benachbarten Peritonealzellen gezeichnet,
um eine bessere Ansicht von der tiefer gelegenen Geschlechtszelle
geben zu können. Ansicht von der Bauchfläche. Alcoholpräparat.
Zeiss F, Oc. I.
Theilung einer Geschlechtszelle von einer etwas älteren Forelle.
Zerzupfungspräparat. Die Hüllzellen auf der Oberfläche der ge-
theilten Geschlechtszelle sind nicht dargestellt. Zeiss F, Oc. 1.
Ein Pflüger’scher Schlauch, hervorgegangen durch fortgesetzte
Theilung einer Geschlechtszelle.e. Junge Forelle ohne Dottersack
5,3 cm lang vom 9. Mai (Beckenniere angelegt; Vorniere persistirt;
zwischen beiden ein frei verlaufendes Stück der Wolff’schen Gänge).
Auch in diesem Zerzupfungspräparat sind die Hüllzellen an der
Oberfläche nicht dargestellt. In Jodserum frisch untersucht; die
Grenzen der einzelnen Zellen nicht deutlich sichtbar. Zeiss F, Oc. I.
Tarel IT
. Aus einem Querschnitt eines 4 mm langen ca. vierwöchentlichen, bei
3°R. angebrüteten Forellenembryo’s aus der Mitte des Körpers. (Die
Urwirbel stellen hohle Blasen dar; die Chorda dorsalis ist kleinzellig;
Augen- und Ohrblase angelegt. In allen Zellen stecken noch viele
Dotterkörner. Im vorderen Drittel des Rumpfes ist der Wolff’sche
Gang noch nicht geschlossen. Das Stadium entspricht also dem von
Rosenberg in seinen Untersuchungen über die Teleostierniere vom
Hecht in Figur 1 abgebildeten.) In 2°/, doppelt chromsaurem Am-
moniak gehärtet und mit Carmin tingirt. Zeiss CC, Oc. II. W
der Wolff’sche Gang der rechten Körperhälfte; g, Geschlechtszellen;
Hypobl., das Darmdrüsenblatt; P, das Darmfaserblatt; P.S., die
Pleuroperitonealspalte; A, die Aorta.
. Frisches in Jodserum isolirtes Präparat des Wolff’schen Ganges mit
seinem Ueberzug von Peritonealzellen (P) und Geschlechtszellen (g)
von einem 1 cm langen Forellenembryo. Rechts ist der Wolff’sche
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 117
Gang (W) im optischen Längsschnitt gezeichnet, um zu zeigen, dass
an der Stelle, wo die Geschlechtszellen sich finden, der Gang keine
Wimperzellen führt, wie in seinem vorderen Abschnitt. Zeiss CC, Oc. II.
Aus einem Querschnitt durch die entsprechende Gegend eines unge-
fähr gleich alten Forellenembryo’s in 2°/, doppeltehromsaurem Ammo-
niak gehärtet und in Carmin gefärbt. Die Geschlechtszelle g liegt au
niveau der Peritonealzellen P. W, Wolff’scher Gang. Zeiss CC, Oc. II.
Aus einem Querschnitt durch dieselbe Gegend (Rückenflosse) einer
gleichbehandelten 2 cm langen Forelle. Die Geschlechtszelle g ist
von den Peritonealzellen h umwachsen. Zeiss CC, Oc. II.
Flächenschnitt von der Oberfläche der Geschlechtsdrüsenanlage einer
2 cm langen Forelle, in absolutem Alcohol erhärtet. Die Perito-
nealzellen auf der Oberfläche der Geschlechtszellen (g) sind nicht
dargestellt. Zeiss F, Oc. I.
Grosser Theil der isolirten Geschlechtsdrüse einer 2 cm langen
Forelle. Die Peritonealzellen auf der Oberfläche der Geschlechts-
zellen (g) sind nicht gezeichnet. Man erkennt Theilungsvorgänge
der Geschlechtszellen. Zeiss CC, Oc. III.
Ein Stück der isolirten Geschlechtsdrüse einer 2,4 cm langen Fo-
relle ohne Dotter. Die Geschlechtszellen (g) bilden weit von einan-
der getrennte Nester, auf deren Oberfläche die Peritonealzellen in
der Zeichnung nicht wiedergegeben sind. Zeiss CC, Oc. II.
Längsschnitt durch einen Theil der Geschlechtsdrüse einer 2,5 cm
langen Forelle, etwa 14 Tage älter als die vorige. Alcoholpräparat,
Zeiss CC, Oc. II.
Eischlauch von einer erwachsenen Gadus lota im November. Die
Kerne der Hülle bei h, die Primordialeier bei g.
Flächenschnitt von der Oberfläche der Geschlechtsdrüsenanlage einer
Larve von Rana fusca; 9. Mai. Alcoholpräparat. Zeiss F, Oc. I.
In den folgenden Figuren bedeutet wie in den Arbeiten von
la Valette St. George’s
Fk, Follikelkern (auf Tafel II ist durch ein Versehen F dafür
gesetzt)
Ck, Cystenkern,
Sg, Spermatogonie,
Scyt, Spermatocyte,
Scyst, Spermatocyste,
Fh, Follikelhaut.
. Feiner Schnitt durch eine langgezogene Hodenampulle des Bombi-
nator igneus im Juli. Im Lumen dieser eben entleerten Ampulle
liegen noch vereinzelte reife Samenfäden, Ssm; alle Spermatogonien
in einer Follikelhaut eingeschlossen; manche in maulbeerförmiger
Kerntheilung; an zwei Stellen schon viele Spermatocyten im Folli-
kel: eine Cystenhaut hat sich noch nicht gebildet. Alcoholpräparat,
118
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
45.
46.
47.
47a.
Moritz Nussbaum:
Von der Eierstocksoberfläche der Rana esculenta im November.
Das Endothel geht continuirlich über Eianlagen und reife Eier hin-
weg. Alcoholpräparat, versilbert. Zeiss CC, Oc. III.
Von der Eierstocksoberfläche der Rana esculenta Ende März. Ueber
die Eianlagen zieht continuirlich das Endothel hin. Einfache Thei-
lungen bei a, maulbeerförmige bei b. Zwischen den gleichgrossen
Zellen keine kleineren vorhanden. Alcoholpräparat, versilbert. Zeiss
E.10e,T:
Von der Oberfläche des Eierstocks im August — Rana esculenta.
— Das Endothel zieht continuirlich über die in maulbeerförmiger
Kerntheilung begriffenen Eianlagen hin. Die Grenzen der Zellen
sind schwer sichtbar, aber bestimmt vorhanden. Alcoholpräparat,
versilbert und mit Carmin tingirt. Zeiss F, Oc. I.
Zellen aus einem Pflüger’schen Schlauch in der Geschlechtsdrüse
einer 5,5 cm langen Tinca chrysitis. Alcoholpräparat. Zeiss F, Oc.l.
47b. Maulbeerförmig getheilter Kern ebendaher. Zeiss F, Oc. 1.
48.
49.
50.
öl.
59.
54.
Maulbeerförmig getheilter Kern aus dem Ovarıum von Bombinator
igneus. s
Eine Spermatogonie in ihrer Follikelhaut von Rana esculenta, Ende
Juli. Frisch in Humor aqueus des Thieres untersucht. Zeiss F, Oe.1.
Ein in Humor aqueus des Thieres isolirter maulbeerförmig getheil-
ter Kern aus dem Hoden des Bombinator igneus. Juli. Zeiss F, Oc. I.
(Vergl. v. le Valette St. George: Dieses Archiv, Bd. XII, Tafel 35,
Figur 36, 68 und 36a.)
Tafel II.
Follikel (Samenzellengruppe in einer kernhaltigen Kapsel) aus dem
Hoden von Cyprinus erythrophthalmus. Isolationspräparat in 5°,
molybdänsaurem Ammoniak conservirt. November. Zeiss F, Oc. I.
. Ein junges Ei mit seinem Follikelepithel aus dem abgelaichten
Eierstock eines grossen Exemplares von Gadus lota. Die Membrana
Follieuli ist nicht dargestellt. Präparat 5 Minuten lang mit 0,1%,
Ueberosmiumsäure behandelt und sofort untersucht. Zeiss F, Oc. 1.
Profilansicht des Follikelepithels eines ausgedrückten Eies von
0,15 mm Durchmesser. Von demselben Eierstock wie Fig. 52. Os-
miumpräparat. Zeiss F, Oec. I.
Aus dem Hoden von Bombinator igneus am 25. Juli. Alcoholprä-
parat in verdünntem Glycerin untersucht. Ein Samenfollikel mit
seinen beiden Häuten, der Follikel- und Cystenhaut; m Kerne der
Ampullenwand. Zeiss F, Oc. 1. ]
Aus dem Hoden von Lacerta agilis. 23. Juni. Alcoholpräparat in
verdünntem Glycerin untersucht. — Ein Samenfollikel. — m, Kerne
der Membrana propria eines Hodenkanälchen. Zeiss F, Oc. IH.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
98.
56.
57.
58.
89.
. 60.
61.
63.
64.
. 65.
. 66.
67
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 119
Eine Spermatogonie mit Follikelhaut der Membrana propria des
Hodenkanälchens aufsitzend von einer einjährigen Rana esculenta.
Feiner Schnitt durch einen in absolutem Alcohol erhärteten Hoden
einer jungen Rana platyrrhinus vom 27. Juli. Es ist ein Hoden-
kanälchen mit seinem Ausführungsgang getroffen. Im Hodenkanäl-
chen liegen Spermatogonien und ihre Derivate von Follikelzellen
eingeschlossen. Zeiss F, Oec. I.
Aus dem in absolutem Alcohol erhärteten Hoden einer jungen Krähe
vom 30. Mai. Zeiss F, Oc. I. (NB. Die grössten Eifollikel eines
gleich alten Weibchen haben 60 « im Durchmesser.)
Ein junges Ei einer Ende Juli untersuchten Lacerta agilis. Das
Follikelepithel bildet noch eine einfache Lage gleicher Zellen. Os-
miumsäurepräparat in verdünntem Glycerin untersucht. Zeiss F, Oc. I.
Eine Samencyste von Tenebrio molitor. August. Isolationspräparat
in Jodserum untersucht. Zeiss CC, Oc. I.
Eine eröffnete Samencyste von Tenebrio molitor. Die Samenfäden
sind nicht vollständig dargestellt. Isolationspräparat. August. In
Jodserum untersucht. Zeiss F, Oc. I. (Vergl. von la Valette $t.
George, dieses Archiv Bd. X, Tafel 35, Figg. 43—47.)
Feiner Schnitt aus dem Hoden eines jungen Cypselus apus. Alcohol-
präparat. Sg. eine in Theilung begriffene Spermatogonie; links da-
von eine ungetheilte. Alle Spermatogonien oder ihre Derivate von
Follikelzellen umhüllt. Zeiss F, Oc. 1.
. Schnitt durch ein 2 mm grosses Ei der Lacerta agilis. In 2°/, dop-
pelt chromsaurem Kali und dann in’ Alcohol erhärtet. F das aus
zwei Zellenarten bestehende Follikelepithel; Z die Zona pellucida;
D der Dotter.
Aus dem Eierstock der Rana fusca vom Ende Juli. Alcohol-Carmin-
präparat; Zeiss F, Oc.I. M eine in maulbeerförmiger Kerntheilung
begriffene Eianlage; E fertiges Ei; F Kern der Follikelzellen.
Von der Oberfläche des Eierstocks der Rana esculenta zu Ende
November. Versilbertes Alcoholpräparat.
Aus dem Eierstock von Bufo cinereus drei Tage nach dem Laichen;
g eine Eianlage mit ungetheiltem; M mit maulbeerförmig getheil-
tem Kern. h Hüllzellen. Das Endothel der Oberfläche ist nicht
dargestellt.
Von der Hodenoberfläche einer Rana fusca aus der Mitte October.
Das Präparat ist bei der Einstellung dicht unterhalb der Membrana
propria eines Hodenkanälchen gezeichnet. Man sieht die durch die
Samenfollikel hervorgebrachte Felderung und die der Membrana
anliegenden Spermatogonien; bei Ck schimmert ein dem Lumen des
Hodenschlauches näher gelegener Cystenkern durch. Alcoholpräparat ;
Zeiss F, Oc. II.
Von der Hodenoberfläche einer Rana fusca im November. Die
120
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
68.
aa
1
©
Moritz Nussbaum:
Spermatogonien sind theils in maulbeerförmiger Kerntheilung bei M;
theils sind sie schon mit Follikelzellen umgeben Sg; andere befinden
sich in ihrer Follikelhaut schon wieder in maulbeerförmiger Kern-
theilung. Alcoholpräparat; Zeiss F, Oc. 1.
Von der Oberfläche des Eierstocks einer Rana esculenta im No-
vember. Versilbertes Alcoholpräparat.
. Aus dem Hoden von Rana fusca im O ctober. Die Spermatogonien
bilden Ketten dicht an der Membrana propria der Hodenschläuche;
einige, M, haben maulbeerförmig getheilte Kerne. Feiner Schlauch-
querschnitt aus einem Alcoholpräparat; Zeiss F, Oc. I.
. Aus dem Hoden von Rana fusca im August. Unterhalb des
Samenfollikels, dessen Cystenkern bei Ck, eine in Theilung begriffene
Spermatogonie. Alcoholpräparat, feiner Schnitt; Zeiss F, Oe. I.
Aus dem Hoden von Rana fusca zu Anfang April. Ein entleerter
Samenfollikel, dessen Cystenkern bei Ck undeutlich oberhalb einer
in Theilung begriffenen Spermatogonie hervorschimmert. Alcohol-
präparat; feiner Schnitt; Zeiss F, Oe. I.
bey), ING
. Die Unterfläche des abgehobenen Eierstocksepithels eines 3 Monat
alten Hundes. Bei x die Lücken der herausgezerrten Pflüger’-
schen Eischläuche; bei g ein maulbeerförmig getheilter Kern. Zer-
zupfungspräparat eines in 0,1°/, Osmiumsäure 24 Stunden aufbe-
wahrten Eierstocks. Zeiss F, Oc. 1.
. Feiner Schnitt aus dem Hoden von Cyprinus erythrophthalmus im
November. Die Figur ist in. der Lithographie nicht correct
wiedergegeben worden. So geht der Contour des ersten rechts oben
gelegenen Kernes der Membrana propria des nur theilweise darge-
stellten Hodenacinus irrthümlich in den kleinsten Follikel über,
dessen Follikelkern F nicht, wie er sollte, durch leichte Schattirung
der Umgebung höher gelegen erscheint als der Inhalt des Follikels.
An dem nach links gelegenen Follikel sind die äusseren Contouren
der Follikelkerne gar nicht gezeichnet; ihre Lage verräth sich nur
durch die leichten Biegungen in der äusseren Begrenzung des
Follikels. Alcoholpräparat; Zeiss F, Oc. 1.
. Aus dem Eierstock einer 18 cm langen Gadus lota, Ende März.
Ösmiumsäurepräparat ;, Zeiss Immers. M, Oc. I.
. Aus dem Eierstock derselben Gadus lota. Ein Theil eines Pflü-
ger’schen Eierschlauches; darin zwei Eier mit Follikelepithel; die
Follikelzellen des kleinen Eies sind grösser als die des grösseren
Eies. Osmiumsäurepräparat mit Carmin tingirt; Zeiss F, Oc. IH.
. Ein maulbeerförmig getheilter Kern einer Spermatogonie von Oypri-
nus erythrophthalmus (b). Kern eines Spermatocyten (a). Frisch
in Jodserum untersucht. Zeiss F, Oc. I.
Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 121
Fig. 77, 78 und 79. Frisch in Jodserum untersuchte amoeboide Theilstücke
Fig.
Fig.
0 er,
. 80.
8l.
. 82.
. 83.
. 84.
. 85.
. 86.
0. 87.
. 88.
89:
30.
gl.
92.
93.
von Samenfollikeln aus dem Hoden von Cyprinus erythrophthalmus
im November. 77 und 78 aufeinanderfolgende Phasen desselben
Präparates, worin zu Anfang die Kerne nicht wahrgenommen
werden konnten.
Schlauch der Leydig’schen Zwischensubstanz aus dem Hoden eines
3 Monat alten Hundes. Osmiumsäurepräparat; Zeiss F, Oec. I.
Abortive Eischläuche aus dem Ovarium einer gleich alten Hündin.
Ösmiumsäurepräparat; Zeiss F, Oc. I.
Schnitt aus dem Hoden eines 3 Monat alten Hundes. A, Blutgefäss;
LS, Leydig’sehe Zwischensubstanz; H.C. Hodencanal. Zeiss A, Oc. I.
Leydig’sche Zwischensubstanz aus dem Hoden des Eichhörnchen ;
h Kerne der Kapsel um die Zwischensubstanzzellen. Alcoholprä-
parat. (v. 1a Valette St. George del.)
Bau der Hodencanäle einer jungen Krähe; an die gewundenen brei-
ten Hodencanäle schliessen sich engere Tubuli recti an.
Spermatogonie — amoeboid — aus dem Hoden von Emberiza ci-
trinella; Ende März frisch in Jodserum untersucht.
Versilbertes Endothel der vorderen Bauchfläche einer jungen Rana
fusca vom Anfang Juni. Zeiss CC, Oc. I.
Wimperepithel derselben Gegend von einem erwachsenen Weibchen
der Rana fusca. Zeiss CC, Oe. I.
Hodenschlauch von Pelobates fuscus aus 2°/, doppelt chromsau-
rem Ammoniak isolirt. Zeiss CC, Oc. II.
Vier isolirte Hodenschläuche von Pelobates fuscus — gleichaltes Thier
wie das vorige — vom 20. Juli, also etwa 4 Monate alt. Der func-
tionelle Theil ist breiter als der ausführende. Zeiss A, Oc. Ill.
Keimbläschen eines Eies von Gadus lota mit vielen Keimflecken.
In Jodserum untersucht. Zeiss F, Oec. I.
Keimbläschen eines kleineren Eies von Gadus lota mit einem grossen
und zwei kleinen Keimflecken. In Jodserum untersucht. Zeiss F,
Oe. 1.
Aus der Niere einer am 15. August untersuchten J" Rana esculenta ;
Samenfäden in der Kapsel eines Malpighi’schen Körperchen.
Netzwerk in einem Kern aus der Geschlechtsdrüse einer 3,5 cm
langen Larve von Rana esculenta, Ende Juli. Zeiss F, Oc. II.
Seite 109 bitte zu lesen Zeile 7 v. u.
..
höheren Thiere wegen des Mangels hervortretender embryonaler
Charactere ihrer Geschlechtszellen wohl schwerlich einen Beweis .... ..
122 R. Wiedersheim;
Zur Histologie der Dipnoör-Schuppen.
Von
Prof. ß, Wiedersheim in Freiburg i. B.
Hierzu Tafel V.
Die ersten, mir bekannt gewordenen Beobachtungen über
Dipnoör-Schuppen datiren auf das Jahr 1839 zurück und sind in
der Arbeit Owen’s über Lepidosiren annetcens (Protopterus) nie-
dergelegt. Sie beschränken sich auf Angaben über allgemeine Form-
und Grössenverhältnisse, sowie auf einige histologische Bemerkun-
gen, welchen indessen von unserem heutigen Standpunkt nur ein
geringer Werth beizumessen ist. Ganz dasselbe gilt für die im
Jahr 1840 herausgegebene Monographie Bischoffs über Zepido-
siren paradoxa, worin das Schuppenkleid nur flüchtig berührt und
keiner mikroskopischen Prüfung unterzogen ist. In ausgedehntem
Maasse thut dies jedoch Hyrtl in seiner fünf Jahre später er-
schienenen Arbeit über dasselbe Thier; gleichwohl aber ist auch
hierin Vieles irrthümlich aufgefasst, wenn auch wieder manche
zutreffende Bemerkungen, wie z. B. über die Befestigung der
Schuppen in der Cutis, über die Kalkschicht ihrer Oberfläche ete.
mit unterlaufen. Weit über allen den genannten Arbeiten steht die-
jenige Köllikers (Würzb. naturw. Zeitschr. T), worauf ich später
zu sprechen kommen werde.
Die neuesten Studien über Dipnoer-Schuppen hat Günther
an COeratodus angestellt und nach seinen Angaben und Abbildun-
gen scheint jenes Thier von Lepidosiren und Protopterus prinei-
piell nieht abzuweichen. Wenn wir absehen von der mehr recht-
eckigen Form und durchweg viel grösseren Entwicklung der ein-
zelnen Schuppen, so finden wir namentlich in folgenden Punkten
eine Uebereinstimmung aller drei Dipnoör: die äussere Fläche ist
raulh, mit verkalkten, kegelförmigen Prominenzen über und über
besät, die innere dagegen durchaus glatt. Letztere besteht aus
zahlreichen Schichten von „Faserknorpel“, welche sich gegenseitig
durchkreuzen und zwar bei Ceratodus unter einem Winkel von
Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. 123
90 oder 45°. Eine weitere Uebereinstimmung erblicken wir in
dem Vorhandensein eines fast über die ganze Schuppe sich er-
streekenden Netzwerkes von hellen Linien, die auch schon Owen
l. c. sowie Hyrtl erkannt und richtig abgebildet haben.
Mir selbst stand Ceratodus nicht zur Verfügung, wohl aber
Lepidosiren paradoxa und annectens. Beide zeigen keine wesentli-
chen Unterschiede in ihrem Schuppenbau und so kann die hier
folgende Beschreibung des letztgenannten Thieres fast durchaus
auch auf Lepidosiren paradoxa übertragen werden.
A. Die Schuppen von Lepidosiren annectens
(Protopterus).
Von der freien Hautoberfläche ausgehend stösst man zuerst
auf eine dünne, bräunliche, von Schuppe zu Schuppe continuirlich
überspringende Schicht, die ich zuerst für die Epidermis gehal-
ten, später aber auch noch theilweise als dem Corium angehörig
erkannt habe. Eine scharf abgegrenzte Epidermis vermochte ich
nicht nachzuweisen, woran übrigens, nach den Kölliker’schen Mit-
theilnngen (l. ce.) zu schliessen, der da und dort etwas defecte
Zustand des Präparates schuld gewesen sein mag, An verschiede-
nen Stellen eingesprengte, rundliche und ovale Gebilde (Fig. 2 e,e),
sind vielleicht als letzte Reste von Hautdrüsen aufzufassen, doch
will ich das nieht als ganz sichere Behauptung aufstellen.
Entfernt man die oben erwähnte, braune, den freien Abschnitt
der Schuppe florartig deckende Schicht, so gelingt dies in voll-
ständiger Weise bis zum hinteren Schuppenrand, wo die Trennung
nur mit Mühe und auch so nie gänzlich zu bewerkstelligen ist; im-
mer bleiben Fetzen daran hängen, so dass der Rand der isolirten
Schuppe hier stets wie zerrissen aussieht (Fig. 3.a!). Auf dersel-
ben Figur deutet die bogige, schwarz punktirte Linie die Grenze
an zwischen dem freiliegenden, nach dem Schwanzende des Thie-
res schauenden (a!) und dem vorderen, von der nächst folgenden
Schuppe dachziegelartig gedeckten Abschnitt (a) !).
1) Ueber die allgemeine Configuration der Schuppe vergleiche dieselbe
Abbildung. Der grösste Breitendurchmesser entspricht ungefähr der grössten
Länge der Schuppe. Beide stellen sich bei Schuppen’ aus der mittleren Rumpf-
gegend auf 6—7 Mill. Bei Lepidosiren paradoxa sind die Schuppen ge-
streckter, mehr rechteckig.
124 R. Wiedersheim:
Ein parallel der Längsaxe des Thieres durch die Haut geführ-
ter Schnitt (Fig. 2) eröffnet uns einen vortrefflichen Einblick in
die genaueren Beziehungen der Schuppen zur Cutis und gerade
darin, dass frühere Untersucher einen solchen anzufertigen unter-
lassen haben, liegt der Grund ihrer unzureichenden Darstellung.
Der Wahrheit nach am nächsten kommt die Beschreibung von
Hyrtl und Kölliker, die ausdrücklich bemerken, dass die Schup-
pen von L. paradoxa nicht auf, sondern im Corrum selbst zu suchen,
dass sie, mit anderen Worten, von letzterem gänzlich umschlos-
sen seien. Ganz dasselbe gilt nun auch für Protopterus, wie ein
Blick auf die Figur 2 beweist. Bei % liegt die äusserste Schicht
des grossen Seitenrumpfmuskels, an welchen sich die den ganzen
Körper einhüllende starke Fascie : unmittelbar anschliesst. Ihre
Fasern sind stark in einander gefilzt und entsenden gegen die freie
Hautfläche heraus blattartige Fortsätze, wovon immer zwei nahe
neben einander entspringen und von den nächst hinteren und vor-
deren durch regelmässige Intervalle getrennt sind. Anfangs enge
zusammenliegend und so einen engen Spaltraum begrenzend ent-
fernen sich die Blätter nach aussen zu mehr und mehr von einan-
der, bis sie schliesslich gegen die freie Hautfläche zu wieder mehr
convergiren und hier durch zahlreiche, korkzieherartig und auch
wellig verlaufende elastische Fasern gegenseitig verbunden wer-
den (pp). Durch den so erfolgenden Abschluss des zwischen ihnen
liegenden Spaltraumes entsteht eine Tasche (»), die zur Aufnahme
der Schuppe (0) bestimmt ist. Letztere verhält sich zu den beiden
Blättern folgendermassen: das obere, dorsal von ihr liegende ist
weitaus schwächer entwickelt, als das an der ventralen Schuppen-
fläche liegende Blatt und kommt mit der Schuppe nirgends in un-
mittelbaren Contact, sondern ist gleich anfangs, weit mehr aber
noch gegen die Peripherie zu, von ihr abgehoben (?).
Viel stärker entwickelt und der ventralen Schuppenfläche
entweder gleich von Anfang an oder doch von ihrer Mitte an eng
anliegend ist die untere Lamelle (k), welche sich auch noch beson-
ders dadurch von der oberen unterscheidet, dass sie gegen das
hintere, freie Ende der Schuppe mit deren Unterfläche auf’s In-
nigste sich verlöthet und schliesslich bei dem Punkt g vollkom-
men mit ihr verwächst, um dann unter welligem Verlauf und unter
immer fortschreitender Verdünnung in die subepidermoidale
Schieht des Coriums sich einzusenken (f). Sie ist dieser innigen
Zur Histologie der Dipnoe@r-Schuppen. 125
Beziehungen zur Schuppe wegen als die eigentliche Matrix der-
selben zu betrachten.
Der zwischen je zwei solchen paarigen Lamellen-Systemen
existirende Zwischenraum (g) ist von einem äusserst zarten Ma-
schengewebe aus Bindegewebsfibrillen, in denen sich spärliche
Kerne nachweisen lassen, erfüllt. Ich habe mir die Frage vor-
gelegt, ob wir es hier nicht mit einem zur Ernährung der Schuppe
in Beziehung stehenden Lymphraum zu schaffen haben? Dieser
Gedanke liegt um so näher, als einerseits von Blutgefässen kaum
Spuren zu entdecken’) sind und andrerseits, wie wir später sehen
werden, in der Schuppe selbst Einrichtungen bestehen, die sehr
wohl damit in Einklang zu bringen sind.
Auch ohne dass man die Schuppe aus ihrer Tasche befreit,
lässt sich auf Durchschnitten derselben (Fig. 20 und Fig.4) schon
so viel erkennen, dass sie aus zwei Schichten besteht, einer dieke-
ren unteren und einer dünneren oberen (Kölliker’s Faserschicht
und Ganoinlage). Erstere ist ventralwärts glatt, letztere dorsalwärts
rauh wie mit kleinen Stacheln versehen. In ihrem Centrum ist die
Schuppe am dicksten, gegen die Peripherie zu verflacht sie sich
mehr und mehr.
Zur Gewinnung einer genaueren Vorstellung ihres Baues muss
man stärkere Vergrösserungen anwenden, später auch die Schuppe
isoliren und von der Fläche betrachten. Dabei leisten Doppelfärbun-
gen mit Pikro-Carmin und Methyl-Grün sehr gute Dienste und man
thut gut, auch entkalkte Präparate zum Vergleiche herbeizuziehen.
Was nun zunächst die untere Lage der Schuppe anbelangt,
so besteht sie, je nachdem man einen mehr central oder mehr pe-
ripher liegenden Abschnitt derselben in’s Auge fasst, aus verschie-
denen, der Zahl nach zwischen 5 und 12 schwankenden Bindege-
websschichten, die sich unter einem rechten Winkel kreuzen. So
wechselt also z. B. auf der Fig. 7 eine Querlage (9) stets mit
einer Längslage (Z) ab, doch darf man sich die Sache nicht so
vorstellen, als ob beide in einem einfachen, gegenseitigen Apposi-
tions-Verhältnisse stehen würden, die anstossenden Lagen sind
vielmehr untrennbar mit einander verwachsen. Reisst man sie
mit Anwendung einiger Gewalt doch von einander, so sieht jede
davon aus wie mit kurzen Haaren oder wie mit Gras bewachsen,
was ein Zeugniss ablegt von der innigen Verquiekung der einzel-
1) Kölliker ist hierin zu andern Resultaten gelangt.
126 R. Wiedersheim:
nen Fasersysteme. Die Regelmässigkeit der Schichtung erstreckt
sich nicht ununterbrochen über die ganze Schuppe hin, sondern
ist von Stelle zu Stelle (Fig. 4 **) der Art unterbrochen, dass hier
eine regellose, enge Verfilzung sämmtlicher Fasern statt hat.
Da und dort erscheinen grössere und kleinere Spalten da-
zwischen, so dass für die aus den oben erwähnten Lymphräumen
stammende Ernährungsflüssigkeit der Weg um so mehr vorgezeich-
net ist, als je eine solche Verwerfung der Fasersysteme einem der
später zu betrachtenden Maschenzwischenräume auf der Schuppen-
oberfläche entspricht.
Die unterste Faserschicht (Fig.7 L!) geht in die Fibrillen
der anliegenden Schuppentaschenwand ohne scharfe Grenze über,
ein Umstand, den ich oben schon angedeutet habe. Etwas deut-
licher setzt sich das oberste Stratum (Q!) von der zweiten Haupt-
lage der Schuppe ab und diese will ich jetzt näher besprechen.
Betrachtet man die Schuppe von ihrer oberen Fläche, so
sieht man sie von einem bei Pikrocarminzusatz lebhaft roth ge-
färbten Netzwerk überzogen. Die einzelnen Maschen sind von
sehr ungleicher Grösse, jedoch alle mehr oder weniger nach der
Längsachse der Schuppe gestreckt. Ihr Inneres ist von einer grossen
Zahl kleinster Zähnchen besetzt, denn als solche entpuppen sich bei
starker Vergrösserung die von früheren Untersuchern als „Stacheln“,
„Dornen“, „Spitzen“ und „kegelartige Prominenzen“ beschriebenen
Gebilde. An jedem Zähnchen lässt sich eine aus Dentin beste-
hende, meist nach rückwärts gegen das Schwanzende des Thieres
sekrümmte freie Spitze, sowie ein damit verwachsener, aus Ce-
mentsubstanz bestehender Sockel unterscheiden. Fig. 6 und 7 bei
D und $. Letztere erheben sich kegelartig über das Niveau der
Schuppe und oft ist der zugehörige Zahn abgebrochen, so dass
man wie in einen kleinen Krater in die Höhlung des Sockels hin-
einzuschauen vermag. Im optischen Querschnitt erscheint die Sok-
keloberfläche auf Figur 6 S!S?, wo man durch die glasartig hellen
Zähnehen hindurehsieht. Trotz der eben geschilderten Verhält-
nisse jedoch vermochte ich im eigentlichen Zahn selbst keine Pul-
pahöhle, keine Dentinröhrchen und ebensowenig eine Schmelzlage
nachzuweisen ; auch vermisste ich in der Cementsubstanz jede
Spur von Knochenkörperehen oder von Kalkkugeln, wie letztere
von @ünther (l. e.) bei Ceratodus beschrieben worden sind.
Sehr interessant war es mir zu sehen, dass die
Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. 127
Zahnsoekel nicht etwa einzeln im unterliegenden Bin-
degewebsstroma der zweiten Schuppenschicht einge-
pflanzt liegen, sondern dass sie sich basalwärts band-
artig ausbreiten, um mit benachbarten in Verbindung
zu treten (Fig. 5—7). Daraus resultirt ein äusserst zier-
liches, fein längsgestreiftes Netzwerk aus Cementsub-
stanz, worinaber ebensowenig Knochenkörperchen nach-
zuweisen sind, als in den eigentlichen Zahnsockeln.
Durch die einzelnen, ovalen oder runden Maschen !) f hin-
durch erblickt man die oberste‘Schicht der bindegewebigen Grund-
lage der Schuppe und alle Versuche, das aufliegende Cementnetz
von letzterer in toto abzuheben, misslingen am frischen, unent-
kalkten Präparat, indem Alles glasartig abspringt und in Trüm-
mer geht. Ganz vortrefflich aber erreicht man dieses Ziel an
Schuppen, die einige Tage in Chromsäure gelegen haben. Sind
diese Präparate vollends in geeigneter Weise gefärbt worden, so
erhält man in dem gänzlich isolirten Filigran-Netz eines der rei-
zendsten Bilder, die einem unter dem Mikroskop vor Augen kom-
men können.
Die Zähnchen stehen nicht überall auf der Schuppe gleich
zahlreich zerstreut, sondern werden gegen das Hinterende der
Schuppe zu spärlicher (vergl. Fig. 2, wo von dem Punkte z bis
zum hinteren freien Schuppenende keine Zähne mehr sitzen), bis
sie endlich ganz aufhören, wogegen das Cementnetz auch hier
noch erhalten ist. Die Maschen erscheinen dabei aber lange nicht
mehr so regelmässig, sind verzerrt und öffnen sich frei nach aussen
gegen den Schuppenrand. (Vergl. hierüber auch Kölliker l. e.)
Schliesslich noch ein Wort über das oben schon genannte
Netz auf der Schuppenoberfläche. Dasselbe besteht — ieh will dies
noch einmal ausdrücklich hervorheben — nicht etwa aus einer
besonderen Substanz, sondern ist das Resultat folgender zweier
Umstände. Erstens fehlen daselbst die Cementbänder und Zähne
vollkommen und zweitens erleiden hier die sonst regelmässig al-
ternirenden Bindegewebsschichten eine Verwerfung, durchflechten
sich unregelmässig und erzeugen Spalträume. Dadureh wird die
ganze Schuppenreihe gewissermassen in seeundäre Schuppen oder
1) Sie sind bei Z. paradoxa viel enger, d. h. die Zahnsockel rücken
hier näher zusammen.
128 R. Wiedersheim:
Felder zerlegt, wovon jedes durch Conerescenz zahlreicher Zahn-
sockel auf seiner Dorsalfläche einen gefensterten, zahntragenden
Knochenmantel erzeugt.
B. Vergleichender Theil.
Die Hertwig’schen Untersuchungen über das Hautskelet der
Fische haben gezeigt, dass die Haifische und in gewissem Sinne
auch noch manche Ganoiden ein primitiveres Verhalten darstellen
als die Panzerwelse und auch als Polypterus. Während nämlich
in der über und über bezahnten Haut der Selachier, sowie in der
Bauchhaut der Acipenseriden und Lepidosteus jedes Zähnchen mit
seiner Basalplatte oder seinem Sockel getrennt von seinen Nach-
barn der Haut aufsitzt, sind die Zahnsockel an anderen Körper-
stellen bei Acipenser ruthenus und Lepidosteus zu mächtigen Kno-
chenplatten zusammengeflossen, ein Verhalten, das sich über den
ganzen Körper erstreckt bei gewissen Siluroiden, wie z. B. bei
Hypostoma. Es liegt auf derHand, dass die letzterwähnte
Entwieklungsstufe nicht plötzlich und sprungweise er-
reicht worden ist, sondern dass ein früheres Stadium an-
genommen werden muss, wo die Conerescenz der Basal-
platten vorerst nurangebahnt gewesen sein konnte. Eine
solche Entwieklungsstufe kannte man bisher nicht, ich
glaube sie aber in den Schuppen von Protopterus aufge-
funden zu haben, so dass dadurch eine fühlbare Lücke
zwischen dem Hautskelet der Selachier einer- sowie
der Ganoiden und Panzerwelse andrerseits ausgefüllt
wird. Dass sich das Hautskelet von Protopterus schon etwas
näher an das der Ganoiden anschliesst, dafür sprechen meiner
Ansicht nach zwei Punkte, die man wohl im Auge behalten muss.
Einmal kommen auck bei Acipenseriden schon die ersten Spuren
einer allmälig vor sich gehenden Assimilation mehrerer Basalplätt-
chen zu einer grösseren Platte vor, obgleich die einbezogene Zahl
von Zähnen entfernt nicht diejenige erreicht, wie sie uns auf
jedem Schuppenfeld von Protopterus entgegentritt. Eine zweite
Begründung der oben geäusserten Ansicht erblieke ich in der hi-
stologischen Uebereinstimmung, insofern den Acipenseriden wenig-
stens so gut wie Protopterus die Pulpahöhle, der Schmelz und
die Dentinröhrehen in den Hautzähnen fehlen. Dadurch stehen
Zur Histologie der Dipnoer-Schuppen. 129
sie im Gegensatz sowohl zu den Selachiern als zu den Panzer-
welsen, welche beide hierin das ursprünglichere Verhalten bewahrt
und nicht wie jene secundäre Umänderungen erlitten haben.
Die Schuppen von Ceratodus geben, nach der Darstellung
Günther’s zu schliessen, insofern ein höchst interessantes Ver-
gleichungsobject mit Protopterus ab, als dort die central lie-
senden Maschen in der Cementsubstanz bis auf minimale, die
Zahnbasis umgebende Löcher reducirt sind, während sie auf den
Seitenpartieen der Schuppe noch weiter offen sind, wenn auch lange
nicht mehr in dem Grade, wie bei Protopterus'). Somit sind
hier auf einer und derselben Schuppe zwei verschiedene Entwick-
lungsstufen repräsentirt, welche sich an diejenige der Schuppe
von Protopterus und L. paradoxa unmittelbar anreihen und
zu den grösseren Knochenschildern der Ganoiden und Panzer-
welse hinüberleiten.
Das Hautskelet von Protopterus zeigt somit ein primiti-
veres Verhalten als dasjenige von Ceratodus und L. paradoxa
und es erwächst uns ein neuer Beweis dafür, dass gewisse Or-
gansysteme eine ganz eigenartige Entwicklung nehmen, dass die
einen zurückbleiben, während andere weiter fortschreiten oder
sich sogar, wie die Extremitäten, bereits wieder rückbilden
können.
Erklärung der Tafel V.
Fig. 1. Die Schuppen in ihrem gegenseitigen Deckungsverhältniss. Halb-
schematisch. Der Pfeil deutet die Richtung des Schwanzes an.
Fig. 2. Schnitt durch die Haut, um die Schuppentaschen mit den inliegen-
den Schuppen zu zeigen. Hartnack V, 1.
Fig. 3. Eine isolirte Schuppe von ihrer Oberfläche gesehen. Hartnack: ], 1.
Fig. 4 Längsschnitt durch eine Schuppe. Hartnack: VI, I.
Fig. 5. Einige Schuppenfelder mit dem aufliegenden Zahn-Cementnetz. Die
Zähne selbst sind nur im mittleren Feld vorgezeichnet. Hartnack: V, 1.
Fig. 6. Ein Abschnitt aus dem isolirten Zahn-Cementnetz mit den aufsitzen-
den Zähnen. Hartnack: VIII, I.
Fig. 7. Ein Stück aus dem Längsdurchschnitt einer Schuppe. Hartnack:
IVERE, TUT.
Ueber die näheren Bezeichnungen vergleiche den Text.
1) Ceratodus schliesst sich somit hierin direkt an L. paradoxa an.
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 9
130 E. Neumann:
Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf
die Entzündungslehre.
Von
Prof. E,. Neumann in Königsberg i. Pr.
Hierzu Tafel VI.
E. Schwarz!) empfahl zuerst behufs einer Doppelfärbung
mikroskopischer Objekte die combinirte Anwendung des Carmin
und der Pierinsäure und bald darauf führte Ranvier?) das beide
Farbstoffe in sich vereinigende pierocarminsaure Ammoniak (ge-
wöhnlich schlechtweg als Pierocarmin bezeichnet) in die histolo-
gische Technik ein. Seitdem erfreut sich diese Färbungsmethode
bei den Mikroskopikern einer grossen Beliebtheit und namentlich
französische Histologen machen, wie die mit zahlreichen schönen
gelb und roth kolorirten Tafeln geschmückten Bände der Archives
de physiologie von Brown-Sequard, Chareceot und Vulpian
zeigen, eine sehr ausgedehnte Anwendung von derselben. Die
Gesetze, welche das verschiedene Verhalten der einzelnen Gewebs-
bestandtheile bei dieser Behandlungsweise und ihre Auswahl unter-
den beiden, ihnen gleichzeitig dargebotenen Farbstoffen bestimmen,
sind jedoch bisher nur unvollkommen erforscht und die hierüber
vorliegenden Angaben sind nicht ganz widerspruchsfrei. Die von
den Autoren gegebenen Beschreibungen und Abbildungen piero-
carmin-gefärbter Präparate lassen gewisse Verschiedenheiten der
Farbenvertheilung erkennen, ohne dass die Ursache dieser Differenz
aus abweichenden Anwendungsmethoden ersichtlich wäre und man-
cher Beobachter dürfte, wie es auch mir anfänglich erging, die
Erfahrung gemacht haben, dass das Resultat der Färbung von
mancherlei Einflüssen abhängt, welche er nicht zu beherrschen im
1) E. Schwarz über eine Methode der doppelten Färbung mikrosko-
pischer Objekte. Wiener Akad. Sitzungsberichte Bd. 55 p. 671. 1867.
2) Ranvier, Archives de physiologie 1868, p. 319; 1871—72 p. 131
und 775.
Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 131
Stande ist, wie denn noch kürzlich Weigert!) gelegentlich seiner
Empfehlung des Bismarckbraun gegen das Pierocarmin in gleicher
Weise wie gegen das einfache Carmin den Vorwurf der Unzuver-
lässigkeit erhoben hat. Unter diesen Umständen glaube ich eine,
seit 2-3 Jahren im hiesigen Pathologischen Institut vielfach be-
nutzte, modifizirte Methode der Pierocarminfärbung den Fachgenossen
empfehlen zu dürfen, von welcher ich eine prompte und constante
Wirkung rühmen kann und die eine sehr charakteristische Farben-
differenzirung der Gewebselemente liefert. Ich bin durch eine
sehr naheliegende Kombination auf dieselbe gekommen und möchte
glauben, dass auch andere Untersucher bereits denselben Weg ein-
geschlagen; zu allgemeinerer Verwendung dürfte sie jedenfalls
bisher nicht gelangt sein, und selbst in Ranvier’s Traite technique
d’histologie finde ich keine darauf bezügliche Angabe ?).
Die Methode schliesst sich an das von Schweigger-Seidel°)
für die Herstellung einfacher Carminfärbungen angegebene Ver-
fahren an und besteht im Wesentlichen darin, dass die mikrosko-
pischen Schnitte, nachdem sie in der Lösung des Ranvier’schen
Farbstoffes eine mehr oder weniger gesättigte orangenrothe Fär-
bung angenommen haben, der Einwirkung einer Mischung von
Salzsäure und Glycerin ausgesetzt werden. Man kann hierzu
das von Schweigger-Seidel angegebene Mischungsverhältniss
(1 Thl. Säure auf 200 Thl. Glycerin) benutzen, doch braucht man
sich keineswegs an dasselbe zu binden und kann sich mit der
Vorsehrift begnügen, dass man auf einige Cubikcentimeter Glycerin
1 bis 2 Tropfen Salzsäure nimmt, da ein etwas grösserer oder
geringerer Säuregehalt des Glycerins nur auf die Schnelligkeit
der Wirkung von Einfluss ist, ohne dieselbe übrigens zu ändern;
von Wichtigkeit ist nur, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, in
1) Weigert, Archiv für mikrosk. Anatomie, XV, p. 258, sowie auch
Virchow’s Archiv, Bd. 72 p. 223.
2) Es sei denn, dass Ranvier mit den Worten „quelle que soit la
liqueur carminde,. que l’on emploie, il est n@cessaire, pour avoir une belle
election, de conserver les pi6ces dans le baume ou dans un milieu acide“
(p- 100) das Princip der nachträglichen Säurebehandlung auch für die Picro-
carminfärbung aussprechen wollte. Bei Besprechung der letzteren bemerkt
er Nichts darüber.
3) Vergl. Cyon über die Nerven der Peritoneum, Arbeiten aus dem
physiolog. Institut in Leipzig, herausgegeben von Ludwig, 1868.
132 E. Neumann:
welchem die Säurewirkung abgebrochen und das Präparat in reines
Glycerin übertragen wird. Am leichtesten geschieht dies, wenn man
die Wirkung in einem auf den Objektträger gebrachten Tropfen
der Säuremischung vor sich gehen lässt und den Effekt von Zeit
zu Zeit unter dem Mikroskop beobachtet. Derselbe ist dann voll-
endet, wenn die frühere diffuse Carminfärbung sich, wie bei dem
Schweigger-Seidel’schen Verfahren, auf die Zellkerne konzen-
trirt hat und aus den übrigen Gewebstheilen fast vollständig ver-
schwunden ist. Hierzu reicht bei schwächer gefärbten Präparaten
und kräftiger Säurewirkung unter Umständen !/s bis 1 Stunde aus,
während man intensiv tingirte Schnitte der Einwirkung einer schwa-
chen Säuremischung ohne Gefahr 24 Stunden und länger überlassen
kann. Die Anwendbarkeit der Methode erstreckt sich ebensowohl
auf Alkoholpräparate, als auf solche, die in Chromsäure oder
Müller’scher Flüssigkeit gelegen haben, doch habe ich bei den
ersteren die besten Resultate gewonnen. Was die Conservirung
der so hergestellten Präparate betrifft, so ist mir eine Uebertragung
derselben in Canada-Balsam nur selten in gewünschter Weise ge-
lungen; meistens geht dabei aus ihnen das Gelb ziemlich voll-
ständig verloren. Dagegen halten sie sich in Glycerin von einem
Lackrahmen umgeben, lange Zeit sehr gut, namentlich wenn für
vollständige Entfernung der Säure gesorgt ist, wenn auch aller-
dings nach Verlauf von Monaten die ursprüngliche Farbenschönheit
schwindet und die markirte Farbendifferenzirung unter Auftreten
unreiner Farbentöne sich etwas verwischt.
Der wesentlichste Vorzug der auf die beschriebene Weise
angewandten Picrocarminfärbung besteht nun gegenüber der
Schweigger-Seidel’schen einfachen Carminfärbung darin, dass
sie, abgesehen von den schön roth gefärbten Zellkernen, die übrigen
Gewebsbestandtheile, welche bei letzterer gleichmässig entfärbt er-
scheinen, in 2 scharf gesonderte Gruppen scheidet: in solche, die
eine saturirte, zitronengelbe Picrinfarbe annehmen und in solche,
die ganz farblos sind oder doch wenigstens nur einen ganz blassen
röthlichen oder gelblichen Farbenschimmer darbieten. Zu der
ersteren Gruppe gehören alle aus Proteinsubstanzen bestehenden
Gewebstheile: das körnige Zellprotoplasma, die kontraktile Substanz
der glatten und quergestreiften Muskelfasern, das Blutfibrin (in
Thromben und dgl.), das Schilddrüsen-Colloid, die Amyloid-Substanz
und das sog. „käsige‘“ Material; ihnen schliesst sich an die Horn-
Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 133
substanz der Epidermis, Haare und Nägel, sowie die Grund-
substanz des Knorpels. Die zweite Gruppe wird gebildet durch
die Interzellularsubstanz des fibrillären Bindegewebes inclusive
elastische Fasern, die Knochengrundsubstanz, die mucinöse Substanz
des Schleimgewebes und der Schleimzellen, Fett.
Am auffallendsten tritt diese Differenzirung in entschieden
gelbe und in mehr oder weniger vollständig entfärbte Theile
übrigens an solchen Präparaten hervor, die durch eine vorange-
sangene energische Pierocarminbehandlung in Folge einer über-
wiegenden Aufnahme des Carmins in allen Theilen eine
gleichmässig dunkelrothe Farbe angenommen hatten; unter der
Einwirkung der Säure sieht man alsdann, indem der rothe Farb-
stoff sich auf die Zellkerne zurückzieht, aus den Gebilden der
letzterwähnten Kategorie die rothe Färbung einfach verschwinden,
während in den der ersteren Gruppe angehörigen Theilen dagegen
eine gelbe Farbe an Stelle der rothen tritt; so erscheinen z. B.
häufig die Muskelfasern vor der Säurebehandlung von dunkel-
rother Carminfarbe, nach derselben gelb und dasselbe gilt vom
Faserstoff und den übrigen oben genannten Massen. Anders bei
schwächerer Tinktion mit der Picrocarminlösung; hier erscheint
noch bevor die Säure angewandt wird, die Substanz der Muskel-
faser gelb gefärbt im Gegensatz zu dem Bindegewebe, welches
diffus roth ist, und die Säurewirkung beschränkt sich alsdann
lediglich auf eine Entfärbung des letztern und eine Uebertragung
des Carmin auf die Zellkerne.
Schliesslich sei bemerkt, dass auch die der Anfertigung der
Schnitte vorausgegangene Behandlung der Präparate nicht ohne
Einfluss auf die beschriebene Reaktion ist; so möchte ich z. B.
hervorheben, dass, worauf mich Herr Dr. Baumgarten aufmerksam
machte, aus Präparaten, welche in Müller’scher Flüssigkeit und
Alkohol erhärtet worden, das Carmin durch die Säure schwerer
sich extrahiren lässt und viel fester haftet als nach einfacher
Alkoholhärtung.
Da Empfehlungen neuer histologischer Untersuchungsmetho-
den bei dem grossen Angebot, welches in dieser Beziehung zur
Zeit besteht, nur zu leicht mit einigem Misstrauen aufgenommen
werden und Gefahr laufen, keine Beachtung zu finden, wenn von
134 E. Neumann:
dem Empfehlenden nicht zugleich durch ein Beispiel der Nachweis
geliefert wird, dass auf dem neuen Wege Resultate erzielt werden
können, zu welchen die bereits üblichen Hülfsmittel nicht aus-
reichen, oder die aus denselben doch wenigstens nur unsicherer
und schwieriger gewonnen werden können, so sei es mir gestattet,
im Anschlusse an das Obige, hier einige Beobachtungen mitzu-
theilen, die mir besonders geeignet erscheinen, die Vorzüge der
Methode erkennen zu lassen. Dieselben betreffen ein eigen-
thümlich verändertes Verhalten der Grundsubstanz des
Bindegewebes bei entzündlichen und verwandten Pro-
zessen, welches durch die angegebene Picrocarminfärbung in sehr
markirter Weise hervortritt, an ungefärbten und auch, soweit meine
Erfahrungen mit den sonst gebräuchlichen Farbstoffen reichen,
an anders gefärbten Präparaten dagegen sehr leicht übersehen wird,
sodass es trotz der Häufigkeit seines Vorkommens und seiner un-
zweifelhaft wichtigen Bedeutung für die bei jenen Prozessen auf-
tretenden makroskopischen Veränderungen von den pathologischen
Histologen bisher nicht genügend gewürdigt worden ist.
Während das Verhalten der zelligen Elemente des Binde-
gewebes bekanntlich seit einer Reihe von Jahren im Vordergrunde
der Tagesfragen steht, müssen wir auf ältere Zeiten zurückgehen,
um zu erfahren, dass auch mit der fibrillären Grundsubstanz des-
selben bei der Entzündung Veränderungen vor sich gehen und wir
finden hier insbesondere Angaben über eine „fibrinöse‘“ Umwand-
lung derselben, durch welche unter Umständen eine so grosse
Faserstoffähnlichkeit des Bindegewebes entstehen soll, dass eine
Unterscheidung desselben vom wirklichen Blut- oder Exsudat-
fibrin schwierig wird. Ich erinnere hier an die von Rokitansky!),
Virchow?) und Buhl?) gegebene Darstellung von der Entzündung
der serösen Häute.
Rokitansky wies zuerst darauf hin, dass man bei letzteren
das auftretende Faserstoffexsudat wohl zu sondern habe von einer
unter demselben befindlichen eigenthümlich veränderten Gewebs-
schicht, welche „die faserige Textur verloren und eine hyaline
1) Rokitansky, Lehrbuch d. pathol. Anatomie. 3. Aufl. 1855. Bd. I,
pag. 148.
2) Virchow, Gesammelte Abhandlungen, 1856, pag. 136.
3) Buhl, über das Faserstoffexsudet. Sitzungsberichte der Kgl. Bayer.
Akademie der Wissenschaften, 1863, Bd. II, pag. 59.
Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 135
gallertige Beschaffenheit angenommen habe“, er lässt dieselbe aus
dem normalen Gewebe der serösen Haut durch eine Gewebsvege-
tation entstehen, welche „in Form eines zartvillösen Anfluges,
papillenartiger Granulationen, leistenartiger verzweigter, anasto-
mosirender Fältchen hervorspriesst“ und sich zu einer einfachen
oder durehbrochenen (areolirten) Lamelle oder einem Maschenwerk
gestaltet, aus dem wieder Zotten, Papillen und Leisten hervorgehen.
Virchow, der bekanntlich die Lehre aufstellte, dass eine fibrinöse
Exsudation aus dem Blute bei der Entzündung nicht stattfände,
vielmehr aller dabei auftretender Faserstoff Produkt eines chemischen
Umsatzes in den Geweben sei, spricht sehr bestimmt von einer Ent-
stehung fibrinöser Massen aus dem Bindegewebe und giebt folgende
Beschreibung von den sogenannten fibrinösen Entzündungen der
serösen Häute, „die trockene rauhe, schon für das blosse Auge
und das Gefühl unebene, matt aussehende Fibrinschicht hängt mit
dem Gewebe sehr dicht zusammen und es ist zuweilen hier ebenso
schwierig, wie bei den diphtheritischen Exsudaten der Schleimhäute,
eine Grenze zwischen dem Exsudat und dem Gewebe zu sehen;
eines geht in das andere über und man kann nicht selten das Ex-
sudat so kontinuirlich mit dem Bindegewebe zusammenhängen
sehen, dass es vollständig den Eindruck macht, als sei das Ex-
sudat eben nur umgewandelte Interzellularsubstanz des
Bindegewebes. Dieses wird gewöhnlich so homogen, es ver-
liert sein fibrilläres Aussehen so vollständig, dass man es mit
Hornhaut oder irgend einem anderen faserknorpeligen Theile ver-
gleichen kann; auch tritt as Exsudat nicht gleichmässig hervor,
sondern sehr häufig, wie Rokitansky sehr gut beschrieben hat,
in allerlei areolären, netzförmigen und maschigen Figuren.“ Hier-
mit in Uebereinstimmung erklärte auch bei späterer Gelegenheit !)
Virchow, dass die fibrinösen Exsudate „zum 'Fheil nichts weiter
als umgewandeltes, aufgequollenes Gewebe selbst seien.“ Aehnlich
ist der Standpunkt Buhl’s; indem er freilich das Vorkommen
einer echten fibrinösen Transsudation aus dem Blute bei der Ent-
zündung nicht in Abrede stellt, betont er doch auch, dass die sogen.
fibrinösen „Pseudomembranen“ seröser Häute, welche „blasse milch-
weisse oder gelbweisse, oder gelbröthliche, durchscheinende oder
1) Virchow, zur neueren Geschichte der Eiterlehre. Archiv XV,
pag. 533, 1858.
136 E. Neumann:
undurchsiehtige, kohärente oder brüchige, lamellös geschichtete, mit
zottiger oder netzartiger Oberfläche versehene, von der serösen
Haut mehr oder weniger leicht abziehbare oder abschabbare Mas-
sen‘ darstelle, keine Faserstoffexsudate seien, sondern von vorn-
herein die Bedeutung einer eigenthümlich gearteten Gewebsschicht
haben; er bezeichnet dieselbe als „Faserstoffähnliche embryonale
Bindegewebswucherung‘ oder als „desuciden Faserstoff“ und führt
als Beweis für seine Ansicht an, dass man an dieser fälschlich
für aufgelagertes Exsudat gehaltenen Pseudomembran nicht nur
öfters eine Epithelbedeeckung wahrnehmen könne, sondern dass
dieselbe auch bis in ihre äussersten Schichten hinein deutlich
das Gepräge einer geweblichen Organisation zeige; während die
tieferen Lagen gefäss- und zellenreich seien, scheinen die oberen
allerdings bei oberflächlicher Betrachtung amorph und strueturlos
zu sein, lassen jedoch „in der areolären, gleichsam spongiösen
Masse, den diekwulstigen gallertigen Netzen und zottigen warzigen
Erhebungen zweifellos roth imbibirte Zellkerne erkennen, welche
in grossen Distanzen durch eine reichliche Interzellularsubstanz
auseinandergedrängt sind“; auch findet zwischen tiefer und ober-
flächlich gelegener Schicht der Pseudomembran ein ganz allmähliger
Uebergang und keine scharfe Abgrenzung statt.
Wie wenig diese von den genannten Forschern ausge-
sprochenen Ansichten gegenüber der alten bequemen Lehre
von den fibrinösen Exsudaten Eingang gefunden haben, er-
sieht man leicht aus einer Durchsicht der neueren Handbücher
der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie; aber
es muss hervorgehoben werden, dass selbst Autoren, welche
durch eigene speziell darauf gerichtete Untersuchung sich
Einsicht in die fraglichen Verhältnisse zu verschaffen gesucht
haben, zu dem Resultate gelangt sind, dass die alte Lehre die
richtige sei. So konnte z. B.E. Wagner!) Virehow’s und Buhl’s
Angaben nicht bestätigen, glaubt vielmehr daran festhalten zu
missen, dass der an der Oberfläche der entzündeten Pleura auftre-
tende Faserstoff aus den hyperaemischen Gefässen abstamme und
auch Weigert?), der in neuester Zeit die pathologische Faserstoff-
1) E. Wagner, Beiträge zur pathologischen Anatomie der Pleura,
Archiv für Heilkunde, XI, p. 43.
2) Weigert, über Croup und Diphtheritis. Virchow’s Archiv, 72,
Separatabdruck p. 40.
Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 137
bildung erörtert hat, scheint geneigt für die serösen Häute eine
Betheiligung der Substanz des Bindegewebes an derselben in Ab-
rede zu stellen.
Hiernach kann man noch gegenwärtig mit demselben Rechte,
wie es vor nunmehr 16 Jahren Buhl that, sagen, dass „eine Klar-
heit und Einstimmigkeit über diesen wichtigen Punkt des Entzün-
dungsprocesses nicht existirt und dass es vor der Hand Jedem
überlassen bleibt, sich je nach den persönlichen Neigungen der
einen oder anderen Meinung anzuschliessen“. Auch hier kann, wie
in so vielen andern Fragen, ein Fortschritt nur von einer Vervoll-
kommnung der Untersuchungsmethode erwartet werden und es
scheint mir nach meinen Erfahrungen nicht zweifelhaft, dass die
Anwendung der oben beschriebenen Picrocarminbehandlung in
dieser Hinsicht grosse Vortheile darbietet. Dieselbe lässt nämlich
durch den eintretenden Farbeneffekt unmittelbar erkennen, dass
im Verlaufe vieler entzündlicher Prozesse eine mit Auf-
quellung und Homogenisirung verbundene chemische Ver-
änderung der Interzellularsubstanz des Bindegewebes
erfolgt, welehe dieselbe einer Faserstoffmasse ähnlich
macht; die Veränderung giebt sich kund durch eine intensiv gelbe
Farbe, welche das Pierocarmin erzeugt; der Gegensatz zu dem fast
farblosen Aussehen der unveränderten Umgebung ist kaum weniger
markirt, als die Farbendifferenz zwischen amyloiden und nicht
amyloiden Theilen bei Behandlung pathologischer Präparate mit
den bekannten Reagentien und ebenso, wie es mit Hülfe der letz-
teren möglich ist, die ersten Spuren einer beginnenden Amyloid-
degeneration aufzufinden, gestattet die Picrocarminfärbung die
Verfolgung der in Rede stehenden Veränderung bis zu ihrem ersten
Debut. Da nun dieses veränderte Verhalten der bindegewebigen
Grundsubstanz gegen Pierocarmin zusammentrifft mit der Ausbil-
dung einer auch makroskopisch auffälligen Faserstoffähnlichkeit
und da ferner in solehen Fällen auch anderen mikrochemischen
Reagentien (Essigsäure, Kalilösung, Salpetersäure, wässrige Jod-
Jodkaliumlösung) gegenüber die veränderten Theile des Gewebes
das Verhalten einer Proteinsubstanz darbieten, so dürfte sich gegen
die Aufstellung einer „fibrinoiden Degeneration‘ des Binde-
gewebes und gegen die Bezeichnung der aus ihr hervorgehenden
Masse als „fibrinoide Substanz‘ oder „desmoider Faser-
stoff“ (Buhl) kaum etwas einwenden lassen. Der von Buhl
138 E. Neumann:
vorgeschlagene Name „faserstoffähnliche Bindegewebswucherung“
erscheint mir insofern unpassend, als ich den Prozess als einen
einfach passiven, degenerativen auffasse und ihn in nahe Beziehung
bringen möchte zu dem neuerdings. von Cohnheim und Weigert
formulirten Begriff der „Coagulatinsneerose“, wenn ich auch die
Möglichkeit einer Rückkehr des degenerirten Gewebes in den
normalen Zustand nicht unbedingt in Abrede stellen will.
Was die Verbreitung des Prozesses betrifft, so muss ich die-
selbe für eine sehr grosse halten; meine bisherigen Beobachtungen
erstrecken sich vorzugsweise auf die serösen Häute, die Gefäss-
wandungen und die Synovialmembranen.
1. Seröse Häute.
Ein sehr günstiges Objekt für das Studium der fibrinoiden
Umwandlung des Bindegewebes liefern gewisse Formen subacuter
Entzündung, wie sie z. B. nicht selten an der Oberfläche
tubereulöser Lungen gefunden werden. An Stellen, wo frische
käsige Knoten oder Kavernen nahe an die Pleura heranreichen,
erscheint dieselbe in solehen Fällen in bekannter Weise abgesehen
von einer meist nur unbedeutenden hyperplastischen Verdiekung,
mit einer dünnen, festhaftenden meistens etwas durchscheinenden,
fast gallertigen, oft aber auch mehr oder weniger opaken, gelb-
liehweissen Schicht überdeckt, welche ebensowohl durch ihre ge-
ringe Kohärenz und ihre bei dem Versuche der Ablösung mit der
Pinzette sich erweisende Brüchigkeit als durch das sehr unregel-
mässige Relief ihrer mit Zotten, Fäden und leistenförmigen Riffen
besetzten Oberfläche ihre Zugehörigkeit zu dem Pleuragewebe
zweifelhaft macht und vielmehr die Annahme eines erstarrten
Faserstoffexsudats zu rechtfertigen scheint. Noch mehr wird man
zu letzterer Annahme hingedrängt, wenn man sieht, wie diese
Schieht an den Lungenrändern sich zu einer beträchtlichen Höhe
erhebt, sodass dieselben von einem, oft mehrere Linien breiten
Bande mit zackigem oder zottigem Rande eingesäumt erscheinen.
Die mikroskopische Untersuchung abgelöster Fetzen dieser Massen
ergibt keine sicheren Aufschlüsse über die Natur derselben, es
lässt sich durch dieselbe nur konstatiren, dass es sich hier im
Gegensatz zu den Produkten einer eitrigfibrinösen Pleuritis, welche
Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 139
eine dichte Anhäufung von Eiterzellen in einem Netze feiner Fi-
brinfäden darbieten, um eine zell- und kernarme Substanz handelt,
deren wesentlichster Bestandtheil unregelmässig verschlungene
oder mit einer gewissen Regelmässigkeit netzförmig verbundene
breite Bänder darstellen, welche theils homogen theils feinstreifig
erscheinen und durch ihren Glanz an das Verhalten amyloider
Massen erinnern. Macht man Durchschnitte durch die gehärteten
Theile, so hat es bei Anwendung der beschriebenen Pierocarmin-
färbung keine Schwierigkeit, sich zu überzeugen, dass ein allmäh-
liger Uebergang zwischen dem Gewebe der Pleura und den schein-
bar ganz heterogenen, den Eindruck einer Auflagerung machen-
den Schicht stattfindet. Die Figuren 1 und 2, welche ich nach
derartigen Präparaten habe anfertigen lassen, veranschaulichen die
vorliegenden Verhältnisse annähernd getreu. In Fig. 1, welche
einen senkrechten Durchschnitt durch eine mit faserstoffähnlicher
Auflagerung bedeckte Pleura und das anstossende Lungengewebe
darstellt, sieht man bei a und b die Pseudomembran sich als ein
fast gleichmässig breites gelbes Band darstellen, unter welchem
das Pleuragewebe einen ungefähr gleich breiten röthlichen Streifen
bildet; letztere bildet bei e (welche Stelle einem scharfen Lungen-
rande entsprieht) einen stumpfen Winkel und über diesen erhebt
sich bei d eine pilzförmige Masse, welche, obwohl sie makroskopisch
ganz den Eindruck eines verdiekten Theils der aufgelagerten
Pseudomembran macht, im mikroskopischen Bilde deutlich durch
die bunte Vermischung der beiden differenten Farben eine Zusam-
mensetzung aus bindegewebigen und faserstoffähnlichen Theilen
erkennen lässt; letztere bilden an der Oberfläche eine kontinuir-
liche Schicht, an welche sich nach der Tiefe zu in abnehmender
Mächtigkeit gelbgefärbte Einlagerungen in das röthliche Bindege-
webe anschliessen. In Fig. 2 ist ein Abschnitt dieser pilzförmigen
Masse bei stärkerer Vergrösserung gezeichnet und lässt die Ver-
theilung der fibrinoiden Substanz in dem pleuralen Bindegewebe
deutlich erkennen. Sie bildet innerhalb derselben gelbe, meistens
etwas geschlängelte Bänder und gelbe 'Inseln, welche letztere
Querschnitten der ersteren entsprechen. Diese gelben Bänder, wel-
che sich meistens durch ihr homogenes, glasiges Aussehen aus-
zeichnen, an denen indessen bisweilen auch noch eine feinstreifige
Zeichnung angedeutet ist, sind in ihrer Substanz frei von zelligen
Elementen, welche sich in dem zwischenliegenden Gewebe in
140 E. Neumann:
reichlicher Anzahl vorfinden (in der Figur als rothe Pünktchen
angedeutet), sind jedoch an ihren Rändern häufig von denselben
eingesäumt und nach der Oberfläche hin, wo sie sich dicht zusam-
mendrängen und nur schmale Interstitien zwischen ihnen übrig
bleiben, nimmt demnach auch der Zellenreichthum mehr und
mehr ab. Eine die Oberfläche selbst bekleidende Schicht endo-
thelialer Zellen habe ich nur ausnahmsweise an einzelnen Stellen
zu Gesicht bekommen.
Die Deutung dieser gelben Bänder als eigenthümlich degene-
rirter Bindegewebsbündel kann nicht bezweifelt werden, ebenso-
wenig dass dieser Degenerationsprocess ein auf dem Boden einer
Entzündung neugebildetes, junges Bindegewebe betroffen hat, denn
die Grenze des alten Pleuragewebes, welche durch die elastischen
Faserzüge (eee Fig. 1) gekennzeichnet wird, geht unter den dege-
nerirten Theilen hinweg. Doch will ich hier ausdrücklich einer
anderen Auffassung begegnen, welche geltend gemacht werden
könnte. Könnte hier nicht ursprünglich ein einfaches „Faserstoff-
exsudat“ an der Oberfläche der Pleura bestanden haben, in wel-
ches erst späterhin ein junges Bindegewebe hineingewachsen? Lie-
gen also nieht etwa ähnliche Verhältnisse vor, wie bei der soge-
nannten „Organisation“ eines Blutgefässtrombus? Ohne in Abrede
stellen zu wollen, dass Faserstoffexsudate in demselben Sinne, wie
Blutgerinnsel, sich organisiren können, d. h. dass sich ihnen ein aus
den umgebenden Theilen hervorwachsendes Bindegewebe substi-
tuiren kann, muss ich für die in Rede stehenden Fälle eine solche
Auffassung zurückweisen. Der wellig geschlängelte Verlauf der
gelben faserstoffähnlichen Bänder, die in ihnen bisweilen noch
sichtbare fibrilläre Streifung und vor Allem ihre bestimmte Bezie-
hung zu den zelligen Elementen des Bindegewebes, welche sich zu
ihnen in derselben Weise verhalten, wie zu gewöhnlichen Fibrillen-
bündeln (wie es namentlich deutlich an solehen Schnitten hervortritt,
welche nebeneinander liegende Bindegewebsbündel und Faserstoff-
bänder im Querschnitt zeigen, beide gemeinsam umsponnen von den
bekannten netzförmigen Figuren der Bindegewebszellen) schliessen
den Gedanken, dass die Faserstoffmassen die zurückgebliebenen
Ueberreste eines amorphen Exsudates seien, vollständig aus und
zwingen vielmehr dazu, ihren Ursprung auf ein gesetzmässig orga-
nisirtes Gewebe zurückzuführen. Unentschieden muss dabei frei-
lich bleiben, ob es sich um eine wirkliche Umwandlung colla-
Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 141
gener Substanz in Fibrin oder einen fibrinähnlichen Körper oder
um eine blosse Infiltration des Bindegewebes mit einer gerin-
nenden Proteinsubstanz handelt.
Uebereinstimmende Bilder habe ich in solchen Fällen von
Pericarditis erhalten, bei welcher von der Oberfläche bereits eine
junge Bindegewebseffloreszenz ausgegangen war, was auch bei
den klinisch „akut“ verlaufenden Erkrankungen sicher im Laufe
von wenigen Tagen zu Stande kommt. Mit der angegebenen Fär-
bungsmethode lässt sich hier sehr leicht die Richtigkeit der An-
gabe Buhl’s (l. ce.) konstatiren, dass das dem Pericardium aufge-
lagerte zell- und gefässreiche neugebildete Bindegewebe ohne be-
stimmte Grenze in eine Schicht übergeht, welche mikroskopisch
den Eindruck eines amorphen Faserstoffexsudates macht, während
man mikroskopisch regelmässig angeordnete Zellkerne in ihr findet,
welche durch eine reichliche, gequollene Interzellularsubstanz aus-
einandergedrängt sind. Die Bedeutung dieser letzteren, durch
Pierocarmin gelb gefärbten Schicht ergiebt sich am deutlichsten
in der Uebergangszone; hier sieht man dieselbe sich entwickeln
aus anfänglich zerstreuten, nach der Oberfläche hin an Zahl zu-
nehmenden, aus Bindegewebsbündeln hervorgehenden gelben Bän-
dern, welche in das noch übrigens unveränderte Gewebe einge-
lagert sind. An der Oberfläche erhebt sie sich zu zottigen Wül-
sten, an welchen Buhl einen deutlichen Endothelbelag beobachtet
hat, was mir leider nicht geglückt ist.
Ob bei akuten Entzündungen der serösen Häute, welche
ohne jede Bindegewebsproduktion an der Oberfläche verlaufen,
ebenfalls eine fibrinoide Entartung des Gewebes zur Bildung der
Pseudomembranen beiträgt oder ob letztere lediglich aus aufge-
lagertem fibrinösem Exsudat besteht, habe ich nicht entscheiden
können. Bei der eroupöse Pneumonien begleitenden fibri-
nösen Pleuritis, sowie bei akuten purulenten puerperalen
Peritonitiden habe ich allerdings wiederholt den Eindruck
gehabt, als wenn die untersten Schichten der Pseudomembran aus
den faserstoffähnlich umgewandelten obersten (oberhalb der elasti-
schen Faserzüge gelegenen) Schichten der Serose gebildet würden.
2. Gefässintima und Endocardium.
Auch hier scheinen vorzugsweise entzündliche mit Gewebs-
neubildung verbundene Prozesse einen günstigen Boden für das
142 E. Neumann:
Auftreten der fibrinoiden Substanz abzugeben. Nach meinen Be-
obaehtungen spielt dieselbe eine nicht unwichtige Rolle in den
Veränderungen, welche auf das Zustandekommen einer aneurys$-
matischen Erweiterung und Perforation arterioseleroti-
schen Gefässe von Einfluss sind. In mehreren Fällen, in welchen
keineswegs umfangreiche Aneurysmen durch Ruptur tödtlich ge-
endet hatten, habe ich den in Rede stehenden Degenerationsprocess
in sehr exquisiter Weise in der Gefässwand ausgebildet gefunden.
Schon bei der makroskopischen Betrachtung gewährte dieselbe
einen charakteristischen Anblick. Die Innenfläche der Arterie
wird durch eine röthliche, transparente Gewebsschicht gebildet,
welche sich zwar leicht in grösseren häutigen Stücken abziehen
lässt, aber doch eine grosse Brüchigkeit und wenig Kohärenz be-
sitzt; ihre Oberfläche ist sammtartig rcuh und des normalen spie-
gelnden Glanzes beraubt. Diese Beschaffenheit erzeugt eine grosse
Aehnlichkeit mit dem Ansehen einer aus dem Blute ausgeschiede-
nen Fibrinschieht und es ist wohl anzunehmen, dass man sich mit
dieser Deutung gewöhnlich begnügt und eine genauere Unter-
suchung in solehen Fällen unterlassen hat. Letztere ergiebt, dass
es sich um eine fibrinoide Degeneration der Gefässwand handelt,
welehe von der durch den arteriosclerotischen Process bereits ver-
diekten Intima ihren Ausgang nimmt, sich jedoch auch auf die
äusseren Theile der Wand erstrecken kann, womit die Widerstands-
fähigkeit derselben natürlich aufs Aeusserste herabgesetzt wird.
Macht man einen senkrechten Durchschnitt durch die er-
krankte Gefässwand und färbt denselben in Pierocarmin, so zeich-
nen sich diejenigen Theile, welche die beschriebene makroskopisch
auffällige Veränderung darbieten, sofort durch eine intensiv gelbe
Färbung aus und man erkennt im Innern derselben gleichzeitig |
in ziemlich regelmässiger Anordnung spärliche rothgefärbte kleine
Kerne, anscheinend in kleinen Lücken der homogenen, gla-
sigen, gelben Substanz gelegen. Wenn schon hierdurch der Ein-
druck hervorgerufen wird, dass hier ein eigenthümlich entartetes
Gewebe vorliegt, so wird man daran um so weniger zweifeln,
wenn man den allmähligen Uebergang zu den in der Tiefe gele-
genen Gewebsschichten der Gefässwand verfolgt und man nun
überdies bei der Untersuchung der ersten Anfänge des Prozesses
in der Peripherie der erkrankten Stellen der Gefässwand findet,
dass hier die durch ihre gelbe Färbung charakterisirten Theile
Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 143
bisweilen im Innern der selerotisch verdiekten Intima einge-
schlossen sind, so dass die obersten (dem Gefässlumen zugewandten)
Schichten der letzteren sich noch in ihrem ursprünglichen Zustande
erhalten zeigen, während die tieferen Theile derselben bereits durch
fibrinöse Substanz ersetzt sind, ein Verhältniss, welches an die
bekanntlich ebenfalls von unten nach oben vorschreitenden fettigen
Degenerationsprozesse in den selerotischen Platten der Arterien
erinnert. Eine Verwechslung mit wirklichem Faserstoff, welcher
einen thrombotischen Niederschlag auf der Innenfläche des Ge-
fässes bildet, ist hier natürlich ganz ausgeschlossen und keine
andere Erklärung möglich, als die, dass die fibrinoide Substanz
durch einen in die Gefässwand selbst eingetretenen Degenerations-
prozess entstanden ist. Fig. 3 ist einem solchen Präparate nach-
gebildet; bei a sieht man noch intakte Gewebszüge die fibrinöse
Substanz überdeeken, bei b tritt letztere an die Oberfläche und
quillt daselbst zu einem flachen Hügel hervor. Uebrigens zeigt
die Zeichnung den gewöhnlichen Befund vorgeschrittener Arterien-
elerose: starke Verdiekung der Intima, Atrophie der Media (M.M.),
welehe nicht nur stark verdünnt, sondern auch vielfach in ihrer
Kontinuität unterbrochen ist. Das Präparat stammt von einem
Aneurysma der Aorta, welches in die Trachea perforirt war. —
In Bezug auf seinen histologischen Charakter schliesst sich der
Prozess genau an die oben beschriebenen Erkrankungen der Pleura
und des Pericardium an; auch hier ist mit der durch die gelbe
Färbung sich kundgebenden chemischen Veränderung der Fibrillen-
bündel eine starke Aufquellung und Homogenisirung sowie ein
Auseinanderrücken der Gewebszellen verbunden, welche letztere
schliesslich durch die Einklemmung in die Spalten der quellenden
Grundsubstanz eine Atrophie zu erleiden scheinen.
Dass die geschilderte Erkrankung der arteriellen Gefässwand
unter Umständen auch die Grenzen der inneren Gefässhaut über-
schreiten kann, habe ich in einem Fall an Aortenneurysma ge-
sehen, welches mit einer kleinen Oeffnung in die Lungenarterie
durchgebrochen war. Hier wurde im Umfange der Perforations-
öffnung die Wand der Aorta allein durch eine dünne Schicht
fibrinoider Substanz gebildet, welche der Aussenfläche der Lungen-
arterie auflag; Schnitte, welche die verdünnte Stelle der Aorta im
Zusammenhange mit den angrenzenden weniger veränderten Theilen
derselben erkennen liessen, zeigten, dass die zurückgebliebene
144 E. Neumann:
fibrinoide Substanzschicht die Fortsetzung der Adventitia dar-
stellte, während Media und Intima gänzlich fehlten. Hieraus geht
hervor, dass die fibrinoide Umwandlung nicht nur durch die ganze
Dicke der Gefässwand vorschreiten kann, sondern dass auch die
degenerirten Theile einer vollständigen Auflösung anheimfallen
können, sodass, abgesehen von der mit der Entartung verbundenen
Erweichung und Konsistenzverminderung der Gefässwand,
als zweites, das Zustandekommen einer Perforation begünstigendes
Moment die aus dem Verlust der inneren Schichten sich ergebende
Verdünnung hinzukommt !).
In Bezug auf das Endocardium muss ich mich einstweilen
bestimmter Angaben enthalten, da mir keine hinreichend bewei-
senden Beobachtungen über das Vorkommen der gleichen Erkran-
kungsform bei demselben zu Gebote stehen. Doch sei es mir ge-
stattet zu bemerken, dass sich in der Substanz mancher Vegetatio-
nen der Klappen bei sogenannter „verrucöser“ Endocarditis und
zwar in der Basis derselben eine Gewebsstruktur findet, welche
mir die Annahme sehr nahelegt, dass es sich hier um ein ent-
zündlich gewuchertes Klappengewebe handelt, welches die beschrie-
bene fibrinoide Metamorphose eingegangen. Doch finde ich aller-
dings gerade hier die Unterscheidung von aufgelagerten thrombo-
tischen Faserstoffmassen sehr schwierig.
3. Synovialhäute.
An den sogen. synovialen Sehnenscheiden (Schleim-
scheiden) führt der fibrinoide Degenerationsprocess, wie ich in
1) Von Interesse erscheint mir hier die Erinnerung an eine.alte An-
gabe Rokitansky’s (Pathologische Anatomie, II, pag. 558, 1844). Derselbe
erwähnt eine besondere Form von Aneurysmen, welche sich durch ihre Nei-
gung zu Zerreissungen bei unbedeutendem Umfange auszeichnen, und be-
schreibt dieselbe als mit einem Halse aufsitzende, erbsen-, bohnen- bis hasel-
nussgrosse Säcke, in deren Wandung die beiden innern Gefässhäute zu
Grunde gegangen sind, sodass dieselbe entweder nur aus der äusseren Zell-
scheide besteht (Aneurysma mixtum externum) oder, was der gewöhnliche
Fall ist, aus der Zellscheide und einer neugebildeten innern Gefässhaut —
„es bildet sich alsbald eine innere Gefässhaut in Form einer recenten Auf-
lagerung“ —. Diese von Rokitansky aus dem Blutfaserstoff abgeleitete
und daher vermuthlich fibrinähnliche „recente Auflagerung“ scheint mir der
von mir beschriebenen fibrinoiden Schicht, welche aus einer Entartung der
Gefässwand hervorgeht, zu entsprechen.
Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 145
mehreren Fällen zu beobachten Gelegenheit hatte, zu einem sehr
auffälligen Befunde, nämlich zu der Bildung der bekannten, über
ihrer Bedeutung noch immer kontroversen Corpusceula oryzoidea
(Reiskörperchen). Eine Darstellung dieser Entwieklungsweise der
genannten Körper, welche mir bereits aus früheren gelegentlichen
Beobachtungen sehr wahrscheinlich geworden war, ist vor einigen
Jahren von Herrn Dr. Hoeftmann, der im hiesigen patholo-
gischen Institute die Untersuchungen in zwei Fällen ausführte, frei-
lich ohne Benutzung der Pierocarminfärbung, in seiner Disserta-
tion gegeben worden!). In diesen Fällen handelte es sich um
Erkrankungen der Sehnenscheiden der Fingerflexoren, welche in
der gewöhnlichen Weise zu beträchtlich grossen, in der Gegend
der Handwurzel zwerchsackartig eingeschnürten Geschwulstsäcken
aufgetrieben und mit einer grossen Menge von Reiskörpern erfüllt
waren. Die anatomische Untersuchung fand unter besonders
günstigen Verhältnissen statt, da bei der Operation nicht nur
der Inhalt entleert, sondern auch die Wand der Säcke mög-
lichst vollständig exstirpirt worden war und da ausserdem in
dem einen Falle, in welchem 6 Wochen zuvor durch Inzi-
sionsöffnungen der Sack bereits von seinem Inhalt befreit worden
war und sich innerhalb dieses kurzen Zeitraumes wiederum jene
Körper in grosser Zahl gebildet hatten, es feststand, dass hier
Bildungen jüngsten Datums vorlagen.
Die Wand der beiden Säcke liess in übereinstimmender
Weise einen chronischen Entzündungsprozess der Sehnenscheide
erkennen, welcher vollständig den Charakter der fungösen Gelenkent-
zündung an sich trug (Tenosynovitis fungosa nach Volkmann); sie
war umgewandelt in eine dicke Lage eines zellen- und gefässrei-
chen Granulationsgewebes, in welchem auch, wie Herr Dr. P.
Baumgarten entdeckte, echte Tuberkel in Form kleinster, mit
Riesenzellen ausgestatteter zelliger Heerde nicht fehlten. Der Innen-
fläche hafteten in grosser Menge theils mittels eines Stieles, theils
mit breiter Basis auf das Mannichfachste gestaltete, grösstentheils
winzige Körperchen an, die in ihrem ganzen Verhalten den frei
in der Höhle liegenden Corpusecula oryzoidea glichen, und dieselbe
Substanz bekleidete auch in dünner Schicht einzelne Theile der
1) Hoeftmann, über Ganglien und chronisch-fungöse Sehnenscheiden-
entzündungen. Diss. inaug. Regimonti. 1876.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 10
146 E. Neumann:
inneren Höhlenwand, als wenn sie über dieselbe ausgegossen
wäre. Ging hieraus bereits mit Wahrscheinlichkeit hervor, dass
bei der Entstehung der Körper die Wandung des Sackes eine
Rolle spielte, so ergab die mikroskopische Untersuchung senkrech-
ter Durchschnitte mit Bestimmtheit, dass jene aufgelagerte Schicht
nichts anderes als einen degenerirten Theil des Gewebes der Wan-
dung darstellte. Hoeftmann (l. e. p. 62) beschreibt dieselbe
nach Carmin-Präparaten als einen dieWand nach innen begrenzenden,
auffallend dunkelroth gefärbten Saum: „dieser besteht aus amorphen,
körnigen Massen, die theils einzelne formlose Plaques, theils durch
Verschmelzen derselben Streifen und Klumpen bilden; es zeigt
sich aber nirgends ein scharfer Uebergang zwischen der Granula-
tionsschicht und der amorphen Masse, sondern es scheint, als ob
nach innen zu sich in der Grundsubstanz der ersteren einzelne rothe
Massen einlagern, die bald an Mächtigkeit zunehmen, während die
Kerne dazwischen in ihren Contouren noch scharf erhalten blei-
ben, jedoch an Menge abnehmen, so dass schliesslich in der in-
nersten Schicht, wo die amorphe Substanz so mächtig, dass sie
einen fast kontinuirlichen Saum bildet, sich nur noch vereinzelte
Kerne nachweisen lassen.“ Neuerdings angefertigte Präparate,
welche ich der beschriebenen Methode der Pierocarminfärbung
unterwarf, liessen die Entwicklung der obersten, scheinbar amor-
phen „Auflagerung“, die sich wiederum intensiv gelb färbt, aus
dem darunter gelegenen zellenreichen Gewebe sehr deutlich er-
kennen. Der Befund bot nur insofern eine Abweichung von der
früher gegebenen Beschreibung des Degenerationsprozesses in se-
rösen Häuten und Gefässen dar, als die fibrinoide Substanz der
angeführten Darstellung Hoeftmann’s gemäss im Beginn nicht in
Form längerer, Bindegewebsbündeln entsprechender Bänder sich
zeigte, sondern vielmehr einzelne Klumpen eder Schollen bildete,
ähnlich den amyloiden Schollen bei der Speckentartung der Milz
und Leber; durch die Vereinigung dieser anfänglich getrennten
Massen kam dann gegen die Oberfläche hin eine zusammenhän-
gende amorphe Schicht zu Stande, in welcher nur spärliche Reste
rother Zellkerne sich erhalten hatten.
Derselbe Degenerationsprozess zeigte sich in gewissen breit-
aufsitzenden konischen oder platten blattförmigen Auswüchsen der
Innenfläche der Wand, welche ihrer ganzen Beschaffenheit nach
als in der Entwicklung begriffene, adhärente Corpuscula oryzoi-
Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 147
dea aufgefasst werden mussten. Zum grössten Theile wurden die-
selben aus einer fibrinoiden Substanz gebildet, welche an der Basis
einen allmähligen Uebergang zu einem wohlerhaltenen, zellreichen
Gewebe zeigt. Bisweilen bildete auch letzteres den Hauptbestand-
theil und die Degeneration war nur auf die oberen Abschnitte, selbst
wohl nur auf die äussersten Spitzen der Auswüchse beschränkt.
Hier hatte also die Bildung der Corpuscula unzweifelhaft im Sinne
Virchow’s!) mit einer villösen Gewebswucherung begonnen. Nicht
so klar lag dieses Verhältniss zu Tage bei den mit dünnem, fa-
denförmigem Stiele der Wand aufsitzenden und bei den freien
Körpern. Dieselben bestanden fast gänzlich aus einer Masse,
welche man, bei dem Mangel geweblicher Struktur, sehr wohl für
ein amorphes Gerinnungsprodukt halten konnte; war ein Stiel
vorhanden, so sah man diesen aus einem glänzenden, fasrigen Fi-
brillenbündel bestehen, welches sich in die Masse des Körperchens
als geschlängelter, zentraler Strang verfolgen liess und im Innern
desselben in einzelne pinselförmig auseinanderweichende Fasern
sich auflöste, von einer Gewebswucherung war hier Nichts zu kon-
statiren. Dennoch wird von vornherein auch für diese Bildungen,
da sie makroskopisch sich ganz ähnlich verhalten, derselbe Ent-
stehungsmodus, den die Untersuchung jener kleinen Exkreszenzen
ergeben hat, wahrscheinlich sein; wenigstens muss zugegeben
werden, dass der weitere Fortschritt des beschriebenen Degenera-
tionsprozesses zu einer vollständigen Vernichtung einer ursprüng-
lich vorhandenen Gewebsstruktur geführt haben konnte. Eine ge-
nauere Untersuchung ergab überdies, dass die scheinbar amorphe
Substanz der feingestielten und der freien Körper dennoch nicht
immer völlig einer geweblichen Struktur entbehrte.e Hoeftmann
fand nicht nur bisweilen an den Stielen der Körper eine das
Sehnenbiündel mantelartig umschliessende Schicht von Granulations-
gewebe, sondern konstatirte auch an einigen freien Körpern eine
Zusammensetzung aus „konzentrischen Schichten jener amor-
phen Masse, die bei Carminfärbung sebon durch ihre dunkle Fär-
bung abstechen und von einander getrennt werden durch mantel-
artig dieselben umgebende, schmale Bindegewebsstreifen, die zum
Theil deutliche fibrilläre Streifung und scharfe, spindlige Kerne
zeigen“ (l. e. p. 64). Bei einem dieser Körper und zwar einem
1) Virchow, Geschwülste, I, pag. 208.
148 E. Neumann:
der grössten überhaupt gelang es sogar, eine periphere Lage von
länglichen Kernen nachzuweisen, die einen fast epithelartigen Ue-
berzug bildeten, indem sie äusserst dicht gedrängt in vier- bis
sechsfacher Lage übereinandergeschichtet waren, die grösseren der-
selben befanden sich in der Peripherie, während sie nach innen
hin kleiner wurden). Ferner habe ich selbst wiederholt an
solehen Corpuscula oryzoidea, die ihrem äusseren Habitus nach
durchaus den Eindruck einer amorphen Masse machten, eine Zu-
sammensetzung aus breiten glänzenden, homogenen Bändern von
gleichmässiger Breite beobachtet, welche nach Art von Bindege-
websbündeln plexusartig untereinander verflochten waren, so dass
zwischen ihnen nur schmale, spaltförmige Interstitien übrigblie-
ben, in welchen deutlich Kerne erkennbar waren. Offenbar
hängt es von der Architektonik des ursprünglich vorhandenen, der
fibrinoiden Degeneration anheimfallenden Gewebes ab, ob die aus
letzterm hervorgehenden Körper einen konzentrisch zwiebelscha-
lenartigen Bau zeigen (was der gewöhnliche Fall zu sein scheint)
oder ob sie die letzterwähute plexiforme Struktur darbieten.
Ich will mich nicht des Fehlers schuldig machen, die aus
den angeführten Beobachtungen sich für die Bildung der Corpus-
cula oryzoidea ergebenden Resultate in der Weise zu verallge-
meinern, dass ich einen anderen Entstehungsmodus leugne. Be-
achtenswerth aber dürfte jedenfalls sein, dass auch derjenige
Autor, welcher, soweit mir bekannt, zuletzt dieser Frage eine ein-
gehende Untersuchung gewidmet hat, R. Volkmann (in seinen
„Beiträgen zur Chirurgie“ p. 212) zu dem Schluss gekommen ist,
dass die Corpuseula oryzoidea nicht durchweg als einfache ge-
ronnene Niederschläge aus der Synovia oder einem Exsudat zu
betrachten seien, dass vielmehr bei ihrer Entstehung, wie schon
H.Meckel angegeben hatte, auch durch „Einlagerung von Albumi-
naten“ veränderte Gewebstheile eine Rolle spielen. Er fand in
einem reiskörperchenhaltigen Hygrom nicht nur die Fibrillenbün-
del der dureh dasselbe hindurchverlaufenden, jedoch in ihrer Con-
tinuität getrennten Fingerstrecksehnen durch eingelagerte Albu-
minate aufgequollen und durchtränkt, sondern es zeigten sich auch
1) Dieser Befund erinnert an eine Angabe Michon’s (Concours-These
Paris 1857), dass er ein die amorphen, der Wand aufsitzenden Massen
deckendes Epithel gefunden habe.
Die Pierocarminfärbung und ihre Anwendung auf die Entzündungslehre. 149
„die derben Bindegewebszüge der Kapsel durch feingranulirte, keine
Organisation zeigende Schichten weit auseinander geschoben und
das aufgequollene Gewebe von denselben Massen so durchtränkt,
dass die Struktur fast ganz verschwindet.“ Ebenso findet sich
an einem anderen Orte bei Volkmann!) die Angabe, dass die
Corpuseula oryzoidea zwar aus Bindegewebe beständen, in wel-
chem bei Essigsäurezusatz Kerne hervortreten, dass die Struktur
indessen durch infiltrirte Eiweiss- und Faserstoffmassen meist etwas
verwischt, undeutlich wäre. Nur darin kann ich Volkmann
nicht beistimmen, wenn er den Ursprung dieser infiltrirenden Al-
buminate vorzugsweise in der Synovia sucht, da wir, wie aus dem
früher Mitgetheilten hervorgeht, dieselbe Erscheinung auch in ver-
schiedenen anderen Organen finden, wo eine Durchtränkung mit
Synovia gar nicht in Frage kommt. Ausserdem möchte ich auch
hervorheben, dass, da sich der beschriebene Degenerationsprozess
in allen Stadien bis zur völligen Aufhebung der geweblichen Struk-
tur verfolgen lässt, auch für solche Corpuseula oryzoidea, die als
durchaus amorphe Massen sich darstellen, der gewebliche Ursprung
keineswegs mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden kann.
Ueber die in Schleimbeuteln und Gelenkhöhlen vor-
kommenden Reiskörperchen stehen mir keine Erfahrungen zu
Gebote; in letzteren habe ich jedoch bei chronischen fungö-
sen, mit Tuberkelbildung verbundenen Entzündungen
die Oberfläche der Granulationen öfters mit einer dünnen Schicht
fibrinoider Substanz bedeckt gefunden, welche ich aus einer De-
generation der obersten Gewebsschichten ableiten musste.
4. Schleimhäute.
Sowohl bei der mit eroupöser Auflagerung verbundenen als auch
bei der reinen Diphtheritis’nimmt das Gewebe der Schleimhaut
in seinen obersten Schichten, wie bekannt, eine dem geronnenen
Fibrin ähnliche Beschaffenheit an. Diese stets als necrotisch zu
betrachtenden Theile erscheinen unter dem Mikroskop amorph,
meistens körnig und färben sich, mit Pierocarmin in der angege-
benen Weise behandelt, gleichmässig intensiv gelb mit Ausnahme
zerstreuter rother Kerne; ihre Grenze gegen das darunterliegende,
1) R. Volkmann, Krankheiten der Bewegungsorgane in Pitha-Bill-
roth’s Handbuch der Chirurgie, pag. 827.
150 E. Neumann: Die Picrocarminfärbung und ihre Anwendung etec.
meistens sehr zellreiche und mit blutgefüllten Gefässen versehene
Gewebe ist eine scharfe und wird durch eine ziemlich regelmäs-
sige, horizontale Linie gebildet, doch lassen sich sowohl elastische
Fasern als Blutgefässe (letztere zum Theil noch mit kenntlichen
Blutkörperchen erfüllt) in sie hinein verfolgen, wie ich insbeson-
dere in einem Falle von diphtheritischem Croup in der Trachea
sehr schön sehen konnte. Cohnheim und Weigert haben den
Zustand neuerdings als Coagulationsnecrose bezeichnet und
denselben auf eine Durehtränkung mit fibrinogenreicher gerinnender
Lymphe bezogen, welche in dem zuvor abgestorbenen Theile ein-
tritt. Ich meinerseits möchte grade in der Anhäufung gerinnender
fibrinähnlicher Massen eine Ursache der eintretenden Necrose er-
blicken und, wie schon oben angedeutet, den Vorgang als einen
mit der beschriebenen fibrinoiden Degeneration anderer Gewebe
verwandten auffassen.
Zum Schluss füge ich hier die Bemerkung hinzu, dass die
von mir empfohlene Pierocarminfärbung ein sehr brauchbares Mittel
ist, um das von Langhans in der Placenta beschriebene „canali-
sirte Fibrin“ zur Anschauung zu bringen, da dasselbe durch eine
sehr ausgeprägte gelbe Färbung sich dabei scharf von den übrigen
Theilen der Placenta abhebt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI.
Fig. 1. Schnitt durch die Pleura und das anstossende Lungengewebe bei
Pleuritis.
a, b Pleurablätter mit einer „Pseudomembran“ bedeckt, bei c unter
einem stumpfen Winkel (einem scharfen Lungenrande entsprechend)
zusammenstossend.
d pilzförmige Erhebung der „Pseudomembran“, eee elastische Faser-
züge der Pleura.
Fig. 2. Ein Abschnitt von d der vorigen Figur bei stärkerer Vergrösserung.
Schnitt durch die Wand eines Aortenaneurysma. I. Intima, M.
Media, A. Adventitia. Bei a fibrinoide Degeneration der Intima,
welche noch nicht bis an die Oberfläche heranreicht, bei b Verbrei-
tung derselben bis zur Oberfläche.
1.
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Walther Flemming: Beiträge zur Kenntniss der Zelle etc. 151
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer
Lebenserscheinungen.
Theil Il.
Von
Walther Flemming,
Professor der Anatomie in Kiel.
Hierzu Tafel VO, VII, IX (1, 2, 3).
Inhalt:
Vorbemerkungen über die angewandten Benennungen.
Abschnitt 1. Prüfung hinsichtlich des allgemeinen Vorkommens indirecter
Kerntheilung. (Enthält zugleich die Besprechung der neuesten
Literatur über Zelltheilung.)
A. Einleitung.
B. Amphibien (Siredon, Proteus, Triton, Hodenepithel von
Salamandra, Krötenlarven).
C. Pflanzen.
D. Säugethiere.
Anhang: Ueber die Kerntheilung bei mehrkernigen Zellen.
Abschnitt 2. Neue Ergebnisse über die Morphologie und Mechanik der Zell-
theilung.
Einleitung.
A. Anfangsphasen.
B. Die Segmentirung der Kernfäden, und der Uebergang vom
Knäuel zum Stern.
C. Die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte.
D. Die Längsspaltung der Kernfäden.
E. Die Tochterkernfiguren.
F. Die achromatische Fadenfigur.
Schluss.
Abschnitt 3. Ueber die Entwicklung der Samenfäden bei Salamandra.
Bemerkungen zur Technik.
Literaturverzeichniss.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 11
152 Walther Flemming:
Vorbemerkungen über die angewandten Benennungen.
Bei der Beschreibung eines neuentdeckten Gebietes ist die
Wahl der ersten Benennungen nicht gleichgültig, und Ueberein-
stimmung der verschiedenen Erforscher in der Namengebung sehr
wünschenswerth. Ich habe mich deshalb in meiner Terminologie
den früheren und gleichzeitigen Beobachtern möglichst nahe zu
halten gesucht, und für das von mir neu Beschriebene möglichst
einfache Ausdrücke gewählt. In einigen Puneten konnte Ersteres
nicht geschehen; diese Vorbemerkungen sollen die Gründe dafür
darlegen und zugleich bestimmt definiren, was unter den hier ge-
brauchten Namen zu verstehen ist, um Missdeutungen vorzubeugen.
Den Ausdruck „Ruhe des Kerns“ habe ich, was mir selbst-
verständlich schien, stets nur im Gegensatz zu den Veränderungen
während der Theilung gebraucht, und fahre darin fort. Es soll da-
mit nicht etwa gesagt sein, dass ein nicht in Theilung stehender
Kern stets in absoluter Ruhe sein müsste; vielmehr habe ich selbst
Bewegungen und Formveränderungen der ganzen Kerne und ihrer
Netzwerke, wenn auch geringfügige erwähnt (Th. I, pag. 314, 317),
wie solche neuerdings von Prudden!) und Schleicher (11)
näher studirt sind.
Die Namen für die morphologischen Theile des Kerns:
1. Kerngerüst oder Kernnetz, intranucleares G. oder
N.; darin als Verdiekungen:
2. Netzknoten; und als besonders beschaffene Körper:
3. eigentliche Kernkörperchen oder Nucleolen;
4. Kernmembran oder -Wand;
5. Zwischensubstanz des Kerns, d. i. seine ganze übrige
Masse ausser den vorigen Theilen — behalte ich wie früher (Th. I,
p. 349) bei; denn sie sind, bei Berücksichtigung der von mir a. a. O.
und von Anderen gegebenen Beschreibungen dieser Theile, jeden-
falls nicht misszuverstehen und involviren keinerlei unbewiesene
Voraussetzungen, was bis jetzt mit allen anderen für diese Dinge
gewählten Namen mehr oder weniger der Fall ist.
Auf Grund eines reinen Missverständnisses hat Klein (12)
1) Beobachtungen am lebenden Knorpel. Virchow’s Arch. Bd. 15, H. 2.
Per
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 153
das Wort „Gerüst“ angefochten; er meint „dieser Name!) müsse
ein passives Stroma bedeuten, während das Netz der wesentliche
und lebende Theil des Kerns sei“. Mich wundert nur, dass Klein
den Namen „Netz“ in dieser Hinsicht für besser hält und allein
gebraucht; denn ein Netz ist an sich gerade ebenso todt oder
lebendig, wie ein Gerüst. Der letztere Name ist im Sinne der
deutschen Sprache genauer und besser, und darum von mir ge-
wählt, weil Gerüst ein Balkenwerk bezeichnet, welches nach
drei Dimensionen ausgedehnt ist (wie es im Kern der Fall ist),
Netz aber ein bloss flächenhaft ausgedehntes. So ist es ja im
Grunde auch sprachlich ungenau, von dem „Retieulum‘“ eines
Lymphknotens zu reden. Da aber dieser Gebrauch verbreitet,
und Missdeutungen kaum denkbar sind, so habe ich stets auch
das Wort „Netz“ oder „Netzwerk“ abwechselnd und gleichbedeu-
tend mit „Gerüst‘“ gebraucht und fahre darin fort.
Hiermit soll also ein für allemal der Gedanke ausgeschlossen
sein, als ob ich das Kerngerüst für ein „passives Stroma“ hielte;
im I. Theil dieser Arbeiten (p. 348 ff., p. 368 u. a. a. O.) findet
sich genügend ausgesprochen und motivirt, dass und warum ich
es vielmehr als einen besonders wesentlichen lebendigen Theil
des Kerns ansehe. Freilich haben wir darum noch keinen Grund,
es als den allein lebenden zu betrachten, und die Zwischensubstanz
schlechtweg für flüssig und unbelebt zu halten; um so weniger,
da sie bei der Theilungsmetamorphose des Kerns sichtlich bethei-
ligt ist?), und da Klein (12) kürzlich gute Gründe dafür beige-
bracht hat, dass sie nicht flüssig ist.
Von Schleicher (11) ist kürzlich gegen den Ausdruck
„reticuläre Structur‘‘ oder „Gerüst‘‘ der Einwand erhoben worden,
dass sie nicht exact seien, weil die so benannten Theile in ihrer
Form veränderlich, contractil seien. Das Letztere ist zuzugeben
und, wie ich eben erwähnt habe, von mir ja ebenfalls beobachtet;
da aber eine gerüstförmige oder „reticuläre“ Anordnung der be-
treffenden Substanz im Kern doch jedenfalls den vorherrschenden
Zustand repräsentirt, und wir einmal einen kurzen Ausdruck brau-
chen, so scheinen mir jene Namen dennoch die besten; ein beweg-
1) Klein übersetzt allerdings: „Framework“. Ich würde auf diese
Uebertragung nie verfallen sein, sondern mit „intranuclear structure“
übersetzt haben. Structura heisst ja: Gerüst.
2) Vergl. hiefür und für das Nächstfolgende: Th. I, Abschnitt 2.
154 Walther Flemming:
liches Gerüst bleibt doch immer ein Gerüst. -— Ich entnehme
übrigens einer freundlichen brieflichen Mittheilung Schleicher's,
dass er die erwähnten Bedenken im Wesentlichen aufgiebt.
Der summarischen Eintheilung des Gesammtkerns in „Kern-
substanz“ und ‚„Kernsaft‘‘ kann ieh mich nicht anschliessen; es
sprechen gegen diese folgende Gründe: 1) Unter „Kernsubstanz“
müsste man ausser der Kernmembran und dem Gerüst auch die
Nueleolen einbegreifen, diese sind aber entschieden anders be-
schaffen, wie jene. 2) Der Name Kernsubstanz sagt über die
Beschaffenheit des betreffenden Dinges gar nichts aus, nicht ein-
mal morphologisch; der Name Kernsaft würde die Voraussetzung
bedingen, dass das betreffende Ding flüssig sei; was wir nicht
wissen.
Ich habe früher (Th. I p. 361) geäussert, dass man vielleicht
die Namen Kernsubstanz und -Saft auf die Theilungsphänomene
übertragen könne, indem man die tingirbare Substanz, welche
die Tochterkerne anlegt, Kernsubstanz nennte, das Uebrigbleibende
Kernsaft. Bei näherer Prüfung aber erscheint auch dies unthun-
lich; denn auch in der letzteren Substanz giebt es noch geformte
Dinge, die nicht tingirbaren, axial gestellten „Kernfäden“ (achro-
matische Fäden, s. u.), ausserdem noch verästelte Fäden (s. Th. I
Taf. 17 Fig. 15); diese Substanz kann also nicht einfach „Saft“
genannt werden.
Den Namen Kernsubstanz werde ich also hiernach nur
anwenden, um, im Gegensatz zu der umgebenden Zellsubstanz
(Protoplasma), Materie zu bezeichnen, welche dem Kern angehört.
Für die Kernvermehrung mit Fadenmetamorphose
der Kernmasse habe ich den Namen „indirecte Kernthei-
lung“ vorgeschlagen, der auf mehreren Seiten schon Verwendung
gefunden hat. Eine direete Kerntheilung ist dem gegenüber eine
solche ohne Fadenmetamorphose, eine unmittelbare Zerschnürung
des Kerns. Indem ich diese Bezeichnungen weiter brauche, muss
ich nochmals darauf hinweisen, dass sie provisorische sind.
Denn wir wissen bis jetzt nicht, ob es eine directe Kerntheilung
in letzterem Sinne wirklich giebt; sie wird nur hypothetisch ange-
nommen, und ich selbst möchte mich dieser Hypothese gegenüber
lieber für jetzt neutral halten !).
1) Ich verweise hierfür auf den unter 13 citirten Aufsatz.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 155
Wenn es sich herausstellen sollte, dass in der That keine
direeten Kernzerschnürungen vorkommen, dass alle anscheinenden
derartigen Fälle (z. B. farblose Blutzellen) sich auf Theilung mit
Fadenmetamorphose zurückführen lassen, so würde für die letztere
das Epitheton „indireet“ natürlich ganz überflüssig werden, sie
repräsentirte dann die einzige Form der Kerntheilung.
Inzwischen hat Schleicher (3) für die Bewegungen der
nuclearen Fäden bei der Zelltheilung den Ausdruck Karyokinesis
eingeführt; allerdings bezog er ihn bisher nur auf diejenigen
Stadien, welehe der Aequatorialplatte voraufgehen (also meine
Knäuel und Sterne), und ebenso ist noch neuerdings Strasburger
(8) verfahren. Aus meinem Th. I ergiebt sich aber, dass auch in
allen weiteren Stadien, in der Aequatorialplatte sowohl als in den
rückläufigen Phasen der Tochterkerne, Bewegungen der Fäden
fortdauern, und zwar Bewegungen, die keineswegs schwächer sind
als diejenigen der ersten Mutterphasen; also wird man die Be-
zeiehnung „Kinesis‘“ eonsequenterweise auch auf alle diese Stadien
auszudehnen haben. In diesem Sinne adoptire ich hier den
passenden und bequemen Ausdruck, und nach brieflicher Verstän-
digung hat Schleicher sich mit dieser Ausdehnung desselben
einverstanden erklärt. Wir werden also von nun an unter Karyo-
kinesis verstehen: Sämmtliche Bewegungen oder Lagever-
änderungen, welche die im Kern entstehenden Fäden
während der Zelltheilung durchmachen, vom Anfang der
Knäuelform des Mutterkerns bis zur Rückkehr der Ge-
rüstform der Tochterkerne.
Hierbei muss ich nur einen Vorbehalt machen. Schleicher
(a. a.0.) nennt dieselben Bewegungen der Fäden, die ihm sonst
karyokinetische heissen, zuweilen auch „amoeboide“. Beides kann
ich keinesfalls gleichbedeutend finden, und muss letztere Bezeich-
nung hier ausdrücklich ausschliessen. Das Wort amoeboid invol-
virt hier zwar an sieh nur einen Vergleich, keine Erklärung oder
Deutung; aber wir setzen bei den Bewegungen einer „amoeboiden
Zelle“ als selbstverständlich voraus, dass die nächsten Ursachen
für die Formänderung dabei in der Zelle selbst liegen, und nennen
diese deshalb eontractil. Bei der Bewegung oder Lageveränder-
ung der Fäden einer Kernfigur aber wissen wir noch durchaus
nichts Sicheres darüber, ob ihre nächsten Ursachen in den Fäden,
oder ausserhalb derselben liegen, oder ob beides gleichzeitig
156 Walther Flemming:
der Fall ist. Und es ist ohnehin nicht zulässig, die typischen
Manoeuvres dieser Fäden, die in mehreren Phasen bei ihnen allen
fast isochronisch, in einem und demselben Sinne erfolgen!), mit
den ganz unregelmässigen Kriechbewegungen einer Amoebe zu
vergleichen. Ich vermeide es sogar, die Fäden contraetil
zu nennen, damit nicht leichtbefriedigte Gemüther in diesem
blossen Wort schon glauben mögen irgend welche Erklärung
zu finden.
Statt „karyokinetische Figur‘ werde ich der Kürze wegen,
wie bisher, Kernfigur sagen. Auch Strasburger hat diesen
Namen jetzt acceptirt (8, p.285), allerdings bisher nur für die
Mittelstadien der Reihe, die Spindel- oder Tonnenformen. Ich
wende dagegen, wie früher, den Namen Kernfigur auf alle
Formphasen des Fadengebildes an.
Für die Theilungsstadien, welche den Sternphasen entspre-
chen, sollen gelegentlich die Worte Monaster (Muttersternphase)
und Dyaster (Tochtersternphase) in Anwendung kommen, welche
von H. Fol für die Strahlung im Protoplasma der Eizelle ein-
geführt, nnd kürzlich bereits von E. Klein (12) für die entspre-
chenden Kernfiguren gebraucht sind. (S. in meinem Th. I, p. 421
Abs. 3.)
Einige der neueren Schriftsteller haben inzwischen Anstoss
daran genommen, dass ich in der Formenreihe der Kernthei-
lung eine bestimmte Anzahl von Phasen aufgestellt und benannt
habe. Der Haupteinwand, der dabei geltend gemacht wurde: dass
Repräsentanten meiner Phasen von Salamandra nicht bei allen
andern Objeeten zu finden seien, fällt nunmehr ‘fort; denn aus
No. 13 des Lit. Verz., aus dem hier folgenden Abschnitt 2, unter
Vergleichung der neuesten Publikationen Strasburger’s, Klein’s
und Arnold’s geht wohl zur Genüge hervor, dass beiden verschie-
densten Zellenarten von Amphibien, Säugethieren, Pflan-
zen (und wie ich gleich als meine vorläufige Annahme hier notiren
möchte: auch bei Eizellen, überhaupt allenthalben bei der
(indireeten) Zelltheilung) die Kernfiguren während der Theilung
successiv Formen durchlaufen, welche sich der Reihe nach durch
die Benennungen kurz und passend bezeichnen lassen: Knäuel
1) So wenigstens vom Beginn der Muttersternphase bis zum Ende der
Tochtersternphase.
en ie
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 157
(Korb), Stern, Aequatorialplatte, dann für jeden Tochterkern
umgekehrt: Stern, Knäuel; wenn dies auch nicht bei allen Zel-
lenarten gleich deutlich hervortritt. Hiernach, und durch die
Nothwendigkeit kurzer Ausdrücke, scheint mir mein Verfahren
hinreichend berechtigt; auch haben die neueren Autoren schon
allgemein von jenen Ausdrücken in ihrer Darstellung Gebrauch
gemacht. — Ich will nur nochmals !) besonders darauf hinweisen,
dass ich unter einer Phase keinen bestimmt begrenzten Abschnitt
verstehe, was ja dem Sinne dieses Wortes direct zuwider laufen
würde; sondern, wie es das Wort sagt, eine Erscheinungsform,
welche bei der Scheidung eines Zellkerns regelmässig und in be-
stimmter Reihenfolge mit den übrigen durchlaufen wird.
Die Phase, welche der Theilung der Kernfigur voraufgeht (z. B.
Fig. 12 Taf.1 hier) habe ich Aequatorialplatte genannt. Stras-
burger bezeichnete das entsprechende Stadium der Pflanzenzellen-
theilungen früher als Kernplatte; in seiner neuen Mittheilung
braucht er für dasselbe, und zugleich aueh noch für die zunächst
darauf folgenden Trennungsstadien, auch die Worte „Kerntonne“
oder „Kernspindel“, je nach der Form bei verschiedenen Zellen-
arten (l. e. p. 284). Für die Stadien mit schon vorgeschrittener
Localtrennung (z. B. Fig. 23, 25 Taf. 2 hier) werde ich die letzteren
Ausdrücke als sehr passende gleichfalls benutzen, für die vorherge-
hende Phase aber, in der die Elemente in der That im Aequator
durcheinandergeschoben und zu einer Plattenform angeordnet lie-
gen, mir den Namen Aequatorialplatte reserviren; denn es
ist ja offenbar für die Physiologie des Vorganges von wesentlicher
Bedeutung, dass das Stadium, welches der Trennung vorhergeht,
und somit zwischen den progressiven und regressiven Theil der
ganzen Karyokinesis mitten inne steht, eine Zusammendrängung
der Elemente nach der Aequatorialebene zu darstellt, und es
scheint passend, das gleich durch den Namen anzudeuten. Nähe-
res hierüber wird unten im 2. Abschnitt gesagt werden.
Es handelt 'sich für weiteres Studium der Theilungserscheinun-
gen um ein kurzes Wort für Dasjenige, was ich bisher „tingir-
bare Substanz des Kerns“ genannt habe. Da der Ausdruck
„Kernsubstanz“ offenbar zu vielen Missverständnissen ausgesetzt
wäre (s. weiter oben), so will ich dafür einstweilen den Namen
1) Vergl. Th. I, Seite 394 oben.
158 Walther Flemming:
Chromatin bilden. Es soll damit nicht präjudieirt sein, dass
diese Substanz ein bestimmt constituirter, in allen Kernen sich
gleichbleibender chemischer Körper sein müsste; obwohl dies ge-
wiss möglich ist, wissen wir doch noch lange nicht genug über die
nuclearen Stoffe, um es anzunehmen !). Mit Chromatin soll dem-
nach nur bezeichnet sein: diejenige Substanz im Zellkern,
welche bei den als Kerntinetionen ?) bekannten Behand-
lungen mit Farbstoffen die Farbe aufnimmt. Aus meiner
Darstellung der Tinetionsergebnisse bei ruhenden und in Theilung
begriffenen Kernen (Theil I, Abschnitt 1) folgt von selbst, dass das
Chromatin durch den ganzen ruhenden Kern vertheilt ist, zwar
vorwiegend in den Nucleolen, dem Netzwerk und der Membran,
aber auch in der Zwischensubstanz; während es bei der Kern-
theilung sich lediglich in den Fadenfiguren ansammelt.
Für die nieht färbbare Substanz des Kerns bietet sich damit
von selbst der Name Achromatin, und es erklären sich demnach
die im Weiteren gebrauchten Worte chromatisch und achro-
matisch.
Abschnitt l.
Prüfungen bei anderen Objekten (Amphibien, Säugethiere, Pflanzen)
hinsichtlich des allgemeinen Vorkommens der indireeten
Kerntheilung.
Dieser Abschnitt enthält zugleich die Besprechung der Literatur, welche seit
der Abfassung des I. Theils erschienen ist.
A.
Die Fortsetzung meiner Arbeiten über Bau und Lebensphäno-
mene der Zelle hat sich zunächst auf die Frage gerichtet, welche
1) Darum vermeide ich auch einstweilen Beziehungen zu dem Namen
Nuclein, so lange wir nicht wissen, ob diese Verbindung überhaupt im Kern
bestimmt localisirt und an gewisse morphologische Theile gebunden ist.
Vergl. auch Theil I, pag. 356 oben.
2) Bekanntlich giebt es eine Anzahl von Tinctionen, besonders mit
verschiedenen Carmintincturen, welche zugleich oder sogar vorzugsweise auf
Zellprotoplasma wirken, die Kerne weniger betreffen. Diese Tincetionen sind
hier selbstverständlich ausgeschlossen.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 159
Verbreitung die im ersten Theil beschriebene indirecte Kern-
theilung besitzt. Eine vollgültig sichere Antwort darauf ist zwar
natürlich ohne Untersuchung aller betreffenden Objeete nicht mög-
lieh; doch habe ich zu dem Schluss gelangen können, dass ein an-
derer Vermehrungsmodus, als der der Zelltheilung mit indirceter
Kernvermehrung, bisher nicht nachgewiesen ist und also vorerst kein
Grund vorliegt, an einen anderen zu glauben. Dies gilt wenigstens
für die fixen Gewebszellen der Thier- und wohl auch Pflanzen-
körper. Für freie, amöboide Zellen bleibt es noch fraglich, ob auch
bei ihren Theilungen Vorgänge am Kern mitspielen, die der indi-
recten Kerntheilung homolog, nur weniger augenfällig sind, — oder
ob hier wirklich direete Kernzerschürungen vorkommen.
Die Begründung hierfür habe ich zum Theil bereits in einem
andern Ortes (13) erschienenen Aufsatze gegeben.
Es trifft sich eigen, dass gleichzeitig mit meinem eben er-
wähnten Aufsatz ein anderer von E. Klein veröffentlicht wurde
(12), in welchem in. dem fraglichen Punkt gerade das Entge-
sengesetzte ins Auge gefasst wird. — Während nämlich Klein
nach eigenen Untersuchungen bei Triton meine sachlichen Anga-
ben über die indirecte Kerntheilung bis in’s Detail hinein be-
stätigt gefunden hat, hält er daneben an der Annahme einer di-
receten noch fest. Allerdings nicht ohne eine Begründung; diese
aber kann ich als beweiskräftig nicht anerkennen.
Sie besteht in Folgendem: Klein hat beobachtet, dass das
Abwerfen der äusseren Hautepithelschicht beim erwachsenen Tri-
ton mit sehr rascher Wiederholung vor sich geht (alle 5—7 Tage),
Klein meint deshalb, (s. p. 417 ff.) wenn der Ersatz lediglich
durch Zelltheilung mit indireeter Kernvermehrung erfolgte, so
müsse man eine sehr grosse Zahl von Theilungsfiguren in den per-
sistenten Epithelschichten finden. Er hat Zählungen der in je einem
Scehwanzquerschnitt (von zwei Zellen Dieke)vorhandenen Kernfiguren
angestellt, und fand in zwei solchen Versuchen einmal 17 Theilungen
auf 840 Kerne, das andere Mal 23 : 240; diese Zahl der Theilun-
gen erscheint ihm zu gering, um den Ersatz für die abgestossen
Zellenlagen in wenigen Tagen zu liefern. Lediglich aus diesem
Grunde nimmt er an, dass daneben noch eine andere Zellvermeh-
rungsform mit directer Kernspaltung stattfinden müsse.
Ich gestehe, dass ich diesen Schluss in keiner Weise begrün-
det finden kann. Auch wenn ich die von Klein gegebenen Ver-
160 Walther Flemming:
hältnisszahlen zu Grunde lege, finde ich die Menge der Theilun-
gen vollkommen ausreichend, um den Abwurf einer einfachen
Zellenschicht (denn es wird nur eine Lage abgeworfen, wie
Klein selbst p. 410 angiebt) in drei bis vier Tagen reichlich zu
ersetzen. Ich stelle hierfür folgende einfache Rechnung zur Er-
wägung:
An der Stelle von Klein’s erster Zählung (17 Theilungen
auf 840 Zellen) haben wir ein Gebiet, wo zu gegebener Zeit etwa
auf je 50 Zellen eine Theilung kommt. Vorausgesetzt, dass die
Frequenz der Theilungen sich auf diesem Gebiet dauernd gleich
bleiben soll, wird also jedesmal, wenn eine Zelle mit der Thei-
lung fertig ist, irgend eine andere damit anfangen. Die Dauer
einer Theilung lässt sich nach meinen Beobachtungen (Theil I) an
Salamanderlarven auf durchschnittlich 3 Stunden annehmen; bei
Triton wird es wohl ähnlich sein. Es würden dann auf den Tag
8 Theilungen kommen, also 6 Tage!) verlaufen, bis auf dem be-
treffenden Gebiet aus jenen 50 Zellen 100 (genau 98) geworden
sind, d. h. bis sich die Zellenzahl überhaupt verdoppelt hat.
Auf dem Gebiet von Klein’s zweiter Zählung aber, wo die
Theilungen weit zahlreicher waren (23 : 240) würde fast auf je 10
Zellen schon eine Theilung kommen, und nach gleicher Berech-
nung die Verdoppelung der Zellen bereits in 1!1/, Tag erreicht
sein. Nimmt man das Mittel zwischen den beiden Gebieten (etwa
2!/; Tag), so hat man damit selbst noch eine geringere Zeit als
diejenige, binnen welcher nach Klein’s Beobachtungen die Deck-
schichte wirklich abgelöst wird, und also ein Ersatz dafür fertig
gestellt sein soll (5—7 Tage).
Da nun aber vollends die Zellen an den betreffenden Haut-
stellen zwei oder mehr Lagen dick liegen, und Theilungen nicht
bloss in einer, sondern mindestens in zweien dieser Schichten
vorkommen, so würden damit noch doppelt so viel Zellen produ-
eirt werden, als zum Ersatz einer Lage nöthig sind. Es folgt
daraus, dass die Zellentheilungen nicht einmal so frequent zu erfol-
gen brauchen, wie auf den Gebieten, wo Klein gerade gezählt
hat, um doch den Ersatz liefern zu können.
Dass das Vorkommen eingeschnürter und gelappter Kernfor-
1) Genau noch weniger, da man eigentlich Zinseszinsrechnung anwen-
den müsste.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 161
men nicht zu Schlüssen auf directe Kernspaltungen berechtigen
kann, habe ich a. a. ©. (13) und im Theil I d. A. wohl genügend
gezeigt: noch Niemand hat an localisirten Gewebszellen eine di-
reete Trennung soleher Kernform unter dem Auge geschehen se-
hen, wenigstens kenne ich keine Beschreibung, die dies bewährte.
Klein hat dies im vorliegenden Falle überhaupt nicht versucht,
da seine Angaben 1. ce. sich nur auf conservirtes Gewebe beziehen ;
ich habe dagegen sehr vielfach den Versuch gemacht und auf viele
Stunden ausgedehnt, ob sich direete Durchschnürungen solcher
Kerne am lebenden Object einstellen würden; aber bis jetzt
immer mit negativem Erfolg.
Ebensowenig ist es mir verständlich, dass Klein eine Stütze
für die Annahme direeter Kernzerschnürungen in Bildern finden
will, wie sie seine Fig. 33—35 Taf. 18 l. ec. darstellen, und damit
eine Ansicht Eberth’s aufnimmt (2), die ich speciell bestritten
habe (Th. D. Es sind dies Knäuelformen !), die gerade einmal in
der Mitte etwas eingeschnürt erscheinen, oder eine solehe Anord-
nung der Fäden haben, dass sich eine gewisse Doppelsymmetrie
ergiebt ?). Solehe kann man öfter an fixirten Objeeten finden °);
aber nach ihnen den Schluss zu ziehen, dass sich eine solche
Kernfigur im Weiterleben einfach mitten durchgeschnürt hätte, ist
nieht im Mindesten gerecht. Ich habe beschrieben, dass in allen
von mir lebend beobachteten Fällen von Kerntheilungen niemals
solche directe Theilungen der Kernfigur vorkamen, sondern
immer regelrecht vorher die Sternform und die Aequa-
torialplatte auftrat. Dagegen können einzelne conservirte
1) Die Verwechselung, die ich durch mehrfachen Hinweis im Theil I
(pag. 374 Anm., pag. 405, 406) abzuwenden gesucht hatte, ist bei Klein doch
eingetreten (pag. 414 a. a. O.): er schreibt Eberth die Bezeichnung von
Formen, wie Fig. 4 Taf. 1 hier, als Korbformen (basket) zu. Diese Formen
sind vielmehr von mir anfänglich Körbe genannt, während Eberth und
Mayzel mit diesem Ausdruck Kernfiguren in beginnender Tochtersternphase
meinen, wie etwa Fig. 25 und 26 Taf. 5 hier. Damit daraus keine Missver-
ständnisse entstehen, habe ich die erstgenannten Formen dann Knäuel ge-
nannt.
2) Es ist ganz denkbar, dass die Dicentrie schon in den Stadien vor
der Aequatorialplatte mehr oder weniger ausgeprägt und erkennbar sein
kann. Ich habe manche derartige Figuren in meinen Präparaten.
3) Z. B. meine Fig. 6 und 7, Taf. 1 hier.
162 Walther Flemming:
Präparate, nach denen allein Klein geurtheilt hat, nicht in Be-
tracht kommen !).
Weit überzeugender aber als der negative Befund, dass man
eine direete Kerntheilung noch nicht mit hinreichender Sicherheit
gesehen hat, scheint mir die positive Thatsache: dass Zell-
theilung mit indireeter Kerntheilung bis jetzt noch an
jedem Object gefunden worden ist, welches man ernst-
lich und mit den nöthigen Cautelen und Methoden da-
rauf untersucht hat, falls es überhaupt nicht zu ungün-
stig war, mit Ausnahme der farblosen Blutzellen.
Ich habe in dieser Richtung eine Reihe neuer Prüfungen an
folgenden Objecten angestellt: Axolotl, Krötenlarven, Säuge-
thierembryen, geborenen Säugethieren, Pflanzenzellen
(Nothoseorodon und Allium), Ovarialeizellen von Salamandra,
Spermakeimzellen von derselben.
Dass sich hier überall indirecte Kerntheilung finden würde,
konnte ich zwar von vornherein annehmen. Durch die sehr exten-
siven Untersuchungen Mayzel’s (s. Theil I) wissen wir bereits,
dass dieselbe bei Batrachiern und deren Larven, ebenso bei Vogel-
embryen vorkommt; Semper und Balfour haben Kernfiguren in
dem Follikelinhalt wachsender Ovarien von Fischen gesehen,
Bütschli an Blutzellen des Hühnerkeims, E. van Beneden an
der Keimscheibe des Kaninchens; Mayzel und Eberth haben
solehe in der Hornhaut von Vögeln und Säugethieren, bei patholo-
gischer Zellenvermehrung, gefunden. Für Pflanzenzellen endlich sind
wir durch Strasburger schon lange über das weit verbreitete
Vorkommen von Kernfadenfiguren bei der Theilung unterrichtet ?).
Was ich bei den genannten Objecten zu prüfen hatte, war
also nicht mehr das Vorkommen dieser Dinge überhaupt, sondern
1) Ich selbst habe mich im Winter 1877, wo ich noch keine lebende
Theilung sicher beobachtet hatte, nach fixirten Objecten in demselben Irrthum
befunden wie jetzt Klein und früher Eberth: ich schloss nach Bildern, wie
Klein’s Fig. 33, auf directe Theilungen dieser Figuren, und habe damals
den Theilungsgang dem entsprechend in einem Vortrag falsch dargestellt
(Schriften des naturw. Vereins, Kiel 1878, Februar, p. 31, Fig. 13). Im Sommer
1878 haben mich die lebenden Objecte eines Besseren belehrt. (S. am gleichen
Ort, 1. August 1878.)
2) Die betreffende Literatur siehe mn Th. I und in Nr. 13 des hiesigen
Lit.-Verz.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 163
die Fragen: 1) finden sie sich auch in physiologisch wachsen-
den Geweben hier überall in der Reichlichkeit, dass es zulässig
ist auch hier die sämmtliche Zellenvermehrung auf diese Processe
zurückzuführen? Und ferner: 2) finden sich auch bei allen diesen
Objeeten sämmtliche Hauptphasen der indireeten Kerntheilung
vertreten, welche ich bei Salamandra aufstellen konnte !)?
Die letztere Frage ist für die Fortführung der Arbeiten über
Zell- und Kerntheilung von grosser praktischer Bedeutung. Wenn
wir versuchen wollen, auf optischem Wege tiefer in die Mechanik
dieser Vorgänge einzudringen — ein Anfang dazu ist im. nächsten
Abschnitt dieser Arbeit gemacht — so erscheint es mir unum-
gänglich, dabei besonders die Amphibien und zwar vor Allen
die Urodelen zu Grunde zu legen, einfach deshalb, weil diese
die grössten Zellen und Kerne haben. Es wird — das kann
ich nach vielfältiger Vergleichung behaupten — mit unsern
heutigen optischen Mitteln niemals möglich sein, an
den bis jetzt auf Theilungsvorgänge untersuchten Arten
von Pflanzenzellen, Säugethier-, Vögel-, Fisch- und
vielen Evertebraten-Zellen so viel Detail von den Thei-
lungserscheinungen zu sehen, wie Salamandra, Triton
und Siredon schon bei mittelstarken Linsen sehen lassen.
Wenn man aber an letztern Objecten das allgemeine Wesen des
Processes weiter studiren will, muss man vorher wissen: sind alle
Hauptphasen, die bei ihnen vorkommen?) auch bei den anderen Ob-
jeeten vertreten, oder ist vielleicht Manches davon bloss jenen
eigenthümlich und deshalb unwesentlich?
Ich konnte freilich auch hier schon vorweg vermuthen, dass
letzteres nicht der Fall sein würde. Zwar haben viele Unter-
sucher der Säugethier- und Pflanzenzellentheilung die Anfangs-
und Endformen (Knäuel, Sterne) nicht gesehen oder beobachtet,
und lediglich über das Mittelstadium, die Kernspindel oder Kern-
tonne, berichtet; aber es finden sich auch Angaben von Semper’°)
und Balfour über Sternformen bei Fischen; Schneider
hat Knäuelformen (,„Rosetten“) von Würmern (Eizellentheilung)
beschrieben, Eberth’s Abbildungen zeigen, dass es auch in der
1) S. Theil I, pag. 409.
2) Siehe die Tabelle, Th. I, p. 409, und hier, Abschnitt 2, am Schluss.
3) Siehe Lit.-Verz., Th. I.
164 Walther Flemming:
entzündeten Hornhaut von Säugethieren (Kaninchen) derartige
Formen giebt; und da die übrigen Beobachter auf solche Formen
überhaupt noch nicht geachtet hatten, so konnten sie in ihren
Fällen sehr wohl übersehen sein. —
So, wie es hiernach vorauszusetzen war, habe ich denn auch
Alles bei den untersuchten Objeeten im Wesentlichen gefunden;
darum halte ich mich bei ihrer Beschreibung sehr kurz, und gebe
diese eigentlich nur, um die Zweifel, die auf vielen Seiten noch
gegenüber diesen Dingen zu herrschen scheinen, beseitigen zu
helfen, und zugleich zu den Angaben Anderer Stellung zu nehmen.
B.
Amphibien.
Dass beim Axolotl (und überhaupt bei geschwänzten
Amphibien) die Verhältnisse der Kernfiguren ganz die gleichen
sein würden wie beim Salamander und seiner Larve,, war voraus-
zusetzen, und wurde im letzten Frühling und Sommer durch Unter-
suchung mehrerer älterer, und eines sehr jungen aus dem Ei ge-
zogenen Siredon, am Epithel (Haut, Kiemenbögen, Lunge), im
Knorpel (Kiemenbögen), im Bindegewebe (ebenda) und an rothen
Blutzellen bestätigt. Vortheile gegenüber Salamandra bietet das
Objeet nicht, die Zellen sind vielmehr etwas kleiner wie dort !). —
Das Gleiche gilt für Proteus anguineus, bei dem die übrigen
Zellenarten keineswegs so bedeutende Grössen haben, wie es be-
kanntlich bei seinen rothen Blutzellen der Fall ist. So lange es
daher nicht gelingt, Proteus aus dem Ei zu züchten oder experi-
mentell an ihm Zellenvermehrung zu erzielen, möchte ich em-
pfehlen, sich an ihm nicht mit Zelltheilungsstudien zu bemühen.
Seit dem Erscheinen des I. Theiles dieser Beiträge sind von zwei
anderen Seiten Mittheilungen über die Zelltheilung bei geschwänzten Amphi-
bien (Triton) publieirt worden.
Peremeschko (5) untersuchte bei der Tritonlarve den Vorgang lebend
und mit Reagentien. Seine Specialarbeit, die unmittelbar nach der meinigen
1) Nach brieflicher Mittheilung hat Mayzel inzwischen ebenfalls den
Axolotl hinsichtlich der Kerntheilung geprüft, mit gleichem Ergebniss.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 165
erschien !) und diese noch nicht berücksichtigte, lässt einige Punkte erheblich
von meinen Befunden abweichen), doch in einer so eben publiceirten Mit-
theilung desselben Autor’s über die Theilung der rothen Blutkörper bei
Krötenlarven (16) erscheint schon Manches von diesen Widersprüchen ausge-
elichen. Es bleiben, wenn ich diese letzte Aeusserung Peremeschko’s mit
zu Grunde lege, noch folgende wesentliche Differenzen zwischen uns:
1) Eine anfängliche bedeutende Vergrösserung des Kerns, welche von
P. als wesentliche betrachtet wurde, kann zwar vorkommen, aber fast
ebenso oft fehlen.
2) Peremeschko lässt noch immer zunächst Körner im Kern ent-
stehen, und zu Fäden „auswachsen“, welche die weiteren Kernfiguren bilden.
Ich konnte dagegen an den grösseren Kernen bei Salamandra feststellen °),
dass diese anscheinenden Körner nur optische Durchschnitte von Fäden sind,
und dass sich das ganze Fadengewinde des folgenden Stadiums in continuo
auf Grund des ruhenden Kernnetzes, wenn auch nicht aus diesem allein,
hervorbildet. Dies ist nun auch für Peremeschko’s Object (Triton) von
Klein bestätigt worden (s. u.).
3) Dass es Stadien geben sollte, wo Körner und Fäden im Kern ver-
mischt vorkämen (Peremeschko p. 452, Fig. 54 u. 55), kann ich hiernach
nicht zugeben; die anscheinenden Körner sind hier nichts Anderes als optische
Schnitte.
4) Auch in der letzteitirten Mittheilung hält P. daran fest, dass in
dem Stadium der Aequatorialplatte (Kerntonne) die Fäden in der Mitte aus-
einanderreissen sollen. Ich habe im Th. I bereits geschildert, dass die Sache
ganz anders liegt, dass die Fäden der zwei Tochterkernanlagen in diesem
Stadium bereits getrennt sind, und verweise für Näheres über die höchst
eigenthümliche Mechanik dieser Vorgänge auf den hier folgenden Abschnitt 2
5) Ferner beschreibt Peremeschko, dass in oder kurz nach diesem
Trennungsstadium die Fäden der beiden Tochterkernhälften so liegen sollen,
dass sie sich mit ihren Enden untereinander kreuzen (l. c. p. 442—443,
Fig. 35, 36).
Nach diesem Wortlaut wäre anzunehmen, dass es sich hier um die
wirkliche Durcheinanderschiebung der gegenseitigen Fäden handelt, welche
z. B. hier in meiner Fig. 10—13 Taf. I, in m. Th. I in Fig. 2g und 8
Taf. 16 dargestellt ist; und ich glaube auch, dass Peremeschko’s Fig. 63
wirklich einem solchen Zustand entsprechen kann. Die Figuren 35 und 36
aber, auf die er sich ebenfalls bezieht, sind damit keineswegs gleichbedeutend,
1) Peremeschko’s vorläufige Mittheilung ging dagegen der meinigen
um kurze Zeit voraus.
2) Vergl. dafür: Theil I, pag. 407—408.
3) Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass man für diese Feststellung
sich an die bestconservirten und schärfst gefärbten, aufgehellten Objecte hal-
ten muss, wie mir solche in grosser Zahl vorliegen.
166 Walther Flemming: m
sie sind offenbar keine eigentlichen Aequatorialplatten mehr, sondern schon
getrennte Tochtersterne, und diese nur anscheinende Durchkreuzung der
Strahlenenden beruht, wie es mir vorkommt, darauf, dass die Figuren Pere-
meschko’s schräg lagen.
6) In seiner erstgenannten Arbeit hat Peremeschko die Knäuel- und
Sternformen des Mutterkerns noch nicht auseinandergehalten und ihre typische
Folge (Knäuel-Stern) nicht erkannt. Nach seiner Darstellung der Blut-
zellentheilung im letztgenannten Aufsatz (p. 674) glaubte ich hoffen zu dürfen,
dass wir hierüber jetzt einig seien; doch nach seiner neuesten Arbeit (18, p.
182, s. unten) bin ich nicht sicher, ob dem so ist.
7) Endlich hat Peremeschko die von mir beschriebene rückläufige
Metamorphose der Tochterkerne nicht beachtet (obwohl er nach seinen Ab-
bildungen die betreffenden Formen offenbar richtig gesehen hat), und eine
Stelle auf p. 674 des letztg. Aufs. (unten) lässt schliessen, dass er die homo-
genen Klümpchenformen der Tochterkerne (vergl. Fig. 29 Taf. 2 hier) für
Natur hält, was sich allerdings mit der regressiven Metamorphose der Töchter
schlecht vertragen würde. Ich habe gezeigt, dass diese Formen am lebenden
Kern nur scheinbar homogen sind, wegen der Blässe des Objects (s. Th. I,
Fig. 5k Taf. 16, Text p. 388 dort); dass sie ausserdem auch durch Reagen-
tienwirkung künstlich hervorgebracht werden können, davon wird unten (siehe:
Pflanzenzellen) noch die Rede sein.
Als Vorstehendes geschrieben war, erschien so eben eine weitere Mit-
theilung Peremeschko’s (18), als Fortsetzung der besprochenen. Aus ihrem
Inhalt ist bemerkenswerth der Befund einer Nervenkerntheilung (l. ce.
p- 172), welche zu beobachten bisher noch nicht geglückt war; ferner, dass
Peremeschko das Verhalten der Kerne bei der Theilung weisser Blut-
zellen als ganz gleich darstellt mit dem beianderen Zellenarten,
und eine Anzahl entsprechender Bilder mittheilt (Fig. 16-25). Wenn sich
Letzteres bestätigt, würde es meines Frachtens bei weitem den wichtigsten
Theil der Arbeit darstellen; denn nach den bisherigen Befunden haben
Bütschli und ich annehmen müssen, dass der Kerntheilungsvorgang bei
farblosen Blutzellen gegenüber dem anderer Zellenarten sehr abwiche, so
sehr, dass ich ihn vorläufig (vergl. Th. I, am Schlusse) als eine directe
Theilung gegenüber der indirecten, karyokinetischen, bezeichnet habe. Doch
gestehe ich, gegen diese Trennung von vorn herein eine Aversion empfunden
zu haben, und habe deshalb stets betont (l. e. p. 423, und: 13 Lit.) dass
möglicher Weise doch die Kernveränderung auch bei der Theilung der amö-
boiden Zellen im Princip homolog sein könne mit den Verhältnissen bei an-
dern, nur einfacher oder weniger deutlich. Sollte bei Triton diese Deutlich-
keit grösser sein, so würde ich mich sehr freuen, durch Peremeschko jetzt
die allgemeine Homologie hergestellt zu sehen. Vor der Hand jedoch bin ich
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Tiebenserscheinungen. 167
durch seine Darstellung (p. 171) noch nicht durchaus überzeugt, dass die
fraglichen rundlichen Zellen sicher farblose Blutzellen waren ').
Dass die Theilungen der Bindesubstanzzellen und Muskelzellen
in allem Wesentlichen mit denen der Epithelzellen übereinstimmen, hatte ich
bereits beschrieben (Th. I, 394 ff.), und dasselbe hatte für die ersteren auch
Peremeschko selbst in seiner vorl. Mittheilung erwähnt. Der Autor liefert
jetzt dafür noch eine Anzahl Zeichnungen nach dem lebenden Object.
Aus Peremeschko’s Besprechung meiner Angaben (am Schluss) geht
hervor, dass er die Differenzen, die ich oben notirte, auch jetzt im Wesent-
lichen aufrecht hält. Gerade das, was ich als mein wesentlichstes Ergebniss
ansehe, die Regelmässigkeit in der Folge und Rückfolge der Kern-
figuren, hat Peremeschko nicht gefunden. Er sagt wörtlich: „es sei ihm
bei Triton nicht gelungen, alle die Phasen der Kerntheilung zu beobachten,
die ich bei Salamanderlarven beschrieben habe“; und ich nehme Act von
seiner Aeusserung „dass die letzteren wahrscheinlich ein viel günstigeres Ob-
jekt für diese Beobachtungen darstellen, als das seinige ist“. Dies ist frei-
lich wahr 2); aber Peremeschko hat inzwischen aus Klein’s Arbeit (12,
s. u.) ersehen können, dass sich gerade auch bei Triton das von mir Be-
schriebene hinreichend bestätigen lässt, wenn man nur wohlconservirte, scharf
gefärbte und klar aufgehellte Präparate benutzt.
In Peremeschko’s Besprechung meiner Angaben ist Einiges zu be-
richtigen. Er behauptet, „die gelappten Kerne seien meistens compact,
ohne Gerüst“, und führt an, „Flemming zeichne sie auch ohne Gerüst“,
wobei er meine Fig. 10 Taf. XV, Th. I, eitirt. Der Autor hat wohl meine
Ausführungen über die Reagentienwirkungen auf Kerne nicht berücksichtigt
(l. e. p. 329 ff.); er hätte daraus ersehen können, dass die Kerne in dem Ob-
ject der betr. Fig. 10 nur scheinbar ohne Gerüst sind (vergl. das Citat
derselben Figur auf p. 330 1. c., Zeile 10). In Fig. 1m Taf. XV, Fig. 1, 2
Taf. XVI habe ich ebenfalls gelappte Kerne, und zwar lebendige gezeich-
net, aber mit Gerüsten.
Ferner schreibt mir Peremeschko wiederholt irrig den Ausdruck
„Axenplatte* zu, offenbar für das Stadium, das ich Aequatorialplatte
1) Ich kann über Triton zwar nicht urtheilen, da ich bisher vergeblich
versucht habe, von ihm Larven zu erhalten. Bei Salamandra aber sind im Lar-
venschwanz die fixen Zellen oft von so rundlichen Formen, dass die Diagnose
zwischen ihnen und Wanderzellen sehr misslich ist. Und innerhalb der Blut-
gefässe sind die Jugendformen rother Blutzellen, die noch kein oder wenig
Hämoglobin haben, von farblosen Blutzellen nicht zu unterscheiden. Erstere
aber theilen sich, wie ich beschrieb, indirect.
2) Wenn ich auch die Larve von Triton noch nicht habe studiren
können, so kenne ich doch seine Kerntheilungen vom erwachsenen Thier>
theils nach Mayzel’s, theils nach eigenen Präparaten, und erlaube mir da-
nach obiges Urtheil.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 12
168 Walther Flemming:
genannt habe. Ich habe ersteren niemals gebraucht; er hat gar keinen
Sinn, denn die Theilungsaxe der Zelle ist doch die Linie, die von einem
Theilungspol zum andern geht; in dem betreffenden Stadium aber sind die
Kernfäden in der Ebene des Aequators zu einer Platte gruppirt. Auch
verstehe ich nicht, wie Peremeschko seine Fig. 2 l. c. mit meinen Aequa-
torialplatten (z. B. Fig. 12, 13 Taf. 1 hier) vergleichen kann. Die erstere ist
so undeutlich, dass ich nicht weiss, wo ich sie in der Figurenreihe unterbrin-
gen soll; am ersten noch bei den Knäuel- oder Sternformen. Dagegen scheint
mir seine Fig. 63 Tafel XIX in der That eine Aequatorialplatte zu sein.
Ich habe in meinem Th. I p. 371 gesagt: „Wenn aber auch in den
jetzt folgenden Stadien (grobe Knäuel, Sterne) noch Trennungen der Fäden
in freie Körner, und Wiederverschmelzungen der letzteren vorkommen soll-
ten (Schleicher, Peremeschko), so würde mich dies Wunder nehmen“,
Peremeschko bemerkt jetzt (18 p. 181), dass ich ihm diese Ansicht un-
richtiger Weise zugeschoben hätte. In der That ist in seiner ersten vorläu-
figen Mittheilung nicht wörtlich, wie bei Schleicher, von einem Zerfallen
von Fäden zu Körnern, sondern nur von einem sehr unregelmässigen Figuren-
spiel die Rede, und ich bedaure also, mich nicht dem entsprechend genauer
ausgedrückt zu haben; der Sache nach war ich aber im Recht, denn Pere-
meschko zeigt gleich auf der folgenden Seite 182, dass er auch jetzt gerade
derselben Meinung ist, der ich damals gegenübertreten wollte, indem er
wörtlich sagt: „Man sieht nicht selten auch im sternförmigen Kern, dass an
der Stelle der Fäden Körner und kurze Stäbchen auftreten“. Ob man sich
das Auftreten dieser angeblichen Körner durch ein Zerfallen der Fäden, oder
anders (wie? Flemming) erklären will, war für meine Kritik gleichgültig,
denn ich habe überhaupt bestritten, dass solche Körner neben
Fäden in diesen Stadien bei Salamandra vorkommen, erkläre hier
alle scheinbaren Bilder der Art für optische Schnitte, und muss nach
Klein’s und meinen eigenen Erfahrungen vermuthen, dass es bei Triton und
überall ebenso ist.
Endlich erklärt Peremeschko die hellen Höfe um die Kernfiguren,
die zuerst Eberth, dann Strasburger und ich gesehen haben, für Arte-
facte. Er lässt dabei ausser Acht, dass ich diese Höfe an lebenden Epithel-
zellen bei Salamandra constatirt habe (Th. I pag. 376), was bei den blasseren
Elementen der Tritonlarve vielleicht nicht thunlich ist. Dass aber diese Höfe
sich allerdings durch Reagentienwirkung vergrössern können, habe ich schon
an derselben Stelle erwähnt; und dass sie von Natur verschieden gross aus-
fallen können, ist schon aus meinen früheren Figuren (l. c. Taf. XVII, XVII
ersichtlich.
Die Arbeit Kleins (12) behandelt das gleiche Object wie die eben er-
wähnte (Triton, Zelltheilung im Hautepithel des erwachsenen Thiers !)), und
1) Bei Salamandra sind die Theilungen beim Erwachsenen durchaus
ebenso beschaffen wie bei der Larve; ich schliesse danach, dass es bei Triton
nicht anders sein dürfte.
re er
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 169
giebt für dieses eine vollständige Bestätigung meiner Befunde an Salaman-
dra, bis in die Einzelheiten. Besonders werthvoll ist es mir, dass Klein
sich auch hier von der regressiven Umwandlung der Tochterkerne überzeugt
hat (l. c. p. 415, siehe meinen Th. I, p. 391 u. a.), während alle Anderen,
die gleichzeitig oder nach meinen dortigen Angaben über die Sache schrieben
(Schleicher, Peremeschko, Strasburger) diese so augenfällige und
doch gewiss nicht unwichtige Thatsache unbeachtet lassen oder sogar für
viele Objecte negiren (Strasburger, s. u... Auch darin, dass die ersten
Anfangsstadien der Theilung nicht aus Körnern, sondern aus gewundenen
Fäden bestehen, finde ich bei Klein Zustimmung. Es bleiben nur wenige
Puncte, in denen seine und meine Angaben sich nicht ganz decken, und die
mir dabei wesentlich genug scheinen um sie hier zu markiren:
1) Klein lässt das Stadium der Aequatorialplatte oder Kerntonne!)
fast unberücksichtigt, oder identificirt es doch mit der Dyasterfigur, welche
der schon erfolgten localen Trennung der Tochterkerne entspricht ?); diese
letztere Figur lässt er direct aus dem Mutterstern, dem Monaster, hervor-
gehen, ohne zu erwähnen, wie er sich die Umordnung dabei denkt.
Nun erscheint mir aber gerade diese Umordnung als eine besonders
wichtige Phase der Karyokinesis, weil gerade sie es ist, die den Uebergang
aus der Monocentrie in der Zelle zur Dicentrie kennzeichnet. Es ist mir ganz
ersichtlich, warum Klein diesen Punkt weniger beachtet hat: er arbeitete
nur an conservirten Präparaten, an denen die eigentlichen, flach zusammen-
gedrängten Aequatorialplatten selten gefunden werden, weil sie nur kurz dauern.
Es wärde mir ebenso gegangen sein, wenn ich nicht gleich anfangs
viele lebendige Theilungen verfolgt hätte. Bei solchen sieht man niemals,
dass ein Mutterstern sich direct in zwei Tochtersterne trennte; sondern es
tritt immer ganz unfehlbar ein Stadium dazwischen ein, wo die
Fäden sich in den Aequator zusammendrängen, wie in Fig. 10—14
Taf. I hier, erst dann folgt die locale Trennung, die Tonnenform und die
Tochtersterne.
2) Die Längsspaltung der Strahlen des Muttersterns (Fig. 9 Taf. I
hier, Th. I p. 379) scheint Klein bei Triton nicht gefunden zu haben, we-
nigstens hat er darüber nichts erwähnt®). Dass diese Erscheinung bei Triton
wirklich ganz fehlen sollte, ist mir bei der sonstigen Uebereinstimmung, und
auch nach Peremeschko’s unten citirten Befunden, nicht wahrscheinlich.
Näheres über die Doppelfäden wird im folgenden Capitel gesagt werden.
1) Siehe z. B. Fig. 10—14 Taf. I hier.
2) Siehe Klein’s Fig. 20—22, und Fig. 15, 16 Taf. I hier; Fig. 8, 6, 11
aR.18. Th. 1.
3) Vergl. dagegen Peremeschko, a. a. O. p. 182, welcher Doppel-
strahlen jedenfalls gesehen hat, wenn er auch über ihre Deutung noch zwei-
felhaft zu sein scheint.
170 Walther Flemming:
Theilungen der Hodenepithelzellen bei Urodelen
Salamandra) *
Die Arbeit an diesem Object habe ich zwar zum grossen
Theil mit Hinbliek auf die cellularen und nuclearen Vorgänge bei
der Spermatogenese aufgenommen (vergl. darüber Abschnitt 3); es
stellten sich aber dabei die Hodenepithelien von Salamandra als
ein sehr gutes Speeimen für Beobachtung der Zell- und Kern-
theilung heraus, und zugleich als eines, bei dem die Karyokinese
einige eigenthümliche Abweichungen gegenüber anderen Zellenar-
ten desselben Thieres zeigt. Der Uebersichtlichkeit wegen will ich
diese Besonderheiten hier zusammenstellen; Einiges davon findet
noch im Abschnitt 2!) und Abschn. 3 specielle Besprechung.
Wenn man einen Salamanderhoden mit zahlreichen Zellthei-
lungen gefunden hat — was in der geeigneten Jahreszeit (Juli,
August) sehr leicht ist — und diese Theilungen ohne Zusatz, oder
mit Essigsäure oder Färbung ?) bei 200—500facher Vergrösserung
untersucht, so fällt vor Allem neben den übrigen Theilungspha-
sen, die den bisher von mir beschriebenen "ganz gleichen, eine
Form durch ihre Fremdartigkeit auf: es ist dies das Stadium,
das offenbar der Aequatorialplatte entspricht (Taf. 3 Fig. 41, 42, 50).
Es präsentirt sich wie eine bauchige Fischreuse. Bei etwas
lockeren Figuren dieser Art, besonders wenn man sie schräg oder
gerade vom Pol gesehen vor sich hat (Fig. 41), erkennt man leicht,
dass je zwei Fäden an den Polen in einander umbiegen. In der
Aequatorialebene aber sucht man oft an diesen Figuren vergeb-
lich nach deutlichen Unterbrechungen der Fäden, wie sie bei
anderen Zellenarten 3) so ersichtlich vorkommen *). Deshalb ha-
ben mich diese Formen anfangs sehr frappirt, da sie das Gesetz
umzustossen schienen, das ich für die Theilungen anderer Zellen-
arten bereits früher aufzustellen gehabt hatte: dass die Gruppi-
rung der Fäden in Abschnitte, die je einem Tochterkern zugehö-
ren sollen, in der Phase der Aequatorialplatte schon erfolgt ist.
1) Unter: „die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte“.
2) Methoden s. Abschn. 3.
3) S. Th. I, pag. 382, 383 ff., Fig. 13, 14 Taf. 17; hier: Fig. 12 Taf. 1 u.a.
4) Diese Figuren erinnern dadurch sehr an viele Abbildungen
Bütschli’s (in dessen Werk: Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge
der Eizelle etc.) von Kernspindeln bei Infusorien.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 171
Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar. — Erstens kann
man an manchen Fäden in einer solchen Kernfigur deutliche Un-
terbreehungen im Aequator wahrnehmen, auch wo die Uebrigen
hier keine zeigen (s. die Figuren). Ferner sieht man bei Reagen-
tienwirkung (besonders Essigsäure) im Aequator an Fäden, die
vorher anscheinend ganz continuirlich von Pol zu Pol der Figur
liefen, bald Unterbrechungen, bald blosse Aufblähungen auf-
treten (Taf. 3 Fig. 59), offenbar ein Zeichen, dass hier eine diffe-
rente Beschaffenheit des Fadens vorgelegen haben muss. Endlich
ganz entscheidend ist die Beobachtung des lebenden Objects, des-
sen Figurenreihe auf Taf.3 Fig. 35 gezeigt ist. Da hier in den
vorhergehenden Stadien (a, b) ja getrennte Fadenschleifen, von
halber Länge wie die Tonnenfigur vorkommen, so muss man urthei-
len, dass der äquatoriale Zusammenhang der Fäden (siehe 35 d,
ein Faden) in dieser Figur nichts anderes repräsentirt, als eine
temporäre Berührung oder Verschmelzung der einander ge-
genüberstehenden Fadenenden. Danach ist es verständlich, wenn
an diesen Verschmelzungsstellen die Beschaffenheit der Substanz
der Art abweichend von der des übrigen Fadens ist, dass hier
die erwähnten Aufquellungen (Fig. 59) durch das Reagens (Essig-
säure) zu Stande kommen.
Ich habe die letzteren bisher nur an Essigsäurepräparaten gefun-
den; an mit Chromsäureebehandelten und gefärbten findet sich statt
dieser Anschwellungen' vielfach an den Zusammenhangsstellen im
Aequator eine blassere und etwas'verdünnte Stelle. — An den Essig-
säurepräparaten finde ich zuweilen eine helle, kreuzförmige oder
längsgestellte Spalte in der Mitte einer solehen Anschwellung
(Fig. 59 und 59a, siehe deren Erkl.).
Ob diese äquatoriale Verschmelzung von Fadenenden viel-
leicht eine allgemeine Eigenschaft dieser Phase ist, lässt sich noch
nicht entscheiden. Dass sie auch bei anderen Zellenarten vor-
kommt, habe ich früher besprochen und abgebildet !), und schon
dort nach den vorhergehenden Stadien geschlossen, dass die Fä-
den, die man hier hie und da im Aequator zusammenhängen sieht,
dies nicht schon vorher dauernd gethan haben können, sondern
sich erst aneinandergelegt haben müssen.
1) Th. I, p. 381: 4. Phase, ff.; ebenda p. 387; Fig. 6, 7 Taf. 18, 13
Taf. 17.
172 Walther Flemming:
Bei der Trennung der beiden Tonnenhälften bemerkt man
hier oft recht deutlich, dass je zwei, vorher verschmolzene Fäden-
enden einen dünnen Strang zwischen sich ausziehen, der erst spä-
ter durchreisst. Diese Stränge sind nicht identisch mit den achro-
matischen Fäden, von denen gleich die Rede sein wird, denn sie
zeigen sich oft deutlich tingirt.
Eine andere Eigenheit der Hodenzellentheilungen ist die
Deutlichkeit der blassen, achromatischen Fadenfigur!) in-
nerhalb der chromatischen (s. Taf. 3 Fig. 43—47).
Bei keiner anderen Zellenart von Salamandra habe ich sie
bis jetzt so scharf darstellen können ; nur annähernd in einigen
Fällen bei Knorpelzellen. In Sternformen (wie Fig. 40) finde ich
bei den Hodenzellen noch nichts von diesen Fäden, erst nach dem
Auseinanderweichen der Aequatorialplatte (Fig. 43) werden sie
deutlich. Man sieht in letzteren Stadien oft einzelne ehromatische
Fadenschleifen aus den übrigen unordentlich herausgerückt, manch-
mal bis an die Pole der achromatischen Spindel gerückt (Fig. 43
bis 44); bei schwächerer Vergrösserung sieht solche Figur aus, als
läge in dem Pol der feinfadigen blassen Spindel, oder nahe an
ihm, noch ein grobes gefärbtes Korn 2). Es handelt sich dabei
um nichts weiter, als um Unregelmässigkeiten in der Mechanik
der Kernfigur, wie sie auch in anderen Stadien vorkommen: es
liegen ja auch in den Knäuel- und Sternphasen (Taf. 1 Fig. 8,
Taf. 3 Fig. 35 b) oft einzelne Schleifen zeitweise weit abgerückt; so
kommt es auch in der Aequatorialplatte und Kerntonne (Taf. 3 Fig. 45,
Taf. 1 Fig. 10 u.f.) oft vor, dass der eine Schenkel einer Schleife
herausgeklappt gefunden wird. Dass dies blosse Unregelmässigkei-
1) Vergl. Abschnitt 2, am Schluss.
2) An einem kleinzelliseren Object, wie Salamandra ist, würde des-
halb auch der sorgfältigste Beobachter solche Bilder nicht anders wie in die-
sem Sinne deuten. Die Kernfiguren in Fig. 43 und 44 sind eben gross genug,
um mit Hartnack 9 a imm. deutlich zu sehen, dass es sich nicht um Körner,
sondern um Fadenschleifen handelt, deren einer Schenkel, oder auch beide,
natürlich oft in der Verkürzung gesehen werden, wo sie dem entsprechend
liegen.
Diese Dinge sind also etwas ganz Anderes, wie die wirklichen diffe-
renzirten Körper besonderer Art, die sich an den Polen bei Eizellen finden
(Taf. 2 Fig. 33), und hier, wie es scheint, durch Verschmelzung von Kör-
nern in den achromatischen Fäden entstehen (Taf. 3 Fig. 32).
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 173
ten sind, ergiebt sich einfach aus dem lebendig-beobachteten Ver-
lauf einer Hodenzellentheilung, wie in Taf. 3 Fig. 35. Man sieht
ja hier, dass die regellos herausgerückten Fadenschleifen in b
nachher wieder richtig unter die übrigen eingeordnet werden. So
wird es denn wohl auch bei Fig. 43 und 44 sein: die einzelnen
Schleifen an den Polen haben hier ihren Weg zu diesen schon
vorläufig gefunden, mag es nun sein, um gleich dort zu bleiben,
oder um vorher noch unter die Uebrigen nach dem Aequator zu-
rückzukehren.
In manchen Fällen habe ich an Kernfiguren von Hodenzel-
len, wie Taf. 3 Fig. 46 und 47, auch Andeutungen von äquatorialen
Differenzirungen in den blassen Fäden gesehen, welche offenbar
Strasburger's „Zellplattenelementen“ entsprechen. Ob sie hier
bei meinem Object abgegrenzte körperliche Elemente sind, oder
nur der Ausdruck einer Vacuolisirung (durch die Reagentien) der
blassen Fäden an dieser Stelle, oder endlich ob sie nur Unter-
brechungen der Fäden im Aequator entsprechen, kann ich bei der
Zartheit der Verhältnisse und der Nothwendigkeit von Reagen-
tien hier nicht entscheiden. Am lebendigen Object (Fig. 35) sieht
man von den achromatischen Fäden überhaupt nichts.
Endlich ist es auffallend, dass die Längsspaltung der
Kernfäden in der Knäuel- oder Sternphase (Taf. 1 Fig. 9), die bei
den ektodermatischen Epithelien, den Bindesubstanz-Muskel- und ro-
then Blutzellen von Salamandra so auffallend und so deutlich ist,
siclr bei den Hodenzellen nicht ausspricht. In einigen Stern- und
Knäuelformen habe ich jedoch auch hier Andeutungen davon ge-
sehen, allerdings nur der Art, dass je ein Faden aus zwei engan-
einanderliegenden zusammengesetzt war, nie mit einer so schar-
fen Spaltung, wie bei jenen anderen Zellenarten (Epithel Taf. 1
Fig. 9 hier, Bindesubstanz Th. I Taf. 17 Fig. 11). Wenn hier also
eine solche Spaltung ebenfalls typisch vorkommt, so muss sie kurz
dauern und muss im Stadium der Kerntonne auch schon eine Wie-
derverschmelzung erfolgt sein; denn in diesem ist die Zahl der
Fadenschleifen so gering, dass eine Verdoppelung der Elemente
des Sterns unmöglich angenommen werden kann. Feinstrahlige
Sterne, wie sie im Epithel massenhaft vorkommen (Th. I Taf. 17
Fig. 12) habe ich bei Hodenzellen nie gefunden. — Einiges über
die Fädenspaltung wird noch im Absehn. 2 seine Stelle finden.
174 n Walther Flemming:
Bei Krötenlarven (wahrscheinlich Bufo) habe ich das
Epithel des Mundbodens und der Bindegewebstheile des Kopfes und
der Schwanzflosse untersucht, und Knäuel und Sternformen der Mut-
ter- und Tochterkerne, sowie Aequatorialplatten, ganz wie bei Sala-
mandra gefunden. Als Proben aus vielen gebe ich nur zwei For-
men auf Taf. 3 Fig. 27 u. 28. Nur Längsspaltung der Sternstrah-
len beim Mutterkern war nirgends deutlich erkennbar, was auch
für das demnächst zu beschreibende Objeet gilt: bei der Klein-
heit der Elemente wird es aber kaum möglich sein hier diese Er-
scheinung zu sehen, auch vorausgesetzt, dass sie existirt.
Es werden aber bei den Batrachiern und ebenso bei den
Säugethieren und Pflanzen die Kernfiguren leichter durch die Rea-
gentien entstellt, als bei den gesechwänzten Amphibien; beson-
ders häufig betrifft dies die Tochterkernpaare in ihren Stern- und
Knäuelphasen (Fig. 28, vergl. Taf. 3 Fig. 29), welche oft zusam-
menschrumpfen und eine solehe Verbackung der Fäden erleiden,
dass sie wie homogene Klumpen erscheinen.
Ueber die Zelltheilung im Knorpel von Batrachiern ist inzwischen
die ausführliche Arbeit Schleicher’s (3) erschienen; sie wurde gleichzeitig
mit meinem Th. I, am Orte unmittelbar vor diesem publicirt.
Auf den ersten Blick scheinen Schleicher’s Abbildungen und Beschrei-
bungen gegenüber den meinen grosse Differenzen zu bieten; denn nach
Schleicher würden sich freie Körner und Fäden im Kern bilden, und eine
Zeit lang Bewegungen ohne alle Regelmässigkeit ausführen (denn wenn auch
Schleicher Sternformen des Mutterkerns sehr richtig beobachtet hat, so
nahm er sie doch nicht für typische, bei jeder Theilung an bestimmter Stelle
wiederkehrende); das Stadium der Aequatorialplatte findet sich bei ihm nicht
erwähnt; die Tochterkerne würden nach ihm zunächst zu homogenen Klum-
pen werden, dann in „Körner und Stäbchen“ zerfallen. Kurz, gerade das,
was ich gefunden und als besonders wesentlich hervorgehoben habe, die
Regelmässigkeit in der gesammten Formenreihe, nimmt Schleicher aus-
drücklich in Abrede.
Trotzdem war ich beim ersten Blick auf Schleicher’s Figuren über-
zeugt, dass er vollkommen richtig, nur nicht ausreichend beobachtet hat, und
dass in seinen Objecten sämmtliche Phasen der Kerntheilung vertreten sind,
die ich beschrieben habe. Ich glaube, wer sorgfältig die beiderseitigen Figu-
renreihen vergleicht, wird schon danach diese Meinung mit mir theilen.
Schleicher’s Objecte sind bei ihrer Kleinheit weit ungünstiger wie die
meinigen; er hat sie hauptsächlich nur lebend untersucht und nicht durch
geeignete scharfe Tinctionen controlirt, hat danach nur soviel beschrieben
und offenbar sehr getreu gezeichnet, als sich am lebendigen Präparat mit
voller Sicherheit sehen lässt; und dies ist eben lange nicht Alles. Seine Bil-
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 175
der stellen daher nur Bruchstücke der wirklichen Kernfiguren dar; dennoch
kann ich aus vielen derselben ganz gut diagnosticiren, welche Phase sie be-
treffen. ;
Ich habe übrigens inzwischen, gleichzeitig mit Schleicher’s Publica-
tion, schon mitgetheilt!), dass im Knorpel bei Salamandra ganz dieselbe
Formenreihe der Theilung zu finden ist, die ich für alle übrigen Gewebszel-
len aufgestellt habe. Hiernach durfte ich es wohl überflüssig finden, die
Kerntheilung auch im Knorpel der Batrachier nochmals zu prüfen; denn es
scheint ganz undenkbar, dass gerade nur im Knorpel bei diesen so grosse
Abweichungen vorkommen sollten, wie es Schleicher’s Angaben entsprechen
würde, während ja, wie so eben erwähnt, im Epithel und Bindegewebe ?) bei
denselben Thieren der Process in nichts Wesentlichem von dem bei Salaman-
dra gefundenen abweicht. —
Ich erspare es hiernach auch, auf verschiedene Angriffe zu entgegnen,
die Schleicher gegen meine vorläufigen Angaben gerichtet hatte; sie sind
durch meinen Theil I im Voraus widerlegt und ich hoffe, dass Schleicher,
nachdem er die Freundlichkeit gehabt hat, einige meiner Präparate zu prüfen,
sie nicht weiter aufrecht halten wird. — Nur das Eine muss ich in dieser
Hinsicht bemerken, dass Schleicher’s Aeusserung (p. 284): „ich hätte nur
das für andere Gewebe gelehrt, was er (Schleicher) schon für den Knor-
pel beschrieben habe* — nicht sachlich richtig ist. Denn erstens sind meine
bezüglichen Arbeiten schon ein Jahr vor dem Erscheinen von Schleicher’s
erster vorläufiger Mittheilung begonnen und ganz unabhängig von dieser ge-
wesen, zweitens aber und besonders habe ich ja keineswegs dasselbe be-
schrieben wie Schleicher, sondern etwas ganz Anderes, und möchte darum
meine Ergebnisse nicht mit denen seiner eben besprochenen Arbeit indentifi-
eirt wissen.
Da letzteres inzwischen von einigen Seiten eeschehen ist, will ich hier
kurz die sehr wesentlichen Unterschiede kennzeichnen, die zwischen
Schleicher’s und meinen Resultaten bestehen:
Schleicher hat für die Theilung von Knorpelzellen be-
schrieben, dass in dem vorher homogen beschaffenen Kern-
inhalt?) Körner und Fäden von unregelmässiger Form und
Zahl auftreten, amoeboide Bewegungen ganz unregelmässi-
ger Art ausführen (Karyokinesis) und dann zu der von
Bütschli und Strasburger entdeckten spindel- oder tonnen-
förmigen Figur zusammentreten; dass diese sich darauf in
DieCh..T p. 395, Tat. 16, Kıc.. 10.
2) und auch bei rothen Blutzellen, s. u. Peremeschko.
3) Seitdem hat sich jedoch Schleicher auch an seinen Objeeten von
dem Vorkommen intranuclearer Structuren überzeugt, und befindet sich nach
freundlicher briefl. Aeusserung über den Bau des Zellkerns im Ganzen mit
mir in Uebereinstimmung.
176 Walther Flemming:
die zwei Tochterkernmassen trennt; dass deren jede dann
zu einem homogenen Klümpchen wird; dass dieses auf eine
Zeit lang wieder „in Körner und Stäbchen zerfällt“, welche
wieder Bewegungen ausführen und dann zu einem Kern
mit einander verschmelzen.
Ich habe dagegen für die Theilung der meisten Geweb-
zellenarten beschrieben, dass sich im Kern im Anschluss
an dessen Gerüststructur und Membran, ein in sich zusam-
menhängendes Fadengewinde von gleichmässiger Dicke
ausbildet, das nach und nach sämmtliche tingirbare Sub-
stanz des Kerns in sich fasst, und sich zu einem Knäuel
formt, der darin schon regelmässige Ordnung zeigt, dass
seine Windungen im Ganzen gleiche Abstände von einander
haben. Dann zerfällt dieser gewundene Faden in Seg-
mente, und diese Fadenstücke machen Lageveränderungen
durch, welche regelmässig und typisch folgende Phasen
zeigen: Knäuel, Stern (Systolen und Diastolen desselben),
Aequatorialplatte; Trennung; dann für die Fäden jeder
Hälfte, also jeden Tochterkern, wieder umgekehrt: Stern,
Knäuel, Ruhe.
Es ergiebt sich von selbst, dass Dieses etwas Anderes ist,
als Schleicher’s Befund, und dass die hiermit erkannte
Ordnung bessere Aussicht auf Verstehen der Mechanik des
Vorgangs giebt, als wenn wir bloss mit ganz irregulären,
amoeboiden Bewegungen zu rechnen hätten.
C.
Pflanzen.
In den Arbeiten Strasburger’s, welche bis 1879 publieirt
waren, findet sich für Pflanzenzellentheilungen nur die Mittelform
der Kernfiguren (Kernspindel, Kerntonne) beschrieben und ist
ausserdem für einige Pflanzen auch von granulirten Anfangssta-
dien die Rede. Da es mir aber a priori wahrscheinlich war, dass
sich Repräsentanten der ganzen, von mir beschriebenen Formen-
reihe auch hier ergeben würden, so unternahm ich es bei No-
thoscorodon fragrans und nahestehenden (Allium odorum
u. A.) darnach zu suchen. Dies ist mir inzwischen sehr abgekürzt
worden durch zwei im letzten Sommer publieirte Aufsätze Stras-
burger’s (8, 14). Nach Kenntnissnahme von Schleichers und
meinen Angaben hat derselbe sich durch eigene Prüfung über-
N‘
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 177
zeugt, dass gewundene Fadenknäuel in den Anfangsstadien auch
bei seinen pflanzlichen Objeeten vorkommen, und dass sich auch
bei den Tochterkernen Formen finden, welche den von mir be-
schriebenen entsprechen (s. Strasburger’s Taf. IV 1. c., Fig. 13
bis 17, 31—34, 27, 55).
Es bleibt hiernach aber noch eine Anzahl, meines Erachtens
wesentlicher Punkte, in denen Strasburger noch keine Ueber-
einstimmung zwischen unseren Objecten gefunden hat; ich aber
solche theils wirklich finde, theils nicht ausgeschlossen sehen
kann !).
1) Strasburger hält auch jetzt noch daran fest, dass in den ersten
Anfangsstadien distinete Körner in den Kernen auftreten, und erst nach-
mals zu Fäden auswachsen sollen.
Nach den Exemplaren dieser Stadien dagegen, welche ich selbst bei
Allium und Nothoscorodon finde, muss ich sagen, dass mir diese Auf-
fassung nicht begründet scheint. Bei schon etwas weiter vorgeschrittenen
Formen, wie in Fig. 20, 18 Taf. 2 hier, kann man ohne Mühe erkennen, dass
wirklich nur Fäden, und optische Schnitte von solchen vorliegen; obwohl
erst die scharfe Tinction und der Beleuchtungsapparat dies hinreichend er-
kennen lässt. Die Formen Fig. 20 liegen freilich schon nicht mehr weit vor
solchen, für die auch Strasburger jetzt das alleinige Vorkommen von
Fäden zugiebt (vergl. seine Fig. 14, 15 Taf. 37 a. a. O.). Aber auch von
den vorangehenden Stadien, von denen in Fig. 19 hier eines skizzirt ist, kann
man nicht behaupten, dass sie aus Körnern beständen. Wo sie hinrei-
chend locker gebaut sind, unterscheidet man stellenweise deutliche Faden-
1) Es ist mir bei den Allium- und verwandten Arten, die mir Herr
College Engler freundlichst verschaffte, leider nicht gelungen recht gün-
stige Stadien der Entwicklung zu treffen, wo die Theilungen im Endosperm
so massenhaft gehäuft zu finden sind, wie ich dies an gütig gesandten Prä-
paraten Strasburger’s bewundern konnte. Doch habe ich eine hinreichende
Anzahl von Theilungsstadien durch längeres Suchen zusammengefunden, um
das Obige daraus schliessen zu können.
Die Theilungen lassen sich bei diesen Pflanzen durch Chromsäure und
Pikrinsäure nicht so sicher und schön conserviren, wie bei Thiergeweben; es
ist dafür zu empfehlen, die Knospen oder sonstigen Stücke vor dem Einlegen
anzuschneiden. Ich stimme Strasburger darin zu, dass der Alkohol
die Theilungen hier oft sehr gut conservirt; einige Stadien (besonders Toch-
terknäuel) erleiden jedoch dadurch leichter wie bei Thierzellen Schrumpfung,
was auch Strasburger a. a. O. zugiebt. Meistens habe ich Alkoholhärtung
und Kernfärbung mit Alauncarmin gebraucht. Der Alkohol ist auch bei
Thierzellentheilungen brauchbar, aber viel unsicherer als Chrom und Pikrin.
178 Walther Flemming:
windungen; doch gehören dazu bei der Kleinheit der Objecte, und bei der
hier sehr dichten Lagerung der fraglichen „Windungen oder Körner“, schon
starke Systeme, und ich gebe gern zu, dass die Sicherstellung, ob allein Eins
oder das Andere vorliegt, an diesen Kernen unmöglich ist. Hier aber
scheint mir der Analogieschluss in sein volles Recht treten zu können. Ein
Epithelkern von Salamandra, wie ihn meine Fig. 2c Taf. 17 im I. Theil
dieser Beiträge zeigt, befindet sich im entsprechenden Zuständ wie der kleine
runde Pflanzenkern in Fig. 19 Taf. 2 hier; jener ist aber viel grösser, dabei
von flacher Form, deshalb gelingt es bei ihm leicht festzustellen, dass er
nur Windungen und nicht Körner enthält !).
Bei dem Pflanzenkern von Fig. 19 hier dagegen ist dies nicht möglich,
auch wenn hier ebenfalls bloss Windungen da sind; da dieselben bei ihrer
Feinheit und der Kleinheit des Kerns entsprechend viel dichter liegen, und
da ausserdem, weil der Kern mehr rund ist, relativ viel mehr Windungen
übereinander liegen und sich gegenseitig verdunkeln, als es bei dem platten
Epithelkern der Fall ist.
Daher erlaube ich mir, aus dem günstigen Object auf das ungünstigere
zu schliessen; und verstehe es nicht recht, dass Strasburger und Andere
sich dazu in diesem und anderen Fällen nicht entschliessen wollen. Denn
durch mein Verfahren wird auch für diese Stadien die Homologie bei Thieren
und Pflanzen hinreichend hergestellt, durch die Annahme aber von körnigen
Anfangsstadien bei Pflanzen u. A. — welche doch, wie hier erörtert ward,
durch die Thatsachen nicht postulirt ist — wird gleich für die ersten Thei-
lungsphasen eine erhebliche Verschiedenheit bei den genannten Objecten auf-
gestellt.
2) Das Vorkommen von Sternformen des Mutterkerns hat Stras-
burger an Pflanzenzellen bisher nicht speciell bestätigt; nur für Psilotum
triquetrum (Sporenmutterzellen) bemerkt er, dass zuweilen eine radiäre An-
ordnung vorkomme, doch nicht so ausgesprochen wie bei meinen Objecten.
Ich muss zugeben, dass ich die Muttersterne bei Allium und Nothoscorodon
noch nicht in solcher Deutlichkeit und Eleganz der Form vorgefunden habe,
wie bei Thierzellen; sie scheinen dort immer mehr zusammengedrängt zu
sein und zu Biegungen der Strahlen zu neigen. Doch glaube ich den be-
treffenden Formen, die ich bis jetzt bei Pflanzen gefunden habe (Beispiel
Fig. 21 und 22 Tafel 2) immerhin einen deutlich radiären Bau zuschreiben
zu müssen, um so mehr, da an den Tochterkernen auch hier, bei den
Pflanzen, recht augenfällige Radiärformen sich finden (Fig. 24).
3) Die Stadien bei Pflanzen, die Strasburger früher mit dem Namen
Kernplatte belegt hatte (z. B. seine Fig. 20—22 Taf. IV, Lit.-Verz. 8),
1) Vergl. den Text Th. I, p. 368 oben: die einzelnen scheinbaren
Körner in der Fig. 2c Tafel 17 sind nur optische Schnitte, wie auch in
anderen der Figuren.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 179
entsprechen offenbar denjenigen, welche ich bei Thierzellen Aequatorial-
platte genannt habe.
In diesen sind nun an meinen thierischen Objeeten aufs Deutlichste
zwei Systeme von etwa gleichlangen und gleichdicken Fäden
vorhanden, je einem, künftigen Tochterkern entsprechend;
jeder Faden ist zu einer Schleife geknickt, die den Umbiegungs-
winkel nach dem betreffenden Pol kehrt), und die aequatorialen
Enden der beiden Fädengruppen liegen zwischeneinandergeschoben oder ein-
ander etwa gegenüber. (Siehe Fig. 10—14 Taf. 1 hier.) Eine Continuitätstren-
nung der Fäden beider Tochterkerngruppen findet von diesem Stadium aus
nicht mehr Statt, sie hat schon vorher Statt gefunden: nur kann
allerdings eine temporäre Verschmelzung, und dann Trennung von Faden-
enden jetzt Statt finden.
Nach Strasburger’s Darstellung dagegen würden die Elemente der
Kernplatte bei den Pflanzen nebeneinandergelagerte Körner sein, von
etwa elliptischer Form, die sich erst jetzt halbiren (s. Strasburger’s Fig.
20—22, 47—48, 35, 56 u. a.).
Für solche Fälle, in denen Strasburger zugiebt, dass vor diesem
Stadium Fäden, nicht Körner vorhanden sind (Nothoscorodon u. A.), ist
es mir nicht verständlich geworden, wie er sich die Lagerung dieser Ele-
mente zur Aequatorialplatte, resp. Kerntonne denkt.
Ich habe in Fig. 23 Taf. 2 hier eine Aequatorialplatte von Allium
odorum (aus dem Umfang des Fruchtknotens) wiedergegeben, mit Hartnack 9%
imm. gesehen und vergrössert dargestellt ?). Soviel ist an dieser Figur, und
anderen ähnlichen, ganz sicher, dass Fäden da sind, und nicht unregel-
mässig geformte und verwaschen aussehende Körner, wie sie Strasburger
in den entsprechenden, vorher citirten Figuren darstellt. Im Specielleren
aber habe ich freilich die Verhältnisse in dieser Figur nur so dargestellt,
wie sie mir zu seinscheinen, nnd wie sie jedenfalls sein können. Sie liegen
schon zu sehr an der Grenze des Erkennbaren, als dass man dies behaupten
könnte. Das Element links oben in der Figur scheint eine abgerückte ge-
bogene Fadenschleife zu sein; an den Polarseiten glaube ich Umbiegungen
von Fäden zu sehen. — Aber wenn dies für diesen Fall und viele ähnliche
nicht zu beweisen ist, so darf man ebensowenig behaupten, dass Alles dies
nicht da sei, und dass etwa gar die Fäden an den Polen alle frei aufhörten.
Denn der aequatoriale Durchmesser der färbbaren Figur in Fig. 23 Taf. 2
1) Abgesehen von Unregelmässigkeiten in der Lagerung (vergl. Ab-
schnitt 2, und Fig. 14 Taf. 1, Fig. 35d Taf. 3 hier.
2) Stärkere Immersionen (z. B. Seibert und Krafft Nr. 11) nützen hier-
für auch nicht mehr. Was sie an der Vergrösserung verstärken, nehmen sie
an Licht weg. Ich bin für solche Objecte allmählig dahin gekommen, dass
ich nichts mehr beschreibe, als was ich nicht auch mit Imm. 9 von Hartnack
sehen kann.
180 Walther Flemming:
ist = 18 u, der polare = 15—16 u; der aequatoriale Durchmesser der Aequa-
torialplatte in Fig. 14 Taf. 1 dagegen, von Salamandra, beträgt 28 a, der
polare 22 u. Hier kann man gerade noch ganz deutlich sehen, dass man
Fadenschleifen vor sich hat, die an der Polseite umbiegen; dort bei der
Pflanze, bei den kleineren Verhältnissen, ist das nicht zu verlangen.
Hiernach kann ich nicht glauben, dass wirklich eine so tief greifende
Heterologie zwischen diesen Stadien bei Pflanzen und Thieren besteht, wie
sie aus Strasburger’s Angaben folgen würde; sondern muss es für das
Wahrscheinlichste halten, dass die Aequatorialplatten der Pflanzen im Wesent-
lichen in derselben Art gruppirt sind wie bei Thierzellen, wenn man dies
auch bei ersteren nur an besonders günstigen Objecten wird entscheiden
können.
Ich übersehe hierbei nicht, dass bei dem letztuntersuchten Stras-
burger’schen Object (Tradescantia-Haare) die Grössenverhältnisse günstiger
sind; nach seinen Massangaben p. 3 l. c. würden die Kerndimensionen hier
denen von Salamandra ziemlich nahe kommen. Aber so viel ieh ent-
nehme, hat Strasburger bei diesem Object bis jetzt noch keine geeigneten
Tinetionen angestellt; vielleicht sind sie hier auch nicht ausführbar. Ohne
gute Tinetion und Aufhellung mit aetherischem Oel aber würde
ich auch bei Salamandra den Bau von Aequatorialplatten, wie
in Fig. 10—14 Taf. I hier, nicht sicher erkennen können, sie wür-
den meistens nur als Anhäufungen von undeutlichen Körnern oder Stäbchen
erscheinen. Die Reagentien, welche auch Strasburger angewandt hat,
(Chromsäure, Alkohol, Osmiumsäure) würden mir hierbei ohne Tinetion
sehr wenig helfen; und da Strasburger auch sonst die letztere noch nicht
in derselben Weise, wie ich, ausgenutzt zu haben scheint, so muss ich mir
zunächst erlauben, mich mehr auf meine eigenen Erfahrungen zn verlassen.
4) Strasburger scheint für sicher zu halten, dass bei Pflanzen nach
dem Stadium der Kerntonne die beiden Tochterkernmassen je zu einem
homogenen Klümpchen verschmelzen, und erst nachträglich diese Klumpen
sich wieder zu Fadencomplexen differenziren.
Hieran muss ich zweifeln. Ich würde diesen Zweifel nicht äussern
ohne eigene Prüfung lebender pflanzlicher Theilungen, wenn ich mir von
solcher eine Entscheidung versprechen könnte; das ist aber nicht der Fall.
Denn soviel ist gewiss, dass, wie ich früher erwähnt habe, in dem Stadium
meiner Fig. 28 Taf. 2 hier die Windungen der Tochterkernfäden meistens
sehr dicht zusammenrücken; am lebenden Object sehen die Tochter-
kerne dann selbst bei der grosskernigen Salamandra scheinbar homogen aus
(vergl. in m. Theil I Taf. 16 Fig. 3ik), und man braucht erst Essigsäure
oder andere Dinge, um zu zeigen, dass sie es doch nicht sind (Ebenda, k!).
Bei einem kleineren Pflanzenkern wäre darüber auch so keine Sicherheit zu
hekommen.
Ich habe aber ein anderes Argument. Aus eigenen conservirten und
tingirten Präparaten von Salamandra kann ich in Menge Tochterkerne de-
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 181
monstriren, weiche sich durchaus als homogene, höckerige Klumpen darstellen
(z. B. Fig. 29 Taf. 2). Das sind fast durchweg solche Präparate, an denen
auch die übrigen Kernfiguren, sowie die ruhenden Kerne mehr oder minder
Schrumpfung und (die ersteren) Zusammenballung erlitten haben. Je besser
dagegen im Allgemeinen die Conservation, je regelmässiger geformt
die Muttersterne und -Knäuel sind, desto weniger findet man von sol-
chen homogenen Tochterkernen. Ich kann dies behaupten, nachdem
ich nunmehr ein recht grosses Material geprüft, und einige Tausende von
conservirten Kerntheilungen, von verschiedener Güte der Erhaltung, vor
Augen gehabt habe.
Ich halte also dafür, dass man an diesem Stadium im Leben überhaupt
nicht feststellen kann, ob es homogen oder fadig differenzirt ist; dass aber
in der That das Letztere stattfindet, und dass überall, wo solche Tochter-
kernpaare an Reagentienpräparaten homogen erscheinen, eine künstliche
Verklumpung der Fadenwindungen vorliegt. Besonders leicht verklumpend
wirkt in dieser Hinsicht der Alkohol. —
Auch bei den Tochtersternen (in Formen wie Fig. 26 Taf. 2 u. 24
Taf. 2) kommen solche künstliche Conglutinationen oft vor, und zwar natür-
lich besonders an der Stelle, wo die Fäden der Halbsterne am engsten ge-
nähert liegen, nämlich an der Polarseite, resp. im Centrum des Sterns. Es
hat dies verschiedene der Schriftsteller zu der Meinung geführt, dass die
Fäden der Tochterfiguren in dieser Form „zunächst an der Polseite mit ein-
ander verschmölzen“. Auch diese Bilder muss ich vielmehr als Artefacte
auffassen.
Dabei bestimmt mich noch ganz besonders Folgendes:
In Präparaten von Amphibien u. A., welche überhaupt an Schrum-
pfungen reich sind, findet sich, dass ausser dieser Tochterkernphase auch
unter den Mutterkernfiguren gerade die am häufigsten zu einer homo-
genen Masse zusammengeklumpt sind, in welchen ebenfalls die Fadenelemente
besonders dicht gedrängt liegen: nämlich die systolischen Sterne und die
Aequatorialplatten. Bei diesen kann aber nicht der geringste Zweifel sein,
dass dies Artefacte sind und dass die Fäden in natura getrennt waren. Der
Schluss daraus ergiebt sich fast von selbst: In der Mutterfigur
folgen aufeinander die Formen: Knäuel-Stern-Aequatorialplatte,
indem dabei sicher und nachweisbar keine Verschmelzung, keine
Wiederneubildung von Fäden erfolgt, sondern die Fäden durch
die beiden Figuren hindurch morphologisch erhalten bleiben
und nur umgeordnet werden. Bei den Tochterfiguren anderer-
seits folgen aufeinander die Formen: Aequatorialplatte — Stern
— Knäuel. Es liegt schon a priori am Nächsten, dass es dabei
in Bezug auf das morphologische Erhalten-Bleiben der Fäden
nicht anders sein wird, als vorher beim Mutterkern; dies wird, wie
mir scheint, noch stärker dadurch bezeugt, dass die besteonservirten Präpa-
rate es zeigen, und nicht dadurch in Frage gestellt, dass man es an den
lebenden und an weniger gut conservirten Objecten nicht immer sehen kann.
182 Walther Flemming:
Ich möchte nicht dahin verstanden werden, als ob ich hiermit die
Vollkommenheit der Präparate Strasburger’s irgend herabsetzen wollte,
deren Schönheit mir die gesandte Probe hinreichend gezeigt hat. Aber ge-
rade für diese Stadien der Tochterkerne sind diese pflanzlichen Objeete be-
sonders ungünstig, man wird daran vielleicht niemals etwas anderes erzielen
können, als die erwähnten artificiellen Verschmelzungen. Denn die Kerne
und Kernfiguren sind hier erstens relativ klein, und zweitens ist die Menge
der Windungen resp. Fadenstücke grösser, daher die Lagerung dichter, als
bei vielen Zellen von Amphibien; je enger aber ihre Lagerung, desto leichter
sind sie natürlich der Conglutination durch die Reagentien ausgesetzt, und
desto mehr macht solcher Knäuel am lebenden Kern den Eindruck des Ver-
schmolzenseins.
Vielleicht mögen, wie ich gern zugeben will, die Verhältnisse in diesem
Stadium bei Pflanzen vielfach überhaupt so liegen, dass eine Unterscheidung:
ob Windungen, ob homogene Beschaffenheit — wirklich unmöglich bleibt.
Es kann ja sein, dass in den Stadien der Tochterkerne, welche Strasburger
z. B. von Tradescantia (l. e. p. 7 unten) nach dem Leben beschreibt, und
ebenso in vielen anderen Öbjecten, die Fäden dieser Kerne wirklich ganz
bis zur Berührung aneinandertreten. Aber es ist doch noch ein Unter-
schied zwischen Berührung und Verschmelzung. Nehmen wir die erstere
an, so bleibt der Fadenbau auch in diesem Stadium gewahrt, und es lässt
sich damit eine hinreichende Homologie der Formenreihe für Thier- und
Pflanzenzellen durchführen; nimmt man eine Verschmelzung an, so ist
diese Homologie zerstört. So lange die Wahl zwischen diesen zwei Annahmen
bleibt — und das scheint mir noch durchaus der Fall zu sein — ziehe ich
entschieden die erstere vor !).
5) Die Längsspaltung der Fäden (Th. 1 Taf. 17 Fig. 10, 11, 16
Fig. 5, hier Taf. 1 Fig. 9) hat Strasburger bei Pflanzen nicht gesehen
und scheint nicht anzunehmen, dass sie hier vorkommt. Nach Objecten, wie
sie meine Fig. 21 Taf. 2 hier zeigt, muss ich Letzteres doch glauben, obwohl
sie offenbar auch hier viel undeutlicher ist wie bei Thierzellen, und obwohl
ich auch für Letztere zugebe (s. o. b. Hodenzellen), dass die Erscheinung
vielleicht in manchen Fällen fehlen kann. — In Fig. 21 sind nur diejenigen
Fäden doppelt dargestellt, bei denen dies Verhalten ganz deutlich und un-
zweifelhaft mit Hartn. Imm. 9 und Zeiss Imm. 2 vorliegt, auch schon mit
schwächeren Systemen erkennbar ist. Es ist möglich, dass in derselben Kern-
figur auch alle übrigen Fäden gespalten sind und nur die Hälften enger
aneinanderliegen, wie bei den doppelt dargestellten; bei manchen sieht es so
1) Strasburger giebt übrigens in seiner letzten Mittheilung zu, dass
der Alkohol gerade in den hier in Rede stehenden Phasen Veränderungen
gedachter Art machen könne. Auch Chrom- und Pikrinsäure verhalten
sich hierin, so viel ich finde, bei Pflanzen nicht unschuldiger.
vr BR EATTE
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 183
aus, ich habe es aber in der Zeichnung nicht dargestellt, wo es nicht ganz
sicher war.
Ich bemerke dazu noch, dass die betreffenden Objeete von Allium
Alkoholpräparate sind, und dass ich an solchen auch bei Thierzellen die
Fädenspaltung nie so deutlich finde, wie an Chrom- und Pikrinpräparaten.
6) Eine der. hauptsächlichsten Differenzen endlich ist folgende: gerade
diejenige Erscheinung bei der Kerntheilung, die mir für die Physiologie und
Mechanik des ganzen Processes besonders bemerkenswerth erschienen ist, die
rückläufige Wiederholung der Figurenreihe des Mutterkerns durch die der
Tochterkerne, erkennt Strasburger zwar für meine Objecte an, leugnet sie
aber für die seinigen.
Dies ist mir nicht ganz verständlich, weil Strasburger’s eigene Be-
schreibung im Wesentlichen sämmtliche Formen enthält, welche durch die
rückläufige Metamorphose der Tochterkerne postulirt werden: (Siehe seine
Taf. IV l.c. Fig. 23, 24, 57, 58: Tochtersterne; 26, 27, 28, Tochter-
knäuel, allerdings stark parallelfadig. In der Beschreibung der Zelltheilung
bei Tradescantia, p. 5, heisst es: „Die Stäbchen legen sich nunmehr etwas fächer-
förmig auseinander“. Es ist sehr möglich, dass dieses Auseinanderklappen
bei Pflanzenzellen nicht so hochgradig wird, wie bei vielen Thierzellen;
immerhin involvirt es eine Sternform, besonders deutlich wenn vom Pol ge-
sehen. Was darauf folgt (Str. ebenda p. 7): die „quere Streifung‘“ dann die
„feckige Zeichnung“ der lebend gesehenen Kerne würde ich eben für aequi-
valent halten mit den gegitterten und Knäuelphasen der Tochterkerne, wie
sie in meinen Figg. 17 Taf. 17, 2, 3 Taf. 18, 18 Taf. 17, Theil I dieser Bei-
träge, gezeichnet sind; nur dass die Copie der Mutterphasen durch die Toch-
terphasen bei den Thierzellen viel deutlicher ausfällt).
Wenn ich also in allen bis hier besprochenen Puncten noch keinen
Grund finde, erhebliche Verschiedenheiten des Theilungsvorgangs bei Pflanzen
und Thieren anzunehmen, so sind dagegen in einigen andern wirkliche Diffe-
renzen bei beiden Objecten jetzt sicherzustellen.
Erstens in dem Verhalten der Nucleolen. Diese erhalten sich
bei Pflanzen während der Karyokinesis im Mutterkern weit länger in ihrer
Form, als bei Thieren, und umgekehrt treten sie dort in den Tochterkernen
weit früher wieder auf, wie hier. Dies ist durch die neue Mittheilung Stras-
burger’s (8) erwiesen, und ich kann es durchaus bestätigen (s. Fig. 18
Taf. 2 hier). Nach einigen Figuren Eberth’s (2) wäre ein ähnliches Ver-
halten auch bei manchen Wirbelthieren anzunehmen. Ich habe mit Rücksicht
darauf nochmals viele der betreffenden Stadien (lockere Knäuelform) von
Salamandra und Siredon, wie auch von Säugethieren bei bestem Licht mit
starken Systemen geprüft, kann jedoch versichern, dass hier in der That
nichts von Nucleolen zu erkennen ist (vergl. Fig. 3, 4, 5 Taf. 17, Th. J).
Für die Beurtheilung der physiologischen Rolle, die die verschiedenen
Bestandtheile des Kerns bei der Theilung spielen, ist diese Thatsache jeden-
falls als wichtig zu notiren (s. Abschnitt 2).
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 13
184 Walther Flemming:
Eine andere Differenz liegt darin, dass bei Pflanzen die blassen, nicht
tingirbaren Fäden, die noch innerhalb der tingirbaren Kernfigur in axia-
ler Lagerung vorkommen (z. B. Fig. 22—26 hier), weit deutlicher hervor-
treten. Dasselbe ist jedoch auch bei manchen Thierzellenarten der Fall !). —
Dieser Unterschied ist aber kein fundamentaler. Ich habe nunmehr auch bei
Salamandra diese Fäden gefunden; sie sind freilich bei Epithel-, Blut- und
Bindegewebszellen (s. Fig. 12 Taf. 1 hier) nur selten, und auch dann fast
niemals besonders scharf zu sehen, deutlicher bei den Hodenepithelien und
zuweilen bei Knorpelzellen (womit eine Beobachtung Schleicher’s bestätigt
wird (Fig. 3, 4, 10 Taf. 13); in allen diesen Fällen ist übrigens Untersuchung
in nicht zu stark brechenden Medien nöthig, um sie hier zu erkennen. Hier-
nach muss ich denken, woran ich früher noch zweifelte (Th. I), dass diese
Fäden, in mehr oder minder deutlicher Ausprägung, ganz wohl ein allge-
meines Vorkommen bei der indirecten Zelltheilung sein können und müssen
sie gewiss, neben der eigentlichen tingirbaren Kernfigur, für das weitere
Studium des Vorgangs grosse Beachtung verdienen. (Weiteres hierüber und
zur Begründung s. im Abschnitt 2.)
Hiermit gerathe ich nun in einige Collision mit der Definition und
Eintheilung der Kerntheilungstypen, welche Strasburger so eben in seiner
eitirten Schrift (8 p. 284) aufgestellt hat. Er bezeichnet diejenigen Formen
der Aequatorialplatte, welche er selbst in dem Integument der Ovula be-
Nothoscorodon, und ich überall bei Salamandra fand (z. B. Fig. 12 Taf. 1
hier) als Kerntonnen, die Formen mit jenen blassen Fasern als Kernspin-
deln; seine Ansicht geht dahin, dass bei den Spindeln eine Sonderung
der Kernsubstanz in die eigentlichen Kernplattenelemente ?) und jene blassen
Fasern stattfände, bei den Tonnen aber eine solche Sonderung überhaupt
nicht einträte. — Nun aber finde ich, wie gesagt, dass diese Sonderung auch
in den letzteren bei Salamandra nicht ausbleibt; es wird sich also fragen, ob
jene Unterscheidung aufrecht erhalten werden soll, da sie hiernach vielleicht
nur auf ein Mehr oder Minder der Deutlichkeit herauskommen dürfte ?). Als
bequeme Bezeichnungen der Totalform kann man die Ausdrücke Tonne und
Spindel natürlich trotzdem benutzen.
Strasburger hat in jüngster Zeit ausgesprochen: „die Beob-
achtungen der Kerntheilung in ausgeprägten Thieren und Pflanzen
gäben bis jetzt, oft bis in die feinsten Details, übereinstimmende
1) So: beim Endothel der Froschhornhaut (Mayzel); ferner bei Ei-
zellen und Furchungszellen.
2) Das ist das Nämliche, was ich Kernfigur nenne, das Tingirbare.
3) Vergl. am Schluss des Abschnitts 2, unter: „Die achromatische
Fadenfigur“.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 185
Resultate‘; und: „diese Uebereinstimmung sei trotz bestehender
Abweichungen noch gross genug, um in beiden Fällen auf gleiche,
die Theilung beherrschende Kräfte schliessen zu lassen.“
Ich habe eine solche Uebereinstimmung von vornherein für
wahrscheinlich gehalten, und hoffe, dass sie sich noch bis in viel
feineres Detail wird durchführen lassen, als dies jetzt anzugehen
scheint. Soll dies aber geschehen, so werden vor Allem erst die obigen
Punkte aufgeklärt werden müssen, die ich deshalb hier unter 1)
bis 6) genau zusammengestellt habe: denn wenn Strasburger’s
bisberige Ansichten über sie aufrecht gehalten würden, dann scheint
mir durch’sie keineswegs eine Uebereinstimmung, sondern
eine so erhebliche Differenz bedingt zu werden, dass es viel-
mehr sehr schwer sein würde, für beide Fälle auf gleiche wir-
kende Kräfte zu schliessen. Ich führe als ein besonders deut-
liches Beispiel dafür nur das oben unter 3) besprochene Stadium
der Aequatorialplatte an: wenn wir wirklich im einen Fall
(Pflanzen) hier Körner hätten, die sich erst um diese Zeit theilen;
im anderen (Thiere) aber Fadensegmente, die sich schon lange
vorher, im Knäuel- oder Kranzstadium getrennt haben und in der
Aequatorialplatte nur einander gegenüberrücken — so würde ich
zunächst keine Möglichkeit sehen für beide Erscheinungen gleiche
wirkende Kräfte zu construiren.
D.
Säugethiere.
Für pathologische Fälle sind durch Eberth (2) vom Kanin-
chen schon einige Kernfiguren beschrieben worden, in denen sich
deutlich Knäuel- und Sternformen erkennen lassen. Es fragte sich
für mich, ob sich dieselber auch im physiologischen Wachsthum
ergeben würden.
Ich habe sie in grosser Menge gefunden: 1) bei Kaninchen-
embryen im Epithel und der Bindesubstanz des Amnion, im
Körperepithel und Bindegewebe, im wachsenden Muskel und im
Knorpel. Das Amnion ist ein besonders bequemes und an Thei-
lungen reiches Objeet. Behandlung: Chromsäure 0,1 pCt., Safranin
oder Hämatoxylin; oder Pikrinsäure, Hämatoxylin oder Partsch-
Grenacher’sches Alauncarmin.
186 Walther Flemming:
Ferner 2) bei saugenden Kätzchen im Mesenterium und
Omentum (Bindegewebszellen und Zellen der jungen Fettanlagen).
Behandlung ebenso, oder noch bequemer: Essigsäure 0,5 pCt. auf
die am Objeetglas ausgebreitete Membran, vorsichtiges Abwaschen
mit Wasser, Hämatoxylin.
Fig. 30 a—d geben nur einige Beispiele. Die Kernfiguren
unterscheiden sich, so weit man bei ihrer geringeren Grösse ur-
theilen kann, in nichts Wesentlichem von denen bei Salamandra.
Deutliche feinfadige Kernspindeln (im Sinne Strasburger's, S. 0.
bei „Pflanzenzellen“) konnte ich hier bisher nicht sehen, halte
dies aber bei der Kleinheit der Verhälnisse für keinen Beleg ge-
gen ihr Vorkommen. Die Tochter-Kernknäuel (s. Fig. 28, 29 von
der Krötenlarve), die systolischen Sterne und Aequatorialplatten
werden öfter durch die Reagentien verschrumpft und zu homoge-
nen klumpigen Massen geballt, als bei den Amphibien, was bei
den kleinen Elementen natürlich ist, denn je kleiner die Kern-
figur, desto weniger locker liegen die Fäden, desto leichter wer-
den sie also conglutinirt werden.
Der Versuch, am frischen Omentum die Theilung auf geheiz-
tem Objectglas zu verfolgen, war resultatlos, denn die lebenden
Kernfiguren bleiben hier wegen ihrer Blässe undeutlich.
Untersuchungen, die ich über die Kernvermehrung bei der
Theilung thierischer Eizellen begonnen habe, sind noch
nieht zum Abschluss gelangt. Vorläufig möchte ich aber die Ver-
muthung aussprechen, dass auch hier, so abweichend die Ver-
hältnisse auf den ersten Blick aussehen, in den Hauptsachen Ho-
mologie sich ergeben wird. Die färbbaren Elemente („Kernplat-
tenelemente“) sind bekanntlich in Ei- und Furchungszellen relativ
klein und schwer zu beobachten; ich sehe bis jetzt jedoch keinen
stichhaltigen Einwand dagegen, dass auch hier die Theilung mit
Knäuel- und Sternformen beginnen kann; für die Eier von Meso-
stomum hat Schneider ja die ersteren bereits nachgewiesen.
Die Skizzen Taf.2 Fig. 31—34 habe ich mir erlaubt nach Prä-
paraten von Toxopneustes lividus zu zeichnen, die mir von
Herman Fol vor zwei Jahren zum Geschenk gemacht wurden !);
1) Osmium-Carmin. Ein anderes mitgesandtes Präparat Fol’s, Pi-
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 187
sie sind ganz einfach gehalten, da sie nur zeigen sollen, in wel-
cher Art ich ihre Formen auf die Verhältnisse bei anderen Zellen
beziehen möchte. Fig. 34 würde die Aequatorialplatte sein (vergl-
Taf. 1 Fig. 10—14 von Salamandra, Taf. 2 Fig. 22 (eigentlich noch
Stern) und Fig. 23 von Pflanzen); Fig. 31: Trennung und begin-
nende Tochtersternform = Fig. 25, weiter Fig. 26, Taf.2. Fig. 32,33:
Knäuelform der Tochterkerne = Taf. 2 Fig. 28, Taf. 3 Fig. 352g.)
— Bei der Kleinheit der Kernfiguren der Eizellen, der Feinheit
ihrer Fäden und der Verdunkelung durch die grosse körnerreiche
Masse des Eiprotoplasmas, ist es freilich nicht möglich den Bau
dieser Figuren so klar zu sehen wie bei den anderen Objecten,
und ich kann nicht beweisen, dass er wirklich derselbe ist; halte
dies aber für das Nächstliegende. Eigenthümlich sind bei den
Eizellentheilungen Wirbelloser die Elemente, die in den blassen
Kernfäden, an oder nahe den Polen, in den Stadien der Tochter-
knäuel deutlich werden (Fig. 32x) und bald zu einem glänzenden
Körper zusammenzurücken scheinen (Fig. 33x). Es ist dies, was
H. Fol (6) ‚corpuscule central d’un aster‘ nennt.
H. Fol selbst hat in dem eben eitirten Werk zahlreiche
schöne und sorgfältige Abbildungen der betreffenden Stadien ge-
geben (Taf. 6ua a. a. O.), die, wie mir scheint, mit der hier ge-
kennzeichneten Auffassung nicht in Widerspruch stehen, wenn
auch Einzelnes darin auf den ersten Blick so erscheint. So beson-
ders, dass die Tochterkernfiguren, welche ich als Knäuel anse-
hen möchte (Fig. 32, 33 hier), in den Abbildungen Fol’s und An-
derer aus getrennten Körperchen zu bestehen scheinen. Ich gebe
zu, dass man bei manchen solchen Figuren mehr den letzteren Ein-
druck erhält; andere sehen mir aber wieder ganz wie zusammen-
hängende und etwas geschrumpfte Knäuel aus, und da einige Ver-
änderung durch die Reagentien mir hier in allen Fällen im Spiel
zu sein scheint, so halte ich die Annahme, dass meine Auffassung
durchführbar ist, für gestattet.
Das wesentliche Ergebniss der vergleichenden Untersuchung,
über die ich so eben berichtete, lautet also kurz:
U
krinsäure, zeigt die achromatischen Fäden sehr schön erhalten, die chro-
matische Kernfigur dagegen ist hier weniger deutlich.
188 Walther Flemming:
1) Die Hauptglieder der von mir bei Salamandra aufgestellten
Reihe der Kerntheilungsfiguren:
Mutterkern Tochterkern
(progressiv). (regressiv).
Ruhe (Gerüst) ' Ruhe (Gerüst)
Knäuel Knäuel
\ Stern 4 Sterne
\ Aequatorialplatte /
(oder Kerntonne, Kernspindel)
haben sich bei fast allen den untersuchten Objecten in gleicher
Reihe wiederfinden lassen und zeigen nur bei manchen for-
melle Abweichungen, welche nicht als wesentlich zu betrachten
sind; bei denjenigen der Objecte, wo die Uebereinstimmung in
einzelnen Punkten nicht klar ausgesprochen ist, liegen die Beob-
achtungsverhältnisse so ungünstig, dass es mindestens ebenso gut
freistehen muss jene Uebereinstimmung anzunehmen, als sie zu
bezweifeln.
Es ist also gestattet, das bei Salamandra gefundene Gesetz,
wonach die Mutterformen in umgekehrter Reihe durch die Toch-
terformen copirt werden, auch auf die übrigen untersuchten Ob-
jeete auszudehnen; und es ist hiernach ferner denkbar (obschon,
wie ich ausdrücklich zugebe, noch nicht erwiesen), dass die Me-
chanik des Theilungsvorganges, wie sie im folgenden Ab-
schnitt für die Urodelen näher dargelegt wird, für alle Zellenarten
überbaupt bei Thieren und Pflanzen Geltung hat. Diese Annahme
beansprucht für sich dasselbe Recht, mit welchem wir
auch inanderen Dingen Analogieschlüsse von Bekanntem
auf Unbekanntes machen.
2) Irgend welche Belege dafür, dass ausser dem Typus der
indirecten Kerntheilung oder Karyokinesis noch andere, fundamen-
tal davon verschiedene Kernvermehrungsarten vorkämen, haben sich
bei dieser Untersuchung nicht ergeben !).
1) Vergl.,Nr. 13, Lit.-Verz.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 189
Anhang.
Ueber die Kernvervielfältigung bei mehrkernigen Zellen.
Auf die mehrkernigen Zellen ist in jüngster Zeit ein beson-
deres Interesse gelenkt, indem ein in Dingen der Cellularphysiolo-
gie ausgezeichneter Forscher, Ed. van Beneden, sie als Reprä-
sentantinnen einer direeten, ohne Fadenmetamorphose verlaufen- _
den Kerntheilung in Anspruch genommen hat (1). Ich habe an
einem anderen Orte (13) ausgeführt, weshalb ich meinem Freund
van Beneden hierin nicht beitreten kann, und dass nichts im
Wege steht, auch in den mehrkernigen Zellen die Kernproduction
auf indireete Theilung zurückzuführen.
Kurz darauf hat M. Treub (17) für verschiedene mehrker-
nige Zellenarten von Phanerogamen (Humulus, Vinca, Urtica) nach-
gewiesen, dass bei der Kernvermehrung in ihnen die typischen
Kernfiguren zu finden sind; und das Gleiche ergiebt sich aus den
neuerdings veröffentlichten Untersuchungen von Schmitz (15) für
die vielkernigen Zellen der Siphonocladiaceen (Thallophyten).
Einen indirecten Beweis dafür, dass es bei Thierzellen ebenso
ist, hatte ich schon am eben eitirten Ort erbracht (13, p. 14); den
direeten kann ich jetzt nachtragen.
Objecte, die sich zum Studium der Production vielkerniger
Zellen ganz vorzüglich eignen, sind die Hodenepithelien von
Salamandra !) zur Zeit, wo die Samenbildung beginnt (Juli, Au-
gust). Wie im Abschnitt 3 näher beschrieben wird, führen die
massenhaften indireeten Kernvermehrungen, die hier auftreten,
nur zum Theil zur Zellvermehrung; anderntheils bleibt diese aus
und es resultiren vielkernige Zellen (Taf. 3 Fig. 49—52), die zum
Theil zu einer Grösse und einem Kernreichthum anwachsen kön-
nen, der ihnen vollsten Anspruch auf den Namen Riesenzellen
giebt 2). Die Abbildungen zeigen ohne Weiteres, dass die Repro-
duetion der Kerne hier nach dem Typus der indireeten Theilung
verläuft; und wenn es auch nicht zu widerlegen ist, dass etwa
1) Und wohl auch von anderen Thieren.
2) Ueber die Beziehungen dieser Bildungen zu von la Valette St.
George’s Spermatocysten siehe Abschnitt 3.
190 Walther Flemming:
daneben noch direete Kernzerschnürungen vorkommen könnten, so
sieht man doch durchaus keinen Grund für eine solche Annahme.
Zwei Erscheinungen sind nun bei diesen Objeeten besonders
auffallend, und bemerkenswerth für die Physiologie der
Kerntheilung.
Erstens, dass die Kerne in je einer multinuelearen
Zelle vorwiegend alle zugleich in Theilung gefunden
werden. Dieselbe Erfahrung hat auch Treub bei seinen Pflan-
zenobjeeten gemacht; er sagt (a. a.0. p.2 Sep. Abd.): „Les noyaux
“ d’une m&me cellule se divisent de pröference tous & la fois.“
Zweitens, dass sogar fast immer die Kerne in je einer
multinuelearen Zelle sich sämmtlich in der gleichen
Theilungsphase befinden (für Beides s. d. Abbildungen).
Man sieht dies Beides so häufig, dass ich es anfangs für ein
unabänderliches Gesetz gehalten habe; doch mit Unrecht. Denn
bei längerem Suchen fand ich eine ziemliche Anzahl von Fällen, wie
der in Fig. 52 dargestellte (s. d. Erkl.), wo die Mutterzellen, Kern-
figuren von verschiedenen Phasen enthielten; und wo also an-
zunehmen ist, dass die einen Kerne entweder später als die ande-
ren in Theilung getreten, oder langsamer damit vorwärts gekom-
men sind.
Es kommt auch vor, dass ein Kern in einer multinuclearen
Zelle ganz ungetheilt verharrt, während andere sich theilen. Al-
lerdings habe ich bis jetzt bei allem Suchen nur wenige derartige
Fälle gefunden, in denen ruhende Kerne neben Theilungs-
figuren lagen. Erstere waren dann in der Minderzahl (Fig. 49a).
Die eben erwähnten Fälle sind aber gegenüber der gleich-
zeitigen Theilung aller Kerne relativ so selten, dass die letztere
jedenfalls als die Regel betrachtet werden muss. Danach lässt
sich der selbstverständliche und nicht unwichtige Schluss ziehen,
dass die nächsten Ursachen, welche einen Kern zur
Theilungsmetamorphose veranlassen, nicht oder nicht
allein in ihm selbst wirken, sondern zugleich durch
die ganze Substanz der Zelle hindurch thätig sind, in
welcher er liegt. Wenn dies für vielkernige Zellen gilt, so
wird es sich auch auf einkernige beziehen lassen; und damit wer-
den wir darauf geführt, auch in dem Protoplasma der in Thei-
lung tretenden Zelle nach etwa erkennbaren Erscheinungen, die dar-
auf Bezug haben, genauer zu suchen als dies bis jetzt geschehen ist.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 191
Ausserdem kommt hier in Betracht, was im Abschnitt 3 näher
besprochen wird: dass sogar in ganzen Abschnitten 'der Ho-
denkanäle, und zwar in Abschnitten von recht bedeutender Aus-
dehnung, die Theilungen zum grössten Theil, oft sogar sämmtlich
in gleichem Stadium gefunden werden. Dies zeigt offenbar, dass
die zur Theilung disponirenden Einflüsse von Aussen her auf die
betreffenden Zellen wirken müssen; man wird wohl selbstverständ-
lich hier an die Beschaffenheit der Transsudate denken, welche
aus den Blutgefässen her, oder indirect durch die Lymphwege, an
die Zellen herangelangen.
Fälle, die den gleichen Gedanken anregen, hatte ich schon
früher an Kiemenblättern von Salamandra gefunden. Ich habe
mehrere solche vor mir gehabt, an welchen fast sämmtliche
Bindesubstanzzellen des Kiemenblattes zweikernig
waren.
Ich erinnere hierfür an die bekannten Befunde, nach denen
in der Leber des Kaninchens oft auf grosse Strecken hin die Le-
berzellen sich grossentheils zweikernig oder mehrkernig ergeben.
Ich selbst habe an einer Schweinsleber ausgedehnte Stellen ge-
funden, wo etwa 50 Procent der Leberzellen zwei oder mehr, zum
Theil bis fünf Kerne besassen.
Schon ehe ich die indirecte Theilung bei den vielkernigen
Hodenzellen auffand, war mir im Frühling d. J. ein einzelner
Fall der Art auch bei einer Epithelzelle des Mundbodens von der
Salamanderlarve vorgekommen. Die Zelle (Taf.1 Fig. 16) enthält
sechs Kernfiguren, und zwar sind es drei Paar Tochtersterne. Es
scheint dies aber im Epithel bei Salamandra eine Seltenheit zu
sein, denn es blieb bis jetzt der einzige Fall, den ich hier bei
aller Aufmerksamkeit fand. — Ein gutes Objeet für das Studium
solcher Riesenzellentheilungen muss das Amnion von Säugethier-
embryen (Kaninchen) sein; denn seine Bindesubstanz ist stellen-
weise sehr reich an schönen, vielkernigen Zellen. Bis jetzt habe
ich aber noch keine solche mit Kerntheilungen fixirt gefunden
und vermuthe darum, dass es sich hier ebenso, wie vielfach an-
derswo, um schubweises Auftreten von Theilungen handelt, und
dass ich bisher nicht so glücklich war, einen solchen Schub mit
der Fixirung zu treffen.
Das beschriebene kann, wie mir scheint, auch zur Aufklä-
rung einer Angabe von Eberth (2) dienen: dieser stellt in seiner
192 Walther Flemming:
Taf. 19 Fig. 19 eine Zelle mit vier Kernfiguren dar (Phase wahr-
scheinlich: Tochterknäuel), die er als eine gleichzeitige Vier-
theilung einer Zelle auffasst. Wie Strasburger und ich selbst
(Th. I p. 404) dem gegenüber hervorzuheben hatten, haben wir
niemals gesehen, dass eine Zelle sich zur Zeit in mehr als zwei
Zellen getheilt hätte; trotzdem glaube ich, dass Eberth’s Beob-
achtung vollständig richtig ist, dass sie aber die Theilung einer
zweikernig gewesenen Zelle repräsentirt, deren Kerne, ganz
wie bei meinen Objeeten, gleichzeitig in Action getreten, und in
der Phase der Tochtersterne fixirt worden waren.
Schon nach dem hier Mitgetheilten und den erwähnten Be-
funden Treub’s besteht also kein Recht zu dem Glauben, dass
die vielkernigen Zellen durch einen anderen Modus der Kernver-
mehrung entständen, oder ihre Kerne auf eine andere Weise ver-
mehrten, als durch indirecte Kerntheilung, mit den auch
sonst allgemein verbreiteten Phasen der Karyokinesis.
Absehnitt 2.
Neue Ergebnisse über Morphologie und Mechanik der Zelltheilung.
Unser verehrter Altmeister in der entwicklungsgeschichtli-
chen Forschung, v. Bischoff, sagt in einem kürzlich erschienenen
Aufsatz :
„Do glaube ich noch jetzt, bei aller Conjugation der Kerne,
und bei allen karyolytischen, spindelförmigen und sonnenstrahligen
Figuren, dass das Wesen der Befruchtung nicht beobachtet, son-
dern nur mit dem Gedanken erfasst werden kann !).“
Mit ebenso vielem Recht, wie über das Wesen der Befruch-
tung, könnte man diesen Satz über das Wesen der Zelltheilung
aussprechen. Für beide Fälle ist er unbestreitbar, so weit es sich
um das wirklich-letzte Wesen der Prozesse handelt. Alle die
1) Leopoldina-XV, Aug. 1879, p. 128.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 193
Arbeit, welche gegenwärtig in die Vorgänge bei der Befruchtung, bei
der Zelltheilung, überhaupt bei allen Lebensäusserungen der Zelle
einzudringen sucht, kann sich zunächst nur auf das morphologisch-
und chemisch- Wahrnehmbare richten. Wer aber jenen Ausspruch
zum Motto nehmen wollte, um dieser Arbeit die Wichtigkeit abzu-
sprechen, würde Unrecht haben. Wir werden allerdings das in-
nerste Wesen dieser Vorgänge wohl niemals sehen können. Wir
können auch nicht sehen, welches im lebenden Körper die Stel-
lungen der Herzklappen bei Systole und Diastole sind; trotzdem
dürfen wir behaupten sie gut zu kennen, weil wir sie hinreichend
mit dem Gedanken erfasst haben; dieser Gedanke aber ist ledig-
lich abgeleitet aus genauer anatomischer, physiologischer und phy-
sikalischer Beobachtung. Wenn wir jetzt Beobachtungen über
die Lebenserscheinungen der Zelle sammeln und vergleichen, so
geschieht auch dies in der Hoffnung, dass sie zu erklärenden Ge-
danken und physikalischem Verständniss jener Erscheinungen hel-
fen werden und müssen, und dass sie dazu unumgänglich nöthig
sind. Ohne diese Idee würde ich keinen Grund sehen, mein Mi-
kroskop weiter zu benutzen.
Mit dieser Einleitung wollte ich es motiviren, dass ich in der
folgenden Beschreibung mich ziemlich stark in’s Detail vertiefe,
und die grossen Lücken meiner Beobachtungen nur darin finde,
dass sie noch lange nicht detaillirt genug sein konnten.
Um über die Mechanik dieser Vorgänge auch nur Vermu-
thungen zu machen, muss man zunächst genau wissen, welches
ihre sichtbaren Formerscheinungen sind und was daran regu-
lär, was variabel ist.
Welche Kräfte sind in der Zelle während ihrer Theilung
thätig? — Der erste Schritt zur Lösung dieser Frage muss ge-
than werden durch Beantwortung der anderen, rein morphologi-
schen: Erfolgen die Lageveränderungen der sichtbaren geformten
Elemente in Zelle und Kern nach einem bestimmbaren Schema,
und wenn, nach welchem?
Nach den ersten Arbeiten von Bütschli, Strasburger und
O. Hertwig schien sich ein solches Schema ziemlich einfach zu
geben; man kannte nur die Kernplatten und Kernspindeln, man
194 Walther Flemming:
glaubte sonach zu haben: eine längsfaserige Differenzirung des
Kerninhalts, darin eine Anhäufung von Körnern im Aequator, eine
Theilung dieser Körner, und ein Abrücken ihrer Hälften gegen
die Pole.
Nach den neueren Arbeiten über Thierzellentheilungen ist
dies Schema nicht mehr zu halten, zum Mindesten nicht als Allge-
meingültiges. Es ist ohne Erläuterung klar, dass die Knäuel- und
Sternformen gar nicht darin unterzubringen sind. Ebensowenig
passt in dasselbe der Bau der Aequatorialplatten') bei Thierzellen.
— Bei solcher Sachlage muss man eben fast von vorn anfangen,
und vor Allem wo möglich die Morphologie des Vorgangs genauer
feststellen, als dies bisher geschehen ist.
Hierfür blieb mir zunächst fast allein der Weg, an fixirten
und conservirten Präparaten zu arbeiten. Denn die Hoffnung, bei
Salamandra und ähnlich günstigen Objeeten an der lebenden
Zelle noch weiter zu kommen, erwies sich zunächst als trügerisch;
nur bei den Hodenzellen (s. u.) habe ich hierin geringe Erfolge
gehabt, im Uebrigen an der Salamanderlarve mich in diesem Som-
mer überzeugt, dass sich in vivo nicht mehr sehen lässt, als was
ich schon beschrieben habe.
Die conservirten Präparate haben mich dafür etwas entschä-
digt. Ich habe nach und nach eine grosse Sammlung von solchen
angelegt, und indem ich stets die besteonservirten Kerntheilungen
ausmusterte und verglich, und viele Hunderte von solchen für jedes
Stadium vor Augen bekam, manche neue Einblicke erhalten.
Eine solche Massenuntersuchung ist schon desshalb werth-
voll, weil je nach der Einwirkung der Reagentien die Kernfiguren
bald mehr locker, bald mehr zusammengedrängt ausfallen; in
ersterem Fall lässt sich ihr Bau natürlich besser durchblicken.
Ferner hat mir an scharfgefärbten Präparaten das Arbeiten mit
dem Beleuchtungsapparat sehr geholfen; indem man durch ihn
die Reflexe mildert und fast nur das Gefärbte im Object sieht,
kann man die Fäden oft genauer verfolgen.
1) Vorläufige Beschreibungen und Vermuthungen hinsichtlich dieser
Phase hatte ich schon im I. Theil, p. 383 gegeben. Für das Nähere siehe
weiter unten in diesem Abschnitt.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 195
A.
Anfangsphasen.
Für diese war die neue Ausbeute am geringsten. Ueber die Art,
in der sich die tingirbare Kernfigur aus dem ruhenden Kern hervor-
bildet, kann ich meinen früheren Angaben (Th. I p. 364 ff.) nichts
Wesentliches hinzusetzen. Bei der Durchmusterung einer sehr gros-
sen Menge von ersten Anfangsstadien, wie die im Th. I Taf. 17
Fig. 1, 2, hier Taf. 1 Fig. 1, 2 gezeichneten, und einer noch viel
grösseren Zahl noch nicht in Theilung getretener Kerne, ergab
sich nur immer überzeugender der Eindruck: dass die feinfadige
dichte Knäuelform (Fig. 1 b) mit der die Karyokinesis anhebt, sich
bildet auf morphologischer Grundlage des Netzwerks im
ruhenden Kern, aber aus der gesammten tingirbaren Substanz des
Kerns. Nach der hier angenommenen Bezeichnung drücke ich dies
so aus: das Chromatin des ganzen Kerns wird allmählig in das
Netzwerk aufgenommen, dieses wächst dadurch und nimmt eine
gleichmässige!) Anordnung an, dergestalt, dass seine Fäden
mehr und mehr einen ebenmässig gewundenen Verlauf bekommen,
und dass diese Windungen im Ganzen gleiche Distanzen gegen-
einander erhalten; abgesehen davon, dass die Windungen ausser-
dem noch meistens in der Peripherie der Kernfigur sich enger
lagern, als im Centrum. — Darauf Verkürzung, und zugleich Ver-
dickung dieses zusammenhängenden Fadengewindes. Eine Dis-
eontinuität desselben schon in diesen Stadien halte ich selbst bei
Salamandra nicht für nachweisbar, viel weniger bei anderen Ob-
jeeten mit kleineren Kernen; trotzdem für nicht unmöglich.
Nicht der geringste Anhalt ergab sich dafür, dass anfangs
Körner vorhanden sein, und „zu Fäden auswachsen“ sollten, wie
dies Andere behaupten (Peremeschko, Strasburger Il. e.). Ich
empfehle diesen Behauptungen gegenüber recht gut gefärbte, und
mit Balsam aufgehellte Objecte, natürlich von grosskernigen Ge-
weben.
Besonders habe ich ferner das Verhalten der Nueleolen
während der Entstehung der Kernfigur in’s Auge gefasst. Für
Salamandra liess es sich dabei ganz sicher stellen, dass sie schon
1) Statt der ungleichmässigen, die es normal im ruhenden Kern hat.
196 Walther Flemming:
in sehr frühen Stadien des Mutterknäuels (Th. I Taf. 17 Fig. 2 e)
verschwunden sein können, und dass sie, umgekehrt entsprechend.
erst in den spätesten Tochterstadien wieder auftreten. In beiden
Fällen zeigen sich die betreffenden Körperchen übrigens als Ver-
diekungen der Netzbälkehen; ob sie schon den eigentlichen Nu-
cleolen entsprechen, oder nur Verdickungen der Bälkchen, in
welchen noch die Nucleolen als besondere Körper liegen, oder
sich bilden werden, ist hier nieht zu entscheiden.
Bei den Theilungen der Pflanzenzellen dagegen ist es ganz
evident — und ich kann darin Strasburger’s neueste Angaben
(1. e.) nur bestätigen — dass die Nucleolen in der Mutterkernfigur
sich viel länger erhalten, so wie sie auch hier in den Tochter-
figuren relativ viel frühzeitiger wieder auftreten!) (S.
Strasbuger’s Figuren, Lit. 8).
Ich glaube zu sehen, dass die Nucleolen in diesen Fällen
nie ganz frei liegen, sondern stets mit Bälkchen zusammenhängen
und möchte deshalb mit Strasburger (l. ec. p. 279), vermuthen,
dass ihre Bildung durch Anschwellung einzelner Bälkchen einge-
leitet wird. Sie sind bei vielen Pflanzenzellen relativ bei Weitem
grösser, als bei Thierzellen.
Ich finde, dass hier sowohl die schwindenden Nucleolen in den
Mutterstadien, als die wiedererscheinenden in den Tochterstadien,
regelmässig excentrisch liegen. Auch für die ruhenden
Kerne scheint mir übrigens eine solche Lage die Regel zu sein.
Aus diesen wenigen Kenntnissen über das Verhalten der
Nucleolen bei der Zelltheilung lassen sich immerhin schon einige
bemerkenswerthe Schlüsse ziehen:
Erstens der: dass die Nucleolen nicht die zunächst wich-
tigen und anstossgebenden Factoren bei der Kerntheilung,
beziehungsweise Zelltheilung sein können. — Nach dem Ver-
halten bei Thierzellen, wo die Nucleolen sich im Beginn des
Theilungsvorganges schon vertheilt haben, könnte man zu
der Annahme versucht sein, dass ihre Auflösung und Auf-
nahme in das Netzwerk erst. die Anregung zu dessen wei-
terer Umgestaltung giebt. Ich habe mich vor solcher Hypo-
1) Dieser Umstand ist wohl auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass
von einer regressiven Metamorphose der Tochterkerne auch hier
bei Pflanzenzellen geredet werden kann. Weiteres darüber s. u.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 197
these wohl gehütet. Das Verhalten bei Pflanzenzellen zeigt
aufs Klarste, wie unrichtig sie wäre; denn hier persistiren
die Kernkörperchen noch mitten im Knäuelstadium.
Zweitens: Dass die Nucleolen überhaupt keinerlei mor-
phologischen Antheil an der Kernvermehrung nehmen —
was sich nach dem Mitgetheilten von selbst versteht.
Drittens, und dies ist allerdings noch kein Schluss, son-
dern nur eine aufgeworfene Vermuthung: dass die Dinge,
die wir Nucleolen nennen, vielleicht gar keine morphologisch
wichtige Theile des Kerns sein mögen, sondern nur Ablage-
rungen von Substanzen, welche für den Stoffwechsel im
Kern verbraucht und wieder neugebildet werden; sie würden
damit gewiss physiologisch wichtige Theile des Kerns bleiben,
— was ohnehin durch ihr fast allgemeines Vorkommen be-
währt wird, — aber doch keine eigentlich organischen
d. h. morphologisch-wesentlichen Kernbestandtheile.
Nach dem, was wir über ihre Entstehung bisher wissen
(s. 0.) scheint ihr Auftreten in den Netzbälkehen zu erfolgen
oder doch von diesen auszugehen; es ist also der eben ge-
brauchte Ausdruck Ablagerung nicht so zu verstehen, als
ob sie frei in der Zwischensubstanz anschössen.
Es ist hiefür besonders bemerkenswerth, dass nach Stras-
burger (14 p. 4) Körner in den Tradescantiakernen vorkommen,
welehe er nach ihrer Jodreaction als Stärke anspricht.
Ich stelle jedoch das eben Gesagte nicht als Hypothese auf,
und will nur Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenken, was
bei unserer bisherigen totalen Unkenntniss über das Wesen der
Nucleolen wohl angebracht ist.
Es dürfte hier am Orte sein, eine Frage zu berühren die ich
im ersten Theil dieser Beiträge schon einmal kurz gestreift habe !).
Viele sehr gute Beobachter ?2) haben Endigungen von Nervenfasern
im Kernkörperchen beschrieben. Ich glaube, dass Zweifel an der
objeetiven Richtigkeit dieser Beobachtungen nicht berechtigt sind;
wohl aber kann es die Frage sein, ob die gesehenen Stränge in
den betreffenden Fällen wirklich Nervenfasern gewesen sind, und
1) A. a. 0. p. 351.
2) S. am eben citirten Ort, sowie in dem Aufsatz J. Arnold’s: „Ueber
feinere Structur der Zellen ete.“, Virchow’s Archiv Bd. 77, 1879.
198 Walther Flemming:
nicht etwa Netzbälkchen des Kerns, die gerade einen etwas
gestreckten Verlauf hatten und in der Continuität von Nerven-
fasern lagen, welche an die Zelle heran oder an ihr vorbeizogen.
— Das Verhalten der Nucleolen bei der Zelltheilung scheint mir
wenigstens die Annahme sehr schwierig zu machen, dass die-
selben intranucleare Nervenendorgane sein sollten; denn man hätte
in diesem Fall anzunehmen, dass ein solches Endorgan bei der
Zelltheilung im Mutterkern sieh morphologisch auflösen, im Toch-
terkern sich ebenso neu bilden müsste, und dabei im letzteren
Falle stets richtig sein Nervenende wieder treffen müsste. Ehe
man sich zu einer solehen Annahme entschliesst, müssten, wie es
mir scheint, noch zwingendere Gründe für eine intranucleare Ner-
venendigung vorliegen, als ich sie bis jetzt in den oben erwähnten
Beobachtungen finden kann.
Ich will hierzu vorläufig bemerken, dass ich in meinen Kie-
menblattpräparaten von Salamandra sehr schön Nervenfasern bis
zwischen die Epithelzellen verfolgen, auch nicht ausschliessen kann,
dass sie vielleicht Zweige an die Epithelzellen schieken, obwohl
sich dies nicht sicher sehen lässt; dass ich aber bei sorgfältigem
Suchen noch kein einziges Bild gesehen habe, nach welchem man
auf das Eintreten einer nervösen Endfaser in einen Kern schlies-
sen könnte.
B.
Die Segmentirung der Kernfäden und der Uebergang
vom Knäuel zum Stern.
Für diese Stadien und das folgende habe ich jetzt wesent-
liche neue Einblicke gewonnen, nach ‚denen sich meine früheren
Anschauungen und Vermuthungen über die Lageveränderungen
der Fäden ergänzen und verbessern lassen.
Es ist im I. Theil (p. 368, 375) gesagt worden, dass in
Knäuelformen vom Habitus der Fig. 16, 2, 3 Taf. I hier Unter-
brechungen des Fadengewindes bei den geschwänzten Amphibien
noch nicht mit Sicherheit zu erkennen sind, geschweige denn bei
Organismen mit kleineren Kernen. Es bleibt bei der anfänglichen
Feinheit der Fäden, und der Dichtigkeit der Windungen trotzdem
möglich, dass solehe Unterbrechungen, oder dazu disponirte Stellen
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 199
schon jetzt, ja schon von Anfang an existiren, es ist aber an
meinen sämmtlichen, oben im Abschnitt 1 besprochenen Objecten
nichts zu sehen, was einen solehen Sehluss sicherstellen, oder gar
ein „Auswachsen von Körnern zu Fäden“ annehmen lassen könnte.
Die ersten sichern Unterbrechungen in dem Fadenknäuel
sehe ich in Stadien wie Fig. 4 T.1. Aber dann kann man
wiederum spätere, schon mehr lockere Knäuel finden, schon auf
dem Uebergang zu Kranzformen, oder selbst Kränze, in denen
noch keine, oder nur einzelne Discontinuitäten zu sehen sind. Man
darf daraus vermuthungsweise schliessen, dass die Zertheilung des
continuirlichen Fadenknäuels in einzelne Fadenstücke an keinen
ganz bestimmten Zeitpunkt der Karyokinese gebunden ist.
Und sie kann sogar noch später erfolgen. — Früher nahm
ich vermuthungsweise an !), dass in der Kranzphase (Fig. 6 Taf. 17
Th. D) schon alle Fadenabsehnitte von gleicher Länge gebildet
seien, dass jeder davon sich zunächst in die ungefähre Form einer
8 lege, so dass er eine Schlinge nach central, die andere peri-
pheriewärts kehre — und dass dieses die Kranzform sei; —
dass ferner dann die peripheren Umbiegungen des Kranzes sich
trennten, und so der Stern mit seinen freien Enden resultire;
und dass endlich — was freilich nur rein vermuthet wurde —
auch die centralen Umbiegungen sieh trennen könnten, und dem-
nach die Aequatorialplatte (Fig. 14 Taf. 17 Th. Eis Tone nt
hier) aus zwei gleichen Gruppen isolirter Hälften von Fadenab-
schnitten bestehen würde; abgesehen von der Längsspaltung der
Fäden, die ausserdem inzwischen jeden Abschnitt noch einmal in
2 Längshälften getheilt hat.
Nach meinen jetzigen Erfahrungen gestaltet sich die Sache
anders, und zwar etwas einfacher. Wenn man davon ausgeht,
dass die Segmentirung des Fadenwerkes bald früher bald später
erfolgt, steht der Annahme nichts entgegen dass sie sich zum
Theil auch bis in die Kranz- und Sternphase hinein verzögern
kann. Dann sind ihre letzten Nachzügler in Bildern zu finden,
wie sie z. B. meine Fig. 11 Taf. 17 Th. I zeigt, wo gerade noch
eine letzte Schlinge in der Abtrennung begriffen ist. Diese muss
nicht (wie dort bei 5,52) an der äussersten Umbiegung in der
Peripherie, sondern kann auch weiter central erfolgen.
1) Th. I, p. 377, weiter p. 383.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 14
200 Walther Flemming:
Mit andern Worten: die richtenden Kräfte, die das
Fadengebilde in die Kranzform und weiter in die regel-
mässigere Sternform bringen, beginnen im einen Fall
auf den Knäuel schon zu wirken, ehe er in gleiche Seg-
mente zerfallen war, im andern Fall auch erst dann,
wenn dies schon geschehen ist. (Offenbar sind ja Kranz-
formen, wie Fig. 6 Taf. 17 Th. I, schon die Ansätze zum Stern,
indem viele Fäden hier schon im Ganzen radiäre, wenn auch noch
stark gebogene Verlaufsriehtungen bekommen haben.)
Ich würde sehr gern die Erklärung auf einem andern Wege suchen,
der mit den Ansichten Strasburger’s, Peremeschko’s und Schleicher’s
ll. cc. mehr zusammenführte: wenn, wie nach Diesen, zunächst im Kerne
Körner entstehen und zu Fäden äuswachsen, so könnten hiernach die Unter-
brechungen, die sich in den Knäueln und Kränzen wie Fig. 4, 5 Taf. 1 hier,
Fig. 6 Taf. 17 Th. I finden, einfach auf freie Enden von Fäden zurückzu-
führen sein, die noch in der Verlängerung begriffen sind: die Discontinuität
wäre damit das Primäre, nicht, wie ich und ebenso Klein es ansehen, das
Secundäre.
Aber eine solche Annahme wird mir eben deswegen unmöglich,
weil, nach ihr, selbstverständlich um so mehr Unterbrechungen zu finden
sein müssten, je weiter zurückliegende Stadien man untersucht; während,
wie aus meiner Beschreibung hervorgeht, gerade das Umgekehrte der Fall
ist. Ferner auch schon deswegen, weil ich bei meinen Objecten überhaupt
niemals Körner finde.
Noch bemerkenswerther für die Mechanik des Vorganges
scheint mir der weitere Punkt, den ich jetzt, für Salamandra we-
nigstens, sicherstellen kann: die centralen Umbiegungen der
Fäden in der Kranz- und Sternform trennen sich über-
haupt nicht).
1) Ich will im Folgenden mit „Schleife“ ein Fadensegment von der
Form eines v oder u bezeichnen, an dem also ein Winkel, und zwei gleich
dicke und gleich- oder nahezu gleichlange Schenkel mit freien Enden zu
unterscheiden sind. Der Winkel kann bald spitzer bald stumpfer sein, und
ist in den meisten Fällen ausgerundet, nicht scharf; die Schenkel sind bald
gerade, bald geschwungen, zuweilen um einander gedreht.
Ich weiss wohl, dass Schleife kein ganz scharfer Ausdruck für einen
solchen v-förmig oder u-förmig geknickten Faden ist; doch ist er ja in eini-
gen Fällen in ganz entsprechendem Sinne schon eingebürgert (Schleife
eines Weges; Henle’sche Schleifen in der Niere), ich weiss keinen besseren
und komme ohne ein kurzes Wort nicht aus.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 201
Diese Sicherheit habe ich erst durch sorgfältige Vergleichung
einer grossen Menge von Kernfiguren der betreffenden Stadien
gewonnen.
Es giebt nämlich Varianten, in Bezug auf die Länge der
entstehenden Fädensegmente sowohl!) als auf die Diehtigkeit
ihrer Lagerung. Wo letztere gross ist, bleibt es unmöglich zu
entscheiden, ob im Centrum eines Sterns freie Enden liegen oder
nicht. Aber die Figuren fallen in vielen Fällen so locker aus,
dass man jeden einzelnen Faden darin abgrenzen kann, und es
trifft das. besonders immer zusammen mit grosser Kürze der Seg-
mente. Unter solchen Exemplaren findet man nun viele, welche,
wie Fig. 8, 9 Taf. I, Fig. 35ab und 40 Taf. 3, das Zustande-
kommen und den Bau der Sternfigur sehr anschaulich demonstriren
können. Als die zusammensetzenden Elemente zeigen sich Faden-
schleifen, genau oder. nahezu in der Mitte ihrer Länge geknickt
oder auch sanfter gebogen; diese Schleifen können, bevor es zur
eigentlichen Radiärform kommt, oft sehr wirr durcheinander oder
auseinandergerückt liegen ?), wie in Fig. 5, 6, 7, 8 Taf. I, 35ab
Taf. 3 hier. Oftmals liegen einzelne Fäden ganz aus der übrigen
Gruppe dislocirt (Fig. 8, 9, 35). Die Ordnung aber, welcher
auch diese sich zu fügen haben, liegt darin, dass mit dem An-
tritt der Monasterphase nunmehr die Umbiegungswinkel
der Schleifen nach dem Centrum hingezogen, die freien
Enden der Schenkel vom Centrum abgekehrt werden.
Es können dazu oft lange vergebliche Ansätze gemacht wer-
den, und dadurch recht wirre Figurenbilder entstehen, deren Ver-
stehen mir lange Mühe gemacht hat. Dahin gehören besonders
Anordnungen wie in Fig. 6 und 7 Taf. I, wo die Schleifen, in
zwei ziemlich gleichen Portionen, nach den Polen zu fast von ein-
1) Vielleicht auch ziemlich grosse Varianten in der Zahl von Segmen-
ten, und damit der Strahlen der Sterne (die letztere selbstverständlich die
doppelte der Segmente).
2) Und es begreift sich wohl, dass Andere (Schleicher, Pere-
meschko), offenbar nach solchen Objeeten urtheilend, den Bewegungen der
Fäden in diesen Stadien alle Regelmässigkeit abgesprochen haben. — Ich
selbst habe diese anscheinend ordnungslosen Formen zwar wohl berücksich-
tigt (Th. I p. 377 oben), aber absichtlich zunächst nicht sie, sondern die
regulären zum Ausgangspunkt der Beschreibung genommen und früher
fast nur von Letzteren Beispiele gezeichnet.
202 Walther Flemming:
ander abrücken, so dass man denken könnte, sie wollten sich jetzt
schon zu den Tochterkernen sondern, ohne sich vorher zur Aequa-
torialplatte gruppirt zu haben. Auf diesen Glauben ist auch Klein
verfallen (12). Aber ich kenne solche Bilder hinreichend von den
lebenden Theilungen her, und weiss, dass man bei deren Ver-
folgung niemals eine derartige direete Trennung geschehen sieht,
sondern dass die Fäden sieh stets vorher wiederim Aequator
zusammenfinden. — In solchen Figuren liegen viele der Schlei-
tenwinkel schon deutlich nach dem Centrum oder der Aequatorial-
ebene hingewandt (s. Fig. 6, 7 Taf. I), andere noch nicht; und
es ist möglich, dass auch die schon centrirten Schleifen diese
Lage noch zeitweilig wieder aufgeben können; dass, um mich so
auszudrücken, die Centralattraetion in ihrer Stärke längere Zeit
schwankt, und zeitweise ganz erlahmt, so dass es dann wieder
sehr unregelmässige Fädenlagen giebt. Endlich aber überwiegt
die eentrirende Kraft; auch die letzten ungehorsamen Faden-
schleifen werden einrangirt und die Sternform ist fertig, nach
dem einfachen Schema: Winkel der Schleifen nach dem
Centrum, Enden der Schenkel nach der Peripherie
(Fig. 8, 9, 40 hier und Fig. 10, 11 Taf. 17 Th. ]).
Es muss hier nun eingeschaltet werden, dass die Sternformen
nicht bei allen Zellenarten so regelmässig ausfallen, wie in denen
des Epithels, Bindegewebes, Blutes (d. h. rothe Zellen) und (wie
ich wenigstens für Salamandra auch behaupten kann) des Knorpels.
Bei den Hodenzellen von Salamandra, deren Theilungsfiguren
sich zugleich besonders durch Kürze der Fadensegmente aus-
zeichnen, rücken die Umbiegungsschleifen der Fäden nur
selten so dieht an das Centrum, dass die betreffende Figur
reeht deutlich den Eindruck eines Sternes macht (Fig. 40).
Hier, bei Hodenzellen, konnte ich die betreffenden Stadien
lebend unter dem Auge verfolgen, wobei man Bilder wie in
Fig. 10 a—c auftreten und sich langsam verändern sieht '). Nach
1) Verfahren: Freischwimmende Zellen in frisch aus dem angeschnitte-
nen Hoden entnommener Flüssigkeit, ohne jeden Zusatz eingedeckt. Die
Theilungen halten sich dabei häufig längere Zeit lebend und im Fortgang,
sterben aber doch viel öfter ab als am Larvenschwanz. Die Fäden sind an
jenen ganz freiliegenden Zellen natürlich klarer erkennbar, als am letzteren
Object. ®
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 203
dem Eindruck soleher Objecte würde man zunächst an wirklich
ganz unregelmässige karyokinetische Bewegungen denken, wie sie
Schleicher als typisch angesehen hat; doch wenn man dieselben
fixirt (mit Essigsäure, Pikrinsäure) und färbt, so lässt sich durch
die Schraube feststellen, dass auch in anscheinend ganz regellosen
Figuren doch eine Ordnung besteht, nämlich eben die, dass die
Winkel dem Centrum mehr genähert liegen als die freien Enden
der Schleifenschenkel (vergl. Fig. 40 und deren Erklärung).
Es ist übrigens möglich, dass auch bei Hautepithelzellen
die Annäherung der Schleifen an das Centrum in manchen Fällen
nicht weiter geht wie z. B. in Fig. 9 Taf. I hier'); die Regel
aber sind bei Epithel-, Bindegewebs- und rothen Blutzellen gut
ausgesprochene Sterne, in denen die Schleifen sich im Centrum
ganz oder nahezu berühren.
Für die eben eitirten Abbildungen bitte ich Folgendes zu berücksich-
tigen: Es ist nicht wohl möglich, eine solche Gruppe von umgebogenen Fä-
den, die nach dem angegebenen Typus: „Biegungswinkel central, Enden
peripher“ gelagert sind, wirklich anschaulich durch Zeichnung wiederzugeben,
man müsste denn ein sehr grosses Format und körperliche Schattirung dazu
nehmen. Wenn also auch an meinen Objecten, wie z. B. Fig. 9, 40, die Ein-
stellung zeigt, dass die Schleifen durchweg dem Centrum näher liegen als
die freien Enden, so konnte dies in der Zeichnung nur dadurch ganz schema-
tisch angedeutet werden, dass die Schleifen meistens dunkler dargestellt sind
als die Enden. — Es kommt nun aber noch hinzu, dass nicht alle Fäden
gleichweit vom Centrum entfernt liegen; ferner, dass man natürlich viele
Fäden mehr oder weniger von oben, im queren oder schrägen optischen
Durchschnitt sieht; endlich, dass die Fadenschenkel nicht stets rein radiäre
Richtungen einhalten, sondern vielfach gebogen und gewunden liegen. Alles
dies wirkt zusammen dahin, dass die Sternform auch nach Tinction an vielen
Exemplaren kaum herauszukennen ist (insbesondere bei den Hodenzellen mit
ihren kurzen Fadensegmenten); und gar am blassen lebenden Object, wo
man die einzelnen Fäden nur schwer mit der Einstellung verfolgen kann,
wird sie vielfach ganz undeutlich, es sind da systolische Sterne mit geboge-
nen Strahlen oft gar nicht unterscheidbar von Aequatorialplatten, und die
1) Solche stark zerstreute Figuren, wie sie mir von Epithelzellen in
Menge vorliegen, theils mit einfachen, theils Doppelfäden, entsprechen jedoch
wohl gewiss Diastolen; die betreffende Systole kann immerhin ein kurz-
strahliger Stern sein, wie Taf. 2 Fig. 30 c. Bei den Hodenzellen aber braucht
es, nach meinen directen Beobachtungen am lebenden Object, zu einer so
engen Centrirung wirklich nicht zu kommen.
204 Walther Flemming:
einzige Möglichkeit der Diagnose des Stadiums liegt in fortgehender Be-
obachtung.
Im Abschnitt 1 bei „Pflanzenzellen“ wurde schon gesagt, dass auch
bei diesen ganz reine Sternformen nicht zu finden waren; vermuthlich wohl
aus ähnlichen Gründen.
Die Segmente, d. i. Schleifen, scheinen in je einer Kernfigur
immer nahezu gleicheLänge zu haben!) (dagegen sind sie
in der einen Kernfigur länger wie in der anderen); und ferner sind
die zwei Schenkel einer Schleife zu der Zeit, wo die eigentliche
Sternform besteht, untereinander ziemlich gleich lang. Auch dies
ist dureh die Zeichnung nicht gut wiederzugeben: diejenigen Fäden,
resp. Schleifenschenkel, die in vielen meiner Figuren hier, sowie
in Fig. 8, 10, 11, 12 Taf. 17 Th. I, in der Verkürzung, also in
optischen Schnitten gesehen wurden, mussten natürlich so
dargestellt werden, dass sie kürzer als die übrigen erscheinen;
was also nicht reell zu nehmen ist. — Peremeschko (5, 16)
hält dafür, dass bei Triton während dieser Phasen abwechselnde
Verlängerungen und Verkürzungen, Verfeinerungen und Verdickun-
sen der Fäden vorkommen. An meinen lebenden Objeeten von
Salamandra kann ich hiervon niehts feststellen; alle anscheinen-
den Verkürzungen von Fäden können hier auf blosse Lageverän-
derungen bezogen werden, der Art, dass die Fäden schräg oder
vertikal gegen die Objeettischebene zu liegen kommen und also
nur verkürzt gesehen werden. — Doch will ich hiermit Pere-
mesehko’s Annahme nicht entgegen treten, da ich die lebende
Tritonlarve nieht untersuchen konnte.
Wenn ich früher annahm, dass in der systolischen Sternform
wenigstens die polaren Strahlen sieh verkürzen müssten (Th. I
p. 381), so kann ich diese Annahme jetzt nicht mehr für nothwen-
dig halten. Die Erklärung dafür findet sich unter dem folgenden
Titel.
1) Doch kann ich die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass bei sehr
flachgeformten Zellen (z. B. Endothelien, vergl. Fig. 10 Taf. 17 Th. I) die
Strahlen des Sterns, die sich gegen die Flachseiten richten, wirklich etwas
kürzer sind; jedoch ist dies nicht so hochgradig wie es in der Figur erscheint,
wo man auf diese Strahlen fast der Länge nach sieht und wo sie deshalb
sehr verkürzt gezeichnet werden mussten. }
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 205
C.
Die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte.
Dies Stadium ist für die Erkenntniss der Physiologie der
Zelltheilung deshalb besonders wichtig, weil es den Uebergang des
monocentrischen Kräftespiels in der Zelle in ein dicentri-
sches enthält.
Die Form der Kernfigur, die ich Aequatorialplatte genannt
habe (Taf.1 Fig. 10—14) entspricht offenbar Strasburger's „Kern-
platte“, zum Theil auch noch seiner „Kerntonne oder Spindel.“
Der genannte Forscher und Andere nehmen für ihre Objecte als
selbstverständlich an, dass dabei eine bündelförmige Gruppe von
Kernfäden vorliegt, in der Mitte der Zelle etwa parallel zur Axe
geordnet, welche sich sämmtlich in ihrer Mitte, also im Aequator
der Zelle, erst jetzt halbiren, und auseinanderrücken.
Dass diese Annahme für meine Objeete nicht zutrifft, ist
bereits in meinem Th. I, p. 381 ff. begründet, indem dort gezeigt
wurde, dass man bei allen dort untersuchten Zellenarten in diesen
Stadien stets Unterbrechungen der Fäden im Aequator findet,
niemals aber Aequatorialplatten, in denen alle Fäden in der Axen-
richtung durch die ganze Kernfigur hindurchreichten. Wie aber
diese Figur morphologisch zu Stande kommt, hatte ich damals
noch nicht ermittelt und deshalb nur einige Vermuthungen darüber
geäussert (l. c. p. 383), die ausdrücklich als solche bezeichnet
wurden.
Diese Lücke kann ich jetzt ausfüllen, und zwar in unerwartet
einfacher Weise.
Wie oben angeführt, trennen die centralen Fadenschleifen sich
nicht während des Bestehens der Sternform. Sie thun es
ebensowenig während der Dauer der Aequatorialplatte.
Sie werden vielmehr aus der Sternform mit herübergenommen, und
nur umgeordnet in einer Weise, die sich am Einfachsten aus
folgendem Schema ergiebt:
Nehmen wir der Uebersichtlichkeit wegen an, man hätte einen
Stern von nur acht Strahlen, d. h. also von vier Fadenschleifen,
deren jede den Winkel nach dem Centrum, die Schenkelenden nach
der Peripherie wendet (1 im Holzschnitt):
206 Walther Flemming:
EL
an
1. 2.
,
Man denke sich nun einen als Krafteentrum wirkenden Punkt,
der die Eigenschaft haben soll, die Winkeltheile der Fäden
anzuziehen, die freien Schenkelenden abzustossen; dies
Centrum wird bei der Anordnung Fig. 1 die Sternform zu erhalten
streben. Man denke sich ferner dieses Centrum in zwei getheilt,
und diese nach den Polen auseinanderrückend. Ein jedes wird die
Umbiegungswinkel, die ihm zunächst liegen, mit sich ziehen in
die Lage, welche durch Fig. 2 im obigen Holzschnitt gezeigt wird:
damit ist der Stern auseinandergeklappt in zwei Hälften, in wel-
chen die Fadenschleifen jetzt nach dem Typus liegen: Winkel
nach dem Pol, Schenkelenden nach dem Aequator.
So sind zwei, noch flache oder glockenförmige Tochter-
sterne entstanden, in deren jedem zugleich, mit Bezug auf das
Territorium der künftigen zugehörigen Halbzelle, wieder dieselbe
Anordnung herrscht wie vorher im Mutterstern: Winkel central,
Schenkelenden peripher.
Dass es so und nicht anders zugeht, ergiebt sich fast schon
aus einem unbefangenen Blick auf die vorhergehenden und fol-
genden Formen: Taf. 3 Fig. 35 a—e nach einer lebend verfolgten
Theilung. In ab ist offenbar die gleiche Anzahl Faden-
schleifen in der Mutterfigur vorhanden, wie in e in bei-
den Tochterfiguren zusammen; und so wird man dies überall
in den gleichen Stadien finden; wenn auch nicht alle Fäden ganz
deutlich einzeln zu verfolgen und zu zählen sind, kann man es
doch sehr wohl abschätzen. Es brauchen also nur die in Fig. 35 ab
vorhandenen Schleifen in der oben (Holzschnitt) bezeichneten Weise
umgeordnet zu werden, damit Fig. 35d und weiter 35e daraus
entsteht.
Das Stadium nun, in welchem dies geschieht, Fig. 35 e, wird
sich freilich an der lebenden Zelle bei allen bisher benutzten
Objeeten schwerlich genau darauf prüfen lassen: da die blassen
lebenden Fäden in ihm besonders dicht gelagert sind, sieht man
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 207
immer nur undeutliche Bilder dieser Phase, wie Th. I, Taf. 16
Fig. 1g, 4d, Fig. 35 c hier. Aber an gut conservirten und scharf
tingirten Aequatorialplatten erhält man hinreichenden Aufschluss.
Unter Hunderten von solchen, die ich nach und nach untersuchte !),
fanden sich viele, in denen die Fäden hinreichend locker lagen ?),
um grossentheils im ganzen Verlauf verfolgt zu werden. Aus
diesen Vielen sind einige Beispiele in Taf. 1 Fig. 10—14 ge-
zeichnet.
Niemals habe ich zunächst, wie gesagt, eine solche Aequatorial-
platte gefunden, in welcher sämmtliche Fäden nachweisbar im Aequa-
tor zusammengehangen hätten (wie es der Ansicht Anderer entsprechen
würde). Man findet dies (für Epithel-Bindegewebs-Blutzellen) im-
mer nur bei einzelnen Fäden. Eine Abweichung bilden wieder die
Hodenzellen, bei denen allerdings ein solcher Zusammenhang
im Aequator sehr vielfach zu beobachten ist (Fig. 35 d, 42, 59).
Aber gerade hier liess sich durch fortlaufende Beobachtung des
lebendigen Objects (Fig. 35) finden, dass dieser Zusammenhang
weit naturgemässer als ein secundärer, denn als ein primärer
aufzufassen ist. Denn die dort verfolgte Reihe ergiebt ja, dass
vor dem Stadium, in welchem solche Zusammenhänge im Ae-
quator vorkommen (Fig. 35d), ein anderes liegt (Fig.35ab), in
welchem im Ganzen eine gleiche Anzahl gleich grosser Faden-
schleifen vorhanden ist, wie später in beiden Toehterportionen
zusammengenommen. Um demnach aus der ersteren Figur die
letzteren abzuleiten, erscheint es als das Nächstliegende und Na-
turgemässeste anzunehmen : die Schleifen in Fig. 35 b lagern sich
so, dass ihre Winkel nach den Polen, die freien Enden nach der
Aequatorialebene zu liegen kommen, und die freien Enden gera-
then dabei theilweise in Berührung und vielleicht temporäre Ver-
schmelzung.
Dieser Annahme entspricht nun vollständig dasjenige, was
man an recht locker und durchsichtig gebauten, gut gefärbten
Aequatorialplatten schen kann. Ich will dies durch ein Holzschnitt-
1) Die Präparate liegen sämmtlich aufbewahrt vor.
2) Denn hier, wie in allen Stadien, giebt es individuelle Verschieden-
heiten; bei der einen Zelle enggedrängte, bei der anderen verstreutere Lage
der Fäden der Kernfigur.
208 Walther Flemming:
schema, wie oben, unter Verweis auf die genaueren Abbildungen
der Objecte selbst verdeutlichen:
Holzschnitt 1.
Stern
m mm nn
Diastole Systole Aequatorialplatte-Kerntonne
ISEZERW
2. 3.
6. Ti:
Gehen wir aus von dem diastolischen Stern, 1. (vgl. z. B. Fig. 9
hier). In der Systole, 2. neigen sich seine Strahlen, d. h. die Schen-
kel der Fadenschleifen, gegen die Aequatorialebene (vgl. Fig. 8
hier, Fig. 5 T. 18 Th. D. In der dann folgenden eigentlichen Ae-
quatorialplatte (3) schlägt diese Neigung über die Parallelebene _
des Aequators hinüber, die Winkel werden polarwärts, die Schen-
kelenden äquatorialwärts gezogen, die Schleifen sind jetzt umge-
klappt; aber sie liegen bis jetzt noch schwach geneigt gegen
die Aequatorialebene, daher die stark abgeplattete Form dieser
Kernfigur (3. im Holzschnitt, vergl. Taf. 1 Fig. 10, 11, 13). Mehr
und mehr werden dann die Winkel polarwärts abgerückt, die
Schenkel stellen sich immer steiler gegen den Aequator (4. im
Holzschnitt, vergl. Taf. 1 Fig. 12, 14, Taf.2 Fig. 23), bis endlich
die tonnenartigen Formen erreicht sind. In den letzteren Stadien
(oder auch schon vorher) kann es nun zur Berührung und Ver-
schmelzung von Schenkelenden kommen (im Holzschn. 6, 7 ange-
deutet), die sich bei der folgenden Entfernung der Tochterkernfigu-
ren wieder trennen.
Wenn man sich statt der wenigen Fadenschleifen, die im
Holzschnittschema angegeben sind, die vielen denkt, welche die
4. 5.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 209
Abbildungen zeigen ; wenn man ferner berücksichtigt, dass man es
mit körperlichen Figuren zu thun hat und dass die meisten Fäden
nicht so gesehen werden, wie sie das Schema auf die Papierebene
projieirt, sondern in verschiedener Verkürzung, resp. als optische
Durchschnitte ; und wenn man endlich hinzunimmt, dass die Schlei-
fenschenkel vielfach nicht gerade gestreckt, sondern in Curven lie-
gen, und dass nicht alle mathematisch-genau einrangirt sind, son-
dern dass manche Unregelmässigkeiten vorkommen: so wird man
wohl ohne Schwierigkeit die Figuren der Tafeln in dem gegebenen
Schema unterbringen können, und wird es verstehen, dass am
lebenden Object, wo man fast nichts als blasse optische Schnitte
sieht, das Bild einer solchen Aequatorialplatte nicht anders aus-
fallen kann, als es in den Figuren der Taf. XVI Th. I ange-
deutet ist.
Auch werden hiernach leicht die anscheinend sonderbaren Bil-
der verständlich, welche in der Phase der Aequatorialplatte sich
oft an minder deutlichen Objeeten, besonders an lebendigen bieten,
wie ich sie im Th. I. auf Taf. 16 Fig. 2k und 6, Taf. 17 Fig. 13
dargestellt habe: man findet hier, besonders im Aequator, geschlän-
gelte Fäden, die oft (Taf. 16.1. e. Fig. 6) Verbindungsbrücken zwi-
schen den polar angeordneten Fäden zu sein scheinen, aber es
nicht sind !). Man denke sich im Holzschnitt II Fig. 3 u. 4 statt
der 4 Fadenschleifen deren etwa 20—60, körperlich in einer Ton-
nenform angeordnet, aber nur zum Theil mit graden, zum andern
Theil mit stark geschlängelten Schenkeln, die durcheinander-
geschoben liegen: so werden bei wechselnder Einstellung Bilder
entstehen müssen wie in jener, Fig.13, Th.I Taf.17, Fig.6 Taf. 16.
Die auf Taf. 2 Fig. 15a gezeichnete Aequatorialplatte giebt
ein Beispiel solcher geschlängelter und etwas irregulärer Lage
eines Theiles der Fäden, in einem Zustand, wo die Figur schon
kurz vor der Scheidung in ihre Tochterhälften steht.
Die einzige sonstige Möglichkeit, an die ich denken könnte, um die
Figuren in anderer Weise aus einander abzuleiten, und zwar in solcher Art,
dass ein wirklicher primärer Zusammenhang der Fäden aus dem Sternstadium
her und eine nachträgliche Trennung im Aequator dabei zulässig bleiben
könnte, würde folgende sein:
1) Vielleicht gehören hierher auch Bilder, wie sie vor mir bereits
Eberth beschrieben hat (a. a. O. Fig. 9a b Taf. 19, s. Text p. 529); er be-
zieht sie auf Verbindungsbrücken der Fäden.
210 Walther Flemming:
Man könnte annehmen, dass die Fadenschleifen der Sternfigur sich
gerade streckten, und die so gestreckten Fäden sich zu einem Bündel
parallel der Axe um diese anordneten, und dass dann eine Halbirung jedes
Fadens in der Aequatorialebene erfolgte. Der Process würde dann etwa nach
diesem Schema darzustellen sein:
Holzschnitt III.
SL | I\
TI AAN
le
Dies ist aber mit dem wirklichen Habitus der Figuren nicht verein-
bar, aus folgenden Gründen:
l) bei einem solchen Verlauf müsste man an den Polarseiten der
Aequatorialplatten und Kerntonnen stets freie Fadenenden finden (vergl.
obiges Schema, 2, 3, 4). Dies ist nicht der Fall; wo nur irgend die Figur
locker genug ist, um dort überhaupt etwas deutlich zu sehen, sieht man
Umbiegungen (Fig. 12, 13, 14 an den Polseiten).
2) Unterbrechungen der Fäden in der Aequatorialebene müssten erst
in den späten Stadien der Kerntonnen (Holzschnitt IH, 4) zu finden sein;
man sieht sie aber in allen Aequatorialplatten.
3) und besonders: die Figur müsste in polarer Richtung viel länger
gestreckt sein, als sie ist; sie müsste immer mindestens eine Länge
haben, gleich dem Durchmesser eines diastolischen Sterns (folgt
einfach aus der Betrachtung des Schema’s, Holzschn. III).
Dies trifft aber keineswegs ein, die Aequatorialplatten haben vielmehr
bedeutend geringere polare Länge, als der Stern Durchmesser hat; dies
Verhältniss ist durchweg dasjenige, welches dem früheren Schema (Holz-
schnitt II) entspricht (s. dort 1, 3, 4).
Aus all’ diesen Gründen muss ich die eben erwähnte An-
nahme unmöglich finden und die meinige ihr gegenüber festhalten.
Für die letztere spricht übrigens weiter noch sehr deutlich das
Verhalten der Tochterkernfiguren in ihrer ersten Phase, der Stern-
form: denn die Tochtersterne bestehen aus gerade ebenso
langen Schleifen wie der Mutterstern, nicht aus ein-
zelnen geradlinigen Fäden (s. weiter unten); es ist von
selbst klar, dass dies sich nach dem Schema Holzschnitt II auf's
Einfachste ergiebt, bei anderen Voraussetzungen aber sehr compli-
eirte Erklärungen erfordern würde.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 211
Unter den Voraussetzungen, die oben bei der Erläuterung des
Holzschnitts II gemacht wurden, würde sich auch ein Verständniss
für eine bis jetzt räthselhafte Erscheinung eröffnen, nämlich für
die abwechselnden Systolen und Diastolen der Sternfor-
men (Th.I p. 380).
Holzschnitt IV.
Diastole Systole Diastole Aequatorialplatte
2. 3. 4.
ee Den Figuren sollen die in der Mitte angebrachten Punkte
eine ganz schematische Bezeichnung für die hypothetischen Kraft-
centren sein. In der diastolischen Sternform (1.) ist ein solches
Centrum da; man kann nun annehmen, dass ein Ansatz zur Zer-
legung dieses Centrums in zwei bereits mit jeder Systole gemacht
wird (2), dass aber diese Versuche mehrmals misslingen, und die
Fadenfigur zunächst wieder in die Monoeentrie zurückfällt (3), bis
endlich die trennende Kraft das Uebergewicht erhält (4). Bei
Jedem verfehlten Versuche dieser Art werden die Schleifenwinkel
durch die auseinanderrückenden Centren etwas nach polarwärts
von einander abgezogen, dadurch die Schleifenschenkel nach
äquatorialwärts gegeneinander geneigt (2), und das entspricht voll-
kommen der systolischen Form der Sterne.
Dass eine solche Neigung der Strahlen gegen den Aequator
bei dieser Form zu Grunde liegen müsse, habe ich schon früher
angegeben, glaubte aber zugleich noch annehmen zu müssen, dass
eine Verkürzung der polaren Strahlen mitspiele (Th. I p- 381).
Es ist auch schwierig zu entscheiden, ob eine solche nicht wirklich
vorkommt, doch würde nach dem obigen Schema ihre Annahme nieht
nöthig sein, um den Habitus der systolischen Sterne zu erklären.
D.
Die Längsspaltung der Kernfäden.
Diese Erscheinung habe ich bei der Darstellung an diesem
Ort bis jetzt unberücksichtigt gelassen. — Sie ist mir in ihrer
212 Walther Flemming:
Bedeutung ebenso vollkommen räthselhaft geblieben, wie früher
(Th. I, p. 380, 383). Nach sehr viel ausgedehnterer Untersuchung
kann ich, wie schon damals, behaupten, dass sie bei den Thei-
lungen der Epithelien, Bindesubstanzzellen, Muskelzellen, rothen
Blutscheiben und Knorpelzellen von Salamandra ein constantes
Phänomen der Kerntheilung, und hier an jedem gut conservirten
und gefärbten Object !) schon mit 300facher Vergrösserung deutlich
erkennbar ist. An Kunstproduete wird Niemand denken, wenn er
nur einige, geschweige denn viele wohlerhaltene Exemplare gesehen
hat. Wollte man ja annehmen, dass die vollständige Spaltung in
zwei Längsfäden erst durch Wirkung von Reagentien ?) zu Stande
käme, so müsste man doch zugeben, dass eine Disposition dazu, also
ein Aufbau der Fäden aus zwei differenzirten Längshälften, dafür
schon vorgelegen haben muss; sonst wäre die Erscheinung kaum
zu verstehen. Ausserdem spricht der Umstand, dass bei den ge-
nannten Zellenarten die Fädenstücke der Aequatorialplat-
ten, der Kerntonnen und der Anfangsphasen der Toch-
terkerne von halber Dieke und von doppelter Zahl ge-
funden werden, wie am diekstrahligen Mutterstern —
wohl hinreichend für die Natürlichkeit der Doppelfäden.
Allerdings bin ich aber bei der Untersuchung der Hoden-
zellentheilungen (s. o. Abschnitt 1) zunächst zweifelhaft gewor-
den, ob die Fädenspaltung allgemeine Verbreitung hat. Denn
hier konnte ich, wie am eben eit. Orte mitgetheilt ist, nur in ein-
zelnen Fällen Andeutungen von Längsspaltung an Reagentienprä-
paraten sehen, an den lebenden freischwimmenden Hodenzellen
nichts davon mit Sicherheit feststellen (s. Fig. 35). Auch sind
hier die Fäden der Kerntonnen und die Tochtersterne ebenso dick
wie die der Muttersterne und -Knäuel (vergl. Fig. 35).
Es bleiben demnach zwei Möglichkeiten: entweder, die Fä-
denspaltung kommt überhaupt nicht bei allen Zellenarten vor;
oder sie ist bei Objeeten, wie den Hodenzellen, ein wenig augen-
1) Wo dagegen etwas Quellung eingetreten ist, da werden die Doppel-
fäden häufig wieder mit einander verbacken. Dies tritt sehr gewöhnlich an
Essigsäurepräparaten auf, auch wenn im Uebrigen die Formen der Kern-
firuren gut fixirt sind.
2) In einigen günstigen Fällen habe ich jedoch die Doppelfäden ja
auch lebend wahrnehmen können, s. Th. I, p. 380, Fig. 5 Taf. 16.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 213
fälliger und sehr rasch vorübergehender Process, dergestalt, dass
die Fädenhälften sich kaum von einander entfernen und im Sta-
dium der Kerntonne meist schon wieder mit einander verschmol-
zen sind.
Dass man von der Fädenspaltung an den anderen Objecten,
die im Abschnitt 1 dies. Abh. besprochen sind (Triton, Batrachier,
Pflanzen, Säugethieren), bis jetzt nichts sehen konnte, beweist
übrigens an sich nicht, dass sie bei diesen fehlen müsste, weil diese
Objeete fast alle viel zu klein und ungünstig für Entscheidungen
darüber sind (für Pflanzen siehe jedoch Taf. 2 Fig. 21).
Sonst habe ich noch Folgendes über die Fädenspaltung fest-
stellen können:
1. Sie kann schon im lockeren Knäuelstadium oder in der Kranz-
form, oder endlich, was doch das Häufigste bleibt, in der
Sternform auftreten. Ich habe dies schon früher a. a. O.
vorläufig ausgesagt, kann es aber jetzt durch eine viel grös-
sere Zahl von Objecten belegen.
2. Die Fädenspaltung tritt entweder durchaus gleichzeitig bei
allen Schleifen oder Fadensegmenten der betreffenden Kern-
figur auf; oder, wenn sie sich auch an den einen Fäden
etwas früher als an anderen vollzieht, so ist ihr Auftreten
auf einen sehr kurzen Zeitraum confinirt. Dies geht deut-
lich daraus hervor, dass man fast immer, wo überhaupt
Fädenspaltung in einer Kernfigur vorliegt, dieselbe durch die
sanze Figur hindurch antrifft: sehr selten dagegen Bilder,
wo einzelne Fadenstücke schon gespalten, andere noch unge-
gespalten sind !). — Dies beweist, dass das Moment, wel-
ches die Tendenz zur Längsspaltung der Kernfäden setzt,
gleichzeitig durch die ganze Kernfigur hindurch wirksam
sein muss.
E.
Die Tochterkernfiguren.
Während sie sich aus der Aequatorialplatte sondern und aus-
einanderzurücken beginnen, zeigen sie die etwas variablen Formen,
1) Ein Bild letzterer Art ist in der Fig. 7 Taf. 17, Theil I, dargestellt.
Die Stelle in Fig. 5 Taf. 17 daselbst hingegen, wo ein ganz kleiner Faden-
abschnitt breit gespalten dargestellt ist, beruht auf einem Zeichenfehler.
214 Walther Flemming:
die mit Körben (Eberth), Halbtonnen (Strasburger) oder halb-
aufgeblüthen Compositenblumen (Mayzel) verglichen worden sind
Doch wird ihr Bau durch diese Vergleiche nicht vollständig er-
läutert. Nach allen drei Vergleichsobjeeten würde man an Stäb-
chen denken, die sowohl nach dem Pol wie nach dem Aequator
freie Enden haben. Das ist jedoch (sicher wenigstens bei den
Urodelen) nicht der Fall, sondern wie sich schon aus den oben
beschriebenen Bauverhältnissen der Aequatorialplatten ergiebt,
haben wir nach der Trennung ebenso wie vor derselben: Faden-
schleifen, deren Schenkel an den Polen in einander übergehen.
Dies wird die schematische Figur 15 Taf. I leicht erläutern, vergl.
Holzschnitt II, 5. Zuweilen finden sich übrigens solche Figuren,
die diesem Schema an Regelmässigkeit kaum etwas nachgeben:
jede Tochterfigur hat etwa Palmenform, indem die eine Hälfte
der Schleifenschenkel central als Stamm, die andere peripher als
Blätterglocke gruppirt ist; doch allerdings die erstere nie so ganz
dicht gelagert, wie es das Schema Fig. 15 giebt. Besonders häufig
finde ich regelmässige Formen solcher Art bei rothen Blutzellen.
Ob diese Form constant durchsehritten wird, kann ich nicht
sagen; jedenfalls ändert sie sich bald in der Art, dass die central
liegenden Schenkel ebenfalls mehr in die Peripherie, zwischen die
übrigen rücken (Fig. 11 Taf. 18 Th. I). Die polaren Umbie-
sungen bleiben auch jetzt erhalten !') (Fig. 35 e Taf. 3, Fig. 15e,
15d Taf. 2).
Dass diese Tochterkernfiguren einen radiären Bau haben,
— wenn auch den von abgeflachten und hohlgeformten
Sternen — versteht sich besonders bei der Ansicht vom Pol von
selbst, und ich glaube daher ganz im Recht zu sein, wenn ich
schon in dieser Phase die Repetition des Muttersterns sehe. Bei
vielen Exemplaren wird die Aehnlichkeit mit letzterem noch voll-
kommener, indem ein Theil der Strahlen des Tochterkerns am
Rande nach der Polseite hin umklappt (Fig. 16 Taf. 17 Th. D;
doch gebe ich zu, dass letzteres nicht in allen Fällen eintritt, und
dass auch, wo es vorkommt, die Tochtersterne doch immer etwas
abgeflacht bleiben.
1) Wenigstens finde ich dies überall, wo die Figur hinreichend locker
gebaut ist um dergleichen deutlich zu sehen; wo die Fäden eng liegen, sind
solche Dinge nicht zu entscheiden.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 215
In solchen Fällen, wo die Kernfiguren überhaupt recht locker
angeordnet sind, zeigt sich die radiäre Anordnung bei den Tochter-
sternen besonders deutlich; ebenso lässt sich an solchen auf das
Sicherste sehen, dass die Schleifen an der Polseite erhalten bleiben
(Fig. 15 c, 15d Taf. 2, s. Erkl.).
Ich habe die Vermuthung hingestellt (Th. I p. 395), dass
die Fädenschleifen bei Salamandra noch in der Kerntonne, oder
auch erst in den Tochtersternen, je 2 zu 2 der Länge nach mit
einander wieder verschmölzen. Es wäre in der That schwierig,
diese Annahme zu umgehen, mit Hinblick auf die Längsspaltung,
die vorher im Mutterstern stattfand. Nach dieser zeigen sich die
Fäden, ganz wie zu erwarten, halb so dünn und doppelt so
zahlreich wie vorher (s. Fig. 10, 11—14 hier), aber in den spä-
teren Formen der Tochtersterne sind sie wiederum halb so zahl-
reich und doppelt so dick, wie in den feinstrahligen Figuren.
Die Annahme einer Längsverschmelzung von zwei zu zwei Fäden
bietet dafür gewiss die nächstliegende Erklärung. —
Ich finde nun, dass sich durch diese Annahme auch ein an-
derer Befund aufklären lässt, den ich früher beschrieb und der
damals räthselhaft erscheinen musste. Man findet hin und wieder
— nieht häufig — Doppelsterne in einer Zelle (Fig. 9 Taf. 17
Theil I), welche man zunächst als Tochtersterne ansehen könnte
gleich denen in Fig. 24 oder 30 d hier, — wenn sie nicht doppel-
strahlig wären, gerade so wie die in Spaltung begriffenen Mutter-
sterne Fig. 9 hier. Aus letzterem Grunde habe ich ihre Deutung
früher fraglich gelassen, und selbst für möglich gehalten, dass sie
Abnormitäten des Theilungsvorganges vorstellen könnten. — Wenn
man sich aber erinnert, dass die Längsspaltung der Strahlen am
Mutterstern bald früher bald später eintreten kann (s. oben),
so liegt es nahe zu erwarten, dass es sich mit dem regressiv-ent-
sprechenden Vorgang, der (hypothetischen) Wiederverschmelzung
je zweier Fadenschleifen, ähnlich verhalten mag. Für gewöhnlich
würde dieselbe sehon in der Kerntonne oder selbst schon in der
Aequatorialplatte erfolgen, wo sich bei der dichten Lagerung der
Elemente davon nichts Deutliches erkennen lässt; hie und da
könnte sich aber die Wiederverschmelzung bis in die spätere, eigent-
liche Sternform der Tochterkerne verzögern, und damit fänden dann
Bilder, wie die doppelstrahligen Doppelsterne in Fig. 9 Taf. 16
Theil I, von selbst ihre Erklärung. —
Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 18. 15
216 Walther Flemming:
Nach andern Untersuchern soll in den Stadien der Fig. 15
Taf. 1, 24, 26 Taf. 2 eine Verschmelzung der Fäden an der
Polseite eintreten, und von hier aus gegen den Aequator weiter-
greifen. Für die urodelen Amphibien kann ich dies nicht zugeben,
und bei den anderen Objeeten, die ich untersuchte (Abschn. 1)
wenigstens keinen Beweis dafür finden. — Es ist wahr, dass in
vielen Fällen die Fäden, und besonders die Fadenschleifen an den
Polen, recht eng gedrängt liegen, so dass sie am lebenden Object
den Eindruck einer confluirten Masse geben; ebenso, dass man oft
an gefärbten Reagentienpräparaten solche Polverschmelzungen sieht;
ich besitze solche in Menge, aber es sind dies immer solche, an
denen auch andere Kernfiguren Quellungen oder Schrum-
pfungen zeigen: je schöner und vollkommener conservirt das
Object, desto weniger findet man von solchen verbackenen Tochter-
kernen. Ich muss dieselben also für Kunstproducte halten, und
kann mich dabei auch für Triton auf Klein berufen, der von
einem Homogenwerden der Tochterkerne nichts aussagt, und der
nach seinen Abbildungen zu urtheilen über sehr schön conservirte
Objecte verfügt hat.
Ueber die folgenden Formen der Tochterkerne habe ich
meinen früheren Mittheilungen wenig hinzuzusetzen: ich finde durch
ausgedehntere Untersuchung nur bestätigt, dass auf die Sternform
eine Kranzform folgt, also auch noch von radiärem Typus
(Fig. 17 Taf. 17 Th. D), aber mit gewundenen und geschlungenen
Fäden, an denen sich immer weniger Unterbrechungen finden;
und die, von der Polseite betrachtet, häufig eine freie Mitte er-
kennen lässt. Es scheint mir diese Umformung nicht besser er-
klärbar, als durch die Annahme, dass jetzt die peripheren Enden
der Schleifenschenkel in den Tochterkernen mit einander ver-
schmelzen; die centralen Umbiegungen brauchen, wie sich aus dem
Öbigen ergiebt, überhaupt niemals getrennt gewesen zu sein. —
Es scheint, dass ganz reine Kranzformen, mit freiem Mittel-
feld, nicht immer vorzukommen brauchen; deshalb habe ich auch
die Kranzform als besondere Phase gestrichen und in die folgende
einbezogen (gilt ebenso für die Mutterformen, s. 0.). °
Es verengert sich darauf die Figur zu einem Knäuel, und
dessen Windungen lagern sich so dicht, dass sie am lebenden
Präparat als homogener Klumpen imponiren und durch Reagentien
oft zu einem solchen entstellt werden (Fig. 29; Näheres darüber
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 217
s. in Abschnitt I bei „Pflanzenzellen“. — Ich behaupte nicht, dass
nicht bei Zellen anderer Organismen (Strasburger u. A.) wirk-
lich Zusammenlagerungen der Fäden in diesem Stadium vorkommen,
welehe bis zur Berührung gehen; sehe aber keinen Grund dies eine
Verschmelzung zu nennen, um so weniger, da in dem alsbald fol-
genden Stadium der Fadenbau der Tochterkerne wieder auf's Deut-
lichste hervortritt.
Denn es folgen jetzt die Tochterfiguren mit querer Gitterung
(Fig. 2, 3 Taf. 18 Th. I) und gehen endlich in die unregelmässi-
geren Gerüste über, die zum Ruhezustand zurückleiten. In Formen
der Töchter, wie sie Fig. 1b Taf. 1 vom Mutterkern zeigt, bemerkt
man bei Urodelen zuerst unregelmässige Verdickungen in den Bälk-
chen: den Netzknoten, vielleicht schon den Bildungsstellen von
Nucleolen entsprechend. Wie Strasburger (8) gezeigt hat, treten
die letzteren dagegen bei Pflanzenzellen schon weit früher auf.
F.
Die achromatische Fadenfigur.
Durch die Arbeiten von Bütschli, Strasburger, ©. Hert-
wig und Mayzel ll. ec. waren schon seit längerer Zeit von ver-
schiedenen Objecten !) jene Formen der Kerntheilungsfigur be-
kannt, in denen ein Bündel feiner Fasern, meist in Gestalt einer
Spindel, von Pol zu Pol angeordnet liegt, und an der Mitte dieses
Bündels sich gröbere Elemente angehäuft finden (z. B. Fig. 34);
welche letzteren dann sich trennen und, als Grundlagen des
Tochterkerns, polarwärts auseinanderrücken. Diesen Formen ver-
dankt der Name „Kernspindel“ seine Entstehung.
Die genannten Autoren hatten anfangs angenommen, dass die
letzterwähnten gröberen Elemente (die sie meist als „Körner“ be-
zeichneten und die identisch mit Strasburger's „Kernplatten-
elementen“ sind) Anschwellungen jener feineren Fasern (der „Kern-
fasern“) seien.
In Mayzel’s Ergebnissen an der Frochhornhaut und anderen
Objecten (1876—77, siehe die Figuren bei Strasburger. Jenai-
1) So: Eizellen von verschiedenen Wirbellosen, Infusorien, Pflanzen
(Bütschli, Strasburger, Hertwig); Endothel der Froschhornhaut
(Mayzel).
218 Walther Flemming:
sche Zeitschr. Dec. 1877, nach Präparaten Mayzel’s) ist jedoch
bereits die richtige Erkenntniss enthalten, dass die „Kernplatten-
elemente“ nicht bloss Körner sind, und dass sie, was noch wich-
tiger, nicht Anschwellungen der feinen „Kernfasern“ darzustellen
brauchen, sondern ohne Continuität mit diesen sein können. Dass
Letzteres der Fall sein kann, hat auch Strasburger am eit. Ort
bereits zugegeben.
Ich habe mich nun inzwischen überzeugt:
1) dass die erwähnten Kernplattenelemente an jenen Objecten
jedenfalls die Homologa sind zu den Bestandtheilen der
tingirbaren Kernfigur, also zu den Kernfäden, bei Sala-
mandra u. a. Amphibien (Th. I, 420 u. a).
2) Dass dieselben sich von jenen anderen, feinen „Kernfasern“
durch jene eben erwähnte Eigenschaft durchweg unterschei-
den: die ersteren sind stark tingirbar, die letzteren nicht
— ein Unterschied, dem von anderen Seiten keine Aufmerk-
samkeit geschenkt zu sein scheint !).
3) Dass die tingirbaren Kernfäden an allen denjenigen Objec-
ten, die ich schon damals prüfen konnte, nicht Anschwellun-
gen der blassen Kernfasern, sondern neben ihnen gelegen
sind (s. Th.I. Taf. 18, Fig. 17).
Diese Punkte habe ich nun an allen weiteren Objeeten, die ich
prüfte, bestätigt gefunden.
Zunächst konnte ich auch bei denselben Zellenarten von Sa-
lamandra, deren Theilungen im Th. I beschrieben sind und wo ich
die blassen Fäden früher vermisste und deshalb ihr Vorkommen
noch für zweifelhaft hielt ?), jetzt das letztere nachweisen. Dies
1) Arnold (s. am Schluss) hat soeben die gleiche Wahrnehmung mit-
getheilt.
2) Theil I p. 419, 420. Dass hierfür Grund vorlag, und dass diese
Zweifel nicht etwa bloss auf oberflächliche Untersuchung hin erhoben wur-
den, dafür kann ich mich jetzt auch auf einen so ausgezeichneten und sach-
kundigen Beobachter wie Strasburger berufen.. Dieser selbst hat, nach
Kenntniss meiner Beschreibung und Präparate von Salamandra und nach
eigener genauer Prüfung seiner pflanzlichen Objecte, gerade ebenso geurtheilt,
wie ich es damals vermuthungsweise that: indem er annahm, dass in den
betreffenden Fällen (Salamandra, Nothoscorodon u. A.) die feinen Kernspindel-
fasern in der That fehlten (Strasburger, 8, p. 283 ff... Wenn ich ihm
jetzt also hierin entgegentrete, so habe ich damit auch mich selbst zu be-
richtigen.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 219
gelingt hier allerdings nicht leicht, und nur an einer Minderzahl
von Zelltheilungen.
Da die feinen Fäden bei scharfer und reiner Kerntinction
keine Spur von Farbe aufnehmen, und bei starker Aufhellung ganz
unsichtbar werden, so bemerkt man grade an den besten Präpa-
raten von gefärbten Kernfiguren von ihnen nichts. Um sie aufzu-
suchen, habe ich also jetzt diese Methoden vermieden, und einfach
mit Essigsäure gearbeitet, oder Chrom- und Pikrinpräparate bloss
in Wasser oder verdünntem Glycerin untersucht. Hierbei fand
ich an Theilungen von Epithelzellen, Bindegewebs- und Knorpel-
zellen, in den Stern- und Aequatorialplattenphasen, zuweilen
deutlich erkennbare, wenn auch immerhin sehr zarte derartige
Kernfasern an den Polen (Taf. 1 Fig. 12). |
Noch viel klarer erkennbar sind sie bei Hodenzellenthei-
lungen von Salamandra (Taf. 3 Fig. 43 ff.); die Objeete sind mit
Chromsäure fixirt und in Glycerin aufbewahrt; bei klarer Dam-
marlackaufhellung sieht man dagegen auch in den Hodenzellen
diese Fäden nicht. Sehr deutlich sind sie öfter in Objecten, bei
denen die Lackaufhellung unvollkommen gerathen, Wasser oder
Alkohol zurückgeblieben ist.
Es ist wahr, dass bei den anderen, vorher erwähnten Zellen-
arten diese blassen Fäden an den Polen, und ebenso die zwischen
den Trennungshälften der Kernfigur im Aequator ausgespannten
Fäden (Fig. 46, 47, 31 ff.) viel zarter, und meist weniger regel-
mässig geradlinig gestreckt sind wie bei den Hodenzellen und an-
deren Objeeten; dass vielfach nur Spuren, und in den meisten
Fällen gar niehts von ihnen erkennbar ist; doch glaube ich auch
hier, dass die wenigen positiven Fälle schwerer wiegen müssen
als die vielen negativen, wenn sich”durch erstere der Schluss auf
eine allgemeine Gleichartigkeit dieser Vorgänge gewinnen lässt.
An Pflanzenzellen sind diese achromatischen Fäden oft aus-
serordentlich deutlich, wie schon Strasburger’s zahlreiche Ab-
bildungen zeigen. Strasburger ist das verschiedene Verhalten
der beiden Fädenarten gegen Tinction noch nicht bekannt gewe-
sen: es lässt sich gerade hier, bei Pflanzenzellen sehr schön de-
monstriren, da die Kerntinetionen hier schärfer auszufallen pflegen
wie bei den meisten Thiergeweben (s. Fig. 25 und 26 von Allium
odorum, aus der Peripherie eines Fruchtknotens. Die Farbenin-
tensität ist (wie auch in meinen früheren Bildern) möglichst ge-
220 Walther Flemming:
nau so gegeben, wie sie an den Präparaten vorliegt). Uebrigens
kann auch hier bei den einen Kerntheilungsfiguren die achroma-
tische Fadenspindel aufs deutlichste zu sehen sein, während an-
dere, unmittelbar daneben in derselben Gewebsformation liegend,
sie nur verwaschen oder gar nicht zeigen.
Mit den eben beschriebenen blassen Fäden nun scheint mir eine
Erscheinung geradezu identisch zu sein, welche vielfach erwähnt,
aber so viel ich finde, noch in keine Beziehung zu jenen gesetzt
ist. Es sind dies die blassen Fäden, die nach der Beschreibung
Stra sburger's und Anderer beim Auseinanderweichen der Toch-
terfiguren zwischen diesen ausgespannt liegen bleiben, und welche
Strasburger neuerdings als Zellfäden bezeichnet hat, da sich
in ihnen bei Pflanzen die „Zellplatte“ anlegt.
Beim Ansehen der zahlreichen Abbildungen in Strasburger’s Buch:
„Ueber Zellbildung und Zelltheilung“ ist es mir fast befremdend, dass der
Gedanke an die Identität dieser Fäden mit den späteren „Zellfäden“ nicht
schon zum Ausdruck gekommen ist. Strasburger hat aber offenbar nicht
die Ansicht, die ich hier vertrete, da er in seiner neuen Arbeit (8, p. 277)
bei der Beschreibung des Trennungsstadiums von Nothoscorodon sagt: „Fig. 22
zeigt den nächsten Zustand: die Kernplattenhälften sind weiter auseinander-
gerückt, es beginnt das Einziehen der feinfaserigen Spindelhälften in diesel-
ben. Zwischen den beiden auseinander weichenden Kernplattenhälften werden
die Fäden sichtbar, die ich nicht weiter Kernfäden nennen will, vielmehr
von jetzt an Zellfäden. Diese Namenänderung ist nothwendig, weil die
Bezeichnung Kernfäden einerseits zu einer Verwechselung mit deı Fäden
innerhalb der Kernfigur führt, andererseits aber die Zellfäden auch nicht
von der Kernsubstanz stammen, vielmehr von dem zwischen die Kernhälften
eindringenden Zellplasma gebildet werden, so weit aber zunächst Kernsubstanz
in diesen Fäden vorhanden ist, diese alsbald in die beiden Schwesterkerne
einbezogen wird.“ Strasburger nimmt also an, dass die früheren Kern-
spindelfäden morphologisch zu existiren aufhören, in die Tochterkerne aufge-
nommen werden, und dass die von ihm Zellfäden genannten Dinge neu zwi-
schen den Kernhälften auftreten. — Die Objecte, auf die sich diese seine
Beschreibung bezieht, sind Alkoholpräparate von Nothoscorodon, wie auch
ich sie (nebst Allium) benutzt habe, nur dass ich auch noch Färbung an-
wandte. Ich kann an diesen Objecten nichts finden, was zu Strasburger’s
obiger Ansicht nöthigte; Kernfiguren, wie z. B. in Fig. 23, 25, 26 hier machen
ganz den Eindruck, dass die blassen Fäden an den Polen Fortsetzungen der
blassen Fäden im Aequator sind, und dass eine und dieselbe feinfadige
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 221
achromatische Spindel vom Stadium Fig. 22 bis zum Stadium Fig. 26 be-
stehen bleibt. — Dagegen will ich dem nicht widersprechen, dass bei der
Rückverwandlung der Tochterkerne diese achromatischen Fäden in jene wie-
der mit einbezogen werden können, wie Strasburger dies annimmt.
Ich finde, dass diese Fäden überall, wo ich sie überhaupt
deutlich darstellen kann, eben denselben Unterschied gegen die
Kernfäden zeigen, wie jene blassen Fasern der Kernspindel: sie
sind nicht tingirbar (Fig. 25, 26). Und es scheint mir, wie
gesagt, die einfachste Annahme, dass diese Fäden gar nichts
Anderes sind als jene: dass sie nicht etwa von den Kernhälf-
ten ausgesponnen, oder anderweitig gebildet werden, sondern von
vorn herein im Innern der Aequatorialplatte und Kerntonne ange-
legt sind, schon ehe diese sich trennt; und dass also die beiden
tingirbaren Trennungshälften sich nur an ihnen entlang verschie-
ben, indem sie nach den Polen rücken und dadurch die blassen
Fäden im Aequatorialtheil frei werden lassen. — Jedenfalls
steht dieser Annahme, so viel ich sehe, für jetzt nichts im Wege.
Allerdings ist mir eine Erscheinung wohl bekannt, die man
gegen die eben vorgetragene Ansicht, und für ein Ausgesponnen-
werden der Fäden, geltend machen könnte: die chromatischen
Fäden in den auseinanderrückenden Tochterfiguren sind an ihren
äquatorialen Enden zuweilen verdünnt, und solche verdünnte
Enden werden zuweilen mit gegenüberliegenden zusammenhängend
gefunden (Fig. 42,43). Doch es ist ja oben (in diesem Abschnitt ©)
schon gezeigt, dass öfter in dieser Phase Berührung mit Verschmel-
zung von Fädenenden vorkommt, und es lässt sich ganz wohl
denken, dass an diesen Stellen dann, beim Auseinanderrücken,
jene Verbindungsfäden wirklich ausgezogen werden; darum können
aber jene hier in Rede stehenden, achromatischen Fäden ganz
unabhängig hiervon noch daneben existiren und brauchen beide
Dinge nichts miteinander zu thun zu haben.
Der Annahme, dass diese achromatischen Fäden nur von den
auseinanderrückenden Tochterkernfiguren selbst ausgesponnen, also
aus ihnen heraus entwickelt würden, würde auch schon folgende
einfache Thatsache widersprechen, die jedes gute Tinctionspräparat
soleher Formen zeigt: die tingirbaren Tochterkernfiguren
sind an Masse stets gleichzuschätzen der vorherigen
Mutterkernfigur. Sollte eine so beträchtliche Substanzmenge,
wie sie namentlich bei den Pflanzenzellen die achromatischen Fä-
222 Walther Flemming:
den ausmachen, aus ihnen heraus entwickelt werden, so würde
sich schwer begreifen lassen, dass sie dabei gleiches Volum be-
wahren.
Ausserdem ist die Annahme, dass diese Fäden (Zellfäden
Strasburger) mit den blassen Fäden der Kernspindel identisch
sind, in keinem Widerspruch mit bisher beobachteten Thatsa-
chen: sie bedingt vor Allem keinerlei Zweifel an der Richtigkeit
von Strasburger’s Angaben über die Theilung bei Tradescan-
tia (14). Allerdings bemerkt derselbe für dieses Object nichts über
das Vorhandensein von feinen Fasern in den vorhergehenden Pha-
sen, und rechnet diese Theilung deshalb unter die Gruppe der
„Kerntonnen“; doch halte ich es für vollkommen möglich, dass
hier, so wie bei vielen anderen Objecten (gerade auch Salaman-
dra) die feinen Fäden im Stadium der Aequatorialplatte nur des-
halb nicht erkennbar sind, weil sie durch die hier sehr dieken
und massigen tingirbaren Fäden verdeckt werden. Bei einer Ae-
quatorialplatte von Nothoseorodon oder Allium, wie in Fig. 23 hier,
freue ich mich schon, gerade deutlich sehen zu können, dass die
tingirbare Figur aus Fäden, nicht aus Körnern besteht; ob
nun dazwischen in dieser Figur noch feine untingirbare Fasern
stecken, wie deren einzelne in der Mitte, an der Scheidungsstelle,
und viele an den Enden ja sichtbar werden), das ist nicht erkenn-
bar, aber völlig möglich. — An manchen derartigen Figuren sind
auch an den Polen die blassen Fäden nicht erkennbar.
Die neueste Aeusserung Strasburger’s über die betreffen-
den „Zellfäden“ bei Tradescantia: ‚Es kann keinem Zweifel un-
terliegen, dass diese Substanz schon vorher zwischen den Kern-
stäbchen (d. i. den tingirbaren Kernfäden) vertreten war, denn man
sieht die Stäbchen sich deutlich aus derselben zurückziehen* —
würde sich mit meiner Auffassung sehr gut vereinbaren lassen, wenn
sie auch offenbar nicht dasselbe mit ihr besagt.
Diese meine Auffassung also ist kurz wiederholt folgende:
In der Theilungsmetamorphose des Zellkerns sondern sich in dem-
selben zwei morphologisch unterscheidbare Figuren.
Die eine nimmt sämmtliches Chromatin des Kerns auf und stellt
die tingirbare Fadenfigur dar. Die andere besteht aus Achroma-
tin; es ist dabei aber festzuhalten, dass nicht die sämmtliche
achromatische Substanz des Kerns in sie einzugehen braucht, da
zwischen den blassen Fasern der Kernspindeln in vielen Fällen
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 223
noch erheblicher Raum übrig bleibt. In welchem Zeitpunkt der
Karyokinese die letztere Figur sich morphologisch zuerst ausprägt,
wissen wir nicht; nach den jetzigen Kenntnissen wird sie erst um
die Zeit, wo die tingirbare Figur die Form des Sterns oder der
Aequatorialplatte hat, in Gestalt einer polar- gestreekten Faden-
spindel deutlich. Es bleibt jedoch möglich, dass die Fäden die-
ser Spindel auch schon vorher, während der Knäuelform der tin-
girbaren Figur, irgendwie morphologisch angelegt sind.
Man kann also die beiden differenten Fadenfiguren, die so
entstehen, als chromatische und achromatischeFigur unter-
scheiden; die erstere ist identisch mit dem, was hier sonst für ge-
wöhnlich Kernfigur genannt wird; die zweite identisch mit
Strasburger's Zellfäden, und zugleich mit der feinfaserigen
„Kernspindel“ der Autoren. Ich werde jene Bezeichnungen im
Weiteren gebrauchen.
Der äusseren Form nach besteht noch der Unterschied, dass
bei den einen Zellenarten die achromatische Figur sehr lang ge-
streckt ist, deshalb in den Stadien des Sterns und der Aequato-
rialplatte an den Polen über die chromatische deutlich hervor-
ragt (Th. I. Taf. 18 Fig. 17, Fig. 25, 34 hier); bei den anderen
aber eine kurzgestutzte Form hat, und deshalb in der chromati-
schen Figur oft verborgen bleibt.
Jene würden Strasburger’s „Kernspindeln“, diese seinen
„Kerntonnen“ entsprechen. — Fig. 12 hier zeigt eine Aequatorial-
platte letzterer Form (Epithel von Salamandra), in welcher an den
Polen die achromatischen Fäden, allerdings sehr blass, etwas her-
vorragen.
Die achromatischen Figuren verdienen jedenfalls ein nicht
minder aufmerksames Studium, als die chromatischen; denn in so
fern es überhaupt zulässig ist, Richtungs- oder Attractionscentren
anzunehmen und zu localisiren, welche die Umlagerungen der
chromatischen Kernfäden beherrschen, muss man die Lage solcher
Centren in den Raumbereich der achromatischen Figur fallen lassen.
Ihr Studium ist aber bei Wirbelthierzellen wegen ihrer gros-
sen Blässe sehr schwierig. Ich habe bis jetzt in wenigen Fällen,
bei Knorpel-, Bindesubstanz- und Epithelzellen, in den achromati-
schen Fäden äquatoriale Differenzirungen wahrnehmen können,
welche den Strasburger'schen Zellplatten zu entsprechen
scheinen (Taf. 2 Fig. 15b), welche letzteren bei Pflanzen ja äus-
224 Walther Flemming:
serst deutlich sind. Ob diese Dinge bei den Thierzellen constant zu
nennen sind und hier dieselbe Bedeutung haben, die ihnen Stras-
burger für die Pflanzenzelltheilung gab, kann ich noch nicht beant-
worten. Nach Strasburger und Treub haben die Zellfäden in sol-
chen Fällen, wo die Theilung desZellkörpers nicht durch Absehnürung,
sondern durch Spaltung geschieht, diese Spaltung einzuleiten oder
doch dabei mitzuwirken. (Näheres s. in: 14 u.A.) Bei Thierzellen
finden sich jedoch diese Fäden, oder Zellplattenelemente, auch in Fäl-
len, wo die Theilung sicher mit Abschnürung erfolgt (z. B. Schleim-
zellen des Epithels, Salamanderlarve, Th. 1. Taf. 16 Fig. 4; s. auch
Strasburger 14, p.12); grade ein solcher deutlicher Fall ist z. B.
auf Taf. 2 Fig. 15b hier abgebildet, man sieht dort mitten in dem
Einschnürungshals eine lichte Marke, in der sehr feine Elemente
in der Aequatorialebene in gleichen Abständen vertheilt zu sein
scheinen. Deutliche Fäden waren in diesem Falle nicht sichtbar,
doch eine Längsstreckung der Retieulirung im Zellplasma in der
Nähe der Theilungsmarke zu erkennen. — Natürlich wäre es a
priori das Annehmbarste, dass diese Dinge hier überall dieselbe
Bedeutung für die Zelltheilung haben, wie bei Pflanzenzellen, dass
also auch in den Fällen, wo die Zelltheilung durch Absehnürung
erfolgt, diese Differenzirungen der blassen Fäden dazu in Bezie-
hung stehen.
Die achromatische Fadenfigur ist gerade an denjenigen Ob-
jeeten besonders augenfällig ausgesprochen, an welchen Bütschli,
H. Fol, Strasburger, 0. Hertwig zuerst gearbeitet haben: so
besonders Eizellen, viele Pflanzenzellen. Daher erklärt es sich,
dass diese Formen der „Kernspindel“, mit verhältnissmässig mas-
sigen blassen, polar geordneten Fasern und verhältnissmässig
kleinen ehromatischen Fäden (vergl. Fig. 31—34) den ge-
nannten Untersuchern anfangs als typisch für die Kerntheilung
überhaupt erschienen sind !). Sie sind dies ebensowenig, als an-
dererseits ein specifischer Unterschied zwischen ihnen und den
sonstigen Formen zu existiren braucht; nach dem, was hier ent-
wiekelt ist, handelt es sich doch wahrscheinlich nur um formale
Verschiedenheiten, und wird damit die Gesammtauflassung sehr
vereinfacht. Bei den ebengenannten Objeeten, Eizellen u. A., sind
die Kerne eben wohl relativ ärmer an Chromatin, als sie es z.B.
1) Auf die Färbungsresultate haben übrigens die genannten Autoren
noch keine Aufmerksamkeit gerichtet.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Tebenserscheinungen. 225
bei sämmtlichen Zellen von Salamandra sind; so wird natürlich
dieses Verhältniss auch in der Theilung stark hervortreten, indem die
chromatischen Fäden — Strasburger’s „Kernplattenelemente“ —
an Masse oft weit zurückstehen gegen die achromatischen. Es wird
freilich wohl so bald nicht gelingen, z. B. bei Eizellen zu ent-
scheiden, ob diese kleinen chromatischen Fäden (Fig. 31—33, 34)
hier wirklich dieselben Lagerungen und Formen durchmachen,
wie bei den Gewebszellen. Bisher sind dieselben von Stras-
burger und Anderen vielfach nur als Körner erwähnt worden,
die sich trennen sollen. Ich habe, wie oben (Abschn. 1) gesagt,
bis jetzt vergeblich sicherzustellen gesucht, ob diese Elemente auch
beim Ei Fadenschleifen sind. Die Verhältnisse sind dafür selbst
an sonst günstigen Objeeten (Echinodermen) zu klein, und zu sehr
verdeckt durch das dotterhaltige Plasma der Eizelle. An Pflan-
zenzellen, wo die Dimensionen der ehromatischen Elemente relativ
bedeutender sind (Fig. 22—26), sieht man dagegen ja deutlich,
dass es Fäden sind und nicht Körner, und an einzelnen be-
sonders günstigen Objecten, wie die der beiden genannten Figu-
ren, lässt sich denn auch nahezu noch sehen, dass Fadenschlei-
fen vorhanden sind, die an der Polseite umbiegen (Fig. 23), ge-
rade wie in den Aequatorialplatten bei Salamandra (Fig. 10—14).
Ebenso bei den Hodenzellen (Fig. 44, 45). Also in Fällen, wo
die deutlichsten, feinfadigen achromatischen „Kernspindeln“
vorliegen, wie hier, walten daneben in der chromatischen Fi-
gur dieselben Verhältnisse ob wie bei den Theilungen der Zellen,
in welchen von den feinen achromatischen Fäden nichts zu er-
kennen ist. Da liegt doch wohl die Annahme am Nächsten, dass
es sich ebenso auch bei den Eizellen u. A., und überhaupt aller-
wege ähnlich verhalten wird, dass die Dinge, die hier wegen ihrer
Kleinheit und Undeutlichkeit wie Körner aussehen, ebenfalls Fa-
denschleifen sind ; dass also die Reihe der chromatischen Figuren
überall in den Hauptsachen übereinstimmen wird mit der Reihe,
die ich bei den Amphibien finde und bei so vielen anderen Ob-
Jeeten bestätigen konnte. Dies ist natürlich bis auf Weiteres nur
eine Annahme; aber es muss zugegeben werden, dass sie die
einfachste und nächstliegende ist, weil sie eine allgemeine Ueber-
einstimmung unter Formen herstellen kann, die sonst als äusserst
heterolog erscheinen müssten.
Eben deshalb, um die Aussicht auf eine solche allgemeine
226 Walther Flemming:
Homologie möglichst weit offen zu halten, habe ich auch hier und
weiter oben (Abschn. I) besonders hervorgehoben, dass die Mög-
liehkeit eines allgemeinen Vorkommeus der achromatischen Faden-
figur neben der chromatischen nicht ausgeschlossen erscheint, ob-
schon die erstere bei vielen Zellenarten nicht zu sehen ist; und
habe mich deshalb Strasburger’s Unterscheidung von Kern-
tonnen (denen die achromatischen Fäden fehlen würden) und Kern-
spindeln (mit solchen) nicht anschliessen wollen. Ich proponire
zunächst folgende Betrachtung der Sache:
Man gehe von der Annahme aus, — die übrigens durch die
Tinetionsresultate hinlänglich motivirt ist — dass die Kerne ver-
schiedener Zellenarten Chromatin und Achromatin in verschie-
denem Mengenverhältniss enthalten; und dass eben diese Differenz,
wenn schon in geringerem Grade, auch bei verschiedenen Zellen-
individuen einer und derselben Gewebsart vorkommen kann. Wenn
ein Kern, der recht reich an Achromatin und relativ arm an
Chromatin ist, in Theilung geräth, so werden die achromatischen
Fäden entsprechend grösser, deutlicher ausfallen und weniger
durch die ehromatischen Fäden verdeckt werden; dann wird im
Trennungsstadium das Bild einer „Kernspindel‘“ hervortreten. Im
umgekehrten Fall werden die achromatischen Fäden zart und blass
sein, vielfach deshalb ganz unsichtbar bleiben; man sieht dann in
den betreffenden Phasen oft nichts anderes als die grobfadige
chromatische Kernfigur, wie bei den meisten Zellen von Sala-
mandra, im Integument von Nothoscorodon nach Strasburger,
u. A. m. — Unter dieser Betrachtungsweise lassen die scheinbar
differenten Formen sich einfach unter einem einheitlichen Ge-
sichtspunkt zusammenfassen, und es wird damit sogar leicht ver-
ständlich, dass von zwei Zellen der gleichen Art, im selben Ge-
webe, die eine nur die grobe chromatische Figur zeigt, die an-
dere daneben die feine achromatische, was ich, wie früher erwähnt,
bei Thierzellen wie Pflanzenzellen oft gefunden habe: die Ursache
kann lediglich darin liegen, dass der eine Kern chromatinreicher
oder -ärmer war wie der andere.
Darum scheint mir diese Anschauung, als die einfachere und
einheitlichere, der Annahme zweier ganz verschiedenen Kernthei-
lungstypen vorzuziehen. Doch gebe ich gern zu, dass erst weitere
Untersuchung darüber zu entscheiden haben wird, ob die Letztere
wirklich auszuschliessen ist.
theilungsvorgangs, das im Th. I (p. 409) aufgestellt wurde.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen.
227
Um die Ergebnisse aus diesem Abschnitt recht übersichtlich
zu machen, bringe ich sie in das tabellarische Schema des Zell-
Die
Hauptglieder der Reihe konnten dabei wie früher bestehen bleiben;
in einigen Punkten sind, entsprechend den neuen Ermittlungen,
Aenderungen angebracht.
Ich bitte für die Tabelle auch die Holzschnitte I. IL. IV oben
im Text zu vergleichen.
IE
Mutterkern
(progressiv).
Gerüst (Ruhe).
° | Ansammlung des Chromatins zum
2.
Knäuel,
der sich allmählig lockert, unter
Verdickung seiner Fäden.
Segmentirung
d. i. deutliche Trennung!) in
Fadenstücke.
Bevor die Segmentirung ganz
vollendet ist, tritt gewöhnlich eine
Kranzform
des Fadengewindes auf, offenbar
schon Einleitung zu dem folgen-
den radiären Typus.
Die Segmente biegen sich zu
Schleifen, beginnen sich nach
dem Typus: WinkelderSchleife
nach dem Centrum, freie En-
den ihrer Schenkel nach der
Peripherie, zu ordnen, und so
entsteht die
Sternform.
(In dieser und der vorhergehen-
den Phase werden die achroma-
tischen Fäden deutlich.)
Systolen und Diastolen des Sterns
(Erklärung vergl. Text, d. Abschn.
C.); Längsspaltung der Strahlen,
die aber auch schon in den vori-
gen Phasen geschehen kann.
Nachdem durch die Systolen des
Sterns schon Versuche dazu ge-
macht sind, folgt die
definitive Umordnung der Schlei-
fen in den Typus: Winkel nach
den Polen, freie Enden nach
dem Aequator (gilt für je eine
Hälfte der vorhandenen Schleifen-
zahl).
Damit ist entstanden die
(.)
N
2
Tochterkerne
(regressiv).
Gerüst (Ruhe).
Wiedervermischung des Chroma-
tins und Achromatins.
Knäuel,
der sich allmählig verdichtet,
Unterbrechungen des Fadengewin-
des sind nicht mehr deutlich.
Unterbrechungen des Gewindes
werden immer weniger und un-
deutlicher sichtbar (Verschmel-
zung von Fädenenden?)
Oft: Kranzform.
Die Fäden nehmen geschlängel-
tere Lagen an.
Sternform.
Längsverschmelzung von je
zwei Fäden?
Allmählige Wiederordnung der
Schleifen in je einer Tochterfigur
nach dem Typus (in Beziehung
auf die künftige Halbzelle):
Winkel nach dem Centrum,
freie Enden nach der Peri-
pherie.
4. Aequatorialplatte. 7
1) Es soll hiermit die Möglichkeit offen bleiben, dass die Segmentirung,
228 Walther Flemming:
Wenn in diesem Schema in der That der allgemeine, typische
Lagewechsel gegeben ist, den die Kernfäden bei der Theilung
durchmachen, so ist damit natürlich eine wirkliche Theorie der
Kerntheilungsmechanik noch bei Weitem nicht gewonnen. Das
Unbekannte, das hier wie überall in den Kauf genommen werden
muss, ist die Ursache des Uebergangs von der Monocentrie in
die Dieentrie: die Zerlegung einer hypothetischen, attrahirenden
oder richtenden centralen Kraft, in zwei derartige Richtungs-
eentren, die nach den Polen auseinanderrücken.
Auch in den Anschauungen, welche Strasburger über das
mechanische Wesen der Zelltheilung geäussert hat !), ist die Ur-.
sache, aus welcher sich ein polarer Gegensatz in der Zelle, be-
ziehungsweise in der Kernspindel oder Kerntonne ausbildet, um
deren Theilung zu veranlassen — als unbekannt und gegeben
hingenommen. Gedanken über die speciellere Mechanik des Thei-
lungsvorganges hat Strasburger bis jetzt nur an ein Stadium
geknüpft, das der Aequatorialplatte, Kernspindel oder Kerntonne,
also das der Theilung unmittelbar vorangehende. Er hält es für
annehmbar ?), dass bei den Kernspindeln eine abstossende Action
von den Polen ausgehe, und die Elemente der Kernplatte (d. i.
also meine chromatischen Fäden) in den Aequator zusammendränge.
Ich gebe durchaus zu, dass man sich die Kräfte, welche z. B. aus
meiner Fig. 9 Taf. 1 die Fig. 10, oder aus meinem Holzsehnitt I
oben Fig. 1 die Fig. 2 hervorgehen lassen, ebensowohl als von
den Polen abstossende, wie als vom Centrum aus richtende vor-
stellen könnte. Beide Annahmen sind einstweilen rein hypothetisch,
ich will keine von beiden verfeehten, und habe die obige Dar-
stellung, wonach man sich ein anfangs centrales, später in axialer
Richtung getheiltes Krafteentrum zu denken hätte, ausdrücklich
nur zur Erleichterung des Verständnisses benutzt.
Müsste man aber schon zwischen jenen beiden wählen, so
würde ieh der letzteren vor der ersteren (Strasburger’s) den
Vorzug geben müssen. Denn seine Anschauung, dass die Aequa-
oder die Disposition bestimmter Stellen zur Trennung, schon im vorigen Sta-
dium bestanden haben kann, wenn auch nicht erkennbar.
1) Zellbildung und Zelltheilung, 2. Aufl., p. 246, 272, und: 8, p. 285 ff.
2) 8, p. 285. Seine frühere (am oben a. 0.) viel positiver lautende Be-
hauptung in dieser Richtung (vergl. meinen Th. I, p. 416 ff.) hat Strasbur-
ger an dieser Stelle schon erheblich gemildert.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 229
torialplatte durch eine von den Polen ausgehende, abstossende
Action gebildet werde, würde eben nur für diese einzelne Figur
einen Erklärungsweg zeigen; während die Zuhülfenahme centri-
render Attractionen, wie ich sie im Obigen angewandt habe, auch
die Sternformen und selbst zum Theil noch die Knäuelformen
mechanisch verständlich machen hilft (s. oben). — Ferner kann
ich nicht zugeben, dass, wie Strasburger jetzt vermuthet (8, p. 286),
bei der Bildung der „Kerntonnen‘“ das Kräftespiel ein ganz anderes
sein sollte wie bei den „Kernspindeln“. In dem Objeet z. B.
meiner Fig. 13 u. 14 (Epithel, Salamandra), die nach Strasburger
doch Kerntonnen wären, sind zwar die achromatischen Fäden nicht
erkennbar, diese Figuren sind aber gewiss darum nicht speeifisch
verschieden von Fig. 12 (dasselbe Epithel, Salamandra), welche die
achromatischen Fäden eben wahrnehmen lässt. Damit hat sie aber
alle Requisite einer „Kernspindel“; es sind in ihr gewiss die
gleichen wirkenden Kräfte anzunehmen, wie in Figur 23 — und,
wie ich eben denken muss, in allen Kernfiguren dieser und an-
derer Phasen, ungeachtet äusserlicher Formunterschiede.
Ueber diese wirkenden Kräfte selbst wissen wir also noch
nichts. Der Weg zu ihrer Erforschung aber wird, wie mir scheint,
erleichtert durch die hier gegebene, genauere Darstellung der Mor-
phologie des Vorganges. Es wird dadurch möglich, zunächst die
Frage nach Sitz und Wesen dieser Kräfte exaeter zu stellen, wie
es bisher geschehen konnte. Es fragt sich:
l) Haben wir ein materielles Substrat dieser Kräfte in
derjenigen Substanz zu suchen, welche zwischen den Kern-
fäden liegt?
oder 2): gehen die richtenden Kräfte in der Zelle viel-
mehr eigentlich von den Kernfäden selbst aus?
oder 3): gehen dieselben vielleicht gar nicht von den Kernsub-
stanzen selbst, sondern vom Protoplasma der Zelle aus, und
üben ihre richtende Wirkung auf die ersteren nur von Aussen ?
oder endlich 4): Wirken mehrere dieser Factoren, oder
Alle, zugleich?
Wenn man die Annahme 1) zu Grunde legen will, so würden
die Krafteentren in die achromatische Substanz zu liegen kommen,
die zwischen den chromatischen Kernfäden bleibt, und welche,
in Gestalt der achromatischen Fäden, ja auch einen morpho-
logischen Bau besitzt.
230 Walther Flemming:
Unter der Annahme 2) ist es klar, dass die chromatischen
Kernfäden sich nicht in allen ihren Abschnitten physikalisch gleich-
artig verhalten können. Dasselbe wird jedoch gleichfalls schon
postulirt durch die Annahme 1). Mögen die Fäden in der Weise
des Holzsehnitts II typisch gerichtet werden, oder mögen sie
selbst sich durch Anziehung und Abstossung richten, in beiden
Fällen müssen sie dann je zur Zeit an den Winkeln anders be-
schaffen sein wie an den Schenkelenden. Man wollte einmal die Vor-
aussetzung machen, die oben bei der Beschreibung der Einfachheit
wegen zu Grunde gelegt wurde: es handle sich in Fig. 1. 2 jenes
Holzschnitts um ein Centrum, das attrahirend auf die Winkel der
Schleifen wirkt, abstossend auf ihre Schenkelenden, und das sich
in Fig. 3. 4 ebenda in zwei getheilt habe, die nach den Polen
rücken. Die Umlagerung der Fäden würde sich dann sehr einfach
z. B. unter der Annahme darstellen: jeder Schleifenschenkel sei
ein Magnet, der etwa seinen positiven Pol am Winkel, seinen
negativen am freien Ende habe; und das hypothetisch gedachte
Centrum sei ein negativer Magnetpol, der in 1. 2 im Centrum
läge, in 3. 4 in zwei getheilt nach den Polen rückte. Unter der
Voraussetzung, dass der Magnetismus des Centrums stärker wäre,
als der der Fäden, wird ein Blick auf die Figur und die zuge-
hörige Erläuterung im Text das hinreichend klar stellen. — Ich
brauche wohl kaum zu bemerken, dass ich hiemit nicht eine magne-
tische Theorie der Zelltheilung aufgestellt haben will; aber man
wird zugeben, dass es den Erscheinungen gegenüber in der That
sehr nahe liegt, hier an Vorgäuge electropolarer Natur zu denken,
und dass sich damit eine Aussicht ergeben würde, dem Wesen der
Zelltheilung auch von physiologischer Seite näher zu kommen.
Ich habe diesem Gedanken schon im Anfang 1879 in einem,
im Kieler physiologischen Verein gehaltenen Vortrag kurz Ausdruck
gegeben; in dem schon vorher entstandenen, und alsbald nachher
erschienenen Werke von Herman Fol (6) ist derselbe, ganz unab-
hängig von meinen Arbeiten, ebenfalls für das Verständniss des
Theilungsvorgangs herangezogen worden (v. a. a. O.: La theorie
eleetrolytique des mouvements protoplasmiques, p. 264 ff.). Da
Fol sich in diesen Erörterungen wesentlich nur auf die Vorgänge
im Protoplasma der Eizellen bezieht, die näheren Formveränder-
ungen am Kern aber ihm bei der Abfassung noch nicht bekannt
waren, so will ich ein Eingehen auf seine Ideen so lange ver-
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 231
schieben, bis die Zahl der Anknüpfungspunkte sich vermehrt
haben wird.
Wenn man eine Construction in obigem Sinne, also nach
eleetrischen oder magnetischen Polaritäten, zu Grunde legen wollte,
so würde offenbar die obige Annahme 1) vor 2) den Vorzug ver-
dienen. Denn es wäre, Annahme 2) vorausgesetzt, sehr schwierig
ein Verständniss dafür zu finden, dass die Schleifenwinkel in je
einer Tochterfigur, welche alle die gleiche Polarität haben, ein-
ander genähert bleiben, und ebenso dass die Enden der Schleifen-
schenkel, ebenfalls gleich-polar, sich einander in der Aequatorial-
platte nähern. Unter der Annahme 1) dagegen, welche zulässt,
dass die Polarität der hypothetischen Richtungscentren die der
Kernfäden an Kraft überwiegen mag, wären jene Umstände ein-
facher erklärbar.
Für die unter 3) und 4) aufgeführten Annahmen giebt es, so
viel ich sehe, bis jetzt keinen bestimmten Anhalt; da aber nichts
ihrer Möglichkeit im Wege steht, durften sie nicht unerwähnt
bleiben. —
Es ist hier der Ort, auch den Versuch zur Erklärung der
strahligen Plasmastructuren zu erwähnen, den Klein in seiner
letzten Arbeit (12, p. 416—417) gemacht hat. Klein nimmt am
ruhenden Kern einen Zusammenhang der Fäden des Kernnetzes
mit Fädengerüsten im Zellplasma an), und denkt, dass die Radien-
systeme im Plasma bei der Zelltheilung entstehen, indem das Netz-
werk des Kernes sich eontrahire und damit die Netzfäden des
Zellplasma eoncentrisch zu sich heranziehe. Ich bin ebenfalls ge-
wiss der Ansicht, dass die Strahlungen im Plasma und die Kern-
figurenformen mechanisch mit einander in Beziehung stehen; ich
habe dies früher (Th. I p. 421 ff.) schon hervorgehoben und dar-
selest, dass offenbar die Muttersternfigur des Kerns im Ganzen
dem Monaster im Plasma, die Sternformen der Tochterkerne dem
Dyaster im Plasma entsprechen. Es ist aber auch ersichtlich,
dass unter Berücksichtigung der Metamorphose des Kerns, und
aller der hier beschriebenen Lageveränderungen der Kernfäden,
1) Wie auch Frommann. Ich möchte hier vorläufig wiederholen,
dass ich einen solchen Zusammenhang keineswegs in Abrede stellen kann
und will, aber bis jetzt nichts gesehen habe, was ihn positiv beweist. Näheres
darüber in der Fortsetzung dieser Beiträge.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 16
232 Walther Flemming:
die Erklärung der Strahlung im Plasma nicht in so einfacher Weise
gefunden werden kann, wie Klein sie an jener Stelle sucht.
Wenn sonach das ganze physiologische Resultat dieses
Abschnitts nur darin besteht, dass sich jetzt mehr Ordnung in
unsere Kenntnisse bringen, und eine etwas genauere Fragestellung
gewinnen lässt, wie früher, so mag das als ein sehr geringer
Fortschritt erscheinen. Ich halte es aber für besser, mich zunächst
hiermit zu begnügen, als irgend eine Hypothese aufzustellen, die
vielleicht im Anfang Aufmerksamkeit finden würde, um nach eini-
ger Zeit das dunkle Schicksal anderer zu theilen.
Das Ergebniss, auf das es mir für jetzt besonders ankommt,
ist die Wahrung der Möglichkeit, den Zelltheilungsvorgang
überall auf prineipiell und fundamental gleiche Er-
scheinungen zurückzuführen, und damit der Annahme überall
gleicher spielender Kräfte. Raum zu lassen. Wenn es so grosse
morphologische Verschiedenheiten gäbe, wie Strasburger und
Andere dies noch annehmen, und mit der Voraussetzung gleicher
wirkender Kräfte vereinbaren zu können glauben; so würde mir
die letztere Annahme unmöglich werden. Ich gebe sie aber nicht
auf. Ich habe hier versucht zu beschreiben, was an meinen Ob-
jeeten deutlich zu ersehen ist, und damit zu vereinbaren, was An-
dere gesehen haben, wenn letzteres auch zum Theil recht schwer
und nur durch Vermuthungen möglich war. Ich überlasse es nun
dem Leser zu urtheilen, ob er lieber fundamentale Verschieden-
heiten annehmen, oder mit mir denken will, dass ein genauerer
Einblick auch bei anderen schwierigeren Objeceten noch Ueberein-
stimmungen mit dem Typus herausstellen wird, der hier darge-
legt wurde.
Uebrigens bin ich ganz darauf vorbereitet, dass meine Anga-
ben über diesen Typus an vielen Stellen zunächst wenig Glauben
finden werden. Namentlich betrifft dies die Schilderung der Schei-
dung der Kernfigur in ihre Tochterhälften, welche in diesem Ab-
schnitt unter den Titeln: „Die Segmentirung der Kernfäden“ und:
„Die Umordnung der Sternform zur Aequatorialplatte“ gegeben
ist. Ich sehe ja aus den neuesten oben besprochenen Arbeiten,
dass die besten Beobachter unter meinen Mitarbeitern sich noch
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 233
nicht von der Annahme trennen können, dass erst in der Phase
der Aequatorialplatte oder Kerntonne eine Trennung, eine Zerreis-
sung von vorher zusammenhängenden Elementen erfolgen müsse, weil
es an den relativ kleinen, oder sonst ungünstigen Elementen ihrer
Objecte so aussieht. Da ich einen ziemlichen Theil dieser Objecte
nachuntersucht habe, so darf ich mir das Urtheil erlauben, dass
es dort zwar so aussieht, aber nicht so zu sein braucht, vielmehr
ganz gut ebenso sein kann wie bei Salamandra. Deshalb sehe
ich ruhig den Zweifeln entgegen, die sich wahrscheinlich gegen
die hier gegebene Darstellung erheben werden. Es wird ja wohl
einmal ein Untersucher mit der erforderlichen Sorgfalt die Kern-
theilung bei Salamandra nachprüfen; dann wird er finden, was
ich beschrieben habe — und ausserdem hoffentlich noch mehr —
und wird bestätigen müssen, dass meine Construction des Vorgan-
ges ihre hinreichende Begründung hat, so seltsam sie auf den
ersten Blick Demjenigen erscheinen mag, der die Vorzüge dieses
Objeetes noch nicht aus eigener Anschauung und aus dem Ver-
gleich mit anderen kennt.
Absehnitt 3.
Ueber die Entwicklung der Samenfäden bei Salamandra.
Ich habe diesen Gegenstand im Sommer 1879 zur Untersu-
ehung genommen, hauptsächlich, um damit vielleicht etwas Neues
über die Lebenerscheinungen des Zellkerns zu erfabren. Denn
dass die Spermatozoenköpfe sich aus der Substanz von Zellkernen
hervorbilden, kann man nach den vielen neueren Arbeiten über
dies Thema wohl ausgemacht nennen. Wenn auch einige Unter-
sucher (v. Ebner, Neumann) der Ansicht sind, dass die Gebilde,
welche die Köpfe liefern, durch eine freie Neubildung im Zellpro-
toplasma entstehen, so wird doch auch von ihnen den entsprechen-
den Gebilden die Natur von Kernen nicht direct abgesprochen.
Es fragte sich also für mich, was sich an den günstigen,
grosskernigen Elementen von Salamandra über das Wesen des
234 Walther Flemming:
Vorgangs ergeben würde, und ob irgend eine Stütze für eine freie
Kernbildung, im eben gedachten Sinn, sich finden liesse.
War Letzteres nicht der Fall — und das habe ich freilich
a priori vermuthet — so ergab sich eine andere Frage. Wenn das
Material, das die männliche Keimdrüse dauernd oder periodisch neu
zu liefern hat, nicht auf Grund freier Zellbildung, sondern nach
dem bisher allein bekannten Modus, durch Zelltheilung entsteht,
so müssen sich hier massenhafte Zelltheilungen finden; und das
wird auch gewiss von allen den Forschern, die eine freie Kern-
bildung hier nicht annehmen, vorausgesetzt. Aber unter allen den
vielen und genauen Specialuntersuchungen, die über die Sperma-
togenese angestellt wurden, ist keine, in welcher sich indirecte
Kernvermehrung bei Wirbelthieren in den Samendrüsengängen
beschrieben findet '). v. la Valette St. George, bei dem man
die Vermehrungsart der Hodenepithelien besonders nahe berück-
sichtigt findet, schildert sie durchaus unter dem Bilde einer di-
reeten Kermn- und Zellabsehnürung. Kommt solche hier wirklich
vor? Oder wenn nicht, was ist der Grund, dass bei den vielen
Studien über den Gegenstand hier die indireete Kerntheilung nicht
schon massenhaft gesehen worden ist ?
Dass sie hier im Hoden überhaupt sich findet, war mir von
vornherein sicher durch eine Angabe von J. Spengel (26). Auf
S. 31 dieses Werks beschreibt derselbe aus dem Hoden einer Coe-
eilia rostrata eine Zelle mit einer sternförmigen, durch Hämatoxylin
stark gefärbten Figur an Statt der Körner, und ferner von verschie-
denen Gattungen (besonders Epierium glutinosum, Taf. II. e.
Fig. 23 u. 32): „dass an einzelnen Zellballen des Hodens fast
sämmtliche Kerne in höchst eigenthümlicher Weise umgebildet
waren: es fand sich an ihrer Stelle eine oft wunderbar gestaltete,
in Hämatoxylin beinahe schwarz gefärbte Figur, die ich am Lieb-
sten mit chinesischen Schriftzeichen vergleichen möchte.“ Es sind
dies nach den Zeiehnungen jedenfalls Kerntheilungsfiguren, durch
die Aufbewahrung in Alkohol etwas verstümmelt. Spengel selbst
sagt weiter: „Da so umgewandelte Zellen sehr oft wiederkehren,
in verschieden behandelten Präparaten, und stets massenhaft bei-
sammen, so bin ich geneigt auch diese Bilder auf Zelltheilungen
1) Abgesehen von der gelegentlichen Angabe von Spengel (l. e.), die
im Text alsbald zur Sprache kommt.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 235
zu beziehen.“ Diese vorsichtige Ausdrucksweise ist dadurch er-
klärlich, dass zur Zeit der Abfassung (vor 1876) die ersten An-
gaben über Gewebszellentheilung (Strasburger, Mayzel 1875),
dem Verfasser noch kaum bekannt sein konnten.
Ausserdem wissen wir ja schon durch Bütschli und Auer-
bach (Lit. siehe im I. Theil), dass bei Wirbellosen (Arthropoden),
die Theilung der Spermatozoen-Keimzellen mit Fadenfiguren ein-
hergeht ?).
In der That habe ich denn auch gefunden, dass die Ver-
mehrung der Hodenepithelkerne resp. Zellen von Sala-
mandra, behufs der Samenfädenbildung, mit indirecter
Kerntheilung verläuft. — Diese findet sich zur Zeit vor der
Samenreifung in solchen Massen, dass es nicht motivirt.
ist, daneben noch an irgend einen anderen Theilungs-
modus, etwa directe Kernzerschnürung, zu denken; und
ausserdem ergiebt sich kein positiver Befund, der für einen solchen
andern Modus sprechen könnte.
Der Grund aber dafür, dass von diesen massenhaften indirecten
Theilungen im Hodenepithel bei Wirbelthieren noch nichts bekannt
geworden war, liegt grossentheils darin, dass dieselben schub weise,
und auf kurze Zeiträume zusammengedrängt, verlaufen,
in den (viel grösseren) Intervallen aber sistiren. Wer mit seiner
Untersuchung in die Intervalle geräth, hat keine Aus-
sicht, auch nur eine einzige Theilung zu finden 3). Die
Aufklärung hierüber folgt am Schluss.
1) Während meiner Untersuchungen schrieb mir Mayzel, dass er sehr
schöne Kernfiguren in den Hodenzellen von Raupen gefunden hat; ebenso
dass er sich auch mit der Vermehrung der Hodenzellen bei Triton und Sala-
mandra beschäftigt habe, doch sei es ihm hier noch nicht gelungen, alle typi-
schen Theilungsfiguren aufzufinden.
2) Indem ich vermuthe, dass hierauf die negativen Befunde der Auto-
ren grossentheils beruhen, mache ich allerdings den noch unbewiesenen, aber
. wahrscheinlichen Schluss, dass es sich hierin bei Raninen und Säugethieren
ebenso verhält, wie bei Urodelen.
Ein weiterer Grund für jene negativen Befunde liegt aber auch in den
bisher gebrauchten Reagentien. Kali bichromiecum z. B. zerstört die Kern-
figuren (Siehe Lit. 13).
236 Walther Flemming:
Während des April, Mai und Juni habe ich vergebens eine
ziemliche Anzahl von Salamandramännchen getödtet; keine Thei-
lung war im Hoden zu finden. In der letzten Hälfte des Juli tra-
ten dieselben in Menge auf, und waren dann bis gegen Ende Sep-
tember, doch in abnehmender Masse, anzutreffen. Gleichzeitig mit
den ersten Theilungsschüben im Juli trat auch die erste Spermato-
zoenbildung auf, anfangs spärlich und bis gegen Ende September an
Frequenz zunehmend !). Aber beides findet sich auch dann kei-
neswegs durch die ganze Geschlechtsdrüse gleichmäs-
sig verbreitet.
Die Hoden von Salamandra, Triton u. A. bestehen, wie durch
die Untersuchungen von Leydig (21), Duvernoy (20) und Spen-
gel (l. e.) bekannt ist, aus einer Reihe grösserer und kleinerer,
an Aesten des Samenganges aufgereihten Abschnitten oder Lap-
pen, von verschiedener Farbe, die, entsprechend Leydig’s Be-
schreibung 1. e., etwa zwischen grau, weiss und blass-schwefelgelb
wechselt. Es fällt auf, dass beiderseits nicht nur die Zahl der
Lappen gleich, sondern auch die Grösse, Form und auch Farbe
der symmetrisch gegenüberliegenden nahezu eine und dieselbe
ist. Ich muss mich Spengel in der Annahme anschliessen, dass
diese segmentirte Form „nur das Resultat complieirter Wachsthums-,
Degenerations- und Regenerationsvorgänge sei“ (l. c. p. 65). Die
verschiedene Farbe der Abschnitte aber ist jedenfalls bedingt
durch den Entwicklungszustand der Drüsenepithelien, wie dies
schon Leydig erkannt hat (l. e. p. 74).
Leydig sagt an dieser Stelle von den jüngeren Entwick-
lungsstufen: „In den grauen Lappen haben die kurzen Drüsen-
schläuche keine Spermatozoiden, sondern sind von grossen, 0,0120mm
messenden Zellen angefüllt. Der Inhalt der Zellen ist blass, fein-
körnig, der grosse Kern hat mehrere Nucleoli.“ — Es muss hier-
nach zufällig Leydig ebensowenig, wie einem anderen Beobach-
ter bei Salamandra und Triton geglückt sein gerade einen Thei-
lungsschub zu treffen; denn sonst würden die massenhaften und
1) Ob diese Zeitverhältnisse an allen Orten und bei in Freiheit leben-
den Thieren die gleichen sind, kann ich nicht sagen. Die von mir benutzten
Salamander waren aus Prag, Tübingen und Heidelberg bezogen (einige schon
überwintert, die meisten diesjährig), wurden in grossen Behältern mit Moos
und Erde halb im Freien gehalten und mit Regenwürmern gefüttert.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 237
auffallenden Kerntheilungsfiguren hier gewiss von ihnen nicht un-
bemerkt geblieben sein.
Mein Präparationsverfahren war: 1. Untersuchung des frischen
Objects, Anschneiden des Hodenlappens, etwas Zupfen, Abstreichen
der hervorquellenden Flüssigkeit auf das Objectglas, Eindeekung
ohne Zusatz. 2. Ebenso, und Färbung auf dem Objecetglas mit
Bismarckbraun in Essigsäure gelöst !), oder ebenso, nach vorheriger
Pikrin- oder Chrombehandlung, mit Hämatoxylin. 3. Schnitte vom
in Alkohol abs. gehärteten Hoden, Färbung mit Carminalaun.
Was zunächst die ruhenden Epithelzellenkerne angeht, so ist
Leydig’s Aeusserung „sie hätten mehrere Nucleoli“, wohl nicht
wörtlich zu nehmen, sondern auf ihre sehr dichten und diekbal-
kigen Reticula zu beziehen (Fig. 37, 48 Taf. 3). Offenbar liegt
das gleiche in der Abbildung Spengel’s vor (l. e. Fig. 27, 28
Taf. II), obschon auch er nur Körner gezeichnet und ihre Ver-
bindung zu Netzen nicht beachtet hat?). Uebrigens sind die Balken
nicht gleichmässig dick, sondern enthalten zahlreiche Knoten. —
Diese diehten, grobbalkigen Kernnetze scheinen
eine allgemeine Eigenthümlichkeit der Hodenepithelien
zu sein, auch bei Wirbellosen: ich verweise u. a. auf die Abbil-
dungen von Grobben (Decapoden), Lit. Th. I.
Das Protoplasma der Hodenzellen kann ich nicht eben fein-
körnig nennen: frisch sieht es homogen aus und enthält einzelne,
aus Fett oder Leeithinkörpern bestehende Körnchen, an Essigprä-
paraten sieht man darin oft Streifungen, ähnlich wie sie im Plasma
frischer Knorpelzellen vorkommen (Th. I, Taf. 15 Fig. 2e).
In einem Hodeneanalabschnitt ?), der keine Theilungen hat,
sind die Epithelzellen alle von etwa gleicher, und zwar bedeu-
1) Diese bequeme Kerntinction verdanke ich einer brieflichen Mittheilung
von Mayzel. Die Präparate blassen leider in Glycerin nachträglich oft ab;
im Anfang sind die Tinctionen schön und scharf. Die Bismarckbraunfärbung
ist, wie bekannt, von Weigert angegeben.
2) Offenbar entsprechen wohl diesem Zustand der Kerne auch die Ab-
bildungen, welche v. la Valette in Fig.5, 6 Taf. 34, Fig. 34, 35, 36 Taf. 35
giebt und als zweites Bildungsstadium der. Spermatocyten bezeichnet.
3) Damit ist nicht ein ganzer Hodenlappen gemeint, sondern nur
eine gewisse, variabel grosse Strecke seines Canalsystems. Ehe die Theilun-
gen überhaupt beginnen, können aber allerdings selbst durch den ganzen
Lappen hindurch die Elemente von gleicher Grösse sein.
238 Walther Flemming:
tender Grösse. Wo schon Theilungen geschehen sind, finden sich
in verschiedenen Stufen kleinere Zellen resp. Kerne; und zwar
immer solche von gleicher Grösse haufenweise bei einander.
Und wo man Theilungen in flagranti findet, da liegen sie gleich-
falls in grosser Ausdehnung haufen- oder nesterweise (8.
Fig. 48a), offenbar ganz dasselbe, was Spengel bei Epicrium
elutinosum gesehen hat (L. ce. Fig. 26).
Wie von la Valette St. George!) gefunden und ausführ-
lich beschrieben hat, geschieht die Spermatogenese bei Anuren
(Frosch, Kröte) in der Weise, dass die Hodenepithelzellen durch
Kernvermehrung zu grossen Mutterzellen anwachsen, zugleich aber
durch interne Zellenabgrenzung den Charakter von blossen viel-
kernigen Zellen verlieren. v. la Valette hat diese Gebilde passend
Spermatocysten genannt, die Inhaltszellen, aus denen je ein
Samenfaden entsteht, Spermatocyten. Er nimmt an, dass bei
Triton und Salamandra ganz die gleichen Verhältnisse vorliegen.
In der That lässt sich das, was ich beschrieben und weiter
zu beschreiben habe, mit diesen Angaben gut vereinigen. An
frischen Zupfpräparaten sowohl von solchen Stellen, die noch keine
Theilungen haben, als von solchen mit Theilungen, findet man
zahlreiche mehr- und vielkernige Zellen wie in Fig. 49, be-
ziehungsweise Zellen mit mehreren oder vielen Theilungs-
figuren, wie in Fig. 50—52. Ich habe solche Schollen gesehen,
die über 12 Kernfiguren der gleichen Phase führten; bis zu sol-
chen Zuständen ist das Protoplasma der Zelle noch vielfach ein
Ganzes, keine Abgrenzung im Zellenterritorium lässt sich darin
sehen — ich bemerke, dass ich besondere Aufmerksamkeit auf
diesen Punct verwandt habe, und dass die Abwesenheit von Zellen-
srenzen hier ganz leicht und sicher festzustellen ist, da die mehr-
fachen Kerne vielfach einander berühren (Fig. 49). Bei stär-
kerer Kernvermehrung (und vielleicht auch manchmal schon bei
geringerer tritt dann aber die Abmarkung von Zellenleibern ein.
In jedem Zupfpräparat findet man als grösste Masse der vorhan-
denen Elemente zwar nicht Spermatocysten, sondern einzelne
Zellen mit ruhenden Kernen oder Kernfiguren, wie sie die Figg.
36—47 zeigen; aber es steht natürlich der Annahme nichts im
Wege, dass diese sämmtlich aus zerstörten, geplatzten Spermatocysten
1) Vierte Mittheilung ete., in diesem Archiv.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 239
frei geworden sind. Und der Befund an Schnitten von gehär-
teten Hoden bekräftigt es hinreichend, dass die gesammte Samen-
zellenvermehrung auch hier auf jenem von v. la Valette entdeckten
Wege der endogenen Zellbildung vor sich geht. Die Schnitte zeigen,
dass in der That jene Haufen oder Bezirke im Epithel der Ca-
näle, die wie oben gesagt, Theilungen von gleichen Phasen,
oder Kerne von gleicher Grösse führen (Fig. 48 T. 3), dem
Inhalt je einer Spermatocyste entsprechen; man kann viel-
fach deutlich am Schnitt die kernhaltige Cystenmembran erkennen
(Fig. 48)1).
Auffallend ist bei Salamandra nur die Grösse der Sperma-
toeysten, die Massenhaftigkeit der Zellenvermehrung in ihnen: denn
es kann hier als das Gewöhnliche gelten, dass eine Cyste es auf
viele Hunderte von Tochterzellen bringt, während bei Anuren,
wenigstens nach v. la Valette’s Zeichnungen zu urtheilen, diese
Zahl geringer bleibt.
Nur in einem wesentlichen Punct also differiren meine bisher
besprochenen Befunde von denen v. la Valette’s, und können
zu ihrer Ergänzung dienen: er hat keine Bilder indirecter Zell-
theilung gefunden, der Art wie die hier beschriebenen, sondern
er lässt die Kerne sich durch Abschnürung (,„Furchung“, dies.
Arch. Bd. 12 p. 820) theilen ?) (viele seiner Figuren |. e.). Dies
beruht aber wohl nur darauf, dass v. la Valette gerade keine
Theilungsschübe getroffen hat, vielleicht auch darauf, dass die
Kernfiguren bei den kleineren Elementen seiner Objecte schwieriger
zu erkennen sind. Als Vermuthung möchte ich es immerhin äus-
sern, dass die eigenthümlichen Bilder der Kerne in einigen Oysten
seiner Fig. 34 (Bombinator) Kernfiguren entsprechen könnten.
Von den Eigenthümlichkeiten, welche die Formen der Kern-
figuren in den Hodenzellen gegenüber anderen’Zellenarten zeigen,
ist schon oben im Abschnitt 2 die Rede gewesen, auf den ich
1) Dagegen habe ich nicht feststellen können, dass an meinen Objecten
ausserdem noch bindegewebige, radiär durch die Canäle ziehende Septa
vorkämen, wie sie von la Valette bei Anuren gefunden und unter dem
Namen Follikelhaut beschrieben hat.
2) Doch halte ich es für möglich, dass der Fig. 4 und Fig. 119 in
von la Valette’s neuester Abhandlung (Fünfte Mitth., dieses Archiv 1878,
p- 261) indirecte Kerntheilungen zu Grunde gelegen haben; er deutet diesel-
ben aber nicht in dieser Weise.
240 Walther Flemming:
hier verweise. Es mag nur noch besonders betont sein, dass der
synchronische Verlauf der Theilungen aller Kerne oder
Tochterzellen in je einer Mutterzelle oder Spermatoeyste
zwar durchaus als die Regel anzusehen ist, daher eben die haufen-
weise Vertheilung gleicher Theilungsphasen; dass aber von dieser
Regel doch auch zahlreiche Ausnahmen vorkommen.
An den Hoden von Rana temporaria habe ich zum Ver-
gleich einige Prüfungen im Lauf des October vorgenommen, und
auch hier bei einigen Thieren Stellen (resp. Cysten) mit indireeten
Kerntheilungen gefunden, wenn auch bis jetzt nicht zahlreich. Es
ist nicht zu zweifeln, dass es sich bei den Anuren mit den Thei-
lungen ganz ähnlich oder gleich verhalten wird wie bei den Uro-
delen, da die ganzen Verhältnisse der Spermatocystenbildung in
beiden Fällen doch wohl homolog sind. Ich habe es daher für
überflüssig gehalten, noch weiter bei Fröschen nach Theilungen
zu suchen.
Ich wende mich nun zu der Entwickelung der Samen-
fäden aus den Zellen der Cysten.
Zur Orientirung vorher einige Worte über die fertigen Samen-
fäden der Urodelen. Ihr Bau ist lange bekannt (Leydig, Lehrb.
der Hist. u. a. a. O.), besonders genau von Schweigger-Seidel
(23, 1865) bei Triton beschrieben: sie bestehen danach (Fig. 54
hier) aus dem lang spiessförmigen Kopf k, dem kurz eylindrischen
Mittelstüick m und dem, mit undulirendem Kamm versehenen
Schwanz (f). Schweigger-Seidel hat bereits gefunden, dass auf
Essigsäurezusatz das Mittelstück aufquillt und eine feine Membran
sich vom Kopfe abhebt (l. e. Fig. B. 4, hier 54). Auch die Tinetions-
fähigkeit bei Carminbehandlung hat Schweigger-Seidel geprüft,
und festgestellt, dass das Carmin bei vorsichtiger Anwendung nur
das Köpfchen des Samenkörpers, nicht Mittelstück und Schwanz
färbt (p. 326) !).
1) Die Stelle auf Schweigger-Seidel’s p. 315 a. a. O., nach welcher
sich bei Triton das Mittelstück (b) gefärbt hätte, scheint mir ein Druckfehler
zu sein, da er diese Sache sonst wohl auf p. 326 hätte erwähnen müssen.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 241
Er hat bei diesen Färbungen nach eigner Angabe viel
Schwierigkeiten gehabt, und sie sind nur blass gerathen. Unsere
"heutige Tinetionstechnik macht die Sache leichter. Ich habe seit
lange die gewöhnliche Färbung mit Methylviolett, oder anderen
Anilinen in Cursen benutzt, um an Hodenschnitten zu zeigen,
dass die Samenfädenköpfe Kernen entsprechen: sie färben sich
damit brillant. Sehr brauchbar ist dazu auch das Alauncarmin
(Fig. 56 hier), mit Untersuchung in Wasser oder Glycerin: der
Kopf allein ist scharf rosenroth gefärbt, das Mittelstück ganz nnge-
färbt, glänzend, Faden und Kamm blass und farblos.
Auf die weiteren Feinheiten im Bau der Samenfäden, welche
an anderen Objeeten von mehreren Forschern, besonders genau
von Th. Eimer (24) studirt worden sind, habe ich hier noch nicht
einzugehen, und wende mich nunmehr zu der Spermatogenese.
Es existirt, so viel mir bekannt ist, nur eine kurze Beschrei-
bung und wenige Abbildungen v. la Valette’s, welche den Vor-
gang der Samenfadenbildung bei Salamandra betreffen !). Es heisst
dort: „Der Kern streckt sich und wird zum Kopfe des Samen-
körpers. Mehrfach sieht man ihn eingerollt in der Zelle. Seine
äusserste Spitze bildet in der Länge von 0,008 mm einen vom üb-
rigen Kopfe deutlich abgesetzten Anhang. Die zwei, von v. la
Valette gezeichneten späteren Entwicklungsstadien der Fäden
(l. e. Fig. VII, 5, 6) entsprechen im Ganzen der Fig. 55ab ec hier.
Uebrigens lässt er es möglich, dass das Mittelstück bei Urodelen nicht ganz
dem bei Raninen entsprechen möge.
Während des Schreibens dieser Arbeit erhalte ich Nr. 76, October, des
Quart. journ. mier. science, mit dem Aufsatz von Heneage Gibbes: Struc-
ture of the Vertebrate Spermatozoon. Der Verfasser beschreibt die be-
kannten, hier oben erwähnten Formeigenschaften der Urodelen-Samenfäden,
wobei man eine Erwähnung der früheren Literatur, namentlich Schweigger-
Seidel’s, vermisst. Als neu hat Gibbes gefunden, was ich bestätigen
kann, dass der Rand des undulirenden Flossenkammes sich als ein ver-
dickter, spiraliger Strang darstellt (filament, Gibbes). Bezüglich der Tinc-
tion findet der Verfasser, wie Schweigger-Seidel und ich (s. hier oben),
dass das Mittelstück sich gegen Färbung nicht wie der Kopf, sondern wie
der Schwanz verhält.
Die wichtigste, und höchst interessante Angabe von Gibbes ist jeden-
falls die, dass die Samenfäden der Säugethiere ebenfalls ein ‚‚filament“,
also ein Homologon des Flossenkammes besitzen.
1) Zweite Mittheilung, dies Archiv, Bd. II.
242 Walther Flemming:
Die drei bei ihm dargestellten jungen Stadien dagegen (Fig. VII
2, 3, 4), die als „Zellen mit verändertem Kerne“ erläutert sind
und nur einen nach und nach sich verlängernden Kern im Innern
einer kleinen Zelle zeigen, enthalten nicht ganz das, was ich ge-
funden habe.
Man braucht im August und September nicht lange zu suchen,
um auf Thiere zu treffen, in deren Hoden alle Bildungsstadien der
Samenfäden neben einander vorliegen. Fig. 53 und 55 zeigt ihre
Bilder vom frischen Präparat, ohne Zusatz; Fig. 57 nach Essig-
säure-Bismarckbraun-Behandlung; Fig. 56 nach Fixirung mit Alko-
hol und Alauncarminfärbung.
Allerdings ist es mit der Samenzellenbildung in sofern ge-
rade so wie mit den Theilungen, dass sich die Elemente einer
Cyste fast alle im gleichen Stadium befinden; und der Leser
könnte sich deshalb wundern, dass in den betreffenden Abbildun-
gen die verschiedenen Entwicklungsstadien bunt durcheinanderlie-
gen. Dafür ist zu berücksichtigen, dass diese Bilder nach Prä-
paraten gezeichnet sind, die von der frisch abgestrichenen Flüs-
sigkeit aus dem angeschnittenen und zerzupften Hoden, mit Fixi-
rung und Färbung, auf dem Objectglas gemacht wurden: dabei
serathen natürlich vielfach die Elemente aus verschieden weit
entwickelten Cysten durcheinander, und es sind gerade solche
Stellen, die zum Zeichnen ausgesucht wurden.
Es fällt vor Allem auf, dass die Figur, die sich offenbar
als die Bildungsgrundlage des Samenfadenkopfes ausweist (Fig. 53,
56, 57), nicht ein Kern ist und nicht als solcher in der
Zelle liegt, wie es v. la Valette’s Figuren entsprechen würde;
sondern der künftige Kopf ist eine Substanzportion desKerns
und liest in diesem, umschlossen von der Kernmembran k m.
Und weiter fällt es sofort auf, wenn man einen vergleichenden
Blick auf die gefärbten Präparate wirft, dass dieser Körper, der
zum Kopf wird, nichts anderes ist als die tingirbare Substanz
des Kerns. Wie sich dieselbe sondert, zeigt am Klarsten die
Fig.57. Durch die Essigsäure und Farbe sieht man an den noch
nicht in Umwandlung getretenen Kernen hier die sehr dichten,
srobbalkigen Retieula scharfmarkirt; die jungen Köpfe sind an
Masse und Quantität der Farbe, die sie aufnehmen, klärlich gleich
mit der Substanz des Netzwerks, addirt mit der färbbaren Sub-
stanz, die noch in der Zwischenmasse des Kerns vertheilt, ge-
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 243
steckt hat; sie selber sind in diesen ihren jüngsten Stadien
netzförmig gebaut (a b e)'!) in den folgenden (d) verdichten sie sich
immer mehr und verschmelzen endlich (e, f) zu einer homogenen
Masse. Bei solehen Reagentienwirkungen, wo die Retieula über-
haupt nicht deutlich hervortreten ?), s. Fig. 56, hat man ganz ent-
sprechende Bilder: es sind hier die jungen Köpfe gerade ebenso,
wie die noch unveränderten Kerne, scheinbar ohne Retieulirung;
aber die Gesammintensität der Farbe zeigt sich auch hier
grösser am jungen Kopf als am noch unveränderten Kern, und
wiederum am gereiften Kopf grösser als am jungen.
Man braucht diese Bilder nur kurz anzusehen, um sofort den
Schluss zu ziehen: es ist nicht der ganze Kern, sondern
die tingirbare Substanz des Kerns, das Chromatin, was
zum Samenfadenkopf wird.
Die Formen nun, welche der junge Kopf successiv annimmt,
sind in Fig. 56 und 57 successiv gezeigt; es ist zuerst ein längli-
ger und dabei umgeknickter, nicht rein eylindrischer Strang, der
immer mehr in die Länge wächst, dabei dünner wird, und zugleich
an Liehtbreehungsvermögen (und ebenso an Tinctionsfähigkeit)
zunimmt. Je länger er wird, desto mehr windet er sich, und es
entstehen dabei in den Stadien der Fig. 53 u. 57e knäuelför-
mige Anordnungen, die den Knäuelformen bei der Zelltheilung
(z. B. Fig. 36) sehr ähnlich sein können; man könnte sie fast mit
solchen verwechseln, wenn nicht in Hodenabschnitten, bei denen
die Samenfadenbildung schon im Gang ist, die Theilungen über-
haupt ganz fehlten oder doch nur selten noch vorkämen.
Weiter liegt der immer schlanker gewordene Kopf in schön
geschwungener Spiralanordnung innerhalb des Kerns: das
dickere Ende ist das hintere (Fig. d, e, fu.a.).
Der Contour des Kerns, also die Kernmembran (k m) ist in
Stadien, wie Fig. 56 f, meist deutlich wahrnehmbar; von da ab
getraue ich mir nicht mehr zu sagen, wo er geblieben ist. In
Formen, wie 568 und 57 d, f sieht man zu beiden Seiten des Ko-
pfes meist einen blassen, aber deutlichen Substanzstreifen entlang-
laufen, so wie ihn die Zeichnungen angeben; es scheint mir dies
aber sicherlich schon die Anlage des Schwanzes zu sein und
1) Bei a in Fig. 57 (rechts) ist der Buchstabe a vergessen.
2) Ich verweise zur Erläuterung dieser Wirkungen auf Th. I, p. 329 ff,
244 Walther Flemming:
ich muss mit den früheren Forschern annehmen, dass dieser aus
dem Plasma der Zelle, nicht aus dem achromatischen Rest des
Kerns entsteht. Den Verbleib dieses Restes möchte ich vielmehr
anderswo suchen: wenn man zu dem reifen Samenfaden Essig-
säure setzt, so hebt sich, wie Schweigger-Seidel fand, vom
Kopf eine zarte, vorher unsichtbare Membran ab, die nicht tingir-
bar zu sein scheint. Ich möchte vermuthen, dass dies das Resi-
duum der achromatischen Kernsubstanz ist.
Das Mittelstück des Samenfadens wird seit Schweigger-
Seidel allgemein als ein Produet der Zellsubstanz, nicht des
Kerns angesehen; dafür besteht der gewichtige Grund, dass es
sich bei Kerntinetionen nicht färbt. Ueber seine Entwicklung,
einen jedenfalls wichtigen Punkt, habe ich noch nichts sicher aus-
machen können. Der Vorgang kann kaum anders gedacht werden
als in der Art, dass das dickere (dem künftigen Schwanze zuse-
hende Ende des Kopfes (Fig. 57 bei e) mit dem Zellplasma jetzt
in Verbindung tritt, und zwar in der Art, dass diese Verbindungs-
stelle (als „Mittelstück“) differenzirt bleibt. — Die Kernmembran
ist an solehen Formen (wie eben an der Stelle Fig. 57 e) oft noch
gut erkennbar, aber es ist nicht sicher zu entscheiden, ob sie an
der betreffenden Stelle wirklich klafft, oder nur eine Falte macht.
Die fast reifen Samenfädenköpfe in meiner Fig. 55 — For-
men, wie sie auch schon v. la Valette (a. a. O.) bekannt waren
— haben an variablen Stellen, oft an mehreren zugleich, seitlich
blasse, plattenförmige Substanzreste ansitzen (s. v. la Valette’s
und meine Figuren), und ebensolche Substanz findet sich einge-
schlossen von den spiraligen Windungen der Köpfe (ebenda). Es
sieht am meisten danach aus, dass diese Substanz nicht dem Zell-
protoplasma entstammt, sondern den Rest des Achromatins im
Kern darstellt, welehes nach und nach ganz zu der oben erwähn-
ten, hyalinen Hülle des Kopfes verdichtet wird.
An diesen Stadien fällt noch ein, bisher unbeschriebenes
Merkmal auf: auf das Mittelstück folgt gegen den Schwanz zu
zunächst eine Verdünnung, dann ein kleines, meist rauh contourir-
tes Knötehen, das direet in den Schwanzfaden übergeht (Fig. 55 ab
bei k). Die Verdünnung ist nicht mit dem „Hals“ der Samenfä-
den gleichzusetzen, welcher von Eimer (l. ce.) bei anderen Objec-
ten entdeckt wurde; denn dieser folgt direet nach hinten auf den
Kopf, jene Verdünnung aber auf das Mittelstück. — Uebrigens ist
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 245
am reifen Samenfaden von Salamandra weder die Verdünnung
noch das Knötchen mehr erkennbar.
Ueber die Bildung des Schwanzes und seines Flossenkam-
mes habe ich bisher nichts mit Sicherheit ermitteln können; dass
diese Theile aus dem Protoplasma des Spermatocyts gebildet wer-
den ohne Mitbetheiligung der Kernsübstanz, lässt schon ihr nega-
tives Verhalten gegen Kernfärbungsmittel schliessen. Denn das
Achromatin des Kerns würde seiner Masse nach bei weitem nicht
ausreichen, um jene Theile zu liefern; und ausserdem konnte ich
ja den Verbleib des Achromatins anderswo finden.
Es scheint mir jedoch, dass der Schwanzfaden und Kamm in
folgender Art entstehen: das Zellplasma faltet sich zwischen die
Windungen, in die sich der Kopf legt, hinein, indem es sich so
zu einem gleichfalls gewundenen Strange verdichtet, der nachher
mit dem Kopf sich allmählig grade streckt. So liegt er denn zu-
nächst neben dem Kopf entlang gelagert, sein freies Ende nach
derselben Seite hin gekehrt, wie das des Kopfes (Fig. 55 d) — eine
Lage, — in der diese jungen Samenfäden in der That oft ge-
funden werden, wo sie nicht schon durch die Präparation ver-
zerrt sind (in Fig.55 a,b, c hat der Schwanz zwar im Ganzen
noch diese Lage, hat sich aber schon etwas daraus gelöst). — Dies
entspräche auch dem Situs, den bei Bombinator igneus Kopf und
Schwanz bleibend gegeneinander behalten (vergl. die Angaben
Eimer’s a. a. 0).
Was die späteren Entwicklungsstadien der Samentäden, bez.
Spermatocysten angeht, so habe ich die Ergebnisse v. laValette’s!)
nur zu bestätigen. Ich gebe in Fig. 58 noch einen Ueberblick
von einem Hodenschnitt, welcher Durchschnitte mehrerer Cysten
verschiedener Entwicklungsstufen zeigt; in jeder Cyste sind die
Fäden alle ganz oder nahezu im gleichen Ausbildungsstadium.
Das wesentlichste allgemeine Ergebniss dieser Befunde lässt
sich in Folgendem ausdrücken:
Man kann die Zelltheilung einen ungeschlechtlichen
Fortpflanzungsprocess nennen. Bei ihr sondert sich das Chro-
matin des Kerns vom Achromatin, sammelt sieh zu typisch geform-
1) S. dessen Mittheilung in dies. Arch. Bd. 12, Fig. 31, 32 u. a. a. O,
246 Walther Flemming:
ten Figuren und scheidet sich in zwei Theile, die die Grundlagen
der Tochterkerne abgeben.
Es giebt nun jedenfalls zu denken, dass, wie ich hier gezeigt
habe, bei der geschleehtlichen Fortpflanzung, der Conju-
gation von Samenzelle und Eizelle, die Vorbereitung der ersteren
zu diesem Vorgang in der Hauptsache den gleichen Charakter
trägt wie dort: auch hier eine morphologische Trennung des Chro-
matins, das offenbar den wesentlichen Theil, so zu sagen das Be-
fruchtungsorgan des Samenfadens liefert, nämlich den Kopf, —
von dem Achromatin.
Es stellt sich damit von selbst die Frage, ob auch bei der
Vorbereitung des Kerns der Eizelle, also bei der Reifung des
Eies im Ovarium, sich eine entsprechende Scheidung beider Sub-
stanzen ausspricht !).
Was im Speciellen in meinen Befunden gegenüber denen v.
la Valette’s (s. o.) abweicht, stelle ich hier nochmals kurz zu-
sammen: Es ist nicht der ganze Kern, welcher sich streckt und
zum Kopf wird, sondern der Kopf bildet sich im Kern, aus des-
sen Chromatin. Eine abweichende Beschaffenheit der äussersten
Spitze des Kopfes konnte ich nicht constatiren. Die Zellenver-
mehrung im Hoden behufs der Samenbildung geschieht nieht mit
direeter Kerntheilung, welche überhaupt noch nirgends nachgewie-
sen ist, sondern mit indirecter.
Vor langer Zeit hat Kölliker (19) angegeben, dass beim
Meerschweinchen die in Bildung begriffenen Samenfäden spira-
lig aufgerollt im Innern der Bildungszelle lägen. Diese
Angabe hat bisher von Allen, die sich darüber äusserten, den di-
reetesten Widerspruch erfahren ?). Ich habe über die Verhältnisse
beim Meerschweinchen noch keine Erfahrung; merkwürdig und des
Notirens werth ist es aber wohl gewiss, dass hier bei einer ganz
anderen Wirbelthierform Bilder vorkommen °), die auf das Augen-
fälligste an das von Kölliker Beschriebene erinnern. Freilich
ist dabei festzuhalten: das Spiralig-Aufgewundene ist hier bei
1) Hierauf gerichtete Arbeiten habe ich seit dem letzten Frühling, ge-
meinsam mit Hrn. Stud. Wiebe, unternommen und es wird darüber im
nächstfolgenden Theil dieser Beiträge berichtet werden.
2) Vergl. u. A. Schweigger-Seidel, a. a. O.
3) z. B. meine Fig, 53 de, 56.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 247
Salamandra nicht ein Samenfaden, sondern ein Samenfadenkop f,
und liegt nicht bloss in einer Zelle, sondern in einem Kern. Auch
will ich hiermit nicht die Vermuthung aufstellen, dass ähnliche
Verhältnisse, wie diese Spirallagerung, überall vorkämen, wogegen
die Befunde Anderer wenigstens bis jetzt durchaus zu sprechen
scheinen.
Eine Darstellung übrigens, welche für die Plagiostomen
auf ein ähnliches Verhalten schliessen lässt, findet sich in dem
umfassenden unter Nr. 25 d. Lit.-Verz. eitirten Werke Semper’s.
In Fig.14 seiner Taf. 17, und dem zugehörigen Text (s. p. 262 u. a.)
beschreibt derselbe die jungen Formen der Samenfädenköpfe aufs
Deutlichste als geschwungene Stäbehen. Auch sonst lassen
sich meine Befunde in sehr Vielem mit denen Semper’s in Homo-
logie bringen; seine Ampullen sind offenbar gleiehwerthig den
Spermatocysten der Amphibien; Semper hat erkannt und in
vielen Abbildungen dargestellt, dass der Inhalt einer solchen an
Spermatozoen sich zur Zeit stets in gleichem Reifungsstadium be-
findet. Ueber die Vermehrung des Ampulleninhalts durch Zell-
theilung finde ich bei ihm keine Angaben, die mit meinen Befun-
den in sichere Beziehung zu bringen wären, möchte aber vermu-
then, dass die kleinen und eigenthümlichen Kernformen, die er in
Taf. 17 Fig. 18 dargestellt hat, vielleicht dahin gehören; bei den
ziemlich kleinzelligen Geweben der Fische wird das Detail der
Formen schwer festzustellen gewesen sein. Auch das ist hervor-
zuheben, dass Semper die jungen Spermatozoenköpfe als deutlich
inBläschen eingeschlossen erkannt hat (p.262 unten, Fig. 18b).
Er spricht diese Bläschen zwar als Zellmembranen an, viel-
leicht darf ich aber darin statt dessen die Kernmembranen
erkennen und damit auch hierin unsere Befunde in Einklang
bringen.
Im Uebrigen kann ich die vielen werthvollen Detailangaben,
die in Bezug auf andere Thierformen über die Genese der
Samenfadentheile vorliegen (Kölliker, v. la Valette, Anker-
mann, Schweigger -Seidel, v. Ebner, Merkel, v. Brunn,
Neumann, Sertoli u. A.) hier ohne eigene Kenntniss der Ob-
jeete noch nicht in Vergleich ziehen; das geht auch ohnedem aus
ihnen hervor, dass an eine durchgreifende Uebereinstimmung in
allen Einzelheiten für die ganze Wirbelthierreihe nicht zu
denken ist. Dennoch, so gross auch die morphologischen Abwei-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 18. 17
248 Walther Flemming:
chungen sind, glaube ich die Möglichkeit festhalten zu können,
dass ein Prineip sich überall wiederfinden lassen wird: die Schei-
dung der Kernsubstanz in die zwei Substanzen, die ich hier Chro-
matin und Achromatin genannt habe, und die Verwendung der
ersteren, um den essentiellen Theil des Samenfadenkopfes zu
bilden.
Ich habe mich ganz fern gehalten vom Eingreifen in die
Erörterung über die Spermatogenese, die besonders von v. la Va-
lette, Merkel, v. Ebner, Neumann und Sertoli während des
letzten Jahrzehnts geführt worden ist; denn ich wäre mit der
Untersuchung einer einzelnen Thierform dazu nicht berechtigt.
Für diese Form: Salamandra, oder ich darf wohl gleich ohne
Serupel sagen: für die Urodelen — muss ich mich den letzten
Angaben v. la Valette’s in der Hauptsache, um die es sich bei
jener Controverse bisher gehandelt hat, durchaus anschliessen:
dass sich hier, wie bei seinen Objeeten, durch Kerntheilung bez.
Zelltheilung Spermatocysten bilden, deren Inhaltszellen dann
je einen Samenfaden liefern. Es ist hierbei nicht ausgeschlossen,
dass auch eine einzelne Hodenepithelzelle, ohne sich zu theilen,
frei werden und sich irgendwo im Innern des Canals zu einem
Samenfaden umbilden könnte. Ich finde an meinem Object nichts,
was an die langgestreckten Spermatoblastenzellen anderer Autoren
und an anderes von ihnen Gesehene erinnerte; aber ihre Beschrei-
bungen sind viel zu präcise, als dass ich zweifeln könnte, dass
ihnen richtige Beobachtungen zu Grunde liegen. Die grossen Ab-
weichungen in der Form, auf welche diese Beobachtungen hin-
weisen, lassen aber meines Erachtens noch immer die Möglichkeit
zu, dass das Prineip der Spermabildung für alle Thierformen das
gleiche bleibt und sich überall im Wesentlichen auf das Gesetz zu-
rückführen lässt, das v. la Valette am Schlusse seiner fünften
Mittheilung formulirt hat.
Jedenfalls kann ich nach dem vorliegenden Material nicht
annehmen, dass ein Spermatozoenkopf sich auf andere Weise zu
bilden vermag, als aus einem vorhandenen, durch indi-
recte Theilung entstandenen Zellkern.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 249
Ich bin endlich noch Rechenschaft schuldig für die Angabe
(s. oben), dass die Theilungen der Hodenepitheiien bei Salamandra,
und wahrscheinlich wohl auch anderswo, schubweise eintreten.
— Dieser Schluss gründet sich auf Folgendes:
Wo man bei einem Salamander an irgend einer Stelle eines
Hodenlappens Theilungen gefunden hat, da finden sie sich auch
in ziemlich ebensogrosser Zahl an anderen Stellen durch den
ganzen Lappen vertheilt; und ebenso in anderen Lappen von
gleicher Farbe beim selben Thier, auch auf der anderen Seite.
Wo man umgekehrt bei der ersten Probe keine Theilungen
findet, da wird man fast immer bei demselben 'Thier auch weiter
vergeblich danach suchen.
Nun finden sich aber Thiere mit Theilungen und Thiere
ohne Theilungen stets nebeneinander während der ganzen Zeit
von Juli bis Ende September). Ich habe immer sofort, wenn ich
ein Thier mit Theilungen fand, noch einige andere untersucht, um
zu sehen ob nunmehr vielleicht allgemein die Zellvermehrung im
Gange sei; aber es fanden sich sowohl im Juli, als August, als
auch gegen Ende September auch solehe ohne Theilungen, und
zwar ziemlich in gleicher Zahl wie die anderen.
Man kann aber nicht annehmen, dass die Thiere, bei denen
man keine Theilungen gefunden hat, überhaupt an Samenfäden
steril geblieben wären: denn es fand sich um Anfang October
bei allen (7) Männchen, die ich um diese Zeit untersuchte, Sper-
matozoenbildung; und angesichts der Masse der dann gebildeten
Spermatozoenköpfe, überhaupt der gewachsenen Grösse der Hoden-
lappen, ist nothwendig anzunehmen, dass überall bei diesen Thieren
vorher eine starke Kern- bez. Zellvermehrung vor sich gegangen
sein muss.
Nach dem Allen scheint die Annahme unmöglich, dass bei
einem Thier, bei dem die Theilungen einmal begonnen haben, die-
selben nun ohne Unterbrechung fortliefen, bis die Spermatozoen-
bildung beginnt; es müssen vielmehr Pausen in den Theilungen
angenommen werden.
Doch sind diese Pausen in der genannten Zeit bei Salaman-
dra nicht so lang, dass man nicht im Ganzen doch bei jedem
1) Nur während der Zeit vom 22. August bis 15. September habe ich
mit der Untersuchung pausirt.
250 Walther Flemming:
zweiten oder dritten Thier auf Theilungen träfe.. Wenn es bei
Anuren ebenso ist, so kann man fragen, warum die Untersucher
beim Frosch nicht sehon längst die wahren Zelltheilungen ge-
funden haben. Dafür ist nicht zu vergessen, dass bei der gerin-
geren Grösse der Elemente die Kernfiguren hier nicht so leicht
zu erkennen sind. Ich habe, wie oben erwähnt, solche bei
Rana temporaria gefunden; ich glaube aber selbst, dass sie mir
entgangen wären, wenn ich vorher nicht die Formen der indi-
reeten Kerntheilung an grösseren, günstigeren Objeeten kennen
gelernt hätte !).
Der nächste Theil dieser Beiträge wird über weitere Ergeb-
nisse bezüglich der Structur von Zelle und Kern, ferner über die
Entwieklungsgeschichte und den Bau des Övarialeies berichten.
Bemerkungen zur Technik.
Bei fortgesetzter Vergleichung habe ich immer wieder bestätigt gefun-
den, dass die von mir bisher gebrauchte Pikrin- und Chromsäure, mit nach-
folgender Hämatoxylin- oder Anilinfärbung, für Wirbelthierzellen (auch
Säugethiere) vor dem Alkohol u. a. Reagentien Vorzüge hat. Dass man auch
mit ersteren Mitteln oft Schrumpfungen und Verzerrungen (mit Pikrinsäure
zuweilen auch andererseits Quellungen) der Kernfiguren und ruhenden
Kerne bekommt, geht schon aus meiner Darstellung hervor; durch die an-
dern Reagentien geschieht dies aber noch häufiger und stärker, namentlich
der Alkohol hat Neigung, die Fäden in allen Phasen mit engerer Lagerung
zusammenzuklumpen. — Essigsäure bewirkt oft das Gleiche und lässt die
Kernfäden oft etwas aufquellen, wodurch namentlich die Doppelstrahlen
unkenntlich werden können.
Doch habe ich zur Bequemlichkeit vielfach jetzt auch ängewendet:
1) directe Färbung des frischen Objects mit Essigsäure-Bismarckbraun nach
Mayzel (s. oben, Hodenzellen; jetzt auch von Peremeschko benutzt). Die
1) Ausserdem aber werden die Kernfiguren gerade durch die Reagen-
tien, welche leider für die genannten Arbeiten meistens benutzt wurden —
Chromkali, Osmium — zerstört oder undeutlich.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 251
Präparate blassen bei Aufbewahrung in Glycerin leicht ab, sind aber Anfangs
sehr brauchbar. 2) Präparate aus Alkohol, Färbung mit Alauncarmin nach
Partsch!), Darstellung nach Grenacher?). 3) Färbung von Pikrin- oder
Alkoholpräparaten mit Picrocarmin. Letzteres macht oft Quellungen, beson-
ders wenn nicht ganz neutral.
Wo man Zeit ersparen will, und es nicht darauf ankommt, Kernthei-
lungen möglichst schön zu erhalten, sondern nur ihre Hauptformen fest-
zustellen, können alle diese Methoden dienen. Die Anilin- und Hämatoxylin-
färbungen erfordern, wie früher (Th. I) gesagt, ziemliche Sorgfalt, und die
letzteren gerathen mir nur dann recht schön, wenn ich sehr langsam mit
sehr dünnen Lösungen färbe und öfter probire, um Ueberfärbung zu ver-
meiden. Doch würde ich immer nur die letzteren Behandlungen wählen,
wo es auf feineres Studium der Karyokinesis abgesehen ist.
Am Amphibienhoden habe ich bisher bei Härtung mit Chrom-
und Pikrinsäure nur schlechte Erfolge gehabt; beide härten ihn nicht genug,
machen sehr störende Gerinnungen in der Zwischenflüssigkeit, und öfter wie
anderswo Schrumpfungen der Kernfiguren. Mit Chrom- oder Pikrinbehand-
lung des frischen Hodenpräparats auf dem Objectträger nebst Färbung be-
kommt man jedoch gute Erfolge (s. Fig. 42 bis 47 Taf. 3), man muss sich
nur vor Ueberfärbung hüten.
Bei Pflanzenzellen gerathen alle gebräuchlichen Kernfärbungen be-
sonders leicht und intensiv, die mit Hämatoxylin (nach Chrom-, Pikrin- oder
Alkoholbehandlung) meistens so dunkel, dass sie für feinere Studien schlecht
brauchbar sind. (Weiteres s. oben bei: Pflanzenzellen, Abschn. 1.)
In einer während des Druckes d. Beitr. erschienenen Abhandlung ?)
spricht A. Brandt in einer persönlichen Bemerkung sein Bedauern darüber
aus, dass ich im I. Theil zwar zwei seiner Arbeiten ceitirt habe, einer Ana-
lyse derselben aber ausgewichen sei.
Ich habe dıe Arbeiten Brandt’s, gleich vielen anderen, welche das Ei
und die Eitheilung betreffen, dort lediglich deshalb *) nicht analysirt, weil
jener Theil meiner Schrift sich zunächst mit Zelltheilungen in Geweben be-
schäftigen wollte. Es war naturgemäss, die Besprechung jener Literatur auf
den folgenden Theil meines Arbeitsplanes zu verschieben, der selbst specieller
mit der Eizelle zu thun haben wird. Dies war mit Bezug auf die Arbeiten
1) Dies Archiv, Bd. 14, 1877, p. 180.
2) Ebenda Bd. 16, 1879. Für Curszwecke finde ich die Methode beson-
ders bequem und empfehlenswerth.
3) A. Brandt, Commentare zur Keimbläschentheorie des Eies. Il.
Dies. Arch. Bd. XVII, Heft 4. 1880, p. 571.
4) Th. I, p. 398 Anmerkung, p. 400,
252 Walther Flemming:
Brandt’s um so mehr motivirt, als ich dieselben nicht besprechen kann,
ohne ihnen in Manchem ausführlicher entgegenzutreten; ich erinnere nur
daran, dass Brandt den Kern des Eies als eine amöboide „primäre Zelle“
betrachtet, die Gerüste in Zellkernen als „Verzweigungen des Kernkörper-
chens“ ansieht, die Theilungsmetamorphose des Kerns auf „amöboide“ Be-
wegungen !) zurückführt. Wer meine Ergebnisse über den Kern im Th. I
p- 356, 357 ff., und hier im Abschnitt 2 berücksichtigen will, wird daraus
schon ersehen, dass ich die betreffenden Anschauungen Brandt’s nicht thei-
len kann, und seinen Ausspruch: „dass meine Wahrnehmungen so zu sagen
eine Brücke zu seiner Amöboidtheorie bildeten“ ablehnen muss. Die nähere
Motivirung dafür habe ich aber erst an dem Ort zu geben, wohin sie dem
Gegenstand nach gehört.
Citirte Literatur
auf deren Nummern im Text verwiesen ist.
A. Ueber Zelltheilung.
(Nach der Reihenfolge der Publication. Frühere Lit. siehe unter Nr. 4.)
1. Beneden, E. van, La maturation de l’oeuf ce. des mammiferes.
Bull. de l’acad. roy. de Belg. 2. Ser. t. 40, 1875.
2. C. J. Eberth, Ueber Kern- und Zelltheilung. Virchow’s Archiv,
1876. S. 523.
3. W. Schleicher, Die Knorpel-Zelltheilung. Dies. Archiv. Bd. 16,
p. 248, Dec. 1878.
4. W. Flemming, Th. I dieser Beiträge, dies. Arch. Bd. 16, p. 302.
Dec. 1878.
5. Peremeschko, Ueber die Theilung der thierischen Zellen. Dies.
Arch. Bd. 16, 1879.
6. Fol, Herman, Recherches sur la f&condation et le commencement
de l’henogenie chez divers animaux. Gen&ve 1879.
7. E. Klein, ÖObservations on the Structure of Cells and Nuclei,
II. Quart. Journ. of mier. Science. Vol. 19. N. $., 1879.
8. E. Strasburger, Neue Beobachtungen über Zellbildung und Zell-
theilung. Botan. Zeitung Nr. 17 und 18, 25. April 1879.
9. E. Klein, Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur des Zellkerns
und der Lebenserscheinungen der Drüsenzellen. Centralbl. f. d. med. Wiss,
Nr. 17, 26. April 1879.
1) Vergl. hier p. 155 unten ff.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 253
10. W. Flemming, Zur Kenntniss der Gerüste im Zellkern und
ihrer Veränderung durch chromsaure Salze. Centralbl. f. d. med. Wiss,,
Nr. 23, 18. Mai 1879.
11. W. Schleicher, Nouvelles communications sur la cellule cartila-
gineuse vivante. Bull. de l’acad. roy. de Belg. 2. Ser. T.47. Nr. 6, Juin 1879.
12. E. Klein, On the glandular epithelium and division of nuclei in
the skin of the newt. Quart. Journ. of mier. science, July 1879.
13. W. Flemming, Ueber das Verhalten des Kerns bei der Zellthei-
lung, und über die Bedeutung mehrkerniger Zellen. Virchow’s Arch., Bd. 77,
März 1879.
14. E. Strasburger, Ueber ein zu Demonstrationen geeignetes Zell-
theilungsobject. Sitz.-Ber. der Jenaischen Ges. f. Med. u. Nat., 18. Juli 1879.
15. Schmitz, Sep.-Abdr. a.d. Sitz.-Ber. der niederrheinischen Ges. f£.
Natur- und Heilk. in Bonn, 4. Aug. 1879: Mehrkernige Zellen und Zellthei-
lung bei Thallophyten. Eine frühere Mittheil. desselben Autors schon vom
5. Mai 1879, ebenda.
16. Peremeschko, Ueber die Theilung der rothen Blutkörperchen
bei Amphibien. Centralbl. f. d. med. Wiss., Nr. 38, August 1879.
17. M. Treub, Sur la pluralit& des noyaux dans certaines cellules
vegetales. Comptes rendus, 1. Sept. 1879.
18. Peremeschko, Fortsetzung von Nr. 5, dies. Arch., Bd. 17, 1879.
Nachtrag: J. Arnold, Beobachtungen über Kerntheilungen in den
Zellen der Geschwülste. Virchow’s Archiv, Bd. 78. (Erschien nach Abschluss
dieser Arbeit, wird, als in vielen Puncten wichtig, im nächsten Theil näher
besprochen werden.)
B. Ueber Entwicklung der Samenfäden.
19. Kölliker, Beiträge zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse und
der Samenflüssigkeit wirbelloser Thiere, nebst einem Versuch über das Wesen
und die Bedeutung der sogenannten Samenthiere. Berlin 1841.
20. Duvernoy, Fragments sur les organes genito-urinaires etc., 3.
fragment. Mem. pres. par divers savants & l’Acad&mie des sciences. 1851.
21. Leydig, Untersuchungen über Fische und Reptilien.
22. v. la Valette St. George, Ueber die Genese der Samenkörper.
Fortlaufende Arbeiten in diesem Archiv: 1. Mittheilung Bd. 1, p. 403 ff.;
2. Mittheilung Bd. 3, p. 263; 4. Mittheilung Bd. 12, p. 797; 5. Mittheilung
Bd. 15, p. 261.
23. Schweigger-Seidel, Ueber die Samenkörperchen und ihre Ent-
wicklung. Dies. Arch. Bd. 1, p. 309.
24. Th. Eimer, Untersuchungen über den Bau und die Bewegung
der Samenfäden. Phys.-med. Gesellsch. in Würzburg, N. F., Bd. 6.
254 Walther Flemming:
25. C. Semper, das Urogenitalsystem der Plagiostomen und seine
Bedeutung für das der übrigen Wirbelthiere. Arb. a. d. zool.-zoot. Institut
in Würzburg, 1875.
26. Spengel, Das Urogenitalsystem der Amphibien. Arbeiten a. d.
zoolog.-zootom. Inst. in Würzburg. III.
27. E. Neumann, Untersuchungen über die Entwicklung der Sper-
matozoiden. Dies. Archiv, Bd. 11, p. 292.
28. Grobben, Beiträge zur Kenntniss der männlichen Geschlechts-
organe der Decapoden. Wien, Hölder, 1878.
Nachtrag: Heneage Gibbes, Structure of the vertebrate spermato-
zoon, Quart. journ. mier. science Nr. 76, 1879.
Weismann, Beiträge zur Natur-Geschichte der Daphnoiden. Zeitschr.
f. wiss. Zool. 1879. (Enthält Manches hier in Betracht kommende; konnte,
wie andere Literatur über Wirbellose, hier noch nicht analysirt werden.)
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI, VII, IX (1,2, 3).
Für alle Zeichnungen gilt Folgendes:
1. Sie sind mit Hartnack Syst. 7, 8, 9 & imm., Zeiss 1 und 2 & imm,,
gezeichnet und zur Verdeutlichung meistens etwas vergrössert dargestellt.
2. Ueberall soll durch die hellere oder dunklere Schattirung
an den Fäden der Kernfiguren ausgedrückt sein, dass die verschieden
schattirten Strecken in verschiedenen Ebenen liegen (meistens: die bei tie-
ferer Einstellung gesehenen Theile heller gehalten).
3. Wo im Verlauf oder an den Enden von Fäden gleich grosse
dunkle oder helle Punkte oder Kreise dargestellt sind (beispielsweise:
Taf.I Fig. 1b, Fig. 2, 11, 12), da bezeichnen dieselben nicht Körner oder
Kernkörperchen, sondern optische Quer- oder Schrägschnitte von Fäden.
4. Die dunkle Schattirung der Kernfadenfiguren entspricht überall
der Tinction; in Fig. 35 Taf. 3 (nach dem lebenden Präparat) sind, um
Fehler bei der Lithographie auszuschliessen, die Fäden ebenfalls dunkler ge-
geben als sie in den blassen lebenden Kernfiguren aussehen.
5. Wo in den Figuren der eine Schenkel oder Theil einer Faden-
schleife kürzer und dunkler gezeichnet, ist die Kürze nicht reell zu nehmen,
es soll dadurch nur ausgedrückt sein, dass der betreffende Theil in optischer
Verkürzung gesehen ist.
6. Das Zellplasma ist überall nur schematisch gehalten.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
E7
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 255
15
2.
Tafel VII (1).
(Bitte die Holzschnitte im Abschnitt 2 zu vergleichen.)
(Alle Abbildungen von Salamandra).
a: Ruhender Epithelzellenkern, aus einer Gegend, wo zahlreiche
Theilungen vorlagen. Von den Bälkchen des Gerüstes sind nur die-
jenigen gezeichnet, die bei nahezu der gleichen Einstellung zu sehen
waren.
b: Ein Anfangsstadium der Theilung, mit drei noch erhaltenen
Nucleolenresten. Zwischensubstanz des Kerns schon nicht mehr
tingirbar. Auch hier nur etwa die Hälfte der sichtbaren Fadenwin-
dungen gezeichnet. — Alle anscheinenden Körner sind optische
Querschnitte ausser den drei Nucleolen.
Ein Kern, der durch den Schnitt zerbrochen ist; man sieht unten
in der Figur nur die untere Wand der Kernfigur, oben, an der
Spitze, ist sie ganz geblieben. Man kann so im unteren Theil der
Figur jeden einzelnen Faden sehr klar verfolgen. Vergrössert dar-
gestellt.
Das Stadium ist um Weniges weiter, wie das der vorigen Figur
in b. Zeigt deutlich (auch mit Seibert XI a imm. controlirt), dass
kein einziges Korn, sondern nur gewundene Fäden da sind. Da diese
vielfach abgebrochen, glaubt man freie Enden zu sehen, solche sind
aber sicher nicht vorhanden gewesen, denn im oberen, noch ganz
erhaltenen Theil der Figur ist keine einzige Unterbrechung;
die Stellen, an welchen hier Fäden als aufhörend gezeichnet wur-
den, sind solche, an denen dieselben senkrecht in die Tiefe biegen,
wo sich jeder weiter verfolgen lässt. Dies konnte der Deutlichkeit
zu Liebe nicht mitgezeichnet werden.
3 und 4. Kernfiguren in ähnlichen Knäuelstadien, Fig. 4 etwas weiter,
b.
schon mit deutlichen Unterbrechungen, mit noch sichtbarer Kern-
membran.
Ein Knäuel schon durchweg in Schleifen segmentirt, in Auflösung.
6 und 7. Ebenso, dabei (als nicht regelmässige Erscheinung) Sonde-
rung der Fäden in zwei etwa gleiche Gruppen, die aber nicht
direct zur Theilung führt; es würde vielmehr Stern und Aequatorial-
platte folgen (s. folgende Figuren).
Sternform, in der einige (3) Schleifen zeitweilig abgerückt sind.
Locker angeordnete Sternform, zugleich Längsspaltung der Fäden.
Die bei höherer Einstellung sichtbaren Fädentheile sind dunkler
dargestellt. (Ist in der Lithographie nicht gehörig ausgedrückt.)
11. Auf die Sternform folgend, Aequatorialplatten.
. Ebenso, etwas stärker vergrössert dargestellt: an den Polen sieht
man achromatische Fäden, doch sehr blass, hervorragen — am
256 Walther Flemming:
unteren Pol nur eben erkennbar. — Die dunklen Kreise entsprechen
überall optischen Quer- und Schiefschnitten von Fäden; Körner sind
nicht vorhanden, wie überhaupt in keiner der Figuren der Tafel.
Fig. 13 und 14. Aequatorialplatten mit einzelnen etwas abgerückten Schleifen.
Fig. 15. Schematische Figur, den Bau der auf die vorige folgenden Form
(Kerntonne) erläuternd.
Fig. 16. Eine dreikernige Epithelzelle mit eben erfolgter Kerntheilung (drei
Paar Tochtersterne).
Tafel VIII (2).
Fig. 17—26: Theilungen von Pflanzenkernen, 17—19von Nothoscorodon
fragrans, die übrigen von Allium odorum.
(Alle nach Tinctionspräparaten, die Kernfiguren sind überall in der Intensität
gefärbt zu denken, wie in Fig. 25—26. Alkohol-Alauncarmin.)
Fig. 17. Ruhender Kern aus dem Endosperm.
Fig. 18. Mutterknäuel ebendaher, Nucleolen hier noch vorhanden.
Fig. 19. Früheres Anfangsstadium; erscheint körnig, bei gutem Licht sind
jedoch Fäden zu sehen und lassen sich die sämmtlichen scheinbaren
Körner als optische Schnitte von Fäden annehmen (vergl. Fig. 1b
und 2, Taf. 1} WEigsi2le,Waf.x17 Th:
Fig. 20. Ein etwas weiter vorwärts liegendes Stadium; hier ist die Deutung
der anscheinenden Körner als optische Schnitte ganz einleuchtend.
Fig. 21. Sternform von Allium (wie die folgenden aus der Peripherie des
Fruchtknotens). Ein Theil der Fäden mit deutlicher Spaltung;
diese ist nur bei denjenigen gezeichnet, wo sie ganz unzweifelhaft
zu sehen war.
Fig. 22. Flache Sternform ebendaher, an den Enden tritt die achromatische
Fadenspindel hervor. (Die dunkel gehaltenen Fadenenden sind die
in optischer Verkürzung, also von oben gesehenen; die Fäden liegen
etwas gebogen.)
Fig. 23. Aequatorialplatte von Allium (vergl. vor. Tafel und den Text unter:
Pflanzenzellen, Abschn. 1). Das Element links oben ist wahrschein-
lich eine abgerückte Fadenschleife (vergl. Fig. 43--45, Fig. 13); es
ist klar erkennbar, dass nur Fäden und nicht Körner vorliegen, im
Uebrigen sind die Verhältnisse so dargestellt, wie sie zu sein schei-
nen, denn die Kernfigur ist um ein Drittel kleiner wie diejenigen
in Fig. 10—14 Taf. 1, wo gerade noch das Gezeichnete klar erkenn-
bar ist.
Fig. 24. Tochtersterne von Allium. Liegen schief übereinander, bei ver-
schiedener Einstellung sichtbar.
Fig. 25. Allium, kurz nach der Trennung der Kernfigur. Achromatische
Fadenspindel sowohl in der Mitte, als an den Polen sichtbar.
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 257
Fig. 26. Ebenso, etwas späteres Stadium: die Tochtersterne von flacher und
gehöhlter Form, man sieht in die Höhlung der unteren hinein. Be-
stehen ganz aus distineten, unverschmolzenen Fäden.
Fig. 27, 28, 29 vom Mundepithel der Krötenlarve, Chrom-Saffranin. 27 Mut-
terknäuel, Seibert imm. XI; 28 Tochterknäuel, Hartnack 9 imm. 3;
29 Tochterknäuel, in denen die Fäden durch Reagentienwirkung
conglutinirt sind, so dass sie wie homogene Ballen erscheinen.
Fig. 30 abc. Theilungen von Bindesubstanzzellen im Omentum des saugen-
den Kätzchens, worin massenhafte Theilungen; a aus einer Fettan-
lage; Essigsäure-Alkohol-Hämatoxylin; d. Bindesubstanzzelle in Thei-
lung (Tochtersterne) aus dem Amnion des Kaninchens; dies enthielt
hier und im Epithel zahlreiche Theilungen in den verschiedensten
Phasen.
Fig. 31—34. Skizzen von Eizellentheilungen zum Vergleich (nach Präparaten
von H. Fol, von Toxopneustes lividus, Osmium Carmin). 34 würde
der Aequatorialplatte entsprechen (Fig. 10—14 vor. Taf.), 31 der
Trennung bezw. weiter: Sternform der Tochterkerne, 32 und 33 der
Knäuelform der Tochterkerne (vergl. Fig. 15b, 28).
Folgende Figuren: Nachträge zu Taf. I, von Salamandra, Epithel.
Fig. 15a: Aequatorialplatte mit theilweise geschlängelten und unregelmässig
gelagerten Fäden.
Fig. 15 b: Zelltheilung, wie immer während der Knäuelphase der Tochter-
kerne (vgl. Fig. 28, 32); man sieht hier am Einschnürungshals eine
sehr zarte helle Marke, darin äusserst feine Elemente gleichmässig
vertheilt (entsprechend den Zellplattenelementen Strasburger’s?).
Fig. 15c: Tochtersterne kurz nach der Trennung, das Paar etwas schief ge-
sehen: deutliche polar-centrale Umbiegungen.
Fig. 15d: Ebenso, etwas später; ebenfalls schrägliegend. Vom Pol gesehen,
würde der obere Kern als Ring mit freier Mitte erscheinen, doch
an der einen Seite (oben) nur schwach geschlossen durch eine ein-
zelne Fadenschleife; der Ring des unteren Kerns nicht geschlossen,
würde bei Polansicht Hufeisenform haben. Dies wird oft gefunden.
Beide Figuren zeigen, dass die Existenz von isolirten Faden-
schleifen aus der Aequatorialplatte bis in diese Sternform fort-
dauert (Vrgl. die Holzschnite im Abschn. 2).
Tatel IX ß).
Aus den männlichen Keimdrüsen von Salamandra,
Juli, August, September.
Fig. 35 ag: Lebend verfolgte Theilung einer Hodenepithelzelle (aus Sperma-
tocyste) frisches Präparat ohne Zusatz. Die Fäden der Deutlichkeit
258
Fig. 36,
Fig. 37.
Walther Flemming:
halber dunkler dargestellt, als sie lebend erscheinen. Von a bis g
verlief nahezu eine Stunde.
Die isolirt abgerückten Fadenschleifen in a am oberen Pol sah
man sehr langsam abgerückt und wieder herangezogen werden;
dann die in b am unteren Pol ebenso abrücken, waren in c wieder
vollständig einrangirt. d verlängerte sich etwas und führte dann
rasch zur Trennung über (e). Nach g starb die Zelle ab, nachdem
eben die Einschnürungsmarke (links) erschienen war.
wie alle folgenden: Zellen aus Spermatocysten. 36: Mutterknäuel.
Zelle nicht in Theilung, das charakteristische dichte,
grobbalkige Kerngerüst der Hodenzellen. 38, 39 Mutterknäuel.
40 Mutterstern (die Winkel der Schleifen sind schematisch dunkel
dargestellt. Vergl. Fig. 9 Taf. I. 41 und 42 Aequatorialplatten
(hier mit der Kerntonne zusammenfallend), 41 schräg von oben,
und mit leicht geschlängelten Fäden, 42 von der Seite. Wie meistens,
die tieferliegenden Fäden blasser dargestellt. 44—45 solche Kern-
tonnen in beginnender Trennung, einzelne Fäden bezw. Schleifen-
schenkel sind unregelmässig abgerückt (nach den Polen) oder aus-
geklappt. Man sieht die achromatischen Fäden. 46, 47 Toch-
tersternform und -Knäuelform, die achromatischen Fäden erscheinen
körnig (vielleicht nur Reagentienwirkung).
(Fig. 37—41. Essigsäure-Bismarckbraun nach Mayzel, Fig. 36 und 42—47
Fig. 48.
Chromsäure-Hämatoxylin).
Aus einem Schnitt durch einen Juli-Hoden, schwache Vergrösserung,
Alkohol-Alauncarmin. 4 Spermatocystendurchschnitte, Inhaltszellen
je in gleichen, gegeneinander in verschiedenen Theilungsstadien: die
Formen der Kerne sind an den nebengezeichneten Zellen vergrössert
dargestellt (a: vergl. Fig. 42, b: etwa Fig. 36, c schon fertige Thei-
lungen, d: Fig. 37). Das gleiche Verhalten überall im Hoden ver-
theilt.
Fig. 49—52: Vielkernige Zellen und deren Theilung. Essigsäure-
Fig. 49.
Bismarckbraun.
Vierkernige Zelle ebendaher, Kerne ruhend.
Fig. 49a. Zelle mit einem ruhenden Kern und zwei Tonnen.
Fig. 50 mit 6 Kerntonnen, 5l: mit 6 Paar Tochterknäueln, 52: nebeneinan-
Fig. 53.
der in der Zelle zwei Kerntonnen (eine schräg liegend) und 1 Paar
Tochtersterne, der letztere Kern war also früher in Theilung getre-
ten als die beiden anderen.
Schmalere Kerntonne, in der an einzelnen Fäden die äquatorialen
Anschwellungen oder Aufquellungen aufgetreten sind (vergl. Abschn. 3) ;
Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. 259
Fig.
Fig. 53.
Fig. 54.
links eine solche im Profil, in der Mitte von vorn, bei a: die letz-
tere Anschwellung stärker vergrössert dargestellt. (Vielleicht nur
Reagentienwirkung.) Essigsäure-Bismarckbraun.
Zugleich Unregelmässigkeit der Kernfigur. Oben ein Schleifen-
schenkel herausgeklappt, unten eine Schleife abgerückt, beide sehr
in Verkürzung gesehen (vergl. z. B. Fig. 35d, rechts unten).
(Aus Versehen ist diese Figur und die folgende mit 53 bezeichnet).
53—58: Spermatogenese. (Salamandra, September— October.)
Bildung von Samenfädenköpfen in Kernen, nicht Zellen; das
Protoplasma der Zellen ist nicht mitgezeichnet, jede Figur gleich
einem Kern. Frisch ohne Zusatz.
Fertiger Samenfaden, Vordertheil: k. Kopf, m. Mittelstück, f. Schwanz
mit Flossensaum. Sofort nach Zusatz sehr verdünnter Essigsäure
beobachtet, das Mittelstück ist dadurch etwas gequollen.
Vergl. Fig. 56h: fertiger Samenfaden mit Alauncarminfärbung.
Mittelstück (m) und Schwanz ungefärbt.
Fig. 55 ab cd aufeinanderfolgende spätere Bildungsstadien von Samenfäden,
frisch s. Text. k: fragliches Knötchen hinter dem Mittelstück;
letzteres ist frisch nicht zu erkennen. d: anfängliche Lage von
Schwanz und Kopf zu einander.
Fig. 56 (Alkohol-Alauncarmin) und 57 (Essigsäure-Bismarckbraun) zeigen die
Fig. 58.
Uebergangsstadien der Bildung der Köpfe in den Kernen, aus dem
Chromatin derselben. Vergl. Fig. 53 (frisch, schwächer vergr.), 8.
Text Abschn. 3. km. in Fig. 56 und 57: Kernmembran.
Die Mittelstücke der jungen Fäden in d, e, f Fig. 57 durch die
Essigsäure aufgequollen.
Skizze aus dem Schnitt von einem Octoberhoden, Alcohol-Alaun-
carmin; schwache Vergr. — 7 Spermatocysten in einem Canaldurch-
schnitt, mit Inhalt in verschiedenen Bildungsstadien.
Kiel, December 1879.
260 C. Janisch:
Ueber J.J.Woodward’s neueste Mikrophotographien
von Amphipleura pellucida und Pleurosigma
angulatum.
Von
€. Janisch,
Director der Wilhelmshütte bei Bornum-Seesen.
Hierzu Tafel X, XI, XII.
I.
Unter den zur Prüfung starker mikroskopischer Objective
gebräuchlichen Prüfungs-Objeeten gilt zur Zeit Amphipleura pel-
lucida, zumal in Balsam liegend, wohl als das schwierigste. Um
nun an diesem Objecte die Leistung verschiedener Objective fest-
zustellen, hat J. J. Woodward inWashington mit den vorzüglichsten
ihm zur Verfügung stehenden Objectivsystemen aus best renom-
mirten amerikanischen, englischen und deutschen Werkstätten eine
Anzahl mikroskopischer Aufnahmen ein und derselben Frustel
von Amphipleura pellueida hergestellt und über die gewonnenen
Resultate unter Einsendung einer Serie dieser Photogramme im
Journal of the Royal Microscopical Society, 1879, S.663 ff. aus-
führlich berichtet.
Da die erzielten Resultate für jeden Mikroskopiker von gros-
sem Interesse sind, so wandte ich mich an Herrn Woodward
mit der Bitte, mir eine Serie dieser Photogramme zur Publication
geneigtest zu überlassen, welchem Gesuche Herr Woodward in
freundlichster Weise entsprach, wofür ich demselben hiermit auch
öffentlich meinen verbindlichsten Dank sage.
Eine Reproduction der erhaltenen 17 Copien in der Original-
grösse wäre aber der Kosten wegen nicht ausführbar gewesen,
weshalb ich die einzelnen Bilder in ihren Contouren ausgeschnit-
ten und auf drei Tafeln zusammengestellt habe. Hiernach sind
Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 261
die beigegebenen drei Tafeln beiMax Gemoser in München nach
wiederholter photographischer Aufnahme und hierbei um ein Dritt-
theil verkleinert in photographischem Pressendruck hergestellt.
Wie alle photographischen Reproductionen, so geben auch diese
drei Tafeln die ganze Schönheit der Woodward’sehen Original-
Photogramme nicht vollständig wieder; aber der Druck ist als ein
so gelungener anzusprechen, dass durch denselben die Verschie-
denheit in der Leistung der einzelnen Objective im gleichen Maasse
wiedergegeben ist, wie in den Originalen.
Die Woodward’schen Original - Photogramme sind bei sehr
bedeutender, 2700- bis 3400facher Vergrösserung angefertigt. Be-
kanntlich kann man aber zur Steigerung der Vergrösserung beim
Photographiren das gewöhnliche Ocular mit gutem Erfolge nicht
zu Hülfe nehmen; ebenso ist eine Verlängerung der Camera in
dem Maasse, dass das Objectivsystem allein eine so starke Ver-
grösserung ergeben würde, gleichfalls nicht ausführbar, da bei
starken Objectivsystemen nur für einen ganz bestimmten Bildab-
stand — entweder also für den kurzen continentalen Tubus von
8 Zoll Länge, oder für den 10zölligen englischen Tubus — die
sphärische Aberration der Linsen mit grösster Sorgfalt corrigirt
ist. Bei den gewöhnlichen (Wasser-)Immersions-Systemen, bei de-
nen die einzelnen Linsen, um den Einfluss verschieden dicker
Deckgläser zu corrigiren, mittelst eines feinen Schraubengewindes
einander genähert oder von einander entfernt werden können, kann
diese Correctionsschraube auch benutzt werden, um bei grösserem
Bildabstande, wenigstens innerhalb mässiger Grenzen, die auftre-
tende Krümmung des Gesichtsfeldes zu beseitigen. Die von Carl
Zeiss in Jena in neuester Zeit hergestellten Objectiv-Systeme für
homogene Immersion (Oel-Immersion) besitzen aber eine solche
Correetionsschraube nicht, und da grade diese so vorzüglichen
Systeme für den Bildabstand, für welchen sie adjustirt sind, so
äusserst empfindlich sind, dass schon eine Verschiebung des Bild-
abstandes von wenigen Centimetern eine Veränderung des Correc-
tionszustandes sichtbar werden lässt, so würden die neuen Zeiss’-
schen Systeme nur zu photographischen Aufnahmen von verhält-
nissmässig schwacher Vergrösserung zu verwenden gewesen sein,
wenn nicht Woodward eine Einrichtung ersonnen hätte, die es
gestattet, den Bildabstand in jede gewünschte Entfernung zu ver-
schieben, die Vergrösserung des Objeetivsystems hierdurch also be-
262 C. Janisch:
liebig zu steigern; durch die Veröffentlichung dieses Verfahrens hat
sich Woodward den Dank aller Microphotographen erworben.
Schon früher wurde beim Sonnen- oder Gasmikroskope eine
Concavlinse angewandt, um die Vergrösserung des Objectivsystems
zu steigern und das auf dem Schirme entworfene Bild möglichst
plan zu machen. Woodward hat sich nun eine solche achroma-
tische Concav - Linse, Amplifier, von Tolles in Boston schon vor
10 Jahren machen lassen, welche bei einem Durchmesser von
0,7 Zoll und einer Brennweite von 6,5 Zoll so geschliffen ist, dass
sie an Stelle des Oculars eingesetzt, die aus dem Objectiv austre-
tenden Strahlenkegel in gleicher Richtung, wie beim Beobachten
mit dem Ocular, fortlaufen lässt. Diesen Amplifier verwendet
Woodward beim Photographiren in nachstehender Weise.
Nachdem ein beliebiges Object mit irgend einem schwachen
Objective ganz genau eingestellt worden ist, wird das Oecular ent-
fernt und an dessen Stelle die Concavlinse gebracht, die in eine
längere Hülse gefasst ist, die sich sanft im Tubus verschieben
lässt und die eine feine Eintheilung, z. B. in Millimeter, trägt. Das
Mikroskop wird nun, ohne die genaue Einstellung zu ver-
ändern, in die photographische Camera gebracht und die Con-
cavlinse durch Versuche so lang vor- oder zurückgeschoben, bis
auf der Visirscheibe das Object in grösster Schärfe erscheint, wo
alsdann die Ebenheit des Gesichtsfeldes die gleiche sein wird,
wie beim Beobachten dureh das Oeular. Die so ermittelte Stellung
der Schiebhülse im Tubus wird an der Scala abgelesen und notirt,
und diese Stellung der Hülse ist für jedes andere Objectiv,
also auch für die Oel-Immersionssysteme, für den gewähl-
ten Bildabstand stets die gleiche. Für geringere oder grössere
Bildabstände muss aber die Stellung der Concavlinse durch neue
Versuche ermittelt werden. Zeiss giebt seinen Systemen für ho-
mogene Immersion zu photographischen Aufnahmen eine ähnliche
Concavlinse auf Wunsch bei, die das vom Objectiv erzeugte Bild
zwei- bis dreimal vergrössert.
Um beim Beobachten mit diffusem Tageslichte oder
bei Lampenlicht so feine Details, wie die Querstreifen von Am-
phipleura pellueida, sichtbar zu machen, muss bekanntlich die
allerschiefste Beleuchtung angewendet werden, die’ meist nicht
durch den Spiegel allein, sondern nur mittelst des Abbe’schen
(oder eines ähnlich eonstruirten) Beleuchtungsapparates zu erzielen
Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 263
ist. Wird dagegen direetes Sonnenlicht wie beim Photogra-
phireu, zur Beleuchtung angewendet, so reicht, wie Woodward
durch seine Versuche festgestellt hat, eine weit weniger schiefe
Beleuchtung zur Siehtbarmachung dieser Details aus. Woodward
gebraucht deshalb zur Beleuchtung beim Photographiren einen
3zölligen Illuminator von 12° Oeffnungswinkel, welcher in einem
Winkel von nur 45° gegen die Achse des Mikroskops geneigt,
monochromatisches Sonnenlicht auf das Object wirft. Mit diesem
Illuminator sind die Aufnahmen der in den Figuren 1 bis 11 auf
Tafel X und XI dargestellten Bilder gemacht. Um dann zu be-
weisen, dass bei monochromatischem Sonnenlichte eine Zunahme
der Schrägheit der Beleuchtungs-Büschel keine Verbesserung der
Leistung des Objectivs erzeugt, sind die Photogramme Fig. 12 und
Fig. 13 auf Taf. XI beigefügt, welche dieselbe Fruste! darstellen,
wie sie mittelst eines Immersions-Illuminator bei schrägstem
Lichteinfall, ohne das Bild zu verzerren, gesehen wird.
Auch diese Ermittelung Woodward’s, dass eine Schiefe der
Beleuchtung von nur 45° gegen die Mikroskop-Achse geneigt zur
photographischen Darstellung der Querstreifen von Amphipleura
pellueida oder ähnlich feiner Structuren bereits ausreichend ist, ist
für die Mikrophotographie von grossem Werthe, weil jedes Ob-
jeetiv bei so mässiger Schiefe zweifellos bessere Bilder giebt, als
bei allerschrägstem Lichteinfall. Diese Ermittelung wird theoretisch
dadurch erklärt, dass — da bei Amphipleura pellueida die Streifen-
Distanz 0,23 u beträgt und das photographisch wirksamste Licht
eine Wellenlänge von 0,40 bis 0,42 u umfasst — bei jedem Sy-
steme von 1,00 numerischer Oeffnung und darüber hinaus bereits
das erste Beugungsbüschel schon voll in die Oeffnung eintritt,
sobald der einfallende Strahlenkegel pp. 45° in Balsam gegen die
Achse geneigt ist. Da nun ein zweites Beugungsbüschel doch
auf alle Fälle unerreichbar ist, so giebt eine grössere Schiefe kei-
nen Vortheil mehr, sondern nur Nachtheil — stärkere Lichtver-
luste und grössere Empfindlichkeit des Objeetives gegen alle klei-
nen Abweichungen. — Beim Sehen aber, wo Licht von grösserer
Wellenlänge wirken muss, oder auch wenn noch feinere Streifun-
gen, unter 0,20 « Abstand, photographirt werden sollten, müsste
eine schrägere Beleuchtung angewendet werden, damit auch nur
das erste Beugungsbüschel in die Oeffnung des Objeetivs ein-
fallen, und durch Zusammenwirken dieses Beugungsbüschels mit
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 18. 18
2364 C. Janisch:
dem direet einfallenden Licehtbüschel das Bild der Structur entste-
hen kann !).
Die auf Taf. X und XI in den Figuren 1 bis 13 dargestellte
Frustel von Amphipleura pellueida ist nach Woodward’s Mes-
sungen 0,0037 Zoll Engl. lang und hat 102 Querlinien in !/ıooo Zoll.
Diese Frustel liegt auf einem Präparate, das aus einer Aufsamm-
lung in den botanischen Gärten von Hull im Jahre 1859 ursprüng-
lich trocken liegend dem Herrn W. A. Sellivant in Columbus, -
Ohio, zugesandt und von diesem Woodward zugestellt wurde.
Behufs Anstellung der photographischen Aufnahme hat Wood-
ward dies Präparat in Balsam eingelegt, wodurch bekanntlich die
Sichtbarmachung der Querlinien noch erschwert wird.
Ueber seine Aufnahmen und die hierbei erzielten Resultate
bemerkt Woodward:
A. Photogramme von Amphipleura pellueida, beleuchtet durch
monochromatisches Sonnenlicht; Condensor ein 3zölliges
Objeetiv von 12° Winkelöffnung, in einem Winkel von 45°
zur Achse des Mikroskops geneigt:
Fig. 1. Zeiss Oel-Immersions-System 1/s°; Oeffinungswinkel 114°;
(Original-Vergröss. 2830) 1886mal vergrössert.
Fig. 2. Dasselbe Objectiv (Orig.-Vergr. 2760) 1840mal.
Fig. 3. Zeiss Oel-Imm.-System 1/s“; Oeffnungswinkel 115%. —
(Orig.-Vergr. 2700) 1800mal.
Fig. 4. Tolles Oel-Immersions-System !/ıo“; Oeffnaungswinkel 122°;
(Orig.-Vergr. 2700) 1800mal.
Fig. 5. Spencer Glycerin - Immersions - System 1/0“; Oeffnungs-
winkel 105°; (Orig.-Vergr. 2830) 1886mal.
Fig. 6. Spencer Glycerin- Immersions-System !/s‘; Oeffnungswin-
kel 106°; (Orig.-Vergr. 1900), 1266mal.
Fig. 7. Das Negativ von Fig. 6 auf 1840fache Vergrösserung ge-
bracht; (Orig.-Vergr. 2760).
Fig. S. Tolles Wasser- Immersions -System Y/ıs; Oeffinungswin-
kel 91°; (Orig.-Vergr. 2760), 1840mal.
Fig. 9. Powell and Lealand Wasser - Imm. - System 1/s“; Oeff-
nungswinkel 105°; (Orig.-Vergr. 2700), 1800mal.
Fig.10. Powell and Lealand Wasser-Imm. - System !/ıs‘; Oeff-
nungswinkel 103°; (Orig.-Vergr. 2700), 1800mal.
1) Abbe, Beiträge zur Theorie des Mikroskops, im IX. Bande dieses
Archivs, S. 440 u. ff. i
Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 265
Fig.11. Powell and Lealand Wasser- Imm.-System 1/5; Oeff-
nungswinkel 91°; (Orig.-Vergr. 2900), 1022mal.
B. Photogramme von Amphipleura pellucida, beleuchtet durch
monochromatisches Sonnenlicht mit einem Immersions-Illu-
minator und bei dem schrägsten Lichteinfall, den jedes
Öbjeetiv ohne Bildverzerrung zuliess.
Fig.12. Zeiss Oel-Immersions-System !/ıs“ (dasselbe wie bei Fig. 1);
(Orig.-Vergr. 2830), 1886mal.
Fig.13. Tolles Oel-Immersions-System (dasselbe wie bei Fig. 4);
(Orig.-Vergr. 2760), 1840mal.
„Seit meiner Untersuchung dieser Objective bin ich gezwun-
sen, dem Zeiss’schen !/ıs“, sowohl bei Lampen-, wie bei Son-
nenlicht den Vorzug vor allen andern genannten, und, ich
darf in der That hinzusetzen, vor allen Objeetiven zu geben,
welche ich jemals untersucht habe.“
„Hiernächst kommt eine Gruppe, welche das !/ıo‘‘ Oel-Immer-
sionssystem von Tolles, das !/s“ und das !/ıo“ Glycerin-Immer-
sionssystem von Spencer, und das !/s“ Oel-Immersionssystem
von Zeiss umfasst. Alle diese Objeetive leisten in der That
Vorzügliches. Als ich im letzten Januar (1879) an Zeiss
schrieb, sprach ich die Ansicht aus, dass die Leistung seines
!/;“ völlig gleich käme „dem Besten aus der grossen Samm-
lung von Objeetiven, welche dem Museum angehören.“ Aber
weitere Versuche überzeugten mich, dass meine erste photo-
graphische Arbeit dem Spencer’schen !/ıo“ keine Gerechtig-
keit widerfahren liess. Später empfing ich noch das !/s“ von
demselben Verfertiger und das "/ıo‘“‘ Oel-Immersionssystem von
Tolles. Nach fortgesetzten Versuchen betrachte ich nun diese
drei Objective an definirender Kraft als dem Zeiss’schen 1/s“
überlegen. Wie sie mit diesem und jedem anderen zu ver-
gleichen seien, mag nach den Photogrammen unparteiisch be-
urtheilt werden. Von den Wasser-Immersions-Objectiven steht
das Tolles’sche !/ıs nach meiner Schätzung obenan; dem-
nächst kommen die Objective von Powell and Lealand.“
„Durch das Studium dieser Photographien wird unter an-
deren Punkten auch erwiesen, dass die Ueberlegenheit der
Glycerin- und Oel-Immersions-Objective keine blosse Folge
ihres grösseren Oeffnungswinkels ist. Denn die Apertur von
Spencer’s !/s“ übertrifft nur wenig, die des Yo’ gar nicht
266
C. Janisch:
diejenige des '/s“ von Powell and Lealand und dennoch
ist ihre Leistung eine viel bessere. Ebenso ist der Oeffnungs-
winkel des Zeiss’schen Oel-Immersions-Systems !/ıs‘ that-
sächlich geringer, als der Oeffnungs-Winkel von Tolles Yıo“',
und trotzdem überragt die Leistung des Ersteren das Letz-
tere; ein ähnliches Resultat ergiebt die Vergleichung von
Tolles !/ıs“ mit den Powell and Lealand’schen Objec-
tiven. Dessen ungeachtet zweifle ich nicht im mindesten,
dass jede Gradzunahme des inneren Winkels über 82° von
wesentlichem Vortheile sein wird, immer vorausgesetzt, dass
die Aberrationen sorgfältig eorrigirt sind; aber ein Nachstehen
in der gebrauchten Formel oder in der Geschicklichkeit und
Sorgfalt, welche auf die Construction verwandt worden, mag
die Vortheile, welche aus dieser Quelle hergeleitet werden
sollen, mehr als unwirksam machen. Ferner zweifle ich über-
haupt nicht an der Ueberlegenheit im Allgemeinen des Gly-
cerins als Immersionsflüssigkeit über Wasser, oder des Cedern-
öls und anderer Flüssigkeiten, welche dem Crown Glase an
Liehtbrechung und Zerstreuung sehr nahe kommen, über Gly-
cerin. Aber diese Ueberlegenheit zeigt sich nicht blos des-
halb, weil ein vergrösserter Winkel ermöglicht wird. Denn es
ist in der That, da der Winkel der Totalreflexion aus Crown-
glas in Wasser etwas mehr als 60° beträgt, theoretisch
keineswegs unmöglich, Wasser-Immersions-Objective mit einem
Winkel zu construiren, welcher ebenso gross ist, wie der der
Oel-Immersions Objeetive von Zeiss, oder der Glycerin-Objec-
tive von Spencer. Die Schwierigkeit besteht in diesem Falle
nur darin, die Aberrationen zu beseitigen, welche unvermeid-
lich durch Refraction an der Oberfläche des Deckglases und
der ebenen Vorderfläche des Objectivs entstehen. Diese Aber-
rationen fallen gänzlich fort, sobald die Immersions-Flüssig-
keit die gleiche Breehung und Zerstreuung hat, wie das zu
der Frontlinse und dem Deckglase verwendete Glas; sie sind
vergleichungsweise unbedeutend bei Glycerin, viel beträcht-
licher bei Wasser und am grössten bei trockenen Objectiven.
Professor Abbe hat in der bereits erwähnten Abhandlung
die Aufmerksamkeit auf diesen Umstand gelenkt, welcher
mir sogar wichtiger erscheint, als die Thatsache, dass homo-
gene Immersion keinen Verlust giebt durch Reflexion an der
Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 267
vorderen Oberfläche des Objectivs, und Glycerin Immersion
nur sehr wenig; doch muss auch dieses seinen Einfluss haben.“,
„Alle diese Umstände in Betracht gezogen, bin ich geneigt
eine weitere Verbesserung an Objeetiven eher in der Rich-
tung von homogener Immersion als von Glycerin-Immersion
zu erwarten. Dazu haben wir bei homogener Immersion
noch den grossen Vortheil, die Correcetionsfassung für ver-
schiedene Dieke der Deckgläser entbehren zu können und
hierdurch von dem bejammernswerthen Verluste an Zeit be-
freit zu werden, welcher durch den Gebrauch jener, bei Gly-
cerin- und Wasser-Immersion durchaus erforderlichen Vor-
richtung herbeigeführt wird.“
„Aus letzterem Grunde gebe ich für gewöhnliche Arbeiten
meinem Zeiss’schen !/s‘“ den Vorzug vor den Objectiven,
von welchen ich gesagt habe, dass sie jenes an definirender
Kraft etwas überträfen, weil es sofort Resultate giebt, welche
nicht wesentlich geringer sind, als die besten, die ich mit
den anderen Objectiven nur mit vieler Mühe und Zeitverlust
erhalten kann.“
„Endlich habe ich, um die herrliche Leistung des Zeiss’-
schen !/ıs‘ an einer trocken liegenden Amphipleura-Schaale
zu zeigen, der Serie die Photographie Nro. 14 von einer sehr
zarten Frustel, auf einem Präparate von Amphipleura pellu-
cida von Bridge of Allan, Schottland, hinzugefügt, welches
von meinem Freunde, Professor Hamilton L. Smith in Ge-
neva, New-York, angefertigt worden ist. Diese Frustel ist
nur 0,0029” Jang und hat 105 Streifen in 0,001”. Sie ist
3400mal vergrössert.“
Letztere Frustel erscheint auf unserer Taf. XI in Fig. 14 in
2266facher Vergrösserung.
Da Woodward zu diesen Versuchen nur die allerbesten
ihm zur Verfügung stehenden Objeetive benutzt hat, von denen
bereits bekannt, dass sie die Querstreifen von Amphipleura pel-
lueida gut und schön lösen, so ist es ganz natürlich, dass die
Unterschiede in der Leistung der einzelnen Systeme keine gewal-
tig grossen sein können. In der Mitte der Frustel erscheinen
deshalb die Querstreifen bei allen Bildern in fast gleicher Deut-
lichkeit. Je vorzüglicher aber die Correetion des Linsensystems
ausgeführt ist, eine desto grössere Ausdehnung erreicht die Eben-
268 C. Janisch:
heit des Gesichtsfeldes, so dass mit den best corrigirten Objecti-
ven die Querstreifen über die ganze Frustel, bis zu den äusser-
sten Enden derselben in fast gleicher Schärfe, wie in der Mitte
erscheinen; während bei nicht ganz gelungener Correetion eine
scheinbare Krümmung des Gesichtsfeldes eintritt, wo dann die
Enden ein mehr oder minder verschwommenes Bild zeigen.
Bei Woodward’s Original-Photogrammen treten diese Unter-
schiede in der grösseren oder geringeren Ausdehnung des ebenen
Sehfeldes sehr ersichtlich auch noch an zwei anderen Amphipleura-
Schaalen hervor, die in demselben Gesichtsfelde liegen, und zwar
die Eine dicht an dem einen Ende, die Zweite zur Seite der dgr-
gestellten Frustel; auch an diesen Exemplaren zeigen die best
corrigirten Systeme die Querstreifen auf der ganzen Schaale in
gleicher Deutlichkeit; während bei abnehmender Planheit des Ge-
sichtsfeldes zunächst die Querlinien theilweise oder ganz ver-
schwinden, bis schliesslich selbst die Contouren der Randfrusteln
undeutlich werden.
Diese Unterschiede in der Leistung der Objective, die von
den Mikroskopikern als „Wölbung‘ oder ‚„Unebenheit des Ge-
sichtsfeldes“ bisher bezeichnet wurden, sind, wie ich aus einem
Vortrage des Herrn Professor Abbe: Ueber die Bedingungen des
Aplanatismus der Linsensysteme (gehalten in der Sitzung der Je-
naischen Gesellsch. f. Medizin und Naturwissenschaft am 28. Nov.
1879) erfahre, die Wirkung von Convergenz-Fehlern der Objective.
II.
Als vor etwa drei Decennien Pleurosigma angulatum als eins
der schwierigsten Prüfungsobjeete für starke Mikroskop-Objectiv-
systeme aufgestellt wurde, galt es als Beweis einer sehr vorzüg-
lichen Ausführung des Systems, wenn dasselbe bei schiefster Spie-
gelstellung auf der Oberfläche dieser Diatomee drei sich unter
einem Winkel von 60 Grad schneidende Liniensysteme zeigte, wenn
auch zunächst noch jedes dieser Systeme gesondert. Kurze Zeit
darauf, zumal nach Construction der Immersions-Systeme, gelang
es die Objeetive so weit zu verbessern, dass die drei Liniensysteme
gleichzeitig zur Ansicht gebracht werden konnten, wodurch die
Oberfläche als in kleine sechseckige Felder getheilt erschien.
Aber bei nur etwas veränderter Einstellung und bei kleiner Ab-
Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien etc. 269
änderung der Beleuchtung erschienen statt der Sechsecke kleine
Kreise, oder Dreiecke oder rautenförmige Felder. Es entbrannte
nun ein heftiger Streit unter den Mikroskopikern, ob die Structur
dieser Diatomeenschaale nur durch drei Streifensysteme, oder
durch Kreise oder Sechsecke gebildet werde, wobei die Meinungen
auch darüber auseinander gingen, ob die Felderzeichnugen erhaben
oder vertieft seien.
Dass dieser Streit ein müssiger gewesen, ist durch Abbe's
Theorie der mikroskopischen Wahrnehmung festgestellt worden,
wonach bei Structuren, die eine bestimmte Feinheit überschreiten,
das mikroskopische Bild nicht mehr „das Abbild körperlicher For-
men darstellt, sondern nur das Vorhandensein solcher Structurbe-
dingungen beweiset, als zur Erzeugung des die Abbildung vermit-
telnden Beugungsphänomens nothwendig und hinreichend sind.“
(Abbe in Schultze’s Archiv IX. 1873. S. 452.)
Zur Erläuterung seiner Theorie liess Abbe bei Carl Zeiss
in Jena einen Diffractionsapparat anfertigen, mit dessen Hülfe an
den gröbsten hierbei in Betracht kommenden Structurverhältnis-
sen das Erscheinen der Absorptions- und der Beugungsbilder sehr
klar zur Anschauung kommt !. Um für feinere Structuren die-
selben Erscheinungen wahrnehmen zu können, construirte Abbe
eine kleine Blende mit einem Stege in der Mitte, der das Absorp-
tionsbild so vollständig abblendet, dass durch die beiden seitlichen
halbmondförmigen Oeffnungen nur die Beugungsbilder durchgelas-
sen werden. Wird nun beim Beobachten einer Pleurosigma-angu-
latum-Schaale diese Blende dicht über die hintere Linse eines
Weitwinkel-Objectivs ‘so jeingesetzt, dass der Steg parallel der
Mittelrippe der Frustel verläuft, so treten neue, der Mittelrippe
parallel verlaufende, sehr diehtstehende Längenlinien auf.
Diese brillante Erscheinuug ist von Woodward mittelst
eines Zeiss’schen Oel-Immersionssystems 1/s‘ bei 1850maliger Ver-
grösserung photographirt worden. Nach einer solchen Original-
aufnahme wurde das Bild auf Taf. XII Fig. C in 1085facher Ver-
grösserung durch photographischen Pressendruck hergestellt.
Abbe glaubte anfänglich, dass nur diejenigen Theile der
1) Ueber diesen Diffractions-Apparat hat L. Dippel ausführlich be-
richtet in der Berliner Zeitschrift für Mikroskopie, II. Jahrgang 1879—1880,
Heft II, Seite 42 u. ff.
270 C. Janisch: Ueber J. J. Woodward’s neueste Mikrophotographien ete.
Frustel, die dem Deckglase anhängen, zwischen denen und dem
Deckglase also keine Luftschicht befindlich ist, diese Erscheinung
zeigen. Woodward hat jedoch durch Versuche festgestellt, dass
das Erscheinen oder Nichterscheinen dieser Diffractionslinien einzig
und allein von der Intensität der Beleuchtungsbüschel ab-
hängig ist, so dass beim Beobachten mit diffusem Tageslichte,
oder bei Lampenlicht nur die dem Deckglase anhängenden Theile
der Frustel diese Diffraetionslinien zeigen, während bei Beleuch-
tung mit direetem Sonnenlichte diese Erscheinung über die ganze
Frustel siektbar wird.
Auf Taf. XII ist in Fig. B dieselbe Frustel mit demselben Ob-
jective in ganz gleicher Entfernung des Schirmes vom Präparate, also
in gleicher Vergrösserung in einer solchen Beleuchtung dargestellt,
dass die Schaale die bekannte Zeichnung der hexagonalen Felder
zeigt. Da aber zur deutlichsten Siehtbarmachung der Diffractions-
linien die Einstellung ein ganz klein wenig gegen die Einstellung,
die die Hexagone am deutlichsten zeigt, geändert werden muss,
so ist die Vergrösserung der beiden Figuren C und B auch eine
etwas verschiedene, welche Differenz jedoch Woodward kaum
auf 1 Procent schätzt. In Figur A dieser Tafel ist sodann die
vollständige Schaale der Frustel von Pleurosigma angulatum,
die zu diesem Versuche ausgewählt worden, abgebildet, aufgenom-
men mit Powell and Lealand’s Wasser - Immersions-System /s“
bei 730facher Vergrösserung und hier wiedergegeben in 428mali-
ger Vergrösserung.
Die photographirte Pleurosigma-Schaale ist 0,0106 lang,
0,0020“ breit und hat 46 diagonale und ebenso viele Querlinien
in Yıooo Zoll; während bei dem in Fig. C dargestellten Abbe’schen
Experimente 85 Längenlinien in "/ıooo Zoll erscheinen.
Conrad Keller: Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 271
Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel.
Von
Dr. Conrad Keller in Zürich.
Hierzu Tafel XIII, XIV.
Im Frühjahr 1879, als ich in Neapel die Entwicklung ma-
riner Spongien verfolgte, suchte ich mir gleichzeitig einen Ein-
blick in die Fauna des Golfes zu verschaffen.
Es stand mir hierzu lebendes Material aus dem Kriegshafen
und aus den Aquarien der Station sozusagen täglich zur Verfügung,
wiederholt wurden auch aus verschiedenen Tiefen bei Capri und
bei Ischia lebende Spongien heraufgeholt.
Sodann besitzt die zoologische Station eine reichhaltige
Spongiensammlung, deren Werth dadurch noch erhöht wird, dass
Oscar Schmidt, der um die Kenntniss der Mittelmeerarten so
verdiente Forscher, die einzelnen Stücke theils selbst bestimmt,
theils die vorhandenen Bestimmungen durchgesehen hat.
Zeigt die Fauna von Neapel mit derjenigen des adriatischen
Meeres auch eine vielfach Uebereinstimmung, so ist ihr Charakter
dennoch bemerkenswerth und abweichend geworden durch das Auf-
treten von Formen, welche der Adria fehlen, dagegen aus dem
atlantischen Gebiet bekannt geworden sind.
Ich erinnere an die zierliche Tisiphonia agarieiformis, die
durch Wyville Thomson aus den Tiefen des Golfstromes be-
kannt wurde und auch auf Schlammgrund der neapolitanischen Ge-
wässer vorkommt.
Neu für Neapel und für das Mittelmeergebiet überhaupt ist
das allerdings nur einmal beobachtete Vorkommen der atlantischen
Gattung Phakellia Bow. Während die englischen Küsten und
diejenigen von Florida als das Gebiet der Phakellien bisher be-
kannt waren, hat sich die Phakellia folium dureh ihre Anwesenheit
im Golfe bemerkbar gemacht.
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 19
Conrad Keller:
[80]
=T
DD
Ist die Fauna erst vollständig durehgearbeitet, so dürften
noch weitere zu atlantischen Formen hinneigende Species bekannt
werden.
So ist das atlantische Gebiet die eigentliche Heimat der Cha-
lineen und sind dieselben hier durch eine ungemein häufige Form,
welche ich als Chalinula tertilis bezeichnet habe, bereichert, eine
Form, welche offenbar stark an Halichondria simulans (Chalina
simulans) anklingt.
Ich bin nieht in der Lage, jetzt schon eine faunistische Zu-
sammenstellung sämmtlicher bekannten und noch zu beschreiben-
den neuen Arten, welche der Golf beherbergt, liefern zu können,
führe aber in Folgendem einige neue und gut ausgeprägte Arten
auf, weil sie mir der Erwähnung werth erscheinen.
l) Rhizasxinella clavigera Nov. gen. et spec.
(Taf. XII, Fig. 1—3.)
Einen hübschen aber seltenen Schwamm, welcher nur zwei-
mal in einer Tiefe von 120 Meter gedredget wurde, und weleher
unbestimmt in den Sammlungen der Station sich vorfand, glaubte
ich anfänglich der Gattung Axinella einverleiben zu sollen, muss
ihn jedoch nach genauerer Prüfung von derselben abtrennen.
Oscar Schmidt hatte 1862 in seinen Spongien des adria-
tischen Meeres die Gattung Axinella aufgestellt und vereinigt da-
rin diejenigen Kieselschwämme, deren einfache Nadeln durch ein
vorzugsweise in der Längsrichtung ausgedehntes Hornnetzwerk im
Axentheile umschlossen werden. Sehr zutreffend charakterisirt er
die hieher gehörenden Formen als Halichondriae subelasticae et
tlexibiles. Axis firmior et fibris subeorneis et spieula ineludentibus
formatus. Aus der Adria werden fünf Arten aufgeführt:
1) Axinella einnamomea (Grantia einnamomea Nardo);
2) Axinella verrucosa (Spongia verrucosa Esper);
3) Axinella polypoides;
4) Axinella eannabina (Spongia cannabina Esper);
5) Axinella foveolaria (Grantia foveolaria Nardo).
Als sechste Mittelmeerart fügte er 1868 in seinen „Spongien
der Küste von Algier“ noch die algerische Species Axinella sali-
eina hinzu.
In den neapolitanischen Gewässern kamen mir nur Ax. ein-
Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 273
namomea und Ax. polypoides zu Gesicht. Erstere ist auf den
schroff abfallenden Gründen bei Capri in der Nähe der blauen
Grotte und um die Faraglionefelsen herum ziemlich häufig und ge-
wöhnlich dicht mit ihrem bekannten Parasiten Palythoa axinellae
besetzt.
Die neue, auffallend gestaltete Spongie, welche bisher nur
zweimal mit der Dredge aus sandigem Grunde heraufgeholt wurde
und wovon ein Exemplar in den Sammlungen der Station, das
zweite dagegen in den Sammlungen des schweizerischen Polytech-
nikums aufbewahrt ist, theilt die elastische Beschaffenheit mit den
Axinellen, Clathrien und Raspailien. Auch der strauchartige Ha-
bitus dieser Gattungen findet sich hier wieder.
Diese Art besitzt ganz wie Axinella polypoides eine feste,
die Kieselgebilde umschliessende Hornachse, welche auf Quer- und
Längsschnitten sehr scharf markirt ist, ja an manchen Stellen durch-
schimmert.
Dagegen weicht die Nadelbildung von den Axinellen ab und
ist die Art ihrer Befestigung auf dem Boden völlig abweichend.
Während die Axinelle mit einfacher oder membranartig verbrei-
teter Basis ihrer Unterlage aufsitzen, findet sich bei unserem
Schwamm ein reich entwickelter Wurzelschopf.
Derselbe mag in ähnlicher Weise zur Fixirung auf dem san-
digen oder schlammigen Grunde dienen, wie die Wurzelausläufer
von Tisiphonia agarieiformis, in deren Gesellschaft diese Art auf-
gefunden wurde.
Diese Eigenthümlichkeit mag trotz der nahen Beziehung zu
Axinella die Aufstellung einer besonderen Gattung rechtfertigen.
Der sich senkrecht erhebende, drehrunde Stiel trägt am Ende
die grossen, scharf abgesetzten keulenförmigen Individuen und wir
haben somit eine Analogie mit andern Coelenteraten, beispiels-
weise mit den Tubulariden und Campanulariden, deren Körper
ebenfalls in zwei deutlich getrennte Abtheilungen, als Hydrocaulos
und als Hydranth bezeichnet, zerfallen.
Wurzelschopf.
Derselbe fixirt die basale abgerundete Portion des Stieles und
reicht bis auf eine Höhe von 2 em.
Die Hornsubstanz, welche wohl in ähnlicher Weise wie bei
den Spongiden ein Ausscheidungsproduct von Mesodermzellen dar-
274 Conrad Keller:
stellt, ist in diesem Abschnitt spärlich entwickelt und findet sich
nur in den grösseren vom Stiel abgehenden Ausläufern reichlicher.
Die Nadeln verlaufen vorherrschend longitudinal. Schon bei
einem jungen, etwa 3 Zoll hohen Exemplar, das noch ein einzi-
ges unentwickeltes Keulchen an der Spitze trägt, fand ich den
Wurzelschopf auffallend entwickelt.
Stielabschnitt.
Der drehrunde, dichotomisch verzweigte Stiel besitzt überall
ungefähr den gleichen Durchmesser von 5 mm.
Die deutlich begränzte Hornachse ist braungelb und ihr
Durchmesser beträgt im Mittel 2 mm.
Die stabförmigen geraden Kieselnadeln liegen ausserordent-
lich dicht. In der Achse liegen sie der Längsachse parallel, sind
an beiden Enden abgerundet bis geknöpft (Fig. 3b). Die Nadeln
der Rinde sind etwas schwächer (Fig. 3a) und kürzer, stehen senk-
recht oder schief zur Oberfläche und ragen über dieselbe hervor.
Nach aussen sind sie zugespitzt. Das gegen die Achse gerichtete
Ende ist geknöpft.
Im Stielabschnitt ist das Canalsystem ganz unentwickelt.
Die keulenförmigen Individuen
sind im ausgebildeten Zustande scharf vom Stiel abgesetzt, wal-
zenförmig mit einer Einschnürung in der Mitte.
Jüngere Keulen sind mehr kugelig und ohne Osculum.!
Gegen das Ende der entwickelten Keulen findet sich ein
Oseulum von eirca 3 mm Weite. An einer grossen, 6 Zoll hohen
Staude mit sechs Individuen fand ich eine Keule mit zwei Mund-
öffnungen.
Im Wesentlichen ist der Bau der Keule derselbe wie im Sten-
gelstück und lässt sich eine Rindenschicht von cavernösem Bau
(Fig. 2) und ein centraler Kern von fester Consistenz unterscheiden.
Der Centraltheil ist, wie Durehschnitte lehren, nichts anderes als
das kolbig erweiterte Ende der Stielachse und reicht bis in die
Nähe des Osculum.
Im Rindentheil liegen die stecknadelförmigen, am inneren
Ende geknöpften Nadeln in Zügen, die senkrecht zur Oberfläche
gerichtet sind. Das Osculum ist von einer dichtern Lage paralleler
vorstehender Nadeln umgeben und wird dadurch kranzmündig oder
rüsselmündig.
Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 275
Die Wände des in der Rinde verlaufenden Gastralraumes
sind glatt.
Die Farbe des Schwammes ist weisslich oder gelbgrau.
Cribrella labiata Nov. spec.
(Taf. XII, Fig. 4—6).
Diese neue Art wurde wiederholt in der |Nähe von Capri
mit der Dredge aus einer Tiefe von 100 bis 120 m heraufgeholt
und bildet meist längliche Knollen nach Art der Chondrosien oder
vieler Suberitesarten. Letzterer Gattung müsste man ihn, gestützt
auf die Kieselgebilde, auch einverleiben, wenn die Oscularbildung
nicht völlig abweichend wäre. Mit Bezug auf die Einströmungs-
öffnungen trägt diese Art den ausgeprägtesten Charakter der von
Schmidt in den Spongien des adriatischen Meeres aufgestellten
Gattung Cribrella, welche er diagnostizirt als: Halichondriae, qua-
rum foramina microscopica, per quae aqua intrat in corpus, non
disposita sunt sine ordine supra totam superficiem, sed collecta in
acervos et cribra distinete eircumseripta.
Wie aus der in natürlicher Grösse ersichtlichen Abbildung
hervorgeht, ist diese neapolitanische Art von den bisher bekannten
Mittelmeerarten (Cribrella hamigeraO.S. und Cribrella elegans O. S.)
stark abweichend.
Die Porenbezirke liegen ziemlich weit auseinander und bil-
den längliche oder kreisrunde oder unregelmässige Siebe, welche
kraterartig auf kegelförmigen Erhebungen sitzen, bei vielen Exem-
plaren aber auch einfach in die Oberfläche eingegraben erscheinen.
Die Poren sind verhältnissmässig weit und von blossem Auge
sichtbar.
Die Wand jedes Porensiebes, wohl ein modifizirtes Osculum
darstellend, ist umgeben von einer gegen die Umgebung scharf
abgesetzten, vorstreckbaren Lippe, einem hellen, schwefel-
gelben Ringwall. Diese schwefelgelben Lippen können sich, na-
mentlich wenn der Schwamm ruhig im frischen Seewasser liegt,
schornsteinartig emporheben, wird er beunruhigt, so legen sich
dieselben über die Porensiebe hinweg und können diese beinahe
vollständig verschliesen.
Die Porenfelder sind wie auch das innere Schwammgewebe
hell schwefelgelb.
Conrad Keller:
[80]
=
{er}
Wie man sich durch die mikroskopische Analyse überzeugt,
wird diese Färbung bedingt durch eine Unmasse farbstoffhaltiger
Mesodermzellen. Dieser Farbstoff ist wohl ganz identisch mit
demjenigen von Aplysina aerophoba Nardo.
An der Luft zeigt er wenigstens ganz die gleiche Verände-
rungen, der Schwamm wird schmutzig blaugrün bis schwarz und
die farbstoffhaltigen Zellen werden unter dem Mikroskop rasch
spangrün.
Zwischen den Porenbezirken ist die thalartig vertiefte, glatte
und glänzende Schwammoberfläche im Leben röthliehgrau bis
graugelb.
Die Kieselgebilde sind in diesem Schwamm nur von einerlei
Art. Wie bei Suberites sind es geknöpfte Nadeln, mit weitem
Centralkanal versehen, der am geknöpften Ende sich blasig er-
weitert.
Sie sind schwach gebogen und liegen regellos durch einan-
der. Nur in der Lippengegend findet man sie in paralleler La-
gerung. 4
An der Oberfläche liegen sie dichter als im Innern und bil-
den eine deutlich abgegränzte feste Rinde von I—2 mm Dicke,
ähnlich wie bei Stelletta, Geodia und andern Corticaten.
Die Markmasse enthält ein reichentwickeltes, unregelmässiges
Canalsystem. In den grösseren Canälen trifft man als häufige
Bildung von Strecke zu Strecke eine in derMitte durchbohrte quer-
gestellte Membran diaphragmaartig ins Canallumen vorspringend.
Derartige Bildungen trifft man übrigens, wenn auch weniger
zahlreich, bei Esperien.
Tuberella Nov. genus.
(Taf. XIV.)
Zwei Arten kugeliger Spongien, welche gar nicht selten vor-
kommen, weiss ich in keiner der bisherigen Gattungen unterzubrin-
gen, trotzdem dieselben Anklänge nach mehreren Richtungen hin
besitzen.
Aeusserlich gleiehen sie, der Gattung Tethya auffallend, stim-
men mit derselben auch in der Anordnung der Nadeln völlig über-
ein, indem von einem Centrum aus spiralig gedrehte Nadelzüge,
Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 277
aus einfachen Stabnadeln gebildet, streng radiär nach der Ober-
fläche ausstrahlen. Dagegen fehlt eine deutliche Rinde voll-
ständig. Die Hartgebilde sind nur von einerlei Art und die für
Tethya so charakteristischen Kieselsterne fehlen vollständig. Da-
gegen findet man höchstens eine Andeutung einer Rindenschicht
durch feinere Nadeln, welche als schwache Lage in der Rinde
stecken.
Sie der Gattung Radiella, welche Oscar Schmidt 1870 in
seinen Grundzügen einer Spongienfauna des atlantischen Gebietes
begründet, einzuverleiben, geht aus dem Grunde nicht, weil die
geknöpften Stecknadeln fehlen.
Nahe Beziehungen dieser Arten finden sich zur Gattung
Rinalda ©. Schm.
Eine einlässlichere anatomische Darstellung findet sich für
diese Gattung zwar bei Oscar Schmidt nicht, dagegen lieferte
uns eine solche unlängst Merejkowsky in seinen Etudes sur les
Sponges de la mer Blanche, St. Petersbourg 1376 an der Hand
seiner Rinalda avitica. Daraus geht soviel hervor, dass die Hart-
gebilde und das Canalsystem, auf welche es doch in der Systematik
zunächst aukommen muss, zu sehr von dem differiren, was sich
an den von mir aufzustellenden Arten vorfindet.
Ich bin daher zur Aufstellung einer neuen Gattung genöthigt
und verstehe unter den Tuberellen kugelige oder knollige Spongien
vom Habitus der Tethyen mit einfachen stabförmigen Nadeln, welche
von einem deutlich umgränzten Centrum aus in derben, spiralig
gedrehten Zügen nach der Oberfläche verlaufen. Zwischen diesen
Zügen finden sich kleinere, schwächere Stabnadeln als schwache An-
deutung einer Rindenlage. Kieselsterne fehlen vollständig, ebenso
geknöpfte Elemente. Osculum nicht vorhanden.
Man wird kaum fehl gehen, wenn man annimmt, dass die
Gattung Tuberella sich eng an Tethya anschliesst und aus ihr
durch vollständigen Ausfall der Kieselsterne hervorgegangen ist.
Ich fand zwei hieher gehörige Arten:
1) Tuberella tethyoides Nov. spec.
(Taf. XIV, Fig. 7—9.)
Aus den Aquarien der zoologischen Station und aus der Ge-
send von Nisita wurde mir dieser Schwamm wiederholt einge-
bracht. In den Sammlungen fand ich ihn unter Exemplaren von
278 Conrad Keller:
Tethya lyneurium, womit er allerdings ohne ganz genaue Unter-
suchung verwechselt werden muss. Ja sogar bei der mikroskopi-
schen Prüfung muss mit der grössten Genauigkeit verfahren
werden, um die Verschiedenheit von Tethya Iyneurium zu con-
statiren.
Die aus stabförmigen Nadeln gebildeten Züge stimmen damit
ganz überein und gegen die Oberfläche des Schwammes hin finde
ich nicht selten Gruppen von Sternen, von denen ich aber mit
Bestimmtheit angeben kann, dass dieselben gar nicht von unserer
Schwammart abstammen.
Einmal sind die Stacheln der Sterne nicht so lang wie bei
Tethya Iyneurium und stumpfer. Dann fällt bei genauerer Prü-
fung der Umstand sofort auf, dass ihr Lichtbrechungsvermögen
von demjenigen der umgebenden Kieselgebilde verschieden ist.
Kommen solche Sterne zur Ansicht, so genügt ein Zusatz von
concentrirter Essigsäure, um dieselben unter Entwicklung von Koh-
lensäure zum Verschwinden zu bringen.
Diese Sterne von kohlensaurem Kalk stammen zweifellos von
zusammengesetzten Ascidien, der Gattung Didemnum zugehörig,
ab, welche mehrere ungemein häufige Arten aufweist und deren
Cellulosemantel diese Kalksterne in unzähligen Mengen enthält.
Nach dem Zerfall dieser im Aquarium sehr bald absterben-
“ den Ascidien können diese mit andern Gegenständen vom Schwamm
aufgenommen werden, wie man zuweilen im Gewebe Nadeln von
Renieren- und Suberitesarten antrifft.
Die Knollen, denen ein deutliches Osculum fehlt, erreichen
einen Durchmesser von 5—8 em.
Gegen die Peripherie hin liegen vereinzelte Subdermal-
räume.
Die Oberfläche ist im unverletzten Zustande durch hervor-
stehende Nadeln, wie behaart oder mit einem feinen Flaum über-
zogen.
Vereinzelt erheben sich spitzere oder stumpfere Papillen.
Die Farbe des lebenden Schwammes variirt, sie ist bald in-
tensiv gelbroth mit heller Basis, bald gelb und roth gefleckt. Es
hängt dies von der Stärke der Entwicklung braunrother Zellgrup-
pen ab, welche unter der Oberfläche liegen und eine ca. 1—11/; mm
dieke Schicht bilden. Im Innern ist der Schwamm schwefelgelb
(Fig. 8).
Neue Coelenteraten aus dem Golf von Neapel. 279
Ob diese Art, was durch die Anordnung der Kieselgebilde
und den äusseren Habitus allerdings wahrscheinlich gemacht wird,
direet aus Tethya lyneurium herausgebildet hat, oder ob die äus-
sere Aehnliehkeit auf blosser Mimiery beruht, will ich hier unent-
schieden lassen.
2) Tuberella papillata Nov. spec.
(Taf. XIV, Fig. 10.)
Damit benenne ich einen grossen hübschen Schwamm, wel-
chen ich während meines Aufenthaltes in Neapel dreimal erhielt
und der Knollen von 8—10 em Durchmesser bildet.
Der central gelegene Kern ist massiger und die Faserzüge
derber, als bei der vorhergehenden Art.
Die ganze Oberfläche ist bedeckt mit einer Menge spitzer,
ungefähr '/s cm hoher Papillen. Bei einem jungen Exemplare fand
ich diese dieht gedrängten oben abgerundeten Kegel alle von glei-
cher Grösse. Ein grösseres Stück, wovon ich in beigegebener Ta-
fel XIV Fig. 10 eine Abbildung gebe, zeigte neben den spitzen Pa-
pillen vier über die andern hervorragende ungefähr 1'/; cm hohe
zitzenartige Gebilde, aber ohne Osculum.
An der Basis erscheint der Schwamm stark eingeschnürt und
mit verbreiterter Basis aufsitzend.
Die Farbe desselben ist im Leben ein dunkles Rothbraun.
Die Spitzen der Papillen sind weiss. Im Alcohol wird er schmut-
zig braun.
Wie man sich an einem durchschnittenen Stück überzeugen
kann, ist der lebende Schwamm im Innern orangegelb, der Kern
dagegen weisslich.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII und XIV.
Tafel XI.
Fig. 1. Rhizaxinella clavigera. Nov. spec. in natürlicher Grösse und mit 2
entwickelten Individuen und einer noch jungen Keule.
Fig. 2. Durchschnitt durch ein halb ausgebildetes keulenförmiges Individuum.
Central liegt das kolbig erweiterte Ende der Stielachse, am Rande
die cavernöse Rinde. Natürliche Grösse.
280 Oscar Schmidt:
Fig. 3. Starkvergrösserte Nadeln von Rhizaxinella clavigera.
a) aus der Rinde,
b) aus dem Achsentheil.
Fig. 4. Cribrella labiata Nov. spec. in natürlicher Grösse.
Fig. 5. Durchschnitt durch dieselbe mit Mark und Rindensubstanz. Natür-
liche Grösse.
Fig. 6. Nadeln von Cribrella labiata stark vergrössert.
Tafel XIV.
Fig. 7. Tuberella tethyoides. Nov. gen. et. spec. in natürlicher Grösse.
Durchschnitt durch Tuberella tethyoides.
Darstellung des Kieselselscelettes von Tuberella thetyoides. Stärkere
Vergrösserung.
Fig. 10. Tuberella papillata. Nov. spec. In natürlicher Grösse.
Be
a
Noto 0)
Zusatz zu obiger Abhandlung (von Keller).
Von
Oscar Schmidt.
Ich ergreife mit Erlaubniss des Herrn Verfassers, die Gele-
genheit, einige die Spongienfauna Neapels betreffende Beobachtun-
gen hier anzufügen, welche schon seit einigen Jahren der Ver-
öffentlichung harren. Von den von Herrn Keller beschriebenen
Arten erinnere ich mich nicht, eine zu Gesicht bekommen zu ha-
ben, dagegen kenne ich verschiedene andere bisher unbekannte
Arten, die wiederum meinem Mitarbeiter entgangen sind.
Stelletta carbonaria N.
Sie bildet unregelmässige Körper von schwärzlichem, schlak-
kenartigem Aussehn, das durch diesen Habitus sich von allen
anderen mir je vorgekommenen Spongien unterscheidet. Dieses
Aussehn stellt sich nieht in Folge späterer Veränderungen ein,
sondern ist dem frischen Schwamme eigenthümlich.
Zusatz. 281
An Harttheilen finden sich spitz-spitze und stumpf - spitze
Stabnadeln als Hauptmasse, dann sparsam Gabelanker mit kür-
zerem Stiel, feine schlankstrahlige Sternchen und Spiralsterne, wie
bei Spirastrella.
Stelletia fibulifera N.
Von unregelmässiger unbestimmter Gestalt. Von Kieselkör-
pern: a) grössere Umspitzer, b) ganz feine schlanke Umspitzer,
e) einfache Anker, oft mit gebogenem Schaft, d) Spangen, ähn-
lich denen der Desmaeidinen, e) Sternchen mit keulenförmigen Ra-
dien, f) Sternehen mit schlanken, spitzen Radien, nicht genau von
einem Centrum ausgehend, sondern den Spiralsternen verwandt.
Tethyophaena silifica N.
Körper stumpf kegelförmig, mit unregelmässigen kleineren
Höckern besetzt, gegen 6 cm hoch, röthlichgelb, also äusserlich
ähnlich wie die Keller’sche Tuberella tethyoides. Aufgebrochen
bietet Tethyophaena auch denselben Anblick, wie der obengenannte
Schwamm und wie Tethya. Sie besitzt die bekannten stumpf-
spitzen Tethyen-Nadeln in Spiralbündeln geordnet, aber es fehlen
und zwar wiederum wie bei Tuberella, die Sterne. Statt deren
ist unsere Spongie erfüllt von unregelmässigen röhrigen oder zel-
lenförmigen Verkieselungen. Die Verkieselung tritt zu den ver-
schiedensten Momenten der Gewebebildung ein, theils schon wenn
die Zellen noch vollkommen getrennt sind, theils wenn sie sich zu
längeren Bändern gestreckt haben. Im letzteren Falle entstehen
oft lange Röhren, die parallel sich mit einander verbinden und
gleichsam zu Blöcken mit einander verwachsen, theils sich kreu-
zen. Dazwischen finden sich auf den mikroskopischen Schnitten
die unregelmässigsten Kiesel-Labyrinthe.
So erscheint also das Kieselmaterial, welches von der Tethya
zu den Sternen verarbeitet wird, hier zu unregelmässigen Verkie-
selungen der Zellenwände und der amorphen Weichtheile verwen-
det zu werden.
Die Verwandtschaft mit Tuberella tethyoides ist die aller-
nächste; vielleicht wäre es‘vorzuziehen, statt des von mir verwen-
deten Namens die neue Form Tuberella silifica zu nennen, worü-
ber die Vergleichung weiterer Exemplare entscheiden mag.
282 Oscar Schmidt: Zusatz.
Zwei fernere neue Arten aus dem Golf von Neapel habe ich
in der Sammlung der Station hinterlegt als Plicatella!) vil-
losa und Phakellia plicata. Ihre Harttheile stimmen mit de-
nen der genannten Gattungen überein; diejenigen der Phakellia
plicata mit denen der Ph. ineisa, nur dass sie etwas grösser sind.
Auch hier müssen noch mehr Exemplare beobachtet werden.
Der interessanteste Fund Kellers ist Rhizaxinella elavigera,
wozu ich aus der Nähe von Marseille und ebenfalls vom Schlamm-
srunde durch die Güte Marions einen Pendant kenne und be-
sitze. Im Aeusseren stimmt der Schwamm von Marseille mit jenem
auffallend überein, vor allem in der Anpassung an den weichen
Boden dufch Wurzelbildung. Jedoch ist der Stiel unregelmässig,
stellenweise platt, und die Kolben, welche Keller wegen des Os-
eulums mit Recht Individuen nennt, entbehren dieser Oeffnungen
und verhalten sich sammt den Stielen wie gewisse mundlose Su-
beriten. Diesen schliessen sie sich auch durch die Nadeln an.
Ich bemerke, dass ich mit Rücksicht auf diese auch Kellers
Schwamm eher zur Familie der Suberitiden ziehen würde. Ich
möchte sogar die beiden Vorkommnisse für blosse Varietäten eines
noch näher zu bestimmenden mittelmeerischen Suberiten halten,
wobei Sub. lobatus und massa in erster Reihe ins Auge zu fassen
wären. Es ist einer der Fälle, wo die Artbildung in Folge ver-
änderter Lebensweise zu demonstriren ist. Ob die bewurzelte
Form jetzt noch Varietät oder in ihren Nachkommen schon fest
ist, bleibt dabei gleichgültig. Einen weiteren Beleg hierfür liefert
eine gleichfalls in Marseille von demselben Standort erhaltene
wurzelbildende Renierine. Beide Spongien werden im II. dem-
nächst erscheinenden Hefte der „Spongien des Meerbusens von
Mexico“ besprochen und abgebildet werden.
1) Spongienfauna d. atl. Oceans. 1870. S. 41.
Bernhard Rawitz: Ueber den Bau der Spinalganglien. 283
Aus der histologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.
Ueber den Bau der Spinalganglien.
Von
Dr. Bernhard Rawitz, Unterarzt.
Hierzu Tafel XV.
I.
Die Struktur der Zellen.
Erwägungen über die rückläufige Erregbarkeit waren es, die
mich im Sommersemester 1878 veranlassten, Untersuchungen über
die Spinalganglien anzustellen, indem ich hoffte, eine anatomische
- Unterlage für jene Beobachtung zu finden, oder ihr dieselbe zu
entziehen: auf jeden Fall also eine physiologische Streitfrage auf
anatomischem Wege entscheiden zu können. Als selbstverständlich
setzte ich dabei voraus, dass der Bau dieses kleinen Organes, das
durch den Bell’schen Lehrsatz eine grosse Bedeutung gewonnen
hatte, völlig klar und nicht mehr Objekt der Diskussion sei.
Bald aber wurde ich eines Besseren belehrt. Das Studium
der sehr umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand zeigte
mir eine solche Verwirrung der Ansichten über die Struktur
der das Organ konstituirenden Elemente, dass ich, wollte
ich anders mein Ziel erreichen, über diesen Punkt durch eigene
Untersuchungen mir Klarheit verschaffen musste.
Je tiefer ich aber eindrang, um so mehr trat die Erwägung
zurück, die als Ausgangspunkt gedient hatte, um so schärfer drängte
sich die Frage über die Natur der Ganglienzellen in den Vorder-
grund und um so weiter wurden die Gesichtspunkte, die zu erle-
digen nothwendig erschien.
In seinem „Handwörterbuch der Physiologie“ (Bd. 3, Abth. 1,
p- 360) tritt Rudolf Wagner für die ausschliessliche Bipolarität
de rGanglienzellen in den Spinalganglien ein. In diesen Unter-
284 Bernhard Rawitz:
suchungen und seiner späteren Arbeit), die nur an torpedo an-
gestellt sind, weist er die Existenz unipolarer Zellen zurück. Der
Umstand, dass der aus dem Ganglion austretende Nervenstamm
dieker sei, als der eintretende, erhält nach ihm dadurch seine Er-
klärung, dass die von der Ganglienzelle abgehende Nervenfaser
stärker sei, als die an dieselbe herantretende. Er fasst als Haupt-
kriterium einer sensiblen Faser auf die Interpolation einer Ganglien-
zelle in ihren Verlauf und bringt dies mit dem Bell’schen Lehr-
satze in Verbindung. Diese Beobachtungen, die nur an einer Ord-
nung einer Thierklasse gewonnen waren, wurden zwar bestätigt,
haben aber eine Verallgemeinerung nicht erfahren.
Bidder?) konstatirte, gleichfalls bei Fischen, und zwar an
den Ganglien des Trigeminus und Vagus vom Hecht, das aus-
schliessliche Vorkommen bipolarer Zellen.
(In diesem Theile der Arbeit ist ausschliesslich auf die Struk-
tur der unipolaren Zellen Rücksicht genommen, während die der
bipolaren (Taf. XV Fig. 1u.2) als nicht von hervorragender Wich-
tickeit bei Seite gelassen wurde. Ich will daher nur ganz kurz auf
die von Bidder angegebenen Details eingehen. Er behauptet, dass
eine eigentliche Unterbrechung der Faser durch die Zelle, ein
Uebergehen der ersteren in die letztere nieht stattfinde, sondern
dass vielmehr die Zelle in einer Erweiterung der Nervenfaser
liege. Das heisst mit anderen Worten: von einem Mantel Nerven-
substanz umhüllt liegt eine fortsatzlose Zelle. Die Methode der
Untersuchung, Zerzupfen in Wasser, ein leichter Grad von Fäul-
niss, hat aber so wenig berechtigten Anspruch auf das Prädikat
„tadellos“, dass die dadurch gewonnenen Resultate nicht allein
mit Vorsicht, sondern auch mit Misstrauen aufgenommen werden
müssen.)
Stannius?) findet bei Fischen gleichfalls nur bipolare Zellen,
deren Fortsätze von theils schmalen, theils breiten Nervenfasern
gebildet werden.
Auch Henle (in seiner Nervenlehre) und Kölliker (mikro-
1) R. Wagner: Neue Untersuchungen über den Bau und die Endi-
gung der Nerven und die Struktur der Ganglien.
2) Bidder: Zur Lehre vom Verhältniss der Ganglienkörper zu den
Nervenfasern.
3) Stannius: Das peripherische Nervensystem der Fische.
Ueber den Bau der Spinalganglien. 285
skopische Anatomie) erkennen bei Fischen das Vorkommen bipo-
larer Zellen an. In neuester Zeit ist Holl (Wiener Acad. Sitzungs-
berichte 1877) für die Bipolarität der Zellen bei höheren Wirbel-
thieren in die Schranken getreten. Er machte Querschnitte vom
ein- und austretenden Stamme, zählte die Nervenfasern und hat
deren Anzahl bei beiden stets gleich gefunden.
Die Physiologie hat sich dieser Thatsachen bemächtigt und
darauf eine Theorie von der Funktion der Spinalganglien gegrün-
det. Die von der Peripherie ausgehenden sensiblen Reize werden
im Spinalganglion verstärkt, erhalten hier also gewissermassen
relais. So ist es leicht erklärlich, dass keiner dieser oft ganz
minimalen Reize auf dem langen Wege von der Peripherie zum
Centrum verloren geht.
Der Fehler in der physiologischen und der anatomischen
These liegt darin, dass in dieser die bei einer Thierklasse ge-
machte Beobachtung als massgebend für die gesammte Wirbel-
thierreihe hingestellt und in jener eine so ungenaue Thatsache in
verallgemeinernder Weise angewendet wird.
Nirgends ist bekanntlich der Schluss per analogiam gefähr-
licher und für die Wissenschaft verwirrender, als im Gebiete der
Neurohistologie. Was für die Fische gilt, gilt nicht nothwendig
für Frösche, und was bei diesen als Thatsache festgestellt ist, ist
es darum noch nicht bei Vögeln und Säugern.
Jede Beobachtung über die Spinalganglien, zu der das Mate-
rial aus einer anderen Thierklasse genommen wurde, hat daher
Thatsachen zu Tage gefördert, die den eben angeführten oft dia-
metral gegenüberstehen.
Kölliker), der, wie schon erwähnt, die Wagner’schen
Beobachtungen für die Fische bestätigt, sagt: „Ich läugne das
Vorkommen ähnlicher Verhältnisse bei höheren Thieren auf das
Bestimmteste“. Er behauptet mit Recht gegen Rudolf Wagner,
dass es durchaus kein Kriterium für eine sensible Faser sei, dass
sie in ihrem Verlaufe eine Ganglienzelle habe; ihr Aussehen als
Faser wird in Nichts dadurch geändert. Ferner erkennt er die
Nothwendigkeit bipolarer Zellen für den Bell’schen Lehrsatz nicht
an. Nach ihm entsteht das Ganglion der hinteren Wurzel bei
höheren Thieren dadurch, dass um die Nervenfasern und zwischen
1) Kölliker: Mikroskop. Anatomie, Bd. 2, p. 502 u. ft.
286 Bernhard Rawitz:
dieselben sich Ganglienzellen lagern, die allem Anscheine nach
besonderen Nervenfasern als Ursprung dienen, mit den durch das
Ganglion hindurchgehenden aber nichts zu thun haben. D.h. er
statuirt für die Spinalganglien höherer Wirbelthiere das ausschliess-
liche Vorkommen unipolarer Zellen.
Aehnliches behauptet Hyrtl!): „Der Bau aller Intervertebral-
knoten stimmt darin überein, dass die Fasern der hinteren Wurzel
zwischen den unipolaren Ganglienzellen der Knoten hindurchgehen,
ohne mit ihnen sich zu verbinden, aus den Ganglienzellen aber
neue Fasern entstehen, welche sich zu den durchgehenden hinzu-
gesellen und somit die Summe der austretenden Fasern eines
Ganglions grösser, als jene der eintretenden ist“.
Auch Henle (Nervenlehre) vindizirt den Spinalganglien höhe-
rer Wirbelthiere unipolare Zellen.
Sehwalbe?) ist in neuerer Zeit wieder voll für die Unipo-
larität der Zellen bei höheren Wirbelthieren in die Schranken ge-
treten. Der Hauptfehler seiner schönen Arbeit scheint mir darin
zu liegen, dass er eigentlich eine petitio prineipii begeht, indem
er das, was er erst beweisen muss, nämlich die Unipolarität, als
bewiesen voraussetzt. Darum ist auf seine Untersuchungen so
wenig von physiologischer Seite Rücksicht genommen worden.
Diesen anatomischen Beobachtungen zur Seite stehen die
Experimente Axmanns?), die derselbe in einer Monographie
veröffentlicht hat. Aus denselben, gegen die Lothar Meyer
(in Virchow’s Archiv, Bd. 6), eine sehr schwache Widerlegung
versucht hat, geht hervor, dass in den Ganglien ein System von
Nervenfasern seinen Ursprung nimmt, das der Ernährung und
Sekretion vorsteht.
Die Axmann’schen Untersuchungen erhalten eine werthvolle
Unterstützung in den pathologisch-anatomischen Beobachtungen
Baerensprungs*®), der bei Fällen von Herpes Zoster die zur
Sektion gelangten, Veränderungen in den Spinalganglien fand, und
1) Hyrtl: Anatomie, pg. 832 (9. Aufl.)
2) G. Schwalbe: Ueber den Bau der Spinalganglien nebst Bemerkun-
gen über die sympathischen Ganglienzellen. M. Schultze’s Archiv, Bd. 4.
3) Axmann: Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und Physiologie
des Gangliennervensystems des Menschen und der Wirbelthiere. Berlin 1853.
4) v. Baerensprung: Beiträge zur Kenntniss des Zoster, Charite-
Annalen 1863.
Ueber den Bau der Spinalganglien. 287
zwar Wucherung des Bindegewebes. Die dadurch hervorgerufene
Kompression der nervösen Elemente sieht Baerensprung als
Ursache der Krankheit an. Seine Angaben über die anatomische
Gliederung des Ganglion sind durchaus falsch.
So standen die Verhältnisse, als Arnold!) seine Unter-
suchungen über die Zellen der Sympathicusganglien veröffentlichte.
Schroff und unvermittelt standen die anatomischen Thatsachen ein-
ander gegenüber und jede neue Arbeit vermehrte noch die Kluft.
Erst die Arnold’schen Beobachtungen schienen die verbindende
Brücke bilden zu wollen.
Er fand, dass zwar eine gerade, breite Nervenfaser an die
Ganglienzelle herantrete, dass aber noch ausserdem eine zweite
Nervenfaser von demselben Pole der Zelle, wie die erste, abginge.
Diese zweite Faser, die Beale schon früher beschrieben, aber nicht
abgebildet hat, nimmt ihren Ursprung in feinen, vom Kernkörperchen
entspringenden Fäserchen, welche den Zellenleib wie mit einem
Netze überziehen, unter sich in manchfacher Kommunikation stehen
und sich am Abgangspole zu einer feinen, zarten Faser vereinigen,
die die breite in mehr oder weniger zahlreichen Spiralturen um-
windet.
Diese Arnold’sche „Spiralfaser“, die bei den sympathischen
Ganglienzellen vorkommt, wird stillschweigend auch den Zellen
der Spinalganglien zugeschrieben.
Kollmann und Arnstein, Bidder?), W. Krause, Cour-
voisier und viele Andere bestätigten und erweiterten die Arnold’-
schen Beobachtungen.
Bestätigt sich die Arnold’sche Spiralfaser wirklich, dann
fällt der frühere durchgreifende Unterschied von unipolaren und
bipolaren Zellen fort; dann haben wir überall bipolare Zellen,
nur dass bei der einen Thierklasse die Nervenfasern von den ent-
gegengesetzten Polen abgehen, bei der. anderen von demselben.
Man hat dann nur zwischen oppositipolen und geminipolen Zellen
zu unterscheiden (Courvoisier).
Wollte ich der Frage über den Bau der Spinalganglien näher
l) Arnold: Ueber die feineren histologischen Verhältnisse der Gang-
lienzellen in dem Sympathicus des Frosches. Virchow’s Archiv Bd. 32.
2) Bidder: Die Endigungsweise der Herzzweige des n. vagus beim
Frosch. Reicherts-du Bois-Reymonds Archiv 1868.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 20
288 Bernhard Rawitz:
treten, so musste ich in erster Linie auf die Arnold’schen Unter-
suchungen Rücksicht nehmen und Stellung zur „Spiralfaser“ ge-
winnen. Dabei musste auf alle die Untersuchungen zurückgegriffen
werden, die in früherer und neuester Zeit über die Struktur der
Ganglien-Zelle angestellt sind und es mussten Probleme von durch-
aus untergeordneter Bedeutung zu lösen versucht werden. So ent-
stand der erste Theil meiner Arbeit „über die Struktur der Zellen“.
Was auch immer meine Untersuchungsresultate ergeben
mochten, ob sie für, ob wider die Spiralfaser sprachen, es muss-
ten die Uebergänge von der Ganglienzelle, wie sie bei den Knor-
pelfischen, zu der, wie sie beim Menschen sich zeigt, gefunden
werden; es musste ferner die Topographie der Ganglien selber,
im weitesten Sinne des Wortes, festgestellt werden. Dies war nnr
möglich durch eine successive Untersuchung des Organes durch
die gesammte Wirbelthierreihe. Die Ergebnisse dieser noch nicht
abgeschlossenen Arbeit sollen im zweiten Theile niedergelegt werden.
Da in allen anatomischen Fragen, in’s besondere bei denen
der Neurohistologie, das Hauptkriterium die Entwicklungsgeschichte
abgeben muss, meine Untersuchungen mich ausserdem bei jungen
Thieren höchst interessante und wichtige Verhältnisse kennen
lehrten (efr. meine vorläufige Mittheilung „die Markentwieklung
in den Spinalganglien.“ Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1879
Nr. 42), so ergaben sich als dritter Theil meiner Arbeit Studien
über die genesis der Spinalganglien.
In folgendem will ich die Resultate meiner Untersuchungen
über die Struktur der Zellen mittheilen.
Zerzupft man ein Spinalganglion eines höheren Wirbelthieres
in 0,75 °/, Kochsalzlösung, so sieht man Folgendes:
Die Ganglienzellen haben eine birn- oder besser eine keulen-
förmige Gestalt. Ihre Substanz, die deutlich, etwas grob sranulirt
erscheint, lässt zwei Schichten erkennen, welche sich ziemlich
scharf gegen einander absetzen. Die eine hellere und feiner granu-
lirte liegt an dem Pole der Zelle, von dem aus der Nerv abgeht, ist
gegen die zweite halbkreisförmig begrenzt und enthält eine Menge von
unregelmässig angeordneten, hellen, ovalen Kernen (Taf. XV Fig. 4),
die Courvoisier!) Polarkerne genannt hat und die weiter unten
1) Courvoisier: Ueber die Zellen der Spinalganglien, sowie des
Sympathicus beim Frosch: M. Schultze’s Archiv Bd. IV 1868.
Ueber den Bau der Spinalganglien. 289
ausführlicher zu besprechen sind. Im dunkleren, gröber granu-
lirten Theile liegt der Zellkern. Derselbe ist rund oder leicht
oval, hat eine bläschenförmige Gestalt und setzt sich gegen seine
Umgebung nicht scharf begrenzt ab, von der er sich durch sein
helleres Aussehen unterscheidet. In ihm liegt das stärker licht-
brechende, kreisrunde, zuweilen einfache, zuweilen doppelt vor-
handene Kernkörperehen. Im ersteren Falle, wenn es einfach ist,
hat es öfters eine Vacuole. -
Konstant ist die Lagerung des Kernes und sein Verhältniss
zur abgehenden Nervenfaser, und zwar liegt der Kern dem Ner-
venabgang genau gegenüber !)., Den Pol, an dem der Kern liegt,
nenne ich deshalb Kernpol, denjenigen, von dem aus der Nerv
abgeht, den Nervenpol. An letzterem befindet sich eine unregel-
mässig begrenzte Zone orangefarbenen oder rothbraunen Pigmentes
(Taf. XV Fig. 3), das grobkörnig oder stäbchenförmig erscheint. Es
liegt dies Pigment in jener vorhin beschriebenen helleren Zone, deren
bogenförmige Grenze ihre Konkavität dem Nervenpole zukehrt.
Beiläufig will ich erwähnen, dass das Pigment durch alle Rea-
sentien seine Farbe verliert. Von der Zelle geht nur eine Nerven-
faser ab, die sehr bald doppelt konturirt erscheint. Im doppelten
Kontur treten nach kurzer Einwirkung des Reagens deutlich die
Lantermann’schen Einkerbungen auf. Den Nerv in die Zelle
hinein zu verfolgen, ist nicht möglich, da er in manchen Fällen
am Anfang der hellen, kernhaltigen Zone endet oder, wenn dies
nicht der Fall ist, in seinem Verlaufe durch die dunkle Protoplas-
mamasse dem Blicke des Beobachters entzogen wird.
Als Anomalie möchte ich folgende Erscheinung erwähnen.
Eine Zelle hatte die Gestalt einer nach unten zu abgerundeten
Wulff’schen Flasche, also zwei an verschiedenen Stellen der Zelle
aber nach derselben Richtung hin abgehende Fasern. Die eine
derselben, die kürzere, konnte vor einer scharfen Kritik nicht be-
stehen, sie erwies sich als Kunstprodukt, das durch die Präparir-
nadel hervorgebracht war. Die andere liess sich eine ziemlich grosse
Strecke weit verfolgen und zeigte dann eine dichotomische Theilung
mit Ranvier’scher Einsehnürung (Taf. XV Fig. 6). Es entspricht
dies der von Ranvier) beschriebenen Form der „T-Faser“. Er
1) Dies Verhältniss kommt bei bipolaren Zellen nicht vor, hier liegt
der Kern in der Mitte der Zelle. cfr. Fig. 1 und 2 auf Taf. XV.
2) Ranvier: Comptes rendus, 1875, p. 1274.
290 Bernhard Rawitz:
behauptet, dass es keine unipolaren Zellen gäbe, sondern jede
bipolar sei. In kurzer Entfernung vom Nervenpol findet nach ihm
eine diehotomische Theilung statt, so dass die eine der dadurch
entstehenden Fasern zum Centrum, die andere zur Peripherie geht.
Die Verjüngung, die an der Einschnürung stattfindet, soll ein Ab-
reissen der Theilung erleichtern und so die Seltenheit derartiger
Bilder erklären.
In allerdings nur ausserordentlich seltenen Fällen ist es mir
gelungen, diese Beobachtung zu wiederholen. Aber gerade des-
wegen bin ich nicht geneigt, die Ranvier'schen Schlussfolgerun-
gen als berechtigt anzuerkennen. Darum weil man in vielen hundert
Untersuchungen drei- oder viermal dichotomische Theilungen an-
getroffen hat, ist man noch nicht genöthigt anzunehmen, dass dies
die Regel sei und in allen anderen Fällen durch persönliches Un-
geschick das Bild zerstört werde. Es ist eine eigenthümliche Er-
scheinung, dass selbst die grössten Histologen einer physiologischen
Theorie zu Liebe ihre Geschicklichkeit bezweifeln und die Rich-
tigkeit der von ihnen gefundenen Thatsachen in Frage stellen,
anstatt dass sie, umgekehrt, der physiologischen Theorie zu Leibe
gehen.
Wenn ferner Ranvier annimmt, dass von den durch die
Theilung entstehenden beiden Fasern die eine centripetal, die an-
dere centrifugal verlaufe !), so muss ich das auf das Entschie-
denste in Abrede stellen. In den wenigen Fällen, in denen ich
das erwähnte Bild zur Beobachtung bekam, fand die Theilung in
sehr grosser Entfernung von der Abgangsstelle statt. Ferner bil-
den die beiden Theilfasern einen spitzen, nicht einen gestreckten
Winkel, was doch der Fall sein müsste, wenn sie wirklich nach
entgegengesetzten Richtungen gehen würden. Endlich zeigen
meine sämmtlichen Schnittpräparate (ich habe ein Ganglion stets
serienweise ohne Verlust in viele Schnitte zerlegt), auch nicht die
geringste Andeutung von einem derartigen Verhältnisse.
Schwalbe führt in seiner schon erwähnten Arbeit eine,
leicht zu wiederholende, Beobachtung an, die ebenfalls gegen die
Ranvier'sche Behauptung spricht. Der aus einem Ganglion aus-
tretende Nervenstamm ist stets dieker, als die eintretende sensible
1) Dadurch würden auf das leichteste die oben erwähnten Holi’schen
Beobachtungen erklärt.
Ueber den Bau der Spinalganglien. 291
Wurzel; bei der Eidechse z. B. beträgt nach ihm die Breite des
eintretenden Stammes 0,149 mm, die des austretenden 0,249 mm.
Aus diesen Gründen muss ich die zweite Ranvier’sche Be-
hauptung als irrig zurückweisen und kann die erste nur in sehr
beschänktem Masse gelten lassen.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zum Ausgangspunkte
zurück.
Hatte das zu untersuchende Object längere Zeit (2—3 Stun-
den) in der Kochsalzlösung verweilt, dann traten folgende Erschei-
nungen -auf (Taf. XV Fig. 5). Die Zelle füllte die Kapsel nicht ganz
aus, sondern hatte sich von derselben zurückgezogen. Auf der
Kapsel zeigte sich eine eigenthümliche Zeichnung, wodurch ein
Bild entstand, wie es Arnold beschrieben und auf das ich später
noch näher eingehen muss. Ein ziemlich regelmässiges Maschen-
netz überspann die Zelle und schien in letzter Instanz mit dem jetzt
strahlig erscheinenden, zuweilen Fortsätze aussendenden Kernkör-
perchen zusammenzuhängen. Dies sind reine Schrumpfungser-
scheinungen.
Die Masse der Zellen beim Frosche vom Nerven- zum Kernpol
schwanken zwischen 0,10248mm und 0,6222 mm, die grössten
Durchmesser der Kerne schwankten zwischen 0,03014 mm und
0,01507 mm, die der Kernkörperchen zwischen 0,00822 mm und
0,00411 mm: also bei einer ziemlich beträchtlichen Schwankungs-
breite ziemlich grosse Werthe.
So werthvoll diese Methode, die den Ausgangspunkt für fast jede
histologische Detailuntersuchung bilden sollte, auch ist, so ist sie
doch zur Erkennung derjenigen Strukturverhältnisse, um die es sich
hier handelt, nicht mass- und ausschlaggebend. Die Isolation
der Zellen kann nur durch sehr gewaltsames Zerzupfen geschehen
und ist meist unvollkommen, denn das pericelluläre Bindegewebe
ist sehr zäh und schwer zerreisslich. Ich musste mich daher nach
anderen Methoden umsehen, die das Bindegewebe lösten, oder zum
wenigsten seine Resistenz minderten, ohne dass dabei die histo-
logische Integrität der Zellen verletzt würde. Eine solche Me-
thode aufzufinden ist mir leider nicht gelungen. Alle wirken in
stärkerer oder schwächerer Weise alterirend ein und bei ihrer
Anwendung muss man daher auf das Peinlichste die Fehlerquellen
berücksichtigen. Am zweckentsprechendsten ist mir die von Ar-
292 Bernhard Rawitz:
nold!) empfohlene Behandlungsweise erschienen, die richtig und
kritisch angewandt, die besten, ja fast allein brauchbaren Re-
sultate liefert. Dieselbe besteht darin, dass man das Objeet
A—5 Minuten in 0,2% Essigsäure und dann auf 12—48 Stunden
in 0,01% Chromsäure legt. Ich wendete gewöhnlich 0,1% "Es-
sigsäure und dann 0,01%. Chromsäure an und liess die Ganglien
in dem ersten Reagens, je nach ihrer Grösse, 5—10 Minuten, im
letzteren 24—48 Stunden liegen und zerzupfte dann in Glycerin.
Als Tinktionsmittel habe ich fast ausschliesslich Goldehlorid (2%
und 0,1/0) benutzt, das mir die histologisch und ästhetisch schön-
sten Bilder lieferte, ohne dass ich die anderen Reagentien ver-
nachlässigte.
In so zubereiteten Objeeten ist die Isolation der Zellen sehr
leicht, die sich bei einiger Uebung ohne die geringste Gewaltan-
wendung bewerkstelligen lässt. Der Zellenleib hat sich ziem-
lich stark von der Kapsel retrahirt; dieselbe erscheint in unge-
färbten Präparaten als glashelle, hier und da etwas gefaltete Mem-
bran, die überall geschlossen ist und keinerlei Verlet-
zungen erkennen lässt. Sie begleitet den einzigen abge-
henden Axencylinder und wird, nachdem derselbe sich mit Mark
umgeben, zur Schwan’schen Scheide (Tat. XV Fig. 9).
Die Zellen sind unipolar, d.h. nieht oppositipol; nirgends
ist, wie ich nochmals hervorheben muss, an der Kapsel auch nur
die geringste Andeutung einer Verletzung vorhanden, die den Ver-
dacht erwecken könnte, als sei eine zweite Faser abgerissen !).
Dies gilt für Kaltblüter wie für Warmblüter. Guye t) hat
im Sympathieus des Kaninchens bipolare Zellen gefunden. Da
man für gewöhnlich die beim Sympathieus gefundenen Resultate
auf die Spinalganglien anwendet und umgekehrt (was wohl nieht
immer ganz gerechtfertigt sein dürfte), so möchte ich die Rich-
tigkeit jener Beobachtungen anzweifeln.
1) loco eitato.
2) Nochmals will ich hervorheben, dass ich auf die Struktur und das
Vorkommen der bipolaren Zellen in diesem Theile keine Rücksicht genom-
men habe, da es mir nur daran lag, die Existenz der unipolaren Zellen nach-
zuweisen.
3) Guye: Centralblatt für die med. Wissensch., 1866. Die Ganglien-
zellen des Sympathicus beim Kaninchen.
Ueber den Bau der Spinalganglien. 293
Die Unipolarität aller Ganglienzellen in den Spi-
nalganglien, namentlich der höheren Wirbelthiere, die
durch die Arnold’sche Untersuchungsmethode auf das leichteste
zu demonstriren ist, ist eine nicht zu bestreitende That-
sache. Dabei will ich vorläufig die Spiralfaser unberücksichtigt
lassen.
In keiner Weise kann ich daher die Arndt’schen !) Unter-
suchungsresultate als richtig anerkennen.
Nach ihm sollen die Ganglienzellen unseres Organes wenig-
stens bipolar sein; aber auch multipolare sollen vorkommen.
Seine Figur 16 stellt eine solche multipolare Zelle dar. Lanzett-
förmige Fortsätze sollen vom Zellenrande nach verschiedenen Rich-
tungen hin ausstrahlen und zum grossen Theil Kommissurfä-
den sein.
Aber wie die Verbindung zweier Ganglienzellen im Rücken-
mark von allen vorurtheilsfreien Beobachtern, in erster Linie von
Deiters in seinem berühmten Werke, in’s Reich der Fabeln ver-
wiesen ist, ebenso gehört dahin die Behauptung von einer Ver-
bindung zweier Ganglienzellen im Spinalganglion. Wer an der
Hand einer sicheren Methode, deren Fehlerquellen genau gekannt
sind, den Bau jenes kleinen Organes zu erforschen sucht, wer
Vergrösserungen anwendet, die innerhalb der Grenze für die Lei-
stungsfähigkeit unserer Instrumente liegen, dem wird eine der-
artige Behauptung unbegreiflich erscheinen.
Deiters nennt die Verbindung zweier Ganglienzellen des
Rückenmarkes eine histologische Absurdität, man könnte das
Gleiche von der Arnold’schen Beobachtung sagen. Wer bei tau-
sendfacher Vergrösserung untersucht, und zwar Gebilde von so
ausserordentlich zarter Beschaffenheit, wie die Ganglienzellen, die
so sehr leicht auch durch das scheinbar harmloseste Reagens ver-
ändert werden, der begiebt sich jeder Kritik. Hier hört das Wis-
sen auf, hier beginnt der Glaube, die exakte Forschung muss sich
beugen vor dem kühnen Fluge einer allzu üppigen Phantasie.
2°/, Goldehloridlösung, welche die Zeilen etwas härtet, aber
auch brüchiger macht und nach deren Anwendung man Isolationen auf
grosse Strecken nicht ausführen kann, giebt sehr schöne, überzeu-
1) Arndt: Ueber die Ganglienkörper der Spinalganglien. M. Schultze’s
Archiv 1875.
294 Bernhard Rawitz:
gende Bilder von der Unipolarität. Die überall geschlossene Kapsel
begleitet, wie weiter oben schon erwähnt, die abgehende Faser. In-
teressant ist der Verlauf dieser letzteren innerhalb der Kapsel (Taf. XV
Fig.7). Stets am Kernpole entspringend verlässt sie nieht immer in
gerader Richtung die Zelle, sondern macht erst eine Halbkreistour um
dieselbe innerhalb der Kapsel, um dann ihren Lauf zur Peripherie
einzuschlagen. Schwalbe!) nennt derartige Fasern „umwindende“
und führt auf dieses Verhältniss den Umstand zurück, dass es so
schwer sei, die Zellen mit ihren Fortsätzen auf weite Strecken zu
isoliren.
Neben den unipolaren Zellen findet man nicht so selten, wie
man a priori anzunehmen geneigt wäre, apolare Zellen. Die-
selben sind weniger häufig bei erwachsenen, als bei jugendli-
chen Thieren (10—14 Tage alten), weniger zahlreich bei Poikilo-
thermen, als bei Homoiothermen. Sie liegen nie allein für sich,
in welchem Falle sie vor der Kritik kaum bestehen könnten, son-
dern stets mit einer ausgesprochen unipolaren Zelle zu-
sammen in einer Kapsel (Taf. XV Fig. 5). Die gesammte Zelle
hat dann stets eine etwas langgestreckte Form. Die apolaren, rich-
tiger fortsatzlosen Elemente, liegen den fortsatzführenden als
halbmondförmige Kuppen an, deren Enden leicht zugespitzt er-
scheinen. Dass man es hier nicht mit doppelkernigen Zellen zu
thun hat, geht daraus hervor, dass zwischen beiden ein feiner
dunkler Streif sichtbar ist, der mit der Kapsel zusammenhängt
und offenbar die Grenze zwischen beiden bildet. Ob solche Ge-
bilde funktionsunfähige alte Zellen oder Jugendformationen sind,
was wahrscheinlicher ist und was schon Siegmund Mayer?)
für ähnliche Gebilde im Sympathicus angenommen hat, will ich
unerörtert lassen.
Bei Anwendung der 2°/, Goldlösung findet man einen tink-
toriellen Unterschied zwischen Zelle einerseits und Kapsel und
Nerv andererseits. Letztere sind schwach rosa gefärbt, während
die erstere eine tiefblaue, fast schwarze Farbe angenommen hat,
ein Verhältniss, dessen schon Bidder °) Erwähnung thut.
Neben den gewöhnlichen birn- oder keulenförmigen Zellen
else:
2) Siegmund Mayer im Stricker’schen Handbuche.
3) Bidder: Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1868.
Ueber den Bau der Spinalganglien. 295
findet man auch kleine eckige, oder noch häufiger Pokal ähnliche
Gebilde, mit dünnem kurzem Fortsatz (Taf. XV Fig. 10). Derselbe ist
an seinem Ende etwas zugespitzt. Diese Elemente, die einen Kern
besitzen, der im Verhältniss zu ihrem Durchmesser ausserordent-
lieh gross ist und den ganzen Kernpol ausfüllt, sind offenbar ju-
sendliche Zellen. Sie kommen verschwindend selten bei erwach-
senen Thieren vor (beim Frosche habe ich sie gar nicht gefunden),
dagegen relativ häufig bei jugendlichen (10—14 Tage alt).
Die Zellen erscheinen schon grob granulirt bei Anwendung
von 0,750/, NaCl-Lösung. In noch viel höherem Grade tritt diese
sranulirte Beschaffenheit nach Anwendung der Arnold’schen Me-
thode hervor. Die Zelle retrahirt sich dabei mehr oder weniger
stark von der Kapsel (hier scheinen individuelle Differenzen vor-
zuliegen) und zwar findet dabei die Retraktion hauptsächlich vom
Nervenpole aus statt. Der Kern wird in seinen Konturen ver-
wischt und ist nur undeutlich sichtbar, das Kernkörperchen ver-
liert seinen Glanz. Dabei erhält es eine strahlige Beschaffenheit, die
namentlich bei Anwendung einer stärkeren Vergrösserung, etwa des
Seibert’'schen Immersionssystems No.7, deutlicher wird (Taf. XV
Fig. 11). In dem wirren Bilde, das unter solchen Umständen der
Zellenleib darbietet, sondern sich bei längerer Beobachtung Er-
scheinungen ab, die frappant an das von Arnold beschriebene
Verhältniss erinnern. Es sieht in der That so aus, als ob die
ganze Zelle übersponnen sei von einem Netzwerk äusserst feiner
Fäden, deren-Durchmesser unmessbar ist. Alle diese Fäden schei-
nen vom Kernkörperchen auszugehen, von dem sie mit dreiecki-
ger Basis entspringen. Welches Schicksal dieselben erleiden, das
entzieht sich an ungefärbten Präparaten der Beobachtung.
Ist das, was man hier sieht !) aber wirklich die Erscheinung
präformirter Gebilde ?
Wenn man bedenkt, welchen chemischen Eingriffen das Gang-
lion ausgesetzt wird, wenn man berücksichtigt, dass man aus
einem Heer von Granulis sich allerlei Formationen konstruiren
kann, so wird man stutzig.
Die Essigsäure, in so verdünnter Form und in so kurzer Zeit
sie auch angewendet wird, lässt die Elemente aufquellen. Ja, sie
1) Vergl. auch: Courvoisier, Beobachtungen über den sympathischen
Grenzstrang. M. Schultze’s Archiv, Bd.2.
396 Bernhard Rawitz:
muss es thnn, um die nachher folgende Isolation überhaupt zu er-
möglichen. Diese quellende Wirkung wird paralysirt durch die
schrumpfende der nachher angewendeten, dünnen Chromsäurelösung.
Dieses Reagens muss mindestens 24 Stunden einwirken, um allen
Theilen die genügende Widerstandsfähigkeit gegen die Insulte der
Präparirnadel zu verleihen. Dieses sind die Nachtheile der Methode,
die berücksichtigt werden müssen, und die eine Menge von Fehler-
quellen setzen. Man kann aber Fehlschlüsse vermeiden, wenn man
scharf kritisch beobachtet. Ein weniger alterirendes Reagens, das
Kochsalz, das doch immerhin den inneren Bau der Elemente un-
berührt lässt, wenn es auch nicht gewährt, ihre äussere Gestalt
bei seiner Anwendung zu erhalten, dieses Reagens bringt das
fragliche Fadennetz .nicht zur Beobachtung. (Das Fadennetz, das
nach stundenlanger Einwirkung auftritt, gehört der Kapsel an und
weist auf Faltenbildungen in derselben und Schrumpfung hin.)
Wir haben ausserdem ein grobgranulirtes Object, das wir bei
starker Vergrösserung betrachten müssen. Nur zu leicht verbindet
man da, absichtslos, die einzelnen Granula zu Linien, und hat man
erst eine Linie, so ist ein Liniennetz bald gefunden.
Ich kann aus jenen Gründen jenes Arnold’sche Fadennetz
nieht als präformirt anerkennen, ebensowenig wie ich die strah-
lige Beschaffenheit des Kernkörperchens als natürlich betrach-
ten kann. Ich halte diese Erscheinungen vielmehr für
Schrumpfungsphänomene.
Hier möchte ich einer Untersuchungsweise das Wort reden,
die ich in ihren schüchternen Anfängen in meiner Arbeit über „die
Ranvier’schen Einschnürungen und Lantermann’schen Einker-
bungen“ (His-Braune — du Bois-Reymond Archiv 1878 Anat.
Abth.) entwickelt habe. Jede Betrachtung eines Objeetes, das län-
gere Zeit der Einwirkung eines Reagens ausgesetzt war, muss in
Betreff der feineren Struktur falsche Resultate liefern, weil das
Endprodukt der Einwirkung, nicht deren Reihenfolge zur Beob-
achtung gelangt. Aber gerade die Erkennung der letzteren ist,
wenigstens bei Arbeiten im Gebiete der Neurohistologie, von ent-
scheidender Wichtigkeit. Erst wenn man gesehen hat, wie das
Gewebe unter der ailmähligen Einwirkung der Zusatzflüssigkeit
Veränderungen eingeht, wenn man die Natur dieser Veränderun-
gen erkannt hat, erst dann ist man berechtigt, Schlüsse über die
Struktur zu ziehen. Ich glaube wohl, dass eine Menge falscher
Ueber den Bau der Spinalganglien. 297
und ungenauer Beobachtungen der Wissenschaft erspart blieben,
wenn diese Betrachtungsweise streng durchgeführt würde.
Auch die Spiralfaser kann ich nicht als präformirt
anerkennen.
Um dieselbe überhaupt zu Gesicht zu bekommen, muss man
Färbemittel anwenden, und zwar sollen dünne Goldlösungen (0,10)
und dünne Charminlösungen von Vortheil sein. Mit letzteren, die
Bidder !) empfohlen hat, habe ich kein Glück gehabt; die Ob-
jeete wurden darnach brüchig und die Bilder nicht verwerthbar.
Aber auch mit der Goldimprägnirung habe ich fast durchweg ne-
gative Resultate zu verzeichnen. Ich will nicht sagen, dass ich
nie die Spiralfaser gesehen habe, aber wenn ich ein Bild unter
dem Mikroskop hatte, das an dieselben erinnerte, so konnte es
doch eine scharfe Kritik nicht ertragen. Striche, die quer über
die Schneide der Nervenfaser gehen, die einen leicht geschlängel-
ten Verlauf haben oder sich zu einer Spirale vereinigten, die täu-
schend dem Arnold’schen Bilde glich, berechtigten mich einer-
seits, wie das seltene Vorkommen andererseits nicht, dieselben
als Ausdruck einer zweiten Nervenfaser aufzufassen.
Auch die Abbildungen der Vertheidiger der Spiralfaser kön-
nen mich von der Präexistenz derselben nicht überzeugen. Bid-
der’s und Arnold’s Bilder sind ein wenig schematisch, Koll-
mann’s und Arnstein’s?) sind nicht ganz klar. Auch der Zeich-
nung, die W. Krause °) in seiner allgemeinen Anatomie giebt,
dürfte wohl keine überzeugende Kraft zukommen.
Eben jene oben erwähnten Fehlerquellen der Isolationsme-
thode sind auch hier zu berücksichtigen: nach der leichten Quel-
lung die stärkere Schrumpfung der nervösen Elemente. Die Scheide
wird für den Nerven etwas zu weit und legt sich in Folge des-
sen und in Folge der Präparation in Falten, die jenes Bild vor-
täuschen.
Die Arnold’sche Spiralfaser ist also ein optisches
Phänomen, hervorgerufen durch Faltenbildung der
Scheide.
1) Bidder: Reichert-du Bois-Reymond’s Archiv 1868.
2) Kollmann und Arnstein: Die Ganglienzellen des Sympathicus.
Zeitschrift für Biologie, Bd. II.
3) A. W. Krause: Allgemeine und mikroskopische Anatomie 1876.
298 Bernhard Rawitz:
Arnold hat ferner eine Beobachtung wiederholt, die schon
Harless !) am Torpedo gemacht hat, die seitdem vielfach be-
schrieben ist, der aber nie rechter Glauben geschenkt wurde. Er
lässt den Axeneylinder im Kernkörperchen enden und betrachtet
letzteres als eine knopfartige Anschwellung des ersteren. Ja, er
geht noch weiter. Nach ihm ist der Kern der Zelle nichts wei-
ter, als eine Anschwellung des Nervenmarkes. So kommt er, mit
Rücksicht auf jenes Fadennetz, schliesslich zum Leugnen der Zel-
lennatur des Ganglienkörpers.
Mir ist es leider nie gelungen, auch nur andeutungsweise
ähnliche Bilder zu erhalten.
Aber selbst wenn es richtig wäre, wenn der Kern eine Fort-
setzung des Markes, das Kernkörperchen das Ende des Axeney-
imders wäre (logisch müsste man das Verhältniss umkehren), selbst
wenn das Fadennetz in Wirklichkeit vorhanden wäre, so sehe ich
doch in der ganzen Arnold’schen Deduktion auch nicht einen
zwingenden Grund für das Leugnen der Zellennatur. Ausserdem,
in zweiter Linie, sprechen auch alle physiologischen Thatsachen
so dagegen, dass man ruhig den Arnold’schen Pessimismus ab-
lehnen kann.
Betrachten wir nun den Kern und jene oben erwähnten „Po-
larkerne.“
Was den ersteren anlangt, so habe ich zu den bisher bekannten
Thatsachen Neue nicht hinzuzufügen. Davon, dass derselbe eine
Membran habe, ein Schluss, der aus dem an ihm beobachteten
doppelten Kontur gezogen wird, habe ich mich nicht überzeugen
können. Uebrigens ist diese Frage von so untergeordneter Be-
deutung, dass ein näheres Eingehen darauf nicht der Mühe lohnt.
Nur bei jugendlichen Thieren findet man hin und wieder
Zellen, die zwei Kerne haben, bei erwachsenen kommt er nur ein-
fach vor.
In der oben erwähnten helleren Schicht der Zelle, die am
Nervenpol liegt, hat Courvoisier ?) eine Kernanhäufung beschrie-
ben. Diese Kerne sollen sich von den sogenannten Kapselkernen
dadurch unterscheiden, dass sie weniger glänzend sind und sich
1) Harless: Müller’s Archiv, 1841, p. 283.
2) Ic:
Ueber den Bau der Spinalganglien. 299
in Goldlösung nicht färben. Dem letzteren kann ich nicht ganz
zustimmen. In meinen Präparaten sind alle Kerne, ob sie der
Kapsel, ob dem perizellulären Bindegewebe angehören, ob es die
Polarkerne sind, gleichmässig rosa tingirt. Ihre Gestalt ist läng-
lich oval ; ihre Substanz deutlich grob granulirt, ihre Zahl sehr
wechselnd. Weniger reichlich und gut sind sie bei Poikilothermen
zu sehen (Taf. XV Fig. 9), Säuger, besonders Meerschweinchen
und Kaninchen, haben sie in grosser Menge (Taf. XV Fig. 12),
wie überhaupt der Reichthum der Kapsel und des Bindegewebes
an Kernen bei den letzteren ein ungleich grösserer ist, als bei
den ersteren.
Die Polarkerne sind in der hellen Schicht unregelmässig an-
geordnet und scheinen vollkommen mit den Kapselkernen iden-
tisch zu sein. Diese letzteren werden sichtbar, wenn die Zelle
sich von der Kapsel retrahirt hat, man sieht sie dann regelmäs-
sig, wandständig angeordnet. Sie sind die Kerne eines von Fraent-
zel !) beschriebenen Endothelialüberzuges der Kapsel.
Häufig kann man um dieselben deutliche Striche sehen, die
viereckige oder polygonale Felder auf der Kapsel bilden. Die
Thatsache, dass diese Kerne meistens wandständig gesehen wer-
den, ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Retraktion ‘der
Zelle von der Kapsel gleichmässig von den Seiten her erfolgt.
Aber auch auf dem Theile der Kapsel, der den Zellenleib
bedeckt, sind sie vorhanden und man kann dies unter günstigen
Umständen leicht konstatiren, namentlich dann, wenn die Präparate,
nur angefärbt sind (Taf. XV Fig. 13) und man sich des Abbe’schen
Beleuchtungsapparates ohne Blendung bedient. In letzterem Falle,
wo die Objeete in Licht ertränkt werden, sieht man die nervösen
Bestandtheile zwar nicht oder nur sehr undeutlich. Dagegen tre-
ten die kernigen Elemente des Bindegewebes, und dazu muss
wohl die Kapsel gerechnet werden, obwohl in ihr keine Fibrillen
vorhanden sind, wie Arndt °) behauptet, in schönster Weise
hervor.
Die Kapsel erscheint dann, namentlich bei Säugern, mit
zahlreichen Kernen bedeckt. Unter solehen Verhältnissen fällt
auch das Auffallende in der Kernanhäufung am Nervenpole weg.
1) Fraentzel: Virchow’s Archiv, Bd. 38, p. 554.
2) 1. c.
300 Bernhard Rawitz:
Bei gewöhnlicher Beleuchtung und intensiverer Färbung werden
die über der Zelle gelegenen Kerne wenig sichtbar in Folge der
dunkleren Tinktion des Zellenleibes, treten dagegen mehr am
Nervenpole hervor, weil hier, als am locus minoris resistentiae, die
stärkste Retraktion stattfindet.
Aus diesem Grunde bin ich geneigt, Kapsel- und Polarkerne
als identisch zu betrachten. Dass sie wirklich Kerne eines Endo-
thelüberzuges sind, geht ausser aus jener oben beschriebenen Be-
obachtung noch aus folgender hervor. In einem Präparate vom Gan-
glion gasseri des Frosches zeigte eine kleine Zelle fünf grosse, dun-
kelrothe Kerne (Taf. XV Fig. 14), die in viereckigen Feldern lagen.
An einem Ende der Kapsel fand sich ein Eindruck und an dem-
selben ein rundliches Gebilde mit Kern, Kernkörperchen und
einem Fortsatz, der nach der freien Seite hin abging. Es war
also offenbar eine Zelle aus der Kapsel ausgetreten, wodurch die
Kerne der letzteren schön sichtbar wurden.
Welche Grösse diese Kerne erreichen können, zeigt die bei-
gegebene Abbildung einer Ganglienzelle aus dem Ganglion gasseri
von Triton eristatus (Taf. XV Fig. 15).
Nur Weniges möchte ich noch über die „fibrilläre Struktur“
unserer Gebilde hinzufügen.
Deutliche Bilder von derselben zu erhalten, war mir nicht
möglich, obgleich ich auf das minutiöseste die von Max Schultze
angegebenen Untersuchungsmethoden befolgte und namentlich das
Jodserum anwendete, zu dessen Herstellung mir, in Folge eines
glücklichen Zufalles, das Fruchtwasser von einem Wiederkäuerem-
bryo zu Gebote stand.
Indessen wage ich nicht, aus meinen negativen Resultaten
einen Sehluss zu ziehen. Die bestechende Konsequenz der von
Max Sehultze aufgestellten Theorie von der fibrillären Struktur
der nervösen Elemente, die Wucht der von ihm vorgebrachten
Thatsachen drängen jeden Zweifel an ihrer Richtigkeit zurück, ob-
gleich sie ihn nicht ganz zu beseitigen vermögen.
Darauf kam es mir aber auch bei meinen Untersuchungen
gar nicht an. Ich wollte Klarheit über die Existenz der Spiral-
faser gewinnen und bin zu der Ueberzeugung gelangt, dass die-
selbe nicht als präformirt zu betrachten ist.
Vielmehr kommen in den Spinalganglien der (von
mir untersuchten Arten) Amphibien und Säugethiere (leider
Ueber den Bau der Spinalganglien. 301
konnte ich von Reptilien und Vögeln kein brauchbares Material
erlangen) nur unipolare Zellen vor.
Damit ist denn die alte Kluft zwischen den Beobachtungen
an Torpedo und an Säugern wieder hergestellt.
Diese zu überbrücken muss nun meine nächste Aufgabe sein;
es müssen sich Verbindungen in der vorhandenen Wirbelthierreihe
zwischen dem einen Extrem zum anderen herstellen lassen, es
müssen, durch eine successive Untersuchung der Spinal-
ganglien bei allen Wirbelthierklassen, Uebergänge von den
Fischen zum Menschen gefunden werden.
Am Schlusse dieser Abhandlung ist es mir eine angenehme
Pflicht, den Gefühlen des Dankes gegen meinen hochverehrten
Lehrer, Herrn Geh. Med.-Rath du Bois-Reymond öffentlich
Ausdruck verleihen zu können für die Erlaubniss, meine Unter-
suchungen in der histologischen Abtheilung des physiologischen
Laboratoriums hiesiger Universität anstellen zu dürfen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV.
Fig. 1. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion von torpedo marmorata.
Fig. 2. Ganglienzelle aus der motorischen Portion des Ganglion Gasseri vom
Hecht.
Fig. 3, 4, 5. Ganglienzellen aus dem Spinalganglion vom Frosch in Kochsalz
(0,75 °/,) isolirt (*%%,).
Fig. 6. Dichotomische Theilung.
Fig. 7, 8. Ganglienzellen aus dem Spinalganglion des Frosches nach der
Arnold’schen Methode isolirt, mit 2°, Goldcehloridlösung impräg-
nirt (80%/,, 50%/,).
Fig. 9. Eine ebensolche Zelle mit 0,1 °, Goldchloridlösung behandelt.
Fig. 10. Becherförmige Zelle aus dem Ganglion Gasseri eines jungen Hundes
(14 Tage alt) (3%%/,).
Fig. 11. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion des Frosches nach der Arnold-
schen Methode isolirt (?%%/,).
Fig. 12. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion des Meerschweinchens (2%%/,).
Fig. 13. Ganglienzelle aus dem Spinalganglion eines jungen Hundes (3%%/,).
Fig. 14. Ganglienzelle aus dem Ganglion Gasseri des Frosches mit Piecrocar-
min tingirt.
Fig. 15. Ganglienzelle aus dem Ganglion Gasseri von Triton cristatus.
302 E. Neumann:
Ueber Degeneration und Regeneration
zerquetschter Nerven.
Von
Professor E, Neumann
in Königsberg i. Pr.
(Nach in Gemeinschaft mit Dr. G. Dobbert angestellten Untersuchungen.)
Hierzu Tafel XVI.
Obwohl bereits seit geraumer Zeit kaum ein Jahr verflossen
ist, welches nieht neue Untersuchungen nach Nervendurehschnei-
dungen und die hienach eintretenden Degenerations- und Regenera-
tions-Vorgänge zu Tage gefördert hätte, so ist doch unstreitig der ge-
sicherte Erwerb auf diesem Forschungsgebiete immer noch als ein
wenig befriedigender zu bezeichnen; vielmehr hat fast jede neue
Arbeit auch neue Zweifel geweckt. Eine andere Methode, welche
sich zum Studium dieser Prozesse eignet, da sie in gleicher Weise,
wie die Durchschneidung, eine Unterbrechung der Leitung im Ner-
ven bewirkt, nämlich die Zerquetschung desselben an umschriebe-
uer Stelle, ist bisher, wie es scheint, nicht zur Anstellung einer
grösseren systematischen Versuchsreihe benutzt worden und doch
kann es keinem Zweifel unterworfen sein, dass dadurch viel ein-
fachere und übersichtlichere anatomische Verhältnisse geschaffen
werden. Dieser Umstand ermuthigte mich, von Neuem das schwie-
rige Problem in Angriff zu nehmen und ich theile in den folgen-
den Zeilen die Resultate mit, zu welchen eine nach der genannten
Richtung hin durehgeführte Untersuchung, an der Herr Dr. G.
Dobbert thätigen Antheil nahm, geführt hat.
Die Literatur, soweit mir dieselbe bekannt ist, enthält nur
wenige kurze, speziell hierhergehörige Notizen; so hat z. B. Erb!)
1) Erb, zur Pathologie und pathol. Anatomie peripherer Nerven,
Archiv f. klin. Mediein. Bd. V.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 303
einige Experimente mitgetheilt, in welchen er bei Fröschen und
Kaninchen den N. ischiadieus oder Aeste desselben mit einer Pin-
zette zerquetscht hatte; ebenso berichten Hertz!) und neuerdings
Ranvier?) über solche Versuche und auch Beneke?°) bediente
sich bei seinen Versuchen neben der einfachen Diseision und Ex-
eision eines Nervenstückes der Quetschung durch einen kräftig zu-
geschnürten und dann sofort wieder entfernten Ligaturfaden, ohne
jedoch in der Beschreibung die Folgen dieser verschiedenen ope-
rativen Eingriffe zu sondern.
Bei unseren in grosser Zahl an Fröschen und Kaninchen
ausgeführten Experimenten benutzten wir stets das letztere von
Beneke angegebene Operationsverfahren. Ein etwa '/;, mm dicker
Zwirnfaden wurde unter dem Nerven durchgeführt, eine Schlinge
aus demselben gebildet, diese über einem eylindrisch zusammenge-
rollten kleinen Lederstücke oder einer kleinen Federspule mit
Kraft zugezogen, unmittelbar darauf durchschnitten und entfernt.
Bei Kaninchen wurden zu den Versuchen ihrer leichten Zugäng-
lichkeit wegen theils die N. ulnares (oberhalb der Ellenbogenbeuge)
theils die N. tibiales postiei (in der Kniekehle) gewählt und der
Ligatur eine Freilegung der Nerven durch Inzision der Bedeckung
vorausgeschickt. Zu den Froschexperimenten diente dagegen aus-
schliesslich der N. ischiadicus oberhalb der Theilungsstelle und
zwar wurde auch hier anfänglich so verfahren, dass die Haut ge-
spalten und der Nerv in dem Muskelinterstitium aufgesucht wurde.
Bald machte ich jedoch die Erfahrung, dass man mit einem noch
einfacheren Operationsverfahren eben so sicher zum Ziele kommt,
es genügte nämlich unterhalb des Nerven hart am Knochen den
Oberschenkel mit einer Nadel zu durchstechen und mittelst der-
selben den Ligaturfaden einzuführen, der alsdann über der Rücken-
fläche des Oberschenkels zugeschnürt wurde; bei dieser Ligatur
en masse ist die Wirkung auf den Nerven, wie ich mich über-
zeugte, ganz dieselbe wie bei isolirter Zerquetschung desselben ;
ausserdem werden auch die Muskeln von der Ligatur durchsehnit-
1) Hertz, über Degeneration und Regeneration durchschnittener Ner-
ven. Virchow’s Archiv, Bd. 46.
2) Ranvier, Lecons sur l’histologie du systeme nerveux. II. p. 25.
3) Beneke, über die histologischen Vorgänge in durchschnittenen
Nerven. Virchow’s Archiv, Bd. 55.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 18, 21
304 E. Neumann:
ten, während die dünne und elastische Haut (ich benutzte meistens
jüngere Exemplare von Rana temporanea) gewöhnlich keine Kontinui-
tätstrennung, abgesehen von den Stichstellen, erleidet, obwohl es
allerdings auch vorkommt, dass dieselbe in gewissem Umfange
zersprengt wird. Abgesehen von letzteren Fällen ist der Eingriff
offenbar ein sehr geringfügiger und ich habe nur wenige Frösche
dabei verloren, obwohl ich häufig genug die Operation doppelseitig
ausführte.
Ich beginne die Darstellung meiner Versuchsergebnisse mit
einer kurzen Beschreibung der makroskopisch wahrnehmbaren Ver-
änderungen. Dieselben beschränken sich fast lediglich auf die
Quetsehstelle, da der peripherische Theil des Nerven trotz ein-
tretender Degeneration sein normales Aussehen kaum ändert; es er-
klärt sich dies daraus, dass unter den genannten Bedingungen
immer bald, wie wir sehen werden, eine Neubildung von Nerven-
fasern folgt und die Degeneration also nicht, wie nach Durchschnei-
dungen, zu einer makroskopisch kenntlichen Atrophie vorschreitet.
An der Stelle der Umsehnürung sind die Veränderungen, wie be-
greiflich, im Allgemeinen um so auffälliger, je kürzere Zeit nach
der Operation verflossen ist. Der unmittelbare Effekt derselben
besteht in einer tiefen eireulären Schnürfurche, sodass centrales
und peripherisches Nervenstück nur durch ein sehr dünnes Fila-
ment in Verbindung bleiben; die röthliche und transparente Be-
schaffenheit des Verbindungstückes lehrt sofort, dass hier alles
Mark aus den Nervenfasern ausgepresst ist und hiermit im Ein- _
klange steht, dass der Nerv ober- und unterhalb der Schnürstelle
bei aufmerksamer Betrachtung oft eine deutliche kolbige Aufschwel-
lung erkennen lässt, — Verhältnisse, welche in dem sogleich zu
erwähnenden mikroskopischen Befunde der einzelnen Fasern ihr
vollständiges Spiegelbild finden. In der nächsten Zeit markirt sich
dieQuetschung weniger durch eineEinschnürung, da diese sich ziem-
lich bald ganz ausgleicht, als vielmehr durch eine mehr oder weni-
ger intensive Röthung, welche hauptsächlich von Blutextravasaten
herrührt (s. weiter unten); nieht selten bildet sich in diesem Sta-
dium sogar eine spindelförmige Auftreibung der verletzten Stelle
aus. Allmählig verliert sich alsdann im weiteren Verlaufe die
Röthung, der Durchmesser des Nerven nimmt wieder etwas ab
und zuletzt bleibt als Merkzeichen der Verletzung nur eine flach
eingeschnürte etwas transparente graue Stelle zurück, welche
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 305
eine etwas grössere Ausdehnung hat als die ursprüngliche Schnür-
furche. Auch diese letzte Spur verwischt sich allmählig vollstän-
dig, bei Kaninchen schon nach 10—14 Tagen, bei Fröschen frühe-
stens nach einem Monat.
Eine Verwachsung des Nerven mit der Umgebung tritt, selbst
bei gleichzeitiger Verletzung der letzteren durch die beschriebene
Umschnürung en masse, während der ganzen Dauer des Heilungs-
prozesses nicht ein; ebensowenig kommt es an der Quetschstelle
zu einer festen Verlöthung der Nervenfasern untereinander durch
ein Narbengewebe, vielmehr lassen sich letztere jederzeit leicht in
ihrem Verlaufe durch die Quetschstelle hindurch verfolgen und
hierin liegt für die mikroskopische Untersuchung ein sehr wesent-
licher Vortheil gegenüber den Schnittwunden, bei denen bekannt-
lich sehr bald eine so innige Verschmelzung der Nervenstimpfe
mit einem Narbengewebe stattfindet, dass es nur mit Mühe gelingt,
ihr Verhalten innerhalb desselben zu erkennen. Besonders geeig-
net für die isolirte Darstellung der einzelnen Fasern ist die von
mir bereits vor längerer Zeit!) zum Studium der Nervenregenera-
tion empfohlene und seitdem von fast allen späteren Unter-
suchern (Eichhorst, Ranvier, Tizzoni u. A.) mit Vorliebe
benutzte Behandlung mit Ueberosmiumsäure. Wenn der ver-
letzte Nerv, frisch dem Körper entnommen, 24 Stunden lang
in einer Iprocentigen Lösung dieses Reagens verweilt hat und
alsdann noch auf einige Tage in destillirtes Wasser eingelegt
worden ist, so ist der Zusammenhang seiner Fasern so gelockert
und diese selbst haben so an Festigkeit gewonnen, dass ihre Isoli-
rung auf grosse Strecken hin, auch durch den Ort der Verletzung
hindurch, keine grösseren Schwierigkeiten darbietet, als bei einem
ganz normalen Nerven.
Wenn noch kürzlich Ranvier?) das Zerzupfen des zentralen
Stumpfes durchschnittener Nerven und die Herstellung von Prä-
paraten, an welchen man die Fasern desselben in die jungen Fasern
der Narbe übergehen sieht, als eine mühsame und delikate Ope-
ration bezeichnet hat, so kann man an zerquetschten Nerven, die
sich im Zustande der Regeneration befinden, diesen Uebergang
bei jeder Faser mit Leichtigkeit erkennen und die verschiedenen
1) E. Neumann, Degeneration und Regeneration nach Nervendurch-
schneidungen. Archiv f. Heilkunde, IX, p. 193. 1868.
2) Ranvierl. c. I. p. 60.
306 E. Neumann:
Modifikationen desselben in dem Präparat eines einzigen kleinen
Nervenbündels übersehen. — Dass andererseits die Osmiumbe-
handlung auch mancherlei Schattenseiten hat, kann nicht geläugnet
werden; hierher rechne ich vor Allem den Umstand, dass an sol-
chen Präparaten eine Darstellung des Achsencylinders durch Tink-
tionsmittel nur sehr unvollkommen gelingt; wenigstens ist es mir
nicht möglich gewesen, denselben durch irgend ein von mir ver-
suchtes Mittel so deutlich innerhalb der schwarzen Markscheide
zu färben, wie es etwa die von Cossy und De&jerine!) gegebenen
Abbildungen von Präparaten, die mit Pierocarmin behandelt worden,
zeigen. Auffallender Weise bezeichnen die genannten Autoren die
von ihnen angewandte Methode als die Ranvier’sche, während
Ranvier selbst (l.c. Ip. 327), ebenso wenig wie ich, an Osmium-
Präparaten eine Färbung der Achseneylinder durch Pierocarmin
erzielte, wenn es sich um degenerirte Nerven, auf welche sich die
Angaben von Cossy und Dejerine beziehen, handelte. Sehr
schöne Färbungen der Kerne kann man dagegen durch Benutzung
saurer Carminlösung (nach Schweigger-Seidel) erhalten.
Um eine feste Basis für die Beurtheilung der mikroskopischen
Veränderungen zu gewinnen, mit welchen der Nerv auf das ihm
zugefügte Trauma reagirt, ist es natürlich zunächst erforderlich,
die unmittelbare Wirkung der Quetschung zu kennen. Dieselbe
wird durch die Fig. I dargestellt. Man sieht die Faser in einer
der Breite des zur Umschnürung benutzten Ligaturfadens entspre-
chenden Längeausdehnung aufs Aeusserste verdünnt und, wie die
Osmiumfärbung darthut, vollständig ihres Markgehaltes beraubt;
dieser verdünnte, meist etwas geschlängelte Theil der Fasern nimmt
nach aufwärts wie nach abwärts sehr allmählig an Breite zu, so-
dass 2 lange, spitz ausgezogene Kegel gebildet werden, und hier-
auf folgt, indem dabei meistens wiederum ein geringer Abfall der
Faserbreite stattfindet, der Uebergang in die normal beschaffenen
Abschnitte. Fragen wir, wie sich in diesem Zustande die ein-
zelnen Bestandtheile der Nervenfaser verhalten, so ist es zunächst
klar, dass die Schwann’'sche Scheide in ihrer Kontinuität er-
halten bleibt, sie ist es, welche, indem sie ihres Inhaltes verlustig
gegangen ist, die dünne fadenförmige Verbindung zwischen beiden
1) Cossy und Dejerine, Recherches sur la degenerescence des nerfs
separes de leur centre. Archives de physiologie, 1875, p. 567.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 307
Nervenenden herstellt; in gleicher Weise verhalten sich die Binde-
gewebsfibrillen der Henle’schen Scheide, welehe man ebenfalls
deutlich in ihrer Kontinuität durch die Quetschstelle hindurch ver-
folgen kann, theils frei zwischen den kollabirten Schwann’schen
Scheiden verlaufend theils den letzten so innig anhaftend, dass
es schwer zu entscheiden ist, ob das wellig geschlängelte Aus-
sehen der letzteren nicht vielleicht den begleitenden Fibrillen zu-
zuschreiben ist. Ueber die Kerne der Schwann’schen Scheide
giebt eine gelungene Carmintärbung Auskunft: sie lehrt, dass die-
selben durch die quetschende Wirkung des Fadens nicht (oder
wenigstens nur zum Theil) verdrängt werden, denn es ist sehr
gewöhnlich, dass man in den dünnen Verbindungsfäden der Ner-
venfasern rothe Kerne, kleine spindelförmige Auftreibungen be-
dingend, eingelagert findet (Fig. la), woraus zu folgern sein dürfte,
dass sie der Innenfläche der Schwann’schen Scheiden nicht
locker anliegen, sondern derselben inniger adhäriren resp. in der
Membran der Scheiden fest eingefügt sind. — Ueber das Verhalten
des Nervenmarks ist es ebenfalls leicht sieh zu orientiren; es ist
unzweifelhaft aus der Quetschstelle nach beiden Seiten hin ver-
drängt und in die angrenzenden Theile der Fasern hineingepresst
worden; dies geht theils aus der meistens deutlich sichtbaren Auf-
schwellung derselben vor ihrem Uebergange in die normal be-
schaffenen Theile theils aus der intensiven Schwärzung der Fasern
ober- und unterhalb der Einschnürung hervor. Achtet man auf
den letzten Umstand, so kann man oft genau die Grenze angeben,
bis zu welcher das eingepresste Mark vorgedrungen; in einer
scharf gezeichneten, übrigens sehr wechselnd gestalteten Bogenlinie
(Fig. 1 b. b.), welche von einem Rande der Nervenfaser zu dem
anderen hinüberläuft, hört das normale Aussehen der Nervenfaser
mit ihrem hellen Mittelstreifen und ihren dunkeln Rändern auf
und von hier ab sieht man den Inhalt der Faser durch eine gleich-
mässig dunkelschwarze Markmasse gebildet, welche unter allmäh-
ligem Abklingen der Farbe sich bis in die Spitzen jener kegel-
förmigen Faserabschnitte erstreckt. Von Interesse ist hiebei die
Frage, ob die Ranvier’schen Sehnürringe, falls solche in unmittel-
barer Nähe der Quetschstelle im Bereiche der Markeinpressung
vorhanden sind, dem weiteren Vordringen des Markes ein Ziel
setzen; es ist das entschieden nicht der Fall, vielmehr wird das
Mark durch dieselben hindurchgepresst, sie verbreitern sich dabei
308 E. Neumann:
etwas und erscheinen von derselben dunkelgeschwärzten Mark-
masse erfüllt, wie sie sich beiderseits von ihr befindet (Fig. 2).
Es stimmt dies sehr wohl mit der von Boll!), Hesse?) u. A. kon-
statirten Thatsache überein, dass ein künstlich durch Zusatz von
Wasser in den Nervenfasern erzeugter Markstrom durch die Ran-
vier’schen Einsehnürungen hindurchgeht, ohne an ihnen ein sol-
ches Hinderniss zu finden, dass man das Vorhandensein einer
wirklichen Scheidewand daselbst anzunehmen hätte. — Am schwie-
rigsten ist die Ermittlung des Verhaltens des Achseneylinders;
sicher ist, dass er gemeinsam mit dem Marke an der Stelle der
Ligaturumschnürung eine vollständige Unterbrechung erleidet und
dass der dieser Stelle der Faser entsprechende Abschnitt des-
selben nach oben und unten verdrängt wird, fraglich dagegen, ob
er sich hier inmitten des Markes als axiales Band erhält oder
ob er sich mit diesem etwa vermischt. Dürfen wir den zen-
tralen hellen Streifen im Bilde einer normalen, mit Osmium be-
handelten Nervenfaser als Ausdruck der Sonderung des Inhalts
desselben in Markscheide und Achseneylinder betrachten, so scheint
die letzte Annahme wahrscheinlicher, da, wie angegeben, in den
an die Ligatur angrenzenden Theilen jener helle Streifen in der
Mitte fehlt und vielmehr eine gleichmässig dunkle Färbung auf-
tritt. Eine Entscheidung hierüber (und auch über den Verbleib
der neuerdings wiederum von mehreren Forschern mit Bestimmt-
heit angenommenen Achsencylinderscheide?) wird sich vermuthlich
erst fällen lassen, wenn wir in dem Besitz vollkommenerer Mittel
zur Darstellung des Achseneylinders gelangt sein werden, als wir
sie gegenwärtig besitzen ?). —
An den beschriebenen, durch die Verletzung erzeugten Zustand
der Fasern schliessen sich nun, wie es bei Durchschneidungen der
1) Boll, über Zersetzungsbilder der markhaltigen Nervenfaser. Archiv
f. Anat. und Physiol. 1877 p. 288.
2) Hesse, zur Kenntniss der peripherischen markhaltigen Nervenfaser-
ibid. 1879 p. 34.
3) Wenn vorstehend, sowie auch im weiteren Verlaufe dieser Abhand-
lung die Kühne-Ewald’schen „Hornscheiden“ keine Berücksichtigung ge-
funden haben, so wird diese Versäumniss, hoffe ich, Entschuldigung finden,
nachdem Hesse (l. c.) mit, wie mir scheint, guten Gründen die Präexistenz
derselben als morphologischer Bestandtheile der Nervenfasern ange-
fochten hat.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 309
Fall ist, Veränderungen, theils degenerativer theils regenerativer
Natur. Während der periphere an der Quetschstelle gelegene
Theil der Faser eine Umwandlung ertährt, der ihn des Leitungs-
vermögens beraubt, entwickeln sich innerhalb der Schwann’schen
Scheide zuerst an der Stelle, wo dieselbe durch die Quetschung
ihres Inhaltes beraubt ist, weiterhin im ganzen peripherischen Ab-
schnitte zum Ersatz für die degenerirten Elemente neue funktions-
fähige Nervenfasern. In der Beschreibung der Detail’s dieser Vor-
gänge will ich die bei den verschiedenen Versuchsthieren, Fröschen
und Kaninchen gewonnenen Resultate auseinander halten.
I. Versuche bei Fröschen.
Schon Eiechhorst!) ist der früher vielfach verbreiteten An-
sicht, dass sich Frösche zum Studium der Nervenregeneration nicht
eignen, entgegengetreten und hat angegeben, dass sich bei den-
selben, wenn sie unter günstigen Verhältnissen sich befinden und
namentlich auch gefüttert werden, der Regenerationsprozess in
derselben Weise, wie bei Kaninchen, allerdings langsamer, voll-
zieht. Nach meinen sehr zahlreichen Froschexperimenten kann ich
diesen Angaben nieht nur beipflichten, sondern muss diese Thiere
sogar ganz besonders zu Untersuchungen über die Wirkung der
Nervenquetschung empfehlen, da die Operation, in der oben ange-
sebenen Weise ausgeführt, eine höchst einfache ist und die danach
eintretenden Heilungsvorgänge sich in relativ kurzer Zeit ent-
wickeln, sodass ich z. B. schon nach 12 Tagen an der Quetsch-
stelle neugebildete Nervenfasern zu erkennen im Stande war. Man
erhält dieses günstige Resultat übrigens auch ohne dass man den
Fröschen Nahrung giebt oder ihnen in anderer Beziehung eine be-
sondere Pflege zu Theil werden lässt, wenn man nur einem Um-
stande Rechnung trägt, der bekanntlich auf das ganze vegetative
Leben der Frösche von entscheidendem Einfluss ist: der Jahreszeit.
Während der Wintermonate bis zum Frühjahr hin ist die Reaktion,
welche dem Trauma folgt, eine äusserst träge oder wohl selbst =
Null, man sieht alsdann nicht nur die Neubildung von Nervenfasern
ausbleiben, sondern auch die degenerativen Veränderungen des
I) Eichhorst, über Nervendegeneration und Nervenregeneration.
Virchow’s Archiv Bd. 59.
310 E. Neumann:
peripherischen Nerventheils bleiben auf einer minimalen Stufe
stehen. Man muss sich daher lediglich an Sommerfrösche (natür-
- lieh frisch eingefangene) halten und wählt am besten die Zeit zwi-
schen Anfang Juni und Ende September. Die Schnelligkeit, mit
welcher hier die Restitution eines zerquetschten Nerven erfolgt, ist
geradezu überraschend im Vergleich mit dem torpiden Verhalten
der Winterfrösche und die von früheren Beobachtern erhaltenen
negativen Resultate können sich nur auf letztere beziehen. Uebri-
gens habe ich es meistens vorgezogen, junge kleine Frösche zu
benutzen, da sie die Operation nicht nur besser zu ertragen schei-
nen, sondern auch die Energie des Heilungsprocesses bei ihnen
offenbar eine grössere ist.
1. Periphere Degeneration. Beginnen wir mit der in dem
peripherischen Nerventheile eintretenden Degeneration. Dieselbe
ist, wie ich besonders betonen möchte, in allen Fällen zu beobach-
ten, in welchen später eine Restitution erfolgt; niemals habe ich
gesehen, dass eine Neubildung von Nervenfasern an der Quetsch-
stelle eine direkte Verbindung zwischen den Fasern des zentralen
Nerventheils und den intakt gebliebenen peripherischen Fasern
hergestellt hätte. Diese Thatsache scheint mir für die noch immer
nieht entschiedene, vielmehr selbst in neuester Zeit!) in verschie-
denem Sinne beantwortete Frage, ob durchschnittene Nerven bei
passender Coaptation durch eine Naht prima intentione zusam-
menwachsen können, nicht ohne Interesse zu sein, denn sicherlich
sind die Bedingungen zu einer Wiedervereinigung in unserem Falle,
wo die beiden Enden jeder Faser mittelst der Schwann’schen
Scheide mit einander in Verbindung bleiben und sich in kurzer
Distanz gegenüberstehen, als so günstige zu bezeichnen, wie sie
durch die gelungenste Nervennaht kaum erreicht werden und, wenn
wir trotzdem sehen, dass der vom Zentrum durch die Quetschung
abgetrennte Nerv zunächst einer Degeneration unrettbar verfällt und
dass demnach die Funktionsfähigkeit desselben durch in ihm neu
entstehende Fasern wiederhergestellt werden muss, so wird eine
prima reunio eines durchschnittenen Nerven mit Erhaltung der
peripherischen Fasern zum Mindesten nicht als wahrscheinlich gel-
ten können.
Dass das nach Quetschungen auftretende Bild der paralyti-
1) Cfr. Gluck, Virchow’s Arch., Bd. 72, p. 624. Ranvier ]. cc. p. 276.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 311
schen Degeneration in allen Stücken übereinstimmt mit dem, wel-
ches man nach Nervendurchschneidungen beobachtet, bedarf kaum
einer besonderen Erwähnung, und ich kann daher, nachdem noch
in neuester Zeit so zahlreiche genaue Beschreibungen und Abhil-
dungen des Zustandes gegeben worden sind, welche in den
wesentlichsten Punkten eine erfreuliche Uebereinstimmung erkennen
lassen, hier von einer Darstellung desselben ab ovo absehen. Ins-
besondere gilt dies von der vielbesprochenen Zerstücklung und dem
Schwunde des Markes aus den Fasern, Erscheinungen, deren Kennt-
niss noch kürzlich durch die Untersuchungen Colasanti’s !) vervoll-
ständigt worden ist; es mag genügen, wenn ich hier nur einige noch
schwebende Streitfragen berühre.
Während früher in Betreff der degenerativen Veränderungen
hauptsächlich die Frage kontrovers war, ob dieselben nur in der
erwähnten Zerklüftung und allmählig vorschreitenden Resorption
der Markscheide beständen oder ob daneben auch der Achseneylin-
der dem Untergang anheimfällt, liegt die Sache gegenwärtig an-
ders; fast alle Autoren erkennen an, dass die degenerirten Fasern
weder als die leeren, ihres Inhalts gänzlich beraubten Schwann-
schen Scheiden noch als die von letzteren bekleideten Achsen-
eylinder zu betrachten seien, sondern dass sich bei ihnen vielmehr
im Innern der Scheiden unter gleichzeitiger Vermehrung der Kerne
eine eigenthümliche, der normalen Faser fremde Inhaltmasse ent-
wickelt, welche, weder die Charaktere des Markes noch die des
Achseneylinders an sich tragend, die Stelle beider einnimmt und
somit einen im Allgemeinen kontinuirlichen eylindrischen, jedoch
ungleichmässig breiten und von verschiedenen Einschliüssen unter-
brochenen Strang darstellt. Ich glaube das Verdienst für mich in
Anspruch nehmen zu dürfen, in einer früheren Arbeit zuerst auf
diese den normalen Bestandtheilen sich substituirende in Osmium-
Präparaten „matt glänzend und leicht gelblich“ erscheinende In-
haltsmasse hingewiesen und dieselbe dadurch richtig charakterisirt
zu haben, dass ich, was auch neuerdings Tizzoni?) adoptirt hat,
die degenerirten Fasern als solche bezeichnete, „die in den em-
l) Colasanti, über die Degeneration durchschnittener Nerven. Arch.
f. Anat. u. Physiol. 1878, Physiologische Abtheilung, p. 206.
2) Tizzoni, Referat in dem Hoffmann-Schwalbe’schen Jahres-
bericht für 1878, p. 105.
312 E. Neumann:
bryonalen Zustand, in welchem eine Scheidung zwi-
schen Mark und Achseneylinder noch nicht besteht, zu-
rückgekehrt sind‘. Später hat Ranvier!) auf diese Substanz
den Namen Protoplasma angewandt, welcher vollständig meiner
Auffassung entspricht, obwohl ich bemerken möchte, dass man
sowohl an frisch in Humor aqueus oder Blutserum als auch an nach
Osmiumbehandlung in Wasser zerzupften Nerven an jener Sub-
stanz vergebens nach der „körnigen“ Beschaffenheit sucht, welche
an den meisten andern Orten zu den charakteristischen Attributen
des Protoplasma gehört, dass dieselbe vielmehr, wenn man von den
in sie eingelagerten Fetttröpfehen, Markballen ete. absieht, ein fast
absolut homogenes höchstens leicht längsstreifiges Aussehen besitzt.
— Aus der bezeichneten Auffassung ergiebt sich nun ohne Weiteres
der Schluss, dass gleichzeitig mit der fortschreitenden Zerstückelung
und Abnahme des Markes auch der Achseneylinder aus der Faser
verschwindet, dass, mit anderen Worten, die Schicksale beider bei
der paralytischen Degeneration solidarisch verknüpft sind. Ueber-
all, wo die Osmium-Säure in leicht sichtbarer Weise eine Unter-
breehung der Markscheide durch jene protoplasmatische Masse
nachweist, ist auch die Kontinuität des Achseneylinders unter-
brochen, sodass ein einheitlich beschaffener (protoplasmatischer)
Inhalt den Querschnitt der Nervenfaser erfüllt, und je mehr der
Markgehalt der Faser redueirt wird, desto mehr schwinden auch
die Bruchstücke des Achseneylinders, welche sich, wie Cossy und
Dejerine?), Engelmann?) und Ranvier‘) gezeigt haben, an-
fänglich noch durch Carmin innerhalb der Markstücke nachweisen
lassen. Im Widerspruch mit dieser Auffassung des Degenerations-
prozesses stehen nur vereinzelte Angaben neuerer Untersucher, so
behauptet Rumpff>), dass er bei Fröschen noch 16 Tage nach
der Durchsehneidung des Ischiadieus in dem peripherischen Theil
desselben den Achsencylinder vollständig erhalten gefunden habe,
während bereits die Erregbarkeit erloschen war und Korrybutt-
1) Ranvier Comptes rendus LXXV p. 1831. 1873.
2) lc
3) Engelmann, über Degeneration von Nervenfasern. Pflüger’s Archiv
XIII p. 486.
4) 1. c. I p. 328.
5) Rumpff, Untersuchungen aus dem Heidelberger Physiol. Labora-
torium II p. 318.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 313
Daskiewiez!) will sich durch Anwendung von Goldcehlorid auf
degenerirte Nerven überzeugt haben, dass in denselben Bruchstücke
des Achseneylinders persistiren und zwar auch an solchen Stel-
len, wo das Mark bereits verschwunden ist. Rumpff möchte ich
indessen zu erwägen geben, ob nicht das von ihm dargestellte
und für den Achsenceylinder erklärte eylindrische Band vielleicht
ein durch die Behandlungsmethode (Entmarkung durch Aleohol und
Aether) erzeugtes Artefakt (Gerinnungsprodukt?) war und in Be-
treff der Angabe von Korybutt-Daskiewiez kann ich gleichfalls
einen Zweifel nicht unterdrücken; bei der bekannten Launenhaftig-
keit der Goldfärbung muss jedenfalls eine sehr grosse Sicherheit
in der Anwendung der Methode vorausgesetzt werden, wenn ein
Untersucher es unternimmt, daraus, dass sich gewisse Inhaltstheile
der Fasern, die sich übrigens in keiner Weise morphologisch von
dem übrigen Inhalt differenzirten, stärker färbten, auf ihre Natur
als Achseneylinderbruchstücke schliessen zu wollen.
Eine Frage von grossem Interesse ist natürlich die nach dem
Ursprunge jener protoplasmaartigen Masse, welche sich den nor-
malen Bestandtheilen der Nervenfasern substituirt. Die Beant-
wortung derselben ist schwieriger als man nach den vorliegen-
den Aeusserungen der neueren Autoren, die meistens kurz darü-
ber hinweggehen, erwarten sollte. Ich hatte mich bei früherer Ge-
legenheit (l. e.) dahin ausgesprochen, dass der veränderte Inhalt
der Fasern aus einer chemischen Umwandlung des Markes her-
vorgehe, vermöge deren die Differenzirung des Markes und Ach-
seneylinders aufhört. In demselben Sinne haben sich später Eich-
horst ?2) undSigmund Mayer?) geäussert; Ersterer fügte hinzu,
dass wahrscheinlich auch der Achsencylinder eine chemische Um-
wandlung erfährt, in Folge deren eine vollständige Verschmelzung
zwischen ihm und dem Marke eintritt, Letzterer formulirte die Hy-
pothese genauer, indem er eine „Alteration in dem chemischen
und morphologischen Verhalten des Markes und Achseneylinders“,
und die Bildung einer homogenen kernreichen Masse aus denselben,
l) Korrybutt-Daskiewicz, über Degener. und Regener. der markhal-
tigen Nerven. Diss. inauguralis, Strassburg 1878, p. 30.
2) Eichhorstl. c.
3) Sigmund Mayer, die peripherische Ganglienzelle und das sym-
pathische Nervensystem, 1876 p. 15.
514 E. Neumann:
welche ‚in ihren chemischen und morphologischen Charakteren mehr
dem Achseneylinder als der Markscheide sich nähert“, annimmt
und hinsichtlich der Natur des im Marke eintretenden chemischen
Processes vermuthet, dass daselbst „eine Scheidung in eine fettige
und eine albuminoide Substanz Platz greife, von denen erstere
sehr rasch zur Resorption gelangt, letztere aber mit der Achsen-
eylindersubstanz einheitlich verschmilzt.‘“ Eine andere Ansicht wird
von Ranvier vertreten. Nachdem seine Untersuchungen über
die normale markhaltige Nervenfaser !) ihn zu dem Ergebnisse
geführt hatten, dass nicht nur die Kerne der Schwann’schen
Scheiden in eine Protoplasma-Masse eingebettet seien, sondern
auch die Innenfläche derselben von einer dünnen Schicht Proto-
plasma in mehr oder weniger beträchtlicher Ausdehnung bedeckt
und dadurch von der Markscheide getrennt sei, glaubte er sich
zu dem Schlusse berechtigt, dass der protoplasmatische Inhalt
paralytisch degenerirter Fasern aus einer Vermehrung des normal
vorhandenen Protoplasma hervorgehe, welches an Stelle der durch
Resorption schwindenden andern Bestandtheile der Nervenfasern
treten soll. Nicht also um eine Umwandlung des Markes und
Achseneylinders im Protoplasma, wie ich mit Eichhorst und 8.
Mayer annehme, sondern um eine einfache Verdrängung durch
dasselbe würde es sich handeln.
Eine sichere Entscheidung zwischen beiden gegenüberstehen-
den Ansichten dürfte einstweilen unmöglich sein. Wer möchte sich
zutrauen, ein sicheres Urtheil darüber abzugeben, inwieweit zu der
Bildung von körnigem Protoplasma aus der hyalinen Substanz eine
Endothelzelle, wie eine solche bei entzündlichen Prozessen vor-
kommt, die Bestandtheile der alten Zellsubstanz verwandt werden
oder ob etwa ein in der Zelle ursprünglich in minimaler Menge vor-
handenes Protoplasma durch von aussen her zugeführtes Material
wächst und die alte Zellsubstanz verdrängt? Dieselben Schwie-
rigkeiten stellen sich in unserem Falle der Entscheidung entgegen
und man wird sich der Ranvier'schen apodiktischen Darstellung
gegenüber jedenfalls dessen bewusst bleiben müssen, dass nicht
nur im Allgemeinen die Thatsache als feststehend zu betrachten
sein dürfte, dass gewisse spezifisch ausgebildete („geformte“) Ge-
webselemente in den indifferenten embryonalen Zustand des Proto-
1) Ranvier, Archives de Physiol. normale et pathologique IV p. 119.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 315
plasmas zurüickkehren können, sondern dass auch für unseren
speziellen Fall die Annahme einer solchen Umwandlung durch
gewisse Umstände sehr nahe gelegt wird. Ranvier selbst hat
sich dieser Wahrnehmung nicht verschliessen können und prüft
man seine Angaben genauer, so findet man, dass er sich der von
mir aufgestellten „bizarren Theorie“ an einigen Stellen sehr nähert.
Er nimmt wenigstens gleichfalls an, dass während des Degenera-
tionsprozesses, bevor es zu der von ihm behaupteten vollständigen
Resorption des Markes kommt, eine Aenderung der chemischen
Konstitution desselben eintritt, in welcher Beziehung er sich auf
die viel schwächere Färbung beruft, welche viele Markballen
unter der Einwirkung der Osmiumsäure annehmen !). Auch über
die Natur dieses chemischen Vorganges äussert er sich in ähnli-
cher Weise, wie es S. Mayer gethan hatte; indem er nämlich
das Myelin als eine Mischung von Fett und Proteinsubstanz be-
trachtet, lässt er das Fett aus demselben bei der Degeneration
durch einen Verseifungsprozess (la myeline est transformde en un
savon organique ]. e. II. 17) verschwinden und in löslichem Zu-
stande in benachbarte Gewebselemente eindringen, in welchen es
sich wiederum in Tropfenform niederschlagen soll. Abweichend
von der Hypothese S. Mayer’s, die Ranvier übrigens gänzlich
ignorirt, wäre hiernach nur der Umstand, dass der Letztere schliess-
lich auch die zurückbleibende Eiweisssubstanz des Markes durch
Resorption aus den Fasern verloren gehen lässt, während Jener
ein Zurückbleiben und eine Amalgamirung derselben mit der Ach-
sencylindersubstanz vermuthet. Aber auch in dieser Beziehung
ist der Gegensatz kein schroffer, denn Ranvier macht eine ent-
schiedene Coneession zu Gunsten letzterer Auffassung, wenn er an
einer Stelle seines Werkes?) das Zugrundegehen des Markes als
eine „Absorption“ desselben durch das Protoplasma der Fasern
bezeichnet und den Vorgang mit der Absorption von Myelinemul-
sionen, welche in die Bauchhöhle eines Thieres eingespritzt wer-
den, durch das Protoplasma contraktiler Zellen vergleicht. Ran-
vier erkennt somit an, dass dem die degenerirten Fasern erfül-
lenden protoplasmatischen Inhalte gewisse Bestandtheile der alten
Markscheide einverleibt werden.
1) Ranvier, Lecons, Bd. II p. 9.
Zul e. 1, mp: 824%
316 E. Neumann:
Ich will hier nicht auf die von einigen anderen Autoren hinsicht-
lich dieser Frage gemachten Angaben eingehen, welche zwar auch den
zurückbleibenden Inhalt der Fasern als Residuum des Markes zu be-
trachten scheinen, sich jedoch in mehr oder weniger unbestimmter
Weise darüber aussprechen !), und beschränke mich darauf, späteren
Untersuchern folgende zwei Beobachtungen zur Prüfung zu empfeh-
len, in welchen ich bemerkenswerthe Stützen der Umwandlungs-
theorie erblieke: 1) finde ich in degenerirteu Nerven nicht selten
Fasern, welche an gewissen Stellen einen ganz allmähligen Ueber-
gang zwischen markhaltigen und marklosen Theilen zeigen, indem
an Osmiumpräparaten die dunkelblauschwarze Farbe der ersteren
sich in ein mattes Grau verliert, welches alsdann in den leicht
gelblichen Schimmer übergeht, welcher den marklosen „protoplas-
matischen“ Theilen zukommt. Ich habe diese Thatsache bereits
früher (l. e. p. 201) hervorgehoben und muss an der Richtigkeit der
Beobachtung festhalten ; Fig. 3 möge zur Illustration derselben dienen.
In der Regel sind freilich die schwarzen Markmassen aufs Schärfste
gegen die farblosen Theile abgegrenzt; 2) im Beginn des Dege-
nerationsprozesses finden sich öfters umschriebene, Markdefekte und
entsprechende Protoplasmaanhäufungen an Stellen, wo eine Prä-
existenz von Protoplasma bisher nicht erwiesen ist, nämlich an
peripherischen Stellen, wo keine Kerne vorhanden sind (Fig. 9),
somit namentlich an den Enden der interannulären Segmente beider-
seits von den Ranvier’schen Schnürringen (Fig. 8). Die sichere Fest-
stellung dieser Thatsache, welche, wie mir scheint, einen entschei-
denden Beweis für die Möglichkeit einer Umbildung des Inhalts
der Fasern in Protoplasma abgeben würde, unterliegt allerdings
grossen Schwierigkeiten und es ist mir wohl bekannt, dass nach
Ranvier dem Protoplasma in den normalen Fasern eine sehr
weite Verbreitung zukommt, indem er nicht nur die Innenflächen
der Sehwann’schen Scheiden in der ganzen Ausdehnung der in-
terannulären Segmente von einer dünnen Protoplasmaschicht be-
kleidet sein lässt, sondern auch ein Eindringen desselben in die
Inzisuren der Markscheide und einen Uebergang desselben an
den Schnürringen auf den Achseneylinder, um welchen es eben-
1) Am unzweideutigsten ist die Angabe von Korrybutt-Daskiewicez
l. c. p. 34 „das Mark wird umgewandelt, um in der Folge als Material
für die Neubildung verbraucht zu werden“.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 817
falls einen vollständigen Ueberzug bilden soll, annimmt !). Diese
Aufstellungen sind indessen bisher, soweit mir die Literatur be-
kannt ist, von keinem andern Beobachter bestätigt worden. Ran-
vier selbst hat sich an einem andern Orte ?2) neuerdings mit viel
grösserer Reserve darüber ausgesprochen (‚chez les jeunes sujets,
la masse de protoplasma, qui entoure le noyan du segment inter-
annulaire est plus considerable; on peut la suivre & une plus
grande distance sous la membrane de Schwann en dehors des
limites du noyan, elle semble m&me la doubler dans toute son
etendue“) und Engelmann?) sagt mit grosser Bestimmtheit „die
den Kern bergende, im Längsprofil spindelförmige protoplasmaar-
tige Masse hat höchstens 2 bis 3 Mal die Länge des Kerns, über
diese Entfernung hinaus lässt sie sich nicht erkennen.“ Von der
Erledigung dieser noch schwebenden Streitfrage wird es natürlich
abhängen, in welcher Weise die obige Beobachtung an degene-
rirten Nerven zu deuten ist. — Schliesslich bemerke ich in
Bezug auf die kürzlich von Tizzoni®) und Korybutt- Das-
kiewiez) aufgestellte Behauptung, dass der Hauptfaktor bei der
Zerstörung der Markscheide das Eindringen von Wanderzellen
sei, welche das Myelin in sich aufnehmen und theils im Innern
der Fasern umbilden, theils damit beladen wieder heraustreten
sollen, dass ich diesem Momente jedenfalls eine nur untergeordnete
Bedeutung für die periphere Degeneration beilegen kann, da ich
jenseits der Quetschstelle nur sehr selten in den Fasern Wander-
zellen ähnliche Gebilde gesehen und noch weniger mich von dem
häufigen oder konstanten Vorkommen Myelin beladener Zellen aus-
serhalb der Fasern überzeugen konnte.
Wie schon oben erwähnt, ist der protoplasmatische Inhalt
der degenerirten Nerven stets reich an Kernen. Dass es sich da-
bei um eine wirkliche Vermehrung der normal vorhandenen Kerne
handle, habe ich gegen Sehiff®), welcher meinte, dass die prä-
existenten Kerne nach dem Verschwinden der Markscheide nur in
grösserer Zahl deutlich sichtbar hervortreten, nachgewiesen und
1) Ranvier, Lecons, Bd. I p. 119.
2) Ranvier, Traite technique d’histologie, p. 735.
3) Engelmann I. c. p. 475.
4) Tizzoni, Zentralbl. f. d. medizin. Wiss. 1878, Nro. 13.
5) Korrybutt-Daskiewicz l. ce.
6) Schiff, Archiv f. gemeinschaftl. Arbeiten, I p. 609. 1854.
318 E. Neumann:
ist gegenwärtig wohl fast allgemein anerkannt, nur Engelmann !)
hat auffälliger Weise noch in neuerer Zeit einen unzweifelhaft
unbegründeten Widerspruch dagegen erhoben. Wenn es auch einige
Schwierigkeiten hat, sich hiervon an ungefärbten Osmiumpräpa-
raten zu überzeugen, da die Umrisse der Kerne selbst hier nur
wenig deutlich sich aus dem mattglänzenden Protoplasma hervor-
heben und auch dem geübten Auge meistens nur die stärker glän-
zenden, häufig erheblich grossen, rundlichen Kernkörperchen sicht-
bar sind, so sind doch Präparate, die nachträglich mit Carmin, Hä-
matoxylin, Bismarekbraun behandelt worden, ganz unzweideutig,
insbesondere seitdem wir durch Ranvier wissen, dass je einem
interannulären Segment der normalen Faser nur ein Kem zu-
kommt. Die im Allgemeinen sehr unregelmässige, häufig gruppen-
weise Vertheilung der Kerne ist von Eichhorst, Cossy und
Dejerine, Ranvier u. A. in vortrefflichen Abbildungen wieder-
gegeben und bedarf deshalb keiner wiederholten Beschreibung;
um so unvollkommener ist unsere Kenntniss über ihren Ursprung.
Da ich eine „Einwanderung von Kernen“, wie Korybutt - Das-
kiewicz will, aus dem oben angeführten Grunde nicht gelten lassen
kann, so bleibt meines Dafürhaltens nur die Alternative zwischen einer
Kernvermehrung durch Theilung, welche von den meisten Autoren
bisher angenommen, von den Wenigsten aber durch Beobachtungen
gestützt ist, und einer freien Kernbildung, wie sie S. Mayer
wahrscheinlich zu machen gesucht hat. Detaillirte Angaben über
das Vorkommen von Theilungsformen der Kerne, welche dem alten
von Remak aufgestellten Schema (Vergrösserung des Kerns, bis-
quitfürmige Einschnürung und Theilung des Kernkörperchens,
später \des Kerns selbst) entsprechen, sind von Ranvier (l. e. II
p. 3) nach Beobachtungen an Kaninchen gemacht worden, und man
wird sich hiernach allerdings schwer von dem Gedanken einer
Kerntheilung lossagen können; trotzdem kann es nach den neue-
sten Erörterungen Flemmin g’s ?) vielleicht zweifelhaft erscheinen,
ob man berechtigt ist, aus den von Ranvier beschriebenen Bil-
dern einen solchen Schluss zu ziehen. Ich habe Aehnliches
einige Male gleichfalls bei Kaninchen, nicht aber bei Fröschen
gesehen und möchte einstweilen glauben, dass die Mayer’sche
1) Engelmann, 1. c. p. 486.
2) Flemming, über das Verhalten des Kerns bei der Zelltheilung etc,
Virch. Archiv, Bd. 77 p. 1.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 319
Idee einer freien Entstehung von Kernen in dem Protoplasma der
Fasern um so weniger zu verwerfen ist, als auch unter anderen
Verhältnissen nach mehrfachen Angaben !) eine antochthone Kern-
bildung in den Achsencylindern kernloser Fasern vorzukommen
scheint. Man möge wenigstens nicht vergessen, dass, um die in
degenerirten Fasern zu beobachtende Verbreitung der Kerne über
alle Theile derselben aus einfachen Kerntheilungen zu erklären,
man gezwungen wäre, entweder eine Aktivität der Kerne selbst,
welche sie zu Wanderungen innerhalb der Fasern befähigt, oder
lebhafte Protoplasmaströmungen anzunehmen, denen die Kerne fol-
gen. Diese beiden Annahmen dürften aber nach unserem gegen-
wärtigen Wissen keine grosse Wahrscheinlichkeit für sich haben
und sie erscheinen insbesondere für diejenigen Fälle unstatthaft,
in welchen man zwischen die in kurzen Intervallen (von 0,05 bis
0,2 mm) gelegenen Kerne eylindrische Bruchstücke des Markes,
welehe die Scheide der Fasern vollständig erfüllen und die
Kerne von einander absperren, eingeschaltet findet. Ich habe
solehe Bilder bei Winterfröschen öfters gefunden, bei denen selbst
nach längerer Zeit der Degenerationsprozess in einem Anfangs-
stadium stehen geblieben war (Fig. 4, 5, 7). Sehr auffällig war
mir hier auch das öftere Vorkommen von Kernen zu beiden Sei-
ten einer Einschnürung, welche ich für einen veränderten Ranvier-
schen Schnürring halten musste, also an einer Stelle, wo früher
keine Kerne präexistirten (Fig. 6).
Noch eine andere Frage hat selbst in neuester Zeit eine ver-
schiedene Beantwortung gefunden, die Frage nämlich, welchen
Gang die Degeneration in den vom Centrum abgetrennten Nerven
einschlägt. Während Tizzoni die Behauptung Erb’s, dass die-
selbe in centrifugaler Richtung vorschreitet, bestätigt, will sich
Colasanti überzeugt haben, dass sie, wie schon früher Beneke
(l. e.) angegeben, „gleichzeitig und gleichmässig“ sämmtliche Ab-
schnitte des peripherischen Nervenstückes ergreift und Ranvier?)
erneuerte eine dritte, vor längerer Zeit von W. Krause 3) ausge-
1) H. Müller, Würzb. Med. Zeitschr. I, p. 531. Roth, Virchow’s
Archiv Bd. 55 p. 157, Bd. 58 p. 255.
2) Ranvier, Lecons, II, p. 549.
3) W. Krause, die terminalen Körperchen der einfach sensiblen Ner-
ven, p. 26.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 22
320 E. Neumann:
sprochene Ansicht, dass nämlich die degenerativen Veränderungen
in den peripherischen Endausbreitungen des Nerven beginnen und
von hier centripetal nach oben hinauf rücken. Da sich meine eige-
nen Untersuchungen nicht auf die letzten Nervenendigungen erstreckt
haben, so vermag ich die letztere Angabe, insofern sie den sehr
früzeitigen Eintritt der Degeneration in denselben (nach Ranvier
bei Kaninchen bereits in 24 Stunden) betrifft, nicht zu bestreiten,
dagegen muss ich mich in Bezug auf das Verhalten der weiter
aufwärts gelegenen Theile der Nervenbahn entschieden an Erb
anschliessen. Gerade die Frösche sind, wie dieser Forscher be-
reits erinnert, wegen des relativ langsamen Ablaufs des Prozesses
für die Entscheidung der in Rede stehenden Frage ein sehr gün-
stiges Untersuchungsobjekt. Bei einem Vergleich von Nerven-
stiieken des Ischiadieus nahe unterhalb der Quetschungsstelle und
anderen, welche den Unterschenkel- oder Fussnerven entnommen
waren, habe ich ganz konstant gefunden, dass die Veränderungen
in ersteren immer weiter vorgeschritten waren als in den letzte-
ren; je weiter ich mieh von der Stelle der Läsion entfernte, ein
desto früheres Stadium der Degeneration stellte sich heraus. Na-
türlich gilt dies nur für diejenige Periode, in welcher der Process
noch in der Ausbildung begriffen ist; hat derselbe seine Höhe er-
reicht, so lässt sich ein Unterschied der mehr central oder peri-
pherisch gelegenen Abschnitte des Nerven in Bezug auf die dege-
nerativen Veränderungen nicht mehr wahrnehmen, sondern nur
hinsichtlich der mittlerweile zu Stande gekommenen regenerativen
Vorgänge, von welchen ich hier gleich bemerken will, dass ich
sie bei meinen Versuchen ebenso wie die Degeneration, stets in
centrifugaler Richtung fortschreiten sah. — Von besonderem In-
teresse erschien mir die Beachtung der Frage, ob die, wie bereits
erwähnt, sehr schnell eintretende Neubildung von Nervenfasern an
den Quetschstellen dem weiteren Fortschritte derDegeneration in dem
peripherischen Stücke Einhalt thut, wie man nach den über die
schnelle Herstellung der Nervenleitung in durchschnittenen und wie-
der durch die Naht vereinigten Nerven gemachten Angaben vermu-
then sollte. Ich muss diese Frage aufs Bestimmteste verneinen. Wäh-
rend ich zu der Zeit, wo die „Ueberbrückung‘“ der Quetschstelle
durch neue Fasern beginnt (nämlich bei Sommerfröschen nach 2
Wochen) die Degeneration selbst in der Nähe dieser Stelle noch
wenig vorgeschritten fand, so war dieselbe später im ganzen peri-
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 321
pherischen Nerven hochgradig entwickelt, hatte also gleichzeitig
mit der Regeneration weitere Fortschritte gemacht. Es ergiebt
sich hieraus, dass eine einfache Restitution der alten Fasern, ein
Rückgängigwerden des Degenerationsprozesses selbst bei Beginn
desselben nicht mehr möglich ist, dass der Nerv vielmehr stets
seine später wieder eintretende Leitungsfähigkeit neugebildeten
Fasern verdankt.
2. Die Veränderungen der Quetschstelle Wir ge-
langen hiermit zu der Betrachtung derjenigen Vorgänge, welche der
Nervenquetschung eigenthümlich sind und für welehe die Unter-
suchungen an durchschnittenen Nerven keine Analogie bieten.
Erinnern wir uns des Zustandes der Nervenfasern, welcher als das
unmittelbare Ergebniss der Umschnürung sich ergiebt, so würde
die Frage, deren Beantwortung uns jetzt obliegt, sich einfach so
gestalten: wie kommt die Ausfüllung derjenigen Nervenstrecke,
aus welcher durch die Quetschung der Inhalt ausgepresst worden
ist, mit neuer leitungsfähiger Nervensubstanz zu Stande? oder mit
anderen Worten: wie bilden sich in dem leeren Theile der
Schwann’schen Scheide neue Nervenfasern? Dass in der That die
zwischen centralem und peripherischem Nervenstücke die Verbindung
herstellenden Schwann’schen Scheiden sich im Verlaufe des gan-
zen Regenerationsprozesses erhalten, und dass die Faserneubil-
dung innerhalb derselben erfolgt, kann nicht dem mindesten
Zweifel unterliegen und es wäre durchaus irrig, anzunehmen, dass
es zu irgend einer Zeit durch den Untergang dieser Scheiden in
den Quetschstellen in ähnlicher Weise, wie bei Durchschneidun-
gen, zu einer Aufhebung der Faserkontinuität käme. Diesem Um-
stande verdanken wir es, dass wir für diesen Fall eine jede Be-
theiligung der ausserhalb der Fasern befindlichen Gewebs-
theile, insbesondere des Peri- und Endoneurium, an der Faserneu-
bildung, wie eine solche für den Heilungsprozess nach Nerven-
durchscheidungen noch in neuester Zeit behauptet worden ist !),
ausschliessen und von vornherein annehmen dürfen, dass die durch
die Quetschung lädirten Nerven selbständig aus sich heraus sich
regeneriren. Der einzige Einwand, der hiegegen erhoben wer-
den könnte, besteht in der Möglichkeit, dass Wanderzellen die
1) Gluck, Experimentelles zur Frage der Nervennaht und der Nerven-
regeneration, 1. c.
322 E. Neumann:
Schwann’schen Scheiden penetriren und alsdann bei der Neubil-
dung der Fasern eine Rolle spielen. Ich muss diesen Einwand,
obwohl derselbe durch die sehon erwähnten Angaben von Tizzoni
und Korybutt-Daskiewicz eine gewisse faktische Unterlage
zu erhalten scheint, für durchaus unerheblich halten, da ich nach
meinen Erfahrungen das Eindringen soleher Zellen an der Quetsch-
stelle ebenso wie in dem übrigen peripherischen Nerventheil für
ein nur ausnahmsweises halten kann und überdies nichts beob-
achtet habe, was die an sich unwahrscheinliche und selbst von
Tizzoni nicht behauptete Betheiligung dieser eingewanderten
Zellen an dem Regenerationsprozesse wahrscheinlich zu machen
geeignet wäre.
Der folgenden Beschreibung der von mir an der Quetsch-
stelle beobachteten Erscheinungen liegen vor Allem Isolationsprä-
parate der Fasern zu Grunde, die sich, wie schon erwähnt, leicht
herstellen lassen, da ein die Fasern fest verlöthendes Narbenge-
webe fehlt. Ich verfuhr meistens in der Weise, dass der Nerv
nahe oberhalb und ebenso unterhalb der Quetschstelle durchschnit-
ten wurde und dieses exeidirte Stück alsdann nach vorheriger Be-
handlung in Osmium und Aq.-destillata durch Zerzupfen in seine
einzelnen Fasern zerlegt wurde. War der peripherische Degenera-
tionsprozess aber, wie es in den früheren Stadien der Fall ist,
noch wenig ausgebildet, so fand ich es, um eine Verwechslung
zwischen peripherischen und centralen Theilen der Fasern zu ver-
meiden, rathsam, den Nerv an der Quetschstelle selbst zu durch-
schneiden und alsdann das Endstück beider Nerventheile einer
gesonderten Untersuchung zu unterwerfen. In Bezug auf den
Zeitraum, über welchen sich meine Beobachtung erstreckt, sei fer-
ner bemerkt, dass ich, obwohl die entscheidenden Vorgänge be-
reits in die ersten Wochen fallen, ich es doch nicht versäumt habe,
die operirten Thiere zum Theil auch in sehr viel späteren Termi-
nen (bis zum 95. Tage hin) zu untersuchen.
Die ersten Veränderungen, welche auftreten, bestehen darin,
dass 1) die kollabirten Primitivscheiden der Fasern sich wiederum
mit einer geringen Menge kleiner krümliger Markpartikelchen
füllen und dadurch etwas an Breite gewinnen (Fig. 10) und dass
2) sowohl ober- als unterhalb eine Zerstücklung des Markes, ein
Zerfallen desselben in unregelmässige Bruchstücke von verschiede-
ner Länge stattfindet. Die erstere Erscheinung dürfte ihre ein-
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 323
fachste Erklärung darin finden, dass in den beiderseits an die
Quetschstelle zunächst anstossenden Theilen der Nervenfasern das
daselbst zusammengepresste und in seiner molekulären Struktur
durch den mechanischen Eingriff alterirte Mark in ähnlicher Weise,
wie es Ranvier !) bei Discisionen für das die Sehnittenden er-
füllende Mark angiebt, dem quellenden Einflusse eindringender
Diffussionsströme ausgesetzt ist; natürlich wird unter solchen Ver-
hältnissen ein Theil des Markes in die entleerten Theile der Fa-
sern zurückstauen müssen, da sich seiner Expansion nach dieser
Richtung hin der geringste Widerstand entgegenstellt. Jedenfalls
haben diese, schon in den ersten Tagen sich zeigenden aus kleinen
Markkrümeln zusammengesetzten Inhaltsreste der gequetschten Fa-
sern keine direkte Beziehung zu der Regeneration, es lässt sich
annehmen, dass sie durch einfache Resorption später verschwinden.
Was 2) die an die Quetschung sich beiderseits anschliessende
Zerklüftung des Markes in gewissen Strecken betrifft, so handelt
es sich hier um dieselbe Erscheinung, die man bekanntlich auch
an den Endstücken durchschnittener Nerven wahrnimmt und für
welche neuerdings von Colasanti die Bezeichnung ‚‚traumatische
Veränderung‘ zur Unterscheidung von den Degenerationsvorgängen
im peripherischen Nerven gebraucht worden ist. Nach meinen
Beobachtungen gestalten sich diese Veränderungen in äusserst un-
regelmässiger Weise, so dass fast jede Faser ein anderes Bild dar-
bietet, kleine Markkrümel, runde Markballen, eylindrische Mark-
fragmente wechseln nicht nur in der verschiedensten Weise mit
markleeren Strecken, sondern es finden sich auch Stellen, in denen
(nach Osmiumfärbung) gefärbte und farblose Theile durch allmähliges
Abklingen der Farbe in einander übergehen. Was das Verhältniss
dieses Zustandes der zunächst an die Quetschstelle anstossenden
Fasertheile zu der peripherisehen Degeneration betrifft, so trat bei
meinen Versuchen die letztere stets so frühzeitig ein, dass sie sich
unmittelbar an jene anschloss, niemals konnte ich demnach einen
Ranvier’schen Schnürring als Grenze derselben konstatiren, wie
es Engelmann bei seinen Durchschneidungsversuchen, in denen
die periphere Degeneration selbst nach Wochen noch nicht einge-
treten war, fand !). Ebensowenig aber ergaben meine Beobachtungen
l) Ranvier, Lecons, Bd. I p. 292.
1) Offenbar rührt diese Differenz davon her, dass Engelmann unter
ganz anderen Verhältnissen operirte. Er benutzte erwachsene Exemplare
324 E. Neumann:
eine Bestätigung der Angabe Engelmann’s, dass der centrale
Theil der Faser sich nur unterhalb des ersten Schnürrings verän-
dert zeigt und oberhalb desselben sein normales Ansehen beibe-
hält: vielmehr habe ich nur ausnahmsweise an derjenigen Stelle, wo
der Uebergang der mit zerklüftetem Mark erfüllten Fasern zu der
normalen Struktur stattfand, einen Ran vier’schen Schnürring ge-
sehen, fast immer befand sich diese Uebergangsstelle innerhalb
eines interannulären Segments. Ich vermag jedoch nicht darüber
zu entscheiden, ob die Veränderung oberhalb oder unterhalb des
zunächst über der Quetschstelle gelegenen Schnürrings Halt gemacht
hatte, denn es lässt sich vermuthen, dass, ebenso wie in den peri-
pherischen degenerirenden Fasern, auch in diesen centralen Faser-
theilen, soweit sie von der „traumatischen Veränderung“ betroffen
werden, die Sehnürringe unkenntlich werden.
Ehe ich mit der Beschreibung der Veränderungen fortfahre,
muss hier die Frage berührt werden, ob wir berechtigt sind, die
oberhalb der Quetschstelle sich zeigenden Veränderungen mit denen,
welche unterhalb derselben eintreten und sich centrifugal in den
Fasern verbreiten, zu identifieiren? Es ist bekannt, dass diese
Frage für die Nervendurchschneidungen, bei welchen ganz ähn-
liche Verhältnisse vorliegen, in verschiedenem Sinne beantwortet
ist. Dass auch hier die Fasern des centralen Stumpfes nicht in-
takt bleiben, haben zuerst Schiff!) und Lent ?) beobachtet; spä-
ter habe ich in meiner Arbeit über Nervenregeneration ®) nicht
Anstand genommen, zu behaupten, dass der hier eintretende Pro-
zess im Wesentlichen mit dem der peripheren Degeneration iden-
tisch sei, und hahe demnach die oben aufgeworfene Frage hinsicht-
lich der Nervendurehschneidungen bejaht. Nachdem sodann Eich-
horst ) sich meiner Auffassung angeschlossen, trat Ranvier °) mit
der gegentheiligen Behauptung hervor, dass zwischen den Verände-
rungen des centralen Stumpfes und denen des peripheren Abschnit-
von Rana esculenta in einer für die Entwicklung der De- und Regeneration
ungünstigen Jahreszeit (März bis Mai); ich dagegen hatte es mit jungen,
frischeingefangenen Sommerfröschen zu thun.
1) Schiff Il. ce. p. 609.
2) Lent, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie VII p. 147.
3). C2 9.7208:
4) Eichhorst l. ce. p. 21 Separatabdr.
5) Ranvier, Comptes rendus LXXV p. 1831 und LXXVI p. 491.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 325
tes sehr wesentliche Differenzen obwalten, indem dort das Mark,
anstatt durch ein energisches Wachsthum des Kernes und des Pro-
toplasma in einzelne Bruchstücke zerfällt zu werden, eine Zerthei-
lung in feine Fetttröpfehen erleidet, der Achsenceylinder aber
nieht nur bis zur Durchschneidungsstelle hin sich erhal-
ten, sondern sogar hypertrophiren soll. Auch in seiner spä-
teren Veröffentlichung !) hält er hieran fest, obwohl er sich doch
gezwungen sieht zuzugestehen, dass wenigstens in einer gewissen
Zahl von centralen Fasern die Erscheinungen sich denen, welche man
im peripherischen Nerventheile beobachtet, sehr ähnlich gestalten °).
Sieht man sich bei anderen neueren Untersuchern um, so scheint
es, dass Ranvier’s Aufstellung bei denselben keinen Anklang ge-
funden; mehrere derselben sprechen sich sehr entschieden gegen die-
selbe aus; so giebt z.B. Tizzoni an, dass „nach Durchschneidung
eines Nerven sowohl dessen centraler Stumpf als der peripherische
einer Entartung der Markscheide und des Achseneylinders anheim-
falle, nur verlaufen diese degenerativen Prozesse in letzterem ra-
scher und vollständiger“; Rumpff lässt ebenfalls in dem centralen
Stücke „die Auflösung eines Theils des gequollenen Achsenceylin-
ders“ erfolgen und protestirt ausdrücklich gegen Ranvier’s An-
nahme einer Hypertrophie desselben und Sigmund Mayer äus-
sert sich dahin, dass die „sogenannten degenerativen Umwandlun-
1) Ranvier, Lecons Bd. II p. 31.
2) ibidem p. 39 (‚„quelquesuns fibres montrent une segmentation ana-
loque & celle des tubes du segment peripherique“) u. p. 72 („nous avons
observe dans le segment central des modifications de la myeline & peu pres
analogues & celles, qui se produisent dans le segment peripherique“). Hier-
nach muss jedenfalls die Kritik, welche Ranvier an Eichhorst’s Arbeit,
dem er einen schweren Vorwurf daraus macht, dass er beide Enden eines
durchschnittenen Nerven in gleicher Weise degeneriren lässt, ausübt, sehr
ungerecht erscheinen. Ganz unverständlich aber ist es, wenn Cossy und De-
jerine (l. c. p. 581) gleichfalls meinen und Eichhorst’s Angaben wider-
sprechen und gegen dieselben als Beweis anführen, dass sie selbst in einem
20 Jahre alten Amputations-Stumpfe normale Nervenfasern angetroffen hätten !
Bei einiger Aufmerksamkeit hätten die genannten Untersucher sicher erkannt,
dass sich jene Angaben nur auf die erste Zeit (vor eintretender Faserneu-
bildung) und auf das centrale Schnittende des Nerven beziehen, und sie
hätten sich alsdann vielleicht veranlasst gefunden, ihre hinsichtlich des Zu-
standes der Nervenfasern innerhalb der ersten Wochen nach der Durchschnei-
dung aufgestellte entschieden irrthümliche Behauptung „le bout central d’un
nerf sectionne presente une integrit& absolue‘‘ näher zu prüfen.
326 E. Neumann:
gen am centralen Stumpfe ebenso auftreten wie am peripheren“
und schliesst sich in Bezug auf die Auffassung des Wesens dieser
Vorgänge für beide Theile meiner und Eichhorst’s Ansicht an
(1. e. p. 61). Was nun den Erfolg der Nervenquetschung betrifft,
so muss ich gleichfalls daran festhalten, dass sich die im centralen
Faserende eintretenden Veränderungen nieht wesentlich von den-
jenigen unterscheiden, welche im ganzen peripherischen Verlauf der
Nervenfasern eintreten und behaupten, dass, soweit die Osmium-
säure eine Kontinuitätstrennung des Markes dokumentirt, auch eine
Zerstückelung des Achseneylinders stattfindet, welche mit dem völ-
ligen Untergange desselben endet, wenigstens ist es mir niemals ge-
lungen, in den Interstitien zwischen den Markstücken, obwohl man
doch erwarten sollte, dass hier die Wahrnehmung des Achseneylinders,
falls derselbe sich erhalten sollte, durch das Fehlen der Markes er-
leichtert sein müsste, denselben zu konstatiren. Vielmehr finde ich, dass
in unmittelbarer Nähe der Quetschstelle der von den Sehwann’schen
Scheiden umfasste Raum zwischen den Markfragmenten leer ist und
dass er weiter aufwärts von einer farblosen, in Bezug auf ihr Bre-
chungsvermögen mit dem Protoplasma übereinstimmenden, jedoch
homogenen Substanz ausgefüllt wird, welche sich genau so wie in
den peripherischen Nervenabschnitten verhält, so dass das anato-
mische Bild hier ein ganz übereinstimmendes ist. Demgemäss
glaube ich annehmen zu dürfen, dass, soweit die durch die Quet-
schung bedingte moleculäre Alteration des Markes sich erstreckt,
dasselbe sich gleichsam wie ein Caput mortuum verhält und sammt
dem von ihm umschlossenen Theile des Achsencylinders einer
einfachen Resorption anheimfällt, dass aber darüberhinaus in den
von der mechanischen Wirkung der Quetschung nicht betroffenen
Theilen der Nervenfasern eine reactive Thätigkeit eintritt, welche,
wie bei der peripheren Degeneration in der Hauptsache darin be-
steht, dass auf Kosten des normalen Inhalts der Fasern eine ver-
mehrte Bildung von protoplasmaartiger Substanz stattfindet, wobei
ich es wiederum dahingestellt sein lassen muss, in wieweit es
sich dabei um eine Umbildung des Markes und des Achseneylin-
ders oder vielmehr um eine einfache Verdrängung durch das
ursprünglich in deren Fasern vorhandene, sich vermehrende Pro-
toplasma handelt.
Schon in 5, 6 Tagen hat sich das Aussehen der Fasern ver-
ändert. Das hier vorliegende Stadium des Prozesses ist dadurch
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 327
charakterisirt, dass in der ganzen Ausdehnung der Quetschwirkung
eine Erfüllung derSchwann’schen Scheiden mit jener protoplasmaar-
tigen Substanz zu Stande gekommen ist und dass gleichzeitig eine
Kernvermehrung sichtbar wird (Fig. 11, 12). Die Fasern erscheinen
daselbst als schmale mattglänzende Bänder oder Stränge, welche
mit einer mehr oder weniger grossen Zahl von Kernen besetzt sind
und nach beiden Seiten hin allmählig sieh verbreitern. Ihr Ueber-
gang zu den normal beschaffenen centralen Fasern wird durch
Abschnitte vermittelt, in welehen noch verschieden reichliche
Marküberreste und Fetttröpfehen neben kernreichem Protoplasma
enthalten sind und ebenso bezeichnen an Menge zunehmende Mark-
massen den Uebergang zu den peripherischen, in beginnender De-
generation begriffenen Fasern.
Welches ist der Ursprung dieser Protoplasmamasse, welche die
Fasern an den durch die Quetschung ihres Inhalts beraubten, später,
wie wir gesehen haben, einige kleine Markkrümel enthaltenden
Parthieen erfüllt? Wir haben uns hier, wie es scheint, zwischen
folgenden Möglichkeiten zu entscheiden: entweder konnte der Her-
gang der sein, dass bei der Quetschung gleichzeitig mit den Kernen
(s. oben) auch eine geringe Menge Protoplasma in den gequetschten
Theilen der Fasern zurückbleibt und dass diese nunmehr unter gleich-
zeitiger Vermehrung der Kerne zunimmt, so dass schliesslich eine
vollständige Ausfüllung der leeren kollabirten Scheiden zu Stande
kommt oder man müsste statuiren, dass von den beiden an die
Quetschstelle anstossenden Theilen der Faser aus, das daselbst
auf Kosten des Markes und Achseneylinders sich bildende Proto-
plasma sich allmählig in die leeren Abschnitte der Scheide ein-
schiebt und sie erfüllt. In letzterem Falle würde die Mitte der
Quetschstelle am längsten in dem kollabirten Zustande verbleiben,
im ersteren könnte dagegen die Verbreiterung derselben gleichzeitig
in ihrer ganzen Länge stattfinden. Meine Beobachtungen sprechen
mehr für das letztere Verhältniss, doch ist es mir nicht gelungen,
wie man erwarten könnte, im Umfange der Kerne gesonderte
Protoplasma-Massen zu sehen, deren spätere Verschmelzung zu einer
kontinuirlichen Ausfüllungsmasse anzunehmen wäre).
1) Ich erwähne hier beiläufig eine Beobachtung, welche ich an den
Gefässen der Quetschstelle machte. Schon makroskopisch zeichnete sich,
wie oben angegeben, die letztere einige Tage nach der Operation durch eine
328 E. Neumann:
3. Regeneration. In dem beschriebenen Zustande sind
die Fasern vorbereitet zur Erzeugung neuer, von den alten
Schwann’schen Scheiden umschlossener Fasern, deren erste si-
chere Spur ich, wie angegeben, bereits am 12. Tage nach der
Operation wahrnehmen konnte — ein Zeugniss für die geringere
Bedeutung des Eingriffs im Vergleiche zur Durchschneidung, bei
welcher Eichhorst als frühesten Termin für die beginnende Re-
generation bei Fröschen den 30. Tag bezeichnet hat (l. e. p. 20).
Bei ihrem ersten Auftreten erscheinen die neuen Fasern als
blasse, schmale Bänder von homogenem Aussehen, welche im In-
nern der altenFaserscheiden eingeschlossen sind, theils
starke Röthung aus; bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich als
Ursache dieser Erscheinung grosse Mengen freiliegender rother Blutzellen
(neben weniger reichlichen farblosen, zum Theil Marktröpfchen in sich ein-
schliessenden Wanderzellen), welche die Nervenfasern auseinander drängten.
Ich war anfänglich geneigt, dieses Extravasat auf eine durch die Quetschung
bewirkte Gefässzerreissung zu beziehen; bald jedoch erkannte ich eine an-
dere Ursache desselben und es ist mir dadurch um so mehr zweifelhaft ge-
worden, ob die Zerquetschung in der oben beschriebenen Weise mit einem
Faden ausgeführt, zu einer Kontinuitätstrennung der in den Nerven einge-
schlossen und durch das Neurileum vor direkter Berührung mit dem Faden
geschützten Gefässe Veranlassung giebt, als die Blutung nicht unmittelbar
nach der Quetschung, sondern immer erst einige Tage nachher einzutreten
scheint. Dagegen lässt sich mit grosser Sicherheit eine Haemorrhagia per
diapedesin feststellen; stets zeigten sich nämlich in den Fällen, wo ein
erhebliches Extravasat im Nerven vorgefunden wurde, im Bereiche der Quetsch-
stelle die zwischen den Nervenfasern verlaufenden capillaren Gefässe stark
erweitert, strotzend mit dichtzusammengepressten rothen Blutkörperchen er-
füllt und nach Fixirung durch Osmium-Säure liessen sich noch deutlich ein-
zelne Körperchen erkennen, welche, im Durchtritt durch die Gefässwand be-
griffen, in dieselbe eingeklemmt waren. Hier war also auf mechanische
Weise durch die Quetschung eine moleculäre Alteration der Gefässwände
erzeugt worden, welche (wahrscheinlich in Folge vermehrter Reibungswider-
stände) zu einer Stockung des Blutstromes, einer Aufstapelung der Blutzellen
und unter der Einwirkung des Blutdrucks zu einem Austritt derselben aus
den Gefässen geführt hatte. — Sollte nicht manchen der nach starken Kontu-
sionen beim Menschen sich langsam ausbildenden Blutungen derselbe Vorgang
zu Grunde liegen? — An der Arteria cruralis sah ich als Folge der
quetschenden Umschnürung wiederholt gleichzeitig mit der Durchtrennung
der inneren Schichten eine umschriebene sackige Ausbuchtung der Adventitia,
also ein kleines artificielles Aneurysma entstehen.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 329
dieselben ganz erfüllend, theils von einem Protoplasmamantel um-
hüllt, theils endlich neben zurückgebliebenen grösseren Protoplas-
mamassen, Markkugeln ete. vorbei verlaufend. Während sie an
den letzteren Stellen einen dem konvexen Rande der alten Fasern
entsprechenden Bogen bilden, ist auch an den anderen Theilen
ihr Verlauf meistens kein ganz gerade gestreckter, da die nach
innen vorspringenden, zahlreichen Kerne der Scheiden sie zu leich-
ten Ausbiegungen bald nach der einen, bald nach der anderen Seite
nöthigen. Ihre Kontouren sind anfänglich durch zwei wenig mar-
kirte Linien bezeichnet, allmählig aber werden dieselben schärfer
ausgeprägt, glänzender, breiter und hiemit geht eine zunehmende
Intensität der durch Osmium erzeugten Schwärzung der Fasern pa-
rallel, was auf die wachsende Ausbildung der Markscheide schliessen
lässt. Gleichzeitig nimmt auch die Breite der Fasern zu, zeigt aber
stets im Verlaufe derselben eine gewisse Ungleichmässigkeit, indem
ein Mal sehr bald in regelmässigen Intervallen die Ranvier'schen
Sehnürringe sichtbar werden, andererseits die Fasern aber auch
an denjenigen Stellen, wo sie an vorspringenden Kernen resp. an
Residuen des alten Faserinhaltes vorbeistreichen, in der Profilan-
sicht verschmälert, also abgeplattet sind. Den Abschluss des Re-
generationsprozesses endlich bildet die Entstehung neuerSchwann’-
schen Scheiden um die jungen Fasern, wobei die letzten noch an-
heftenden kernhaltigen Protoplasmamassen mit den von ihnen um-
schlossenen Markballen abgestreift werden, so dass diese nunmehr
zwischen den neuen Fasern frei liegen. Die alten Scheiden
scheinen hierbei in dem Endoneurium aufzugehen.
Diese Verhältnisse wiederholen sich in fast gleicher Weise
(abgesehen natürlich von gewissen Differenzen, welche sich aus der
oben gegebenen Beschreibung des der Regeneration vorausgehen-
den Stadiums ergeben) in den neuen Fasern der Quetschstelle, wie
in denen des peripherischen Nerventheiles, bei eintretender Re-
generation. Sie sind übrigens, seitdem Eichhorst die ersten
guten Abbildungen von der nach Durchschneidungen in den alten
Fasern vor sich gehenden Faserneubildung, wie sie vor längerer
Zeit bereits von Remak !) vermuthet und dann von mir in meiner
l) Remak, über Wiedererzeugung von Nervenfasern. Virchow’s Archiv
Bd. 23 p. 441. — Remak gelang es in der hier mitgetheilten Beobachtung, wel-
che bekanntlich ein Kaninchen betrifft, an welchem vor 8 Monaten der Ischia-
330 E. Neumann:
mehrfach erwähnten Arbeit mit Bestimmtheit nachgewiesen wurde,
gegeben hat, zu bekannt, als dass hier eine ausführlichere Darle-
sung derselben erforderlich wäre. Ein näheres Eingehen verlangen
nur diejenigen Punkte, welche für die natürlich im Vordergrunde
stehende und noch immer strittige Frage nach der Entstehungsweise
dieser neuen Fasern von Bedeutung sind. Von diesem Gesichts-
punkte aus ist es sicher zunächst von grossem Interesse festzu-
stellen, was sieh über die Art und Weise beobachten lässt, wie
diese neuen Fasern sich mit den unveränderten (centralen) Theilen
der alten Fasern in Verbindung setzen? Wie sich erwarten lässt,
gestalten sich hier die Verhältnisse ähnlich, wie an durchschnitte-
nen Nerven. Ich stelle im Folgenden diejenigen Fakta zusammen,
welche ich bei speciell auf diese Angelegenheit gerichteter Auf-
merksamkeit zu ermitteln im Stande war.
1. Der Anschluss der neuen Fasern an die alten findet stets
.
dieus durchschnitten worden war, nicht den Uebergang der alten.Fasern in
die neugebildeten durch das feste Narbengewebe hindurch zu verfolgen und
erklärte es nur für „sehr wahrscheinlich“, dass die Schwann’schen Scheiden
der ersteren sich direkt in die scheidenförmige Umhüllung fortsetzten, welche
die Bündel der letzteren einschloss.. Bei meinen Untersuchungen früherer
Heilungsstadien (aus der 2. bis 3. Woche) konnte ich die Thatsache, dass die
Fasern des centralen Rumpfes eines durchschnittenen Kaninchennerven sich
innerhalb der Narbe, in Bündel neuer, schmaler Fasern, welche von einer
Fortsetzung der Schwann’schen Scheide umhüllt wurden, fortsetzen, durch
direkte Beobachung feststellen, und habe dieselbe seitdem stets in meinen
Vorlesungen an Präparaten demonstrirt. Eine Bestätigung lieferten die Unter-
suchungen Eichhorst’s und Ranvier’s. Wenn freilich Letzterer nicht er-
wähnt, dass diese Beobachtung schon vor ihm gemacht wurde, und mir sogar
in Betreff der Regeneration neuer Fasern die Ansicht zuschreibt, dass die-
selben durch eine von Neuem eintretende Differenzirung zwischen Mark und
Achseneylinder in den degenerirten Theilen der alten Fasern sich bilden !),
dass letztere sich somit einfach wieder restituiren und in statum integrum
zurückkehren (eine Ansicht, die ich ausdrücklich zurückgewiesen habe |. c.
p. 215), so beruht dies auf einem Missverständniss, zu welchem ich durch
meine Beschreibung keine Veranlassung gegeben zu haben glaube. Dass
Ranvier’s Beobachtungen mit meinen und Eichhorst’s Angaben sehr gut
übereinstimmen, geht am besten aus einem Vergleiche seiner Abbildungen
mit denen Eichhorst’s hervor. Abgesehen davon, dass Eichhorst damals
die Ranvier’schen Schnürringe noch nicht würdigte, lässt sich eine wesent-
liche Differenz hier nicht finden.
1) Ranvier, Lecons, Bd. U p. 43, 74,
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 331
etwas oberhalb der Quetschstelle statt, ebenso wie in dem cen-
tralen Stück eines durchschnittenen Nerven oberhalb des Schnitt-
endes. Diese Thatsache ergiebt sich unmittelbar daraus, dass sich
die oben beschriebenen degenerativen Vorgänge auf den nach
oben an die Quetschstelle anstossenden Theil der Nervenfasern bis
zu einer gewissen Entfernung hin fortpflanzen.
2. In der grossen Mehrzahl der Fälle findet man als Fort-
setzung der alten Fasern eine neue Faser (Fig. 14—20, Fig. 22),
indess kommt es auch vor, dass sich zwei ausgebildete Fasern
an die alte Faser anschliessen (Fig. 21). Eine grössere Zahl habe
ich nie gesehen, wenn auch allerdings dieselbe im weiteren Ver-
lauf der Fasern sich auf drei bis vier steigern kann. Es steht
dies in Uebereinstimmung mit den Angaben Eichhorst’s, welcher
durehschnittene Froschnerven bis zu dem Eintritt der Faserneubil-
dung untersuchte; er fand hier ebenfalls gewöhnlich nur eine,
selten zwei neue Fasern in der alten Scheide und hebt mit Recht
den Gegensatz hervor, in welchem diese Thatsache zu den Be-
funden bei Kaninchen steht, indem man hier nach Durchschnei-
dungen die alten Fasern in ganze Bündel neuer Fasern überge-
hen sieht.
3. Die Endstücke der alten Fasern zeigen lange Zeit hin-
durch ein durchaus unregelmässiges Verhalten (ich beobachtete
dies selbst noch am 88. Tage an vielen Fasern); später bildet
sich an der betreffenden Stelle ein echter Schnürring (Fig. 20).
Jedenfalls besteht von vorn herein insofern eine Achnlichkeit mit
dem Verhalten eines Sehnürringes, als das Mark an der Verbin-
dungsstelle zwischen alten und neuen Fasern fast immer (einige
Ausnahmefälle habe ich allerdings gesehen; dieselben lassen sich
vielleicht auf eine Quetschung der Fasern bei der Präparation und
ein dadurch bedingtes Zusammenfliessen des Markes der alten und
neuen Fasern zurückführen), eine Unterbrechung erleidet und die
dünne Markscheide der neuen Faser sich nicht kontinvirlich in
das Mark der alten Faser fortsetzt; das letztere endet gewisser-
massen blind, aber, wie gesagt, in sehr unregelmässigen, von dem
typischen Bilde der Endigungsweise des Markes in einem Schnür-
ringe sehr abweichenden Formen. Während bei letztern das Mark
in einer zur Faseraxe genau vertikal gestellten Linie scharf ab-
schneidet, finden wir in unserem Falle die Grenzkonturen des
Markes der alten Faser durch eine aus Bogensegmenten zusam-
332 E. Neumann:
mengesetzte Linie gebildet; das Mark schiebt in der Richtung
gegen die neue Faser hin zahlreiche, theils flach konvexe, theils
stärker gewölbte Fortsätze vor, vergleichbar einer aus zusammen-
gesinterten Wachstropfen gebildeten Masse (Fig. 16, 17, 21, 23).
Sehr häufig finden sich lange zungenförmig gestreckte Fortsetzun-
sen der alten Markscheide, welche sich über die neuen Fasern in
grosser Ausdehnung hinüberlegen; bisweilen sieht man letztere
auch beiderseits von solchen Fortsätzen eingefasst und zwischen
dieselben eingeschoben (Fig. 19), nicht selten endlich kommen hiezu
noch frei abgelöste Marktropfen und grössere klumpige Markmas-
sen, namentlich am, Ende der langen zungenförmigen Fortsätze.
Die Abbildungen geben nur eine kleine Zahl von Beispielen für
diese vielfachen Variationen unterworfenen Verhältnisse. — Noch
ein zweiter Umstand unterscheidet die freien Enden der alten Fa-
sern wesentlich von der Endigungsweise der Fasersegmente, welche
in einem Schnürringe zusammenstossen. Bei letzteren hören die
beiden glänzenden Randsäume der Fasern, welche dem optischen
Durchschnitte der Markscheide entsprechen, sich allmählig ver-
schmälernd mit freien Enden auf und bleiben von einander so weit
entfernt, als es der Breite des Schnürrings entspricht; am Ende der
alten Fasern dagegen sehen wir meistens die beiderseitigen Rand-
säume ineinander übergehen, indem sie sich in die in der oben
beschriebenen Weise unregelmässig gestalteten Begrenzungslinien
fortsetzen. Während dort also das Mark eine hohle Röhre bildet,
welche sich gegen den Schnürring öffnet und den von ihm um-
schlossenen Achseneylinder hervortreten lässt, hat es den Anschein,
als ob in dem Ende der alten Fasern der centrale Inhalt vollständig
von einer dicken Markhülle umflossen wäre. Dass dem wirklich
so ist, ist allerdings nicht anzunehmen, da es nicht begreiflich
wäre, dass ein Nerv wieder leistungsfähig werden könnte, wenn
der Achseneylinder an der Stelle, wo die alten Fasern aufhören,
nicht mit dem Inhalte des peripherischen Theiles des Nervenroh-
res in Kontinuität stände; es scheint mir vielmehr aus dem Ange-
führten nur hervorzugehen, dass diese Kommunikationsöffnung von
den knolligen Protuberanzen des Markes häufig überragt und durch
dieselben dem Blicke entzogen wird.
4. Die neuen Fasern beginnen unterhalb des alten Faseren-
des (abgesehen von den erwähnten seltenen Ausnahmefällen, in
denen das Mark beider unmittelbar ineinanderfliesst) mit feinen
\
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 333
seitlichen Kontouren, welche im weiteren Verlaufe nicht nur schär-
fer, markirter und glänzender werden, sondern auch, indem die
Faser eine geringe Verbreitung erfährt, etwas weiter auseinander-
treten, die Fasern spitzen sich also nach oben hin, wie in einem
Schnürringe, konisch zu (Fig. 22, 23). In späteren Terminen las-
sen sich diese Kontouren sehr leicht bis in die unmittelbare Nähe
des Markes der alten Fasern verfolgen, es bleibt ein so geringes
Interstitium, wie zwischen den in einem Schnürringe zusammen-
stossenden Marksegmenten; in früherer Zeit dagegen findet sich
zwischen den alten und den neuen als sehr blasse Bänder begin-
nenden Fasern eine beträchtliche Lücke, innerhalb deren ich einen
Verbindungsstrang als Fortsetzung des Achseneylinders der alten
Faser nicht erkennen konnte; dieselbe erschien vielmehr von
einer blassen, nicht differenzirten Masse erfüllt, welche ich als
Ueberrest des durch die Degeneration enstandenen Protoplasma
auffassen muss (Fig. 14--18). In einem Nerven, welcher vor
43 Tagen zerquetscht worden war, fanden sich noch Fasern vor,
bei denen dieser Abstand 20 bis 30 Mikromillimeter betrug.
5. An der Uebergangsstelle befinden sich in der früheren
Zeit (bis zur 6. Woche) meistens ein oder mehrere Kerne (Fig.14,
17, 18) und auch unterhalb derselben erscheint die neue Faser mit
einer grösseren Zahl von Kernen besetzt. Häufig liegen zwei Kerne
nebeneinander und die Faser läuft in flachen Bogen bei ihnen
vorbei; in andern Fällen windet sie sich zwischen zwei einander
schräg gegenübergelegenen Kernen hindurch. In späterer Zeit
zeigt sich an der Uebergangsstelle kein Kern und auch der Kern-
reichthum des Anfangsstückes der neuen Faser nimmt ab, bis
schliessslich nur ein Kern für die ganze Strecke bis zu dem er-
sten Schnürringe derselben übrig bleibt (Fig. 21, 22).
Nieht minder wichtig, als die eben erörterten sich auf die
Verbindung zwischen alten und neuen Fasern beziehenden Verhält-
nisse, ist für die Beurtheilung ihres Ursprungs die Beobachtung des
Ganges, welchen ihre Entwicklung in dem Nerv unterhalb der
Quetschstelle einschlägt. Als allgemeine Regel hat sich mir in
dieser Beziehung, wie bereits oben erwähnt, der Satz ergeben,
dass nach der Peripherie hin sowohl die Zahl als der
Ausbildungsgrad der neuen Fasern abnimmt, oder mit
anderen Worten, dass in tieferen Theilen des Nerven
334 E. Neumann:
die neuen Fasern später entstehen und sich ausbilden,
als in höhergelegenen. Sehr häufig habe ich mich davon
überzeugen können, dass in einiger Entfernung von der Quetsch-
stelle schon zahlreiche, kräftig entwickelte neue Fasern bestanden,
während an mehr peripherischen Theilen dieselben nur spärlich,
schmäler und blasser waren und dass in noch grösserer Entfernung
nur degenerirte Fasern und keine neugebildeten vorhanden waren.
Hiemit ist keineswegs ausgeschlossen, dass eine neue Faser, wie
sich nicht selten beobachten lässt, in ihrem Verlaufe gegen die
Peripherie hin sich in einer Mehrzahl (zwei, höchstens drei) von
- Fasern fortsetzt; immer geschieht dies an der Stelle eines Schnür-
ringes und das Bild der Faser ist alsdann ganz entsprechend dem
bekannten Aussehen einer Theilungsstelle normaler Fasern (Fig. 22).
Wenn sich hieraus der Schluss ableiten lässt, dass nach vollendeter
Restitution des Nerven die Faserzahl nach der Peripherie hin
wächst, so liegt hierin doch kein Widerspruch gegen die Behaup-
tung, dass während der Regenerationsperiode im Allgemeinen die
Zahl der im Querschnitt des Nerven enthaltenen neuen Fasern
in höher gelegenen Theilen desselben eine grössere ist als in tie-
feren. Ebensowenig wird das oben bezeichnete Gesetz durch die
interessante auch von Ranvier !) erwähnte Thatsache umgestossen,
dass öfters unter den im Verlaufe einer neuen Faser aneinander-
gereihten interannulären Segmenten einzelne sich befinden, welche
auffälligweniger ausgebildet sind als ihre beiderseits an sie angren-
zenden Nachbarsegmente. Immerhin sind dieses Ausnahmefälle ge-
genüber der allgemeinen Regel, welche insofern Beachtung ver-
dienen, als sie von einer gewissen Selbständigkeit der einzelnen die
neuen Fasern zusaınmensetzenden Segmente Zeugniss ablegen.
Diese letztere scheint nun auch in einem zweiten Gesetze
zum Ausdruck zu gelangen, welches ich vorläufig allerdings nur
hypothetisch hinzustellen wage: das Wachsthum der Fasern
nach der Peripherie hin erfolgt diskontinuirlich; je-
des folgende Segment entwickelt sich selbständig
und steht mit den bereits zu einer zusammenhän-
senden Kette aneinandergeschlossenen oberhalb gele-
senen Segmenten anfänglich mittelst einer nicht dif-
ferenzirten, kernhaltigen Protoplasmamasse in Verbin-
1) Ranvier, Lecons, II, p. 55.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 339
dung, innerhalb deren sich ein Achseneylinder nicht
erkennen lässt (Fig. 24, 25); erst später, wenn die Ausbildung
des neuen Gliedes weiter vorgeschritten ist, bildet sich an der
oberen Grenze desselben ein Scehnürring. Wir treffen hier also
auf ein ähnliches Verhältniss, wie es an der Uebergangsstelle zwi-
schen alten und neuen Fasern besteht. Ich verkenne nicht, dass
man ein gewisses Recht hat, die Mangelhaftigkeit unserer Unter-
suchungsmittel als Grund für die scheinbare Diskontinuität der
neuen Fasern zu betrachten; es scheint mir indess, dass wir einst-
weilen den Boden der anatomischen Beobachtung nicht verlassen
dürfen und uns davor hüten müssen, aus aprioristischen Gründen
die Existenz eines kontinuirlichen Achsencylinders als nothwendig
vorhanden vorauszusetzen, wenn wir dieselbe nicht konstatiren
können. Ein solcher Nachweis scheint aber auch andern Beob-
achtern nicht gelungen zu sein und selbst bei Anwendung der
Chlorgoldmethode hat Korybutt-Daskiewiez!) das Resultat
erhalten, dass in den degenerirten Fasern diskontinuirliche, beider-
seits frei endigende Bruchstücke neuer Fasern auftreten.
Auf Grund meiner Beobaehtungsresultate kann ich mich
demnach der alten Waller’schen, neuerdings von Ranvier wie-
der aufgenommenen Theorie, dass ein vom Centrum abgetrennter
Nerv sich dadurch regenerirt, dass von dem centralen Stumpfe aus
neue Fasern in ihn kontinuirlich hineinwachsen, nieht anschliessen.
Wenigstens in Betreff der nach Nerven quetschungen ein-
tretenden. Vorgänge muss ich mich derselben gegenüber negi-
rend verhalten und gewiss ist nicht anzunehmen, dass die Rege-
neration des peripherischen Theiles eines durehsehnittenen Nerven
(von der in der Narbe eintretenden Faserneubildung ganz abge-
sehen) in anderer Weise erfolgt, als dies nach Quetschungen der
Fall ist. Ranvier gesteht selbst ein, dass es ihm nicht gelungen
ist, die Vorgänge zu beobachten, durch welche sich das von ihm
behauptete peripherische Fortwachsen der Jungen Fasern voll-
zieht ?), er stützt seine Behauptung lediglich durch den Hinweis
1) Korybutt-Daskiewiez l. c. p. 30. Die hier versuchte Ableitung
dieser Faserstücke aus restirenden Fragmenten des Achsencylinders kann ich,
wie bereits oben erwähnt wurde, nicht adoptiren.
2) Ranvier, Lecons, II, p. 73: „je voudrais pouvoir vous montrer des
preparations, sur lesquelle ce processe (la croissance peripherique du eylin-
dre-axe) s’observerait directement; mais les nerfs en voie de regene-
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 18. 23
336 E. Neumann:
auf die Analogie mit der Entwicklung der Nerven beim Embryo
und auf die Thatsache, dass die Regeneration degenerirter Nerven
in der Richtung von dem Centrum nach der Peripherie fortschreitet.
Was den ersteren Hinweis betrifft, so wird allerdings zur Zeit
von den bewährtesten Embryologen die Ansicht vertreten, dass die
als erste Anlage der peripheren Nerven zu betrachtenden Protoplas-
mafäden aus centralen Ganglienzellen kontinuirlich nach der Pe-
ripherie hervorwachsen; aber eine Entscheidung darüber, ob die
Bildung des aus dieser protoplasmatischen Anlage hervorgehenden
Achsencylinders in gleicher Weise kontinuirlich von dem Centrum
nach der Peripherie vorrückt oder ob dieselbe nicht vielmehr dis-
kontinuirlich, absatzweise geschieht, ebenso wie die Bildung der
Markscheide, steht noch aus, wie ja bekanntlich von Engelmann
selbst für die fertig ausgebildeten Nervenfasern eine Unterbrechung
des Achsencylinders in jedem Ranvier’schen Schnürringe behauptet
wird. Ebenso muss ich gegen die zweite von Ranvier zum Beweise
hervorgezogene Thatsache den Einwand erheben, dass die Kon-
tinuität des centrifugalen Wachsthums der jungen Fasern inner-
halb degenerirter Nerven durch die bisherigen Beobachtungen
zum Mindesten nicht sichergestellt ist; ausserdem aber würde,
selbst wenn dies der Fall wäre, daraus nicht unbedingt zu folgern
sein, dass die centralen Fasern in die degenerirten, in denen sie
einen für ihre Vegetation günstigen Boden („milieu convenable
pour leur vegetation“) finden sollen !), hineinwachsen, wie die Wur-
zeln einer Pflanze in das Erdreich, sondern es liesse sich ein kon-
tinuirliches Fortwachsen der jungen Fasern auch durch eine kon-
tinuirlich fortschreitende Umbildung des Inhaltes der degenerirten
Fasern erklären.
Wenn nun aber das Wachsthum der Fasern, worauf meine
Beobachtungen mich hinleiten, nach dem Gesetze der Diskonti-
nuität erfolgt, so würde damit selbstverständlich die Waller- Ran-
vier'sche Theorie gänzlich unvereinbar sein und ich sehe alsdann
ration, A cause de la grande intrication de leurs fibres, sont un des plus
mauvais objets, que l’on puisse choisir pour &tudier la croissance
des nerfs“. — Trotz dieses Eingeständnisses führt es Ranvier (ibid. p. 71)
als Beobachtungsthatsache („fait observ&*) an, dass die vom zentralen
Stumpf auswachsenden Fasern „se prolongent & travers le segment eicatriciel
jusqu’au segment periphörique et y p&nterent!“
1) Ranvier, Lecons, U, p-. 75.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 337
keine andere Möglichkeit der Erklärung als die Annahme, dass
die neuen Fasern einer in dem protoplasmatischen In-
halt der degenerirtenFasern eintretenden spezifischen
Differenzirung („formativen Thätigkeit“) ihren Ur-
sprung verdanken und dass der Impuls zu dieser Dif-
ferenzirung sich in der Richtung vom Centrum nach
der Peripherie von Strecke zu Strecke fortpflanzt, so
dass die neuen Fasern also aus lauter einzelnen Segmenten sich
aufbauen, die erst nachträglich verschmelzen. Dass hiebei von den
in dem Protoplasma enthaltenen Kernen die Bildung der einzelnen
Segmente ausgeht und dass diese Kerne somit gewissermassen
die Angrifispunkte für den centralen Impuls darstellen, kann viel-
leicht als wahrscheinlich bezeichnet werden. Ob hiebei aus dem
Inhalt der alten Faser eine einzelne neue Faser oder eine Mehr-
zahl solcher hervorgeht, werden wir uns theils von der Energie
des centralen Impulses, theils von der Quantität des in den dege-
nerirten Fasern angehäuften Bildungsmaterials, auf welches der-
selbe einwirkt, abhängig vorstellen dürfen.
Man wird in dieser Anschauungsweise, obwohl dieselbe von
der isolirten Bildung der einzelnen Fasersegmente ausgeht, keine
Rückkehr zu der einst von Philippeaux und Vulpian !) auf-
gestellten, später indess von Vulpian ?) selbst widerrufenen Lehre
von der „Regeneration antogenique“ vom Centrum abgetrennter
Nerven erblicken können; sie unterscheidet sich von dieser vielmehr
wesentlich dadurch, dass sie eine gewisse „trophische“ (formative)
Impulse leitende Verbindung mit dem Centrum als nothwendig zur
Bildung neuer Fasersegmente betrachtet. Sie setzt jedoch allerdings
voraus, dass die Fortleitung dieser Impulse durch das in den alten
Fasern enthaltene protoplasmatische Material auf gewisse Streeken
hin vermittelt werden kann, noch bevor sich aus demselben ein
Achseneylinder gebildet hat. Auch auf die Regeneration des peri-
pherischen Nerventheils nach vollständiger Kontinuitätstrennung
(Durchschneidung, Exeision) lässt sich diese Theorie ohne Zwang
übertragen; nur würde hier derselben eine Ueberbrückung der
Narbe durch neue Fasern vorangehen müssen, deren Hervorwach-
1) Philippeaux und Vulpian, Comptes rendus 1859, p. 507. Archi-
ves genörales 1861, I, p. 782.
2) Vulpian, Archives de physiologie, 1874, p. 704.
338 E. Neumann:
sen aus dem centralen Stumpfe, trotz einiger entgegenstehenden
Angaben, wohl kaum zweifelhaft sein kann.
II. Versuche an Kaninchen. !)
Da die Resultate der bei Kaninchen ausgeführten Nerven-
quetschungen im Wesentlichen mit denen bei Fröschen beschrie-
nen übereinstimmen, so beschränke ich mich hier auf eine kurze
Skizze. Natürlich folgen alle Phasen des De- und Regenerations-
Prozesses schneller aufeinander und sind überdies an viel konstan-
tere Zeiträume gebunden, als bei Fröschen. Schon am 3. Tage
nach der Quetschung findet man die dünnen, etwas wellig ge-
schlängelt erscheinenden Verbindungsfäden, welche unmittelbar
nach denselben zwischen dem peripherischen und centralen Theile
der einzelnen Fasern ausgespannt sind, nicht mehr, sie sind
breiter geworden und ebenso, wie die noch kenntlichen konisch
zugespitzten Faserenden mit einer homogenen, nach Osmiumbe-
handlung zwischen Gelb und Grau variirenden Masse erfüllt.
Nach aufwärts schliesst sich hieran eine Zerklüftung des Mar-
kes in eylindrische Bruchstücke und Ballen, welche zum Theil
in protoplasma-artiger Masse liegen; eine Abgrenzung dieses Zu-
stands durch einen Ranvier’schen Schnürring ist nicht zu kon-
statiren. In dem peripherischen Nerventheile zeigt sich gleich-
zeitig der Beginn der Degeneration, welche sich namentlich durch
die Anhäufung von Protoplasma um die vergrösserten Kerne, aus-
serdem durch Zerklüftung des Markes zu erkennen giebt.
Am 4. und 5. Tage ist die Quetschstelle zwar immer noch
an der geringeren Breite der Fasern kenntlich, doch hat dieselbe
etwas zugenommen, da die Fasern theils durch eine reich-
liche Protoplasmamasse, theils durch Markkügelchen stärker aus-
gedehnt sind. In der Peripherie wird die Zerklüftung slärker, die
Enden der Markeylinder runden sich ab. Am Ende des 6. Tages
ist die Quetschstelle nicht mehr mit Sicherheit zu bestimmen, man
kann von jetzt ab nur von einer Uebergangsstelle sprechen, an
welcher normale Faserabschnitte an degenerirte grenzen. Hier
1) Dieser Theil der Untersuchungen, von Herrn Dr. @. Dobbert selbst-
ständig durchgeführt, ist von demselben bereits in seiner Inauguraldisserta-
tion „über Nervenquetschung“, Königsberg 1878 mitgetheilt worden.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 339
zeigt sich als Inhalt der Fasern eine mattgelblichglänzende,
durch eingelagerte, fettartig glänzende Körnchen granulirte Sub-
stanz, an vielen Stellen auch grosse Markballen, welche die Fasern
spindelförmig auftreiben. Schon um diese Zeit (6. Tag) sind
die ersten Spuren der beginnenden Regeneration wahr-
nehmbar, man bemerkt in den degerirten Fasern das Auftreten je
eines schmalen, blassen oder leicht grau gefärbten Bandes, welches
sowobl nach der Peripherie hin nur eine kurze Strecke zu verfolgen ist
als auch gegen die Uebergangsstelle hin undeutlich wird.
Gleichzeitig wurde nunmehr eine starke Vermehrung der Kerne
an der Quetschstelle sehr auffällig, so wurden z.B. in einem Falle
auf einer Strecke von 0,4mm 25 Kerne gezählt (während im nor-
malen Zustande die einzelnen Kerne fast 1 mm von einander ent-
fernt sind ?).
Am 9. Tage haben die neugebildeten Fasern schon meist
deutlich graue Färbung angenommen, sind aber auch jetzt nur in
der Nähe der Uebergangsstelle zu finden und nicht überall mit
gleicher Deutlichkeit wahrnehmbar, namentlich nicht an der
Uebergangsstelle selbst, wo oft 1 bis 2 Kerne lagern.
Nach 12 Tagen ist die Faserneubildung weiter nach der Peri-
pherie vorgeschritten, man findet an den Fasern bereits Ranvier’-
sche Einschürungen. An der Uebergangsstelle stossen alte und
neue Fasern zuweilen mit scharf kontourirten, etwas zugespitzten
Enden aneinander. Die periphere Degeneration bildet sich mitt-
lerweile gleichzeitig immer stärker aus und breitet sich nach ab-
wärts aus; man findet Bilder, welche auf Kerntheilung schliessen
lassen, so zeigten sich z. B. in einer Faser zwei Kerne, welche
zusammen einen eiförmigen Körper von der Grösse eines einfa-
chen grossen Kerns bildeten, der eine derselben war abgerundet,
der andere schmiegte sich diesem halbmondförmig an und war nur
durch eine äusserst schmale Spalte von ihm getrennt.
Am Ende des 20. Tages markirte sich der Uebergang zwi-
schen alter und neuer Faser dadurch, dass die erstere meistens
scharf und abgerundet, letztere dagegen zugespitzt endet; es ent-
steht so ein an einen Ranvier’schen Schnürring erinnerndes Bild;
gewöhnlich liegt auf jeder Seite ein Kern.
Die schönsten Bilder der Regeneration erhält man vom 29.
1) Toel, Diss., Zürich 1875.
340 E. Neumann:
Tage ab. Man sieht jetzt die alten und neuen Fasern ziemlich
regelmässig in einem regelrechten Ranvier’schen Schnürring zu-
sammenstossen. Die Färbung der neuen Fasern wird immer in-
tensiver grau; meistens stösst an die alte Faser nur eine einzige
neue an, selten findet man neben einer Hauptfaser noch ein oder
zwei ganz schmale, die noch über die Verbindungsstelle der er-
stern mit der alten Faser hinaus sich eine Strecke weit nach
aufwärts verfolgen lassen. ‚In der Peripherie zeigen sich inner-
halb der meisten degenerirten Fasern noch Markkugeln und ceylin-
drische Markstücke ; die eingeschlossenen neuen Fasern erscheinen
peripheriewärts zunehmend blasser und schmaler. In einer ge-
wissen Entfernung von der Quetschstelle hören sie auf, die alten
Fasern sind hier sehr schmal, jedoch da, wo sie Körner oder
Markreste umschliessen, spindlig aufgetrieben, sie sind von gewissen
spindelförmigen Bindegewebslementen schwer zu unterscheiden. Am
Ende der Versuchsreihe (44. Tag) erschienen die neuen Fasern
zwar noch viel schmäler (in maximo ?/; so breit) als die alten,
waren aber übrigens schon gut entwickelt, nur spärliche Proto-
plasmareste der degenerirten Fasern hafteten ihnen an und die
Zahl ihrer Kerne hatte abgenommen.
Eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung, die sich an den Fa-
sern des centralen Nervenstückes bei diesen Versuchen zeigte, sei
hier schliesslich erwähnt; wie nämlich bereits von Ranvier und
Korybutt-Daskiewicz erwähnt wird, zeigte sich hier in kur-
zer Entfernung von der Quetschstelle nicht selten der normale
durch Osmium schwarz gefärbte Faserinhalt auf kürzeren oder
grösseren Strecken (0,026 — 0,066 mm) durch eine blasse protoplamas-
tische Substanz unterbrochen, innerhalb deren sich nebst einigen
Körnern meistens eine oder zwei feine, wellig geschlängelte,
jedenfalls neugebildete Fasern erkennen liessen, die in den Ver-
lauf der alten Fasern eingeschaltet erschienen (Fig. 27, 28, 29). In
einzelnen Fällen sah ich dieselbe Erscheinung auch bei Froschner-
ven oberhalb der Quetschstelle (Fig. 26). In einem Falle wieder-
holte sich diese Interposition schmaler Nervenfasern in dem Verlauf
einer breiteren Faser sogar zwei Mal. Mir scheint diese Thatsache
insofern ein besonderes Interesse darzubieten, als sie darauf hin-
weist, dass im Verlaufe einer Faser gewisse Abschnitte derselben
von den eingreifendsten Metamorphosen betroffen werden können,
ohne dass der unterhalb gelegene Theil des Nerven (der sich
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 341
bis zur Quetschstelle hin normal verhält!) dem „trophischen“ Ein-
flusse des Centrum entzogen wird. Dass der hier auftretenden Faser-
bildung in derselben Weise, wie bei der peripheren Degeneration,
ein Untergang des betreffenden Abschnittes des alten Achsencylin-
ders vorausgeht, ist mir sehr wahrscheinlich und es würde hier
somit der Fall vorliegen, dass sich eine in einem Nerven einge-
schaltete, nicht specifisch differenzirte Protoplasmamasse als fähig
erweist, die trophische Verbindung mit dem Centrum zu unterhal-
ten, zu welcher Annahme wir uns schon früher durch die Beob-
achtung der Regeneration im peripherischen Nerventheile veranlasst
sahen. Die interessante, in neuerer Zeit von S. Mayer!) aufgefun-
dene und wiederholt besprochene Thatsache, dass auch in ganz nor-
malen Nerven ohne jede vorhergegangene Verletzung sich öfters
Faserstrecken in den verschiedensten Stadien der Degeneration und
Regeneration zeigen, giebt vielleicht die Möglichkeit an die Hand,
über die Berechtigung jener Annahme weitere Aufschlüsse zu erlangen.
Im Hinblick auf die an durchschnittenen Nerven bei Kanin-
chen gemachten Beobachtungen will ich es übrigens nicht unter-
lassen, einige freilich nicht wesentliche Differenzen derselben ge-
genüber den mitgetheilten Quetschversuchen hervorzuheben. Die eine
derselben betrifft den Zeitraum, innerhalb dessen die ersten neuen
Fasern sichtbar werden; derselbe ist nach Durchschneidungen ein
grösserer als nach Quetschungen in gleicher Weise, wie wir es
bei Fröschen gefunden haben; während nämlich bei Quetschungen
sechs Tage genügten, sah Eichhorst die ersten Spuren einer
Faserneubildung am centralen Stumpfe eines durchschnittenen Ka-
ninchennerven erst am 14. Tage. Sodann haben wir, wie meine
eigene, Eichhorst's und Ranvier’s Beobachtungen zeigen, für
Nervendurchschneidungen bei Kaninchen es als Regel zu betrachten,
dass sich im Anschluss an die alten Fasern ein Bündel neuer
Fasern ausbildet, während man nach Quetschungen für gewöhnlich
eine einzelne neue Faser als Fortsetzung der alten antrifft.
1) Sigismund Mayer l. c. p. 11, sowie ferner „über Degenerations-
oO I 2) ”
und Regenerationsvorgänge in peripherischen, normalen Nerven“, Wiener
Akad. Sitzungsberichte 1878, Bd. 77. Prager Medieinische Wochenschrift
1878 und 1879.
342 E. Neumann:
An die vorstehende Untersuchungsreihe schloss ich einige
Experimente an, in welchen ein Ligaturfaden um einen Nerven
gelegt, fest zugeknotet und in der Wunde mit kurz abgeschnittenen
Enden zurückgelassen wurde. Von den Ergebnissen dieser Ver-
suche will ich nur eins erwähnen: bei einem Kaninchen war der
Nervus tibialis in der Kniekehle ligirt worden und als das Thier
nach 2!/; Monaten getödtet wurde, zeigte sich an der Ligaturstelle
eine etwa linsengrosse Anschwellung des Nerven, in welche die
Ligatur eingeschlossen war, so dass dieselbe lose in einer kleinen
Höhle des Knotens lag. Bei der mikroskopischen Untersuchung
zeigte sich der Nerv bis auf eine kurze Entfernung von dem
Knoten normal, hier jedoch begannen Bündel schmaler neugebilde-
ter Nervenfasern, welche, fächerförmig ausstrahlend, die Ligatur
allseitig umgaben und die Wand der erwähnten Höhle bildeten;
jenseits der knotigen Auftreibung traten dieselben alsdann wieder
zu einem eylindrischen Strange zusammen, um ihren Lauf nach
der Peripherie fortzusetzen. Wir haben hier also ein Seitenstück
zu einem Falle, dessen Virchow !) Erwähnung thut. „Be&clard
berichtet von einem Manne, dem bei der Amputation des Ober-
schenkels der Ischiadieus unterbunden wurde; die Wunde heilte
per primam intentionem, aber der Kranke starb (es wird nicht
angegeben, wie lange nachher?) an Tetanus, der Nerv enthielt
in einer beträchtlichen Verdiekung denKnoten der noch
nicht ausgefallenen Ligatur.“
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV.
Fig. 1. Froschnerv unmittelbar nach der Zerquetschung. a Kern innerhalb
der Quetschstelle, bb Grenze der Markeinpressung.
Fig. 2. Ein ebensolcher Nerv; das Mark ist bei r. durch einen Ranvier’schen
Schnürring hindurchgepresst worden.
HJ
3
[3%
Degeneration des peripherischen Theiles eines Nerven 85 Tage nach
der Zerquetschung (Winterfrosch) bei a, a, a blasse Markreste, wel-
che allmählig in ein farbloses Protoplasma übergehen.
1) Virchow, Geschwülste, III, p. 254.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Die
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Ueber Degeneration und Regeneration zerquetschter Nerven. 343
Periphere Degeneration desselben Nerven; die beiden Kerne, a, a
sind durch einen 0,17 mm langen Markeylinder von einander ge-
trennt.
Periphere Degeneration desselben Nerven, zwischen die beiden Kerne
a, a ist ein 0,19 mm langes grossentheils markhaltiges Nervenstück
eingeschaltet.
Periphere Degeneration desselben Nerven. Die beiden Kerne a, a
erscheinen, von Protoplasma umgeben zu beiden Seiten einer einge-
schnürten Stelle (veränderter Ranvier’scher Schnürring) gelegen.
Periphere Degeneration desselben Nerven. Zwischen den beiden
Kernen, welche 0,015 mm von einander entfernt sind, ein den Quer-
schnitt der Faser erfüllendes Markstück.
folgenden Präparate 8—26 beziehen sich auf im Sommer operirte Frösche.
8.
10.
U].
2:
lo.
. 14.
5 JkaR
16.
217.
18.
218)
. 20.
>. 2ale
. 22.
Periphere Degeneration, 24 Tage nach der Zerquetschung. Zu bei-
den Seiten eines Ranvier’schen Schnürringes befindet sich eine
Protoplasma-Anhäufung.
Periphere Degeneration desselben Nerven. An der Peripherie der
Faser ein mit Protoplasma ausgefüllter Markdefekt ohne Kern.
Zentraler Theil eines vor 3 Tagen zerquetschten Nerven. In die
Quetschstelle sind Markkrümel eingetreten; im Umfange des Kerns
Protoplasma- Anhäufung.
Zentraler Theil eines vor 8 Tagen zerquetschten Nerven. Die Quetsch-
stelle bereits mit Protoplasma ausgefüllt, Kernwucherung, bei a
Marküberreste.
Zentraler Theil eines vor 10 Tagen zerquetschten Nerven. Derselbe
Zustand, doch lassen die auffällig scharfen Konturen bei a bereits
eine neugebildete Nervenfaser vermuthen.
Quetschstelle nach 12 Tagen. Deutliche neue Faser, zwischen meh-
reren Kernen sich hindurchwindend.
Zentraler Theil der Quetschstelle nach 13 Tagen. Die neue Faser
lässt sich nicht bis zum Ende der alten Faser verfolgen. Zwischen
beiden liegt ein kernhaltiges Protoplasma.
Quetschstelle nach 14 Tagen. Die neue Faser scheint ebenfalls in
gewisser Entfernung vom Ende der alten Faser zu beginnen.
Quetschstelle nach 26 Tagen.
Quetschstelle nach 43 Tagen.
Präparat desselben Nerven.
Präparat desselben Nerven.
Quetschstelle nach 50 Tagen. Alte und neue Fasern stossen in
einem Ranvier’schen Schnürringe zusammen.
Quetschstelle nach 57 Tagen. Neubildung von 2 Fasern als Fort-
setzung einer einfachen alten Faser.
Quetschstelle nach 76 Tagen. Auf die alte Faser folgt zunächst ein
0,1 mm langes Segment einer neuen Faser, welche sich sodann in
344
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
23.
. Peripherische degenerirte Faser, in welcher sich eine neue Faser zu
25.
. 28.
29.
E. Neumann: Ueber Degeneration und Regeneration etc.
einem Ranvier’schen Schnürring in 2 Fasern spaltet. Die Breite
der alten Faser beträgt 0,013, die der neuen 0,010 mm.
Quetschstelle nach 88 Tagen.
bilden begonnen hat, 43 Tage nach der Quetschung. Die neue
Nervenfaser erscheint in der Mitte unterbrochen durch Protoplasma,
in welchem ein Kern nebst zahlreichen Markballen sich befindet.
Ein ähnliches Präparat von dem peripherischen Theil eines Nerven,
95 Tage nach der Quetschung; zwischen den beiden Segmenten der
neuen Faser ist eine 2 Kerne enthaltende Protoplasma-Masse ein-
geschaltet.
. Nervenfaser aus einem vor 57 Tagen zerquetschten Nerven, dicht
oberhalb der Quetschstelle. In die Faser ist eine neue, viel schmä-
lere Faser eingeschaltet, an der Verbindungsstelle a scheint ein
Schnürring zu bestehen.
Nervenfaser aus dem vor 14 Tagen zerquetschten N. ulnaris eines
Kaninchens oberhalb der Quetschstelle. Die eingeschaltete schmale
Faser hat eine Länge von 0,026 mm.
Nervenfaser aus dem vor 93 Tagen mit einer bleibenden Ligatur
umschnürten N. fibialis eines Kaninchen oberhalb der Ligaturstelle.
Interposition einer aus 2 Segmenten, von denen das eine schmäler
und blasser ist als das andere, zusammengesetzten Faser in eine alte
breite Faser.
Präparat aus demselben Nerven, ebenfalls oberhalb der Ligatur.
Einschaltung eines aus 2 nebeneinanderlaufenden Fasern bestehen-
den Segmentes in den Verlauf einer einfachen Faser.
C. Arnstein: Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz betr. 345
Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz
betreffend.
Von
Prof. ©. Arnstein in Kasan.
In diesem Archiv (Bd. XVII Heft 3) hat Alexander Dogiel
über ein die Lymphgefässe umspinnendes Netz von Blutcapillaren
berichtet, ohne einer Mittheilung von Biesiadecki aus dem Jahre
1872 Erwähnung zu thun. Das betreffende Werk (Untersuchungen
aus dem pathologisch-anatomischen Institute zu Krakau) ist leider
in Kasan nicht zu haben. Da ich aber durch Prof. Waldeyer
auf die Existenz eines Referates aufmerksam gemacht wurde, so
glaube ich die Angelegenheit unverzüglich zur Sprache bringen zu
müssen. Aus dem betreffenden Referate (Hofmann-Schwalbe’s
Jahresbericht, Artikel „Haut“ p. 170) ersehe ich, dass Biesia-
decki das perilymphatische Capillarnetz bereits 1872 gesehen
hat, und zwar an den grösseren Lymphgefässen im Unterhautzell-
gewebe. Die Angaben von Alexander Dogiel beziehen sich auf
die grösseren und kleineren Lymphgefässe des äusseren Ohres,
der Haut der Schenkel und des Mesenteriums.
In den neuesten Handbüchern von Ranvier (1878), Toldt
(1877) und in der so sorgfältig durchgearbeiteten mikroskopischen
Anatomie von Krause (1876) ist die Beobachtung von Biesia-
decki nicht notirt. Ebenso wenig konnte ich in dem medieini-
schen Centralblatt und in den Jahresberichten (Virchow-Hirsch und
Hofmann-Schwalbe) in den Abschnitten „Lymphgefässe“ und „Blut-
gefässe“ etwas auf das umspinnende Capillarnetz Bezügliches auf-
finden. Das oben eitirte Referat in dem Abschnitt „Haut“ des
Jahresberichtes für 1872 ist mir leider entgangen, weil ich damals
keine Veranlassung hatte die Referate in diesem Abschnitt durch-
zusehen. Aus demselben Grunde habe ich einen hierher gehörigen
Passus aus dem Artikel „Haut“ von Biesiadecki, in Strieker’s
Handbuch p. 588, übersehen.
346 C. Arnstein: Historische Notiz das perilymphatische Capillarnetz betr.
Isidor Neumann weiss über das perilymphatische Capillar-
netz aus eigener Anschauung nichts zu berichten, obgleich er in sei-
nem Buche (Zur Kenntniss der Lymphgefässe der Haut 1873) die
Arbeit von Biesiadecki eitirt. Auf p. 4 findet man folgenden
Passus: ebenso (wie die Musculatur) stehen die vasa vasorum
der Lymphgefässstämme hinter jenen der gleichweiten
Arterien an Zahl zurück; Biesiadecki hat jüngst das Ver-
halten der vasa vasorum des Näheren erörtert. Doch
glaube ich nach Kenntnissnahme des Eingangs erwähnten Referates
Schwalbe’s den Schluss ziehen zu müssen, dass Neumann die An-
gaben von Biesiadecki falsch verstanden und daher es unterlassen
hat sich von dem interessanten Sachverhalt persönlich zu überzeugen.
Diese Zeilen mögen genügen, um den Beobachtungen von
Biesiadecki die Priorität zu wahren und darzuthun, dass das
perilymphatische Capillarnetz sich bis jetzt dem Bewusstsein der
Histologen nicht eingeprägt hat).
Kasan, den 28. März 1880.
1) In dem Virchow-Hirsch’schen Jahresberichte für 1873, Referat über
Histologie, pag. 52, IX, Nro. 4 ist das betreffende Werk Biesiadecki’s von
mir zwar citirt, jedoch kein Auszug daraus gegeben worden, weil es mir da-
mals nicht zur Hand war und ich das Citat nach einer anderen Quelle geben
musste. So erklärt es sich auch, dass der Artikel Dogiel’s so, wie er mir
eingesendet worden war, im Archiv zum Abdrucke gelangt ist. Prof. v. Reck-
linghausen, in dessen Besitz sich das Biesiadecki’sche Buch befindet,
war so freundlich, mich auf die betreffenden Angaben aufmerksam zu machen.
Waldeyer.
Walther Flemming: Ueber Epithelregeneration etc. 347
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie
Kernbildung.
Von
Walther Flemming,
Professor der Anatomie in Kiel.
(Supplement zu: Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserschei-
nungen, Th. II, dies. Archiv 1880, Bd. 18, p. 151.)
Indem die neueren Untersuchungen über Zelltheilung und
Kernvermehrung aus naheliegenden Gründen besonders die epithe-
lialen Gewebe zum Terrain wählten, haben sie, ausser den nähe-
ren Kenntnissen über die Theilungsvorgänge selbst, einen Wahr-
scheinlichkeitsschluss ergeben, der für die allgemeine Gewebelehre
nicht unwichtig ist; er lautet: die Regeneration der Epithe-
lien, wie aller Gewebszellen, geschieht dureh Zelltheilung
in den tiefen Schichten, mit Kerntheilung unter den
allerwege bekannt gewordenen Erscheinungen der Kern-
metamorphose (Karyokinese). Es besteht kein Grund,
Vorgänge andrer Art — wie z.B. ‚freie Zell- oder Kernbil-
dung* — bei der Epithelzellenvermehrung vorauszu-
Setzen.
Diesem Gedanken habe ich schon vor etwa 1'/, Jahren zwar
deutlich, aber sehr kurz Ausdruck gegeben !); denn er kam mir,
nach den vielseitigen und massenhaften Befunden von
Kerntheilungsfiguren in wachsenden Epithelgeweben,
so selbstverständlich vor, dass es mir nicht erforderlich schien ihn
noch besonders zu commentiren. In Letzterem habe ich mich ge-
täuscht: eine eben erschienene Arbeit?) zeigt, wie fest die alten
1) Dies Archiv, Bd. XVI, p. 397.
2) Die physiologische Regeneration des Flimmerepithels der Trachea.
Von Dr. Otto Drasch. Sitzungsber. d. Wiener Acad. d. Wiss., Math. nat,
Cl. B. 80, 16. October 1879.
348 Walther Flemming:
Ideen auch gegenüber den neuen Thatsachen noch haften können,
und giebt mir deshalb Anlass hier zur Erwägung zu stellen, ob
sie dazu in diesem Fall wirklich ein Recht haben.
Zwar weiss ich wohl, dass eine grosse Zahl von Biologen
heute an dem anfangs hervorgehobenen Satz nicht mehr zweifelt.
— Aber auch in neuerer Zeit sind Anschauungen, denen derselbe
gegenübertritt, oder mit denen er doch nicht zusammenfällt, von
mehreren Seiten geäussert.
Eine so schwerwiegende Stimme wie die Henle’s!) hielt
noch vor Kurzem an der Wahrscheinlichkeit fest, dass der Ver-
mehrung der Hautepithelzellen ein freies Entstehen von Kernen
nahe der Bindegewebsgrenze, und eine Bildung von Zellen um
diese Kerne zu Grunde läge; obschon Henle die Möglichkeit,
dass dabei dennoch Zelltheilungen vorliegen könnten, nicht geradezu
ausschliesst.
Dieser Auffassung steht diejenige nahe, wenn auch nicht ganz
gleich, welche 1871—1873 Lott?) durch ausführliche Arbeiten zu
stützen suchte; Arbeiten, in welchen zugleich die Formveränderun-
sen, die die Zellen des Corneaepithels bei ihrem Wachsthum und
ihrem Vorrücken gegen die Oberfläche typisch durchmachen, vor-
trefflich studirt und beschrieben sind. Mit letzterem Theil der
Lott’schen Untersuchung habe ich es hier nicht zu thun. In Be-
zug auf die Lieferungsquelle der neuen Zellen vertritt Lott die
Meinung, dass die Fusstheile der nach der Oberfläche aufrücken-
den Epithelzellen von diesen selbst abgeschnürt werden, und als
anfangs kernlose Zellenreste — „Rudimente‘“ Lott — das Keim-
material für neue Zellen darstellen sollen: dergestalt, dass in die-
sen Rudimenten Kerne durch Verdichtung sich neubilden, und die
Zellen dann nach oben in die Länge wachsen, indem ihre Fuss-
theile wiederum zurückbleiben. — Diese Ansicht unterscheidet
sich von der vorher angeführten Henle’s, wie man sieht, dadurch,
1) J. Henle, Handbuch der Eingeweidelehre. 2. Aufl, p. 3 Anmer-
kung. Allerdings weiss ich nicht, ob diese Anschauung noch jetzt aufrecht
erhalten wird.
2) Ueber den feineren Bau und die physiologische Regeneration der
Epithelien, insbesondere der geschichteten Pflasterepithelien. Von Dr. Gustav
Lott. Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histologie in
Graz, herausg. von A. Rollet. 3. Heft, 1873.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 349
dass sie keine freie Kernzeugung in einem Blastem aufstellt, nähert
sich jener aber doch darin, dass sie immerhin eine Kernneubil-
dung ohne Theilung stattfinden lässt, wenn schon im Bereich von
Zellprotoplasma.
W. Krause hat dann 1876!) eine Darstellung der Epithel-
neubildung mit Bezug auf die Cornea gegeben, welche die eben
bezeichnete im Wesentlichen wiederholt, ohne Lott’s Arbeiten
dabei anzuführen ?). — Es ist merkwürdig genug, dass dabei
gerade W. Krause selbst, vor all den neueren Arbeiten über den
Gegenstand, die wahren Kerntheilungen im Epithel der Hornhaut
gesehen ?), und damit den richtigen Schlüssel zum Verständniss
der Epithelregeneration in der Hand gehabt hat, ohne ihn zu be-
nutzen; es liess sich erklärlicher Weise damals noch nicht ahnen,
dass diese anscheinend granulirten (eigentlich geknäuelten) Kerne
Theilungen seien. Krause hat sie demnach für die Neubildungs-
frage ausser Acht gelassen und ist gerade auf das Entgegengesetzte,
auf die Lott’sche Hypothese der freien Kernbildung gerathen ?).
Der Glaube an eine solche war so lange vollkommen moti-
virt, als man noch nichts von den Merkzeichen der Zelltheilung
kannte, welche durch die Kerntheilungserscheinungen geliefert
werden. Grade der Umstand, dass sich mit den Untersuchungs-
methoden und an den Objeeten, die man gerade benutzt hatte, an-
scheinend keine Kerntheilungen finden lassen wollten — Theilun-
gen, die man noch dazu immer unter dem fälschlich-hergebrachten
Bilde einer directen Kernabsehnürung suchen zu müssen glaubte,
1) Handbuch der Allgem. Anatomie, 1876, p. 25.
2) Vergl. in der unten besprochenen Arbeit von Drasch, p. 1 Anm.
— Wenn ich selbst (dies. Arch. Bd. 16 p. 397) nicht die Arbeit Lott’s, son-
dern nur die Angabe Krause’s kurz erwähnt habe, so geschah dies, weil ich
dort nur die Frage nach der Entstehung der Kerne kurz berührt habe, in
welcher ich ebensowohl Lott, als seinem Nachfolger Krause Unrecht geben
musste; und weil ich darum glaubte, Lott mit der Erwähnung seiner Prio-
rität in dieser Sache keinen besondern Dienst zu leisten.
3) Allg. und mikr. Anatomie, 1876; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1870.
4) Durch eine Mittheilung Pfitzner’s bin ich darauf aufmerksam ge-
macht, dass bereits vor 7 Jahren auch Henle, wie die Fig. 275, 3, 4 in sei-
ner Eingeweidelehre von 1873 zeigt, an Hodenepithelzellen Kerntheilungs-
figuren (Knäuelform) mit grosser Treue dargestellt hat, ohne dass sie natür-
lich damals in ihrer wahren Bedeutung erkannt werden konnten.
350 Walther Flemming:
— gerade dieser Umstand ist es ja gewesen, der immer wieder den
Gedanken eingab, dass es sich um freie Kernbildung handeln müsse.
Da aber eine freie Kernbildung von Niemandem gesehen
war und ist, so war dieser Glaube nichts als eine hypothetische
Aushülfe, dieweil man nichts Besseres hatte. Seine Motivirung
verschwindet, nachdem zunächst Bütschli, Strasburger u. A.
einige der charakteristischsten Formen der Kerntheilung bekannt
gemacht, nachdem dann Mayzel und Eberth, Peremeschko
und ich!) gezeigt haben, dass diese Kerntheilungsformen in krank-
haft- und normalwachsenden Epithelien massenhaft vorkommen,
und nachdem endlich Pfitzner und ich?) gefunden haben, dass
diese Theilungen nicht etwa bloss in pathologischen Fällen und
bei Larven und Embryen, sondern z. B. auch im geschichteten
Hautepithel erwachsener Wirbelthiere constant zu fin-
den sind.
Trotzdem wird jetzt in der vorher angezogenen Arbeit von
Drasch wiederum der Versuch gemacht, für die Regeneration des
Flimmerepithels der Trachea eine freie Kernbildung°) im
Sinne Lott’s vorauszusetzen. Die Arbeit ist dabei, was das Stu-
dium der Zellenformen und ihrer Wachsthumsveränderungen an-
geht, so reich an guter Beobachtung und mit so grosser Sorgfalt
ausgeführt *), dass man dadurch bestochen werden könnte, auch
1) Die Literatur s. in diesem Archiv, Bd. XVI, p. 398 und 425 ff.
2) S. ebenda, p. 397.
3) Ein für allemal soll bemerkt sein, dass ich den Ausdruck „freie
Kernbildung“ hier stets im Sinne der bisherigen Anschauung der Botani-
ker brauche; wobei das Wort „frei“ nicht eine Generatio spontanea in un-
organisirtem Blastem bedeutet, sondern nur im Gegensatz zu: „durch Thei-
lung“ steht. Ich verstehe also unter „freie Kernbildung* die (hypothetische,
unbewiesene) Neuentstehung eines Kerns im Zellprotoplasma dort,
wo vorher keiner war; sei es nun wie Lott und Drasch annahmen,
durch Verdichtung, oder wie Auerbach wollte, durch Tropfenbildung.
4) Hiervon muss ich nur die Deutung ausnehmen, die Drasch den
Becherzellen giebt: er hält sie für vorübergehende Entwicklungsformen
der Flimmerepithelzellen. Ich halte dagegen die Ansicht F. E. Schulze’s
für durchaus richtig, nach der die Becherzellen allerorten, wo sie vorkom-
men, eigenartige und besonders fungirende Epithelzellen darstellen; und
möchte glauben, dass Drasch sich hiervon gleichfalls überzeugt haben
würde, wenn er auch andere Epithelarten genauer geprüft, und vor Allem
sich auch bei Evertebraten umgesehen hätte.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 351
die obige Voraussetzung ihres Verfassers als begründet hinzuneh-
men. Es scheint mir deshalb richtig, zu zeigen, dass sie dies
nicht ist.
Drasch nimmt ebenso wie Lott an, dass von den aufrlicken-
den Epithelzellen kernlose Rudimente zurückbleiben, in welchen
dann neue Kerne durch Verdichtung entstehen, und welche als
Ersatzzellen nachwachsen. Für solche freie Kernentstehung bringt
Drasch keine neuen positiven Belege, sondern beruft sich (p. 22)
auf Lott, bei dem es p. 282 heisst:
„Die so zurückbleibenden Protoplasmareste (Rudiment-Zellen)
bilden nun offenbar die Grundlage zur Bildung neuer kernhal-
tiger Fusszellen. Diese Kernbildung scheint mir mit einer all-
gemeinen Verdichtung des Protoplasma zu beginnen, aus dem
sich dann der Kern differenzirt. Dafür spricht das Verhalten
gegen die Hämatoxylintinetion. Man sieht nämlich solche, bei
denen sich das Rudiment nur schwach tingirt, während es sich
in anderen Fällen sehr intensiv, fast wie ein Kern tingirt, ohne
dass man aber noch einen begrenzten Kern selber wahrnehmen
könnte. Ferner spricht dafür die verschiedene Form der Rudi-
mente, indem man ausser den erst beschriebenen (zugespitzte)
solche finden kann, deren freies Ende schon wieder vollkom-
men abgerundet, zuweilen sogar breit ist, ohne dass sie einen
Kern zeigen; aber grade diese sind es, die sich stärker tin-
giren.
Allein auch dies erleidet eine, wenn auch seltnere Ausnahme,
indem es vorkommt, dass Kernbildung im untersten Abschnitt
schon eintritt, ehe die Trennung vollzogen ist.“
Die einzigen Gründe, welehe Lott und ebenso Drasch zur
Annahme einer freien Kernbildung bestimmt haben, sind also kurz-
geordnet folgende:
1. Beide konnten in den tiefsten Epithelschiehten und überhaupt
im Epithel keine Kerntheilungen finden.
2. Sie fanden in der tiefsten Schieht kleine, kegelförmige nach
oben gespitzte, oder auch anders geformte Protoplasmakörper
— „Rudimente“ — die sich zuweilen durch nach aufwärts
gerichtete Fortsätze mit schon höher gerückten Zellenleibern
in Verbindung zeigten.
3. Sie fanden in den einen dieser „Rudimente“ Kerne, in an-
deren keine solche; und fanden endlich, dass die einen Ru-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 24
352 Walther Flemming:
dimente sich mit Hämatoxylin dunkler färben als die ande-
ren, und als das Protoplasma der höher aufgerückten Epithel-
zellen. Sie nahmen solche stärker tingirbare Stellen als An-
fänge von Kernneubildung.
1) Der erste dieser Gründe, der negative Befund beider
Forseher in Bezug auf wahre Kerntheilung im modernen Sinn ist
nun völlig ohne Bedeutung, angesichts der Methoden
und Objeete, die von ihnen benutzt wurden.
Beide Arbeiter nämlich haben vorzugsweise!) Kali bichro-
mieum oder Müller’sche Lösung zum Isoliren verwendet. Mit
der Sorgfalt, die sich wie gesagt im Uebrigen in Drasch’s Unter-
suchung kundgiebt, eontrastirt es, dass er sich grade an dies un-
glücklichste Mittel gehalten hat, das sich zur Ermittlung der Vor-
sänge an den Kernen nur wählen liess; nachdem ich vor demsel-
ben hinlänglich gewarnt zu haben glaubte ?), da ich selbst, ebenso
wie Mayzel, mein Lehrgeld durch lange vergebliche Arbeit damit
gezahlt hatte.
Da diese dreifach wiederholte Erinnerung von Drasch so
ganz übersehen wurde, erlaube ich mir, zum Frommen künftiger
Arbeiter, hiermit folgende deutlich sichtbare Warnungstafel auf-
zustellen:
Wer mit Kali biehromieum oder anderen Chromsalzen Kern-
theilungen suchen, oder ausschliessen will, begiebt sich auf einen
hoffnungslosen Irrweg.
An den hier eitirten Stellen habe ich dies hinlänglich moti-
virt, indem dort gezeigt wurde, — was auch schon Mayzel er-
fahren hat — dass die Chromsalze nicht nur die Structur der
1) Sowie 10 p. c. Kochsalzlösung, die sich, soweit meine Erfahrungen
reichen, nicht viel günstiger verhält. — Dass beide Autoren in geringem
Maass auch andere Reagentien gebraucht haben, wird unten zur Sprache
kommen; dass sie sich im Wesentlichen aber an das Chromkali gehalten
haben, geht so deutlich aus ihrer Darstellung, ihren Abbildungen und deren
Erklärung hervor, dass ich mit dieser Behauptung kein Unrecht zu begehen
glaube.
2) Dies Archiv Bd. XVI, 1878, p. 337; Centralblatt f. d. med. Wissen-
schaften, 1879, 18. Mai, Nr. 23; Virchow’s Archiv, Bd. 77, März 1879, p. 19
unten ff.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 853
ruhenden Kerne stark verändern, sondern noch viel mehr die Kern-
theilungsfiguren verstiimmeln oder zerstören ').
Ich habe zwar bei fortgesetzten Versuchen mit chromsaurem
Kali gefunden, dass man wohl hin und wieder, unter ganz uncon-
trolirbaren Bedingungen, sehr mässige Erhaltungen von Kernthei-
lungsfiguren damit erzielen kann; immer sind sie auch dann so
undeutlich und verzerrt, dass man schon auf ihren Befund vorbe-
reitet sein, und die unveränderten Formen durch andere Reagentien
gut kennen muss, um jene zu diagnostieiren.
Wenn also Lott, Draseh und viele Andere mit dieser
Methode keine Kerntheilungen gefunden haben, so ist dies ganz
natürlich, beweist aber nicht, dass solche wirklich fehlten.
Beide Forscher haben nun allerdings ausserdem auch Mittel
gebraucht, welche Kernfiguren besser erhalten: Chromsäure (Lott
p- 268, Drasch p. 2, 3), Lott auch Pikrinsäure (p. 270)2). Aber
diese Anwendungen scheinen, nach der Kürze, mit der die beiden
Autoren über diese Reagentien hinweggehen, und bei dem Fehlen
aller Abbildungen von Präparaten, die damit angefertigt wären,
wohl nur kurze und gelegentliche gewesen zu sein.
Ausserdem ist ja bekannt, dass die Chromsäure 3) weit
schlechter Epithelzellen isolirt, als die Chromsalze; und ferner
ist die Färbung von Chromsäurepräparaten mit Hämatoxylin viel
schwieriger und erfordert viel mehr Sorgfalt, als die von Chrom-
kalipräparaten; Drasch und Lott geben auch überhaupt nicht an,
dass sie Chromsäureobjeete gefärbt hätten. Ohne Tinetion aber
wird es, bei den kleinzelligen Säugethiergeweben um die es sich
hier handelt, sehr schwierig sein und sehr vielen Suchens be-
1) Um nicht missverstanden zu werden, hebe ich wie früher 1. c. her-
vor, dass diese ungünstigen Eigenschaften der Chromsalze sich im Wesent-
lichen nur auf die Kerne beziehen, nicht aber auf die Formen von
Zellenieibern, welche vielmehr durch sie, wie wohl hinreichend bekannt
ist, sehr schön erhalten werden können.
2) Von der von Drasch ebenfalls angewandten Osmiumsäure kann
ich absehen, denn sie ist für Kerntheilungspräparate in ihrer Art ebenfalls
ganz ungünstig; sie erhält zwar die Theilungen, lässt sie aber so blass, dass
sie an kleinkernigen Geweben kaum zu finden sind, und gestattet, wenigstens
nach all meiner bisherigen Erfahrung, keine gute Hervorhebung derselben
durch Tinction.
3) Pikrinsäure noch viel schlechter.
354 Walther Flemming:
dürfen, um selbst mit Chromsäure in Isolationspräparaten Theil-
ungen zu finden, es müssten denn solche gerade in loco in ganz
besonderer Masse vorhanden sein.
Ich würde nicht so verfahren, wenn ich im Trachealepithel
oder Cornealepithel danach suchen wollte; sondern würde durch
die in Chromsäure oder Pikrinsäure gehärtete Trachea oder Horn-
haut in grosser Menge dünne Schnitte legen, diese gut mit Häma-
toxylin oder Hermann’scher Anilinfärbung tingiren und aufhellen.
Bei diesem Verfahren brauche ich in der Haut einer er-
wachsenen Salamandra gewöhnlich nur ein halbes
Dutzend Schnitte dnrehzusuchen, um eine oder mehrere
Kerntheilungen im Epithel zu finden; vielfach sind sie
auch häufiger. Aber sie sind hier allerdings auch wegen der
Grösse viel leichter zu finden. Wollte ich statt dessen das Epithel
mit der schlecht macerirenden Chromsäure isoliren, so hätte ich
die Wahrscheinlichkeit, auf eine gut isolirte Zelle mindestens ein
Dutzend zu bekommen, die noch zusammenhaften und also die
Kerne schlecht erkennen lassen; ich hätte demnach so sehr wenig
Chance, Kerntheilungen leicht und klar zu beobachten.
Drasch hat allerdings auch Schnitte angefertigt (mit welchem
Reagens, ist nicht gesagt 1. e. p. 3), jedoch, wie er angiebt, nur
um den Situs der Epithelzellen zu überblicken; und ebensowenig
hat Lott, nach seinen Worten 1. c. p. 267, das Schnittverfahren
eultivirt.
Es geht aus dem Gesagten hervor, dass in dem Tracheal-
epithel und Cornealepithel sehr wohl Kerntheilungen vorkommen
können, obschon Lott und Drasch sie bei dem eingeschlagenen
Verfahren nicht gefunden haben). —
2, Die dem 2ten Grund (s. o.) entsprechende Thatsache
ist völlig zuzugeben; sie hat ja auch mit der Kernneubildung
nichts zu thun. Ich stimme Lott und Drasch durchaus darin
bei, dass die „Rudimente“ zurückgebliebene Theile der aufge-
rückten Zellkörper sind, die sich von jenen abgeschnürt haben;
nur nehme ich dabei an, dass diese Trennung als Zelltheilung
und unter Kerntheilung erfolgt, und dass also der eine Tochter-
1) Für Anderes, was dabei noch zur Aufklärung in Rede kommen
kann, erlaube ich mir auf den Aufsatz: „Ueber das Verhalten des Kerns bei
der Zelltheilung“, Virchow’s Archiv 1879, zu verweisen.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 355
kern in dem betreffenden „Rudiment‘“‘“ — d. i. der fussständigen
Tochterzelle zurückbleibt. — Und damit komme ich auf den
dritten Punct.
3. Dass man in Isolationspräparaten aus Chromkali solche
„Rudimente“ finden kann, die keine Kerne enthalten, in denen man
bei guter Tinction die Anwesenheit von solchen sicher ausschliessen
kann — dies beweist in der vorliegenden Frage nichts. Denn
es sollte jedem geübten Epithel-Isolator bekannt sein, dass man
auch bei den besten Einwirkungen, beim schonendsten Arbeiten
nicht bloss ganze Zellen isolirt erhält, sondern auch vielfach
Zellenbruchstücke, denen man es oft nicht anmerken kann, ob
und wo sie abgebrochen sind.
Dass ferner Zellen der tiefen Epithelschichten sich vielerorten
stärker tingiren, als die der mittleren und oberen, ist bekannt.
Für ebenso bekannt habe ich es gehalten, dass gerade bei der
Hämatoxylinfärbung, auch mit den bestwirkenden Lösungen und
bei gleichmässigster Einwirkung in Bezug auf die Kerne'), das
Zellprotoplasma oft recht ungleich im Farbenton ausfällt: nicht
nur die eine Zelle dunkler als die andere, sondern selbst ein
Theil eines Zellenleibes oft dunkler als der übrige Theil.
Hiemit muss es sich nun doch von selbst verbieten, dass man
aus einer stärkern Tinction eines Protoplasmastückes schon den
weitgehenden und ohne Analogie dastehenden Schluss zieht, es
wolle sich in diesem Protoplasmastück ein Kern bilden.
Aber ich halte es ausserdem für ganz möglich, dass Manches
von jenen stärkeren Färbungen in „Rudimenten“, wie sie Lott
und Drasch beobachtet haben, wirklich auf Kernsubstanzen zu
beziehen sein mag: nämlich auf Kerntheilungsfiguren?), die
1) Ich erlaube mir das Obige ziemlich positiv hinzustellen, weil ich
auf Grund meiner letzten Arbeiten in Färbungen, und gerade auch Hämato-
xylinfärbungen, eine recht ausgedehnte vieljährige Erfahrung habe. Um eine
Hämatoxylintinetion recht gleichmässig zu erhalten, pflege ich sogar oft die
Tinetur um das eingelegte Stück her (durch Schütteln) in fortwährender Be-
wegung zu halten, und weiss sehr gut, was eine gute, was eine schlechte
Färbung der Art ist. Dennoch kann ich versichern, dass auch bei den best-
gerathenen Tinctionen, wo alle Kerne im Präparat durchaus die gleiche
Nuance haben, in Bezug auf das Zellprotoplasma dabei doch die Un-
gleichmässigkeiten oft vorkommen, von denen hier oben die Rede ist.
2) In diesen Fällen natürlich Tochterfiguren. Die zugehörige Schwe-
356 Walther Flemming:
durch die Chromkalibehandlung verändert waren. Denn
diese Veränderungen bestehen zuweilen!) in einer diffusen Zu-
sammenquellung der färbbaren Fadenfigur (Chromatin) mit der
nicht färbbaren (Achromatin), mit gleichzeitiger Verwischung der
Grenze gegen das Zellplasma; diese Masse färbt sich dann bei
Tinetion wie ein Kern, aber oft blasser; ein soleher tingirter,
schlechtbegrenzter Klumpen kann dann ganz aussehen wie die
Dinge, welche Lott und Drasch als Kernneubildungen ansahen.
Wenn man Alles Gesagte berücksichtigt, zeigt sich nicht die
mindeste Schwierigkeit für die Annahme, dass die von Lott und
Drasch untersuchten Epithelien, wie andere, durch Zelltheilung
mit Kerntheilung, unter den allgemeinen Erscheinungen der Karyo-
kinese sich regeneriren. In vollem Einklang steht damit der ge-
wiss richtige Befund beider Forscher, das Vorkommen zweikern-
iger Zellen in den betreffenden Epithelien betreffend ?). Wie ich
an anderem Orte ?) auseinandergesetzt habe, lassen sich zwei- und
mehrkernige Zellen einfach als verunglückte Zelltheilungen auf-
fassen, bei denen es nur zur Kerntheilung, nicht zur Scheidung
des Zellenleibes gekommen ist. Daraus folgt aber auch der Rück-
sterfigur würde in der, von dem betreffenden „Rudiment* abgeschnürten
Zelle zu suchen sein.
1) Nicht immer so. In anderen Fällen, und stets dort, wo die Kern-
membran bei der Mutter noch erhalten, oder bei den Töchtern schon wieder
neugebildet war, erscheint der durch Chromsalze verunstaltete und gefärbte,
karyokinetische Kern scharf vom Plasma abgesetzt, im Inneren dagegen ent-
weder gleichmässig tingirt, oder noch mit streifigen verstümmelten Resten
der Fadenfigur durchzogen (wie es Taf. XV Fig. 14d dies. Archiv, Bd. XVI,
andeutet, oft auch in anderen Formen). — Die Sterne und Aequatorialplat-
ten werden aber durch die Chromsalze auch oft in der Art verändert, dass
sie sich in Form von unregelmässigen, höckerigen Klumpen im Inneren eines
hellen Raums zusammenballen.
Bei den Fällen, um die es sich oben im Text handelt, also bei Toch-
terkernen in Knäuel- oder Sternform ist noch keine Kernmembran angelegt,
kann also jene diffuse Verquellung leicht zu Stande kommen.
Zu schwache Pikrinsäure verändert die Kernfiguren oft in ähnlicher
Weise, wie die Chromsalze.
2) Lott p. 275 und a. and. OÖ. Drasch scheint in ihrem Antreffen
weniger Glück gehabt zu haben (p. 12 1. c.), vergl. jedoch seine Fig. IV, 2
und VIII, 3.
3) Virchow’s Archiv 1879, Bd. 77: „Ueber das Verhalten des Kerns“
etc., p. 15.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 357
schluss, dass dort, wo man mehrkernige Zellen findet, Kerntheil-
ungen vor sich gehen oder gegangen sind.
Ich habe den Schluss, dass alle Epithelregeneration
durch karyokinetische Zelltheilung in den tiefen Schich-
ten vor sich geht, im Eingang dieses Aufsatzes als einen Wahr-
scheinlichkeitsschluss bezeichnet. Er ist in der That nichts
weiter als ein solcher; aber er ist der wahrscheinlichste den wir bis
jetzt machen können.
Es lässt sich allerdings nicht ausschliessen, dass entweder
noch daneben, oder dass stellenweise sogar allein freie Kernbildung
vorkommt. Aber es hat sich eine solche, wie am Schluss noch zu
berühren sein wird, bisher nirgends zeigen lassen; während die
Neubildung mit Kerntheilung für viele Orte wirklich gezeigt ist.
Die Sachlage in dieser Beziehung ist, soviel das Epithel angeht,
folgende !):
Karyokinetische Zelltheilungen sind gefunden: im Epithel
der Hautdecke bei Wirbelthierlarven, (Amphibien) Wir-
belthierembryen (Vögel, Säugethiere), im Epithel der
Hodencanäle (Amphibien, Fische, Arthropoden), im Epi-
thel der Ovarialgänge (Arthropoden, Balbiani), im Epithel
der Hornhaut bei erwachsenen Amphibien und Säuge-
thieren bei Regeneration nach Verletzung, sowie auch (Krause)
im normalen Hornhautepithel; endlich im normalen, geschichteten
Hautepithel beim erwachsenen Salamander und Triton. Dazu
füge ich noch, dass Pfitzner kürzlich auch im Epithel der Darm-
drüsen beim erwachsenen Salamander zahlreiche karyokinetische
Theilungen fand, von denen mir Präparate vorliegen. —
In vielen dieser Fälle wurden die Theilungen so zahlreich
gefunden, dass sie zur Erklärung der gesammten Epithelregene-
ration völlig ausreichen; in den übrigen Fällen, wo nur einzelne
Theilungen gesehen wurden, war auch die Untersuchung nicht
ausgedehnt.
1) Die näheren Angaben, auf die ich für das Folgende verweise, finden
sich im I. und II. Theil meiner „Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer
Lebenserscheinungen“, dies Archiv Bd. XVII und XVII,
358 Walther Flemming:
Sollte man nun wirklich, bei dieser Lage der Kenntnisse,
annehmen wollen, dass sich z. B. zwar im Hautepithel der Amphi-
bien die Zellen und ihre Kerne durch Theilung fortpflanzen, im
Epithel der Trachea aber bei Säugern sich mit freier Kernbildung
vermehren? Dass zwar in dem pathologisch wuchernden Hornhaut-
epithel, und unter Umständen auch im normalen, die Kernver-
mehrung auf dem Wege loyaler Erbfolge durch Theilung geschehe,
unter anderen Umständen aber, oder nebenbei, auch durch Gene-
ratio spontanea von Kernen im Protoplasma?
Ich kann mir nicht denken, dass ein Biolog, der die Sache
ernstlich überlegt, ohne Noth und Anlass eine Hypothese ma-
chen sollte, die eine so gewaltige Ungleichheit einschliesst; dass
Jemand den Werth des Analogieschlusses so gering schätzen sollte,
um ihn hier absichtlich nicht anzuwenden. — Desshalb habe ich
mir auch nicht die Mühe genommen, im vorliegenden Falle im
Epithel der Trachea noch selbst nach Kerntheilungen zu suchen;
ich überlasse es dem, der es will, indem ich mir vorauszusagen
erlaube, dass er sie finden wird, wenn er die hier empfohlenen
Methoden anwendet. Allerdings würde ich rathen, solche Arbeit
zunächst an grosszelligen Geweben, am besten von geschwänzten
Amphibien, zu beginnen. —
Ueber das Verhalten der Theilungen im geschichteten Haut-
epithel habe ich dem kaum etwas hinzuzufügen, was ich selbst!)
(Salamander) und weiter E. Klein?) (Triton) bereits darüber aus-
gesagt haben. Der Annahme des letzteren Autors, dass ausser den
indirecten Theilungen noch directe ®) vorkämen, bin ich p. 159 ff.
Bd. XVIII dieses Archivs entgegengetreten, indem ich zeigte, dass
die indireeten Theilungen für die Erklärung der Regeneration völlig
genügen. Näheres über das Hautepithel wird demnächst Pfitzner
mittheilen.
Die Theilungen finden sich hier nicht bloss in der tiefsten
Schicht, sondern so weit nach aufwärts, als die Zellen noch nicht
eigentlich abgeplattete Formen haben. Es sind das die Schichten
1) Dies Archiv und Virchow’s Archiv a. a. O.
2) Quart. Journ. mier. science, July 1879.
3) Dagegen scheint Klein darin mit mir einig zu sein, dass kein
Grund ist hier an eine freie Kernentstehung zu denken.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 359
die nach Morphologie und Reactionen der Zellen dem Stratum
Malpighii der Säugethierhaut entsprechen, welches ja auch bei
andern geschichteten Epithelien, als denen der Haut, überall sein
Aequivalent hat. Um für den langen unbequemen Namen Stratum
Malpighii !) einen kurzen, und zugleich physiologisch-bezeichnenden
zu gewinnen, würde man also deutsch einfach Keimschicht sagen
können.
Giebt es überhaupt eine freie Kernbildung? Ich
habe mir erlaubt, solche hier mehrfach hypothetisch und unbe-
wiesen zu nennen. Dies kann man thun, ohne die bezüglichen
Angaben vieler und vortrefflicher Beobachter zu ignoriren; und
ohne den Forschern selbst damit ein Unrecht zu thun, die aus
ihren richtigen Beobachtungen Schlüsse zogen, welche nach der
grade herrschenden Meinungsrichtung berechtigt schienen, aber es
nicht immer zu bleiben brauchen.
Man erinnere sich nur, wie fest in der Phytologie bis noch
vor Kurzem der Glaube an die freie Kernbildung im Embryosack
stand, mit welcher Sicherheit diese Annahme in den Lehrbüchern
vorgetragen wurde; und man halte damit zusammen, was Stras-
burger, der diese Annahme bis dahin selbst getheilt hatte, im
vorigen Jahre ?) aussprach:
„Eine freie Kernbildung inden Embryosäcken giebt
es nicht, alle Kerne gehen aus einander durch Theilung
hervor“ —
ein Satz, den Strasburger durch genaue Beschreibung bei vielen
Pflanzenformen jetzt hinreichend bewährt. Mit Recht äussert er
im Anschluss daran, dass die vorliegenden Angaben über freie
Kernbildung im Thierreich einer erneuten Prüfung bedürften. Sollte
eine solche nicht vielleicht auch in den sehr einzelnen Fällen aus
dem Pflanzenreich °), für welche Strasburger noch an einer freien
1) Die heute ganz sinnlos gewordenen Namen „Rete Malpighii, Rete
mucosum, Stratum mucosum“ sind wohl hoffentlich von den meisten Histio-
logen schon allmählig ausser Curs gesetzt.
2) Botanische Zeitung 1879, 25. April, Nr. 17.
3) Copulation der Spirogyren, Keimung von Ulothrix. Strasburger
a. a. OÖ. p. 274,
360 Walther Flemming:
Kernbildung festhält, Ergebnisse liefern die mit Anderem mehr in
Einklang stehen? — Wir Zoologen haben lang genug gemeint,
dass bei der Eitheilung Kerne untergehen und sich neubilden
müssten; und haben uns doch geirrt.
Von den vielen Aussagen über freie Kernbildung bei thie-
rischen Gewebs- oder Eizellen will ich hier nur von den neueren
einige der wichtigsten und bekanntesten zur Sprache bringen:
zunächst die Angaben von Weismann über die Bildung der Kerne
der Polzellen und der Keimhaut bei Inseetenembryen !); die Er-
fahrungen von Auerbach?), auf das gleiche Objeet und auf die
Furehung der Froscheier sich beziehend; und die Schilderungen
des gleichen Vorgangs vom Rindenprotoplasma des Keims bei
Knochenfischen, welche kürzlich Kupffer?) gegeben hat, unter
Hinzuziehung der früheren Angaben E. von Beneden’s, Haeckel’s,
Lereboullet’s, van Bambeke’s und Anderer, die sich am letzt-
eitirten Ort zusammengestellt finden.
Man kann die Genauigkeit der betreffenden Beobachtungen
so vollkommen anerkennen, wie ich es thue, und doch in ihnen
noch keinen sichern Beweis dafür finden, dass in irgend einem
dieser Fälle die Kerne durch freie Bildung im Protoplasma, und
nicht durch Theilung, entstanden seien. In denjenigen dieser
Fälle, welche den Fischkeim betreffen, ist die Furchung desselben
bereits vorgeschritten und eine Ableitung der fraglichen Kerne
von den schon vorhandenen läge doch wohl im Bereich der
Möglichkeit, wenn sie sich auch nicht nachweisen liess. Aber
auch wenn man hiervon absieht, und wenn man das Dipterenei
heranzieht, bei dem die Erscheinung auftritt, ehe eine anderweite
Zelltheilung oder Kerntheilung ersichtlich ist *): so lässt sich doch
heute nicht behaupten, dass der Protoplasmakörper der Eizelle,
in dem diese anscheinend freie Kernbildung auftritt, oder die
Stellen, an welchen sie auftritt, vorher kernlos waren. In die
Substanz dieser Eizelle sind vorher Spermatozoen eingedrungen —
1) Aug. Weismann, Ueber die Entwicklung der Dipteren im Ei.
Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 13, 14, 1863.
2) L. Auerbach, Organologische Studien, I, II. p. 82, 85.
3) C. Kupffer, Ueber die Entwicklung des Ostseeherings. Jahresber.
der Comm. z. wiss. Unters. der deutschen Meere, Jahrg. 4—6. 1878. p. 200,
4) Vergl. Weismann, a. a. O. p. 162, 163 u. a., Auerbach a. a. 0.
pag. 85.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 3617
am Wirbelthierei, nach Kupffer’s und Hensen’s Beobachtungen,
in grosser Zahl; — jeder Spermatozoenkopf aequivalent der wirk-
samen Substanz eines Zellkerns. Wenn sich dieselben bisher
nicht morphologisch verfolgen liessen, so ist damit nicht bewiesen,
dass sie sich wirklich auflösen und jede Form und Localisation
verlieren. Ferner wissen wir nicht, ob an den hier in Rede ste-
henden Objeeten nicht auch der Eikern schon Theilungsproducte
abgegeben haben kann; hier, wie dort, ist die bisherige Unmög-
lichkeit der Verfolgung kein Gegenbeweis. Man braucht sich nur
zu erinnern, dass eine Zeit lang auch der Schluss auf den
totalen morphologischen Untergang des Eizellenkerns (Keimbläs-
chens) gemacht worden ist, weil sich von ihm zu der betreffenden
Zeit an ungünstigen Objeeten nichts finden lassen wollte — ich
rede leider zum Theil aus eigener Erfahrung !) — und dass wir
jetzt durch Bütschli, O0. Hertwig u. A. erfahren haben, wie
wenig berechtigt dieser Schluss war.
Es würde mir wenigstens nicht verständlich sein, wenn nach
all den neueren Arbeiten über die Schieksale des Kerns der Ei-
zelle, und über die Richtungskörperbildung, noch Jemand glauben
sollte, dass alles dies nur besondere Fälle seien, und dass es
wirklich Eizellen gäbe, in denen der ursprüngliche Kern ganz
verschwände. Wer diesen Glauben eine Zeit lang theilte, hat um
so mehr Anlass auszusprechen, dass derselbe heute nicht mehr be-
rechtigt ist. Denn zu einer solchen Berechtigung würde minde-
stens ein sicher beobachteter Fall gehören, in welchem der Kern
des Eies total untergeht, und einen solchen Fall giebt es nicht;
dagegen giebt es ja jetzt zahlreiche, in denen das Gegentheil nach-
gewiesen ist.
Nicht anders wie in diesen Fällen scheint mir die Sache in
denen zu liegen, welche von Seiten der experimentellen Patho-
logie für eine freie Kernbildung geltend gemacht wurden; wie
dies in den bekannten Arbeiten von Arnold?) und Klebs?), auch
durch Mayzel*) geschah. Wenn es auch hier überall sehr danach
1) S. dies. Archiv Bd. 16, p. 411—413.
2) Die Vorgänge bei der Regeneration epithelialer Gebilde. Virchow’s
Archiv, Bd. 46, 1869, p. 168.
3) Die Regeneration des Plattenepithels. Arch. f. experim. Path. und
Pharm. Bd. III.
4) Siehe: Centralbl. f. d. med. Wiss. 1875, Nr. 50 (am Schluss). Nach
362 Walther Flemming:
aussah, dass die betreffenden Kerne neu und unabhängig von den
praeexistirenden entstehen, und wenn demnach die Untersucher
diesen Schluss gezogen haben, so darf man doch sagen, dass ein
eigentlicher Beweis für denselben nicht vorliegt. Eberth'!) und
Hoffmann?) sind ihm bereits mit triftigen Gründen entgegenge-
treten, ohne dass damit andrerseits eine direete Widerlegung ge-
liefert wäre; Eberth selbst spricht sich in dieser Hinsicht sehr
vorsichtig, und sehr viel Spielraum lassend aus).
Zur Zeit dieser Untersuchungen wusste man eben noch nichts
von den Kerntheilungsfiguren ), von ihrer oftmaligen Blässe und
selbst Unsichtbarkeit an lebenden Geweben, von ihrem oft schub-
weisen Auftreten und ihrem Fehlen in den Intervallen solcher
Schübe °), endlich von ihren Beeinflussungen durch Reagentien.
In der Haut der Batrachierlarven z. B. finde ich die Theil-
ungsfiguren lebend sehr blass, ohne Reagentien kaum studirbar;
es ist deshalb ganz natürlich, dass die Beobachter der Substanzver-
lust-Regeneration, die sich hier an das lebende Object hielten,
von diesen Dingen nichts gesehen haben. — Während die ruhen-
den Kerne des lebenden Hautepithels an der Salamanderlarve
deutlich sichtbar sind (dies Arch. Bd. 16 p. 313, 361 ff.), erscheinen
sie am Kiemenblattepithel derselben, sowie auf der Haut der Tri-
tonlarve, unsichtbar (s. ebenda, und bei Peremeschko, Centralbl.
f. d. m. W. 27 Juli 1878); die Theilungsfiguren sind am lebenden
brieflichen Mittheilungen darf ich jedoch vielleicht annehmen, dass auch
Mayzel jetzt, nach weiterer Verfolgung der Kerntheilungsvorgänge, die freie
Kernbildung in den betreffenden Fällen nicht mehr für so zweifellos hält.
1) Die Regeneration des Hornhautepithels. Virchow’s Archiv Bd. 51,
1870, p. 361.
2) Epithelneubildung auf der Cornea. Virchow’s Arch. Bd. 51, 1870,
pag. 373.
3) „Dass wir eine freie Kernbildung neben einfacher und doppelter
Theilung der ursprünglichen Kerne für sehr wahrscheinlich halten müssen,
womit wir aber die Abkunft der kleinen Kerne von den grösseren nicht
läugnen wollen“, p. 367.
4) Mayzel allerdings hatte solche gefunden und in demselben Aufsatz,
der oben eitirt ist, beschrieben; aber es liess sich damals noch nichts über
ihre allgemeine Verbreitung und typische Bedeutung bei der Zelltheilung
ahnen.
5) S. den Aufsatz in Virchow’s Archiv Bd. 77: Ueber das Verhalten
des Kerns bei der Zelltheilung, p. 18.
Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. 363
Kiemenblatt sehr blass; am Hautepithel deutlicher, aber hier immer
noch weit blasser als die ruhenden Kerne; während letzteres sich
bei Triton nach Peremeschko gerade umgekehrt verhält. Bei
Säugethieren (Kätzchen, Omentum) fand ich die lebenden Kern-
theilungen blass bis fast zur Unsichtbarkeit, während ‚hier die
ruhenden Kerne auch im Leben ganz deutlich sind.
Bei diesen so grossen Verschiedenheiten der Objeete bedarf
es für die Entscheidung der hier besprochenen Frage einer sehr
sorgfältigen Auswahl und Vergleichung der letzteren, unter gleich-
zeitiger Anwendung der massgebenden Reagentien. Das Vermissen
von Kerntheilungsfiguren an irgend einem bestimmten lebenden
Gewebe giebt, nach dem eben Gesagten, keineswegs eine Gewähr
dafür, dass solche wirklich fehlen, und dass sie nicht durch ge-
eignete Zuziehung von Pikrinsäure, Chromsäure, selbst schon
Essigsäure, auch hier dargestellt werden könnten, — neben den
Dingen und vielleicht sogar zum Theil als die Dinge selbst, welche
den Untersuchern der Substanzverlustränder als Zeichen einer
freien Kernbildung erschienen sind.
Der Leser dieses Aufsatzes mag den Eindruck bekommen
haben, dass ich darin für den Satz: „omnis nucleus e nucleo“ ein-
getreten bin. Ich thue dies aber nicht anders als unter Anhän-
gung der Clausel: so viel wir bis jetzt wissen. Ich zweifle
nicht an der Möglichkeit einer freien Zellbildung !), einer freien
Kernbildung, einer Generatio spontanea überhaupt; ich kann die
Vorstellung einer solchen nicht einmal, wie Andere es thun, aben-
teuerlich finden; es scheint mir selbst die Hoffnung, dass sich die
Bedingungen für solche Vorgänge einst werden näher erkennen
und künstlich nachahmen lassen, auf kein blosses Ideal gerichtet.
1) Das, was man jetzt „Zellbildung“ oder „freie Zellbildung“ zu nen-
nen pflegt — so die betreffenden Vorgänge im Embryosack der Pflanzen
(vergl. Strasburger a. a. 0.) und im Rindenplasma von Eiern (Weismann,
Kupffer a. a. 0.) — ist ja nichts Anderes als eine Territorienscheidung
in einem gegebenen lebenden Protoplasmakörper, der mehrere Kerne enthält,
also im Grunde nur eine besondere Form der Zelltheilung. Mit dem Oben-
stehenden aber meine ich auch eine eigentliche Generatio aequivoca von
Protoplasma.
364 B. Solger:
Will man sich aber solchem Ziel nähern, so kann es dazu
nicht der geeignete Weg sein, dass man das x, das noch gesucht
werden soll, die freie Kernbildung, als gegeben und selbstver-
ständlich annimmt und unbedenklich damit rechnet. Als ein viel
besserer, Weg erscheint es, vor Allem aufs Genaueste und mit
immer neuen Mitteln die vitalen Vorgänge der Zellen- und Kern-
neubildung weiter zu erforschen, wie sie uns die Natur selbst
vormacht. Bis jetzt hat diese Forschung mit Sicherheit noch keine
andere Art solcher Neubildung gezeigt, als: Zellenfortpflanzung
durch Zelltheilung, mit Kernvermehrung durch meta-
morphotische Kerntheilung.
Kiel, den 17. April 1880.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seiten-
organe der Fische.
II. Die Seitenorgane der Knochenfische !).
Von
B. Solger
in Halle an der Saale.
Hierzu Tafel XVII.
Die Ueberschrift dieses dritten Abschnitts, welcher zunächst
die Darlegung des thatsächlichen Materials beschliessen, und als-
dann das Facit der gesammten Untersuchung ziehen soll, nennt
eine Abtheilung der Fische, die der Teleostier, welche in zahl-
reichen Formen und Individuen die Gewässer unserer Heimath be-
völkert. Zu jeder Jahreszeit leicht und reichlich zu beschaffen,
1) I. u. I. s. Bd. XVII dies. Arch., Seite 95 und 458 ff. S. 467, Z. 14
v. o. sind die Worte: „in dorso-ventraler Richtung“ zu streichen.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 365
scheinen die Knochenfische auf den ersten Blick das dankbarste
Untersuchungsmäterial abzugeben. Wer jedoch dem Gegenstande,
mit welchem diese Arbeit sich beschäftigt, durch eigene Beobach-
tung näher getreten ist, dem kann es nicht entgangen sein, dass
nur einige Repräsentanten der bei uns so reich vertretenen Ab-
theilung zur histologischen Durchforschung gleichsam einladen,
Acerina cernua an der Spitze, demnächst Zota fluviatilis und einige
andere; denn gerade bei den gemeinsten Formen unserer Knochen-
fische stösst die Untersuchung des feineren Baues auf nicht uner-
hebliche Schwierigkeiten, indem oft genug das gering entwickelte
Sinnesepithel in das Innere enger, von Hartgebilden umschlossener
Röhren sich zurückzieht. Eine die ganze Abtheilung der Knochen-
fische umfassende Darstellung unserer Sinnesorgane, die man viel-
leicht nach der Fassung der Ueberschrift erwarten könnte, ent-
halten also diese Blätter nicht; dafür sollen aber die Ganoiden
und die Dipnoer thunlichst berücksichtigt werden. Aus Mangel
an frischem oder gut conservirtem Material muss freilich die Schil-
derung der Seitenorgane dieser Abtheilungen fast ausschliesslich
den Angaben der Autoren folgen; allein der Vollständigkeit des
Bildes halber glaubte ich die Organe der genannten Gruppen nicht
mit Stillschweigen übergehen zu dürfen.
Dipnoi.
Was zunächst die Seitenorgane der Dipno@r betrifft, so sind
mir wohl Angaben über die Anordnung derselben, über Kanäle,
in denen sie liegen, sowie über die Spuren, die sie den Hautver-
knöcherungen aufdrücken, bekannt geworden; den feinern Bau dieser
Sinnesorgane scheint jedoch bisher noch Niemand berücksichtigt
zu haben.
Von Ceratodus erwähnt Günther in seiner bekannten
Monographie !) feine Poren in der Kopfhaut, die indessen nicht
regelmässig angeordnet seien. Vielleicht sind sie auf die Min-
dungen des Seitenkanalsystems zu beziehen; doch möchte ich auf
die unbestimmte Angabe nicht viel Gewicht legen. Ganz unzwei-
deutig lautet dagegen Günther’s Beschreibung der Seitenlinie
1) A. Günther, Descript. of Ceratodus etc. in Philos. Transactions of
the royal soc. of London 1871, vol. 161, p. 514.
366 B. Solger:
selbst !): „the lateral line is elarely marked, its scales being per-
forated at the base of the exposed portion.“ Die Seitenlinie
zählt vom Kopfe bis zur Gegend des Afters 22—23 solcher grosser,
durchbohrter Schuppen; kleiner sind die Schuppen des Schwanzes,
deren noch etwa 17 auf einander folgen.
Aus der Gruppe der Dipneumones ist Lepidosiren wieder-
holt anatomisch untersucht worden, und wenn das Augenmerk der
Forscher auch nicht speciell auf unser Thema gerichtet war, so
enthalten doch auch hierfür die Arbeiten von Hyrtl, M’Donnell
und Peters manche schätzenswerthe Angabe. Zunächst ist die
Existenz eines Ramus lateralis vagi, sowie einer deutlichen am
Kopfe verzweigten, am Rumpfe einfachen Seitenlinie hervorzuheben,
wichtige Punkte, die schon bei Hyrtl?) sich angemerkt finden.
Er schildert in seiner Monographie beiderlei Gebilde, nämlich den
Nerven und das Kanalsystem, deren Zusammengehörigkeit jetzt
freilich jedermann geläufig ist, in ganz bestimmten Ausdrücken,
ohne jedoch den Nerven mit der Seitenlinie in Beziehung zu
bringen: die Auffassung der Seitenorgane als Sinnesapparat’wurde
bekanntlich erst einige Jahre später durch Leydig begründet.
Der Verlauf des Kanalsystems am Rumpfe wie am Kopfe bewegt
sich in den wiederholt beschriebenen Bahnen. Bezüglich des Kopf-
theils hebt Hyrtl die vollkommene Uebereinstimmung mit der bei
Chimaera beobachteten Ramification hervor, und die von Peters?)
gelieferte Abbildung von Protopterus bestätigt Hyrtl’s Vergleichung.
Dagegen scheinen nach M’Donnell’s*) Schilderung am Kopfe
von Lepidosiren nicht wie bei Chimaera Halbkanäle, sondern wirk-
liche Kanäle vorzuliegen, die mit „stetig aneinander gereihten
Oeffnungen“ nach aussen münden. Die Seitenlinie selbst schliesst
sich bezüglich des Verhaltens ihrer Schuppen an die von Esox
bekannte Form (s. u.) an. M’Donnel beschreibt sie folgender-
massen: „The lateral line proper is suffieiently visible all along
the body, but no openings are to bee seen by the nacked eye.
The scales are eleft at the margin, not tunnelled.“ Die Schuppen
1) 1. ec. S. 515.
2) J. Hyrtl, Lepidosiren paradoxa, in Abhandl. d. böhm. Gesellsch.
d. Wiss. 1845.
3) Müll. Arch. 1845.
4) 1. cup. 176.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 367
sind also am freien Rande ausgekerbt, und nicht von einem Kanal
durchsetzt.
Ganoideiü.
Auch die Litteraturangaben über die Seitenorgane der nächst-
folgenden Gruppe, der Ganoiden, lassen uns bezüglich des feineren
Baues im Stiche. Am besten sind sie noch, dank den vor Jahren
von Leydig angestellten Untersuchungen, bei der Gattung Aei-
penser gekannt. Als Untersuchungsmaterial dienten dem genannten
Forscher Acipenser nasus und A. Nacarii. Der Verlauf des Kanal-
systems am Rumpfe und am Kopfe bietet keine bemerkenswerthen
Besonderheiten dar. Die Wand der dem Kopfe angehörigen Kanäle
wird durch Ossificationen gestützt, die entweder als „eigene
Schleimröhren-Knochen“ sich darstellen oder von den Deckknochen
des Schädels geliefert werden; der Rumpftheil ist den Seitenschil-
dern eingebettet. Was wir von dem morphologischen Verhalten
der Seitenorgane selbst durch Leydig erfahren, lasse ich wörtlich
folgen: „Mit Bezug auf den feineren Bau sei erwähnt, dass von
Strecke zu Strecke ein Nervenstämmchen von 0,028 Dicke in
den Kanal tritt (Taf. I Fig. 26), darin nach zwei Seiten ausein-
ander weicht und dadurch ein niedriger Längswulst hervorgebracht
wird, der den von mir beschriebenen knopfförmigen und linearen
Nervenausbreitungen im Seitenkanalsystem verschiedener Knochen-
und Knorpelfische entspricht. Dem Eintrittspunkt der Nerven gegen-
über ist fast immer der knöcherne Kanal von einer grösseren
Oeffnung durchbrochen“ !). Die Beschreibung bezieht sich offen-
bar auf den Kopftheil der Seitenorgane. Am Rumpfe liegt der
Seitennerv oberflächlich; ein Aestehen vom II. Spinalnerven ge-
sellt sich zu ihm, verläuft aber, da es motorische Fasern enthält,
nur auf eine kurze Strecke mit ihm (Stannius).
Noch spärlicher sind unsere Kenntnisse von dem Verhalten
der Seitenorgane der übrigen Ganoiden. Sie sind von den Ana-
tomen, die von unseren Sinnesorganen handeln, ganz unberück-
sichtigt geblieben; so kommt es, dass ich nur über kurze, zer-
streute Notizen zu berichten habe. Was zunächst Amia angeht,
so finde ich in Franque’s bekannter Monographie dieses Gano-
1) Leydig, Anat.-histol. Unters. über Fische u. Rept. 1853, S. 11.
Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 18. 95
368 B. Solger:
iden für unsern Gegenstand nur die Worte: „Linea lateralis fere
recta“. Etwas mehr ist von Lepidosteus und Polypterus zu melden,
und zwar erstrecken sich die in der Litteratur niedergelegten Be-
obachtungen sowohl auf die Anordnung der Seitenorgane, soweit
sie sich am Schuppenkleide ausspricht, sowie auch auf den Ver-
lauf des Nervus lateralis. Auch meine eigenen Beobachtungen
gehen nicht über das hinaus, was sich durch die einfache Beob-
achtung des unverletzten Thieres ermitteln lässt. Die von mir
gegebene Beschreibung und die bildliche Darstellung beziehen
sich auf je ein trocken aufbewahrtes Exemplar von Lepidosteus
viridis und von Polypterus bichir der Hallenser vergleichend-ana-
tomischen Sammlung; die Angaben der Autoren (L. Agassiz u. A.)
sollen an passender Stelle eingeflochten werden.
An dem mir vorliegenden Exemplar von Lepidosteus fällt die
Seitenlinie wenig in’s Auge. Sie verläuft unverzweigt horizontal
nach rückwärts; die Poren des Seitenkanals markiren sich als
kaum merkliche Ausschnitte am untersten Ende des hinteren Ran-
des jeder Schuppe, also ähnlich wie es Agassiz!) von L. Grayi
beschreibt, nur dass hier der untere Schuppenrand die „echanerure“
aufweist. Unser Autor spricht übrigens wiederholt von den Röhren
(tubes) der Schuppenreihe, welche der Seitenlinie entspricht: es
kann somit darüber kein Zweifel bestehen, dass hier „Seitenorgane
in Kanälen“ vorliegen. Der Seitennerv repräsentirt einen einfachen
Stamm (J. Müller ?)).
Längs der Seitenlinie bemerke ich an dem Lepidosteus un-
serer Sammlung rechterseits 61, links 62 rhomboidale Platten;
von ihnen sind rechts 27, links 32 durch den Besitz einer lineären,
2—3 mm langen Vertiefung ausgezeichnet, die jedoch die ge-
sammte Dicke der Schuppe nicht zu durchsetzen scheint. Diese
schmalen Furchen verlaufen sämmtlich senkrecht zur Längsaxe
des Fisches und liegen ;zugleich in der einen Diagonale der
Schmelzsehuppen. Sie folgen einander übrigens nicht in regel-
mässigen Abständen, sondern stehen bald in Gruppen, bald sind
sie durch eine oder durch mehrere nicht besonders characterisirte
Schuppen von einander getrennt. Während dieser Complex von
Vertiefungen über die ganze Ausdehnung des Rumpfes bis zum
l) L. Agassiz, Rech. s. l. poissons fossil. Tom. II S. 3.
2) Arch. f. Naturg. 1846, S. 199.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 369
Schwanze sich verfolgen lässt, verläuft eine zweite, etwas kürzere
und weit weniger regelmässig angeordnete Reihe ganz ähnlicher
Furchen in der Dorsalgegend des Rumpfes nahe der Medianebene
bis zur Rückenflosse. Ich zähle auf der einen Seite 21, auf der
anderen 23 derartiger Grübchen; sie halten sich aber nicht, wie
die vorigen, an einer Längsreihe von Schuppen, sondern greifen
abwechselnd in das Gebiet der einen oder anderen benachbarten
Serie über, so dass ihre Verbindungslinie einen gebrochenen oder
welligen Contour darstellt. Offenbar gehören beide Furchenreihen
zusammen; die Frage, wie sie aufzufassen sein werden, wird bei
Polypterus, zu dessen Beschreibung wir uns jetzt wenden, „wieder
aufzunehmen sein.
Zunächst betrachten wir die Seitenlinie von Polypterus
(P. bichir). Sie beginnt mit einem kurzen, aufwärts convexen
Bogen, zieht aber alsdann geradlinig weiter bis an’s Leibesende;
sie wird durch eine Reihe von Schmelzschuppen dargestellt, deren
jede eine geradlinige, 3—4 mm lange, rinnenförmige Vertiefung
trägt, die bis zum hintern, freien Rande der Schuppe sich fortsetzt
(Fig. 1 a). Die Continuität dieser Reihe wird nur gegen das
Leibesende hie und da durch eine gewöhnliche Schmelztafel mit
glatter Oberfläche unterbrochen. Ganz gleiche Vertiefungen, eben-
falls der Längsaxe des Körpers parallel gerichtet, nur meist etwas
kürzer, trifft man aber auch dorsal und ventral von der eigent-
lichen Linea lateralis. Ventral von ihr sind sie auf einzelne
Schuppen oder auf kurze Längsreihen, und zwar auf die Gegend
unmittelbar hinter dem Schultergürtel beschränkt. Dorsal von
der Seitenlinie formiren sie eine ziemlich geschlossene Linie, die
hart an die Rückenflosse sieh hält und bis in die Nähe des Schwanz-
endes zu verfolgen ist. Das Alles wird schon von L. Agassiz
vortrefflich beschrieben !) und bildlich erläutert. Er fährt dann
fort: „On remarque en outre sur les flancs quelques pores &pars
et dispersees irrögulierement entre ces deux series continues“,
d. h. zwisehen Linea lateralis und der eben beschriebenen Rücken-
linie. Es ist dies eine zweite Form von Vertiefungen (Fig. 1, b),
deren Aehnliehkeit mit den bei Lepidosteus beschriebenen lineären
Furchen nicht zu verkennen ist. Fassen wir sie etwas genauer
in’s Auge!
DilzesPp. 50:
370 B. Solger:
Ich zähle beiderseits über 20 Schuppen, die ziemlich im
Mittelpunkte ihrer freien Fläche einen seichten, stichförmigen Ein-
druck zeigen. Diese Schuppen stehen bald einzeln, bald in kurzen
Längsreihen, zu dreien etwa,'hinter einander, und beschreiben in
ihrer Gesammtheit eine nicht nur vielfach unterbrochene, sondern
auch unregelmässig geschwungene Linie. Nach den bisher vor-
liegenden Thatsachen kann eigentlich auf die Frage nach der Be-
deutung der bei Lepidosteus und Polypterus angetroffenen zweiten
Form von Schuppenseulpturen eine sichere Antwort zur Zeit gar
nicht gegeben werden. Allein man wird doch schon jetzt dabei
an die von Mustelus von mir beschriebenen Gruben oberhalb
der Seitenlinie !), sowie an die senkrecht zur Längsaxe des Rum-
pfes gestellten spindelförmigen Epithelknospen von Acanthiasem-
bryonen ?2) denken dürfen. Vermuthlich beherbergen die Grübchen
im Schuppenkleide der beiden Ganoiden ähnliche Bildungen, die
vielleicht bei späteren Untersuchungen als Hautsinnesorgane aus
der Gruppe der Werkzeuge eines „sechsten Sinnes“ (Leydig) sich
herausstellen dürften. — Der Rückenkantenast des Vagus, der
nach J. Müller und Stannius bei Polypterus vorkommt, hat mit
den Gruben oder deren Inhalt wohl nichts zu thun; denn einmal
fehlt er bei Lepidosteus, wo wir doch die Schuppensculpturen
eonstatiren konnten, und andrerseits kommt dieser Nervenzweig
bei Knochenfischen vor, denen solche Vertiefungen fehlen, z. B.
bei Cyprinoiden und Clupeiden (Stannius), und bei Esox (Fee).
Knochenfische.
Die Zusammenstellung der Litteratur über die Seitenorgane
der Knochenfische, die ich am Schlusse des von mir mehrfach an-
geführten Aufsatzes in der „Leopoldina“ beifügte, muss um drei
Arbeiten vermehrt werden, welche die Teleostier ausschliesslich
oder neben andern Abtheilungen der Fische berücksichtigen. Die
eine dieser Arbeiten ist schon vor einer längern Reihe von Jahren
veröffentlicht worden; ich muss desshalb für mich die Nachsicht
ihres Verfassers dafür erbitten, dass sie jetzt erst zu ihrem Rechte
1) s. d. Arch. Bd. XVII, Taf. XXXIX Fig. 6 und p. 475.
2) Ebd., Fig. 2, p. 472.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 371
gelangt. Der Aufsatz stammt aus Hyrtl’s Feder und ist über-
schrieben: „Der Seitenkanal von Lota“ !).
Hyrtl liefert dort durch Injection des Seitenkanals den
interessanten Nachweis, dass bei Lota das gesammte Seitencanal-
system nur durch vier freie Oeffnungen, von denen zwei an 'der
Schnauzenspitze, zwei am Schwanzende sich finden, mit der Aussen-
welt communieirt; am Rumpfe entspricht jedem Myocomma eine
Erweiterung?), jedem Septum intermuseulare eine sehr beträchtliche
Einschnürung des Kanals.
In dem Jubiläumsbande der Halle’schen naturforschenden
Gesellschaft ?) ist die zweite Arbeit niedergelegt. F. Leydig hat
nämlich das von ihm vielfach geförderte Thema der Hautdecke
und der Hautsinnesorgane der Wirbelthiere neuerdings wieder in
Angriff genommen und die von ihm bei Petromyzon und einer
Anzahl einheimischer Knochenfische ermittelten Thatsachen in einer
umfangreichen Abhandlung mitgetheilt. Ich werde später Gelegen-
heit haben, ausführlicher darauf einzugehen.
Die dritte der hier nachzutragenden Arbeiten, welche den be-
kannten Anatomen Sappey zum Verfasser hat, ist jüngsten Datums,
und nennt sich: „Etude sur l’appareil, mucipare et sur le systöme
Iymphatique des poissons“ (Paris, Folio). Das Original konnte
ich leider nicht einsehen und so bin ich denn mit meinem Berichte
auf das kurze Referat beschränkt, das der ‚Guide naturaliste“ in
der ersten Nummer *) dieses Jahrgangs seinen Lesern brachte.
Aus dem gleichen Grunde muss auch eine Kritik des Buches selbst
wegfallen, und nur das Resume, das mit Sappey’s eigenen Worten
mitgetheilt wird, bleibt der Beurtheilung überlassen. Diese Zu-
sammenfassung der Ergebnisse bewegt sich nun freilich in Aus-
drücken, die nicht anders wie veraltet uns anmuthen, und nur am
Schlusse derselben wird in sehr zurückhaltender Weise der einzig
möglichen Auffassung der Seitenorgane als ächter Sinnesorgane
einigermassen Rechnung getragen. Man urtheile selbst, ob ich zu
1) Wiener Sitzungsberichte, 1866, S. 551.
2) und, wie zu vermuthen ist, gleichzeitig auch ein Endorgan.
3) Halle a. d. S., 1879, M. Niemeyer. — Die Leydig’sche Arbeit
führt den Titel: Neue Beiträge zur anatomischen Kenntniss der Hautdecke
und Hautsinnesorgane der Fische.
4) Den Herren F. Lataste und R. Blanchard in Paris für diese
Nummer und die vorhergehenden besten Dank.
372 B. Solger:
viel gesagt habe! Der Schleimapparat (appareil mueipare), lesen
wir dort, erscheint unter zweierlei Form: einmal als Drüsengebilde
mit geradlinigen Ausführungsgängen (,d’une part, par des glandes
et des conduits rectilignes“), zweitens als System von Gängen grös-
seren Kalibers, die nicht aus Drüsen entstehen („de l’autre part
des conduits plus gros, qni n’ont pas de glandes pour origine‘‘).
Mit den „glandes“ der ersten Form sind offenbar die Lorenzini’-
schen Ampullen der Selachier gemeint, die wir dem Plane der vor-
liegenden Untersuchung gemäss hier bei Seite lassen können. Die
zweite Form repräsentiren unsere „Seitenorgane in Kanälen‘. Was
wir über den Verlauf der Hauptstämme am Kopfe und am Rumpf
erfahren, können wir hier füglich übergehen. Dagegen verdient
die Angabe Sappey’s über die Anordnung der Quercanälchen
(rameaux) am Rumpfe hervorgehoben zu werden. Der Hauptgang,
heisst es, öffnet sich bald mit einer einzigen Reihe von Querca-
nälchen, die sammt und sonders nach derselben Seite gerichtet sind,
bald mit zwei Reihen, so dass der Hauptgang alsdann doppelt ge-
fiedert erscheint (‚‚tantöt par une seule rangee de rameaux se diri-
geant tous du m&me cöte, tantöt par deux rangees sur le conduit
princeipal a la maniere des barbes d’une plume“) !). Von nervösen
Endorganen wird in dem Resume zwar nichts ausdrücklich er-
wähnt, doch wird schliesslich den Seitencanälen mancher, vielleicht
aller Fische, die Fähigkeit zugeschrieben, zu der Perception von
Tasteindrücken zu dienen („les conduits — paraissent destines
chez certains poissons, et peut-&tre chez tous, a recueillir les im-
pressions tactiles‘).
Nach diesem literarischen Excurse kehre ich zur Darstellung
meiner eigenen Untersuchungen zurück. Ich habe die beiden in
diesem Archive bisher veröffentlichten Aufsätze ebenso wie auch
1) Von Besonderheiten der Querkanälchen, die bei selteneren oder weniger
bekannten Formen zur Beobachtung kommen, und wahrscheinlich auch Sappey
aufgefallen sein werden, seien hier nur zwei Beispiele erwähnt. Bei Curi-
matus gehen Gruppen von Quercanälchen (2—3) abwechselnd bald dorsal,
bald ventral ab. Ziemlich häufig ist das Auftreten von dendritisch ver-
zweigten Querkanälchen. Derartige Seitenlinien mit zierlichen, baumartigen
Ausläufern (lineae later. ramulosae) von Scarus und Megalepis bildet z.
B. G. Bianconi ab (Memorie d. accad. d. scienze d. instit. di Bologna
T. VIII); ähnliches berichten Heckel und Kner von Alosa. Besonders
schön sehe ich sie am Kopfe von Hypophthalmus.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 373
diesen mit der Ueberschrift: „Neue Untersuchungen“ versehen und
der Inhalt der früheren Mittheilungen mag diese Bezeichnung wohl
rechtfertigen. Der hier vorliegende dritte Theil, welcher den
Schluss des Ganzen bildet, verdient jedoch diesen Titel nicht in
vollem Masse. Wirklich neu untersucht wurde eigentlich nur
Acerina; auch die Angaben über die embryonalen Seitenorgane,
sowie kürzere Notizen über Gobiodon, Tetrodon und einige andere
Teleostier sind anderweitig von mir noch nicht veröffentlicht wor-
den. Dagegen ist die erste Hälfte des von den Knochenfischen
handelnden Abschnittes im Wesentlichen eine Ergänzung und wei-
tere Ausführung der von mir schon an andern Orten!) auszugs-
weise publieirten Mittheilungen, die übrigens auch der Abbildungen
entbehrten.
Ich unterscheide auch hier wieder: „Freie Seitenorgane‘‘ und
„Seitenorgane in Kanälen“; entwicklungsgeschichtliche Bemerkungen
werden den Uebergang von der Beschreibung der ersten Form zur
Darstellung der zweiten vermitteln.
Freie Seitenorga.ne.
Als typischer Träger dieser Form der Seitenorgane kann
auch jetzt noch, wo die Zahl der erwachsenen Fische mit freien
Seitenorganen seit F. E. Schulze’s Entdeckung ?) sich gemehrt
hat, die Gattung Gobius gelten; hier stehen die Organe des
Rumpfes, wie des Kopfes in gleicher Weise auf der Oberfläche
zu Tage. Die Möglichkeit, mit diesem interessanten Objecte aus
eigener Anschauung mich vertraut machen zu können, verdanke
ich der Liberalität des k. k. österreichischen Ministeriums und der
gütigen Empfehlung durch Herrn Professor Dr. Claus; ich hatte
nämlich in der zoologischen Station zu Triest während einiger
Wochen Gelegenheit, F. E. Schulze’s Resultate prüfen und hie
und da erweitern zu können. Seit dieser Zeit (September 1877)
1) s. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1877, Nr. 37 u. 45, und Leopol-
dina 1878, XIV. 9—10 Mai.
2) Die Organreihen waren übrigens schon von älteren Beobachtern ge-
sehen worden, ohne dass jedoch ihr Bau und ihre Bedeutung erkannt worden
wäre; sie werden z. B. von Cuvier und Valenciennes (Hist. nat. d.
poiss. Band XII), bei Gobius niger als: „lignes formees de points saillans
et serres‘‘ beschrieben.
374 B. Solger:
konnte Gobins nur gelegentlich wieder untersucht werden, und ich
muss demnach an dieser Stelle auf meine früheren Angaben !) ver-
weisen. Nur soviel zur Erklärung einiger Abbildungen, die jetzt.
erst zur Veröffentlichung gelangen, und zur physiologischen Auf-
fassung der Organe zu bemerken erforderlich sein wird, soll hier
Platz finden.
Fig. 2 zeigt ein vollständiges Organ nach 48 stündiger Ein-
wirkung des von OÖ. und R. Hertwig angegebenen Gemisches von
Osmium- und Essigsäure. Das Gewebestückchen war vom Kopfe
eines lebenden Gobius durch einen Scheerenschnitt entnommen
und ursprünglich zum Maceriren in die genannte Flüssigkeit ein-
gelegt worden. Es zeigte sich jedoch, dass die zur Isolirung ge-
wisser Sinnesepithelzellen der Medusen empfohlene Mischung nicht
ohne Weiteres — was ja auch Niemand überraschen wird — die-
selbe Wirkung auf die entsprechenden Gewebe der Fische ausübt.
Der Sinneshügel konnte wohl durch zweckmässige Manipulation
aus der ihn umschliessenden Epidermis herausgeschält werden,
doch war der Zusammenhang seiner Elemente nicht merklich ge-
lockert. — Das Organ ist im Halbprofil dargestellt, der Rand des
Epidermisspaltes durch den Contur e angedeutet. Die eigent-
lichen Sinneszellen (Birnzellen, Kolbenzellen, k) mit den zarten
Härchen sind in mehrfachen, einander parallelen Reihen ange-
ordnet. Von dem umschliessenden indifferenten Cylinderepithel
(Mantelzellen, m) sind die Köpfe der Zellen zu sehen; über dieser
äusserst zierlichen Mosaik erhebt sich ein hyaliner, säulenförmiger
Aufsatz (r), die hyaline Röhre Schulze’s, die, meiner Auffassung
nach, ein Abscheidungsproduct eben dieses indifferenten Cylinder-
epithels darstellt und demnach auch nicht hohl, sondern geradeso,
wie die Cupula, mit welcher sie identisch ist, solide sein wird.
— In einer früheren Mittheilung bezeichnete ich die aus der
Lederhaut in’s Sinnesepithel eintretenden Nervenfasern als mark-
los; seitdem lagen mir Osmiumpräparate vor, welche unzweifelhaft
noch innerhalb des Epithels die Markscheide erkennen liessen.
Schwankungen dieses Verhaltens mögen auch hier nicht selten sein.
Auch die beiden folgenden Zeichnungen (Fig. 3 und 4) be-
1) Die einige Jahre vorher (1874) publicirte Arbeit Winther’s über
denselben Gegenstand (Schiodte’s Naturh. Tydsskr. IX) war mir damals leider
unbekannt geblieben.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 375
ziehen sich auf Gobius. Zu Fig. 3 gehört folgende von mir schon
früher gegebene Auseinandersetzung !): „Am Unterkiefer bis in
die Gegend des Praeopereulum findet sich eine mediale und
eine laterale Reihe (von Seitenorganen), die in zweifacher Hin-
sieht von einander abweichen (G. minutus). Die mediale besteht
1. aus grösseren Organen als die laterale; sodann lässt sich 2. nach
Anwendung von Argent. nitrie., welches u. A. die Lichtung der
Epidermisspalte gleichmässig braunschwarz färbt, besonders leicht
constatiren, dass die Längsaxe der Spalte in beiden Reihen ver-
schiedene Riehtung besitzt: sie folgt in der lateralen Reihe der
Längsausdehnung des Unterkiefers und steht senkrecht auf der-
selben in der medialen.“ In der betreffenden Figur ist die late-
rale Reihe mit a, die mediale mit b bezeichnet. Höchst wahr-
scheinlich differirt — doch kann ich dafür nicht einstehen — in
demselben Sinne wie die Richtung der Längsaxe des Spaltes in
den beiden eoncentrischen Curven, weiche die Seitenorgane des
Unterkiefers in ihrer Gesammtheit repräsentiren, auch die Auf-
reihung der Sinneszellen (Fig. 2, k), so dass die Colonnen der
Sinneshaare hier radiär, dort tangential angeordnet sein werden.
In ähnlicher Weise mögen auch die Organe der übrigen Gruppen am
Kopfe, resp. die Reihen der Sinneszellen, bald der Länge, bald
der Quere nach hinter einander folgen; und auch zwischen den
Organen des Rumpfes und denen des Schwanzes könnte insoferne
ein gewisser Antagonismus obwalten (Centralblatt 1877, Nr. 45).
! .! Wir hatten bisher
Y nur Örganreihen im Auge,
une ? 9% % deren einzelne Glieder
zwar die Colonnen ihrer
Sinneszellen um den Be-
trag von 90° verschieden
orientirt zeigten, dabei
aber parallele oder” con-
#, ,„ eentrische Linien formir-
le 2 een RA ten (Fig. 3). Man wird
sich aber sehr leicht über-
N 7 zeugen, dass dies keines-
I. 7% wegs die Regel bildet,
! > sondern dass die Organ-
1) Centralblatt f. d. med. Wiss, 1877, Nr. 45.
%
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N
'
>
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>
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376 B. Solger:
reihen meist in Winkeln auf einander treffen. Es ist somit eine
nicht geringe Mannichfaltigkeit des Arrangements denkbar, von wel-
cher der beigefügte Holzschnitt nur die einfachsten Formen sche-
matisch wiedergiebt.
Aus der ganzen Erörterung, die ja nur eine weitere Aus-
führung der von Malbranc!) ausgesprochenen Ideen ist, folgt nun,
dass auf diese Weise auch bei manchen Fischen, wie es der genannte
Autor für die Amphibien zu erweisen suchte, ganze Reihen von
Organen, d. h. eine grössere Anzahl in gleichem Sinne angeord-
neter Colonnen von Sinneszellen durch eine in bestimmter Rich-
tung fortschreitende Welle gleichzeitig und gleichartig dann
affieirt werden, wenn der Stoss senkrecht auf die Reihe trifft
(Schema I und II, Pfeil a); dagegen werden die Organe successive,
aber immer in demselben Sinne erschüttert werden, wenn
der Stoss der Längsausdehnung der Reihe parallel gerichtet ist
(Schema I und II, Pfeil b) oder unter irgend einem Winkel auf
sie trifft (Schema III und IV, Pfeil e). Dabei muss der Eindruck
wiederum ein verschiedener sein, je nachdem die Richtung der
Welle parallel zur Längsaxe der Colonne der Sinneszellen, oder
zu ihr senkrecht ist. Damit wäre ohne Zweifel ein sehr leistungs-
fähiger und empfindlicher Apparat gegeben, der dem Thiere über
Wellenbewegungen der verschiedensten Richtung und Intensität
Kenntniss zu verschaffen vermöchte. Die gallertartige Cupula
(Röhre) wird dabei als Schutzorgan gegen nicht allzu heftige In-
sulte fungiren können, ohne die, Schwingungen der Sinneshaare
allzusehr zu beeinträchtigen.
Der erwachsene Gobius hat also, wie nun zur Genüge erör-
tert wurde, zeitlebens feststehende Seitenorgane und bewahrt so-
mit den embryonalen oder jugendlichen Typus dieses Hautsinnes-
apparates. Bei der Mehrzahl der Knochenfische repräsentirt dieses
Verhalten bekanntlich nur einen vorübergehenden Zustand, indem die
Organe zunächst in eine vom Integument gebildete Rinne zu liegen
kommen, deren Ränder zum Kanal sich schliessen. Man sollte nun er-
warten, dass bei freibleibenden Seitenorganen derartige Kanäle über-
hauptnicht angelegtwürden. Die Untersuchung des Kopfes von Gobius
lehrt aber, dass hier merkwürdigerweise ein System von tunnel-
artigen Röhren vorkommt, die zwar nicht in derselben Ausdehnung
1) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Band XXVI.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 377
bestehen, wie bei vielen andern Knochenfischen (beim Kaulbarsch
. 2. B.), aber da, wo sie vorhanden sind, äusserlich die grösste
Aehnlichkeit mit den Verzweigungen des Seitencanalsystems am
Kopfe zur Schau tragen. Diese Kanäle oder wenigstens ihre Oeff-
nungen waren schon Cuvier!) aufgefallen und manche Arten von
Gobius, an welchen sie besonders hervorstachen, wurden nach die-
sem Merkmal von ihm benannt. Neuerdings sind sie von Winther?)
abgebildet worden.
Was enthalten denn nun aber diese Kanäle? wird man fragen.
Man denkt natürlich zunächst an weiter ausgebildete Seitenorgane,
und ich selbst ging vor längerer Zeit daran, einen dieser Kanäle,
nämlich den der Praeopereulargegend, in Querschnitte zu zerlegen,
in der sichern Erwartung, sie demonstriren zu können. Das Re-
sultat war jedoch ein negatives und ich sprach daher in einer
früheren Notiz dem betreffenden Kanale weitergebildete Seitenor-
gane ab. Vielleicht gelingt ihr Nachweis aber doch bei vorsich-
tiger Entkalkung.
Mit diesem gleichzeitigen Besitz von Kopfkanälen und frei
ausserhalb derselben stehenden Seitenorganen steht jedoch Gobius
nicht allein. Ich bin bei Untersuchung von Gobiodon (G. quin-
questriatus, Museum Godeffroy, Spiritusexemplar), einem Verwandten
von Gobius, auf ganz ähnliche Verhältnisse gestossen. Gobiodon
hat nun zwar ebensowenig wie der vorige den Unterkieferast des
Seitenkanalsystems; dafür scheinen aber auch hier in einer seichten
Vertiefung des Unterkiefers zwei Reihen verschieden grosser Seiten-
organe sich zu finden; an dem vorliegenden Weingeistexemplar
konnte ich freilich nur kleinere und grössere Coriumpapillen nach-
weisen. Auch hier lassen sich, wie bei Gobius, beide Reihen bis
zur unteren Mündung eines kurzen, oben gleichfalls offenen Kanals
verfolgen, der in senkrechtem Verlaufe der Längsausdehnung des
Praeopereulum folgt. Auch bezüglich der Anordnung der Seiten-
organe des Rumpfes scheinen die beiden Glieder derselben Gruppe
1) Cuvier und Valenciennes, 1. c. $. 33. (Gobius geniporus) und
S. 87 (G. quadriporus).
2) 1. c. — Ich bin leider gezwungen, den Inhalt dieser Arbeit aus
dem Gedächtniss anzugeben. F. E. Schulze’s Arbeiten über die Seiten-
organe sind, soviel ich mich erinnere, dem dänischen Zoologen unbekannt
geblieben.
378 B. Solger:
übereinzustimmen. Bei Gobius konnte ich „Querreihen von 3—7
Organen“ constatiren; auf die Beziehung der Organreihen zur
Metamerie des Leibes achtete ich damals leider noch nicht. Auch
Gobiodon hat am Rumpfe freie Seitenorgane, die in Querreihen
auf Coriumpapillen stehen und höchst wahrscheinlich durchweg
segmental angeordnet sind.
Weitere Beispiele freier Seitenorgane liefern Gasterosteus
pungitius und aculeatus. Ich selbst habe den ersten Nachweis
dieses Verhaltens am kleinen Stichling !) geliefert und in einer
früheren Mittheilung (Leopoldina) die Thatsache kurz berichtet.
Leydig?) hat hierauf auch am grossen Stichling freie Seiten-
organe constatirt und auch am Kopfe „weder von Schleimcanälen
noch von Schleimporen etwas“ wahrgenommen. Meine Angaben über
G. pungitius gelten nur für den Rumpf, da ich des vielen Pigments
wegen das Integument des Kopfes damals bei Seite liess. Zur
Erleichterung einer Nachuntersuchung schalte ich die Angabe der
Methode hier ein. Man schneidet Längsstreifen aus der Haut der
Seitenlinienregion und bringt sie sofort in dünne Silbernitrat-
lösungen, und sodann in Wasser. Schon nach kurzer Zeit gelingt
es, die Epidermis in grösseren Fetzen abzuheben. Die Lichtung
des Epidermisspalts über jedem Seitenorgan hat sich dabei intensiv
braunschwarz gefärbt und ermöglicht es auf diese Weise, den Ab-
stand der Organe von einander leicht zu bestimmen. Zur Controle
dieser Methode wurde ein zweites Verfahren eingeschlagen, das
darauf hinaus lief, beweisende Präparate der Lederhaut und der
eintretenden Nerven an die Hand zu geben. Zu diesem Zwecke
wurden wiederum Hautstücke aus der Gegend der Linea lateralis
dem frischen Thiere entnommen und nun in eine schwache Lösung
von Osmiumsäure gebracht. Man entfernt sodann, um die Leder-
haut von der Fläche studiren zu können, das Epithel, was ohne
Schwierigkeit gelingt. Es zeigen sich nun in regelmässigen Ab-
ständen dünnere und daher durchsichtigere, runde oder ovale
Flecke in derselben, deren Centrum von mehreren markhaltigen
Nervenfasern durchsetzt wird. Die Abstände zwischen fraglichen
Gebilden waren an den Präparaten der Epidermis und der Leder-
haut dieselben; am vordern Rumpfende kamen auf ein Metamer
1) G. pungitius kommt in der Gegend von Halle bei Teuchern vor.
2) Hallenser Festschrift, S. 162.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 379
je zwei Organe (ein dorsales und ein ventrales), weiter gegen
das Leibesende nur eines.
Ein mehrfach interessantes Untersuchungs-Object bilden allem
Anscheine nach die Seitenorgane des Hechtes (Esox lueius). Ich
darf es wohl unterlassen, die von mir früher gegebene Auseinan-
dersetzung hier zu reprodueiren, da unterdessen Leydig über
diesen Gegenstand ausführlicher gehandelt hat, und begnüge mich
daher mit wenigen Bemerkungen.
Leydig berichtet von Seitenorgangruppen, die in zwei
Puncten von den übrigen abweichen: einmal darin, dass sie nicht
von ausgekerbten Schuppen umfasst werden, und dann darin, dass
sie quer zur Längsaxe stehen; die einzelne Reihe zählt 6—10
Organe. Dem Bonner Anatomen lagen die von F. F&e publieirten:
„Recherches sur le nerf pneumogastrique chez les poissons“ (Strass-
burg 1869), in denen gerade über die Seitenorgane von Esox be-
merkenswerthe Angaben sich finden, nicht vor, und er musste es
also dahingestellt sein lassen, ob nicht der französische Autor
schon vor ihm diesen Fund gemacht habe. In der, wie es scheint,
wenig verbreiteten Abhandlung von F&e, deren Hauptwerth übrigens
in der Zusammenfassung theils bekannter, theils neuer macrosco-
pischer Data liegt, liest man nun allerdings eine Stelle, die keinen
Zweifel mehr zulässt, dass dieser Forscher die Querreihen der
Seitenorgane in der That schon vor Leydig gesehen hatte. Ich
setze die betreffende Stelle !) wörtlich hieher: „Il existe quelque-
fois des series de corpuscules semblables, dont la direction est
perpendiculaire & celle des precedents; elles partent de l’angle
superieur et posterieur de l’Echancrure et s’elevent un peu au-
dessous d’elle.“ Doch hatte der Verfasser, wie er selbst in einer
Anmerkung angiebt, diese Querreihen der Seitenorgane (,„corpus-
eules“) nur in der unmittelbaren Nähe der Schuppen der Seiten-
linie angetroffen.
Oballe diese Organe, nämlich die dereigentlichenlinea lateralis?)
1) 1. c. 8. 1.
2) Vielleicht hat schon Stannius (Verjüngungserscheinungen 8. 19)
diese freien Seitenorgane des Hechtes unter den Augen gehabt und sie nur
fälschlich als Zerfallserscheinungen eines einheitlichen Nervenknopfes gedeutet.
Man liest dort folgendermassen: „Ging man von den äusseren Oeffnungen aus
in die knöchernen Höhlen, welche sonst in den mit seröser Flüssigkeit ge-
füllten Säckchen die von Leydig beschriebenen Nervenknäuel enthalten, so
380 B. Solger:
der accessorischen Seitenlinien !), und endlich die in Querreihen
angeordneten Endorgane ausschliesslich vom Ramus lateralis n.
vagi versorgt werden, bedarf noch genauerer Untersuchung.
Aber was berechtigt denn dazu, höre ich fragen, die aufge-
zählten Organe sammt und sonders für Seitenorgane auszugeben ?
könnten denn nicht recht wohl becherförmige Organe darunter
sein, und müsste man diese dann nicht nach F. E. Schulze’s Vor-
gang streng von den Seitenorganen trennen? — Ich antworte dar-
auf zunächst mit Leydig’s Worten?). Die Seitenorgane des
Hechtes sind zwar „unter sich verschieden gross, doch im Allge-
meinen umfänglicher als die „Becher.“ Es zeigt sich wieder eine
zellige Zusammensetzung und abermals eine unzweifelhafte Son-
derung der Elemente in eine Mittelpartie und in eine Wandschicht.
An den Zellen der Randschieht — Mantelzellen — unterscheiden wir
ein etwas bauschiges Ende und einen vorderen, stabartig verengten
Theil. Mit diesem neigen sie alle — bei Besichtigung des Organs
von oben — schön strahlig zusammen. Das Ende der Mantelzellen
ist eine zarte Borste und diese erscheint als Abschluss einer hellen
Innenzone des stabartigen Theils der Zelle. Die Zellen der Mittel-
partie oder des inneren Ballens sind körniger, kürzer und breiter
und an ihrem Gipfel kann sich ein glänzendes Körnchen abheben.“
Vergleichen wir diese Beschreibung und die zugehörigen Abbil-
dungen mit den nicht minder gut studirten freien Seitenorganen
von Gobius, so zeigen sich zwar manche nicht unerhebliche Diffe-
renzen, aber in der Hauptsache stimmen die Schilderungen über-
ein. Da ist in erster Linie die Sonderung der Zellknospe in eine
Mittelpartie und eine Randschicht zu nennen; die Leydig’schen
Mantelzellen entsprechen den blassen Cylinderzellen Schulze’s,
die birnförmigen Zellen hier den „körnigen, kürzeren und brei-
teren“ Elementen der Mittelpartie dort. Dagegen widerstreiten
vermisste man dieselben und fand trockene runde Haufen von blassen, körn-
chenhaltigen Zellen, diese eng aggregirt, von einem Saume längerer Zellen
umgeben, isolirt von den Nervenzweigen, die in Detritus zerfallen oder unge-
ordnet daneben lagen“.
1) Bei Mugil capito, einem Teleostier mit Seitenorganen in Kanälen
sind nach Baudelot (Arch. d. Zool. esper. Tome II, S. 229) alle Schuppen,
wie sonst die der Seitenlinie canalisirt.
2) Hallenser Festschrift, S. 160 ff,
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 381
sich die Angaben über gewisse Fortsatzbildungen. Nach Schulze
tragen nur die Sinneszellen, d. h. die wahrscheinlich mit Nerven-
ausläufern direet verbundenen Birnzellen je ein starres Haar, und
derselbe verwerthet diese Thatsache auch für die von ihm aufge-
stellte Theorie der Funktion der Seitenorgane als „Wellenorgane.“
Leydig findet an den Zellen des inneren Ballens, die soeben
Schulze’s Sinneszellen gleichgestellt wurden, und zwar an ihrem
Gipfel ein „glänzendes Körnchen“; den Mantelzellen theilt er eine
„zarte Borste“ zu und spricht die Vermuthung aus), die Gesammt-
heit dieser hellen Fäden möchte Schulze’s hyaline Röhre vorstellen.
Trotz dieser Differenzen steht, wie mich dünkt, Nichts im
Wege, die geschilderten Organe als echte Seitenorgane anzuer-
kennen; denn — von dem Grössenunterschiede abgesehen — die
characteristische Sinneszelle konnte ja nachgewiesen werden und
das morphologische Verhalten dieser Neuroepithelzelle leitet uns
doch in erster Linie, wenn wir zwischen Seitenorganen und Sinnes-
bechern uns entscheiden sollen: dort eine kurze, birn- oder kolben-
förmige Zelle mit starrem Haare, hier ein langes, fadenförmiges
Gebilde, dessen freies Ende ein kurzes Stiftehen trägt.
Die Entscheidung der Frage hätte also gar keinen Augenblick
zweifelhaft sein können, wenn nicht neuerdings wieder durch
Leydig die scharfe morphologische Trennung beider Hautsinnes-
organe angefochten worden wäre. Seine Darstellung des Baues
der Seitenorgane wurde oben wiedergegeben; auch über das Ver-
hältniss derselben zu den Sinnesbechern lasse ich den Autor selbst
sprechen: „Es bleibt beachtenswerth‘“, lesen wir auf Seite 161 der
öfters eitirten Abhandlung, „dass beim Hecht die becherförmigen
Organe und die Organe des Seitenkanalsystems am Rumpf im
Wesentlichen des Baues übereinstimmen“. Ohne neue Untersu-
chungen ist dieser Widerspruch der Autoren nicht zu beseitigen.
Für spätere Untersucher — ich selbst verlasse nunmehr dieses
Arbeitsfeld — hat Eisig?) die Wege vorgezeichnet, zwischen wel-
chen sie zu wählen haben werden.
Nach dem Gesagten steht also die Gattung Gobius mit
ihren zeitlebens freistehenden Seitenorganen nicht mehr allein. Die
Zahl der Knochenfische, die ihm hierin gleichen, kann ohne Zwei-
1) 1. c. S. 156 und 157.
2) Mittheil. d. zool. Stat. z. Neapel, Bd. I S. 330. ff.
382 B. Solger:
fel noch bedeutend vermehrt werden, wenn erst alle die Teleostier,
welche die Handbücher der zoologischen Systematik mit dem Zu-
satze: „Seitenlinie unsichtbar“ oder „undeutlich“ aufführen, ge-
nügend untersucht sein werden. Zum Beweise, wie viel auf diesem
Gebiete noch zu thun ist, sei hier nur eine Stelle aus einem un-
serer ersten ichthyologischen Werke eingeflochten, die mir be-
sonders interessant scheint. Sie findet sich in v. Siebold’s Buche:
„Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Der berühmte Zoologe
spricht von den Verdiensten Ekström’s (1838) um die richtige
Auffassung der Varietäten der Karausche, die nämlich in dem
Nachweise bestehen, „dass der Giebel (Seekarausche) nichts an-
deres sei als eine in Teichen ausgeartete Karausche“ (Teichka-
rausche) und knüpft daran folgende Bemerkungen. „Ich füge
noch hinzu,. dass die Entwicklung der Seitenlinien bei den See-
und Teichkarauschen ganz besonderen Schwankungen unterworfen
ist und dass sich dieselbe, namentlich bei den gestreckten Ka-
rauschenformen !) sehr häufig mehr oder weniger unterbrochen zeigt,
ja sogar bis auf ein Paar Schuppen ganz verschwunden“ erscheint,
(S. 102), und in einer Anmerkung ‚heisst es: „Es scheint, als ob
die mangelhafte Entwicklung und das fast gänzliche Verschwinden
der Seitenlinien am häufigsten bei denjenigen Varietäten der Ka-
rausche wahrgenommen werden kann, welche in kleinen Tümpeln
und sumpfigen Gewässern zur Entwicklung kommen.“ Es handelt
sich dabei offenbar nicht um eine Rückbildung der Seitenorgane
selbst, sondern nur um ein Ausbleiben der Kanalbildung (s. u.),
mit andern Worten um freie Seitenorgane.
Es gereicht mir zur grössten Freude, bei dieser Gelegenheit
eine Schuld des Dankes für die liebenswürdige Unterstützung ab-
tragen zu können, die Herr Amtmann Nehrkorn (Riddagshausen
bei Braunschweig) meinen Arbeiten angedeihen liess. Herr Nehr-
korn hat die grosse Güte gehabt, mir vor kurzem drei lebende
Exemplare von Carpio Kollarii, der bekanntlich als Bastard
zwischen Cyprinus carpio und Carassius vulgaris gilt, freundlichst
zu übersenden. Aus den Ergebnissen der noch nicht abgeschlos-
senen Untersuchung, die von einem bestimmten, hier nicht näher
zu erörternden Gesichtspunkte ausging, mag nur das auf das Ver-
halten der Seitenlinie bezügliche hier Platz finden. Bei der Karpf-
1) Den Teichkarauschen, s. Fig. 6 des citirten Werkes.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 383
karausche sehe ich nun die Seitenlinie wesentlich wie beim Karpfen;
sie ist in ununterbrochenem, gestrecktem Verlaufe bis zum Schwanze
zu verfolgen und zeigt etwa 35 canalisirte Schuppen. Carpio Kol-
larii schlägt also in dieser Beziehung dem Karpfen nach und hat
wie dieser durchweg Seitenorgane in Kanälen.
Entwicklungsgeschichtliches.
Es wird nun Zeit, auch die Entwicklungsgeschichte zu Wort
kommen zu lassen. Bezüglich der Knochenfische — die Selachier
verhalten sich, wie schon geschildert, hierin anders — kann es
gleich von vorne herein als Regel von wahrscheinlich allgemeiner
Gültigkeit bezeichnet werden, dass sie während des Embryonal-
lebens freistehende Seitenorgane besitzen. Dabei missen wir aber
auch gleich zugestehen, dass wir weniger die Entwicklungsge-
schichte der Endorgane, als die des Kanalsystems kennen.
Die ersten Beobachtungen stammen von F. E. Schulze!)
Er hat an sehr jungen Knochenfischen, „einige Tage oder besser
Wochen“, nachdem sie das Ei verlassen hatten, die Sinneshügel
beschrieben und abgebildet. Man begegnet dann einer von be-
sonders differenzirten Oberhautzellen gebildeten Epithelerhebung,
deren Form einem niedrigen, oben abgestutzten Kegel gleicht.
Die eigentliche Epidermis wölbt sich rings über die Peripherie
des Kegels hinweg, hört jedoch über der abgestutzten oberen
Fläche der Epithelknospe mit scharfem Rande auf, und lässt auf
diese Weise ein ovales oder spindelförmiges Feld derselben unbe-
deckt. Das Organ selbst baut sich aus zwei verschiedenen Zell-
formen auf; die centrale Partie des Hügels wird von eonischen
meilerartig zusammengelegten Elementen mit hellem Kern einge-
nommen, die von der Basis desselben bis zur freien Fläche
reichen. Ihre Zahl (10—40) wechselt nach der Grösse des Or-
gans; dem verschmälerten peripherischen Ende dieser Zellen sitzt
Je ein starres, etwa 0,014 mm langes Haar auf. Diese centralen
Zellen werden von einer Lage „einfacher blasser Chlinderzellen“
mantelartig umgeben, während eine „helle, zarte Röhre‘ den Haar-
büschel umschliesst. Diese Röhre „entspringt von dem Grenzrande
l) Arch. f. Anat. und Physiol. 1867 und Arch. f. mikrosk. Anat. VI.
26
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. a
384 B. Solger:
der oberen abgestutzten Hügelfläche, ragt rechtwinklig zu dieser
frei in’s Wasser hinaus und hört an ihrem äusseren Ende quer
abgestutzt und offen auf“.
Vergleicht man diese Schilderung der Organe mit der oben
von Gobius und Esox gegebenen Beschreibung, so fällt das Ge-
meinsame derselben sofort in die Augen. Die centralen Zellen
sind natürlich mit den als Sinneszellen bezeichneten kolben- oder
birnförmigen Zellen identisch, die blassen Cylinderzellen entsprechen
den indifferenten Deckzellen. Die Entwicklung der Endorgane
war also hier so weit vorgeschritten, dass diese Phase ohne wei-
teres den frei bleibenden Organen an die Seite gestellt werden
konnte. Dagegen sind die frükeren Entwicklungsstadien bisher
noch nicht beschrieben worden.
Nach F. E. Schulze haben Eisig und Leydig embryonale
Seitenorgane beobachtet und darüber kurz berichtet. Ihr Augen-
merk war auf die segmentale Anordnung derselben gerichtet. So
konnte Eisig an „jungen Seefischen“, namentlich am Rumpfe von
Macropodius-Larven sich von der Metamerie der Seitenorgane über-
zeugen, und zu dem gleichen Ergebnisse gelangte Leydig nach
Untersuchungen an Salmenbrut. „Winzige, noch unpigmentirte
und mit grossem Dottersacke versehene Fischehen“, schreibt der
zuletzt Genannte in seiner neuesten Publication, „zeigen an der
Seitenlinie etwa 30 Sinneshügel; sie sind so vertheilt, dass je
eines unmittelbar hinter je einem Septum intermuseulare zu stehen
kommt, mithin immer ein Stück einem Wirbelabschnitte entspricht“.
Ich kann die soeben aufgeführten Angaben Eisig’s und Leydig’s
auf Grund von Beobachtungen, die unabhängig von ihren Arbeiten
angestellt waren, vollkommen bestätigen. Als Untersuchungsma-
terial dienten Forellenembryonen von ca. 20mm Länge, die ich der
zuvorkommenden Freundlichkeit des Herrn Amtmann Graefe in
Zwätzen, Vorstandsmitglied des Jenaer Fischereivereins, zu ver-
danken habe. Fig. 5 zeigt ein solches embryonales Seitenorgan
(s), nach Behandlung mit sehr verdünnten Chromsäurelösungen
("/;%/) von der Fläche gesehen. Einen Unterschied zwischen der
Differenzirung der Organe des Kopfs und den am Rumpfe stehen-
den Gebilden kann ich nieht wahrnehmen. Die Gebilde sind von
spindelförmiger Gestalt und überall so gestellt, dass der längere
Durchmesser der Spindel dem Verlauf der später auftretenden
Kanäle parallel gerichtet ist. Obwohl nun ziemlich beträchtliche
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 385
Zwischenräume je zwei benachbarte Endorgane von einander
trennen, so sind sie doch in gewissem Sinne auch jetzt mit ein-
ander verbunden; es geht nämlich von den Spitzen der Spindeln
jeweils eine eigenthümliche Streifung aus (Fig. 5), die zwar in
grösserer Entfernung allmählig undeutlicher wird, aber doch an
allen Organen weit genug sich erstreckt, um in ihrer Gesammtheit
die Reihenanordnung der Seitenorgane deutlich hervortreten zu
lassen. Da die nackte Lederhaut davon nichts mehr aufweist, so
muss der Grund dieser Erscheinung in der Epidermis gesucht
werden; wahrscheinlich sind es Verschiedenheiten der Differen-
zirung und Anordnung der Oberhautzellen, welche die beschriebene
Erscheinung, die einigermassen an die bei ruhiger See von den
Schiffen hinterlassene Spur erinnert, zu Stande bringen.
Hinsichtlich des feineren Baues der Epithelknospen ist
hervorzuheben, dass man bei hoher Einstellung zuerst sehr kleine,
glänzende Kreise bemerkt, die beim Senken des Tubus in
eine feine Streifung sich fortsetzen. Ich deute diesen Befund im
Sinne F. E. Schulze’s, dass nämlich hier die meilerartig zu-
sammengelegten, kolbenförmigen Zellen mit ihren Sinneshaaren
vorliegen. Die indifferenten Cylinderzellen hatten sich wahr-
scheinlich von den übrigen Oberhautzellen zur Zeit noch nicht
gesondert.
Es ist nun noch die Metamerie des Rumpfes von Forellen-
embryonen kurz zu besprechen. Wie Eisig und Leydig, finde
auch ich die Organe ebenfalls streng segmental angeordnet so
zwar, dass jedem Metamer je ein Organ entspricht, welehes immer
in dem von dem dorsalen und ventralen Schenkel eines Septum
intermuseulare gebildeten Winkel seinen Platz erhält. Den Ab-
stand zweier Organe bestimmte ich an langen, zusammenhängenden
Reihen zu 0,25 mm.
Hart oberhalb der Reihe der Seitenorgane findet sich auf
Fig. 5 noch eine zweite Art von Epithelknospen abgebildet (b),
die noch schärfer als die vorige Form von der umgebenden Epi-
dermis sich sondert. Ihre rundliche Gestalt sowie ihr mehr gleich-
mässiger Aufbau aus rundlichen Zellen unterscheiden sie sofort
von den Seitenorganen. Hierzu kommt auch noch die unregel-
mässige Vertheilung in der sie auftreten, als weiteres characte--
ristisches Merkmal. Zwar trifft man sie immer dorsal von der
Seitenlinie, allein sie entbehren der segmenfalen Anordnung. Auf
386 B. Solger:
drei embryonale Seitenorgane kommt etwa ein Gebilde dieser Art,
das ich kurzweg für die Anlage eines becherförmigen Organs er-
klärt haben würde, wenn nicht Leydig’s jüngste Publication zur
Zurückhaltung mahnte. Uebrigens wird die Untersuchung des
erwachsenen Thieres die Bedeutung dieser rundlichen Epithel-
knospen bald klarlegen.
Wenden wir uns nun zur Entwicklung des Kanalsystems!
Die Entstehung desselben geht am Kopfe und am Rumpfe in der-
selben Weise vor sich, und zwar nach F. E. Schulze, der zu sol-
chen Studien namentlich die Schwanzwurzel junger Schollen em-
pfiehlt, folgendermassen: Bei Fischen dieser Art bis 15mm Länge
stehen die Seitenorgane am Schwanze noch frei zu Tage; mit
fortschreitendem Wachsthume werden sie successive in der Rich-
tung von vorne nach hinten von Hautfalten überwölbt. Unser Ge-
währsmann konnte den Vorgang in allen seinen Phasen beobachten.
Zunächst erheben sich „ein Paar längliche schmale lippenartige
Hautvorsprünge“, ein dorsaler und ein ventraler !), die sich „mit
ihren oberen convexen Rändern über dem Sinnesorgane selbst
zusammenneigen“. Sie nähern sich schliesslich bis zur Berührung
oder legen sich auch wohl etwas über einander, um alsdann, das
Endorgan überwölbend, mit einander zu verschmelzen, während
nach vorne und nach hinten von dem Sinneshügel die Falten lang-
samer sich entgegenrücken, und überhaupt nicht vollständig zur
Vereinigung gelangen. Auf diese Weise kommt ein Kanal mit
durchbrochener Decke zu Stande; die übrig gebliebenen Oeffnungen
stellen die „Poren“ der Seitenlinie dar. Diese Poren können dann
secundär bei manchen Teleostiern zu kürzeren oder längeren Röh-
ren (Querkanälchen) sich ausziehen, deren peripherische Oeffnungen
dann unter Umständen sehr weit von dem Hauptkanal zu liegen
kommen (bei Hypophthalmus z. B.).
Als Anhang gleichsam zu der Darlegung der entwicklungs-
geschichtlichen Thatsachen erlaube ich mir eine Bemerkung über
Helmichthys beizufügen, dessen Larvennatur ihn ja an diese
Stelle weist. Das Thier war lebendig in das von Flesch?) ange-
gebene Gemisch von Chromsäure- und Osmiumsäurelösung gebracht
1) Bei Tetrodon persistirt diese Rinnenform der Seitenlinie wie bei
den Holocephalen.
1) s. dies. Arch. Bd. XVI, S. 300.
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische, 387
worden; nach einiger Zeit konnte die Epidermis in grösseren
Stücken abgehoben werden. Wie die Organe am Kopfe sich ver-
halten, lasse ich dahingestellt: M’Donnell zufolge scheinen sie
hier in Kanälen zu liegen. Für den Rumpf kann ich dagegen das
Vorkommen freier Seitenorgane mit Sicherheit behaupten. Wahr-
scheinlich sind sie hier auch segmental angeordnet, wie folgendes
Schema versinnlieht. Die mit 1, 2, 3 u. s. f. bezeichneten Punkte
oe) bedeuten die in regelmässigen Abständen einan-
© 0: © eo. oder folgenden Seitenorgane; hinter 2 und 4
stehen aber kleinere Zellcomplexe, die zwar
nieht minder regelmässig aufgereiht sind, allein, wie es scheint
immer ein Metamer überspringen. Man darf wohl hier gleich-
falls an becherförmige Organe denken.
Seitenorgane in Kanälen.
(Acerina cernua.)
Die Aufgabe, den letzten Theil unseres Stoffes darzustellen,
kann füglich mehr, als es bisher geschah, den beigefügten Abbil-
dungen überlassen werden, in denen das, was an den Schilder-
ungen Leydig’s und F. E. Schulze’s zu ergänzen ist, sich wie-
dergegeben findet. Die erste der auf Acerina bezüglichen Figuren
(Fig. 6) stellt mehrmals vergrössert einen der Nervenknöpfe mit
dem bedeckenden Sinnesepithel in situ dar, nach Einwirkung von
ÖOsmiumsäurelösung und nach Abtragung der äusseren Wandung
des Schleimkanals. Von der heller gebliebenen indifferenten Aus-
kleidung des Hohlraums heben sich zwei intensiver gefärbte, ovale
Platten deutlich ab, an denen, wie F. E. Schulze!) zuerst zeigte,
wieder eine schmale peripherische Zone und ein centrales, sehr
dunkles Mittelfeld erkennbar sind. Fig. 7, die einen Schnitt durch
ein mit Goldehlorid behandeltes Objeet darstellt, bringt neben be-
kannten Dingen (Birnzellen, Cylinderzellen, intraepithelialem Plexus
markhaltiger Nervenfasern) auch einiges Neue. Zunächst erkennt
man auch hier wieder Reste einer Cupula, die in unversehrtem
Zustande auch bei Knochenfischen das gesammte Epithellager als
glashelle Gallerthaube überdeckt und unter Umständen wohl er-
1) In Leydig’s neuester Publikation (S. 163) findet sich dieses Ver-
dienst irrthümlich mir zugeschrieben.
388 B. Solger:
halten als scharfbegrenzte Scholle isolirt werden kann. Sie zeigt
an ihrer freien Oberfläche kleine Felder, die an Form und Grösse
mit den Köpfen der Cylinderzellen, von denen sie abgeschieden
wird, übereinkommen (Fig. 9). Die letzte Zeichnung, Fig. 10;
stellt diese Sculptur der Cupula terminalis von Corvina dar, wie
sie bei starker Vergrösserung nach Behandlung mit Anilinblau
auch am frischen Objecte wahrgenommen werden konnte.
In den untersten Saum des in Fig. 7 dargestellten Neuro-
epithels sind eine Menge Kerne eingezeichnet, die Nuclei der Ba-
salzellen (ba). Fig. S bringt dieselben Gebilde mit anderen Me-
thoden behandelt deutlicher zur Anschauung, und zwar c nach
Ösmiumbehandlung in situ, und d dieselben isolirt nach Macera-
tion in Palladiumchlorür. Sie kommen nur innerhalb der Aus-
dehnung des centralen Mittelfeldes vor und dem entsprechend sind
auch die Füsse der indifferenten Cylinderzellen verschieden ge-
staltet, je nachdem sie der inneren Zone (Fig. 8, b) oder der Peri-
pherie entstammen (Fig. 8,d).
Ergebnisse.
Es bleibt mir nur mehr übrig, die Resultate der nun abge-
schlossenen: „Neuen Untersuchungen“, sowie die Ergebnisse neu-
erer Beobachtungen, die an Seitenorganen der Selachier und Kno-
chenfische von Balfour, Leydig u. A. gemacht worden, zusam-
menzufassen und in einigen Sätzen die Fortschritte zu formuliren,
die auf diesem Gebiete zu verzeichnen sind.
1. Freie Seitenorgane, wie sie Gobius, Gobiodon, Gasterosteus,
Esox zeitlebens und allen bisher untersuchten Knochenfischenem-
bryonen eigen sind, kommen bei Selachiern in der Regel nicht
zur Beobachtung.
2. Die Rinnenform der Seitenlinie, die bei Teleostiern ein
rasch vorübergehender Zustand zu sein pflegt, persistirt bei den
Holocephalen, am Rumpfe von Echinorhinus spinosus und bei
Tetrodon.
3. Ausser den Birn- oder Kolbenzellen (Sinneszellen) und den
indifferenten Cylinderzellen betheiligt sich noch eine dritte Zell-
form am Aufbaue des Endorgans; man trifft nämlich zwischen den
Basen der central gelegenen Cylinderzellen kleine rundliche Ele-
mente mit grossem Kerne, Basalzellen (Acerina, Chimaera, Haie).
Neue Untersuchungen zur Anatomie der Seitenorgane der Fische. 389
4. Die Cupula terminalis, ein Abscheidungsproduct der Cy-
linderzellen, die keineswegs durch Einwirkung von Reagentien
künstlich hervorgerufen wird, kommt schon den freien Seitenor-
ganen zu („hyaline Röhre“) und wird auch nach der Ausbildung
von Rinnen (Chimaera) oder Kanälen (Rochen, Acerina, Corvina)
beibehalten.
5. In weitaus den meisten Fällen lässt sich eine streng
regelmässige Anordnung der Endapparate des Seitenorgansystems
nachweisen, so dass man, ganz im Gegensatz zu der Vertheilung
der becherförmigen Organe, dieses Merkmal geradezu als charac-
teristisch für die Seitenorgane bezeichnen muss. Diese Regel-
mässigkeit spricht sich aus
einmal in dem reihenweisen Auftreten der Organe (Kopf
von Gobius, Rumpf von Esox u. s. w.) und ist namentlich bei
Amphibien und deren Larven !) gar nicht zu verkennen,
sodann zweitens in der so häufig zu beobachtenden meta-
meren Vertheilung längs der sog. Seitenlinie, die bei gleichem
Abstande, gleicher Richtung und segmentalem Auftreten der Or-
sane die denkbar vollkommenste Reihe darstellt.
Halle, den 20. April 1880.
Erklärung der Figuren auf Tafel XVII.
Fig. 1. Schuppen des vorderen Rumpfabschnitts von Polypterus bichir.
Natürliche Grösse. a, Schuppe der Seitenlinie, Erklärung der Be-
zeichnung b im Texte.
Fig. 2. Seitenorgan des Kopfes von Gobius, halb von der Seite gesehen,
nach 48 stündiger Einwirkung der von O. und R. Hertwig ange-
gebenen Osmium-Essigsäure-Mischung. k Kern der Epithelknospe,
m Mantel von indifferenten Cylinderzellen, r hyaline Röhre Schulze’s,
e Epidermis.
Fig. 3. Die Lichtung des Epidermisspaltes über den beiden Reihen von
Seitenorganen am Unterkiefer von Gobius, mit Arg. nitr. behan-
delt. a die laterale, b die mediale Reihe.
Fig. 4. Seitenorgan von Gobius minutus bei hoher Einstellung, Härchen
(h) und hyaline Röhre (r) im optischen Querschnitt.
J)) s.Malbranc, |. c.
Fig
10.
B. Solger: Neue Untersuchungen etc.
Seitenorgane (s), und becherförmiges Organ (b) von einem 2cm
langen Embryo von Salmo fario. Schwache (!j, %/,) Chromsäure-
lösung.
„Nervenknöpfe“ (Leydig) aus dem Kopfabschnitt (Infraorbital-
gegend) der Schleimkanäle von Acerina cernua in situ, nach
Einwirkung von Osmiumsäure, mehrmals vergrössert; p heller Rand-
theil, ce dunkles „Mittelfeld“ (F. E. Schulze).
Schnitt durch das Sinnesepithel desselben Objectes !/;°/, Goldchlorid
(Cohnheim’s Methode). B Birnzellen, ba Basalzellen, n markhal-
tige Nervenfasern, zwischen den Cylinderzellen einen Plexus bildend.
cp tiefste Schicht der Cupula.
Die zelligen Elemente des nämlichen Objectes isolirt. a Birnzelle,
b Cylinderzelle aus dem centralen Abschnitt des Epithellagers, c
Cylinderzellen mit Basalzellen, sämmtlich in Osmium macerirt, d
Cylinderzellen aus dem Randtheil und Basalzelle, beide aus !/;°/o
Palladiumchlorür.
Cylinderzellen mit daranhängender Cupula (Randtheil), von dem
nämlichen Objecte wie die vorhergehenden Präparate; !/;°/, Palla-
diumchlorür. Seibert Obj. V, Oberhäuser’s Z. A., Abstand des
Objects.
Oberflächenzeichnung der Cupula von Corvina, frisch in Anilinblau.
Schieck, Immers. 9.
Zusatz bei der Correetur. Nachdem Tafel uud Text dieser Ab-
handlung von der Redaction schon in Arbeit gegeben waren, kam mir Mer-
kel’s Buch: „Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der
Wirbelthiere“, zu Gesicht. Auf eine Besprechung der Meinungsverschieden-
heiten, die zwischen uns bestehen, gedenke ich später einzugehen.
Heschl: Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 391
Zur Geschichte des zusammengesetzten MikrosKops,.
Von
Prof. Heschl in Wien.
Hierzu Tafel XVI1.
Den Anlass zu den nachstehenden Mittheilungen gab mir ein
Mikroskop, welches unzweifelhaft aus dem vorigen Jahrhundert
stammend, unter einigen alten Utensilien auf dem hiesigen Insti-
tute vorfindig ist. Während meiner Dienstzeit als Assistent Ro-
kitansky’s hatte ich es gelegentlich kennen gelernt und wollte
es jetzt, da derartige Instrumente dermalen schon selten geworden
sind, zum Gegenstande einer Demonstration in einer Sitzung der
hiesigen k. k. Gesellschaft der Aerzte machen. Da mir jedoch dieses
eine Mikroskop als ein zu ärmlicher Gegenstand für diesen Zweck
erschien, so suchte ich mir noch einige andere „historische“ In-
strumente zu verschaffen, so dass ich schliesslich neun derselben
zusammenbrachte, von denen im folgenden, und zwar von dreien
derselben genauer, die Rede sein soll.
Wenn ich dieselben nach der Zeit ihrer muthmasslichen An-
fertigung mit Zahlen bezeichne, so erhielt ich Nr. 1 und 7 aus
dem k. k. physikalischen Institute der Universität zu Gratz durch
die Güte des H. Prof. Dr. L. Boltzmann; Nr. 2 und 9 aus der
Lehrmittelsammlung der anatomischen Lehrkanzel der Universität
Innsbruck von H. Prof. Dr. Carl von Dantscher; Nr. 3 aus
dem k. k. physikalisch-astronomischen Hofkabinette zu Wien durch
den Herrn Director Dr. Josef Krist: Nr. 6 aus dem physi-
kalischen Cabinette der Universität in Wien von H. Prof. Dr. Vietor
von Lang; zwei von Herrn Prof. Dr. Vietor von Pierre von
der hiesigen technischen Hochschule und zwar Nr. 8 aus dessen
Privatbesitz und Nr. 4 aus dem physikalischen Cabinette der ge-
dachten Hochschule; das letzte endlich, Nr. 5 ist das Eingangs
392 Heschl:
erwähnte Instrument meines eigenen Institutes. Ich beehre mich
den geehrten Herren Collegen und Instituts-Vorständen hiemit
meinen verbindlichsten Dank für ihr freundliches Entgegenkommen
auszusprechen.
Die Instrumente und ihre hauptsächlichsten Leistungen sind,
nach chronologischer Ordnung aufgeführt, die folgenden:
1. Ein Instrument, welches genau der Abbildung entspricht,
welche Harting (Das Mikroskop UI. Bd. S. 114) von den Mikros-
kopen Cuff’s giebt. Dasselbe ist ohne Angabe des Ateliers und
der Zeit in der es angefertigt wurde; da jedoch das Grazer Ca-
binett auch noch andere ältere physikalische Apparate aus dem
vorigen Jahrhunderte enthält -— oder früher enthielt, — welche
aus dem Lehrmateriale der Jesuiten vor ihrer Abschaffung durch
Kaiser Josef stammen, so wird man nicht fehl gehen, wenn man
annimmt, dass auch dieses Mikroskop um 1750 nach dem damals
besten Muster angeschafft wurde. Seine Objective sind einfache
bieconvexe Linsen, in der primitivsten Weise gefasst: d. i. lediglich
durch Aufschrauben einer Messingkapsel auf das untere Ende
eines an das Mikroskoprohr anzuschraubenden kleinen Cylinders
befestigt, übrigens ganz lose in der betreffenden Höhlung lagernd.
Das Mikroskoprohr ist unten aus Messing, zum grössten Theile
jedoch aus Holz und Pappe, das Ocular nach Ramsden kann durch
Einschieben oder Ausziehen des Tubus dem Objective näher oder
ferner gestellt werden.
Die optischen Leistungen sind theils wegen Blindwerdens der
Linsen theils wegen der mangelnden Correcturen der chromatischen
und sphärischen Abweichungen unbedeutend: sie geben nur schwache
und undeutliche Umrisse der Gegenstände: und es lassen sich
wegen des Zustandes der Linsen die Vergrösserungen nicht einmal
annähernd angeben.
2. Nr. 2 ist ein 4eckiges Thürmchen aus Holz mit einem
Ausschnitte an der vorderen Wand für die Beleuchtung des im
Innern angebrachten Spiegels, dann zwei Spalten in den Seiten-
wänden für die durchzusteckenden Objectträger; in der oberen
Schlussplatte steckt ein doppelt ausziehbarer Tubus aus Holz und
Pappe mit je einem Objeetive und Oculare. Ersteres ist eine
einfache bieconvexe Linse, steckt in einem hölzernen Cylinderchen
und wird in diesem befestigt durch ein Schüsselchen aus Blech,
das dem centralen Theile der Linse entsprechend durchbohrt
Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 393
und seinerseits durch einen federnden Drahtring fixirt ist. In
gleicher Weise, durch einen Drahtring, sind die beiden Linsen
des Oculares befestigt; die ganze Arbeit weist darauf hin, dass
das Instrument eine billige Dutzend-Arbeit einer Nürnberger Fabrik
des vorigen Jahrhunderts ist; seine optischen Leistungen sind aus
denselben Gründen wie bei 1 gleich null.
3. Das dritte Instrument — (Fig. 1) — ist ein sehr nett
aussehendes, vortrefflich erhaltenes, elegantes Mikroskop des wäh-
rend 1760—1790 als Mikroskop-Verfertiger berühmten Akademikers
und Physikers G. F. Brander in Augsburg, als dessen Werk es
auch ausdrücklich bezeichnet ist.
Dasselbe ist 32 Cm hoch, hat eine massive ovale Messingfuss-
platte a, auf der sich ein gefällig gebogener Bügel b mit einer
Flügelschraubenmutter zur Befestigung einer Stange e erhebt, die
in sein oberes Ende eingesteckt wird, mit Gelenk zum Umlegen
des Tubus versehen ist und als Träger von Tisch und Tubus dient.
Der Spiegel d ist excentrisch auf der Fussplatte mittelst
eines horizontal im Kreise beweglichen Armes e befestigt, plan
und doppelt, und um die horizontale und verticale Axe beweglich.
Die Stange c trägt für Tisch und Tubus zunächst ein würfel-
förmiges Gehäuse f aus vergoldetem Messing mit offenen Seiten-
flächen; mit der hinteren Fläche ist dasselbe an der Stange be-
festigt, die vordere Fläche trägt innerhalb eines zierlich ausge-
führten Eichen- und Lorberkranzes die Worte G. F. Brander
Aug. Vind. fecit; die untere Platte enthält die Mutter für die
hohle eylindrische Stellschraube & des Tisches h; die obere Platte
das Gewinde zur Aufnahme des Objeetives i und ein zweites zum
Aufschrauben des Tubus.
In dem freien Raume zwischen der oberen und unteren Platte
bewegt sich in Nuhten der Objekttisch h auf- und abwärts. Er
besteht aus zwei parallelen Metallplatten, zwischen welche der
Objeetträger eingeschoben wird. Seine obere Platte wird durch
die Spiralfeder 1 an die untere, resp. den Objeetträger angepresst,
und an seine untere Platte ist die Schraube g befestigt, welche
den Tisch hebt und senkt. Im unteren Ende der Hohlschraube &
ist eine biconvexe Linse m von flachen Krümmungen mittelst eines
Drahtringes befestigt, die das vom Planspiegel kommende Licht
eoncentrirt auf das Object wirft.
Der Tubus besteht aus zwei Theilen: der untere stellt einen
394 Heschl:
7,3 em langen vergoldeten und schön gravirten Messingeylinder
dar, der den oberen aus Pappe und Holz gefertigten Theil lose
aufnimmt, welcher ausziehbar ist und das Ocular n nach Ramsden
enthält.
Der Objeetive sind 7; davon zwei mit Lieberkühn’schen
Spiegeln. Jedes von ihnen besteht aus einer biconvexen Linse,
welche in der oben bei 2 auseinandergesetzten Weise mit Metall-
plättchen und Drathring befestigt ist. Da der Tubus absehraubbar
ist, so können die Objeetive auch als einfache Mikroskope ge-
braucht werden; dagegen können die beiden mit Lieberkühn’schen
Spiegeln versehenen Objeetive von dem wie die Figur zeigt vor-
bereiteten Mikroskopkörper nicht befestigt werden. Um sie aber
doch verwenden zu können wird statt des Objeetives bei i und
des Tubus ein Arm o befestigt — Fig. 2 — der wieder zur Auf-
nahme aller Objecetive darunter auch jener mit den Lieberkühn’-
schen Spiegeln eingerichtet ist. Unter die vertikale Axe der ent-
sprechenden Linse ist die Mitte des Spiegels stellbar; doch ist er
auch bei dieser Stellung eines Objeetivs zu schiefer Beleuchtung
verwendbar. Ausserdem aber lässt sich auch auf diesem Arme der
Tubus mit dem Oculare befestigen, so dass das Mikroskop hier
wieder als einfaches und zusammengefasstes zu verwenden ist.
Das Objeet wird in einer kreisrunden Oeffnung des hölzernen
Schiebers, der als Objeetträger funktionirt, eingeschlossen und
dieser zwischen den beiden Platten des Objeettisches eingeklemmt,
nur dass jetzt die das Objeet enthaltende Stelle des Trägers bei *
Fig. 2 ziemlich weit aus dem Gehäuse hervorragt. Zu gleichem
Zwecke offenbar sind dem Instrumente mehrere Streifen aus starkem
Glase beigegeben.
Die Vergrösserungen auf 18 Cm Sehweite berechnet sind die
nachstehenden:
a. als einfa-b. als zusam-
I. Objective. ches Mikros- mengesetztes
kop. Mikroskop.
1 11 45
2 16 70
3 22 110
4 50 240
5 90— 100 500
II. Mit dem , 1 12 60
kühn’schen Spiegely 2 20 100
Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 395
Die Vergrösserungen a, i. e. die mit den einfachen Linsen
hervorgebrachten, sind durchwegs recht brauchbar, ausgenommen 4;
an dieser Linse fehlt jedoch das gleichzeitig als Blende die-
nende Metallplättehen an der unteren Linsenfläche so dass die
Linse nur durch den Drahtring allein befestigt ist. Demgemäss
sind die Abweichungen so beträchtlich, dass selbst die Linse
allein unverwendbar ist. Mit Objectiv 5 allein sieht man ‘eben
noch bei schiefer Beleuchtung eine Spur von den Längsstreifen
der Schuppen von Hipparchia Janira $. Die sämmtlichen Ver-
srösserungen b aber, also die des zusammengesetzten Mikroskopes,
sind nach unseren heutigen Begriffen gänzlich unverwerthbar, de-
finiren undeutlich und lösen gar nichts und sie können bei der
höchst sorgfältigen Erhaltung der Linsen bis heute auch zur Zeit
ihrer Anfertigung nicht mehr geleistet haben.
Die beiden mit den Lieberkühn’schen Spiegeln versehenen
Objeetive sind gleichfalls allein angewandt überraschend gut, da-
gegen mit dem Oculare auch nicht brauchbar. Anders müssen sie
wohl Brander selbst erschienen sein; ich finde wenigstens in
einem Verzeichnisse der geometrischen, astronomischen und physi-
kalischen Instrumente, welche in dem Brander’schen Labora-
torium 1785 zu haben waren, unter No. 60 „Microscopium, welches
vor ein und dieselbe Lentille sowohl simplex als compositum ist,
und zwar in beiden Fällen für durchsichtige und undurchsichtige
Gegenstände, mit einfacher und doppelter Beleuchtung bei dem
Tag- und Nachtlichte zu gebrauchen. Als Compositum hat es
ein Glasmierometer und alle nöthige Zugehör“; beigefügt ist hand-
schriftlich 100 fl.
Dem Mikroskop beigegeben sind ausser mehreren für die
Neugierigen, alias Dilettanten berechneten Objeeten, nämlich zwei
Flöhen, Maushaaren, feinen Schnitten von Hollundermark, einem
Mückenflügel, u. a., welche in eleganten Schiebern befestigt sind
noch mehrere zur Aufnahme selbst anzufertigender Objeete vorbe-
reitete Schieber gleicher Art, runde Objeetplättehen und Deck-
gläschen nebst federnden Drahtringen in zierlichen Büchschen,
eine hübsche eiselirte Scheere und ein in seiner Mitte in quadra-
tische Felder eingetheiltes Glasmierometer zum Einlegen in den
Tubus unterhalb des Ramsden’schen Oculares. Ich habe es leider
versäumt die Feinheit der Theilung zu messen und ihre Genauig-
keit zu untersuchen; nach meiner Erinnerung schätze ich die erste
396 Heschl:
auf nicht über Yıo Linie; die Striche sind jedoch sehr rein
und fein gezogen: es stimmt diess auch so ziemlich mit einer
Angabe bei Harting (l. e.S. 367), der ein Brander’sches Miero-
meter untersucht und die Theilung von 1 Zoll in 100 Theile ge-
funden hat.
Nach unseren heutigen Vorstellungen von der Brauchbarkeit
eines derartigen Instrumentes würde selbst bei viel grösserer Voll-
kommenkeit des optischen Theiles schon der zu den heutigen
Untersuchungen ganz unverwendbare Objecttisch das Instrument
als nicht verwendbar erscheinen lassen.
Von grösserem Interesse ist an dem vorliegenden Instrumente
nur der seitlich verstellbare Spiegel: es muss aber bezweifelt
werden, dass er in dem Sinne Dienste that, wie wir jetzt die
schiefe Beleuchtung gebrauchen, nämlich vorzugsweise oder fast
ausschliesslich für gewisse Testobjeete, weil derartige damals gar
nicht bekannt waren. Für unser Mikroskop aber ist bei der
Stellung Fig. 1 schief einfallendes Licht gleichbedeutend mit gar
keiner Beleuchtung und für die Stellung Fig. 2, bei der Anwendung
des Lieberkühn’chen Spiegels, kann auch nur an gerade von
unten kommendes Licht gedacht werden.
4. Das vierte Instrument ist das Eingangs erwähnte unseres
Institutes: die Zeit seiner Anschaffung, sein Preis, so wie die
Werkstätte aus der es hervorging, sind unbekannt; und was die
Zeit seiner Anfertigung betrifft, so kann sie unmöglich später
gesetzt werden, als die Zeit des allgemeineren Bekanntwerdens
der Kunst, achromatische Objeetive zu verfertigen, sie fällt also
spätestens in das erste Jahrzehend unseres Jahrhunderts. In dem
ältesten der auf dem Institute vorhandenen Inventare, aus dem
Jahre 1842 wird es als „grosses zusammengesetztes Mikroskop“
mit seinen Bestandtheilen in unverkennbarer Weise beschrieben,
aber auf — 10 fl. Werth angegeben: und schon 1830 hat Roki-
tansky’s Vorgänger Johannes Wagner eine Bittschrift um
einen Beitrag zur Reparatur und Vervollständigung eines
Plössel’schen Mikroskopes eingebracht, „um eine 500 malige Ver-
grösserung zu gewinnen‘.
Das in Rede stehende alte Instrument ist in einem 21 Cm
hohen, mit einem 23 Cm hohen Glassturze versehenen Kasten (Fig. 3)
an einer horizontalen Welle befestigt, mittelst welcher es umlegbar
und in jeder Stellung durch die Schraube a feststellbar ist. Die
Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikrosk ops. 397
vordere dem Lichte zugekehrte Wand des Kastens wird beim Ge-
brauche entfernt und dadurch werden nebst dem Spiegel zwei
unten im Kästehen angebrachte Lädchen mit den Objectiven, einer
Pincette und einem Froschhalter frei.
An der genannten Welle ist eine verticale Stange b befestigt
welche unten den concaven metallenen Beleuchtungsspiegel
trägt, der selbst um 2 horizontale Axen beweglich und auf der
Stange nach auf- und abwärts verschiebbar ist: seitliche Bewe-
gung fehlt.
Etwas unterhalb des oberen Kastenrandes findet sich der
eigenthümlich gestaltete und ungemein grosse Objecttisch und
zwar in ganz fester Verbindung mit der Stange. Er besteht aus
zwei über einander liegenden Metallplatten von 12 Cm Breite und
9Cm Länge; die untere ce trägt die Scheibe mit den Blenden und
mittelst 4 an den Ecken angebrachten 2Cm hohen Säulchen zwei
je 1,6 Cm breite und 8,5 Cm lange mit Federklammern versehene
Messingstreifen dd; die inneren Ränder der letzteren sind mit
einer Nuthe versehen, in welche der eigentliche obere Objecttisch
ee von vorne her eingeschoben wird.
Der 13,5 Cm hohe Tubus ist mittelst Triebwerkes gegen den
Objeettisch beweglich, eine feinere Einstellung ist nicht vorhanden,
wohl auch bei den relativ geringen Vergrösserungen, die das In-
strument gewährt, nicht so absolut erforderlich; das Triebwerk ist
von ziemlich roher Arbeit.
Öbjective sind fünf vorhanden, die wieder aus je einer bicon-
vexen Linse bestehen, in deren Befestigung in so ferne ein Rück-
schritt gegen das Brander’sche Mikroskop zu constatiren ist, als
dieselben lediglich durch die aufgeschraubte Metallkapsel mit cen-
tralem Löchelchen in ihrer Lage erhalten werden sollen, somit we-
niger fixirt sind, als durch das fest aufsitzende Metallschälchen mit
dem federnden Drahtringe.
Am unteren Ende des Tubus befindet sich auch ein Gewinde
zur Anbringung eines Lieberkühn’schen Spiegels, mit welchem das
Mikroskop auch in der Fig. 3 abgebildet ist.
Das Ocular (nach Huygens) besteht aus zwei grossen bicon-
vexen Linsen, dem grösseren Collective und dem etwas kleineren
und mit stärker gekrümmten Flächen versehenen eigentlichen
Oeulare; zwischen beiden ist keine Blende angebracht. Diese
398 Heschl:
Linsen sind durch aufgeschraubte Metallringe und zwar sehr
schlecht befestigt.
Die durch dieses Mikroskop gegebenen Vergrösserungen, auf
25 Cm Sehweite berechnet, sind
mit Objectiv 1—30
4 „2-45
r » .3— (ohne Linse)
» und 68
5—80
„ ”
Schon die beiden ersten ‚sind nicht viel werth, die beiden
letzteren aber ganz unbrauchbar, sowohl wegen der mangelnden Cor-
rectionen als mancher Defecte der Linsen.
Das Instrument weist im mechanischen Theile in so ferne
einen Fortschritt auf, als es einen feststehenden und grossen Ob-
jeettisch besitzt und die Einstellung in den Tubus verlegt ist. Vom
ersteren können die Federklammern entfernt werden und derselbe
ist dann auch ganz frei, was eben nebst der Festigkeit und
Grösse den Hauptvorzug des modernen Objecttisches darstellt.
Dagegen musste schon zur Zeit der Anfertigung des Instru-
mentes jede Möglichkeit einer intensiveren optischen Wirkung
ausfallen, einmal wegen der gänzlichen Vernachlässigung der Sorge
für bleibende Centrirung der Linsen — ihre lose Einfügung —
dann wegen des Abganges der Correcetion der Aberrationen.
5. Dieses Mikroskop wurde 1815 von Sr. Majestät Kaiser
Franz I. bei der Gründung der Wiener technischen Hochschule
aus dem k.k. physikalisch-astronomischen Hofkabinette der physi-
kalischen Lehrkanzel der bezeichneten Hochschule zum Geschenk
gemacht und war gewiss eins der bestausgestatteten jener Zeit.
Seine Einrichtung entspricht am meisten der, wie sie Har-
ting (l. ec. S. 126) von dem Tiedemann’schen Mikroskope schil-
dert; insbesondere ist der Träger der drei Hauptbestandtheile des-
selben, Spiegel, Tisch und Tubus, eine mittelst Charniers auf dem
Boden des Mikroskopkastens befestigte Stange, die zum Gebrauche
aufgerichtet und zur Verwahrung umgelegt wird.
Der grosse Concavspiegel (Fig. 4a) aus Glas ist ausser den
beiden Bewegungen um zwei horizontale Axen noch mittelst eines
Armes seitlich verstellbar, letzteres jedoch, wie mir scheinen will,
nicht sowohl wegen der dadurch zu erzielenden schiefen Beleuch-
tung, sondern deshalb, weil der Spiegel bei aufgerichtetem Stative
Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskops. 399
wegen der Höhe des oberen Randes des Kastens gar nicht senk-
recht unter den Objecttisch gestellt werden kann; er ist also an
einem Arme befestigt, mittelst dessen er 180° nach oben gedreht
und dadurch centrisch unter den Objecttisch gebracht wer-
den kann.
Der letztere ist mittelst sehr sorgfältig ausgeführten Trieb-
werkes beweglich und stellt einen schmalen, aussen kreuzförmig
_ gerandeten mit weiter runder Oeffnung versehenen Ring b dar,
der in der Ruhelage des Mikroskopes zur Aufnahme des Tubus
dient; aus ihm wird der letztere beim Gebrauche herausgenom-
men und in den oberen Arm c eingesteckt. Im Öbjeettische
wird nun ein Einsatz befestigt, der mittelst zweier im rechten
Winkel gegeneinander wirkenden Schrauben sanfte horizontale
Verschiebung gewährt, oder ein anderer mit einer ringförmigen
Federklammer. In beiden ist aber die benutzbare Fläche klein und
gewährt weder Sicherheit dem Objeetträger noch Bequemlichkeit.
Die Objective sind einfache biconvexe Linsen, daher nicht cor-
rigirt; sie liegen, wie bei lund 4 lose auf dem unteren Rande der
eylindrischen oder conischen Hülse und werden lediglich durch
Aufschrauben einer in der Mitte durchbohrten Deckkapsel fixirt;
es sind ihrer im Ganzen sechs; die Metallarbeit an den Hülsen,
wie an den übrigen Theilen des ganzen Mikroskopes, ist äusserst
sorgfältig und elegant.
Das Ocular ist wie bei Martin (Harting l. e. S.117) aus
vier planconvexen Linsen zusammengesetzt, deren Stellung im Tu-
bus in der Fig. 4 angedeutet ist. Die unterste entspricht einem
Colleetivglase, wie sich aus der Wirkung ihrer Entfernung ergibt,
welche sich als Steigerung der Vergrösserung, Abnahme des Lichtes
und der optischen Wirkung darstellt. Die oberen drei entsprechen
keiner mir bekannten Composition; das Colleetiv und die beiden
unteren Linsen des Triplets sind mit der planen, die oberste
Linse mit der convexen Fläche nach unten gekehrt: die beiden
oberen Linsen sind relativ klein, die beiden unteren auffallend
gross. Das Gesichtsfeld ist auffallend gross.
Die optische Wirkung des Ganzen ist wegen der mangelnden
Correetionen ziemlich unbedeutend; da jedoch das Instrument mit
Ausnahme eines schadhaft gewordenen Objectives (No. 4) sehr gut
erhalten ist, so wird die Vorstellung von seinen einstigen Leistun-
gen eine ziemlich richtige sein.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 27
400 Heschl:
Die Vergrösserungen auf 25 Cm. Sehweite berechnet sind zu-
nächst die folgenden:
mit Objectiv 1— 15
„ > 2— 35
„ „ 3— 60
» N d— Linse beschädigt
„ „ 5—140
6—170.
” ”
Die Wirkung ist bei den Objeetiven 1—3 leidlich bezüglich der
Definition, besonders bei Lampenlicht, bezüglich des Auflösungs-
Vermögens sehr gering; man sieht z. B. die Borstenhaare des
Milbenscorpions, die Umrisse der Schuppen von Hipparchia Ja-
nira 9 recht gut, aber weder mit dem Öbjeetiv 3 noch mit 5
(140fache Vergrösserung) auch nur eine Spur der Längsstreifen
der letzteren.
Beigegeben sind dem Instrumente ausser den üblichen Klam-
mern, Inseetenhaltern, einem Fischhalter u. dgl., noch eine Linse
zur Beleuchtung von oben und ein Lieberkühn’scher Spiegel, der
mittelst einer langen eylindrischen Hülse auf den unteren engeren
Theil des Tubus aufgesteckt wird.
Alle Arbeit daran ist eine sehr sorgfältige und genaue, die
Ausstattung elegant. Als Verfertiger nennt sich ein in der Ge-
schichte des Mikroskopes bisher sonst — mir wenigstens — unbe-
kannter Name; die Inschrift auf dem Tubus lautet: „Otteny:
Mecha. Fe. in k.k. Phis. Kabin.“ Ich habe Sehritte gethan, um
näheres über ihn zu erfahren und werde, wenn sie von Erfolg sind,
darüber das Wissenswerthe mittheilen.
Ueber die noch folgenden kann ieh kurz hinweggehen.
6. Als sechstes Instrument zeigte ich ein im Jahre 1817
für das physicalische Cabinet der Wiener Universität bei Voigt-
länder!) in Wien angekauftes Mikroskop; dasselbe hat vier in
einen Revolver gefasste Objective und ein Ramsden’sches Ocular.
Die Objeetive 1—3 bestehen aus einer unteren planconcaven (Flint-
glas) und einer oberen biconvexen (Crownglas) Linse, welche
jedoch weder mit einander noch in ihrer Fassung durch Kitt be-
festigt sind, sondern lose über einander lagern und durch ein
aufgeschraubtes Deckelchen fixirt werden.
1) Auch dieser Name fehlt bei Harting.
Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskopes. 401
Dass unter solchen Umständen, trotz ziemlich guter Correction
der chromatischen Abweichung, die Leistungen nicht bedeutend
sein können, wird nicht auffallen.
Die Vergrösserungen (für 25Cm Sehweite) sind die folgenden:
mit Objectiv 1—20
” „ 2—40
” ” 3—60.
Man erkennt jedoch kaum die Striche eines Möller'schen
100theiligen photographischen Mikrometers, von den Längsstreifen
der Hipparchia Janira 2 keine Spur.
Vom Objeetiv 4 fehlt die Flintglaslinse, es gibt (mit.dem
Ocular) eine Vergrösserung von 280, an den Schuppen der Hippar-
chia Janira @ sind die Längsstreifen kenntlich, von Querstreifen
keine Spur, die Ränder stark farbig, der Grund trübe.
' Der Objecttisch ist beweglich, sehr klein, mit Beleuchtungs-
linse und Insectenhalter versehen.
Ich hatte seither Gelegenheit noch ein aus dieser Zeit stam-
mendes Instrument der Londoner Firma Dixley !) von schöner
Ausführung, mit Revolver-Objeetiv-Träger und beiläufig derselben
Wirkung wie No.6 zu untersuchen. Die Objeetive sind leidlich
achromatisch, die beiden Linsen zusammengekittet, jedoch ebenfalls
nur durch Aufschrauben der Kapsel befestigt.
7 und 8 sind zwei Instrumente von „Fraunhofer“, und zwar
7 von Utzschneider, Reichenbach und Fraunhofer in Bene-
dietbeuren (1811—1820?), 8 von Utzschneider und Fraunho-
fer in München (1820—1826) mit je einem Huygens’schen Oculare
und je drei achromatischen, aus einem zusammengekitteten und in
der Fassung ein für allemal festgemachten Linsenpaare, bestehen-
den Objectiven. Die beiden Mikroskope haben sehr kleine ringför-
mige Objeettische, in welche die feine Einstellung verlegt ist, —
die gröbere geschieht durch Verschieben des Tubus in der Hülse
mittelst der Hand —, grosse Lichtstärke, grosses Gesichtsfeld
jedoch geringe Vergrösserung (20, 30 und 45 mit den Objectiven
1—2—3), schräge Stellung des Spiegels gestattet; Definition ziem-
lich gut, Auflösungsvermögen natürlich irrelevant, aber auch nicht
bedeutend, da die Objective einen sehr geringen Oeffnungswinkel
haben.
1) Auch bei Harting nicht genannt.
402 Heschl: Zur Geschichte des zusammengesetzten Mikroskopes.
Zu dem Instrument No. 7 gehören noch 6, offenbar von
Fraunhofer oder seinem Nachfolger Merz auf spätere Bestel-
lung gelieferte Objeetive, welche allein oder zu je 3 — die stär-
keren — zum Uebereinanderschrauben eingerichtet sind und auf das
Deutlichste den grossen Fortschritt zeigen, der durch diese Sel-
ligue-Chevalier'sche Methode in der Construction der Mikros-
kope angebahnt und herbeigeführt worden ist. Die Vergrösserun-
gen gehen von 20—210; Definition und Resolution gut, noch heute
ganz verwendbar.
Das 9. Instrument ist ein gewiss vor 1830 bezogenes Instru-
ment von Chevalier in Paris, welches zum Aufschrauben auf
den Deckel des Kastens eingerichtet ist. Es hat vier achromati-
sche zum Uebereinanderschrauben vorgerichtete Objective von heute
noch leidlich guter Wirkung; offenbar sind ein oder auch zwei
stärkere Objective verloren gegangen. Die vorhandenen haben so
kleine Fassungen, dass wohl schon aus der Unbequemlichkeit der
Hantirung mit ihnen das Aufkommen der jetzigen Einrichtung
der fixen „Systeme“ allein erklärlich wäre. Es besitzt das In-
strument ferner Drehscheibenblendung, beweglichen Objeettisch,
ausziehbaren Tubus, zwei Oculare nach Huygens. Die Vergrös-
serungen gehen mit dem schwächeren Oculare von 20—150, mit
dem stärkeren von 25—210; mit, wie gesagt, leidlich guter Wir-
kung, wenigstens übertrifft dasselbe die anderen bisher beschriebe-
nen Instrumente beträchtlich, obschon auch die sphärische und
die chromatische Abweichung noch lange nicht in dem heute mög-
lich gewordenen Grade beseitigt sind, sondern an Probeobjeeten
noch lästig genug hervortreten.
©. F. W. Roller: Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 403
Eine aufsteigende Acusticuswurzel.
Von
€. F. W. Roller.
(Anatomisches Institut zu Strassburg, Elsass.)
Hierzu Tafel XIX.
Der Darstellung einer aufsteigenden Acustieuswurzel schicken
wir voraus, dass funieulus gracilis, funiculus cuneatus und corpus
restiforme sich, wie dies nicht von allen bisherigen Bearbeitern
der medulla oblongata genügend hervorgehoben ist, bei ihrem Auf-
steigen!) im verlängerten Marke recht wohl von einander trennen
lassen und im Allgemeinen folgende Verhältnisse darbieten.
Der funieulus gracilis, welcher zur contralateralen Pyramide
eine grosse Anzahl Fasern entsandt hatte, setzt, nachdem die Py-
vamidenbildung vollendet ist, die Abgabe seiner Fasern fort; ein
Theil derselben durehzieht als fibrae arciformes internae das Mark
zu Raphe und Olive, ein anderer begibt sich, die hintere Peri-
pberie des nucleus funieuli euneati umziehend, zum corpus resti-
forme. Der funieulus cuneatus erhält sich eine Strecke weiter
als wohlcharakterisirter Strang, reich an grauer Substanz mit vie-
len meist grossen runden Zellen, die zum Theil den von Merkel?)
für die sog. trophische Trigeminuswurzel näher beschriebenen
„blasigen“ gleich sind. Auch aus dem funiculus cuneatus gehen
zahlreiche Fasern in die fibrae arciformes und in das corpus resti-
forme über.
1) Da wir die menschliche medulla oblongata im Auge haben, welche
wesentlich eine aufsteigende Richtung einhält, so werden wir mit „oben“ die
Gehirnseite, „unten“ die Rückenmarkseite, „vorne“ die Ventral-, „hinten“
‘ die Dorsalseite bezeichnen.
2) Untersuchungen aus dem anatomischen Institut zu Rostock. 1874.
Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 18. 28
404 C. F. W. Roller:
Er aber auch enthält die radix ascendens nervi acustici,
wenigstens zu ihrem grössten Theile.
Das corpus restiforme, welches als Hervorragung an der äus-
sern Seite des funiculus cuneatus ein wenig höher als das untere
Ende der Olive auftritt, nimmt im Aufsteigen theils durch den er-
wähnten Faserzufluss, theils durch solchen von Seiten der fibrae
arciformes und direct von der Olive zu. Den Zusammenhang zwi-
schen corpus restiforme und Olive in evidenterer Weise als seit-
her geschehen, nachzuweisen, ist uns auf passend geführten Schräg-
schnitten gelungen. Zur Verstärkung des corpus restiforme trägt
die Kleinhirnseitenstrangbahn von Foville und Flechsig bei').
An der Stelle, an welcher der funiculus gracilis geschwun-
den ist, nachdem er sich in seiner oberen Parthie in breitem
Bande nach vorne gewendet hatte, wenig oberhalb der Spitze des
calamus scriptorius tritt innerhalb dieser vorwärts ziehenden Fasern
und, nachdem sie geschwunden, an ihrer Stelle ein Herd kleiner
und mittelgrosser Zellen von verschiedener länglicher oder rund-
licher Gestalt auf. Innerhalb der grauen Substanz, in welcher
diese, übrigens spärlichen Zellen liegen, nach aussen vom soli-
tären Bündel, erscheinen Faserquerschnitte, welche rasch an
Zahl zunehmen. Vom corpus restiforme sind sie durch den funi-
culus euneatus mit seinem stark entwickelten nucleus getrennt.
Die longitudinalen Bündel, welchen sie entsprechen, lassen sich
nach aufwärts verfolgen bis in den grosszelligen Acustieusherd ?).
In diesem steigen sie aufwärts bis zu den Ebenen, in welchen
aus ihm die Bündel der inneren Wurzel ?) des Hörnerven wenig-
1) Wenn wir von dem Verlauf der Fasern in bestimmter Richtung
sprechen, so soll damit über den Sinn, in welchem sie leiten, Nichts ausge-
sagt sein. Anderen Ortes werden wir die hiefür in Betracht zu ziehenden
Momente würdigen.
2).So nennen wir den Herd nach seinen charakteristischen Elementen,
den grössten der Oblongata, obwohl er bei seiner beträchtlichen Ausdehnung
auch eine grosse Anzahl kleinerer enthält. Es ist der äussere Acusticuskern
Clarke, Meynert, obere Henle, welcher unter diesem Namen ihn mit
dem medialen zusammenfasst, medialer Kern der vorderen Acusticuswurzel
W. Krause.
3) Innere oder vordere Abtheilung der centralen Bahn des nervus acu-
sticus Stilling, hintere Wurzel Clarke, hinterer medialer Strang Henle,
vordere Hauptwurzel Meynert, vordere Wurzel W. Krause.
Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 405
stens zu ihrem grössten Theile hervorgehen. Hier sieht man mehr
und mehr von den Querschnitten in diese Wurzel übergehen,
welche im weiteren Aufsteigen beträchtlich an Umfang zunimmt
und in breitem Zuge das Mark verlässt. Auf Querschnitten lassen
sich die schräg abgeschnittenen Fasern in ihrem Uebergang aus
der longitudinalen in die transversale Richtung beobachten, Fig. 2.
Während die Bündel der aufsteigenden Acustieus-Wurzel sich im
Aufsteigen mehren, nimmt der Umfang des funiculus euneatus
und seines nucleus rasch ab, ein Umstand, welcher das Hervor-
gehen mindestens eines grossen Theiles der Wurzel!) aus dem ge-
nannten Strange sehr wahrscheinlich macht, während aus diesem
andere Bündel in das gleichfalls anwachsende corpus restiforme
übergehen. Jenes Hervorgehen lässt sich indessen auf Frontal-
schnitten (parallel zur Ventrikelebene) direct beobachten; es er-
scheint zum Theil als Hereinbiegen der Cuneatusfasern in die
Bahn der radix ascendens n. acustiei unter starker Krümmung,
Fig. 3. Das Areal des funiculus euneatus wird allmälig vollständig
von der radix ascendens mit zwischen ihren Bündeln befindlicher
grauer Substanz eingenommen, Fig. 1. Ein Unterscheiden der dem
Acustieus zugehörigen Bündel nach abwärts innerhalb des funi-
culus euneatus ist auf solchen (Frontal-) Schnitten eine gewisse
Strecke weit möglich, dann freilich verlieren sie sich unter den
übrigen den funieulus euneatus constituirenden Fasern.
Auf Schrägschnitten (vgl. die Figuren -Erklärung) ist die
Umbiegung der aufsteigenden in die Richtung der austretenden
Wurzel gleichfalls direkt wahrnehmbar. Fig. 4.
Oberhalb des Austrittes der genannten Acustieus-Wurzel sind
die Querschnitte der Bündel, welehe ich für die Radix ascendens
erklären muss, geschwunden; wenig höher, noch im Bereiche des
Aecustieusherdes treten Querschnitte, wenn auch fortwährend in
geringer Zahl, auf’s Neue auf, sie gehören Fasern an, welche von
oben, durch den Pons herabkommend, in den grossen Acustieusherd
eintreten. Ueber die oberen Verbindungen dieser „radix des-
cendens“?) aber haben wir unsere Untersuchungen noch nieht abge-
1) Zuwachs noch von anderen Stellen werden wir anderen Ortes nach-
weisen.
2) Es liesse sich rechtfertigen diese Wurzel vielmehr „aufsteigend“, die
andere „absteigend“ zu nennen, wir haben die Bezeichnungen, so wie wir
406 C. F. W. Roller:
schlossen und führen daher das in Bezug darauf von uns Beob-
achtete nicht an. Da auch bestimmt Faserzüge aus dem Klein-
hirn in den grosszelligen Acusticusherd gelangen, so ist dieser
ein Centralherd für von verschiedenen Richtungen einstrahlende
Faserzüge des Hörnerven, während freilich Deiters!) ihm die
Beziehung zum Acusticus gänzlich absprechen wollte.
Indem wir die aufsteigende Wurzel in den Herd gelangen,
die austretende daraus hervorgehen sahen, bleibt zu fragen, ob
wir eine directe Umbiegung der Fasern aus der einen in die an-
dere Richtung anzunehmen haben. Ein Theil der Fasern der radix
ascendens tritt wahrscheinlich, nachdem sie in den Herd gelangt
sind, mit dessen Zellen in Verbindung, um durch deren Vermitte-
lung ihre Verlaufsänderung zu erfahren. Ein Theil aber — dies
ergeben unsere Präparate, wie wir glauben, mit voller Deutlichkeit
— geht unmittelbar aus der einen in die andere Richtung über.
Es ist auffallend, dass die radix ascendens n. acustiei, die
verhältnissmässig leicht zu constatiren ist, noch nicht beschrieben
wurde. Wir erklären uns dies daraus, dass vielleicht die schräge
Scehnittriehtung, bei welcher die direete Wahrnehmung gelingt (s. 0.)
nicht methodisch angewendet wurde. Viele Autoren sahen die
Querschnitte von longitudinalen Bündeln innerhalb des Acustieus-
Kernes, hielten sie aber wie z. B. Meynert für „die innere Ab-
theilung des Klein-Hirnstieles“°?). Der Umstand, dass an der von
uns bezeichneten Stelle das Gebiet des funinculus euneatus mit
seinem nueleus durch die radix ascendens in der beschriebenen
Weise — aus jenem Strang hervorgehend — eingenommen wird
und die Umbiegung in die austretende Wurzel sind nicht beob-
achtet worden.
Wir beschränken uns auf die vorstehende kurze Mittheilung;
für die nähere Ausführung, bei welcher wir eine Reihe wichtiger
Details mittheilen und die übrigen Verhältnisse des centralen
gethan haben, gewählt, weil wir in der Darstellung die im Mark aufstei-
sende Richtung eingehalten haben.
1) Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark des Menschen und
der Säugethiere. 1865. z. B. S. 168.
2) Strieker, Handbuch der Lehre von den Geweben des Menschen
und der Thiere. 1870. Fig. 257, 8. 767 ist so unter 8. F. C. — jedenfalls
grossentheils — unsere radix ascendens bezeichnet.
Eine aufsteigende Acusticuswurzel. 407
Acustieusverlaufes erörtern werden, verweisen wir auf eine aus-
führliehe Arbeit über die Organisation der medulla oblongata und
des pons, deren Veröffentlichung wir vorbereiten. —
Wir fügen bei, dass wir in derselben den Nachweis führen
werden, dass das solitäre Bündel Meynert!) im Wesentlichen eine
aufsteigende Glossopharyngeuswurzel darstellt, wie dies früher zum
Theil von Clarke?), neuerlich von Duval®) und Obersteiner*)
ausgesprochen ist?). Wir werden die Herde und Verbindungen
des Stranges dort schildern.
Auf die Bedeutung der Thatsache, dass spinale Wurzeln der
cerebralen Sinnesnerven: Trigeminus, Acusticus, Glossopharyngeus ®)
existiren, brauchen wir nicht erst hinzuweisen.
Juni 1880.
1) Von Stilling, welcher (medulla oblongata S. 60) an die Möglich-
keit dachte, dass diesem Bündel eine Function der Sonderung zukomme, als
dickes Fascikel weisser Längsfasern beschrieben, runde Bündelformation von
Lenhossek, slender column ÖOlarke, Respirationsbündel W. Krause.
2) Philosophical transactions, 1868, S. 277: The slender column has
the same kind of important connexions with the vagal and glossopharyngeal
nuclei as those which it has been shown to form with the spinal-accessory ;
but it has moreover a direct and especial connexion with the
glossopharyngeal nerve. cf. fig. 30, Taf. X.
3) Robin et Pouchet, Journal de l’anatomie et de la physiologie.
Mai-Juin 1880.
4) Allgemeine Wiener medicinische Zeitung No. 25, 1880.
5) Stieda, welchen Henle (Nervenlehre 1879, S. 222) als den Ver-
treter der Ansicht, dass das solitäre Bündel Glossopharyngeus-Wurzel sei, an-
führt, entwickelt (Ueber den Ursprung der spinalartigen Hirnnerven. 1873.
3. 8f.) keine andere Anschauung als Meynert, welcher (l. c., $. 789) das
solitäre Bündel als gemeinsame aufsteigende Wurzel der nervi glossophar.,
vag. und access. aufführt. Stieda leugnet freilich (l. c.) den Ursprung der
sensibeln Nerven aus Kernen.
6) Unserer Ueberzeugung nach auch des Opticus. (cfr. J. Stilling
auf der Badener neurologisch-psychiatrischen Versammlung, Juni 1880.)
408
Fig.
Fig.
Fig.
w
E. Nagy v. Regeeczi:
Erklärung der Figuren auf Tafel XIX.
Querschnitt der Oblongata. S. B. Stelle des solitären Bündels, wel-
ches in der Höhe des hier abgebildeten Schnittes bereits in die
‘ Wurzeln des n. glossopharyngeus übergegangen ist. r. a. a. Radix
ascendens n. acustici. c. r. corpus restiforme. r. gl. Radix n. glos-
sopharyngei. r. v. Radix nervi vagi. r. a. T. radix ascendens n. tri-
gemini.
Querschnitt. N. m. a. Nucleus magnocellularis n. acustici. U. f. Aus
der longitudinalen in die transversale Richtung umbiegende Fasern
der Radix ascendens acustici. r. i. a. Radix interna n. acustici.
Frontalschnitt (parallel zur Ebene des Ventrikelbodens). N. m. a.
Nucleus magnocellularis n. acustici. r. a. a. Radix ascendens n.
acustici. N. f. c. Nucleus funiculi cuneati.
Schrägschnitt in einem Winkel von etwa 45° zur sagittalen Ebene.
Die Schnitte begannen vom Sulcus longit. ventr. IV aus und wurden
in schräger Richtung lateral vorwärts geführt. N. m. a. Nucleus
magnocellularis n. acustici. r. a. a. Radix ascendens n. acustici. r. 1. a.
Radix interna n. acustici. r.a.t. Radix ascendens n. trigemini. Um
die gegenseitige Lage der aufsteigenden Wurzeln des n. acusticus
und des n. trigeminus zu zeigen, wurde, da bei der angewandten
Schnittrichtung nicht beide, oder die eine dann nur in Spuren, auf
demselben Schnitt erscheinen können, die rad. asc. n. trig. von einem
wenig entfernten Schnitte derselben Serie eingetragen. p. ma). t.
Portio major n. trigemini. p. min. t. Portio minor n. trigemini.
Alle Figuren beziehen sich auf den Menschen.
Ueber die Epithelzellen des Magens.
Von
Dr. E. Nagy v. Regeczy.
(Aus dem k. ungarischen physiologischen Institut zu Budapest.)
Nebst einem Holzschnitt.
Während die Epithelzellen des Dünndarmes als Object viel-
seitiger und eingehender Untersuchung dienten, fanden die des
Magens im Allgemeinen viel weniger Berücksichtigung, und wurde
auch weniger über diesen Gegenstand veröffentlicht.
Ueber die Epithelzellen des Magens. 409
Nach F. E. Schulze!) wäre die freie Oberfläche der Magen-
epithelien nicht geschlossen.
Nach Heidenhain?) würden die ganz frischen Epithelzellen
durch eine Membran vollständig geschlossen sein.
Ebstein?) fand sowohl offene als auch geschlossene Zellen,
und ist der Meinung, dass die im Ruhezustand intacte Zellenmem-
bran während der Verdauung berste.
Nach der neuesten Mittheilung von Biedermann‘) besteht
das Epithel des Magens aus cylindrisch oder pyramidal geformten
Zellen, deren Seitenflächen mit einer deutlichen Membran über-
zogen sind, während die obere freie Oberfläche jedoch immer offen
sei. Die äussere Oeffnung dieser Zellen sei mit einem rundlichen
Körper ausgefüllt, welcher von der übrigen Zellsubstanz sowohl
in chemischer als in morphologischer Hinsicht abweiche, welchen
Theil er auch als „Pfropf“ bezeichnet. Dieser Pfropf sei in hohem
Maasse quellungsfähig, gegen wässerige Lösungen des Anilinblau
sehr empfindlich, und zeige fein längsstreifige Struetur.
Seiner Auffassung nach würden also die offenen freien Enden
der Zellen mittelst dieses Pfropfes verstopft sein, damit sich der
Zelleninhalt nicht entleere, in der Weise wie wenn eine Flasche
durch einen Korkstöpsel verschlossen wird. Er sah an diesem
Pfropfe bei Behandlung mit Osmiumsäure, dass derselbe eine
Längsstreifung zeigte; über die Natur der Längsstreifung aber
will er sich nieht entschieden äussern), hält es jedoch für wahr-
scheinlich, dass die Streifen kleine Kanälchen sind, und bei der
Schleimabsonderung in der Weise eine Rolle spielen, dass sie den
Austritt des Zellinhaltes vermitteln.
Eine ähnliche Längsstreifung wurde früher auch an den Epi-
thelzellen des Dünndarmes beschrieben. Später entdeckten A. Gelei
und Prof. v. Thanhoffer im hiesigen physiologischen Institut das
1) Arch. f. mikr. Anat. IH. Bd.
2) Arch. f. mikr. Anat. VI. Bd.
3) Arch. f. mikr. Anat. IV. Bd.
4) Wiener akad. Sitzungsber. LXXI. Bd. III. S. 377. 1875.
5) l. c. S. 392: „Ueber deren Wesen ich mich allerdings nicht ganz
bestimmt aussprechen will, denn ob die oben beschriebene Streifung als Aus-
druck von Porenkanälchen oder als Stäbchenstruktur anzusehen sei, wage ich
kaum zu entscheiden“. —
410 E. Nagy v. Regeczy:
Flimmern, wodurch unsere Anschauung über die Natur der Längs-
streifung eine Umänderung erfuhr.
Es befindet sieh nun im Magen ein ähnliches Flim-
merepithelium.
Ich fand einzelne flimmernde Zellen zuerst in dem Magen-
schleim hungernder Frösche; der Zellenkörper war auffallend lang,
seinem inneren Ende zu verdünnt, mit grossem länglichen Kern
und Nucleolus und körnigem Zelleninhalt. Ueber ihren Ursprung
im Unklaren machte ich weitere Untersuchungen, und es gelang
mir oft an der ausgeschnittenen oder abgeschabten Magenschleim-
haut mit Hilfe von Nadeln Flimmerzellen und Flimmerzellengruppen
zu isoliren, und zwar an frisch getödteten Fröschen ohne jede
vorhergehende Behandlung.
Meine Untersuchungen setzte stud. med. J. Ballagi fort, und
das Flimmerepithelium an der Magenschleimhaut wurde ausser
allen Zweifel gestellt.
Nicht immer gelang es jedoch die Flimmerhaare sichtbar zu
machen; so wurden sie bei fettiger Entartung oder Infiltration der
Zellen unsichtbar; ein anderesmal war anstatt freistehender Flimmer-
haare am äusseren Ende der Zelle bloss eine dunkle entsprechend
breite Linie sichtbar, als wenn die Flimmerhaare aneinander gekittet
gewesen wären; ein anderesmal wiederum bedeckten die Flimmer-
haare nicht die ganze äussere Oberfläche der Zelle, sondern nur
einen kleineren Theil derselben, als wenn sie sich theilweise ab-
gelöst hätten. Ebenso sahen wir Flimmerzellen, deren Haare sich
vor unseren Augen verloren, wahrscheinlich durch Zurückziehen
in den Zelleninhalt.
Wir erhielten diese Zellen aus verschiedenen Theilen der
Magenschleimhaut, so dass es wahrscheinlich ist, dass dieselben
die ganze Schleimhautoberfläche bekleiden.
Die Flimmerhaare werden durch die verschiedensten che-
mischen Reagentien sehr leicht zerstört, und unsichtbar gemacht,
so auch sehon durch destillirtes Wasser, welches den äusseren
Theil der Zelle bis zum Kern aufquellen, und dieselben den sog.
Becherzellen ganz ähnlich macht. Nach Behandlung mit wasser-
entziehenden Lösungen (Salzwasser) gewinnen die Zellen ihre
ursprüngliche Form wieder. Ein Austreten des Zelleninhaltes habe
ich nie beobachten können, nur wird der äussere Theil der Zelle
durch die hochgradige Quellung so durchsichtig gemacht, dass es
Ueber die Epithelzellen des Magens. 411
nur mit grösster Aufmerksamkeit möglich ist die Gegenwart des
Zelleninhaltes zu erkennen.
Zu den Untersuchungen scheint eine dünne Salzlösung, Jod-
serum, chromsaure Kalisolution, Hyperosmiumsäure am zweck-
dienlichsten zu sein.
Ausser bei dem Frosche haben wir bis jetzt bei einigen
Fischen und bei der Katze Flimmerzellen gesehen, weitere Unter-
suchungen sind im Gange.
Die verschiedenen Zellenformen sind auf dem beigefügten
Holzschnitte zu sehen. (Froschmagen.) An einigen scheint es,
als wenn auf der äusseren’ Seite der Zelle in Form einer lichten
Linie wirklich eine Membran vorhanden wäre; auf anderen wieder
scheint diese lichte Linie unter den Flimmerhaaren zu sein. Ich
halte es trotzdem nicht für wahrscheinlich, dass dieser lichte Strei-
fen eine Zellenmembran sei, nachdem ich an einigen Zellen amö-
boide Bewegungen bemerkte, welche Bewegungen bei Gegenwart
einer Membran schwerlich vorkommen könnten. Als Folge dieser
Bewegungen zeigt sich hie und da eine Verdünnung an dem mitt-
leren Theil der Zelle, und ein Ablösen des äusseren Theiles. Die
Zelle a zeigt die Veränderung nach Wasserzusatz.
Zusatz: Herr Dr. Regeczy theilte mir auf eine diesbezüg-
liche Anfrage noch mit, dass eine Verwechslung mit Oesophagus-
epithelien ausgeschlossen sei und dass Herr J. Ballagi das Flim-
merepithel auch in situ an Schnittpräparaten der Magenwand
nachgewiesen habe.
Waldeyer.
412 Johann Czokor:
Die Cochenille-Carminlösung.
Von
Dr. Johann Czokor,
Adjunkt und Docent im k. k. Thierarznei-Institute zu Wien.
Jedem Histologen dürfte es bekannt sein, dass die zur Tin-
ction mikroskopischer Präparate in Verwendung stehende, aus dem
käuflichen Carmin bereitete ammoniakalische Lösung keineswegs
allen Anforderungen entspricht. In früherer Zeit vor etwa 6—7
Jahren konnte man in der That aus dem käuflichen Carmin-Präpa-
rate eine gut tingirende Flüssigkeit darstellen, heutzutage ist dies
nicht mehr der Fall. Die Ursache dürfte in einer anderen, wahr-
scheinlich billigeren Darstellungsweise des Farbstoffes liegen. Da
in der neueren Zeit Härtungsmittel verwendet werden, welche jede
Carmintinetion erschweren, so das chromsaure Kali und die Chrom-
säure und da man in Folge dessen oft nicht weiss, ob der schön
und exaet ausgeführte Schnitt auch gut tingirt wird, so war das
Bestreben und die Aufmerksamkeit der Histologen schon lange .
dahin gerichtet, eine Farbelösung zu erzeugen, welche unter allen
Verhältnissen und unter den verschiedenen Bedingungen die an-
gefertigten Präparate in einer bestimmten Weise tingirt und zwar
in der Art, dass der Histologe schon von vornherein weiss, wel-
chen Ton ein Präparat aus Alkohol und welchen ein solches aus
Chromsäure annehmen wird; dabei wurde auf das Differenzirungs-
Vermögen ein grosser Werth gelegt. Die Folge davon war eine
Reihe von Recepten für gut tingirende Lösungen, welche den
Anforderungen entsprechen sollen; alle sind mit Nachtheilen ver-
bunden und gewöhnlich findet man, dass die gut tingirenden
Lösungen unbeständig sind (Hämatoxylin und Anilinfarben), dass
dagegen die haltbaren Farbstoffe (Carmin) das Gewebe zu diffus
imprägniren.
Schon durch längere Zeit mit diesem Gegenstande beschäf-
tigt, ist es mir endlich gelungen eine Carminlösung darzustellen,
welche den Anforderungen vollkommen entspricht und, nebst einem
Die Cochenille-Carminlösung. 413
ausgezeichneten Differenzirungs-Vermögen, alle Gewebe und Or-
gane in derselben Art färbt, ohne Rücksicht ob sie in Chromsäure
oder in Alcohol gehärtet wurden. Da in einem neueren Werke
über mikroskopische Technik (von Prof. Dr. v. Thanhoffer) zwar
die Vorzüglichkeit des Farbstoffes anerkannt, jedoch die Haltbar-
keit der Lösung als eine kurz dauernde beschrieben wird, so muss
ich meinen damals begangenen Fehler, als ich die Bereitungsweise
der Lösung beschrieben hatte (Wiener Medizinische Wochenschrift
1880) wieder gut machen. Es wurde nämlich vergessen anzugeben,
dass in die Carminlösung eine Spur von Carbolsäure hineinzu-
geben ist, wodurch die Haltbarkeit auf wenigstens ein halbes Jahr
verlängert wird.
Eine von Dr. Grenacher im Archiv für mikroskopische
Anatomie, XVI. Bd., 3. Heft, Seite 463 beschriebene Darstellungs-
weise einer gut tingirenden Carminlösung aus dem käuflichen
Carmin, gab die Veranlassung zur Darstellung dieser Lösung,
welche dem Grundprinzipe nach dasselbe ist, nur mit dem Unter-
schiede, dass statt Carmin die Cochenille selbst verwendet wird.
Im Handel finden sich gewöhnlich zwei Arten der Cochenille
vor, die eine führt den Namen Bluteochenille und dient zur Dar-
stellung jenes Farbstoffes, welcher zum Färben der türkischen
Mützen (Fez) verwendet wird. Eine feinere Art besteht aus klei-
neren Thieren von dunkelrother Farbe, welche an der Oberfläche
wie mit Asche übersät erscheinen. Aus beiden Cochenill-Arten kön-
nen Lösungen bereitet werden, welche die früheren Tinctionsflüs-
sigkeiten bei weitem übertreffen.
Die Darstellungsweise ist folgende: 7,0 gr Cochenille
einer dieser Arten werden mit ebensoviel gebranntem Alaun
in einer Reibschale zu einem feinen Pulver verrieben. Dazu kom-
men 700,0 gr destillirtes Wasser, das Ganze zum sieden ge-
bracht wird auf etwa 400,0 gr eingekocht. Nach dem Ab-
kühlen ist eine Spur von Carbolsäure dieser Lösung hinzu zu
fügen, so dass dieselbe den Geruch darnach hat und nun wird
einigemale filtrirt. Am Filter bleibt eine schmutzig-rothe Masse,
der Carminlack, zurück, während sich eine in dünnen Schichten,
rothe, in dieken Schichten violette Lösung abfiltrirt, letztere ist
die brauchbare Carminlösung, sie hält sich ganz gut ein halbes
Jahr, muss nach dieser Zeit abermals filtrirt und mit einer Spur
Carbolsäure versehen werden und ist dann wieder zu gebrauchen.
414 Johann Czokor: Die Cochenille-Carminlösung.
Die aus der feineren Cochenille bereitete Carminlösung tin-
girt alle Gewebe ohne Rücksicht auf die angewandten Härtungs-
mittel in kürzerer oder längerer Zeit prachtvoll, mit einem aus-
gezeichneten Differenzirungs-Vermögen. Alle Kerne nehmen einen
dem Hämatoxylin ähnlichen Ton an, während die übrigen Bestand-
theile in den verschiedenen Nüancen von Kirschroth bis Dunkel-
roth gefärbt werden. Solehe Präparate haben das Ansehen als ob
eine Doppeltinetion mit Hämatoxylin und Carmin vorgenommen
wäre. Gehirn und Rückenmark aus Chromsäure tingiren sich
ebenso intensiv wie andere Gewebe. Theile, welche in Alcohol
gehärtet wurden, brauchen etwa 3—5 Minuten in der Lösung zu
verweilen, Objeete aus Chromsäure oder chromsaurem Kali da-
gegen tingiren sich in ebensovielen Stunden.
Auch die Blut-Cochenille ist gut verwendbar und unterschei-
det sich in ihrer Leistung von der vorhergehenden nur dadurch,
dass das Zwischengewebe weniger intensiv gefärbt wird, demnach
sich dieser Farbstoff der Grenacher’schen Carmin-Lösung nähert.
Als Conservirungsmittel für die mit der Cochenille-Carminlösung
tingirten Präparate möchte ich den Damarlack oder Canadabalsanı
anempfehlen, obwohl sich auch Glycerin dazu eignet.
Schon vor 2 Jahren hat P. Mayer (Zool. Station, Neapel)
s. zool. Anzeiger 1878, p. 345, die Cochenille zur Herstellung einer
guten Tinctionsflüssigkeit empfohlen !); er bedient sich indessen
einer alkoholischen Lösung, hebt aber ebenfalls die Aehnlich-
keit der Färbung mit der Hämatoxylintinetion hervor. Da es wün-
schenswerth sein kann, auch über eine wässrige Cochenillesolution
zu verfügen, so habe ich auch die von mir hergestellte Flüssigkeit
zur Kenntniss der Fachgenossen bringen wollen. Uebrigens ist
mir die Mittheilung P. Mayer’s erst bekannt geworden, nachdem
ich die wässrige Cochenillelösung schon längere Zeit verwendet
hatte.
1) Vgl. auch: Mittheilungen aus der zool. Station zu Neapel. Bd. I,
Heft 1, pag. 14.
H. Grenacher: Tleber die Augen einiger Myriapoden. 415
Ueber die Augen einiger Myriapoden.
Zugleich eine Entgegnung an Herrn Prof. Dr. V. Graber
in Czernowitz.
Von
Dr. H. Grenacher,
‚Professor der Zool. u. vergl. Anat.
in Rostock.
Hierzu Tafel XX u. XXI.
Im verflossenen Jahre habe ich die Resultate ausgedehnterer
Studien über das Arthropodenauge veröffentlicht!), die, obschon
leider noch recht lückenhaft gegenüber der unübersehbaren Fülle
der in Betracht kommenden Formen und Entwiekelungszustände,
doch über einfache und zusammengesetzte Augen bei Insecten,
Spinnen und Krebsen mancherlei neue Aufschlüsse und Gesichts-
punkte ergeben haben dürften. Die Gründe, die mich veranlasst
haben, von einer analogen Behandlung der Augen der vierten hier
in Frage kommenden Classe der Myriapoden damals noch
abzusehen, habe ich im Vorworte meines Buches flüchtig ange-
deutet. Ich habe mich unterdessen vielfach bemüht, zur Unter-
suchung brauchbares Material zu erhalten, und bin darin in dan-
kenswerther Weise von einer Reihe von Forschern unterstützt worden,
so dass ich es jetzt vielleicht wagen darf, einen Nachtrag zu
meiner früheren Arbeit zu liefern. Leider bleiben auch hier einige
und zwar recht wesentliche Fragen einstweilen noch ungelöst ; ich
habe aber keine Hoffnung, sie mit dem mir zu Gebote stehenden
Materiale noch lösen zu können, und trete wenigstens mit den
Resultaten, von denen ich wünsche, dass sie als gesicherte werden
gelten können, vor die Fachgenossen.
1) H. Grenacher, Untersuchungen über das Sehorgan der Arthro-
poden, insbesondere der Spinnen, Inseeten und Crustaceen. Göttingen 1879,
mit 11 Taf. 4°.
416 H. Grenacher:
Unterdessen hat das Myriapodenauge in der neueren Zeit
doch mehr die Aufmerksamkeit auf sich gezogen als früher. So
ist namentlich ebenfalls im verflossenen Jahre in diesem Archive
ein Aufsatz von Graber !) erschienen, der sich, ausser mit den
einfachen Augen der Arachniden, auch specieller mit jenen befasst.
Darin finden auch meine früheren Untersuchungen Berücksichtigung,
und erfahren, wie der Verfasser wenigstens meint, in mehreren
fundamentalen Punkten recht wesentliche Correcturen.
Nun weiss ich sehr wohl, wie viel noch an meiner Arbeit
zu ergänzen und zu berichtigen ist, besser vielleicht als irgend ein
Anderer, und ich werde demgemäss einem Jeden, der gelegentliche
Versehen corrigirt und Irrthümer ausmerzt, nur dankbar sein. Dazu
wird es freilich, wie ich glaube, ziemlich eingehender und genauer
Studien bedürfen, und blos gelegentlich angestellte flüchtige Streif-
züge in das notorisch schwierige Gebiet dürften wohl kaum zu
solchen Resultaten führen. Einem solchen flüchtigen Streifzug
scheint aber der Aufsatz Graber’s seine Entstehung zu verdanken
und ich bedaure, durch das Interesse der eigenen Vertheidigung,
wie durch den Wunsch, Irrthümern den Weg zu verlegen, damit
sie nicht als wissenschaftlich constatirte Thatsachen figuriren, ge-
nöthigt zu sein, eine Anzahl darin enthaltener ernster Beobachtungs-
fehler blosslegen zu müssen.
Bevor ich deshalb zu meiner im Titel genannten Aufgabe
übergehe, möge man mir gestatten, meine Vertheidigung zu führen,
resp. einige der Irrthümer Graber's so gut es angeht wieder
zu beseitigen. Auch die Besprechung des Myriapodenauges wird
noch Veranlassung zu zahlreichen Correeturen geben, die das oben
ausgesprochene Urtheil als ein berechtigtes erscheinen lassen.
1.
Ich glaube das Verdienst in Anspruch nehmen zu dürfen, in
der Frage nach der morphologischen Zusammensetzung des ein-
ftchen wie des facettirten Arthropodenauges unter Anderm durch
den Nachweis eines beiden Augenformen angehörigen constanten
1) V. Graber, Ueber das unicorneale Tracheaten- und speciell das
Arachnoideen- und Myriapoden-Auge. Dies. Arch. Vol. XVII. 1879. pag. 58
—94. Mit Taf. V—-VI.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 417
Elementes, der Retinazelle mit ihrem Stäbehen, einen nicht un-
wesentlichen Fortschritt angebahnt zu haben. Im gewöhnlichen
Stemma — einer Spinne etwa — lagern sich diese Retinazellen als
diserete Gebilde palissadenartig neben einander; vorn trägt jede
ihr bald so, bald anders beschaffenes Stäbehen, dessen Entstehung
von der Zelle abhängig ist, und nach hinten geht jede in eine
Faser des Optieus über. Während im Stemma die Zahl dieser
Elemente eine wandelbare, nicht limitirte, meist aber sehr ansehn-
liche ist, verhält sich dies im Facettenauge, wo sie sich wieder
finden, in sofern anders, als hier jeder Facette nur eine bestimmte
kleine Anzahl — meist sieben — solcher Zellen zukommen, deren
Stäbehen wohl auch selbständig bleiben, in sehr vielen Fällen aber
zu einem in der Axe des ganzen Complexes gelegenen stabartigen
Gebilde (Rhabdom, wie ich, Sehstab, wie frühere Autoren es
genannt haben) verschmelzen können.
Dies, sowie das hier nicht zu erörternde Verhalten der vor
den percipirenden Organen gelegenen lichtbreechenden Partien des
Auges hat mir die Möglichkeit gegeben, auf eine wie ich glaube
einfache und ungezwungene, weil in sich widerspruchslose Weise
das Verhältniss des Stemma zum Facettenauge morphologisch zu
bestimmen, und auch die funetionelle Seite des letzteren einer
Revision zu unterziehen; und ich darf wohl annehmen, dass, ganz
abgesehen von dem persönlichen Vertrauen, das man mir allenfalls
als Beobachter entgegenbringen mag, auch hier das alte Wort:
„Simplex sigillum veri“ gewichtig zu Gunsten der neuen Darstel-
lung in die Wagschale fallen dürfte.
Auch nach einer andern Seite hin glaubte ich hoffen zu
dürfen, einen Anstoss gegeben zu haben, dessen Wirkungen freilich
der Natur der Dinge nach sich nicht so unmittelbar äussern können.
Im letzten Abschnitte meiner Arbeit habe ich nämlich das Retina-
element der Arthropoden mit dem der übrigen Thiere in Vergleichung
gebracht, und, soweit die fremden und eine Anzahl eigener Beob-
achtungen ein Urtheil gestatteten, überall eine im Principe gleiche
Zusammensetzung nachweisen können. Wie wichtig dies für eine
künftige generelle Definition dessen, was man jetzt noch oft ganz
willkürlich und nach subjeetivem Gutdünken als Retina bezeichnet,
werden dürfte, leuchtet wohl von selber ein.
Meine Untersuchungen haben also vor Allem die Einzelligkeit
der constituirenden Elemente der Retina ergeben, - und sie ist die
418 H. Grenacher:
Voraussetzung für die Vergleichbarkeit desselben im einfachen mit
dem des zusammengesetzten Auges, wie nicht minder der Retina-
elemente der verschiedenen übrigen Thierkreise und -Klassen.
Der Formwerth des Retinaelementes als einer einfachen Sinneszelle
manifestirt sich aber durch den Besitz eines nur in einfacher
Anzahl vorhandenen Zellkernes.
Hierin liegt nun die prineipielle Differenz zwischen meinen
Untersuchungsresultaten und denen Graber’s. Ist seine Darstellung
richtig, so habe ich bei meinen Beobachtungen sehr ernste Fehler
begangen, die mich zu folgenschweren Trugschlüssen verleitet
haben. In seiner vorhin eitirten Arbeit sucht er den Nachweis zu
führen, dass das Retinaelement des Stemma dem ihm von mir vin-
dieirten Character einer einfachen Sinneszelle nicht entspreche; es
bestehe aus mehreren, zwei oder gar drei Zellen, wie das Vor-
handensein ebensovieler Kerne beweise. Damit wäre denn freilich
das Schicksal eines der wesentlichsten Theile meiner Arbeit — die
morphologische Zurückführung des Facettenauges auf das Stemma
— gründlich besiegelt, und die Untersuchung kann wieder von
vorn beginnen.
Aber damit nicht genug. Seither hat derselbe so productive
Verfasser eine neue Arbeit über das Auge der Anneliden!) ver-
öffentlicht, die den gleichen Tenor für diese Thierklasse einhält,
und eine nicht zu unterschätzende Stütze zu Gunsten seiner allge-
meinen Auffassung des Retinaelementes zu bieten scheint. Trotz
zahlreicher, aus eigenen früheren und neuerdings wiederholten
Beobachtungen hervorgegangener Bedenken liegt mir der letztere
Aufsatz vorläufig ferner; ich muss es einstweilen Andern anheim-
stellen, die, wie ich zu zeigen haben werde, ganz unerlässliche
genauere Controle der Graber’schen Ansichten vorzunehmen, und
habe mich hier nur an seine erste Arbeit zu halten.
Wird nun so nach Graber eine Vergleichung des Retina-
elementes des Stemma mit dem des Facettenauges vor der Hand
unmöglich, so bietet er doch nach einer andern Richtung hin eine
Art von Schadloshaltung, und zwar da, wo man es a priori kaum
für wahrscheinlich hätte halten sollen. Er verweist uns nämlich
1) V. Graber, Morphologische Untersuchungen über die Augen der
freilebenden marinen Borstenwürmer. Dies. Arch. Vol. XVII, pag. 243—323,
Taf. XXVII—XXX.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 419
auf die von ihm früher eingehender studirten Endorgane der tym-
panalen Sinnesorgane der Orthopteren als auf die wahren Ho-
mologa der Retinaelemente des Stemma. Ohne die Möglichkeit
einer derartigen Uebereinstimmung auch nur entfernt bestreiten
zu wollen, liegt es aber vor allem weit näher, an die thatsächliche
Prüfung seiner Gründe heranzutreten, um zu sehen, ob diese Tren-
nung zwischen den Retinaelementen des einfachen und des zu-
sammengesetzten Auges irgendwie berechtigt ist.
Zunächst mögen einige Worte über das Material gestattet sein,
das Graber seinen Untersuchungen zu Grunde legte. Ausser
einigen Myriapoden (Scolopendra, Iulus, Lithobius) hat er noch
Seorpione untersucht, die ich in meiner oben genannten Arbeit
ebensowenig wie die Myriapoden berücksichtigen konnte. Von
Spinnen wird Zpeira eingehender behandelt, ausserdem finden
sich noch ein paar Notizen über Thomisus und Tegenaria. Meine
eigenen Untersuchungen über Arachniden erstreckten sich über
die Gattungen Phalangium, Epeira, Lycosa, Saltieus, die ein-
gehend untersucht wurden; dazu kommen noch die Stemmata
einiger Inseeten und Insectenlarven, die Graber ziemlich fremd
geblieben zu sein scheinen. Unsern beiderseitigen Untersuchungen
ist demnach blos die Gattung Zpeira gemeinsam. Um nun über
die beanstandeten Punkte ein competentes Urtheil gewinnen zu
können, habe ich ausser den Myriapoden, die weiter unten geson-
dert zur Sprache kommen werden, auch die Augen der Scorpione
einer Revision unterzogen, ebenso aber auch neue Untersuchungen
an frischgesammeltem Materiale von Epeira und Lycosa — und,
wie ich wohl versichern darf, frei von Vorurtheil und Voreinge-
nommenheit — angestellt. Auf die Gattung Tegenaria mich
einzulassen, dazu fühlte ich mich allerdings nicht veranlasst, da
ich von frühern Versuchen her nur zu gut weiss, welche Schwie-
rigkeiten sich gerade dem Studium dieser Augen entgegenstellen,
und wie vorsichtig man gerade hier mit der Deutung seiner Be-
funde sein muss. Trotz meines Wunsches, Graber hätte sich,
bevor er über meine Resultate so bestimmt und allgemeingültig ab-
urtheilte, veranlasst fühlen mögen, mir hinsichtlich des Materiales
etwas auf meinen eigenen Boden zu folgen, und namentlich eine
oder die andere der oben neben Epeira genannten Spinnengat-
tungen, sowie die Inseetenstemmata zu berücksichtigen, so bin ich
doch weit entfernt, aus dem Unterlassen soleher Nachprüfung einen
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 29
430 H. Grenacher:
Vorwurf ableiten zu wollen. Sind seine Resultate, als. was er sie
ausgeben möchte, Thatsachen, so ist damit die von mir postu-
lirte Gesetzmässigkeit im morphologischen Aufbau der beiden
Augenformen der Arthropoden nebst allen weiteren Consequenzen
daraus gesprengt, gleichviel, woher sonst die Faeta überhaupt
stammen mögen.
Der hervorgehobene Differenzpunkt unserer beiderseitigen
Auffassungen des Retinaelementes ist wohl der wichtigste, aber
nicht der einzige. Ich gedenke indessen keineswegs, mich auf
alle derselben einzulassen; eine Anzahl derselben ist zu gering-
fügig an sich, um dabei zu verweilen. Die Graber’sche Auffassung
des ersteren findet sich hauptsächlich in dem „Retina“ überschrie-
benen Abschnitte seiner Arbeit (besond. pag. 67—80); mit ihm
werde ich beginnen, und den Rest, soweit es mir die Mühe der
Discussion zu lohnen scheint, daran anknüpfen.
Nach Graber besteht der „Retina-Strahl“, mein Retina-
element, in den meisten der von ihm untersuchten Fälle aus einer
basalen Ganglienzelle, der sich nach aussen (vorn) noch der min-
destens aus einer, zuweilen aber aus zwei Zellen („Stäbehenzellen“)
bestehende stäbchentragende „Endschlauch“ anschliesst. In den
dieses Resultat nicht ergebenden Fällen (einige Myriapoden) führt
er die durch die Kleinheit des Objeetes bedingte Erschwerung der
Beobachtung als Erklärungsgrund an. Mit Hinweglassung alles
des auf die Myriapoden Bezüglichen will ich hier die Resultate
meiner Nachprüfung vorlegen.
Graber spricht, wie bemerkt, von G@anglienzellen im
Grunde des Auges, und nähert sich also sehr einer früher viel
verbreiteten Auffassung. Dass meine Deutung der Retinaelemente
als epitheliale, sehr wahrscheinlich in allen Fällen der Hypodermis
entstammende Gebilde angefochten, und jene Bezeichnung für sie
zu substituiren versucht werden könnte, darauf musste ich wohl
gefasst sein, so lange nicht durch gerade in den Sinnesorganen
schwierige Definitionen sichere Grenzpfähle, innerhalb deren die
Anwendung solcher Termini gestattet ist, errichtet sind. Würde
Graber in diesem Sinne das Wort gebrauchen, so würde es mir
nicht einfallen, dagegen Widerspruch erheben zu wollen. Aber
abgesehen von der durch seine Auffassung ganz veränderten Be-
deutung für den Aufbau des Retinaelementes zieht er sich hinter
die Autorität von Leydig zurück, dessen früheren analogen An-
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 421
gaben ich nach seiner Ansieht nicht genügende Beachtung ge-
schenkt habe (l. e. pag. 68).
Meine Auseinandersetzung mit Leydig über diesen Gegen-
stand findet sich pag. 56 meines Buches und wenn Graber sich
nur die Mühe genommen hätte, die betr. Stellen in den Leydig’-
schen Schriften aufmerksam zu lesen, so würde er wohl mit seinem
Vorwurfe nicht hervorgetreten sein. Leydig spricht in seiner
hier hauptsächlich zu Rathe zu ziehenden Hauptarbeit !) von zweier-
lei Formen von Ganglienzellen im Spinnenauge: die ersten sind
jene bipolaren, die zwischen Stäbchen und Linse liegen sollen,
hier also doch sicher nicht in Frage kommen können. Dass er
aber in der von Graber (l. e. pag. 68) mir entgegengehaltenen
Stelle seiner „Histologie“ pag. 253 dieselben Elemente gemeint
hat, geht doch aus dem Satze: „bipolare Ganglienkugeln, deren
unteres rohrartig ausgezogenes Ende die Stäbchen ein-
zuschliessen schien“ so evident hervor, dass es doch wohl
auf eine gewisse Flüchtigkeit der Leetüre hinweist, wenn er
damit gegen mich argumentiren will. — Die andere Form erwähnt
Leydig pag. 442 der unten eitirten Abhandlung (‚am hintern
Augensegment entwickeln die Nervi optiei — durch Aufnahme
körniger und zelliger Elemente ein Analogon des Sehganglion im
facettirten Auge“); da diese aber ausserhalb des Pigmentes (vgl.
Fig. 24 Taf. XVII l. e.; ferner Fig. 135 pag. 256 der „Histo-
logie“), damit aber auch, da das Auge bis zur Grenzeuticula hin
pigmentirt ist, ausserhalb des Auges liegen, so wird doch
Graber mit diesen kaum noch gegen mich operiren wollen. —
Genau so dem Sinne nach habe ich mich schon früher über diesen
Punkt ausgesprochen.
Meine Untersuchungen über das Verhalten der Retinaelemente
bei Scorpionen hinsichtlich der uns hier beschäftigenden Fragen
habe ich an drei Formen angestellt: Duthus afer, Ischnurus cau-
dieula und Lychas americanus (die beiden letzteren aus dem
Mus. Godeffroy). Ich habe mich auf die Mittelaugen be-
schränkt, und meistens Längsschnitte der Prüfung unterworfen,
sie auf verschiedene Weise entfärbt und theilweise auch künstlich
tingirt. (Nur von Buthus habe ich auch Querschnitte untersucht,
1) Fr. Leydig, Zum feineren Bau der Arthropoden. Müller’s Arch. f.
Anat. u. Physiol. 1855.
492 H. Grenacher:
und an diesen, wie ich nur beiläufig bemerken will, die von
Graber beschriebene Gruppirung der Stäbchen zu je fünf bestä-
tigen können.) Es dürfte die Bemerkung nicht überflüssig sein,
dass der Erhaltungszustand des von mir benutzten Materiales in
jeder Hinsicht ein zufriedenstellender war.
Graber hat nun in den Augen der Scorpione drei dem Re-
tinaelemente angehörende Kerne aufgefunden: „Vorder“- und „Hin-
ter“-(Ganglienzellen-)Kerne sowohl in den Mittel- als den Seiten-
augen; „Mittelkerne‘“ nur einmal angedeutet in einem Zupfpräparate
des Seitenauges (l. ec. pag. 75). Diese Kernformen sind geradezu
überraschend ungleich entwickelt: während die „Hinterkerne“ gar
nicht übersehen werden können, sind die „Vorder“- und „Mittelkerne“
nur mit grosser Mühe nachweisbar; immerhin hat Graber wenig-
stens die ersteren bei Duthus „wiederholt eonstatirt“ und „glaubt
sich von ihrer Existenz hinlänglich überzeugt zu haben“ (l. e.
p. 72), wie er sie in der That dann auch zeichnet und sogar misst.
Leider bin ich selbst nicht entfernt so glücklich gewesen,
mich von der Existenz dieser Kerne überzeugen zu können; ich
möchte im Gegentheil behaupten, dass eine mit allen mir zu Ge-
bote stehenden Hülfsmitteln vorgenommene Prüfung mir die feste
Ueberzeugung von ihrer Nichtexistenz beigebracht hat. Graber
hat in Wort und Bild ganz unzweideutig angegeben, wo diese
Vorderkerne liegen und zu suchen sein sollen; ihre von ihm auf
ca. 0,005 mm bestimmten Dimensionen liegen noch keineswegs jen-
seits der Grenze, an der die Wahrnehmbarkeit durch die besseren
starken Systeme der Gegenwart Schwierigkeiten bietet, falls nicht
andere Umstände, wie versteckte Lage, ungewöhnliche Transparenz
od. dgl. hinzukommen. Und doch habe ich an meinen zahlreichen
Präparaten auch nicht ein einzigesmal etwas wahrnehmen können,
was auch nur entfernt einem Zellenkerne ähnlich gewesen wäre;
Wasser- und Oellinsen (Zeiss) schienen hier in gleicher Weite
ihren Dienst zu versagen. An Tinctionspräparaten hätte ich inner-
halb wie ausserhalb des Auges die Kerne zählen können, aber in
der von Graber angegebenen Region war auch hierbei absolut
Niehts zu erkennen, trotzdem diese Schnitte mir Hunderte und
Tausende von Enden, welche diese Kerne beherbergen sollten, in
untadeliger Schärfe und Deutlichkeit zeigten. Fussend auf dem
unbestreitbaren Rechte, meinen eigenen Sinneswahrnehmungen in
solchen Fragen in erster Linie Vertrauen zu schenken, muss ich
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 423
demnach einen positiven Irrthum Graber’s hier annehmen, und
bin ausser Stande, dessen Entstehung in irgend einer plausibeln
Weise zu erklären.
Ganz anders steht es freilich mit den Hinter-, Basal- oder
Ganglienzellkernen. Diese Dinge existiren wirklich und un-
zweifelhaft, wie man schon bei Anwendung relativ schwacher Ver-
grösserung mit Leichtigkeit sieht. Graber beschreibt sie völlig
correet nach Form und Färbung, nach Grösse und Lichtbrechungs-
vermögen, kurz, meine eigenen Beobachtungen stimmen nach
diesen Seiten hin bis auf’s Einzelne mit den seinigen überein.
Freilich nur bis auf einen kleinen, doch nicht ganz nebensächlichen
Umstand. Wie in aller Welt konnte Graber auch nur für einen
Moment auf den Gedanken kommen, diese Gebilde für Zellkerne
zu erklären? Das ist mir heute noch ein ungelöstes Räthsel. Schon
beim ersten Durchlesen seines Aufsatzes waren mir diese Dinge
stark verdächtig, da ich doch auch schon einige Formen von Zell-
kernen im Arthropodenauge zu Gesichte bekommen habe, so euriose
aber noch nie. Die spätere Untersuchung ergab denn auch auf
den ersten Blick, wie berechtigt mein Misstrauen war: sie haben
mit Zellkernen weiter nichts gemein, als den gewiss nicht sehr
wesentlichen Umstand, dass sie, wie jene meistens auch, mikro-
skopische Körper von rundlicher Form sind. Damit sind aber die
Aehnlichkeiten vollkommen erschöpft, denn sonst sind es solide,
harte Körper, mit einer schwankenden Anzahl von Vacuolen ver-
sehen, die Graber natürlich als Nucleoli ansieht und beschreibt,
und vor allem mit einem sehr hohen Brechungsindex, den Graber
ganz treffend (und ohne dadurch stutzig zu werden!) als „fast
öltropfenartig“ bezeichnet. (Mir scheint übrigens, beiläufig be-
merkt, der Brechungsindex, nach dem Aussehen der in Glycerin
liegenden Präparate zu schliessen, noch über den der Fette hin-
auszugehen.) Aus dem Umstande, dass sie sich in den zur Ent-
färbung verwandten verdünnten Mineralsäuren und Alkalien, sowie
in Terpentinöl nieht verändern, kann ich über ihre Natur blos
den Schluss ziehen, dass sie weder aus kohlensaurem Kalk noch
aus Fett bestehen; eine eingehendere Prüfung ihrer chemischen
Beschaffenheit muss ich Denen überlassen, die besser damit Be-
scheid wissen als ich. — Uebrigens nehmen sie künstliche Farb-
stoffe mit Leichtigkeit auf, noch weit leichter und reicher, als
wirkliche Kerne, und halten sie auch mit grösster Zähigkeit fest.
424 H. Grenacher:
Bei Duthus liegen sie in jedem Längsschnitte durch das
Auge zu Hunderten in einer bestimmten Region dicht vor der Ver-
einigung der Opticusfasern mit den Retinazellen, und bilden also
eine der Retinabegrenzung entsprechende Kugelschale; wie Graber
(l. e. Taf. V, Fig. 14) sehr hübsch zeichnet, sind sie hier kugelig
und von ziemlich gleicher Grösse. Bei Ischnurus sind sie mehr
oval und sowohl absolut als auch relativ kleiner, auch variabler
in der Grösse. Bei dem einen von mir untersuchten Exemplare
von Zychas waren sie nur durch spärliche und ziemlich kleine
Körnchen angedeutet, die hauptsächlich durch ihre Lichtbreehung
sich als analoge Bildungen zu erkennen gaben. — Im Uebrigen
bin ich nicht sicher, ob diese Körper überhaupt im Innern der
Retinazellen liegen, oder vielleicht nur zwischen sie eingelagert
sind, ihre relativ leichte Isolirbarkeit (sie schwimmen in mit Na-
deln zerzupften Schnitten immer in ziemlicher Anzahl frei herum)
lässt mich daran denken, obschon ich es leider bei meinem spär-
lichen Materiale versäumte, auf diesen Punkt, der für mich freilich
nur ein nebensächlicher ist, specieller zu achten. Ob sie mit den
von mir früher beschriebenen Körpern im Innern der Retinulazellen
von Notonecta (1. s. e. pag. 83, Taf. VII, Figg. 49, 51, 52), sowie
mit andern, in den Augen von Zpeira vorkommenden unregel-
mässigen Körpern (die ich früher nicht erwähnte, weil ich noch
Zweifel hegte, ob sie überhaupt dem Auge von Hause aus zu-
kämen, oder etwa Kunstprodukte wären, was ich jetzt nach er-
neuter Prüfung für ausgeschlossen halte) in Parallele zu stellen
sind, muss ich vorläufig auf sich selbst beruhen lassen. Mag es
nun auch noch so schwierig sein, diese Körper nach morpholo-
gischer und physiologischer Seite hin genau zu deuten — das Eine
ist jedenfalls sicher und sehr leicht zu beweisen, dass sie mit
Zellkernen nicht das Geringste zu thun haben; dass demnach
der Hinweis Graber’s auf ihre Form ete. (l. e. pag. 72) als Ar-
gument für die Existenz gesonderter Ganglienzellen wohl kaum
verfangen dürfte.
Nun hätte mir noch obgelegen, auf den von Graber nur
einmal und andeutungsweise im Seitenauge gesehenen Mittelkern
zu fahnden. Ich muss aber gestehen, dass ich mich dieser Arbeit
um so eher überhoben glauben durfte, als die von mir darauf sorg-
sam untersuchten Mittelaugen nichts davon erkennen liessen, und
hier hätte man sie, wenn typisch, doch wohl auch erwarten müssen.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 425
Wenn es nun mit den bisher besprochenen „Kernen“ so miss-
lich aussieht, so darf man freilich darum doch noch nicht anneh-
men, dass die Retinaelemente der Scorpione kernlos wären. Den
einzig vorhandenen wirklichen Zellkern hat Graber freilich über-
sehen, und derselbe ist doch weder klein, noch durch besonders
versteckte Lage schwierig zu finden. Dass sie ihm bei Duthus,
wo sie an Grösse hinter seinen vermeintlichen „Ganglienzellkernen“
nicht zurückbleiben (sie messen ca. 0,012—0,013 mm in der Länge,
ca. 0,09 mm in der Breite; jene haben ca. 0,01 mm Durchmesser)
entgangen sind, scheint mir ein ebenso charakteristisches Moment
für die Genauigkeit seiner Untersuchung, wie dass er letztere für
Zellkerne halten konnte; zudem liegen sie so dicht vor der Zone
jener stark lichtbrechenden Körner, dass man beim Einstellen auf
diese immer eine Menge jener Kerne zugleich im Gesichtsfelde
hat. Ganz selbstverständlich sind sie von weit bescheidenerem
Habitus als jene, und machen sich nicht so aufdringlich bemerkbar;
sie wollen deshalb, wie die Kerne in andern Arthropodenaugen
unter analogen Umständen auch, etwas gesucht sein. — Auch bei
Ischnurus wie bei Lychas habe ich sie in der gleichen Region
und mit derselben Leichtigkeit und Bestimmtheit aufgefunden; sie
sind hier ebenfalls die allbekannten ovalen Bläschenformen, nur,
entsprechend der geringen Grösse der Thiere und Augen, kleiner
als bei Buthus.
Von dem „embarras de richesse“ an Zellkernen bleibt dem-
nach verzweifelt wenig übrig. Mein Correetor hat Kerne beschrie-
ben, die nieht existiren, Dinge für Kerne gehalten, die keine sol-
chen sind, und schliesslich die wirklichen Kerne völlig übersehen,
also alle überhaupt möglichen Fehler in einem Athemzug began-
gen — gewiss ein etwas tragikomisches Ergebniss einer gerade
auf Zellkerne sich beziehenden Berichtigung! Jedenfalls habe ich
vorläufig noch keine Veranlassung erhalten, meine morphologischen
Anschauungen über das Retinaelement des Stemma nach den Scor-
pionaugen zu modifieiren. Sehen wir nun zu, ob und wie sie vor
dem Spinnenauge Stand halten.
Aus meinen Untersuchungen über die Sehorgane der Spinnen
glaube ich den Nachweis eines eigenthümlichen, bei den Augen
ein und desselben Thieres vorkommenden Dimorphismus der
Retinaelemente als eines der interessantesten Resultate betrach-
ten zu dürfen. Dieser noch nirgends sonst beobachtete, zur Zeit
426 H. Grenacher:
morphologisch wie physiologisch noch unerklärliche, aber, wie ich
glaube, durch die unter sich übereinstimmenden Untersuchungs-
resultate von drei Gattungen als Familienrepräsentanten wenig-
stens als Faetum feststehende Dimorphismus besteht darin, dass
bei der einen Augenform der Kern die normale Lage zwischen
dem Stäbchen und dem Eintritt der Opticusfaser hat, bei der an-
dern aber vor dem Stäbchen sich findet. (Für diese relativen
Lagenverhältnisse von Stäbehen und Kern wendet Graber die
Bezeichnungen „präbacilläre“ und „postbaeilläre Kerne“
an, die ich hier im Interesse der Kürze des Ausdruckes adoptiren
will.) Graber findet nun, dass die von mir betonten Kerne in
den verschiedenen Thieren nicht minder wie in den Augen ein
und desselben Thieres einen sehr ungleichen Werth besitzen sollen
(l. e. pag. 69)'). Da er nun von der Mehrzelligkeit, resp. Mehr-
kernigkeit der Retinaelemente überzeugt ist, so folgert er einfach,
dass es viel wahrscheinlicher sei, ich hätte die kleinen Vorder-
kerne in den Augen, in denen ich nur Hinterkerne beschrieben
habe, übersehen, als dass die Retina des einen Auges nur Vorder-,
die des andern nur Hinterkerne besitze.
Hier wollen wir einen Moment Halt machen, um die hier zu
Tage tretende Logik näher zu betrachten. Warum soll ich nun
aber blos die kleinen Vorderkerne übersehen haben? Sind seine
Prämissen von der Mehrzelligkeit des Retinaelementes richtig, so
ergibt sich doch mit absoluter logischer Nothwendigkeit, dass ich
in allen Spinnenaugen mit postbacillärem Kerne den präba-
eillären, nieht minder aber auch in allen Augen mit präbaeil-
lärem Kerne den postbaeillären, d. h. in diesem Falle den
von ihm als „Ganglienzellenkern“ bezeichneten übersehen haben
muss. Warum Graber aber die nothwendigen Folgerungen aus
seinen Prämissen nur zur Hälfte, soweit sie die „Vorderkerne“ be-
treffen, zieht, die andere Hälfte aber hinsichtlich der „Hinterkerne“
mit Stillsehweigen übergeht, würde schwer zu verstehen sein, wenn
nicht im Späteren ein Schlüssel für diese einseitige Handhabung des
Schlussverfahrens gegeben wäre.
1) In der von ihm nach meinen Untersuchungen gegebenen Aufzählung
der Augenformen mit präbacillärem Kern finde ich zu meinem Erstaunen
auch die Phryganea genannt, deren Stemma mir durch das Fehlen der
Stäbchen so merkwürdig scheint. Wie kann aber in einem stäbchen-
losen Retinaelement von einem präbacillären Kerne die Rede sein ?
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 427
Genug — auf jene halbe Folgerung hin macht sich Graber
an die Untersuchung des Vorderauges von Epeira — und findet
richtig „den von Grenacher hier gänzlich übersehenen Präbaeil-
lärkern“ (l. e. pag. 74). Auch hier sind sie, wie bei den Scor-
pionen, sehr klein und schwierig nachzuweisen, aber trotzdem
glaubt Graber „sie doch wirklich gesehen zu haben“.
Ich will nun nieht mit der Darstellung aller von mir zur
Prüfung vorgenommener Manipulationen, die an reichlich gesam-
meltem frischen Material (E. diadema) angestellt wurden, ermüden;
ich glaube mich einfach auf die Versicherung beschränken zu dür-
fen, dass die Resultate genau so ausfielen, wie die schon früher
veröffentlichten, also genau so negativ, wie oben bei den Scor-
pionen !).
Im medialen Hinterauge von Zpeira habe ich blos Retina-
elemente mit präbacillären Kernen gefunden und beschrieben, und
Graber hat bei seiner Nachprüfung diese auch wiedergefunden.
Wo bleiben aber die „Ganglienzellenkerne“, die doch, wenn er
mit seiner Auffassung Recht hat, hinter dem Stäbchen als post-
bacilläre sich finden müssten, und jedenfalls um so eher, als er
den Ganglienzellen eine so integrirende Rolle zuschreibt? Da-
mit siehts nach seinem eigenen Geständniss misslich aus, und
selbst sein Finderglück scheint ihm hier untreu geworden zu sein.
Er sagt nämlich selbst (l. e. p. 76): „an einem medianen, d. i.
der Körperlängsachse parallelen Schnitte erscheint die Retina in
der That in der von Grenacher angegebenen Art, wobei gegen-
über dem Vorderauge besonders der Umstand bemerkenswerth ist,
dass anscheinend sämmtliche Opticusfasern ohne die geringste ba-
sale Anschwellung in die stäbchentragenden Endschläuche über-
gehen und damit also gegenüber dem gewöhnlichen Verhalten eine
nicht zu verkennende Abweichung begründen“. Also blos eine
Ausnahme soll dies Verhalten sein; hätte Graber sich die Mühe
gemacht, eine beliebige Zycosa- oder Saltieus-Art auf ihren Augen-
bau zu prüfen, so würde er wohl gefunden haben, dass es sogar
für eine bestimmte Augenform geradezu Regel ist, die die Rich-
tigkeit seiner Prämissen einfach über den Haufen wirft.
1) Nur eine kleine technische Notiz: will man durch Tinctionsmetho-
den das in Frage stehende vordere Mittelauge von Epeira prüfen, so ist eine
vorherige Pigmentzerstörung, welche häufig die Tinction erschwert, über-
flüssig, da die Stäbchenregion hier pigmentfrei ist.
428 H. Grenacher:
Freilich geht es auch hier ohne „Ganglienzellen® nun einmal
nicht ab, nur liegen sie leider in einem ganz anderen Theile des
Auges, im äusseren Winkel desselben, wo sie „eine Anhäufung
dieker Ganglienzellen mit sehr deutlichen Kernen, die jenen des
Vorderauges sozusagen identisch sind“ bilden; dabei entgeht ihm
aber ihre völlige Unabhängigkeit von den ersteren Elementen nicht,
sie sind also für seine Auffassung unbrauchbar.
Mir selbst ist das hier berührte Faetum nicht neu; ich kenne
es schon seit der Zeit der Drucklegung meines Buches, als es für
eine Erwähnung darin leider schon zu spät war. Ich kann hier
noch ergänzend hinzufügen, dass in diesem äussern Retinawinkel
nicht nur Zellen mit basalen Kernen sich finden, die ganz denen
des Vorderauges gleichen, sondern auch Stäbchen, die ebenfalls
mit jenen des Vorderauges übereinstimmen, namentlich auch
darin, dass sieh vor ihnen keine Kerne mehr nachweisen
lassen. Sie sind freilich auf Schnitten nicht leicht gleichzeitig
mit jenen Zellen, die nicht gerade, sondern mehrfach gebogen
verlaufen, zur Ansicht zu bringen, so dass zwar ihre Zugehörigkeit
zu diesen Zellen sich mit allem Grund vermuthen lässt, aber nicht
zur Evidenz zu demonstriren ist. Ueberdies findet sich in dieser
Region auch ein störender Streif Tapetum. Ich meinerseits ziehe
demnach aus diesen Beobachtungen einfach den Schluss, dass zwar
wohl der weitaus überwiegende Theil der Retina (wie namentlich
Flächenschnitte durch diese besonders deutlich zeigen) in einer
von der des Vorderauges abweichenden Weise gebaut ist, dass
aber doch ein kleiner Theil ihrer Elemente hinsichtlich ihres typi-
schen Baues mit jenem des Vorderauges übereinstimmt. Eine Er-
klärung dieses seltsamen Verhaltens, das sich, wie ich sicher weiss,
auch im entsprechenden Auge von Argiope Brünnichü (Epeira fas-
ciata), und, wie ich glaube, ausserdem noch in den Augen einer
Reihe anderer Spinnen (Zegenaria, Argyroneta ete.), aber noch
verwickelter und schwieriger zu deuten, wiederholt, muss vorläufig
als unmöglich zurückgeschoben werden; wir können daraus bloss
ersehen, wie viel es hier noch zu thun giebt. Wenn auch die An-
deutung Graber’s, dass es sich eventuell um ein unterhalb des
gemeinsamen Glaskörpers differenzirtes „subordinirtes Binnenauge“
handeln möge, unmöglich ernst zu nehmen ist, so soll doch
sein Verdienst, zuerst darauf aufmerksam gemacht zu haben, nicht
geschmälert werden.
Ueber dig Augen einiger Myriapoden. 429
Nachdem ich nun auch für die Spinnenaugen die Graber’-
schen Berichtigungen in ihrem wahren Werthe gezeigt zu haben
glaube, möchte ich nur noch anführen, dass ich seit der Publication
meines Buches noch mehrfach Untersuchungen über die dort noch
behandelten Gattungen neu angestellt habe, in der Hoffnung einige
früher noch unklar gebliebene Punkte aufhellen zu können. Aber
hinsichtlich der Kernvertheilung sind meine Resultate die gleichen
geblieben. Damit ist auch schon meine Ansicht über die auch bei
Spinnen von Graber andeutungsweise gesehenen „Mittelkerne“
ausgesprochen, und die ihm gelungene Tinetion derselben (l. e.
pag. 75) beweist für mich um so weniger, als ja auch jene omi-
nösen „Ganglienzellkerne“ des Scorpionauges sich auf’s Schönste
färben lassen. Vielleicht haben wir es hier mit analogen Gebilden
zu thun.
Weit kürzer können wir die andern Controversen erledigen.
Graber ist auch nicht damit einverstanden, dass ich früher
gesagt habe, für einen directen Zusammenhang zwischen Stäbchen
und Nervenfaser fehlen im Arthropodenauge noch alle Indieien.
Dass er selbst solche Indicien aufgefunden hätte, die sich mit
einiger Aussicht auf Beachtung als solche ausgeben könnten, wird
er doch kaum behaupten wollen; dass er aber auf Grund meiner
eigenen Abbildungen mir die Berechtigung zu jenem Ausspruche
streitig machen will, zeugt von einer Neigung zu Schlüssen, zu
denen die Thatsachen nicht berechtigen. „Indieien“ nennen
wir auf Deutsch „Anzeichen“; wenn die Stäbehen in vielen Fällen
eine scharfe Abgrenzung nach hinten nicht erkennen lassen, son-
dern sich allmählig in dem Inhalt der zu ihnen gehörigen Zelle
zu verlieren scheinen, so ist dies an sieh noch kein „Anzeichen“
dafür, dass sie sich in eine, in das andere Zellenende eintretende
Nervenfaser fortsetzen — um so weniger, wenn in andern völlig
analogen Fällen eine scharfe Abgrenzung der Stäbchen nach hinten
einem solchen Zusammenhang oder Uebergang entschieden wider-
spricht. Hier sind es diese negativen Instanzen, die das Urtheil
über die ersteren, für sich indifferenten, bestimmen müssen.
Auch hinsichtlich der „praeretinalen Zwischenlamelle“, wie
Graber eine von ihm aufgefundene Cutieula zwischen Glaskörper
und Retina zu nennen vorschlägt, dürften einige einschränkende
Bemerkungen wohl am Platze sein. Zuerst hat er sie bei den
Seorpionen nachgewiesen, wo sie in der That durch ihre ansehn-
430 H. Ernacher
liche Stärke gar nicht zu übersehen ist; dann aber bei Spinnen,
wo sie weit zarter und feiner auftritt. Auch bei diesen glaube
ich ihn im Rechte; wenigstens haben meine neueren Beobachtungen,
besonders an den Vorderrandaugen von Lycosa spee.!) mir wieder-
holt Bilder geliefert, die sich gut mit dieser Deutung vertragen,
und es mir in der That und ganz ausnahmsweise gestatten, einer
Graber’schen Berichtigung meiner eigenen früheren Beobachtungen
zuzustimmen. Weniger aber kann ich seiner Neigung zu genera-
lisiren beipflichten, denn er nimmt ohne Weiteres die Existenz
dieser Membran in allen Stemmata’s als erwiesen an. Bei den
Augen der Wasserkäferlarven glaubt er a priori ihre Existenz vor-
aussetzen zu dürfen, und in einer Note fügt er hinzu, dass er sie
wirklich später auch aufgefunden habe (l. e. pg. 67). Ich muss
gestehen, dass ich seiner Angabe, die ich selbst noch nicht nach-
prüfen konnte, bis dahin um so weniger Gewicht beimessen kann,
als er ganz mit derselben Bestimmtheit die Existenz einer der-
artigen Cuticula auch bei Myriapoden behauptet, wobei er sie
freilich an völlig unmöglichen Orten auftreten lässt. Ebensowenig
glaube ich seine daraus gezogenen, aber nur andeutungsweise mit-
getheilten Folgerungen als berechtigte anerkennen zu können, da
die Genese des zweischichtigen Stemma aus der Hypodermis, auf
welche die Analogieschlüsse hinweisen, auch mir noch völlig un-
klar und erst durch die direkte Beobachtung zu ermitteln ist.
Damit kann ich diesen Abschnitt beschliessen, obschon ich
mich noch mit einer Reihe von Ansichten und Beobachtungen
Grabers, sowohl in dem eitirten Aufsatze als in dem über das
Annelidenauge, im Widerspruche weiss. Nach dem von mir Vor-
gebrachten muss ich alle auf die Kernverhältnisse des Retina-
elementes bezüglichen Angaben und Deutungen Grabers als völlig
verfehlte betrachten, und kann nur in dem Nachweis einer Cutieula
zwischen Retina und Glaskörper des Spinnenauges eine wirkliche
Berichtigung finden.
1) Besagte Lycosa, eine grössere süddeutsche Art, zeigte mir, beiläufig
bemerkt, auch, dass die von mir gegebene Darstellung der Stäbchenverthei-
lung der Vorderrandaugen nicht allen Arten dieser grossen Gattung zukommt.
Bei ihr fand ich die Stäbchen nicht auf einen Theil der Retina beschränkt,
wie meine Abbildung (l. c. Taf. III, Fig. 22) zeigt, sondern über die ganze
Retina verbreitet, ähnlich wie beim entsprechenden Auge von Epevra.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 431
I.
Die in der frühern Literatur über das Arthropodenauge zer-
streuten spärlichen Notizen über das Sehorgan der Myriapoden !)
speciell heranzuziehen, lohnt für unsern Zweck um so weniger der
Mühe, als eine Vergleichung der neuern Resultate mit den früher
gewonnenen keine Ergebnisse von irgend welchem Belang in Aus-
sicht stell. Auch eine Vergleichung der Ergebnisse mit den von
Sograff?) gewonnenen, die noch vor der Graber’schen Arbeit im
Drucke erschienen sind, ist durch die aphoristische Fassung, in
der sie bis jetzt vorliegen, kaum möglich. Während Graber eine
besondere Besprechung der Augen von Scolopendra, Lithobius und
Julus für überflüssig hält, da sie mit den Stemmaten der Spinnen
und Inseeten in den wesentlichsten Punkten übereinstimmen sollen,
werden wir sehen, dass sie eine solche kurze Abfertigung doch
nicht ganz verdienen. Auch Sograff findet von seinem Unter-
suchungsmaterial (Scolopendra, Lithobius und Cermatia), dass die
ersteren beiden gänzlich mit den Augen der Acslwuıs- und anderer
Käferlarven, sowie mit den Spinnenaugen übereinstimmen, was
doch wohl etwas schwer zu vereinigen sein dürfte, wenn man den
tiefgreifenden Unterschied zwischen jenen beiden Augencategorien,
auf den ich besonders aufmerksam machte, nicht unterschätzt.
Meine eigenen Untersuchungen erstrecken sich auf folgende
Formen:
1. Heterostoma australicum
2. BDranchiostoma australicum
3. Cormocephalus foecundus
4. ei gracılıs
5. Scolopendra morsitans
6. a cingulata
7. R tahıtiana
8. . spee. (grosse Form aus Süd-America)
9 r- spee. (kleine Form aus Corsica)
10. Y spec. (dto. aus Florida)
1) Vgl. darüber: Milne Edwards, Lecons sur la physiologie ete. Vol.
XII. 1876. pag. 240.
2) N. Sograff, Vorläufige Mittheilungen über die Organisation der
Myriapoden. Zool. Anzeiger, II. Jahrg., Nr. 18, pag. 16. — 1879,
432 H. Grenacher:
11. Scutigera (Oermatia) araneoides (aus Süd-Deutsehland und aus
Neapel)
12. Lithobius forficatus
13. Lulus sabulosus
14. Glomeris spec.
Die Nummern 1—5 und 7 verdanke ich dem Mus. Godeffroy,
für Nr. 6, 8 und einige Exemplare von 14 bin ich der Güte des
Herrn Dr. L. Koch in Nürnberg, für Nr. 9 und 10 Herrn Prof.
R. Leuckart in Leipzig, für die Scutigera aus Neapel (Nr. 11), die
vorzüglich conservirt waren, Herrn Dr. W. Spengel in Göttingen
verpflichtet. Allen genannten Herren hier meinen wärmsten Dank!
Wie die vorstehende Aufzählung zeigt, ist trotz der Beschränkt-
heit des Materials im Verhältniss zu dem überhaupt bekannten
doch eine Reihe von Trägern verschiedener Ausbildungsstufen des
Sehorgans Gegenstand der Untersuchung gewesen. Während die
Scolopender bekanntlich jederseits nur 4 Stemmata aufweisen,
steigert sich diese Zahl bei Julus, Lithobius und Glomeris um ein
Ansehnliches, so dass man hier von gehäuften Ocellen spricht;
die Scutigera endlich besitzt eine so grosse Zahl von Einzelaugen,
die sich so innig aneinanderfügen, dass man ihnen ein ächtes
Facettenauge zuschreibt. Der Untersucher dieser Augenformen
sieht sich deshalb einer Reihe von Fragen gegenüber, die zu lösen
er versuchen muss, und zwar sowohl hinsichtlich des allgemeinen
und speciellen morphologischen Baues, als auch des Leistungs-
werthes derselben. Da nachgewiesenermassen das Facettenauge
der Inseeten sich auf die gleiche morphologische Grundlage mit
dem einfachen zurückführen lässt, so gilt diese Frage auch hier;
da dort das Stemma nach Art des Vertebratenauges vermittelst
Bildprojeetion, das Facettenauge aber nach der von J. Müller
formulirten musivischen Weise sieht, so darf man dieser Frage
auch hier nicht aus dem Wege gehen. Wenn diese Probleme,
namentlich das letztere, auch hinsichtlich der am meisten diver-
sirenden Typen der Reihe, der Scolopender mit nur 4 Augen
jederseits am einen Ende, der Seutigera mit einem aus mehreren
Hunderten von Facetten gebildeten zusammengesetzten Auge am
andern Ende der Reihe, eine zweifellose, entscheidende Antwort
in Aussicht zu stellen scheinen, so liegen doch eine Anzahl von
Zwischenstufen vor, diejenigen mit gehäuften Ocellen, für welche
‚eine Antieipation der Entscheidung zum mindesten sehr kühn wäre.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 433
Bei diesen sind die paar Dutzend Augen zu gering an Zahl, um
ohne Weiteres das Zustandekommen einer Gesichtswahrnehmung
auf dem musivischen Wege behaupten zu können; zu gross wieder
auf der andern Seite, um nicht den bekannten, von J. Müller
gelegentlich so lebhaft betonten Einwand von der Unverständlich-
keit eines Gesammtsehfeldes, zusammengesetzt aus einer der Augen-
zahl entsprechenden Anzahl von unter sich verkehrten Partial-
sehfeldern, wieder ins Gedächtniss zu rufen. — Wie sich Sograff
bei seinen Untersuchungen diesen Fragen gegenüber gestellt hat,
kann ich natürlich aus seinen Notizen nicht ersehen; wohl aber
ist Graber ruhig darüber hinweggegangen. Stimmen die Myria-
podenaugen, wie Graber meint, hinsichtlich ihres morphologischen
Aufbaues durchgängig mit den Spinnen- und Insectenstemmaten so-
weit überein, dass man für erstere eine besondere Besprechung
nicht mehr nöthig findet, so muss sich das hinsichtlich des aus
ihren Formverhältnissen ableitbaren Leistungswerthes, ihrer opti-
schen Functionen, wohl ebenfalls von selbst verstehen, und dann
sind wir bei der zunehmenden Complication der Fälle bald ad
absurdum, d. h. vor das völlig Unverständliche geführt.
Wie weit meine eigenen hier mitzutheilenden Beobachtungs-
ergebnisse noch von einer nach allen diesen Seiten hin befriedi-
genden Lösung entfernt sind, weiss ich nur zu gut. Hier spielt
auch stark das erreichbare Material herein. Unsere einheimische
Fauna bietet an Myriapoden bekanntlich herzlich wenig, und dies
Wenige stellt schon durch die geringe Körpergrösse und die da-
durch bedingte Kleinheit der Augen, noch mehr aber dureh die
Schwierigkeiten, die sich einer zuverlässige Resultate liefernden
Erhärtungstechnik entgegenstellen, nicht geringe Anforderungen
an die Geduld des Untersuchers. Die grössern Exoten aber sind
nicht leicht und namentlich schwierig in einem Erhaltungszustand
zu erhalten, der, statt allen möglichen Zweifeln Thür und Thor zu
öffnen, die Bildung wenigstens einer subjectiven Ansicht zulässt.
Unter diesen Umständen habe ich blos Formen hier zu besprechen
gewagt, von denen mir eine grössere Anzahl von Exemplaren zur
Verfügung stand, und nur diejenigen Ergebnisse als Thatsachen
angeführt, die sich als die Resultate vielfacher und unter sieh
übereinstimmender Beobachtungen ergeben haben. Nur ganz aus-
nahmsweise haben vereinzelte, nur einmal gemachte Beobachtungen
hier Aufnahme gefunden. — Die innegehaltene Reihenfolge ist eine
willkürliche, lediglich dem allgemeinen Augenhabitus angepasste.
434 H. Grenacher:
1. Augen der Scolopendridae.
Aus der Reihe der oben sub No. 1—10 genannten Vertreter
dieser grossen Familie habe ich für die Schilderung in Wort und
Bild nur eine kleine Anzahl ausgewählt, da der Bau der sämmt-
lichen genannten von mir untersuchten Formen in den wichtigsten
Zügen übereinstimmt, und nur innerhalb mässiger Grenzen Schwan-
kungen beobachtet wurden. Taf. XX, Figg. 1—5, Schnitte durch
verschiedene Augen darstellend, zeigen die Uebereinstimmung des
Baues nicht minder, als die hier sich findenden Differenzen hin-
sichtlich der graduellen Ausbildung der einzelnen Theile. Allge-
mein ist hinter der geschichteten Cornealinse, deren Dicke meist
nur wenig hinter dem aequatorialen Durchmesser zurückbleibt, der
sog. „Glaskörper“ zu finden (Gk der Figg.), der, wie die Linse
aus der Cutieula, seinerseits aus der die Cutieula ausscheidenden
Hypodermis hervorgeht; ebenso allgemein findet sich hinter dem
Glaskörper die mächtig entwickelte Retina, aus einer im Ganzen
etwa halbkugeligen Ansammlung von Zellen (Rz) bestehend, die
an dem einen Ende ein Stäbchen (St) tragen, an dem andern in
eine Faser des Opticus sich fortsetzen. Umschlossen wird das
Ganze durch eine innere Outicula (Cu!) von ansehnlicher Dicke,
der nach aussen noch reichliches Pigment (Pg) aufgelagert erscheint.
Ueber die Linse kann ich einfach auf die Zeichnungen ver-
weisen; sonst habe ich dem, was diese zeigen, nichts hinzuzu-
fügen, als dass ich sie im Allgemeinen weicher und leichter schneid-
bar gefunden habe, als es sonst bei Chitinanhäufungen dieses Um-
fangs gewöhnlich ist.
Die Zusammengehörigkeit von Glaskörper und Hypodermis
(Hy) ist nicht leicht anderswo so in die Augen springend zu
sehen, wie gerade hier. Es fehlen hier nach meinen Erfahrungen
nämlich die den Uebergang zwischen beiden vermittelnden Pig-
mentzellen, die in dem Stemma der Spinnen, Insecten und Insec-
tenlarven als ein diaphragmatischer Ring den Einfall störenden
Seitenlichtes abhalten; höchstens treibt das der Grenzeutieula auf-
gelagerte Pigment in der Peripherie unregelmässige Sprossen zwi-
schen die Hypodermiszellen hinein (Taf. XX, Fig. 2, von Scolop.
tahitiana). Die unter der Cutieula gelegenen Hypodermiszellen
gehen deshalb bei der Annäherung an die stark prominirende
innere Linsenwölbung in rascher Riehtungsänderung auf diese über,
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 435
wobei sie den von der Retina nicht bedeckten Seitentheilen der
Linse noch ungefähr senkrecht aufsitzen, aber, je näher sie der
Retina rücken, um so schräger sich inseriren, um schliesslich der
innern Linsenfläche fast parallel zu streichen (vgl. bes. Fig. 2
| Seolop. tahitiana] und 4 | Heterostoma australicum]). Dabei nehmen
die Zellen sehr rasch an Länge zu, und füllen den schmalen spal-
tenförmigen Zwischenraum zwischen Linse und Retina völlig aus.
Uebrigens sind diese innersten Zellen durchaus nicht immer deut-
lich zu erkennen. Ich habe mehrfach sonst ganz gut erhaltene
Präparate bekommen, bei denen die Retina der Linse ganz unmittel-
bar anzuliegen und der Glaskörper nur eine peripherische Zone
um die letztere zu bilden schien (Fig. 1 von Seolop. tahitiana ;
Fig. 3 von Cormocephalus foecundus). Auch die Kerne sowohl
der Hypodermis- wie der Glaskörperzellen waren nicht immer deut-
lich zu erkennen, doch habe ich sie genügend oft, und dann über
allen Zweifel sicher so gesehen, wie sie die Figuren 2 (Scol. tahi-
tiana) und 4 (Heterostoma australicum) wiedergeben, und es er-
giebt sich daraus, dass auch hierin, wie in der Richtung der Glas-
körperzellen, ein gewisser Gegensatz gegen das Arachnidenstemma
besteht, wo sie immer dicht vor dem innern Ende der Zelle liegen,
während sie hier im Allgemeinen ınehr die Mitte derselben inne-
halten.
Bei einzelnen Exemplaren mehrerer der untersuchten Species,
die oben genannt sind, fanden sich bemerkenswerthe individuelle
Abweichungen, die mir interessant genug erscheinen, um sie hier
besonders zu erwähnen. Besagte Exemplare, die zugleich mit
den andern in meinen Besitz gelangten, zeichneten sich vor der
Mehrzahl der übrigen schon durch das blosse Aussehen, nicht
minder aber auch beim Anfassen aus. Sie waren, statt hornbraun
wie die übrigen, mehr grünlich tingirt, als ob sie zuerst in Chrom-
säure gelegen hätten, wofür aber sonst nichts sprach, ferner war
das Integument weit weniger fest und resistent, sondern weich,
biegsam, fast schlaff. Die vordere Hälfte eines Schnittes durch
ein Auge eines so beschaffenen Exemplares von Dranchiostoma
australicum, Linse, Glaskörper und benachbarte Partien der Retina
darstellend, zeigt Fig.5. Hier fällt zunächst die ungemein geringe
Diekenentwickelung der Linse auf, mit der übrigens auch die
redueirte Leibescutieula vollständig harmonirt. Dafür besitzt der
Glaskörper eine überraschende Mächtigkeit ; seine Zellenlage bildet
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 18. 30
436 H. Grenacher:
eine hinter der Linse an Dieke nicht zurückbleibende, ja sie sogar
an den Rändern noch um ein Beträchtliches übertreffende Schicht,
die übrigens noch mehr als hierdurch durch die Riehtung der
Glaskörperzellen zur Linse gegen die vorhin beschriebenen Fälle
contrastirt. Obgleich auch hier die centrifugale Richtung ihrer
hintern Enden, besonders bei zu den peripherischen Linsentheilen
gehörigen Zellen unverkennbar ist, stellen sich doch die der Lin-
senmitte aufsitzenden Zellen so sehr axial, dass dadurch im Ge-
gensatz zu den als Norm anzusehenden andern Fällen hier eine
continuirliche, in der Dieke nicht allzu variable Glaskörperlage zu
Stande kömmt, die sehr an den Glaskörper im Arachniden- und
Insectenstemma erinnert, und, wie wir sehen werden, der morpho-
logischen Deutung des Ganzen eine nicht ohne Weiteres zu igno-
rirende Schwierigkeit in den Weg legt.
Eine Erklärung dieser auf den ersten Anblick frappirenden
Anomalie glaube ich in Folgendem versuchen zu dürfen. Zunächst
möchte ich nochmals ausdrücklich hervorheben, dass der geschil-
derte Befund blos ein paar Exemplaren verschiedener Species zu-
kam, die anderen zahlreicheren Exemplare aber in keiner Weise
von dem als normal angesehenen Verhalten abwichen. Ich halte
es deswegen für das Wahrscheinlichste, dass die betreffenden Spe-
cimina kurze Zeit vor dem Einsammeln eine Häutung überstanden
hatten, ihre Cutieularbildungen daher noch ziemlich weit von ihrer
Ausbildung entfernt waren, wie die Reduction in ihrer Dieke nicht
minder als ihre andere Färbung anzunehmen nöthigen. Damit
stimmt denn auch die Verdickung der Hypodermis und besonders
des Glaskörpers, dem die Linse ihre Entstehung verdankt, als
auf eine gesteigerte secretorische Thätigkeit hinweisend vollständig
überein; wie nieht minder der noch anzuführende Umstand, dass
bei anderen Exemplaren mit etwas dickerer Cutieula und Linse
sowohl Hypodermis als Glaskörper eine entsprechend geringere
Entwickelung zeigten.
Die überall sehr massige, halbkugelige Retina besteht aus
Zellen, die hinsichtlich ihres Baues in keiner Weise von den früher
von mir beschriebenen Retinaelementen des Spinnen- und Insecten-
auges abweichen. In den von mir untersuchten Fällen mag sich
die Zahl derselben mindestens auf einige hundert belaufen, und
die Zahl der Nervenfasern des Optieus, die, am der Linse ent-
gegengesetzten Pole das Auge erreichend, eine becherartige Um-
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 437
hüllung um dasselbe bilden, um sich mit ihnen zu vereinigen, ist
sicher eine ebenso ansehnliche. Die Zellkörper sind intensiv braun
pigmentirt, ganz oder nur theilweise (Scolop. tahitiana, Pig:o1 12);
die zugehörigen Stäbchen sind überall pigmentfrei und auch nicht
durch Pigmentscheiden von einander getrennt. Der körnige Farb-
stoff der ersteren wird durch verdünnte Mineralsäuren nur schwie-
rig und unvollständig gelöst, aber geröthet (Fig. 4); Aetzkali, in
genügender Verdünnung daraufeinwirkend, entfernt ihn am besten. —
Die Retinazellen sind eylindrisch oder prismatisch, oft auch etwas
spindelförmig aufgetrieben, mit einem einzigen, runden, in den
meisten Fällen (aber nicht immer) deutlichen Kern an demjenigen
Ende, in welches die Nervenfaser eintritt; immer sind sie scharf
und bestimmt von einander abgegrenzt. Ihr relatives Grössenver-
hältniss zum Stäbchen ist bei den verschiedenen Formen schwan-
kend, und bestimmt, wie ein Blick auf meine Zeichnungen lehrt,
hauptsächlich den Habitus der Schnitte dureh die Augen; wo, wie
bei Heterostoma australicum (F ig. 4) sich längere Zellen finden,
sind die Stäbchen kurz, und umgekehrt gehören zu längeren Stäb-
chen kürzere Zellen (vgl. Fig. 1, von Seol. tahitiana , Fig. 3 von
Oormocephalus foecundus, Fig. 5 von Branchiostoma australicum).
Das meist aus runden Körnern bestehende Pigment scheint, wenn
das in Fig. 6 dargestellte Verhalten von Oormocephalus gracilis
(Querschnitt durch die Retinazellen) als das normale angesehen
werden darf, in der Mantelfläche der Zellen abgelagert zu sein,
und die innern Theile derselben freizulassen.
Sehr schwierig finde ich das Studium der zu den Retina-
zellen gehörigen Stäbehen, trotz ihrer meist ansehnlichen Grösse,
weil der Erhaltungszustand derselben meistens in den Spiritus-
exemplaren, wie sie uns zu Gebote stehn, viel zu’ wünschen übrig
lässt. Die Abgrenzung derselben gegen die Retinazellen bietet
der Beobachtung nirgends Schwierigkeit, da sie überall scharf und
bestimmt ist; da die Grenzlinien aller in das gleiche Niveau
fallen, so lässt sich überall (auch wo wie bei Seol. tahitiana nur
der auf die Opticusfaser-Insertion folgende Zellentheil pigmentirt
ist, Fig. 1, 2) die Stäbehenregion mit voller Sicherheit feststellen.
Bei der Mehrzahl der untersuchten Exemplare scheinen sie Ver-
1) Bei Fig. 2, ebenfalls von Scolop. tahitiana, sind die Stäbchen (St.)
nicht in ihrer ganzen Länge ausgezeichnet.
438 H. Grenacher:
änderungen erlitten zu haben, die der Untersuchung wenig günstig
sind, vor Allem hinsichtlich ihres Lichtbrechungsvermögens, das
sich meist als sehr schwach (verglichen mit dem in andern Arthro-
podenaugen) herausstellte. Am störendsten war aber jedenfalls
die Verkittung derselben zu einer gestreiften Masse, innerhalb
deren sich die Conturen der Einzelstäbchen schwer oder gar nicht
verfolgen, kurz, nähere Details über ihren eigentlichen Bau nicht
gewinnen liessen (vgl. Figg. 1—3, Scol. tahitiana und Cormocephalus
foecundus). In andern Fällen gestaltete sich die Sache in sofern
günstiger, als sich die Stäbchen mit voller Bestimmtheit als von
einander isolirte, stark lichtbreehende eylindrische Bildungen con-
statiren, und so die aus dem obigen Befunde sich erhebenden
Zweifel an ihrer Stäbchennatur beseitigen liessen (vgl. Fig. 4,
Heterostoma australicum und Fig. 5, Branchiostoma australicum,
St.). Am günstigsten aber für die Untersuchung erwiesen sich
die oben besprochenen Exemplare mit dünner Cutieula und Linse,
wohl weil bei ihnen das schwächere Integument ein leichteres
und rascheres Eindringen des Alkohols und dadurch eine bessere
Conservirung ermöglichte. Bei diesen habe ich mehrfach das
Verhalten beobachten können, welches die Fig. 7 für Cormocephalus
gracilis versinnlichen soll; die Abbildung zeigt Querschnitte durch
eine Anzahl Stäbehen bei sehr starker Vergrösserung, und es
resultirt daraus, dass die Stäbchen rundliche Röhren sind, von
einem ansehnlichen, gegen das freie Ende hin sich verjüngenden
Lumen durchsetzt, das den zugehörigen Retinazellen durchaus fehlt.
Eine Zusammensetzung der Stäbchen aus longitudinal zusammen-
gefügten Stücken, wie sie sonst, im Spinnenstemma namentlich,
vorkommt, konnte hier nicht beobachtet werden. I
Eine besondere und wichtige Eigenthümlichkeit der Retina
ist nun noch nicht zur Besprechung gekommen, nämlich die un-
gewöhnliche Richtung der Retinaelemente im Verhältniss zur Augen-
axe. Vergleichen wir ein Myriapodenauge von dem uns jetzt be-
schäftigenden Bau mit den von mir 1. ec. abgebildeten Spinnen-
oder Insectenaugen, so ergibt sich eine ganz auffällige Abweichung
zwischen beiden dadurch, dass bei den letzteren im Allgemeinen
die Längenaxe des Retinaelements gegen den optischen Mittelpunkt
der Linse gerichtet ist, während sie hier nahezu oder völlig pa-
rallel der Ebene des Linsenaequators verläuft; ja es kann sogar
soweit kommen, dass (wenigstens bei den vordersten Stäbchen)
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 459
die Spitze derselben weiter nach hinten liegt, als der mit der Re-
tinazelle verwachsene Basaltheil. Die Bedeutung dieser eigen-
thümlichen Lagerung für die Schätzung des physiologischen Lei-
stungswerthes der Augen werden wir später zu diseutiren haben ;
hier handelt es sich um die Constatirung des Factums. Diese
Anordnung bedingt es auch, dass die einander gegenüberliegenden
Stäbehen, wie die Figg. 1, 3—5 zeigen, mit ihren Spitzen sich be-
rühren, während ihre Axen mehr oder weniger genau in eine Linie
zusammenfallen, was freilich nieht überall gilt, wie dieselben Figuren
ausweisen; Längsschnitte zeigen deshalb gerade oder im Ziekzack
verlaufende Trennungslinien; an zuweilen beobachteten Querschnit-
ten treten hingegen meist dreistrahlige Spaltenräume im Innern auf.
Hier mag auch der zur Beobachtung gelangten einzelnen
Formen zukommenden Besonderheiten gedacht werden, auf die ich
aber, da ich nicht weiss, wie viel davon dem jeweiligen Erhal-
tungszustand zuzuschreiben ist, kein allzugrosses Gewicht legen
möchte. Zunächst fällt die verschiedene Beschaffenheit der Retina
in der Gegend des Eintritts der Sehnerven auf. Bei Scolopendra
tahitiana zeigt das Pigment dort eine eigenthümliche Ausbuchtung
(vgl. Fig. 1) gegen den Optieus hin, wodurch eine schmale spal-
tenförmige Einziehung angedeutet wird, in der ich wohl noch
die Retinazellen, aber keine zu ihnen gehörigen Stäbehen mehr
habe nachweisen können. Hinsichtlich der letzteren Punkte stimmt
Heterostoma australicum (Fig. 4) damit überein, aber von einer
Ausbuchtung der Retina kann man nieht mehr reden. — Gerade
umgekehrt zeigt Cormocephalus foecundus (Fig. 3) sowie C. graeilis
an besagter Stelle eine Art von papillenartiger Vorragung der
Retina, deren freie, ebenfalls stäbehenlose Zellenenden die Stäb-
chen ihrer seitlichen Nachbarn, die je weiter nach hinten um so
kürzer werden, sozusagen nach vorn drängen. — Aufmerksam
möchte ich ausserdem noch auf Heterostoma australicum machen
wegen der auffallenden Längendifferenzen der Stäbchen in den
verschiedenen Zonen des Auges (Fig. 4). Die kurzen Retinazellen
zunächst am Glaskörper tragen sehr lange Stäbchen; weiter nach
hinten kehrt sich das Verhältniss ziemlich plötzlich um, so dass die
Stäbehen, weiter vorn 21/,—3mal so lang wie ihre Zellen, hier sich
auf die Hälfte der Länge der letzteren, selbst noch weniger verkürzen.
Den das Auge versorgenden Nervus opticus (Op der Figuren)
fand ich immer sehr stark und gut entwickelt, aus sehr zahlreichen
440 H. Grenacher:
Fasern bestehend, die sich mehr oder weniger deutlich in Bündel
sruppiren. In mehreren Fällen wurden zahlreiche im Optieus ge-
legene Kerne beobachtet. — Die Opticusfasern treten beim Ein-
tritt in das Auge becherförmig anseinander, ziehen über die Re-
tinazellenschicht in nach vorn an Dicke abnehmender Lage hin,
und biegen gewöhnlich ziemlich plötzlich, oft fast rechtwinklig
nach den Zellen hin ab. Ihre Verbindung mit den letzteren konnte
nicht mit genügender Schärfe beobachtet werden; doch liegt kein
Grund zu der Annahme eines andern als des bei den übrigen Ar-
thropodenaugen beobachteten Verhaltens vor.
Die das Auge umhüllende Cuticula (Cu!) zeichnet sich bei
den Scolopendriden durch eine auffallende Dieke aus. Sie setzt
sich sowohl auf den Optieus, als auf die innere Fläche der Hy-
podermiszellen der Augenumgebung fort, und lässt bei starken
Vergrösserungen, namentlich bei Kali-Präparaten, deutliche Schich-
tung erkennen (Fig. 8, Cu!, von Heterostoma australicum). — Schliess-
lich habe ich noch des die äussere Augenoberfläche umhüllenden
Pigmentes zu gedenken. Dasselbe ist in mehr oder weniger
dieker Masse angehäuft, am dieksten gemeiniglich an der Linsen-
peripherie, wo es auf die Innenseite der Hypodermis übergeht,
auch unregelmässige Sprossen zwischen ihre Zellen treiben kann
(Fig. 2, Scolop. tahitiana, Pg). Ueberall fand ich es intensiv
schwarzblau, mit Säuren sich röthend (Fig. 4), mit Kali sich schön
indigoblau lösend. — Auch auf den Opticus setzt es sich meist
eine Strecke weit fort, aber nicht in eontinuirlicher Lage, sondern
in unregelmässigen Längs- und Querzügen (Fig. 1). Das körnige
Pigment ist in dicht aneinandergelagerten Zellen eingeschlossen,
die der Cutieula fast wie ein Epithel aufruhen (Fig. 8, Pg, von
Heterostoma australicum); einige gut erhaltene Präparate mit Flä-
chenansiehten der Pigmentzellen zeigten diese als stark in der
Querrichtung des Auges verlängert.
Indem ich hiermit diese Schilderung des Scolopendridenauges
schliesse, brauche ich wohl kaum darauf hinzuweisen, wie wesent-
liche Differenzen sie gegen die Graber’sche Darstellung derselben
Augenform (die von Sograff lasse ich als zu aphoristisch hier
ausser Betracht) darbietet. Graber zeichnet den Glaskörper irr-
thümlich als eine einfache Lage epithelialer gleichlanger und
radiär zum Linsencentrum gestellter Zellen wie bei.den Arach-
niden (l. e. Taf. VI Fig. 17). Auch ist ihm die ganz auffallende
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 441
Richtungsdifferenz der Retinaelemente mit ihren Stäbchen, die er
parallel der Augenaxe streichen lässt, statt annähernd senkrecht
darauf, augenscheinlich völlig entgangen. — Die Stäbchen sind
nach ihm von einem pigmentirten „Endschlauch“ bis an ihr Ende
umgeben (Fig. 18 1. e.), von dem ich keine Kenntniss habe; dass
die unvermeidlichen drei Kerne des „Retinastrahls“ nicht fehlen,
versteht sich fast ebenso sehr von selbst, wie dass ich meinerseits
nur den einen derselben, den von ihm sog. „Ganglienzellenkern“,
der mit dem von mir gezeichneten übereinstimmt, als existenzbe-
rechtigt anerkennen kann. Auch hier findet Graber eine Cutieula
zwischen Retina und Glaskörper, von der ich meinerseits nichts
zu sehen bekommen habe. Dagegen kann ich seiner Angabe, dass
unter der das Auge äusserlich umschliessenden Cuticula die Kerne
der sie abscheidenden Matrix liegen sollen, bedingungsweise zu-
stimmen, da ich einigemal Andeutungen von solehen gesehen zu
haben glaube, freilich nicht mit der Sicherheit, um jeden Zweifel
auszuschliessen.
2. Augen von Lithobius.
An die Augen der Scolopendriden scheinen sich mir, trotz
mancher gewichtigen Differenzen, von den hier überhaupt in Frage
kommenden die von Lithobius am nächsten anzuschliessen. Bekannt-
lich sind sie jederseits in beträchtlicherer Anzahl vorhanden
(einige 30) und in engerer Gruppirung, so dass sie zu den aggre-
sirten oder gehäuften Punktaugen gezählt zu werden pflegen. Die
Einzelaugen sind unter sich nicht völlig gleich gross; auffällig ist
freilich nur die überwiegende Grösse der jederseits am meisten
nach hinten gelegenen. — Ihr Studium fand ich besonders schwierig,
weil die Weichtheile sich nicht leicht so härten lassen, dass man
den Beobachtungen volles Vertrauen schenken darf.
Die Augen stehen auf einer mässig gewölbten Fläche so an-
geordnet, dass ihre Axen, denen der Einzelaugen eines facettirten
analog, unter sich Winkel bilden. Zwischen den fast völlig kreis-
runden Linsen erhalten sich Cutieularstreifen, die, gleich dem übri-
gen Integumente, oberflächlich intensiv tingirt sind; diese Streifen
sind von Porenkanälen durchsetzt, die mit langgestreekten, die
Zwischenräume zwischen den einzelnen Augen erfüllenden Drüsen-
zellen (Dr Fig. 9) in Verbindung stehen. Nach innen zu ist die
442 H. Grenacher:
Augenregion durch ein eutieulares Septum, welches von den Opti-
cusfaserbündeln durchbohrt wird, abgegrenzt.
Einen Längsschnitt durch zwei Einzelaugen eines ziemlich
kleinen Exemplares zeigt die Fig. 9; derselbe ist mit verdinnter
Salzsäure in der Art seines Pigmentes beraubt, dass die Kerne
durch das in Lösung übergeführte Pigment sich tingirten; Fig. 10
stellt einen (etwas schematisirten) Querschnitt durch die Weich-
theile zwischen Linse und Retina dar.
Die Linsen sind schön bieonvex, mit etwas stärkerer innerer
Wölbung. Die Weichtheile bilden einen kurzen, hinten abgerun-
deten überall pigmentirten Cylinder, dessen Länge meist etwas
die Dieke übertrifft, zuweilen aber auch um ein Geringes hinter
ihr zurückbleibt. Vergebens sehen wir uns hier nach einem Glas-
körper um, wie wir ihn bei den Seolopendriden fanden. An der
äussersten Linsenperipherie findet sich ein Kreis kleiner Pigment-
zellen (Pg Fig. 9), welche die Zwischenräume zwischen den ein-
zelnen Linsen überziehen. An sie schliesst sich nach innen, gegen
die Augenaxe hin, ein Kranz grosser prismatischer Zellen an, die,
keilförmig gestaltet, sich zu einem diekwandigen, durch und durch
pigmentirten Hohleylinder zusammenfügen, und der innern Linsen-
wölbung derart aufsitzen, dass nur durch eine die Linsenaxe ein-
schliessende Calotte Licht in das pigmentfreie Innere des Auges
eindringen kann (HZ Fig. 9, 10). Der Binnenraum dieses Hohl-
eylinders ist in einer höchst eigenthimliehen, mir sonst nirgends
bei Arthropodenaugen bekannt gewordenen Weise ausgefüllt; näm-
lich durch sehr zahlreiche, feine, von den innern Zellenrändern
ausgehende und senkrecht zur Augenaxe gerichtete Haare von
ziemlich geringem Lichtbrechungsvermögen, die freilich im Leben
wohl zu einer optisch homogenen Masse zusammengebacken sein
dürften. Die Abgrenzung der Zellen gegen ihren Haarbesatz ist
ziemlich scharf, aber etwas ausgezackt; die Haare selbst leicht
wellig gebogen. Dass es wirkliche Häärchen sind, das sieht man
besonders evident an ihren punktförmigen optischen Querschnitten,
wenn ihre Richtung in die optische Axe des Mikroskops fällt. —
Die sehr deutlichen grossen Kerne dieser Zellen liegen in oder
etwas hinter ihrer Mitte nahe am Aussenrande. Zu Fig. 10, die
einen Schnitt durch diese Zellen darstellt, habe ich zu bemerken,
dass sie nach unvollständigen Schnitten, deren ich eine ziem-
liche Anzahl gesehen habe, ergänzt ist. Die Zahl der Zellen darin
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 443
dürfte für die Mehrzahl der Augen etwas zu gross ausgefallen
sein, und eher den grösseren Augen an der hintern Grenze des
Complexes entsprechen, wo die Elemente numerisch stärker ver-
treten sind.
Den hintern Theil des Auges bildet wieder die halbkugelige,
hier nur von einer geringen Zahl von Zellen (einigen zwanzig nach
meiner Schätzung) gebildete Retina, «deren Elemente durch und
durch rothbraun pigmentirt, gegen die Linse hin scharf abgegrenzt,
pyramidal gestaltet und nach hinten verjüngt sind; hier gehen sie
sehr deutlich (wenigstens die mittleren) in je eine Faser des Op-
tieus über (vgl. Fig. 9, Rz). Uebrigens sind sie unter sich gleich-
lang, und ihre sehr deutlichen Kerne stimmen nach Form und
Lage mit denen der Haarzellen, gie wir vorhin besprochen haben,
so überein, dass man sich der Vermuthung nicht entschlagen kann,
die beiderlei functionell so weit von einander getrennten Gebilde
seien nur Modifieationen ein und derselben Grundlage, wie ich es
schon früher (l. e.) für die entsprechenden Theile der Augen von
Schwimmkäferlarven darzuthun versucht habe. Zwischen ihren
vordern Endflächen und den haarartigen Fortsätzen der vordern
Zellenlage findet sich ein etwa halbkugeliger pigmentfreier Hohl-
raum, in welchem die zugehörigen Stäbchen liegen. Ueber diese
etwas Befriedigendes auszusagen bin ich freilich ausser Stande,
da die Erhaltung und Untersuchung derselben Schwierigkeiten be-
gegnet, die kaum zu besiegen sind. Man kann Dutzende von
Exemplaren untersuchen ohne etwas zu finden, was nur irgendwie
an die anderwärts so bestimmt charakterisirten Stäbehen erinnerte,
und doch spricht alle Wahrscheinliehkeit dafür, dass sie, wenn sie
nicht überhaupt völlig fehlen, gerade hier in diesem Raume und
im Zusammenhang mit den so deutlich in Nervenfasern auslaufen-
den Zellen sich finden müssen. Aber in dem besagten Hohlraum
zeigt sich meistens, ausser blassen und unregelmässigen Körnchen,
so gut wie nichts, was Aehnliehkeit mit Stäbchen hätte. Indessen
hat mir Geduld, vielleicht auch der Zufall, wenigstens soweit ge-
holfen, dass ich nieht nur die Anwesenheit von Stäbchen gerade
hier wahrscheinlieh machen, sondern auch über ihre ungefähre
Lage, Grösse und Form wenn auch nur unbestimmte und unsichere
Anhaltspunkte bieten kann. Was ich hierüber gesehen habe, ist
in Fig. 9 (St) niedergelegt, die ich so gut es anging nach einer
Reihe von unter sich übereinstimmenden Präparaten entwarf. Man
444 H. Grenacher:
erkennt radiäre Trennungslinien, sehr zart und unbestimmt zwar,
aber doch deutlich, die mit den Begrenzungen der Retinazellen
correspondiren. Durch ihre Convergenz nach vorn missen die
durch sie markirten Stäbchen conisch, besser wohl pyramidal ge-
formt sein; die blassen Granulationen sind zuweilen in undeut-
lichen Querreihen angeordnet, so dass man unwillkürlich an jene
so vielfach besprochene „Plättehenstruktur“ erinnert wird. Damit
ist aber so ziemlich Alles erschöpft, was ich darüber sagen kann,
und man sieht leicht, dass die Hauptsache noch erst zu lösen ist.
Endlich habe ich noch einiger Zellkerne zu erwähnen, die
ich zwar nur in einigen Fällen, in diesen aber mit genügender
Sicherheit constatiren konnte. Sie liegen hinter der Linse, auf
ihrer höchsten Wölbung flach ausgebreitet und ziemlich nahe an-
einander (K Fig. 9); in Flächenansichten konnte ich an tingirten
Präparaten einigemal übereinstimmend fünf derselben zählen. Trü-
sen mich meine Erinnerungen nicht, so waren es meist kleinere,
noch nicht ausgebildete Thiere, bei denen ich sie am besten con-
statiren konnte, womit ich übrigens nicht behaupten will, dass sie
bei ausgewachsenen fehlen. Ueber ihre Bedeutung Vermuthungen
zu äussern scheint mir z. Z. noch unstatthaft. — Ferner ist noch
zu bemerken, dass auch hier jedes Auge für sich noch von einer
zarten, sich auf den Opticus fortsetzenden Cutieula (Cul, Fig. 9)
umhüllt ist.
Bei einer Vergleichung meiner Resultate mit denen Graber’s
beschränkt sich die Uebereinstimmung zwischen uns auf die all-
gemeine Form des Auges und auf die Linse; alles Andere weicht
soweit von einander ab, als ob wir himmelweit von einander ver-
schiedene Thiere untersucht hätten. Er zeichnet einen „aus sehr
breiten Pflasterzellen bestehenden Glaskörper“ über die innere
Linsenwölbung (l. ec. Taf. VI Fig. 24), von dem ich keine Kennt-
niss habe; er lässt die Stäbchen parallel der Augenaxe bis gegen
die Linse heranreichen, und versieht sie mit „Endschläuchen“ (ez
seiner Fig.) — kurz, von dem, was ich hier beschrieben habe, hat
er ebensowenig gesehen, wie ich etwas von dem, was er fand,
wiederzufinden im Stande war. Wer der Wahrheit näher gekom-
men ist, wird ja wohl die Zukunft entscheiden.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 445
3. Augen von IZulus.
Die Augen unserer einheimischen Julus-Arten gehören wie
die vorhin besprochenen gleichfalls unter die sog. gehäuften Punkt-
augen; damit scheint aber auch, wenn wir gute Schnitte beider
Formen vergleichen, die Aehnlichkeit erschöpft zu sein. Es
finden sich in der That hier recht gewichtige Unterschiede, die
durch die systematischen Differenzen wenigstens theilweise be-
greiflich erscheinen.
In Fig. 11 habe ich Durchschnitte durch zwei solcher Augen
abgebildet; das eine (1) nach vollständiger Pigmentzerstörung durch
Säure, das andere (2) beim ersten Beginn der Einwirkung derselben.
Das Pigment hat sich hier gerade soweit gelockert, dass die von
ihm verdeckten Theile in ihren allgemeinen Umrissen kenntlich
hervortreten.
Die Cornealinsen, die auf diese Bezeichnung, wie die Fig.
11 (L) zeigt, keinen Anspruch erheben können, erinnern in ihrer
allgemeinen Form auffallend an die von mir früher beschriebenen
Bildungen der Cornea bei Limulus (l. ec. Taf. XL, Fig. 123). Nach
aussen hin ist kaum oder gar nicht von einer Wölbung zu reden;
hervorzuheben wäre hier nur eine leichte Verdiekung der scharf
abgesetzten äussersten Cutieularlage von im allgemeinen linsen-
artiger Configuration. Nach innen springen sie dafür um so mehr
vor, und zwar als massige conische Zapfen mit abgestutzter End-
fläche, die meistens, aber nicht immer, eine leichte, selten regel-
mässige linsenförmige Wölbung zeigt. Wie die ganze Cutieular-
hülle des Thieres sind sie durch und durch verkalkt, und bedürfen,
um schnittfähig zu werden, einer vorsichtigen Auslaugung dureh
Säuren.
Die Mantelflächen dieser Coni sind von Zellen (Pg Fig. 11)
umgeben, die namentlich nach dem Kegel zu starke Pigmentmassen
aufgespeichert enthalten. Diese Zellen scheinen ebenfalls, wie die
analog gelegenen haartragenden Zellen von Zithobius, nur einen
einfachen Kranz um den Kegel zu bilden, d.h. unter sich und mit
dem Kegel gleiche Länge zu haben; doch lässt sich dies nieht mit
voller Sicherheit aus meinen Präparaten behaupten. Die grossen
Kerne sind mit Leichtigkeit nachweisbar.
Hinter der freien Endfläche des Kegels schliessen sich an
diese Zellen die ebenfalls stark pigmentirten Retinazellen an,
446 H. Grenacher:
die in Form und Anordnung, wie Fig. 11 (Rz) lehrt, so sehr mit
den bei Lithobius beschriebenen übereinstimmen, dass ı eine specielle
Darstellung überflüssig erscheint.
Auch hier habe ich mehrfach, wenn auch nicht so oft und
so unzweifelhaft wie bei Lithobius, den Uebergang je einer Faser
des Optieus in eine solche Zelle erkennbar genug eonstatiren können.
Ebenso scheinen sie numerisch ungefähr mit jenen übereinzu-
stimmen. — Ganz abweichend verhalten sich jedoch die zugehö-
rigen Stäbchen, für die ich überhaupt, ausser bei der nachher zu
besprechenden @Glomeris, kein Analogon bei den Arthropoden kennen
gelernt habe. In der Abbildung habe ich zwei gleich häufig vor-
kommende Ansichten, in denen sich die Stäbehen zu präsentiren
pflegen, nebeneinander vereinigt; die anscheinend so verschiedenen
Formen des Auftretens, wie sie die mit 1 und 2 bezeichneten
Augen der Fig. 11 zeigen, erklären sich leicht aus der Vergleichung
mit Fig. 12, welche diese Region im Querschnitte zeigt, und aus
der sich jene Bilder als Schnitte das eine Mal der Länge, das
andere Mal der Quere nach durch die ovale Stäbehenlage heraus-
stellen. — Die Einzelstäbehen sind hier relativ stärker lichtbrechend
und weit resistenter als bei Zithobius, also auch weit leichter
wahrzunehmen; sie sehen aus wie kurze, starre, dicht aneinander-
liegende Borsten, und auch auf ihren optischen Querschnitten er-
kennt man ohne besondere Schwierigkeit das auch bei sehr starken
Vergrösserungen noch sehr feine und zarte Mosaik derselben.
Sie erscheinen meist zu einzelnen streifenförmigen Bündeln in
longitudinaler Anordnung vereinigt, doch könnte dies möglicher-
weise Kunstprodukt sein. Das Wichtigste aber ist die T’hatsache,
dass die Zahl dieser Stäbchen die der Retinazellen um ein Be-
deutendes, ja um das Vielfache übertrifft, eine ganze Anzahl der
ersteren also auf je eine der letzteren kommt, so dass man das Ver-
halten der Stäbchen zu ihren Zellen am ehesten mit dem bürsten-
artig modifieirter Haare eines Flimmerepithels zu ihrem Substrate
vergleichen könnte. — Ferner ist noch auf die horizontale Richtung
der Stäbchen, die ganz mit der bei den Scolopendriden hervorge-
hobenen übereinstimmt, hinzuweisen. Wohl finden sich öfters, doch
nicht immer, im Grunde des von den Stäbchen eingenommenen
haumes dem Lichte entgegengerichtete, diese treten aber vor der
Masse der übrigen, die vor ihnen liegend sie völlig bedecken, be-
deutend zurück.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 447
Endlich wären noch besondere der Retina aufgelagerte Pigment-
zellen zu erwähnen. In dem noch mit Pigmentirung versehenen
Auge 2 der Fig. 11 sind schmale Pigmentzüge angegeben, die, aus
der Hauptmasse des Pigmentes anscheinend heraustretend, sich
gegen die Optieus-Insertion hin ausdehnen; in entfärbten Augen
sind diese Streifen verschwunden, doch erkennt man dafür in ana-
loger Anordnung lange spindelförmige Kerne (Pg! Fig. 11, 1),
die ich um so mehr auf jene Pigmentstreifen zurückführen muss,
als sie mit den Kernen der Retinazellen, wie dieselbe Figur zeigt,
nichts gemein haben. In den Fig. 12 gezeichneten Querschnitten
war, da Manches hier zu wünschen übrig liess, von diesen Kernen,
resp. Zellen nichts zu erkennen; doch habe ich seither deutlich sie
auch an analogen Präparaten auffinden können. — Weitere Pig-
mentzellen finden sich zwischen den Basen der Linsenkegel an der
Cuticula.
Eine stärkere Cutieula, von den Opticusästen durchbohrt,
grenzt auch hier den Augencomplex nach innen vom Ganglion
opticum ete. ab; eine sehr feine Cuticula umhüllt die Einzelaugen
und die Optieusäste.
Auch von den Augen dieser Thiere hat Graber bildliche Dar-
stellungen gegeben, deren Genese mir völlig unbegreiflich ist (l. e.
Taf. VI, Fig. 21. 22). Er zeichnet die ganzen inneren Kegelpro-
tuberanzen als von einer doppelten Zellenlage umschlossen; die
innere, einem Pflasterepithel nach seiner Zeiehnung vergleichbare,
soll ein Glaskörper sein, die äussere eine Retina mit Ganglien-
zellkernen und Stäbchen, beide dureh eine Cutieula von einander
getrennt.
4. Augen von Glomeris.
Die Augen von Glomeris nehmen hinsichtlich des äusseren
Habitus eine Art von Mittelstellung zwischen denen von Lithobius
und von Julus insofern ein, als sie mit ersteren die Configuration
der Linse, mit letzteren die der Retina in den wesentlichsten Merk-
malen theilen (vgl. Fig. 13). Ich kann mich um so mehr auf eine
kurze Besprechung derselben beschränken, als das von mir ver-
arbeitete Material weder sehr reichlich, noch hinsichtlich seiner Er-
haltung ein besonders günstiges war, und ich deshalb auch nicht
im Stande bin, für die Vollständigkeit und Correetheit meiner
448 H. Grenacher:
Beobachtungen in dem Grade einzutreten, wie bei den andern
Gattungen.
Die ungleich grossen Einzelaugen stehen ansehnlich weiter
von einander ab, als bei Lithobius und Julus. Die schön sphärisch
sewölbten Linsen derselben prominiren nach aussen wie nach innen
beträchtlich, und sind, wie bei letzteren, mit dem ganzen Integu-
mente verkalkt. Ein besonderer Glaskörper scheint ebenso wie
bei den beiden Gattungen zu fehlen, wenigstens habe ich an
meinem Materiale nicht das Geringste von einem solehen wahr-
nehmen können. Die abgerundet kegelförmige Retina, wie bei
Julus namentlich an der Stäbchengrenze stark pigmentirt (Fig. 13, 2),
besteht aus einer ziemlichen Anzahl meist horizontal gelagerter,
deutlich gekernter Zellen, von denen sich die vordersten stäbehen-
losen der Linse seitlich anlegen (Fig. 13, 1). Auf ihrer Aussen-
fläche ist die Lage der Retinazellen von der becherartigen Aus-
breitung der Fasern des Optieus umgeben; letztere sind durch
eine zarte Cuticula von den spindelförmigen Pigmentzellen (Pg),
die in der Umgebung der Einzelaugen sich finden, abgegrenzt.
Wie aus Fig. 13 hervorgeht, sind die Stäbchen dicht hinter
der Linse und fast genau so angeordnet, wie sie in dem Auge
2 Fig. 11 von Julus erscheinen; nur ist, entsprechend der grössern
Tiefe der Retina bei Glomeris, der von der Stäbehenmasse ge-
bildete Zapfen um ein beträchtliches grösser als dort, und zeigt
ausserdem an der Berührungstelle mit der Linse eine basale Ver-
breiterung. — Die Stäbehen selbst sind mir hier weit weniger
selbständig erschienen als bei Julus; sie scheinen blos in der
Gestalt der zart quergestreiften Säume aufzutreten, wie ich sie
in der Zeichnung wiederzugeben versuchte. — Unter den wenigen
befriedigenden Schnitten, die mir gelangen, habe ich keinen zu
Gesicht bekommen, der dem von Julus Fig. 11, 1 abgebildeten
entsprochen hätte; doch deutete öfters eine Einstellung in die
Tiefe auf eine weitere Erstreckung der Stäbehen im Sinne jener
Figur. Den in Fig. 14 abgebildeten Querschnitt durch ein solches
Auge von Glomeris möchte ich nicht gerade als einen Beleg für
jene Ansicht ausgeben, da er ebensowohl ein Schrägschnitt sein
kann; er wurde gezeichnet, weil er an einigen Stellen deutlicher
als Fig. 13 die zu den einzelnen, durch Pigmentanhäufungen kenn-
lichen Zellen gehörigen Stäbehenantheile wahrnehmen liess.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 449
-
5. Auge von Scutigera (Cermatia).
Ein Sehorgan von besonderem Interesse ist das der genannten
Gattung deshalb, weil es von aussen wie von innen betrachtet in
seinem Gesammthabitus durchaus den Eindruck eines zusammen-
gesetzten Auges, wie solche den Insecten und Crustaceen zukommen,
macht, ohne sich doch auf jene zurückführen zu lassen. Dies gilt
sowohl hinsichtlich seiner Architeetur im Ganzen, weil es als aus
einer Anhäufung einer beträchtlichen Anzahl von Einzelaugen her-
vorgegangen betrachtet werden muss, wie auch hinsichtlich seiner
Function, weil, wie dort, die Einzelleistung der. Componenten für
sich der Gesammtleistung durchaus untergeordnet erscheint.
Aeusserlich machen die Augen von Scutigera ganz den Ein-
druck ächter Facettenaugen; sie sind nämlich rundlich dreieckig,
von mässiger sphärischer Wölbung, und mit zahlreichen (einigen
Hunderten) sich dicht berührenden 5—6 eckigen Einzelfacetten,
deren zugehörige Weichtheile radiär nach aussen divergirend an-
geordnet sind; sie weisen mit einem Worte alle jene Bedingungen
seeundärer Natur auf, die ich in meinem Buche (l. e. pg. 2) für
das Inseeten- und Crustaceenauge hinsichtlich ihrer physiologischen
Bedeutung diseutirte. Völlig eigenthümlich ist aber ihr innerer
Bau, ebenso abweichend von dem der Inseeten- und Crustaceen-
augen, wie das Facettenauge von Zimulus (vgl. 1. e. pag. 125 u. ff.
Taf. XI Fig. 123—126), mit dem sie, beiläufig bemerkt, auch keine
nachweisbare nähere Verwandtschaft zeigen. |
Die ziemlich dünnen Cornealinsen (Lf Fig. 15, 17) zeigen
nach aussen eine mässige Convexität; nach innen fand ich sie
individuell verschieden, bald ganz flach convex, bald ganz eben,
und wieder in anderen Fällen selbst leicht concav. Ihr dichter
Anschluss an einander, wie überhaupt ibr ganzer Bau, erinnert
durchaus an das typische Facettenauge.
Nicht minder übereinstimmend mit dem ächten facettirten
Auge scheinen auf den ersten Anblick die hinter den Cornealinsen
gelegenen Weichtheile zu sein. Man glaubt einen zwar etwas
grossen, sonst aber nicht gerade abnormen Krystallkegel hinter
Jeder Linse, hinter diesem wieder eine Retinula mit ihrem Rhab-
dom zu sehen, und wenn auch die beiden letztern dadurch, dass
sie die Mantelfläche des Kegels grösstentheils umhüllen, etwas be-
fremdlich erscheinen, so könnte man doch leicht geneigt sein,
450 H. Grenacher:
darin nur eine eigenthümliche Weiterbildung eines Verhaltens zu
erkennen, das ich schon früher (l. c. Taf. VII, Fig. 75) von Peri-
planeta abgebildet habe. Ja, selbst bis auf weit mehr unterge-
ordnete Dinge scheint sich die Uebereinstimmung zu erstrecken;
es scheinen nämlich auch die von mir als verschiedene Formen
getrennten Pigmentzellen (1‘* Ordnung oder Hauptpigmentzellen,
die im Insectenauge fast immer den Krystallkegel umhüllen; 2ter
Ordnung, die zur optischen Isolirung der Einzelaugen von einander
dienen) in ganz analoger Weise ausgebildet zu sein, wie dort.
Trotz dieser anscheinenden Uebereinstimmung ist der Unter-
schied zwischen beiden Categorien so gross als nur möglich;
sie haben ausser der hier nicht in Betracht kommenden Linsen-
facette fast nichts mit einander gemein, als das Prineip der Com-
bination von an sich nur zu geringfügiger Leistung befähigten
Einzelaugen zu einem Gesammtorgan von weit grösserer Leistungs-
fähigkeit, wobei es freilich, dem Modus dieser Leistung ent-
sprechend, nicht ohne mehrfache, eine gewisse Analogie zeigende
Umbildungen der Einzelbestandtheile des Auges abgeht.
Was nun zunächst den als Krystallkegel angesprochenen
Apparat anbelangt, so erkennen wir bei näherer Prüfung, dass er
unter die früher von mir beschriebenen Formen desselben (bei In-
secten und Crustaceen) nicht eingereiht werden kann. Ich habe
in meinem schon öfters eitirten Werke nach dem Auftreten des
Krystallkegels drei Augenformen unterschieden (l. e. pg. 75):
l. acone Augen, bei denen es zeitlebens nie zur Bildung eines
ächten Krystallkegels kommt, sondern immer vier Zellen an dessen
Stelle gefunden werden; 2. pseudocone Augen, bei denen statt
des Krystallkegels eine ungeformte flüssige Substanz sich findet;
und 3. eucone Augen, bei denen ächte Krystallkegel als cutieulare
Ausscheidungsprodukte von ebensoviel Zellen, als der Krystallkegel
Segmente hat, nachweisbar sind. Da die uns hier beschäftigende
Bildung nach meinen Untersuchungen wenigstens in keine der
genannten Abtheilungen einzureihen ist, so haben wir hier ein
Novum vor uns.
Ueber die Form, Lage und Zusammensetzung des fraglichen
Gebildes, das ich hier zum Unterschiede von den Krystallkegeln als
Krystallkörper bezeichnen will, geben die Figg. 15—18 Auskunft.
Es sind schlanke, mit der Spitze nach innen gekehrte Kegel, deren
Längenverhältniss zur Retinula sechwankend ist, je nachdem das
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 451
Präparat aus der Mitte oder aus den peripherischen Partien des
Auges stammt; die in der Mitte ragen weiter nach innen als die
seitlichen, nehmen dort also einen grösseren Bruchtheil in Anspruch
als hier. Ich habe sie leider im frischen Zustande nicht unter-
suchen können, sondern war ausschliesslich auf Spiritusexemplare
von meistens sehr guter Erhaltung angewiesen. Untersucht man nun
Schnitte von solchen, ohne Zusatz von pigmentzerstörenden Säuren,
so ist die Substanz dieser Kegel zwar stark lichtbreehend, fast wie
bei den Insecten, aber nie so klar und durchsichtig, wie bei diesen fast
immer, sondern leicht granulirt; ausserdem zeigt die Masse auf
Längs- wie auf Querschnitte ziemlich unregelmässige Zerklüftungen.
Lässt man auf derartige Schnitte nun vorsichtig Säuren (ich wandte
Salzsäure an) einwirken, so verändert sich in wenig Minuten, lange
bevor das Pigment Spuren von Einwirkung zeigt, ihr Aussehen
ganz bedeutend. Die Kegelsegmente machen nämlich eine Art
von Lösungs- oder Schmelzungsprocess durch, indem sie unter
völligem Verluste ihres eigenartigen starken Lichtbrechungsver-
mögens, von den Klüften her beginnend, sehr rasch kleiner und
immer kleiner werden, um bald völlig zu verschwinden. An ihrer
Stelle bleibt dann zurück, was meine Zeichnungen zeigen: sehr
unregelmässig den Kegel längs durchziehende, im Allgemeinen von
der Axe aus radiär gerichtete, aber auch häufig ganz willkürlich
kreuz und quer verlaufende Membranen mit starken Faltungen,
und dazwischen allerlei lose Coagula und Granulationen.
Was sind nun diese Kegelsegmente in morphologischer Hin-
sicht? Sind es Zellen, wie im aconen, Cutieularbildungen, wie in
euconen Auge? Ich kann sie für keines von beiden halten, und
weiss sie überhaupt einstweilen nicht unterzubringen. Ich habe
mir alle denkbare Mühe gegeben, um eventuelle Kerne in den
Segmenten, überhaupt im Innern des Kegels, nachzuweisen. Es ist
mir nieht geglückt; ich habe mit keinem Hülfsmittel und an kei-
nem Orte auch nur Andeutungen von Kernen aufzufinden vermoeht.
So, wie sie im fertigen Auge auftreten, können sie meines Erach-
tens also nicht als Zellen angesprochen werden, womit aber selbst-
verständlich nicht gesagt sein soll, dass sie zu keiner Zeit ihrer
Existenz Zellen gewesen seien. Ich halte es im Gegentheil nach
Abwiegung aller Instanzen noch für das Wahrscheinlichste, dass
sie modificirte, ihres Kernes verlustig gegangene Zellen sind
— denn, wie gesagt, ich kann an die Existenz eines Kernes, der
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 3l
459 H. Grenacher:
mir entgangen sein sollte, nach den Dutzenden von daraufhin
aufs Sorgfältigste durchmusterten Schnitten kaum mehr glauben.
— Aber auch dass sie Cutieularbildungen (das Wort im
weitesten Sinne genommen) sind, will mir nicht in den Sinn; wir
hätten dann das Recht, nach den Zellen zu fragen, denen sie ihre
Entstehung verdanken, und da diese, wie die sog. „Semper'schen“
Kerne bei den Krystallkegeln der Insecten und Crustaceen bewei-
sen, doch nicht völlig spurlos zu verschwinden pflegen, hier aber
nichts von ihnen aufzufinden war, so bestimmt mich dies, der
ersten Deutung einstweilen, wenn auch selbstverständlich mit allen
in solehen Fällen gebotenen Reserven, den Vorzug zu geben.
Wie dem nun auch sein möge — optisch vertreten diese
Krystallkörper wohl jedenfalls die ächten Krystallkegel, mögen
sie morphologisch sich auch noch so weit von ihnen entfernen.
Da die Segmente der letzteren bei allen Schwankungen doch
immer bei derselben Form die gleichen Zahlenverhältnisse aufwei-
sen, so lag es nahe, hier das gleiche Verhalten vorauszusetzen.
Indessen scheint das doch nicht zuzutreffen; es ist zwar schwie-
riger, als man glauben möchte, auf Querschnitten bestimmte, sichere,
keinem Zweifel Raum gebende Zählungen vorzunehmen, da die
trennenden Membranen meist recht kraus durch- oder nebenein-
ander herlaufen, doch hat eine Anzahl von Fällen mich überzeugt,
dass die Schwankungen sich zwar innerhalb mässiger Grenzen
halten (6—8 oder 9 Segmente), aber doch von Beständigkeit keine
Rede ist (vgl. Fig. 16, Querschnitte durch die Enden zweier Kry-
stallkörper unweit der Basis)!).
Für die pereipirenden Organe des Einzelauges steht meines
Erachtens nichts im Wege, den schon früher von mir vorgeschla-
genen Ausdruck „Retinula“, der ja nur eine Retina en miniature
bedeutet, die in das Gesammtauge eingeht, beizubehalten; dagegen
könnte hier die Anwendung des Ausdrucks „Rhabdom“, mit dem
ich die zu einem gemeinsamen Stab verschmolzenen Einzelstäb-
chen im höher organisirten Facettenauge bezeichnete, Anstoss er-
regen, da er nur auf den untern Theil des Ganzen passen würde.
1) W. Steinlin (Beiträge zur Anatomie der Retina, in: Verhandlgn.
der St. Gallischen naturw. Ges. 1865/66. pag. 85 des Sep.-Abdr.; Taf. IH,
Fig. 17—19) zeichnet „Krystallkörper“ von „Lithobius“ (wohl sicher nach der
ganzen Form auf Scutigera zu beziehen) fünftheilig.
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 453
Wenn ich ihn trotzdem hier gebrauche, so weiss ich, dass ich der
Kürze des Ausdrucks die Consequenz zum Opfer bringe. Die Reti-
nula mit dem von ihr gebildeten und umschlossenen Rhabdom
zeichnet sich durch eine exquisite Trichterform aus (vgl. Fig. 15,
17); mit ihrem nach vorn geöffneten Vorderende umschliessen sie
eng anliegend die innern zwei Drittel oder drei Viertel des Kry-
stallkörpers, während der innere solide, der Trichterröhre zu ver-
gleichende Theil der das Auge nach innen abgrenzenden Cuticula
aufruht. Das eigentliche Charakteristicum von Retinula und Rhab-
dom aber ist ihre Zusammensetzung aus zwei etagenförmig über-
einander lagernden Zellreihen, von denen die eine, der Trichter-
mündung entsprechende, aus 9—12 Zellen nebst zugehörigen Stäb-
chensäumen besteht, und sich von der andern, innern, die nur aus
3—4 Zellen und Stäbehen sich aufbaut, durch eine feine und
zarte, aber doch ohne besondere Schwierigkeit nachweisbare Tren-
nungslinie abgegrenzt erweist.
Zur nähern Orientirung über die Verhältnisse der Form und
Lage der Retinulaelemente sowie ihrer Stäbchen bitte ich die Figu-
ren 17 und 18, welehe Seitenansichten resp. optische Längsschnitte
(Fig. 18 nur durch den vordern Theil), sowie Fig. 19 A,B, C,
welche Querschnitte durch dieselben in verschiedenen Höhen dar-
stellen, vergleichen zu wollen. Wie man daraus erkennen wird,
sind die Retinulazellen im Allgemeinen prismatisch, mit zwei
geraden Seitenflächen ihre Nachbarn berührend, während die freie
(abaxiale) Aussenfläche, namentlich der hinteren Zellen, mehr un-
regelmässig, oft kantig, vorspringt. Die axialwärts gerichtete
Fläche, bei den Zellen der vordern Reihe ebenfalls eben, bei denen
der hinteren aber durch das hier drehrunde Rhabdom flach rinnen-
förmig ausgehöhlt, trägt den Stäbchensaum, der ein im Allgemei-
nen recht ansehnliches Volumen erreicht, und ein bald (im vordern
Abschnitt) prismatisches, bald (im hintern Abschnitt) als Segment
eines Cylinders auftretendes Ansehen hat. Welche Variationen
hinsichtlich der Grösse und des Aussehens (namentlich der Quer-
schnitte der Stäbehen) sich finden, davon geben meine Zeiehnun-
gen (bes. Fig. 19) wohl eine genügende Vorstellung.
Da die Verengerung des Triehters nach hinten eine ziemlich
beträchtliche ist, die Zählung der Stäbchen einer grössern Anzahl
von Querschnitten sowohl durch den vordern als hintern Theil
desselben aber im Durchschnitt die gleichen Zahlen ergibt, so folgt
454 H. Grenacher:
daraus, dass die Verengerung nicht dadurch entsteht, dass einzelne
Stäbchen, resp. Zellen vor dem hintern Rande endigen, sondern
nur sich verschmälern (vgl. Fig. 19, C, 1., Querschnitt dieht vor
dem blinden Ende des Trichters). Anders aber scheint sich dies
im hintern Theil der Retinula zu verhalten. Hier sind, wie schon
bemerkt, 3—4 Zellen am Aufbau dieses Abschnittes betheiligt, die
senau wie bei den höher differenzirten Formen des Facettenauges
der Inseeten der Länge nach aneinanderliegend ein axiales Gebilde,
aus ebensoviel Einzelstäbehen bestehend als Zellen da sind, aus-
scheiden. Prüft man nun Querschnitte durch diesen Theil (Fig. 19,
B, 1—3; C,2), so wird man wohl ziemlich ausnahmslos (ich kann
mich wenigstens nicht erinnern es anders gesehen zu haben) vier
Zellen in der Umgebung des Rhabdoms finden; liegt der Sehnitt
mehr nach vorn gegen die Trichteröffnung hin, so zeigt sich das
Rhabdom auch meist deutlich 4theilig, aber so, dass fast immer
3 der Segmente ein entschiedenes Uebergewicht über das 4te be-
haupten, während Querschnitte weiter nach hinten meist nur drei
Segmente aufweisen. Hier scheint also ein allmähliges Auskeilen
eines Stäbchens stattzufinden, an dem sich die zugehörige Zelle
nicht betheiligt.
Als ein Punkt von besonderer Bedeutung ist nun noch die
Verbindung dieser Zellen mit den Fasern des Opticus (Op. Fig. 17)
hervorzuheben. Dieser letztere tritt, in sehr zahlreiche, unter der
innern Cuticula (Cu) in regelmässiger Anordnung sieh ausbrei-
tende Aeste gespalten, wie bei den Facettenaugen der Inseeten
und Crustaceen zu den Einzelaugen heran. Bei diesen letzteren
ist es mir nur ganz ausnahmsweise gelungen (vgl. l. ec. Tai. VII
Fig. 44 von Tipula), durch die Beobachtung des Eintritts der Ner-
venfaser in die Retinulazelle den Nachweis zu führen, dass die beim
einfachen Auge so allgemein beobachtete Form des Uebergangs
der Nervenfaser in die Substanz der stäbchentragenden Zelle auch
hier Geltung hat, und andere Formen, etwa freie Nervenendigung,
oder directe Verbindung der Nervenfasern mit den Stäbchen einst-
weilen ausserhalb der Wahrscheinlichkeit liegen !). Nun ist klar,
1) Claus (Organismus der Phronimiden, in: Arb. Zool.-zoot. Inst. Wien
II. Heft 2. page. 70 d. Sep.-Abdr.) scheint aus der Seltenheit jener Beobach-
tungen sowohl, wie aus dem röhrigen Bau der Retinula der Phronimiden
eine solche freie Nervenendigung noch immer für möglich, resp. bedingt
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 455
dass für die beiden Zellenreihen, welehe den vordern und hintern
Abschnitt der Retinula zusammensetzen, auch gesonderte Nerven-
verbindungen existiren müssen, wenn sie morphologisch und func-
tionell mit den entsprechenden Perceptionsorganen der Insecten
und Crustaceen gleichwerthig sind. Für die inneren Zellen, die
mit breiter Basis der untern Grenzeutieula aufsitzen, ist dieser
Nachweis nun freilich mit nicht geringeren Schwierigkeiten ver-
knüpft, als bei den andern Facettenaugen überhaupt, und in der
That ist es mir aueh nie gelungen, ein deutliches Durchtreten einer
Nervenfaser durch die (im optischen Schnitte gesehene) Cutieula
und Vereinigung derselben mit der Substanz der Retinulazellen
zu beobachten, was freilich bei den winzigen Dimensionen u. s. w.
der hier in Frage kommenden Gebilde nicht überraschen kann. —
Anders sieht es mit den äussern Retinulazellen (RI! Fig. 17, 18)
aus, die um die ganze Länge der innern (RIT) von der Optieus-
ausbreitung entfernt sind. Diese gehen an ihrem Hinterende, und
zwar an einem nach aussen (abaxial) gerichteten Zipfel in je eine
feine Faser aus (N, Fig. 17, 18), die, den innern Retinulazellen
äusserlich aufliegend, sich nach hinten bis zur Cutieula verfolgen
lässt, um dort freilich sich den Blieken zu entziehen. Dies Ver-
halten, zwar schwierig und nur mit ebenso starken als scharfen
Vergrösserungen bei Exemplaren bester Erhaltung zu beobachten,
habe ich so oft eonstatirt, dass alle anfänglich dagegen gehegten
Zweifel nothwendig verschwinden mussten, und wie ich glaube
wird auch eine objeetive Beurtheilung an der noch nicht beobach-
teten Perforation der Cutieula durch die Nervenfasern keinen An-
stoss nehmen. — Bemerkt mag auch noch werden, dass die Quer-
schnitte durch die innersten Partien der Retinula nicht selten noch in
ihrer Umgebung die punktförmigen Querschnitte dieser Fasern zeigen.
Die Kerne der Retinulazellen liegen bei beiden Abschnitten
nahe an den Vorderenden; sie sind mit Leichtigkeit (an entfärb-
ten Präparaten besonders) nachzuweisen, namentlich leicht dann,
wenn sie mit gelöstem Pigmente, das sie begierig aufnehmen, im-
bibirt sind. Mehr Kerne in den Retinulazellen nachzuweisen, als
die gezeichneten, ist mir hier ebensowenig als bei anderen Myria-
poden oder sonstigen Arthropoden gelungen.
Ich möchte nun noch die Aufmerksamkeit auf eine Struktur-
wahrscheinlich zu halten. Vielleicht dient auch der vorliegende Fall dazu,
seine etwaigen Bedenken beseitigen zu helfen.
456 H. Grenacher:
eigenthümlichkeit der Stäbchen lenken, die mir nicht häufig,
aber doch ein paarmal vorkam, und welche Fig. 18 versinn-
lichen soll. Während nämlich die Stäbehensäume im Allgemeinen
durch ihre klare und homogene Beschaffenheit, sowie durch ihre
relativ starke Liehtbrechung sich auszeichnen, habe ich bei sonst
sehr gut erhaltenen Exemplaren zuweilen Stäbehen getroffen, die
durch eine feine und zarte, sonst aber nicht gerade sehr regel-
mässige Querstreifung den Eindruck etwa der bekannten „Plätt-
chenstruktur“ machen, oder noch besser, als ob sie wieder aus
einer Unzahl winziger mit einander verlötheter, horizontal gerich-
teter Stäbchen bestünden (Fig. 15, Rm'). Ob wir hier Anklänge
an die Stäbchenbildung bei Julus und Glomeris vor uns haben,
d. h., die Stäbehensäume von Scutigera als aus einer grossen An-
zahl einzelner Häärchen hervorgegangen ansehen müssen, ist natür-
lich nicht so ohne Weiteres zu entscheiden.
Die Pigmentirung des Auges beruht theils auf der Ablage-
rung von Pigmentkörnern in den Retinulazellen selbst (vgl. Fig. 15),
theils in der Ausbildung besonderer Pigmentzellen. Erstere sind
namentlich reich pigmentirt in der unmittelbaren Nachbarschaft
der Stäbehen. Von den Pigmentzellen lassen sich drei distinete
Formen unterscheiden. Zunächst ist die Basis der Krystallkörper
von einem Kranze grosser abgeplatteter Pigmentzellen umgeben,
welche den Zwischenraum zwischen dem Vorderrande der Retinula
und der Corneafacette erfüllen, und den Einfall alles anderen als
des durch die letztere kommenden Lichtes völlig hindern (Figg. 15
—18, Pg.). Auch hier scheinen keine constanten Zahlen zu herr-
schen, 8—10 dürfte aber etwa der Regel entsprechen. Nur selten
sind sie übrigens so stark vorgewölbt, wie Fig. 16 (Querschnitt)
sie zeigt; meist sind sie ganz flach, dann aber schwierig zu zäh-
len. — Die zweite Form liegt zwischen den Einzelaugen, ungefähr
in der gleichen Höhe mit den vorigen, d. h. mit ihren Kernen
(Fig. 17, 18, 19, Pg!.). Diese sind lang spindelförmig ausgezogen,
vielleicht sogar Pigmentfäden, die bis zur inneren Cuticula reichen,
was nach geschehener Entfärbung sich freilich nur schwierig con-.
statiren lässt. Der ersten Kategorie kommen scheibenförmig ab-
geplattete, der zweiten spindelförmige Kerne zu. — Eine dritte
Reihe findet sich am hinteren Abschnitt der Retinula, dieht hinter
dem Ende des Krystallkörpers (Fig. 18, 19, C, 2. Pg!T), wo sie
auf oder zwischen den Retinulazellen liegen, mit ihren Kernen
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 457
etwa im Niveau der letzteren, von diesen aber durch ihre ebenfalls
langgezogene Gestalt auf den ersten Blick zu unterscheiden. —
Endlich wäre noch die dichte Pigmentirung der Sehnerven und der
innern Cuticula zu erwähnen, die aber nicht näher geprüft wurde.
Damit habe ich meine Erfahrungen über diese interessante
Augenform und zugleich über die Augen der Myriapoden über-
haupt erschöpft. Sehen wir nun zu, ob und wie sich die hier
mitgetheilten Resultate zusammenfassen und in physiologischer
Hinsicht verwerthen lassen.
In morphologischer Beziehung stossen wir gleich beim An-
fang auf ernstliche Schwierigkeiten in sofern, als eine der Haupt-
fragen sich meines Erachtens mit dem vorliegenden Materiale nicht
genügend lösen lässt; nämlich die Frage, ob die Weichtheile des
Myriapodenauges im Allgemeinen als einschichtig oder als
zweischichtig zu bezeichnen sind. Ich habe in meinen frühern
Untersuchungen auf die einfachen Augen der Larven einiger
Wasserkäfer, besonders von jungen Dytiscus- und von Acilius-
Larven besonders hinweisen können, weil bei diesen das Hervor-
gehen nicht nur des Glaskörpers, sondern auch der Retina aus
den Elementen der Hypodermis sich durch die ununterbrochene
Continuität manifestirt; ich habe dann ferner den Gegensatz be-
tont, in dem sich die Stemmata der Spinnen und Insecten zu jenen
dadurch befinden, dass durch die Unterbrechung jener Continuität
die Retina ein Stratum für sich bildet, dessen aus allgemeinen
Gründen wahrscheinliche Entstehung aus der Hypodermis aus der
anatomischen Anordnung der Theile allein sich nicht mehr er-
schliessen lässt. Wie verhalten sich nun die Myriapodenaugen zu
jenen beiden Formen? So einfach wie Sograff können wir uns,
glaube ich, nieht aus der Affaire ziehen, der, jenen gewichtigen Unter-
schied anscheinend völlig ignorirend, sagt (l. c.): „Die Augen der Litho-
bien und Scolopendren gleichen gänzlich den Augen der Aeilius-
und anderer Käferlarven, sowie den Spinnenaugen“. Hier kann es
für den Einzelfall nur heissen: entweder — oder; und zur Verein-
fachung der Frage trägt es sicherlich nicht bei, wenn wir bei ver-
schiedenen Exemplaren ein und derselben Art hier Thatsachen be-
obachten, die nur in dem einen Sinne deutbar sind, dort aber
wieder andere, die schnurstracks die entgegengesetzte Interpretation
nöthig machen.
458 H. Grenacher:
In der That, hätte ich blos Präparate zu Gesicht bekommen,
wie sie Fig. 1—4 von Scolopendern, Fig. 11 und 13 von Julus
und Glomeris zeigen; hätte ich ferner nicht gelegentlich die mit
K bezeichneten Kerne hinter der Linse von Lithobius (Fig. 8) be-
merkt — nach kurzer Ueberlegung würde wohl mein Urtheil sich
für die Einschichtigkeit der Weichtheile des Myriapodenauges, und
für den Anschluss an das der Wasserkäferlarven haben entscheiden
müssen. Denn trotz aller als secundär zu betrachtenden Unter-
schiede in der Form- und Grössenentwickelung der Einzelbe-
standtheile spricht die Anordnung der Elemente des Glaskörpers
der Scolopender, mit ihren nach aussen gewandten Enden, so-
wie die Anlagerung der gleichgerichteten Retinazellen an jene,
gewichtig genug für eine Vergleichung in jenem Sinne. Noch
weniger zweifelhaft kann die Einschichtigkeit der Augen von Julus
und Glomeris sein, obgleich hier durch den Ausfall des Glaskörpers
die Aehnlichkeit mit den Augen jener Käferlarven in den Hinter-
grund tritt. Nun halte man aber daneben die Fälle wie Fig. 5 uns
einen zeigt, in denen, von geringfügigeren Differenzen ganz abge-
sehen, der Glaskörper, nach der Art des Spinnenauges angeordnet,
eine eontinuirliche unter der Linse hinziehende Schicht, anscheinend
völlig ausser Uonnex mit der Retina stehend, bildet — was soll
man dazu sagen? Wüssten wir nicht, dass das Thier, dem dies
Präparat entnommen ist, inandern Exemplaren genau den gleichen
Augenbau wie Fig. 1—4 zeigt, so würden wir in dieser Form ein
ebenso typisches zweischichtiges Auge erkennen, wie im Spinnen-
oder Inseetenstemma. Welchen von diesen beiden Zuständen, die
sich in den verschiedenen Phasen des individuellen Lebens ab-
wechselnd ablösen, sollen wir nun als den primären ansprechen,
um den andern (was an sich keine Schwierigkeit böte) darauf zu-
rückzuführen? Hier, glaube ich, kann blos die Beobachtung der
ersten Anlage in der Entwiekelung eine sichere Antwort geben;
ich wenigstens fühle mich ausser Stande, aus den bisher vorliegen-
den Thatsachen allein zu entscheiden. — Analog steht es bei Zi-
thobius, wo die paar von mir nicht immer gesehenen Zellenkerne
ein Hinderniss bilden, das Auge schlechthin als ein einschichtiges
zu betrachten. Von Scutigera haben wir noch nicht gesprochen,
aus dem einfachen Grunde, weil hier die Elemente des Krystall-
körpers einer morphologischen Deutung sich nicht fügen wollen;
sind es, wie ich oben vermuthungsweise andeutete, ihres Kernes
ur
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 459
verlustig gegangene Zellen, so ist selbstverständlich von einer Ein-
schichtigkeit des Auges nicht mehr zu reden.
Hier tritt uns nun entgegen, dass es hauptsächlich die Chilo-
poden unter dem zur Untersuchung gelangten Materiale sind,
welche zu solchen Zweifeln Veranlassung geben, während die beiden
Chilognathen, Julus und Glomeris, solche weniger anregten —
immer die durch die Untersuchung gelieferten Resultate als zu-
treffende vorausgesetzt. Bei den bekanntlich bedeutenden anato-
mischen Verschiedenheiten, die sonst die beiden Ordnungen von
einander trennen, kann es auch nicht besonders überraschen, wenn
diese auch im Augenbau ihren Ausdruck finden sollten; und es
sollte mich nur freuen, sie constatiren zu können, wenn der jetzige
Zustand unserer Kenntnisse, der jede Formulirung noch verbietet,
nur eine präcisere, minder verclausulirte Fassung gestattete.
Wie wir daraus ersehen, sind auch der Möglichkeit, die hinter
der Linse gelegenen Weichtheile des Myriapodenauges auf einander
zurückzuführen, sehr enge Grenzen gezogen.
Vergleichen wir die Zellen des Glaskörpers der Scolopen-
driden mit denen im Spinnenstemma, so sind wir um beiden ge-
meinsame Züge nicht verlegen. Hier noch weniger als dort ist
ihre Genese aus den Elementen der Hypodermis anzuzweifeln ;
hier wie dort ist die Linse auf sie zurückzuführen, und hier wie
dort tritt uns ihre hervorragende Durchlässigkeit für Licht ent-
gegen. — Schon anders gestaltet es sich bei Lithobius. Statt eines
bestimmten Glaskörperstratum treten uns hier eigenthümliche Zellen
entgegen, die haartragenden Zellen -(H Z Fig. 9, 10): mit der starken
Pigmentirung des Zellenleibes, welche die eine Seite der Function
der Glaskörperzellen ausschliesst, tritt zugleich die Bildung jener
feinen eiliären Anhänge auf, die wir nur hier, bisher sonst nirgends,
finden. Dass sie am Aufbau der Linse sehr wesentlich betheiligt
sein mögen, darauf lässt ihre Lagerung schliessen; dass aber auch
hier ihre Leistung durch die noch so räthselhaften Elemente, deren
Kerne (K Fig. 9) zur Beobachtung kamen, ergänzt wird, ist zum
mindesten nicht unwahrscheinlich. — Bei Zulus und Glomer:s fällt
Alles fort, was irgendwie auf die Bezeichnung „Glaskörper“ Anspruch
erheben könnte; dafür tritt dann die Continuität der Hypodermis
mit den Augenweichtheilen inelusive Retina um so entschiedener
in den Vordergrund. Als unzweifelhaft am Linsenaufbau betheiligt
sehen wir bei Julus diejenigen Pigmentzellen an, welche den Kegel-
460 H. Grenacher:
mantel der inneren Linsenprotuberanz überziehen; wie aber die
Bildung der abgestutzten Grenzfläche des Conus zu Stande kommt,
das wissen wir einfach nicht. — Dasselbe gilt auch für G@lomeris.
— Bei Seutigera endlich treffen wir wieder anscheinend analoge
lichtdurcehlassende Elemente in einer Beziehung zur inneren Linsen-
fläche (die Segmente des Krystallkörpers), die uns unbedingt auch
die Abhängigkeit der Linse von jenen verrathen würde — wenn
sie eben nur Zellen wären; andere Elemente aber können wir
kaum dafür verantwortlich machen.
Den Beweis zu führen, dass auch die Zurückführung der Re-
tinaelemente auf die Hypodermis in allgemeiner Weise zur Zeit noch
nicht gelingen kann, das darf ich mir wohl ersparen. Hoffentlich
sind spätere Forscher glücklicher als ich.
Unabhängig von der Unsicherheit der morphologischen Deu-
tung der einzelnen Augenbestandtheile, nicht berührt von der vor-
läufigen Ergebnisslosigkeit derselben, bleibt die Würdigung der
Leistung des Myriapodenauges, über die noch ein paar Worte ge-
stattet sein mögen.
Während man nach Graber’s Untersuchungen einfach an-
nehmen müsste, dass wenigstens die Augen der Scolopendriden,
sowie von Lithobius und Julus nach Art des Spinnenauges — wir
können auch sagen, des Vertebratenauges — durch Bildperception
funetioniren, unbekümmert um die Schwierigkeiten, die sich bei
letzteren beiden Gattungen aus der grösseren Augenzahl ergeben,
stellt sich nach meinen Untersuchungen die Sache für mich in
einem ganz andern Lichte dar. Weit entfernt, die Bilderzeugung
wenigstens durch die so schön und regelmässig gewölbten Linsen
von Scolopendriden, Lithobius und @Glomeris in Abrede stellen
zu wollen (für Zulus ist sie mir allerdings mehr als zweifelhaft),
glaube ich doch den Nachweis wagen zu dürfen, dass dieselbe hier
fast ebenso nutzlos, d. h. unwesentlich ist, wie im Facettenauge
der Inseeten und Crustaceen. Ich stütze mich hiefür auf den Bau
der Retina: allerdings nicht, wie dort, um aus der geringfügigen
Zahl der pereipirenden Elemente, für welche uns auch hier die
Stäbchen gelten müssen, oder aus ihrer aus der Projeetionsebene
des Bildes hinausgerückten Lage die Insuffieienz derselben zur
Bildpereeption zu demonstriren; sondern ich fusse wesentlich auf
ihrer Richtung zum einfallenden Lichte, um darzuthun, dass
an eine Perception nach jenem Modus nicht wohl zu denken ist,
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 461
so lange die zur Zeit geltenden Anschauungen über die Rolle der
Stäbehen beim Perceptionsacte Geltung haben.
Vergleichen wir das Auge eines der von mir untersuchten
Scolopendriden mit dem Stemma einer Spinne, Insectenlarve
oder eines Inseetes, wie ich sie früher (1. e. Taf. I—V.) zur Dar-
stellung brachte, so ergeben sich die schon oben angedeuteten, für
die Interpretation in funetioneller Hinsicht besonders wichtigen
Unterschiede zwischen beiden Formen wie folgt. Im gewöhnlichen
Arthropodenstemma treffen wir in einem durch die Ausdehnung
des Glaskörpers bestimmten, bald grösseren bald kleineren Abstand
von der Linse die Retina als eine mehr oder weniger regelmässig
eoncentrisch mit der Linse gekrümmte Projectionsfläche, auf der
die pereipirenden Elemente (Stäbchen) annähernd senkrecht, also
so stehen, dass sie ihre Querschnitte dem auf der Projectionsfläche
zur Vereinigung gelangenden Lichte zur Durchstrahlung darbieten;
und darauf beruht die gesonderte Perception des von den beson-
dern leuchtenden Punkten des Gesichtsfeldes kommenden Lichtes.
Hier dagegen, im Scolopendridenauge, schliessen sich dicht an die
Linse eine Menge senkrecht zur Augenaxe gerichteter,
schichtenweise hinter einander liegender Perceptionselemente an,
von einer Anordnung also, die eine gesonderte Perception des von
bestimmten Punkten kommenden, durch die Linse in bestimmter
Tiefe wieder vereinigten Lichtes geradezu zur Unmöglichkeit machen
muss. Denn es ist nicht einzusehen, warum die Lichtstrahlen,
die vor und nach ihrer Vereinigung hinter der Linse eine Menge
von Stäbchen der Quere nach zu durchsetzen haben, alle diese
nicht, sondern nur ganz allein jene erregen sollen, auf denen sie
sich vereinigen: affıciren sie aber alle durchlaufenen Stäbchen, so
erregt das von einem Punkte ausgehende Strahlenbüschel statt
eines oder nur weniger Stäbchen, wie im Spinnenauge z. B., deren
eine ganze Menge. Da dies aber von jedem von einem beliebigen
Punkte der Aussenwelt, der überhaupt Strahlen in das Auge senden
kann, ausgehenden Strahlenbüschel gilt, so müssen nothwendig alle
Stäbchen ziemlich gleichmässig von der gesammten Lichtmasse
affieirt werden. Damit ist aber die Fundamentalbedingung für die
gesonderte Perception verletzt.
Zum gleichen Resultate führt eine etwas andere Betrachtungs-
weise. Jedes der quer gerichteten Stäbchen ist seiner ganzen Er-
streekung nach der Durchstrahlung ausgesetzt, aber auf jeden
462 H. Grenacher:
Bruchtheil seiner Erstreckung kann durch die Projeetion der Linse
anderes, von verschiedenen Punkten der Aussenwelt ausgehendes
Licht fallen. Dass ein solches Stäbchen nur an einer bestimmten
Stelle pereipire, wäre eine willkürliche, durch keinen Anhaltspunkt
zu stützende Annahme; reagirt es aber überall gleichmässig, so
müssen die verschiedenartigsten Eindrücke sich mischen oder com-
pensiren, und damit ist wieder jede Speeification aufgehoben.
Kurz, wir mögen die Sache drehen und wenden wie wir wollen:
sind die von mir als Perceptionsorgane analog denen in andern
Augen gedeuteten Stäbehen wirklich die Träger dieser Funetion,
so ist, und hauptsächlich durch ihre Anordnung, eine jede Unter-
scheidung der lichtaussendenden Körper der Aussenwelt, jedes auf
Loealisirung der Eindrücke beruhende Sehen, ausgeschlossen, und
es bleibt nichts übrig, als die Wahrnehmung von Hell und Dunkel
in ihren verschiedenen Abstufungen; und dies Resultat wird auch
durch den Umstand, dass jederseits vier solcher unvollkommen
funetionirenden Augen vorhanden sind, nicht wesentlich modifieirt.
Wenn uns bei dieser Betrachtungsweise unser Resultat als ein
etwas paradoxes erscheint, so ist das wohl hauptsächlich dem
Umstande zuzuschreiben, dass hier unverhältnissmässig grosse Mittel
aufgewandt werden, mit denen, wie man versucht ist zu sagen, die
Natur weit mehr hätte ausrichten können. Es wäre in der That
anscheinend ein Leichtes gewesen, aus einem solchen Scolopen-
dridenauge ein Organ zu schaffen, das hinsichtlich der Leistungs-
fähigkeit sich an die Spinnenaugen hätte anreihen lassen; es hätte
dazu ja nur der Umlagerung des ohnehin schon vorhandenen
Materials, der Zellen des Glaskörpers, sowie der Retina nebst den
Stäbchen bedurft. Warum sie dies unverantwortlicher Weise unter-
lassen hat, diese Frage zu erörtern können wir den Teleologen
und Dysteleologen überlassen.
Prüfen wir nun ein Einzelauge von Julus und von Glomeris
nach diesen Gesichtspunkten, so dürfte die Ausführung, dass das
Resultat ganz das gleiche wie vorhin sein müsse wegen derselben
Anomalie der Stäbehenrichtung zum einfallenden Lichte, wohl
überflüssig sein. Selbst wenn man die Einzelstäbehen in diesen
Augen, die, wie ich oben gezeigt habe, numerisch die Zellen, sowie
auch die zutretenden Optieusfasern weit übertreffen, als ebensoviele
Klementarorgane der Perception in Reehnung bringen wollte — was
aber schwierig plausibel zu machen sein dürfte — so würde da-
oO
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 465
dureh das Resultat nieht berührt werden. — Nur in einer Be-
ziehung hat das Auge dieser Thiere, namentlich von Julus, einen
Vorsprung vor dem der Scolopendriden voraus, indem die Ein-
zelorgane sich nach den Bedingungen des musivischen Sehens er-
gänzen können. Bei der so geringen Anzahl von Augen bei Julus,
der noch weit geringern bei Glomeris dürfte aber dieser Vorsprung
kaum hoch anzuschlagen sein.
Nicht ganz so leicht ist der Nachweis des gleichen Verhaltens
für das Auge von Zithobius zu führen, da hier, die Richtigkeit meiner
Beobachtungen vorausgesetzt, wenigstens ein Theil der Stäbchen
ihre Querschnitte dem einfallenden Lichte zuwenden. Hier kommt
aber noch mehr ein Umstand in Betracht, der zwar auch bei den
vorhin besprochenen Augen sich findet, jedoch nur als ein Mo-
ment von secundärer Bedeutung: es ist dies der Mangel an dem
die Stäbehen von einander isolirenden Pigment, der eine scharfe
Localisirung des Reizes nicht gestattet. Ausserdem ist der nur
geringen Stäbcehenzahl Rechnung zu tragen als eines ferneren Mo-
mentes für die Unwahrscheinlichkeit der Bildperception. Dagegen
würde auch in diesem Falle durch die Aneinanderlagerung einer
wenn auch nur beschränkten Anzahl von Einzelaugen eine gewisse
Abstufungsfähigkeit der gleichzeitigen Eindrücke nach der Art des
musivischen Sehens anzunehmen sein.
Weit einfacher liegen die Dinge für das Auge von Sceutigera.
Ich habe dasselbe schon oben als ein zusammengesetztes bezeichnet,
dessen Anordnungsverhältnisse, von allen innern Structurverschie-
denheiten abgesehen, durchweg nur mit denen der Insecten und
Crustaceen verglichen werden können. Dass auch die aus der
morphologischen Beschaffenheit abzuleitende Leistung des Einzel-
auges sowohl wie des Gesammtcomplexes von der dort herrschen-
den nicht in irgend wesentlichen Beziehungen differiren kann,
glaube ich hier um so weniger ausführen zu müssen, als ich schon
früher (l. e. pag. 142—157) die hierbei maassgebenden Factoren
einer eingehenden Analyse unterworfen habe, und daher wohl dar-
auf verweisen darf.
Nur noch eine kurze Bemerkung zum Schlusse. In meinem
Buche habe ich geglaubt, das Facettenauge von Limulus in nähere
Verwandtschaft zu dem Myriapodenauge bringen zu dürfen (l. e.
pag. 131). Jetzt, nach näherer Kenntniss dieses letzteren, habe ich
jene Ansicht allerdings zu modifieiren, d. h. jene Verwandtschaft
464 H. Grenacher:
auf diejenigen Myriapodenaugen einzuschränken, die, wie Julus
und Glomeris, am evidentesten einschichtig sind, wie es das Auge
von Limulus auch zu sein scheint. Eine weitere Discussion darüber
würde, da noch eine Reihe von Lücken auszufüllen sind, zu
nichts führen.
Rostock, Ende Juni 1880.
Nachtrag.
Wenige Tage nach Absendung des Manuscripts vorstehender
Arbeit erhielt ich durch die Güte des Verfassers die nunmehr ge-
druckte ausführliche Arbeit Sograff’s über Myriapoden !). Der
Text ist mir leider unverständlich, aber die — beiläufig bemerkt,
mit seltener Meisterschaft gezeichneten und ebenfalls sehr schön
in Farbendruck ausgeführten — Tafeln (namentlich Taf. III) bie-
ten, falls ich sie richtig verstehe, wenigstens einige Anhaltspunkte
zur Vergleichung seiner Resultate mit den meinigen. Seine Unter-
suchungen erstrecken sich auf Scolopendra aralo-caspica (Fig. 16, 17),
Lithobius forficatus (Fig. 14) und Cermatia coleoptrata (Scutigera
araneoides) (Fig. 15). Trotzdem ich nach diesen Zeichnungen eine
Reihe von Differenzen zwischen unsern Untersuchungen sehe, sind
sie doch weit eher unter sich vergleichbar, als mit denen Gra-
ber’s, da (für Scolopendra und Lithobius wenigstens) die Elemente
der Retina überall einzellig dargestellt sind.
Von Scolopendra hat Sograff keinen Längsschnitt durch
das ganze Auge, sondern nur einen Querschnitt durch die Retina
(Fig. 17) sowie ein Stück eines Längsschnittes einer Randpartie
derselben (Fig. 16) gegeben. Aus beiden geht hervor, dass auch
hier die Stäbehen horizontal gelagert sind; freilich scheint der
Erhaltungszustand seines Materiales, nach der Art zu schliessen,
wie er die Stäbchen wiedergibt, sehr ungünstig gewesen zu sein.
— Bei Lithobius scheint ihm die Differenzirung der hinter der
Linse gelegenen Zellen des Augenmantels in haartragende Zellen
und Retinazellen nicht klar geworden zu sein; er zeichnet sie im
1) Anatomie von Lithobius forficatus. Moskau 1880. Mit 3 Taf. gr. 4°.
(In russischer Sprache.)
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 465
ganzen Umfang gleichmässig, die vordern ohne den charakteristi-
schen Haarbesatz, die hinteren ohne Stäbchen; ausserdem fehlt die
Andeutung des Uebergangs der Opticusfasern in die Retinazellen.
Dagegen sind ihm die hinter der Linsenmitte gelegenen Kerne
nicht entgangen; nach der Buchstabenbezeichnung (erp. vit.) zu
schliessen, bezeichnet er sie als Glaskörper, was morphologisch
sicherlich nicht zu beanstanden ist, obschon sie physiologisch
kaum die Rolle eines solchen spielen können.
Am wenigsten scheint seine Untersuchung des Auges von
Scutigera (Cermatia) vom Glück begünstigt gewesen zu sein. Ich
finde in seiner Figur 15 zwar wohl den „Krystallkörper“ (erp.
vitr.), sowie die Retinula (nrv.) wieder, aber von all den so eigen-
thümliehen Structurverhältnissen, welche ich ausführlich oben be-
schrieben habe, ist nichts angegeben. — Wenn die kugeligen
Körper, die er im Krystallkörper zeichnet, Kerne der Segmente
desselben vorstellen sollten, so ist es ja wohl möglich, dass er
hierin vielleicht glücklicher war als ich; doch können in dieser
Region gar leicht Verwechselungen mit Kernen der Pigmentzellen
oder der vordern Retinulazellen vorkommen.
Rostock, 10. Juli 1880.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX und XXl.
Bedeutung einiger mehrfach vorkommenden Buchstaben.
L = Linse.
Lf = Linsenfacette (Fig. 15, 17).
Cu — Aeussere (Leibes-) Cuticula.
Cul — (Cutieula um das Einzelauge.
CuH == Innere Cuticula.
Gk — Glaskörper.
Hy = Hypodermis.
Rz — Retinazellen.
RIT, RIN — Retinulazellen.
St — Stäbchen.
466
Fig.
Fie.
Fie.
IS)
o
6.
„10.
H. Grenacher:
Rm!, RmlU = Rhabdom.
Pg, PgT, PIH — Pigmentzellen.
HZ — Haartragende Zellen (Fig. 9, 10).
Kk — Krystallkörper.
Op — Nervus opticus.
N — Nervenfaser (Fig. 17, 18).
IEaTRE ER:
Durchschnitt durch ein Auge von Scolopendra tahitiana (Ver. '20/,)
mit noch erhaltenem Pigment.
Seitlicher Theil des Glaskörpers und der Retina von derselben Art.
(Vgr. *5°%/,, Imm. 1. Oc. II Zeiss.) Die Stäbchen (St.) sind aus
Raumrücksichten im Verhältniss zu den Retinazellen viel zu kurz
gezeichnet.
Durchschnitt durch ein Auge von Cormocephalus foeeundus. (Ver.
340/,, Imm. 1. Oc. IL) Das Pigment ist grossentheils durch Kalilauge
zerstört.
Durchschnitt durch ein Auge von Heterostoma australiecum (Vgr.
340/ , Imm. 1. Oc. U); nach Behandlung mit Ac. nitr., wodurch das
Pigment nur theilweise gelöst, aber geröthet wurde.
Durchschnitt durch den vorderen Theil eines Auges von Branchio-
stoma australicum (Ver. °#%,, Imm. 1. Oc. ID); Linse noch unausge-
bildet, der Glaskörper sehr stark und abnorm entwickelt, was auf
überstandene Häutung schliessen lässt.
Querschnitt durch einige Retinazellen von Cormocephalus gracilis
(Vgr. °6%/,, Imm. 3, Oe. D). Die Pigmentkörner sind etwas zu klein
ausgefallen.
Querschnitt durch einige Stäbchen der gleichen Art; bei derselben
Vergrösserung gezeichnet.
Cuticula und äussere Pigmentlage (Pg.) eines Auges von Heterostoma
australicum im Querschnitt, nach Entfärbung durch Kalilauge (Vgr.
460, Lmm.21.,0e. 111):
Schnitt durch zwei Einzelaugen von Lithobius; von einem ziemlich
kleinen Exemplar. (Vgr. °%/,, Imm. 2. Oc. I.) Nach Entfärbung
durch Salzsäure, und Kerntinktion durch das gelöste Pigment. —
Zwischen den Einzelaugen liegen einzellige Integumentdrüsen (Dr.).
K, Kerne hinter der Linse.
Querschnitt durch ein solches Auge in der Region der haartragen-
den Zellen, etwas schematisirt; bei gleicher Vergr. gezeichnet.
Fig.
le
„12.
1.
. 14.
ID.
16.
17,
418,
2319:
Ueber die Augen einiger Myriapoden. 46
Tate! XXI.
Schnitt durch zwei Einzelaugen von Julus (1, 2), bei gl. Vergr. —
1, Auge mit zerstörtem, 2, Auge mit noch fast völlig erhaltenem
Pigment.
Querschnitt durch die Retina zweier solcher Augen, entfärbt, bei
gleicher Vergr.
Schnitt durch zwei Einzelaugen von Glomeris (Ver. °*%,, Imm. 1.
Oc. II). 1, mit zerstörtem, 2, mit erhaltenem Pigment.
Wahrscheinlich etwas schräger Schnitt durch ein Auge von Glomeris,
bei gl. Vergr.
Zwei Einzelaugen von Seutigera, noch mit Pigment (Vgr. 3°%/,, E,
Oc. ID).
Querschnitt durch zwei Einzelaugen ebendaher, in der Region der
vordern Pigmentzellen (Pg.) (Vgr. °°°/,, Imm. 2. Oc. II).
Einzelauge, ebendaher, mit Salzsäure entfärbt, mit Pigmenttinktion.
(Vgr. dieselbe.)
Vorderer Theil der Weichtheile eines Einzelauges des gleichen Thie-
res, gleiche Vergr. und Behandlung.
Querschnitte durch eine Anzahl Retinulae desselben Thieres in ver-
schiedenen Höhen, bei gl. Vgr. — A, vier Querschnitte durch den
vordersten Theil, in der Region der Kerne. — B, 1—3. Querschnitte
durch den innern soliden Theil. — C, 1, 2. Querschnitte durch Re-
tinulae eines andern Exemplares; 1, durch den innersten Theil des
Trichters, 2, durch den soliden Theil.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18, 32
468 J. Stilling:
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus.
Von
Dr. 3. Stilling,
Privatdocent der Augenheilkunde a. d. Universität Strassburg.
(Anatomisches Institut zu Strassburg, Elsass.)
Hierzu Tafel XXI.
Bereits seit einer Reihe von Jahren bin ich mit Untersuchungen
über den Bau der optischen Centralorgane beschäftigt und habe
auch einen Theil der erhaltenen Resultate mehrfach mitgetheilt, so-
wie die entsprechenden Präparate demonstrirt. Da jedoch die Voll-
endung des grösseren Werkes, mit dessen Herausgabe ich beschäftigt
bin, noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, folge ich mit
Vergnügen der Aufforderung des Herrn Professor Waldeyer, in
diesem Archiv eine gedrängte Uebersicht der Untersuchungen
zu geben, soweit sie die Endigungen des Sehnerven betreffen.
Was zunächst die Methoden der Untersuchung anlangt, so
habe ich bis noch vor einem Jahre ausschliesslich die Methode
der successiven Querschnitte benutzt. Schon dabei wird es klar,
eine wie grosse Rolle bei der Untersuchung eines noch immer
wenig erforschten Gebietes die fortwährende genaue Betrachtung
mit unbewaffnetem Auge spielt. Schon die einfache Betrachtung
der natürlichen Oberfläche der Gehirntheile und eine aufmerksame
Vergleichung derselben an einergrossen Anzahl verschiedener Gehirne
liefert Aufschlüsse über allerlei Verhältnisse, die demjenigen schlech-
terdings entgehen müssen, der von vorn herein mit der Anfertigung
der Querschnitte beginnt. Der bisher nur von wenigen Beobach-
tern gesehene obere Vierhügelast, der Ursprung der Traetusfasern von
einem grossen Theile der Oberfläche des Sehhügels, die Zwischen-Vier-
hügelwurzel und Anderes gehört hierher. Demnächst spielt keine
kleine Rolle die aufmerksame makroscopische Betrachtung einer
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 469
jeden Durchschnittsfläche, nicht etwa nur des Durchsechnittes. An
Präparaten, die gut in Müller’'scher Lösung gehärtet, nachher
gut ausgewässert in Alkohol gelegt sind, scheidet sich bereits sehr
schön die Faserung von der eingelagerten grauen Substanz ohne
Anwendung weiterer färbender Mittel, und treten schon bei auf-
merksamer Betrachtung der Schnittflächen Verhältnisse zu Tage,
auf welche man bei alleiniger Anwendung der successiven Quer-
schnitte für die mikroseopische Untersuchung vielleicht gar nicht,
jedenfalls aber nur mit unendlicher Mühe gelangen könnte. Es
gehört hierher der Faserverlauf durch die Corpora genieculata, vor
Allem aber die massenhaften Uebergänge von Traetusfasern zwi-
schen die Faserbündel des Grosshirnschenkels. Aber wenn man
sich auch auf solehe Weise recht werthvolle Anhaltspuncte ver-
schaffen kann für die späteren, genaueren, mikroscopischen Unter-
suchungen mittelst der successiven Querschnitte, so kommt man
dennoch nach und nach zu der Ueberzeugung, dass man damit
allein nicht ausreicht. Die Anatomie des Grosshirns muss um so
mehr zunächst für das unbewaffnete Auge gelichtet werden, als
die so vielfach höckrige Beschaffenheit der Oberfläche, die mannich-
faltigen Verbiegungen, ja halb spiraligen Windungen der Faser-
züge der Querschnittsmethode noch bedeutend grössere Schwierig-
keiten in den Weg thürmen, als dies für das Rückenmark und die
Medulla oblongata, ja selbst das Kleinhirn, der Fall ist. Wir be-
dürfen ferner um so dringender eines Leitfadens in den Faser-
labyrinthen des Grosshirns, als schliesslich die Querschnittsmethode,
da wo sie den Faserverlauf auf längere Strecken hin zu enträthseln
sich bestrebt, doch keinen völlig anschaulichen Beweis für ihre
Sätze zu geben vermag, sondern den Forscher zwingt, durch logische
Combination die mangelhafte Anschauung zu ergänzen.
Aus allen diesen Gründen habe ich seit einiger Zeit eine
Methode wieder hervorzuholen und weiter auszubilden versucht,
die bereits früher, besonders von den älteren Meistern der Anatomie,
vielfach ausgeübt worden ist, sich aber bis jetzt keine bedeutende
und keine bleibende Stellung zu erringen vermocht hat, nämlich
die Methode der Zerfaserung. Ich habe versucht, auf grössere
Strecken mit Pincette und Scheere, mit Messer und Nadel, die Fa-
serbündel zu isoliren, und die Resultate dieses Verfahrens sind
bis jetzt sehr befriedigend ausgefallen. Nicht nur gelang es, die
Verhältnisse des Chiasma klar zu legen, die Ursprünge aus dem
470 J. Stilling:
Thalamus opticus und den Vierhügeln anschaulicher darzustellen
als dies auf Durchschnitten möglich ist, es gelang mir vor allen
Dingen der Nachweis, dass der Opticus zum Theil aus dem ver-
längerten Mark, resp. dem Rückenmark entspringt, so dass der-
selbe höchst wahrscheinlich zum Theil ein reiner Spinalnerv ist,
eine Thatsache, die nicht nur in anatomischer, sondern auch in
physiologischer und pathologischer Hinsicht von grosser Bedeu-
tung ist.
Die vorgängige Behandlung von Hirntheilen, die für die Zer-
faserung bestimmt sind, ist eine mannichfache. Als erstes und ein-
fachstes Verfahren nenne ich die gewöhnliche Härtung in Müll er’-
scher Lösung und Alcohol, also dieselbe Vorbereitung wie für die
Anwendung der Querschnittsmethode. Man fertigt von dem vorlie-
senden Hirnstück zwei Durchsehnittshälften, und beginnt von der
Fläche mit den Präparationsinstrumenten denjenigen Faserzügen
in die Tiefe nachzugehen, deren Verlauf man studiren will. Die
querdurchschnittenen Fasern heben sich leicht ab von den längs-
durchschnittenen beim Betrachten der Schnittfläche, so dass man
die letzteren schonend von den ersteren ablösen kann, und nun auf
längere Strecken längsverlaufende Fasern, gleichviel ob dieselben
einen gestreckten oder gebogenen Verlauf haben, gut verfolgen
kann. Die absteigende Wurzel z.B. erhält man auf diese einfache
Weise am Besten.
In anderen Fällen legt man die in Müller’scher Flüssigkeit
längere Zeit aufbewahrten Hirnstücke nach der Auswässerung nur
kurze Zeit in Alcohol, so dass sie nicht denjenigen Grad von
Härtung erreichen, welcher für Anfertigung von feinen Durchschnit-
ten nöthig ist, und zieht alsdann mit feinen Pincetten, vorsichtig
operirend und mit Hülfe der Lupe, die einzelnen Faserplatten von
einander ab. — Behufs weiterer Isolation empfiehlt es sich ein
auf solche Weise bereits etwas zerfasertes Präparat eine Zeitlang
in Glycerin zu legen, bis es anfängt weich zu werden, worauf
man denn auf ähnliche Weise, wie vorhin, aber unter Wasser
präparirend, die Faserzüge noch weiter trennen kann. Ist man an
der Grenze angelangt, so kann man das Präparat mit Pierocarmin
rasch färben, und dann nach vorheriger Entwässerung in Nelkenöl
einlegen, durch welche Procedur die Fasern sehr geschmeidig und
doch so consistent werden, dass sie sich noch weiter und so weit
trennen lassen, dass das Präparat im Oel schwimmend der Unter-
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 471
suchung mit schwachen Vergrösserungen leicht zugänglich wird.
Zur definitiven Aufbewahrung giesst man das Präparat in ein
Uhrschälehen, welches mit Canadabalsam gefüllt und dann ver-
schlossen wird. Es liegt dann im Balsam wie ein Bernsteinein-
schluss und stellt ein äusserst zierliches und elegantes, leicht trans-
portables Demonstrationsobjeet dar.
Ganz besonders für demonstrative Zwecke aber angewendet
zu werden verdient der Holzessig, ein Reagens zu dessen Studium
für die vorliegenden Zwecke ich durch Herrn v. Recklinghau-
sen veranlasst worden bin. Zuerst dureh denselbon auf die Mög-
lichkeit aufmerksam gemacht, dass durch Holzessig eine Isolation
der einzelnen Faserbündel an vorher gut gehärteten Präparaten
zu bewerkstelligen sei, habe ich mir die Ausbildung dieser Modifica-
tion der Zerfaserungsmethode in letzter Zeit ganz besonders ange-
legen sein lassen. Man verwendet theils rohen, theils rectifieirten
Holzessig, und präparirt unter Wasser, bis der gewünschte Grad
der Isolirung erreicht ist. Für mikroskopische Präparate fällt
hier besonders der Umstand in’s Gewicht, dass das Bindegewebe
völlig glasig durchsichtig aufquillt, die Nervenfasersubstanz elän-
zend weiss wird, und sich von der bräunlich verfärbten grauen
Substanz in ausgezeichnet schöner Weise abhebt. Man kann be-
hufs Aufbewahrung die Präparate eine Zeitlang in verdünntem
Holzessig einfach liegen lassen, bis sie genügend durchmustert und
gezeichnet sind, oder sie auch für immer sichern, indem man sie
nach der so eben beschriebenen Weise mit Pierocarmin und Nel-
kenöl, oder auch einfach mit letzterem behandelt. Schwache mi-
kroskopische Vergrösserungen können alsdann leicht angewandt
werden.
Was nun die rein mikroskopische Untersuchung anlangt, so
habe ich mich bis jetzt noch fast ausschliesslich an die Anfertigung
von feinen Querschnitten gehalten und gestrebt, die Zerfaserungs-
methode durch die Schnittführung zu controliren und umgekehrt.
Mikrotome habe ich nicht benutzt, sondern mit grossen Massen
(wie dieselben von Benediet Stilling angegeben sind) aus
freier Hand geschnitten. Die Vergleichungen, die ich angestellt
habe mit Mikrotompräparaten, schien mir mindestens nicht einen
Vorzug der letzteren zu ergeben. — Immerhin erlaube ich mir
schon jetzt zu bemerken, dass die Zerfaserungsmethode auch für
die mikroskopische Untersuchung mit höheren Vergrösserungen bei
472 J. Stilling:
gehöriger Ausbildung mit grossem Vortheil wird verwendet wer-
den können, und dabei in erster Linie wiederum der Holzessig
eine Rolle spielen wird. Er ist mir schon jetzt gelungen, Nerven-
faserbündel auf Strecken von mindestens ein Pariser Zoll Länge
soweit zu isoliren, dass sie nach Färbung mit Pierocarmin sehr
starken Vergrösserungen zugänglich sind. — Die Vortheile der
seschilderten Präparationsweisen, mit Vorbehalt weiterer sorg-
fältiger Ausbildung derselben gegenüber der ausschliesslichen An-
wendung der Querschnittsmethode liegen zu sehr auf der Hand,
als dass es nöthig wäre, an dieser Stelle darüber noch weitere
Bemerkungen zu machen. Nur mag es mir gestattet sein, meine
Ueberzeugung schon jetzt dahin auszusprechen, dass ein befriedi-
gender Abschluss der Anatomie des centralen Nervensystems zu
erwarten sei nicht von der Anwendung einer Methode allein, son-
dern der beständigen Combination beider, durch ihre fortwährende
gegenseitige Controle. — Ich gebe nunmehr eine kurze, gedrängte
Darstellung der auf dem geschilderten Wege erhaltenen Resultate.
1. Chiasma nervorum opticorum.
Die Verhältnisse des Chiasma sind von den alten Meistern
der Anatomie (wie Arnold) im Ganzen richtig geschildert wor-
den. Ihre Angaben haben durch die bekannten Experimente von
Gudden in neuerer Zeit zum grossen Theil abermalige Bestäti-
gung gefunden, soweit dies für die Untersuchung an Thieren mög-
lich war. Für einen defmitiven Abschluss der hier in Betracht
kommenden Verhältnisse ist es jedoch nothwendig, den Bau des
menschlichen Chiasma ins Auge zu fassen.
Es besteht dasselbe aus einem Kern sich kreuzender Faser-
bündel, um die gewissermassen eine zweite Lage von Bündeln in
der Art herumgelegt und dann zusammengeschlagen ist, dass die
innere sich kreuzende Lage vollkommen von der äusseren einge-
schlossen ist; eine Anschauung, für die auch die Thatsache spricht, dass
mitunter im Inneren des Tractus sich ein blinder Kanal findet
wie zuerst Wagner beschrieben, ich selbst habe bestätigen können.
Es gelangen auf diese Weise ungekreuzte Bündel auf die Vorder-,
Hinter- und Seitenfläche des Chiasma. Die ungekreuzten
Bündel sind beim Menschen mindestens ebenso mäch-
tig, als die gekreuzten, ein bis jetzt noch nicht in dieser Art
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 473
dargestelltes Verhältniss, dessen genaue auschauliche Kenntniss
nur mittelst der Isolationsmethode zu erlangen ist. Die ausschliess-
liche Anwendung der Methode der Querschnitte trägt die Schuld,
dass man beim Menschen die Zahl der ungekreuzten Bündel für
bedeutend schwächer hielt, als dies in Wahrheit der Fall ist. Da
die ungekreuzten Bündel die gekreuzten gleichsam einwickeln, so
können Flächenschnitte ihren Verlauf und ihre Zahl nicht genü-
gend klar legen. — Die völlige Einwicklung der inneren Schichten
durch die äussere bedingt ferner die Existenz zweier mächtigen
Commissuren, der Commissura arcuata anterior und posterior der
alten Anatomen. Die Existenz der letzteren hat für Thiere Gud-
den !) mittelst seiner eigenen bekannten Methoden wiederum be-
wiesen; was die beim Menschen sehr mächtige, den ganzen vor-
deren Winkel des Chiasma füllende und sich zugleich auf Vorder-
und Hinterfläche ausbreitende Commissura arcuata anterior be-
trifft, so fehlt dieselbe, nach dem was ich gesehen habe, bei den
von@udden untersuchten Thieren. Es ist eine höchst interessante
Aufgabe für die vergleichende Anatomie, durch die gesammte
Thierreihe hindurch zu constatiren, welche Sehnervenfasern bei der
untersten Olasse vorhanden sind, und welche neuen sich allmäh-
lich bei der Fortentwicklung zu höher organisirten Geschöpfen hin-
zugesellen, doch ist hier nicht thunlich weiter bei dieser Frage zu
verweilen. Auch über die an die Commissura posterior sich an-
schliessende Meynert’sche Commissur soll hier Nichts ausführli-
cheres gebracht werden.
Bündel, die aus dem Tuber einereum kommen, hat bereits
Gudden beschrieben. Ich fand Fasern derselben beim Menschen
in directem Zusammenhange mit bipolaren Nervenzellen dieses
Gebildes.
2. Oberflächlicher Verlauf und Theilung des
Traetus opticus.
Während seines Verlaufes an der Hirnbasis ist der Traetus
optieus verwachsen mit der Substantia perforata antica, und zeigt
1) Ich schliesse mich Gudden in sofern völlig an, als ich die hintere
Commissur ebenfalls als nicht zum eigentlichen Tractus gehörig betrachten
kann, sehe dieselbe jedoch als eine Verbindung von Hirntheilen an, welche
eine sehr directe Beziehung zur Physiologie des Sehens besitzen.
474 J. Stilling:
sich auf feinen Querschnitten, dass die Zellen derselben am Rande
des Tractus sich zwischen dessen Faserzüge hineindrängen !).
In der Nähe des Sehhügels theilt sich der Tractus in drei
Aeste. Zwei gehen zu den beiden Corporibus genieulatis, der
dritte Ast geht zwischen den beiden anderen hindurch, sich in
der Furche hinziehend, die durch die beiden Kniehöcker gebildet
wird, begreift in sich die Faserzüge des Brachium conjuneti-
vum anticum, direct hinüberziehend zum Corpus quadrigeminum
superius ?). Die verschiedene Ausbildung der Faserzüge zwischen
der ursprünglichen Theilungsstelle und dem Brachium conjuncti-
vum anticum trägt die Schuld daran, dass der mittlere Ast bisher
noch wenig beschrieben worden ist. Die denselben repräsentiren-
den Faserzüge sind häufig so schwach ausgeprägt, dass sie bei
nicht sehr minutiöser Betrachtung unbemerkt bleiben müssen, in
andern Fällen sind sie stärker, und können so mächtig werden,
dass ein dieker eylindrischer Strang von der Theilungsstelle nach
dem oberen Vierhügel geht, gegen den sich das Brachium con-
jJunetivum anticum durchaus nicht absetzt. Eine aufmerksame Ver-
gleichung verschiedener Gehirne bei Betrachtung der Oberfläche
schafft hier bereits völlige Klarheit; von grossem demonstrativen
Werthe ist auch hier die Behandlung mit Holzessig. Querschnitte
vollends zeigen den direeten Uebergang des Brachium conjuneti-
vum anticum in den Stamm des Tractus, sowie die völlige Tren-
nung von der grauen Substanz des Thalamus.
Wir haben also zunächst die drei oberflächlichen Aeste und
ihre weitere Theilung zu betrachten.
1) Dies Verhältniss ist bereits von J. Wagner sehr richtig geschildert.
Vgl. Henle, Anatomie, 2. Aufl., Bd. III, Abth. 2, pag. 284.
2) Huguenin (Archiv f. Psychiatrie, Bd. V, p. 341 ff.) bildet bereits
diesen Ast richtig ab, giebt jedoch an, ebenda p. 192, dass nur die oberfläch-
lichen Faserzüge des Brachium conjunctivum anticum aus dem Traetus stam-
men. Forel (Archiv f. Psychiatrie, VII, p. 460) hat* offenbar den Ast auch
gesehen, aber nicht bis zur Theilungsstelle verfolgt. Er sagt, er stamme aus
der die Corp. geniculata bedeckenden Opticusfaserung. Die Theilung des
Astes in einen oberflächlichen und tiefen Zug scheint keiner dieser beiden
Forscher bemerkt zu haben. Ich habe dieselbe zuerst 1879 gezeigt. (Vgl.
Zehender, Bericht des Heidelberger Ophthalmologencongresses, sowie Hirsch-
berg’s Oentralblatt für Augenheilkunde, Februar 1880.) Schwalbe (Neuro-
logie, 1880) bildet ebenfalls den mittleren Ast ab und beschreibt seinen Ver-
lauf, die Theilung ausgenommen.
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 475
Erster Ast. Derselbe nimmt seinen Lauf nach dem Corpus
genieulatum laterale zu, und soll den Angaben der Handbücher
nach aus demselben entspringen, welche jedoch den Thatsachen
nieht entsprechen. Die Querschnitte wie die Isolationspräparate
weisen übereinstimmend nach, dass die Traetusfasern über und
neben dem Corpus geniculatum laterale und durch dasselbe hin-
dureh ihren Lauf fortsetzen. Schon das Verhältniss des dicken
Traetus optieus zu dem kleinen Hügel der grauen Substanz des
C. genieulatum fordert zu einer näheren Untersuchung auf, und bei
oberflächlicher Betrachtung zeigt sich, dass dasselbe völlig bedeckt
ist von einer Rindenschiehte von Traetusfasern, die auf der Ober-
fläche des Thalamus fächerartig ausstrahlend weiter verlaufen !).
Die bekannten weissen Schichten im Inneren zeigen sich auf einer
Reihe successiver Querschnitte als directe Fortsetzungen der Trac-
tusfasern, die auf der Thalamusseite wieder austreten, um sich in
der grauen Substanz, welche dessen Füllung bildet, zu verlieren.
Aber auch aussen wie innen vom Corpus geniculatum laterale laufen
ziemlich mächtige Faserzüge um dasselbe herum in den Thalamus.
Die äusseren verlieren sich in der grauen Substanz des Pulvinar ?),
die inneren, mehr vertical aufsteigend und dann ebenfalls diver-
gent ausstrahlend in denjenigen Theil der grauen Thalamussub-
stanz, welche dem Tegmentum Cruris cerebri näher gelegen ist.
Es verhält sich demnach das Corpus genieulatum laterale dem
Traetus gegenüber wie ein eingeschobenes Ganglion (nach Art ‘der
Spinalganglien) und verdient besser den Namen Ganglion gen.
laterale.
Zweiter Ast. Derselbe geht, wie bereits erwähnt, zwischen
beiden Corporibus genieulatis hindurch, das Brachium conjuncti-
vum in sich fassend, nach dem oberen Vierhügel zu. Ehe er sich
zu diesem herüberschlägt, giebt er einen kleinen Ast, wie der
erste, nach der Oberfläche des Thalamus ab, der sich in die Tae-
nia Thalami optiei verliert. Am oberen Vierhügel angekommen,
theilt er sich in einen oberflächlichen und einen tiefen Ast. Der
letztere dringt direet in die graue Substanz im Innern des Corpus
quadrigeminum superius.
1) Bereits von Reil beschrieben.
2) Vgl. auch Huguenin, a. a. O. p. 193, und von früheren Autoren
Reichert (Bau des menschlichen Gehirns, 1859, Taf. III Fig. 30 mit Er-
klärung).
476 J. Stilling:
Der oberflächliche Ast theilt sich wiederum doppelt. Die
obersten Faserzüge in ziemlich starker Lage bilden quer herüber-
ziehend eine Commissur mit den entsprechenden der andern
Seite, die zunächst sich anchliessenden tieferen ziehen zwischen
den Vierhügeln in der durch dieselben gebildeten Furche zu dem
Velum medullare superius, speciell nach dem Frenulum hin. Schliess-
lich strahlt ein Theil der Fasern noch auf die Oberfläche des
Vierhügels, dort eine ähnliche Deckschicht bildend, wie der erste
und theilweise dieser zweite Ast auf der Oberfläche des Seh-
hügels.
Dritter Ast. Geht nach dem Corpus geniculatum mediale
zu, welches ebenfalls irrthümlich in den Handbüchern als Kern
des Sehnerven bezeichnet wird. Zwar treten Fasern in seine Sub-
stanz ein, welche die Verbindung mit dem oberen Vierhügel ver-
mitteln, aber ein sehr grosser Theil strahlt direet über dasselbe
hinweg zum oberen Vierhügel, ein anderer noch bedeutend mäch-
tigerer Theil geht hinter ihm vorbei direet in das Brachium
conjunetivum posterius, welches zum Theil auch nur als ein Ast
des Traetus betrachtet werden muss. Auch dieser graue Körper
ist demnach nur ein Ganglion, eine Auffassung, die dadurch viel
Gewicht erhält, dass man beim Menschen wie beim Affen über-
zählige Corpara genieulata medialia antrifft, und beim Menschen
sogar vorkommt, dass das C. gen. mediale nur mit zwei feinen
Aestehen am Tractus gewissermassen angehängt ist, ganz ähnlich
wie das Ganglion sphenopalatinum am zweiten Trigeminusast.
Das wichtigste dem in Rede stehenden dritten Traetus-Ast zuge-
hörige ist der zweifellose Ursprung aus dem hinteren
Vierhügel, welcher graue Körper somit ähnliche Beziehungen
zum Sehen besitzen muss, wie der vordere )).
1) Meynert (Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben, IV.
Lieferung 1870, p. 742) beschreibt Bündel zum hinteren Vierhügel, die durch
Vermittlung des C. eeniculatum mediale vom Sehnerven aus eintreten. Dem-
nach ist ihm der directe hintere Vierhügelast, der ohne Verbindung mit der
grauen Masse des inneren Kniehöckers ist, nicht bekannt geworden. Hugue-
nin (a a. O. p. 342) beschreibt diejenigen Faserzüge, welche von der Deck-*
schichte des C. genic. mediale nach dem hinteren Vierhügel gehen. Diese
Verbindung ist auch eine directe, jedoch eine von sehr geringer Mächtigkeit
in Vergleich zu den Fasermassen, welche direct in das Brachium conjuneti-
vum posterius eintreten. Sie sind vermittelst der Querschnittsmethode, des
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 477
Wie aus der gegebenen Schilderung resultirt, gehen die bis-
her beschriebenen Aeste mit ihren Faserzügen nicht allein in die
innere graue Substanz des Thalamus und der Vierhügel, sondern
sie bedecken auch die Oberfläche beider Gebilde mit einer dünnen
Platte weisser Substanz. Es entspricht diese, den Thalamus wie
die Corpora quadrigemina einhüllende Deckschichte dem Tectum
optieum (Stieda) der niederen Vertebraten. Ueber ihre genauere
Struetur soll an dieser Stelle nichts Weiteres mitgetheilt wer-
den und verweise ich in Bezug auf die Details auf meine grössere
Arbeit.
Wir kommen nunmehr zu dem wesentlichsten Theile dieser
Skizze, nämlich zu denjenigen Aesten des Tractus opticus, die
mehr in der Tiefe der betheiligten Hirnprovinzen verlaufen, und die
sich zwischen die aufsteigenden Bündel der Crus cerebri drängen.
Der am meisten in der Tiefe verlaufende Ast drängt sich
mit horizontal verlaufenden Faserzügen zwischen die nahezu ver-
tical aufsteigenden Bündel des Grosshirnschenkels, und dringt in
feine Plexus sich auflösend oder auch in gröberen ungetrennten
Faserzügen verlaufend (letzteres besonders beim Pavian in eminen-
ter Deutlichkeit) direet in die graue Substanz des grossen mandel-
förmigen Kernes ein, welcher dieht an der Grenze des Grosshirn-
schenkelfusses innerhalb der Haube und dicht oberhalb der Sub-
stantia nigra pedunculi auf Horizontal- und Verticalschnitten scharf
begrenzt hervortritt. Derselbe wurde zuerst von Luys gesehen
und als „Bandelette accessoire de l’olive superieure“ bezeichnet.
Forel nennt ihn „Luys’schen Körper“, Henle „Corpus subthalami-
cum“, eine Benennung, welche, wie Waldeyer mit Recht geltend
macht, den andern und auch den von mir angewandten (Nucleus
amygdaliformis, welche Benennung der Form freilich am besten
entsprechen würde) vorzuziehen ist, da schon eine Mandel in
der Gehirnanatomie vertreten ist.
Schon vor einigen Jahren habe ich den Ursprung des Tractus
opticus aus diesem Kerne entdeckt und auch auf dem ophthalmo-
logischen Congresse zu Heidelberg die zahlreichen Faserzüge de-
gewundenen, halb spiraligen Verlaufes halber eben nicht gut darzustellen,
vortrefflich durch Isolation. — J. Wagner (vgl. Henle, a. a. O. pag. 425)
hat dagegen, allem Anschein nach die directe hintere Verbindung bereits
wahrgenommen.
478 J. Stilline:
monstrirt, welche auf Querschnitten, meistentheils in zierlichen
Bogen und sich dann plexusartig auflösend, zuweilen jedoch auch
steil von ihrer ursprünglichen Richtung abgehend, in diesem Cor-
pus subthalamieum endigen. Die ganze Lage dieses grossen Gang-
lienkörpers, der schöne multipolare Nervenzellen zeigt, die zahl--
reichen Faserzüge, die aus ihm heraustreten, Alles dies scheint
darauf hinzudeuten, dass man hier ein grosses Reflexeentrum vor
sich hat, welches einerseits mit eerebralen, andererseits mit spinalen
Bahnen Verbindungen herstellt.
Allein jene Faserzüge, welche mit den spinalen Bahnen ver-
mittelst jenes grossen Kernes communieiren, und noch weniger
jene von diesem Kern nach abwärts strahlenden Faserzüge selbst
darf man nicht etwa als direete absteigende oder spinale Wurzeln
des Sehnerven auffassen. Es sind dies spinale Verbindungsäste,
aber keine wirklich spinalen Wurzeln. Als solche hat man nur
das Recht, jene Nervenstränge zu bezeichnen, welche vom
Stamme aus direct ohne jede Vermittlung grauer Sub-
stanz in die Stränge der Medulla oblongata oder spi-
nalis übergehen. Man müsste sonst die Verbindungen, welche
zwischen Vierhügel und Medulla bestehen, ebenfalls als spinale
Wurzeln des Sehnerven bezeichnen.
Der Sehnerv besitzt nun eine solche wirklich absteigende
wahrscheinlich direet spinale Wurzel, und ist bis jetzt der ein-
zige höhere Sinnesnerv, von welchem eine derartige Verhindung
mit Evidenz makroskopisch demonstrirt werden kann. Es
schlagen sich die Bündel derselben mehrere Millimeter von der
Oberfläche entfernt in halb spiraliger Windung dicht vor dem Gang-
lion geniculatum laterale in die Tiefe, strahlen dabei fächerartig
auseinander und bilden einen Complex von Nervenbündeln, der eine
Breite von mindestens 4 Millimetern, und eine Dicke von etwa
1 Millimeter aufweist, an der hinteren Partie des Grosshirnschen-
kels neben dem Ganglion genieulatum mediale und dem Brac-
ehium eonjunetieum posterius vorbei an der Oberfläche des Gross-
hirnschenkels direct bis zur Pons Varolii geht. In seinem weite-
ren Verlaufe theilt sich dies mächtige Bündel mehrfach, theils um
innerhalb der Pons Verbindungen der verschiedensten Art einzu-
gehen, theils aber tief herunter in die Bahnen der Medulla spina-
lis selbst einzustrahlen. Dasjenige Bündel, welches sich am wei-
testen abwärts bisher hat verfolgen lassen, geht in die Pyrami-
denkreuzung über.
Ueber die centralen Endigungen des Nervus opticus. 479
Wie bereits oben angedeutet, hat diese Wurzel direct nur
nachgewiesen werden können mittelst der Zerfaserungsmethode.
Die successiven Querschnitte in horizontaler Richtung geführt, die
schon lange in ihrer ganzen Reihe von mir angefertigt waren,
ehe ich die absteigende Wurzel selbst entdeckte, werden dem völ-
ligen Verständniss erst zugänglich durch die makroskopische Prä-
paration, liefern aber dann auch für diese die beste mikroskopi-
sche Illustration, die die Querschnittsmethode geben kann. Es ist
die Darstellung der spinalen Sehnervenwurzel ein Paradigma da-
für, dass sich die beiden Methoden in wünschenswerther Weise
ergänzen können.
Die Auffindung der absteigenden, resp. wirklich spinalen
Wurzel des Sehnerven ist gewiss zunächst von grosser Bedeu-
tung für die Physiologie des Sehens, gestattet aber auch die Ver-
muthung, dass für die übrigen höheren Sinnesnerven derartige
Verbindungen sich auffinden lassen werden.
Ich gestatte mir im Uebrigen an dieser Stelle die Bemer-
kung, dass die physiologischen Folgerungen, die ich bisher aus
meinen Untersuchungen habe ziehen können, genau stimmen mit
den Anschauungen von Goltz, zu denen derselbe vermittelst der
experimentalen Methode gelangt ist.
Zum Schlusse verweise ich nochmals auf meine ausführlichere
Darstellung, in welcher ich mit möglichster Genauigkeit auch die
historischen Verhältnisse zu berücksichtigen bemüht sein werde.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXH.
Fig. 1. Menschliches Chiasma, die beiden Tractus noch im Zusammenhang
mit den Corpora geniculata lateralia. Zerfaserungspräparat.
Cgl Corp. genic. laterale.
Ca Commissura anterior.
Cp Commissura posterior.
Ungekreuzte Bündel.
**) Kreuzung.
Fig. 2. Horizontalschnitt durch Tractus und Thalamus in der Fläche des
Corpus subthalamicum. Natürliche Grösse. Vom Tractus aus gehen
480 Gabriel Denissenko:
in horizontaler Richtung zahlreiche Züge in den mandelförmigen
Kern.
Pc Pedunculus cerebri.
To Tractus optieus.
Cs Corpus subthalamieum.
Tho Thalamus opticus.
*) Fasern des Tractus, die aus dem C. subth. entspringen.
Fig. 3. Radix descendens von einem Horizontalschnitt aus isolirt. Natür-
liche Grösse.
Cgl Corp. genic. laterale.
Pe Pedunculus cerebri.
Rd Radix descendens.
Fig. 4. Dasselbe Präparat, äussere Ansicht. Man sieht die Bündel der
Radix descendens (Rd) unter den nach dem Corpus geniculatum
mediale hin strahlenden Faserzügen des Tractus hervorkommen und
längs des Grosshirnschenkels in die Pons Varolii verlaufen,
Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische.
Von
Dr. Gabriel Denissenko
(St. Petersburg).
Hierzu Figur A auf Tafel XXI.
Die Angaben über die Netzhautgefässe der Fische stehen
immer noch zum Theil im Widerspruch; während nämlich H.
Müller !), J. Hyrtl?) und Max Schultze®) das Vorkommen
1) H. Müller, Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie
und Physiologie des Auges. 1. Bd. Leipzig 1872.
2) J.Hyrtl, Ueber anangische (gefässlose) Netzhäute. Sitzungsberichte
der Wiener Akademie. Bd. 43. Abth. I. 1861.
3) Max Schultze, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Archiv
für mikroskopische Anatomie. Bd. 2. 1866.
Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 481
von Gefässen in der Retina der Fische überhaupt bestreiten, be-
richtet W. Krause !), dieselben bei einem Fische (Aal) gesehen
zu haben. Nach ihm erwähnt W. Müller?) nur kurz, dass aus-
ser beim Aal, auch bei einigen Cheloniern solche vorkommen.
Weiter finden wir in der Literatur keine Angaben über diese
Frage und alle folgende Forscher: Th. Leber ?), W. Krause *)
und viele andere eitiren nur die erwähnten Autoren.
Nach W. Krause und W. Müller breiten sich die Gefässe
in der Retina der Fische genau so aus wie in der aller anderen
Thiere, welche dieselben überhaupt führen, d. h. nur in den in-
nersten Schichten und erreichen die Zwischenkörnerschicht. Dass
die Gefässe überhaupt in den innersten Schichten der Retina vor-
kommen, ist seit H. Müller bekannt und allgemein angenommen.
So z. B. sagt Max Schultze?°), dass die Capillargetässe der Re-
tina vor den pereipirenden Elementen liegen, nämlich zwischen
Limitans interna und äusserer granulirten Schicht. Das Faetum
des Vorhandenseins der Gefässe in der Netzhaut der Fische er-
schien so ausserordentlich auffallend, dass W. Krause‘), der zuerst
dieselben beim Aale gesehen und beschrieben hat, bemerkte: „Wenn
M. Schultze sie gefunden hätte, als sich dieser Forscher bei Ge-
legenheit seiner Untersuchungen der Retina in phylogenetische
Speeulationen verlor, so würde er vielleicht auch den Aal für
einen sehr vornehmen „aristokratischen“ Fisch erklärt haben“.
Als noch berechtigteren Repräsentanten der Fischaristokratie in
diesem Sinne würden wir den jungen Karpfen vorschlagen, weil
bei diesem, was wohl vor uns noch Niemand beobachtet hat,
1) W. Krause, Die Membrana fenestrata der Retina. Leipzig 1868.
pag. 28.
2) W. Müller, Ueber die Stammesentwickelung des Sehorgans der
Wirbelthiere. Beiträge zur Anatomie und Physiologie als Festgabe an Carl
Ludwig. Leipzig 1875. p. 53.
3) Th. Leber, die Blutgefässe des Auges. Stricker’s Handbuch der
Lehre von den Geweben. Leipzig 1872.
4) W. Krause, Die Nerven-Endigung in der Retina. Archiv für
mikroskopische Anatomie. Bd. 12. 1876.
5) Max Schultze, Die Retina. Stricker’s Handbuch der Lehre von
den Geweben. Leipzig 1872. p. 1026.
6) W. Krause, Die Membrana fenestrata der Retina. Leipzig 1868.
pag. 28.
482 Gabriel Denissenko:
die Gefässe nicht allein in den innersten Schichten, sondern auch
in der äusseren Körnerschicht vorkommen.
Auf der beigelegten Zeichnung sehen wir, dass die Gefässe,
aus der Hyaloidea austretend, sich mit ziemlich dünnen Aesten
durch die Ganglienzellen (g) und Moleeularschicht (m) zur inne-
ren Körnerschicht (i. k) hindurch ziehen, wo sie sich unter spitzem
Winkel in zwei, mitunter drei Aestchen theilen.
Ein Aestchen des Gefässes (v‘) durchzieht erst die innere
Körnerschicht, die Zwischenkörnerschicht, die äussere Körner-
schicht, in ihrer ganzen Dicke, ohne sich zu verästeln und, indem
es die Peripherie (bis s‘) unmittelbar unter der Membrana limitans
ext. erreicht hat, theilt es sich in einige winzige Capillaren, die
nach verschiedenen Richtungen auseinander weichen.
Ein anderes Aestchen desselben Gefässes (v), nachdem es sich
in der inneren Körnerschicht abgezweigt hat, geht in die Zwischen-
körnerschicht und biegt sich in die innere Körnerschicht wieder um (v).
Ein drittes Gefäss (r‘) geht aus der inneren Körnerschicht in die
äussere und theilt sich an der Pheripherie derselben in zwei
Aeste, welche ebenfalls nach verschiedenen Richtungen auseinander
weichen.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die in der Moleeular-
schicht vorkommenden Gefässe dieselbe unverzweigt durchziehen,
indem sie aus der Hyaloidea austreten und zur inneren Körner-
schicht gehen, in der letzten sich theilen, miteinander anastomo-
siren und ausserdem zu der äusseren Körnersehicht Aestehen
schicken. |
Das Lumen der'Gefässe fanden wir sehr verschieden: in der
äusseren Körnerschicht —= 0,005—0,006 mm, in der Molecular-
schicht bei einigen Gefässen 0,015 mm, in der inneren Körner-
schicht sogar nicht selten bis zu 0,036 mm, so dass sie die ganze
Dieke dieser Schiehte einnehmen. — Es ist uns auch öfters ge-
lungen derartige grosse Gefässe auf Längs- und Querschnitten mit
Blutkörperchen angefüllt zu beobachten. — Die Grösse der aus
der Hyaloidea austretenden Gefässe ist also geringer als die der
Gefässe in der inneren Körnerschicht. Dieses Factum steht au-
genscheinlich in Widerspruch mit den allgemein anerkannten Ge-
setzen der Gefässverzweigung, so auch mit Leber’s Angabe !):
1) Th. Leber, Die Blutgefässe des Auges. Stricker’s Handbuch der
Lehre von den Geweben. Leipzig 1872. p. 1052.
Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 483
„die gröberen Aeste der Centralgefässe verlaufen alle in der Ner-
venfaserschicht der Netzhaut und je weiter nach aussen in der
Reihenfolge der Schichten, um so kleiner werden die darin vor-
kommenden Gefässe, die letzten dringen bis zur Zwischenkörner-
schicht vor; äussere Körner- und Stäbehenschiehten sind gefäss-
los.“ Siehe auch Kölliker), Max Schultze 2), W. Krause),
Schwalbe *) u. A. Das Gesammtbild der Structur der Retinage-
fässe des jungen Karpfens erscheint gleichmässig. — Die Gefässe
sind nach dem Typus der Capillaren gebaut, obgleich sie, wie
schon erwähnt, ziemlich grosse Dimensionen erreichen. — Grosse
wie kleine Gefässe haben ausserordentlich dünne Wandungen;
Zellkerne der wandständigen Zellen sind nur selten zu beob-
achten.
Das Gefässnetz auf der Oberfläche der äusseren Körner-
schicht erscheint als ein sehr dichtes, hier reichen die Entfer-
nungen zwischen den Gefässen nur bis zu 0,015 mm. Es ist mir
nicht gelungen Gefässe zwischen den Stäbehen und Zapfen oder
eine Perforation der Membrana limitans externa durch ein Gefäss
zu beobachten. — In der inneren Körnerschicht vertheilen sich
die Gefässe in ein minder dichtes Netz; aber hier kommen stär-
kere Zweige vor, welche zur Bildung des Netzes eine grössere
Anzahl von Aestchen abgeben.
Wie schon erwähnt, sagt W. Krause), dass in der Retina
des Aales viele Gefässe vorhanden seien, wir hingegen haben trotz
wiederholter Untersuchungen in der Retina beim alten Aal kein
einziges Gefäss gesehen. — In der Retina eines erwachsenen
Karpfen haben wir die Gefässe im Gegensatz zu der grossen
Anzahl derselben in der Retina eines jungen, von uns beobachte-
ten Thieres, nur in geringer Anzahl, vollständig obliterirt und
nicht mehr normal gefunden. Ihr Lumen war bedeutend verengt,
1) Kölliker, Gewebelehre. Aufl. 4. Russisch übersetzt p. 699.
2) Max Schultze, Die Retina. Stricker’s Handbuch der Lehre von
den Geweben. p. 1026.
3) W. Krause, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Hannover
1876.
4) Schwalbe, Mikroskopische Anatomie des Sehnerven, der Netzhaut
und des Glaskörpers. Gräfe und Saemisch. Handb. der gesammten Augen-
heilkunde. I. Theil. Leipzig 1874.
5) W. Krause, Membr. fenestr. d. Retina. Leipzig 1868, p. 28.
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 33
484 Gabriel Denissenko:
sie enthielten keine Blutkörperchen mehr und erschienen in Form
dünner Schnürchen, die mit den für ein Gefäss charaeteristischen
Kernen stellenweise besetzt waren. — Es ist uns öfters gelungen
(mit dem Hartnack’schen Immersionssystem No. 12) eine Verbin-
dung mehrerer Aestchen (3—4) mit characteristischen Ausbuchtun-
gen und nicht ganz obliterirtem Lumen an der Verbindungsstelle
zu beobachten. — Das beschriebene Bild haben wir öfters und
jedesmal in der inneren Körnerschicht gesehen, in der äusseren
Körnerschicht dagegen, haben wir Nichts ähnliches beobachtet.
Wie soll man sich nun diesen Widerspruch im Vorkommen
der Gefässe in der Retina des Karpfen erklären? Wir glauben,
dass das Vorkommen der Gefässe in der Retina der Fische über-
haupt nur an jugendlichen Exemplaren zu beobachten ist, weil sie
in späteren Stadien ihr Aussehen verändern und nicht die Form
mit Blut gefüllter Canäle haben, wie beim Jungen. Dagegen bei
erwachsenen Thieren haben die Gefässe die Form dünner Fäden
oder Schnüre mit den characteristischen Merkmalen der im Oblite-
rationsstadium begriffenen Gefässe. So sahen wir es beim Karpfen
und so wird es wohl auch beim Aal der Fall sein.
W. Krause !) spricht die Vermuthung aus, dass die Gefässe
der jungen Thiere sich später in Folge des Wachsthums des Au-
ges nach vorn (resp. lateralwärts) und synchronischer Dehnung
des Sehnervenstammes in die Länge verlieren. Das Wachsthum
hat zur Folge die Ausdehnung des Gefässes, Verminderung seines
Lumen und endlich seine Obliteration.
Diese Ansicht hat Manches für sich, denn bei den besproche-
nen Fischen finden wir sie vollständig bestätigt.
1) W. Krause, Die Nerven-Endigung in der Retina. Arch. f. mikr.
Anat. Bd. 12. 1876.
Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. 485
Erklärung der Abbildung Figur A auf Tafel XXI.
Ein Schnitt durch die Retina eines jungen Karpfen Hartnack 3, V.
Tubus '/, eingeschoben. Müller’sche Flüssigkeit, nachher Spiritus. Gefärbt mit
Haematoxylin und Eosin in Glycerin.
z. s. Zapfen und Stäbchenschicht.
f. e. Limitans externa.
a. k. Aeussere Körnerschicht.
z. k. Zwischenkörnerschicht.
i. k. Innere Körnerschicht.
m. Moleculärschicht.
g. Ganglienzellenschicht.
l. i. Limitans interna.
A. Stützbalken der Inneren Körnerschicht.
B. Räume in der Inneren Körnerschicht.
t. Räume in der Zwischenkörnerschicht.
t‘. Balken in der Zwischenkörnerschicht.
r. Ein mittelgrosses Gefäss, welches von der Hyaloidea ausgegangen ist.
r‘. Ein mittelgrosses Gefäss, welches zur äusseren Körnerschicht geht.
s. Theilung des Gefässes in der inneren Körnerschicht.
s’. Die Gefässe der äusseren Körnerschicht.
v. Die Gefässe der inneren Körnerschicht.
v‘. Das Gefäss der Zwischenkörnerschicht, welches in die äussere Kör-
nerschicht übergeht.
Die Zeichnung ist von Dr. Heitzmann angefertigt.
486 Alexander Qisow:
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden.
Von
Alexander Cisow,
Assistenten am histologischen Laboratorium der Universität zu Kasan.
Hierzu Tafel XXIII und XXIV.
Die letzten Jahre haben eine ganze Reihe eingehender Ar-
beiten über das Gehörorgan gebracht. Diese Arbeiten waren ebenso
extensiv, wie intensiv und haben wesentlich die vergleichende
Morphologie dieses interessanten Organs in vielen Punkten klar
gelegt. In dieser Beziehung sind vor allem die Arbeiten von
Hasse, Hensen, Retzius und Paul Meyer zu nennen. In
jüngster Zeit hat Kuhn es unternommen den Gegenstand auf
breiter Grundlage zu bearbeiten; den zwei in diesem Archiv er-
schienenen Publicationen sollen noch weitere folgen. Wenn wir
uns dennoch entschliessen über Studien zu berichten, die sich auf
ein so vielfach und gründlich bearbeitetes Thema beziehen, so ge-
schieht es, weil gerade die Ganoiden in letzter Zeit nicht in das
Bereich der Untersuchungen gezogen wurden. Das Gehörorgan der
Knorpelfische wurde überhaupt wenig untersucht. Von den älteren
Anatomen berücksichtigen nur Weber!), Breschet?) und Ibsen
die Knorpelfische. Die im Jahre 1878 im Archiv für Anatomie und
Physiologie erschienene Arbeit von Retzius bezieht sich auf die
Plagiostomen und behandelt nur die macroseopischen Verhältnisse 3).
Dasselbe gilt für die Angaben von Hasse ‘).
!) E.H. Weber, De aure et auditu hominis et animalium. Lipsiae
1820.
2) Breschet, Recherches anatomiques et physiologiques sur organ
de l’ouie des Poissons. Paris 1838.
3) Retzius, Zur Kenntniss von dem membranösen Gehörlabyrinthe
bei den Knorpelfischen. Archiv f. Anat. u. Physiol. U. und II. Heft. 1878.
4) Hasse, Die vergl. Morphologie und Histologie des Gehörorgans der
Wirbelthiere. Bd. I. 1873.
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 487
Das häutige Labyrinth der Ganoiden steht, wie wir gleich se-
hen werden, dem Labyrinthe der Knochenfische, wie es Breschet
gezeigt, viel näher als dem der Plagiostomen, und was die Neu-
roepithelien anlangt, so stehen meine Beobachtungen mit den von
Retzius !) an Knochenfischen gemachten, beinahe in vollem Ein-
klange. Da in den Schriften der genannten Forscher die Littera-
tur sehr genau berücksichtigt wurde, und Kuhn noch jüngst in
den Spalten dieses Archivs sehr detaillirte geschichtliche Angaben
gemacht hat, so glaube ich die Litteratur nur insoweit berücksich-
tigen zu müssen, als sie zur Erklärung und richtigen Deutung des-
sen beitragen kann, was ich an Ganoiden gesehen habe. Das fern-
stehende Gehörorgan der Säuger habe ich daher aus der Discussion
ganz ausgeschlossen.
IE
Topographie.
Das Gehörlabyrintk der Ganoiden (Acip. Ruthenus, Acip. Stu-
rio, Aecip. Schiffa) liegt zu beiden Seiten des Gehirns und zwar
des Mittelhirns und des verlängerten Marks. Das vertical stehende
Septum (eine Fortsetzung der dura mater) trennt das Labyrinth
vom Gehirn und besitzt Oeffnungen, durch welche Gefässe und
Nerven zum Labyrinth treten. Dieses Septum ist sowohl mit dem
Rande der knorpeligen Höhle, die das häutige Labyrinth umgiebt,
als mit dem oberen Abschnitte der Innenwand des Sacculus und
der Innenwand des Utrieulus verwachsen. Mit Ausnahme der ge-
nannten Theile liegt das übrige häutige Labyrinth in den knorpe-
ligen Nebenhöhlen des Schädels, d. h. in dem sogenannten knor-
peligen Labyrinthe. Das letztere wird von dem ersteren nicht
vollkommen ausgefüllt, es bleibt ein Zwischenraum übrig (cavum
perilymphaticum), der von dem s. g. perilymphatischen Gewebe
ausgefüllt wird. Dieses Gewebe besteht aus bindegewebigen Bal-
ken, und flächenhaft ausgebreiteten Lamellen, in denen Blutgefässe
und zahlreiche elastische Fasern eingeschlossen sind. Sowohl Balken,
als Lamellen besitzen einen endothelialen Belag. In den Zwischen-
räumen dieses lockeren weichen Gewebes ist eine farblose Flüs-
l) Retzius, Das Gehörlabyrinth der Knochenfische. Stockholm 1872.
488 Alexander Qisow:
sigkeit enthalten, in der Iymphoide Zellen und abgefallene Endo-
thelien zu finden sind. Entfernt man. von dem knorpeligen La-
byrinthe das oben erwähnte Septum, so tritt eine knorpelige Höhle
zu Tage, die den mittleren Theil des häutigen Labyrinthes ent-
hält — den utrieulus und den sinus superior utrieuli. Das cavum
vestibuli wird somit nach innen von dem Septum, nach aussen
vom Knorpel begrenzt. Nach unten und innen von dieser Höhle
sieht man eine ovale Vertiefung, die dem hier gelegenen Sacculus
entspricht. Das ist die fovea saceuli et lagenae. Weiter
nach unten, aussen und vorne liegt als Fortsetzung des cavum
vestibuli — die fovea recessus utriculi, allseitig vom Knorpel
umgeben. Die Höhlung weitet sich nach vorn und etwas nach
aussen zum cavum anterius aus, und enthält die ampullae sa-
gittalis et horizontalis. Die Grenze zwischen fovea recessus utri-
euli und cavum anterius bildet ein knorpeliger Vorsprung, der in
das cavum anterius hineinragt. |
Die Höhlung des ersten sagittalen Abschnittes setzt sich in
das cavum canalis sagittalis fort, begiebt sich nach oben
und hinten und mündet mit breiter Oefinung in das obere vordere
Ende des cavum vestibuli. Die Höhlung des (zweiten) horizonta-
len Abschnittes setzt sich in das cavum canalis horizontalis fort,
welches sich in horizontalem Bogen nach aussen und hinten be-
giebt, um in das cavum posterius zu münden. Nach hinten geht
das cavum vestibuli in das cavum posterius über. Letzteres
stellt einen kurzen, eanalförmigen Raum dar, der sich nach hinten
begiebt und mit der Höhlung der frontalen Ampulle verbindet.
Das cavum posterius enthält den sinus posterior und den hinteren
Theil des horizontalen Canals des häutigen Labyrinths. Von der
Höhle: der frontalen Ampulle aus nach vorn und oben verläuft das
cavum canalis frontalis, indem es bogenförmig nach unten
in den hinteren oberen Abschnitt des eavum vestibuli übergeht.
Nach Eröffnung der genannten Höhlen wird erst das häutige La-
byrinth der Beobachtung zugänglich.
Das häutige Labyrinth der Ganoiden zerfällt in sechs Ab-
sehnitte: 1) Utrieulus mit dem sinus superior et posterior, 2) Re-
cessus utrieuli mit den ihm anliegenden 3) ampulla horizontalis
und 4) ampulla sagittalis und der gesondert gelegenen 5) ampulla
frontalis. Aus diesen Ampullen entspringen die drei entsprechen-
den halbzirkelförmigen Canäle, die in den Utrieulus münden. End-
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 489
lich 6) in den Saceulus. Dieser liegt an der unteren Wand des Utri-
eulus und zerfällt in einen vorderen und einen hinteren Abschnitt
— die Lagena. Zum Sacculus gehört auch der ductus endolympha-
ticus mit dem saceus endolymphatieus.
Der Utrieulus s. vestibulum proprium (Fig. 1 und 2 u) liegt
im cavum vestibuli und bildet den mittleren Theil des häutigen La-
byrinthes, mit welchem alle übrigen Abschnitte ecommunieiren. Ab-
gesehen von seinen beiden sinus besitzt der Utrieulus die Form eines
abgeflachten, ziemlich breiten von vorn nach hinten gerichteten
Cylinders. Seine äussere Wand ist convex, die innere (gegen das
Septum gekehrte) abgeflacht. Nach vorne öffnet sich der Utrieu-
lus mit breiter Oeffnung in den recessus utrieuli (Fig. 1 r. u.).
Letzterer wird von ersterem nur durch einen First an der unteren
Wand getrennt. Nach hinten und etwas nach aussen geht der
Utrieulus in den sinus posterior über. Letzterer stellt einen Canal
vor, dessen breites, vorderes Ende in den Utriceulus übergeht, wäh-
rend das hintere in die frontale Ampulle mündet (Fig. 1u.2a.f).
Nach oben setzt sich der Utrieulus direkt in den sinus superior
fort (Fig. 1s. s), der nach oben sich verengt und mit dem apex
sinus superioris abschliesst. Letzterer ist übrigens nur beim Aecip.
sturio ausgesprochen. In dem oberen Theil des sinus superior
münden zwei halbmondförmige Canäle und zwar — vorn — das
hintere Ende des sagittalen — hinten — das vordere des frontalen
habzirkelförmigen Canals.
Der recessus utriculi hat die Form eines horizontal lie-
genden Cylinders, dessen untere Wand eingedrückt, d. h. abge-
flacht ist, gleichzeitig ist die obere convexe Wand dicker, über-
haupt ist die Wand des recessus utrieuli dicker, als die des utri-
eulus. Indem sich der recessus von dem vorderen Ende des utri-
culus nach vorne begiebt, weicht er gleichzeitig etwas nach aussen
ab, so dass er mit der horizontalen Axe des utriculus einen Win-
kel bildet. An dem vorderen Ende des recessus utrieuli liegen
zwei Oefinungen, die durch eine von der unteren Recessuswand
aufsteigende Falte getrennt sind. Durch diese Oeffnungen com-
munieirt der recessus mit der horizontalen und sagittalen Ampulle.
Die horizontale Ampulle (Fig. 1a. h.) ist mehr nach
aussen und hinten geneigt, während die sagittale Ampulle
(Fig. 1a. sg.) nach innen und vorne liegt. Die obere Wand beider
Ampullen ist convex, während die untere abgeflacht und verhält-
490 Alexander Qisow:
nissmässig dick ist. Diese untere Wand bildet eine Querfalte, die in
die Höhle der Ampulle hineinragt, und von der einen Seitenwand
bis zur anderen reicht, d.i. das Septum transversum. In der
mittleren Partie ist die Falte höher als an den Seiten. Diese Höhe
des Septum transversum beträgt ungefähr ein Drittel der Ampul-
lenhöhe. Die obere Fläche des Septum erscheint (bei der Ansicht
von oben) an den Rändern breiter, als in der mittleren Partie
(Fig.5 0). An der äusseren Fläche der unteren Ampullenwand
sieht man eine Furche, die dem Septum transversum entsprechend
verläuft, in der Mitte ihres Verlaufs sich vertieft und den Ampul-
lennerv aufnimmt. Auf Verticalschnitten, die in der Richtung der
genannten Furche geführt werden, reicht das Septum transversum
von der einen Seitenwand bis zur anderen (Fig. 11). Schneidet
man aber unter rechtem Winkel zur Verlaufsrichtung der Furche,
so erscheint das Septum als Vorsprung, der in die Ampulle hin-
einragt und auf einer Kuppe das Epithel der cerista acustica trägt.
Gleich oberhalb der beiden Endpunkte des Septum transversum
an :beiden Seitenwänden der Ampullen liegen die sogenannten
plana semilunata. Das sind halbmondförmige Bildungen, die
als dunkle Flecke durch die unversehrte Ampullenwand hindureh-
schimmern. Die horizontale Ampulle besitzt nur ein planum semi-
lunatum, das an der äusseren Ampullenwand liegt (Fig.5 p. 8).
Die frontale Ampulle, die in das hintere Ende des sinus po-
sterior mündet (Fig. la. f}, liegt nach hinten und etwas nach aus-
sen vom Utrieulus und zeigt dieselben anatomischen Verhältnisse,
wie die eben beschriebenen Ampullen. Die drei halbzirkel-
förmigen Canäle stehen mit je einer Ampulle in Verbindung.
Der canalis semicireularis horizontalis ist horizontal gestellt, wäh-
rend die beiden anderen (can. semieire. frontalis et sagittalis) ver-
tical gestellt sind. Der canalis frontalis (Fig. 1 e. f) beginnt an
der entsprechenden Ampulle, verläuft nach oben und etwas nach
aussen, biegt sich auf der Höhe bogenförmig, verläuft nach vorn
und etwas nach innen und steigt dann hinab bis an den oberen
Abschnitt des sinus superior, um hier mit breiter, trichterförmiger
Oeffnung zu münden. Dieser Canal bildet also einen nach oben
convexen Bogen. Der sagittale Canal beginnt mit rundlicher
Oeffnung an der sagittalen Ampulle (Fig. 5 o. f), steigt anfangs
aufwärts, biegt sich darauf nach hinten und begiebt sich hinab-
steigend nach innen und unten. Er mündet ebenfalls mit breiter,
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 491
triehterförmiger Oeffnung in den oberen Theil des sinus superior.
Die Convexität des sagittalen Canals ist geringer, als die der bei-
den übrigen. Der horizontale, halbzirkelförmige Canal begibt sich
von der horizontalen Ampulle nach aussen und biegt sich dann,
in einer horizontalen Ebene verlaufend, nach hinten und schliess-
lich (in der Nähe der frontalen Ampulle) nach vorn. Dieser letzte
nach vorn gerichtete Abschnitt des Canals verläuft neben der obe-
ren und äusseren Seitenwand des sinus posterior. Die Wände des
sinus und des Canals sind auf dieser Strecke verwachsen. Die
Liehtungen der halbzirkelförmigen Canäle sind auf dem Querdurch-
schnitte oval. Die Länge der einzelnen Canäle ist verschieden,
am längsten ist der horizontale, am kürzesten der sagittale
Canal.
Der Saceulus bildet den unteren Theil des häutigen Laby-
rinths (Fig. 1 s) und liegt zum grössten Theil in der fovea saceuli
et Lagenae. Er besitzt eine länglich ovale Form, sein vorderer
Abschnitt ist jedoch höher und breiter als der übrige Theil und
erhebt sich kuppelförmig (Fig.3 c. p.). Die innere Wand des Sac-
eulus ist dieker und flacher als die äussere, an welcher eine
seichte Furche zu sehen ist (Fig. 2), die von oben nach unten
verläuft und den eigentlichen Saceulus von dessen hinterem Theil,
der Lagena, abgrenzt. An der hinteren Wand ist diese Grenze
nicht angedeutet, daher besitzen Saceulus und Lagena eine gemein-
schaftliche Höhle. Die obere, innere Wand des Sacculus verbindet
sich (nach vorn zu) mit der unteren Wand des Utrieulus. Der
Uebergang des Sacculus in den Utrieulus geschieht derart, dass die
untere Wand (Boden) des Utriculus sich von innen an die vordere
Wand des Saceulus heftet, in diese Verbindung geht jedoch der
obere kuppelförmige Theil des Sacculus nicht ein, da er nach
aussen verschoben ist und der äusseren Wand des Utrieulus an-
liegt. Da, wo Utrieulus und Saceulus sich berühren, sieht man
von innen eine seichte Furche. Um uns diese Verhältnisse klar
zu machen, betrachten wir Fig. 3, die den mittleren Theil des
häutigen Labyrinthes mit dem Saeculus darstellt. In dem mittle-
ren Theile der Figur sieht man den Utrieulus (w), der nach oben
in den sinus superior (s. s) übergeht; in den letzteren münden
der sagittale und frontale halbzirkelförmige Canal. An den Sei-
tentheilen der Figur sieht man den recessus utrieuli (r. u.) und
den sinus superior (s. p). Unmittelbar unter dem sinus superior
492 Alexander Qisow:
sieht man durch die dünne innere Wand des Utrieulus das trieh-
terförmige Ende des horizontalen halbzirkelförmigen Canals durch-
schimmern. Ausserdem sieht man mehr nach vorn den kuppelför-
migen, jenseits der äusseren Wand des Utrieulus gelegenen Ab-
schnitt des Sacculus. Dieser kuppelförmige Theil sechimmert so-
mit durch die äussere und innere Labyrinthwand durch, während
der untere Theil des Saceulus frei vorliegt. Was die Communi-
cation zwischen Utrieulus und Saceulus anlangt, so gehen die
Höhlen beider durch einen kurzen Canal in einander über. Dieser
verticale canalis utriculo - saceularis durchbohrt mit ovaler
Oeffnung einerseits die untere Wand des Utrieulus, andererseits die
obere Wand des Saceulus. Etwas nach unten von dieser letztern
Oeffnung sieht man an der vorderen inneren Wand des Saceulus
eine ovale Oeffnung (Fig. 3 o. d. e), die in einen häutigen Canal
führt (Fig. 3 und 4 d. e). Dieser von Hasse als duetus endo-
Iymphatiecus beschriebene Canal beginnt am Sacculus und steigt
zwischen der vorderen inneren Wand des Utriculus und dem Septum
in die Höhe, wo er'in einen Blindsack, den saceus endolympha-
tieus, übergeht. Dieser Sack ist nach vorn geknickt und commu-
nieirt keineswegs mit der Schädeloberfläche. Canal und Blind-
sack sind von perilymphatischem Gewebe umgeben. Der ductus
endolymphaticus wird von einigen Anatomen dem aquaeductus ve-
stibuli der Säuger homolog gesetzt. Weber nennt Monro als den
Entdecker des in Rede stehenden Canals bei Fischen. Weber
selbst nennt den Canal: canalis auditorius externus und lässt ihn
bei Plagiostomen vom Saceulus aufsteigen und in einen unter der
äussern Haut gelegenen Sack — den sinus auditorius externus —
übergehen. Von diesem sinus aus führen 2—3 Canäle an die
Sehädeloberfläche. Später hat Breschet den Canal bei Haien
und Rochen als „tube ou canal aseendant“ beschrieben und auch
bis an die Schädeloberfläche verfolgt. Im Gegensatz zu diesen
Forschern behauptet Hasse !), dass der Saceus endolymphatieus
bei Fischen (Spinax acanthias, Raja torpedo) ein nach aussen
vollkommen geschlossener Blindsack ist, während Retzius?) in
1) Hasse, Die vergleichende Morphologie und Histologie des Gehör-
orgeans der Wirbelthiere. Bd. I. 1873.
2) Retzius, Zur Kenntniss von dem membranösen Gehörlabyrinthe bei
den Knorpelfischen. Arch. f. Anat. u. Physiol. Heft II u. III. 1878.
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 495
seiner letzten Arbeit über das Gehörlabyrinth der Knorpelfische
die Angaben der älteren Anatomen bestätigt. Retzius hat die
fraglichen Verbindungscanäle bei Acanthias vulgaris und Raja cla-
vata durch Injection und Präparation nachgewiesen. Ich habe den
in Rede stehenden Blindsack wiederholt präparirt und genau mi-
kroskopisch untersucht, habe ihn mehrere Male injieirt, aber nie-
mals eine Communication mit irgend welchen Canälen ausserhalb
des Labyrinths nachweisen können. Bei den Ganoiden stellt so-
mit der saccus endolymphaticus einen nach aussen abgeschlossenen
Blindsack dar.
1.
Struetur der Wand des häutigen Labyrinths.
Nach Retzius !) besteht die Labyrinthwand aus einem festen
knorpeligen Gewebe mit hyaliner Grundsubstanz, in der nur spär-
liche Fibrillen vorkommen. In dieser Grundsubstanz sind spindel-
förmige Zellen eingebettet, die oft der Wandfläche parallel an-
geordnet sind. Retzius nennt dieses Gewebe — Spindelknorpel.
Hasse ?) ist mit Retzius einverstanden, unterscheidet aber noch
einen Basalsaum an der inneren Fläche der Labyrinthwand.
Kuhn °) stimmt ebenfalls mit den genannten Forschern überein.
Von allen Autoren wurden in dem Grundgewebe Canäle beschrie-
ben, in denen Blutgefässe verlaufen; besonders engmaschig er-
scheint das Blutgefässnetz in dem Verbreitungsbezirke der Nerven.
Diesen letzten Punkt können wir vollständig bestätigen, was aber
die Structur des Grundgewebes anlangt, so können wir die Ansich-
ten unserer Vorgänger nicht acceptiren.
Legt man ein Stück des häutigen Labyrinths eines eben ge-
tödteten nicht zu grossen Fisches in eine indifferente Flüssigkeit
und betrachtet es bei starker Vergrösserung, so sieht man auf
hellem durehsichtigem Grunde feinkörnige, abgeflachte verzweigte
Gebilde mit central gelegenem ovalen Kerne. Die feineren Fort-
1) Retzius, Das Gehörlabyrinth der Knochenfische. Stockholm 1872.
2) Hasse, Das Gehörorgan der Fische. Anat. Studien. Heft II. 1872.
3) Kuhn, Ueber das häutige Labyrinth der Knochenfische. Archiv f.
mikrosk. Anat. Bd. XIV. 1877.
494 Alexander Qisow:
sätze dieser sternförmigen Zellen theilen sich und anastomosiren
unter einander. Durch diese Anastomosen werden Zellen verbun-
den, die sowohl neben als über einander liegen. Man erhält so-
mit ein Bild, das an die Cornea erinnert. Dieses Zellennetz tritt
auch sehr scharf hervor, wenn man das häutige Labyrinth mit
Goldehloridkalium behandelt. Das Zellprotoplasma färbt sich dun-
kel, während Kerne und Grundsubstanz hell bleiben (Fig. 33).
Auf Verticalschnitten erscheinen die in Rede stehenden Zellen spin-
delförmig, sie sind in Reihen angeordnet, die der Innenfläche der
Labyrinthwand parallel laufen. Diese Spindelform wird dadurch
bedingt, dass der grösste Theil der Zellenfortsätze von dem Schnitt
getroffen wird, es treten nur diejenigen Fortsätze hervor, die in
einer Ebene mit dem Zellkörper liegen. An ÖOsmiumpräparaten
tritt das Zellprotoplasma mit den Fortsätzen noch schöner hervor.
Man überzeugt sich ausserdem, dass die Zelle der Grundsubstanz
nicht unmittelbar anliegt, es bleibt zwischen den beiden ein heller
Zwischenraum, der auf die Vermuthung führt, dass die anastomo-
sirenden Zellen in besonderen Räumen liegen. Diese Vermuthung
wird zur Gewissheit, wenn man die Silberimprägnation zu Hülfe
nimmt. An Silberpräparaten sieht man in der Flächenansicht auf
braunem Grunde ein System von hellen sternförmigen unter ein-
ander anastomosirenden Figuren, die in verschiedenen Ebenen
liegen und sich zum Theil deeken. Auf Fig. 32 ist dieses Saft-
canalsystem bei verschiedener Focalstellung aufgenommen. Die
Configuration dieses Safteanälchennetzes ist der des Zellnetzes
sehr ähnlich (conf. F. 33). An Verticalschnitten sowohl wie an
Flächenpräparaten, die mit Pierocarmin gefärbt sind, sieht man
sehr deutlich die gefärbten Zellen in den farblosen Safträumen
liegen. Letztere erscheinen an Verticalschnitten als schmale Spal-
ten, die in parallelen Reihen angeordnet sind und spindelförmige
Zellen enthalten. Weitere Aufschlüsse erhält man mittelst des
Chlorpalladiums, das man 24 Stunden in einer Lösung von 1lp.m.
einwirken lässt. An Verticalschnitten sieht man in der glashellen
durchscheinenden Grundsubstanz die in Rede stehenden Saftbahnen
als ein System von communieirenden Röhren, jdie mit besonde-
ren doppelt contourirten Wänden versehen sind. Diese fei-
nen, aber bei starker Vergrösserung mit doppelten Contouren ver-
sehenen Röhrenwände färben sich in Chlorpalladium gelbbraun
und treten daher in der glashellen Grundsubstanz sehr scharf her-
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 495
vor (Fig. 31). In den Lichtungen der Röhren sieht man Kerne
mit mehr oder weniger Protoplasma. Ob es möglich sein wird
dieses Canalsystem zu isoliren und zu injieiren, wage ich noch
nicht zu behaupten, ja ich weiss nicht einmal, ob dasselbe mit
dem von Budge!) aus dem hyalinen Knorpel dargestellten Canal-
netze zu identifieiren ist. Meine Untersuchungen werden in dieser
Richtung noch fortgesetzt.
Die auseinandergesetzten Strueturverhältnisse beziehen sich
nicht auf alle Theile der Labyrinthwand. In den dünneren Wän-
den des utrieulus und in der äusseren Wand des sacculus gibt es
elastische Netze, die in einer faserigen Grundhaut liegen. In letz-
terer findet man ausserdem Zellen, die zerstreut liegen, und die
oben beschriebene Form besitzen. Die elastischen Netze liegen in
zwei Lagen übereinander. An der inneren Fläche des saceulus
besteht dieses Netz aus feinen elastischen Fasern, während in den
äusseren Wandschichten das grossmaschige elastische Netz aus
diekern Fasern construirt ist. |
Was das Epithel an der Innenfläche des häutigen Laby-
rinths anlangt, so verhält es sich ähnlich dem der Knochenfische.
In der Nähe des Neuroepithels an der erista et macula acu-
stica findet man in grosser Zahl die seit M. Schultze bekannten,
verästelten, grobkörnigen, in Osmium sich dunkel färbenden Zellen.
M. Schultze nannte sie „Cylinderzellen mit sternförmigem Quer-
schnitt“, Hasse — flaschenförmige Pigmentzellen, Retzius —
protoplasmatische Epithelien. Die Bedeutung dieser Zellen ist un-
klar, mit Nerven haben sie nichts zu schaffen. Das flache poly-
gonale Epithel setzt sich in den sinus superior et posterior, sowie
in den recessus utrieuli fort. In der Nähe der macula acustiea
utrieuli werden die flachen Zellen dieker, cubisch, hier findet man
Uebergangsformen zu den Basalzellen des Neuroepithels (Fig. 8 u.
9, g.). In den Ampullen geht das flache Epithel an der Kuppel
in eylinderförmiges über, die Zellen sind hier radiär gestellt. Am
Boden der Ampullen findet man die erwähnten protoplasmatischen
Epithelien (Retzius). An den Seitenwänden der Ampullen, d. h.
an den Enden des septum transversum, liegen die plana semilunata
(Steifensand). Diese Gebilde (Fig. 6. p. s.) bestehen aus Cylinder-
1) Budge, Weitere Mittheilung über die Saftbahnen im hyalinen
Knorpel. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. XVI. 1878.
496 Alexander (isow:
zellen, die an den Rändern niedrig sind, gegen die Mitte des
planum aber stetig an Höhe zunehmen (Fig. 11). An ihrer freien
Fläche sieht man häufig ovale Kugeln (Albuminatkugeln-Retzius),
die wahrscheinlich von dem Zellprotoplasma abgesondert werden.
Der runde Kern der Zelle enthält ein glänzendes Kernkörperchen.
In den halbeirkelförmigen Canälen wird das flache Epithel an der
äusseren convexen Seite etwas dicker d. h. höher. Das flache
Epithei des sacculus geht, wie im utrieulus an der macula acu-
stiea saceuli in eylinderförmiges über. Auch im saceulus findet
man in der Umgegend des Nervenepithels sternförmige protoplas-
matische Epithelien. Die Wand des ductus endolymphatieus ist
der oberen Wand des saceulus ähnlich gebaut, das polygonale
flache Epithel wird nur an der Grenze des sacculus etwas höher.
Ductus und saceus endolymphatieus sind mit einem Brei gefüllt,
der aus kleinen Kalkkrystallen besteht (Fig. 10). Von aussen wird
der duetus endolymphatieus von perilymphatischem Gewebe um-
geben. Letzteres befindet sich auch zwischen Septum und ductus
endolymphatieus. Das Septum ist eine bindegewebige von elasti-
schen Fasern durchsetzte Haut, deren Dieke mit der Grösse der
zur Untersuchung verwendeten Exemplare sehr wechselt. Bei grös-
seren Fischen ist sie mit der innern Wand des utrieulus und der
oberen Wand des saceulus verwachsen. Die Höhle des Labyrinths
ist von einer klaren Flüssigkeit, der sogenannten Endolymphe,
erfüllt.
Ill.
Verlauf des nervus acustieus und seiner Zweige im
Gehörlabyrinth.
Im Gehörlabyrinthe der Ganoiden giebt es acht gesonderte
Endausbreitungen des nervus acustieus: 1) Die macula acustica
recessus utrieuli, 2) die macula acustica saceuli, 3) die
macula acustica Lagenae, 4) die erista acustica amp.
sagittalis, 5) die erista acustica amp. horizontalis, 6)
erista acustica ampullae frontalis, endlich 7) und 8) die
beiden von Retzius entdeckten papillae basilares.
Der Gehörnerv verlässt die medulla oblongata als kurzer ab-
geflachter Stamm, der sich nach aussen wendet und in zwei
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 497
Zweige theilt: den ramus vestibularis und ramus cochlearis.
Der ramus vestibularis begibt sich nach aussen an die untere
Wand des recessus utrieuli, hier theilt er sich in zwei Zweige,
den ramulus ampullae sagittalis und den ramulus amp.
horizontalis. In dem Winkel zwischen den genannten Aesten
entspringt der ramulus recessus utriculi. Er bezieht zum
Theil seine Fasern aus dem ramus vestibularis, zum Theil aus
dessen Aesten und breitet sich fächerförmig an der untern Wand
des recessus utrieuli aus, indem er die macula acustica utrieuli
bildet. Die beiden für die Ampullen bestimmten Aeste verlaufen
an der unteren Wand der betreffenden Ampullen bis zum suleus
transversus, der bei Ganoiden schwächer ausgebildet ist, als bei
den Teleostiern. Von hier aus dringen die Nerven durch das se-
ptum transversum bis an das Epithel der erista acustica. Beide
Ampullennerven werden häufig durch einen an der unteren Wand
des recessus utrieuli verlaufenden ramulus anastomotieus verbunden.
Der ramus cochlearis begibt sich, nach hinten verlaufend,
an die innere Wand des saceulus. Auf dieser Strecke entspringen
aus ihm die ramuli saceuli, die an die maecula acustica saceuli
herantreten. Weiter nach hinten entspringen aus dem ramus coch-
learis die kleinen büschelförmigen ramuli basilares cochleae.
Diese Zweige verlaufen nach oben und vorn zu den von Retzius
entdeckten papillae partis basilaris. Das sind nach innen vor-
springende kleine Erhöhungen an der unteren Wand des utrieulus.
Das sie bedeckende Epithel entspricht vollkommen dem Epithel
an den cristae et maculae acusticae. Nach Abgang der genannten
Aeste theilt sich der ramus eochlearis in die beiden Endäste: den
ramulus lagenaris cochleae und den ramulus amp. fron-
talis (Fig. 3 u. 4 r. a. f.). Der letztere verläuft nach oben und
hinten an der unteren Wand des sinus posterior und der fron-
talen Ampulle und breitet sich vor dem suleus transversus fächer-
förmig aus, um durch das septum transversum bis an das Epithel
der cerista acustica vorzudringen. Der zweite Endast — der ramu-
lus lagenaris cochleae (Fig. 3 und 4 r. 1. ec.) geht nach unten und
hinten, indem er sich fächerförmig an dem hinteren Ende des
saceulus, in der macula acustica Lagenae ausbreitet. In Bezug
auf den nervus acusticus muss noch bemerkt werden, dass einige
seiner Zweige mit bipolaren Ganglienzellen versehen sind und
zwar: der ramus vestibularis, ramus cochlearis, ramulus recessus
498 Alexander (isow:
utrieuli, ramulus saceuli und ramulus lagenae. Diese Ganglien
fehlen hingegen an den Zweigen, die sich zu den Ampullen und
den papillae basilares begeben.
Es wurde bereits erwähnt, dass der nervus acustieus acht
gesonderte mit Nervenepithel bedeckte Endapparate besitzt. Letz-
tere sind folgendermassen gelagert und geformt. Das Nervenepi-
thel (erista acustica M. Schultze) der Ampullen liegt auf der
oberen Fläche des septum transversum. Dieses Epithellager ist
daher wie die obere Fläche des septum breiter an den Enden
d. h. an den Seiten und schmäler in der Mitte. Die übrigen End-
apparate des Hörnerven besitzen verschiedene Grösse und Form.
Die macula acustica saceuli: besitzt die Form eines oblongen
Fleckes, der an Osmiumpräparaten dunkel erscheint. Diese dunkle
Färbung hängt von der dunklen Färbung des Neuroepithels d. h.
der Cylinderzellen ab, aber noch mehr von den zahlreichen myelin-
haltigen Nerven, die in der Wand des saceulus dichte Plexus bil-
den. Diese Nervenendigung liegt an der innern Fläche des sac-
culus, dessen Wand hier verdickt ist. Der mittlere und zum Theil
der vordere Abschnitt des sacculus ist von ihr eingenommen, wäh-
rend in dem hinteren Abschnitt eine gesonderte Nervenendigung,
die macula acustica Lagenae liegt. Diese ist kleiner als die ma-
cula saceuli und besitzt eine rundliche Form. Was die macula
acustica utrieuli anlangt, so ist sie ebenfalls dunkel gefärbt und
liegt an der inneren Fläche der verdiekten unteren Wand des
recessus utrieuli, zwischen dem ramulus amp. sagittalis und dem
ramulus amp. horizontalis. Endlich müssen die beiden von Neuro-
epithel bedeckten papillae partis basilaris erwähnt werden. Sie
liegen an der inneren Fläche der unteren Utrieuluswand als kleine
rundliche Flecken, die von Retzius zuerst beim Hecht beschrie-
ben wurden.
Es erübrigen noch ein paar Worte über die membranae
teetoriae und die Otolithen. Die ersteren bedecken als feine homo-
gene, durchlöcherte Häute das Epithel der maculae acusticae, ihre
gegen das Epithel gekehrte Fläche zeigt Vertiefungen, sodass die‘
Membran in der Flächenansicht durehlöchert erscheint. Ihre nach
innen gekehrte Fläche d. h. die obere — ist noch von einer halb-
flüssigen, schleimigen, in frischem Zustande vollkommen homogenen
Masse bedeckt, in welcher die Otolithen liegen. Beim Acipenser
giebt es nur einen grossen Otolithen (sagitta), der auf der macula
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 499
saceuli liegt. Auf der macula utrieuli und maeula lagenae fehlen
die grossen Otolithen der Knochenfische (Lapillus, Asteriseus). Hier
liest aber eine Masse kleiner Steine, die eine concentrische Strei-
fung erkennen lassen (Fig. 10). Im Centrum dieser Otolithen sieht
man einen homogenen Kern, der von mehr oder weniger zahlrei-
chen Schichten bedeckt ist, je zahlreicher diese Schichten, um so
grösser der Stein. Er wächst also durch Auflagerung neuer Schich-
ten. An den cristae acusticae fehlen sowohl die Otolithen, wie die
membranae tectoriae. Das Epithel ist hier aber von der sogenann-
ten ceupula terminalis (Lang) bedeckt. Nach der Beschreibung
von Hasse, Retzius und Kuhn ist es ein durchsichtiges, zartes
längsgestreiftes Gebilde, das kuppelförmig in die Höhle der Am-
pulle hineinragt.
Hensen!) hält die Cupula für ein Kunstproduet, weil er
an frischen, jungen, durchsichtigen Exemplaren von Gobius, Barsch
und Hering nichts von einer cupula terminalis sehen konnte, wohl
aber sehr lange Hörhare, die in die Höhle der Ampullen hinein-
ragten. Bei den Ganoiden bekommt man an gehärteten Labyrin-
then eine ebensolche cupula terminalis zu Gesicht, wie sie für die
Knochenfische beschrieben wurde. Hingegen sieht man nichts von
einer cupula, wenn man die cerista einem eben getödteten Fische
entnimmt und in indifferenter Flüssigkeit untersucht. Ich bin daher
geneigt mit Hensen die cupula als Kunstproduct anzusehen.
IV.
Der Endapparat des Gehörnerven.
Die Structur des Epithels, das die maculae und cristae acu-
sticae bedeckt, sowie die Beziehungen dieses Epithels zu den
Enden des nervus acusticus sind immer noch als offene Fragen
zu betrachten, trotz vielfältiger und sorgfältiger Untersuchungen,
die gerade in letzter Zeit veröffentlicht wurden. Die älteren Be-
obachter (Hartmann, Krieger) liessen den Hörnerv in End-
schlingen auslaufen, während die späteren Autoren einen Zusam-
1) Hensen, Bemerkungen gegen die cupula terminalis. Archiv für
Anat. u. Physiol. VI. Heft. 1878. i
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 18. 34
500 Alexander Qisow:
menhang der Epithelien mit den Fasern des nervus acustieus sta-
tuirten. Meissner, Stannius, Leydig und Reich vertreten
eine dritte Ansicht, die in der Annahme von spindelförmigen Ver-
diekungen der Nervenfasern gipfelt. Diese Verdickungen (Nerven-
zellen) sollen an der Grenze des Epithels liegen und sich als
“ fadenförmige Gebilde zwischen die Epithelien fortsetzen. F. E.
Schultze beschreibt einen direeten Uebergang der Fasern des
Hörnerven in die Hörhaare. Diejenigen Autoren, welche den un-
mittelbaren Zusammenhang der Neuroepithelien mit den Nerven-
fasern statuirten, zerfallen wiederum in zwei Lager. Die einen
(Oedenius, Kölliker, Rüdinger, Grimm, Ebner und Kuhn)
bestätigen die Angaben von Max Schultze, der die sogenannten
Fadenzellen mit den Fibrillen des Hörnerven in Verbindung bringt,
während die anderen (Hasse, Deiters, Hensen, Retzius,
Paul Meyer) den Hörnerven mit den Oylinderzellen in Verbin-
dung setzen. Zu dieser letzten Ansicht bekennt sich auch Kuhn
in seiner letzten Arbeit „Ueber das häutige Labyrinth der Am-
phibien“ (dieses ‘Archiv Bd. XVII). Gleichzeitig statuiren aber
Kuhn und Paul. Meyer die Existenz feinster Nervenfäden, die
frei zwischen den Cylinderzellen endigen.
Bei der Mittheilung dessen, was ich gesehen, werde ich zu-
erst das Neuroepithel und dann die eigentlichen Nervenendi-
sungen behandeln:
a) Das Neuroepithel.
An Isolationspräparaten ist es leicht die von M. Schultze
untersehiedenen Zellformen wiederzufinden. Die Cylinderzellen
und die Fadenzellen. Die Cylinderzellen sind etwas auf-
gebaucht an der Stelle, wo der Kern liegt. Letzterer ist oblong
und besitzt ein glänzendes Kernkörperchen. An jedem aufge-
bauchten Cylinder kann man zwei Theile unterscheiden, einen
peripheren und einen centraler (Fig. 19 e. e.). Der periphere
Theil ist eylinderförmig, breiter als der centrale, beginnt un-
mittelbar am Zellkörper und verjüngt sich etwas gegen das
freie Ende, welches gewöhnlich mit einem hellen Saume abschliesst
(Fig. 19 0.). Dieser strueturlose Saum tritt besonders an Osmium-
präparaten hervor, weil er farblos und hell bleibt, während die
Zelle dunkelgekörnt erscheint. Manchmal fehlt der Saum an iso-
lirten Zellen. Das sind verstümmelte Zellen mit abgefallenem
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 501
Saum. An gut conservirten Zellen sieht man an der freien Fläche
des Saumes ein Büschel feiner Härchen. Sie erscheinen als helle
Fäden, die an der Basis aneinandergerückt sind und gegen die
Peripherie hin pinselförmig auseinanderfahren. Diese sog. Hör-
haare sind sehr lang, sie messen 0,01—0,022 mm. In jedem Büschel
zählt man 6—8 Haare (Fig. 19 h.). An dicken Schiefschnitten
überzeugt man sich, wenn die Grenzen der freien Zellflächen scharf
hervortreten, dass die Büschel in die Mitte der freien Zellfläche
sich inseriren. Dieses Verhältniss tritt auf Fig. 14 sehr klar her-
vor. Aber auch an Verticalschnitten überzeugt man sich, dass die
Hörhaare von der Mitte der freien Zellfläche und nicht etwa an
der Grenze zwischen zwei Zellen entspringen, wie es Ebner be-
schrieben. An Präparaten, die mit Osmium und darauf mit Chrom-
säure bearbeitet wurden, sieht man häufig (Fig. 19 e, Fig. 20 h
und Fig. 21 h) statt des Haarbüschels nur ein Haar, das mit brei-
ter Basis am Zellsaum beginnt und sich gegen das freie Ende
verjüngt, es ist viel dicker als die Haare des Büschels, während
die Länge dieselbe bleibt. Welche Bilder dem natürlichen Sach-
verhalt entsprechen, ist schwer zu entscheiden. Retzius hält das
Hörhaar für ein zusammengesetztes Gebilde, das unter Umständen
in einzelne Stäbe zerfallen kann, während Kuhn die Biüschel-
form als die natürliche ansieht und das Erscheinen eines einzel-
nen dicken Haars auf ein Zusammenkleben der feinsten Härchen
zurückführt. Berücksichtigt man die Beobachtungen von Hensen,
welcher an lebenden Exemplaren von Gobius, Barsch ete., nur ein
Haar an jeder Zelle gesehen hat, so scheint die Deutung von
Retzius die richtigere zu sein. Die übrigen Autoren sehen das
Hörhaar als einfaches Gebilde an. Ein Durchtreten der Härchen
durch den Zellsaum, wie es Grimm, Rüdinger, Paul Meyer
beschrieben, habe ich nie beobachtet. Der grösste Theil der Be-
obachter konnte das in Rede stehende Verhalten nieht bestätigen.
Das centrale Ende der Cylinderzelle verjüngt sich und geht in
einen centralen Fortsatz über (Fig. 19 e.), der jedoch grüssten-
theils fehlt, daher erscheint das centrale Ende gewöhnlich abge-
stumpft (Fig. 19 a. b.). Der eentrale Fortsatz, wenn er vorhanden
ist, erscheint nach meinen Beobachtungen nie so fein und lang,
wie er von einigen Beobachtern (Kuhn, Retzius, Hasse) be-
schrieben wird. Er ist im Gegentheil verhältnissmässig kurz und
ist weder varicös noch fadenförmig, wohl aber streifig und ver-
502 Alexander Qisow:
hältnissmässig diek (Fig. 19 c.e.). Da in den meisten Fällen, so-
wohl an Isolationspräparaten als an Verticalschnitten das eentrale
Ende der Cylinderzellen abgestumpft erscheint, so ist es möglich,
dass ein centraler Fortsatz überhaupt fehlt, und das, was als Fort-
satz manchmal imponirt, als abgerissener der Zelle anliegender
Nervenfaden zu deuten ist. Die häufig zu beobachtende Streifung
an der Zelle unterstützt diese Deutung. Wir kommen darauf noch
zurück. In Osmium und Chlorgold erscheinen die Cylinderzellen
dunkel. An Osmiumpräparaten erscheinen die dunkelgefärbten
Cylinderzellen körnig. Diese Körnelung rührt daher, dass eine
zwischen den Cylinderzellen vorhandene körnige Kittsubstanz durch
das Osmium gefärbt wird und den Cylinderzellen anhaftet. An
gelungenen Macerationspräparaten schwinden diese Körnchen und
die Cylinderzelle erscheint dann längsstreifig (Fig. 25 u. 27).
Diese zarten Längsstreifen erscheinen bei starker Vergrösse-
rung als feine, häufig varicöse Fäden, die bis an den helleren
Saum der Zelle reichen. Manchmal ist auch der untere centrale
Fortsatz streifig, wodurch der letztere den Nervenfibrillen, die un-
terhalb der Cylinderzellen einen Plexus bilden, sehr ähnlich wird.
Bei wechselnder Foealstellung überzeugt man sich, dass die Strei-
fung nur eine oberflächliche ist, bei scharfer Einstellung auf
die tieferen Partien des Zellprotoplasma oder auf den Kern schwin-
det die Streifung. Wir machen auf dieses Verhältniss besonders
aufmerksam angesichts dessen, dass einige Beobachter die Nerven-
fäden bis an den Kern durch das Zellprotoplasma hindurch ver-
folgt haben wollen. Es muss aber schon hier bemerkt werden,
dass wir eine Verbindung des -Nervenfadens mit dem Zellkern
durchaus in Abrede stellen. Die körnige Kittsubstanz, sowie die
Streifung der Cylinderzellen in den Ampullen der Vögel hat be-
reits Ebner constatirt. Dieser Forscher lässt es aber unentschie-
den, ob die Striehelung von den Abdrücken herrührt, welche die
Fadenzellen auf der Oberfläche der Cylinderzellen hinterlassen,
oder von Nervenfasern, die an der Oberfläche der Cylinderzellen
sich in längslaufende Fäden auflösen. Wir schliessen uns mit
einiger Modification der letzteren Ansicht an und glauben, dass
die erstgenannte Möglichkeit nieht in Betracht kommen kann, weil
die peripheren Fortsätze der Fadenzellen viel dicker sind, als die
feine Streifung der Oberfläche der Cylinderzellen. An den cristae
acusticae sind alle Cylinderzellen gleich lang, was an den maculae
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 503
acusticae nicht der Fall ist. An der Peripherie der macula acu-
stiea Lagenae und in der Mitte der maeula utrieuli sind die Cy-
linderzellen um die Hälfte kürzer, als an den übrigen Localitäten.
Was die andere Zellenart — die Fadenzellen angeht, so
ist ihre Form verschieden je nach der Lagerung des Kerns (Fig. 22 f).
Liegt der Kern in der Mitte des fadenförmigen Gebildes, so resul-
tirt eine Spindelform (Fig. 22 u. 23), d. h. wir haben die von M.
Schultze beschriebene Fadenzelle vor uns. Von dem ovalen Zell-
körper, in welchem der Kern liegt, umgeben von einer dünnen Pro-
toplasmaschicht, treten zwei dünne blasse Fortsätze ab; der Kern
dieser Zellen reicht nie bis zwischen die Cylinderzellen, sondern liegt
immer tiefer. Zwischen den letzteren liegt nur der periphere Fort-
satz der Fadenzelle (Fig. 22, 25, 26, 27, f). Er steigt bis an den hellen
Cuticularsaum der Cylinderzellen empor, wo er mit etwas verbrei-
tertem Ende abschliesst, oder richtiger mit dem Cuticularsaum ver-
schmilzt, indem letzterer eine continuirliche Grenzschicht bildet,
gleichsam eine membrana limitans externa (Fig. 20, 21 0). Der
untere centrale Fortsatz der spindelförmigen Fadenzellen ist kei-
neswegs varicös, wie er vielfach beschrieben wird, er ist aller-
dings manchmal feiner, als der periphere und inserirt sich etwas
verbreitert an dem Basalsaum. Die anderen Fadenzellen, deren
Kerne tief unten liegen, besitzen nur einen peripheren Fortsatz,
während der den Kern beherbergende Zellkörper unmittelbar dem
Basalsaum aufsitzt (Fig. 22 f). Der Fortsatz entspringt vom ko-
nischen Zellkörper und reicht bis an den Cuticularsaum, mit dem
er verschmilzt (Fig. 24). Reisst der Fortsatz ab, so erhalten wir
verstümmelte conische Zellen (Fig. 23f'), die den Basalzellen M.
Schultze’s vollkommen entsprechen. Dort wo das Epithel nie-
driger ist (in der Mitte der macula recessus utrieuli und an der
Peripherie der macula Lagenae) sind auch die Fortsätze der Basal-
zellen kürzer (conf. Fig. 23 II). Daraus folgt, dass die Basal-
zellenals solche nicht existiren. Das, was die Autoren unter
diesem Namen beschreiben, sind Fadenzellen, deren Kerne im un-
teren centralen Ende der Zelle liegen und deren periphere Fortsätze
abgerissen sind (Retzius).
An Isolationspräparaten sieht man nicht selten folgende Bil-
der (Fig. 24). Mehrere periphere Fortsätze der Fadenzellen hän-
gen an dem Cutieularsaum unter einander zusammen. Zwischen
den Fadenzellen erscheinen Zwischenräume, aus denen die Cylin-
504 Alexander Gisow:
derzellen herausgefallen sind. An anderen Präparaten (Fig. 26 I
und II) sind die Cylinderzellen noch erhalten. An den Stellen,
wo die Cylinderzellen eine geringe Höhe besitzen, wie in der
Mitte der macula acustica recessus utrieuli und in der Peripherie
der macula Lagenae, fehlen die spindelförmigen Fadenzellen M.
Schultze’s vollkommen. Man findet zwischen den Cylinderzellen
nur die Basalzellen M. Schultze’s, deren periphere Fortsätze bis
an den Cuticularsaum reichen (Fig. 23 III). An Schnittpräparaten
aus der Mitte der maculae acusticae recessus utrieuli treten ge-
wöhnlich nur die kerntragenden Basaltheile der fraglichen Zellen
hervor, während die Fortsätze zwischen den Cylinderzellen ver-
deckt werden (Fig. 34).
Da wir nun die Basalzellen als verstümmelte Fadenzellen
mit tiefliegendem Kerne erkannt haben und uns (wie weiter unten
auseinandergesetzt wird) überzeugt haben, dass nur die Cylinder-
zellen mit Nerven in nähere Beziehungen treten, so unterscheiden
wir Cylinderzellen und Stützzellen, indem wir die letztere
von Retzius gewählte Bezeichnung, sowohl auf die Fadenzellen,
als die Basalzellen M. Schultze’s anwenden.
Hat man sich an Isolationspräparaten über die Form der
epithelialen Elemente instruirt, so gelangt man auch zu einer rich-
tigen Deutung dessen, was man an einem Verticalschnitte des
Epithelstratums sieht. An einem regelrecht geführten Schnitte aus
der erista aecustica (Fig. 12 u. 20) sieht man an dem freien Rande
des Epithels einen hellen in Osmium sich nicht färbenden Saum,
den sogenannten Cuticularsaum (Fig. 20 0). Von diesem Saume
aus und zwar entsprechend der Mitte der freien Fläche je einer
Cylinderzelle tritt ein langes, an der Basis breites, gegen das
freie Ende sehr feines Haar ab. Niemals sitzen diese Haare an
der Grenze zwischen den freien Flächen der Zelle oder an dem
Rande. Unmittelbar an den hellen Cuticularsaum schliessen sich
die dunkeln Cylinderzellen, die durch helle, schmale Zwischen-
räume getrennt sind. Diese hellen Linien sind die peripheren Fort-
sätze der Fadenzellen. Ungefähr in der Mitte einer jeden Cylin-
derzelle liegt ein heller ovaler Kern. Diese Kerne liegen alle in
einem Niveau (Fig. 20 d). Die centralen Enden der Cylinderzellen
reichen nicht bis an den Basalsaum, sondern hören an Schnitt-
präparaten mit stumpfen Enden auf, oder stossen unmittelbar an
die unterhalb liegenden Kerne der Fadenzellen. Diese Kerne
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 505
liegen in zwei- bis dreifacher Reihe übereinander und erscheinen
besonders scharf an carminisirten Präparaten. Endlich sieht man
in der Tiefe, unmittelbar über dem Basalsaum, eine Reihe Kerne,
die in conischen Zellkörpern liegen, das sind die M. Schultze’-
schen Basalzellen, deren nach oben strebende Fortsätze durch die
Kerne der Fadenzellen grösstentheils verdeckt werden. Die an
Schnittpräparaten hervortretende Schichtung des Epithelstratums ist
also nur eine scheinbare. Es giebt hier keine Elemente, die über-
einanderliegen, sondern nur solche, die nebeneinander liegen.
Alle drei Ampullen verhalten sich in Bezug auf das Neuro-
epithel vollkommen gleich. An Verticalschnitten des Epithels aus
der macula acustica findet man dasselbe Bild (Fig. 29). Nur in
der Mitte der macula recessus utrieuli und an der Peripherie der
macula Lagenae, wo die Cylinderzellen kürzer sind, erscheint nur
eine Reihe Kerne unmittelbar über dem Basalsaum, die übrigen
Kernreihen fehlen, weil eben die spindelförmigen Fadenzellen an
diesen Stellen fehlen. Zwischen den Cylinderzellen giebt es hier,
‘wie feine Schnitte und namentlich Zupfpräparate (Fig. 23) lehren,
nur Fadenzellen mit basalem Zellkörper. Eine körnige Masse
(Kittsubstanz), die zwischen den Basaltheilen der Fadenzellen liest,
verdeckt gewöhnlich die Fortsätze der letzteren. An Vertical-
schnitten aus der macula sacculi und utrieuli (Fig. 30 und 34)
sieht man an den Cylinderzellen eine scharfe Längsstreifung, die
von feinen der Zelle entlang verlaufenden Nervenfäden abhängt.
Es sei hier noch erwähnt, dass ich die Beobachtung von
Kuhn, hinsichtlich des Zusammenhangs der Fadenzellen mit dem
eentralen Ende der Cylinderzellen nicht bestätigen kann. Aller-
dings findet man an Isolationspräparaten Formen, die den von Kuhn
beschriebenen und abgebildeten ähnlich sind. Sie entstehen aber
durch Zusammenkleben von Fadenzellen und Cylinderzellen. Rollt
man solche Gebilde, so findet man gewöhnlich den peripheren
Fortsatz der Fadenzelle eng anliegend an der Cylinderzelle.
Wird nun dieser Fortsatz bei weniger günstiger Lagerung von der
Cylinderzelle maskirt, so wird ein Zusammenhang beider Zell-
arten simulirt.
b) Die Nervenendigungen in den cristae und macu-
lae acusticae.
Den Verlauf der Nerven in den cristae acusticae studirt man
am besten an Verticalschnitten, die das Septum transversum der
506 Alexander Qisow:
Länge nach oder quer treffen. Auf Fig. 11 sieht man das Septum
transversum im Längsschnitt, dasselbe reicht von der einen Sei-
tenwand bis zur anderen und ist von dem Nervenepithel bedeckt.
Von dem letzteren erscheinen bei schwacher Vergrösserung nur
die Cylinderzellen scharf gezeichnet und ebenfalls noch die Kerne
der sogenannten Basalzellen. Unter dem Epithel sieht man die
myelinhaltigen mit Osmium gefärbten Nerven. Sie verlaufen in
zwei dieke Stämmchen getheilt, etwas schief gegen das Epithel.
Auf diesem Wege zerfallen sie in einzelne Nervenfasern, die hart
an der Grenze des Epithels sich der weiteren Beobachtung entzie-
hen. Auf Fig. 9 sieht man das Septum transversum im Querschnitt
als ziemlich steilen Hügel an der unteren Wand der Ampulle.
Das Nervenepithel an der Kuppe liegt auf einer flachen Einsen-
kung des Septum und verhält sich ebenso wie auf dem Längs-
schnitt (Fig. 11). Ein dickes Nervenstämmchen, umgeben vom
perilymphatischen Gewebe, sieht man an der Aussenseite der un-
teren Ampullenwand verlaufen (Fig. 9 n). Da wo letztere sich
zum Septum transversum einstülpt, zerfällt das Stämmchen in ein-
zelne Nervenfasern, die verschieden diek sind und ungetheilt bis
an das Epithel verlaufen, wo sie sich gewöhnlich der Beobachtung
bei schwacher Vergrösserung entziehen.
Bevor wir jedoch den schwierigen Versuch machen die intra-
epithelialen Nerven aufzusuchen, mögen einige Bemerkungen über
die Structur der an das Epithel herantretenden myelinhaltigen Fa-
sern Platz finden.
An den Nervenfasern der Fische lässt sich die fibrilläre
Structur der Axencylinder verhältnissmässig leicht demonstriren.
An Zupfpräparaten, die mit Osmium behandelt waren, sieht man
an isolirten Nervenfasern nach innen von der Schwann’schen
Scheide, die Lanterman’schen Einkerbungen der Myelinscheide.
Bei scharfer Einstellung erscheint der Axentheil der Nerven-
faser auch bei erhaltener Myelinscheide streifig, viel schärfer
tritt aber diese Streifung an den Stellen hervor, wo die ge-
nannten Scheiden in Folge der Präparation abhanden gekommen
sind und der Axeneylinder frei liegt. An diesem unterscheidet
man einen scharfen Contour — die Axencylinderscheide (Horn-
scheide) und den fibrillären Inhalt (Fig. 18). Ebenso häufig be-
kommt man an Schnittpräparaten die Fibrillen des Axeneylinders
zu Gesicht, namentlich an den Stellen, wo der nackte Axeneylin-
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 507
der in das Neuroepithel ausstrahlt (Fig. 12). Sowohl an Sehnitt-
wie an Isolationspräparaten des Nervenepithels sieht man manch-
mal (Fig. 13, 15) Axeneylinder, die büschelförmig auseinanderfal-
len. Obgleich diese bereits von M. Schultze beschriebenen Bü-
schel, wie wir weiter sehen werden, keine normale Erscheinung,
sondern nur Folgen der Präparation sind, sind sie jedoch insofern
instructiv, als die Fibrillen hier sehr scharf und fast isolirt her-
vortreten. Diese Fibrillen kann man sich an Osmiumpräparaten
sowohl im reellen als im optischen Querschnitte zur Anschauung
bringen. Auf Fig. 16 sieht man im Epithel helle, scharf punk-
tirte Kreise, von denen einige unmittelbar in Nervenfasern über-
gehen. Das sind eben Nervenfasern, die durch den Schnitt ge-
rade an der Stelle getroffen wurden, wo sie aus der verticalen in
die horizontale Richtung übergehen. Aus diesen Auseinanderset-
zungen wird der Leser ersehen haben, dass die fibrilläre Struetur
der Axeneylinder an den Fasern des Gehörnerven verhältnissmässig
leicht zu demonstriren ist. Die Lehre von M. Schultze, obgleich
von vielen Histologen angefochten, interpretirt die Erscheinungen
viel besser, als die Lehre von dem homogenen oder gar flüssigen
Aggregatzustand des Axeneylinders. Die fibrilläre Struetur des
Axeneylinders hat in der letzten Zeit in Hans Schultze !) einen
sehr geschickten Vertheidiger gefunden, und wir können diesem
Autor nur beipflichten. — Unsrerseits möchten wir darauf aufmerk-
sam machen, dass das Verhalten des Axeneylinders an der Peri-
pherie, d. i. die Auffaserung und der Uebergang in feine Fibrillen
sich schlechterdings mit dem flüssigen Aggregatzustande nicht ver-
einigen lassen.
Die von Boll studirten Zersetzungsbilder beweisen im besten
Falle nur, dass innerhalb der Axencylinderscheide eine Flüssig-
keit sich befindet; die Existenz der Fibrillen wird aber durch
diese Bilder keineswegs widerlegt. An Rissstellen von Nerven-
fasern, die mit Osmium behandelt waren, sieht man nicht selten
Tropfen einer Flüssigkeit austreten, die sich im Osmium selbst
nach wochenlangem Liegen nicht färbt (Fig. 18).
l) Hans Schultze, Axencylinder und Ganglienzelle. Arch. f. Anat. u.
Physiologie IV. u. V. Heft. 1878.
Die fibrilläre Structur der Nervenelemente bei Wirbellosen. Archiv f.
mikrosk. Anatomie. Bd. XVI. 1878.
508 Alexander Gisow:
Alle diese Thatsachen zusammengenommen führen uns zu der
Ansicht, dass der Axencylinder als Fibrillenbündel auf
zufassen ist, das von einer Scheide umschlossen und in
einer Flüssigkeit suspendirt ist.
Kehren wir nun zu den intraepithelialen Nervenendigungen
zurück. Es wurde bereits erwähnt, dass die Nervenfasern steil
gegen das Epithel aufsteigen, ohne Theilungen einzugehen. Einige
Fasern verlieren an der Grenze des Epithels die Myelinscheide,
sowie die Sehwann’sche Scheide und steigen als Axeneylinder,
ohne in Fibrillen zu zerfallen in die Höhe. Andere behalten an-
fangs die äusseren Scheiden innerhalb des Epithels und steigen,
ohne sich zu theilen, zwischen den Fadenzellen empor (Fig. 7).
Nachdem sie die unteren Enden der Cylinderzellen erreicht ha-
ben, biegen sie bogenförmig um, verlaufen eine kurze Strecke ho-
rizontal, verlieren darauf ihre Scheiden und setzen dann ihren
Weg als nackte Axeneylinder fort (Fig. 20). Dass die Nervenfa-
sern im unteren Theil des Epithels sich nicht auffasern, ersieht
man aus Fig. 16. Es treten hier zwei myelinhaltige Fasern an
das Epithel und setzen ihren Weg als nackte Axenecylinder fort.
Der Schnitt hat letztere quer getroffen, daher sieht man runde,
scharf eontourirte, fein punktirte Scheiben. Etwas höher im Epi-
thel sieht man ähnliche, nur etwas kleinere Scheiben, deren Zu-
sammenhang mit myelinhaltigen Fasern nicht zu demonstriren ist.
Der scharfe Contour der Kreise (Fig. 16 e) rührt von der Axen-
eylinderscheide her, die feine aber scharfe Punktirung von den
quer durchsehnittenen Fibrillen. Diese Bilder beweisen meines
Erachtens nach, dass die Axeneylinder in der Tiefe des Epithels
sich nicht auffasern, wie es M. Sehultze und Kuhn behaupten.
Letzterer beschreibt ein intraepitheliales, nervöses Netz, das sich
zwischen den Cylinderzellen und den Basalzellen ausbreitet. Ich
habe viel Mühe darauf verwandt, um dieses Netzes ansichtig zu
werden, muss aber gestehen, dass es mir nicht gelungen ist. Ich
vermisse in diesem Niveau nicht nur das Netz, sondern auch
isolirte Fibrillen, wohl aber sieht man Fibrillenbündel (i. e. Axen-
eylinder, die ihre Myelinscheide verloren haben), gegen die Cy-
linderzellen ziehen und auf diesem Wege sich in zwei oder drei
Zweige spalten (Fig. 12). Diese Zweige schlagen eine horizontale
Richtung ein und entziehen sich dann gewöhnlich der Beobach-
tung. Es muss jedoch erwähnt werden, dass man in seltenen Fällen
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 509
Bilder erhält; die eine Auffaserung des Axeneylinders bei seinem
Eintritt in das Epithel zu demonstriren scheinen und somit der
Auffassung von M. Schultze und Kuhn günstig sind.
Fig. 13 stellt ein Isolationspräparat dar, aus der Crista acu-
stica, während Fig. 15 einem Schnittpräparat aus der macula sac-
euli entnommen ist. Die Büschel feinster Fibrillen entstehen, wie
ich meine, in Folge mechanischen Insults. An dem Schnittpräpa-
rat Fig. 15 ist das Epithel von der Unterlage zum grössten Theil
abgerissen, während aber die eine Nervenfaser (c‘) noch Andeu-
tungen von Theilungen des Axencylinders zeigt, ist die andere
Faser (c) schon an der Eintrittsstelle verstümmelt, d. h. büschel-
förmig ausgefasert. An Isolationspräparaten (Fig. 13) leiden die
nackten Axencylinder noch viel leichter. Solche Präparate
stehen in direetem Widerspruch mit guten Osmium- und Chlorgold-
präparaten, an denen man die Axencylinder immer eine Strecke
weit in’s Epithel verfolgen kann, wo sie sich häufig theilen und
eine horizontale Richtung einschlagen (Fig. 12, 17, 20).
Was wird nun aus diesen horizontalen Fibrillenbündeln? An
Schnittpräparaten ist es unmöglich darüber Aufschluss zu erhal-
ten. Verschafft man sich aber Flächenansichten des Epithels, indem
man grössere oder kleinere Epithelfetzen isolirt, an denen die Lage
der Cylinderzellen abgestreift ist, so erhält man Bilder, die auf
einen Plexus von Fibrillenbündeln schliessen lassen. Man sieht näm-
lieh im optischen Querschnitt die Kerne der Fadenzellen als helle
Kreise, manchmal ist in ihnen auch ein Kernkörperchen als
glänzender feiner Punkt zu constatiren. In einem Niveau mit den
Kernen, zum Theil etwas oberflächlicher sieht man Fibrillenbündel
verlaufen, die sich theilen und untereinander anastomosiren. Man
bekommt somit ein fibrilläres Balkenwerk zu Gesicht, in dessen
Maschen Kerne eingelagert sind. Kombinirt man diese Bilder mit
den Verticalabschnitten, so gelangt man zu der Vorstellung, dass
die Nervenfasern bis an die centralen Enden der Cylinderzellen
vordringen, darauf einen horizontalen Verlauf einschlagen, um mit
den benachbarten Fasern Fibrillen auszutauschen. Es kommt so-
mit ein Plexus zu Stande, der zwischen den centralen Enden der
Cylinderzellen und den oberen Kernen der Fadenzellen liegt. Dieser
Plexus ist nicht zu verwechseln mit dem vorerwähnten von Kuhn
beschriebenen nervösen Netze, das wir bei den Ganoiden vergebens
gesucht haben. Das von Kuhn für die Knochenfische beschrie-
510 Alexander Qisow:
bene Netz liegt tiefer, d. h. gleich oberhalb der Basalzellen und
besteht aus einzelnen feinen Fäden, während derselbe Autor in
einer jüngst erschienenen Arbeit: „Ueber das häutige Labyrinth
der Amphibien“ (dieses Arch. Bd. XVII. p. 479) einen weitmaschi-
gen intraepithelialen Plexus beschreibt, der möglicherweise mit
dem von mir beschriebenen Plexus identisch ist, obgleich seine
Abbildungen von den meinigen differiren. Die isolirt verlaufen-
den, feinen Nervenfäden im Bereiche der unteren Kernreihe stelle
ich für die Ganoiden in Abrede.
Wie verhalten sich nun die Fibrillenbündel des intraepithe-
lialen Plexus zu den Elementen des Neuroepithels? Wir kommen
nun zu dem Angelpunkte der Lehre von dem Endapparate des Hör-
nerven. Die Ansichten der Forscher differiren in diesem schwie-
rigen Punkte ungemein, weil die gegenwärtigen Untersuchungsme-
thoden kaum ausreichen, um einen sicheren Entscheid zu treffen.
Studirt man an Osmiumpräparaten, die man mit feinen Nadeln
zerzupft hat, die isolirten Gebilde des Neuroepithels, so findet
man in günstigen Fällen, abgesehen von den im vorigen Abschnitte
beschriebenen Cylinder- und Fadenzellen, dünne Fibrillenbündel,
von denen noch feinere Zweige abgehen. Diese Zweige bestehen
ihrerseits aus einer gewissen Anzahl von Fibrillen und erscheinen
in den meisten Fällen abgerissen. In anderen Fällen kann
man sie bis an die Cylinderzellen verfolgen, wobei man
entschieden den Eindruck erhält, als ob der fibril-
läre Nervenzweig unmittelbar in das längsstreifigePro-
toplasma der Cylinderzellen übergehe. Fig. 25 ist eine
möglichst getreue Wiedergabe eines Isolationspräparates aus der
cerista acustica. Abgesehen von den kurzen Zweigen, die sich di-
rect zu den Oylinderzellen begeben, sieht man solche (p‘), die
abgerissen enden. Hier ist höchstwahrscheinlich der Zusammen-
hang mit der Cylinderzelle durch Präparation zerstört. Es wurde
bereits erwähnt, dass die Längsstreifung an den Cylinderzellen
nur an deren Oberfläche zu constatiren ist. Dasselbe sieht man
auf der in Rede stehenden Figur. Die feinen Nervenfibrillen,
welche diese Streifung bedingen, liegen somit an der Oberfläche
und nicht etwa in der Tiefe des Zellprotoplasma. Eine Verbin-
dung der Nervenfäden mit dem Zellkern, die einige Beobachter
constatirt haben wollen, müssen wir durchaus in Abrede stellen.
Es fragt sich nun, ob diese oberflächlich gelegenen Fibrillen mit
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 511
dem Zellprotoplasma organisch verbunden sind oder ob sie dem
letzteren nur unmittelbar anliegen? Der Umstand, dass die Cylin-
derzellen sich in Osmium und Chlorgold dunkel färben, scheint
auf den ersten Blick für die nervöse Natur dieser Gebilde zu
sprechen. Allein, abgesehen von dem Fettgewebe färben sich die
von Retzius sogenannten protoplasmatischen Zellen des häutigen
Labyrinths und viele Drüsenepithelien (Nussbaum) ebenso stark
im Osmium und was das Chlorgold anbelangt, so werden durch
dasselbe bekanntlich viele nicht nervöse Elemente dunkel gefärbt.
Berücksichtigt man weiter, dass an isolirten Cylinderzellen die
feine Längsstreifung sehr häufig fehlt, so muss man voraussetzen,
dass die Verbindung der Cylinderzellen mit den an sie herantre-
tenden Nervenfibrillen keine sehr innige ist. Es muss hier er-
wähnt werden, dass einige Autoren Paul Meyer !), Kuhn 2), ab-
gesehen von der Endigung der Nerven in Cylinderzellen, noch
feine Nervenendigungen zwischen den Cylinderzellen beschreiben
und abbilden. Ebner °) lässt diese feinen Fäden in den Ampul-
len der Vögel in Hörhaare auslaufen und Fr. E. Schulze ‘) be-
hauptet dasselbe für Gobius. Solche zwischen den Cylinderzellen
gelegene Nervenfäden habe ich bei Fischen nie gesehen, trotzdem
ich sehr eifrig darnach gesucht habe. An Verticalschnitten sieht
man zwischen den dunkeln Cylinderzellen (Fig. 28, 29) die peri-
pheren Fortsätze der Fadenzellen und Basalzellen als feine helle
Streifen.
Dieser Unterschied in den Nervenendigungen bei Fischen
einerseits und bei Amphibien und Reptilien andererseits erklärt
sich aus dem Umstand, dass bei den letzteren die Fadenzellen
felllen. Es existiren bei Amphibien und Reptilien nur fortsatzlose,
tiefliegende Kerngebilde, die Kuhn als Basalzellen beschreibt
(l. e. p.518). Es ist also erklärlich, dass in diesem Falle die
1) Paul Meyer, Etudes histologiques sur le Labyrinthe membraneux
chez les Reptiles et les oiseaux. Paris 1876.
2) Kuhn, Ueber das häutige Labyrinth der Amphibien. Archiv für
mikr. Anat. Bd. XVII. 1880.
3) Ebner, Das Nervenepithel der crista acustica in den Ampullen der
Vögel. Separatabdr. aus d. Bericht. des naturwiss. Vereins zu Innsbruck. 1872.
4) F. E. Schulze, Zur Kenntniss der Endigungsweise der Hörnerven
bei Fischen und Amphibien. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862.
512 Alexander Qisow:
Nervenfäden in den leeren Zwischenräumen zwischen den Cylin-
derzellen verlaufen und dort verhältnissmässig leicht zu constati-
ren sind. Bei den Fischen hingegen existiren diese leeren Zwi-
schenräume nicht, sie werden von den peripheren Fortsätzen der
Fadenzellen und Basalzellen eingenommen. Es ist also klar, dass
die Nervenfäden nur zwischen Cylinderzellen und Fadenzellen ver-
laufen können, d. h. den Öylinderzellen unmittelbar aufliegen müs-
sen, sie umstellen letztere allerseits, präsentiren sich aber an
Schnittpräparaten (Fig. 30, 34) nur an der dem Beobachter zuge-
kehrten Zellfläche — daher die feine Längsstreifung. Diese Ner-
venfäden verlaufen bis an den freien Rand des Epithels, indem
sie mit dem Zellprotoplasma in Contact treten. Für die Behaup-
tung eines organischen Zusammenhanges zwischen Cylinderzellen
und Nerv reichen die thatsächlichen Beobachtungen nicht aus.
Sollen wir schliesslieh unsere Ansicht in einen Satz formuliren, so
würde er etwa folgendermassen lauten: aus dem intraepithe-
lialen Nervenplexus treten feine Fibrillenbündel, die
sich an den Cylinderzellen derart vertheilen, dass letz-
tere von den Nervenfäden umstellt werden.
Ebensowenig habe ich an meinen zahlreichen Zupf- und
Schnittpräparaten etwas gesehen, was auf einen Zusammenhang
der Fadenzellen mit Nerven hingewiesen hätte. Niemals war ein
varieöser, centraler Fortsatz an ihnen nachzuweisen, wie mir das
so häufig an den Riechzellen der regio olfactoria gelang!). An
nicht verstümmelten Fadenzellen läuft der centrale Fortsatz immer
in eineVerbreiterung aus, die dem Basalsaum unmittelbar aufsitzt.
In Osmium und Chlorgold bleiben die Fadenzellen immer hell,
während die Cylinderzellen dunkel erscheinen, daher kann man
namentlich an Chlorgoldpräparaten die dunkelgefärbten Nerven
sehr leicht bis an die Cylinderzellen verfolgen (Fig. 28, 29, 30).
Zwischen den dunkeln Cylinderzellen erscheinen die peripheren
Fortsätze der Fadenzellen als helle Streifen oder Interstitien. An
etwas dicken Schnitten oder gequollenen Cylinderzellen fehlen
diese hellen Zwischenräume. Endlich muss ich noch daran erin-
nern, dass ich in der Region der centralen Fortsätze der Faden-
zellen, d. h. in der Tiefe des Epithelstratums, Nervenfäden nicht
1) Centralblatt f. med. Wissenschaft. 1874, 44 u. Arbeiten der natur-
forschenden Gesellschaft zu Kasan. 1879.
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 513
gesehen habe, wohl aber streifige Axeneylinder, die über die Kerne
der Fadenzellen hinaus bis an die Cylinderzellen verfolgt werden
konnten. Man müsste also rücklaufende Nervenfäden annehmen,
wollte man einen Zusammenhang der Fadenzellen mit den Nerven
postuliren, eine Voraussetzung, für welche die Untersuchung gar
keine Anhaltspunkte gegeben hat.
In Bezug auf die Nervenendigungen im Epithel der maecula
recessus utriculi, maculae sacculi und maculae Lagenae können
wir uns kurz fassen, da das Verhalten der Nerven an diesen Stel-
len ein ähnliches: ist, wie in den cristae acusticae. Auf einem
Schnitte, der durch die ganze macula geht (Fig. 8) sieht man eine
Anzahl Nervenstämmchen sich auf dem Wege zum Epithel in
einzelne myelinhaltige Nervenfasern auflösen. Die einzelnen Fa-
sern verlaufen mehr oder weniger gewunden und theilen sich manch-
mal bevor sie das Epithel erreichen, was an der crista acustiea
nur innerhalb des Epithels geschieht. Eine Theilung der Nerven-
fasern innerhalb des Epithels kann man auch an den maculae
acusticae beobachten (Fig. 30 8). An Verticalschnitten aus der
macula recessus utrieuli (Fig. 28) und der macula saceuli (Fig. 30)
sieht man die myelinhaltigen Nerven im Epithelstratum die helle
Schicht der Fadenzellen durchsetzen und bis an die Cylinderzellen
vordringen. Hier verlieren sie gewöhnlich ihre Scheiden (Sehwann’-
sche und Myelinscheide), werden zu nackten Axeneylindern, die
in die horizontale Richtung umbiegen und eine Strecke weit noch
verfolgt werden können, oder sie entziehen sich der Beobachtung,
bevor sie noch die horizontale Richtung eingeschlagen haben. In
anderen Fällen verlieren die myelinhaltigen Nerven, wie an der
erista acustica, ihre Scheiden noch vor dem Eintritt in das Epi-
thel und theilen sich als nackte Axencylinder innerhalb des Epi-
thels. An Isolationspräparaten aus der macula acustiea utriculi et
saceuli ist es mir ebenfalls gelungen die Beziehungen der Cylin-
derzellen zu den Nerven festzustellen. Auf Fig. 27 I sieht man
eine Cylinderzelle aus der macula utrieuli, welche direct in einen
dünnen Zweig eines streifigen, kurz abgerissenen Axencylinders (n)
übergeht. Fig. 27, II bezieht sich auf eine Cylinderzelle aus der
macula saceuli. Man sieht einen Zweig von dem Axencylinder (n)
abgehen, sich theilen und mit der Cylinderzelle in Contact treten;
die eine von den Zweigfasern (p‘) ist abgerissen.
514 Alexander Qisow:
V.
Schluss.
Die Resultate unserer Untersuchungen lassen sich folgender-
massen formuliren.
1. Das häutige Labyrinth der Ganoiden unterscheidet sich
nicht wesentlich von dem der Knochenfische. Diese bereits von
Breschet festgestellte Homologie bezieht sich nach meinen Unter-
suchungen auch auf die mikroskopischen Verhältnisse.
2. Der ductus endolymphatieus beginnt bei den Ganoiden
am saceulus und läuft in einen Blindsack (saceus endolymphaticus)
aus, der mit dem äusseren Medium nicht communieirt, zum Un-
terschied von den Plagiostomen, bei welchen Weber und in letz-
ter Zeit Retzius Canäle nachgewiesen haben, die vom saceus
endolymphatieus an die Schädeloberfläche gehen.
3. Die von Retzius bei den Knochenfischen entdeckten
papillae partis basilaris werden durch meine Untersuchungen auch
für die Ganoiden festgestellt.
4. Hinsichtlich der Struetur des häutigen Labyrinths kann
ich den Anschauungen meiner Vorgänger (Hasse, Retzius,
Kuhn), die das betreffende Gewebe als „Spindelknorpel“ bezeich-
nen, — nicht beitreten. Nach meinen Beobachtungen besitzt das
in Rede stehende Gewebe viel Aehnlichkeit mit der Cornea. Auch
hier gibt es Safteanäle, in denen netzförmig verbundene Protoplas-
makörper liegen. Die Grundsubstanz des häutigen Labyrinths
enthält Bindegewebsfibrillen, die am besten mittelst der Trypsin-
verdauung zur Anschauung gebracht werden.
5. Das Neuroepithel ist an allen eristae et maculae acusticae,
sowie an den papillae partis basilaris gleich. Es ist einschichtig
und besteht aus zwei Zellenarten, die sich durch ihre Form un-
erscheiden. Die Cylinderzellen liegen zwischen den peripheren
Fortsätzen der Fadenzellen. Das Protoplasma der Cylinderzellen
ist körnig; an der Stelle, wo der oblonge Kern mit dem glänzenden
Kernkörperechen liegt, ist der Cylinder etwas ausgebaucht. Manch-
mal zeigt die Oberfläche der Cylinderzelle eine feine Längsstreifung.
An ihrem freien Ende sind die Cylinderzellen von einem hellen
Grenzsaum bedeckt, der von einer Zelle auf die andere continuir-
lich übergeht. Von diesem Saum, entsprechend der Mitte der Zell-
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 515
oberfläche, erhebt sich mit breiter Basis ein langes Hörhaar, das
sich manchmal an der Spitze auffasert. Das entgegengesetzte in-
nere Ende der Cylinderzelle reicht ungefähr bis in die Mitte des
Epithelstratums, wo es gewöhnlich mit abgestutztem Ende aufhört.
Die Form der Fadenzellen ist eine etwas verschiedene, je nach der
Lagerung des Zellkerns. Liegt letzterer ungefähr in der Mitte
des fadenförmigen Gebildes, so resultirt daraus eine Spindelform,
— das sind die M. Schultze’schen Fadenzellen mit peripherem
und centralem Fortsatz. Der erstere reicht bis an den Cutieular-
saum, der letztere inserirt sich mit etwas verbreitertem Ende an
den Basalsaum der Labyrinthwand. Liegt hingegen der Kern an
dem centralen Ende der Fadenzelle, so stösst auch der conische
Zellkörper unmittelbar an den Basalsaum. Diese Zellen besitzen
nur einen peripheren Fortsatz und entsprechen den Basalzellen
M. Schultze’s. Ihr Fortsatz reicht, wie bei den übrigen Zellen, bis
an den Cuticularsaum.
6. Hinsichtlick der Nervenendigungen bin ich zu folgenden
Resultaten gekommen : Die Nervenfasern treten in das Epithel-
stratum entweder als Axencylinder, die von der Axeneylinder-
scheide bedeckt sind, oder sie behalten anfangs die Schwann’sche
Scheide und die Myelinscheide bei. Sie gehen, ohne sich zu thei-
len, an den centralen Fortsätzen der Fadenzellen und ihren Kernen
vorbei. In dem Niveau der unteren Enden der Cylinderzellen
theilen sich die Axencylinder, während die myelinhaltigen Fasern
die Myelinscheide verlieren und eine horizontale Richtung ein-
schlagen, um bald darauf ebenfalls Theilungen einzugehen und
mit den benachbarten Fibrillenbündeln zu anastomosiren. Dadurch
kommt unterhalb der Cylinderzellen ein Plexus blasser Nerven-
fasern zu Stande. Aus diesem Plexus treten feine Fibrillenbündel
ab, die sich an die centralen Enden der Cylinderzellen begeben;
hier legen sie sich an die Cylinderzelle und verlaufen an ihrer
Oberfläche bis an den Cutieularsaum, ohne jedoch letzteren zu
durchbohren.
Aus dieser Beschreibung folgt, dass die feinen Nervenfäden,
welehe die Cylinderzellen umgeben, als Nervenendapparat aufzu-
fassen sind, während die Zellen nur als Träger der Nerven (Hasse)
gelten können.
Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 18. 35
Alexander Qisow:
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII u. XXIV.
Mit Ausnahme der beiden ersten Figuren beziehen sich alle übrigen
auf den Acipenser ruthenus.
Fig. 1 u. 2. Häutiges Labyrinth des acipenser sturio. Fig. 1 von innen,
Fig. 4.
Fig. 6.
Fig. 7.
Fig. 2 von aussen gesehen. Natürliche Grösse.
u. — utrieulus. c.s. — canalis sagittalis.
8.8. —-sinus superior. a. h. — amp. horizontalis.
a.8.8. — apex sinus superioris. a.s. — amp. sagittalis.
a.f. — amp. frontalis. r. u. — recessus utriculi.
c.f. — canalis frontalıs. s. — sacculus.
e.h. — canalis horizontalis. lag. — Lagena.
Der mittlere Theil des häutigen Labyrinths von acipenser ruthenus
von innen gesehen. Die Nerven sind durch Osmium dunkel gefärbt.
Loupenvergrösserung 15.
r. u. — recessus utriculi. p. b. — papillae basilares.
ce. f. — canalis frontalis. r. b. c. — ramuli basilares coch-
ce. s. — canalis sagittalis. leae.
s. e. — saccus endolymphaticus. o.d.e. — orifieium ducti endo-
d. e. — ductus endolymphatieus. lymphatici.
s. p. — sinus posterior. r.s. — ramuli sacculi.
Häutiges Labyrinth des acip. ruthenus, Osmium. Natürliche Grösse.
r. a. f. — ram. amp. frontalis. n.a. — nervus acusticus.
r. 1. c. — ram. lagenaris cochleae. r.a.h. — ram. amp. horizontalis.
r. a.s. — ram. amp. sagittalis. d.e. — duetusendolymphaticus.
r.s. — ram. sacculi. r.b. — ram. basilares cochleae.
Die untere Wand des recessus utriculi mit den anliegenden (hori-
zontalen und sagittalen) Ampullen. Osmium. 15-fache Vergrösserung.
p.v. — ramus vestibularis. r.a.h. —ram. amp. horizontalis.
r.r.u. — ram. recessus utriculi. m.a.r.u.— macula ac. rec. utriculi.
p-s. — planum semilunatum. e.8 — canalis sagittalis.
0. — septum transversum. r.a.s. — ram. amp. sagittalis.
Seitenwand (d) der frontalen Ampulle mit dem Epithel des planum
semilunatum (p. s.). Ausserdem ist das seitliche Ende des septum
transversum mit dem Epithel der crista acustica (c. a.) zu sehen.
Hartnack. Ocul. 3. Object. 4..
n. — Nervenfasern.
Verticalschnitt aus der erista acustica Hartnack. ocul. 3. Object. 7.
d. — Cylinderzellen. n. — Nervenfasern.
f. — Fadenzellen. g. — Wand des septum.
h. — Hörhaare.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
10.
11.
13.
14.
15.
16
19.
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 517
Macula acustica recessus utriculi. Verticalschnitt. Hartnack. ocul. 3.
Object. 4.
m. — Cylinderepithel. n. — Nervenbündel.
c. — Pflasterepithel. a. — Utriculuswand.
Septum transversum. Querschnitt. Hartnack. ocul. 3. Object. 4.
ce. a. — Epithel der crista acustica. s.t. — septum transversum.
g. -— Uebergangsepithel. n. — Nervenstamm.
f. — einzelne Nervenfasern. c. p. — Perilymphatisches Gewebe.
Lapilli maculae recessus utriculi. Hartnack. Ocul. 3. Object. 7.
Verticalschnitt der frontalen Ampulle. Hartnack. Ocul. 3. Object. 4.
p- s. — planum semilunatum. f. — einzelne Nervenfasern.
c. a. — Epithel der crista acustica. n. — Nervenstamm.
a. — Ampullenwand.
. Verticalschnitt aus der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11.
d. — Cylinderzellen. f. — Fadenzellen.
h. — Hörhaare. n. — Nervenfaser.
k. — Kerne der Cylinderzellen. 0. — Axencylinder.
Isolationspräparat des Epithels aus der crista acustica. Hartnack.
Ocul. 3. Object. 11.
d. — Cylinderzellen. n. — Axencylinder, bei p in Fi-
brillenbüschel zerfallend.
Oberfläche des Epithels der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3.
Object. 11.
a. — Oberfläche der Cylinderzellen.
h. — Bündel der Hörhärchen.
Verticalschnitt aus der macula utrieuli. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11.
o. — Saum. n. — Nervenfaser.
d. — Cylinderzellen. c’‘. — sich theilende Axencylinder.
f. — Fadenzellen.
u. 17. Verticalschnitt aus der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3.
Object. 11.
d. — Cylinderzellen. n. — myelinhaltige Nervenfaser.
f. — Fadenzellen. c. — Querdurchschnitte der
Axencylinder.
Isolirte Nervenfaser aus dem ramulus ampullae frontalis. Hartnack.
Ocul. 3. Object. 11.
0. — Axencylinder. d. — helle Tropfen.
m. — Myelinscheide. c. — Kerne der Schwann’schen
Scheide.
Die isolirten Cylinderzellen aus der crista acustica (a. e.) und (b, c, d)
aus der macula acustica utriculi. Hartnack. Ocul. 3. Object 11,
h. — Hörhaar. o. — Saum.
k. — Kern.
518
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig. 26.
Fig. 27.
Fig. 28.
20.
21.
22.
23.
24.
Alexander Qisow:
Verticalschnitt aus der crista acustica. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11.
h. — Hörhaar. d. — Cylinderzellen.
o. — Saum. f. — Fadenzellen.
c. — der nackte Axencylinder. e. — Basalzellen.
n. — eine sich theilende Nervenfaser.
Isolationspräparat der Cylinderzellen aus der crista acustica. Hart-
nack. Ocul. 3. Object. 11.
h. — Hörhaar. o. — Saum.
d. — Cylinderzelle. f. — peripherer Fortsatz der
Fadenzelle.
Isolationspräparat von Cylinder- und Fadenzellen nach Bearbeitung
mit chromsaurem Ammoniak. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11.
d. — Cylinderzellen. f. — Fadenzellen.
f. — Basalzellen.
Isolationspräparat. Osmium. Hartnack. Ocul. 3. Object. 8.
f. — Fadenzellen. f. — Basalzellen.
Anheftung peripherer Fortsätze der Fadenzellen an den Cuticular-
saum. Hartnack. Ocul. 3. Object 8.
o. — Saum. p- — der periphere Fortsatz der
f. — Fadenzelle. Fadenzelle.
. Isolationspräparat, Gruppen von Cylinderzellen, deren untere Fort-
sätze in Verbindung mit Nervenzweigen sich befinden. Hartnack.
Ocul. 3. Object. 11.
n. — sich theilender Axencylinder. f. — der periphere Fortsatz der
Fadenzelle.
p- — Nervenzweige, welche vom p‘. — Abgerissener Nervenzweig.
Axencylinder kommend in
die unteren Fortsätze der
Cylinderzellen übergehen.
Isolirter Saum, mit welchem die peripheren Fortsätze der Faden-
zellen in Verbindung stehen. Hartnack. Ocul. 3. Object. 8.
0. — Saum. f. — der periphere Fortsatz der
Fadenzelle.
Zwei isolirte Cylinderzellen (I) aus der macula utriculi und (II) aus
der macula saceuli. Hartnack. Ocul. 3. Object. 11.
d. — Cylinderzelle. f. — peripherer Fortsatz der
p- — Nervenzweig. Fadenzelle.
Verticalschnitt aus der macula acustica utriculi. Chlorgoldpräparat.
Hartnack. Ocul. 3. Object. 8.
0. — Saum. k. — Capillaren.
d. — Cylinderzellen. a. — Utriculuswand.
f. — Fadenzellen. n. — myelinhaltige Nervenfaser.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
29.
30.
33.
Ueber das Gehörorgan der Ganoiden. 519
Verticalschnitt aus der macula acustica sacculi. Chlorgoldpräparat.
Hartnack. Ocul. 3. Object. 8.
(wie Fig. 28.)
Verticalschnitt aus der macula sacculi. Chlorgoldpräparat. Hartnack.
Ocul. 3. Object. 8.
(wie Fig. 28.)
. Verticalschnitt aus der Wand des häutigen Labyrinths, mit Chlor-
palladium bearbeitet. In der hellen Grundsubstanz ist ein Netz
hohler, unter sich anastomosirender Gänge sichtbar. Hartnack.
Ocul. 3. Object. 8.
. Flächenschnitt aus der Wand des häutigen Labyrinths, mit Argent.
nitr. bearbeitet. In der dunklen Grundsubstanz ist ein Netz heller
sternförmiger, unter sich anastomosirender Canäle sichtbar. Hart-
nack. Ocul. 3. Object. 8.
Flächenschnitt aus der Wand des häutigen Labyrinths, bearbeitet
mit Chlorgold. In heller Grundsubstanz ist ein Netz dunkelgefärh-
ter, unter sich anastomosirender Zellen, mit hellen Kernen sichtbar.
Hartnack. Ocul. 3. Object. 8.
Verticalschnitt aus der Mitte der macula recessus utriculi. Hartnack.
Ocul. 3. Object. 11.
d. — Cylinderzellen.
f. — Kerne der Basalzellen.
n. — Nervenfaser.
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