MARINE BIOLOG
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Received
Accession No.
*,# No book or pamphlet is to be removed from the Lab- |
oratory without the permission of the Trustees. :
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Archiv
Mikroskopische Anatomie
herausgegeben
von
O. Hertwig in Berlin,
v. la Valette St. George in Bonn
und
W. Waldeyer in Berlin.
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie,
Vierunddreissigster,. Band,
Mit 30 Tafeln.
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Bonn
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen)
1889.
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Inhalt.
Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens. Von Dr. P. Eisler,
Prosektor an der Anatomie zu Halle a./S. Hierzu Tafel I
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. Eine histologische
Studie. (Aus dem histologischen Laboratorium des physiolog.
Institutes zu Berlin (Prof. Fritsch).) Von Dr. Paul Schultz.
Hierzu Tafel II
Beiträge zur Histologie des Hodens. Von Dr. F. Hermann, Dozent
an dem anatomischen Institut Erlangen. Hierzu Tafel III und IV
Ueber die Haut des Neunauges. Von L. Pogojeff. Hierzu Tafel V.
Beitrag zur Kenntniss des Baues der Eileiterdrüsen bei den Amphibien.
Von R. Stüve aus Berlin. (Aus dem zoologischen Institut in
Tübingen.) Hierzu Tafel VI.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. Von Karl
Rudolf Burckhardt. Hierzu Tafel VII und VIL
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. Von M. v. Len-
hossek, Docent in Budapest. Hierzu Tafel IX
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut. Von
Dr. J. Herzfeld aus Berlin. (Aus dem anatomischen Institut des
Herrn Prof Dr. Zuckerkandl in Wien.) Hierzu Tafel X
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. Von Heinrich Hoyer, cand.
med. (Aus dem physiologischen Institut zu Breslau.) Hierzu
Tafel XI und XI
Beiträge zur Kenntniss der Zelleu in den Magendrüsen. Von Ernst
Hamburger, cand. med. (Aus dem physiologischen Institut zu
Breslau.) Hierzu Tafel XII.
Der Kropf der Taube. Von Max Teichmann, cand. med. (Aus dem
physiologischen Institut zu Breslau.) .
Ueber die Entwieklungsgeschichte und die Anatomie von Gordius tolo-
sanus Duj. = G. subbifurcus v. Siebold. Von Dr. v. Linstow
in Göttingen. Hierzu Tafel XIV, XV, XVI
Seite
106
123
131
197
208
248
IV Inhalt.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. Von
Dr. med. W. Nagel, Assistenzarzt der Universitäts-Klinik des
Herrn Geheimen Medieinal-Raths Prof. Dr. Gusserow in Berlin
und Docent der Geburtshülfe und Gynäkologie. Hierzu Tafel
XVII, XVII, XIX und XX
Beitrag zur Kenntniss des Geruchsorgans des Hundes. Von Prof. Dr.
Battista Grassi und stud. med. A. Castronovo in Catania.
Hierzu Tafel XXI
Bemerkungen über Mermis. Nachtrag zu „Ueber die Entwickelungs-
geschichte und die Anatomie von Gordius tolosanus“. Von Dr.
v. Linstow. Hierzu Tafel XXI.
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente beim Spulwurme des
Hundes. Von 8. M. Lukjanow. Hierzu Tafel XXIII und XXIV
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel.
Von Dr. B. Solger, ao. Prof. und erstem Prosector am anat.
Institut zu Greifswald. Hierzu Tafel XXV
Die postfoetale Histiogenese des Hodens der Maus bis zur Pubertät.
Von Dr. Friedrich Hermann, Docent an dem anatomischen
Institut der Universität Erlangen. Hierzu Tafel XXVI
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. Von W.
Flemming in Kiel. Hierzu Tafel XXVII
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. Von
Dr. Fr. Maass, Assistent. (Aus dem anatomischen Institut zu
Göttingen.) N he Eee RE ee SS LEE
Beiträge zur Anatomie desfProteus anguineus. Von Dr. Albert Oppel,
Assistent für Histologie an der anatomischen Anstalt in München.
Hierzu Tafel XXVIII, XXIX, XXX
Seite
269
385
..390
397
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429
437
452
511
Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens.
Von
Dr. P. Eisler,
Prosektor an der Anatomie zu Halle a./S.
Hierzu Tafel 1.
Die nachstehende Untersuchung wurde bereits im Jahre 1884
ausgeführt, zu einer Zeit, wo ich in der Literatur noch keine Be-
schreibung dieses Gegenstandes vorfand. Meines Wissens existirt
eine solche auch heute noch nicht. Ich zögere deshalb nicht länger
mit der Veröffentlichung meiner Befunde.
Der Magen stammte von einem kleinen Alligator von etwas
über 2 Fuss Länge. Der Kbnservirung in Müller’scher Flüssig-
keit folgte eine Nachbärtung in Alkohol).
Das Objekt zeigte die Gestalt eines flachen Beutels. Die
Kardia war vom Pylorus über die kleine Kurvatur nur I9mm ent-
fernt, dagegen mass die grosse Kurvatur 130 mm. Die Muskularis
war ziemlich kräftig entwickelt, durchschnittlich in einer Dicke
von 1,5—3,0 mm (an den tiefsten Stellen der grossen Kurvatur). Die
Schleimhaut der hintern Magenwand zeigt makroskopisch eine
relativ glatte Oberfläche, die Vorderwand ist durch starke Längs-
und Querwulste erhoben; an der kleinen Kurvatur stehen die
Wulste durchgängig quer zur Längsaxe des Magens. Von dem
Oesophagus her laufen scharfe Falten bis auf etwa 5 mm über die
Kardialschleimhaut hin.
Zur Tinktion der mikroskopischen Vertikal- und Flachschnitte
wurde hauptsächlich die Doppelfärbung mit Hämatoxylin und Eosin-
Bergamottöl?) benutzt, die mir die besten Präparate gab. Ich ver-
suchte daneben eine grosse Anzahl Kern- und diffusfärbender Rea-
1) Ich verdanke den Magen der Güte des Herrn Prof. Solger.
2) Eine Methode, über die mein damaliger Chef, Herr Prof. Eberth,
in Friedländers „Fortschritten“ referirt hat.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34, 1
2 Dr. P. Eisler:
gentien, um eventuelle Differenzen in der Färbung der Drüsenzellen
zu erzielen, jedoch ohne Erfolg.
Die Dicke der Mukosa beträgt im Ende des Oesophagus 1 mm,
vor der Kardiaregion 0,6, in derselben etwa 0,75, im Fundus 0,8
bis 0,9, im Pylorus 0,6—0,7 mm. Dem entspricht auch die Länge
der Drüsen in den einzelnen Regionen. Nach dem Uebergang auf
das Duodenum sinkt die Dieke der Mukosa auf 0,5 mm.
In dem kurzen Endstück des Oesophagus, welches zu meiner
Verfügung stand, erreicht das schlanke Zylinderepithel eine Höhe
von 30—85 u. Das Oberflächenepithel des Magens ist in allen Ab-
teilungen gleich gebaut und setzt sich aus 23—25 u hohen, schmalen
Zylinderzellen, polyedrischen Pyramiden zusammen, deren nach
dem Mageninnern gekehrte 5—Seckige Basis theils geschlossen
theils offen ist. Die geschlossenen Zellen wölben ihre Oberfläche
mehr oder weniger halbkuglig vor. Der breite innere Theil er-
scheint an offnen Zellen hell, das schmale Ende mit dem ellipsoi-
den Kern feinkörnig, dunkler. An geschlossenen Zellen hat sich
der schleimige Inhalt meist leicht mit Hämatoxylin gefärbt, ohne
aber irgend welche fädige Zeichnung im Innern erkennen zu lassen.
Isolationspräparate zeigen das schmale äussere Ende der Zellen
in einen langen Faden auslaufend, der sich mehr oder weniger
umschlägt, um sich an den Magenleisten zu inseriren.
Dasselbe Epithel steigt in die trichterförmigen Magengrüb-
chen hinab, welche an dem Uebergange von Oesophagus in die
Kardia bis zu 0,3 mm tief und bis 0,1 mm breit sind. Weiterhin
beträgt ihre Tiefe durchschnittlich 60 «, die Breite 30—40 u. Die
Zellen knieken dabei etwas ein und zwar so, dass der Kern parallel
der Längsaxe der Drüse stehen bleibt, der helle Theil der Zelle
sich verschieden stark gegen diese Axe neigt. In das Ende des
Magengrübehens münden ein oder mehre Drüsenschläuche. Das
Letztere ist besonders an der Kardia die Regel.
Der Drüsenausführgang oder Hals zerfällt in eine innere und
eine äussere Partie, in ein inneres und äusseres Schaltstück, um
eine Bezeichnung Rolleis zu gebrauchen. Die Länge des innern
Schaltstücks beträgt 30—40 u durch den ganzen Magen, die Breite
schwankt zwischen 15 und 25 «. Das Epithel dieser Abtheilung
besteht aus kurzen zylindrischen, dachziegelig sich deckenden Zellen
von etwas grösserer Breite als da$ Oberflächenepithel. Meist zeigt
das Profil nur 4 oder 5 derselben. Ihre freien Oberflächen sind
Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens. 3
geschlossen und bilden ein ziemlich regelmässiges Mosaik aus
4—6eckigen Feldern. — Das äussere Schaltstück besitzt eine sehr
wechselnde Länge; es steigt gelegentlich bis 0,2 mm tief hinab,
andrerseits ist es oft nur wenige Zellen lang. Es ist unwesentlich
breiter als das innere Schaltstück und mit stellenweise sehr niedrigen,
platten, langgestreckten Zellen ausgelegt, deren ovoide oder ellip-
soide Kerne wie die der vorhergehenden Abtheilung parallel der
Drüsenaxe stehen. Die Zellen sind oft kaum 3 u hoch und decken
sich meist nach innen zu mit einem kurzen Zipfel.
An das äussere Schaltstück schliessen sich 2 oder 3 gegen
das Ende hin kolbig verdickte und häufig umgeschlagene Drüsen-
tubuli. Die Gabelung erfolgt entweder am Ende des äussern Schalt-
stücks, oder aber das letztere setzt sich in die Gabelung auf ver-
schieden lange Strecken fort. Dementsprechend ist auch die Länge
der eigentlichen Drüsenfundi eine sehr wechselnde. — Am Beginn’
des Drüsenleibes reduzirt sich die Breite des Schlauches bis auf
8—12u, um sich dann wieder auf 25—35 u zu erheben. Jene
Partie besteht im Profil aus 2—3 platten, nach dem Drüsenfundus
hin an Höhe zunehmenden Zellen. Die Höhe der eigentlichen.
Drüsenzellen schwankt zwischen 10—15 u. Sie sind polyedrisch,
in den verschiedensten Stellungen ineinandergefügt. Ihr Kern ist
gross, rundlich oder ovoid, mit einem oder mehren Kernkörper-
chen, und findet sich in verschiedenen Stellungen zur Längsaxe
der Drüse.
Das Lumen der Drüse variirt in den einzelnen Abschnitten.
Am Ende des Trichters verengt es sich etwas, um sich dann be-
trächtlich bis zur Gabelungsstelle zu erweitern; in der Gabelung
selbst ist es meist sehr eng, von da aus nach unten wechselnd
enger oder weiter.
Diese Verhältnisse wiederholen sich ohne besondre Abweichun-
gen durch alle Regionen des Magens. Das Endstück des Oeso-
phagus zeigt vor dem Uebergange in die Kardia einfach zylindrische
Schleimdrüsen, deren Epithel dem der Oberfläche sehr ähnlich am
freien Ende theils offen, theils geschlossen erscheint. Ohne einen
besondern Uebergang folgen dann die Kardialdrüsen, anfangs noch
kurz, bald aber durch die ganze Dicke der Mukosa durchgehend.
Zwischen Pylorus und Duodenum vermengen sich auf eine kurze
Strecke Pylorus- und Duodenaldrüsen, wobei die erstern wesent-
lich an Länge und Breite einbüssen.
4 Dr. P. Eisler:
Die Tunica propria der Schläuche lässt sich als eine zarte,
glashelle Membran bis in die Höhe des Magengrübchens verfolgen
und von dem umgebenden Bindegewebe isoliren. Die eingelagerten,
flachovalen Kerne lassen hin und wieder eine geringe Menge Proto-
plasma an ihren Polen erkennen, erscheinen aber im allgemeinen
kahl. Stern- oder korbförmige Zellen waren nicht zu sehen. Die
Membran ist von einer Unzahl feiner, sehr schwer erkennbarer
Poren durchsetzt?).
Je ein Drüsenpacket von 20—30 Sehlänchen wird von einer
stärkern Bindegewebsmasche umgeben, die mit oft äusserst feinen
Fortsätzen die einzelnen Schläuche hält, sodass die Membranae pro-
priaeder einzelen Schläuche manchmal fast aneinandergrenzen.
Die Magenleisten sind demnach verschieden breit entwickelt; be-
sonders breit sind sie in der Kardiazone. Das Bindegewebe der
stärkern ist in der Mitte zu einem adenoiden Gewebe gelockert,
in welchem sich Lymphkörper angesammelt haben. Zellige An-
häufungen in Gestalt von Lymphfollikeln finden sich verstreut so-
wohl bis dicht unter das Oberflächenepithel als von der Submukosa
heraufreichend und in letzterer selbst.
Die Submukosa besteht aus einem lockern fibrillären Binde-
sewebe, welches von Zügen glatter Muskelfasern in allen Rich-
tungen durchsetzt wird. An der Grenze zwischen Mukosa und
Submukosa, dieht unter dem Ende der Drüsen, zieht sich eine
Längs- und Ringsmuskelplatte durch den ganzen Magen in einer
Stärke von 25—35 u. Sie beginnt ungefähr 2 mm hinter der Kardia,
wo sich die submuköse Muskulatur zu einem 0,8—1 mm starken
Ring verflochten hat, und schwillt am Pylorus auf eine Dicke von
0,5—0,6mm an, wobei sich die Ringsmuskelfasern allmählich auch
längs stellen. Von dieser Muskelplatte treten reichliche Züge in
1) Diese Poren sah ich etwas deutlicher in der Tunica propria der
Magendrüsen von Proteus anguineus. Sie erscheinen bei günstiger Beleuch-
tung als feine, matte Pünktchen in der sonst keine Struktureigenthümlich-
keiten bietenden Membran. In Kanadabalsam werden sie völlig unsichtbar;
man muss, um sie aufzufinden, Zupfpräparate in Wasser oder verdünntem
Glycerin anfertigen und sich zur Untersuchung einer starken Linse (Oelim-
mersion) bedienen. Die Poren sind meiner Ansicht nach unumgänglich noth-
wendig, wenn Diffusionsvorgänge stattfinden sollen, und demnach für alle
sog. homogenen oder strukturlosen Häutchen anzunehmen. Denn durch eine
wirklich völlig homogene, porenlose Platte diffundirt nichts.
Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens. 5
die Magenleisten hinauf bis unter das Magenepithel, zugleich mit
den dünnwandigen Gefässschlingen.
Im mukösen und submukösen Bindegewebe finden sich so-
wohl grosse Zellen, deren grosse Granula sich intensiv mit Häma-
toxylin bläuen, als solche, die stark lichtbrechende, mit Eosin sich
färbende Körner führen. In beiden sind die Granula augenschein-
lich beweglich, denn man trifft sie an der scharf konturirten Zell-
wand ebenso oft als mehr oder weniger dicht um den Kern grup-
pirt. Eine genaue Inspektion beider Arten ergibt, dass die grossen
Granula die stark gefärbte Interfilarmasse darstellen, die durch
das Retikulum der Zellwand hindurehscheint. Die Interfilarmasse
ist in diesen Zellen eben zu Körnern oder Tröpfehen geformt,
hängt nicht unter sich zusammen. Man vermag recht gut auch an
den Stellen, wo keine gefärbte Interfilarmasse liegt, die Interstitien
des Zellgerüsts zart, aber scharf umrissen zu erkennen. — An den
eosinophilen Zellen ist der blau tingirte Kern leicht hinter den
rothen Granulis siehtbar, während bei der erstgenannten Art die
Menge der blauen Interfilarmasse oft den Kern ganz verdeckt.
Wir haben es bei beiden Formen augenscheinlich mit Wanderzellen
zu thun: die Akkommodation ihrer Gestalt an die jeweiligen
Raumverhältnisse charakterisirt sie als solche. — Eine dritte Art
Wanderzellen ist nur von der Grösse der Lymphkörperchen, hat
einen kleinen, stark gebläuten Kern, aber nur einen schmalen, an-
scheinend homogenen Zellleib. Sie und die eosinophilen Zellen
haben die verschiedensten und wunderlichsten Formen von Kernen
und finden sich ausser im Bindegewebe unter und zwischen dem
Epithel der Magenoberfläche und der Drüsen, frei im Drüsenlumen
und gelegentlich im Becher einer Epithelzelle. Oefter sah ich
auch eine der grossen eosinophilen Zellen dergestalt zwischen
Tunica propria und Drüsenzelle gelagert, dass die letztere völlig
ausser Kontakt mit der erstern gekommen, von ihr abgehoben zu
sein schien. j
An den Zellen des Oberflächenepithels sind die feinern Struktur-
verhältnisse ziemlich schwierig zu erkennen. Ein sehr engmaschiges
Fadenwerk füllt den Zellkörper bis in das Ende des schmalen
Wurzelfortsatzes. Die Zellwand hängt innig mit der Filarmasse
des Zellkörpers zusammen und zeichnet sich von dieser jedenfalls
durch eine grössere Resistenz aus. Die matte Granulirung des
Zellkörpers ist der Ausdruck der engen, rundlichen Maschen zwi-
6 Dr. P. Eisler:
schen den Fäden sowohl des Innengerüsts als der Zellwand. Das
Bestehen einer solehen resistenteren Zellwand lässt sich nicht
leugnen. Wir sehen sie ja kontinuirlich auf die Theka übergehen,
wo sie dann als freistehende Wand am entleerten Becher erscheint.
Um die Theka ist eine Wand oder Membran allgemein zugegeben.
Spräche man der übrigen Zelle eine festere Wand — gegenüber
dem minder festen Zellgerüst — ab, so würde man annehmen
müssen, dass die Becherwand sich stets mit der durch stärkere
Sekretanhäufung bedingten Ausdehnung des Bechers zugleich bildete.
Auch dann bliebe die Frage nach der Herkunft der Becherwand
offen. Ausserdem aber würde es des öftern geschehen, dass die
Schleimkuppe mit ihrer Wand vom Zellkörper abrisse trotz der
Elastieität der Zellgerüstfäden, sobald der Druck des angehäuften
Sekretes sich besonders rasch geltend machte. Denn die Becher-
wand leistet auch an der freien Oberfläche, gegen die der Sekret-
druck hauptsächlich wirkt wegen des Fehlens eines Gegendruckes
von Seiten der Nachbarzellen, oft lange Widerstand. Das sieht
man an der manchmal sehr starken Prominenz nach dem Magen
zu. AnZupfpräparaten fand ich fast nie die Theka von dem Zell-
körper abgerissen, sondern sehr häufig die Zelle an der Stelle
durchbrochen, wo Wand plus Zellgerüst am wenigsten Widerstand
zu leisten vermögen, nämlich am Kern oder in seiner Nähe.
Die Becherwand ist nun ebensowenig völlig geschlossen, wie
die übrige Zellwand. Die Interstitien des Fadenwerkes der letz-
teren lassen sich, obwohl nur mit Mühe, auch in der Becherwand
erkennen. Sie stehen betreffs der Wahrnehmbarkeit den Poren
der Tunica propria der Drüsen nahe. Durch den sich bildenden
Schleimspropf werden die Fäden der Becherwand bis zum Maximum
ihrer Elastizität und Dehnbarkeit gespannt und dadurch flacher
und breiter. Die Konturen der Interstitien nehmen dementsprechend
an Schärfe ab, lassen sich aber unter einer Immersion I Hartnack
deutlich erkennen, und zwar amı besten noch an gefüllten Zellen
bei Untersuchung in Wasser oder wässerigem Glycerin. Bei der
Ausdehnung der Theka ändern sie ihre rundliche Form in eine
ovale. Nach Entleerung der Zelle erscheinen die Poren wieder
rundlich; die ganze Becherwand kehrt aber wegen der vorauf-
gegangenen Ueberdehnung nicht sogleich auf ihr früheres Volum
zurück. Daher resultirt die oft zu beobachtende zarte Längs-
streifung der Becherwand, hauptsächlich am Uebergang auf den
Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens. 7
Zellkörper, der Ausdruck einer Längsfaltung der kollabirenden
Wand. — Die Länge des Bechers ist auch beim Krokodil keine
feststehende. Der Rand der Oeffnung ist häufig unregelmässig
zackig und lappig zerrissen, denn die Interstitien der Becherwand
sind trotz ihrer Dehnung zu fein, als dass die zähe Sekretmasse
mit Ueberwindung der Adhäsion hindurchgepresst werden könnte,
wie ich es hin und wieder an den gleichen Zellen des Proteus-
magens beobachtet habe. Die Wand zerreisst deshalb an ihren
freien Partien meist in einer grossen unregelmässigen Spalte. Die
entstehenden Zipfel in der Rissöffnung retrahiren sich aber stellen-
weise mit dem ihnen gebliebenen Reste von Elastizität, so dass
der Rand der Theka glatt erscheint.
In den Drüsen selbst habe ich weder im Bereiche der Schalt-
stücke, noch im Drüsenfundus becherartig offene Zellen gefunden.
Im: grossen Ganzen liessen sich vielleicht der Form nach zwei
Arten von Drüsenzellen unterscheiden, die platten des Schaltstücks
und die grossen polyedrischen des Fundus. Die Tinktion der
beiden, für die mikroskopische Untersuchung in diesem Falle das
einzige Hilfsmittel, widerspricht jedoch einer solchen Auffassung.
Beide Arten färben sich gleich stark in Eosin und erhalten bei
längerem Verweilen in dünnem Hämatoxylin einen leichten blau-
rothen Ton. Auch in der feineren Struktur finden sich keine
Differenzen. In allen Zellen sehe ich dieselbe engmaschige Filar-
masse und nehme auch für diese Zellen einen gewissen Abschluss
nach aussen durch eine resistentere Wandschicht des Faden-
gerüstes in Anspruch. Die Figur 8 der Tafel wurde nach einem
Zupfpräparat in verdünntem Glycerin mit Hartnack Imm. I und
Kamera skizzirt. Es war, wie das nicht selten geschieht, ein
Stück aus der Zelle und damit auch das intrazelluläre Gerüstwerk
durch die Präparirnadel herausgerissen worden, so dass nur ein
leerer Korb blieb, in dessen einem Winkel der Kern lag. An der
Kernseite war ferner ein Stückchen aus der Wand herausgebrochen,
ohne jedoch fortgeschwemmt zu werden. So weit die Oeffnungen
es gestatteten, waren intrazelluläre Filamente nicht mehr zu
sehen, ausser dass vielleicht, verdeckt durch das Wandstück und
den Kern seibst, hinter letzterem noch einige ihn fixirende Fädehen
stehen geblieben. Aehnliche Bilder erhielt ich mehre. — Erlaubt
also die Form der Zellen keinen Unterschied, so könnte man ver-
sucht sein, in der stärkeren oder schwächeren Tinktion der ein-
8 Dr. P. Eisler:
zelnen Zellen jeder Art einen solchen zu sehen. Einmal entdeckt
man neben der überwiegenden Mehrzahl der bläulichrothen Zellen
hie und da helle, nur rosa gefärbte, die zugleich im Gegensatz zu
jenen bedeutend breitere Interstitien nach dem Drüsenlumen zu
zeigen und an ihrer Oberfläche wie angenagt erscheinen. Sie
liegen in einem Niveau mit den übrigen Drüsenepithelien, haben
dieselbe Grösse und einen gleichen, entweder ovoiden oder etwas
plattgedrückten Kern, der sich gut färbt. Solche Zellen sind
zweifelsohne offen, die Zellwand ist in einzelnen Fädchen, aber
nicht in einem breiten Spalt zerrissen, um dem Sekret den Weg
frei zu geben. Dabei bleibt die intrazelluläre Filarmasse bestehen.
Dieser Art von Zellen sehr ähnlich ist eine andere, nur zeich-
nen sich deren Kerne durch eine ungenügende Färbung aus;
meist sind sie eben noch blau konturirt, oder sie sind gar nicht
gefärbt, stark geschrumpft zu kleinen zackigen Körperchen oder
aber ganz verschwunden mit Zurücklassung einiger hyaliner, grau-
gelber Tröpfehen. Ich halte wegen dieser Kernatrophie die letzt-
erwähnten Zellen für abgestorben, bezw. im absterben begriffen,
und glaube meine Annahme damit stützen zu können, dass trotz
dem Vorkommen der beschriebenen Kernreste in scheinbar intak-
ten Zellen doch die meisten von den blassen Zellen gequollen er-
scheinen, von der Drüsenwand mehr oder weniger abgehoben sind
oder schon frei im Drüsenlumen liegen. Ihre Ränder sind locker
und rauh. Oft sitzt unter der abgehobenen Zelle schon eine andere.
Wo dies jedoch nicht der Fall und wo zugleich die benachbarten
Zellenkerne keine Spur einer beginnenden Theilung zeigen, würde
durch die Abstossung oder Ablösung der Zelle eine Lücke im
Drüsenepithel entstehen. Es erscheint mir das einfachste, anzu-
nehmen, dass die Nachbarzellen sich ausdehnen und so die Bresche
wieder füllen, wie Stöhr es für ähnliche Erscheinungen in den
Schleimdrüsen für wahrscheinlich hält!).
Frei im Drüsenlumen liegende Zellen und Reste von solchen
lassen sich in grosser Menge beobachten. Sie sind meist, wohl
in Folge der Verdauung, in ihrem Volum reduzirt. In ihnen trifft
man vorzüglich die schon zu Klumpen degenerirten Kerne neben
Vakuolen im Zellgerüst. Dass die Abstossung der Zelle unter
1) Stöhr, Ueber Schleimdrüsen. Festschrift für A. v. Kölliker 1887,
p. 440.
Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens. 9
Umständen auch rasch, noch vor einem völligen Absterben des
Kerns eintreten kann, sieht man an solchen losgelösten Zellen,
deren Kern sich noch relativ gut färbt. — Man muss wohl an-
nehmen, dass die letztbesprochenen blassen Zellen verbraucht, die
zuerst erwähnten eben gebraucht sind, beide aber jedenfalls des
Inhalts eines Sekretes entbehren.
Die grossen Kerne der unveränderten Drüsenzellen sind auf-
fällig oft longitudinal oder quer eingekerbt. Bei der sonst glatten
Oberfläche halte ich dies nicht für ein Kunstprodukt, denn Flem-
ming hat ein solches Verhalten auch am lebenden Kern be-
obachtet. Eine Schrumpfung ist schon deshalb auszuschliessen,
weil der Kerninhalt allseitig gleichmässig der Kernwand anliegt.
Bemerkenswerth aber ist, dass in offenbar prall mit Sekret ge-
füllten Zellen der Kern nach der Basalmembran zu gedrängt er-
scheint, sogar wie in Becherzellen gar nicht selten flach, meist
napfförmig ist. Ein Becher war in solchen Zellen nie zu kon-
statiren. Ich erkläre mir diese Formen und Lageveränderung aus
einer Anhäufung von Sekret unter der dem Drüsenlumen zuge-
legenen Zellwand. Die letztere lässt das Sekret noch nicht aus-
treten, dasselbe ruft bei wachsender Anhäufung einen vermehrten
Druck nach rückwärts hervor, drängt den Kern nach und nach
an die Basalmembran und dällt ihn zuletzt mehr oder weniger
ein. Wie erwähnt, können auch entleerte Zellen den flachen Kern
besitzen, aber man trifft in ihnen alle Uebergangsformen zu den
normal gestalteten Kernen. Die Zelle, resp. ihr Kern ist eben in
dem Stadium fixirt, als die Entleerung des Sekretes eben statt-
gefunden hatte. Nach dem Aufhören des Druckes dehnt sich der
komprimirte Kern auf seine frühere Gestalt wieder aus. Füllt
sich dann die Zelle aufs neue, so können sich jedenfalls die Kern-
veränderungen wiederholen.
Der Gehalt der Zellkerne an Chromatin ist beim Krokodil
sowohl in den Drüsenzellen, als im Bindegewebe relativ gering.
Das Kernkörperchen ist im Chromatin nicht immer leicht zu fin-
den, meist lässt es sich aber von verdiekten Chromatinportionen
durch seine röthliche Färbung unterscheiden. Es liegt häufiger
peripher als zentral und ist manchmal in mehreren Exemplaren
vertreten. — Eine zarte, ungefärbte Kernwand ist fast durchgängig
nachweisbar.
Ueber den Ersatz der Zellen in den Magendrüsen vermag
10 Dr. P. Eisler: Zur Kenntniss der Histologie des Alligatormagens.
ich nur wenig mitzutheilen. Ich entdeckte bei der ganzen Unter-
suchung in diesem Magen nur eine unzweifelhafte Kerntheilungs-
figur, und zwar die Umordnung des Fadenknäuels in die Stern-
figur im inneren Schaltstück einer Kardialdrüse. Inwieweit die
relativ grosse Anzahl auffällig dunkler gefärbter Kerne, oft mit
höckriger Oberfläche und mit einem hellen Hof umgeben, in Be-
ziehung zur Regeneration der verbrauchten Elemente stehen, wage
ich nicht zu entscheiden. Diese Kerne befinden sich fast stets in
der Nähe von gelockerten oder doch im Absterben begriffenen
Zellen, meist in Zellen im Niveau der übrigen Epithelien oder
unter die gelockerten Elemente geschoben, sie nach dem Lumen
und aus dem Verband mit der Nachbarschaft herausdrängend. An
ihre Lokalisation liessen sich ja manche Vermuthungen anknüpfen,
aber Müller’sche Flüssigkeit konservirt Karyomitosen zu schlecht,
als dass man mit solehen Bildern rechnen könnte. Eine Ver-
wechslung mit unter den Zellen sitzenden Wanderzellen ist kaum
möglich, trotzdem der schmale helle Zellleib derselben auf den
ersten Blick wohl einen hellen Hof vortäuschen könnte. Der
Kontur der Wanderzelle ist aber zu scharf, als dass man sie ver-
kennen sollte, ganz besonders wenn es sich um eosinopbile Zellen
handelt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I.
Fig. 1 Ganze Drüse aus dem Anfang des Fundus; leicht schematisirt.
Fig. 2. Einzelne Zellen des Oberflächenpithels: a) im Becher steckt ein Se-
kretballen; c) Becher dütenförmig kollabirt. Hartnack, Imm. I,
Camera.
Fig. 3. Zellen aus den Magengrübchen. Die oberste entleert mit zerrissener
Becherwand. Imm. I, Camera.
Fig. 4. Zellen des inneren Schaltstücks. Imm., Camera.
Fig. 5. Aeusseres Schaltstück. Hartnack VIII, Oc. II.
Fig. 6. Drüsenfundus mit dem Ende des Schaltstück.. Hartnack VII,
Oe. II. \
Fig. 7. Drüsenfundus. Bei a eine gefüllte thätige, bei b gequollene resp.
komprimirte absterbende Zellen. Im Lumen die Reste zweier abge-
storbener Zellen. Imm., Camera.
Fig. 5. Zwei isolirte Zellen aus dem Drüsenfundus, beim Zerzupfen zerrissen.
Imm., Camera.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 11
(Aus dem histologischen Laboratorium des physiolog. Institutes
zu Berlin (Prof. Fritsch) ).
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander.
Eine histologische Studie.
Von
Dr. med. Paul Schultz.
Hierzu Tafel II.
Einleitung.
„Der Gegenstand, welcher in vorliegenden Blättern behandelt
wird, hat Anatomen und Zoologen bereits oftmals beschäftigt und
ist trotzdem noch weit davon entfernt, zum Abschluss gebracht
worden zu sein.“
So leitete Leydig seine umfangreiche Arbeit über die allge-
meinen Bedeckungen der Amphibien ein; und noch heut, mehr
denn zehn Jahre später, dürften gerade diese Worte geeignet sein,
an der Spitze einer Arbeit zu stehen, die den gleichen Gegenstand
sich vorsetzte. Zwar sind seit jenem Ausspruch Leydigs überaus
umfangreiche und eingehende Forschungen eben diesem Gebiete
zugewendet, und die Namen derer, welehe sie gepflogen, zählen
zu denen vom besten Klange, zwar sind auch entsprechende Er-
folge nicht ausgeblieben, dennoch giebt es noch gegenwärtig der
strittigen Punkte nicht wenige. Ja es hat sich dabei sogar ein
Gebilde der Haut, die Drüsen, fast gar keiner Aufmerksamkeit
erfreut, ob es doch gerade zu den wesentlichen Merkmalen in dem
Aufbau der Amphibien gehört, dass ihre Haut überaus drüsenreich
ist. Um so auffallender muss das erscheinen, wenn man bedenkt,
dass einige Thiere dieser Klasse, was seit langem bekannt, Drüsen
besitzen, welche vermöge der eigenthümlichen Beschaffenheit des
in ihnen erzeugten Saftes die höchst wichtige Bedeutung einer
Vertheidigungswaffe baben.
Ich habe diese Giftdrüsen an Salamandra maculata, sowie an
12 Paul Schultz:
einigen Kröten im hiesigen physiologischen Institut, in der biologi-
schen Abtheilung des Herrn Prof. Dr. Fritsch einer längeren
Untersuchung unterzogen. Die Ergebnisse, insoferne ich tiberhaupt
von solchen sprechen darf, seien in folgenden Blättern niedergelegt.
Zuvor sei mir noch gestattet, Herrn Professor Dr. Fritsch
für den Hinweis auf das Thema, sowie für seine überaus liebens-
würdige Unterstützung, ebenso Herrn Dr. Benda für seine freund-
liche Beihilfe meinen besten Dank zu sagen.
Vorkommen der Giftdrüsen.
Die Giftdrüsen sind bei den Kröten und beim Salamander,
wie man ihrem Zwecke entsprechend von vornherein erwarten
muss, nur auf den Rücken des Körpers und der Gliedmaassen be-
schränkt. Besonders grosse Anhäufungen befinden sich unmittelbar
hinter den Augen in der Ohrgegend; ihnen legte Joh. Müller den
Namen glandulae auriculares bei, man nennt sie gegenwärtig
allgemein Parotiden. Ausserdem sah ich regelmässig beim Sala-
mander — mehr denn dreissig Exemplare bestätigten es — am
Kopf eine zweite ungleich kleinere Anhäufung am Kieferwinkel,
wohl dieselbe, welche schon Leydig als „einzelne Drüsen der
Wangengegend“ !) beschrieb. Bei der Kröte sind die einzelnen
Follikel unregelmässig über die Rückenfläche zerstreut und ver-
leihen der Haut dieses Thieres jene eigenthümliche warzige Be-
schaffenheit, welehe dasselbe so leicht kenntlich macht. Beim
Salamander hingegen hat eine regelmässigere Vertheilung der
Drüsen statt: erstlich, wie schon Leydig!) hervorhob, längs der
ganzen Wirbelsäule bis zur Schwanzspitze hinunter jederseits eine
dieht hinter einander gestellte Reihe, ausserdem aber dieser pa-
rallel eine zweite an den Seiten des Rumpfes, die an der vorderen
Extremität beginnend sich nur bis zur hinteren, also nicht über
den Schwanz hin erstreckt. Diese letzteren Drüsen sind so ange-
geordnet, dass auf je einem der hier sehr deutlichen Ringe, die
nach Leydig?) durch die Stamm-Muskulatur bedingt sind, — ich
zählte deren 12—14 — je eine Drüse aufsitzt. Zwischen beiden
Reihen liegt jener gelbe Bandstreifen, der sich bekanntlich, mehr
oder minder zusammenhängend, von der Schnauze bis zur Schwanz-
HALB
2) 11 8. 74.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 13
spitze erstreckt. Nur selten finden sich noch zwischen jenen
beiden Reihen, also bisweilen in der gelben Längsbinde liegend,
andere Drüsen vor, dann gewöhnlich in der Gegend der hinteren
Extremität.
Betrachtet man die Parotis genauer, so sieht man schon mit
blossem Auge auf ihr dunkle Punkte: es sind das die Oeffnungen
der einzelnen Drüsen auf der Haut. Besonders kenntlich erscheinen
dieselben auf der gelb gefärbten Parotis des Salamanders; hier
setzen sich die Oeffnungen als tiefschwarze Punkte scharf gegen
das Gelb der Umgebung ab. Ich zählte solcher Oeffnungen beim
Salamander auf einer Parotis 15—30, nur ein Exemplar wies die
stattliche Zahi von rechts 44, links 47 Oeffnungen auf.
Es ist bekannt, dass die Ausscheidung des Giftstoffes eine will-
kürliche, dass sie eine Vertheidigungswaffe ist, die bewusst gebraucht
wird. Reizt man die Drüsen mittelst des elektrischen Stromes,
so ist der Erfolg bei den Kröten und Salamandern in bemerkens-
werther Weise verschieden: bei letzteren spritzt das Gift mit
grösster Energie in einem dünnen, über fussweiten, zerstäubenden
Strahl heraus; bei der Kröte tritt dasselbe erst nach längerer Ein-
wirkung des Stromes langsam, tropfenweis und anfangs sehr
spärlich auf die Oberfläche. Lässt man den Strom von aussen
auf die Haut der Wirbelsäule in der Gegend hinter dem Auge,
da, wo Kopf und Rumpf zusammenstossen, wirken, so bedeckt
sich die Rückenfläche des ganzen Körpers und der Gliedmaassen
mit dem Giftsaft; dasselbe findet statt, wenn man den Kopf an
dieser Stelle abschneidet und die Platin-Eleetroden in das Rücken-
mark bringt. Beim Salamander ferner bedeckt sich der ganze
Schwanz mit Gift, sobald man den Strom da ansetzt, wo der
Körper in den Schwanz übergeht. Es möchte daher die Annahme
gerechtfertigt erscheinen, dass an diesen Stellen Sekretions-Centra
liegen.
Methoden.
Bei der Gewinnung der Präparate zur mikroskopischen Un-
tersuchung wurde das am Frosch geübte Verfahren der Enthaup-
tung und Zerstörung des Rückenmarkes auch hier angewendet,
um einer Ausscheidung des Drüsensaftes möglichst vorzubeugen.
Der Erhärtungsmethoden wurden anfänglich mehrere versucht,
zwei indess im weiteren Verlauf als die besten allein beibehalten:
14 Paul Schultz:
die im hiesigen physiologischen Institut übliche Verbindung des
Betz’schen Jod-Alkohols mit Kaliumbichromat in der von Fritsch
angegebenen Weise und die von Benda !) angegebene Salpeter-
säure-Kalium bichrom.-Methode. Die so gehärteten Theile wurden
in Paraffin gebettet, mit dem Schanz’schen Mikrotom geschnitten
und nach dem Schellibaum’schen Verfahren auf das Deckglas ge-
braeht. Auch Färbungen wurden mannigfaltig versucht: auf den
Vorschlag von Paneth wurden die Anilin-Farbstoffe angewendet,
die jedoch keinen empfehlenswerthen Erfolg aufwiesen; ferner
nach Pikrinsäure-Härtung die von Pfitzner angegebene Saffranin-
Färbung, die recht gute Bilder ergab. Aber auch hier erhielten
zwei Methoden den Vorzug vor allen anderen und wurden später
ausschliesslich angewendet. DieHämatoxylin-Carmin- (nach Fritsch)
oder Eosin-Färbung und die von Benda angegebene Abänderung
der Weigert-Heidenhain’schen Hämatoxylin-Färbung?). Letztere
war, wie man sehen wird, von besonderem Werth für die vorliegende
Arbeit; es ist dieselbe im Folgenden der Kürze halber einfach
Kupfer-Hämatoxylin-Färbung genannt.
Epidermis.
Die Epidermis in den Kreis meiner Beobachtungen zu ziehen,
lag für mich schon aus dem rein äusserlichen Grunde nahe, als
ich dieselbe stets auf meinen Schnitten zu Gesicht bekam. Dieser
Beobachtungen aber hier zu gedenken, möchte der Begründung
bedürfen, da erst vor einigen Jahren Pfitzner?) gerade der Epi-
dermis des Salamanders eine eingehende Besprechung hat zu Theil
werden lassen. Aber eben diese ist es, welehe mich veranlasst,
hier noch einmal auf den Gegenstand einzugehen, indem meine
Ergebnisse von den dort niedergelegten in einigen Punkten ab-
weichen.
Schleimschicht.
Die Epidermis (Fig. 2) besteht aus Zellen, welche im Allge-
meinen in mehreren Lagen über einander geordnet sind. Die un-
terste Lage sitzt unmittelbar auf der Cutis; die Zellen derselben
sind längliche, annähernd cylindrische, pallisadenartig neben ein-
1) Anat. Anzeiger III. S. 179.
2) Archiv für mikrosk. Anat. XXX. S. 52.
3) 15.
Wi
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 15
ander stehende Gebilde. Nur in dieser Lage habe ich Kern-
theilungsfiguren gesehen ; zwar giebt Pfitzner !) an, dass sich die-
selben auch in der nächst untersten Lage finden; sieht man indess
näher zu, so bemerkt man, dass solche Zellen allemal, was sich
bisweilen nur mit Hülfe von Serienschnitten ergiebt, mit einem
Fortsatz durch die unterste Lage sich hindurchdrängen und un-
mittelbar der Cutis aufsitzen, also streng genommen zur untersten
Lage gehören. Uebrigens finden sich die Kerntheilungsfiguren so
überaus häufig, dass man in der That „die Annahme, es fände
ausserdem noch eine Vermehrung resp. Neubildung von Epider-
miszellen nach irgend einem anderen Schema statt, vollständig
unnöthig finden muss“ !). An der Grundfläche sind die Zellen aus-
gezeichnet durch lange Fortsätze, welche sieh in die Cutis hinein
erstrecken. Nach F. Eilh. Schulze, der sie zuerst sah und be-
schrieb, sind dies Stützfortsätze, die zur Verzahnung mit der unter-
liegenden Cutis dienen, in welche sie „gleichwie die Borsten zweier
in einander gesteckter Bürsten eingreifen“ 2). Diese Vergleichung,
welehe F. Eilh. Schulze bei den gleichen Zellen der Fisch-
oberhaut anführt, scheint mir für die in Rede stehenden Zellen
nicht zutreffend zu sein. An diesen haben wir nicht im Verhält-
niss zur Oberfläche überaus zahlreiche Fortsätze, von einer ge-
wissen Starrheit, welehe an der Ansatzfläche dicht zusammenge-
drängt sind und nach der freien Oberfläche auseinander weichen;
das würde doch das gewählte Bild voraussetzen. Vielmehr machen
diese Fortsätze bei den Kröten und beim Salamander wegen ihrer aus-
serordentlich langen, unregelmässigen, oft etwas gekrümmten Gestalt
den Eindruck herabhängender Franzen. Es dürfte daher die Be-
zeichnung Stachelfortsätze und Stachelzellen in Bezug auf diese
Elemente nieht passend gewählt sein. Es dienen nun diese Fort-
sätze, wie ich glaube, zur Ernährung für die Zellen, wie diese
Zellen selbst wieder zur Ernährung der darüber befindlichen
Lagen. Hierfür dürfte sprechen, dass gerade unterhalb der Cutis-
Schieht, in welehe diese Fortsätze hineinragen,, das oberflächliche
Hautcapillar-Netz seine Vorbereitung findet. Ferner sind an den
Seitenwandungen dieser Zellen, wie auch schon Eilh. Schulze?)
1) 15 S. 507.
2) 17 8. 148.
3) 17 8. 143.
16 Paul Schultz:
für die entsprechenden Zellen der Fischhaut beschrieb, keine
Fortsätze zu sehen, da doch nicht ersichtlich ist, wenn diese Zellen
einer Befestigung bedürfen, warum die Verzahnung unter einander
weniger nothwendig sei als mit der Cutis. Ernährungsfortsätze
aber wird man nur da erwarten können, wo Ernährungsflüssigkeit
aufgenommen oder abgegeben werden soll, also an unseren Zellen
an der Grundfläche zur Aufnahme, an der oberen zur Abgabe für
die Zellen, welehe nicht in Verbindung mit der Cutis stehen.
Ausserdem ist ja bereits für die übrigen Zellen der Epidermis die
ganze Verzahnungs-Theorie als irrig erwiesen. Bizozzero hat
zuerst gezeigt, dass die Epidermis-Zellen mit ihren Auswüchsen
derart in Verbindung stehen, dass auf dem Schnitt zwischen den
Zellen kleine Brücken mit kleinen Lücken abwechseln, die soge-
nannten Intercellularbrücken mit den Intercellularlücken. Ranvier,
Flemming, Heitzmann, Leydig haben ähnliches beobachtet,
und in neuester Zeit hat Mitrophanow !) gezeigt, dass diese
Brücken aus dem wachsenden Zellprotoplasma entstehen, selbst
lebendes Protoplasma sind mit der Fähigkeit sich zu verlängern
und zu verkürzen, und dass die Intercellularlücken ein mit den
Lympbgefässen in Verbindung stehendes Kanalnetz bilden.
Die Zellen der nächsten Lage sind von sehr unregelmässiger
Gestalt; im allgemeinen rundlich, bald mehr länglich, wie die eben
beschriebenen, bald mehr abgeplattet, wie die folgenden, distal
liegenden. Sie stellen also gleichsam eine Uebergangsform der
ersteren zu diesen dar. Doch gleichen sie. insbesondere in dem
hellen Protoplasma durchaus der untersten Lage; ich fasse daher
diese beiden zusammen, nenne sie Schleimschicht und stelle
sie nach dem Vorgang von Leydig?°) den folgenden Lagen gegen-
über, welche die Hornschicht bilden.
Hornschicht.
Dieselbe besteht aus einer mehr- (beim Salamander gewöhn-
lich drei-)fachen Lage von Zellen. Dieselben zeichnen sich im
Gegensatz zu den vorigen zunächst dadurch aus, dass sie stärker
lichtbrechend, daher dunkler erscheinen und zugleich homogener.
Ferner ist ihr Längendurchmesser der Hautoberfläche parallel,
so dass sie im Gegensatz zu den vorigen eine abgeflachte und
1) 14. 2) 12 $. 138,
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 17
platte Gestalt annehmen, und das allmählich um so mehr, je
weiter nach aussen sie liegen. In demselben Maasse, wie die
Zellen sich mehr in die Breite ausdehnen, wird die Entfernung
zwischen den Kernen derselben grösser, daher denn in den ober-
sten Lagen auf denselben Raum viel weniger Kerne kommen,
als in den unteren. Mit der Abflachung geht Hand in Hand die
Rückbildung der Intercellularbrücken: je näher der Oberfläche,
um so kleiner und undeutlicher werden sie. Die äusserste Lage
der Hornschicht zeigt sich wieder etwas abgesetzt gegen die an-
deren Zellen; sie ist zunächst noch etwas stärker lichtbrechend,
erscheint daher noch etwas dunkler als diese. Bei den Kröten
bildet ihre untere Grenze eine fast gerade Linie, der äusseren
Öherfläche parallel. Dieselbe weist keine Intercellular-Fortsätze
mehr auf, ebenso wenig natürlich die ihr zugekehrte, also obere
Fläche der darunter liegenden Zellen. Da diese untere Grenze
ziemlich scharf und deutlich hervortritt, die Grenzen der Zellen
gegen einander aber fast verwischt sind, so erscheint diese Lage
wie ein Streifen von gleichmässiger Dicke, in welchen in regel-
mässigen Abständen wohl unterscheidbare Kerne eingefügt sind.
Bei schärferem Zusehen löst sich derselbe in kleine neben ein-
ander gestellte Oblongen auf, welche in der Mitte einen Kern
zeigen, also einer Zelle entsprechen. Beim Salamander ist die
untere Grenze, wenn auch nicht so gerade und so scharf hervor-
tretend, wie bei der Kröte, doch erkennbar. Die Zellen, welche
gegen einander nicht mehr abgrenzbar erscheinen, bilden breite
Platten, einen Kern sieht man nicht gerade häufig. Denn erstlich
sind diese hier überhaupt nicht mehr gut unterscheidbar, dann aber
fallen auch nur selten mehrere in einen Schnitt, da sie in der
Mitte verhältnissmässig grosser Tafeln liegen. Hat man einen
solchen Kern getroffen, so sieht man ihn an der unteren Fläche
der Zell-Platte hervorragen, dieser gleichsam aufgesetzt; unter
ihm herum geht vollständig deutlich die untere Zellgrenze.
Häutungsschicht.
Ueber dem Ganzen, also auf der Epidermis zeigt sich ein
schmaler bandartiger Streifen; dieser tritt insbesondere bei der
Kupfer-Hämatoxylin-Färbung hervor, indem er dunkelblau bis
schwärzlich gefärbt gegen die helle, bräunlich-violette Epidermis
immer scharf absticht (s. Fig. 1, 2, 3). Bei allen anderen Fär-
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 34, 2
18 Paul Schultz:
bungsmethoden bleibt er völlig frei. Vergleichung äusserst feiner
Quer- und Flächenschnitte klärt den Bau und die Bedeutung
dieses Bandstreifens auf. Es stellt derselbe nichts anderes dar,
als diejenige zusammenhängende Zelllage, welche aus der eben
erwähnten, ebenfalls schon streifenartigen, äussersten Lage der
Epidermis in weiterer Rückbildung hervorgegangen ist und bei der
nächsten Häutung abgeworfen werden soll. Ich möchte diese Lage
daher Häutungsschicht nennen und stelle sie der eigentlichen
Epidermis oder Epidermis im engeren Sinne (Schleimschicht +
Hornschicht) gegenüber. Die Häutungsschicht löst sich, wie
schon Pfitzner!) angiebt, in Folge der Präparation bisweilen ab,
dies um so leichter, je reifer sie zum Abstossen ist. Das ist der
Grund, weshalb sie frühere Forscher wohl oft nicht gesehen haben.
So fehlt sie bei Leydig?) auf dem Durchschnitt durch die Haut
des Salamanders, ebenso bei Eilh. Schulze?) in der Zeichnung
von der Epidermis des Triton taeniätus. Bolau?) hat, wie ich
glaube, dieselbe zuerst gesehen, er nennt sie ein zusammenhän-
gendes Oberhäutchen und deutet sie richtig. Seitdem finde ich
sie nur bei Pfitzner wieder, der sie Stratum corneum nennt,
während die von mir genannte Epidermis im engeren Sinne bei
ihm den Namen Stratum mucosum führt. Nachdem er bewiesen,
dass dieselbe keine Cuticula, keine strukturlose Membran sein
kann, beschreibt er sie also 5): „Das Stratum corneum besteht aus
einer einzigen Lage verhornter, fast mit einander verbundener
flacher polyogonaler Zellen mit einem in der Mitte liegenden ovalen,
stark abgeplatteten Kern. An pigmentirten Hautstellen enthalten
die Zellen der Hornschicht ebenfalls Pigment, das hauptsächlich
um den Kern herum angehäuft ist; der Kern selbst und die Zell-
grenzen bleiben stets pigmentfrei. Letztere sind durchsichtiger
und stärker lichtbrechend als der Zellleib; sie verlaufen grade
oder etwas geschlängelt, und entbehren der Intercellularbrücken,
also auch bei der Isolirung der «Stachel und Riffe».“ Wäre
hieran etwas auszusetzen, so dürfte es vielleicht das sein, dass
die Zellgrenzen allerdings durehsichtiger, aber weniger licht-
brechend und daher auch heller als der Zellleib sind, auch habe
1) 15 S. 52. 2) 11 Taf. VI, Fig. %.
3) 17 Taf. VIII, Fig. 9. 428.8,
5) 15 S. 504.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 19
ich ihren Verlauf nie geschlängelt, sondern nur gerade gesehen.
Die Häutungsschicht zieht nun „als geschlossene Membran über die
ganze Oberfläche des Körpers hin und zeigt, ausgenommen an den
Drüsenmündungen, nirgends Unterbrechungen.“ In diese stülpt
sie sich in unverminderter Dicke ein. — Es gelang mir übrigens
im hiesigen Aquarium von einem in der Häutung begriffenen Sa-
lamander eben abgestossene Fetzen zu erhalten. Sie zeigten
durchaus den eben beschriebenen Bau (s. Fig. 4). Man sieht
also, dass die bei der Häutung abgestossene Schicht des Sala-
manders sich wesentlich von der bekannten des Frosches unter-
scheidet. Bei letzterem bilden die Zellen, die übrigens viel kleiner
sind, eine doppelte Lage; zwar findet man auch beim Sala-
mander einzelne derartige Stellen, die sich auf dem Querschnitt
bei der Kupfer-Hämatoxylin-Färbung sehr hübsch darstellen,
indem die eigenthümliche dunkelblaue Färbung unterhalb der
Häutungsschieht in die oberste Lage der eigentlichen Epidermis
hineingreift; indess gehört doch das zu den Ausnahmen. Bei den
Kröten !) habe ich abgestossene Haut nie erlangen können; doch
muss sich dieselbe zu Folge den obigen Angaben, wie beim Sala-
mander, aus einer einfachen Lage von Zellen, welche wie beim
Frosch sehr klein sind, zusammensetzen. Es dürfte sich daher
die Vermuthung Pfitzners°), dass nur die Caudaten die einfachere
Form der Häutung zeigen, die Batrachier dagegen einen Ueber-
sang zu den komplizirten Häutungsvorgängen der Reptilien auf-
weisen, doch vielleicht als nicht zutreffend erweisen.
Becherzellen.
In der Hornschicht findet sich bei den Kröten wie beim Sala-
mander ausser den gewöhnlichen Zellen noch eine andere eigen-
thümliche Art vor. Ich habe sie hauptsächlich am Salamander
studirt und lege ihnen gemäss der Gestalt, in welcher sie sich
bei diesen ayf der Höhe der Entwicklung zeigen, den Namen
1) In Frorieps Tagesnotizen (18) findet sich eine Beobachtung über
die Häutung der Kröten mitgetheilt. Darnach soll die im ganzen, mit Hülfe
der Extremitäten, abgestreifte Haut zu einem Klumpen geballt und von dem
Thiere verschluckt werden. Mir ist es, wie gesagt, nicht gelungen eine Häu-
tung der Kröten zu beobachten. Auch habe ich in der Literatur andere An-
gaben, als die erwähnte, nicht finden können.
2) 15 S. 523.
20 Paul Schultz:
Becherzellen bei. Seitdem Rudneff sie am Frosch entdeckte,
haben sich hervorragende Forscher mit diesen Zellen in der Ober-
haut der Amphibien beschäftigt. War man auch über ihre Ent-
wieklung und über ihren Bau sehr getheilter Ansicht, so herrschte
doch seit der bahnbrechenden Arbeit F. Eilh. Schulze’s!) über ihre
Bedeutung im Allgemeinen völlige Einigkeit. Aber auch diese
ist neuerdings durch Pfitzner?) erschüttert worden, so dass für
diese Gebilde gegenwärtig mehr denn je das sub judice lis est gilt.
Wenn ich hier in diese schwierige Erörterung einzugreifen wage,
so geschieht das in der Erwägung, dass selbst ein kleines, un-
bedeutendes Gewicht einer schwankenden Wage bisweilen den
Ausschlag zu geben vermag?).
Die Gestalt der Zellen auf der Höhe der Entwicklung — denn
nur diese kann man als ihre typische Form ansehen — ist durchaus
derart, wie der oben vorgeschlagene Name angibt (ef. Fig. 2). Die
Grundfläche ist nicht eben, sondern rundlich; Fortsätze, die in die
Tiefe gehen sollen, gibt es daran nicht. In dem Boden der Zellen,
ihn fast ganz ausfüllend, liegt der Kern. Derselbe, immer scharf
begrenzt, ist rundlich, bald annähernd viereckig, bald mehr oval,
er ist verhältnissmässig arm an Chromatin-Substanz; Kerntheilung
habe ich an ihm nie gesehen; über ihm ist die Zelle oft etwas
eingeschnürt. Durch den Inhalt unterscheiden sich diese Zellen
lebhaft von denen der Umgebung. Es ist derselbe, was insbeson-
dere bei der Kupfer-Hämatoxylin-Färbung hervortritt, regelmässig
heller und bald mehr feinkörmig, bald mehr feinstreifig. Es
findet sich diese Inhaltsmasse nicht blos, wie Eilh. Schulze für
13.17;
2) 15 S. 512: „Ich möchte ihnen jedoch weder eine sekretorische, noch
eine sensorische, sondern eine rein mechanische Funktion zuschreiben, näm-
lich die, eine festere Verbindung der Hornschicht‘ (cf. oben S. 19) „mit der
Schleimschicht zu bewirken.“ — „Ich erwarte allerdings manchem Widerspruch
zu begegnen, wenn ich sie so gewissermaassen als Nägel ansehe, mit denen
das Stratum corneum angeheftet ist; aber soll man vor einer Deutung zu-
rückschrecken, nur weil sie beim ersten Anblick allzu sinnlich erscheint, wenn
sie doch zugleich allein eine Erklärung zu geben im Stande ist.“
3) In neuester Zeit hat List (22) eine überaus umfangreiche Arbeit
über Becherzellen überhaupt veröffentlicht. Doch sind die in Rede stehen-
den Becherzellen, wie überhaupt diejenigen in der Oberhaut der Amphibien
nicht besonders erwähnt und, nach der auf Seite 539 gegebenen Zusammen-
A lee
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 21
den Triton angegeben, an der Uebergangsstelle zwischen Hals und
Bauch, sondern füllt vielmehr den ganzen Zellraum oberhalb des
Kernes aus, wenn sie auch an jener Stelle am dichtesten und
daher am dunkelsten erscheint!). Das distale Ende der Becherzelle
liegt in der Höhe der äusersten Zelllage der eigentlichen Epider-
mis, reicht also bis auf die Oberfläche derselben und wird nach
aussen hin begrenzt durch die Häutungsschicht. Dieses obere Ende
— ich hebe ausdrücklich hervor, es handelt sich nur um die
Zeit der höchsten Entwiekelung — ist meist wenig schmäler als
der Boden und stellt eine deutliche rundliche Oeffnung dar. Das
ist der Kernpunkt der ganzen Frage: die Becherzellen münden
auf der eigentlichen Epidermis unterhalb der Häutungsschicht.
Diese Oeffnung tritt besonders scharf begrenzt hervor, wenn sie
etwas schräg getroffen ist, weniger sichtbar ist sie an Zellen,
durch welche der Schnitt genau senkrecht hindurch geht. Ueber
der Mündung liegt nun ein Häufchen, welches genau von dersel-
ben Beschaffenheit ist, wie der Inhalt der Zelle, und bisweilen
deutlich mit ihr im Zusammenhang steht: es ist der unmittelbar
aus der Zelle hervorgequollene Inhalt selbst. Das hatte auch schon
Leydig beobachtet, er schreibt: „Der Halsabschnitt der Zelle
kann sogar über die Ebene der Haut als ein, wenn auch sehr
niedriger kegeliger Körper hervorragen, welcher stärker vergrössert
den Eindruck macht, als ob die Zelle an diesem ihrem oberen
Ende ein dornähnliches Cutieularkäppchen hätte“?). Auf dem eben
beschriebenen Bilde ist also offenbar, woran ich schon oben erin-
nerte, die Häutungsschicht abgefallen, und es hat daher die Angabe
stellung zu urtheilen, wohl auch nicht besonders vom Verfasser untersucht.
In der eingehenden historischen Uebersicht ist übrigens von der Arbeit
Pfitzners nur das erwähnt, was sich auf die Becherzellen der Larve von
Salamanders bezieht. Die durchaus neue und gewiss auffällige Ansicht Pfitz-
ners über diese Zellen in der Oberhaut des erwachsenen Salamanders,
welche er allerdings Flaschenzellen nennt, ist dagegen nicht berührt.
1) Eine Filar- und Interfilarmasse, wie sie List (22) beschrieben und
in zahlreichen Abbildungen vorzüglich dargestellt hat, zu unterscheiden, gelang
mir nicht, da mir die Zeit zum eingehenderen Studium dieser Verhältnisse
mangelte.
2) 12 8.145. — Man wird übrigens hierbei unwillkürlich an das von
Gruby und Delafond beschriebene „Epithelium capitatum“ im Darm erinnert.
cf. 22 S. 487.
29 Paul Schultz:
durchaus nichts Befremdliches, wenn man unter Haut versteht, was
ich Epidermis im engeren Sinne nenne: der überragende Theil des
Halses, das Cuticularkäppchen, ist eben der herausgeflossene und
erstarrte Inhalt der Zelle. So erklärt sich wohl, dass überhaupt
ein Streit über die Lage der Mündung entstehen konnte. Während
die einen Forscher die Häutungsschicht über die Mündung der
Zelle hinweggehen sahen, daher folgerichtig bestritten, dass die-
selbe auf der freien Oberfläche statthabe, mussten die anderen,
in deren Bildern die Häutungsschicht abgefallen war, das Gegen-
theil behaupten.
Die Becherzellen haben also, um es noch einmal zu bemer-
ken, an ihrem oberen Ende eine Oeffnung und durch diese tritt
der Inhalt heraus. Das dürfte wohl als beweisend erachtet wer-
den, dass diesen Gebilden eine absondernde Vorrichtung zukommt,
dass sie in der That einzellige Drüsen sind. Vergleichen wir des
weiteren die Stellen, wo der Inhalt am meisten herausgeflossen
ist, mit denen, wo er sich noch in der Zelle befindet, so wird uns
auch sofort die Bedeutung dieser Ausscheidung und damit der
Zellen selbst klar werden._ Es bestätigt sich für dieselben gerade am
Salamander die von Eilh. Schulze ausgesprochene Vermuthung:
„dass sie in einer nahen Beziehung zum Häutungsprozess stehen,
dass sie nämlich das Sekret liefern, wodurch periodisch die eine
oder zwei obersten Lagen höchst abgeplatteter Zellen (aus denen
die abgestossenen Hüllen bestehen) in ihrer Verbindung mit den
unterliegenden gelockert und schliesslich aus derselben vollständig
gelöst werden“!). Auf Querschnitten zeigt sich nämlich die
Häutungsschicht gerade da am ehesten gelöst, wo sich die Becher-
zellen befinden, und da am meisten, wo die Inhaltsmasse am reich-
lichsten herausgeströmt ist. Es drängt sich dieselbe, wie hier
vorzüglich zu sehen ist, zwischen die Oberfläche der eigentlichen
Epidermis und die Häutungsschicht, und das mit einer solchen
Kraft, dass sowohl an dieser, wie an jener eine kleine Ausbuch-
tung entsteht (ef. Fig. 1 u. 2).
Ist der Inhalt entleert, hat sich die Häutungsschicht ge-
lockert, so hat die Becherzelle ihre Verrichtung erfüllt; sie bildet
sich zurück, um sich zu neuer Thätigkeit vorzubereiten. Die
Mündung fällt zusammen und zieht sich dabei von der obersten
1) 17 8. 168.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 23
Lage, welche sie bisher durchbrochen und die sich nunmehr bald
völlig zur Häutungsschicht umbildet, zurück. Zugleich verkleinern
die Zelltafeln, indem sie sich noch mehr abplatten, die bisherige
Oeffnung; ausgefüllt aber wird sie durch den in ihr zurück-
gebliebenen Inhalt der Becherzelle. Dieser erstarrt völlig wahr-
scheinlich erst, wenn diese Lage selbst Häutungsschicht geworden
ist, also mit der äusseren Luft in Berührung kommt (ef. Fig. 3
u. 4). Ebenso wie die Mündung der Becherzelle sich verändert,
werden Bauch und Hals schmäler. Und in dieser Zeit treten alle
jene Formen auf, welche Pfitzner, wie schon andere vor ihm,
veranlasst haben, diesen Gebilden den Namen Flaschenzellen bei-
zulegen. Insbesondere bei den jungen und daher noch langen
Zellen ist dieser Name durchaus passend; aber, ich wiederhole
es, er ist es nur für diesen Zeitraum, wo das Element sich nicht
in seinem eigentlichen, seinem wesentlichen Zustand befindet, wo
es nicht auf seiner Höhe steht. Wird nun die alte Häutungs-
schicht abgestossen, rückt die darunter liegende Zellschicht, zu
ihr umgebildet, vor, so beginnt auch die Becherzelle sich wieder
zu entwickeln, um auch an der neuen Häutungsschicht ihre ab-
lösende Wirkung auszuüben. Das ist möglich, da ja die Stelle
der früheren Oeffnung für die Mündung der Becherzellen wieder
geschlossen ist. Dieses Spiel wiederholt sich zwar für ein und
dieselbe Zelle nicht beständig, aber doch einige Mal. Es geht
also dieselbe — und das ist ein zweiter Punkt, in dem ich von
Pfitzner abweiche — nicht jedesmal mit der abfallenden
Häutungsschicht zu Grunde, wird nicht mit ihr abgestossen, ebenso
wenig wie nach jeder Häutung eine neue Zelle an die Stelle der alten
tritt. Das zu bestreiten zwingen mich meine Präparate. Es ver-
mag vielmehr eine jede Zelle, da sie durch die ganze Dicke der
Hornschicht reicht, ihre eigenthümliche Kraft an zwei oder drei
folgenden Häutungssehichten zu bethätigen; aber schliesslich geht
auch sie unter. In demselben Maasse und in derselben Weise,
wie die Zellen der Hornschicht vorrücken, geschieht es auch mit
ihr, bis sie endlich selbst in die Häutungssehicht eintritt. Be-
trachten wir nun in Rücksicht auf diese Elemente die Häutungs-
schicht noch einmal, so sehen wir, wozu es allerdings grosser
Aufmerksamkeit und einiger Uebung bedarf, ausser den Zelltafeln
noch zweierlei Gebilde, die an pigmentirten Stellen derselben
dadurch hervortreten, dass sie völlig frei von Pigment sind. Die
24 Paul Schultz:
einen sind sehr klein, fast kreisrund und finden sich sehr zahl-
reich, gewöhnlich da, wo Zellen zusammenstossen, seltener inner-
halb der Zelle selbst. Sie erscheinen wie propfartige Gebilde,
die aber keineswegs über die Oberfläche hervorragen; das sind
die aus dem erstarrten Inhalt der Becherzellen bestehenden Ver-
schlussstücke für die frühere Mündung derselben. Die anderen
Gebilde sind wesentlich grösser, rundlich oder oval und nur selten
zu sehen; dies sind die Becherzellen selbst (ef. Fig. 3 u. 4).
Die Bildung neuer Elemente erfolgt, wie schon Pfitzner
angiebt, nicht direkt durch Theilung, sondern durch Umbildung aus
einer gewöhnlichen Epidermiszelle in der obersten Lage der
Schleimschicht. Dieselben zeichnen sich durch Grösse, Helligkeit
und runde Gestalt vor den anderen aus; erst allmählich bilden
sie sich, indem der distal liegende Theil mit den umgebenden
Zellen vorrückt, zu der Becherform aus. Während dieser Zeit ist
ihre untere Fläche bisweilen unregelmässig und kann wohl auch
einen stielartigen Fortsatz zeigen, wie ihn Leydig!) beschreibt.
Pfitzner bestreitet, wie erwähnt, die absondernde Ver-
richtung dieser Becherzellen. Für ihn waren dabei hauptsächlich
zwei Gesichtspunkte maassgebend: Erstlich besteht nach ihm zwi-
schen diesen Elementen und der Häutungsschicht eine besonders
feste Verbindung, so dass, wenn diese sich von der darunter
liegenden Epidermis gelöst hat, man oft die Zellen herausgezogen
und im Zusammenhange mit der Häutungsschicht sieht. Ich habe
auf meinen sämmtlichen Präparaten — es sind an die anderthalb
Tausend — dasselbe oder auch nur ähnliches nie beobachten
können; nie zeigte die losgelöste oder abgehobene Häutungsschicht
auch nur Theile von Becherzellen ihrer Unterfläche anhaftend.
Ebenso wenig sah ich auf der bereits abgestossenen Haut davon
irgend welche Andeutung. Ich wäre gern geneigt, anzunehmen,
dass dies ein Fehler auf meiner Seite ist, dass in Folge mangel-
hafter Erhärtungsverfahren ich mir jene Bilder verscherzt habe;
nur wird mir das gegenwärtig schwer, da Präparate, in denen
die Elemente vorzüglich erhalten sind, in denen Kerntheilungs-
figuren ausserordentlich klar sich darstellen, immer wieder dasselbe
zeigen, was ich eben beschrieben.
Der zweite Grund, weshalb sich Pfitzner nicht entschliessen
1) 12 8. 145,
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 25
konnte, diese Gebilde, wie alle Forscher vor ihm, für Drüsenzellen
zu halten, war der, „dass sie gerade zu der Zeit, wo sie darnach
funktioniren sollten, sich sämmtlich im Stadium ausgesprochenster
Verkümmerung befinden“). Ich habe eben gezeigt, dass die Ver-
richtung dieser Zellen nicht darin besteht, die Häutungsschicht
wirklich abzustossen, sondern sie nur von ihrer Unterlage zu
lockern, abzulösen. Ist das erreicht, so bilden sie sich wieder
zurück. Die Häutungsschieht kann aber, da sie nur gelockert ist,
und das nur, wo die Becherzellen liegen, noch lange auf der
Epidermis bleiben, ehe sie gänzlich abgeworfen wird. Geschieht
das, dann sind diese Zellen, die bei diesem Vorgang durchaus
nichts zu thun haben, allerdings verkümmert. Ist die Häutung
aber vollendet, ist eine neue Häutungsschicht an die Stelle der
alten getreten, so bilden sie sich wieder aus und erlangen wieder
ihre vollen Formen.
Da an diesen Zellen für mich das wesentlichste ihre so-
genannte sekretorische Funktion ist, gleichgültig zunächst, welche
Wirkung dieselbe habe, so halte ich sie durchaus den bei den
Fischen vorkommenden für gleich, welche F. Eilh.Schulze?) zuerst
kennen gelernt hat. Fritsch hat dieselben in neuester Zeit am
Malopterurus electricus beschrieben und begründet für sie das Zu-
treffende des Namens Becherzellen also: „Der Name deutet eben
an, dass es Zellen sind, welche nach Entleerung ihres schleimigen
Inhaltes durch die an der oberen Fläche sich bildende Oeffnung
die Form eines Bechers annehmen, in dessen Tiefe der Kern,
umgeben von etwas körnigem Protoplasma, gefunden zu werden
pflegt“3). Das war auch für mich maassgebend, als ich diesen Ge-
bilden beim Salamander den gleichen Namen beilegte.
Zusammenfassung.
So stellt sich die Epidermis als eine mehrfache Lage von
Z&len dar, welche ebenso in Bezug auf die Gestalt, wie in Bezug
auf die Lebenskraft von ihrem Aufbau abhängig sind. Die Elemente
der untersten Lage sind die höchsten, sie allein haben im All-
gemeinen eine eylindrische Gestalt; zugleich findet nur in ihnen
1) 15 8. 512. 2) 17 S. 144.
3) 788.
6 Paul Schultz:
die Vermehrung durch indirekte Kerntheilung statt. Eine solche
Vermehrung kommt aber nur Zellen zu, die auf der höchsten
Stufe der Zellentwiekelung überhaupt stehen. In der nächsten
Lage findet sich dieselbe schon nieht mehr, auch ist die Gestalt
ihrer Elemente etwas abgeändert; im übrigen gleichen sie völlig
den ersteren. Die folgenden Zelllagen dagegen unterliegen bereits
der Rückbildung, der Verhornung. Je weiter nach aussen, um so
abgeflachter werden sie einerseits und um so mehr erlischt an-
dererseits ihre Lebensthätigkeit und Lebensfähigkeit. Den End-
ausdruck findet dieses Verhältniss schliesslich in der Häutungs-
schicht. Der Höhendurchmesser ist hier auf ein äusserst geringes
gesunken und er ist überall gleich; aus Zellen sind glatte, tafel-
förmige Schollen geworden, völlig erstorbene Gebilde, in denen
Kern und Zellleib von einander zu unterscheiden kaum noch ge-
lingt. Fast ist es nicht möglich, ihr an und für sich anzusehen,
dass sie der Ueberrest eines einst so lebensfähigen Gewebes ist.
Diese Erwägungen veranlassten mich, der Häutungsschicht
die Epidermis im engeren Sinne oder eigentliche Epidermis ent-
gegen zu stellen, diese aber wieder in eine Schleim- und eine
Hornschicht zu unterscheiden. Unter letzterer ist aber nicht eine
solche verstanden, welche nur ganz verhornte Zellen aufweist,
sondern eine solche, deren Elemente erst im Verhornungsvorgang,
die einen mehr, die anderen minder, begriffen sind.
Was die Frage, ob Cuticula oder Verhornung, betrifft, so
hat ja bekanntlich Eilh. Schulze den Nachweis geführt, dass die
Epithelien der äusseren Körperbedeckungen bei den im Wasser
lebenden Thieren sich durch eutieulare Säume abgrenzen, während
bei denen in der Luft lebenden der Verhornungsprozess platz-
greift. Letzteres hat Pfitzner in ausführlicher Weise für den
Salamander bewiesen. Mir sei hier nur noch eine Bemerkung
gestattet. Leydig verlangt für die Verhornung, „dass eine Kapsel
auf der plattgewordenen Zelle, sowohl oben, als auch unten, sich
abscheidet und auf solche Weise die ganze Zelle, genauer gesagt
eine rings umgehende Kapsel, zur homogenen für sich bleibenden
Platte wird“!). Dies zeigt sich beim Salamander. Bisweilen in
der Häutungschicht selbst, regelmässig aber in der darunter liegen-
den, zu ihr fast umgebildeten Lage, sieht man, wie schon erwähnt,
1) 12 8. 136.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 27
wo ein Kern getroffen ist, deutlich unter ihm eine Begrenzungs-
linie vorlaufen (ef. Fig. 5).
Oberer Cutis-Saum.
Auf die Epidermis folgt die Cutis, zunächst eine äusserst
dünne Lage, welche den Eindruck einer „hyalinen Basalschieht“
macht (ef. Fig. 1 u. 2). Leydig!) beschreibt auf ihr feinste
Leistehen, in welche die Fortsätze der untersten Epidermiszellen
eingreifen. Versteht man unter Leisten über eine Fläche gerade
verlaufende, schmale und verhältnissmässig niedrige Erhaben-
heiten, so möchte ich mir die Bemerkung erlauben, dass von
solehen hier nichts zu sehen ist. Auf feinsten Querschnitten,
wo die Epidermis von der Cutis abgefallen ist, erscheint die
letztere wirklich „fein gezackt“, welehen Ausdruck Leydig
zuerst gebraucht, dann aber wieder verworfen hatte. Doch zeigen
sich diese Zacken hier nicht so, wie dies Leydig für den Frosch
gezeichnet hat?). Vielmehr sind sie von unregelmässiger Gestalt,
bald höher, bald niedriger, die einen gerade, die anderen leicht
gekrümmt oder etwas geschlängelt verlaufend, gerade so wie die
Fortsätze der Epidermiszellen, welche sich zwischen sie einfügen.
Ich meine nun, dass diese Zacken nicht das auf dem Querschnitt
sich ergebende Bild von Hervorragungen sind. Solche Hervor-
ragungen sind der Amphibien-Cutis überhaupt nicht eigenthüm-
lich, sondern nur die durch die Zellenfortsätze hervorgerufenen
Vertiefungen. Was wir auf dem Querschnitt an Zacken sehen,
ist nur die zwischen jenen Vertiefungen stehen gebliebene Substanz
der Cutis. Diese scheinbaren Hervorragungen mit den zwischen
ihnen liegenden Vertiefungen bilden gleichsam die Matrize zu der
Patrize jener Zellenfortsätze.
Lockeres Bindegewebe.
An den schmalen Cutis-Saum schliesst sieh eine ziemlich
breite Schicht von lockerem Bindegewebe. In demselben ver-
breiten sich — „ein gesetzmässiger Zug in der Organisation der
Wirbelthiere“3) — die Hautcapillaren, die hier das oberflächliche
1) 12 8. 148. 2) 10 8. 81.
3) 12 S. 208.
28 Paul Schultz:
Netz bilden, wie es schon Rainey!) beschrieben hat, ferner Nerven
und das Pigment.
Ich habe beim Salamander zwei Arten von Pigment gefun-
den, einmal das dunkelkörnige, braune bis schwarze; ferner das
hellgelbe, welches die schöne gelbe Färbung verursacht. Was die
Vertheilung betrifft, so ist zunächst, wie schon Leydig bemerkt,
„der oberste Saum der Lederhaut alle Zeit von färbendem Stoffe
frei und hebt sich daher immer als ein heller, wenn auch mit-
unter sehr schmaler Streifen von der Pigmentzone ab“). Diese
letztere liegt unmitttelbar unter ihm und stellt eine bald mehr,
bald minder dichte Lage dar, die sich nach unten in dem lockeren
Bindegewebe verliert, indem sie Capillargefässe umspinnt. Indess
beschränkt sich das Pigment nicht allein auf diese Zone, sondern
findet sich auch in Zellen, den bekannten Chromatophoren, und
Körnern in die Epidermis gestreut. Eine besondere Theilnahme
erregen die gelben Stellen. Ich war erstaunt, bei Durchsehnitten
durch die Parotis nicht, wie ich erwarten zu dürfen glaubte, gel-
bes Pigment allein anzutreffen. Es fand sich vielmehr viel häufiger
jenes dunkle in der Pigmentzone. Bei näherem Zusehen zeigte
sich aber, besonders in den unteren Epidermislagen, gelbes Pig-
ment in Zellen und Körnern. Hat man auf einem Flächenschnitt
einen solchen gelben Fleck erhalten, so tritt derselbe bei durch-
scheinendem Licht oder auf hellem Grunde nur wenig hervor,
zeigt aber sofort seine schöne gelbe Farbe, sobald man ihn auf
dunklem Untergrunde hält. Es kann daher das nur in die Epider-
mis eingestreute hellgelbe Pigment genügen, da es auf dem dunklen
Untergrund der Pigmentzone ruht, um ein so lebhaftes Gelb auf der
Haut hervorzubringen. Indessen gibt es auch Stellen, wo die
ganze Pigmentzone nur von dem hellgelben eingenommen wird.
Eine besonders dichte Lage von dunklem Pigment im Binde-
gewebe, sowie eine besonders reiche Anhäufung desselben in der
Epidermis findet sich um die Ausführungsgänge der Giftdrüsen,
daher dieselben auf den gelben Flecken, wie schon erwähnt, dem
blossen Auge tief schwarz erscheinen.
Die tiefe Cutislage.
Auf die lockere Bindegewebslage folgt weiter nach innen die
unterste Coriumslage, die eigentliche Lederhaut (ef. Fig. I). Sie
1) 16. 2) 12 8. 178.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 59
ist breit, derb und aus welligen, pararell zur Oberfläche ver-
laufenden Bündeln zusammengesetzt, die wiederum in gewissen
Abständen von einzelnen senkrechten Zügen durchsetzt werden,
Czermakt), der die letzteren vom Frosch beschrieb und zeichnete,
sah in ihnen offene Kanäle; gegenwärtig wissen wir, dass diesel-
ben einerseits ebenfalls aus elastischen Fasern "bestehen und zur
Verfestigung und Spannung der wagerechten Cutislage dienen, an-
dererseits lockeres Bindegewebe sind, worin Gefässe und Nerven
zur Oberfläche geführt werden, und Pigment in die Tiefe steigt.
Ausserdem steigen von der Oberfläche dieser Lage zahlreiche
feine Stränge zwischen den Schleimdrüsen durch das lockere
Bindegewebe hindurch zu dem oberen Cutissaum und gehen in
ihn über (ef. Fig. 1 u. 2).
Die innerste oder unterste Lage bildet wiederum lockeres
Bindegewebe mit Gefässen, dem tiefen Hautkapillarnetz, Lymph-
räumen, Nerven und auch bisweilen Pigment (ef. Fig. 1).
Drüsen.
Die Drüsen der Amphibien sind schon seit langem, aber
nicht eben häufig Gegenstand der Forschung gewesen. Eine frühere
Zeit wusste begreiflicher Weise nur von den grössten und brachte
sie sich dadurch zur Anschauung, dass man die abgezogene Haut
gegen das Licht hielt?). So setzt noch Rainey im Jahre 1855 um-
ständlich ein Verfahren auseinander, um die grossen Drüsen der
Kröte dem blossen Auge sichtbar zu machen; auf einem Durch-
schnitt, den er von einer derselben beifügt, sind auch die kleinen
Drüsen angedeutet, aber der Verfasser hält sie nicht für solche,
er sagt von ihnen: A layer of earthy matter lying over the folliele,
between it and the surface!?). Erst allmählich lernte man auch
diese kennen, wusste aber nicht viel mehr, als dass es eben Drüsen
seien. Selbst als man später immer mehr in die Elemente der Drüsen
eindrang, hatte man kein anderes Mittel sie zu unterscheiden, als
die Grösse. Auch Leydig, dem wir in Bezug auf den feineren
Bau dieser Drüsen die meiste Kenntniss verdanken, unterscheidet
dieselben nur nach der Grösse oder der Gestalt, hebt aber aus-
1) 5.
2) Vergleiche die hierzu in der Anmerkung gemachten Angaben Ley-
digs 12 S. 197. 3) 16.
30 Paul Schultz:
drücklich hervor, „dass, da dieHautdrüsen der Batrachier mancherlei
morphologische Verschiedenheiten entwickeln, man schliessen dürfe,
dass auch ihre physiologischen Leistungen nicht allerorts die gleichen
sein werden“).
Zu welchen bedenklichen Folgerungen übrigens die einseitige
Durchführung der Grösse als Unterscheidungsmerkmal der Drüsen
führt, zeigt das mir vorliegende Lehrbuch der Zoologie aus der
Synopsis von Leunis. Da nach dem Verfasser die Parotis die
grössten Drüsen enthält (was übrigens nicht der Fall ist), so ist
dieselbe als ein besonderes Organ aufgefasst und in ihm ein eigen-
thümliches Kennzeichen gesehen; es wird daher bei der Familie
Hylidae im Gegensatz zu der voraufgegangenen Beschreibung der
Bufonidae ausdrücklich hervorgehoben: „Ohrdrüsen fehlen*?). Ob
aber im übrigen die Art der Drüsen, von denen die Ohrdrüsen zu-
nächst nur eine zufällige Anhäufung darstellen, ob nämlich die
Giftdrüsen, und das wäre doch in Wahrheit das Wesentliche ge-
wesen, bei den Hylidae vorkommen, ist nicht gesagt.
Ich nehme bei den Kröten und beim Salamander zwei Arten von
Hautdrüsen an ?), welche sich sowohl in ihrem anatomischen Bau, wie
in ihrer physiologischen Bedeutung wesentlich von einander unter-
scheiden: die Schleimdrüsen und die Giftdrüsen*®). In Bezug
auf ihren anatomischen Bau weichen sie in Folgendem von einander
ab: die fast genau kugeligen Schleimdrüsen sind im allgemeinen
bedeutend kleiner als die meist mehr länglichen, ovalen Giftdrüsen
(ungefähr wie 1:10); jene liegen in der lockeren Bindegewebslage,
wenn auch ihr Boden bisweilen in die tiefe Corium-Lage hinein-
ragt, diese dagegen liegen ihrem ganzen Umfange nach in dem
tiefen Corium selbst, sind also von diesem von allen Seiten, auch
von oben, umgeben, während über den Schleimdrüsen nur jener
oberste Lederhautsaum hinzieht. Die Grösse und die Lage lassen
1) 128.197. 2) 13 S. 619.
3) Abgesehen ist natürlich hierbei von den Kloakendrüsen und von
denen, welche mit dem Geschlechtsleben in Beziehung stehen.
4) Zu den Schleimdrüsen würden also die bei Leydig unter a und b,
genannten zu rechnen sein, ferner die unter d zu Anfang beschriebenen, die
ich zwar nicht untersucht habe, die aber, wie Leydig selbst bemerkt, nur
eine Abänderung seiner mit a bezeichneten sind. Die „ganz grossen Drüsen“
(c) würden dann den Giftdrüsen entsprechen. Leydig 12 S. 197—201.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 31
auf einem Querschnitt durel die Parotis schon dem blossen Auge
im allgemeinen beide von einander unterscheiden. Die Giftdrüsen
umgibt ein eignes dichtes Capillarnetz, welches den Schleimdrüsen
fehlt; ausserdem verhalten sich die Ausführungsgänge beider Drüsen-
arten verschieden, und schliesslich — und das ist das erst völlig
beweisende, das eigentliche Unterscheidungsmerkmal — sind ihre
Elemente und ihr Seeret verschieden (efr. Fig. 1).
Die einen Drüsen enthalten Schleimzellen und Schleim, die
anderen Giftzellen und Gifttropfen. Jene Zellen erscheinen durch-
sichtig, glasig, hell, diese sind gekennzeichnet durch die stark
liehtbreehenden Gifttropfen, die ihnen und der ganzen Drüse
ein dunkles, körniges Aussehen verleihen. Diese Tropfen er-
halten nun durch das Kupfer-Hämatoxylin eine tiefblaue Farbe,
von dem Tone, welchen man in der Technik preussisch-blau nennt.
Sieht man von der Häutungsschicht ab, welche mehr schwärzlich
erscheint, so sind die Gifttropfen die einzigen Gebilde, welche
sich derartig färben. Die Kerne erscheinen mehr violett, die
Schleimdrüsen bleiben durchaus hell, alles übrige Gewebe zeigt
einen bräunlich-violetten Schimmer. Man kann also die Kupfer-
Hämatoxylin-Lösung gleichsam als ein Reagens für die Giftkörner
ansehen. Wie wichtig ein solches für den vorliegenden Fall war,
sollte sich mir bald erweisen. Ich fand unter anderm Drüsen-
räume, die nach Grösse und Form wohl zu den Schleimdrüsen
hätten gezählt werden müssen, sie kamen denselben in allen Stücken
nahe, glichen ihnen jedenfalls viel mehr als den Giftdrüsen, ober-
halb deren sie sogar bisweilen lagen. Dem Inhalte nach musste
man sie zwischen Schleim- und Giftdrüsen stellen. Es sind das
dieselben Drüsen, welche schon Bolau in Verlegenheit setzten
und ihn veranlassten, für sie eine besondere unter 4 gestellte Gat-
tung zu schaffen, welche er für einerlei Art mit den von Stieda
beschriebenen und gezeichneten Stirndrüsen hielt!). Das Kupfer-
1) 2 8. 7 unter 4. Unter 1 S.4 führt dieser Verfasser „Kleine Drüsen“
an, von denen er versichert, er habe, trotzdem er hunderte davon untersucht
habe, einen Ausführungsgang nicht finden können. Leydig 128.198, indem
er diese Angaben erwähnt, hält seine Ansicht darüber zurück. Es sind die
kleinen Drüsen nichts mehr und nichts weniger als Durchschnitte von Blut-
gefässen. Dass dies übrigens nicht Herrn Bolau’s einziger Irrthum ıst, hat
schon Leydig 12 S. 211 hinreichend hervorgehoben.
32 Paul Schultz:
Hämatoxylin-Verfahren klärte den Gegenstand auf, es zeigte, dass
es sich um Giftdrüsen handelte, und weitere Vergleichung ergab,
dass dieselben als in der Entwickelung zurückgeblieben zu be-
trachten sind (efr. Fig. In).
Wie der anatomische Bau, so ist auch die physiologische Be-
deutung der Drüsen verschieden. Die Giftdrüsen stellen bekamnt-
lich eine Vertheidigungswaffe dar; aus ihnen spritzt das Thier
willkürlich den Saft, dessen ätzende Rigenschaft seinen Feinden
verderblich wird!). Aus den Schleimdrüsen hingegen fliesst, wie
ich glaube, nur auf reflektorischem Wege ihr Inhalt heraus, welcher
die für das Leben der Amphibien so überaus gefährliche Ein-
trocknung der Haut, indem er sie überzieht, verhindert, beim Sa-
lamander aber vielleicht ausserdem noch die Fähigkeit besitzt,
diesen Thieren das Klettern zu erleichtern. Auch über diese physio-
logische Verschiedenheit beider Drüsen herrscht noch gegenwärtig
selbst in den grösseren zoologischen Handbüchern eine unheilvolle
Verwirrung. Meist begnügt man sich von einem Sekret der Haut-
drüsen oder von einem aus den Hautdrüsen ausgeschwitzten Saft
oder Schleim (beides aber ohne Unterschied!) zu sprechen, dem
eine giftige Eigenschaft zukomme. Auffallend aber muss es gerade-
zu sein, wenn sich bei Brehm auf der einen Seite die Angabe
findet: „Bei vielen der nackten, froschartigen Thiere finden sich
in der Haut besondere Drüsenbälge, welche einen scharfen, mehr
oder minder nach Knoblauch riechenden Milehsaft absondern“; und
schon auf der nächsten Seite zu lesen steht: „Als eigentliches
Gift nun ist der Schleim wohl nicht anzusehen“ ?).
Das nun in der That ein solcher physiologischer Unterschied zwischen
den Drüsen zu Recht besteht, überzeugte ich mich an einem schönen, besonders
grossen Exemplar von Bufo vulgaris. Ich hielt dasselbe in den Sommermo-
naten des vorigen Jahres, da ein Terrarium nicht zu erlangen war, in einem
mit Gras und Erde ausgelegten Kistchen. Hier befand sich das Thier bei
einer aus Fliegen und Mehlwürmern bestehenden Nahrung vortrefflich, war
stets munter, lernte seinen Wärter kennen und legte mehr und mehr die diesen
Thieren sonst so eigenthümliche Scheu gegen ihn, aber nur gegen ihn, ab.
Ein Wasserbehälter befand sich nicht in dem Raum, doch wurde täglich die
1) Ich verweise hierbei auf die überaus lebhafte Darstellung Max
Gemmingers von der tötlichen Vergiftung eines Sperbers durch eine
Kröte. 8.
2) 3 8. 536 und 537.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 33
Erde reichlich mit Wasser begossen. Das war an einem besonders heissen
Tage verabsäumt worden. Als ich es am Abend nachholen wollte, fand ich
das Thier über und über mit hellem, glasigen Schleim überzogen. Auch nicht
ein Tröpfchen des bekannten Giftsaftes fand sich auf der Haut vor, ebenso-
wenig wie der Schleim einen besonderen Geruch oder einen bitteren oder
ätzenden Geschmack besass. Einmal darauf aufmerksam gemacht, entzog ich
dann noch einigemal Mal bei sehr trockener Witterung absichtlich das Wasser ;
die Folge war die gleiche, das Thier hatte sich mit einer Schleimschicht
überzogen.
Es muss also ein für allemal festgehalten werden, dass diese
beiden Drüsenarten wesentlich von einander verschieden sind, dass
die Schleimdrüsen nur Schleimdrüsen sind, und die Giftdrüsen nur
Giftdrüsen, und das letztere zu allen Zeiten ihre giftige Eigen-
schaft besitzen. Es ist nicht überflüssig das letztere besonders
hervorzuheben. Denn Calmels geht so weit zu behaupten, dass
es nur eine Art von Drüsen giebt, deren indifferente zellige Ele-
mente zu Zeiten den giftigen Charakter annähmen, oder vielmehr
durch Giftzellen ersetzt würden, sodass die Drüsen nur in gewissen
Abschnitten. giftig seien. Bei den Kröten träte diese „Substitution“
nur im Grunde der Drüsen auf, beim Salamander und den Tritonen
geschähe sie dagegen über die ganze Drüse; jedenfalls bestände
eine Verbindung (Filiation) zwischen den Drüsen, welche Gift-
zellen hätten und solche, die deren nicht besässen?).
Diese Angaben scheinen mir von vornherein für die Kröte
ebenso unwahrscheinlich, wie ich sie für den Salamander als un-
richtig bezeichnen muss. Denn für diesen ist es sicher, dass die
beiden Arten von Drüsen in keiner Beziehung zu einander stehen;
auch entwicklungsgeschichtlich nicht. Denn beide Drüsen sind
besonders angelegt. So sah ich an der Larve von Salamandra
maculata, die einem trächtigen Weibchen entnommen war, dass
selbst schon zu dieser frühen Zeit Giftdrüsen angelegt waren, ja
dass sie sogar schon unzweifelhaft mit Gifttropfen vollgestopft
1) 4 S. 329. Selon l’animal, plus ou moins de cellules indifferentes
ordinaires prennent le type venänifere ... .
Il vaut mieux dire, que la cellule venenifere est l’equivalent morpholo-
gique d’une des cellules indifferentes, que je mentionnais, qu’elle en est un
derive, une differenciation, en un mot qu’elle peut s’y substituer.
S. 330. Ilest tres facile de voir, d’apres la sörie des formes £pithöliales
que les culs-de-sac prösentent la filiation qui semble exister entre les culs;de-sac
d&pourvus de cellules veneniferes et ceux qui en possedent.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34, 3
34 Paul Schultz:
waren, während die Schleimdrüsen sich nicht einmal in der An-
lage darstellten; nur die Gebilde, welche Langerhans!) als
Organ des sechsten Sinnes beschrieben hat, fanden sich in der
schmalen Epidermis. Auch hierbei erwies sich die Lage bezeich-
nend: die vollgefüllten Giftdrüsen zeigten sich unterhalb der Pig-
mentzone, also auch unterhalb der Epidermis. Ebenso waren bei
einer einjährigen Bufo, bei der die Ohrdrüsen kaum mit blossem
Auge zu sehen waren und wohl sicher noch nicht gebraucht wur-
den, auf dem Querschnitt doch schon deutlich die mächtigen Gift-
follikel, vollgestopft mit dem giftigen Inhalt, vorhanden.
Ehe ich zur eigentlichen Betrachtung der Giftdrüsen über-
gehe, muss ich bemerken, dass das folgende nur für den Sala-
mander gilt. Es gelang mir nämlich nicht, auch für die Kröten
die Verhältnisse in gleicher Weise zur Anschauung zu bringen,
ich vermuthe, dass der Fehler in dem Härtungsverfahren liegt:
doch die gemessene Zeit gestattete mir nicht, den Gegenstand
weiter zu verfolgen.
Giftdrüsen.
Die Giftdrüsen als Einziehungen oder Einstülpungen der Haut
wiederholen uns im Allgemeinen den eben beschriebenen Bau der-
selben. Das wird am klarsten, wenn wir den Ausführungsgang
betrachten auf einem Querschnitt, der das Lumen desselben in
seiner ganzen Ausdehnung trifft.
Ausführungsgang.
Die Epidermis (efr. Fig. 6) erscheint an der Oberfläche etwas
eingezogen, sodass in der tiefsten Stelle die Ausführungsöffnung
liegt. Ihr Höhendurchmesser ist nach dem Lumen erheblich in
die Tiefe verbreitert, ihre untere Begrenzung, die im Allgemeinen
eine grade Linie bildet, weicht hier bedeutend nach unten aus.
Ebenso geht natürlich der unmittelbar darunter liegende Cutissaum
in die Tiefe; von der Stelle an, wo das geschieht, wird er zu-
gleich allmählich schmäler und scheint schliesslich an der tiefsten
Stelle ganz aufzuhören. Dies ist aber ebenso wenig der Fall, wie
mit den Fortsätzen an der Basis der untersten Epidermis-Zellen.
1) 9.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 35
Auch diese werden nämlich zugleich mit der Verschmälerung des
Cutissaumes immer kürzer und scheinen in der Tiefe der Aus-
buchtung kaum noch angedeutet, sie fehlen aber wirklich nur da,
wo sich diese Zellen in das Innere der Drüsen umschlagen. Auch
die lockere Bindegewebsschicht macht den Eindruck, als verliere
sie sich allmählich von der Stelle an, wo sie in die Tiefe aus-
weicht; an ihrer Statt liegt nur noch die Pigmentzone, welche
hier immer tief dunkelbraun bis schwärzlich sich in dichter Masse
zwischen Epidermis und tiefer Cutis einlagert. Ausserdem ver-
breitet sich Pigment, wie schon erwähnt, hier mehr, wie irgend
wo anders über die Epidermis bis in die äussersten Lagen. Die
Pigmentzone tritt aber nicht bis an das Lumen des Ausführungs-
ganges heran, sie lässt vielmehr zwischen dieser und ihrem schmalen,
aber scharfrandigen Ende einen kleinen Raum frei. Calmels sah
letzteren nicht, nahm aber wohl das scharfrandige Aufhören der
Pigmentzone an dem Ausführungsgang wahr, die also nach ihm
bis an das Lumen desselben reicht; er bemerkt daher ganz tref-
fend, dass der Kanal die Pigmentschicht wie mit einem Schlag-
eisen durchbohre (comme ä l’emporte-piece)!). Auf dem kleinen
Raum zwischen Pigmentzone und Lumen drängt sich nun die Epi-
dermis vorbei und schlägt sich in die Drüse in einer einfachen
Lage von Zellen um, welche den untersten, den eylindrischen, ent-
sprechen. Hinter diesen Zellen, also vor dem Pigment, zieht der
obere Cutissaum vorbei, welcher sich ebenfalls in die Tiefe um-
schlägt. Anfangs dicht an ihm, setzt sich nach unten und nach
den Seiten das Pigment fort; bald darauf aber wird dasselbe an
Stärke und Dichtigkeit immer schwächer, und gleichzeitig tritt
das lockere Bindegewebe immer breiter hervor, das nun zahl-
reiche Blutgefässe trägt. Die eigentliche Cutis erscheint nicht
ausgestülpt oder eingezogen, sondern weicht einfach zurück; an
der Stelle, wo mehrere Drüsenfollikel sich zusammendrängen, ins-
besondere an den Ohrdrüsen, stellt dieselbe ein blosses Fach-
werk dar.
So besteht also die Drüse zu innerst, entsprechend der Epi-
dermis, aus einer Epithellage; dann aus der Tunica propria, der
Fortsetzung des obersten Coriumsaumes; wie dieser, bleibt auch
1) 4 $. 397.
36 Paul Schultz:
die Tuniea propria stets vom Pigment frei!). Es folgt lockeres
Bindegewebe, das, wie dort, so auch hier die Nerven, die an den
Giftdrüsen ausserordentlich zahlreichen Blutgefässe und das Pig-
ment trägt, so dass die Capillaren unmittelbar auf der Tunica
propria liegen, das Pigment mehr nach aussen. Das letztere bildet
daher auf Quersehnitten fast regelmässig die Grenzschicht zwischen
dem lockeren Bindegewebe und der umgebenden Lederhaut. Uebri-
gens ist dasselbe, wie Leydig beschrieben hat, nach den Arten
verschieden, sodass man bei Bufo vulgaris nur inselartige Flecken
sieht, beim Salamander hingegen wird die Drüse in zierlicher
Weise davon umstrickt?).
Der Kanal des Ausführungsganges liegt also in der Mitte
jener verbreiterten und in die Tiefe gezogenen Epidermisstelle.
Sein Verlauf ist gerade, die Oberfläche ziemlich eben und der
Durchmesser ausserordentlich klein im Verhältniss zu dem des
Drüsensackes. Nach Leydig wird er ausgekleidet von einer
homogenen hellen Cuticula®), welche „von der Oberfläche als
Schlauch in die Tiefe geht und so einen nach unten frei ab-
geschnittenen Kanal erzeugt“ *), nach Calmels: par une cuticule
cellulaire &paisse5). Die Kupfer-Hämatoxylin-Färbung zeigt, dass
es die Häutungsschicht ist, die sich, von der freien Oberfläche
umbiegend, tief in den Kanal fast bis zur untersten Zellenlage der
Epidermis erstreckt. Betrachtet man daher ein bei der Häutung ab-
gestossenes Stück aus einer Gegend, wo Giftdrüsen liegen, so sieht
man breite, kurze Schläuche mit dem einen Ende in die Epidermis
übergehend, während das andere freie Ende sich umgelegt hat.
1) Der Widerspruch, in welchen ich hierdurch mit den Angaben
Leydigs 11 S. 87 gerathe, ist nur ein scheinbarer, wie die dort beigefügte
Zeichnung Taf. VI. Fig. XXVII sofort lehrt. Was nämlich Leydig dort als
Membrana propria mit a bezeichnet, ist für mich die lockere Bindegewebs-
schicht, die Trägerin der Blutgefässe. Die unter b genannte Pigmentschicht
bildet grade hier recht deutlich die Grenze zwischen dem lockeren Binde-
gewebe und der eigentlichen Lederhaut, in welcher sie zum Theil selbst liegt,
und deren streifige, wellige Bündel sehr deutlich gezeichnet sind. Als Mem-
brana propria fasse ich hingegen die dunkel schraffirte Schicht unter dem
Querschnitt der kontraktilen Fasern auf, welche in dem Bilde sehr schön
dargestellt, aber nicht benannt ist.
2) 12 8. 203. 3) 12 8. 147.
4) 12 S. 214. 5) 4 8. 327.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 37
Auf einem Flächensehnitt erscheint das Lumen des Kanals
von dreieckiger, gefalteter Gestalt, wie er sie in geschlossenem
Zustand annimmt. Zu innerst liegt jene Häutungsschieht, dann
folgen die Epidermiszellen, die kreisförmig um den Kanal herum-
gestellt sind, sie enthalten reichlich Pigment. Zu äusserst sind
die eylindrischen Zellen, deren Fortsätze also, je tiefer der
Sehnitt liegt, um so kürzer werden. An sie schliesst sich der
äusserst schmale Cutis-Saum an und um ihn herum eine dünne,
aber sehr dichte, scharf begrenzte kreisrunde Schicht von schwärz-
lichem Pigment.
Calmels beschreibt für die Giftdrüsen eine besondere Ver-
schlussvorrichtung; darnach soll ein Schleimpfropf, der aber von
anderer Beschaffenheit ist als der Inhalt der Giftdrüsen sowohl
wie der Bauchdrüsen, von den Zellen des Drüsenhalses eigens zu
dem Zweck abgesondert werden, den Ausführungsgang auszufüllen
und so der Drüse die Füllung zu gestatten!). Abgesehen davon,
dass es für mich, wie schon erwähnt, in jeder dieser Drüsen nur
eine einzige, ihrer physiologischen Thätigkeit eigenthümliche Art
von Epithelzellen giebt, findet, wie ich mich an zahlreichen Flächen-
und Querschnitten überzeugt habe, bei den Giftdrüsen eine, wenn
auch unvollkommene Art von Verschluss zunächst nur dadurch
statt, dass im ruhenden Zustand die Wände des Ausführungs-
ganges sich aneinander legen, freilich nicht so dicht, dass hier
„lumenlose Spalte“ entständen. Allerdings sah ich einige Male den
Ausführungsgang ausgefüllt, aber erstlich war das unzweifelhaft
Drüsensekret, Giftsaft, und dann glaube ich, dass dasselbe erst in
Folge der Präparation hineingelangt war, da häufig beim Sala-
mander die prall gefüllten Ohrdrüsen sich schon bei mässigem
Druck entleeren.
Kontraktile Fasern.
Die eigentliche Drüse wird nach aussen hin begrenzt durch
die bindegewebige Tunica propria. Auf der Innenfläche derselben
breitet sich eine einfache Lage kontraktiler Fasern aus. Die erste
Nachricht von dem Vorhandensein solcher Fasern für die Drüsen
der Kröten finde ich bei Eekhardt?); doch scheint mir dieselbe
1) 4 S. 328. 2) 6.
38 Paul Schultz:
zu wenig genau, als dass man ihr Gewicht beilegen könnte. Vor
Allem ist das eigenthümliche Lagerungsverhältniss derselben zur
Tunica propria, welches doch für das ganze Verständniss von dem
Bau und der Verrichtung der Drüsen so überaus wesentlich ist,
gar nicht berührt. Das hat zuerst Leydig kennen gelehrt, zu-
nächst für die Schweissdrüsen bei verschiedenen Säugethieren,
dann in seinem Werke: „Ueber die Molche (Salamandrina) der
württembergischem Fauna* auch für ‚die Parotisdrüsen des Sala-
manders!). Sechs Jahre später fügt Leydig in seiner Arbeit:
„Ueber die allgemeinen Bedeckungen der Amphibien“ noch eine
andere inzwischen von ihm gemachte Entdeckung hinzu, dass er
nämlich im Halse der Drüsen (welcher ist nicht gesagt) einen
Büschel heller Cylinder gesehen habe, deren Anordnung sich etwa
einer Fischreuse vergleichen liesse; dies seien Muskeln des
Drüsenbalges?2). Ob und in welchem Zusammenhang die Muskel-
fasern mit den zuerst beschriebenen stehen, ist des weiteren nicht
angegeben.
Nach meiner Ansicht liegt die Sache folgendermaassen : Die
ganze Drüse ist auf der Innenfläche der Tunica propria von einer
einfachen dichten Lage kontraktiler Elemente ausgekleidet (ef. Fig. 3).
Dieselben sind langgezogene, platte Spindelzellen, ungefähr doppelt
so gross wie die rothen Blutkörperchen; in der Mitte ist ein läng-
licher Kern deutlich sichtbar, sie erscheinen fast immer fein längs-
gestreift; Anastomosen unter einander habe ich nicht gesehen. Die
Richtung, in welcher diese Fasern verlaufen, entspricht derjenigen
der Längengrade an einem Globus. Wie die rundliche Gestalt
der Drüse, so wird auch die Anordnung der Fasern durch den
Ausführungsgang unterbrochen; denn auch diesen kleiden sie
aus, aber nur so weit er unterhalb der Epidermis liegt. Hier
drängen sich die Faserzellen dichter aneinander, zugleich er-
scheinen sie schmäler und kürzer. Ihre Spitzen mögen es wohl
gewesen sein, welche Leydig aus dem Ausführungsgang heraus-
ragen sah; sie bieten auf einem Flächenschnitt in der That, wie
Leydig es treffend verglich, das Bild einer Fischreuse dar.
Merkwürdig ist nur, dass die unmittelbar daran stossenden, also
weiter nach abwärts von dem Ausführungsgang gelegenen Fasern
1) 11 8. 88.
2) 12 S. 204.
a ie
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 39
meist fast unvermittelt sehr breit erscheinen, und es wäre daher
wohl möglich, dass wir hier in dem Drüsenhals noch eine beson-
dere, wenn auch nur in Zahl und Grösse von den übrigen ver-
schiedene Lage von kontraktilen Fasern hätten. Ja es möchte
das durch das Folgende noch wahrscheinlicher werden. Ich habe
nämlich in dem Drüsenhals, dem Theil, welcher zwischen der un-
teren Grenze der Epidermis und dem oberen Drüsen-Niveau liegt,
also eigentlich zum Ausführungsgang gehört, auf Querschnitten
noch eine andere Lage kontraktiler Fasern gefunden (ef. Fig. 2 m).
Dieselben finden sich nur hier und stellen sehr schmale, feine läng-
liche Zellen mit deutlichem Kern dar; ihr Inhalt erscheint fein ge-
körnelt, ja fast quergestreift. Sie liegen unter, mehr nach innen
von den vorigen, bilden also das eigentliche Lumen des Kanals
und sind angeordnet, um bei dem Bilde des Globus zu bleiben,
wie Breitengrade, verlaufen also senkrecht zu den vorigen, gegen
welche sie auch stets scharf abgesetzt erscheinen. Die physiolo-
gische Bedeutung dieser Fasern scheint mir die eines Sphinkters
zu sein. Sie werden also im ruhenden Zustand der Drüse durch
ihre Zusammenziehung zum Verschluss derselben dienen. Entleert
sich aber die Drüse, ist der Kontraktionszustand der Fasern über-
wunden, so werden diese, gerade wie ein Sphincter, indem sie
sich zusammenzuziehen streben, eine Druckwirkung auszuüben ver-
mögen. Diese in Verbindung mit derjenigen der oben genannten
längs liegenden Fasern würde eine äusserst wirksame Entleerung
des im Drüsenhals befindlichen Saftes zur Folge haben. Während
also die kontraktilen Fasern der Drüse selbst den Saft zum
Drüsenhals pressen, erhält er hier noch einen derartigen Nachdruck,
dass sich wohl die Kraft erklären lässt, mit welcher er bei
elektrischer Reizung auf so weite Entfernung hinausspritzt.
Faltenbildung der Membrana propria.
Allen Forschern, welche sich mit diesen Drüsen beschäftigt
haben, ist aufgefallen, dass dieselben häufig am Grunde eine Art
von Einkerbung zeigen, so dass man sich, wie Leydig sagt,
versucht fühlen könnte, neben den einfach gestalteten Drüsen-
säckchen auch das Vorhandensein von gefächerten anzunehmen.
Doch fügt er weiter unten hinzu : „So darf man wohl die Ansicht
aussprechen, dass es sich keineswegs um eine bleibende Form des
40 Paul Schultz:
Drüsensackes, sondern um einen bestimmten Kontraktionszustand
der Muskelfasern, im Verein mit einer gewissen Anordnung dieser
Elemente, handeln möge“!). Es sind diese Einkerbungen in der
That nichts als Faltenbildungen der Membrana propria, hervor-
gerufen durch die kontraktilen Fasern. Sie finden sich nämlich
überhaupt nur da, wo eine Ausscheidung stattgefunden, wo also
die kontraktilen Fasern thätig waren, und sie sind am häufigsten
und stärksten ausgebildet bei Drüsen, die stark elektrisch gereizt
waren, wo also die kontraktilen Fasern sich besonders anhal-
tend kräftig zusammengezogen hatten. |
Da es nahe liegt anzunehmen, dass die kontraktilen Fasern
am Boden der Drüse, um das hier befindliche Sekret zum Aus-
führungsgang zu pressen, sich stärker zusammenziehen werden,
als die anderen, so dürfte hierin in Verbindung mit der meridio-
nalen Anordnung der Muskelfasern der Grund liegen, dass diese
Faltenbildungen der Membrana propria gerade im Grunde der
Drüse stattfinden. Doch habe ich an Drüsen, welche längere Zeit
hindurch ad maximum gereizt waren, solche Faltenbildungen auch
an anderen Stellen als nur am Grunde gesehen. Hier erschienen
sie dann auf den optischen Querschnitten wie Zotten, die mit-
unter weit in das Drüsenlumen hineinragten; zugleich waren sie
dicht besetzt mit jungen Epithelzellen. Ich glaube daher, dass
diese Faltenbildungen zugleich noch eine wichtige physiologische
Bedeutung haben, nämlich die sezernirende Oberfläche zu ver-
grössern, um so der an solche Drüsen in besonderem Masse ge-
stellten Anforderung einer vermehrten und beschleunigten Er-
neuerung der Elemente zu genügen.
Epithel.
Die innerste Auskleidung der Drüsen bildet das Epithel; dieses
ist zugleich der schwierigste Gegenstand der Untersuchung.
Schon Rainey beschrieb und zeichnete solches für die
Drüsen der Kröten?); es sind das aber die in schräger Ansicht
und daher verkürzt erscheinenden kontraktilen Fasern. Eck-
hardt begnügt sich wiederum mit der kurzen Angabe: „ein aus
Rundzellen bestehendes Epithelium“®?). Leydig hat sich wieder-
1) 12 8. 206. 2) 16.
3) 6.
-
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 41
holentlich mit diesem Gegenstand beschäftigt und kommt in seiner
letzten Aeusserung über seine diesbezüglichen Forschungen zu
dem Ergebniss, dass „ein Epithel in gewöhnlichem Sinne hier
nicht vorhanden sei“). Die neueste und zugleich ausführlichste
Arbeit über diesen Gegenstand hat Calmels?) geliefert. Ehe ich
aber auf diese eingehe und damit in die Besprechung der Sache
selbst eintrete, will ich vorher die Schwierigkeiten zeigen, welche
sich der Untersuchung entgegenstellen.
Dieser Schwierigkeiten grösste ist die Lage der kontraktilen
Fasern auf der Innenfläche der Tunica propria. Will man sich
von ihrem Vorhandensein nicht durch die auctoritas nominis
illustris, sondern durch eigene Forschung überzeugen, so scheint
das eigenthümlicher Weise bei den gegenwärtig so vervollkomm-
neten Verfahren zur Gewinnung mikroskopischer Präparate schwerer
zu sein denn früher. Man wird heutzutage, will man den feineren
und feinsten Bau eines Organes untersuchen, Schnitte von einigen
Tausendtheilen eines Millimeters anlegen und dieselben, nachdem
sie auf verschiedene Arten gefärbt sind, der Auflösung unter dem
Mikroskop unterwerfen. Hierdurch ist für die Struktur-Verhält-
nisse des Einzelnen ausserordentlich gewonnen; für zusammen-
gesetztere Verhältnisse aber, insbesondere wenn es sich um ver-
schiedene Anordnung verschiedener, durch Färbungen nicht unter-
scheidbarer Elemente handelt, ist ein Feld von Täuschungen er-
öffnet, denen zu entgehen nur durch eingehende Vergleichung von
Präparaten möglich ist, die sich in Schnittriehtung und Färbung
möglichst mannigfaltig unterscheiden.
Die Drüsen, die in Rede stehen, sind annähernd kugelige
Gebilde, man kann Schnitte an und durch dieselben legen. Doch
wird man mehr zu ersteren geneigt sein, indem man dann auf
einmal das Organ in seiner ganzen Ausdehnung mit allen Elemen-
ten übersieht. Diese Schnitte werden hauptsächlich in zwei Ebenen
erfolgen: einmal senkrecht zur Oberfläche der Haut, dann ihr
parallel. Auf den ersteren, auf Querschnitten, sieht man vorzüg-
lich an den Seitenwandungen der Tunica propria längliche Kerne
aufliegen, über welche, was sich erst bei schärferem Zusehen er-
giebt, eine äusserst feine Membran hinwegzieht (ef. Fig. 8 u. 13).
Auf den anderen, auf den Flächenschnitten, werden sich insbeson-
1) 12 8. 211. 2) 4.
42 Paul Schultz:
dere sehr kleine, viereckige oder oblonge Gebilde als der
Tunica propria aufsitzend darstellen, in denen man nur bisweilen
einen Kern erblickt (ef. Fig. 9). Fallen nun diese Flächen-
schnitte gar in den unteren Theil des Drüsenhalses, so erhält
man auf der Tunica propria Gebilde von cylindrischer Gestalt,
meist mit deutlichem Kern, bald alle von gleicher Grösse und
ziemlich niedrig, bald auf der einen Seite von beträchtlicher Höhe,
nach der anderen Seite zu in niedrigere übergehend. Man kann
eine grosse Anzahl von Schnitten anfertigen und immer wieder
nur diese Bilder erhalten. Was scheint daher näher zu liegen,
als zu glauben, man habe es hier mit den verschiedenen Ent-
wickelungsabsehnitten derselben Zellart zu thun, was gerechtfer-
tigter als der Schluss, es seien das die Epithelzellen der Drüse ?
Das glaubte und so schloss Calmels in der That. Und er
war um so mehr dazu berechtigt, als er der einschlägigen Litte-
ratur, die ihn vielleicht zu umfassenderer Prüfung veranlasst hätte,
nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Folgerichtig
entwickelt er nun (beiläufig auf mehr als achtzehn Druckseiten)
den Lebensgang der Giftzelle, den er sich in vier Abschnitten
vollziehen denkt. Diesen entsprechend stellt er folgende vier
„Typen“ auf, welche sieh in aufsteigender Entwicklung folgen:
1. Type endothelial: die Drüsen sind mit einer einschichtigen
platten endothelartigen Zellenlage ausgekleidet. 2. Type ceylin-
drique bas ou eubique: die Zellen wandeln sich in ein niederes
Cylinder-Epithel um. Das 3. Stadium Type eylindrique eleve ist
durch das Auftreten eines neuen Kernes im Fusse der künftigen
Giftzelle gekennzeichnet, von dem aus sich die nächste Generation
von Giftzellen bildet. Dieser Kern entsteht unabhängig von dem
alten Zellkern, frei aus dem Protoplasma!). 4. Type speeifique
1) 4 S. 342. En realite, nous n’avons affaire ieci qu’& une endogen£se!
Das, nachdem bereits Virchow in seiner Cellularpathologie ausgesprochen
hatte, dass bei der Vermehrung der Zellen der Kern eine wichtige Rolle
spiele, nachdem dann Virchows Satz! Omnis cellula e cellula erweitert
wurde in omnis nucleus ex nucleo; nachdem fünf Jahre früher Flemming
seine Lehre über die Kerntheilung veröffentlicht hatte. Allerdings darf das
nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass der Verfasser in Bezug auf
die Endogenese weiter unten erklärt: Tout cela paraitrait &trange, si l’on
ne savait pas depuis longtemps que certaines cellules vivent et se repro-
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 43
ou venenifere. Während der Kern zu Grunde geht, beginnt die
Ablagerung des Giftes in dem Protoplasma in Form stark licht-
brechender Körnchen.
So nahe diese ganze Auffassung liegt, so falsch ist sie auch.
Was Calmels als Drüsenepithel beschrieb und zeichnete, ist nichts
anders als die kontraktilen Fasern. Erwägt man nämlich ihre
Lage, sowie ihre eigenthümliche Anordnung in Verbindung mit
der rundlichen Gestalt der Drüse, so ist begreiflich, dass, je nach
der Schnittriehtung, eben dieselben Fasern sich in der verschie-
densten Weise darstellen müssen. Was also oben von den Quer-
schnitten der Drüse beschrieben war, entsprechend dem Type
endothelial Calmels, sind Längsschnitte der Fasern (s. Fig. 8 u.
13); Querschnitte derselben sind die Bilder, die wir auf Flächen-
schnitten der Drüse erhielten: Type eylindrique bas ou cubique
(s. Fig. 9). In den aus dem unteren Theil des Drüsenhalses
gewonnenen Gebilden verbindet sich mit der Richtung der Quer-
schnitte der Fasern eine andere, nämlich die der Flächenschnitte,
welch letztere also die Fasern sowohl der Breite, wie der Länge
nach treffen. Je nachdem nun in dieser Verbindung die erstere
oder die letztere Riehtung überwiegt, werden die Fasern niedriger
(Type eylindrique bas ou cubique) oder höher (Type eylindrique
eleve) erscheinen. Es wird sich daher aus der verschiedenen
Höhe irgend eine Grenze zwischen beiden nicht ziehen lassen.
Das that auch Calmels nicht. Für ihn waren die letzteren nur
durch das Auftreten eines neuen Kernes, des Fusskernes, vor den an-
deren bezeichnet. Dieser Fusskern sollte sich finden in einem „triangle
tr&s petite, de forme variable“, welches mit der Spitze nach innen
liegt, mit der Basis auf der Tunica propria; ein solches Dreieck
stellt aber die Spitze einer Faser dar, welche sich zwischen die
anderen eindrängt. Dass Calmels hier Kerne gesehen habe, be-
zweifle ich; denn die Kerne der Fasern liegen in der Mitte der-
selben. Auch spricht seine eigne Zeichnung sehr dagegen, denn
nur in zwei von neun solchen dreieckigen Räumen hat er einen
Punkt hineingezeichnet !), den er für einen Kern ausgiebt.
Will man nunmehr kontraktile Fasern ganz der Fläche nach
duisent sans noyau, et si l’on n’avait pas restitue au protoplasma la supr£-
matie dans les phönom£nes cellulaires.
1) 4 Taf. VIII Fig. 4.
44 Paul Schultz:
und zugleich mehrere auf einmal treffen, um sie in ihrer ganzen
Ausdehnung und zugleich in ihrer gegenseitigen Lage kennen zu
lernen, so werden, da die Drüse von ovaler Gestalt ist, Flach-
oder Tangentialschnitte an ihrer wenigst gekrümmten Fläche, also
an den Seitenwandungen zum Ziel führen (s. Fig. 8).
Hat man sich so von der Gegenwart der kontraktilen Fasern
überzeugt, kann man die mannigfaltigen Formen, unter denen sie
in den Schnitten erscheinen müssen, als diffieult& vaineue be-
trachten, erst dann kann man sich, vor Täuschungen gewahrt, um
so sicherer dem Studium des eigentlichen Drüsenepithels zu-
wenden.
Dasselbe besteht aus flachen, bald rundlichen, bald unregel-
mässigen, im Verhältniss zu ihrer späteren Entwicklung ausser-
ordentlich kleinen Zellen, mit grossem Kern und trübem, dunklen,
meist gleichmässigen Protoplasma. Das ist der Jugendzustand
der Giftzelle, Giftkörner sind nicht in ihr vorhanden; man kann
ihr also an und für sich nicht ansehen, was sie später werden
soll. Die jugendlichen Zellen liegen unmittelbar über den kon-
traktilen Fasern und finden sich überall in den Drüsen mit Aus-
nahme des Drüsenhalses. Aber sie bilden nicht etwa eine gleich-
mässige, die ganze Innenfläche der Drüse überziehende Epithel-
lage, wie man wohl erwarten sollte, vielmehr finden sich dieselben
im ruhenden Zustand der Drüsen nur hier und da zerstreut; und
es ist daher an solehen kaum möglich sie zu sehen. Dass man
hier nicht ein gleichmässiges, zusammenhängendes Epithel hat,
welches die innerste Auskleidung der Drüse bildet, hat seinen
Grund in einer Thatsache, welche für die Giftelemente von be-
sonderer Wichtigkeit ist. Es findet nämlich hier nicht eine gleich-
mässige, nicht eine gleichzeitige Entwicklung des ganzen Epithels
statt. Der Grund hierfür dürfte in folgendem zu suchen sein.
Die Giftdrüsen stellen eine Vertheidigungswaffe dar, eine
solebe wird aber nur dann eine möglichst vollkommene sein,
wenn sie, bei vorausgesetzter genügender Wirkung, dieselbe auf
möglichst lange Zeit in ungeschwächtem Zustand bewahrt !).
Würde nun in den Giftdrüsen das ganze Epithel sich auf einmal
1) Albini (1) behauptet sogar auf Grund seiner Versuche, dass der
Giftsaft des Salamanders bei anhaltender Reizung immermehr an Schärfe
gewinne.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 45
entwickeln und zu gleicher Zeit auf der Höhe der Entwicklung,
also der Anfüllung mit Giftkörnern ankommen, so würde die Drüse,
folgt jetzt eine Entleerung, vorläufig nicht mehr verwendet werden
können; es müsste eine Pause eintreten, in welcher das Epithel
sich erst wieder neu bilden und alle die Abschnitte der Entwick-
lung durchlaufen könnte. Eine solche für eine wirksame Ver-
theidigung unzweckmässige Einriehtung haben wir hier nicht.
Hier zeigt sich vielmehr die Waffe im vollkommnen Zustand.
Erstlich entwickeln sich nämlich von den Epithelzellen nur immer
einige; dann aber stellt der Kern einer jeden Zelle eine ausser-
ordentlich hohe Summe spezifischer potentieller Energie dar. In
letzterem Umstand wird der Nachtheil, der scheinbar dadurch ent-
steht, dass nicht. das gesammte Epithel, sondern nur einzelne
Zellen davon zur gleichzeitigen Entwicklung gelangen, nicht nur
ausgeglichen, sondern es wird das geradezu zum Vortheil. Denn
nunmehr erfährt jede Zelle eine möglichst umfangreiche und voll-
ständige Ausbildung, eine Ausbildung, welche schliesslich zu jenen
Gebilden von erstaunlicher Grösse führt, welche schon bei allen
Forschern, welche sie gesehen, höchstes Befremden erregt und
ihnen den Namen „Riesenzellen“ 1!) eingetragen haben. Stehen
also diese Gebilde am Ende ihres Zellenlebens, werden sie bei
der nächsten Entleerung der Drüse verschwinden, so sind schon
andere bereit, die nur des Augenblicks harren, da sie sich zu
entwickeln vermögen.
Diese Entwicklung kann nun zunächst in der Vermehrung
der Elemente bestehen; diese wird natürlich um so lebhafter und
um so allgemeiner statt haben, je stärker der Reiz ist, der auf
die Drüse einwirkt. Ja, sie kann sogar bei bedeutendem Reize
so erheblich werden, dass dann die Drüsen wirklich wie mit
einem gleichmässigen Epithel ausgekleidet erscheinen. Die Ver-
mehrung der Zellen geschieht durch indirekte Kerntheilung. Die
hier gefundenen Kerntheilungsfiguren sind von so mächtiger Grösse,
wie man sie selten findet. Auffallend ist mir nur, dass ich ver-
hältnissmässig wenige zu Gesicht bekommen habe. Will man
nicht den angewendeten Erhärtungsverfahren die Schuld beimessen,
so bleibt nur übrig sich vorzustellen, dass der Theilungsvorgang
hier ausserordentlich schnell abläuft. Und diese Vorstellung liegt
1) Diesen Namen legte ihnen Leydig bei. 12 S. 210.
46 Paul Schultz:
nicht gar zu fern. Denn die Entwicklung der Giftzellen über-
haupt scheint mit grosser Schnelligkeit vor sich zu gehen; dafür
- spricht schon der Umstand, dass ich Drüsen sechszehn Stunden
nach längerer Reizung ad maximum wieder vollständig mit Gift-
körnern gefüllt fand.
Bis jetzt haben wir die ersten beiden Abschnitte aus dem
Leben der Giftzelle kennen gelernt; den Jugendzustand, zugleich
den Zustand der Ruhe, in dem sie lange verbleiben kann, und
als Zeichen der beginnenden Entwicklung eine sicher theilweise,
vielleicht allgemeine Vermehrung durch indirekte Kerntheilung.
In diesen beiden Abschnitten macht die Zelle durchaus den Ein-
druck einer „indifferenten“, nichts an ihr und in ihr deutet an,
wozu sie bestimmt ist. Das Merkmal der Giftzelle erhält sie
erst durch das Auftreten der Giftkörner innerhalb der Zelle selbst.
Wo und wann dieselben sich zuerst innerhalb der Zelle
zeigen, vermag ich nicht zu sagen. Zweierlei aber halte ich für
ausgemacht: Erstlich sind diese Giftkörner nicht ein ausgeschie-
denes Erzeugniss, nicht ein Sekret!) der Zelle im strengen Wort-
sinn, sie sind vielmehr umgewandeltes Protoplasma, sie sind
integrirende Bestandtheile der Zelle selbst. Ferner entstehen
diese Giftkörner nieht erst in dem Augenblick, wo die Zelle sich
auflöst, sind also nicht ein Zerfallsprodukt derselben. Vielmehr
1) Leydig 12 S. 200: „Im Verlaufe meiner gegenwärtigen zunächst der
Ohrdrüse der Salamandra maculosa gewidmeten Untersuchungen bin ich zu
der Ansicht gekommen, dass die Riesenzellen ein Zusammengesetztes sind, in
der Weise, dass sie aus dem eigentlichen Zellenkörper und zweitens aus dem
abgeschiedenen Sekret bestehen. Indem das letztere längere Zeit mit dem
Zellenleib innig verbunden bleibt, kommen die cylindrischen Massen zur Aus-
bildung. Ihr vorderes Ende löst sich alsdann oder bildet sich um in helle,
glänzende Kugeln, welche, wenn in grösserer Menge vorhanden, fürs freie
Auge eine gallertige graue Masse oder einen Pfropf im Innern des Drüsen-
sacks und damit das eigentliche milchige Hautsekret zu Wege bringen.“
Was Leydig daher früher (11 Taf. VIFig. XXVII) auf seinem Durch-
schnitt durch die Parotis des Salamanders mit „Zellsubstanz“ (d ;) bezeichnet
hat, ist für mich eine alte zerfallene Zelle, was mit „Kern“ (d ,), die neue
junge giftige Zelle, was mit Kernkörperchen (d 5), der Kern selbst; dass dem
so sei, lehrten, abgesehen von der Entwicklung, die Doppelfärbungsverfahren.
Dass hier drei Kerne in eine Zelle gezeichnet sind, liegt daran, dass man
allerdings bisweilen mehrere Kerne in einer Zelle sieht, bei näherem Zu-
sehen ergiebt sich aber fast regelmässig, dass zu je einem derselben eine be-
sondere Zelle gehört.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 47
bilden sie sich aus dem Protoplasma schon von dem Augenblick
an, wo aus der ruhenden Zelle die thätige wird, wo also über-
haupt die eigentliche Entwicklung der Giftzelle beginnt, welche
natürlich, wie jede andere, schliesslich zum Zerfall führt. Einge-
leitet und durchgeführt wird diese Entwicklung lediglich durch
den Kern; wie weit sie vorgeschritten, dafür giebt die Grösse der
Zelle und das Aussehen des Kernes Aufschluss.
So sehen wir verhältnissmässig kleine Zellen mit rundem,
scharf umschriebenen Kern, der ausserordentlich reich an Chro-
matinsubstanz ist und daher bei Färbungen stark dunkel erscheint.
Die Membran der Zelle tritt als deutliche Begrenzungslinie hervor,
und in der Zelle liegen mit dem Protoplasma die Giftkörner.
So sieht die jugendliche giftige Zelle aus. Diese sucht in ihrer
weiteren Entwicklung sich möglichst auszudehnen und anzufüllen,
auf kleinstem Raum den grössten Inhalt zu erlangen und strebt
daher der Kugelform zu. Aus dieser wird naturgemäss, wenn die
benachbarten Zellen einen starken seitlichen Druck ausüben, ein
mehr oder minder cylindrisches oder, wie man es auch genannt
hat, ein wurstförmiges Gebilde.
An irgend eine bestimmte Form also, das verdient hervorge-
hoben zu werden, ist die Entwickelung der giftigen Zelle nicht
gebunden, hierfür sind lediglich die Druckverhältnisse massgebend,
die an den Zellen unter einander stattfinden.
Mit der Zelle wächst der Kern, und zugleich vermehrt sich die
Zahl der Giftkörner. Der Kern verliert mit dem Wachsthum immer
mehr seine runde Gestalt; sein dichtes Chromatingefüge und seine
Grenzen werden undeutlicher und unregelmässiger. Auf der Höhe
der Entwickelung stellt die Zelle jene bekannten Riesenzellen dar
von meist cylindrischer Gestalt mit deutlich sichtbarer Zellmembran,
die geradezu vollgestopft sind mit Giftkörnern (efr. Fig. li und
Fig. 10). Der Kern erscheint zwar ebenfalls erheblich gross,
aber zugleich verschwommen, und eigenthümlich für ihn ist zu
dieser Zeit einmal das Auftreten von Vacuolen und dann, dass
er in den verschiedensten und seltsamsten Formen erscheint,
unter denen eine nach Art des Luftballons am häufigsten auftritt.
Müssen jene wie diese auch nur als Kunsterzeugnisse ange-
sehen werden, so beweist das doch, dass der Kern sich in
einem Zustand höchster Weichheit und Lockerung befunden haben
muss. Die Zelle geht schliesslich zu Grunde, indem sich an
48 Paul Schultz:
ihrem oberen, freien Ende die Membran auflöst oder platzt, und
nunmehr sich der Inhalt in den offenen Drüsenraum ergiesst (cfr.
Fig. 2n): sobald das eintritt, löst sich auch der Kern allmählich
auf (efr. Fig. 13).
Jede jugendliche Giftzelle ist befähigt diesen Entwickelungs-
gang, aber auch nur diesen durchzumachen; einen anderen giebt
es nicht. Auch kommt keiner Stelle der Drüse als solcher eine
bevorzugtere Ausbildung ihrer Elemente zu. An allen Stellen
werden wir daher die Zellen in allen Entwickelungsabschnitten
antreffen können; nur werden die Zellen des Bodens aus nahe-
liegenden räumlichen Gründen für gewöhnlich eine grössere Gestalt
erreichen als die anderen.
Betrachten wir den ganzen Lebensgang der Zelle, so ist er-
sichtlich, dass hier ein sehr reicher und schneller Stoffwechsel
stattfinden muss. Und es ist daher sofort begreiflich, warum
ein so überaus dichtes Netz von Gefässen die Drüse umspinnt,
so dieht, dass Rainey!) die Giftfollikel als „vascular sacks“ be-
zeichnete und sie mit Malpighi’schen Körperchen verglich.
Um so auffallender aber muss sein, dass dieser Stoffwechsel durch
die Lage der kontraktilen Fasern auf der Innenfläche der Tunica
propria scheinbar erschwert, ja fast unmöglich gemacht wird.
Dem aber ist durch eine besondere Lagerung der Giftzellen abge-
holfen. Es liegen dieselben allerdings über den kontraktilen Fa-
sern, aber sie drängen sich mit einer Seite oder einem Fortsatz
zwischen dieselben hindurch, sodass sie in innige, unmittelbare
Verbindung mit der Membrana propria treten?). Dies kann, da
sich immer nur einige Zellen entwickeln und die kontraktilen Fa-
sern nur eine einfache Lage darstellen, sehr wohl geschehen, ohne
dass beide Theile in ihrer Verrichtung gestört werden. Dass ein
solches Verhältniss statt hat, sah ich auf einigen Schnitten recht
deutlich: hier lagen mehrere Fasern neben einander, über ihnen
erhob sich eine ziemlich entwickelte Giftzelle, welche, verfolgte
man die Zeichnung der Membran, sich wie mit einem Fuss zwi-
schen die Fasern drängte (efr. Fig. 11). Ebenso zeigten sich auf
1) 16.
2) Bürstenbesätze, welche Haidenhain an Fpithelzellen entdeckt
und Tornier untersucht und beschrieben hat (19), habe ich hier nicht finden
können.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 43
Flachschnitten bisweilen deutlich die Fasern etwas auseinanderge-
wichen und einen schmalen, bald längeren, bald kürzeren Streifen
zwischen sich fassend, der sich durchaus von ihrer Substanz unter-
schied und grösste Aehnlichkeit mit dem Giftzellen-Protoplasma
hatte (efr. Fig. 12). Sind diese Beobachtungen richtig, so er-
scheint das Lagerungsverhältniss der kontraktilen Fasern voll und
ganz verständlich. Durch die unmittelbare Lage der zahlreichen
Gefässe auf der Membrana propria ist eine äusserst lebhafte und
umfangreiche Stoffaufnahme von Seiten der letzteren ermöglicht;
und dureh die wenn auch geringe, so doch unmittelbarer Verbin-
dung der Giftzellen mit der Membrana propria ist für jene eine
umfassende und schnelle Entwickelung gestattet. Ziehen sich die
Fasern zusammen, so wirken sie ungehindert auf den Drüseninhalt,
und es wird derselbe sehr energisch und vollständig entleert. Bei
anhaltendem Reiz wird entsprechend der stärkeren Zusammenziehung
der Fasern die Membrana propria gefaltet und dadurch die „secer-
nirende Oberfläche“ vergrössert, zugleich werden die der Membrana
propria aufliegenden Gefässe erweitert, und so ein vermehrter Zu-
fluss in denselben gesetzt. Dieser kommt wieder den neu sich
entwickelnden Giftzellen zu Gute. Lässt der Reiz nach, so hört
auch die Kontraktion der Muskelfasern auf. Vielleicht auch da-
durch, hauptsächlich aber wohl durch das Wachsthum der sich ent-
wiekelnden Giftzellen kehrt die Membrana propria in ihre frühere
Lage zurück.
Schleimdrüsen.
Es dürfte der Vollständigkeit wegen noch erübrigen, auch
der Schleimdrüsen zu gedenken, insbesondere ihres Ausführungs-
sanges, der, wie erwähnt, sich wesentlich von demjenigen der
Giftdrüsen unterscheidet. Die Mündung desselben stellt, von oben
gesehen, einen äusserst kleinen, schmalen, kurzen Längsspalt dar.
Die Epidermis bildet, wie ein Querschnitt lehrt, an der Oberfläche
keine Einziehung; ihr Höhendurchmesser verhält sich grade um-
gekehrt wie bei den Giftdrüsen: er ist verschmälert. Wie bei
diesen die untere Begrenzung bedeutend in die Tiefe ausweicht,
so biegt sie grade hier, wenn auch nicht erheblich, nach oben um,
ebenso der Coriumsaum. Der Canal ist ausserordentlich fein, glatt
und geht vollständig grade durch die Epidermis hindurch, unter-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 4
50 Paul Schultz:
halb deren er sich erst erweitert, um dann plötzlich in die Drüse
selbst überzugehen. Er ist, wie bei den Giftdrüsen, ausgekleidet
durch die Häutungsschicht;; auf der abgestossenen Haut stellt diese
Auskleidung daher die kleineren Schläuche dar, die sich zahlreich
neben den selteneren grossen, aus den Ausführungsgängen der Gift-
drüsen kommenden finden (efr. Fig. 4d). Einen besonderen Ver-
schluss, wie ihn Leydig für die kleinen Drüsen bei Rana tempo-
raria und Coeeilia annulata beschrieben und gezeichnet hat!), sehe
ich hier ebensowenig wie an den Giftdrüsen.
Die Drüse selbst besteht aus einer Membrana propria, auf
deren Innenfläche sich ebenfalls eine einfache Lage kontraktiler
Fasern findet. Besondere Anhäufung oder Anordnung der Fasern
am Drüsenhals habe ich nieht gefunden. Auch habe ich dieselben so
wenig wie an den Giftdrüsen, in die Epidermis selbst hineinragen
oder gar „bis dicht unter das Niveau der Hautoberfläche empor-
steigen“ gesehen). Von ihrer Gegenwart zeugen auf Querschnitten
die länglichen Kerne, die der Innenwand der Membrana propria
aufliegen. Das Epithel besteht aus Zellen, deren am Boden liegen-
der Kern unmittelbar der Membrana propria aufliegt, und deren
oberes mit Schleim gefülltes Ende in das Innere der Drüse hinein-
ragt. Auf einem Querschnitt machen die gefüllten Schleimzellen
den Eindruck niedriger eylindrischer Gebilde von gleichmässiger
Höhe.
Rückblick.
1) Die Oberhaut scheidet sich in Häutungsschicht, eine
einfache, zusammenhängende Lage völlig erstorbener, verhornter
glatter Zelltafeln, welche bei der nächsten Häutung abgestossen
wird, und Epidermis im engeren Sinne; diese wiederum in
Schleimschicht, in deren unterster, der Cutis unmittelbar auf-
sitzender Lage die Vermehrung der Elemente durch indirekte Kern-
theilung geschieht, und Hornsehicht, deren Zellen um so mehr der
1) Vergleiche hierzu 12 S. 146.
2) Dies giebt Pfitzner 15 S. 505 an und hat es auch auf Taf. XXV
in Fig. 16 gezeichnet. Ich habe auf meinen sämmtlichen Präparaten auch
nicht ein Bild angetroffen, wo bei Gift- oder Schleimdrüsen zwischen der
Häutungsschicht des Ausführungsganges und den umgebenden Epidermiszellen
kontraktile Fasern zu sehen gewesen wären.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 51
Rückbildung, Verhornung, unterworfen sind, je weiter distal sie
liegen.
2) In der Hornschieht finden sich eigenthümliche Zellen,
Becherzellen, welche aus Zellen der Schleimhaut wahrscheinlich
durch Quellung des Inhaltes entstehen.
3) Die Becherzellen münden nicht auf der freien Körperober-
fläche, sondern auf der Epidermis im engeren Sinne unterhalb der
Häutungsschicht. Sie sind einzellige Drüsen, haben also eine sekre-
torische Funktion. Das Sekret lockert die Häutungsschicht von
ihrer Unterlage, der Hornschicht, stösst sie aber nicht ab.
4) Hat die Becherzelle an einer Häutungsschicht ihre sekre-
torische Funktion bethätigt, so bildet sie sich zurück. Erst nach-
dem die alte Häutungsschieht abgeworfen und eine neue an ihre
Stelle getreten ist, entwickelt sie sich von neuem. So vermag
eine Becherzelle ihre ablösende Wirkung einige Male hinter einan-
der an verschiedenen Häutungsschichten auszuüben, bis sie selbst
in eine solche eintritt.
5) Die untersten Zellen der Schleimschicht tragen an ihrem
proximalen, der Cutis unmittelbar aufliegenden Ende unregel-
mässige, franzenartige Fortsätze. Diese dienen zur Ernährung
sowohl der Zellen, denen sie angehören, wie der darüber liegen-
den. Indem diese Fortsätze in die Cutis eindringen, erzeugen
sie in derselben entsprechende Vertiefungen. Die zwischen den
Vertiefungen stehen gebliebene Masse der Cutis täuscht auf dem
optischen Querschnitt das Bild von der Cutis eigenthümlichen
Hervorragungen vor.
6) In der Oberhaut der Kröten und Salamander gibt es zwei
Arten von Drüsen: Schleim- und Giftdrüsen, welche anatomisch
und physiologisch wesentlich von einander verschieden sind.
7) Die Giftdrüsen finden sich nur auf dem Rücken des Kör-
pers und der Gliedmaassen, die Schleimdrüsen sind über den gan-
zen Körper überaus zahlreich verbreitet.
8) Die Giftdrüsen des Salamanders bestehen von innen nach
aussen aus dem Epithel, einer einfachen Lage kontraktiler Fasern,
der bindegewebigen Tunica propria. Auf dieser liegen in lockerem
Bindegewebe überaus zahlreiche Capillaren, zwischen diesen und
weiter nach aussen bisweilen Pigment, dann folgt die tiefe Corium-
lage, welche die Giftdrüse vollständig umgiebt.
9) Die kontraktilen Fasern sind also auf der Innenfläche
52 Paul Schultz:
der Membrana propria gelegen. Sie stellen spindelförmige Zellen
dar, in deren Mitte der längliche Kern liegt, und sind angeord-
net wie die Meridiane an einem Globus. Indem sie sich zu-
sammenziehen, pressen sie das Sekret aus der Drüse heraus;
dabei kommen Faltenbildungen der Membrana propria besonders
am Grunde zu Stande; diese Faltenbildungen dienen zugleich zur
Vergrösserung der secernirenden Oberfläche. Ausserdem findet
sich im Drüsenhals noch eine zweite Lage von kontraktilen
Fasern; dieselben liegen nach innen von den vorigen und ver-
laufen wie Breitengrade an einem Globus ; ihnen kommt die Be-
deutung eines Sphinkters zu.
10) Das Epithel der Giftdrüsen besteht aus bald rundlichen,
bald unregelmässigen, anscheinend indifferenten Zellen, welche
sich mit einem Fuss durch die kontraktilen Fasern hindurchdrän-
sen und so mit der Membrana propria in unmittelbarer Berührung
stehen. Die Vermehrung der Elemente erfolgt durch indirekte
Kerntheilung.
11) Von den Epithelzellen gelangen nur immer einige auf
einmal zur Entwicklung. Man findet daher in den Drüsen kein
gleichmässiges, zusammenhängendes, die Innenfläche auskleiden-
des Epithel.
12) Die Epithelzelle wird zur giftigen und tritt in ihre eigent-
liche Entwicklung ein dadurch, dass in ihrem Innern Giftkörner
auftreten. Dieselben sind umgewandeltes Protoplasma.
13) Eingeleitet und durehgeführt wird die Entwicklung durch
den Kern, welcher hier eine ausserordentlich hohe Summe speeifi-
scher potentieller Energie darstellt.
14) An irgend welche bestimmte Formen ist die Entwickelung
der Giftzelle nieht gebunden. Die jeweilige Gestalt einer Gift-
zelle erklärt sich aus den Druckverhältnissen, die an den Zellen
unter einander stattfinden.
15) Die Giftzellen werden schliesslich zu Gebilden von ganz
erheblicher Grösse („Riesenzellen“). Indem an dem oberen Ende
die Membran sich auflöst oder platzt, ergiesst sich der Inhalt der
Zelle, die Giftkörner, in das Lumen der Drüse, die dadurch ein
trübes, körniges Ansehen erhält. Der Kern geht dann ebenfalls
allmählich zu Grunde.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 53
Nachtrag.
Herr Professor Fritsch hatte die Güte, mich auf eine jüngst
erschienene Arbeit von Drasch!) aufmerksam zu machen; dieselbe
gelangte erst nach Beendigung dieser Arbeit in meine Hände. Da
ich erhebliche Aenderungen im Text nicht mehr vornehmen
konnte und andererseits die schon beträchtliche Zahl der Anmer-
kungen nicht um eine neue vermehren wollte, so sei dieser Arbeit
an dieser Stelle gedacht.
Zunächst wurde ich durch dieselbe auf eine Arbeit von
Engelmann?) aufmerksam, welche mir entgangen war. Engel-
mann unterscheidet in der Oberhaut des Frosches zwei Arten
von Drüsen: Körnerdrüsen und Schleimdrüsen. „Den Körnerdrüsen
der Froschhaut entsprechen die Gift- und Seitendrüsen der Kröten.
Ferner gehören hierher die Ohrdrüsen und Seitendrüsen der Sala-
mander und Tritonen und die grossen Hautdrüsen der Coeeilia.
Das Sekret aller dieser Drüsen scheint giftige Eigenschaften zu
haben.“ Indess sind für Engelmann bei dieser Eintheilung und
Zusammenstellung der Drüsen nicht so sehr innere, anatomische
und physiologische, Gründe massgebend gewesen, als vielmehr
das äussere Ansehen. So giebt Engelmann an, dass die Körnehen-
drüsen den Nickhäuten fehlen. Drasch aber weist gerade in
seiner Arbeit nach, dass es Niekhäute gibt, in deren Drüsen fast
sämmtliche Zellen eigentliche Körnchenzellen seien, und kommt
daher zu dem Schluss, dass man für die Niekhaut diese Drüsen-
eintheilung Engelmann’s fallen lassen müsse 3).
Engelmann hat an den Hautdrüsen der Frösche ebenfalls
kontraktile Fasern gesehen, welehe, meridional angeordnet, die-
selbe wie eine Hülle umgeben. Ihr Lagerungsverhältniss aber
zur Membrana propr. hat er nicht erkannt, da er überhaupt keine
Membr. propr. gesehen hat: „Eine strukturlose Membran lässt sich
weder auf der Aussenfläche der Muskelhaut, noch innen, zwischen
dieser und dem Epithel nachweisen.“
Drasch theilt die Angaben Engelmann’s über die Muskel-
hüllen der Drüsen mit, auch führt er die Autoren an, die schon
vor Engelmann diese glatten Muskelfasern gesehen. Indem er
1) 20. 2) 21.
3) 20 $. 109.
Fr
N
54 Paul Schultz:
seine eigenen histologischen Untersuchungen mittheilt, giebt er zu,
dass diese Drüsen oft ein Ansehen darbieten, als ob die Drüsen-
zellen nach aussen von einem Kranz von Spindelzellen eingefasst
würden. Trotz alledem fährt er im nächsten Satz fort: „Es sind
dies nichts weiter als die stark nach dem Drüseninnern vorgewölb-
ten Kerne der Membr. propr.“!). Von der Membr. propr. heisst
es weiter unten): „Sie stellt sich als eine Haut dar, in welcher
ausser den Kernen nichts weiter zu unterscheiden ist.“ „Ich habe
nicht finden können, dass dieselbe etwa aus spindelförmigen Zellen
zusammengesetzt ist.“ Doch heisst es am Schlusse desselben Ab-
schnittes: „Die Kerne scheinen spindelförmigen Zellen anzu-
gehören.“ Einige Seiten später werden diese Spindeln als op-
tische Querschnitte verdieckter Membranstellen erklärt?).
Ich habe zwar die Drüsen der Nickhaut des Frosches nie
untersucht, dennoch stehe ich auf Grund der eben angeführten
eigenen Schilderungen Drasch’s sowie seiner Zeichnungen auf
Taf. III und V nicht an zu behaupten, dass es sich hier in der
That ebenfalls um spindelförge kontraktile Fasern handelt, welche
der Innenfläche der Membr. propr. aufliegen. Hat diese Behaup-
tung Bestätigung erfahren, so dürften auch wohl einige andere
Angaben Drasch’s über die Sekretion eine Aenderung erfahren.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel II.
Sämmtliche Abbildungen sind nach Präparaten von Ohrdrüsen der Sala-
mandra mac. mit einem Hartnack’schen Mikroskop (nur Fig. 13 mit einem
Leitz) ohne Zeichenapparat angefertigt. J.-A. (= Jod-Alkohol) und 8. (= Sal-
petersäure) beziehen sich auf die Härtungsmethoden, K.-H. (= Kupfer-Häma-
toxylin), H.-C. (= Hämatoxylin-Carmin), H.-E. (= Hämatoxylin-Eosin) auf
die Färbungsmethoden, cf. S. 14.
Fig. 1. Uebersichtsbild. a = Häutungsschicht. b= Epidermis im engeren
Sinne; in der Schleimschicht sieht man die Zellkerne angedeutet.
ce = Oberster Lederhautsaum. d = lockeres Bindegewebe e =
tiefe Coriumslage, dieselbe ist zwischen den Giftdrüsen zu einem
blossen Fachwerk zurückgebildet. e, = Verbindungsstränge von
der tiefen Coriumslage zum obersten Saum derselben. f = tiefe
lockere Bindegewebslage, darin ein Gefäss (f,) des tiefen Haut-
capillarnetzes getroffen. g = Schleimdrüsen. h = Giftdrüsen.
1) 20 8. 109. 2) 20 8. 112.
3) 20 8. 118.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
ot
u
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 55
’
Die Giftzellen (bei i eine besonders dichte Anhäufung derselben)
sitzen dicht neben einander der Membr. propr. k auf. Man erkennt
ihre Membran und die Giftkörner, mit denen sie vollgestopft sind.
1 = lockeres Bindegewebe, welches die Giftdrüsen umgiebt. m =
Capillaren. n= eine in der Entwicklung zurückgebliebene Giftdrüse.
Bei o ist ein Ausführungsgang unweit seines Lumens getroffen,
man sieht die Verbreiterung (Einziehung) der Epidermis und die
dichte Pigmentanhäufung. Bei p erscheint die Häutungsschicht etwas
abgehoben, stärkere Vergrösserung zeigt, dass hier Becherzellen
liegen. S. K.-H. Oec. 3, Obj. 2.
Querschnitt durch die Epidermis. a = Häutungsschicht. b = Horn-
schicht. b, = die schon zur Häutungsschicht sich umbildende Lage
der Hornschicht. ce = Schleimschicht; man sieht zwischen den ein-
zelnen Zellen die Intercellularbrücken und an den untersten die der
Cutis zugewandten franzenartigen Fortsätze; bei c, zeigt der Kern
Knäuelfigar. d = Becherzellen, über ihnen ist die Häutungsschicht
besonders stark abgehoben und etwas ausgebuchtet. Sekret ober-
halb der Zellen ist nicht mehr wahrzunehmen, da dieselben sich
schon zur Rückbildung anschicken. S., K.-H. 0Oc. 4, Obj. 7.
Häutungsschicht auf einem Flachschnitt. a = Ueberreste von Kernen,
reichlich mit Pigment umgeben. b = eine noch offene, b, = eine
bereits geschlossene Oeffnung für die Becherzellen. S., K.-H.
Oc. 4, Obj. 7.
Pigmentfreies Stück aus einer abgestossenen Ilaut. a = geschlossene
Mündung der Becherzellen. b = Ausschnitt für den verschliessen-
den Schleimpfropf der Becherzelle an einer isolirten Seite der Zelle.
e = verhornte Becherzelle.. d = der den Ausführuugsgang einer
Schleimdrüse auskleidende Theil der Häutungsschicht. Hämatoxylin.
Oc. 4, Obj. 7.
Die beiden obersten Lagen der Hornschicht. a = die oberste Lage,
zur Häutungsschicht fast schon umgebildet. Bei c ist ein Kern ge-
troffen, man sieht deutlich unter ihm den Zellkontour herumgehen.
b = nächstfolgende Lage, die auf der unteren, proximalen Fläche
die Intercellularfortsätze zeigt. Die Häutungsschicht über a ist ab-
gefallen. S., K.-H. Oc. 4, Obj. 9 (Wasser-Immers.).
Schnitt durch das Lumen des Ausführungsganges.. a = Häutungs-
schicht (rechts durch die Präparation losgelöst,. b= Epidermis im
engeren Sinne. ce = Becherzelleu. d = oberster Cutissaum. e =
lockeres Bindegewebe. f = tiefe Cutislage. g = Segment einer
Schleimdrüse. h = Pigmentschicht. i = das die Drüse umgebende
lockere Bindegewebe, rechts Querschnitt durch ein Capillargefäss.
k = Membr. propr. 1= Lumen des Ausführungsganges, zu innerst
von der Häutungsschicht ausgekleide. m = circuläre kontraktile
Fasern im Drüsenhals (Sphinkter) mit Kernen. n = Giftzelle, im
56
Fig. 7.
Fig. 8.
Fig. 9.
Fig. 10.
Fig. 11.
Fig. 12.
Fig. 13.
1:
Paul Schultz:
Begriffe ihren Inhalt in das Drüsenlumen zu entleeren. o = Kern-
rest. p = Ueberreste von zu Grunde gegangenen Kernen. q = Ueber-
rest einer zu Grunde gegangenen Giftzelle..e r = meridional ange-
ordnete kontraktile Fasern. S., K.-H. Oec. 3, Obj. 5.
Die meridional angeordneten kontraktilen Fasern der Fläche nach.
Sublimat-Jod-Alkohol, H.-E. Oc. 3, Obj. 7.
Die meridionalen kontraktilen Fasern im Längsschnitt. a= Membr.
propr., darauf die kontraktilen Fasern. b = lockeres Bindegewebe
mit c = Blutgefässen, d = Pigment. e tiefe Coriumslage. J.-A.,
H.-E. Oc. 3, Obj. 7.
Die meridionalen kontraktilen Fasern im Querschnitt. a-—e wie
Fig. 8. f = Kernüberreste von Giftzellen. g = Segment einer
Giftzelle. J.-A., H.-C. 0Oec. 3, Obj. 7.
Durchschnitt durch zwei benachbarte Giftdrüsen. a = das tiefe
Corium, welches zwischen den beiden Drüsen zu einer dünnen Wand
zurückgebildet ist. b = lockeres Bindegewebe mit Capillaren und
Pigment. c = Membr. propr., darauf jederseits die Giftzellen
(„Riesenzellen“) mit den am Boden liegenden grossen Kernen; die
Zellen sind vollgestopft mit Giftkörnern und zum Theil schon in
Auflösung begriffen. Die kleinsten Kerne, welche der Membr. propr.
unmittelbar aufliegen, sind Kerne der kontraktilen Fasern, mög-
licherweise gehört der eine oder der andere einer jugendlichen
Epithelzelle an. J.-A., H.-C. Oec. 3, Obj. 5.
Schrägschnitt durch die Wand einer Giftdrüse. a= Membr. propr.
= lockeres Bindegewebe mit Capillaren. ce = tiefe Cutislage.
Bei d zwei kontraktile Fasern, zwischen welche sich eine Giftdrüse
mit ihrem Fuss einschiebt.
Kontraktile Fasern der Fläche nach. Bei a sieht man Lücken,
welche den der Membr. propr, aufsitzenden Fuss der Giftzelle
enthalten. Fig. 11 und 12: Sublimat-Jod-Alkohol, H.-E. Oc. 4
Obj. 7.
a = Membr. propr. b = lockeres Bindegewebe mit Capillaren und
Pigment. c = tiefe Cutislage. Auf der Membr. propr. liegen
kontraktile Fasern, der Länge nach getroffen. Darüber sieht man
zu Grunde gegangene Giftzellen, deren Membran zum Theil noch
sichtbar ist, und deren Inhalt an einzelnen Stellen noch zusammen-
hält. Die grossen Kerne rühren von diesen Giftzellen her und sind
in volliger Auflösung begriffen.
Verzeichniss der angeführten Werke.
Albini. Ueber das Gift des Salamanders. Verhandl. der k. k.
zoolog.-bot. Gesellschaft. Wien. Bd, 8, 1858.
Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 57
2. Bolau. Beiträge zur Kenntniss der Amphibienhaut. Dissert.
Göttingen. 1864.
3. Brehm. Thierleben. Grosse Ausgabe. Dritte Abtheilung. Erster
Band. Leipzig. 1878.
4. Calmels. Des Glandes a venin du crapaud. Archives de Phy-
siologie. Paris. 1883.
5. Czermak. Die Nerven des Frosches. Müllers Archiv für Ana-
tomie. 1849.
6. Eckhard. Ueber den Bau der Hautdrüsen der Kröten u. s. w.
Müllers Archiv für Anatomie. 1849.
7. Fritsch. Die äussere Haut und die Seitenorgane des Zitterwelses
(Malopterus electricus). Sitzungsberichte der k, Pr. Akademie der Wissen-
schaften. Berlin. 1886. XXI.
8. Gemminger. Tödtliche Vergiftung eines Sperbers durch eine
Kröte. Frorieps Tagesber. Nr. 635. Zool. Bd. 3. 1852.
9. Langerhans. Ueber die Haut der Larve von Salamandra mac.
Arch. f. mikr. Anat. IX. 1873.
10. Leydig. Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere.
Frankfurt. 1857.
11. Leydig. Ueber die Molche (Salamandrina) der württembergischen
Fauna. Separat-Ausg. Berlin. 1867.
12. Leydig. Ueber die allgemeinen Bedeckungen der Amphibien.
Arch, f. mikr. Anat. XII. 1876.
13. Leunis. Synopsis der Thierkunde. Erster Band. Hannover. 1883.
14. Mitrophanow. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd.41. 1885.
15. Pfitzner. Die Epidermis der Amphibien. Morphologisches Jahr-
buch. Sechster Band. Leipzig. 1880.
16. Rainey. On the structure of the cutäaneos follicles of the toad.
Quart. Journ. mieroscop. Se. Vol. 3. 1855.
17. Eilh. Schulze. Epithel und Drüsenzellen. Arch. f. mikrosk.
Anat. Bd. 3. Bonn. 1867.
18. Turner. Ueber die Häutung der Kröten. Frorieps Tagesberichte.
Nr. 207 (Zool. Bd. 1).
19. Tornier. Ueber Bürstenbesätze an Drüsenepithelien. Arch. f.
mikrösk. Anat. XXVII. 1886. Bonn.
20. Drasch. Beobachtungen an lebenden Drüsen mit und ohne
Reizung der Nerven derselben. Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiologische
Abtheilung.
21. Engelmann. Die Hautdrüsen des Frosches. Pflügers Archiv.
1872. Bd. 5.
22. List. Ueber Becherzellen. Arch. f. mikrosk. Anat. XXVII.
1886. Bonn.
58 Dr. F. Hermann:
Beiträge zur Histologie des Hodens,
Von
Dr. F. Hermann,
Docent an dem anatomischen Institut Erlangen.
Hierzu Tafel III und IV.
Die Untersuchungen, deren Resultate in den folgenden Blättern
niedergelegt werden sollen, waren ursprünglich eigentlich nicht zu
dem Zwecke angestellt worden, den Gegenstand einer Publikation
zu bilden. Sie sollten nur dazu dienen, mir aus eigener An-
schauung einen Einblick zu verschaffen in jene complizirten Vor-
gänge, die wir unter dem Ausdrucke Spermatogenese zusammen
fassen und die ja gerade in den letzten Jahren so mannigfache
Bearbeitung gefunden haben.
Ich glaubte, meiner ursprünglichen Aufgabe am besten ge-
recht werden zu können, wenn ich die Verhältnisse an den Ver-
tretern zweier Wirbelthierklassen, den Säugethieren einerseits,
andererseits den Amphibien studirte und wurde deshalb die Maus
und Salamandra maculosa als Untersuchungsmaterial gewählt. Bald
aber wurde meine Aufmerksamkeit auf eigenthümliche Verhältnisse
gelenkt, bald drängten sich mir Fragen auf, deren Beantwortung
ich in der mir zugänglichen Litteratur vergeblich suchte, Fragen,
deren Lösung, soweit sie mir gelang, den Inhalt der folgenden
Zeilen bilden soll.
Untersuch ungsmethode.
Bevor ich mich meiner eigentlichen Aufgabe zuwende, möge
es gestattet sein, der Untersuchungsmethode Erwähnung zu thun,
die dabei zur Anwendung gelangte.
Im Allgemeinen habe ich mich zur Härtung der Flemming-
schen Chromosmiumessigsäure bedient; zuletzt bekam ich aber
durch eine leichte Modifikation dieser Mischung, indem ich die
Beiträge zur Histologie des Hodens, 59
Chromsäure durch 1%, Platinehloridlösung ersetzte, ausgezeichnete
Resultate. Es hat diese Härtungsflüssigkeit!) vor der ursprünglichen
Flemming’schen Misehung den Vortheil, dass sie die Protoplasma-
strukturen, dieselben leicht bräunend, weit besser zur Anschauung
bringt. Schnitte aus dieser Lösung lassen, auch in ungefärbtem
Zustande, mit starken Linsen untersucht, auch die feinsten Details
in Bezug auf Struktur des Kernes und des Zellleibes und nament-
lich auch die Zellgrenzen ersichtlich werden.
Für die Härtung der Säugethierhoden mag dabei noch fol-
gendes erwähnt werden: bekanntlich dringt die Osmiumsäure sowie
ihre Gemische nieht rasch in die Tiefe und gilt es deshalb als
Regel, nur kleine Gewebspartikel in die Fixirungsflüssigkeiten ein-
zulegen. Dies bringt nun speziell für das Studium des Säugethier-
hodens verschiedene schwer ins Gewicht fallende Nachtheile mit
sich. Im Gewebe des Hodens besteht bekanntlich ein ziemlich
bedeutender Druck, so dass beim Einschneiden in die Albuginea
die Samenkanälchen sich allenthalben über die Schnittfläche vor-
drängen; dadurch aber wird selbst in Partieen, die der Schnitt-
fläche weit entfernt liegen, das Gewebe so stark gezerrt, der Ver-
band der einzelnen Zellelemente unter einander so sehr gelockert,
dass die Präparate absolut kein treues Bild der natürlichen Ver-
hältnisse geben.
Es mag deshalb der Wink gegeben werden, den Hoden in
toto der Härtung zu unterwerfen; der Hoden der Maus ist so
klein, dass er von der Fixirungsflüssigkeit leicht ganz durchdrungen
wird, bei grösseren Thieren wird freilich nur eine ungefähr 3 bis
4 mm dicke Rindenschichte brauchbar sein, diese befindet sich
dann aber auch in einem Zustande, der die Beobachtung sowohl
der feinsten Details, als auch des topographischen Zusammenhanges
der einzelnen Zellelemente untereinander möglich macht.
Die durch die erwähnten Härtungsmittel fixirten, in Alkohol
von allmählich steigender Concentration nachgehärteten Hoden
wurden nach Paraffineinbettung in feine Serienschnitte zerlegt
und diese, mit Eiweiss auf dem Objektträger festgeklebt, einer
combinirten Färbung mittelst Saffranin und Gentianaviolett unter-
worfen. Selbst auf die Gefahr hin, Manchem damit nichts Neues
1) Platinchlorid 10/,, 15 Maasstheile, Osmiumsäure 2°/,, für Säugethier-
gewebe 4, für Salamandergewebe 2 Maasstheile, Eisessig 1 Maasstheil.
-.
60 j Dr. F. Hermann:
zu sagen, möchte ich doch diese Tinetionsmethode etwas ausführ-
licher beschreiben, da ich überzeugt bin, dass sich dieselbe bei
ällgemeinerer Anwendung viele Freunde erwerben wird. Die in
Anilinwasser (Farbstoff 1,0, Alkohol abs. 10,0, Anilinwasser 90,0)
gelösten Farbstoffe kommen getrennt zur Wirkung. Die Schnitte
kommen zuerst auf 24—48 Stunden in die Saffraninlösung und
werden dann ‘ganz nach der bekannten Anweisung: von Flem-
ming mit Wasser, saurem Alkohol und Alkohol abs. weiter-
behandelt, der Farbstoff jedoch nicht soweit ausgezogen, dass die
Präparate ohne weiteres brauchbar sind. Aus dem Alkohol abs.
kommen die Schnitte direkt auf 3—5 Minuten in die Gentiana-
violettlösung und werden genau wie bei der Gram’schen Methode,
in Alkohol flüchtig abgespült, der Einwirkung einer Jod-Jodkali-
lösung (Jod 1,0, Jodkali 2,0, Agq. dest. 300) ausgesetzt. In dieser
Lösung verbleiben die Präparate I—3 Stunden, bis sie vollständig
schwarz geworden sind; durch diese längere Einwirkung erreicht
man, dass die nachträgliche Differenzirung mit Alkohol abs. be-
deutend verlangsamt wird und dadurch die gewünschte Nuance
leichter zu treffen ist. Die Dauer der Differenzirung lässt sich
natürlich nur durch einige Uebung feststellen; im Allgemeinen
mag bemerkt werden, dass die fertigen Präparate einen violetten
Ton, der einen leichten Stich in’s Bräunliche zeigt, besitzen sollen.
Aus dem Alkohol gelangen die Schnitte in Xylol, welches jede
weitere Entziehung des Farbstoffes hintanhält, und werden endlich
in Xylol-Canadabalsam eingebettet.
Ein in dieser Weise hergestelltes Präparat zeigt nun folgen-
des instruktive Bild: in. den ruhenden Kernen haben nur die wahren
Nucleolen das Saffranin fest gehalten und sind grell roth gefärbt,
während das Chromatinnetz in seinen feinsten Fäserchen, sowie
die derberen Netzknoten blauviolett tingirt sind. In den sich
theilenden Kernen sind die Phasen vom Monaster bis’zum Dyaster.
roth, Monospirem und Dispirem dagegen blau gefärbt. Ausserdem
wird das Saffranin noch ausschliesslich in den degenerirenden
Kernen und von den Granula der Mastzellen fest gehalten.
Zu gleicher Zeit sind durch das längere Verweilen der Schnitte.
in der Jodlösung die Protoplasmastrukturen des Zellleibes sowie
das Faserwerk der achromatischen Spindel leicht gelbbraun ge-
färbt und dadurch deutlich sichtbar geworden.
Beiträge zur Histologie des Hodens. 61
I. Die Entwicklung des Mittelstückes und des Flossensaumes
der Spermatozoen von Salamandra.
Untersucht man feine Schnitte dureh die Hoden von Sala-
mandern, die im September oder October getödtet wurden, nach
Anwendung der oben beschriebenen Fixirungs- und Tinetions-
methode, so sind es vor allem die Bündel der reifen Spermatosomen,
die unsere Aufmerksamkeit dadurch fesseln, dass sie ungemein
reizende und instructive Bilder geben (Fig. 1). Der lange, spiess-
förmige Kopf erstrahlt zu seinem grössten Theile in einem leuch-
tenden, etwas ins Rostbraune spielenden Roth, nur seine Spitze und
der an derselben befindliche Widerhacken hat sich blauviolett
tingirt; dieselbe Farbe hat auch das cylindrische Mittelstück an-
genommen, während Schwanzfaden und der denselben umwindende
Spiralsaum braunviolett gefärbt sind und dadurch deutlich und
scharf zur Anschauung gelangen. — Ueber den Process, wie die
Spermatiden sich umbilden zu den Spermatozoen, über die feineren
histologischen Vorgänge, durch welche der runde Spermatidenkern
allmählich in das lange, spiessförmige Kopfstück des Spermatosoms
übergefihrt wird, haben uns die schönen Untersuchungen Flem-
ming’s (l), man kann wohl sagen bis ins kleinste orientirt und
kann ich denselben mit Ausnahme einiger weniger, untergeordneter
Punkte nichts Neues hinzufügen, muss mich vielmehr darauf be-
schränken, dieselben voll und ganz zu bestätigen. Nur in Bezug
auf die Genese des Mittelstückes, sowie des Schwanzfadens kam ich
zu wesentlich anderen Ergebnissen wie Flemming, zu Befunden,
die so viel des Wunderbaren boten, dass ich meinen Augen kaum traute,
als dieselben zum ersten Male mir entgegentraten. Mag es nun immer-
hin ein Wagniss sein, einem gerade in der Kernhistologie so überaus
erfahrenen Meister wie Flemming widersprechend entgegenzutreten,
so glaube ich dazu trotzdem berechtigt zu sein auf Grund meiner
Präparate, die mir so eindeutig zu sein scheinen, dass, wenigstens
bis zu einem gewissen Grade, die Richtigkeit der darzustellenden
Verhältnisse keinem Zweifel unterliegen möchte.
Darf ich vorher erst in Kürze das vorausschicken, was Flem-
ming über die Genese des Mittelstückes und des Schwanzfadens
der Salamanderspermatosomen festgestellt hat. Die Anlage des
Mittelstückes zeigt sich nach Flemming schon an Kernen, die
62 Dr. F. Hermann:
eben erst Birnform angenommen haben, als ein am stumpfen Pole der
Kernmembran dicht anliegendes abgeplattetes Körperchen, welches
deutlich ehromatisch ist. Dasselbe zerfällt, sich vergrössernd,
in späteren Stadien „in zwei Abschnitte, einen kleineren vorderen,
der eine dünne Scheibe darstellt, und einen grösseren hinteren,
der die Form einer Schüssel oder Dose zu haben scheint, mit der
offenen Concavität nach vorne gerichtet.“ Die Mittelstückanlage
ist in diesen Stadien noch chromatisch und lässt sich der Anfangs-
theil des Schwanzes „durch die Mitte des Schüsselchens hindurch
verfolgen.“ „An fast reifen Fäden hat das Mittelstück noch eine
planeonvexe Form: es ist jetzt nicht mehr, oder nur sehr schwach
tingirbar.“
Ueber das Verhalten des Mittelstückes zur Kernmembran liess
sich Sicheres nicht feststellen, doch ‚‚macht es den Eindruck, als ob
das Mittelstück der Innenfläche der Membran fest ansässe“. Aus
diesen Befunden schliesst Flemming, dass das Mittelstück
sowohl, als auch der Hauptfaden des Schwanzes vom
Kern aus gebildet wird, auch für den Spiralfaden erscheint
dies als möglich.
Diesen Ausführungen Flemmings kann ich nun nach meinen
Untersuchungen durchaus nicht beipflichten; für's erste vermochten
dieselben zu zeigen, dass die Anlage des Mittelstückes schon in
Spermatiden zu finden ist, deren Kern noch vollständig kugelrund
ist, der sich also noch nicht angeschickt hat, seine Metamorphose
in den Spermatozoenkopf einzugehen. Solche Spermatidenkerne
(Fig. 2. 3) sind von einem sehr dichten Chromatinnetz durchsetzt,
welches sehr deutlich seine Zusammensetzung aus rundlichen Mikro-
somen und feinen, dieselben zu Strängen verbindenden Fädchen
erkennen lässt und in sich 3—4 verhältnissmässig kleine Nucleolen
birgt. Der Zellleib der Spermatiden dieses Stadiums enthält nun,
umgeben von einem lichten Hof, einen eigenthümlichen Körper,
für den ich, um einen nichts präjudieirenden Namen zu haben,
den Ausdruck „Nebenkörper‘ wähle und von dem sich in fol-
gendem nachweisen lassen wird, dass er als die Anlage des
Mittelstückes des Spermatosoms zu betrachten ist. Dasselbe,
und darauf möchte ich gleich zu Anfang nachdrücklichst hinge-
wiesen haben, entsteht also extranuceleär. Sehen wir nunzu, wie
der Nebenkörper zusammengesetzt ist. Wir müssen an demselben
zuerst einen farblosen Bestandtheil unterscheiden, der sich in
Beiträge zur Histologie des Hodens. 63
Form eines, dureh die Osmiumsäure leicht gelbbraun gefärbten, ovalen
Gebildes darstellt. An der Peripherie desselben erblickt man nun
ein chromatisches Element doppelter Natur; dasselbe besteht
nämlich erstens aus einem runden, dureh Saffranin leuchtend roth
gefärbten Körperchen und zweitens aus einem dunkelviolett tin-
girten Ringe. Dieser Ring, von dem rothen Körperchen stets durch
einen schmalen Zwischenraum geschieden, ist leicht der Fläche
nach gebogen, gewissermaassen schüsselförmig gestaltet und reprä-
sentirt sich beim ersten Anblick mehr als bisquitförmiges Gebilde;
durch Anwendung der Mikrometerschraube lässt sich aber seine
Ringgestalt sicher constatiren und feststellen, dass die beiden
lateralen Verdiekungen nur als der optische Ausdruck des Quer-
schnittes der Ringspange aufzufassen sind, und endlich wird jeder
Zweifel an der ringförmigen Gestalt des violetten Gebildes dann
beseitigt, wenn, wie dies häufig der Fall ist, das Gebilde mit seiner
Fläche zur Beobachtung gelangt. Der chromatische Bestandtheil
besitzt zum farblosen Theile des Nebenkörpers nicht immer ein
und dieselbe Stellung, woraus vielleicht der Schluss gezogen
werden dürfte, dass derselbe um das farblose Körperchen kreisende
Bewegungen ausführt, auch ist die Stellung des ganzen Neben-
körpers zum Spermatidenkern in diesem Stadium keineswegs eine
constante. Bald jedoch (Fig. 4) ändert sich das, der Nebenkörper
nähert sich dem Kern und stellt sich mit dem rothgefärbten Kör-
perchen senkrecht auf die Kernoberfläche ein, indem er die Form
eines Kegels annimmt, dessen Basis in dem ovalen farblosen Be-
standtheil des Nebenkörpers, dessen Spitze in dem rothen Knöpf-
chen gegeben ist; zugleich lässt sich nun wahrnehmen, wie ein
Bündel convergirender feinster Fäserchen, den violetten Ring
durchsetzend, von dem ersteren zu dem rothen Körperchen aus-
gespannt ist. Mittlerweile hat auch an dem Kern der Spermatide
eine leichte Veränderung stattgefunden, derselbe ist etwas gewachsen,
das denselben durchsetzende Chromatinnetz ist dichter geworden
und zeigt sich nunmehr rein aus strangförmig aneinander gereih-
ten Mikrosomen gebildet, dazwischen 3—4 kleine Nucleolen. In
der Fig. 4 habe ich versucht, das Aussehen eines Spermatiden-
kernes in diesem Stadium wiederzugeben, muss aber gestehen, dass
mir dies trotz vieler Bemühungen nicht zu voller Zufriedenheit
gelungen ist, es entspricht die Grösse der Mikrosomen wohl der
Wirklichkeit, allein es kommt vielleiebt das feine Maschenwerk,
64 Dr. F. Hermann:
das durch dieselben gebildet wird, weniger zur Geltung, als es
eigentlich sollte. Mit der Einstellung des Nebenkörpers auf der
Kernoberfläche sind wir nun schon in diesem Stadium orientirt,
welche Seite des Kernes bei der Umbildung in das Spermatosom
die distale, welche die proximale des Spermatozoenkopfes werden
wird. Wir sehen nämlich, wie sich das rothe Knöpfehen des
Nebenkörpers an dem stumpfen Pol des nunmehr birnförmig
verlängerten Spermatidenkernes in das Innere desselben
hereinbegibt (Fig. 5), während Ring und farblose Kugel
im Zellleib verbleiben. Ich konnte dieses Eindringen an meinen
Präparaten vollkommen sicher beobachten, indem man deutlich die
Kernmembran zwischen Knöpfehen und Ring hindurch-
gehen sieht. In dem eingedrungenen rothen Knöpfchen des
Nebenkörpers haben wir nun die definitive Anlage des Mit-
telstückes des Spermatozoenkopfes vor uns und haben
jedenfalls solche Bilder Flemming bei seiner oben citirten Be-
schreibung vorgelegen, die ich insoferne noch ergänzen kann, als
sich nunmehr die intranucleäre Lage dieser Mittelstückanlage,
die Flemming blos vermuthete, sicher feststellen liess.
Wir wollen nun vorderhand die Schicksale, welchen der Ring,
sowie der farblose Theil des Nebenkörpers entgegengehen, voll-
ständig bei Seite lassen und uns nur mit den Vorgängen beschäf-
tigen, welche das Knöpfehen von seinem Eindringen in den Sper-
matidenkern bis zu seiner Umbildung in das Mittelstück durch-
macht. Bald nach dem Eindringen desselben lässt sich be-
obachten, dass, wie das ja Flemming nachgewiesen hat, sich
die achromatische Kernmembran und zwar zuerst am stumpfen Pol
des sich immer mehr verlängernden Kerns von dem chromatischen
Bestandtheil desselben los macht (Fig. 6) und lässt sich dadurch
die intranucleäre Lage der Mittelstückanlage nur um so sicherer
nachweisen. Rasch wächst nun die letztere heran (Fig. 7. 8) und
stellt bald ein ovales Körperechen dar, das ungefähr das 6fache
Volumen des ursprünglich eingedrungenen Knöpfchens erreicht
hat, während zu gleicher Zeit das chromatische Filzwerk des
Spermatozoenkopfes den höchsten Grad seines Verdichtungsproces-
ses erreicht und nun einen missfarbenen, zwischen Violett und
Roth stehenden Farbenton zeigt. Gehen wir einen Schritt weiter,
so sehen wir den Spermatozoenkopf vollkommen homogen gewor-
den und im leuchtenden Roth des Saffranins erstrahlen, wogegen
Beiträge zur Histologie des Hodens. 65
das Mittelstück, das nun zu einem cylinderförmigen Gebilde
herangewachsen ist, entschieden an Tinctionsvermögen verloren
hat, so dass es sich durch seine zartrosa Färbung deutlich von
dem hochroth gefärbten Kopftheil des Spermatozoons abhebt (Fig.
9, 10, 11). Zur Zeit der Reife des Samenfadens erleidet nun das
Mittelstück nochmals eine Veränderung, es wird von Saffranin
überhaupt nicht mehr gefärbt, dagegen nimmt es nun die Farbe
des Gentianavioletts an (Fig. 1, 22), so dass wir also an ziemlich
ausgereiften Spermatozoen, wie oben bereits bemerkt, einen rothen
Kopf und ein violett gefärbtes Mittelstück haben, welches in seiner
Länge ungefähr dreimal die Breite des Samenfadens an seiner
Basis übertrifft. Reden nun die zuletzt erwähnten Farbendifferenzen
einer Veränderung in der chemischen Constitution während der
Metamorphose der Spermatide in das reife Spermatozoon das
Wort, so wird dies noch deutlicher, wenn man nur mit einem
Farbstoffe allein, z. B. Gentianaviolett tingirt; wir bekommen da
ein Stadium, in dem der Spermatozoenkopf gefärbt, das Mittelstück
aber ungefärbt ist, ein anderes, in dem beide Theile sich in-
different gegen den-genannten Farbstoff erweisen und endlich bei
dem fast reifen Samenfaden sehen wir, dass wohl das Mittelstück,
der Kopftheil dagegen nicht tingirt ist. Was das freilich für
chemische Veränderungen sind, darüber lässt sich natürlich vorder-
hand nichts sagen, dass sie aber stattfinden, scheint mir doch
nach den angegebenen Befunden unleugbar zu sein.
Wieder zurückkehrend zu dem Ring und dem farblosen An-
theil des Nebenkörpers, drängt sich uns die Frage auf: was wird
aus diesen beiden Elementen? Wir verliessen dieselben in dem
Moment, als das rothe Knöpfchen in das Innere des Spermatiden-
kernes eindrang und sahen, dass der Ring und die farblose Kugel
im Zellprotoplasma verblieben, wobei erwähnt wurde, dass von
letzterer durch den Ring hindurch ein Bündel feiner Fäserchen
sich bis zu dem rothen Knöpfehen verfolgen lässt. Schon in dem
Stadium nun, wo sich die Ablösung der Kernmembran von dem
chromatischen Antheil des Kernes einleitet (Fig. 6), entfernt sich
die farblose Kugel mehr und mehr von dem violetten Ring und
dürfte wohl mit dem sich ja bei der Spermatosomenbildung mehr
und mehr zurückbildenden Protoplasma der Spermatide zu Grunde
gehen, wenigstens vermochte ich in keinem der späteren Stadien
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 5
66 Dr. F. Hermann:
etwas von ihrer Existenz mehr nachzuweisen; der Ring aber bleibt,
der Kernmembran aussen sich anschmiegend, lange erhalten.
Solche Bilder mag Flemming vor Augen gehabt haben, wenn
er sagt, dass die Mittelstückanlage bald eine Theilung in 2 Ab-
schnitte erleidet, einen vorderen und einen hinteren, „der die
Form einer Schüssel oder Dose zu haben scheint, mit der offenen
Coneavität nach vorne gerichtet.“ Es mag gleich hier bemerkt
werden, dass erstens der „sog. hintere Abschnitt der Anlage des
Mittelstücks“, mit diesem, wie wir gleich sehen werden, nichts zu
schaffen hat, und dass zweitens das schüsselförmige oder dosen-
förmige Element sich bei näherer Untersuchung, wie ich oben ge-
nugsam bewiesen zu haben glaube, als ringförmiges Gebilde ent-
puppt hat. In diesem Stadium sehen wir nun eine neue Bildung
zur Erscheinung kommen, denSchwanzfaden des Spermatosoms,
der rasch hervorwächst und zwar hierbei das Centrum des
Ringes durchsetzt, wie sich diess klar und deutlich namentlich
an Flächenbildern des letzteren wahrnehmen lässt. Und damit
wären wir wieder an der alten, immer noch nicht genügend ge-
lösten Frage über die Natur des Spermatozoenschwanzfadens an-
gelangt: als was ist derselbe zu betrachten, als eine protoplasma-
tische, oder aber als eine nucleäre Bildung? Für die Säugethier-
spermatozoen scheinen sich die neueren Untersucher mehr oder
minder der letzteren Möglichkeit. zuneigen zu wollen und auch
für die Spermatozoen des Salamanders hält es Flemming für
möglich, dass wenigstens „der Hauptfaden des Schwanzes vom
Kern aus gebildet wird.“ Ueber diese vom theoretischen Stand-
punkt so überaus interessante Frage haben mir auch meine eigenen
Untersuchungen keine lösende Antwort zu ertheilen vermocht. An
und für sich wäre ich wohl geneigt, die erste Anlage des Schwanz-
fadens in jenem Fadenbindel zu suchen, das wir von der farblosen
Kugel des Nebenkörpers zu der Mittelstückanlage ziehen sahen,
allein ich bin mir wohl bewusst, dass das nur eine blosse Ver-
muthung ist, für die ich mich vergebens nach einem stringenten
Beweis umsehe. Es liesse sich ja recht wohl noch eine andere
Möglichkeit denken; man könnte annehmen, dass der Schwanz-
faden, wie das Flemming will, vom Kerne auswächst, d. h. von
dersieh abhebenden achromatischen Kernmembran, die wir
ja zwischen Mittelstücksanlage und Ring hindurchgehen sahen.
Eine andere Möglichkeit, dass der Schwanzfaden dem Inneren
Beiträge zur Histologie des Hodens. 67
des Kernes entstammt, dürfte auf recht bedenkliche Schwierig-
keiten stossen, es müsste ja von dem sich bildenden Element das
Mittelstück durchwachsen werden, eine Annahme, die doch als
eine etwas gezwungene erscheinen möchte. Ist endlich der Schwanz-
faden als ein Auswuchs des Mittelstücks selbst zu betrachten,
so wäre damit ja der Beweis geliefert, dass jener eben nicht
nucleärer Natur ist, denn wir sahen ja, dass die Mittelstückanlage
ursprünglich eine extranucleäre Bildung ist.
So haben wir denn wieder keine sichere Lösung über die
Frage nach der Natur des Schwanzfadens erhalten; über die Be-
stimmung aber, welcher der Ring des Nebenkörpers entgegengeht,
darüber vermag ich bestimmtere Auskunft zu ertheilen. Derselbe
erhält sich in seiner Form und Lage sehr lange (Fig. 5—9), bis
fast zur definitiven Reifung der Spermatozoen. In dieser späten
Epoche aber wechselt er erstens seine Lage, indem die frühere,
wie wir gesehen haben, senkrechte Stellung zum Schwanzfaden
sich allmählich zu einer mehr schiefen verwandelt (Fig. 10). Dabei
zieht er sich mehr und mehr in die Länge aus und wird, wohl
durch schon in diesem Stadium auftretende Wimperbewegungen
des Schwanzfadens, spiralig um letzteren herumgewunden, so
zwar, dass die eine Seite des ausgezogenen :-Ringes sich dem
Schwanzfaden innig anschmiegt, während die andere denselben als
ein spiraliger Faden umkreist (Fig. 11, 12). Wir sehen also, der
Ring des Nebenkörpers ist aufgegangen in jene Bil-
dung, welche an dem reifen Samenfaden des Sala-
manders als Spiralfaden oder Spiralraum längst be-
kannt geworden ist.
Woher stammt nun der Nebenkörper, welcher in der be-
schriebenen Form im Protoplasma der Spermatiden enthalten ist?
Es ist selbstverständlich, dass ich mir diese Frage vorlegte, allein
zu meinem Bedauern war die Antwort darauf keineswegs eine so
genügende, wie ich es eigentlich gewünscht hätte. Der Grund
hierfür mag darin gesucht werden, dass mir zur gegenwärtigen
Jahreszeit passendes Material leider nicht zu Gebote steht. Wenn
ich trotzdem hier die Ergebnisse meiner diessbezüglichen Be-
mühungen mittheile, so geschieht es nur desshalb, weil dieselben
mir in allgemein histologischer Beziehung des Interessanten soviel
zu bieten schienen, dass es vielleicht wünschenswerth erscheinen
möchte, wenn andere Untersucher, die so glücklich sind, momentan
68 Dr. F. Hermann:
über genügendes Untersuchungsmaterial zu verfügen, dem Gegen-
stand ihre Aufmerksamkeit schenken wollten.
Den ersten Vorläufer des Nebenkörpers bin ich nun geneigt
in einem farblosen Körper zu erblicken, der, von einem hellen
Hof umgeben, im Protoplasma jener grossen Zellen gelegen ist,
welcheFlemming als die erste Generation der Spermatocyten be-
trachtet (Fig. 13). Von den beiden chromatischen Elementen des
Nebenkörpers ist in diesem Stadium noch nichts zu erblicken.
Das Merkwürdige ist nun, dass der erwähnte farblose Körper, der
entweder kugelig oder leicht oval ist, während des ganzen
Theilungsprocesses dieser grossen Spermatocyten im Proto-
plasma erhalten bleibt, ja dass er zu dem Vorgang der
Kerntheilung selbst, wie wir gleich sehen werden, in die
innigste Beziehung tritt.
In den Prophasen der Kerntheilung, die ja bei diesen grossen
Spermatoceyten nach den schönen Untersuchungen Flemmings (2),
nach dem sog. heterotypischen Modus erfolgt, bleibt der farblose
Körper ruhig neben dem sich zur Theilung anschiekenden Kerne
liegen (Fig. 14, 15, 16), in dem Stadium der Metakinese, in dem
es zu der eigenthümlichen tonnenförmigen Anordnung der chroma-
tischen Kernfigur kommt, hat der farblose Körper seine Stelle in
der Gegend des einen Poles der karyokinetischen Figur und nun
kommt es zu einer Theilung desselben in 2 von einem ge-
meinschaftliehen, hantelförmigen, hellen Hof umge-
bene Stücke (Fig. 17). Das eine derselben bleibt an dem einen
Pole der Zelle stehen, das andre wandert allmählich an die
gegenüberliegende Seite (Fig. 18), und nun stellen sich die beiden
Körperchen an den Spitzen der achromatischen Spindel-
figur ein (Fig. 19). Nachdem diess erfolgt ist, beginnen die Chro-
matinschleifen der beiden Tochterkerne 'auseinanderzuweichen,
wie sich diess deutlich in den Anaphasen der karyokinetischen Figur
bemerken lässt (Fig. 20, 21, 22). Folgt endlich der Kerntheilung
die Zelltheilung, so sieht man jede der beiden Tochterzellen ein
farbloses Körperchen enthalten, welches in der Nähe des Rabl-
schen Polfeldes des Tochterkernes seine Lage hat (Fig. 28).
Das farblose Körperchen erinnert nun in der Rolle, die wir
es bei der heterotypischen Theilung der grossen Spermatocyten
spielen sehen, zu sehr an jene Elemente, die von van Beneden ()
und von Boveri(4) im Ascarisei unter dem Namen Polkörper-
Es
Beiträge zur Histologie des Hodens. 69
chen, Centrosoma beschrieben wurden, um nicht die Vermuthung
aufkommen zu lassen, dass wir es in unserem Falle mit ähnlichen
Bildungen zu thun haben. Freilich wird diess so lange blosse Ver-
muthung bleiben müssen, ehe nicht der beweisende Nachweis ge-
liefert wird, dass auch den im Salamanderhoden an den Polen
der sich theilenden Spermatocyten befindlichen Körperchen jene
Bildungen zukommen, die die genannten beiden Autoren als
„sphere attractive, Archoplasmakugeln“ beobachtet haben.
Und dieser Nachweis ist mir an meinen Präparaten nicht ge-
lungen, dazu hätte es ja wohl anderer, die Strukturen des Proto-
plasmas besser conservirender Fixationsmittel bedurft, als es das
Flemming’sche Chromosmiumessigsäuregemisch ist, welches, wie
sein Erfinder selbst angiebt, durchaus kein „histologisches Universal-
mittel“ darstellt. Der schon oben erwähnte momentane Mangel
frischen Materiales liess leider diese Forderung als unausführbar
erscheinen.
11. Die Kerne der v. Ebner’schen Spermatoblasten bei der Maus.
Von allen Zellelementen, welche die Wand des Hodenkanäl-
chens beim Säugethier zusammensetzen, dürfte wohl keines sowohl
in morphologischer, als auch funktioneller Beziehung eine mehr
umstrittene Stellung einnehmen, als jene eigenthümlichen Gebilde,
für die seiner Zeit von Ebner(5) den Namen Spermatoblasten
vorgeschlagen hat. Die Ansichten der Autoren über diese Gebilde
lassen sich wohl in drei Gruppen theilen. Fürs erste werden
dieselben von einzelnen Autoren (Biondi (6), von Widersperg (7))
überhaupt nicht anerkannt; für sie setzt sich die Kanälchenwand
nur aus einer Art epithelialer Elemente zusammen, die auf hier
nieht näher zu besprechende Weise Umwandlungen erleiden, durch
welche sie in Spermatozoen übergehen. Die Mehrzahl von For-
schern aber hält daran fest, dass bei dem Aufbau des Hoden-
kanälchens zweierlei Typen von Zellen betheiligt sind; während
aber nun die einen — zu ihnen gehört vor allen v. Ebner in
seinen ersten Arbeiten mit dem Begriff Spermatoblast — die
samenbildenden Elemente durch multiple Kerntheilung aus ver-
ästelten, an der Basis der Kanälchenwand gelegenen Zellen ent-
70 Dr. F. Hermann:
stehen lassen, denen sie den zweiten Typus von Elementen als
„indifferentes Hodenepithel“ gegenüberstellen, erblicken die
anderen gerade in letzterem jene Elemente, die sich allmählich zu
Samenzellen umbilden, und lassen dieselben theils durch wirkliche
Vereinigung, theils durch blosse Anlagerung mit den ästigen Ele-
menten in ‚Beziehung stehen. Bei dieser Divergenz der Ansichten
der Autoren dürfte sich wohl die Frage aufwerfen lassen, worin
denn der Grund liegt für diese sich widersprechenden Meinungen.
Ich glaube, die Ursache hierfür möchte darin gegeben sein, dass
man sich im Allgemeinen wenig darum bemüht hat, unter Zuhilfe-
nahme unserer modernen histologischen Hülfsmittel für die einzel-
nen Zellarten specifische typische Merkmale aufzusuchen. Und
doch erlaubt unsere moderne Technik für’s erste — und das gilt
nicht nur für das Hodengewebe — die einzelnen Zellen in ihren
Contouren scharf von einander abzutrennen und dann gewähren
unsere modernen Kerntinetionsmethoden uns doch einen relativ
ausgiebigen Einblick in die Structur des Zellkernes; was freilich
die feineren Anordnungen des Protoplasmas betrifft, da ist in
technischer Beziehung Forschungen noch weiter Spielraum ge-
boten. Prüft man nun nach dieser Richtung hin die Angaben und
Abbildungen, welche die Autoren speziell über die v. Ebner-
schen Spermatoblasten liefern, so wird man erkennen, dass da
noch Vieles recht ungenau ist. Die beste Beschreibung des Sper-
matoblastkernes (Fusszelle) findet sich noch bei Benda (8); derselbe
charakterisirt ihn folgendermaassen: „Der Kern zeigt eine wenig
tingible, also sehr zarte peripherische Chromatinschicht, einen
nicht färbbaren Inhalt, einen grossen Nucleolus, der durch einige
wenige Chromatinfäden mit der Chromatinmembran in Verbindung
steht. Seine Gestalt ist sehr variabel, die Oberfläche oft tief ge-
faltet; kurz, wir haben einen exquisit bläschenförmigen Kern
vor uns.“
Gehen wir nnn an die Betrachtung des Spermatoblastkernes,
wie ich ihn unter Anwendung der oben beschriebenen Tinctions-
methode darzustellen vermochte (Fig. 24), so zeigt sich, dass der-
selbe von einem relativ dichten, jedoch aus ungemein zarten Fäd-
chen gebildeten Chromatinnetz durchsetzt wird, welches sich
peripher zu einer zarten, mit einzelnen kleinen Verdiekungen ver-
sehenen chromatischen Kernmembran verdichtet; der Kern be-
kommt durch die Zartheit der Chromatinnetzbalken ein sehr helles
u
Beiträge zur Histologie des Hodens. 71
Aussehen und unterscheidet sich schon dadurch ziemlich deutlich
von den übrigen Hodenelementen. Das hauptsächlichste typische
Merkmal an dem Spermatoblastkern besteht aber in einem eigen-
thümlichen Strukturverhältniss des Kernkörperchens; dasselbe sehen
wir nämlich aus zweierlei Substanzen zusammengesetzt, einem
von Saffranin sehr intensiv gefärbten, und einem ungefärbt bleibenden
Bestandtheil. Letzterer tritt stets in Form einer einfachen Kugel
auf, die chromatische Substanz aber besteht entweder aus zwei
kleinen, leuchtend roth tingirten, an zwei gegenüberstehenden
Polen der farblosen Kugel liegenden Kügelchen, oder das chroma-
tische Element stellt eine einzige, in diesem Falle grössere Kugel
dar, die dem ungefärbten Bestandtheile des Nucleolus sich innig
anschmiegt. Im ersteren Falle erscheint dann das ganze Kern-
körperchen als ein annähernd spindelförmiges Element, im anderen
als eine Doppelkugel, und ist in beiden Fällen die Längsaxe
des Nucleolus stets in dem grössten Durchmesser des Zellkernes
eingestellt.
Diesen eigenthümlichen Bau zeigen nun die Kerne der Sper-
matoblasten während aller Phasen der Secretion; mögen dieselben
mit sich zu Spermatozoen umformenden Samenzellen, oder unreifen
Spermatozoen selbst in Verbindung stehen, mögen sie als isolirte
Fusszellen zwischen den Spermatogonien an der Basalmembran an-
liegen, stets beherbergen sie den typisch gebauten Nucleolus. Und
hierin möchte ich vor allem einen neuen Beweis dafür suchen,
dass die von v. Ebner als Spermatoblasten bezeichneten Zell-
elemente bei dem Process der eigentlichen Spermatogenese, d. h.
der Bildung der morphotischen Bestandtheile des Samens, nur eine
secundäre Rolle spielen, die darin zu suchen ist, dass sie einer-
seits den reifenden jungen Samenelementen eine Stütze bieten,
andererseits, worauf namentlich die neueren Untersuchungen von
v. Ebner (5a) hinweisen, zu regen Stoffwechselvorgängen, die
sich innerhalb der Hodenkanälchenwand abspielen, in engerer
Beziehung stehen.
Ich würde zu einer Zeit, in der sich wohl die Mehrzahl der
Autoren für die angedeutete Funktion der v. Ebner’schen Sper-
matoblasten, zum mindesten für ihre Zellnatur überhaupt, erklärt
haben, für überflüssig gehalten haben, für die geschilderte Ansicht
nochmals einzutreten, wenn nicht gerade in letzter Zeit in einer
Arbeit von Niessing (9) gegen dieselbe wieder scharf zu Felde
12 Dr. F. Hermann:
gezogen würde. Niessing betrachtet die Benda’sche Fusszelle
als eine „Eiweissmasse mit der darin liegenden zerrissenen und
gefalteten Mutterzellenmembran‘“; speciell von den Kernen der
Fusszellen behauptet er, dass sie überhaupt kein Kerngerüste
zeigen und so „gefaltet und maltraitirt aussehen“, dass wohl nie-
mand darin einen Kern erkennen könne. Prüft man aber die
Angaben Niessings, und namentlich seine Zeichnungen, die, wie
ausdrücklich angegeben wird, „naturgetreue Copien“ darstellen
sollen, etwas näher, so kann man sich der Ueberzeugung wohl
nicht verschliessen, dass die angebliche „Maltraitirung‘‘ der Sper-
matoblastkerne nicht in physiologischen Vorgängen bei der Sper-
matogenese, sondern lediglich in der äusserst mangelhaften An-
wendung der Präparationsmethoden von Seite des Autors begrün-
det ist.
Wenn ich nun die in den Spermatoblastkernen beschriebene
characteristische Bildung einfach als Nucleolus bezeichnet habe,
so weiss ich wohl, dass ich mich damit auf ein bis jetzt wenig
betretenes Gebiet gewagt habe; hat man sich doch daran gewöhnt,
in dem Kernkörperchen ein Kernelement zu erblicken, dem eine
intimere Structur nicht zukommt. Und doch dürften sich als
Stützen meiner Auffassung in der Litteratur manche Angaben
finden lassen. So bemerkt Flemming (10) von dem Keimfleck
des Unioeies, dass es die Form einer Doppelkugel besitzt, deren
kleinerer Theil stärker liehtbreehend und stärker färbbar ist
als der grössere. Bei Tichogonia polymorpha sitzt der stärker
färbbare Bestandtheil dem weniger tingiblen in Form einer Kappe
auf. Eine ähnliche Beschaffenheit des Einucleolus wurde dann
auch vonHertwig (Il) bei verschiedenen Evertebraten beschrieben,
und in neuester Zeit giebt Platner (12) von dem Keimfleck des
Eies von Arion empiricorum Abbildungen, die sich fast mit dem
von mir beschriebenen Verhältnisse in den Spermatoblastkernen
decken. Platner sagt: „in dem stetig an Grösse zunehmenden
Keimfleck scheidet sich eine heller gefärbte und eine dunklere
Partie aus; die hellere ist in vollkommen ausgebildeten Eiern
völlig farblos (Hyaloplasma). Diesem hellen Keimfleck sitzt ein
gefärbtes Kernkörperchen auf“ (ef. a. a. O. Fig. 6—9). Im Hin-
blick auf diese bei Evertebraten gemachten Beobachtungen dürfte
es desshalb vielleicht von allgemeinerem Interesse sein, dass auch
bei den Vertebraten solche Differeneirungen des Nucleolus vor-
Beiträge zur Histologie des Hodens. 13
kommen und mag hier bemerkt werden, dass die Spermatoblast-
kerne hierfür nieht den einzigen Fundort abgeben, sondern dass
ich ähnliche Verhältnisse auch in Bindegewebs- und Muskelkernen
der Salamanderlarve sowie in den Kernen von peripheren Glosso-
pharyngeusganglienzellen des Kaninchens beobachten konnte. Auch
von den Angaben Ogata’s (13) und Lukjanow’s (14) über die
Kerne bei Salamandra maculosa könnte vielleicht einiges hierher
gerechnet werden.
Während ich nun mit den vorliegenden Untersuchungen be-
schäftigt war, erschien eine Arbeit von Sanfelice(15), in welcher er
in einer Zellform, die er als „eellule germinale‘‘ bezeichnet, die
nämlichen Elemente antraf, wie sie oben von den Spermatoblast-
kernen beschrieben wurden. Es ist hier nieht der Ort, des Näheren
nachzuweisen, dass durch die Arbeit von Sanfelice in die Lehre
von der Spermatogenese eine kolossale Verwirrung hereingetragen
wird, mich hat es nur gefreut, in derselben eine Bestätigung meines
Befundes zu erblieken und zwar nicht nur für die Maus, sondern
auch für eine ganze Reihe von Vertebraten (Maulwurf, Katze,
Hund, Kaninchen, Igel, Hahn, Eidechse, Frosch, Raja asterias).
Nur mit der Deutung, welche Sanfelice den beschriebenen Ge-
bilden giebt, vermag ich nicht übereinzustimmen. Die eigen-
thümliche Form, in der der Nucleolus auftritt, wird nämlich von
Sanfelice als eine neue Art der Karyokinese beschrieben; ganz
abgesehen davon, dass ein Beweis dafür, dass die Bildung in den
Kernen der sog. „cellules germinales‘“ wirklich als Theilungsmodus
zu betrachten ist, absolut fehlt, sieht sich der Verfasser, um seine
Ansicht überhaupt zu stützen, zu ganz abenteuerlichen Angaben
gezwungen, indem er das, was andere Autoren als Kern bezeich-
net haben, als den Zellleib, den Nucleolus als den Kern auffasst
(j’ai exprime l’idee de considerer le noyau, deerit par les auteurs,
comme cellule, et le granule comme noyau). Ich glaube, der
Nachweis des Chromatingerüstes, welches den eigenthümlichen
Nucleolus in seinem Inneren birgt, dürfte genügend sein, die
Deutung Sanfelice’s und seine für die Spermatogenese daraus
gezogenen Schlüsse endgiltig zu Fall zu bringen.
‘
74 Dr. F. Hermann:
111. Feinere histologische Beschaffenheit der Drüsenepithelien
im Mäusehoden.
Ausgehend von der Ansicht, dass eine genauere Betrachtung
der die Hodencanälchenwand zusammensetzenden Elemente zu-
gleich uns einen klaren Einblick in den Process der Spermatogenese
eröffnen dürfte, habe ich die Zellelemente des Hodens einer schär-
feren histologischen Analyse unterzogen, als sie, wenigstens nach
den vorhandenen Abbildungen zu schliessen, bis jetzt üblich ge-
wesen zu sein scheint. Im Verlaufe derselben bin ich zu Resul-
taten gelangt, die vom allgemein histologischen Standpunkte aus
einiges Interesse bieten dürften und welche in den folgenden
Zeilen mitgetheilt werden sollen.
Die Zellen, an welche der Ersatz der bei der Bildung des
Samens verbrauchten Elemente in letzter Instanz geknüpft ist,
liegen in einer einfachen Schicht zunächst der Tunica propria
des Hodeneanälehens an und führen in der Litteratur verschiedene
Namen. [Stammzellen (Biondi, Benda(8), Fürst (16). Cellules
germinatives (Sertoli (17,) Renson (18) ete.]. Es soll für dieselben
hier die von v. La Valette St. George (19) eingeführte, auch von
Waldeyer (20) in seinem lichtvollen Referate acceptirte Bezeichnung
„Spermatogonie“ gewählt werden. — Es ist bekannt, dass in einer
gewissen Epoche der Spermatogenese diese Spermatogonien in allen
Stadien der karyokinetischen Theilung angetroffen werden und zwar
mag dabei gleich darauf hingewiesen werden, dass diese Thei-
lungen stets parallel der Hodencanälchenwand erfolgen. Bei der
Betrachtung der feineren Strukturverhältnisse, welche wir an den
Spermatogonien bis zu ihrer Umwandlung in Elemente der nächst
höheren Zellschicht ablaufen sehen, wollen wir bei dem Aus-
sehen beginnen, welches diese Zellen zunächst nach ihrer Thei-
lung besitzen; Fig. 25 stellt zwei neugebildete Spermatogonien
dar. Die noch ziemlich kleinen Zellen besitzen in einem fein ge-
netzten Protoplasma einen ovalen Kern, dessen Längsaxe der
Tunica propria stets mehr oder minder parallel gelegen ist. Wir
sehen an demselben, dass in der färbbaren Substanz eine strenge
Trennung in Chromatin im engeren Sinne und Nucleolensübstanz
noch nicht stattgefunden hat, sondern dass sich das Chromatin noch
in Form derber, sich rothviolett färbender Balken, die durch feinere
Beiträge zur Histologie des Hodens. 75
netzartig angeordnete Fäserchen miteinander in Verbindung stehn,
vorfindet. Dieser Zustand dauert aber nicht lange; sehr rasch
wächst die Zelle, namentlich ihr Kern heran und stellt bald ein
ziemlich grosses, der Canälchenwand platt anliegendes Gebilde
dar; der entsprechend dieser Gestalt lange, ovale Kern zeigt nun
in einem feinen, nur aus sehr zarten Chromatinfäden bestehenden
Gerüstwerk mehrfache Nucleolen, von denen ab und zu je zwei zu
einem bisquitförmigen Element vereinigt sind (Fig. 26). Die Sper-
matogonie sucht sich nun immer mehr von der Canälchenwand
abzuheben, wodurch sie von der platten in eine mehr polygonale
Form übergeht; Hand in Hand damit hat im Inneren des sich
zu einer Kugel umformenden Kernes entschieden eine Vermehrung
des Chromatins stattgefunden, die Nucleolen befinden sich nun in
einem derben Chromatinnetz, dessen einzelne Bälkchen sich deut-
lich aus Mikrosomen zusammengesetzt zeigen (Fig. 27). Bald hat
sich die Zelle vollständig von der Wand abgehoben und ist damit
in die nächst höhere Schichte aufgerückt; ihr kugeliger, sehr
dunkel gefärbter Kern besteht nun aus einem engmaschiger, aus Mi-
krosomen gebildeten Netzwerk chromatischer Substanz, welches die
multiplen Nucleolen in seinem Inneren birgt (Fig. 28). Endlich
formt sich das Netzwerk zu einem ungemein dicht angeordneten
Knäuel um, in dem sich eben wegen dieser Dichtigkeit die
Nucleolen nur sehr schwer beobachten lassen. Auch im Zellleibe
hat eine kleine Veränderung stattgefunden, insofern als eine Schich-
tung des Protoplasmas eingetreten ist, so dass wir zunächst um
den Kern eine nur äusserst zartgranulirte Protoplasmaschichte
antreffen, die sich deutlich von der Peripherie des Zellleibes ab-
hebt. Wir sehen also, dass allmählich aus den wandständigen
Spermatogonien jene Elemente der zweiten Schichte geworden
sind, welche durch ihren dunkeln Kern an jedem tingirten Hoden-
präparate sogleich auffallen und für welcheH. Brown den Namen
„growing cells“ gewählt hat (Fig. 29).
Es stellen diese Zellen bekanntlich eine Zwischenstation in
der Entwickelung der Spermatogonien zu jenen grossen Knäuel-
zellen dar, welche in einer oder zwei Lagen vorhanden sind und
die wir nun als Spermatocyten bezeichnen ‚können. Bei dieser
Umwandlung wächst vor allem der Kern der „growing cells“ bis
zum dreifachen seines Volumens an und zwar mag dabei bemerkt
werden, dass dieses Wachsthum nicht sowohl auf einer Zunahme
76 Dr. F. Hermann:
der ehromatischen, als vielmehr der achromatischen Bestandtheile
des Kernes beruht. Die Folge davon ist, dass der Knäuelfaden
der Spermatocyten weit lockerer gewunden erscheint; die Chro-
matinfäden laufen dabei ausschliesslich an der Peripherie des
Kernes und auch das nun einfache Kernkörperchen ist stets hier
gelegen, so dass das Innere des Kernes chromatischer Elemente
vollständig entbehrt, wie dies ja auch v. Ebner in seiner letzten
Arbeit anführt. Leicht nachweisbar ist, dass die Fäden dieser
Spirembildung aus den Pfizner’schen Mikrosomen bestehen und
an gut tingirten Schnitten ist auch die Längstheilung an diesen
Chromatinfäden leicht zu beobachten (Fig. 30).
Nun tritt aber in dem Protoplasma dieser Spermatocyten
ein neues Element auf, das ist der Nebenkern. Ich habe mich
in der einschlägigen Litteratur vergeblich um eine Angabe über
die Existenz dieses Gebildes in den Spermatoeyten umgesehen,
nurRenson (18) erwähnt ihn sowohl bei der Ratte als auch beim
Kaninchen als ein leuchtendes, neben dem Kern liegendes Körper-
chen von unregelmässiger Gestalt, das sich in Pierocarmin nicht
färbt, und gibt speciell für das Kaninchen noch an, dass bei dem-
selben der Nebenkörper sehr gross und mit einem centralen Punkt ver-
sehen ist. Beim Stier soll dagegen der Nebenkern überhaupt fehlen.
Durch meine eigenen Beobachtungen an den Spermatocyten
der Maus liess sich nun feststellen, dass der Nebenkern, wenigstens
in den vollständig ausgebildeten Spermatocyten, durchaus kein
einfaches Element darstellt, sondern aus zwei Bestandtheilen sich
zusammensetzt, einem ovalen farblosen Körperehen und einem dem-
selben an irgend einer Stelle, meist an einem der Pole ansitzen-
den, durch Gentianaviolett tingiblen Knöpfehen. Ich muss aller-
dings eingestehen, dass ich das letztere in vielen Spermatoeyten
vermisste, ich glaube aber diesen Umstand auf Entwickelungsver-
hältnisse des Nebenkernes zurückführen zu müssen, da das färb-
bare Knöpfchen in solchen Spermatoeyten, die bereits die Längs-
theilung der Chromatinfäden erkennen liessen, die also in ihrer
Ausbildung entschieden am weitesten gediehen waren, nie fehlte.
Es darf als eine längst bekannte Thatsache gelten, dass bei
der Theilang der Spermatoeyten im Stadium des Spirems eine
lange Ruhepause eintritt, dass aber die übrigen Phasen der Kern-
theilung dann um so rascher ablaufen. Ich glaubte diesen Process
desshalb etwas näher verfolgen zu müssen, da ich mir die Frage
Beiträge zur Histologie des Hodens. 77
vorlegte, ob die Theilung der Spermatocyten nach dem Schema
der typischen Mitose erfolgt, oder ob etwa bei der Maus ähnliche
Verhältnisse obwalten, wie sie von Flemming (2) in seiner unge-
mein sorgfältigen und umfassenden Arbeit für die Spermatocyten
des Salamanders nachgewiesen wurden. Ich muss da freilich so-
gleich eingestehen, dass ich in der Vollständigkeit der Detailunter-
suchung die Flemming’sche Arbeit nicht im Entferntesten er-
reichen konnte, das kleinzellige Gewebe der Maus stellt einer voll-
kommen genauen Erforschung so subtiler Verhältnisse eben Hinder-
nisse entgegen, die ich trotz aller gegebenen Mühe nicht zu über-
winden vermochte. Immerhin dürften meine allerdings lückenhaften
Befunde genügen, auf die Frage, die ich mir vorlegte, eine Ant-
wort zu geben.
Wählt man zur näheren Untersuchung dieser Verhältnisse
Segmente der Hodencanälchen, in denen neben dem Spiremstadium
auch die weiteren Kerntheilungsstadien sichtbar sind, so wird
man bei längerem Suchen stets, wenn auch nicht gerade häufig,
auf eigenthümliche Kernbilder stossen, die ich auf Fig. 3la u. b
darzustellen versuchte, wobei bemerkt sein mag, dass in a die
Mitte des Kerns, in b dessen Pol eingestellt ist. Es zeichnen sich
diese Kernfiguren an gelungenen Tinctionspräparaten schon durch
ihre Farbe aus; während nämlich in den Spiremstadien die Chro-
matinfäden rein violett, in den späteren Stadien leuchtendroth ge-
färbt sind, haben die Fäden der uns interessirenden Kerne eine
braunviolette Färbung angenommen. Untersucht man nun im
Farbenbild des Ab be’ schen Beleuchtungsapparates diese Kernformen
etwas genauer, so fällt vor allem in die Augen, dass das Kern-
körperchen, das wir im reinen Spiremstadium so deutlich hervor-
treten sahen, vollständig verschwunden ist und ausserdem lässt
sich deutlich beobachten, dass die beiden freien Enden der ein-
zelnen Chromatinfäden sich genähert haben und mit einander ver-
schmolzen sind; mit anderen Worten, aus den gestreckt verlaufen-
den Fäden des Spirems haben sich chromatische Ringe gebildet,
die ausschliesslich in der Peripherie des Kernes gelagert sind.
Bei Anwendung mittlerer Blenden lässt sich in diesen eigenthüm-
lichen Kernen ferner nachweisen, dass die einzelnen Chromatin-
ringe mit einander durch deutliche, straff ausgespannie achro-
matische Fasern in Verbindung stehen, die sich ebenfalls nur
in der peripheren Zone des Kernes finden. Mit Flemming bin
78 Dr. F. Hermann:
ich geneigt in diesem achromatischen Faserwerk die erste An-
deutung der in den späteren Kerntheilungsphasen so scharf auf-
tretenden achromatischen Spindel zu betrachten. Auch in
dem Protoplasma dieser eigenthümlichen Zellen ist eine Wandlung
eingetreten, insoferne als der Nebenkern in ihnen spurlos
verschwunden ist.
Das Monasterstadium muss sehr kurzdauernd sein, denn ich
habe entsprechende Figuren trotz sorgfältigsten Suchens nirgends
auffinden können, ja es ist vielleicht möglich, dass dasselbe über-
haupt völlig fehlt und dass die Asterfigur durch die zuletzt be-
schriebenen Kernfiguren ersetzt wird. Ungemein häufig kommt
dagegen das Stadium der Metakinese (Aequatorialplatte) zur Beob-
achtung; es haben sich die Chromatinringe zu der inzwischen
ausserordentlich deutlich aufgetretenen Spindel orientirt, und es
besitzt die chromatische Figur die eigenthümliche Form einer
Tonne, deren Längsreifen eben von den Chromatinringen gebildet
werden (Fig. 32).
Mit dem Nachweis dieser eigenthümlichen Ringbildungen
dürften wir wohl berechtigt sein zu der Annahme, dass in ähn-
licher Weise, wie beim Salamander, auch bei der Maus die Thei-
lung der Spermatocytenkerne abweichend von dem Schema der
gewöhnlichen Karyomitose erfolgt, unter Bildung ähnlicher Formen,
wie sie von Flemming beim Salamander als charakteristisch
für den heterotypischen Typus festgestellt wurden.
Dabei muss nun eines sehr interessanten Verhältnisses ge-
dacht werden, das sich an der achromatischen Spindel beobachten
lässt. Dort nämlich, wo mit der Spindel die Polstrahlung, deren
einzelne Strahlen an ihrem Uebergange in das Protoplasmanetz
der Zelle mit winzig kleinen Knöpfehen versehen sind, in Zu-
sammenhang tritt, kommt es constant zur Entstehung eines von
einem kleinen lichten Hof umgebenen Gebildes, welches ich als
Polarkörperehen (Centrosoma) zu deuten geneigt bin. Das
Merkwürdige ist nun, dass dasselbe stets aus 2 hart nebeneinan-
der liegenden Pünktchen besteht, wie sich das zur Evidenz nament-
lich an einem Präparate nachweisen liess, an welchem ausschliess-
lich die eine Spindelspitze zur Ansicht gelangte, während die
dazugehörige chromatische Figur nicht mehr in den Schnitt ge-
kommen war. Man sieht bier deutlich an der Spitze der achro-
matischen Spindel zwei kleine, sich etwas dunkler als die Spindel-
Beiträge zur Histologie des Hodens. 79
fasern färbende Kügelchen liegen, ein ungemein zierliches Bild,
das ich in Fig. 33 wiederzugeben versuchte. Im weiteren Ver-
laufe der Kerntheilung erfolgt dann im Aequator der Tonnenfigur
eine Theilung der Chromatinringe in je zwei typische u-förmige -
Schleifen, die dann rasch auseinanderrücken, und auch bei den
Dyasterformen bleiben wenigstens bis zu einem gewissen Grade die
eigenthümlichen Polarkörperchen noch sichtbar (Fig. 34). Ob es nun
in derselben Weise, wie dies beim Salamander stattfindet, in den
Tochtersternen noch einmal zu einer Längstheilung der einzelnen
Schleifen kommt, habe ich leider bei der Subtilität der ganzen
Verhältnisse nicht beobachten können. Auch in Bezug auf die
Zahl der Elemente, die sich im Stadium der Metakinese finden,
bin ich leider zu keinen befriedigenden Resultaten gekommen; die
Zählung der Schleifen bei dem kleinzelligen Säugethiergewebe
bietet eben, wie jeder, der sich damit einmal beschäftigt hat, mir
wohl wird zugeben müssen, enorme Schwierigkeiten ; immerhin habe
ich an einer Reihe von Tonnenfiguren, die ich von oben betrach-
ten konnte, solche Zählungen versucht und bin dabei stets auf die
Zahl 16 gekommen.
Die Brut, welche durch die Theilungen aus den Spermato-
eyten entsteht, stellt die Samenzellen oder Spermatiden dar. Nur
weniges möge hier über dieselben erwähnt werden; es sind Zellen
von polygonaler Gestalt, welche in einem feingenetzten Protoplasma
einen rein kugelförmigen Kern besitzen (Fig. 35). An neugebil-
deten Spermatiden ist derselbe von einem sperrigen Chromatin-
gerüste durchsetzt, in dem für’s erste eigentliche Nucleolen nicht
nachzuweisen sind. Später aber sammelt sich das Chromatin in
einem, aus sehr feinen Fäserchen gebildeten Netzwerk an und es
erscheinen dann auch die eigentlichen Kernkörperchen, welche
Anfangs multipel vorhanden sind, sich dann aber zu einem meist
im Centrum des Kernes gelegenen bisquitförmig gestalteten Gebilde
vereinigen. Ausser dem Kerne beherbergt aber der Zellleib noch
ein anderes Element, das ist der Nebenkern, der, nachdem er
sich während der Theilung der Spermatocyten der Beobachtung
entzogen hat, wieder erscheint und gerade die Spermatiden
stellen ja jene Gebilde dar, in denen dieses Element zuerst von v.
La Valette St. George (2l) beobachtet wurde. Auch hier sehen
wir den Nebenkern wieder aus den zwei typischen Bestandtheilen sich
zusammensetzen, einem farblosen Element, das aber kleiner als in
80 Dr. F. Hermann:
den Spermatocyten und nicht mehr oval, sondern kugelig ist,
und einem Farbstoff ‘annehmenden Kügelchen. Eine bestimmte
Lage dieses Nebenkernes zum Kern lässt sich nicht fest-
.stellen, meistens liegt das Gebilde annähernd tangential zur Kern-
periphere. Noch ein anderes Gebilde findet sich in unmittel-
barer Nachbarschaft des Spermatidenkernes; es ist diess ein
halbmondförmiges Körperchen, das sich dem Kerne innig an-
schmiegt und durch Osmium leicht bräunlich gefärbt wird. Ueber
die Vorgänge nun, welche bei der Umwandlung der Spermatiden
in die Spermatozoen stattfinden, sowie über die Rolle, welche
bei diesem Process die beiden Protoplasmaeinschlüsse der Sper-
matiden, der Nebenkern einerseits, das halbmondförmige Körper-
chen andererseits, zu spielen bestimmt sind, soll in dem folgenden
Kapitel berichtet werden.
Anhangsweise seien hier aber noch Gebilde erwähnt, die sich
bis in die jüngste Zeit herein noch in der Litteratur über Sper-
matogenese erwähnt finden, die Spermatogemmen. Man ver-
steht darunter bekanntlich riesenzellenartige Bildungen, deren
Kerne sich gerade so wie die gewöhnlichen Spermatidenkerne in
Spermatosomen verwandeln sollen. Ob dieselben bei Evertebraten
vorkommen, vermag ich, da ich keine Erfahrung darüber besitze,
nieht zu entscheiden, für die Säugethiere aber muss ich ihre
Existenz auf das Entschiedenste läugnen und ich stütze die Aus-
sage nicht nur durch meine Erfahrung am Hoden der Maus, sondern
ich habe daraufhin auch die Verhältnisse beim Kater, beim Ka-
ninchen, dem Hunde, einer Beutelratte ete. geprüft. Untersucht man
nämlich die Angaben in der Litteratur über die Spermatogemmen,
so wird man finden, dass diese Gebilde nur von solehen Autoren
erwähnt werden, welche die Elemente des Hodens entweder in
frischem Zustande, oder nach Fixirung in Müller’scher Flüssig-
keit und sehr verdünnten Osmiumsäurelösungen untersucht haben,
und gerade in letzterem Falle wird oftmals erwähnt, dass die
Spermatogemmen nach Einwirkung solcher Reagentien seltener
aufzufinden seien, als in frisch untersuchtem Material. Wendet
man jedoch unsere modernen, momentan und dabei doch schonend
fixirenden Härtungsmittel (Sublimat, Salpetersäure 3%, und nament-
Ösmiumsäure und ihre Gemische) an, so wird man sich vergeblich
bemühen, Spermatogemmen aufzufinden, es zeigt sich dann vielmehr
jede einzelne Spermatide von ihrer Nachbarin durch eine deutliche
Beiträge zur Histologie des Hodens. 81
Grenzeontour abgetrennt. Wir werden daher gut thun, den Be-
griff Spermatogemme, wenigstens für das Säugethier, vollständig
fallen zu lassen und dürfen aus dem Auftreten von sogenannten
Spermatogemmen an frisch oder nach Einwirkung sehr verdünnter.
Fixirungsflüssigkeiten untersuchten Hodenzellen nur den Schluss
ziehen, dass die Spermatiden sehr labile, empfindliche Gebilde
darstellen, deren Zelleiber die Tendenz zeigen, sehr bald unter-
einander zu confluiren.
IV. Die Umwandlung der Spermatiden in Spermatozoen
bei der Maus.
Wenn die Frage, wie sich die Samenzellen des Säugethiers
allmählich zu Spermatozoen umformen, die ja schon so oft ven-
tilirt wurde, aber trotzdem noch keine vollständig befriedigende
Lösung gefunden hat, auch hier erörtert werden soll, so möge die
Berechtigung hierzu abgeleitet werden aus einer Frage, die ich
mir vorlegte, ob nämlich auch bei dem Säugethier der Nebenkern
bei der Spermatozoenbildung eine ähnliche Rolle spielt, wie sie
für den Salamander oben beschrieben wurde. Es wird dann be-
greiflich erscheinen müssen, dass eine Beantwortung dieser Frage
nicht möglich sein wird, ohne auch die Vorgänge der Umwandlung
der Spermatiden in Spermatozoen zu streifen und es dürften unsere
Beobachtungen vielleicht geeigenschaftet sein, einzelne Irrthümer
‘za beseitigen und Thatsachen theils neu aufzuführen, theils zu be-
stätigen.
Der erste Vorgang nun, der sich bei der Umwandlung der
Spermatide in das Spermatozoon beobachten lässt, besteht darin,
dass die beiden bisquitförmig mit einander verbundenen Kugeln
des Nucleolus mehr und mehr auseinanderweichen, dabei aber
noch durch eine ehromatische Brücke mit einander in Verbindung
stehen. Es wird dadurch im Kerninneren gewissermaassen eine
Barriere errichtet und dadurch der Kern in zwei annähernd gleiche
Abschnitte getheilt, die sich im Weiteren in ihrer Färbbarkeit
verschieden verhalten (Fig. 36). Der periphere, d. h. der der
Canälchenwand zugekehrte Theil des Kernes erscheint nämlich
heller als der centrale und zwar hat diese Farbendifferenz eine
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 33. 6
82 Dr. F. Hermann:
doppelte Ursache; einmal werden in dem peripheren Kernabschnitt
die Chromatinbälkehen überhaupt rarefieirt und zweitens lässt sich
für den zentralen Theil des Kernes nachweisen, dass das Chro-
matin nicht nur an die Bälkchen gebunden ist, sondern sich auch
in der Kerngrundsubstanz findet, so dass dieselbe leicht diffus ge-
färbt erscheint.
Während sich diese Vorgänge im Inneren des Kernes geltend
machen, ist derselbe allmählich immer ‘mehr nach der Peripherie
des Zellleibes gerückt, hat aber im übrigen noch seine kugel-
förmige Gestalt beibehalten und auch in Bezug auf die im Zell-
leibe neben dem Kerne liegenden Bildungen ist keine Wandlung
eingetreten. Gehen wir nun einen Schritt weiter (Fig. 37), so sieht
man, dass der Kern, immer mehr aus dem Zellleibe sich hervor-
drängend, sich verlängert und eine birnförmige Gestalt angenom-
men hat; dabei sind die Färbungsdifferenzen in seinem Inneren
nur noch deutlicher geworden, indem nun die periphere Kernhälfte
ihre Chromatinbälkchen fast vollständig eingebüsst hat; auch die
die beiden Kernhälften scheidende, in beschriebener Weise aus den
Nucleolen hervorgegangene Chromatinbildung hat sich stärker aus-
gebildet. Die interessantesten Vorgänge aber sehen wir in diesem
Stadium an den beiden Polen des birnförmigen Spermatidenkernes
sich abspielen. Das halbmondförmige Körperchen, das wir in
inniger Nachbarschaft des Kernes in der ausgebildeten Samenzelle
liegen fanden, verschmilzt, sich verbreiternd und zu einer Kugel-
schale sich umbildend, vollständig mit der peripheren Kernhälfte
und bedeckt dieselbe als ein kappenförmiges Gebilde, es stellt die
von v. Brunn sogenannte Kopfkappe dar. Aus einer an dem’
peripheren Kernpole auftretenden, partiellen Verdickung dieser
Kopfkappe entwickelt sich dann allmählich der Spitzenknopf,
der also, im Gegensatze zu den Angaben v. Brunns (22), der
denselben aus dem Kern entstehen lässt, nach meiner Deutung aus
derselben halbmondförmigen Protoplasmaeinlagerung entsteht, dem
auch die Kopfkappe ihr Dasein verdankt. Während sich nun
Kopfkappe und Spitzenknopf entwickeln, tritt auch am centralen
Kernabschnitt eine Veränderung ein; in Gestalt eines halbmond-
förmigen, lichten Hofes hebt sich ein zartes Bläschen vom Kern
ab, die sogenannte Schwanzkappe der Autoren.
Und damit sehen wir nun den Kern, wie diesauch Biondi (23)
angiebt, in 3 Abschnitte zerfallen, einen centralen ungefärbten,
Beiträge zur Histologie des Hodens, 83
einen mittleren deutlich tingirten und einen peripheren Abschnitt,
welcher wiederum farblos erscheint. Woraus freilich die Schwanz-
kappe entsteht, lässt sich bei der Kleinheit der ganzen Verhält-
nisse mit vollständiger Sicherheit nicht sagen; immerhin will es
mir, und darin muss ich Biondi beistimmen, noch am wahrschein-
lichsten erscheinen, dass die Schwanzkappe einem Abheben der
chromatischen Kernmembran von der übrigen Substanz des Kernes
ihre Entstehung verdankt, wie wir dies auch bei den Spermatiden
des Salamanders vor sich gehen sahen. Mit dem Moment der
Entstehung der Schwanzkappe tritt auch der Nebenkern in Action;
konnte für denselben in den ausgebildeten Spermatiden eine
fixirte Lage nicht constatirt werden, so sehen wir nun, wie sich
derselbe mit einem Male senkrecht auf der Kernperipherie ein-
stellt, und wie das gefärbte Kügelchen in das Innere der
Schwanzkappe, mit dem Kerne sich verbindend, herein-
schlüpft, während der grössere, ungefärbte Abschnitt des Neben-
körpers seine Lage ausserhalb der Schwanzkappe beibe-
hält. Zugleich lässt sich in diesem Stadium beobachten, dass das
gefärbte Kügelchen nicht an dem eigentlichen Kernpole, sondern
etwas davon entfernt mit dem Kerne in Berührung tritt und wir
können in diesem Verhältniss die erste Andeutung jenes asymme-
trischen Baues erkennen, der ja für die Spermatozoen der Maus
ceharacteristisch ist. Diese Asymmetrie wird in der Folge immer
augenfälliger, so dass man für die Beobachtung der weiteren
Stadien streng zwischen Kanten- und Flächenbildern unterscheiden
muss, um so mehr, als auch im Inneren des sich umwandelnden
Kernes eine Verschiebung der beiden Kernhälften eintritt. Wäh-
rend nämlich die dieselben trennende Chromatinansammlung bis
jetzt im Kernäquator gelegen war, beginnt sie nun (Fig. 33 a u. b)
sich immer mehr schief zu stellen, und zugleich reicht sie,
sich vergrössernd, von einer Seite des Kernes zur anderen, so
dass bei ausschliesslicher Berücksichtigung des Flächenbildes die
Anschauung erweckt werden könnte, als handle es sich dabei um
die Bildung einer die beiden Kernhälften von einander trennenden
Chromatinplatte, ein Irrtbum, dem auch Niessing in seiner Be-
schreibung verfallen ist. Kantenbilder vermögen zur Evidenz zu
zeigen, dass die aus den ursprünglicher Nueleolen hervorgegan-
gene Chromatinbildung die Gestalt eines Balkens besitzt, der das
Innere des Kernes von einer Seite zur anderen durchsetzt. Nach
84 Dr. F. Hermann:
diesem Chromatinbalken sieht man überhaupt das geformte Kern-
chromatin sich vollständig concentriren, so dass die periphere
Kernhälfte dasselbe nun völlig eingebüsst hat und auch in dem
inneren Abschnitte die Chromatinnetze dünner und dünner gewor-
den sind, ein Vorgang, durch den die diffuse Färbung der centralen
gegen die periphere Kernhälfte nur um so mehr in die Augen
springt. Mit dieser allmählichen Metamorphose im Kerninneren ist
auch eine Gestaltveränderung des jungen Kernes Hand in Hand
gegangen, so dass derselbe schon jetzt mehr die Form eines Drei-
kants angenommen hat und so eine leichte Andeutung jener Ab-
schnitte des fertigen Spermatozoons vorhanden ist, welche Jensen
(24) als obere, untere und aufsteigende Kante bezeichnet hat. Ueber
die Kopfkappe habe ich hier nicht viel zu bemerken, sie hat sich der
Kernmembran so dicht angeschmiegt und ist so vollkommen mit ihr
verwachsen, dass sie als eigenes Gebilde sich nicht mehr nachweisen
lässt, nur der Spitzenknopf tritt nun deutlicher zur Erscheinung.
Wenden wir uns nun dem zentralen Pole des Kernes
zu. Das Bläschen, dessen Existenz ich von einem Abheben der
Kernmembran herzuleiten geneigt war, hat sich zu der bekannten
hyalinen Röhre umgeformt, die ja von einer ganzen Reihe von
Autoren beschrieben wurde, und da wir den ungefärbten Theil
des Nebenkernes ausserhalb des Bläschens liegen bleiben sahen,
so muss nun derselbe durch die Röhrenbildung immer mehr vom
Kerne entfernt werden; jetzt schon mag bemerkt werden, dass
dieser Nebenkernabschnitt für die Folge keine Rolle mehr zu
spielen hat, er geht allmählich im Protoplasma der Spermatide zu
Grunde, eine Ansicht, die ja auch Renson vertritt. Nur lässt
derselbe den Nebenkern als Ganzes spurlos verschwinden. An
meinen Präparaten aber konnte ich nachweisen, dass der gefärbte
Bestandtheil derselben in den Kern eindringt, und von ihm sehen
wir denn in diesem Stadium als erste Andeutung des Geisselfadens
der Spermatozoen ein feines, kurzes, sich rasch verlängerndes
Fädchen auswachsen. Dass der Schwanzfaden nicht direkt, son-
dern eben durch Vermittlung eines Knöpfchens, des sog. Schwanz-
knopfes, mit dem Kopf in Verbindung steht, wird ja von ver-
schiedenen Autoren erwähnt. So sehen wir, dass Renson, ohne
im Text darauf einzugehen, in all’ seinen Figuren den Schwanz-
faden mit einem dem Kern anliegenden Pünktchen beginnen lässt,
und auch Jensen lässt in seiner sehr sorgfältigen Untersuchung
Beiträge zur Histologie des Hodens. 85
den Axenfaden mit einem Knöpfehen enden, das „viel stärker
lichtbrechend ist, als der übrige Axenfaden.“
Die Beobachtung nun, dass der Schwanzfaden von dem färb-
baren Bestandtheile des Nebenkernes seinen Beginn nimmt, muss
die Frage, welchem Zellelement der Axenfaden v. Brunns seine
Entstehung verdankt, wiederum in den Vordergrund drängen. War
ich bei der Besprechung dieser Verhältnisse bei Salamandra nicht
im Stande, auf diese Frage eine vollkommen sichere Antwort zu
geben, so sehe ich mich auch bei der Maus vergeblich nach un-
anfechtbaren Beweisen um, die die Natur des Geisselfadens fest-
stellen sollen. Nach der ganzen Sachlage aber kann ich mich
sowohl bei Salamandra, als auch ganz besonders bei der Maus des
Eindruckes nicht erwehren, dass der Axenfaden aus dem
färbbaren, in den Kern eindringenden Bestandtheil
des Nebenkernes der Spermatiden auswächst. Jedenfalls
— das lässt sich mit aller Sicherheit aussagen — liegen die Ver-
hältnisse nicht so, wie es Niessing behauptet, dass nämlich der
Sehwanzfaden direkt aus dem verdichteten Chromatingerüste des
Kernes hervorsprosst.
Wenn wir nun in dem beschriebenen Stadium die sich bil-
denden Spermatozoenköpfe ihrer Grösse nach mit den runden
Kernen der Samenzellen vergleichen, so tritt uns die bekannte
Thatsache entgegen, dass bei dieser Metamorphose eine Volumen-
verminderung erfolgt ist und wir sind wohl berechtigt, den Grund
derselben in einem Verdichtungsprozess der gesammten Kernsub-
stanz zu suchen. Den höchsten Grad desselben erreichen aber
die jungen Spermatozoenköpfe erst in den nun folgenden Stadien
und es spricht sich derselbe an den Präparaten, die der beschrie-
benen combinirten Tinetionsmethode unterworfen waren, in einer
plötzlich eintretenden Farbendifferenz aus. Während nämlich in
den bis jetzt beschriebenen Phasen der sich färbende Theil des
Jungen Spermatozoenkopfes (Fig. 39) die Farbe des Gentianaviolett
angenommen, zeigt er in den folgenden Stadien für diesen Farb-
stoff absolut keine Aufnahmefähigkeit mehr, sondern tingirt sich
nun ausschliesslich mit Saffranin. Ist diese Farbenveränderung
einmal eingetreten, so gehen die reifenden Spermatozoenköpfe rasch
ihrer Vollendung entgegen; es lässt sich leicht beobachten, dass,
wenn dieselbe an den frei im Lumen der Hodenkanälchen lie-
genden Samenfäden eingetreten ist, nur die der oberen Kante
86 Dr. F. Hermann:
(Jensen) entsprechende Hälfte des Kopfes gefärbt ist, während
die andere vollständig farblos erscheint. Es beruht dieser Unter-
schied gewiss nicht darauf, dass der Spermatozoenkopf vermöge
seiner dreikantigen Gestalt an der unteren Kante schmäler ist als
an der oberen, sondern es entsprechen die beiden sich verschieden
verhaltenden Theile, wie das leicht aus der Vergleichung der Figuren
37—41 ersichtlich ist, genau den umgebildeten Kernhemisphären
der Samenzelle, eine Möglichkeit, an die auch Jensen ge-
dacht hat.
Durch ein sich ziemlich intensiv mit Saffranin färbendes
Knöpfchen, dessen Ableitung vom Nebenkerne wir ja verfolgen
konnten, steht nun der Kopf des Spermatozoon in Verbindung mit
dem Schwanzfaden. Bekanntlich wird derselbe eine gewisse
Strecke weit von einer hellen Scheide eingehüllt, die nach hinten
zu scharf abgestutzt aufhört und welche, wie dies hauptsächlich
von Gibbes (25), Leydig (26), Jensen, Brown (27) ete. angege-
ben wird, eine spiralige Anordnung zeigt.
Die Genese dieser Scheide aus der sich verlängernden, dem
Axenfaden sich immer inniger anschmiegenden hyalinen Röhre
lässt sich — hierin kann ich die Angaben Niessings vollständig
bestätigen — leicht nachweisen; anfangs sieht man den Axenfaden
noch als leicht bräunlich gefärbte Linie deutlich im Inneren der
Scheide; an den reifsten, im Hoden vorkommenden Spermatozoen
sind aber offenbar die Brechungsindices des Axenfadens und der
ihn bergenden Scheide so gleiche geworden, dass eine Unter-
scheidung nicht mehr möglich ist. Von dem Spiralfaden ist an
den Präparaten, die nach der Eingangs erwähnten Methode tingirt
wurden, nichts sichtbar; unterwirft man aber Chromosmiumessig-
säurepräparate zuerst einer Färbung mit Heidenhain’schem Hä-
matoxylin (Modification von Apathy) und tingirt mit Gentiana-
violett nach, so tritt der Spiralfaden deutlich gefärbt zu Tage
(Fig. 42).
Für den von der Scheide umhüllten Abschnitt des Schwanz-
fadens findet sich nun in der Litteratur in beliebiger Abwechse-
lung der Name „Verbindungsstück* oder „Mittelstück“. Ich glaube,
wenn wir bei den Salamanderspermatozoen nur jenen kleinen,
eylindrischen Theil mit dem Namen „Mittelstück* belegten, den
wir aus einem Bestandtheile des Nebenkernes entstehen sahen, so
dürfen wir auch für die Maus nur jenes kleine Knöpfehen mit
Beiträge zur Histologie des Hodens. 87
diesem Namen bezeichnen, für welches wir den gleichen Entwick-
lungsmodus nachzuweisen vermochten. Nur jenes Knöpfchen also
— „Sehwanzknopf“ — „Halsstück“ der Autoren — verdient den
Namen „Mittelstück“, den ihm folgenden umscheideten Abschnitt
des Samenfadens müssen wir, um nicht eine neue Bezeichnung
einzuführen, unter dem alten Namen „Verbindungsstück“ scharf
von ihm trennen.
V. Der Nebenkern in den Samenzellen des Salamanders
und der Maus.
Im Verlaufe unserer Untersuchungen vermochten wir sowohl
beim Salamander, als auch bei der Maus in den Spermatocyten
ein eigenthümliches Gebilde zu beobachten, es war dies der
Nebenkern. Es zeigte sich, dass derselbe bei der Maus gleich
von Anfang an, bei dem Salamander erst in späteren Stadien
durchaus kein einfach gebautes Gebilde darstellt, sondern dass er
im wesentlichen aus zwei differenten Substanzen besteht, einer
färbbaren und einer farblosen, angeordnet in der Form kleiner,
dem Kern anliegender Kugeln, zwischen die sich wenigstens beim
Salamander noch eine ringförmige, ebenfalls färbbare Bildung
einschiebt.
Woher stammt nun dieser eigenthümliche Nebenkern? In
der Lösung dieser interessanten Frage bin ich leider nicht glück-
lich gewesen; das kleinzellige Gewebe der Maus dürfte eine Ant-
wort wohl von vorne herein aus technischen Gründen verbieten
und beim Salamander, wo sich die Sache immerhin eruiren lassen
dürfte, stand mir leider in Folge der Jahreszeit passendes Material
in genügender Menge nicht zur Verfügung !).
Immerhin mag das wenige, das sich für die Genese des
Nebenkernes beim Salamander möglicherweise heranziehen lassen
dürfte, hier mitgetheilt werden. An einer einzigen Spermatocyste,
— in dieser aber an sämmtlichen Zellen — fand ich ein eigen-
thümliches Bild; es ‚handelte sich dabei um eine Spermatocyste,
1) Salamanderhoden, die ich in gegenwärtiger Jahreszeit (April) unter-
suchte, sind nicht brauchbar, da der Process der Spermatogenese hier schon
vollständig abgeschlossen ist.
88 Dr. F. Hermann:
deren Zellen noch vor dem Processe der Generationsbildung durch
heterotypische Kerntheilung standen. An diesen (Fig. 43) Sper-
matocyten liess sich der farblose Bestandtheil des Nebenkernes
schon im Protoplasma der Zelle in der Nachbarschaft des Kernes
gelegen nachweisen und zwar war an dieser Stelle die Kern-
membran verdünnt und zugleich zungenförmig gegen die farblose
Kugel ausgezogen. Ich möchte dieses Bild so deuten, dass der
Nebenkern als anfangs nicht tingibles Element aus dem Inneren
des Kernes stammt, gleichsam aus dem Kern herausgeschleudert
wird, wofür ja die eigenthümliche Verdünung und Hervortreibung
der Kernmembran an jener Stelle, wo wir den Nebenkern liegen
sehen, sprechen dürfte. Leider war es mir aber nicht möglich,
weitere Entwicklungsphasen des Nebenkernes aufzufinden, und
muss desswegen meine gegebene Deutung so lange als eine hypo-
thetische aufgefasst werden, bis es mir möglich sein wird, an ge-
eignetem Material im Herbst die interessante Frage nach der Genese
des Nebenkernes in ausgedehnterem Maasse aufs Neue zu untersuchen.
Bei dem Theilungsprocess, welcher aus den Spermato-
eyten die Generationen der Spermatiden entstehen lässt, konnte
für den Salamander sowohl, wie für die Maus festgestellt
werden, dass der Nebenkern zu dem Process der Karyokinese
Beziehungen eingeht und als Analogon jener eigenthümlichen
Bildungen auftritt, welche von van Beneden und von Boveri
an den Furchungskugeln von Ascaris megalocephala, und ganz
neuerdings von v. Kölliker (28) an den sich theilenden Eiern
von Siredon piseiformis als Attractionssphären mit den in
ihrem Inneren gelegenen Centrosomen oder Polarkörperchen
beschrieben werden.
Ich kann es mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, dass
möglicherweise in den sich theilenden Spermatocyten gewisse Be-
ziehungen des Nebenkernes zu diesen Attractionscenten vorhanden
sein dürften, eine Frage, die gerade jetzt ein actuelles Interesse
bieten dürfte, nachdem Platner (29) in einer jüngst erschienenen
Arbeit das Vorhandensein dieser Beziehungen in den Geschlechts-
zellen von Helix, Limax und Paludina faetisch nachgewiesen hat.
Waren nun die Resultate meiner Untersuchungen über die Genese
des Nebenkörpers sowie über seine Rolle bei der Theilung des Sperma-
tocyten, wieich gerne einräume, leider nur sehr hypothetische, so liess
sich das Sckicksal, welchem der Nebenkörper bei der Umwandlung der
Beiträge zur Histologie des Hodens. 89
Spermatiden in Spermatosomen entgegengeht, mit um so grösserer
Sicherheit feststellen. Beim Salamander sowohl als bei der Maus
konnten wir beobachten, dass das gefärbte Kügelehen des Neben-
kernes in das Innere des sich umwandelnden Spermatidenkernes
eindringt und jene Abtheilung des Samenfadens, welche den
Kopf mit dem Schwanzfaden verbindet, das sogenannte Mittel-
stück darstellt. Für den farblosen Bestandtheil des Nebenkernes
liess sich bei beiden Thierspecies nachweisen, dass derselbe nach
der Vereinigung des gefärbten Kügelehens mit dem Kerne der Sper-
matide mit dem Zellleibe derselben zu Grunde geht, dass er also
gewissermaassen nur als Träger der Mittelstückanlage zu betrachten
sein dürfte. Aus der beim Salamander vorkommenden ringförmigen
Bildung des Nebenkernes endlich sahen wir ein Appendicular-
gebilde des Geisselfadens, den bekannten Flossensaum hervorgehen.
VI. Der Prozess der Regeneration im Salamanderhoden.
Fasst man ein Hodenkanälchen des Salamanders, welches
reife Spermatozoen enthält, in’s Auge, so dürfte schon eine ober-
flächliche Betrachtung desselben genügen, um festzustellen, dass
dasselbe ausser den Samenfäden nur mehr Follikelzellen enthält,
also Zellen, die mit dem spermatogenetischen Process im engeren
Sinne nichts zu thun haben, sondern lediglich als Stützelemente
im Hoden fungiren. Wird demnach das reife Samenmaterial aus
dem Hoden in die ausführenden Samenwege entleert, so bleibt in
dem Hodenkanälchen absolut keine einzige Zelle mehr übrig,
welche für eine regeneratorische Neubildung von Samenelementen
in Frage kommen könnte.
Diese Betrachtung muss uns nothwendigerweise dazu führen,
die regeneratorischen Vorgänge innerhalb des Salamanderhodens
näher zu untersuchen und wir werden hoffen dürfen, hier ganz
eigenartige Verhältnisse anzutreffen, durch welche der Salamander
nicht nur unter der Klasse der Amphibien, sondern auch unter
der weitaus grössten Mehrzahl der Wirbelthiere überhaupt eine
eigene Stellung einnimmt.
Es kann als längst bekannte Thatsache gelten, dass die
Hoden des Salamanders, was Anzahl, Grösse und Gestalt betrifft,
durchaus nicht constant sind, ja es lässt sich behaupten, dass kaum
90 Dr. F. Hermann:
bei zwei Individuen die Verhältnisse vollständig identische sind.
Ebenso ist es bekannt, dass bei makroskopischer Betrachtung auch
das Innere des Hodens nicht gleichartig beschaffen ist, sondern
dass wir Lappen unterscheiden können, die sich durch Grösse
und Farbe wohl von einander unterscheiden, Differenzen, welche
wesentlich davon abhängig sind, in welcher Jahreszeit wir die
Thiere untersuchen. Mögen aber die Verhältnisse auch noch so
verschieden liegen, etwas werden wir doch allezeit als constant
finden: stets werden wir an dem caudalen Abschnitte des Hodens,
allerdings je nach der Jahreszeit in wechselnder Ausdehnung,
Lappen antreffen, welche hellweiss oder gelblichweiss sind,
während der entgegengesetzte Pol des Hodens aus kleinen opaken,
graulichen Lappenportionen zusammengesetzt ist, die sich nach
dem Kopf zu mehr oder minder weit in einen bandartigen Zipfel
fortsetzen. Eine mikroskopische Analyse des caudalen Hoden-
abschnittes zeigt, dass die Lappen desselben aus Hodenkanälchen
bestehen, die neben Follikelzellen reife oder fast reife Spermato-
zoen enthalten, und ausserdem wird man hier noch Epithelgänge
sowie namentlich im Frühjahre ceollabirte Hodenkanälchen an-
treffen, aus denen die Spermatozoen entleert wurden und in denen
nur mehr die Follikelzellen übrig geblieben sind. Untersucht man
dagegen den entgegengesetzten Pol des Hodens, so ist man
erstaunt, hier ein Gewebe zu finden, das sich so sehr von der
übrigen Hodensubstanz unterscheidet, dass man wohl versucht
sein könnte, dasselbe überhaupt nicht demselben zuzuzählen.
Das den oberen Pol des Hodens bildende Gewebe lässt von
Samenkanälchen und ihrem Inhalte noch nichts erkennen, es be-
steht vielmehr aus einem geschlossenen Lager von Zellen, zwischen
denen in spärlicher Ausdehnung zartes Bindegewebe verläuft (Fig.
44a). Leicht gelingt es nun die Zellemente in zwei Gruppen zu
trennen, in grosse, massige und wohlcontourirte Gebilde, die einen
grossen, ziemlich blassen Kern beherbergen und andere, die
sich, mannichfaltig geformt, zwischen die ersteren einschieben,
dieselben gewissermaassen einhüllen, und sich durch einen sich
dunkler tingirenden Kern auszeichnen. Es sind diese beiden
Zellenarten, die wir hier in dem oberen Abschnitte des Salamander-
hodens antreffen, auch anderweitig schon von den verschiedenen
Autoren beschrieben worden und sind die ersteren mit dem Namen
„Primordialeier“ [C. K. Hoffmann] (30), [Grünhagen] (31),
Beiträge zur Histologie des Hodens. 91
„Ovules mäles“ [Swaen und Masquclin]| (32), die letzteren als
„Follikelzellen“ [v. La Valette St. George] (33) bezeichnet worden.
An dieser Stelle sei nun das Wenige berichtet, was ich in
Bezug auf die feineren Structurverhältnisse der beiden Zellenarten
der Beschreibung der Autoren beizufügen habe. Die sogenannten
„Primordialeier‘“ stellen bekannlich sehr voluminöse Gebilde von
rundlicher oder, wenn dieselben dichter gedrängt liegen, polygo-
naler Gestalt dar, welche im Allgemeinen einen runden Kern
besitzen (Fig. 45). Nach Fixirung mit Osmiumgemischen gelingt
es in demselben nur recht wenig färbbare Substanz nachzuweisen,
wenigstens lässt sich ein chromatisches Netzwerk kaum deutlich
bemerken; ausser einem oder höchstenz zwei grossen Nucleolen
sieht man nur mehrfache Chromatinbrocken, die ab und zu durch
äusserst feine, rosenkranzartig aneinandergereihte Chromatin-
pünktchen untereinander in Verbindung gebracht werden, wodurch
wenigstens eine leise Andeutung eines das Kerninnere durch-
setzenden Netzwerkes gegeben wird. Die Kernmembran dagegen
springt durch ihren grösseren Reichthum an chromatischer Substanz
sehr deutlich in die Augen und ebenso lässt sichim Kerne ein äusserst
feines Netzwerk achromatischer Substanz klarnachweisen. Merk-
würdigerweise aber lässt eine Fixirung mit 3%/, Salpetersäure mit nach-
folgender Hämatoxylintinetion (Fig. 46) ein sehr deutliches derbes
Chromatinnetz zu Tage treten, ein Umstand, für den ich bis jetzt
keine Erklärung zu geben vermag. Was das Protoplasma dieser
grossen Zellen betrifft, so fällt in demselben eine gewisse Schieh-
tung (Fig. 45) auf, so zwar, dass wir zunächst um den Kern eine
Protoplasmaschichte finden, welche der Granulirung vollständig
entbehrt; ihr folgt nach aussen die mächtigste Schichte, in der das
protoplasmatische Netz sehr eng gewebt ist und endlich zunächst
an der Peripherie der Zelle haben wir eine dritte Zone, wo nur
vereinzelte Netzfäden nachweisbar sind.
Ueber die Gestalt der Follikelzellen (Fig. 45a) lässt sich,
da diese Elemente sich allenthaben zwischen die Primordialeier
hereinschieben, nichts Bestimmtes angeben, nur von ihrem platt-
ovalen Kerne sei bemerkt, dass derselbe neben kleinen Nucleolen
einen grösseren besitzt, der vollkommen die gleichen Struetur-
verhältnisse zeigt, .wie sie oben von dem Kernkörperchen der Sper-
matoblastkerne der Maus beschrieben wurden und wie diess für
den Frosch von Sanfelice angegeben wird.
92 Dr, F. Hermann:
Die Namen, welche den grossen Zellgebilden von den
Autoren gegeben wurden (Primordialeier, ovules mäles),
basiren bekanntlich auf der Aehnlichkeit, welche diese Zellen mit
den Zellen der Genitalanlage der Larve zeigen und wirklich ist
diese Aehnlichkeit eine so grosse, dass es kaum möglich sein
möchte, beide Zellarten von einander zu unterscheiden. Da nun
die Zellen der Larvengenitalanlage sich noch auf einer vollständig
indifferenten Stufe befinden, so möchte ich statt der obigen
Namen eher die Bezeichnung indifferente Keimzellen für die
am oberen Hodenpole der erwachsenen Salamander vorhandenen
srossen Zellen wählen und sollen dieselben, bis wir erkennen
werden, welche Rolle sie im Hoden spielen, unter diesem Namen
Erwähnung finden.
Es ist bereits bekannt und namentlich in einer Arbeit von
Bellonei (34) des Näheren gewürdigt worden, dass die Kerne
dieserindifferenten Keimzellen nicht immer rund sind, sondern sehr oft
selappte, ja geradezu verästigte Formen aufweisen, die von Seite
der verschiedenen Autoren eine so genaue Beschreibung gefunden
haben, dass ich derselben nichts hinzuzufügen wüsste. Sieht man
sich aber um nach der Bedeutung, welche diesen gelappten Kernen
zugeschrieben wurde, so wird man finden, dass darüber eine
Uebereinstimmung durchaus noch nicht besteht, sondern dass die
Ansichten sich hierin diametral gegenüber stehen, und gilt dies
ja nicht blos von den gelappten Kernen der indifferenten Keim-
zellen, sondern überhaupt von der Lappung und Einkerbung der
Kerne, der wir ja so häufig im thierischen Organismus begegnen.
So lange wir freilich mit den mitotischen Theilungsvorgängen
und deren allgemeinem Vorkommen noch nicht bekannt waren,
war die Deutung gelappter Kerne eine einfache, man sah sie eben
als sich theilende Kerne an. Allein heutzutage sind ja die
Argumente für das Vorkommen einer solehen direeten Theilung
immer spärlicher geworden, und wenn auch einige, z. B. Nuss-
baum (35) gerade für die uns interessirenden Keimzellen der
Amphibien, noch an diesem amitotischen Theilungsmodus fest-
halten, so darf wohl als sicher angenommen werden, dass künftige
Untersuchungen die Grundlosigkeit dieser Annahme feststellen
und den endgültigen Beweis liefern werden, dass die Kernthei-
lung nur nach einem einzigen Prineip, dem der Karyokinese
erfolgen dürfte. Dabei mag freilich nicht geleugnet werden, dass
Beiträge zur Histologie des Hodens. 93
dieser Process nicht überall bis in’s Detail vollkommen gleichartig
abläuft, allein das Typische des karyokinetischen Vorganges dürfte
sich wohl überall auffinden lassen, wo wir überhaupt sich thei-
lenden Zellkernen begegnen.
Die zweite Ansicht über die Bedeutung der polymorphen
Kerne der Keimzellen sowie überhaupt der gelappten Zelikerne
lautet dahin, dass dieselben Degenerationsformen darstellen.
Gerade für erstere wird dies von Belloneci behauptet und sieht
derselbe die polymorphen Kerne als eine Folge eines unvollkommen
oder überhaupt nicht zum Abschluss gelangten Kerntheilungs-
processes an. Allein ich sehe mich in der betreffenden Arbeit
vergeblich nach einem strieten Beweis für diese Ansicht um, denn
aus der entfernten Aehnlichkeit der gelappten, eingebuchteten
Kerne mit Sternformen der Mitose kann derselbe doch unmöglich
abgeleitet werden. Zwei andere Gründe scheinen mir noch gegen
die Ansicht Bellonci’s zu sprechen. Wir sahen, dass auch in
der Genitalanlage der Salamanderlarve die gelappten Kerne un-
gemein häufig vorkommen; sollen nun all diese Kerne, kaum gebildet,
wieder einem Untergange entgegengehen? Das klingt doch wenig
wahrscheinlich. Und ausserdem verlaufen die Degenerationsprocesse,
die, wie im nächsten Kapitel ausführlich erwähnt werden soll, im
Zellmaterial des Salamanderhodens häufig zur Beobachtung gelangen,
unter wesentlich anderen Erscheinungen als einer Lappung der
Kerne.
Verlassen wir aber den Standpunkt, in dem Zellkern aus-
schliesslich ein „Reproduetionsorgan“ der Zelle anzunehmen,
bringen wir, folgend einer Weismann’schen Anschauung, den
Kern auch mit den vegetativen Processen im Protoplasma und
damit mit den Wachsthumsvorgängen in Zusammenhang, so dürften
wir auch für den speciellen Fall der gelappten Keimzellenkerne
zu einer wahrscheinlicheren und, wie mir dünkt, einfacheren
Erklärung gelangen. O. Schultze (36) hat in einer erst kürzlich
erschienenen Mittheilung darauf hingewiesen, dass unter dem
Einflusse ungenügender Ernährung die Zellkerne die Tendenz
zeigen, ein gelapptes Aeussere anzunehmen. So richtig nun, wie
ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, die Befunde Schultze's
sind, so möchte ich doch im Interesse der Wichtigkeit und Rich-
tigkeit derselben darauf aufmerksam machen, dass die Angabe,
als ob die „Hungerkerne“ sich von den unter normalen Verhält-
4 Dr. F. Hermann:
nissen vorkommenden gelappten Kernformen typisch unterschei-
den würden, keine besonders glückliche ist. Es wird dadurch
dem Einwand Thür und Thor geöffnet, dass die unter Einfluss
des Hungers entstehenden gelappten Kernformen eben nur als
Degenerationsformen der Kerne schlechtweg aufzufassen seien,
und Sehultze selbst stellt seine „Hungerkerne“ mit Degenera-
tionsformen in eine Kategorie zusammen. Verstehe ich Sch ultze
jedoch recht, so will er gerade dureh die Mittheilung seiner
Befunde den Beweis dafür liefern, dass der Zellkern eben auch
zu den rein vegetativen Processen der Zelle in näherer Beziehung
steht. Wenn wir nun das Auftreten der Lappung an den
„Hungerkernen“ in etwas weiterer Ausdehnung als den Aus-
druck einer vermehrten Stoffwechselenergie auffassen,
so dürften wir uns damit eine gemeinschaftliche Basis geschaffen
haben, von der aus wir nicht nur das Auftreten gelappter Kerne
in Folge von Hunger, sondern auch all’ die gelappten Kern-
formen, die wir so häufig antreffen, vollständig beurtheilen können.
Wir werden dann verstehen, warum der Kern die ungünstigen
Bedingungen mangelnder Nahrung durch Vergrösserung seiner
resorbirenden Oberfläche zu besiegen sucht, warum also die
„Hungerkerne“ gelappte Formen darbieten. Das Auftreten dieser
in Eiern und Furchungszellen wird uns dann nicht mehr wunder-
bar erscheinen, denn, dass in diesen Zellen eine vermehrte Energie
des Stoffwechsels stattfindet, dafür genügt wobl der Hinweis bei
den ersteren auf die Dotterbildung, bei letzterer auf die rapiden
Wachsthumserscheinungen. Vor allem aber werden uns die
gelappten, ja verästigten Kernformen in Drüsenzellen erklärbar,
wie sie namentlich bei Evertebraten so zahlreich beobachtet
wurden; hier wird ja an die Stoffwechselvergänge der Zelle nicht
nur die Anforderung gestellt, das betreffende Zellindividuum auf
gehörigem FErnährungszustand zu erhalten und in weiterem zur
Vermehrung geeignet zu machen, sondern es tritt die erhöhte
Aufgabe heran, die Bildung eines eventuell recht massigen Secretes
zu besorgen. Auch die eigenthümlichen Kernformen der Riesen-
zellen des Knochenmarkes dürften von unserem Standpunkte aus
beurtheilt werden können, sehen wir doch, wie ich einer schon
alten Mittheilung von v. Kölliker (37) entnehme, welche Leistung
grade von diesen Zellen für die Bildung der Oberfläche des
Skeletsystems verlangt wird. In letzter Instanz dürften vielleicht
Beiträge zur Histologie des Hodens. 95
auch die eingebuchteten, gelappten Kernformen der Leucocyten hierin
eine Erklärung finden. Dabei soll durchaus nicht geleugnet
werden, dass in degenerirenden Zellen gelappte Kerne vorkommen,
allein dieselben sind nicht ein Zeichen eines degenerativen Processes
an und für sich, sondern nur der Ausdruck dessen, dass die An-
strengungen, die die Zelle zur Sicherung ihres Stofiwechselbebürf-
nisses gemacht, vergebliche waren und sie erst danach einer
Degeneration anheimgefallen ist. Kehren wir nach diesem all-
gemeinen Excurs wieder zu unserem Ausgangspunkte, den poly-
morphen Kernen der indifferenten Keimzellen des Salamander-
hodens, zurück, so wird sich auch für sie sogleich nachweisen
lassen, dass auch ihnen vermehrte Stoffwechselvorgänge
und Hand in Hand damit eine erhöhte Wachsthums-
energie eigen ist.
Diese indifferenten Keimzellen, deren nähere histologische
Structur wir im Vorhergehenden betrachtet haben, sind nun direct
dem Hodengewebe zuzuzählen, und zwar stellen sie in demselben
nichts Fremdes dar, ein Umstand, auf den ich um so mehr aufmerk-
sam machen möchte, daBellonei dieam oberen Pol des Hodens be-
findlichen Zellecomplexe dem sog. Pseudovarium oder Bidder-
schen Organe der Kröte entsprechen lässt. Auf die ganz auf-
fallend differenten Bauverhältnisse der männlichen Keimdrüse
innerhalb der Klasse der Amphibien soll an dieser Stelle nicht
eingegangen werden, ich möchte nur hier erwähnen, dass von der
Ansicht Bellonei’s schon deswegen keine Rede sein kann, weil
das sog. Pseudovarium der Kröte überhaupt gar nicht aus in-
differenten Keimzellen besteht. Es sind vielmehr wohl dif-
fereneirte Zellen, welche dasselbe zusammensetzen, nämlich
wirkliche Eizellen; es haben sich also in dem genannten Or-
gane der Kröte die indifferenten Keimzellen des Larvenstadiums,
merkwürdig genug, als Anhang der männlichen Keimdrüse nach
der weiblichen Seite hin differenzirt.
Fragen wir uns nun, welche physiologische Bedeutung wir
den indifferenten Keimzellen des erwachsenen Salamanderhodens
zuertheilen müssen, so lautet die Antwort dahin: die indifferenten
Keimzellen stellen die eigentlichen Ursamenzellen, die
Spermatogonien im Salamanderhoden dar, also jene Elemente,
aus denen immer auf’s Neue in letzter Instanz das für die Samen-
bildung nothwendige Material geschöpft werden muss, und ich
96 Dr. F. Hermann:
freue mich, mit diesem Nachweis eine Vermuthung Flemmings (2)
vollständig bestätigen zu können.
Auf Serienschnitten, die in der Längsrichtung des Hodens
angelegt werden, lässt sich nämlich Schritt für Schritt beobachten,
wie sich aus den Spermatogonien das Gewebe des Hodens entwickelt.
Die Etappen dieses Entwicklungsprozesses werden von Bellonei
zwar recht gut beschrieben, allein es bleibt zweifelhaft, ob derselbe
geneigt ist, die einzelnen Stadien von einander abzuleiten; es
dürfte desshalb angebracht sein, an dieser Stelle darauf einzugehen.
Ziemlich zahlreiche Mitosen in den Spermatogonien beweisen, dass
dieselben sich in reger Vermehrung befinden, wodurch sich aus
den einzelnen Spermatogonien kleine Gruppen bilden, die, von
einer bindegewebigen Hülle umschlossen, in ihrem Inneren von
den ebenfalls sich rasch vermehrenden Follikelzellen durchsetzt
sind. Mehrere solcher benachbarter Spermatogoniengruppen mögen
nun mit einander zur Verschmelzung kommen und bilden sich da-
durch solide Stränge, jene Formation, die auch bei Bellonei als
„solide Hodenstränge“ Erwähnung fanden (Fig. 44b). Sehr bald
kommt es nun im Inneren dieser soliden Stränge zur Bildung eines
spaltförmigen Raumes und wir haben damit den ersten Anfang
eines Hodenkanälchens vor uns (Fig. 44c); solche Bilder haben auch
Swaen und Masquelin beobachtet und haben dieselben die weite-
ren Entwicklungsprocesse dieser jungen Kanälchen so genau und
vollständig beschrieben, dass ich mich hier ganz kurz fassen kann.
Lebhafte Kerntheilungen stellen sich nun ein; die einzelnen Sper-
matogonien wandeln sich dadurch in kleine, zweizellige, der binde-
gewebigen Kanälchenwand senkrecht aufsitzende Säulchen um,
weitere Theilungen schliessen sich an und bald ist aus der ein-
zelnen Spermatogonie ein stattlicher Haufen von Zellen gebildet,
die ihren gemeinschaftlichen Ursprung noch deutlich dadurch zur
Schau tragen, dass sie von einer aus Follikelzellen gebildeten, ge-
meinschaftlichen Hülle begrenzt werden. Wir sehen also, wie dies
schon vor längerer Zeit von v. LaV alette St. George nachgewiesen
wurde, dass eine einzige Spermatogonie einen ganzen Zellhaufen,
eine sog. Spermatocyste an sich hervorgehen liess und damit eine
Wachsthumsenergie an den Tag gelegt hat (Fig. 44d), die die Exi-
stenz gelappter Kernformen, die wir jaan den indifferenten Keim-
zellen so häufig fanden, in oben erwähntem Sinne wohl berechtigt
sein lassen dürfte. Biniger Umstände sei nun noch Erwähnung
Beiträge zur Histologie des Hodens. 97
gethan; einmal mag bemerkt sein, dass bei der Entwicklung der
Spermatoeysten stets sämmtliche Abkömmlinge einer einzigen Sper-
matogonie zu gleicher Zeit in Theilung begriffen sind, so dass wir
Spermatocysten bekommen, in denen Mitose neben Mitose gelegen
ist und ferner sehen wir, dass an den fertigen Spermatocysten die
Kerne der Follikelzellen stets der freien, in das Lumen des Ka-
nälehen sehenden Fläche derselben aufsitzen, während zwischen den
einzelnen Spermatocysten, sowie zwischen ihnen und der binde-
sewebigen Kanälchenwand Follikelzellkerne seltener nachzuweisen
sind (Fig. 44d).
Greifen wir nun aus einer solchen Spermatocyste ein Einzel-
individuum, oder, wie wir nun sagen können, eine Spermatocyte
heraus, so fällt vor allem auf, dass dieselbe durch die vielfache
Kerntheilung an Grösse gegen die ursprüngliche Spermatogonie
bedeutend eingebüsst hat; dabei stellt die Spermatocyte ein poly-
gonales, bei geeigneter Behandlung deutlich und scharf eontourirtes
Element dar, das einen runden Kern besitzt, in weichem sich in-
mitten eines derben, aber locker gewebten Chromatinnetzes zahl-
reiche, unregelmässig gestaltete Nucleolenbildungen vorfinden
(Fig. 47).
Noch auf einen Umstand möge hier aufmerksam gemacht
werden, das ist das Verhältniss der Theilungsaxen der Mitosen bei
der regeneratorischen Neubildung des Hodens. Es scheint mir
wichtig, dasselbe etwas mehr in Betracht zu ziehen, da wir aus
der Berücksichtigung dieser Verhältnisse eine Erklärnng für eine
Eigenthümlichkeit des Salamanderhodens finden werden, durch
welche die urodelen Batrachier nicht nur in der Klasse der Am-
phibien, sondern, soweit mir die Verhältnisse aus eigener An-
schauung und aus der Litteratur bekannt sind, auch in der ganzen
Reihe der Wirbelthiere eine gesonderte Stellung einnehmen. Es
hat nämlich Flemming (l) zuerst nachgewiesen, dass beim Sala-
mander die Spermatozoen nicht in der bei den übrigen Thierformen
typischen Weise mit der Spitze des Kopfes nach der Kanälchen-
wand gerichtet sind, während der Schwanz in das Kanälchen-
lumen hereinragt, sondern dass die Verhältnisse gerade umge-
kehrt liegen. Wie so kommt es nun zu dieser Eigenthümlichkeit
des Urodelenhodens? Eine Betrachtung der Wachsthumsrichtungen
bei der Neubildung der Hodenkanälchen wird uns diese Frage
beantworten.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34, 7
98 Dr. F. Hermann:
Bei der Bildung der soliden Hodenstränge aus den indiffe-
renten Keimzellen wird, wenn hier überhaupt eine bestimmte
Richtung an den sich theilenden Zellen wahrgenommen werden
kann, die Theilungsaxe der Mitosen stets mehr oder minder
parallel der bindegewebigen Membran verlaufen müssen, da
es sich hierbei ausschliesslich um ein Flächenwachsthum handeln
dürfte. Ist nun aus dem soliden Hodenstrang das Hodenkanälchen
hervorgegangen, so steht die Theilungsaxe bei der Bildung der
nunmehr aus zwei Schichten von Spermatogonien bestehenden Ka-
nälchenwand natürlich senkrecht auf der Ebene der Membrana
propria (Fig. 44c), bei der weiterhin eintretenden T'heilung der 2
nunmehr gebildeten Spermatogonien in 4 Zellen, wird die Thei-
lungsaxe wieder parallel der Kanälchenwand verlaufen müssen
(Fig. 44c, ß). Bleiben wir nun bei diesem Stadium stehen und be-
trachten uns das Verhältniss der Follikelzellen zu den einzelnen
Spermatogonienfamilien, so finden wir, dass jede derselben von
einer Lage von Follikelzellen umhüllt wird, deren Kerne zum
grössten Theile noch zwischen den benachbarten Spermatogonien-
generationen gelegen sind. Bei der nunmehr eintretenden Weiter-
bildung dieser zu jungen Spermatocysten bleibt nun die Axe der
Kerntheilungen stets mehr oder minder parallel zur Ka-
nälcehenwand liegen, und dieser Umstand wird, wenn man
ferner berücksichtigt, dass die abundante Zelltheilung ja nicht nur
in einer einzigen Spermatogonienfamilie, sondern in mehreren
benachbarten zugleich stattfindet, für die Lage der Follikelzellen
im Hodenkanälchen von wesentlicher Bedeutung sein. Es werden
dieselben durch den Seitendruck, den die der Fläche nach rasch
wachsenden Spermatveysten nothwendiger Weise auf einander
ausüben müssen, in das Kanälchenlumen als dem locus minoris
resistentiae hineingepresst werden müssen, und so sehen wir denn,
dass die Follikelzellen an den ausgebildeten Spermatoeysten
stets an der dem Lumen zusehenden Fläche derselben ihre Lage
haben, nur einige wenige werden an einem gleichfalls ziemlich
geschützten Orte, dort, wo zwei benachbarte Spermatocysten an
die Kanälchenwand anstossen, Platz finden. Zwischen den aus-
gebildeten Spermatocysten wird man aber die Kerne der Follikel-
zellen stets vermissen (Fig. 44d).
Da nun, wie bekannt, die Spermatiden ihren Umwandlungs-
process in Spermatosomen innerhalb des Protoplasmas der Follikel-
Beiträge zur Histologie des Hodens. 99
zellen durehmachen müssen, so werden die Kerne der Spermatiden
sieh natürlicherweise dorthin, wo sich die Follikelzellen zu grös-
seren Gruppen vereinigt finden, also nach dem Kanallumen hin
verschieben müssen und wir können so die abweichende Stel-
lung der Spermatozoenbüschel -der Urodelen direkt
als ein Produkt der eigenthümlichen Regenerations-
pröcesse im Hoden auffassen.
Versuchen wir nun uns ein Bild der Vorgänge der Sperma-
togenese zu entwerfen, wie sie im Laufe eines Jahres sich ab-
spielen, so dürfte dies folgendes sein.
Aus den am oberen Pole des Hodens gelagerten indifferenten
Keimzellen, den Spermatogonien,, bilden sich durch successive in-
direkte Kerntheilungen im Frühjahre anfangs solide Hodenstränge,
die bald in Hodenkanälchen übergehen, deren Wand aus den
Spermatoeysten besteht. Diese wachsen mit Beginn des Sommers
bedeutend heran und die Inhaltszellen derselben, die Sperma-
tocyten, erzeugen auf dem Wege mehrfacher Theilungen die ei-
gentlichen Samenzellen, die Spermatiden. In bestimmter Weise
gegen die im Kanälchenlumen angehäuften Follikelzellen orientirt,
gehen dann die Spermatiden ihrer Verwandlung in fertige Sper-
matozoen während des Sommers und des Herbstes entgegen. Wird
dann in der Befruchtungsperiode im Frühjahre das während des
Jahres gebildete Samenmaterial verbraucht, so bleiben nur noch
mit Follikelzellen erfüllte Kanälchen zurück, die dann einer re-
sressiven Metamorphose anheimfallen. Das äusserst merkwürdige
an diesem ganzen Prozesse besteht also darin, dass die Vorgänge
der Histiogenese des Hodens, die wir bei den übrigen Wirbel-
thieren in der Jugend vor der Zeit der Geschlechtsreife ablaufen
sehen, sich bei den Urodelen in jedem Jahre auf’s Neue abspielen
und dass wir das indifferente Stadium der Geschlechtsanlage der
Larve während des ganzen Lebens des fertigen Thieres persistiren
sehen als ein immerwährendes Depot, aus dem Jahr für Jahr das
nöthige Samenmaterial neu ergänzt werden muss.
VII. Die Degenerationsvorgänge im Salamanderhoden.
Flemming(2) war wohl der erste, der unsere Aufmerksamkeit
auf eigenthümliche Vorgänge lenkte, die im Salamanderhoden statt-
finden und die er selbst als Degenerationsprocesse deutet. In
100 Dr. F. Hermann:
den Kernen der Spermatoeyten tritt nach Flemming eine diffuse
Vertheilung des Chromatius ein und es zeigt sich der tingirbare Chro-
matinklumpen von einzelnen oder mehrfachen Vaenolen durehsetzt ;
dabei findet eine Verkleinerung des Kernes und Hand in Hand damit
ein Untergang der ganzen Zelle statt.
Es soll auf diese eigenthümlichen Vorgänge auch an dieser
Stelle eingegangen werden, da unsere Präparate einen etwas ein-
gehenderen Blick in diese Verhältnisse erlaubten, als es Flemming
gelungen zu sein scheint. Wenn derselbe von einer Vacuolisirung
des Kernes spricht, so muss ich ihm im Allgemeinen Recht geben,
allein es handelt sieh dabei nicht um eine Durchsetzung des zusammen-
geballten, im Kern diffus vertheilten Chromatins mit kleineren oder
grösseren Vacuolen, sondern es wird der ganze Kern in eine grosse
Vaeuole verwandelt und dadurch das Chromatin in Form eines
derben, in seinen einzelnen Balken siebförmig durchlöcherten Netz-
werkes an der Kernmembran niedergeschlagen (Fig. 48). Die ge-
formte achromatische Substanz des Kernes aber ballt sieh zu einer
kleinen, im Inneren des Kernes liegenden Kugel zusammen, die
dureh einige wenige Fädchen mit der achromatischen Kernmem-
bran in Zusammenhang steht und auf ihrer Oberfläche mit feinen
Chromatinpünktehen besetzt ist. Neben dieser morphologischen
Veränderung der Kernstructur hat auch eine chemische Platz ge-
griffen, in sofern als nun das beschriebene chromatische Netzwerk kein
Attraetionsvermögen mehr für Gentianaviolett besitzt, sondern aus-
schliesslich das Saffranin festhält, gerade so, wie ich (38) das in
einer früheren kleinen Mittheilung als ein allgemeines Characteristi-
kum degenerirender Kerne festgestellt habe.
Dadurch nun, dass der Kern sich allmählich mehr und mehr
verkleinert, müssen die derben Balken des Chromatinnetzes mit
einander verschmelzen und wir sehen bald, dass die niederge-
schlagene chromatische Kernsubstanz die Gestalt schalenförmiger
Schollen annimmt (Fig. 49), die von feinen Oefinungen siebartig
durchbrochen sind; es entsteht dadurch ein ungemein zierliches
Bild, das einigermaassen an Bruchstücke von Foraminiferenschalen
erinnert. Die stetig zunehmende Verkleinerung des Kernes lässt
aber diese feinen Oeffnungen bald verschwinden (Fig. 50. 51), die
derben Chromatinschollen ziehen sich immer mehr zusammen und
endlich wird unter dem Drucke dieser allmählichen Contraetion
die achromatische Kugel ausgepresst (Fig. 52) und in das Proto-
Beiträge zur Histologie des Hodens. 101
plasma hereingeschleudert. In diesem hat ebenfalls eine weit-
sehende Degeneration stattgefunden, auch die Achromatinkugel geht
ihrer allmählichen Auflösung entgegen, wodurch die an ihrer Ober-
fläche haftenden Chromatinkörnehen frei werden und nun in dem
Zellendetritus als feine, färbbare Pünktchen gelegen sind. Bald
aber verlieren sie sowohl, als auch die Chromatinschollen des
Kerns jede Fähigkeit, Farbstoffe aufzunehmen (Fig. 53), eine feine
Detritusmasse, die verschieden grosse, durch Osmium braun bis
sraugrün gefärbte Körner in sich beherbergt, stellt dann den letz-
ten Rest der untergegangenen Samenzellen dar (Fig. 54. 55).
Sehen wir uns nun, nachdem wir den feineren Vorgängen,
welche bei dem Untergange der Samenzellen sich abspielen, unsere
Aufmerksamkeit geschenkt haben, um nach jenen Stellen im
Salamanderhoden, wo es überhaupt zu einem solchen Degenerations-
process kommt, so mag vor allem bemerkt werden, dass derselbe
an solehen Spermatoeysten, in denen die Umbildung der Samen-
zellen in Spermatosomen stattfindet, niemals zu finden ist, wie
diess ja auch von Flemming beobachtet wurde. Stets sind es
solehe Spermatoeysten, deren einzelne Elemente wir noch als
Spermatoeyten, also als Zellen auffassen müssen, die noch vor der
Bildung von Spermatidengenerationen auf dem Wege der hetero-
typischen Kerntheilung stehen; solche Spermatocysten gehen dann
aber, wenn der Degenerationsprocess in ihnen einmal begonnen
hat, vollständig zu Grunde, es bleibt von ihrem Inhalt nur mehr
ein unregelmässiges zartes Netzwerk übrig, in dem noch einzelne
theils gefärbte, theils farblose Kernreste nachweisbar sind (Fig. 55),
die die Wand bildenden Follikelzellen aber bleiben noch lange
bestehen, sie scheinen dem Untergange erst weit später entgegen-
zugehen (Fig. 55). Nicht nur einzelne Spermatocysten können
auf die beschriebene Art zu Grunde gehen, sondern es kommt
sar nicht so selten auch zu einer streckenweisen Öbliteration
ganzer Hodenkanälchen (Fig. 54), aber auch hier sehen wir mitten
im Detritus der untergegangenen- Samenzellen noch unversehrte
Kerne von Follikelzellen, die dadurch deutlich genug in’s Auge
fallen, dass sie, gerade so wie die Kerne der Stützzellen des
Mäusehodens, durch die dort beschriebenen eigenthümlichen Nu-
eleolenbildungen ausgeseichnet sind.
Fragen wir uns nun, ob dieser Zerstörungsprocess im Sala-
mander als etwas normales zu betrachten ist und welche Bedeu-
102 Dr. F. Hermann:
tung ihm wohl beizumessen sein dürfte, so mag daran erinnert
werden, dass gerade in den keimbereitenden Organen eine spätere
theilweise Atrophie des ursprünglich gebildeten Zellmateriales
etwas ganz gewöhnliches is, wie diess namentlich für das Ovarium
als allgemein bekannte Thatsache zu betrachten ist. Die Natur
verfährt eben bei der Anlage der keimbereitenden Drüsen nicht
so engherzig und haushälterisch, dass sie nun jede einzelne, ein-
mal gebildete Keimzelle ihrer definitiven Reifung, sei es zum
reifen Ei, sei es zum fertigen Spermatozoon, entgegenführen müsste.
Auch der Umstand, dass die Samenzellen noch bevor sie in diesen
Process der Reifung eintreten, also, wenn ich so sagen darf, in
. gewissermaassen jugendlichem Zustande der Zerstörung anheim-
fallen, darf uns nicht Wunder nehmen; sehen wir doch, dass die
Atresie der Eifollikei im Säugethierovarium vorzugsweise an solchen
Follikeln erfolgt, die von ihrer definitiven Grösse noch weit ent-
fernt sind. Die Anlage von keimbereitendem Material findet eben
in solcher Reichhaltigkeit statt, dass es nur natürlich erscheinen
muss, wenn einzelne Zellcomplexe, durch die allgemein so intensiv
erfolgende Neubildung in ungünstigere Ernährungsverhältnisse
gebracht, die definitive Reife nicht erlangen, sondern schon früher
im Kampf ums Dasein zu Grunde gehen.
Noch an einer anderen Stelle des Salamanderhodens werden
wir Processen der Degeneration begegnen müssen; ich erwähnte
oben schon, dass bei der Ausstossung der fertigen Samenfäden in
den Hodenkanälchen nur mehr die Follikelzellen übrig bleiben.
Unmöglich können sich dieselben, sind sie doch reine Stütz-
elemente, wieder in Junge keimbereitende Zellen umwandeln, sie
müssen daher allmählich einer langsamen Degeneration entgegen-
sehen. Und so sehen wir denn — namentlich lässt sich dies
schön an Tritonen aus dem ersten Frühjahre beobachten -— dass
in den entleerten llodenkanälchen ein langsames Zugrundegehen
der restirenden Follikelzellen stattfindet. Dieselbe erfolgt aber
nicht in der bei den degenerirenden Spermatocyten erwähnten
Weise, sondern es findet die Atrophie der Kerne in einfacherer
Art statt unter Bildung jener sog. chromatolytischen Figu-
ren, wie sie bei dem Zugrundegehen von Kernen allgemein vor-
zukommen pflegen.
Erlangen, April 1889.
Beiträge zur Histologie des Hodens. 103
Literaturverzeichniss!?).
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Spermatozoen bei Salamandra maculosa. Archiv f. mikr. Anat. 31. 1. 1887.
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— — Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fecondation et la di-
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— — et A. Neyt. Nouvelles recherches sur la fecondation et la divi-
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7. G. v. Wiedersperg. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Sa-
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Bau der Samenfäden einiger Säugethiere. Verhandl. der phys. med. Ges. Würz-
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1) Es sollen nur diejenigen Publikationen hier angegeben werden, auf
welche im Texte verwiesen wurde.
104 Dr. F. Hermann:
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22. A. v. Brunn. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Samen-
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30. C. K. Hoffmann. Zur Entwicklungsgeschichte der Urogenital-
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f. mikr. Anat. Bd. 12. 1876.
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35. M. Nussbaum. Beiträge zur Differenzirung des Geschlechtes im
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burg. III. 1872.
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Anat. Anzeiger. III. Jahrg. Nr. 2 u. 3. 1888.
Beiträge zur Histologie des Hodens. 105
Figurenerklärung zu Tafel III und IV.
Zu meinen Untersuchungen standen mir zwei jener vorzüglichen Apo-
chromat-Systeme für homogene Immersion von Zeiss (Num. Ap. 1,3. Brennweite
2,0 u. 3,0) zur Verfügung. Wo nicht anders angegeben, sind sämmtliche Fi-
euren bei Benutzung dieser Objective mit den Ocularen, 2, 4, 8 u. 12 mit
dem Abbe’schen Zeichenapparat gezeichnet, und zwar wurden nicht nur die
Zelleontouren mit der Camera lucida entworfen, sondern auch die feineren
Details (Chromatinschleifen etc.) mit derselben eingetragen.
Fig.
Fio
D'
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fie.
Fig.
Fig.
Fig,
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Salamandra maculosa.
1. Reife Spermatocyste. (Die Schwanzfäden nicht ganz gezeichnet.)
a. Follikelzelle.. 333/1.
2 u. 3. Spermatiden mit Nebenkern. 1000/1.
4. Einstellung des Nebenkernes auf der Kernperipherie der Sperma-
tide. 1000/1.
5—12. Entwicklung des Mittelstückes und des Flossensaumes der Sper-
matosomen. Fig. 5—9. 1000/1. Fig. 10—12. 667/1.
13. Spermatoeyte mit farblosem Nebenkern. 1000/1.
14—23. Heterotypische Theilung des Spermatocytenkernes und Rolle
des Nebenkernes bei derselben. 667/1.
Maus.
24. Spermatoblast (v. Ebner). 1000/1.
25. Zwei neugebildete Spermatogonien. 1000/1.
26—28. Spermatogonien in verschiedenen Entwicklungsstadien. 1000/1.
29. Spermatogonie im Stadium des engen Knäuels (growing cells). 1000/1.
30. Spermatocyte im Spiremstadium mit Nebenkern. 1000/1.
3la.b. Spermatocyte in der Umwandlung zur Metakinese. 1000/1.
32. Spermatocyte im Stadium der Metakinese mit den Polarkörperchen.
1500/1. .
33. Spindelpol von oben betrachtet mit den Polarkörperchen. (Apathy’sche
Hämatoxylintinetion.) 1000/1.
34. Spermatocyteim Stadium des Dyastersmit dem Polarkörperchen. 1000/1.
35. Spermatide mit dem Nebenkern und der Anlage der Kopfkappe. 1000/1.
36. Erste Veränderung an der Spermatide. 1000/1.
37—41. Umwandlung der Spermatide in das Spermatozoon. 1000/1.
42. Unreifes Spermatozoon mit dem Spiralfaden des Verbindungsstückes,
(Apathy’sche Hämatoxylintinction. Gentianaviolett.) 1000/1.
106 Dr. F. Hermann: Beiträge zur Histologie des Hofdens.
Salamandra maculosa.
Fig. 43. Bildung des Nebenkernes in einer Spermatocyte. 1000/1.
Fig. 44a—d. Regeneration des Salamanderhodens (halbschematisch). (Die
Kerne der Spermätogonien braun, die Follikelzellkerne violett,
die Bindegewebskerne roth.) 167/1.
a) Ursprüngliches (embryonales) Stadium.
b) Bildung der soliden Hodenstränge.
c) Bildung der Hodenkanälchen.
d) Fertige Spermatocysten.
Fig. 45. Spermatogonie aus dem oberen Pole des Hodens. a) Follikelzelle.
667/1.
Fig. 46. Kern einer solchen Spermatogonie. Salpetersäure 30/,. Hämatoxylin.
667/1.
Fig. 47. Junge Spermatocyte. 667/1.
Fig. 48—53. Degenerationsformen der Spermatocyten. 667/1.
Fig. 54. Degenerirte Spermatocyste.
Fig. 55. Obliterirtes Hodenkanälchen. a) Follikelzellen. Seibert V. Oc. 1
305/1.
Ueber die Haut des Neunauges.
Von
L. Pogojeff.
Hierzu Tafel V.
Die Haut des Neunauges (Petromyzon fluviatilis) ist vielfach
Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung gewesen. Insbesondere
sind es einzelne Hautbestandtheile gewesen, für welche viele Autoren
sich interessirten ; jedoch istWieles in dieser interessanten Frage
bis jetzt räthselhaft und unentschieden geblieben, trotzdem dass
die Untersuchungen gewissenhaft ausgeführt wurden. Die einander
widersprechenden Schlüsse, zu welchen die Autoren bei ihren Un-
tersuchungen gelangt sind, machen es einerseits wünschenswerth,
wenn auch nur Einiges zur Klärung dieser dunklen Frage heizu-
tragen, andererseits lassen sie die Voraussetzung zu, dass diese
Frage, so vielfach behandelt und mit verschiedenen Resultaten,
Ueber die Haut des Neunauges. 107
unstreitig Schwierigkeiten in sich berge, von deren Vorhandensein
im Laufe unserer Arbeit wir uns sehr bald überzeugen konnten,
Schwierigkeiten, welche zu beseitigen auch uns nicht vollständig
gelungen ist.
Im vorigen Jahre haben wir in unserer Arbeit über das Ge-
ruchsorgan des Neunauges !) mit wenigen Worten hingewiesen auf
recht eigenartige Zellen, welche sich in der Haut von Petromyzon
fluviatilis vorfinden. Diese Zellen, nach Max Schultze wegen
ihrer Form recht treffend als kolbenähnlich bezeichnet, sind zuerst
von Kölliker entdeckt und später von Max Schultze genau
untersucht worden; jedoch haben diese angesehenen Forscher sich
über die Natur der erwähnten Zellen vollständig entgegengesetzte
Ansichten gebildet. Da es uns im vorigen Jahre, wie oben er-
wähnt, unmöglich war, längere Zeit bei dieser Frage zu verweilen,
so haben wir nur kurz das Resultat unserer flüchtigen Beobachtung
mitgetheilt, welches uns von der Richtigkeit der Ansicht Max
Sehultze’s, die erwähnten Zellen seien als nervöse Elemente auf-
zufassen, vollständig überzeugte. Seit der Zeit beschäftigten wir
uns etwas eingehender mit der Untersuchung der Haut des Neun-
auges und sind noch mehr überzeugt worden von der Richtigkeit
unserer im vorigen Jahre gefassten Meinung.
Die Haut von Petromyzon fluviatilis ist, wie bereits erwähnt,
vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung gewesen. So
viel uns bekannt ist, hat Heinrich Rathke (l) im Jahre 1826
zuerst die auf der Haut des Neunauges zerstreut liegenden Grüb-
chen beschrieben und ihnen die Bedeutung schleimabsondernder
Organe beigemessen. Nach ihm beschäftigte sich im Jahre 1854
mit dieser Frage Stannius (2), darauf folgen die Arbeiten von
Kölliker (#), Max Schultze (4), F.E.Schulze (5), H. Müller (6),
Arbeiten, welche wir im Laufe unserer Abhandlung bei jeder Ge-
legenheit werden erwähnen müssen. Vor nicht allzu langer Zeit,
im Jahre 1873, hat Langerhans#7) eine wenn auch kurze, so
doch erschöpfende Monographie über Petromyzon Planeri ver-
fasst. Vorliegende Arbeit handelt von Petromyzon fluviatilis.
Die Methoden, deren wir uns bei vorliegender Untersuchung
bedienten, waren recht mannigfaltige. Die angefertigten Präparate
1) Ueber die feinere Struktur des Geruchsorganes des Neunauges. Von
L. Pogojeff. Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. XXXI.
108 L. Pogojeff:
waren zweierlei Art und entsprachen zwei verschiedenen Zwecken:
einmal waren es Schnittpräparate, weiche uns ein allgemeines Bild
des Gewebes und der gegenseitigen Anordnung der einzelnen Ele-
mente desselben lieferten, dann aber Präparate des macerirten
Gewebes, welche uns einen genauen Einblick in den feineren hi-
stologischen Bau der einzelnen Gewebselemente gestatteten. Zur
Herstellung von Präparaten ersterer Art war es nothwendig die Haut
von Petromyzon fluviatilis zu härten, zu welchem Zwecke fast alle
in der Histologie hierfür gebräuchlichen Mittel in Anwendung ge-
zogen wurden, wobei erwähnt werden muss, dass wir die besten
Resultate erzielten bei Anwendung von Alkohol als Härtungsmittel
mit nachfolgender Bearbeitung mit Gold und Färbung mit Pikro-
carmin, Hämatoxylin u. a. Nicht übel waren auch Präparate,
welche wir erhielten nach Einwirkung von Holzessig auf frisches
Gewebe und folgender Härtung in Alkohol. Bei letzterer Art der
Behandlung differenziren sich die einzelnen Gewebselemente ganz
ausgezeichnet, sie sind gewissermaassen von einander getrennt, ohne
dass dabei Runzelung auftritt, wie es sonst zu geschehen pflegt,
wenn frisches Gewebe direkt dem Alkohol der Härtung überliefert
wird. Die auf diese Weise gehärteten Präparate wurden wie ge-
wöhnlich in Nelken- oder Terpentinöl aufgehellt und in Paraffin
eingeschlossen, für das Mikrotom vorbereitet. Darauf wurden die
Schnitte serienweise auf die Objektträger gebracht oder nach sorg-
fältigem- Auswaschen von Paraffin und Terpentinöl befreit, in eine
Mischung von Alkohol 1/;, und 50 °/,iger Essigsäure gebracht.
"In dieser Mischung wurden die Präparate 3—20 Tage lang be-
lassen und erhielten nach dieser Zeit recht wichtige Eigenschaften:
das Gewebe lockerte sieh, die Gewebselemente wurden durch-
sichtig, wiesen eine deutliche Dissociation auf und eine Menge
Details boten sich in deutlicher Weise dem Auge dar. Nach dieser
Methode war es uns möglich recht deutlich den Verlauf der Ner-
venfasern in der subepithelialen Schicht der Haut zu verfolgen.
Zur Herstellung von Präparaten zweiter Art, welche uns zur Un-
tersuchung der einzelnen Gewebselemente dienen sollten, nahmen
wir die Maceration kleiner Hautstücke in verschiedenen Härtungs-
flüssigkeiten vor, wie Alkohol 1/,, schwefeliger Säure, Glycerin,
nach vorheriger Behandlung mit Gold ete. Ein jedes dieser Rea-
sentien erwies sich als geeignet für eine bestimmte Art der Ge-
webselemente so, dass nach dieser Methode der Bearbeitung das
Gewebe das beste Bild darwot.
Ueber die Haut des Neunauges. 109
Bekanntlich besteht die Haut des Neunauges (Fig. 12) aus
drei Schichten, einer epithelialen Schicht, dem Corium und einem
lockeren Unterhautzellgewebe. Die beiden ersten Schichten wer-
den getrennt durch die Basalmembran, welche auf ihrer Oberfläche
Epithelzellen trägt. Diese Membran besteht aus einem Geflecht
feinster Bindegewebsfasern mit netzartiger Anordnung so, dass
viele Lücken sichtbar sind, welche wahrscheinlich dazu dienen
die zum Epithel hinziehenden Nerven und Gefässe aufzunehmen.
Auf der äusseren, dem Epithel zugewandten Fläche dieser Mem-
bran sieht man häufig feine Nervenabschnitte. Das Corium besteht
aus einem dichten Geflecht von Bindegewebsfasern und einzelnen
elastischen Fasern. Auf den Bindegewebsfasern sieht man nicht
selten recht deutlich Bindegewebszellen, welche mit Carmin in-
tensiv roth gefärbt wurden. An der Stelle, wo das Corium in das
lockere Zellgewebe übergeht, findet sicb eine Menge Pigmentzellen,
von denen viele mit verästelten Fortsätzen versehen sind. Der
untere Theil der lockeren Zellgewebsschicht besteht ebenfalls aus
Bindegewebe und führt grosse, leere Räume — Lymphräume —,
welche besonders ausgebildet sind in der Region des Kopfes von
Petromyzon fiuviatilis; auch sieht man hier ebenfalls Nerven und
Gefässe, zum grössten Theil im Querschnitt.
Das grösste Interesse bietet die erste von den eben beschrie-
benen Hautschichten d. h. die Epithelschicht; daher gehen wir
sogleich zur genaueren Beschreibung derselben über. Die Epithel-
schieht der Haut des Neunauges besteht aus einem mehrschich-
tigen Epithel, welches aus sehr verschieden gearteten Zellen zu-
sammengesetzt ist. In dieser Schicht befinden sich, über den
ganzen Körper des Neunauges vertheilt, besonders aber im oberen
Theil des Kopfes und dem Rücken entlang Gebilde besonderer
Art, auf welche wir weiter unten zurückkommen werden.
Unter den Epithelialzellen (Fig. 1, 2, 3,4) werden am häufig-
sten angetroffen grosse, schüsselförmige Zellen, welche in der Tiefe
mehr gestreckt, an der Oberfläche dagegen mehr abgeflacht sind;
diese Zellen färben sich mit den meisten Farbstoffen schlecht. Ihr
Inhalt hat eine flüssige Beschaffenheit mit kaum merklicher Kör-
nung. Jede dieser Zellen besitzt einen grossen, intensiv färbbaren
Kern, welcher im unteren Theil der Zelle gelegen ist; seine Form
ist selten rund, zum grössten Theil oval; bisweilen hat er die
Gestalt eines kleinen Stäbehens, welches im unteren Theil der
110 L. Pogojeft:
Zelle gelegen, senkrecht zur Längsrichtung derselben steht. An
gelungenen Präparaten sieht man von diesen Zellen nach unten
einen Fortsatz abgehen, welcher wahrscheinlich zur Vereinigung
der Zellen mit einander dient. Riffe und Stacheln an diesen Zellen,
wie sie von F.E.Schulze und Langerhans beschrieben sind,
konnten von uns nicht wahrgenommen werden. Die Ränder der
Zellen sind glatt und es findet sich zwischen denselben eine sehr
dünne, kaum wahrnehmbare Schicht einer strukturlosen Intercellu-
larsubstanz. — Die Zellen der äussersten Schicht besitzen an ihrer Aus-
senfläche eine Cuticula, welche mit senkrechten Streifen versehen ist.
Langerhans hält sie für Porenkanälchen. Diese Zellen nehmen,
wie wir bereits gesehen haben, den äusseren und mittleren Theil
der epithelialen Decke ein; die untersten Schichten bestehen aus
kleinen eylindrischen Zellen, welche sich intensiv färben lassen
und einen Kern aufweisen. Wir betrachten diese Zellen als soge-
nannte Ersatzzellen. — Unter ihnen finden sich in geringer Menge
_ noch Zellen (Fig. 11), deren Leib fast rund ist; sie sind klein
und besitzen einen grossen Kern; ausserdem geht von zwei ent-
gegengesetzten Polen derselben je ein Fortsatz ab. Diese Zellen,
von denen wir noch zu sprechen haben werden, halten wir für
Nervenzellen, wenngleich es uns nicht gelungen ist, einen direkten
Zusammenhang zwischen ihnen und den Nervenfasern aufzufinden.
Schliesslich finden sich hier noch Becherzellen vor, welche von
F. E. Schulze genau beschrieben sind; etwas Besonderes haben
wir an ihnen nicht weiter bemerken können.
Ausser diesen Zellen findet man in der epithelialen Schicht
der Haut des Neunauges in grosser Menge die bekannten, bereits
oben erwähnten, kolbenförmigen Gebilde (Fig. 5, 6, 7). Sie sind
zuerst von Kölliker entdeckt und als einzellige Schleimdrüsen
bezeichnet worden. Max Schultze bestritt diese Ansicht und
bewies, dass Kölliker selbst hinsichtlich ihrer Lage in der Haut
sich getäuscht hatte; da seiner Beschreibung nach diese Zellen
mit ihrem schmäleren, wahrscheinlich offenen Theil zur Peripherie
der Haut hin gerichtet waren, während in der Wirklichkeit der
geblähte, vollständig geschlossene Theil zur Peripherie hinsieht
und der schmale Theil der subepithelialen Bindegewebsschicht
dicht aufliegt. Max Schultze bezeichnet sie in seiner gediegenen
Arbeit als kolbenförmige Gebilde oder einfach als Kolben und be-
schreibt sie folgendermaassen: Diese Kolben lassen sich im frischen
Ueber die Haut des Neunauges. 111
Zustande schwer isoliren, sie zeichnen sich aus durch einen beson-
deren Glanz und sind stark lichtbrechend. Sie haben nur wenig
Protoplasma, welehes in Form eines Klümpchens im oberen, ge-
blähten Theil des Kolbens liegt. In diesem Protoplasmaklümpchen
finden sich gewöhnlich zwei rundovale Kerne mit je einem Kern-
körperehen. Der das Protoplasmaklümpchen umgebende Theil der
Zelle, ebenso wie auch ihr unterer verlängerter Theil besteht aus
einer festen homogenen, das Licht stark brechenden Masse, welche
entstanden ist durch allmähliche Verdichtung des Zellinhaltes, d.h.
Max Scehultze nimmt an, dass die Kolben, indem sie keine Diffe-
renzirung darbieten, hinsichtlich ihrer Hülle und ihres Inhaltes
aus einem Eiweissstoff bestehen, welcher in der Peripherie der
Zelle bedeutend modifieirt ist, und seinen ursprünglichen Charakter
beibehalten hat in dem geblähten Theil des Kolbens und zum Theil
auch in der Mitte des Halses der Zelle, wo die Substanz in Form
kleiner, getrennter Klümpehen auftritt. In dem breiten Theil des
Kolbens sieht man, ganz besonders an mit Alkohol behandelten
Präparaten eine concentrische Streifung, hauptsächlich um das
Protoplasmaklümpchen herum ; am Halse des Kolbens geht dieselbe
in eine kaum wahrnehmbare Längsstreifung über. Nach Behand-
lung der Präparate mit doppeltehromsaurem Kali verschwindet an
dem breiten Theil des Kolbens die concentrische Streifung und
an ihrer Stelle sieht man am Halse des Kolbens eine Querstreifung
auftreten, welche sehr an die Querstreifung der Muskelprimitiv-
bündel erinnert. Max Schultze betrachtete diese Kolben im pola-
risirten Lichte und die dabei erhaltenen Resultate zwangen ihn zu
der Annahme, dass der Hals des Kolbens, ähnlich den Muskel-
fibrillen aus einer einfach- und einer doppeltbrechenden Substanz
bestehe, die jedoch auf embryonaler Stufe der Entwickelung sich
befinde.
Alle diese Eigenthümlichkeiten, in Folge deren die Kolben
von den sie umgebenden Zellen sich unterscheiden, setzten Max
Scehultze in Verlegenheit hinsichtlich der Natur der Gebilde.
Nachdem er die Ansicht Köllikers, die Kolben seien einzellige
schleimabsondernde Drüsen, bei Seite geworfen hatte, blieb er bei
der Möglichkeit stehen, die Kolben seien Endapparate der Haut-
nerven, vielleicht muskulären Charakters. Nur ein Umstand ge-
stattete ihm nicht mit voller Bestimmtheit diese Ansicht aufrecht
zu erhalten, nämlich die Unmöglichkeit, die direkte Verbindung
112 L. Pogojeff:
der Kolben mit den Nervenfasern aufzufinden. Wenngleich er
auch sah, dass feine Fäden durch das Corium hindurch zu den
Kolben hinzogen, so war er doch dessen nicht sicher, ob es wirk-
lich Nervenfasern waren oder blos Bindegewebsfasern.
F. E. Sehulze in seiner Arbeit „Ueber Epithel- und Drüsen-
zellen“, hat ebenfalls seine Aufmerksamkeit auf diese Kolben ge-
richtet; jedoch betrachtete er sie von einem anderen Gesichts-
punkte aus als Max Schultze. Er untersuchte genau die Kolben
der Haut vieler Fische und sich stützend auf die Resultate von
H. Müller, welcher die Kolben der Haut von Petromyzon Planeri
untersucht hat, sagt er aus, dass sowohl bei den vielen von ihm
untersuchten Fischen als auch bei Petromyzon Planeri bei Weitem
nicht alle Kolben dem Corium genau anliegen, sondern viele von
ihnen frei dastehen inmitten des Epithels in verschiedener Ent-
fernung vom Corium. Mit der Annäherung der Kolben zur Peri-
pherie der Haut geht seiner Meinung nach Hand in Hand ge-
wissermaassen eine Fettdegeneration derselben, wobei er sogar be- .
merkte, dass diejenigen Kolben, welche sich in den obersten
Schichten des Epithels befinden, ihren Inhalt nach Aussen ent-
leeren. Der Aal und das Neunauge wiesen jedoch stets ein dichtes
Anliegen der Kolben an das Corium auf, ohne jemals die Peripherie
der Haut zu erreichen. Einmal sah er in einem Kolben der Haut
des Aales Fetttröpfehen und bei den Neunaugen nicht selten an
dem oberen geblähten Ende des Kolbens die Bildung einer Oeff-
nung, durch welche wahrscheinlich der Inhalt entleert wird. Dieser
Umstand, ebenso wie die Abwesenheit einer Querstreifung in den
Kolben der übrigen Fische und sogar von Petromyzon Planeri,
welcher ja so nahe verwandt ist mit Petromyzon fluviatilis, bewogen
ihn zu der Annahme, die Kolben seien eher Talgdrüsen der Haut
und entsprächen den Talgdrüsen bei den höher organisirten
Thieren.
Unsere Untersuchungen hinsichtlich der genannten Kolben
haben uns im Allgemeinen zu demselben Resultate geführt, wie
auch Max Schultze; dabei gelang es uns einige nieht uninter-
essante Einzelheiten, den Bau der Kolben betreffend, aufzufinden,
welche, wie uns scheint, beweiskräftig genug sind, die Wahrheit
unserer Ansicht von dem nervösen Charakter dieser Kolben zu
bestätigen.
Ueber die Haut des Neunauges. 113
Diese Kolben wurden von uns untersucht sowohl an Schnitt-
präparaten, als auch an macerirten Präparaten. Wie an diesen,
so auch an jenen fanden wir, dass die Form der Kolben genau
übereinstimmte mit der für sie von Max Schultze gegebenen Be-
zeichnung; wir unterlassen daher, um Wiederholungen zu vermei-
den, die Beschreibung derselben.
Die Kolben lassen sich von den sie umgebenden Zellen und
von der Basalmembran, auf welcher sie aufsitzen, durch Maceration
leicht trennen. Bei genauerem Zuschauen kann man die Kolben
theilen in zwei Arten; den oberen, geblähten Theil haben beide
Arten gemeinsam; ein Unterschied ist wahrzunehmen nur in dem
unteren Theil, welcher bei der einen Art von Zellen bedeutend
kürzer und breiter erscheint und so zu sagen an seiner Basis ab-
sekappt ist; häufig sieht man an der Basis Vorwölbungen, wahr-
scheinlich durch Dehnung der Membran gebildet. Die Zellen
zweiter Art sind sehr lang in vertiecaler Richtung; dabei ist
ihr Ende entweder abgekappt oder zu einem mehr weniger
langen Faden ausgezogen. Ein solcher Längenunterschied der
Kolben ist auch auf Hautschnitten zu erkennen. — Mit ihren
unteren Enden lagern sämmtliche Kolben dem Corium an,
während die breiten, geblähten Enden fast bis an die Haut-
peripherie gehen, ohne jedoch bis an die äusserste Epithel-
zellenschieht zu gelangen. Wir glauben annehmen zu dürfen,
dass die Längendifferenz der Kolben in Abhängigkeit zu bringen
sei von dem verschiedenen Alter derselben, so zwar, dass die nie-
drigsten unter ihnen, d. h. diejenigen, welche sich eben über das
Gorium erheben, auch die jüngsten sind. Die niedrigsten Kolben
erscheinen uns kleiner in allen Dimensionen und diese Wahrneh-
mung überzeugt uns noch mehr, dass diese kleinen Kolben einem
frühen Stadium der Entwicklung angehören. Dieselbe Meinung
spricht auch F. E. Sehulze aus. Obgleich bei der Maceration
in Alkohol Y, und anderen Flüssigkeiten die unteren Kolbenenden
bisweilen in Fäden auslaufen, so sind diese Ausläufer doch immer
vollständig gerade; nicht so bei Behandlung der Haut mit schwe-
feliger Säure einige Tage hindurch: hierbei sind die Enden der
Kolben bedeutend verlängert und häufig korkzieherartig gewunden
zum Unterschied von den Kolbenenden, wie man sie nach irgend
einer anderen Art der Maceration erhält. Die eben erwähnte
Eigenthümlichkeit der Kolben findet unseres Wissens keine Er-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34, 8
114 L. Pogojeff:
wähnung in der Litteratur. Die Ursache dieser Eigenthümlichkeit
ist uns unverständlich. Es lässt sich nur Eins voraussetzen, wenn-
gleich auch dieses recht unwahrscheinlich ist, dass nämlich die
Zellen an den nur auf die erwähnte Weise hergestellten Präparaten
in verticaler Richtung ausgezogen erscheinen. Im polarisirten
Lichte haben wir die Kolben nicht untersucht. Beim Einwirken-
lassen von salpetersaurem Silber auf die Kolben trat eine regel-
mässige Querstreifung am Halse derselben auf, während der obere
Kolbentheil unverändert blieb, d. h. die deutliche concentrische
Streifung nicht verschwand. Nach Anwendung aller sonstigen
Färbemittel gelang es uns nicht eine ähnliche Querstreifung her-
vorzurufen. Ueberhaupt zeigen die Kolben, mit verschiedenen
Reagentien behandelt, nicht immer genau dasselbe Bild. Im All-
gemeinen jedoch ist allen Kolben dasjenige gemeinsam, dass sie
aus einer äusseren Hülle und einem in der Zelle eingeschlossenen
Gebilde bestehen, das wir als Cylinder bezeichnen wollen und
welches, sich verjüngend, dem Halse des Kolbens entlang sich
hinzieht. Bei Behandlung mit verschiedenen Färbemitteln tritt
eine mehr weniger deutliche eoncentrische Schichtung auf; im
Innern des Kolbens befindet sich ein Protoplasmaklümpchen mit
zwei Kernen und Kernkörperchen; alle diese Details treten jedoch
besser und deutlicher hervor bei Behandlung eines Hautstückchens
mit Gold nach irgend einer der gebräuchlichsten Methoden. Hier-
nach sieht man den oberen, geblähten Theil des Kolbens bestehen
aus scharf markirten eoncentrischen Streifen, an denen man stellen-
weise kleine Punkte wahrnehmen kann, welche sich wie kleine
Zellen ausmachen. Dieses Bild erinnert sehr an das Aussehen der
äusseren Hülle von Paeini’schen, Herbet’schen, Grandri’schen
Körpern, mit anderen Worten, wir können mit Recht sagen: die
Kolben sind ausgerüstet mit einer äusseren, endothelialen Hülle,
welche mit kleinen Zellen besetzt ist.
Bei dieser Art der Behandlung tritt auch der feinere Bau
des Kolbeninhalts, des Protoplasmaklümpchens nach Max Schultze,
viel deutlicher entgegen; auch an unseren mit Carmin, Saffranin
ete. tingirten Präparaten erschien der Kolbeninhalt zum grossen
Theil als Klümpehen. An den mit Gold behandelten Präparaten
bietet sich bei uns das Klümpehen nicht als eine formlose Masse
mit zwei Kernen dar, sondern als ein wohlorganisirter Körper in
Form eines Kolbens, welcher an den Seiten mit kaum wahrnehm -
Ueber die Haut des Neunauges. 115
baren Schüppchen oder richtiger Pünktchen besetzt ist und in
seinem oberen Theil in der That zwei Kerne oder wie uns scheint
zwei Zellen, eine jede von ihnen mit einem Kern ausgerüstet,
trägt. Die Lage dieser Zellen ist eine veränderliche; bald liegen
sie in dem obersten Abschnitte des Kolbens, bald bedeutend tiefer.
Von diesem innerem Cylinder aus zieht gegen den unteren Theil
des Kolbens, dem Halse desselben entlang ein Faden, welcher,
stellenweise unterbrochen, die äusserste Grenze des Kolbens er-
reicht, ja sogar, wenn auch in selten beobachteten Fällen, dieselbe
verlässt. Mit Gold behandelt nimmt dieses Gebilde sammt seinem
fadenförmigen Fortsatze eine mehr weniger intensiv violette Farbe
an, während der übrige Theil des Kolbens vollständig ungefärbt
bleibt. Vom inneren Cylinder führen zum inneren Theil der
äusseren Bedeckung des Kolbens feine, spiunwebenartige Fäden,
welche mit Gold sich violett nicht färben lassen. Der Faden im
Inneren des Kolbens hat bisweilen Aehnlichkeit mit einem Axen-
cylinder, welchem in seinem Verlaufe ausserordentlich kleine Zellen
in Form von Varicositäten anhaften. An gelungenen Präparaten
ist es möglich den Verlauf der Fäden zu verfolgen bis an die
Zellen des Kolbens, oder wie Max Schultze sie bezeichnet, die
Kerne des Kolbens, wo sie augenscheinlich ihr Ende nehmen.
Wie bereits oben erwähnt, können alle diese Details zum Theil
wahrgenommen werden an auch mit den sonstigen Reagentien be-
handelten Präparaten, aber es hat das Gold in dieser Beziehung
ohne Zweifel einen grossen Vorzug, und doch hat Niemand vor
uns, soviel uns bekannt ist, diese Methode der Behandlung der
erwähnten Zellen mit Gold in Anwendung gezogen.
Die soeben beschriebenen Details, welche wir an den Kolben
bemerkt haben, sind nicht an allen Präparaten deutlich ausge-
sprochen, sondern man findet häufig in einem Kolben das Eine,
in einem anderen das Andere der Einzelheiten deutlich markirt
und nur hin und wieder stösst man auf Kolben, in denen man
deutlich die concentrische Streifung der Zellenhülle, den inneren
Cylinder, die oberen und seitlichen Zellehen und den Faden,
welcher durch den Hals des Kolbens hindurch zu den im oberen
Theil desselben gelegenen Zellen hinzieht, wahrnehmen kann.
Ein genaues Studium der erwähnten Kolben führt unwill-
kührlich auf den Gedanken, es hätten die Kolben viel Aehnlich-
keit mit denjenigen Endigungen der Tastnerven, welche sieh in
116 L. Pogojeff:
der Haut höher organisirter Thiere vorfinden, den Pacin i’schen
Körperchen und wie sie von Grandri und Anderen beschrieben
sind. Und in der That sehen wir, wie hier so auch dort, eine
äussere Hülle, aller Wahrscheinlichkeit nach aus Endothelschichten
bestehend, dann einen im Innern gelegenen Cylinder und einen
Faden, wahrscheinlich den Nervenfaden, welcher in den inneren
Cylinder eintritt. Dieser innere Cylinder besteht, wie uns scheint,
aus einer körnigen Substanz und dient gleichsam als Kissen für
den in ihn eintretenden Nerv, welcher nach mehrfachen Windungen
in den hier befindlichen kleinen Zellen sein Ende erreicht; es sind
also diese kleinen Zellen die eigentlichen Endapparate der sen-
siblen Nerven.
Auf diese Weise ist unserer Meinung nach die Ansicht Max
Schultze’s, die Kolben von Petromyzon seien Nervengebilde, ganz
richtig. Damit nun in dieser Beziehung auch nicht einmal eine
Spur des Zweifels obwalten könnte, hätte man die unmittelbare Ver-
bindung dieser Elemente mit den Nervenfasern nachweisen müssen ;
jedoch ist nun dieses einstweilen nicht gelungen, obgleich wir
an Hautschnitten im Corium mehrmals Nervenfäden sahen, welche
ihren Verlauf zum Epithel nehmen und sich in der Nähe desselben
in feinere Aeste theilen, welche wir aber ihrer ganz besonderen
Feinheit wegen bis zum Ende ihres Verlaufes nicht haben ver-
folgen können. An macerirten Präparaten ist es uns ebensowenig
gelungen, den Uebergang des Kolbenfortsatzes in‘ eine Nerven-
faser zu constatiren, obgleich, wie bereits erwähnt, der Fortsatz
bisweilen eine ungewöhnliche Länge erreicht. Der Misserfolg unserer
Beobachtung kann seine Erklärung darin finden, dass die Haut-
nerven, nachdem sie das lockere Zellgewebsstratum verlassen haben,
bei ihrem Durchgange durch das Corium vor dem Eintritt in die
Epithelschicht die Oeffnungen der Basalmembran passiren müssen
und dass bei dieser Gelegenheit die Nerven zerrissen. Dieses also wäre
wahrscheinlich derGrund, weshalb die Kolben von den Nerven getrennt
erscheinen und nur bisweilen aus ihrem verjüngten Ende ein kurzer
Faden abgeht, den man jedoch nieht mit absoluter Sicherheit für einen
Nervenfaden halten kann. Dieser Umstand erscheint uns eben als
ein Stein des Anstosses, den weder wir, noch Max Schultze zu
beseitigen vermochten; alles Uebrige spricht dafür, dass die Kolben
Nervengebilde seien. Wir sind überzeugt, dass in Zukunft einem
glücklicheren Beobachter es gelingen wird mit Hülfe vervollkomm-
Ueber die Haut des Neunauges. 117
neterer Methoden diese Frage ohne Widerrede in bejahender
Weise zu lösen.
F. E. Schulze bestreitet die nervöse Natur der Kolben aus
dem Grunde, weil er die Kolben bei einigen Fischarten und bei
Petromyzon Planeri im Epithel freiliegend und an die Basal-
membran nicht angeheftet fand. Diese Thatsache scheint uns von
keiner Bedeutung zu sein, ebenso wie auch das Vorhandensein
von Fetttröpfehen in seinem Falle. Auch wir trafen häufig Kolben
in der Haut von Petromyzon fluviatilis an, welche uns im Epithel
frei zu liegen schienen; dieser Fall trat immer ein, sobald die
Schnitte schräg ausfielen; und je schräger sie angelegt wurden,
um so deutlicher war diese Erscheinung. An Schnitten, welche
parallel der Längsaxe des Köpers gemacht wurden, boten sich die
Kolben dar in Form vollständig runder Körper mit eoncentrischer
Schichtung, den Endothelschichten entsprechend. An solchem schräg
ausgefallenen Schnitte hat nun F.E. Schulze die Kolben von der
Basalmembran getrennt und scheinbar frei im Epithel liegen gesehen.
Bekanntlich sind die Nerven von Petromyzon Axeneylinder
und aus diesem Grunde ihre genauere Untersuchung häufig er-
schwert; dieser Umstand macht sich besonders fühlbar bei der
Beobachtung der Hautnerven, weil in der Haut eine ungeheuere
Menge Bindegewebsfasern verläuft und die Hautnerven, ganz be-
sonders aber ihre feineren Verästelungen, sich nur sehr wenig von
den feinen Bindegewebsfasern unterscheiden lassen; nichtsdesto-
weniger gelingt es bei sorgfältiger Untersuchung, die aus dem
lockeren Zellgewebe kommenden Hautnerven in Form ziemlich
dicker Bündel zu verfolgen. Vor dem Eintritt der Nerven in das
Corium in der Höhe der Pigmentschicht konnte wahrgenommen
werden, dass auf dem Nervenstamm ein Nervenknoten sich befinde,
welcher aus äusserst kleinen, runden Nervenzellen mit je einem
Kern besteht. Soviel uns bekannt ist, hat noch Niemand auf diese
höchstinteressante Thatsache die Aufmerksamkeit gelenkt. Un-
geachtet der grossen Anzahl der von uns angefertigten Präparate,
haben wir die eben erwähnten Nervenknoten im Ganzen drei bis
vier Mal gesehen. Eine solche relative Seltenheit derselben findet
eine Erklärung darin, dass diese Knoten in einer Schicht liegen,
in welcher viele Pigmentzellen vorhanden sind; diese Pigment-
zellen verdecken die Nervenknoten, und es muss einem glück-
lichen Zufall zugeschrieben werden, wenn hin und wieder ein
118 L. Pogojeff:
Knoten sichtbar wird. Es gelang uns diese Nervenknoten aufzu-
finden nur an Präparaten, welche nach vorheriger Befreiung von
Paraffin und Terpentinöl, lange Zeit in einer Mischung von Alkohol
1/, und 50°%),iger Essigsäure lagen. Im Corium geht diese Thei-
lung der Nervenfasern vor sich; es ziehen ihre Aeste zu den
Epithelzellen und gerade von diesem Punkte an ist es schwierig
ihren weiteren Verlauf zu verfolgen. Die dünnen Nervenästchen
verlieren sich vollkommen in dem sie. umgebenden Gewebe so,
dass es unmöglich ist festzustellen, zu welcher Epithelzelle ein
Nervenästchen hinzieht.
Ausser den Kolben finden sich in dem Epithel der Haut von
Petromyzon fluviatilis äusserst interessante Zellen, welche von
Kölliker entdeckt und in Folge ihrer Zusammensetzung aus
Körnern mit dem Namen Körnerzellen (Fig. 8, 9) belegt worden
sind. Es sind runde oder etwas ovale Körper mit körnigem
Protoplasma, welches mit einer äusserst feinen Hülle umgeben
ist. Sie besitzen einen grossen Kern mit einem Kernkörperchen.
Von diesen Gebilden gehen nach verschiedenen Richtungen hin
lange Fortsätze ab, deren Hülle die direkte Fortsetzung der Zell-
membran darstellt. Kölliker vergleicht diese Zellen mit den
Fadenzellen aus der Epidermis von Myxine, welche von J. Müller
beschrieben sind, und ist der Meinung, dass der sichtbare Kern der
optische Ausdruck eines innerhalb der Zelle festgedrehten Fadens ist.
Er behauptete, dass die Fortsätze dieser Zellen zur Hautperipherie hin-
zögen, und dass dieser Umstand im Verein mit dem allgemeinen Cha-
rakter der Zellen ihn glauben mache, es seien diese Gebilde ein-
zellige Schleimdrüsen. Max Schultze stimmt mit der Ansicht
Köllikers nicht überein und spricht sich dahin aus, dass die er-
wähnten Fortsätze nicht zur Peripherie, sondern gegen das Corium
hin ihren Weg nähmen; auch will er nicht zugeben, dass diese
Zellen, wie Kölliker behauptet, Drüsen seien, sondern er sagt,
die Bedeutung dieser Zellen sei ihm unerklärlich.
Ausser Kölliker und Max Schultze hat auch F. E.
Sehulze diese Zellen untersucht und zog aus den erhaltenen Re-
sultaten die ganz sonderbare Schlussfolgerung, es wären diese Zellen
Nervenzellen. Seiner Beschreibung nach unterscheidet sich der
äussere Bau der Zellen wenig von dem Bilde, welches die
Autoren vor ihm gesehen haben, nur mit dem Unterschiede, dass
die sich nach Innen der Zelle verlängernden Fortsätze in einem
Ueber die Haut des Neunauges. 119
nicht immer bestimmten Punkte vereinigen und in dem Vereini-
gungspunkte ein Gebilde entsteht, welches viel Achnlichkeit besitzt
mit dem Köpfchen eines Zirkels;; sowohl die Fortsätze, als auch
ihr Vereinigungspunkt fallen nie mit dem Kern zusammen, jedoch
ist derselbe stets in der nächsten Nähe desselben aufzufinden.
Aus diesen Daten schliesst F. E. Schulze, dass diese Zellen
Nervenzellen seien. Uns scheint diese Annahme vollständig fehler-
haft zu sein und müssen Kölliker, welcher diese Gebilde mit
Recht für einzellige Drüsen hält, beistimmen. Es ist ganz und gar
unmöglich, die Ansicht F.E. Schulze’s zu vertheidigen, da bereits
der oberflächliche Vergleich dieser Zellen, mit welchen Nerven-
zellen auch immer, deutlich den Unterschied zwischen diesen und
jenen vor die Augen führt.
Bei vielen Thieren stösst man auf Zellen drüsigen Charakters,
welche mit den erwähnten Gebilden grosse Aehnlichkeit besitzen
und die auch wir Körnerzellen heissen wollen; solche sind von
uns beim Proteus und dem Blutegel beobachtet worden. Die Fort-
sätze dieser Zellen haben zum Unterschied von denjenigen der
Nervenzellen ein anderes Aussehen und erinnern eher an elastische
Fasern. Das von F. E. Schulze beschriebene Zusammentreten
der Fortsätze im Innern der Zelle zu erkennen ist uns trotz der
peinlichsten Sorgfalt und der Anwendung der von F. E. Schulze
vorgeschriebenen Untersuchungsmethoden auch nicht ein einziges
Mal gelungen; welchem Umstande wir diesen Misserfolg zuzu-
schreiben haben, wissen wir nicht. Gesetzt den Fall, die Fort-
sätze im Innern der Zelle gingen thatsächlich eine Verbindung
ein, so schliesst doch unserem Dafürhalten nach die ganz eigen-
thümliche Beziehung der besagten Fortsätze zum Kern jede Mög-
lichkeit aus anzunehmen, es seien diese Zellen Nervenzellen. Es
gelang uns mehrmals zu beobachten, wie nach Berstung der
Zellhüllen aus den gebildeten Oeffnungen eine Menge Körner her-
vortrat.
Eine jede dieser Zellen besitzt 2—5 Fortsätze, welche nach
allen Richtungen hinziehen, zur Peripherie der Haut, gegen das
Corium hin und in die seitlich von diesen gelegenen Partien der
Haut. Häufig sieht man einen dieser Fortsätze bis ganz an die
Peripherie der Haut herantreten. An mit Pikrocarmin behandelten
Präparaten sind diese Zellen gelb gefärbt, während der Kern eine
rothe Farbe annimmt. Saffranin, Carmin, Methylenblau färben die
120 L. Pogojeff:
Zellen intensiv, Gold dagegen nur sehr schwach. Auf diese Weise
glauben wir nach unseren Untersuchungen annehmen zu dürfen,
dass Kölliker nicht fehl ging, wenn er behauptete, dass die Fort-
sätze der Körnerzellen zur Hautperipherie hinziehen und dass er
der Wahrheit nahe war, indem er die besprochenen Gebilde für
Drüsen hielt.
Zum Schluss wollen wir noch Einiges über die sogenannten
Grübchen in der Haut von Petromyzon- fluviatilis sagen. Diese
Grübchen sind bereits vor langer Zeit von H. Rathke bemerkt
und als Ausführungsgänge der Schleimdrüsen erkannt worden.
Nach ihm beschrieben Stannius, Leydig und Max Schultze
die in der Kopfgegend von Petromyzon befindlichen Grübchen und
hielten sie für Tastorgane. Langerhans gab eine genaue Beschrei-
bung dieser Grübchen bei Petromyzon Planeri; er bestimmte genau
ihre Vertheilung auf dem Kopfe und dem Körper von Petromyzon
Planeri; dieselbe stimmt in allen Punkten mit derjenigen von Pe-
tromyzon fluviatilis überein und verweisen wir daher auf die dies-
bezügliche Arbeit.
Wir untersuchten hauptsächlich die Grübehen (Fig. 10) auf
dem Kopfe von Petromyzon fluviatilis und können die bereits durch
die genannten Autoren constatirten Thatsachen nur bestätigen.
Diese Grübchen stellen kleine Oeffnungen in der epithelialen
Sehicht der Haut vor, d. h. sie entstehen durch Auseinander-
weichen der Epithelschichten. Die Ränder der Grübchen sind
seitlich erhaben und in Folge dieser Erhabenheit der Haut an
dieser Stelle und der stärkeren Entwicklung zweier Hautschichten,
der Epithel- und der lockeren Bindegewebsschicht wallartig auf-
getrieben. Das Corium sowohl, wie auch die Pigmentschicht ver-
schwinden dagegen fast vollständig an der Stelle, wo das Grüb-
chen seinen Sitz hat. Bei durchfallendem Lichte betrachtet, er-
scheinen die den Grübchen entsprechenden Stellen der Haut voll-
ständig durchsichtig. Die Abwesenheit der Pigmentschicht erlaubt
hier deutlicher als an irgend einer anderen Stelle der Haut die
Nervenbündel in ihrem Laufe zu verfolgen. An den wallartigen
Umrandungen der Grübcehen fehlen sowohl die Kolben als auch
die Körnerzellen und das Gewebe besteht hier aus andersartigen
Epithelzellen. Die äussere Epithelschicht, welche sich fast bis auf
den Boden des Grübchens hinab erstreckt, besteht ebenso wie
auch die oberste Epithelschicht der gesammten Haut aus euticulari-
Ueber die Haut des Neunauges. 121
sirten Zellen; weiter hinab finden wir dieselben zelligen Elemente,
welche auch in der übrigen Haut vertreten sind. Am Boden des
Grübcehens befindet sich ein Conglomerat von schmalen und langen
Zellen (Fig. 11), welche sich vom Boden des Grübchens in das
Lumen desselben erheben. Bei genauerer Untersuchung erweisen
sich diese Zellen als identisch mit denjenigen langen Zellen, welche
im Epithel vereinzelt angetroffen werden und welche wir als Ner-
venzellen beschrieben haben. Diese Zellen bestehen aus einem
kleinen runden Leib, welcher nach unten stark ausgezogen ist,
und einem langen oberen Fortsatz, welcher einem Faden sehr
ähnlich sieht; der Zellinhalt besteht aus feinkörnigem Protoplasma.
Der äussere Habitus derselben erinnert an Zellen, welche in den
Sinnesorganen als Nervenzellen bezeichnet werden. Im Allge-
meinen lassen sie sich intensiver färben als ihre Umgebung, be-
sonders aber mit Gold.
Max Schultze sah Nervenfäden in grosser Menge aus der
subepithelialen Schicht an die Grübchen treten; mit Bestimmtheit
konnte er jedoch von ihnen nicht aussagen, sondern nur ver-
muthen, dass sie Nervenfäden wären. Fäden, welche das Corium
passiren gibt es in der That eine so grosse Menge, dass es schwer
fällt in ihnen sich zurechtzufinden; allem Anschein nach ge-
hört ein grosser Theil dieser Fäden vielmehr zu Bindegewebs-
fasern.
Es gelang uns, wenngleich bei Weitem nicht an allen Prä-
paraten, unzweifelhaft Nerven nachzuweisen, welche, aus dem
lockeren Bindegewebe kommend, durch das Corium hindurch an
ein Häufchen langer, am Boden des Grübchens befindlicher, Zellen
treten. Wir sagen, wir hätten dieses nicht an allen Präparaten
gesehen und fügen hinzu, dass das Zustandekommen des er-
wähnten Bildes möglich war an Präparaten, welche von Paraffin
und Terpentinöl sorgfältig befreit, lange Zeit in einer Mischung
von Alkohol !/; und 50 %/,iger Essigsäure gelegen haben.
Wir vermögen nicht die Art und Weise der Verbindung dieser
Nerven mit den Zellen anzugeben, da dieselbe an den von uns
hergestellten Präparaten sich nicht erkennen lässt und die mace-
rirten Präparate die Zellen von den Nervenfasern getrennt er-
scheinen lassen; jedoch das steht fest, dass das Nervenbündel
dicht an die Gruppe der langen Zellen herantritt und hier sein
Ende erreicht. In Uebereinstimmung mit dieser Beobachtung _ist
122 L. Pogojeff: Ueber die Haut des Neunauges.
die Annahme Max Schultze’s, die Grübcehen in der Haut von
Petromyzon fluviatilis seien den Gefühlsorganen zuzuzählen, voll-
kommen richtig und es bleibt uns nur übrig dieselbe zu be-
stätigen.
Ebenso auch der Umstand, dass der bei Weitem grössere
Theil sämmtlicher Grübehen der Region des Kopfes von Petro-
myzon fluviatilis zukommt, ist unserem Dafürhalten nach ein Fac-
tum, welches diese Meinung noch haltbarer macht, denn, gesetzt
den Fall, diese Grübchen seien Schleimdrüsen, so fragt es sich,
weshalb gerade für den Kopf eine so grosse Menge Schleim noth-
wendig wäre, während der übrige Körper verhältnissmässig nur
sehr wenig Schleim habe. Andererseits lässt sich die Annahme
von der nervösen Natur dieser Grübchen sehr wohl erklären,
wenn man bedenkt, dass ja der Sitz der Grübchen, der Kopf,
von allen Körpertheilen am meisten äusseren Reizen ausge-
setzt ist.
Literatur.
1. Die Schriften der Naturforscher-Gesellschaft zu Danzig. II. Band.
II. Heft 1826.
2. Stannius. Zootomie der Fische. 1854.
3. Kölliker. Würzburger naturwiss. Zeitschrift. 1860.
4. Max Schultze. Arch. f. Anatomie, Physiologie und wissensch. Me-
diein. 1861.
5. F. E. Schulze. Arch. f. mikrosk. Anatomie.
6. H. Müller. Würzburger naturwiss. Zeitschrift. Band II. 1864.
7. Langerhans. Untersuchungen über Petromyzon Planeri. 1873.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel V.
Fig. 1, 2, 3, 4. Epithelialzellen aus der Haut von Petromyzon fluviatilis.
Fig. 5, 6, 7. Kolbenförmige Gebilde.
Fig. 8, 9. Körnerzellen.
Fig. 10. Grübchen aus der Haut des Kopfes.
Fig. 11. Sinneszelle.
Fig. 12. Querschnitt von der Haut.
R. Stüve: Beitrag z. Kennt. d. Baues d. Eileiterdrüsen b. d. Amphibien. 125
(Aus dem zoologischen Institut in Tübingen.)
Beitrag zur Kenntniss des Baues der Eileiterdrüsen
bei den Amphibien.
Von
RB, Stüve
aus Berlin.
Hierzu Tafel VI.
Trotzdem das eigenthümliche Verhalten der Froscheileiter, im
Wasser stark aufzuquellen schon lange bekannt ist und die Auf-
merksamkeit der Forscher auf sich gezogen hat, so finden sich
doch über den Bau jener Organe und ihrer Drüsen nur spärliche
Angaben.
Drei Arbeiten über diesen Gegenstand sind mir bekannt ge-
worden; eine von Böttcher: „Ueber den Bau und die Quellungs-
fähigkeit der Froscheileiter“ 1); die zweite von Neumann und
Grunau: „Die Drüsen der Froscheileiter“ 2), und drittens die Dis-
sertation von Loos: „Ueber die Riweissdrüsen im Eileiter der
Amphibien und Vögel“ °).
Die Eileiter der Amphibien sind lange, schlauchförmige Or-
gane, welche vielfach gewunden in der Bauchhöhle liegen, und
dazu dienen, die Eier der Thiere mit einer Hülle zu versehen.
Insbesondere kommt diese Aufgabe den in den Eileitern vorhande-
nen Drüsen zu, und in diesen ist der Ursprung jener gallertigen
Masse zu suchen, welche die abgelegten Eier umgiebt. Die
Drüsen, welche schlauchförmig sind und der Wand des Eileiters
aufsitzen, sind in einfacher Schieht mit den absondernden Zellen
ausgekleidet; an ihrer dem Lumen des Eileiters zugewandten
Mündung findet sich ein Epithel, das aus Flimmerzellen und
1) Virehow’s Archiv. Band XXXVI.
2) Archiv f. mikrosk. Anat. Band XI.
3) Leipzig, W. Engelmann. 1881.
124 R. Stüve:
Becherzellen zusammengesetzt ist. Diese Verhältnisse gelten für
die ungeschwänzten Amphibien.
Bei den geschwänzten Amphibien sind jene Drüsen ersetzt
durch eine Anzahl (etwa 10) bindegewebiger Falten, welche den
Eileiter der Länge nach durchziehen. Auf diesen sitzen in ein-
facher Lage die absondernden Zellen, zwischen denen sich Flim-
merzellen befinden.
Im Folgenden soll nun des Näheren auf die Beschaffenheit
der Drüsenzellen und des Flimmerepithels und der in demselben
liegenden Becherzellen eingegangen werden. Es wird sich dann
weiter fragen, auf welche Weise die Absonderung der gallertigen
Masse durch jene Zellen stattfindet.
Untersucht man zunächst die Drüsenzellen eines unge-
schwänzten Amphibiums, z. B. eines Frosches, frisch in physiolo-
gischer Kochsalzlösung, so zeigen sich dieselben erfüllt mit kleinen
Kügelchen von der durchschnittlichen Grösse eines menschlichen
rothen Blutkörperchens, welche Neumann Colloidkügelchen ge-
nannt hat. Dieselben besitzen ein ziemlich starkes Lichtbrechungs-
vermögen, das um so grösser ist, je kleiner die Kügelchen sind,
eine Beobachtung, welche die früheren Forscher ebenfalls ge-
macht haben.
Ferner besitzen die Colloidkügelchen die Eigenschaft durch
gewisse Reagentien, z. B. 4°,ige Essigsäure aufzuquellen, ihr
Liehtbreehungsvermögen zu verlieren und dann plötzlich dem
Blicke des Beobachters zu entschwinden. Hat man auf diese
Weise die Kügelchen zum Verschwinden gebracht, so tritt an
der Zelle, welche sich jetzt als ein kugel- oder blasenartiges
Gebilde darstellt, der Kern und die Membran deutlich hervor.
An dem Zellkerne konnten häufig noch Reste von Plasma
beobachtet werden; ausserdem zeigte sich öfters ein von dem
Kerne ausgehendes und die Zelle durchsetzendes Netz von Plas-
mafäden. Insbesondere war dies bei solchen Präparaten der Fall,
welche Thieren entnommen waren, deren Eileiter noch nicht im
Zustande geschlechtlicher Reife sich befanden.
An der Zellmembran zeigt sich in der Regel an der dem
Kerne gegenüberliegenden Seite eine Oeffnung, welche je nach der
Lage -der Zelle bald kreisrund, bald mehr oder weniger eiförmig
erscheint. Obwohl diese schon von Neumann gemachte Beob-
achtung von Loos bestritten worden ist, indem er jene Zellmün-
Beitrag zur Kenntniss des Baues der Eileiterdrüsen bei den Amphibien. 125
dung für einen aus dem Zellinhalte sich bildenden Tropfen er.
klärt, so kann ich dieselbe doch auf das bestimmteste bestätigen.
Wäre jene Oeffnung der Zelle ein Tropfen, so müsste dieser,
wenn er sich nieht mit der umgebenden Flüssigkeit mischen sollte,
eine andere chemische Zusammensetzung als letztere haben, er
würde sich dann gewissermaassen verhalten wie ein Oeltropfen
im Wasser.
An und für sich wäre dies ganz gut denkbar; aber dann
würde auch das optische Verhalten dieses Tropfens der Zusatz-
flüssigkeit gegenüber ausgezeichnet sein. Dies ist nicht der Fall.
Demnach wären die Drüsenzellen also den Becherzellen zuzuzählen.
Diese Ansicht wird durch den Umstand, dass die Drüsen-
zellen oft bei der Quellung platzen, namentlich bei Zusatz von
destillirtem Wasser, wie Loos beschreibt, keineswegs widerlegt.
Einmal werden die Zellen durch verschiedene Reagentien schneller
und stärker zum Aufquellen gebracht, als durch andere, und zwar
bewirkt dies in besonders hohem Maasse destillirtes Wasser; an-
derseits wäre es doch denkbar, dass für die sich schnell und ge-
waltsam ausdehnende Inhaltsmasse die Mündung der Zelle zu
enge wäre und trotz des Vorhandenseins der Oeffnung noch ein
Zerreissen der Zellmembran stattfände.
Die Abbildungen, die Neumann von jenen Zellen giebt, ent-
spreehen ganz den Bildern, welche sich mir darboten. Zur
Vergleichung sind auf Tafel VI in Fig. 1 einige solche
Becherzellen abgebildet, welche ihre Oeffnung in verschiedener
Gestalt zeigen. In mehreren Fällen konnte ich auch Drüsenzellen
beobachten, welehe noch im Kreise angeordnet ihre Mündung dem
Drüsenlumen zuwandten (s. Fig. 2 und 4).
Besonders klar treten die beschriebenen Verhältnisse an
Zellen hervor, welche durch Maceration in verdünnter Müller-
scher Flüssigkeit oder 30 °/, Alkohol isolirt sind. Auch an Schnitten
von gehärteten Eileitern lassen sich unter Umständen die Becher-
mündungen an den Drüsenzellen nachweisen. Man ist in diesem
Falle aber erstens von der zufälligen Richtung der Schnittführung
abhängig und zweitens, weil die Zellen so eng aneinander liegen,
leicht Täuschungen ausgesetzt. Die Fig. 2 und 3 stellen die der
Eileiterwand anliegenden Enden zweier Drüsen aus dem Eileiter
der Unke dar, an denen die Miündungen einiger Drüsenzellen
sichtbar sind.
126 R. Stüve:
Dieselben Verhältnisse, was die Beschaffenheit der abson-
dernden Zellen anlangt, finden sich hei den geschwänzten Am-
phibien.
Die bisher beschriebene Art von Zellen hat den bei weitem
grössten Antheil an dem Aufbau der Drüsen. An der dem Lumen
des Eileiters zugewandten Mündung der Drüsen findet sich, wie
schon oben erwähnt, ein Besatz von Flimmerzellen, zwischen denen
Becherzellen liegen.
Das Flimmerepithel erstreckt sich nur wenig in die Drüse
hinein, so wie Loos es beschreibt und durch seine Fig. 4 zur
Anschauung bringt. Von der Fläche betrachtet sieht man, dass
es auf langen, den Eileiter durchziehenden Leisten sitzt, zwischen
denen die Mündungen der Drüsen sich befinden (vergl. hierzu Fig. 2).
Sonst ist über die Flimmerzellen noch zu bemerken, dass an den-
selben niemals jene Colloidkügelchen wahrgenommen wurden, ein
Umstand der dafür spricht, dass sie an der in den Drüsenzellen
vorgehenden Veränderungen nicht theilnehmen.
Die zwischen den Flimmerzellen befindlichen Becherzellen
lassen sich sowohl bei Untersuchung frischer Objekte wie an
Schnitten nachweisen. Betrachtet man ein dem frischen Eileiter
entnommenes Stückchen Flimmerepithel, so wird man zwischen
den einzelnen Flimmerzellen runde oder ovale Oeffnungen wahr-
nehmen, welche der Ausdruck der Mündungen der Becherzellen
sind. Häufig werden sie durch darüber liegende Wimperhaare
verdeckt.
An Macerationspräparaten konnten diese Becherzellen von
denen der anderen Art leicht dadurch unterschieden werden, dass
erstere meist einen Hals besassen und öfters auch am Ende
schwanzartig verlängert waren (vergl. hierzu Fig. 5). Ferner waren
sie immer bedeutend kleiner als die Drüsenzellen. Während diese
im gequollenen Zustande einen durchschnittlichen Längendurch-
messer von 0,069—0,087 mm haben, betrug derselbe bei den dem
Flimmerepithel entstammenden Becherzellen unter den gleichen
Verhältnissen gemessen nur 0,037—0,042 mm.
Auch Färbstoffen gegenüber verhalten sich diese Becherzellen
anders als die Drüsenzellen, indem letztere niemals Farbe an-
nehmen, während erstere besonders durch Hämatoxylin deutlich
gefärbt werden. Auf Schnitten betrachtet erscheinen die Becher-
Beitrag zur Kenntniss des Baues der Eileiterdrüsen bei den Amphibien. 127
zellen des Epithels blass, während die Drüsenzellen ein gekörntes
Aussehen haben.
Diese Verhältnisse würden dafür sprechen, dass diesen Zellen
eine von denen der Drüse verschiedene Aufgabe zuertheilt sei, ob-
wohl es schwierig sein dürfte den Beweis in diesem Falle direkt
zu führen. Neumann allerdings meint, weil er auch in diesen
Zellen jene Colloidkügelehen beobachtet zu haben glaubt, dass
dieselben wie die Drüsenzellen der Absonderung jener gallertigen
Massen dienten und somit die Drüsen in ihrer Thätigkeit unter-
stützten.
In Fig. 6 ist der Ausführungsgang einer Drüse mit den darin
befindlichen Becherzellen abgebildet.
Bei den geschwänzten Amphibien findet sich diese Art der
Becherzellen nicht.
Fragt man nun, auf welche Weise von jenen Drüsen oder
jenen Zellen die Gallertmasse abgesondert wird, so muss zunächst be-
merkt werden, dass das Bild des Eileiters nicht zu allen Zeiten
das gleiche ist. Die Entwicklung der Drüsen im Eileiter steht
im engsten Zusammenhange mit den Perioden des Geschlechts-
lebens der Amphibien. Auch die früheren Forscher haben hierauf
hingewiesen. Schon Anfangs bis Mitte April, also wenige Wochen
nach der Laichzeit, sind die Drüsen entwickelt. Die Zellen sind
erfüllt mit den schon besprochenen Colloidkügelchen. In jedem
dieser Kügelchen ist ferner ein meist excentrisch gelegenes
Körperchen bemerkbar, welches bei dem Platzen derselben erhal-
ten bleibt und dann in der Zusatzflüssigkeit umherschwimmt.
Neumann und Böttcher haben dasselbe ebenfalls beobachtet,
lıoos dagegen nicht.
Zu dieser Zeit zeigt sich auch das Plasmanetz der Zelle im
allgemeinen deutlicher ausgeprägt als in späteren Stadien der
Entwicklung. Das Lumen der Drüse ist deutlich zu erkennen und
sein Durehmesser stimmte nach meinen Beobachtungen mit der
von Neumann dafür angegebenen Grösse überein. Der Durch-
messer des ganzen Eileiters beträgt etwa l mm.
Im September sind die Eileiter bedeutend dieker; ihr Durch-
messer beträgt 2,5—3 mm; die Colloidkügelchen sind im allgemei-
nen grösser und weniger stark lichtbrechend als im Frühjahr.
Auf Schnitten betrachtet ist das Aussehen der Eileiter zu dieser
Zeit kaum verschieden von dem, das dieselben zur Laichzeit kurz
128 R. Stüve:
vor der Ablage der Eier darbieten. Hier sind die Drüsenzellen
so vergrössert, dass sie den Drüsenraum ganz ausfüllen; der Zell-
inhalt ist hell, doch finden sich in ihm zahlreiche Körnchen, wahr-
scheinlich jene an den Colloidkörnchen beschriebenen Körperchen.
Die einzelnen Kügelchen selbst, welche, wie Bötteher beschreibt,
als „polygonale Stücke“ die Zellen zusammensetzen, habe ich auf
Schnitten nicht beobachtet.
Das ganze Verhalten der Rileiter spricht dafür, dass sich der
Plasmainhalt der Drüsenzellen zu jenen Colloidkügelchen umbildet,
welche später zu der die Froscheier umgebenden Gallerte werden.
Bei dem physiologischen Vorgange, durch welchen der Zellinhalt an
die einzelnen Eier abgegeben wird, scheinen die absondernden
Zellen zu Grunde zu gehen. Es spricht hierfür nicht nur der Um-
stand, dass die Drüsenzellen Becherzellen sind, sondern auch das
Verhalten des Zellkernes, welcher Anfangs von runder Gestalt,
später ein geschrumpftes Aussehen zeigt.
Wenn die Zellen selbst bei der Absonderung dem Untergange
anheimfallen, so liegt die Frage nahe, in welcher Weise die
später an die Stelle tretenden vorgebildet seinen. Diese Frage kann
ich nicht entscheiden. Loos glaubt an verschiedenen Stellen,
namentlich im Grunde der Drüsen eine grössere Anzahl von Zell-
kernen gesehen zu haben als der Zahl der Zellen selbst ent-
sprechen würde, und dieselben als Kerne von Ersatzzellen an-
sprechen zu können. Ich meinestheils habe bei Fröschen und
Unken niemals derartiges mit Sicherheit wahrgenommen. In
Präparaten von Triton palmatus schienen allerdings solche Kerne
mehrfach vorhanden zu sein. Aberes ist schwer zu sagen, ob die-
selben nicht anderen Drüsenzellen angehörten, welche vom Sehnitte
so getroffen waren, dass das andere Ende derselben fehlte.
Nach Erfüllung ihrer Thätigkeit verfallen, wie Böttcher
und Neumann berichten, die Drüsen einer fettigen Degeneration.
Hiervon habe ich selbst nur einmal an einem Eileiter von Triton
Spuren beobachtet, in dessen Lumen sich veränderte Drüsenzellen
und Kerne fanden, während an der Wand auf den bindegewebigen
Falten die jungen Drüsenzellen schon wieder entwickelt waren.
Es sei hier noch auf einen Irrthum hingewiesen, in welchem
Loos sich befindet, wenn er behauptet, Neumann und Grunau
nähmen an, dass die Drüsen einen continnirlichen Strom von
Beitrag zur Kenntniss des Baues der Eileiterdrüsen bei den Amphibien. 129
Eiweiss absonderten!). Neumann sagt über das Austreten des
Eiweisses nur, dass man bei Quellungsversuchen an einzelnen
Zellen vor der Mündung derselben eine wasserhelle Masse er-
blicken könne?). Sonst äussert er gar nichts über diesen Punkt.
Das Bild aber, welches Loos von dem in Faden ausströmenden
Eiweiss giebt, ist mir nicht verständlich geworden.
Ueber die Behandlung der untersuchten Präparate ist zu
bemerken, dass die Beobachtung frischer Objekte in physiologische,
Kochsalzlösung vorgenommen wurde, in welcher sich nach meinen
Erfahrungen die Colloidkügelchen sehr gut erhalten. Die zum
Schneiden bestimmten Stücke wurden theils in Müller’scher Flüs-
sigkeit, theils mit Chromosmiumessigsäure gehärtet.
Sehr gute Dienste leistet, wie ich gefunden habe, die Müller-
sche Flüssigkeit, besonders bei den in der Entwicklung noch nicht
zu weit vorgeschrittenen Eileitern, die sich überhaupt am besten
'härten lassen. An den reifen Eileitern zeigen sich oft auch bei
der sonst so sicher wirkenden Flemming’scher Lösung noch Quel-
lungsersebeinungen. Nach dem Härten wurden die Stücke in Al-
kohol aufbewahrt und dann in Paraffin eingebettet. Als Färbmittel
für die Kerne wurden Carmin, Hämatoxylin und auch Anilinfarben
wie Bismarekbraun mit gutem Erfolge verwandt.
Die Thiere, welche untersucht wurden, waren Frosch und
Unke von den ungeschwänzten, Triton palmatus und Salamandra
maeculata von geschwänzten Amphibien. Sehr günstige Objekte sind
Unke und Triton.
Eine merkwürdige Beobachtung, welche an einem Eileiter
von Sal. mac. gemacht wurde, verdient noch der Erwähnung, näm-
lich das Auswandern von rothen Blutkörperchen.
Schon Böttcher erwähnt Blutgefässe in der Peritonealhülle
der Eileiter, welche Zweige zwischen die Drüsen entsenden. Die-
selben treten im Frühjahr zur Zeit der Geschlechtsthätigkeit, wie
ich wiederholt beobachtet habe, besonders deutlich hervor und
scheinen in grösserer Menge vorhanden als sonst. Dies fände aber
leicht seine Erklärung in der gesteigerten Thätigkeit des Organs.
An Schnitten nun, welche dem Eileiter eines trächtigen Sala-
manders entnommen waren und zwar von der Stelle, an welcher
1) Loos, 2.2.0. p. 14.
2) Neumann, a. a. O. p. 376. 377.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 9
130 R. Stüve:
die Embryonen sich befunden hatten, zeigte sich nicht nur ein über-
aus grosser Reichthum an Blutgefässen, sondern auch rothe Blut-
körperchen, welche aus den Gefässen in das umgebende Bindegewebe
übergetreten waren. Dieselben befanden sich oft dicht an der inneren
Oberfläche des Eileiters und waren kaum von einigen Bindegewebs-
fasern überzogen, so dass es den Anschein hatte, als ob sie im
Begriffe ständen auszuwandern. Sehr wahrscheinlich sind die
in Fig. 7 bei v abgebildeten Lücken durch den Austritt von Blutkör-
perchen entstanden. |
Fragt man nach dem Zwecke dieses massenhaften Vor-
kommens rother Blutkörperchen ausserhalb der Gefässe, so könnte
man daran denken, dass dieselben vielleicht zur Ernährung der
Embryonen beitrügen, zumal sich die beschriebenen Verhältnisse
an der bezeichneten Stelle befanden. Wahrscheinlicher indessen
scheint es zu sein, dass der Vorgang mit der Erneuerung des
Epithels im Eileiter in Beziehung zu bringen ist. An der Stelle
‚nämlich, wo sich die ausgewanderten Blutkörperchen vornehmlich
fanden, war so gut wie kein Epithel im Eileiter vorhanden. Da-
gegen am anderen Stellen namentlich oberhalb, wo der Eileiter
jene den geschwänzten Amphibien eigenthümlichen Bindegewebs-
falten zeigte, auf denen zahlreiche Kerne sassen, fanden sich die
Blutkörperchen verhältnissmässig selten. Jedenfalls handelt es sich
also um Verhältnisse, welche Beziehungen bieten zur Menstruation
der Säugethiere!
Fig. 7 auf Tafel VI stellt ein Stück der Eileiterwand mit
einigen Blutkörperchen dar.
Die Untersuchungen zu vorstehender Arbeit wurden im
zoologischen Laboratorium zu Tübingen unter der Leitung von
Herrn Prof. Dr. Eimer ausgeführt. Es möge mir daher gestattet
sein, an dieser Stelle Herrn Prof. Eimer, meinem hochverehrten
Lehrer, für das Interesse, das derselbe mir bei meinen Arbeiten
stets bewiesen, so wie seinem Assistenten Herrn Dr. Vosseler
für die Unterweisungen und Rathschläge, durch welche er mich,
den Neuling auf dem Gebiete des mikroskopischen Arbeitens, be-
reitwilligst immer unterstützt hat, insbesondere für die gütige
Ausführung der Zeichnungen meinen wärmsten Dank hiermit aus-
zusprechen.
Beitrag zur Kenntniss des Baues der Eileiterdrüsen bei den Amphibien. 131
. Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI.
Drüsenzellen aus dem Eileiter des Frosches mit ihren Becheröffnun-
gen bei a. Zellkerne zum Theil noch mit Plasmaresten.
Mündung m einer Drüse zwischen ‚Streifen von Flimmerepithel F
gelegen. Drei Drüsenzellen zeigen ihre ÖOeffnung. Im Flimmer-
epithel bei a die Mündungen der Becherzellen. Vergrösserung
400. Nach einem frischen Präparat vom Frosch.
Drüse aus dem Eileiter der Unke. An vier Drüsenzellen a sind die
Mündungen sichtbar. Vergrösserung 350.
Dasselbe. Bei b die Oeffnung einer tiefer liegenden Drüsenzelle.
Vergrösserung 330.
Isolirte Becherzellen aus dem Flimmerepithel des Eileiters vom Frosch,
zum Theil mit den schwanzartigen Verlängerungen.
Ausführungsgänge von Drüsen A. Flimmerepithel F mit Becher-
zellen a. Vergrösserung 370—380.
Stück von der Eileiterwand einer trächtigen Salamandra mac. B Aus-
wandernde rothe Blutkörperchen. v Hohlräume, vermuthlich durch
Austritt von Blutkörpern entstanden. Vergrösserung 260—270.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark
der Tritonen.
Von
Karl Rudolf Burckhardt.
Hierzu Tafel VII und VIII.
I. Einleitung.
Die vorliegende Arbeit bildet den Anfang einer Reihe von
Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung des Central-
nervensystems bei Amphibien, bei welchen bis jetzt die Histologie
dieses Organs noch wenig studirt wurde. Auch fehlt bekanntlich
eine vergleichende Histologie des Rückenmarkes vollständig und
Eu
132 Karl Rudolf Burckhardt:
was in dieser Hinsicht bekannt ist, schliesst sich mit wenigen
Ausnahmen eng an die beim menschlichen Rückenmark gewonne-
nen Resultate an. Bevor aber verglichen werden kann, ist eine
sorgfältige Untersuchung der Repräsentanten aller Wirbelthier-
klassen unumgänglich nothwendig und es ist nicht einzusehen,
warum nicht diese Methode, welche die vergleichende Osteologie
so mächtig förderte, auch hier die fruchtbarste sein sollte.
Neben der Absicht, eine Detailbeschreibung zu geben, lag
mir aber auch daran, die neuesten Anschauungen über die Histo-
genese des Rückenmarkes an einem ganz speciellen Objekte aus
der Reihe der niederen Wirbelthiere zu controlliren und durch
erneute Beobachtungen Schwankendes zu stützen.
Sodann kam ich auf die Idee, die topographische Entwick-
lung des Rückenmarkes zu verfolgen, wobei sich als allgemeines
Resultat ergab, dass die bisher als Schluss des Rückenmarkes be-
zeichnete Erscheinung nur der erste Akt des gesammten Phäno-
mens sei, eine Ansicht, die auch für das menschliche Rückenmark
wird gelten müssen.
Was die Beschaffenheit des Materials betrifft, so wurde das-
selbe meist von mir selbst in den botanischen Gärten von Leipzig
und Basel gesammelt; ausserdem wurden mir eine Anzahl Tritonen
aus früheren Stadien von Herrn Prof. Hertwig in Berlin geschenkt.
Die meisten Thiere gehören der Art Tr. alpestris an; doch sind
wesentliche Unterschiede nicht namhaft zu machen.
Folgende Flüssigkeiten dienten zur Härtung:
1. Chromsäure 1%, (10 St.), Essigsäure 5%, (24 St.), nach
Altmann.
2. Osmiumsäure 1/, ')o.
3. Ein Gemisch beider Flüssigkeiten.
4. Platinchlorid 0,25 %o.
5. Platinehlorid 0,2 %/,, eoneentrirte Pierinsäure und Eisessig
0,24 °%/, (nach Rabl).
Zur Färbung dienten:
A. Zum Durchfärben:
1. Boraxcarmin (Neapler Vorschrift).
2. Haematoxylin (nach Delafield).
B. Zum Nachfärben auf dem Objektträger:
1. Nigrosin 0,25 °%% mit Eisessig 0,5%, angesäuert (nach
Altmann).
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 133
2. Bleu de Lyon 0,2 %.
3. Kernschwarz.
4. Eosin 0,1%, in Alk. abs.
Ausserdem kam auch die bekannte Weigertmethode zur
Anwendung; dagegen wurden die Versuche mit Golgi’s Silber-
imprägnation wegen wiederholten Misslingens aufgegeben.
Als Einbettungsmasse wurde Paraffin verwandt, da für histo-
logische Zwecke dieses Verfahren unbedingt dem Celloidin vor-
zuziehen ist. Die Dicke der Schnitte variirte zwischen !/,; mm
mit !/,go mm.
ll. Die Mitosen im Rückenmark und die Neuroblastentheorie.
Die Entdeckung Altmann’s !), dass die Mitosen im Central-
nervensystem stets nur in dem den Centralkanal umgebenden
Epithel stattfinden, hatte eine eingehende Untersuchung dieser
Erscheinung von Seiten mehrerer Forscher zur Folge 2), welche
jeweilen an den Thatbestand mehr oder weniger glaubwürdiger
Hypothesen anknüpften.
Zunächst habe ich mich mit Merk?) auseinanderzusetzen.
Dieser Autor schreibt in Bezug auf seine Untersuchung von Tri-
tonen folgendes:
„Von. diesen Thieren standen mir 9 mm lange Exemplare
zur Verfügung. Sämmtliche Larven waren arm an Kerntheilungs-
figuren, nicht nur im Gegensatz zu den überhaupt mit Kernthei-
lungsfiguren reichlich versehenen Embryonen der von mir unter-
suchten Amnioten, sondern auch im Vergleich zu den übrigen
Anamnia, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte (Forelle, Frosch).
Diese relative Armuth betrifft nicht etwa nur das Centralnerven-
system, söndern auch die übrigen Gewebe.“ Dann bespricht er
die verschiedenen Abschnitte des Nervensystems und sagt vom
Rückenmark: „Die wenigen Figuren waren im Bereiche des Epi-
thels. Keiner der metameren (!) Abschnitte des Rückenmarks
zeigte sich irgendwie bevorzugt, was die Zahl der Mitosen anlangte.
1) Nr. 9 der Literaturangabe.
2WNr: 11,.145.17, 19;
3) Nr. 17, pag. 84.
134 Karl Rudolf Burckhardt:
An 9 Präparaten, die im ganzen 47 Rückenmarksquerschnitte ent-
hielten, konnte ich an 34 Schnitten überhaupt keine Figur er-
kennen; die übrigen 13 Schnitte beherbergten gewöhnlich eine,
seltener mehr, bis zu drei Figuren. Eine einzige Figur war ultra-
ventrieulär.“ Er schliesst seinen Abschnitt über die Tritonen:
„Mit Hinblick auf die Resultate finde ich es sehr begreiflich,
wenn man (Pfitzner) das Altmann’sche Phänomen an so kern-
theilungsarmen Larven übersieht, und dies umsomehr, wenn man
nicht sehr viele Thiere untersucht.“
Nun liegt aber die Kerntheilungsarmuth nicht etwa an der
untersuchten Art oder Gattung, sondern daran, dass Merk ein viel
zu spätes Stadium untersucht. Am Schlusse seiner Arbeit kommt
er zu dem Resultat, dass die Kerntheilungen im Centralcanalepi-
thel stattfinden müssten, da sich ja der Centraleanal mit zuneh-
mendem Wachsthum erweitern müsse; dagegen lässt er das Dieken-
wachsthum des Rückenmarkes durch blosse Substanzvermehrung
des Zellprotoplasmas vor sich gehen.
Aehnlich hatte sich vor ihm schon W. Vignal!) ausge-
sprochen; am Ende seiner höchst sorgfältigen und an Einzelbeob-
achtungen reichen Arbeit über das Rückenmark der Säuger ge-
langt er zu folgendem Schlusse:
„La premiere hypothöse c’est que toutes les cellules de la
moelle so forment surtout dans la premiere, quelques-unes dans
la deuxieme rangee des cellules, qui bordent immediatement le
canal central, puis qu’elles &migrent de la vers la periph6erie pour
former la substance grise ou bien que seules les cellules de la
premiere rang6e proliferent et repoussent les cellules situdes
derriere elles et que celles-ci changent de forme ä mesure qu’elles
approchent de la peripherie.“
„Mais cette hypoth&se me parait diffieilement admissible; du
reste les cellules en voie de division sur les bords du canal de
l’ependyme s’expliquent par le fait, que ce canal s’agrandit consi-
derablement pendant cette periode et cette augmentation ne peut
se faire que parce que les cellules deviennent plus nombreuses.“
„Ce qui me porte a penser, que la division qu’on observe
dans ce point est destinde & augmenter le nombre des cellules
qui bordent le canal de l’ependyme c’est que lorque le fuseau se
1) Nr. 11, pag. 412 und 413.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 135
divise en deux parties ou voit que ses deux parties sont paralleles
au bord du canal de l’Ependyme et que la plaque &quatoriale est
perpendiculaire & ce’ bord, tandis que si ces cellules se divisaient
pour former de nouvelles eouches cette plaque devrait &tre parallele
a ce bord et l’axe des deux fragments du fuseau lui tre perpen-
dieulaire.“
Ich musste diesen ganzen Schluss hier eitiren; denn im
Folgenden wird sich zeigen, wie nahe Vignal der richtigen An-
schauung war und sich durch dasselbe Argument wie Merk be-
stechen liess, dieselbe aufzugeben. Wir werden in einem spätern
Abschnitte nachzuweisen suchen, wie überflüssig es ist, all die
durch Karyokinese abgetrennten Zellen zur Vergrösserung des
Centralcanals beitragen zu lassen. Einstweilen soll dieser Punkt
notirt werden. Dagegen ist die senkrechte Stellung der Aequa-
torialplatte zur Wand des Centralcanals kein Grund dafür, dass
die Tochterzelle zwischen dem Epithel verbleibe; vielmehr lässt
sich oft unmittelbar nach der Kerntheilung eine Verschiebung der
Tochterzelle gegen die Peripherie deutlich nachweisen. Jedenfalls
war die Widerlegung, welche Vignal gegen seine eigene Hypo-
these unternimmt, nicht scharf genug, um dieselbe für unwahr-
scheinlich zu halten. Er fährt fort: „La seconde hypothese et
celle qui me parait la plus probable est la suivante, c’est qu’il
existe pour les cellules formant la substance grise embryonnaire
et les cellules qui l’avoisinent un autre mode de division ou
plutöt de r&production que celui connu sous le nom de division
indirecte ou de karyokinese.“
Mit diesen Hypothesen war nun aber nichts anzufangen, da
doch die Thatsachen in keiner Weise zwingend waren. Dazu kam
noch, dass Rauber!) auf Grund sehr genauer Untersuchung von
Froschembryonen die Unbedingtheit des Altmann’schen Phaeno-
mens bestritt und Merk die Resultate Raubers bestätigte.
Beide Forscher stimmen nämlich darin überein, dass bei Frosch-
larven ultraventrieuläre Mitosen gar nicht eben selten seien, ja
sogar gleich häufig wie ventriculäre.
So lag die Sache, als His?) auf Grund neuer und über
mehrere Wirbelthiere ausgedehnter Untersuchungen dazu gelangte,
1) Nr. 14, pag. 641.
2) Nr. 19.
136 Karl Rudolf Burckhardt:
zunächst die dem Centralcanal anliegenden Zellen in Epithelzellen
und Keimzellen zu sondern; nach ihm gehen aus den letzteren
durch Mitose embryonale Nervenzellen, Neuroblasten, hervor,
welche von ihrer ursprünglichen Lagerstätte nach der Peripherie
auswandern, zugleich aber mit ihrem einen Pol zu Axeneylindern
auswachsen.. Nach mehreren Umwandlungen werden aus diesen
Neuroblasten Ganglienzellen. „Die Epithelzellen wandeln sich
durch einen innern Umbildungsprocess in Spongioblasten und in
ein mit diesen verbundenes Markgerüst um. Es scheiden sich
innerhalb der einzelnen Zellen eine geformte, fadenförmig sich
anordnende und eine durchsichtige, weiche Substanz. Erstere
wird zum Markgerüst, indem die Bestandtheile benachbarter
Zellen untereinander Verbindungen eingehen. An der Innenfläche
bildet sich aus der geformten Substanz die als Netz sich anlegende
innere Grenzhaut. Aussen sammelt sich die Substanz zu einer
diekern Platte, dem Randschleier, der durch eine äussere Grenz-
haut noch einen besonderen Abschluss bekommen kann“ (p. 288
und 289).
Seine ohnehin durch ihre Einfachheit überzeugende Begrün-
dung wird noch unterstützt durch ein erdrückendes Beweismaterial;
auch scheint mir der Umstand, dass Vignal zum Theil dieselbe
Theorie aufgestellt, aber aus unzureichenden Gründen wieder auf-
gegeben hatte, eher zu deren Gunsten zu sprechen. Beim Durch-
arbeiten derselben fielen mir jedoch zwei Punkte auf, die ich hier
etwas näher beleuchten möchte. Erstens spricht His nirgends von
den ultraventrieulären Mitosen, in deren häufigem Vorfinden Merk
und Rauber übereinstimmen. Und zweitens scheint mir die Zahl
der Epithelzellenkerne nicht gross genug, um den Kernen sämmt-
licher Spongioblasten entsprechen zu können.
Zählungen der Mitosen an Tritonlarven ergaben folgendes
Resultat, wobei ich die von Merk erhaltenen Zahlen für einen
Embryo von 9 mm copire.
Länge Zahl
des Embryo, der Schnitte, ventricul. Mitosen, ultraventriculäre.
3 mm 50 15 7
65, 41 45 4
DR: 47 13 1
Auf 100 Sehnitte berechnet:
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 137
Länge des Embryo, ventriculäre Mitosen, ultraventriculäre.
5 mm 26 14
Sr, 110 10
gl 27 2
Es scheint mir nun, es bedürfe keiner graphischen Dar-
stellung, um einzusehen, dass die grösste Zahl ultraventriculärer
Mitosen in ein weit früheres Stadium falle, als die der ventrieu-
lären. Auch glaube ich geht deutlich daraus hervor, dass die
ventrieulären Mitosen desshalb nicht dasselbe Gewebe betreffen
können, wie die ultraventrieulären und da sich ausserdem die
Spongioblasten vor den Neuroblasten entwickeln, dürften wohl die
ultraventrieulären Mitosen zur Vermehrung der Spongioblasten
dienen.
Merkwürdigerweise sind bis jetzt die näheren Umstände der
Mitosen noch nie eingehender untersucht worden; es liegt auch
nicht in meiner Absicht, eine Beschreibung derselben zu geben;
doch möchte ich einige Punkte, die mir von Belang scheinen,
hervorheben: Die Zahl der CUhromatinschleifen beträgt in der
Regel 2X 6. Der Vorgang der Karyolyse lässt sich Schritt vor
Sehritt mit grosser Leichtigkeit verfolgen; die Schleifen bewahren
lange ihren Zusammenhang und man sieht nicht selten einen
solchen Kernfaden von glashellem Protoplasma umgeben. Das
zwischen den Polen und der äquatorialen Platte gelegene Plasma
ist sehr fähig, Anilinfarben aufzunehmen, sodass es auch leichter
sichtbar wird, als das übrige.
Trotzdem Hensen!) sagt, er habe einsehen gelernt „dass
die Amphibien wegen der massenhaften Dotterkörner ein vorzugs-
weise ungeeignetes Objekt für das histogenetische Studium sind‘,
liess ich mich doch nicht abschrecken, auch die histogenetischen
Vorgänge des nähern zu verfolgen. Es machte mir auch keine
Mühe, sämmtliche Stadien, welche His?) für die Neuroblasten auf-
stellt, zu erkennen. Gerade die Dotteraufnahme geschieht der
Art, dass mit möglichst wenigen Mitteln möglichst viel erreicht
wird, indem sich der Protoplasmaleib der Neuroblasten zu einer
Zeit, wo der Axeneylinder schon ausgewachsen ist, zwischen die
Dotterkörner durchdrängt und dieselben umfliesst, wie etwa eine
1) Nr. 5, pag. 3%.
2) Nr. 19, pag. 257
138 Karl Rudolf Burckhardt:
Amoebe, welcher eine Diatomee zum Opfer gefallen ist. Die also
aufgespeicherten Dotterkörner werden allmählich verdaut. Eine
eigenthümliche Rolle spielt sodann das Pigment; es ist in Form
minimer Körner vorhanden, erst diffus zwischen den Dotterkörnern
vertheilt. Später wird es von den Zellleibern aufgenommen und
concentrirt sich meist am Ansatzkegel des Axencylinders; bei
grossen Neuroblasten auch am entgegengesetzten Pol. Seltener
kommt es den Spongioblasten zu. Eine Erscheinung, auf welche
bis jetzt nur Vignal!) aufmerksam gemacht hat und welche die
Neuroblasten als solche characterisirt, ist die Vacuolenbildung;
bei Tritonen taucht dieselbe zu der Zeit auf, ehe die Ansatzkegel
der Axeneylinder ihre grosse Tinctionsfähigkeit erreichen. Ab-
weichend von Vignal glaube ich jedoch, dass die Vacuolen dem
Kern angehören und muss diese Ansicht damit motiviren, dass
ich dieselben immer nur dem Kern anliegend und in denselben
eingreifend fand. Auch ist bei stärkeren Vergrösserungen leicht
zu erkennen, dass das Kernnetz sich auch über die Vaecuole
erstreckt, was doch schwerlich der Fall sein würde, wenn die-
selben zum Protoplasma gehörten. Gewöhnlich kommt nur eine
Vacuole vor; zur Ausnahme wohl auch zwei. Was die räthsel-
haften Bläschen zu bedeuten haben, ist möglicher Weise zu ver-
stehn, wenn einmal die ausserordentlich complieirten Formverän-
derungen, denen der Kern der Neuroblasten unterliegt, im Zusammen-
hange untersucht werden. Unterdessen möchte ich mich damit
begnügen, auf dieselben hingewiesen zu haben.
In Hinsicht auf die Ansatzkegel der Axenceylinder muss ich
bemerken, dass ich ihre Tinetionsfähigkeit für die von His be-
schriebenen Stadien für normal halte. Dagegen steht für mich
fest, dass diese Fähigkeit auch kann hervorgerufen werden. So
besitze ich z. B. Querschnitte der Medulla oblongata von einem
3,5 cm langen Exemplar von Salamandra maculosa, bei welchen
alle Zellen, auch die Spongioblasten diese Tinetion aufweisen, die
von der normalen bei jungen Larven nicht zu unterscheiden ist.
Es ist also hier die grösste Vorsicht am Platze.
Wesentlich andere Umbildungsformen als die von His be-
schriebenen, existiren nicht und ich glaube, die von C. M. Schmidt?)
1) Nr. 11, pag. 223.
2): Nr. 12, pag. 18.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 139
als „Körner“ beschriebenen Gebilde als Kunstprodukte ansehen zu
müssen, die allerdings besonders leicht bei Amphibien zu entstehen
scheinen. Erstens kommen sie nämlich in allen Stadien je nach
der Behandlung massenhaft vor zu Zeiten und bei einer Form
des Zellleibes, wo sich in andern Fällen unzweifelhaft struirte
Kerne vorfinden; auch ist nicht wohl anzunehmen, dass diese Ge-
bilde, wenn sie wirklich Umbildungskugeln wären, bei andern
Wirbelthieren fehlen sollten.
Zum Schlusse dieses Abschnittes verweise ich auf die Ab-
bildungen von Mitosen und zwar auf die beiden ultraventrieulären
auf der linken Seite von Fig. 1, dann auf die 3 ventriculären
rechts auf Fig. 2. Für die Aufnahme von Dotterkörnern durch
das Plasma eines Neuroblasten spricht Fig. 7. Das Auftreten
der Vacuolen in ihrer allgemeinen Erscheinung zeigt Fig. 2;
ferner ist die Vacuole, sowie die Pigmentanhäufung auf Fig. 8
abgebildet. Fig. 9 und 10 stellen Neuroblasten dar zu Beginn
ihrer Entwicklung, ebensolche finden sich auf Fig. 1 links. Bei-
spiele für die His’sche Anschauung von der Entwicklung der
Neuroblasten liessen sich noch massenhaft geben; ich begnüge
mich mit einigen wenigen und verweise im Uebrigen auf seine
eigenen Abbildungen.
III. Weitere Entwicklung der histologischen Elemente.
Wir haben gesehen, dass aus dem ursprünglich einfachen
Medullarrohre nach seiner Lostrennung vom Hornblatte auf dem
Wege der Mitose zwei verschiedene Zellkategorien hervorgehen,
nämlich Spongioblasten und Neuroblasten. Es bleibt uns also zu-
nächst übrig, die weitere Entwicklung dieser Anlagen zu ver-
folgen, und da die Spongioblasten und die aus ihnen hervorgehende
Stützsubstanz zeitlich das Primäre sind, beginnt die Beschreibung
sachgemäss mit ihnen.
A. Stützsubstanz.
Werfen wir einen Blick auf Fig. 1, so ist leicht zu erkennen,
dass wir hier die Anfänge der weissen Substanz in Gestalt eines
grobmaschigen Netzes an der Peripherie des Querschnitts vor uns
haben. Sternförmig strahlen von bestimmten Zellen im dorsalen
140 Karl Rudolf Burckhardt:
Theil protoplasmatische Pfeiler aus, im ventralen Theil ist bereits
ein feines Netzwerk entstanden; eine sehr deutlich contourirte
Membrana limitans externa begrenzt das gesammte Gerüst. Stellen-
weise lassen sich noch die Ansätze der ursprünglichen, jetzt
aber aufgelösten Zellwände des Epithels unterscheiden. Eine
Zwischensubstanz ist nicht wahrnehmbar, wohl aber einige Neu-
roblasten, die uns nun nicht weiter interessiren. Dorsal und ven-
tral in der Medianlinie liegt je eine Epithelzelle. Sämmtliche
Kerne sind von ovaler Gestalt und wenig lichtbreehend. Auf einem
weiteren Stadium anlangend, finden wir das ursprüngliche Ver-
hältniss nur wenig verändert, doch nicht mehr so durchsichtig.
Das feine Netzwerk ist zu einem noch engmaschigern Randschleier
geworden; von den Spongioblasten haben sich die einen als Epi-
thel um den Centraleanal erhalten, die andern sind nach aussen
verschoben und zeichnen sich durch den Mangel an Vacuolen aus
(Fig. 2). Eine Mb. limitans interna können wir erst jetzt unter-
scheiden; die Leiber der Spongioblasten, deren Kerne nicht dem
Centraleanal anliegen, enden mit einer kleinen Verbreiterung ihrer
Basis in ihr. Die Zellenkerne sind durchsichtig geworden und
nehmen Carmin begierig auf, welche Fähigkeit von jetzt an immer
mehr zunimmt und die Unterscheidung von kleinen Ganglienzellen
erleichtert. In Folge des Centralcanalschlusses nehmen sodann
viele Zellkerne eine spindelförmige oder cylindrische Gestalt an;
am meisten jedoch die in der Medianebene gelegenen. Fig. 4
zeigt auch das interessante Verhältniss, dass eine Anzahl von
Kernen der Stützsubstanz beim Schlusse des Centralcanals an die
dorsale Peripherie gedrängt wurden; nichts destoweniger sind ihre
Zellenleiber bis gegen den Centralcanal zu verfolgen, wo sie aller-
dings unter den spindelförmigen Zellen verschwinden. Auf dieser
Stufe bildet die gesammte Stützsubstanz, soweit sie Kerne enthält,
ein Pfeilerwerk, das unter sich nicht oder höchst spärlich commu-
nieirt; diese Pfeiler gehn an der Peripherie in ein höchst eng-
maschiges Netz über, welches dazu dient, die von den Nerven-
zellen ausgehenden Axencylinder zu umspinnen. Nach aussen wird
dieses Netz von einer Säulenschicht und der dieselbe abschliessenden
Mb. limitans externa begrenzt; dass wir es mit Säulen zu thun
haben, und nicht mit Lamellen, wie Stieda!) vermuthete, lässt
1) Nr. 3, pag. 290, ebenso auch Reissner Nr. 2, pag. 27.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 141
sich leicht durch Längssehnitte nachweisen. Kerne, welche in der
weissen Substanz versprengt vorkommen, habe ich nie am Aufbau
der Stützsubstanz theilnehmen sehen; diese Kerne werden bei den
Ganglienzellen des eingehenden behandelt. Beim erwachsenen
Rückenmark sind nur noch die Epithelzellen des Centralcanals
deutlich als solche zu erkennen. Das Netz hat sich am schwäch-
sten in der Medianebene entwickelt; hier ist daher der Zusam-
menhang der Mb. limitans externa mit dem Epithel am deutlichsten
seblieben. Am stärksten ist die Substanzvermehrung in den late-
ralen Partieen, dort findet eine Zunahme statt, so lange das Thier
überhaupt wächst.
Dass die Stützsubstanz bindegewebigen Ursprungs sei, wie
von den ausgezeichnetsten älteren Forschern auf Grund der Ar-
beiten von Bidder und Kupffer!) und vieler neuer Untersuchungen
geglaubt wurde, wird wohl seitGierke’s?) trefflicher Arbeit Nie-
mand mehr aufrecht erhalten wollen. Weniger allgemein ist da-
gegen noch die Auffassung Hensens?), dass das Mark der Säuge-
thiere ein mehrfach geschichtetes Epithel sei. Ich muss hier an
eine alte Beobachtung Stieda’s*) anknüpfen; dieser Autor sieht
nämlich am Rückenmark des Axolotl, dass die hinter dem Oentral-
canalepithel gelegenen Zellkerne mit ihrem Zellleib doch an die
Mb. limitans interna reichen; unterstützt wird seine Beschreibung
von einer vollkommen richtigen Abbildung. Gegenüber Schmidt),
welcher diese Beobachtung anzweifelt, muss ich dieselbe aufrecht
erhalten. Ich glaube sogar, dass sie für die Auffassung der Stütz-
substanz von ganz besonderer Bedeutung ist. Denn, wenn that-
sächlich alle Leiber der Stützzellen an der Mb. limitans interna
enden, so ist dadurch die gesammte Stützsubstanz ein einfaches
Epithel, dessen Kerne allein geschichtet sind. Auf Schnitten von
genügender Feinheit lässt sich aber eine ungeheure Anzahl von
Zellleibern wahrnehmen, welche an der Mb. limitans interna an-
setzen; so zähle ich an einem Querschnitte 35 und an einem andern
41 soleher Säulen, Zahlen die annähernd denen der auf einen
Querschnitt entfallenden Spongiosakerne entsprechen. Bis mir also
ein Gegenbeweis erbracht wird, muss ich an der Behauptung fest-
1) Nr. 1, pag. 43 etc. 2. Nr. 13 und lo.
3) Nr. 5, pag. 382. 4) Nr. 3, pag. 289.
5) Nr. 12, pag. 14.
“
142 Karl Rudolf Burckhardt:
halten, dass das Stützgewebe des Rückenmarkes bei Caudaten noch
ein einfaches geschichtetes Epithel sei. Selbstverständlich möchte
ich damit die Wahrscheinlichkeit, dass dieses einfache Epithel
nur den Amphibien zukomme, nicht bestreiten, sondern halte diese
Auffassung der von Heusen gegenüber für eine Ergänzung. Denn
es ist doch wahrscheinlich, dass das mehrfach geschichtete Epithel,
wie es jener Autor für die Säugethiere statuirt, im Laufe der
phylogenetischen Entwicklung aus einem einfachen hervorgegangen
sei und dass also dieses einfache Epithel noch irgendwo vor-
komme. Den Beschreibungen von Rhode!) zufolge wird wohl
auch die Stützsubstanz von Amphioxus so aufzufassen sein; es
stehn mir aber keine eigenen Untersuchungen zu Gebote, um dies
zu entscheiden.
Ich möchte hier noch hervorheben, dass an der Auffassung
der Stützsubstanz als bindegewebigen Ursprungs, wohl hauptsäch-
lich das Uebersehen der Mb. limitans externa mit schuld war.
Meines Wissens hat Goette ?) zuerst dieselbe genau erkannt;
was dagegen die Entstehung des Randschleiers betrifft, so fehlen
ihm da klare Bilder und Vorstellungen durchaus.
Wirkliches Bindegewebe tritt nur in Gestalt der Blutgefässe
und der darin eirculirenden Blutkörperchen in das Rückenmark,
ich habe jedoch über dasselbe keine neuen Beobachtungen mitzu-
theilen.
Wir kommen zum Schlusse noch auf den Centralcanal zurück ;
pag. 135 habe ich angedeutet, dass die Vergrösserung dieses
Canals mit den Mitosen im Keimepithel nichts zu thun habe, wie
Vignal und Merk glaubten, oder dass mindestens die vielen
Zellkerne, welche gebildet werden, nicht dem Centralcanalepithel
zu Gute kommen. Messen wir das Lumen des Canals bei einem
Triton von 7 mm Länge, so ergiebt sich eine Höhe von 40 u und
eine Breite von 5 u; bei einem erwachsenen Exemplar von 90 mm
finden wir einen kreisrunden Canal von 10 u Durchmesser. Daraus
resultirt, dass der Umfang des Lumens für Triton I 90 u, für
Triton II 30 u beträgt; also hat eine Reduction auf das Drittel
stattgefunden. Zählt man sodann die dem Centralcanal anliegen-
den Epithelzelikerne, so erhalten wir für Triton 135 durehschnitt-
1) Nr. 18.
2) Nr. 4, pag. 276 und 277.
*
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 143
lich, für Triton II dagegen 24. Nun scheint die Methode der
letzteren Zahlen mangelhaft, indem ja nur die Kerne gezählt wur-
den, es ist aber unmöglich bei jungen Tritonen die Stützpfeiler
zwischen die Epithelzellkerne so zu verfolgen, dass eine Zählung
möglich wäre. Aus den letzteren Zahlen geht eine Reduction
der Zellkerne pro Querschnitt hervor; sicher findet keine Vermeh-
rung statt. Rechnen wir nun, wie Merk!) es thut, eine Substanz-
vermehrung und eine Lockerung des Gewebes mit der Verenge-
rung des Centralcanals um !/,; zusammen, so ist gewiss kein Grund
mehr vorhanden, warum die durch Mitose massenhaft neu gebil-
deten Zellen auch noch sollten dazu beitragen, das Epithel des
Centralcanals zu vermehren.
Flimmerhaare kommen bei den Tritonen zeitlebens nicht
vor; dass Merk sie also bei Embryonen vergeblich sucht, ist
leicht zu begreifen.
Be "Gangslrienzellen
Zu einer Zeit, wo die ersten Anfänge des Randschleiers auf-
tauchen (Fig. 1), finden wir auch schon Neuroblasten vor; so liegen
z. B. dorsal der Peripherie genähert die ersten unzweideutigen
Neuroblasten, welche sich durch ihren matten, stark granulirten
Kern und ihre Birnenform zu erkennen geben. Sehr oft kommt
auch einer der ersten Neuroblasten an der ventrallateralen Ecke
des Querschnitt zum Vorschein. Bald folgen ähnlich beschaffene
lateral gelegene nach. Dieser ausgesprochene Typus verwischt
sich immer mehr, sodass z. B. auf Fig. 2 die Neuroblasten nur
noch durch den Besitz einer Vacuole von den Epithelzellen unter-
schieden sind, wozu noch der tingirbare Ansatzkegel meist etwas
später erscheint. Ein Nucleolus und ein Nucleolinus sind von
Anfang an wahrzunehmen.
Betrachten wir einen Querschnitt einer älteren Larve, so
können wir 2 typische Formen von Ganglienzellen unterscheiden :
1. Grosse Ganglienzellen. Sie besitzen einen stark ent-
wickelten Protoplasmaleib, welcher fibrilläre Streifung zeigt und
zahlreiche Fortsätze meist der Peripherie zu gerichtet entsendet,
einen runden oder ovalen Kern, der in späteren Larvenstadien
1) Nr. 17, pag. 114.
*
144 Karl Rudolf Burckhardt:
Anilinfarbstoffe begierig aufnimmt und im Innern eine früher nicht
vorhandene Masse aufweist. Ein starker Axencylinder verläuft
meist in entgegengesetzter Richtung vom Leibe.
2. Die kleinen Ganglienzellen mit schwach entwickel-
tem Leibe der sich bei der extremen Form nicht über die ersten
Zustände grosser Ganglienzellen erhebt; der Leib ist meist kaum
zu sehen, dagegen ein dem Carmin zugänglicher, durchsichiiger
Kern, der sich nur dann mit Anilin färbt, wenn keine andere
Färbung vorausgeht. In seinem Innern findet sich ein feines Netz;
sonst ist er durchsichtig. Der Axencylinder bleibt hinter den-
jenigen grosser Zellen zurück. Zwischen diesen beiden typischen
Formen existiren nun aber alle denkbaren Uebergänge. Während
die grossen Ganglienzellen peripher liegen, nehmen die kleinen
die centralern Partien ein. Eine Ausnahme davon machen nur
wenige, kleine Zellen, welche unweit der Medianebene dorsal und
ventral die Zone der grossen Zellen überschreiten. Im Allgemeinen
lässt sich das Gesetz aufstellen, dass die grossen Zellen die zuerst, die
kleinen die zuletzt entstandenen sind. Denn wir haben schon gesehen,
dass auf den jüngsten Stufen zuerst die beiden markirtesten der
grossen Zellen vorhanden sind. Es scheint mir auch diese Aufein-
anderfolge der Zellen in radialer Richtung ein neuer Beweis für die
Richtigkeit der Annahme einer Auswanderung der Neuroblasten
von ihrer Keimstätte zu sein.
Eine Kategorie von Zellen, welche eine besondere Besprechung
erheischt, sind die sogenannten Hinterzellen. Reissner!) machte
zuerst auf „grosse innere Nervenzellen, die constant im oberen
Theile der grauen Substanz anzutreffen sind und deren grösste
Ausdehnung, wie auch ihre Forsätze sich mit seltenen Ausnahmen
von vorn nach hinten erstrecken‘, bei Pefromyzon aufmerksam
und empfiehlt, dieselben auch bei Amphibien, wo er zu keinem
sichern Resultate kam, zu suchen. Bei Petromyzon wurden diese
Zellen seither beschrieben und der Verlauf ihres Axeneylinders
aufgesucht. Die eingehendste Darstellung gab Freud?), welcher
den Axencylinder dieser ‚„Hinterzellen“ in die sensible Wurzel
verfolgen kann. Bei Amphibien wurden diese Zellen seit Reiss-
ner aber nicht mehr gesucht; weder Stieda noch Schmidt be-
schrieben etwas der Art. Abweichend von dem Verhalten bei
1) Nr. 2, pag. 14.
2) Nr. 6 und 7.
®”
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 145
Petromyzon, liegen diese Zellen bei den Tritonen immer genau
in der Medianebene der dorsalen grauen Substanz und zwar so,
dass ihre Längsaxe zur Medianebene senkrecht steht. Gegen
Farbstoffe verbalten sie sich genau wie die andern grossen Zellen;
der Kerndurchmesser beträgt 15—20 u; der Kern liegt bisweilen
dem spindelförmigen Leib seitlich an, sodass eine der Ranvier’schen
T-Zelle ähnliehe Form entsteht, meist liegen 2 solcher Zellen
hintereinander, wobei sich dann ihre Axencylinder in entgegen-
gesetzter Richtung verlaufen. Fig. 4 und 5 zeigen solche Zellen.
Da bekanntlich bei der Aufsuchung von Axencylindern oft Vor-
urtheile mit im Spiele sind, so muss ich bemerken, dass ich,
bevor mir die Freud’schen Arbeiten bekannt waren, den Axen-
eylinder folgendermaassen verlaufen sah. Er tritt in schwach
gebogener Richtung lateral heraus und biegt nach einem Verlauf
von doppelter Zellenlänge in das später zu besprechende Lateral-
bündel um; ob er hier nach vorn oder hinten verläuft, kann ich
nicht angeben; sicher aber ist, dass dieses Lateralbündel den einen
Theil der sensiblen Wurzeln liefert und demnach wäre also auch
hier die Wahrscheinlichkeit, dass die Hinterzellen mit den sensiblen
Wurzeln in Verbindung stehen, gewiss nicht anfechtbar. Interessant
ist auch das Verhalten dieses Axeneylinders am erwachsenen
Rückenmarke; dort hat derselbe durch die Bildung der Hinter-
hörner eine zweimalige Biegung erfahren. Ich glaube also, auf
Grund dieses Befundes dürfen diese Zellen ruhig mit den Freud-
schen in Analogie gesetzt werden und auch den Namen „Hinter-
zellen“ beanspruchen. Uebereinstimmend mit Freud kann ich
auch constatiren, dass die Zahl dieser Zellen eaudal zunimmt;
eine solche bilde ich auch noch Fig. 11 aus der äussersten
Schwanzspitze von Tr. taeniatus ab. Es hat kein grosses Interesse,
die verschiedenen Formen, welche die Ganglienzellen besitzen, des
eingehenden zu beschreiben. Das einfachste Verhältniss zeigen
die kleinen Ganglienzellen; meist fehlt ihnen ausser dem Axen-
eylinder jegliches Protoplasma, wobei freilich möglich ist, dass
dasselbe in Gestalt einer höchst zarten Schicht den Kern über-
zieht. Auf Fig. 12d habe ich eine kleine Zelle abgebildet, bei
welcher die ersten Ansätze zu Ausläufern vorhanden sind; eine
weitere Stufe zeigt Fig. l12e; das ist eine mittlere Zelle mit deut-
lichem Leib und einem weithin verfolgbaren Axencylinder. Wir
finden hier, sowie in Fig. 12a dasselbe Verhältniss, das wir schon
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 10
Ei
146 Karl Rudolf Burckhardt:
bei Hinterzellen gelegentlich vorkommen sahen; nämlich, dass der
Kern ausserhalb der direeten Fortsetzung des Axeneylinders in
dem Leib liegt; der letztere zeigt hier eine reiche Verästelung
der Forisätze. Zwei weitere Beispiele von Zellformen geben Fig.
12b und e, auch möchte ich noch auf die in Fig. 4 abgebildeten
Ganglienzellen, besonders aber auf die dort gezeichnete kolossale
Vorderhornzelle aufmerksam machen. Solche Vorderhornzellen
finden sich jedoch nicht regelmässig an dieser Stelle vor. Sehr
bezeichnend ist der Umstand, dass die Fortsätze in ihrer grossen
Mehrzahl radial- und peripheriewärts ausstrahlen; eine Erklärung
desselben wage ich jedoch nicht zu geben.
Wir haben früher gesehen, dass jeweilen auf einem Querschnitt
in der weissen Substanz Keine vorkommen, die von den meisten
Forsehern bemerkt, aber nie in einen richtigen Zusammenhang mit
der grauen Substanz gebracht werden konnten. Ich will hier nur
herausgreifen, was der Erforscher der Stützsubstanz Gierke?)
über dieselben sagt: „aus dem eben Gesagten das Wichtigste
zusammenfassend behaupte ich also, dass im Centralnervensystem
erwachsener Thiere freie runde Gebilde ohne Fortsätze, sog. Körner
nur zufällig ganz ausnahmsweise und unregelmässig vorkommen.
Dieselben sind einmal wandernde Lymphoidzellen .... . oder sie
sind aus der embryonalen Zeit übrig gebliebene Bildungszellen
“2... Dagegen existiren die für gewöhnlich als „Körner“ oder
als ‚freie Kerne“ beschriebenen Körper in Wirklichkeit nicht,
vielmehr werden andere Gebilde irrthümlich für solche genommen“.
Es hat keinen Sinn die Aeusserungen aller möglichen Forscher
über diese Kerne anzuhören und so will ich bei Gierke’s An-
nahme, dass die Kerne zum Theile Lymphoidzellen sein mögen
anknüpfen. Ich glaube auch, dass diess in manchen Fällen so
sein mag, und zwar besonders in der Nähe von Blutgefässen.
Dagegen ist es mir gelungen, Axeneylinder von diesen Kernen
ausgehen zu sehen und zwar sehr zarte Axencylinder, die nur bei
starken Vergrösserungen können wahrgenommen werden; in beiden
beobachteten Fällen verlief der Axencylinder in radialer Richtung
bis zur Peripherie der grauen Substanz; dort bog er im einen
Fall nach oben, im andern nach unten scharf um; ihn weiter zu
verfolgen gelang mir aber nieht. Wenn die Beobachtung von nur
1) Nr. 13, pag. 457.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 147
zwei Fällen zu unsicher scheint, um daraus einen definitiven
Schluss zu ziehen, so muss daran erinnert werden, dass es über-
haupt selten gelingt, Axencylinder unzweifelhaft zu verfolgen und
dass also dieses Ergebniss immerhin als günstig darf bezeichnet
werden. Fig. 4 rechts sind beide Fälle dargestellt. Wie sind nun
diese Zellen, die durch den Besitz von Axeneylindern ihre Zu-
gehörigkeit zu den Ganglienzellen kund geben, wie sind sie dahin
gelangt. Es muss wohl angenommen werden, dass diese Kerne
bei der Bildung des Netzes der Stützsubstanz als Neuroblasten
zwischen den sich bildenden Randschleier geriethen und nicht
mehr heraus konnten; infolge davon wurden sie verschleppt und
gelangten an den Ort, wo wir sie jetzt finden. Immerhin kann
diess nur für einen Theil der Kerne gelten; ich glaube auch mit
Gierke, dass manche davon Lympbhoidzellen sein werden.
Ueber die Axencylinder vermag ich histologisch nichts neues
anzugeben; von ihrer topographischen Anordnung wird im folgen-
den Abschnitte die Rede sein.
IV. Topographie des Rückenmarkes.
Nachdem wir nunmehr die Entwicklung der histologischen
Elemente im Einzelnen erörtert haben, müssen noch ihre Lage-
beziehungen zu einander betrachtet werden, sowie auch die Ver-
änderungen, welchen das Rückenmark als gesammtes unterworfen
ist. Ein Blick auf Fig. 1 zeigt uns die ersten Anfänge weisser
Substanz in Gestalt eines protoplasmatischen Netzwerkes, welches
zunächst ventral und lateral sich auszubreiten beginnt. Die Zell-
kerne stehen noch annähernd senkrecht zur Begrenzung des Cen-
traleanals, doch macht sich immerhin schon ein Verhältniss geltend,
das in der Folge an Deutlichkeit gewinnt. Je dorsaler und peri-
pherischer nämlich die Zellen stehn, um so mehr entfernt sich die
Längsaxe der Kerne von der Normalstellung zum Centralcanal
(Fig. 2); beachtenswerth ist dabei auch, dass die grosse Mehrzahl
der Zellkerne ovoide Gestalt besitzt, kuglige Kerne finden sich
nur ventral, zu diesen gehört die grosse Vorderhornzelle und ihre
Nachbarn. Als ein wichtiger Markstein für die Entwicklung des
Rückenmarkes ist die Anlage der Hinterzelle zu erwähnen, welche
148 Karl Rudolf Burckhardt:
im embryonalen Mark noch dorsallateral gelegen ist und sich
deutlich durch die Blässe ihres Kernes zu erkennen giebt. Die
weisse Substanz ist zu einem sichelförmigen bilateralen Streif aus-
gewachsen und besteht zunächst nur aus Stützsubstanz, in welcher
erst allmählich Axeneylinder auftauchen, als deren zeitlich erste
die von den grossen Ganglienzellen ausgehenden zu bezeichnen
sind. Diese einfachen Verhältnisse complieiren sich in der Folge
und ohne eine genaue Analyse dieses Vorgangs ist es unmöglich,
über die definitive Structur des Rückenmarks ins Klare zu kom-
men. Zunächst folgt der als Schluss des Centralcanals allgemein
bekannte Process. Fig. 3 stellt den Beginn desselben dar. Dorsal
hat sich der Querschnitt stark verbreitert. Der Centraleanal hat
ein bisquitförmiges Lumen und seine Höhe ist gegenüber der frü-
heren reducirt. Die Hinterzelle beginnt sich ihrer definitiven Lage
in der Medianebene zu nähern, wir finden sie auf halbem Wege;
die dorsal und ventral in der Medianebene gelegenen Epithelzellen
beginnen sich zu dehnen; die lateral gelegenen Zellkerne haben
eine vollständige Tangentialstellung angenommen. Die weisse
Substanz hat sich zunächst nicht verändert. Doch beginnt sie so-
fort nach Schluss des Centraleanals sich stärker zu entfalten, als
dies bisher geschah. Fig. 4 zeigt einen Centraleanal der vollstän-
dig geschlossen ist. Die Epithelzellen, besonders die in der Me-.
dianebene gelegenen Dorsalzellen, haben eine spindelförmige Ge-
stalt angenommen, deren grösster Theil von den Kernen absorbirt
wird. Die Leiber dieser Zellen strahlen nach allen Seiten radiär
aus. Die Hinterzelle ist in der Mitte angelangt; die sie umge-
benden kleinen Ganglienzellen haben ihre mediane Stellung eben-
falls eingenommen, indess die ventraler gelegenen in die von den
Stützfasern vorgeschriebenen Bahnen einlenkten. Die Zellleiber
der Ganglienzellen haben sich stark entwickelt und ragen überall
in die weisse Substanz hinaus; eine regelmässige büschelartige
Ausstrahlung lässt sich besonders an der Stelle erkennen, wo
später die Hinterhörner zu finden sind. Hier ist auch noch darauf
aufmerksam zu machen, dass die Peripherie der grauen Substanz
von einer Bogenschieht gegen die weisse Substanz lateral abge-
grenzt ist; diese Bogenschicht war auch schon auf früheren Sta-
dien zu erkennen, doch sind hier die Axeneylinder, welche die-
selbe bilden, verstärkt durch die ebenfalls in dieser Richtung ent-
wickelten Leiber mancher Zellen (vergl. Fig. 12a mit den lateralen
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 149
Ganglienzellen von Fig. 4). Es wäre sehr schwierig, zu beweisen,
dass von den dorsalen Ganglienzellen aus keine Axencylinder
ventralwärts ziehn; doch scheint dieser Fall entweder gar nicht
oder höchst selten vorzukommen, wie ein Blick auf das erwachsene
Rückenmark lehrt. Eine Scheide der Bahnen anzugeben scheint
fast unmöglich, doch glaube ich, liesse sich vorläufig eine solche
feststellen. Wir haben ja pag. 146 gesehn, dass die beiden in die
weisse Substanz versprengten Kerne von Ganglienzellen ihre
Axeneylinder nach verschiedenen Richtungen verlaufen liessen
(Fig. 4); annäherungsweise wird also wohl die zwischen ihnen
gelegene Zone ungefähr die Bahnen der Axencylinder scheiden.
Nun haben wir auch die weisse Substanz nicht zu vergessen. In
der eben angegebenen Zone verläuft ein Laterallängsbündel mark-
haltiger Axeneylinder, welches von dorsalen Ganglienzellen ge-
spiesen wird. Dieses Bündel wird also noch dem Dorsalgebiete
angehören und wir hätten demnach die Grenzen zwischen dorsalem
und ventralem Axencylinderverlauf an den ventralen Rand dieses
Bündels anzusetzen. Die weisse Substanz hat mächtig an Volumen
gewonnen; ausser dem oben erwähnten Lateralbündel nehmen wir
ein sehr starkes, auf dem Querschnitt halbmondförmiges Ventral-
lateralbündel wahr; ferner ein kleines Dorsalbündel und ein nur
in gewissen Körpergegenden, nämlich in der Cervical- und Lum-
balanschwellung nachweisbares Bündelchen, welches der Median-
ebene genähert ventral vor den Hinterzellen verläuft. Dass ausser-
dem noch Axeneylinder der Länge nach verlaufen ist nicht zu
leugnen; ich wollte nur die durch Weigert’sche Hämatoxylin-
färbung erkennbar geschlossenen Bündel namhaft machen. Im
Ventrallateralbündel stechen medianwärts 2 grosse Querschnitte von
Axeneylindern in die Augen, es sind die Mauthner’schen Fasern.
Ventral von denselben finden wir andere ebenfalls sehr starke
Fasern, die gelegentlich auch fast den Durchmesser der Mauthner-
schen erreichen können.
Faserzüge, die in der Ebene des Quersehnitts verliefen, konnte
ich nicht finden. Dagegen kreuzen sich ventral in der Median-
ebene einzelne Axeneylinder; dasselbe Verhalten von einzelnen .
Axeneylindern findet sich auch an der Stelle, wo die fortlaufende
Reihe der Hinterzellen intermittirt; dort treten jeweilen Fasern
der Zellen von rechts nach links und umgekehrt; diese hintere
Kreuzung wurde bisher übersehen; doch glaube ich, dass sie erst
150 Karl Rudolf Burckhardt:
seeundär entsteht durch Ineinanderschieben derjenigen Zellkerne,
welche in früheren Stadien median von der Hinterzelle standen.
Commissuren !) existiren nicht.
Es bleibt uns nun noch übrig, den Querschnitt durch ein
völlig ausgebildetes Rückenmark zu beschreiben. Die elegante
und durchsichtige Disposition der histologischen Elemente, wie
wir sie im Larvenleben vorfanden, macht einer scheinbar gerin-
gern, unvollkommenern und derbern Anordnung Platz. Was zu-
nächst in die Augen springt, ist die Abnahme der Zellkernzahl
pro Querschnitt. Diese Abnahme ist nichts Unerwartetes, denn
wie könnte sonst das Rückenmark so sehr in die Länge wachsen,
da doch keine Neubildung von Zellen stattfindet? Genaue Zäh-
lungen an gleich dieken Schnitten derselben Rückenmarksgegend
ergaben in Bezug auf die Zellkerne folgende Zahlen:
Larve Erwachsener
105 57
14 60
102 80
99 65
Im Mittel 106 65
Es wäre also zunächst eine Reduction der Zellkernzahl bei
erwachsenen Individuen gegenüber den Larven auf 3,5 constatirt.
Die beiden Sulei; der dorsale und der ventrale, sind tiefer gewor-
den. Das Ventrallateralbündel hat sich in ein ventrales Bündel,
welches zwischen den Centraleanal und die Mauthnerfaser hinauf-
rückt und in das laterale, welches der grauen Substanz lateral
sich anschmiegt, getrennt. Das ursprünglich laterale Bündel lehnt
sich ebenfalls der grauen Substanz dorsal vom vorigen an; da-
gegen ist das Dorsalbündel in die Lücke zwischen Hinterhorn und
Suleus dorsalis gedrängt worden. Die ganze weisse Substanz hat
also eine klammerförmige Gestalt angenommen, dadurch dass sie
lateral bedeutend an Masse gewonnen hat. In der grauen‘ Sub-
1) Es herrscht eine unglaubliche Verwirrung in Bezug auf den Ge-
brauch der Wörter: „Kreuzung“
und „Commissur“, Manche Forscher sprechen
sogar von „Kreuzungscommissuren“. Ich schliesse mich dem Vorgehen von
H. Virchow an, welcher die Commissuren homogene Pole, die Kreuzungen
dagegen heterogene Pole verbinden lässt. Das Corpus collosum ist also eine
Commissur, während z. B. die Fasern des Trochlearis eine Kreuzung bilden.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 151
stanz hat dorsal die büschelförmige Ausstrahlung sich vermehrt
und zu einer Hinterhornbildung geführt. Die radialen Zellausläufer
haben an Stärke zugenommen und ragen in die weisse Substanz, ohne
jedoch mit derselben in organische Verbindung zu treten. Die
Spindelform der Epithelzelikerne hat wieder einer mehr eylindri-
schen Platz gemacht; im Allgemeinen haben die Zellkerne an
Volumen zugenommen. Wir haben schon früher gesehen, dass die
Hinterhornbildung zu einer doppelten Biegung des Ayencylinders
an der Hinterzelle führte; das ist ein wichtiger Fingerzeig, denn
durch den unregelmässigen Verlauf dieses Axencylinders werden
wir darauf aufmerksam gemacht, dass die Lage des Lateralbündels
sieh nieht wesentlich geändert hat. Daraus folgt, dass auch die
übrigen den Dorsalzellen entspringenden Axeneylinder nicht in der
bischelförmigen Ausstrahlung weitergehn, sondern entweder eben-
falls in das ehemalige Lateralbündel oder in das Dorsalbündel
eintreten. Folglich kann auch die Ausstrahlung nur morphologisch
den Namen eines Hinterhornes bekommen, unter dem Vorbehalt,
dass sie nur aus Zellleibern besteht und nicht aus Axenceylindern;
dafür spricht auch ihre Entstehung.
Es bliebe uns nun noch übrig auf die Veränderungen einzu-
gehn, welche das Rückenmark seiner Länge nach erfährt. Was
bisher betrachtet wurde, waren Querschnitte, die dem am höchsten
entwickelten vorderen Theile des Rückenmarkes entstammten. Nun
möchte ich noch an die Abbildung Fig. 11 einige Krörterungen
anschliessen. Stieda!), Fraisse?) und Schmidt?) beschreiben
die äusserste Spitze des Rückenmarkes als ein einschichtiges
Epithelrohr. Ich kann dies nur bestätigen; dazu muss ich die
überraschende Thatsache eonstatiren, dass diese Epithelzellen wirk-
liche Axeneylinder entsenden. Ich kann auf dem Fig. 11 zu
Grunde liegenden Querschnitt deren drei zählen, die sich zu einer
motorischen Wurzel vereinigen. Weitere Untersuchungen werden
dieses höchst eigenthümliche Vorkommniss bestätigen müssen, be-
vor man daraus allgemeine Schlüsse ziehen darf. Auf der be-
treffenden Figur ist auch noch eine Hinterzelle, welche einen
Axencylinder entsendet, eine Mb. limitans externa kann ich nicht
1) Nr. 3, pag. 288.
2) Nr. 8, pag. 25.
3) Nr. 12, pag. 40,
152 Karl Rudolf Burckhardt:
mehr wahrnehmen. Bevor das Rückenmark zu diesem Epithel
sich vereinfacht, nimmt sein Querschnitt eine rundliche Gestalt an;
etwa 1/, em vor der Schwanzspitze rückt der Centraleanal in die
Höhe, so dass sein Abstand zum dorsalen Rande kleiner wird als
der zum ventralen; die Sulei sind schon längst verschwunden.
Obschon ich weiss, dass mechanische Erklärungsversuche in
der Embryologie nicht eben freundlich aufgenommen zu werden
pflegen, so kann ich mir doch nicht versagen, die mechanischen
Bedingungen aufzusuchen, welche den topographischen Verände-
rungen des Rückenmarkes zu Grunde liegen. Dabei muss ich
betonen, dass ich mich nicbt etwa bei der Feststellung von That-
sachen durch Rücksichten auf eine solche Erklärung leiten liess,
sondern dass ich durch die Thatsachen veranlasst wurde, einen
solchen Versuch zu wagen. Ueber die Berechtigung, mechanisti-
sche Anschauungen in die Embryologie einzuführen, werde ich bei
anderer Gelegenheit mich aussprechen; einstweilen setze ich die-
selbe voraus.
Wenn wir ein Schichtensystem so zusammenbiegen, dass zwei
seiner oberen Parallelkanten einander berühren, so erhalten wir
ein Bild wie es Fig. 13 veranschaulicht. Bei dieser Biegung ist
die oberste Schieht zur innern, median gelegenen, die unterste zur
äussern, distal gelegenen, geworden; diese letztere erhält durch die
Biegung die grösste Oberflächenspannung. Soll nun diese Rinne
zu einem Rohre geschlossen werden, so hat eine Vereinigung statt-
zufinden zwischen den Rändern sämmtlicher Schichten , wobei
zuerst eine Vereinigung der Ränder der innersten Schicht vor sich
gehen muss, welcher sodann die übrigen folgen. Die Ränder der
äussersten Schicht haben den grössten Weg zurückzulegen, bis sie
in der Mitte zusammentreffen; die an ihrer Oberfläche ohnehin
schon grosse Spannung wird dadurch noch gesteigert, sodass eine
beträchtliche Zerrung ihrer einzelnen Bestandtheile entsteht, welche,
wenn wir es z. B. mit einem knetbaren Schichtensystem zu thun
haben, zunächst in der Mittellinie zu einer Berstung führen muss.
Betrachten wir nun wieder unsere Fig. 1, so können wir
dieselbe mit Fig. 13 als dem ersten Stadium unserer Rohrbildung
vergleichen; noch besser entspricht vielleicht Fig. 2, denn hier
besteht unzweifelhaft die äussere Schicht aus vacuolenführenden
Neuroblasten; die grosse Hinterzelle markirt den heraufgebogenen
Rand der äussersten Schicht. Die Stellung der Zellkerne resp.
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 153
der Axeneylinder kann nicht befremden, wenn wir folgendes in
Erwägung ziehen: Die Neuroblasten zeigen, wenn sie noch im
Keimepithel liegen, Birnenform und zwar so, dass die Spitze
nach aussen gerichtet ist; wäre also kein Hinderniss im Wege,
so müsste der Axeneylinder geradeaus wachsen. Nun wandert
aber der Neuroblast in eine äussere Schicht, wo die Oberflächen-
spannung viel grösser ist, als in den inneren Schichten; diese
Spannung lenkt also den Axencylinder so ab, dass er, je distaler
die Zelle zu stehn kommt, desto tangentialer sich richten muss.
Dass in der ventralen Partie der Medianebene keine Neuroblasten
zu finden sind, ist auch nicht zu verwundern. Den mechanischen
Grund dafür hat His!) schon längst auseinandergesetzt.
Nun folgt die Periode, wo sich der Centralcanal schliesst;
aus unserer Betrachtung über den Schluss eines mehrschichtigen
Rohres geht deutlich hervor, dass der Schluss des Centralcanals
überhaupt erst der Schluss des Rückenmarkes und der bisher
als Schluss des Medullarrohres bezeichnete Process erst der
Anfang dieses Vorganges ist, welcher etwa der Verlöthung der
beiden Ränder unserer innersten Schicht entspricht. Darüber
kann kein Zweifel mehr bestehn, wenn wir das Schicksal der
Hinterzelle verfolgen, welche für uns den Rand der äussersten
(Neuroblasten-) Schicht bezeichnete. Diese Zelle verschiebt sich
medianwärts so, dass sie mit der ihr symmetrisch gelegenen Hinter-
zelle in der Medianebene zusammentrifft. So entsteht die elegante
Construction, wie sie Fig. 4 darstellt.
Fragen wir nun nach dem mechanischen Grunde des Rücken-
markschlusses, so wirken offenbar zwei Dinge in demselben (resp.
entgegengesetzten) Sinne. Denn einestheils wandern die Neuro-
blasten nach den äussersten Schichten und bewirken so eine
Oberflächenspannung, die sich stets vermehrt, solange Neubildung
stattfindet. Andern Theils lockert sich das Epithel des Central-
canals in Folge der Neuroblastenauswanderung einerseits und eine
Vertheilung auf den längern Centralcanal andererseits (vergl. pag.
150); ist dann das Minimum der Spannung in der innersten, das
Maximum in der äussersten Schicht erreicht, so kommt der definitive
Rückenmarkschluss zu Stande. Als Indicatoren der Massenver-
schiebung dienen uns die Leiber der Epithelzellen; ein besonders
1) Nr. 10. pag. 165.
154 Karl Rudolf Burckhardt:
drastisches Beispiel dafür liefern die Figuren 8, 9 und 10 in der
„Geschichte des menschlichen Rückenmarks und der Nerven-
wurzeln“ von His sowie unsere Figur 4.
Hatte bis jetzt die weisse Substanz keine, oder höchstens
eine unmerkliche Rolle gespielt, so werden die folgenden Aende-
rungen von ihr veranlasst. Besonders übt ihre laterale Substanz-
zunahme auf die graue Substanz einen Druck aus, der sich an
dem Auseinanderweichen der Epithelstützfasern kund giebt (Fig. 5).
Wesentliche Aenderungen sind jedoch nieht mehr zu constatiren.
Auf die Frage nach dem Ursprung der vordern und hintern
Nervenwurzeln näher einzutreten, blieb mir aus äussern Gründen
einstweilen versagt.
Zusammenfassung.
Die hauptsächlichsten Resultate, zu denen ich gelangt bin,
sind folgende:
1. Die Tritonen stehen in Bezug auf die Anzahl der Mitosen
den übrigen Wirbelthieren nieht nach.
2. Die ultraventrieulären Mitosen dienen wahrscheinlich zur
Vermehrung der Spongioblasten.
3. Meine histogenetischen Beobachtungen widersprechen der
His’schen Neuroblastentheorie nieht, sondern bestätigen dieselbe.
4. Die Stützsubstanz der Batrachier ist zeitlebens ein ein-
schiehtiges Epithel.
5. Die von Freud bei Petromyzonten beschriebenen „Hin-
terzellen“ kommen auch den Amphibien zu und weichen im Ver-
lauf ihrer Axeneylinder nur in untergeordneten Punkten von
jenen ab.
6. Infolge der Reduction des Centraleanallumens reicht die
Zahl der dasselbe umstehenden Epithelzellkerne vollständig aus;
die dahin zielenden Erklärungsversuche der Mitosen durch Merk
und Vignal sind also überflüssig.
7. Ein Theil der als „Körner“ oder „freie Kerne“ in der
weissen Substanz bisher beschriebenen Gebilde sind Ganglienzellen
mit nachweisbarem Axeneylinder.
8. Der bisher als Schluss des Medullarrohres bezeichnete
Vorgang ist nur der erste Act des Rückenmarkschlusses, welcher
Histologische Untersuchungen am Rückenmark der Tritonen. 155
erst mit dem Schlusse des Centraleanals sein Ende findet. Ursache
dieses Rückenmarkschlusses ist die Auswanderung der Neuroblasten
nach der Peripherie der grauen Substanz und die damit verbun-
dene Oberflächenspannung, deren Wirkung durch die Lockerung
des Centralcanalepithels verstärkt wird.
9. Die grössten Ganglienzellen sind auch zeitlich die ersten.
Literatur.
1. Bidder und Kupffer. Untersuchungen über die Textur des Rücken-
markes. 1857.
2. Reissner. Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Ba-
trachier. 1864.
3) Stieda. Ueber den Bau des centralen Nervensystems des Axolotl.
Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XXV. 1875.
4. Götte. Entwicklungsgeschichte der Unke. 1875.
5. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung
des Kaninchens und des Meerschweinchens. Zeitschrift für Anatomie und
Entwicklungsgeschichte. 1576.
6. Freud. Ueber den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rücken-
mark von Amnocoetes. Sitzungsbericht der kais. Akademie Wien. 1878.
8. Fraisse. Beiträge zur Anatomie des Pleurodeles Waltlii. 1880.
9. Altmann. Ueber embryonales Wachsthum. 1931.
10. His. Ueber das Auftreten der weissen Substanz und der Wurzel-
fasern am Rückenmark menschl. Embryonen. Zeitschrift für Anatomie und
Entwicklungsgeschichte. 1882.
11. Vignal. Sur le developpement des elements de la Moelle des Mam-
miferes. „Archives de Physiol. normale et pathologique. 1884.
12. C. M. Schmidt. Beiträge zur Kenntniss des Rückenmarkes der
Amphibien. 1885.
13. Gierke. Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. Archiv f.
mikroskop. Anatomie. Bd. XXV. 1885.
14. Rauber. Die Kerntheilungsfiguren im Medullarrohr der Wirbel-
thiere. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XXVI. 1886. f
15. Gierke. Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. Archiv f.
mikrosk. Anatomie. Bd. XXVII. 1886.
16. His. Zur Geschichte des menschlichen Rückenmarks und der Ner-
venwurzeln. Sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften. Bd. XIII. 1556.
17. Merk. Mitosen im Centralnervensystem. Denkschr. d. Wiener
Akademie math.-nat. Cl. 1887.
156 KarlRudolfBurkhardt: Histol. Unters. a. Rückenmark d. Tritonen,
18. Rhode. Histologische Untersuchungen über das Centralnerven-
system v. Amphioxus. Zoologische Beiträge von Ant. Schneider. 1888.
19. His. Die Neuroblasten und deren Entstehung im embryonalen
Mark. Königl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Nr. XXVl. 1889.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VII u. VI.
Die Zeichnungen wurden mit Hilfe eines Apparates eigner Construction
angefertigt.
Fig. 1. Querschnitt des Rückenmarkes von Triton alpestris, 3mm. Vergr.
250 fach.
Fig. 2. Querschnitt des Rückenmarkes von Triton alpestris v. 6 mm. Vergr.
250 fach.
Fig. 3. Querschnitt des Rückenmarkes von Triton alpestris v. 1cm. Vergr.
220 fach.
‘Fig. 4. Querschnitt des Rückenmarkes von Triton alpestris v. 2,5 cm. Vergr.
220 fach. Die Zellkerne wurden absichtlich etwas zu klein ge-
zeichnet um die Anordnung durchsichtiger zu machen. Auf dieser
Figur sind die Querschnitte der Längsbündel mit einer Linie um-
schrieben.
Fig. 5. Querschnitt des Rückenmarkes von Triton alpestris v. 10 cm. Vergr.
220 fach.
Fig. 6 stellt den Austritt einer vorderen Wurzel auf dem Längsschnitt dar
von einem Triton alpestris von 9mm. Vergr. 1000 fach.
Fig. 7 giebt den Modus der Dotteraufnahme durch eine grosse Hinterzelle
wieder, das Plasma drängt sich zwischen die Dotterkörner und um-
wächst sie.
Fig. 8. Ein Neuroblast mit Pigmentanhäufung am Ansatzkegel, sowie einer
vom Kernnetz übersponnenen Vacuole.
Fig. 9 und 10. Neuroblasten zu Beginn ihrer Auswanderung. Sämmtliche
4 Figuren 1000fach vergr.
Fig. 11 giebt einen Querschnitt durch die äusserste Schwanzspitze von Tri-
ton taeniatus. Rechts treten 3 Axencylinder aus und bilden so
eine vordere Wurzel; oben liegt eine Hinterzelle mit ihrem Axen-
eylinder. Vergr. 800fach.”
Fig. 12 giebt verschiedene Formen von Ganglienzellen, die im Texte erörtert
wurden bei 600facher Vergrösserung.
Fig. 13 ein gefaltetes Schichtensystem; die mit einem Kreuz bezeichnete
Stelle entspricht der Lage der Hinterzelle auf Fig. 2.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im
Rückenmark.
Von
Dr. M. v. Lenhossek, Docent in Budapest.
Hierzu Tafel IX.
Die inneren Fortsetzungen der Hinterwurzeln nehmen un-
zweifelhaft wesentlichen Antheil am Aufbau des Rückenmarkes
und eine Untersuchung, die sich mit dem Verlauf und den Ver-
bindungen derselben zu befassen hat, wird nothwendigerweise auch
einige der Hauptpunkte der Rückenmarksstructur berühren müssen.
Es liegt in diesem Umstande eine Mahnung zur besonderen Re-
serve in der Formulirung aller diesen Punkt betreffenden Angaben
und namentlich zur scharfen Auseinanderhaltung dessen, wofür
man mit Sicherheit eintreten kann und was man nur als wahr-
scheinlich, als hypothetisch hinzustellen vermag. Es war mir in
nachfolgender Darstellung besonders daran gelegen, diese Distine-
tion möglichst deutlich hervortreten zu lassen.
Die vorliegenden Ausführungen beruhen auf der Untersuchung
eines ziemlich reichhaltigen Materials und wurden mit Hülfe der
Entwickelungsgeschichte und vergleichenden Anatomie gewonnen.
Die Verknüpfung dieser beiden Methoden scheint mir auf dem
Gebiete der Anatomie des Centralnervensystems das Meiste zu
versprechen. Als Object diente das Rückenmark erwachsener und
neugeborener Menschen sowie menschlicher Früchte verschiedener
Länge (28, 30, 32, 36, 38 und 45 cm), ausserdem dasjenige der
Katze, des Kaninchens, des Meerschweinchens und der Maus, und
zwar sowohl das Rückenmark ausgewachsener Exemplare, wie
dasjenige junger Thiere, aus der Periode, wo die Bildung der
Markscheiden im Rückenmarke im Gange ist. Zur Färbung der
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd, 34, jet:
158 Dr. M. v. Lenhossek:
Quer- und Längsschnitte wurde die Weigert’sche Tinetion ange-
wendet.
Zunächst einige literarische Angaben. Ich vermeide ein Ein-
gehen auf die ungemein divergirenden Ausführungen älterer For-
scher und will mich nur auf die ebenfalls in vielen Punkten aus-
einandergehenden Angaben neuerer Autoren beschränken.
Ein sehr wesentlicher Fortschritt: ist auf dem in Rede stehen-
den Gebiet in neuester Zeit von Lissauer!) angebahnt worden.
Derselbe führte nämlich den Nachweis, dass die Hinterwurzeln
aus Fasern verschiedener Sorte, nämlich aus starken und feinen
bestehen, die sich im Rückenmarke zu besonderen Bündeln grup-
piren; letztere sind in bedeutend geringerer Zahl als erstere ver-
treten und lagern sich zumeist lateralwärts. Diese Entdeckung
wurde von allen Forschern, von denen bisher über diesen Gegenstand
Aeusserungen vorliegen, wie Bechterew ?), Toldtund Kahler?),
Obersteiner*) und Edinger?°) in einstimmiger Weise bestätigt.
Beehterew fügte die Beobachtung hinzu, dass die stärkeren
Fasern sich früher wit Myelin belegen als die dünneren; während
er nämlich erstere bereits bei 25 cm langen Foeten markhaltig
fand, sollen letztere nach seinen Befunden erst bei einer Länge
von 31—35 em ihre Markumbüllung erhalten. Bechterew fasst
diese feinen Fasern gegenüber der mächtigen, aus den stärkeren
Elementen sich zusammensetzenden „medialen Portion“ als „late-
rale“ zusammen, während Toldt und Kahler sowie Ober-
steiner dieselben einer solehen Bezeichnung nicht würdigen,
sondern sie einfach nur als feine oder lateralste Nervenfasern an-
führen.
1) H. Lissauer, Beitrag zum Faserverlauf im Hinterhorn des mensch-
lichen Rückenmarks und zum Verhalten desselben bei Tabes dorsalis. Archiv
für Psychiatrie. Bd. XVII. 1886. p. 377.
2) W. Bechterew, Ueber die hinteren Nervenwurzeln, ihre Endigung
in der grauen Substanz des Rückenmarks und ihre centrale Fortsetzung
im letzteren. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abth. 1887.
p. 126.
3) C. Toldt, Lehrbuch der Gewebelehre. 3. Auflage. Stuttgart 1888.
4) H. Obersteiner, Anleitung beim Studium des Baues der nervösen
Centralorgane. Leipzig und Wien 1888. p. 187.
5) L. Edinger, Ueber die Fortsetzung der hinteren Rückenmarkswur-
zeln zum Gehirn. Anatomischer Anzeiger 1889. p. 121.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 159
Sehen wir zunächst, wie sich die Forscher über den Verlauf
der inneren starken Nervenfasern, die bis zu Lissauerals alleinige
Fortsetzungen der Hinterwurzeln galten, aussprechen. Die Meisten
bringen sie nach den beiden Richtungen ihrer auseinanderweichen-
den Bündel in zwei Portionen: eine mediale und eine laterale.
Erstere biegt in die Längsrichtung um und betheiligt sich an der Bil-
dung der Burdach’schen Stränge, um aber nachher sich doch in die
Hinterhörner zu senken, letztere tritt ohne zunächst einen longitu-
dinalen Lauf einzuschlagen, durch die Rolando’sche Substanz
hindurch, lenkt aber am vorderen Rande derselben unter Bildung
der „Längsbündel der Hinterhörner“* (Kölliker) sogleich in die
Längsrichtung ein. Krause!) weicht darin von den meisten For-
schern ab, dass er drei Gruppen unterscheidet: eine mediale, eine
mittlere und eine laterale; die beiden ersteren stimmen mit der
medialen und lateralen der anderen Autoren vollauf überein, von
der lateralen giebt Krause nur so viel an, dass sie ebenfalls die
Rolando’sche Substanz durchsetze und dann weiter nach vorn
ziehe.
Als Endigungspunkte der starken Hinterwurzelfasern sind
folgende Theile des Rückenmarks in Anspruch genommen worden:
Vorderhörner, u. zw. laterale Zellgruppe und Fasernetz (Krause,
Schwalbe?) Lissauer, Bechterew, Toldt und Kahler,
OÖbersteiner), vordere Commissur (Krause, Schwalbe,
Lissauer, Bechterew), Clarke’sche Säulen (Schwalbe,
Takäacs°), Bechterew, Toldt und Kahler, Obersteiner,
Edinger), Hinterhörner (Toldt und Kahler, Obersteiner,
Edinger), hintere Commissur (Krause, Schwalbe).
Es ergiebt sich also, dass sich die Angaben der Autoren
in sehr wesentlichen Punkten nicht decken. Die Verbindung der
Hinterwurzeln mit den Vorderhörnern, eine der auffälligsten That-
sachen der Rückenmarksanatomie, findet bei Takäcs und Edin-
ger keine Erwähnung; eine andere, ebenfalls sicher gestellte En-
digung derselben, nämlich diejenige in den Clarke’schen Säulen,
1) W. Krause, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Hannover
1876. p. 389.
2) G. Schwalbe, Lehrbuch der Neurologie. Erlangen 1881. p. 359.
3) A. Takäcs, Ueber den Verlauf der hinteren Wurzelfasern im Rücken-
marke. Neurologisches Centralblatt. 1887. p. 7.
160 Dr. M. v. Lenhossök:
ist bei Lissauer nicht gehörig gewürdigt. Für eine Bethei-
ligung der Hinterwurzeln an der Bildung der vorderen Commissur
treten mehrere Forscher ein, während für einen Antheil derselben
an der Zusammensetzung der Commissura posterior nur Krause
und Schwalbe sich aussprechen.
Hinsichtlich des Verlaufs der feinen Fasern hingegen waltet
— soweit sich die Forscher hierüber geäussert haben — grosse
Uebereinstimmung. Alle schliessen sich der Schilderung Lis-
sauer’s an, derzufolge sich die fraglichen Fasern zunächst zu einem
longitudinalen, zwischen gelatinöser Substanz und Peripherie des
Rückenmarks verlaufenden Bündel sammeln, später wieder eine
horizontale Riehtung einschlagen und durch die Rolando’sche
Substanz nach vorn ziehen, um sich in dem vor letzterer befind-
lichen, Nervenzellen beherbergenden Fasernetz aufzulösen. Wäh-
rend sich aber Toldt und Kahler sowie Obersteiner blos auf
Wiederholung dieser Besehreibung beschränken, gehen Bechterew
und Edinger weiter, indem sie eine direkte Verbindung dieser
feinen Elemente mit den im erwähnten Netz enthaltenen Hinter-
hornzellen behaupten. Ersterer Forscher giebt zugleich an, dass
sich einige der aus Lissauer’s Randzone sich ablösenden Fasern
nicht in das Netz senken, sondern z. Th. in das Vorderhorn be-
geben, z. Th. auf dem Wege der hinteren Commissur im Hinter-
horn der anderen Seite ihre Endigung finden sollen.
Gar nicht in Einklang zu bringen mit all diesen Angaben
sind die Ausführungen von Golgi!)und Ramön y Cajal?), deren.
Mittheilungen auf der Anwendung der vom Ersteren eingeführten
Silberimprägnation beruhen. Ersterer giebt an, dass alle Fasern
der Hinterwurzeln in ein zwischen den Zellen der Hinterhörner
befindliches Fasernetz eingehen sollen, welches von den sich viel-
fach verzweigenden und anastomosirenden Axencylinderfortsätzen
dieser Zellen gebildet werde. Letzterer untersuchte den Ver-
lauf der Hinterwurzeln an 8—10tägigeu Hühnerembryonen. Seine
durch sehr überraschende Abbildungen illustrirte Beschreibung
1) C. Golgi, Sulla fina Anatomia degli organi centrali del sistema
nervoso. 1886.
2) S. Ramön y Cajal, Contribuzion al estudio de la estructura de la
medula espinal. Revista trimestral de Histologia normal y patolögica. 1889.
p: 90.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 161
kann im Folgenden zusammengefasst werden. Die Fasern der
Hinterwurzeln unterliegen, sobald sie in das Rückenmark getreten
(jede Faser für sich) einer Y-förmigen Spaltung. Von den bei-
den Theilungsschenkeln tritt der eine sogleich in die Hinter-
hörner, während der andere innerhalb der Hinterstränge auf-
resp. absteigend in die Längsrichtung hinüberlenkt, um aber
später ebenfalls in die graue Substanz einzustrahlen. Das weitere
Schicksal all dieser Fasern ist ein gleiches: sie drängen sich zwi-
schen die Zellen der Hinterhörner, treten indess mit diesen Ele-
menten gar nicht in Verbindung, sondern endigen zwischen ihnen,
nachdem sie sich reichlich verästelt haben, frei, „por arborizacio-
nes libras“.
Schliesslich muss ich noch einen Punkt zur Sprache bringen,
hinsichtlich dessen auch verschiedene Meinungen hervorgetreten
sind. Es handelt sich um die Frage, ob die Elemente der Hinter-
wurzeln — es sind hier namentlich diejenigen gemeint, die an der
Bildung der Hinterstränge als Längsfasern Antheil nehmen — alle
noch innerhalb des Rückenmarks ihre Endigung finden, oder ob
ein Theil derselben bis in das Gehirn hinauf verlaufe. Für die
erstere Annahme hat sich sehr entschieden Bechterew!) ausge-
‘sprochen, während letztere Ansicht seit Schiefferdecker von einer
Reihe von Pathologen, wie Singer?) Kahler?°), Schultze®),
Hofrichter®), Edinger (o.c.) u. A. vertreten wird. Es zeigt sich
nämlich, dass, wenn das Rückenmark oder selbst nur die Hinter-
wurzeln eine Läsion erleiden, sich nach einiger Zeit in den Hinter-
strängen eine aufsteigende secundäre Degeneration einstellt, die in
vielen Fällen — selbst wenn die Läsion nur den untersten Theil
1) W. Bechterew, o. c. p. 130.
2) Singer, Ueber secundäre Degeneration im Rückenmarke des Hun-
des. Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wissensch. Bd. LXXXIV. 1881.
3) 0. Kahler, Ueber die Veränderungen, welche sich im Rückenmarke
in Folge einer geringgradigen Compression entwickeln, Zeitschrift für Heil-
kunde. Bd. III. 1882. p. 229.
4) H. Schultze, Beitrag zur Lehre von der secundären Degeneration
im Rückenmarke des Menschen nebst Bemerkungen üher die Anatomie der
Tabes. Archiv für Psychiatrie. Bd. XIV. 1883. p. 359.
5) E. Hofrichter, Ueber aufsteigende Degeneration des Rückenmarks
auf Grundlage pathologisch-anatomischer Untersuchung. Inaug.-Dissertation.
Jena 1883.
162 Dr. M. v. Lenhossek:
des Rückenmarkes betraf — unter allmählicher Verschmälerung bis
in das Gehirn hinauf sich verfolgen lässt. Ja einige Autoren
wollen sogar die zu den einzelnen Hinterwurzeln gehörigen Gebiete
innerhalb des Querschnittes der Hinterstränge bestimmt präeisirt
wissen. Die Sache erscheint auf den ersten Blick in der That
ungemein überzeugend; dennoch können die Akten über diesen
Gegenstand noch nicht als geschlossen betrachtet werden. Prüft
man die diesen Abhandlungen beigegebenen Abbildungen, so kann
man sich des Gedankens nicht erwehren, dass, falls diese Dege-
nerationsfelder in der That direkte Fortsetzungen der angegriffenen
Wurzeln wären, der Querschnitt der Hinterstränge von unten nach
oben unbedingt in colossaler Weise, geradezu keilförmig zunehmen
müsste, was doch bekanntlich nicht der Fall ist. Indess wird man
billigerweise die den Thatsachen der sec. Degeneration innewoh-
nende Beweiskraft nicht in Abrede stellen können und für einen
Theil der sensitiven Fasern, über dessen Mächtigkeit sich freilich
streiten lässt, einen solchen centralen Lauf anerkennen müssen.
Während die Vorderwurzeln ihre compacte Beschaffenheit
auch innerhalb des Rückenmarkes eine gute Strecke, fast bis zu
ihrer Endigung behaupten, zerspalten sich die Hinterwurzeln bald,
nachdem sie in das Rückenmark getreten, in mehrere Bündel. Bei
dem Menschen erfolgt diese Zerspaltung verhältnissmässig noch
am spätesten, indem die Rolan do’sche Substanz, an deren hinterem
Rande sie sich in ihre Theile zu lösen haben, hier von der Peri-
pherie am meisten absteht; zwischen dieser Substanz und der
Peripherie haben sie nun eine ganz kurze Strecke, wo sie noch
als compacte Bündel vorwärts und medianwärts ziehen, um aber
bald kelehartig auseinander zu weichen.
Ich unterscheide mit Krause nach den drei Richtungen,
die ihre auseinandertretenden Bestandtheile einschlagen, drei
Portionen oder Gruppen: eine mediale, eine mittlere und eine
laterale. Von diesen ist die mediale stets die stärkste, sie nimmt
den Haupttheil der Hinterwurzeln für sich in Anspruch. Die
mittlere ist beim Menschen allerdings sehr oft nicht scharf zu
sondern von der medialen und im Allgemeinen verhältnissmässig
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 163
schwach entwickelt; ich sehe mich trotzdem aber, mit Hinblick
auf die Befunde an Thieren und namentlich an menschlichen
Foeten, wo sich diese Gruppe auf den ersten Blick als selbst-
ständige kundgiebt, veranlasst, sie von der medialen unbedingt
abzutrennen. Bei einigen Thieren lässt diese Portion eine ungemein
starke Entwickelung und auch in ihrer Lage grosse Selbstständig-
keit erkennen; als geradezu vorzügliches Objeet in dieser Hin-
sicht empfehle ich das Rückenmark des Meerschweinchens. Die
laterate Portion erreicht im Gegensatze zu der letzteren gerade
beim Menschen den Höhepunkt ihrer Entwickelung; sie ist bei
Hund und Katze etwas schwächer vertreten und tritt bei den von
mir untersuchten Nagethieren, namentlich bei der Maus fast bis
zum Verschwinden zurück.
Ich möchte vor Allem mit einigen Worten klarlegen, was ich
unter diesen Portionen verstehe. Als mediale Gruppe fasse ich
zwei Kategorien von Fasern zusammen: 1) alle diejenigen, die
in die Bildung der Burdach’schen Stränge eingehen, 2) diejeni-
gen, die den medialsten Theil der Rolando’schen Substanz zum
Durchtritt benützen, und dann in der Horizontalebene weiter nach
vorn sich begeben. Die Elemente der mittleren Portien dureh-
setzen die Rolando’sche Substanz in ihrem mittleren Abschnitt
und lassen dann die charakteristische Bigenschaft erkennen, dass
sie vor derselben, unter Bildung jener Bündel, die von Kölliker!)
als „Längsbündel der Hinterhörner* eingeführt worden sind, in
die Verticalrichtung umbiegen. Das, was ich als laterale Por-
tion bezeichne, ist identisch mit der gleichbenannten Gruppe
Bechterew’s: sie enthält die von Lissauer entdeckten feinen
Fasern. Ihre Elemente treten zunächst zwischen Roland o’scher
Substanz und Peripherie zu einem longitudinal verlaufenden
Bündel (Lissauer’s Randzone) zusammen, lösen sich aber aus
demselben allmählich ab, um wieder in Horizontalebene hinüber-
zulenken und durch letztere Substanz hindurch in das Hinterhorn
einzustrahlen.
Die Unterscheidung dieser drei Gruppen ist nicht nur in der
Differenz ihres Verlaufes, sondern auch in einigen anderen Merk-
malen begründet. Vor Allem muss hier der Breitenunterschied
1) A. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Meuschen. 5. Auflage.
Leipzig 1867. p. 262.
164 DENM. v. Lenhossck:
ihrer Nervenfasern hervorgehoben werden. Im Allgemeinen sind
die Bestandtheile der Hinterwurzeln wohl etwas schmäler als die-
jenigen der Vorderwurzeln, zerfallen aber ihrerseits wieder in
zwei Kategorien: in solche, die verhältnissmässig stark sind, und in
ganz dünne; erstere bilden den grössten Theil der Hinterwurzeln.
— Im extramedullären Abschnitt der Wurzeln sind diese Fasern un-
regelmässig vermischt; man vermisst wenigstens auf dem Quer-
schnitt derselben ein Gebiet, das sich durch ausnahmslose Fein-
heit seiner Elemente auszeichnen würde. Innerhalb des Rücken-
markes erfolgt nun eine selbstständige Gruppirung der beiden
Faserkategorien. Die breiteren gruppiren sich medianwärts, unter
Bildung der medialen und mittleren Portion, die dünneren lenken
fast alle nach aussen ab, um die laterale Portion darzustellen.
Doch sind auch in den beiden ersteren Gruppen feine Fasern ent-
halten. Die stärksten Elemente finden sich in der medialen Portion.
Ich habe an anderer Stelle!) den Satz zu begründen gesucht,
dass die Reihenfolge der Markscheidenentwickelung innerhalb des
Rückenmarkes durch die Breite der betreffenden Nervenfasern
bestimmt werde in dem Sinne, dass die dickeren Fasern sich
früher mit Myelin umscheiden als die dünneren. Die Hinter-
wurzeln liefern einen neuen Beleg dieses Ausspruches. Im Allge-
meinen geht hier dieser Process etwas später vor sich, als in den
vorderen Nervenwurzeln. Während letztere bei 36cm langen
Foeten (s. Fig. 2) vollkommen markhaltig genannt werden können,
erscheinen erstere selbst bei Neugeborenen nicht ganz markweiss —
oder eigentlich markschwarz. In der grobfaserigen medialen
und mittleren Gruppe legt sich das Mark früher ab, als in der
feinfaserigen lateralen; auch zwischen den beiden ersteren macht
sich ein hierhergehöriger, wenn auch geringer zeitlicher Unterschied
geltend, indem sich der Process in der mittleren Portion etwas
später einstellt als in der medialen. Dieses Verhalten lässt sich
nicht nur beim Menschen, sondern auch bei allen von mir unter-
suchten Thieren nachweisen. Beim Menschen beginnt die Mark-
scheidenbildung in der medialen Portion bei 28, in der mittleren
bei 32 und in der lateralen bei 45 cm langen Foeten.
1) Dr. M. v. Lenhossek, Untersuchungen über die Entwickelung der
Markscheiden und den Faserlauf im Rückenmark der Maus. Archiv für mi-
kroskopische Anatomie. Bd. XXXIlI. 1889. S. 9.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 165
Wir haben nun die drei Portionen einer gesonderten Be-
trachtung zu unterziehen.
Die mediale Portion sondert sich beim Menschen schon
in der ersten Etappe ihres Verlaufs in zwei Gruppen: in die
Gruppe der „geraden“ und in diejenige der „Hinterstrangfasern“.
Wenn das quantitative Verhältniss auch zwischen beiden nicht
sanz constant erscheint, so gilt doch für die Mehrzahl der Fälle,
dass letztere Gruppe einen grösseren Theil der Portion in sich
fasst, als erstere.
Die Gruppe der geraden Fasern spaltet sich sogleich in
mehrere Bündel, die durch den medialen Abschnitt der Rolando-
schen Substanz hindurehtreten, um sich vor derselben mit den aus
den Burdach’schen Strängen einstrahlenden Bündeln zu vereini-
gen und mit denselben weiter nach vorn zu ziehen. — Die Hinter-
strangfasern laufen zunächst längs des hinteren und medialen
Randes der Rolando’schen Substanz bogenförmig nach innen,
und biegen in den Burdach’schen Strängen, die meiner Ansicht
. nach ausschliesslich aus Fortsetzungen dieser Fasern sich zusammen-
setzen, in die Längsrichtung um, um jedoch später wieder in die
Horizontalebene einzulenken und in die Hinterhörner einzudringen.
Bevor ich indess den weiteren Lauf dieser Fasern innerhalb
der grauen Substanz verfolgen würde, möchte ich einige Bemer-
kungen hinsichtlich der Burdach’schen Stränge zur Sprache
bringen. Auf Grund verschiedener Merkmale lassen sich diese
Stränge in drei Zonen zerlegen: eine grosse mittlere, die ich mit
dem Namen Einstrahlungszone belegen möchte, eine vordere und
eine hintere periphere. Am schärfsten differenziren sich die-
selben im Lumbaltheil, weniger deutlich im Cervicaltheil, am un-
deutlichsten im Brustabschnitt des Rückenmarkes. Die Einstrah-
lungszone deckt sich völlig mit jener Partie der Burdach’schen
Stränge, welche schon früher von versehiedenen Autoren, am
deutlichsten von Strümpell und Westphal, als selbstständige
Zone beschrieben und unter der Bezeichnung „Wurzelzone“ ein-
geführt worden ist. Ich vermag indess diese Bezeichnung nicht
als vorwurfsfrei anzunehmen, indem ich mich, wie gesagt, zu jener
Ansicht bekennen muss, dass die Bezugsquelle aller Theile der
Burdach’schen Stränge und auch der Goll’schen in den Hin-
terwurzeln zu suchen sei, ich mithin also in allen drei Zonen
“
166 Pol... Lesrhansgk:
Wurzelzonen erblicke. Die Eintheilung, die Bechterew!) hin-
sichtlich der Burdach’schen Stränge mitgetheilt hat, stimmt in-
sofern nicht mit der meinigen überein, als derselbe nur zwei
Zonen: eine hintere peripherische und eine vordere unterscheidet.
Die Grundlage, auf welche ich diese Eintheilung basire,
besteht im Folgenden. Zunächst findet man im mittleren Gebiet
ausser Längsfasern auch viele Bruchstücke horizontal verlaufen-
der, die, wenn man sie sich zusammengesetzt denkt, bogenför-
mig aus den Hinterwurzeln in die graue Substanz führen. Im
Lumbaltheil, wo diese Bogenfasern am Meisten vertreten sind,
kommen mitunter solche zur Beobachtung, die in derselben Quer-
ebene ohne Unterbrechung aus den Wurzeln direet in die Hinter-
hörner sich begeben. — Alle aus den Hintersträngen in die graue
Substanz einströmenden Bündel kommen aus dieser Zone, daher
der von mir vorgeschlagene Name. Weiterhin kommt die Richtung
der Gliasepta in Betracht, ein Punkt, der, wie ich finde, bisher
nirgends Berücksichtigung gefunden hat. Dieselben sind nämlich
in der Einstrahlungszone von sehr charakteristischer Anordnung, _
sie convergieren strahlenartig aus allen Theilen der Burdach-
schen Stränge gegen jene Stelle des medialen Randes der Hinter-
hörner, die von den Einstrahlungsmassen als Eintrittspforte be-
nützt wird. Durch die Uebereinstimmung des Verlaufs der hier
gelegenen Nervenfasern mit der Anordnung dieser Scheidewände
wird einem der Gedanke nahe gelegt, es sei die Richtung letzterer
durch den Lauf ersterer bedingt.
Schliesslich oder eigentlich hauptsächlich sind es die Ver-
hältnisse der Markscheidenentwickelung, auf denen diese Einthei-
lung beruht. Ich fand, dass dieser Process in den drei Zonen in
folgender Reihenfolge vor sich gehe: 1) in der Einstrahlungszone,
2) in der vorderen, 3) in der hinteren Zone. Am Rückenmarke
28cm langer Foeten (Fig. 1) findet man, dass die mittlere Zone
viel mehr markhaltige Elemente enthält als die beiden anderen,
zu Folge dessen sie an nach Weigert gefärbten Präparaten durch
ihre etwas dunklere Färbung deutlich hervortritt; ihr Gebiet ist
halbmondförmig, legt sich der medialen Seite der Hinterhörner
saumartig an und reicht medianwärts nicht ganz bis zur Mittel-
1) W. Bechterew, Ueber die Bestandtheile der Himterstränge des
Rückenmarkes auf Grund der Untersuchung ihrer Entwickelung. Neurologi-
sches Centralblatt. 1885. p. 31.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 167
linie resp. zu den Goll’schen Strängen, so dass vordere und
hintere Zone durch eine schmale Brücke miteinander in Verbin-
dung bleiben. Letztere enthalten um diese Zeit wenig Markfasern.
— Bei 32em langen Früchten nimmt das Myelin in allen Zonen
etwas zu. Bei einer Länge von 36cm gewahrt man in der vorderen
Zone sehr bedeutende Fortschritte in der Markentwickelung,
sie fliesst nunmehr mit der Einstrahlungszone zu einem gemein-
samen markhaltigen Felde zusammen, innerhalb dessen keine
weitere Abgrenzung mehr möglich ist, das sich indess von der
hinteren, sehr viel helleren Zone noch deutlich absondert. Das
ist das Stadium, welches den Beobachter zu der Eintheilung, wie
sie Bechterew vorschlägt, veranlassen könnte. — Bei 25cm
langen Früchten erscheint auch die hintere Zone viel markhaltiger,
doch ist ein geringer Unterschied in der Färbung noch immer
wahrzunehmen; erst bei Neugeborenen begegnet man dem definitiven
Verhalten, d. i. einer ungefähr gleichen Färbung aller drei Abthei-
lungen.
Das Gebiet, welches wir als Einstrahlungszone bezeichneten,
bewahrt auch bei secundären Degenerationen seinen selbstständi-
gen Charakter. Alle bisher veröffentlichten hierher gehörigen Beob-
achtungen ergeben nämlich in gleicher Weise, dass in reinen Fällen
diese Zone in höher gelegenen Ebenen, als die Stelle der Läsion,
von der Degeneration stets frei bleibt, so dass sie sich gewisser-
maassen inselartig aus den übrigen degenerirten Theilen der Bur-
dach’schen Stränge hervorhebt. Es ist diese Thatsache um so wichti-
ger, als sie auf die Bedeutung der drei Zonen ein Licht zu werfen
geeignet scheint. Ich glaube nämlich aus derselben mit anderen
Forschern jenen — auch durch die direecte Beobachtung des Ver-
laufs der Fasern bekräftigten — Schluss folgern zu dürfen, dass
sich in der Einstrahlungszone jene Fasern der Hinterwurzeln be-
finden, die sich gleich, nachdem sie in das Rückenmark getreten,
oder nach kurzem longitudinalen Verlauf, mit der grauen Sub-
stanz verbinden, während in den beiden anderen Gebieten die in
ihrem Verlauf sich auf längere Abschnitte des Rückenmarkes er-
streckenden Elemente derselben enthalten sind.
Was nun den weiteren Lauf der in die graue Substanz ein-
gedrungenen Fasern der medialen Portion betrifft, so ergeben sich
je nach Höhen des Rückenmarkes Differenzen. Untersucht man
einen Schnitt aus dem Lenden- oder Halstheil, so findet man, dass
168 Dr. M. v. Lenhosse&k:
sich fast alle Fasern in die Vorderhörner begeben, um in den-
selben ihre Endigung zu finden, während in der unteren Hälfte
des Dorsal- und im obersten Abschnitt des Lumbalmarkes in dem Ab-
schnitte also, der durch die Clarke’schen Säulen ausgezeichnet ist,
sich die meisten Fasern der medialen Gruppe mit diesen Säulen
verbinden und nur ein geringer Theil sich gegen die Vorderhörner
wendet.
Die Endigung eines bedeutenden Theiles der Hinterwurzelfasern
in den Vorderhörnern gehört nach meiner Meinung zu den sichersten
Thatsachen der Rückenmarksanatomie. Man bekommt so überzeu-
sende Bilder zu sehen, dass man hierüber gar nicht in Zweifel sein
kann. Um so auffallender ist es, dass ein so vorzüglicher Beobachter,
wie Edinger, diese Endigung in seiner Darstellung des Verlaufs
der Hinterwurzeln völlig ignorirt. Am besten gelingt es diese
Fasern zu verfolgen im Rückenmarke Neugeborener, wo das Faser-
gewirr der grauen Substanz noch nicht in seiner späteren Dichtig-
keit in die Erscheinung trat, daher sich ihr Verlauf. klarer dar-
stell. Man sieht, wie die Einstrahlungsbündel vor der Rolando-
schen Substanz in den bekannten, elegant geschwungenen Bogen
in die graue Substanz strömen, sich sogleich zu den in gestreck-
tem Verlauf hierher gelangenden „geraden Fasern“ gesellen und
nun vereinigt als mehrere starke Bündel nach vorn ziehen, ihre
compacte Beschaffenheit indess nicht lange behaupten, indem sie
gewöhnlich schon in der Querlinie der hinteren Commissur einer
Auflockerung anheimfallen. Obwohl nun hierdurch eine deutliche
Verfolgung all’ ihrer Fasern vereitelt wird, so kann man sich über
ihren weiteren Verlauf doch genügende Ueberzeugung verschaffen,
indem ihre weiteren Bruchstücke alle in der Richtung der
Vorderhörner ziehen; man bekommt mit einem Worte, obwohl
sich ein und dieselbe Faser nie auf längere Strecken verfolgen
lässt, durch die Summe dieser Bruchstücke den überzeugenden
Eindruck einer Einstrahlung in die Vorderhörner, u. zw. in alle
Theile derselben. Mitunter gewahrt man ein mit überraschender
Schärfe hervortretendes, der medialen Portion zugehöriges Bündel,
das sich, ohne sich nach Art der übrigen aufzulockern, nach aussen
wendet und direet auf die lateralen Zellen der Vorderhörner los-
geht (s. Fig. 2). Ich glaube die Ursache der bis zuletzt eompaeten
Beschaffenheit dieser lateralen Bündel in der eigenthümlichen
Gruppirung der Zellen, zu denen sie in Beziehung stehen, erkannt
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 169
zu haben. Fertigt man nämlich sagittale Längsschnitte aus dem
Rückenmarke — am besten aus den Anschwellungen — an, so
findet man, dass während die Nervenkörper der medialen Zell-
anhäufung eine eontinuirliche Säule bilden, diejenigen der lateralen
Gruppe sich zu kleinen, in gleichmässigen Distanzen von ein-
ander liegenden rundlichen Häufchen ordnen. Da nun die Vor-
raussetzung, dass die Anordnung, der Verlauf der Nervenfasern
durch die Lage jener Zellen bedingt sei, zu denen sie sich zu
begeben haben, ungemein naheliegend ist, so würde hierdurch
der mehr zerstreute Verlauf der inneren und die bündelartige
Anordnung der äusseren Fasern der medialen Gruppe eine an-
nehmbare Erklärung finden. Ich möchte mich aber in dieser Be-
ziehung insofern mit etwas Zurückhaltung geäussert haben, als
ich mich bei anderen Thieren, bei denen der compacte Verlauf
der lateralen Bündel ebenfalls vorhanden ist, von einer häufchen-
artigen Anordnung der lateralen Vorderhornzellen bislang noch
nieht mit Sicherheit zu überzeugen vermochte. — Für die in Rede
stehenden lateralen Bündel wird man also eine Endigung in oder
zumindest zwischen den lateralen Zellen der Vorderhörner an-
nehmen dürfen, während für die medialeren nur so viel mit
‚Gewissheit angeben werden kann, dass sie sich im centralen,
durch ein reiches Fasernetz dargestellten Theil der Vorderhörner
verlieren. Da sich aber dieses Fasergewirr unzweifelhaft haupt-
sächlich aus den Protoplasmafortsätzen der grossen motorischen
Zellen zusammensetzt, so muss das Bestehen irgendwelcher Be-
ziehungen der Hinterwurzelfasern zu diesen Zellen oder ihren
Fortsätzen für wahrscheinlich erklärt werden.
Die Beziehungen der medialen Abtheilung zu den Clarke-
schen Säulen finden bei allen neueren Autoren gehörige Wür-
digung. Ich muss auf Grund meiner Beobachtungen diese Säulen
ebenfalls als wichtige Endigungsstationen der medialen Hinter-
wurzelfasern bezeichnen. Bei Betrachtung von Schnitten aus der
Gegend, wo diese Säulen den Höhepunkt ihrer Entwiekelung er-
reichen, erkennt man ganz deutlich, dass aus dem vorderen
Theil der Einstrahlungszone zahlreiche Fasern in dieselben ein-
treten, und zwischen ihren Zellen sich auflösen. Natürlich ist
es nicht rundweg auszuschliessen, dass nicht ein Tbeil dieser
Fasern vielleicht andere Elemente repräsentirt als Wurzelfasern,
indess kann diese Einwendung für die Mehrzahl derselben als un-
170 Dr. M. v. Lenhosseök:
begründet ausser Acht gelassen werden, indem ihre Lage, ihre
Richtung durchaus identisch ist mit derjenigen, die die anderen,
unzweifelhaft der medialen Portion angehörigen Wurzelfortsetzun-
gen erkennen lassen. Eine continuirliche, ununterbrochene Ver-
bindung zwischen den Fasern der eintretenden Wurzeln und den
Clarke’schen Säulen kommt freilich auf dem Querschnitte nie
zur Beobachtung. — Des weiteren kann man dafür mit grosser
Wahrscheinlichkeit eintreten, dass die in Rede stehenden Fasern
direct mit den Zellen der Clarke’schen Säulen in Verbindung
treten. Schon die Gestalt des Querschnittes der Clark e’schen
Säulen spricht für diesen Zusammenhang: sie erscheinen nämlich
auf den meisten Schnitten nicht so sehr von rundlichem als vielmehr
von ovalem, birnförmigem Umrisse, mit breiterem vorderen und
schmälerem hinteren Theil, welch’ letzterer sich verjüngernd an den
durch die Hinterwurzelfasern repräsentirten Stiel anschliesst. Be-
sonders deutlich hervortretend fand ich diese Gestalt bei 32cm
langen Foeten, wo die Grundsubstanz dieser Säulen mit der von mir
beobachteten und beschriebenen !) Myeloidsubstanz stark beladen und
daher an Weigert’schen Schnitten von dunkler Färbung erscheint,
weshalb sich die Säulen äusserst scharf absondern. Für geradezu ent-
scheidend aber in dem Sinne der directen Verbindung erachte ich
folgende Beobachtung: es trifft sich mitunter, namentlich an foetalen
Marken, dass einige von den Zellen der Clarke’schen Säulen sich
aus dem Verbande dieser Gruppe loslösen und vereinzelt zwischen
den Fasern der medialen Portion, mit denen diese exquisit spindel-
förmigen Elemente parallel gelagert sind, ihre Lage haben. In der
Regel findet man diese freigewordenen Zellen an der Grenze zwischen
grauer und weisser Substanz, doch begegnet man denselben zuweilen
mitten in der Einstrahlungszone der Burdach’schen Stränge; ja
sie rücken hin und wieder fast bis zur Eintrittsstelle der Hinter-
wurzeln, halten sich also stets in Lage und auch Richtung ihrer
Achse an den Verlauf der Hinterwurzelfasern.
Die Zellen der Clarke’schen Säulen erscheinen gewöhnlich
rundlich-spindelförmig, mit sagittaler Längsachse. Nach der Be-
schreibung einiger Autoren soll sich ihr Achsencylinderfortsatz
nach aussen wenden. Dies trifft meinen Beobachtungen zufolge
in den seltensten Fällen zu. Ein solcher Fortsatz hätte aber auch
1) M. Lenhossek o.c. p. 80.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 171
keine Verwendung. Die „horizontalen Kleinhirnbündel* Flech-
sig’s, denen zu Liebe offenbar dieser seitliche Fortsatz geschaffen
worden ist, entspringen nie von der lateralen Seite der Clarke’schen
Säule, sondern stets von der vorderen. Die betreffenden Fasern
sammeln sich bald, nachdem sie aus den Kernen herausgetreten,
zu einem compaeten Bündel, das eine ganz kurze Strecke nach
vorn geht, sich aber plötzlich, unter beinahe eckiger Schwenkung
nach aussen wendet, um in querer Richtung in die Seitenstränge
zu ziehen.
Die meisten Forscher, die sich mit dem Verlauf der Hinter-
wurzelfasern befassen, — von Neueren nenne ich Schwalbe
Lissauer und Bechterew — behaupten eine Betheiligung der-
selben an der Bildung der vorderen Commissur. Obwohl ich
diesem Punkte — eben weil sich so namhafte Forscher
hiefür aussprachen — besondere Aufmerksamkeit gewidmet habe,
konnte ich mich hiervon dennoch nie überzeugen. Man sieht
allerdings häufig der medialen Abtheilung zugehörige Fasern, die
in der grauen Substanz anfangs in der Richtung der vorderen
Commissur verlaufen, allein wenn man den weiteren Lauf der-
selben aufmerksam verfolgt, so überzeugt man sich stets, dass
sich dieselben vorn schliesslich doch nach aussen wenden, um im
medialsten Theil der Vorderhörner ihre Endigung zu finden.
Die Elemente der vorderen Commissur entstammen beim Menschen
alle den Vorderhörnern, sie gehen z. Th. in den Vorderstrang
der anderen Seite, um hier in die Längsrichtung umzubiegen,
z. Th. gesellen sie sich zu den contralateralen Vorderwurzeln. Ein
ähnlicher Irrthum liegt namentlich bei Untersuchung von Schnitten
aus dem Dorsaltheil nahe. Hier bestehen nämlich folgende Ver-
hältnisse. Die grossen Zellen der Vorderhörner ordnen sich zu
einer annähernd sagittalen Reihe. Dieselbe besitzt zwei Seiten:
eine laterale und eine mediale, von der ersteren und der vorderen
Spitze der Anhäufung gehen die Vorderwurzeln ab, die mediale
Seite, die beinahe an die vordere Commissur angrenzt, empfängt
die einstrahlenden Fasern der Hinterwurzeln und giebt die Elemente
der vorderen Commissur ab. Die innersten Fasern der medialen
Portion haben nun in der Nähe der Mittellinie geradeaus nach
vorn zu ziehen, und man findet oft ein Bild vorgetäuscht, als
ob sie sich zur Commissura ant. begeben würden, was, wie ich
172 Dr. M. v. Lenhossek:
nochmals ausdrücklich hervorheben will, nach meinen Beobachtun-
gen nicht der Fall ist.
Ich kann nicht umhin, an dieser Stelle zu erwähnen, dass
ich jene Fasern, die nach Edinger’s Beschreibung!), aus den
Hinterhörnern in die vordere Commissur ziehen sollen, und denen
dieser Forscher eine so grosse Bedeutung beilegt, durchaus vermisse.
Sie mögen vorhanden sein bei jenen niederen Wirbelthieren, auf die
sich die Untersuchungen Edinger’s hauptsächlich beziehen, sind
aber bei höheren sowie beim Menschen, soviel ich sehe, nicht
nachzuweisen. Ich finde, dass bei letzterem alle, sich an der Bil-
dung der vorderen Commissur betheiligenden Fasern vorderen und
seitlichen Ursprunges sind; keine einzige kommt, soviel ich sehe,
von hinten, und somit bin ich auch nieht in der Lage, mich der
Hypothese Edinger’s in Bezug auf die centralen Verbindungen
der Hinterwurzeln anschliessen zu können.
Wenn ich irgendwelche Beziehungen der Hinterwurzeln zur
vorderen Commissur in Abrede zu stellen mich veranlasst sehe, so
muss ich wieder .in Betreff der hinteren Commissur behaupten,
dass sie unzweifelhaft einen Theil ihrer Elemente direct aus den
sensitiren Wurzeln bezieht. Ich finde mich hierin ebenfalls im Wi-
derspruche mit der Mehrzahl der neueren Autoren, von denen dies
zumeist geläugnet wird. Namentlich haben sich Bechterew und
Obersteiner sehr deutlich gegen eine solche Verbindung ausge-
sprochen. Da die Bestandtheile der hinteren Commissur nach
meinen Befundeu zum grössten Theil aus der mittleren Gruppe
der Hinterwurzelfasern stammen, werde ich auf dieselbe bei Be-
schreibung dieser Portion näher einzugehen haben. : Hier nur so
viel, dass auch die mediale Portion einigen Antheil an der Com-
missura post. hat.
Schliesslich noch einige Bemerkungen in Betreff der Zeit
der Markscheidenentwickelung in der medialen Gruppe. Es ergab
sich, dass sich selbst innerhalb dieser Portion Unterschiede in
dieser Beziehung bemerkbar machen. Die zu den Vorderhörnern ge-
hörigen Bündel scheinen hierin denjenigen etwas voranzugehen, die
zu den Clarke’schen Säulen in Beziehung treten. Bei 23 cm
langen Früchten (s. Fig. 1) findet man überhaupt in den Hinter-
wurzeln wenig markhaltige Elemente. Im extramedullären Stück
1) Edinger, o. c. p. 124.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 173
unregelmässig verstreut, wenden sie sich im Rückenmarke alle nach
innen, um in die Burdach’schen Stränge einzugehen, die um diese
Zeit schon ziemlich viel Faserpunkte aufweisen. In die graue Sub-
stanz begeben sich aber sehr wenig myelinhaltige Fasern aus diesen
Strängen. Man gewahrt kaum einige solche Fäserchen auf je einem
Sehnitte, sie ziehen stets an der lateralen Seite der Clark e’schen
Säulen uach vorn, um bald zu endigen. Bei 36 cm langen Foeten
(Fig. 2 und 3) sind wesentliche Fortschritte zu erkennen. Die
mediale Portion erscheint zum guten Theile markhaltig und sind
bereits auch die in den Clarke’schen Säulen endigenden Fasern
hervorgetreten, doch kann die Portion noch nicht vollkommen
myelinhaltig genannt werden. Erst zur Zeit der Geburt stellt sie
sich als völlig fertig dar.
Die Befunde an den zur Untersuchung benutzten Thieren
schliessen sich in Betreff der medialen Portion in allen wesent-
liehen Punkten an die soeben dargelegten an.
Bei der Katze sondert sich diese mächtig entwickelte Gruppe
ebenfalls sogleich in „gerade“ und „Hinterstrangfasern“. Erstere
sind in bedeutend grösserer Anzahl vorhanden als letztere, und
beanspruchen zum Durchtritt die medialen ?2/; der Rolando’schen
Substanz. Die drei Zonen der Burdach’schen Stränge kommen
auch hier deutlich zur Anschauung und bestehen die Merkmale der
Einstrahlungszone ebenfalls in dem bogenförmigen Lauf einiger
ihrer Elemente, sowie in der convergirenden Anordnung ihrer
Gliasepta. Auch die Verhältnisse der Markscheidenbildung er-
mächtigen zu der Eintheilung, indem man bei 3tägigen Katzen
viel mehr Mark in der mittleren Zone findet, als in den beiden
anderen, doch ist diese Differenz hauptsächlich nur im Lumbal-
mark ausgesprochen. Bei älteren Thieren verwischt sich allmäh-
lich der Unterschied. In Bezug auf die Myelinbildung in der me-
dialen Portion ergab sich Folgendes. Am 3. Tage enthält dieselbe
eine sehr geringe Anzahl markhaltiger Fasern; sie treten alle in
die Burdach’schen Stränge und aus diesen in die Hinterhörner
ein, wobei sie stets an der lateralen Seite der Clarke’schen
Säulen vorbeiziehen. Die in den letzteren endigenden Fasern wer-
den erst am 7. Tage sichtbar. Die Rückenmarkschnitte bieten um
diese Zeit sehr instructive Bilder: von allen Präparaten, die ich
aus dem Rückenmarke von Menschen und Thieren angefertigt
habe, fand ich sie am Meisten geeignet, die Endigung der Hinter-
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 34, 12
174 Dr. M. v. Lenhossek:
wurzelfasern in den Vorderhörnern zu beweisen. Man sieht unge-
mein deutlich, wie sich die Einstrahlungsbündel mit den bereits
markhaltigen geraden Fasern unter meridianartiger Convergenz
vor der Rolando’schen Substanz vereinigen und dann in Gestalt
eines oder mehrerer starker Bündel mit denselben nach vorn und
etwas lateralwärts ziehen, sich bald auflösen und in den centralen
Theil der Vorderhörner einstreben. Die im Querschnitte rund-
lichen Clarke’schen Säulen nehmen in dem Abschnitte des Rücken-
markes, wo sie entwickelt sind, beinahe alle Bestandtheile der
medialen Wurzelportion für sich in Ansprueh. Am 15. Tage be-
gegnet man denselben Verhältnissen; mit grosser Deutlichkeit
springt mitunter ein compactes, zu den lateralsten Vorderhorn-
zellen gehendes Bündel in die Augen. Die Endigung der Fasern
der medialen Wurzelabtheilung ist demnaeh eine gleiche, wie beim
Menschen. Auch hier vermisste ich irgendwelche aus den Hinter-
wurzeln in die vordere Commissur ziehende Fasern.
Beim Kaninchen wollte mir die Unterscheidung der drei
Zonen in den Burdach’schen Strängen durchaus nicht gelingen.
Die ersten Phasen der Markentwickelung zeigen sich in der me-
dialen Gruppe bei neugeborenen Thieren, alle zu dieser Zeit mark-
haltigen Fasern begeben sich in die Vorderhörner; die zu den
Clarke’schen Säulen tretenden erscheinen erst am 5. Tage mark-
sehwarz. Die Einstrahlungsbündel weichen darin von den analo-
gen Bündeln des Menschen ab, dass sie einen mehr gestreckten
Verlauf erkennen lassen und nicht jene eleganten Bogen aufweisen
wie bei diesem.
Das Rückenmark des Meerschweinchens ist zur Unter-
suchung der Hinterwurzeln, wie überhaupt zum Studium der
Rückenmarkstructur ausgezeichnet geeignet; bei keinem Thiere
begegnet man jener Klarheit der Bilder, wie hier; einige Punkte
der Rückenmarksanatomie kommen mitunter fast mit der Deut-
lichkeit eines Schema’s zur Anschauung. Die drei Abtheilungen
der Burdach’schen Stränge sind zu erkennen. Anordnung, Ver-
lauf und Endigung der medialen Portion stimmen mit der beim
Menschen geschilderten überein; die Einstrahlungsbündel sind wie-
der von mehr geschwungenem Verlauf. Die Clarke'schen Säulen
lassen hier eine von der gewöhnlichen etwas verschiedene Lage er-
kennen, indem sie sich nicht im frei hervorstehenden Theil der Hinter-
hörner, sondern etwas mehr nach vorn, vor jener Querlinie befinden,
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 175
die durch die hintere Commissur gezogen wird. Sie sind von rund-
lichem Umrisse und setzen sich ausgrossen, spindelförmigen, mit ihrer
Längsachse sagittal gelagerten Nervenzellen zusammen. An den
Stellen, wo sie vorhanden, verbinden sich die Bestandtheile der
medialen Portion fast alle mit ihnen; man gewahrt kaum einige,
an ihrer lateralen Seite nach vorn ziehende Nervenfäden.
Bei der Maus ist eine deutliche Unterscheidung der drei
Zonen wieder nicht möglich. Als eine Besonderheit, der ich hier
begegnete, muss ich hervorheben, dass ich hier einzelne Bündel
der medialen Portion in compacter Beschaffenheit nicht nur zu
den lateralsten Zellen der Vorderhörner, sondern mitunter auch
zwischen die medialeren Nervenkörper derselben zu verfolgen
vermochte.
Die Bestandtheile der mittleren Portion werden beim Men-
schen markhaltig zu einer Länge von 36 cm; das ist zugleich die
Zeit, wo ihr Verlauf am deutlichsten zu erforschen ist. Das
Rückenmark Erwachsener oder selbst Neugeborener giebt zum
Studium dieser Fasern durchaus kein günstiges Object ab, indem
dieselben hier durch die bereits kräftig hervorgetretenen Ein-
strahlungsbündel der medialen Portion gewöhnlich ganz verdeckt,
stets aber in ihrem scharfen Hervortreten beeinträchtigt werden.
Die betreffenden Fasern durchsetzen sogleich, nachdem sie
in das Rückenmark getreten, in Gestalt mehrerer starker Bündel
die Rolando’sche Substanz und zwar gewöhnlich in ihrem mittleren
Theile, sind aber oft von mehr medialerer Lage. Stets heben sie
sich vom hellen Untergrunde dieser Substanz überaus scharf ab.
Man bekommt jene klaren übersichtlichen Bilder wie sie in Fig. 2
und 3 vorgeführt sind.
Eine charakteristische Eigenschaft derselben besteht, wie schon
oben mitgetheilt, darin, dass sie, sobald sie den vorderen Rand
der gelatinösen Formation erreicht, in die Longitudinalrichtung
umlenken unter Bildung der Kölliker’schen „Längsbündel der
Hinterhörner“. Man überzeugt sich unschwer an Längsschnitten,
dass diese Umbiegung sowohl nach oben wie nach unten erfolgt,
eine Thatsache, die bereits vielerseits Erwähnung fand.
Die Hauptabtheilung dieser Längsbündel befindet sich nach
meinen Beobachtungen im Rückenmark des Menschen ungefähr
176 Dr. M. v. Lenhossek:
vor dem mittleren Abschnitt der Rolando’schen Substanz. Im
Brusttheil, wo sie im Allgemeinen von sehr schwacher Entwicke-
lung erscheinen, beschränken sie sich gewöhnlich auf diese Stelle,
im Hals- und Lendenabschnitt indess erstrecken sie sich von hier
aus vor der medialen Hälfte der gelatinösen Substanz bis zu den
Burdach’schen Strängen, mit denen sie ohne scharfe Grenze zu-
sammenfliessen. Im Lumbaltheil lassen sie eine besonders mäch-
tige Entwickelung erkennen; man bekommt hier oft den Eindruck,
dass die Burdach’schen Stränge einen kräftigen, breiten Fortsatz
entwickeln, der sich nach aussen wendet und sich zwischen den
eigentlichen nervösen Theil des Hinterhorns und die mediale Hälfte
der gelatinösen Substanz hineindrängt. Die Dichtigkeit dieses
Fortsatzes kommt häufig derjenigen der Burda ch’schen Stränge
gleich, gewöhnlich ist derselbe etwas lockerer gebaut. Im oberen
Abschnitt des Cervicalmarkes beobachtet man die interessante That-
sache, dass die Gruppe der Längsbündel mehr nach aussen rückt,
ihre Lage nunmehr vor dem lateralen Theil der Rolando’schen
Formation hat und sich nicht an die Burdach’schen, sondern an
die Seitenstränge anschliesst. Es ist dieses Verhalten insofern von
Interesse, als hierdurch, wie wir sehen werden, eine Anknüpfung
gegeben ist an jene Verhältnisse, welche die von mir untersuchten
Thiere in dieser Hinsicht darbieten. — Mitunter findet man die
Längsbündel nicht wie gewöhnlich in reihenartiger Anordnung,
sondern mehr regellos zerstreut.
Nicht selten erfolgt die Umbiegung einiger der in Rede ste-
henden Fasern schon im Bereich der Randzone, d. h. im Gehiet
zwischen Peripherie und Rolando’scher Substanz, oder, schon
etwas seltener, innerhalb der letzteren selbst. Man sieht im letz-
teren Falle auf der gelben Unterlage dieser Substanz inselartig
zerstreut Gruppen von Longitudinalfasern, die bereits Krause!)
bekannt waren. Auch Lissauer?) hat dieselben unzweifelhaft be-
obachtet, wie dies aus folgender Stelle seiner Abhandlung hervor-
geht: „Schliesslich sei noch kurz eine häufig sehr auffallende,
wenn auch nicht ganz constante Formation erwähnt, nämlich com-
pacte longitudinale Bündel theils grober, theils untermischter gro-
ber und feiner Fasern, welche sich inselförmig in die spongiöse
1) W. Krause o. c. p. 3%.
2) Lissauer o. c. p. 39%.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 3 urezt
Zone der gelatinösen Substanz hineingelagert finden“ — wobei zu
bemerken ist, dass dieser Forscher unter der Bezeichnung der „spon-
siösen Zone“ den hintersten, durch ein Fasernetz ausgezeichneten
Theil der gelatinösen Substanz versteht.
Viel häufiger als derart gelagerten Längsbündeln, begegnet
man einigen starken, dieser Gruppe zugehörigen Fasern, die —
anstatt nach vorn zu gehen — sich sogleich nach aussen wenden,
den lateralen Rand der Rolando’schen Substanz bogenförmig um-
kreisen, vorn indess wieder nach innen lenken, um sich den oft
erwähnten Längsbündeln anzuschliessen. Diese bogenförmigen
Bündel treten bei 36 em langen Früchten mit grosser Deutlichkeit
zu Tage (s. Fig. 2 und 3), da die Gebiete, die sie zu durchlaufen
haben, d. i. Randzone und seitliche Pyramidenbahn noch total
marklos sind.
Ich muss hier noch einigen ergänzenden Bemerkungen Raum
geben. Zunächst der Mittheilung, dass mitunter einige Fasern, die
auf Grund ihres Ursprungs und ihrer Lage ohne Zweifel zur mitt-
leren Gruppe gehören, nach Durchsetzung der gelatinösen Sub-
stanz weiter nach vorn gehen, ohne sich an der Bildung der
Längsbündel zu betheiligen. Des weiteren muss ich bemerklich
machen, dass die Längsbündel oft viele Elemente aus der medialen
Portion, d.h. aus den Burdach’schen Strängen beziehen. Es be-
steht demnach eine Vermischung geringen Grades zwischen den
Bestandtheilen beider Portionen, die bei einigen Thieren, wie wir
sehen werden, noch in grösserem Maasse zu beobachten ist.
Es fragt sich nun, wie gestaltet sich das weitere Schicksal
der Elemente dieser Längsbündel? Wir betreten hiermit ein Gebiet,
wo man viele Fragen offen lassen muss. Die Abzweigung der Fasern
aus den Längsbündeln erfolgt nicht bündelweise, sondern unter
gleichmässiger Vertheilung, einzeln, so dass auf je einen Schnitt
nur eine ganz geringe Anzahl von Fasern kommen kann. Neben-
bei sei hier bemerkt, dass ich eben darin den Zweck dieser und
auch aller anderen Längsbündel des Rückenmarks erblicke, dass
durch dieselben die in segmentaler Anordnung in compacten Bün-
deln in das Rückenmark eintretenden Fasern auf grössere Gebiete
sleichmässig verstreut werden, wodurch eine Segmentation des
Rückenmarkes, der die Natur wie es scheint um jeden Preis aus-
weichen möchte — vermieden wird. Obwohl nun wie gesagt
sichere Angaben hier in Betreff einiger Punkte schwer zu machen
178 / Dr. M. v. Lenhossek:
sind, bin ich doch zu einigen Resultaten gekommen, die ich als
wahrscheinlich hinzustellen mich getraue.
Zunächst gewahrt man auf allen Schnitten Fasern, die die
Längsbündel verlassen und direct nach vorn ziehen. Einige von
ihnen sind nur bis zwischen die Zellen der Hinterhörner zu ver-
folgen, andere überschreiten die Grenze der Vorderhörner und
endigen in letzteren. Während die ersteren möglicherweise zu den
versprengten Nervenkörpern der Hinterhörner Beziehungen haben,
ist in Betreff der letzteren dasselbe zu sagen, was für die Vorder-
hornfasern der medialen Gruppe angegeben werden konnte: eine
Endigung in (?) oder zwischen den motorischen Zellen, im ersteren
Falle entweder direet oder durch Vermittelung des Fasernetzes.
Zweitens beobachtet man, dass sich einige Fasern aus den
Längsbündeln nach aussen, in das Gebiet der Seitenstränge be-
geben. Es ist hier freilich eine Verwechslung sehr leicht möglich
mit Endstücken der soeben beschriebenen, die gelatinöse Substanz
von aussen umkreisenden Bogenfasern, und ich getraue mich auch
nicht, dieselben kategorisch als solehe, die sich in der That zwi-
schen die Elemente der Seitenstränge mischen, hinzustellen. Ich
kann für letztere Annahme nur das anführen, dass die Zahl der-
selben eine zu ansehnliche zu sein scheint, als dass sie alle solchen
Bogenfasern angehören könnten; immerhin scheint es mir, dass
der medialste Abschnitt der Seitenstränge Beziehungen habe zu
den Hinterwurzeln. Man begegnet diesen Fasern hauptsächlich im
Lenden- und Halsmark, während sie im Brusttheil, wo die mitt-
lere Portion im Allgemeinen schwächer entwickelt ist, sehr zu-
rücktreten.
Wenn ich diese Beziehungen der zu der mittleren Portion
gehörigen Längsbündel nur als Vermuthungen hinzustellen be-
müssigt bin, so bin ich wieder in der Lage, in Betreff der Ver-
bindung derselben mit der hinteren Commissur Positives
angeben zu können. Ich nehme hier Anlass ausführlicher auf
dieselbe einzugehen.
Die hintere Commissur ist beim Menschen verhältnissmässig
schwach entwickelt. Sie setzt sich unzweifelhaft aus Fasern
verschiedener Bedeutung zusammen. Ein ansehnlicher Theil er-
scheint bereits bei Früchten von 40 cm Länge markhaltig; diese
Fasern stellen alle direete Fortsetzungen von Wurzelfasern und
zwar von starken dar und kommen z. Th. aus der medialen,
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 179
hauptsächlich aber aus der mittleren Portion. Es besteht also
in dieser Hinsicht ein Widerspruch zwischen meinen Angaben
und denjenigen Bechterew’s und Obersteiner's. Ersterer!)
giebt wohl ebenfalls zu, dass die hintere Commissur einen Theil
ihrer Elemente aus den Hinterwurzeln beziehe, nimmt aber hierfür
blos die Bestandtheile seiner lateralen Portion, d. i. die Lissauer-
schen feinsten Fasern in Anspruch, welche Angabe er auf folgende
Beobachtung gründet: „Im foetalen Rückenmarke, wo die äusseren
dünnen Wurzelfasern sowie die Goll’schen Stränge noch ganz
marklos sind, enthält auch die hintere Commissur nicht eine mit
Myelin umhüllte Faser. Es ist also klar, dass die hintere Com-
missur keine Fasern aus den inneren dieken Wurzelfasern, welche
sehr früh schon entwickelt sind, enthält. Nur kurz vor der
Geburt und bei Neugeborenen finden wir in der hinteren Com-
missur zarte markhaltige Fasern, welche also die centrale Fort-
setzung der äusseren dünnen Wurzelfasern darstellen.“ — Ober-
steiner?) giebt namentlich auf Grund physiologischer Erwägungen
an, dass die Fasern der hinteren Commissur mit denjenigen der
Hinterwurzeln „blos durch Vermittelung von Ganglienzellen zu-
sammenhängen.“
Die Beobachtungen, auf denen meine abweichenden Behaup-
tungen beruhen, sind folgende. Im Gegensatz zu Bechterew
finde ich, dass die hintere Commissur bereits bei 36—40 cm langen
Früchten markhaltige Fasern enthält, um eine Zeit also, wo die
zartfaserige laterale Portion — wie ich dies ebenfalls im Wider-
spruch zu einer Angabe Bechterew’s betonen muss — noch
keine Spur von Markscheiden erkennen lässt. Eine kräftigere
Stütze besteht indess in der direeten Beobachtung dieses Zusam-
menhanges. Ich vermochte an Foeten ganz deutlich zu beobachten,
dass zunächst aus der Einstrahlungszone der Burdach’schen
Stränge sich einige — gewöhnlich auf einem Schnitt nicht mehr
als 1—2 — starke Fasern abzweigen, die im Anschluss an den
hufeisenförmigen hinteren Rand der grauen Substanz auf die
andere Seite sich begeben, um sich da wieder in den contra-
lateralen Burdach’schen Strang zu senken; diese Elemente ent-
stamınen also der medialen Portion. Noch viel häufiger und in
1) W. Bechterew, Ueber die hinteren Nervenwurzeln etc. p. 135.
2) Obersteiner, l. c p. 189.
180 Dr. M. v. Lenhossek:
grösserer Anzahl gewahrt man markhaltige Fasern, die deutlich
wahrnehmbar aus den Längsbündeln der Hinterhörner ihren Ur-
sprung nehmen, schief medianwärts und nach vorn ziehen, — wo-
bei sie schwach bogenförmig, mit nach innen gewendeter Con-
vexität verlaufen — und hinter den Clarke’schen Säulen sich
den soeben beschriebenen anschliessen. Man darf mit Rücksicht
auf die Beobachtung, dass ihr Verlauf auch jenseits der Mittel-
linie ein gleicher ist, annehmen, dass sie sich auf der anderen
Seite ebenfalls den in Rede stehenden Längsbündeln beigesellen
und hernach das Schicksal der Elemente derselben theilen.
Eine partielle Kreuzung der Hinterwurzelfasern steht somit
ausser allem Zweifel.
Selbstredend begegnet man diesen Fasern häufiger und in
grösserer Anzahl in den Intumescenzen des Rückenmarkes, wo
nicht nur die graue Substanz kräftiger entwickelt, sondern auch
jede Fasersorte stärker vertreten ist, als im faserarmen Dorsal-
theil, wo man sie auf zahlreichen Schnitten völlig vermisst.
Untersucht man das Rückenmark Erwachsener, so überzeugt
man sich, dass die hintere Commissur beträchtlich zugenommen
hat. — Sie ist nunmehr viel faserreicher, als bei Foeten oder
selbst bei Neugeborenen. Diese Zunahme kann nicht als Resultat
einer Betheiligung der inzwischen sichtbar gewordenen lateralen
Hinterwurzelportion gedeutet werden, da letztere zur Zeit der
Geburt bereits so gut wie markhaltig genannt werden kann, die
Commissur aber zu dieser Zeit noch bei weitem nicht so faser-
reich ist wie später. Man muss daher mit Wahrscheinlichkeit
dafür eintreten, dass man es hier mit Fasern zu thun habe, die
nicht den Hinterwurzeln sondern der grauen Substanz entstammen,
und vielleicht den Zweck haben, die Hinterhörner beider Seiten
miteinander in Verbindung zu setzen.
Im Rückenmark der Katze findet man die mittlere Portion
verhältnissmässig noch schwächer entwickelt als beim Menschen.
Die Fasern derselben ermangeln noch bei 3-tägigen Thieren
fast vollkommen der Markscheide, die sie erst um den 7. Tag
erhalten. Ein auffallender Unterschied gegenüber dem Menschen,
dem wir auch bei den übrigen zur Beschreibung gelangenden
Thieren begegnen werden, macht sich darin bemerkbar, dass die
Längsbündel der Hinterhörner in allen Abschnitten des Rücken-
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 181
markes nicht vor der medialen, sondern der lateralen Hälfte der
Rolando’schen Substanz ihre Lage haben.
Dasselbe kann ich über die diesbezüglichen Verhältnisse des
Kaninchens angeben.
Eine ausführliche Behandlung verdient diese Portien beim
Meerschweinchen. Wie bereits erwähnt, bekommt man die-
selbe von allen Thieren bei diesem am deutlichsten zu sehen.
Die Ursache dieses klaren Hervortretens liegt vor allen Dingen
in der auffallend mächtigen Entwickelung derselben (sie entbält
ca, die Hälfte der Hinterwurzelfasern), dann aber in ihrer freien,
der Beobachtung sehr zugänglichen Lage. Während sie nämlich
beim Menschen, wie wir sahen, durch die mediale Portion beinahe
ganz verdeckt wird, macht sie sich hier von derselben völlig frei
und liegt abgesondert von ihr, an ihrer lateralen Seite.
Untersucht man einen Querschnitt aus welchem Theile des
Meerschweinchenrückenmarks immer (s. Fig. 4), so findet man
die ganze mediale Hälfte der gelatinösen Substanz von einer
bedeutenden Anzahl kräftiger, in gestrecktem Lauf nach vorn
ziehender Faserbündel durchsetzt. Am vorderen Rand der Sub-
stanz sondern sich dieselben plötzlich und in sehr scharfer
Weise in zwei Gruppen, die verschiedene Richtungen einschlagen.
Die medialen Bündel setzen ihren geraden Verlauf einfach fort,
man erkennt in ihnen die Gruppe der zur medialen Portion gehörigen
„geraden Fasern“, die oben schon eingehend besprochen wur-
den, die lateralen wenden sich mit plötzlicher und starker Bie-
gung lateralwärts, um eine kurze Strecke quer nach aussen zu
ziehen und dann in der gleich zu beleuchtenden Weise ihre vor-
läufige Endigung zu finden. Diese ausnahmslos starken, sehr auf-
fallenden Bündel bilden die „mittlere Portion“; es sind das die-
jenigen, die den mittleren Theil der Rolando’schen Substanz
zum Durchtritt beanspruchen.
Fast auf jedem Schnitte erkennt man indess, dass sich zu
diesen quer verlaufenden Bündeln auch einige Fasern gesellen,
die aus den Burdach’schen Strängen, mithin also aus der medialen
Portion herkommen. Ja man beobachtet mitunter — allerdings in
seltenen Fällen — das eigenthümliche Verhalten, dass alle Ein-
strahlungsbündel diesen Weg einschlagen. Jene compensatorische
Vermischung der Bestandtheile der beiden Portionen also, der wir
182 Dr. M. v. Lenhossek:
in geringem Grade schon beim Menschen begegneten, besteht hier
in sehr grossem Maasse.
Um die weiteren Schicksale der Fasern der mittleren Portion
beim Meerschweinchen schildern zu können, erachte ich es für
nothwendig, Einiges über den Bau der Hinterhörner mitzutheilen.
Die Hinterhörner sondern sich bekanntlich distinet in zwei
Theile: in das eigentliche „nervöse“ Hinterhorn und die dasselbe
von hinten schalenförmig oder eigentlich rinnenförmig umfassende
Rolando’sche Substanz. Letztere enthält — abgesehen von ihrem
hintersten Abschnitt, auf den wir noch an anderer Stelle zurück-
zukommen haben — durchaus keine autochthonen, d. h. in ihr
entspringenden nervösen Elemente und setzt sich, wie ich es be-
reits an anderer Stelle!) ausführlich dargelegt habe, aus einer be-
trächtlichen Quantität verhornter Grundsubstanz und aus eben-
solchen Ektodermzellen zusammen, welch’ letztere sich zu sagit-
talen Reihen ordnen und an Weigert’schen Präparaten auf dem
gesättigt gelben Untergrunde der Grundsubstanz als hellere Flecken
oft deutlich zu Tage treten.
In der nach vorn gewendeten Concavität der Rolando’schen
Substanz gewahrt man ein dichtes Netz feiner markhaltiger
Fasern, innerhalb dessen mehrere kleine, mitunter auch einige
grössere, eckige Nervenzellen in Erscheinung treten. Es ist das
jenes Gebiet, das von Lissauer als „spongiöse Substanz der
Hinterhörner“ eingeführt worden ist; es stellt sich am breitesten im
lateralen, etwas tieferen, recessartigen Theil der Concavität der ge-
latinösen Substanz dar; nach innen verschmälert es sich allmählich.
Vor dieser Zone befindet sich nun das eigentliche Hinterhorn.
Dasselbe lässt sich beim Meerschweinchen auf Grund seines inne-
ren Baues in der Querriehtung in zwei Abtheilungen sondern.
Der innere Theil, der das mediale Drittel des Hinterhorns dar-
stellt, bildet gewissermaassen eine enge Pforte zum Durchtritt
der nach vorn verlaufenden Einstrahlungsbündel und enthält
keine quergeschnittenen Faserbündel, der laterale Abschnitt,
der die äusseren °/; des Hinterhorns darstellt, ist durch eine
beträchtliche Anzahl symmetrisch angeordneter Längsbündel aus-
gezeichnet. Seitlich schliessen sich dieselben ohne scharfe Ab-
grenzung an die Seitenstränge an, als deren aufgelockerte Fort-
1) Lenhossek o. ce. p. 78.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 183
setzung sie erscheinen. Ihr Gebiet stellt sich im Ganzen auf dem
Querschnitte dreieckig dar mit äusserer Basis und innerer, bis zu
dem medialen Drittel der Hinterhörner vordringender Spitze. —
Die mehr lateralwärts und vorn gelagerten Bündel sind massiver,
dichter, die medialen und namentlich die hinteren schmäler und
von mehr zerstreuter Anordnung.
Auf den ersten Blick erkennt man, dass diese quergeschnitte-
nen Bündel nicht alle den Kölliker’schen Längsbündeln ent-
sprechen. Man kann als solche blos die hintersten in Anspruch
nehmen, da es blos diese sind, zu denen die mittlere Portion
der Hinterwurzeln Beziehungen eingeht; die vorderen gehören
einfach zu den Seitensträngen. Die Verbindung der Fasern
der mittleren Portion mit den hintersten Längsbündeln ist
eine sehr klare, sie sind zumeist in compacter Beschaffen-
heit bis zwischen dieselben zu verfolgen, wo sie verschwinden.
Ob nicht auch die spongiöse Substanz einige Fasern aus
der mittleren Portion bezieht, ist schwer auszumachen; man
bekommt auf den Präparaten in der That häufig einen derartigen
Eindruck, als ob sich einige der Elemente letzterer in dieser
Zone verlieren würden. Es ist indess nicht aus den Augen zu
verlieren, dass es sich hier um Bruchstücke von Fasern handeln
kann, die sich schliesslich doch mit den Längsbündeln der Hinter-
hörner verbinden. Wenn ich mich in dieser Beziehung so
vorsichtig verhalte, so thue ich dies hauptsächlich auf Grund
jener, wohl nicht beim Meerschweinchen, sondern bei menschlichen
Foeten gemachten Beobachtung, dass man Stadien begegnet (36
cm lange Früchte), wo die mittlere Portion sammt ihren Längs-
bündeln bereits fast ganz markhaltig erscheint, während die spon-
siöse Zone kaum einige markhaltige Elemente zur Schau trägt.
Forscht man nach den weiteren Schicksalen der die Längs-
bündel bildenden Fasern, so ergeben sich übereinstimmende Re-
sultate mit denen, die wir in dieser Beziehung beim Menschen
eruiren konnten. Bei aufmerksamer Betrachtung der Präparate
findet man nämlich, dass die aus diesen Bündeln sich abzweigen-
den Fasern verschiedene Wege einschlagen: einige ziehen direet
nach vorn, um theils noch innerhalb der Hinterhörner, theils
schon in den Vorderhörnern sich der weiteren Beobachtung zu
entziehen, andere lassen einen quer nach aussen gerichteten Ver-
lauf erkennen und verschwinden in den Seitensträngen. Die am
184 Dr. M. v. Lenhossek:
sichersten zu constatirenden Beziehungen der Längsbündel sind
diejenigen zur hinteren Commissur.
Diese erscheint hier von ungemein mächtiger Entwickelung,
so dass das Rückenmark des Meerschweinchens in dieser Bezie-
hung ein Gegenstück desjenigen des Menschen darstellt. Dies
steht im Zusammenhange damit, dass die mittlere Wurzelportion,
welche die hauptsächlichste Bezugsquelle der hinteren Commissur
abgiebt, hier wie wir sahen ebenfalls sehr stark vertreten ist.
Dass man trotzdem an sehr vielen Schnitten keine Spur einer
Commissura post. zu entdecken vermag, erklärt sich aus dem
Umstande, dass sie nicht in continuirlicher Folge angeordnet
ist, sondern — wie sich dies auf sagittalen Längsschnitten sehr
klar ergiebt — sich in kräftige, in gleichmässigen Abständen von
einander liegende Bündel sondert. Ist der Schnitt im Gebiet
zwischen zwei solchen Bündeln angelegt, so wird man natürlich
jede Spur derselben vermissen. An passenden Querschnitten prä-
sentirt sie sich in Form eines annähernd bogenförmigen, kräftigen,
sehr deutlich hervortretenden Stranges, der im Hinterhorn ent-
springt, speziell zwischen den hintersten der oben beschriebenen
Längsbündeln und z. Th. auch in dem hinter derselben liegenden
Netzwerk, in geradem, häufig etwas lateralwärts concavem Lauf
nach vorn und medianwärts zieht, wobei es hinter den Clarke-
schen Säulen seinen Weg nimmt, sodann die Mittellinie bogen-
förmig überschreitet, um auf der anderen Seite zu demselben
Punkte zu gelangen, aus welchem derselbe hervorgegangen ist.
Unterwegs nimmt die Commissur einige Fasern aus der medialen
Portion auf, mit deren Einstrahlungsbündeln sie sich zu kreuzen
hat. Sie unterscheidet sich in ihrer Lage insofern von derjenigen
des Menschen, als sie sich hier nicht streng an den hinteren Rand
der grauen Substanz hält, sondern mehr nach vorn, in einem mäs-
sigen Abstande von ihm sich lagert, worin man eine Folge
der mehr lateralen Position jener Längsbündel erkennt, die ihr
hauptsächlich zum Ursprunge dienen. Zuweilen trifft es sich, dass
sie auf der einen oder der anderen Seite, anstatt hinter der
Clarke’schen Säule zu verlaufen, dieselbe durchsetzt, ohne aber
zu ihr wesentliche Beziehungen einzugehen. Zwischen hinterer
Commissur und Clarke’schen Säulen bestehen weder bei Thieren
noch beim Menschen Verbindungen.
In zahlreichen Schnitten wird man auf der Stelle, wo das
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 185
Bündel die Mittellinie passirt, einige zarte Fasern gewahr, die
sieh aus demselben ablösen und direet nach hinten ziehen, um
sich den Goll’schen Strängen beizumischen,
Aus dem Dargelegten geht also hervor, dass die hintere
Commissur des Meerschweinchens sich ebenfalls vornehmlich aus
Fortsetzungen von Hinterwurzelfasern aufbaut. Unzweifelhaft führt
sie aber auch Elemente anderer Kategorien; dies erhellt aus der
Art ihres Ursprunges, indem sie z. Th., wie wir hörten, der spon-
gsiösen Zone entstammt.
Die hintere Commissur ist nicht die einzige Bahn, die die
Commissurenfasern beim Meerschweinchen benützen. Man findet
stets — abgesehen von der vorderen Commissur — namentlich im
Gebiet unmittelbar hinter dem Centralkanal einige sehr feine Ele-
mente, die mit nach vorn gewendeter Concavität von der einen
Seite auf die andere gehen, und wohl den Zweck haben, die
graue Substanz beider Seiten miteinander in Verbindung zu setzen.
Zwischen mittlerer Portion des Meerschweinchens und der
Maus!) bestehen grosse Analogien. Als Unterschied kann gel-
tend gemacht werden, dass sie bei der letzteren schwächer
vertreten ist. Die kräftigen Bündel durchsetzen die gelatinöse
Substanz an der Grenze zwischen medialem und mittlerem Drit-
tel und wenden sich dann bogenförmig nach aussen, um sich
1) Ich kann nicht umhin, an dieser Stelle einen Irrthum zu berichtigen,
dessen ich mich in einer früheren Abhandlung (Untersuchungen über die
Entwickelung der Markscheiden ete. S. 108) schuldig gemacht habe und den
ich zu corrigiren umsomehr bemüssigt bin, als die betreffende Stelle durch-
aus im Gegensatze zu stehen scheint zu der hier gegebenen Beschreibung.
Ich habe nämlich an der erwähnten Stelle die Hinterwurzeln der Maus aus
einer medialen und einer lateralen Portion bestehen lassen, welch’ letztere
ich als stark entwickelt schilderte, während ich in vorliegender Arbeit von
der lateralen Portion dieses Thieres die Angabe mache, dieselbe „trete fast
bis zum Verschwinden zurück.“ Die Sache erklärt sich folgendermaassen:
ich habe früher irrthümlich die mittiere Portion des Mäuserückenmarkes für
das Analogon der lateralen Portion des menschlichen Rückenmarkes gehalten
und die bei der Maus der letzteren entsprechenden spärlichen Fasern völlig
übersehen. Ich kann meine dort gegehene Beschreibung auch heute noch,
was das Thatsächliche betrifft, als völlig correct vertreten, mit der Bemer-
kung aber, das was dort von der lateralen Portion gesagt wird, sich eigent-
lich auf die mittlere bezieht und dass eine laterale Gruppe der Maus fast
vollkommen abgeht.
186 Dr. M. v. Lenhossek:
in den locker angeordneten Längsbündeln der Hinterhörner aufzu-
lösen. In Betreff des weiteren Verlaufs der diese Bündel consti-
tuirenden Fasern ergeben sich ähnliche Endigungen wie sie oben
ausgeführt worden sind: Hinterhörner, Vorderhörner, Seitenstrang
und hintere Commissur.
Letztere ist von schwächerer Entwickelung, als beim Meer-
schweinchen und zeichnet sich durch jene Eigenthümlichkeit aus,
dass sie sehr distinet in zwei gesonderte, auf keine Weise mit
einander zusammenhängende Theile: einen vorderen und einen
hinteren zerfällt.
Der vordere Theil steht an Stärke dem hinteren nach und
tritt nur an den ausgesuchtesten Schnitten in Gestalt eines zusam-
menhängenden Bündels in die Erscheinung; in der Regel begegnet
man blos Fragmenten desselben. Er entspringt deutlich erkenn-
bar aus den Längsbündeln der Hinterhörner, zieht dann bogen-
förmig nach vorn und medianwärts, passirt die Mittellinie. und
lässt jenseits derselben einen ähnlichen Lauf erkennen. Vom hin-
teren Theil wird derselbe durch einen je nach Höhen des Rücken-
marks verschieden breiten Zwischenraum getrennt. Am breitesten
präsentirt sich derselbe in dem Gebiet, wo Clarke’sche Säulen
existiren; diese drängen sich nämlich zwischen die beiden
Theile, der vordere läuft vor, der hintere hinter ihnen. Diese
Fasern scheinen also alle aus der mittleren Portion zu kommen;
sind demnach allem Anscheine nach als direete Wurzelfortsetzungen
anzusprechen.
Der hintere Theil verläuft an dem hinteren, hufeisenförmi-
gen Rand der grauen Substanz. Seine Bestandtheile entstam-
men z. Th. den Burdach’schen Strängen — mithin also der ıme-
dialen Wurzelportion — z. Th. versammeln sie sich aber aus
jenem Gebiet der Hinterhörner, das sich unmittelbar vor dem
medialen Theil der gelatinösen Substanz befindet. Da ein Zusam-
menhang dieser Elemente mit anderen Fasern nirgends zur An-
schauung kommt, hat man einigen Grund zur Annahme, dass die-
selben in Beziehung stehen zu den hier gelegenen kleinen, sich oft
zu einer compacteren Gruppe anhäufenden Nervenzellen.
Sowohl aus dem vorderen, wie dem hinteren Theil zweigen
sich in der Mittellinie einige zarte Fasern ab, die geradeaus nach
hinten gehen und sich in den Goll’schen Strängen verlieren.
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 187
Die Verdienste Lissauer’s um die Entdeckung der late-
ralen Portion sind schon eingangs gehörig gewürdigt worden.
Dass dieselbe so lange der Aufmerksamkeit so vieler vorzüglicher
Beobachter entgangen war, findet darin seine Erklärung, dass die
bis zur letzten Zeit zur Anwendung gebrachten Färbungsmethoden
der Zartheit ihrer Bestandtheile durchweg nicht gewachsen waren.
Erst durch Weigert’s Hämatoxylinfärbung, welche das Verdienst
hat, selbst die feinsten markhaltigen Fasern hervortreten zu lassen,
wurden diese zarten Elemente der Erforschung zugänglich.
Wenn es uns indess mit Hülfe dieser Tinetion auch gelingt,
die hierher gehörigen Fasern zur Anschauung zu bringen, so sind
wir hierdurch noch durchaus nicht in den Stand gesetzt, ihre Ver-
bindungen, ihre Endisung mit Sicherheit festzustellen. Ich muss
gleich gestehen, dass ich, was das Thatsächliche angeht, nicht
über Lissauer’s Angaben hinausgekommen bin, und dass die wei-
teren Ausführungen, die ich unten in Bezug auf die Schicksale
dieser Fasergruppe zu entwickeln habe, wohl nicht viel mehr als
Vermuthungen sind. Wir stehen da sehr schwer zu lösenden Fra-
gen gegenüber und müssen von noch verfeinerten oder von anderen
Methoden als den anatomischen ein aufklärendes Licht erwarten.
Nach dem was ich oben (S. 164) in Bezug auf die Reihen-
folge der Markentwickelung betont habe, erscheint es natürlich,
dass die Bestandtheile der in Rede stehenden Portion, die sich
durch ihre Feinheit auszeichnen, in einer sehr späten Periode ihre
Markumhüllung erhalten. Noch bei 36 em langen Foeten (Fig. 2, 3)
findet man sie völlig marklos. Die bereits markschwarzen Bur-
dach’schen Stränge hören hinter dem medialsten Theil der gela-
tinösen Substanz plötzlich mittelst sehr scharfer sagittaler Linie
auf; nach aussen folgt nun zwischen letzterer Substanz und
Rückenmarksperipherie ein markloses Gebiet, das seitlich ohne
irgendwelche walırnehmbare Grenze mit der noch ebenfalls mark-
losen seitlichen Pyramidenbahn verschmilzt. Die kräftigen, mark-
schwarzen Bündel der Hinterwurzeln durchsetzen in schiefer Rich-
tung den medialsten Theil dieser Zone, so dass sie aus derselben
gewissermaassen ein kleines Gebiet abschneiden; sie heben sich
hierbei von der gelben Unterlage mit grosser Schärfe ab.
Bei 45 cm langen Früchten treten nun in dem Bereich dieser
Zone verstreute schwarze Punkte: die Durchschnitte feiner mark-
haltiger Längsfasern auf. Zu gleicher Zeit gewahrt man, dass
188 Dr. M. v. Lenhossek:
auch in der seitlichen Grenzschicht der grauen Substanz die Zahl
der markhaltigen Elemente zugenommen hat. Auch in der Concavität
der Rolando’schen Formation ist eine Aenderung eingetreten, inso-
fern als sich hier die ersten Anfänge eines Faserreticulums einstellen.
Bei Neugeborenen (Fig. 5) begegnen wir sehr viel vorge-
schritteneren Verhältnissen. Die laterale Portion steht nunmehr
in Markhaltigkeit dem definitiven Verhalten nicht fern, doch prä-
sentirt sie sich im Ganzen noch ziemlich viel einfacher, übersicht-
licher, als später.
Bei Beschreibung des intramedullären Laufs der lateralen Por-
tion werden wir zunächst auf jenes Gebiet einzugehen haben, das
Lissauer als Randzone bezeichnet hat (Fig. 5).
Das Hinterhorn reicht im Rückenmark des Menschen an
keiner Stelle bis an die Peripherie heran (bei einigen Thieren,
wie Meerschweinchen, Maus, liegt sie fast an derselben). Die
Schichte, durch die sie von derselben abgetrennt wird, stellt sich
je nach den Höhen des Rückenmarkes von verschiedener Quer-
schnittsgestalt dar; ihre Form hängt wesentlich von der Beschaffen-
heit der Hinterhörner ab.
Im Bereich der Lendenanschwellung (Fig. 5) erscheinen letz-
tere von plumper, dieker, rundlicher Form. Mit ihrem medialen
Drittel stecken sie noch völlig in den Burdach’schen Strängen,
die zwei lateralen Drittel ihres hinteren Randes laufen parallel
der Peripherie, nahe zu derselben. Die Randzone ist hier also
saumartig, schmal, länglich.
Im Brustabschnitt ziehen sich die verschmälerten Hinterhör-
ner von der Peripherie etwas zurück; demzufolge erscheint die
Grenzschicht in der Querrichtung etwas schmäler, von vorn nach
hinten hingegen breiter als unten, doch überwiegt der erstere
Durchmesser noch immer über den letzteren.
Die Formänderung setzt sich in gleichem Sinne bis hinauf
in den Halsabschnitt fort, woselbst sie ihren Höhepunkt erreicht.
Hier tritt die Zone in einer Form in Erscheinung, die gerade
das Gegenstück darstellt von der, die sie im Lumbalabscehnitt
erkennen liess. Der bei weitem grössere Durchmesser ist
nunmehr der sagittale; von rechts nach links erscheint das in
sagittaler Richtung längliche Gebiet stark abgeplattet.
Die Abgrenzung dieser Zone ist medianwärts — selbst im
Rückenmarke erwachsener Individuen — stets eine sehr scharfe,
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 189
indem sich die kräftigen, starkfaserigen Bündel der Burdach-
schen Stränge von der feinfaserigen Schicht der Randzone mittelst
deutlicher, entschiedener Linie absetzen. Nach aussen ist die-
selbe indess bei Erwachsenen keine sichere, hier fliesst die
Randzone mit den Seitensträngen zu einem gemeinsamen Gebiet
zusammen, da letztere ebenfalls vornehmlich aus feinen Elementen
bestehen, mithin also kein auffälliges Unterscheidungsmerkmal vor-
handen ist. Desto schärfer giebt sie sich aber bei vorgeschrit-
tenen Foeten und Neugeborenen zu erkennen, wo die Pyramiden-
seitenstrangbahnen der Markscheiden noch völlig entbehren. Im
Lenden- und unteren Brusttheil grenzt die Randzone an letztere,
in höheren Gebieten ausserdem noch an das hintere Ende der
Kleinhornstrangbahn; an die seitliche Grenzschicht der grauen Sub-
stanz stösst sie wohl an keiner Stelle direct. Sie ist von dieser,
obzwar die Markentwickelung wie wir sahen in beiden Zonen
ungefähr parallel vor sich geht, durchaus unabhängig, eine That-
sache, die sich auch aus den von Lissauer mitgetheilten Beobach-
tungen bei Tabes ergiebt.
Für die Deutung der Lissauer’schen Zone ist zunächst die
Thatsache beilangreich, dass sie in den Anschwellungen eine ent-
sprechende Zunahme, im Gebiet zwischen denselben eine Abnahme
ihres Querschnittes erkennen lässt. Hieraus muss darauf ge-
schlossen werden, dass hier eine kurze Bahn vorliege, d. h. eine
solche, deren Bestandtheile innerhalb des Rückenmarkes Anfang
und Endigung finden.
Forscht man nach der inneren Beschaffenheit der Randzone,
so überzeugt man sich, dass man es hier mit einem Gebiet zu
thun babe, das zahlreiche Nervenfasern enthalte, an dessen Bil-
dung indess auch das Stützgewebe wesentlichen Antheil nehme.
Aeltere Forscher hielten die Zone ausschliesslich für eine Ein-
senkung der Pia mater und übersahen völlig die Nervenfasern,
die nur Einigen aufgefallen waren. Das Stützgewebe findet sich in
zwei Formen vertreten: einmal in gleichmässiger Vertheilung, als
wahre Grundsubstanz mit ausgesprochenem Neuraglia-artigem Cha-
rakter; dann in Gestalt starker Septa, die sich in den hinteren
Theitder Rolando’schen Substanz einsenken. Ihre Richtung scheint
eine constante zu sein, indem sie stets in sehr schiefem Verlaufe
von der Eintrittsstelle der Hinterwurzeln, beinahe parallel der
Rückenmarksperipherie, nach vorn und aussen ziehen.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 13
190 Dr. M. v. Lenhossek:
In die Lücken dieser Scheidewände findet sich nun eine
bedeutende Anzahl zarter longitudinaler Nervenfasern eingelagert,
deren charakteristische Eigenschaft in ihrer losen Anordnung
besteht, indem sie sich nirgends eng aneinander legen, in welchem
Falle die Zone trotz der Feinheit ihrer Elemente bei schwächerer
Vergrösserung die dunkle Färbung der übrigen weissen Substanz
zur Schau tragen würde, sondern in gleichmässiger Vertheilung
verlaufen. Dies hat zur Folge, dass die Zone eine Färbung
erkennen lässt, die ungefähr die Mitte hält zwischen derjenigen
der grauen und der weissen Substanz.
Dass man es hier mit einem Bündel zu thun habe, das sich
hauptsächlich aus feinen Hinterwurzelfasern aufbaut, kann wohl
nach den eindringlichen Beweisen, die man hiefür bei aufmerksamer
Durchmusterung der Präparate bekommt, keinem Zweifel unter-
liegen. Fast auf jedem Querschnitte gelangen nämlich feine
Fasern zur Beobachtung, die sich vom lateralen Rande der eben
in das Rückenmark getretenen Hinterwurzelbündel abzweigen, und
sich im Gebiet dieser Zone verlieren. Besonders in die Augen springend
und man kann sagen constant erscheint ein kleines, etwas compac-
teres Bündelchen, das unmittelbar an der Peripherie, eigentlich
noch in dem die Randzone bedeckenden Gliaüberzuge eine Strecke
nach aussen läuft, um zwichen den lateralen Bestandtheilen dieser
Zone zu verschwinden. — Das Bündelchen kann indess nur den
lateralsten Abschnitt letzterer versorgen; die für medialere Theile
derselben bestimmten Fasern stammen aus mehr nach vorn, zwischen
Eintrittsstelle und Roland o’scher Substanz gelegenen Stellen der
Hinterwurzeln; der Verlauf dieser stets vereinzelten, auf kurze
Strecken verfolgbaren Fasern ist parallel mit den Gliasepten;
sie gehen schief nach vorn und aussen.
Ich muss indess bemerklich machen, dass es einige, unzwei-
felhaft der lateralen Gruppe zugehörige Fasern giebt, die nicht
zu Bestandtheilen der Randzone werden, sondern ohne in die
Längsrichtung einzulenken, sogleich durch den lateralen Theil der
gelatinösen Substanz nach vorn ziehen.
Die Frage, ob alle Fasern der Randzone den Hinterwurzeln
entstammen, möchte ich doch nicht so leichthin in bejah@ndem
Sinne beantwortet wissen, obwohl ich nicht verhehle, dies für
wahrscheinlich zu halten. Es finden sich nämlich Nervenzellen in
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 191
dieser Gegend, deren Verbindung mit diesen Fasern nicht kurzweg
von der Hand zu weisen ist.
Prüft man den hinteren Abschnitt der gelatinösen Substanz
mit stärkeren Vergrösserungen, so beobachtet man bei Erwach-
senen folgende interessante Verhältnisse. Es zeigt sich, dass die
eigentliche Formatio rolandica in histologischem Sinne, jene Sub-
stanz, die wir oben als hauptsächlich aus verhornten Eetodermzellen
ohne Beimischung nervöser Elemente bestehend ausgeführt haben
— nur einen Theil der sog. Rolando’schen Substanz bildet. Das
hinterste Gebiet der letzteren wird durch eine schmale, die eigent-
liche Formation in Gestalt eines halbmondförmigen Saumes um-
fassende Schicht dargestellt, die sich der näheren Betrachtung als
eine von der Rolando’schen Formation wesentlich verschiedene,
in ihrer inneren Beschaffenheit sich mehr an die graue Substanz
anschliessende Zone kundgicht.
Dieser hintere, von Lissauer als „spongiös“ bezeichnete
Abschnitt der Rolando’schen Substanz beherbergt indess auch
nervöse Elemente u. zw. dreierlei Sorten: 1) sehr spärliche, spin-
delförmige, mittelgrosse, mit dem hinteren Rand der gelatinösen
Substanz parallel gelagerte Nervenzellen, 2) ein feines, sehr locke-
res, wahrscheinlich aus den Fortsätzen dieser Zellen hervorge-
hendes Nervennetz, das die von Lissauer vorgeschlagene Be-
zeichnung dieses Gebietes rechtfertigt, das aber häufig nur bei
näherer, sehr aufmerksamer Betrachtung erkannt wird, 3) einige
bogenförmig nach aussen ziehende Fasern, die unzweifelhaft aus
den Hinterwurzeln kommen. — Das Fasernetz tritt erst in später
Periode der Entwickelung in die Erscheinung d.h. wird spät mark-
haltig; man vermisst dasselbe noch im Rückenmarke Neugeborener.
Nun ist es nicht auszuschliessen, dass eventuell einige Bestand-
theile der Randzone diesen Nervenkörpern ihren Ursprung verdan-
ken. Mehr Wahrscheinlichkeit könnte noch die Annahme für sich
haben, dass diese Zellen als Endigungspunkte dienen einigen der
lateralen Wurzelportion zugehörigen und eine Strecke als Bestand-
theile der Randzone in der Längsrichtung ziehenden Fasern;
dieser Vermuthung kann um so mehr Raum gegeben werden,
als auch für die anderen Elemente der Randzone wesentlich
ähnliche Beziehungen — nämlich solche zu den in der Conca-
vität der gelatinösen Substanz befindlichen Nervenzellen als wahr-
scheinlieh hinzustellen sind, mithin also eine Uebereinstimmung
192 Dr. M. v. Lenhossek:
vorliegen würde. Natürlich muss man sich hier eines positiven
Ausspruchs einstweilen enthalten, gegen die in Rede stehende An-
nahme spricht allerdings der Umstand, dass die Lage dieser Zellen
hierfür durchaus nicht geeignet scheint, indem sie horizontal und
parallel mit der Peripherie gelagert sind, mithin sich also in
zweifacher Richtung unter rechtem Winkel zu dem Verlauf der
Randzonenfasern verhalten.
Wenn indess eine solche Verbindung auch mit Sicherheit fest-
zustellen wäre, so könnte man sie jedenfalls nur für einen Theil
der Bestandtheile der Lissauer’schen Zone in Anspruch nehmen.
Die fraglichen Zellen sind von viel geringerer Anzahl, als dass
man sie für die Endigung aller Fasern der Zone verantwortlich
machen könnte. Die Mehrzahl der letzteren schlägt offenbar andere
Wege ein. Auch die direete Beobachtung ergiebt dies. Man ge-
wahrt nämlich auf jedem Schnitte zahlreiche feine Fasern, die,
aus der Randzone hervorgehend, den lateralen Abschnitt der
gelatinösen Substanz in gestrecktem Lauf durchsetzen, vor der-
selben arkadenförmig nach rechts und links abbiegen und sich
schliesslich in dem in der Concavität derselben befindlichen
Fasernetz verlieren. Diese zarten Fasern sind auf keine Weise
mit den groben Bündeln der mittleren Portion zu verwechseln,
sie liegen stets lateral von denselben und sammeln sich nie zu
compacten Bündeln wie diese, sondern ziehen stets einzeln, in zer-
streuter Anordnung nach vorn, parallel mit den sich zu Längsreihen
ordnenden Zellen der Rolando’schen Substanz. — Gewöhnlich
begegnet man nur ihren Bruchstücken, überaus selten erscheinen
sie in ihrem ganzen Verlaufe auf dem Schnitte. Am zahlreichsten
gewahrt man sie im lateralsten Theil der Rolando’schen Forma-
tion in der unmittelbaren Nähe ihres äusseren Randes, woselbst
sie stets einen schwach bogenförmigen Lauf erkennen lassen.
Einige von ihnen entstammen, wie gesagt, direct den Hinter-
wurzeln, ohne zu Bestandtheilen der Randzone geworden zu sein,
hierher gehören jene spärlichen Fasern, die im hinteren spon-
giösen Theil der gelatinösen Substanz in querer Richtung
verlaufen. Weiterhin begegnet man einigen aus der Randzone
hervorgehenden Fasern, die nicht nach Art der übrigen die gela-
tinöse Substanz betreten, sondern dieselbe von der äusseren Seite
umkreisen, in derselben Weise, wie dies oben für einige von den
Bestandtheilen der mittleren Portion angegeben wurde, von denen
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 193
diese Fasern aber auf Grund ihrer Zartheit sicher zu unter-
scheiden sind.
In der Concavität der Rolando’schen Substanz breitet sich,
ebenso wie wir dies oben beim Meerschweinchen einlässlich schil-
derten, ein dichtes, feinfaseriges Nervennetz aus, das in seinen
Lücken zahlreiche kleinere Nervenzellen, mitunter auch einige
grössere beherbergt. Am deutlichsten markiren sich dieselben
im Riückenmarke 30—32cm langer Früchte, wo sie häufig mit
Myeloidsubstanz beladen erscheinen, daher bei Weigert’scher Fär-
bung durch ihre dunkle Tinktion deutlich zu Tage treten. — Das Netz
ist sehr reich und wird von mehr longitudinalen Maschen gebildet,
dies ergiebt sich daraus, dass eine echte netzförmige Structur nur
auf Längsschnitten zur Anschauung kommt, während in Quer-
schnitten mehr Faserpunkte überwiegen. Schon bei Neuge-
borenen ist dieses Netzwerk zu erkennen, indess noch bei
Weitem nicht in seiner späteren Complication, so dass man be-
haupten darf, die Elemente desselben erhalten zum grössten Theil
in späterer Periode ihre zarten Myelinscheiden. Man hat Grund
zur Annahme, dasselbe gehe hauptsächlich aus den Verästelungen
der Fortsätze der hier gelegenen Zellen hervor.
Alle Fasern der lateralen Portion — mit Ausnahme vielleicht
jener, die etwa schon in der „hinteren spongiösen Zone“ ihre
Endigung fanden — gehen, ob sie nun die gelatinöse Substanz
zum Durechtritt benützten, oder an ihrer lateralen Seite nach vorn
zogen, in dieses Netz ein. — Damit sind wir auch zur Grenze
des positiv Eruirbaren gekommen. Ich kann aber nicht umhin,
die Annahme als wahrscheinlich zu bezeichnen, dass die in Rede
stehenden Fasern durch Vermittelung des Nervennetzes Bezie-
hungen eingehen zu den hier befindlichen Hinterhornzellen.
Dass dieses Fasergeflecht und vielleicht durch dasselbe auch
dessen Zellen einem Theile der Fasern der hinteren Commis-
sur zum Ursprunge dienen, wurde schon oben mit einiger Wahr-
scheinlichkeit behauptet. Hierdurch wäre also eine Verbindung
hergestellt zwischen Elementen der lateralen Portion und der hin-
teren Commissur, indess keine unmittelbare, wie ich das im
Gegensatz zu Bechterew’s Angaben betonen muss, sondern eine
durch Nervennetz und ev. Nervenkörper vermittelte.
Das ist Alles, was ich über den Verlauf der lateralen Portion
194 Dr. M. v. Lenhossek:
beim Menschen auf Grund meiner Beobachtungen anzugeben
vermag.
Noch viel unzulänglicher sind die Resultate, die ich dies-
bezüglich bei den von mir untersuchten Thieren erhielt, bei
denen diese Portion stets von schwächerer Entwickelung ist, als
beim Menschen.
Die Untersuchung des Hunderückenmarks ergiebt dasselbe,
was wir soeben ausgeführt haben; dem Mitgetheilten vermag
ich nur beizufügen, dass die laterale Gruppe hier in etwas
schwächerer Vertretung erscheint als beim Menschen, und nament-
lich die Grenzschicht sich schmäler präsentirt. Letztere grenzt
sich von den Burdach’schen Strängen ebenfalls sehr deutlich ab,
auf Grund ihrer zarteren, und lockerer angeordneten Bestandtheile.
Im hinteren halbmondförmigen Theil der gelatinösen Substanz treten
uns die bekannten nervösen Bestandtheile: einige Zellen und
bogenförmige Fasern sowie ein lockeres Fasernetz entgegen. Der
laterale Abschnitt der Rolando’schen Substanz ist von zahl-
reichen feinen Fasern durchsetzt, die alle in dem vor derselben
befindlichen, mit Zellen beladenen Geflecht endigen. Die Verhält-
nisse stimmen also mit denen beim Menschen überein.
Bei der Katze weist das Lissauer’sche Feld erst am 7.
Tage einige zerstreute myelinhaltige Elemente auf; von den die
Rolando’sche Substanz in ihrem lateralen Theil durchsetzenden
Fasern sowie dem Fasernetz in der vorderen spongiösen Zone ist
um diese Zeit noch nichts wahrzunehmen. Am 15. Tage beginnt
die Markentwickelung auch in diesen Theilen. Im Rückenmarke
ausgebildeter Thiere unterscheidet sich die laterale Portion nur
durch ihre schwächere Entwiekelung von derjenigen des Menschen.
Beim Meerschweinchen findet man letztere um die Zeit
der Geburt bereits zum guten Theil mit Myelinscheiden aus-
gestattet, doch stellt sie sich erst am 10. Tage ganz fertig dar.
Sie tritt bei diesem Thiere bereits sehr zurück, und ihre spär-
lichen Elemente verdienen nunmehr keineswegs den Namen einer
selbstständigen Gruppe. Die gelatinöse Substanz wird in ihren
inneren zwei Dritteln von der verschmälerten Fortsetzung der Bur-
dach’sehen Stränge überzogen, ihr äusseres Drittel drängt sicb indess
so gut wie ganz an die Peripherie heran, indem sich hier auf
der Oberfläche nur sehr spärliche zerstreute Längsfasern befinden.
Eine Randzone ist demnach hier kaum in Spuren vorhanden; die
Ueber den Verlauf der Hinterwurzeln im Rückenmark. 195
entsprechenden Fasern fehlen indess nicht völlig, sondern haben
eine andere Lage. Im hintersten Winkel der Seitenstränge er-
kennt man nämlich ein Gebiet, wo in den Lücken der hier sehr
starken Gliascheidewände ausser starken Fasern auch viele dünnsten
Kalibers verlaufen, die sich von den ersteren sehr deutlich unter-
scheiden. Diese Stelle scheint in Beziehung zu stehen zu der
lateralen Wurzelgruppe; ich bin daher geneigt, sie als Analogon
der Randzone zu deuten.
Der hintere Bezirk der Rolando’schen Substanz erweist
sich hier ebenfalls als ein nervöses Gebiet. Man erkennt hier
einige aus den Hinterwurzeln herkommende Bogenfasern, die theils
in das soeben geschilderte Gebiet der Seitenstränge eingehen, theils
in die gelatinöse Substanz hineinstreben. Ausserdem finden sich
hier 1—2 Nervenzellen sowie ein sehr kümmerliches Nervennetz.
Bedeutend stärker präsentirt sich jenes, S. 182 bereits geschilderte
Fasergewirr, das vorn in der Concavität der Rolando’schen Sub-
stanz und namentlich im äusseren, recessartig vertieften Theil
derselben ihre Lage hat. Dieses dichte Netz geht hauptsächlich
aus der Verfilzung von Längsfasern hervor — Längsschnitte liefern
hiervon überzeugende Beweise — und enthält in seinen Lücken
mehrere kleine Zellen eingelagert. Die äussere Abtheilung der
gelatinösen Substanz lässt eine Anzahl feiner Fasern erkennen, die
z. Th. direkt den Hinterwurzeln entstammen, z. Th. aus dem
hinteren Winkel der Seitenstränge ihren Ursprung nehmen; sie finden
alle in dem Netzwerk ihr Ende. Dass sich aus letzterem auch
einige Bestandtheile der hinteren Commissur ableiten lassen, wurde
schon anlässlich der Beschreibung dieser auseinandergesetzt.
Einer noch grösseren Reduction der lateralen Gruppe begegnen
wir bei der Maus. Hier beobachtet man die Eigenthümlichkeit,
dass die zwei lateralen Drittel der Rolando’schen Substanz ganz
an der Oberfläche liegen; nur hin und wieder gewahrt man hier
einige Längsfasern. Innerhalb des hintersten Theiles dieser
Substanz finden sich spärliche horizontale, bogenförmig nach
aussen ziehende Fasern. Sie gehen in den hintersten Abschnitt
der Seitenstränge; diese Stelle erinnert mit Rücksicht auf ihre
innere Beschaffenheit an die Randzone: sie weist eine stark ent-
wickelte Grundsubstanz und mächtige, sich netzförmig kreuzende
Glialsepta auf, zwischen denen, ausser einigen starken, hauptsäch-
lich sehr zarte, zerstreute Fasern verlaufen. Man wird nicht
196 Dr. M. v. Lenhossck:
fehlgehen, wenn man diese Ecke, die ich in meiner, das Mäuse-
rückenmark behandelten Abhandlung (S. 76) als „spongiöse Zone
der Seitenstränge“ bezeichnet habe, für das Analogon der Lis-
sauer’schen Zone hält.
Ein sehr auffallender und interessanter Unterschied gegen-
über dem Menschen und den anderen untersuchten Thieren macht
sich darin geltend, dass die gelatinöse Substanz in ihren äusseren
zwei Dritteln hier völlig faserlos ist, nicht ein einziger schwarzer
Nervenfaden tritt auf ihrem homogenen, gelben Felde in die
Erscheinung. Das Mäuserückenmark ist auf Grund dieses Ver-
haltens besonders geeignet zum Nachweis jener Thatsache, dass
die Formatio rolandica keine nervösen Elemente beherbergt, sondern
sich blos aus verhornten Eetodermzellen und ebensolcher Grund-
substanz aufbaut.
Das Nervennetz vor der gelatinösen Substanz erscheint hier
in seinen ersten Anfängen und ist an Querschnitten nur durch
einige verstreute Faserpunkte und schiefe Bruchstücke vertreten.
Aus der erwähnten hinteren Seitenstrangzone treten in dieses pri-
mitive Geflecht etliche Fasern ein.
In Betreff der Zeit der Markscheidenentwickelung habe ich
folgende Thatsachen in Erfahrung gebracht. Am 18. Tage er-
scheint das Gebiet in der hinteren Ecke der Seitenstränge noch
bedeutend heller als die übrigen Theile der letzteren, indem von
ihren Bestandtheilen nur die in geringerer Zahl vertretenen stär-
keren markhaltig sind. Das Nervennetz ist um diese Zeit noch
ganz unsichtbar. Beide Theile zeigen sich erst am 25. Tage in
endgültiger Markhaltigkeit.
Erklärung der Figuren auf Tafel IX.
Alle Figuren sind — mit Ausnahme von Fig. 5 (Reichert Obj, 2
Oe. IT) — bei schwacher Vergrösserung, und nach Präparaten gezeichnet, die
’
nach Weigert gefärbt sind.
Dr.Herzfeld: Beiträgez. Anatomie d. Schwellkörpersd. Nasenschleimhaut. 197
Fig. 1. Querschnitt aus dem Rückenmarke eines 28 cm langen menschlichen
Foetus; Lendenanschwellung.
Fig. 2. 36cm langer Foetus, Lendentheil.
Fig. 3. 36cm langer Foetus, Brusttheil.
Fig. 4 Aus dem Rückenmarke eines entwickelten Meerschweinchens, Len-
denanschwellung.
Fig. 5. Aus dem Rückenmarke eines Neugeborenen. Hinterhorn und Rand-
zone.
Fig. 6. Schema des Verlaufs der Hinterwurzelfasern im Rückenmark. Die
punktirten Theile stellen die in der Längsrichtung verlaufenden
Stücke der betreffenden Fasern vor.
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der
Nasenschleimhaut.
Von
Dr. 3. Herzfeld aus Berlin.
Aus dem anatomischen Institut des Herrn Professor Dr. Zuckerkandl
in Wien.
Hierzu Tafel X.
Nachdem schon Kölliker!) behauptet hatte, dass das Schwell-
sewebe der Nasenschleimhaut reich an Muskelfasern ist und diese
im Verein mit den reichen Venenplexus und vielen Drüsen wesent-
lich zur Dicke der Schleimhaut dieser Gegend beitragen, hat
Zuekerkandl in allerneuester Zeit die Muskulatur des Schwell-
körpers näher beschrieben und nachgewiesen, dass „die weiten
1) Mikroskopische Anatomie des Menschen. II. Band.
198 Dr. J. Herzfeld:
Röhren des Schwellnetzes rings um die Gefässlichtung herum an
der äusseren Seite des endothelialen Rohres eine dieke Muskularis
führen, die bei der Füllung und Entleerung des Schwellkörpers
von grosser Wichtigkeit ist!. Während man nun glauben sollte,
dass diese Ansicht allgemein durchgedrungen und anerkannt sei,
muss es auffallen, dass ein Forscher von der hervorragendsten Be-
deutung auf seinem Gebiete, wie Voltolini, in seinem neu er-
schienenen Lehrbuch ?) Seite 11 bei Beschreibung des feineren
Baues des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut erklärt: „elastische
Fasern oder organische Muskelfasern kann ich nicht entdecken.“
Was die elastischen Fasern anbetrifft, so befindet sich Voltolini
mit sich selbst im Widerspruch, indem er 9 Jahre früher in seiner
Rhinoskopie und Pharyngoskopie Seite 2923) das Balkengewebe
des Schwellkörpers folgendermaassen beschreibt: „das Balkenge-
webe besteht aus parallelen, scharf contourirten Fasern; es ist
Bindegewebe mit vielen Bindegewebskörperchen und sehr zahl-
reichen elastischen Fasern, wie dies die Behandlung mit Essigsäure
ausweist.“ Selbstverständlich habe ich nur mit der neuesten An-
sicht von Voltolini zu rechnen und werde weiter unten darauf
zurückkommen. Da nun auch in anderen Lehrbüchern, wie in
denen von Henle und Hyrtl, der Muskulatur bei Beschreibung
der Nasenschleimhaut nicht gedacht wird und Abbildungen über
diesen Gegenstand meines Wissens nach überhaupt nicht vorliegen,
entsehloss ich mich auf Veranlassung des Herrn Professor Dr.
Zuckerkandl, diese Frage einer neuen Prüfung zu unterziehen,
wozu mir im Institut des genannten Herrn gütigst Gelegenheit ge-
geben wurde.
Es gewährt wir ein grosses Vergnügen Herrn Professor Dr.
Zuckerkandl auch an dieser Stelle für die Unterstützung bei
dieser Arbeit, meinen wärmsten Dank auszusprechen.
1) Ueber den Circulations-Apparat in der Nasenschleimhaut von Pro-
fessor Dr. E. Zuckerkandl. Besonders abgedruckt aus dem XLIX. Bande
der Denkschriften der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse der Kai-
serlichen Akademie der Wissenschaften. Wien 1884.
2) Die Krankheiten der Nase und des Nasenrachenraums nebst einer
Abhandlung über Electrolyse für Specialisten, Chirurgen und praktische
Aerzte von Dr. Rudolph Voltolini, Professor an der Königlichen Univer-
sität zu Breslau. 1888.
3) Rhinoskopie und Pharyngoskopie für Specialisten, Chirurgen und
praktische Aerzte dargestellt von Dr. Rudolph Voltolini. Breslau 1879.
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut. 199
A priori schon der blosen Analogie nach ist nicht einzu-
sehen, warum gerade das Schwellgewebe in der Nase keine Mus-
kulatur enthalten soll, während doch alle Beobachter ohne Aus-
nahme den corpora cavernosa penis et urethrae reichliche Mengen
von Muskelfasern zuerkennen.
Alsdann setzt die klinische Erfahrung, die eigenthümliche
Form des An- und Abschwellens des Nasenschwellkörpers, eine
Erseheinung, die man sogar während der rhinoskopischen Unter-
suchung beobachten kann, doch mit Nothwendigkeit einen musku-
lösen Apparat voraus, der seinerseits natürlich wieder unter dem
Einfluss von Nerven stehen wird.
Wenn ich nun zur Mittheilung über meine eignen Beobach-
tungen übergehe, so erwähne ich zunächst, dass meine Unter-
suchungen sämmtlich an der Nasenschleimhaut des Menschen ge-
macht worden sind. Zuerst untersuchte ich die regio respiratoria.
Ein Stück Schleimhaut der unteren Nasenmuschel wurde auf die
bekannte Weise in Paraffın eingebettet und alsdann Serienschnitte
gemacht; letztere mit Carmin gefärbt. An derartigen Schnitten
sieht man nun schon bei mittelstarker Vergrösserung, dass das
Schwellgewebe reich an organischen Muskelfasern ist. Diese sind
zum grössten Theil um die Hohlräume des Schwellkörpers und
scheinbar auch mitten im Balkennetz meistens querliegend gela-
sert. Figur 1 zeigt einen grössern Hohlraum in einem derartigen
Präparat, der theilweise mit Blut ausgefüllt ist, im Querschnitt. .
In der ganzen Peripherie sind die mit Carmin gefärbten, quer ge-
troffenen Muskelfasern sichtbar. Bei a sind einzelne Reste von
Muskeln besonders schön ausgeprägt. Bei b sieht man reichliche,
mitten im Bindegewebe liegende, zum grössten Theil im Längs-
schnitt getroffene Muskelfasern. Hier ist eben die Gefässwand der
Länge nach getroffen; freiliegendes, im Gewebe selbst vorhan-
denes, von den Venenwandungen unabhängiges Muskelgewebe giebt
es nicht. Auf die letztere Frage, ob sich in den bindegewebigen
Balken freie Muskelzüge vorfinden, ist Zuckerkandl in seiner
vorher erwähnten Arbeit näher eingegangen. Da diese Arbeit im
Buchhandel nur in wenigen Exemplaren erschienen und momentan
vergriffen ist, dürfte die wörtliche Mittheilung der betreffenden
Stelle hier nieht unwillkommen sein. Zuckerkandl äussert sich
nun Seite 16 folgendermassen:
„Ich muss noch hinzufügen, dass ich mich bestrebt habe, zu
200 Dr. J. Herzfeld:
erfahren, ob auch in den bindegewebigen Balken Muskelzüge sich
vorfinden. Diese Untersuchung hat wohl ein negatives Resultat
ergeben, indem an vielen Stellen keine Spur von Muskeln in den
Balken zu sehen war, aber bei oberflächlicher Betrachtung könnte
man leicht verführt werden, an solche Muskelzüge zu denken;
denn es finden sich in vielen Schnitten zwischen den einander
zugekehrten Wänden zweier oder mehrerer Venen Muskelstränge
untergebracht. Eine genaue und oftmalige Untersuchung des Ge-
genstandes lehrt aber, dass man es, bezüglich der genannten Mus-
kelstreifen, nicht mit Bestandtheilen der Balken selbst, sondern
mit Stücken von abzweigenden oder nachbarlichen Venenstämmen
zu thun hat. Es passirt in einem Gewirre von Venen, wie es in
einem Schwellkörper vorliegt, sehr leicht, dass man eine Vene
quer trifft, eine nachbarliche, sagen wir schräg durchtrennt, und
dass der Schnitt eine quere Anastomose zwischen beiden gerade
im Muskelstratum durchsetzt. Jetzt erhalten wir im mikroskopi-
schen Bilde zwei weite Venenlumina und ein den Zwischenbalken
stellenweise deckendes Muskelband, welches man, wie bemerkt,
bei oberflächlichem Studium leicht als einen dem letzteren ange-
hörigen Bestandtheil betrachten könnte.“
Um ganz sicher zu sein, habe ich die Muskeln auch isolirt
am Zupfpräparat dargestellt. Nachdem die ganze untere Muschel
in salpetersäurehaltigem Wasser genügend macerirt war, machte
ich Zupfpräparate, wobei schon ohne Färbung die Muskulatur
deutlich sichtbar wurde. Besonders schön markirten sie sich nach
Anwendung der bekannten Doppelfärbung mit Eosin und Haema-
toxylin, weil hierbei die Kerne gut hervortraten. Figur 2 zeigt
einzelne, derartig gefärbte, isolirte Muskelfasern. Bei a sind nur
noch Trümmer erhalten und die Kerne nicht mehr sichtbar. —
Ist nun hier die Muskulatur sehr stark entwickelt, so finden wir
sie an der entsprechenden Partie des Septum nur spärlich, aber
sowohl an den Arterien- wie Venenwandungen, sowohl in der
regio respiratoria wie regio olfactoria. Hierbei mag gleichzeitig
ein anderes Factum Erwähnung finden. Infolge einer Arbeit!)
von Bresgen achtete ich bei meinen zahlreichen Serienschnitten,
1) Der Circulations-Apparat in der Nasenschleimhaut vom klinischen
Standpunkt aus betrachtet von Dr. Maximilian Bresgen in Frankfurt am
Main. Medicinisch-Chirurgisches Centralblatt. 1884. Nr. 49.
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut. 201
die ich vom Septum angefertigt hatte, ganz besonders darauf, ob
irgendwo Schwellgewebe vorhanden ist. Bresgen spricht nämlich
in dieser Arbeit die ziemlich feste Vermuthung aus, dass die an
der Nasenscheidewand intra vitam oft zu beobachtende Schwellung
der Schleimhaut, die auf Druck leicht verschwindet und nach
Aufhebung des Drucks wiederkehrt, sich nicht allein durch reich-
liche Einlagerung von Drüsen erklären lasse und daher Schwell-
gewebe enthalten müsse. Auch Dr. Ziem in Danzig schliesst
sich dieser Ansicht Bresgen’s in der allgemeinen medizinischen
Ceutralzeitung von 1885 an. Aber weder er noch Bresgen haben
nach ihren Angaben eigne anatomische Untersuchungen angestellt
und schliessen dieses nur aus der klinischen Beobachtung. Letztere
Beobachtung habe ich auch häufig machen können und zwar nicht
nur am Septum, sondern vielleicht ebenso häufig am Nasenboden.
Ich gestehe gerne ein, dass ich bis zur Zeit, wo ich durch eigne
Untersuchungen eines andern belehrt wurde, auch stets zur Er-
klärung dieses Zustandes, der ja grosse Aehnlichkeit mit dem an
den Muscheln darbietet, an das Vorhandensein von Schwel!körpern
in diesen Gegenden glaubte. Aber schon der makroskopische
Vergleich eines Schleimhautstückes vom Septum mit der Schleim-
hautbekleidung der untern Muschel liess mich an der Richtigkeit
dieser Annahme sehr zweifeln, da hier ein weiches schwammiges,
dort ein mehr festes, solides Gewebe sichtbar war. Auch die
mikroskopische Untersuchung der Schleimhaut der Nasenscheide-
wand ergiebt keine Gefässformation, welche wir als typisches
Sehwellgewebe zu bezeichnen gewöhnt sind. Wohl aber finden
wir äusserst zahlreiche Venenplexus, welche letztere im Verein mit
den reichlichen Drüsen vollständig hinreichen, um die vorher
erwähnte und wohl von allen Nasenärzten gemachte Beobachtung
zu erklären. Hingegen hat Zuekerkandl bei den Pflanzen-
fressern echte Schwellorgane nieht nur an den Muscheln, sondern
auch an der Scheidewand und am Nasenboden nachgewiesen !).
Ausser den vorhin beschriebenen Muskeln spielen nun sicher-
lich auch die im Schwellgewebe befindlichen elastischen Fasernetze
1) Wiener Med. Wochenschrift Nr. 39, 1884. Das Schwellgewebe der
Nasenschleimhaut und dessen Beziehungen zum Respirationsspalt von Prof.
Dr. E. Zuckerkandl. (Nach einem im „Verein der Aerzte in Steiermark“
am 30. Juni 1884 gehaltenen Vortrage.)
202 Dr. J. Herzfeld:
beim An-, namentlich aber beim Abschwellen des Organs eine
Rolle; wissen wir doch, dass diese, um mit Hyrtl zu sprechen,
als Stellvertreter von Muskeln wirken und so bewegende Kräfte
sparen können.
Was nun den Bestand des Schwellgewebes an elastischen
Fasern anbetrifit, so sind die Angaben hierüber sehr verschieden.
Nach einigen Forschern, wie Kölliker, Henle, sollen dieselben
sehr spärlich, nach andern, wie Zuckerkandl und der ersten
Angabe von Voltolini sehr zahlreich vorhanden sein. Neuerdings
kann Voltolini freilich, wie vorher schon erwähnt, überhau pt
keine elastischen Fasern im Schwellgewebe entdecken. An vielen
Zupfpräparaten, die ich von der unteren Muschel, wo doch der
Schwellkörper am besten ausgeprägt ist, anfertigte, konnte ich
mich nun von dem grossen Reichthum des Schwellgewebes an
elastischen Fasern überzeugen. Waren dieselben schon vorher
sichtbar, so traten sie auf Zusatz von Essigsäure erst recht deut-
lich hervor und präsentirten sich als grösstentheils sehr feine
Fäden, aber stets in grosser Anzahl in jedem Gesichtsfeld.
Dieser grosse Reichthum an elastischem Gewebe wie die
vorbin beschriebene Muskulatur, die natürlich unter dem Einfluss
des Nervensystems stehen wird, reicht meiner Meinung nach voll-
ständig zur Erklärung für das Zustandekommen der Füllung und
Entleerung des Schwellkörpers aus. Die Vermuthung Zucker-
kandl’s, dass diese Vorgänge vom Ganglion spheno-palatinum
abhängen, „welches einerseits bei Füllung des Schwellkörpers
vasodilatatorisch wirkt, die Arterienwände und desgleichen die
reichliche Muskulatur des Venengeflechts erschlaffen macht und
andererseits wieder eine verengernde Thätigkeit ausübt“, ist durch
die experimentellen Untersuchungen von Dr. Aschenbrandt!)
in Würzburg vollkommen bestätigt worden. Dr. Aschenbrandt
gelang es bei Thieren das Ganglion spheno-palatinum bloszulegen.
Wurde dasselbe elektrisch gereizt, so nahm das cavernöse Geflecht
an der untern Muschel an Volumen bedeutend zu.
Voltolini, der weder Muskeln noch elastische Fasern im
Schwellgewebe sehen konnte, stellte nun eine Theorie auf, bei
1) Ueber den Einfluss der Nerven auf die Sekretion der Nasenschleim-
haut von Dr. Aschenbrandt, Würzburg. Monatsschrift für Ohrenheil-
kunde, sowie für Kehlkopf-, Nasen-, Rachenkrankheiten. 1885. Nr. 3.
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut. 203
der er allerdings weder Muskeln noch elastische Fasern braucht.
Nach dieser Theorie gehört!) „der Muschelknochen, so zu sagen,
mit zu dem cavernösen Gewebe; er ist der harte Schwamm,
welcher in den weichen hineingeschoben ist und ist nicht blos
eine feste Stütze dieses Gewebes; er macht es, dass der grösste Tbeil
der Gefässe immer offen bleibt und nicht kollabiren kann, weil
die Gefässe innerhalb des Knochens mit ihren Wänden befestigt
sind. Würden die Gefässe bloss auf der Fläche des Knochens
verlaufen, ohne ihn so zahlreich zu durchbohren, so könnten sie
'zwar auch die cavernösen Räume mit Blut erfüllen ; wodurch würde
dann aber das ganze Gewebe so zu sagen in Erection erhalten,
damit das Blut in die Cavernen gelangen kann wie beim Penis,
wo das eavernöse Maschenwerk von der Tunica albuginea ausgeht,
welche die Erecetion bewirkt? Die Verhältnisse der Gefässe in
der knöchernen Muschel sind ähnlich wie die der venae diploicae
am Schädel, die auch, stets offen, beständig eine freie Commu-
nication zwischen dem Gehirn und der Aussenfläche des Schädels
ermöglichen“ (Voltolini). Obwohl Zuckerkandl diese Theorie
in der schon mehrfach erwähnten Abhandiung „Ueber den Cireu-
lations-Apparat in der Nasenschleimhaut* als unhaltbar erklärt
hat, weil sie sowohl den anatomischen wie physiologischen Ver-
hältnissen wiederspricht, kommt Voltolini in seinem neuen Lehr-
buch wieder darauf zurück, hält seine Theorie neben der von
Zuekerkandl aufgestellten aufrecht und sucht sie dadurch zu
beweisen, „dass es höchst auffallend ist, dass gerade die Gegenden
der knöchernen Muscheln, wo Schwellgewebe vorhanden ist, von
zahlreichen Löchern durehbohrt sind, während die knöcherne
Nasenscheidewand glatt wie Glas aussieht.“ In der That ist das
Septum ausser einigen leichten Ader- und Nervenspuren meistens
ziemlich glatt. Was aber die knöchernen Muscheln anbetrifft, so
zeigt die mittlere Muschel, die doch nur am Rande und am hinteren
Ende Schwellgewebe trägt, doch in ihrer ganzen Ausdehnung
denselben unregelmässigen, zahlreich mit Furchen, Rinnen
und Löchern versehenen Bau. Selbst die obere Muschel, wo doch
fast gar kein Schwellgewebe vorhanden ist, zeigt auch an vielen
1) Monatsschrift für Ohrenheilkunde etc. Nr. 4, 1877. Nach einem
Vortrage mit Demonstrationen der Präparate in der medicinischen Section
der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur von Professor Vol-
tolini.
904 Dr. J. Herzfeld:
Schädeln, wie ich mich überzeugen konnte, einen stark durch-
löcherten Knochen. Diese Oeffnungen, die man bekanntlich schon
mit blossem Auge an der knöchernen Muschel in grosser Anzahl
wahrnehmen kann, führen theilweise in grössere Gefässkanäle, die
parallel zur Längsachse des Knochens verlaufen. Die Mehrzahl
derselben communieirt jedoch mit unregelmässig geformten Räumen
des Knochens. Der Gesammtkomplex dieser Räume verleiht dem
Gebilde ein spongiöses Aussehen und wiederholt sich hier ein
Verhalten, wie dies an vielen anderen Knochen des menschlichen Kör-
pers der Fall ist. In den grossen Gefässkanälen verlaufen die Haupt-
stämme der Arterien, umgeben von Bindegewebe und Venennetzen;
in den unregelmässig geformten Räumen der Muschel, die viel-
fach unter einander communieiren, findet sich ganz ähnlich, wie
in anderen spongiösen Knochen, Fett- und Bindegewebe durchsetzt
von dem typischen Venennetz der Knochen. Die Abzugskanäle
begeben sich in das Periost und die abführenden Venen gehen
von hier aus weiter in die tiefliegenden Schichten des Schwell-
gewebes. Nirgends sieht man das Schwellgewebe in den Knochen
sich fortsetzen, wie dies Voltolini beschreibt, sondern überall
nur austretende Venen, die in die Periostvenen oder in die Abzugs-
kanäle des Schwellgewebes übergehen. Dass diese Venen nichts
direkt mit dem Schwellkörper zu thun haben, dass sie vor allem
nicht die Bedeutung haben, die ihnen Voltolini zuschreibt, sondern
einfach als vasa propria des Knochens anzusehen sind, dafür
spricht auch folgender Versuch. Gehörte nämlich der Knochen, so
zu sagen, mit zu dem cavernösen Gewebe, worin er, wie Voltolini
meint, den harten Schwamm vorstellt, welcher in den weichen hinein-
geschoben ist, so dürfte sich der Schleimhautüberzug der knöchernen
Muschel von dieser seiner Unterlage nicht leicht ablösen lassen,
ohne an vielen Stellen einzureissen. Dieses ist nun aber nicht
der Fall. Im Gegentheil gelang es mir bei injieirten Muscheln,
bei denen man ja sehr schön jedes in den Knochen eindringende
Gefäss sehen müsste, stets sehr leicht die Schleimhaut in toto,
ohne auf Widerstand zu stossen, von der knöchernen Muschel
abzuziehen. Nur an ganz vereinzelten Stellen sah man aus dem
Knochen eine Vene heraustreten, um in das Schwellgewebe einzu-
münden. Zur Illustration der eben beschriebenen Verhältnisse
verweise ich auf die Figuren 3, 4, 5 und 6 der beigegebenen
Tafel. Figur 3 zeigt einen Querschnitt der unteren knöchernen
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut. 205
Muschel, der ungefähr durch die Mitte geführt ist, also dort, wo
der Knochen am dieksten ist, bei Loupenvergrösserung gezeichnet,
und kann man an demselben deutlich die Markräume erkennen.
Figur 4 zeigt die Venen der knöchernen Muschel. Das Prä-
parat ist dadurch gewonnen worden, dass nach vorheriger Injec-
tion die Schleimhaut von ihrer knöchernen Unterlage abgelöst ist.
Figur 5 ist dargestellt, um das Fettgewebe mit den Mark-
venen einzelner Markräume zu zeigen.
Figur 6 ist der Querschnitt einer injieirten und entkalkten
Muschel mit Schwellgewebe und Knochenvenen. Bei a, a sieht
man Arterien-Durchschnitte, die noch mit allen Häuten ausgestattet
sind. Bei b, b sind die aus den Knochen stammenden Venen, bei
ec, e die Lacunen des Schwellgewebes sichtbar, die mit der Injec-
tionsmasse gefüllt sind. Letztere Figur veranschaulicht auch gleich-
zeitig den Bau des Schwellkörpers sehr deutlich und dürfte viel-
leicht noch instruktiver als die Voltolini’sche Abbildung sein.
Wie stellt sich nun die Cireulation im Schwellkörper her
resp. wodurch wird der Schwellkörper in einem dauernden Zu-
stand von Ereetion erhalten? Nachdem wir gezeigt haben, dass
der Knochen ‘der Muschel sich in nichts von einem gewöhnlichen
spongiösen Knochen unterscheidet , dass die in demselben verlau-
fenden Gefässe als vasa propria ossis aufzufassen sind, dass end-
lich das Schwellgewebe zu beiden Seiten des Knochens scharf
absetzt (Figur 6), sind wir berechtigt von der Voltolini’schen
Theorie abzusehen und voll und ganz die bedeutend einfachere
und natürlichere Theorie Zuekerkandl’s anzunehmen. Hiernach
sind genau wie bei dem Scehwellkörper des Penis die zuführenden
Gefässe einzig und allein die Arterien, welche sich im Perioste,
in den Drüsen und in der conglobirten Schichte in 3 capillare
Netze auflösen. Aus den Capillarnetzen gelangt das Blut in den
Schwellkörper, der vermöge seiner starken Muskulatur eine bedeu-
tende Dilatation seiner Räume ermöglicht. Kontrahirt sich nun
die Muskulatur des Schwellkörpers, die, wie bereits erwähnt, unter
dem Einfluss des Ganglion spheno-palatinum steht, so ergiesst sich
das Blut in die abführenden Gefässe, welche selbstverständlich
wieder nur die Venen sein können. Man kann nach Zucker-
kandl 5 Gruppen solcher, das Blut aus dem Schwellkörper ab-
führenden Venen unterscheiden, „von welchen die eine, Plexus
nasalis externus, vorwärts gegen die äussere Nasenöffnung, die
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 14
206 Dr. J. Herzfeld:
zweite und dritte (venae etlımoidales) aufwärts gegen die Schädel-
und Augenhöhle, eine vierte rückwärts gegen das Gaumensegel
und endlich eine fünfte rück- und aufwärts in die Flügelgaumen-
srube zieht.“
Zum Schluss möge es mir noch gestattet sein, mit einigen
Worten auf die Bemerkung Voltolini’s einzugehen, dass sich die
kolossalen lebensgefährlichen Blutungen der Nase auch nur durch
seine Theorien erklären lassen, während Blutungen an einem
Sehwellkörper, wo kein Knochen vorhanden ist, wie am Penis,
nichts Gefährliches haben und nach Rust (Handbuch der Chirur-
gie, Artikel Vulnus penis) meist schon durch styptische Mittel ge-
stillt werden können. Nur zum Vergleich will ich. kurz einige
Worte aus demselben angeführten chirurgischen Werke von Rust
über den Artikel „Epistaxis“ eitiren. Dieser ausgezeichnete Arzt
äussert sich über die Prognose der Nasenblutungen folgender-
maassen: „Die Prognose ist verschieden nach dem Charakter, nach
der Anlage und den ursächlichen Momenten. Im Ganzen ist sie
aber nicht so misslich wie bei anderen Blutungen.“ Rust hält
nur die Blutungen der Nase für gefährlich, die auf allgemeine
Dyserasie oder auf organischen Fehlern „der Brüste und Unter-
leibsorgane“ beruhen. Wenn auch aktive Blutungen der Nase zu-
weilen bedenklich werden können, so liegt es eben daran, dass
man den Ausgangspunkt der Hämorrhagie nicht sehen und ihm
infolge dessen nicht beikommen kann, wofür am besten ein von
Voltolini selbst beobachteter und in seinem neuen Lehrbuch Seite
120 beschriebener Fall spricht. Hier konnte eine seit Jahren be-
stehende schwere Blutung in einer einzigen Sitzung dauernd be-
seitigt werden, sobald die locale Ursache der Blutung, nämlich ein
Angiom gefunden und dasselbe von Voltolinigalvanokaustisch be-
seitigt wurde. Also nicht in „den Gefässlöchern resp. klaffenden
Gefässen“ liegt die Gefahr der Nasenblutungen, sondern in der
Schwierigkeit des Auffindens der lokalen Ursache.
Resumiren wir uns am Schlusse unserer Arbeit noch einmal
kurz, so sind die Resultate unserer Untersuchung folgende:
1) Der Schwellkörper der Nasenschleimhaut ist reich an or-
ganischer Muskulatur. Diese liegt aber nicht frei. im Balkenge-
webe des Schwellkörpers, sondern bildet wie an allen anderen
Körperstellen die Tuniea media der Arterien und Venen und liegt
Beiträge zur Anatomie des Schwellkörpers der Nasenschleimhaut. 207
ferner dicht gedrängt um die Liehtungen der Lacunen des Schwell-
körpers.
2) Im Balkengewebe des Schwellkörpers sind zahlreiche, ela-
stische Fasern vorhanden.
3) Der Knochen der Muschel ist markhaltig, spongiös. Schwell-
gewebe setzt sich nicht in den Knochen fort, sondern Knochen-
venen treten aus demselben heraus und begeben sich zu den
periostalen Venen und den Abzugskanälen des Schwellgewebes.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel X.
Fig. 1 stellt ein Stück eines Querschnitts der unteren Muschel dar. Rings
um die Lichtuug der Lacune sind die quer getroffenen Muskelfasern
sichtbar. Zu ganzen Nestern angehäuft liegen sie bei a; bei b, b
Muskelfasern im Längsschnitt getroffen. Der Innenraum der Lacune
ist zum grössten Theil mit Blut ausgefüllt. Bei ce der Durchschnitt
einer Drüse sichtbar. Hartn. Obj. 5, Oe. 3.
Fig. 2 zeigt isolirte Muskelfasern; deren Kerne durch Doppelfärbuug mit
Eosin und Hämatoxylin besonders deutlich gemacht worden sind.
Bei a sind nur noch Trümmer von Muskelfasern vorhanden. Hartn.
Obj. 7, Oec. 3.
stellt einen Querschnitt geführt durch den dicksten Theil der unte-
ren knöchernen Muschel dar, um die Markräume des Knochens zu
zeigen. Loupenvergrösserung.
Fig. 4 ist ein Injectionspräparat der unteren knöchernen Muschel, von
der die Schleimhaut abgezogen ist. Loupenvergrösserung.
Fig. 5 stellt Mark und Venen aus dem knöchernen Theil der unteren Mu-
schel dar. Hartn. Obj. 5, Oc. 3.
Fig. 6. Querschnitt durch die ganze Substanz der unteren vorher entkalkten
und injieirten Nasenmuschel. Ringsherum grenzt sich das Schwell-
gewebe hart am Knochen ab. a, a Arteriendurchschnitte; bei b, b
sieht man sehr deutlich, wie Venen aus dem Knochen heraustreten,
um sich in das Schwellgewebe einzusenken: ec, c, e Lacunen des
Schwellgewebes. Loupenvergrösserung.
ke
2)
os
208 Heinrich Hoyer:
(Aus dem physiologischen Institut zu Breslau.)
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen.
Von
Heinrich Hoyer, cand. med.
Hierzu Tafel XI und XÜ.
Auf Veranlassung und unter der Leitung von Herrn Geheim-
rath Heidenhain untersuchte ich Lymphdrüsen hinsichtlich des
retieulären Gewebes und der in den Drüsen vorkommenden Zell-
formen.
Die hier folgenden Ergebnisse der Arbeit beziehen sich aus-
schliesslich auf Lymphdrüsen von Hunden.
I:
Der allgemeine Bau der Lymphdrüsen ist durch die grund-
legenden Arbeiten verschiedener Forscher ausreichend klar gelegt
worden, nur über die Constitution des Reticulums der Lymphdrüsen
werden in den verschiedenen Lehrbüchern und vorwiegend den
deutschen noch immer auseinander gehende Ansichten ange-
troffen.
Leydig!), Toldt?), Frey?°), Krause®), Orth), Schä-
fer®) geben an, das Reticulum werde gebildet aus Bindegewebs-
zellen und deren Ausläufern, weiche mit denen der benachbarten
Zellen anastomosiren. Kölliker’?) hält das Retieulum für ein
1) Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. 1857.
2) Toldt, Lehrbuch der Gewebelehre. 1877.
3) Frey, Handbuch der Histologie und Histochemie des Menschen. 1874.
4) Krause, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. 1876.
5) Orth, Cursus der normalen Histologie. 1878.
6) Schäfer, Histologie. 1889.
7) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. 1867.
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 209
Netz von Bindegewebskörperchen, „doch sind, wie schon Billroth
mit Recht angiebt, die Kerne der Zellen in der Regel in der Drü-
sensubstanz geschwunden. und nur in den Lymphsinus erhalten“.
Faseriges Bindegewebe kommt in gesunden Drüsen bei jüngeren
Thieren selten vor, dagegen in Menge bei entarteten Drüsen oder
älteren Geschöpfen. .„In solehen Fällen sieht man recht deutlich,
dass dasselbe stets in erster Linie als Beleg um die Zellen
auftritt.“
Kölliker schliesst weiterhin daraus, dass es sich hierbei um
eine unmittelbare Umbildung der Zellen des Reticulums (nament-
lich der in den Lymphsinus gelegenen) in Bindegewebsbündel
handelt.
Die Ansicht von Schenk!) über das reticuläre Gewebe gebe
ich wörtlich wieder: „Es giebt eine Anordnung von Bindegewebe,
wie man sie beispielsweise in den Lymphdrüsen oder auch im
Centralnervensystem findet, wo von den zelligen Elementen aus,
von kleinen knötchenartigen Anschwellungen, ein Netz von Fasern
ausgeht, das keine Unterbrechung erkennen lässt, bei dem aber
ein inniger Zusammenhang der Fasern unter einander existirt.“
v. Recklinghausen?) lässt es dahingestellt sein, ob an
den Knotenpunkten des Netzwerkes, welches aus feinen Fäserchen
gebildet wird, die Kerne blos angeheftet oder im Innern der Sub-
stanz der Fäserchen in eigentlichen Zellen gelagert sind. Ellen-
berger?) spricht sich bei der Beschreibung des reticulären Bin-
degewebes direkt gegen die Ansichten von Toldt, Krause u. a.
aus und stellt das reticuläre Bindegewebe dar als ein faseriges
Gerüst von Bindegewebsfibrillen, dem die Zellen mit ihren Aus-
läufern nur anliegen. Mit Ellenberger stimmt Sussdorf?) in
demselben Werke bei der Beschreibung der Lymphdrüsen überein.
Stöhr®) vertritt keine eigene Ansicht, sondern führt die ältere,
bisher gültige, und die eben erwähnte neuere Ansicht neben ein-
1) Schenk, Grundriss der normalen Histologie des Menschen. 1885.
2) v. Recklinghausen, „Das Lymphgefässsystem“ in Strickers
Handbuch der Lehre von den Geweben. 1871.
3) Ellenberger, Handbuch der vergleichenden Histologie und Phy-
siologie der Haussäugethiere. 1887.
4) Stöh#, Lehrbuch der Histologie und mikroskopischen Anatomie des
Menschen. 1887.
210 Heinrich Hoyer:
ander an. Bizzozero!), Ranvier ?) und Klein?) haben endlich
nachgewiesen, dass das Netzwerk aus Bindegewebsfibrillen bestehe,
welche von Bindegewebszellen und ihren Ausläufern wie von einer
Scheide eingeschlossen werden. Diese letzten Befunde wurden
zum wesentlichen Theile mittelst der zuerst von His in Anwen-
dung gebrachten Methode des Auspinselns oder Ausschüttelns der
erhärteten Schnitte festgestellt, ausserdem haben v. Reckling-
hausen und Ranvier auch Injectionen von Silbernitrat benutzt.
Zu dem gleichen Resultate wie die letzt erwähnten Forscher
gelangte auch ich vermittelst der Methode der künstlichen Ver-
dauung mit Trypsin, welche in zweierlei Weise ausgeführt wurde.
Nach der von Kühne*) angegebenen Vorschrift wurden die
frischen Mesenterialdrüsen von Hunden mittelst eines Gefriermikro-
toms geschnitten, die Schnitte aufeinem Objeetträger ausgebreitet und
in einer schwach alkalisch gemachten Lösung von Salieyl-Thymol-
Trypsin mindestens 24 Stunden der Verdauung überlassen. Zur Ver-
dauung von Lymphdrüsen, die in Alkohol erhärtet waren, benutzte
ich mit gutem Erfolge glycerinöses Pancreas-Extract, welches in
einem Verhältniss von 1:10 mit Wasser verdünnt und mit kohlen-
saurem Natron ebenfalls schwach alkalisch gemacht war. Ich liess
Schnitte von 0,01—0,02mm Dicke auf einem Öbjectträger in
wenigen Tropfen der Flüssigkeit bei Zimmertemperatur verdauen,
und konnte den Verdauungsprozess, welcher nach einer halben
Stunde beendet war, unter dem Mikroskop genau verfolgen. Das
letzte Verfahren hatte den grossen Vorzug, dass das Reticulum
fast vollständig erhalten zur Beobachtung gelangte, wenngleich es
unmöglich war ein derartiges Präparat zu färben und aufzube-
wahren. Die nach der ersten Vorschrift angefertigten Präparate
konnten zwar gefärbt und aufbewahrt werden, hatten aber bei
dieser Manipulation erheblich gelitten, so dass immer nur kleinere
Theile des Schnittes zur Untersuchung sich brauchbar erwiesen.
1) Bizzozero: I. Sulla struttura delle ghiandole linfatiche. 1872. Re-
ferirt in Hoffmann-Schwalbes Jahresberichte. II. Beitrag zur Kenntniss
des Baues der Lymphdrüsen in Moleschott’s Untersuchungen zur Natur-
lehre. Bd. 11. 1873.
2) Ranvier, Traite technique d’Histologie. 1875.
3) Klein, Grundriss der Histologie. 1886.
4) Kühne, Untersuchungen aus dem physiolog. Instituge der Univer-
sität Heidelberg. Bd. 1, Heft 2.
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 211
Als besonders vortheilhaft für das scharfe Hervortreten des mikros-
kopischen Bildes bewährte sich folgende Behandlung des Präpa-
rates. Wenn der Schnitt genügend verdaut erschien, wurde der-
selbe von dem überflüssigen Trypsin und den noch vorhandenen
unverdauten Zeliresten möglichst vorsichtig mit Wasser gereinigt
und dann auf dem Objectträger aufgetrocknet. Hierauf wurden
einige Tropfen einer Färbeflüssigkeit (ich benutzte gewöhnliches in
Wasser gelöstes Haematoxylin) auf den Schnitt gethan und einige
Zeit darauf belassen. Nachdem die Färbung die entsprechende
Intensität erreicht hatte, spülte ich den Schnitt wiederum ab und
liess die zurückbleibende Feuchtigkeit verdunsten. Aufbewahrt
wurde das Präparat nicht in Canadabalsam, da derselbe das Object
zu durchsichtig machte, sondern einfach in trocknem Zustande,
indem ich das auf das Präparat gelegte Deckgläschen am Rande
mittelst Lack auf dem Objectträger festkittete. Auf diese Weise
traten die Konturen der feinen Fäserchen des Netzes schärfer
hervor.
An den nach diesem Verfahren hergestellten Präparaten ist
nun folgendes zu beobachten: Das starke Kapselgewebe der
Lymphdrüsen setzt sich unmittelbar in das Gewebe, welches im
Innern der Drüse enthalten ist, fort, und zwar in zweifacher
Weise: in Form von dicken Faserbündeln (Trabekeln oder Septen),
welche in ihrem ganzen Verlaufe feinere Fasern entsenden, und
welche sich schliesslich zu einem Netzwerke auflösen, als auch
als feine Bindegewebsfibrillen, welche die Lymphsinus oder Lymph-
bahnen durchsetzen.
Was das Reticulum im Inneren der Drüse anbetrifft, so
nimmt dasselbe je nach der Gegend im Schnitte, der Dicke des-
selben und der Vergrösserung ein sehr verschiedenes Aussehen an.
Die Fasern des Retieulums erscheinen nämlich, an dünnen Schnitten
und bei schwacher Vergrösserung untersucht, in der unmittelbaren
Umgebung der Trabekel stärker als ihre Ausläufer, ferner im
ganzen Verlaufe der Lymphbahnen und um die in denselben gelegenen
grösseren Blutgefässe herum. Fig. 1 giebt die Endverzweigung eines
Trabekels in einem Schnitte von 0,15 mm Dieke bei homogener
Immersion (Zeiss Y/ıs) betrachtet. Nach der linken Seite hin
liegen die dicken von einem Trabekel auslaufenden Balken a,
welche sich nach der rechten Seite hin immer mehr verjüngen.
Aus dieser Figur ist ferner ersichtlich, dass bereits in den Lymph-
212 Heinrich Hoyer:
bahnen eine Spaltung der dicken Balken in feine Fibrillen zu
Stande kommt, wie solche sonst nur in dem Netzwerk der Rinden-
knoten und Markstränge vorhanden sind. Bei dünneren Schnitten
zerreissen diese feinen Fäden vielfach, sodass nur das gröbere
Netz in den Lymphbahnen übrig bleibt.
In der die Flemming’schen Keimcentra der Secundär-
knötehen umgebenden Randzone der Rindenknoten ordnen sich die
dickeren Bindegewebsfasern mehr in tangentialer Richtung (in
Bezug auf die Peripherie des Knötchens) an, wodurch die Maschen
des Netzes, wie Fig. 2 zeigt, in die Länge gezogen erscheinen
und in dieser Form das Keimcentrum von dem umliegenden Ge-
webe abgrenzen. Auf diese Weise kommt die concentrische Schich-
tung des Bindegewebes,- wie sie His an ausgepinselten Schnitten
beschrieben hat, zu Stande. Nach Innen von dieser Randzone,
d. h. in dem Keimcentrum, sieht man dann wieder die Maschen
in ganz unregelmässiger Weise geformt, die Fibrillen zu einem
äusserst zarten Netzwerk vereint und deutlich gegen das Gewebe
der Randzone abgesetzt.
Auch in der Markpartie bildet das starke Netz der Lymph-
bahnen einen sichtbaren Unterschied gegen das feine der Mark-
stränge, wie es Fig. 3 darstellt, wobei ebenso wie in Fig. 2 kaum
wesentliche Unterschiede in der Weite der Maschen zu erkennen
sind.
Fig. 4 giebt schliesslich zum Vergleiche noch eine Abbildung
des Retieulums aus einer Lymphbahn (nach links oben liegt ein
Markstrang) mit den auf den Fibrillen noch haftenden Binde-
gewebs- resp. Endothelzellen. Hierbei muss allerdings in Betracht
gezogen werden, dass der Schnitt, nach welchem Fig. 4 angefertigt
worden, viel dünner ist, als der von Fig. 1, und letztere eine Ab-
bildung liefert aller Netzfasern, welche bei verschiedener Focal-
einstellung im Gesichtsfelde zum Vorschein kamen, während Fig. 4
das Gesichtsfeld bei unveränderter Focaleinstellung darstellt.
Lässt man diesen Umstand ausser Acht, so wird es kaum mög-
lich erscheinen, die beiden letzteren Figuren mit einander in
Uebereinstimmung zu bringen.
LI.
Die im Nachfolgenden dargelegten Untersuchungen über die
zelligen Elemente der Lymphdrüsen bilden im Wesentlichen eine
ie A
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 213
Fortsetzung der von Herrn Geheimrath Heidenhain an den Ele-
menten des Substrates der Dünndarmschleimhaut gemachten Beob-
achtungen!). Zur Färbung seiner Präparate hat Heidenhain
vielfach die Ehrlich-Biondi’sche Mischung von Orange G, Me-
thylgrün und Säurefuchsin in Anwendung gezogen und damit
höchst instruetive Präparate erzielt. Bei Verwerthung derselben
Mischung für die Differenzirung der Gewebselemente in den Lymph-
drüsen erhielten wir im Wesentlichen übereinstimmende Resultate.
Die frischen Drüsen von Hunden wurden durch 24 Stunden
in einer gesättigten Lösung von Sublimat in 0,6%, Kochsalzlösung
fixirt, dann sogleich in Alkohol übertragen, entwässert und nach
Durchtränkung mit Xylol in Paraffin eingeschmolzen; die mit dem
Mikrotom daraus angefertigten Schnitte wurden mittelst schwachen
Alkohols auf Objeetträgern festgeklebt, durch Xylol, Chloroform
und Alkohol von Paraffin befreit, durch 1—24 Stunden in einer
stark verdünnten (1°/,) Lösung des Farbstoffgemisches tingirt, in
Alkohol ausgezogen, entwässert, mit Xylol durchsichtig gemacht
und in Canadabalsam eingeschlossen.
Die einzelnen Bestandtheile der Drüsen werden durch jeden
der 3 Farbstoffe des Gemisches in sehr differenter Weise tingirt,
und zwar sämmtliche dem Bindegewebe angehörenden Drüsentheile
und Kernkörperchen rosa, alle Zellkerne mit Methylgrün in ver-
schiedenen Nüancen zwischen mattem Violett und intensivstem
Blaugrün und mit Aurantia die rothen Blutkörperchen orange?).
Mit Hülfe der eben beschriebenen Methode lassen sich die 4 von
Heidenhain in der Darmschleimhaut nachgewiesenen Zellformen
auch in den Lymphdrüsen auffinden. Im Nachfolgenden will ich
es versuchen, dieselben bezüglich ihres häufigeren oder selteneren
Vorkommens und ihrer Vertheilung in dem Drüsengewebe näher
zu beschreiben.
1) Pflügers Archiv. Bd. 43. Supplementheft.
2) Eine solche scharfe Differenzirung tritt bei kurzdauernder Färbung
der Präparate (während 1 Stunde) ein, doch hat dieselbe den Nachtheil, dass
die Präparate sehr schnell abblassen. Nach 24stündiger Färbung wird die
Tinetion dauerhafter, aber die Orangefärbung wird in diesem Falle durch
das Säurefuchsin verdrängt. Bemerkenswerth ist ferner für die Lymphdrüsen-
untersuchung, dass nur Schnitte von höchstens 0,02 mm Dicke verwendbar
sind und nur bei Benutzung von Wasser- oder Oelimmersionssystemen in-
structive Bilder liefern.
214 Heinrich Hoyer:
Die erste von Heidenhain aufgestellte Gruppe von „Zellen
mit einem sehr kleinen, fast farblosen Protoplasma“ bilden das
Gros der in den Lymphdrüsen vorhandenen Zellelemente. Der
Kern ist rund und misst im Durchmesser 2—4u«. Mit der Ehr-
lieh-Biondi’schen Flüssigkeit färbt sich derselbe grün, das Kern-
gerüst manifestirt sich undeutlich durch etwas dunklere Färbung,
die Kernkörperchen zeigen in diesen Zellen keine abweichende rothe
Färbung. Das Protoplasma umhüllt den Kern meist in einer kaum
sichtbaren, sebr schmalen Zone (Fig. 2, Zelle a), oder es erscheint
als eine kleine dem Kerne einseitig (Fig. 1, Zelle b, b) oder dop-
pelseitig (Fig. 1, c, e) angelagerte Masse. Die soeben beschriebene
Zellform bildet constant den wesentlichen Bestandtheil der Rin-
denknoten und Markstränge. In den Keimcentris liegen diese
Zellen zwischen den gleich zu besprechenden grossen Zellen zer-
streut und in den Lymphsinus und Lymphbahnen in grossen
Mengen mit anderen Zellformen vermischt.
Die zweite Gruppe nach Heidenhain bilden „die Zellen
mit grösserem, hell rosa gefärbten Protoplasma.“ Der Kern die-
ser Zellen ist gross, rund oder oval, seine Grösse schwankt zwi-
schen 5 und 64, seine Färbung erscheint matt violett. In der
hellen Kernsubstanz sieht man deutlich ein etwas dunkleres Ge-
rüst, welches sich nach dem Rande des Kernes hin mehr verdich-
tet, so dass die Kerngrenze dadurch schärfer wird. An den Kno-
tenpunkten der Gerüstfasern liegen ein oder mehrere grosse rothe
Kernkörperchen. Das Protoplasma umgiebt den Kern in Gestalt
einer I—2 u breiten meist unregelmässig gestalteten Zone (ef. Fig.2).
Diese zweite Zellforın findet sich gleichfalls beständig in den Drü-
sen, allerdings in viel geringerer Anzahl als die zuerst beschriebenen.
Sie liegen meist vereinzelt und zeigen hinsichtlich der Färbung ihrer
gesonderten Bestandtheile sehr viele Uebereinstimmung mit den das
bindegewebige Reticulum bekleidenden Bindegewebszellen und den
Endothelzellen der Capillaren, doch charakterisiren sich die letzteren
Gebilde durch ihre Verzweigung resp. ihre Anordnung zu einem
Gefäss, während man die oben erwähnten Zellen vielfach ganz
isolirt in einer Masche des Retieulums liegen sieht. Ferner
ähneln diese Zellen ungemein den von Flemming!) beschriebenen
1) W. Flemming, Studien über Regeneration der Gewebe. Archiv f.
mikr. Anat. Bd. 24.
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 215
Zellen im Keimcentrum. Derselbe schildert sie in folgender Weise:
„Es liegen daselbst Zellen mit grösseren Kernen, aber auch relativ
reich an Zellsubstanz, so dass dadurch die Kerne ziemlich ausein-
ander gerückt stehen. Daher bei der reinen Kerntinetion die hel-
lere Gesammtfärbung des Centrums.“ Die mit der Biondi’schen
Flüssigkeit gefärbten Präparate geben im allgemeinen dasselbe
Bild, da sich aber noch das Zellplasma schwach mitfärbt, so sieht
man auf einem leichtröthlichen Grunde scheinbar ein feines, ziem-
lich regelmässiges Netz, dessen Fasern dunkeler roth gefärbt sind,
und in jeder Masche einen grossen schwach violett gefärbten Kern,
in dessen Inneren sich noch eine zierliche Struktur erkennen lässt.
Die scheinbaren Netzfasern werden somit durch die äusseren Con-
touren der an einander liegenden Zellen dargestellt. Zwischen
diese Zellnetze finden sich noch die eben erwähnten kleinen Leu-
koeyten eingestreut, sowie ferner zahlreiche in Karyokinese be-
sriffene Zellen, die sich durch die intensiv grüne Färbung ihres
Kernes vor den übrigen Zellen auszeichnen. Ausserdem beboach-
tete ich hier und dort im Keimcentrum kleine rote oder grüne
Körnehen von 1—24: Durchmesser, welche frei zwischen den Zel-
len, meistentheils in grösseren Haufen beisammen lagen. Ob es
sich hierbei um die „tingiblen Körper“ von Flemming handelt,
vermag ich nicht zu entscheiden, da sie nach dessen Angabe
grösstentheils im Leibe anderer Zellen eingeschlossen sein sollen.
Die dritte Zellgruppe bilden die Körnchenzellen oder granu-
lirten Zellen Heidenhains. Die Kernsubstanz derselben zeigt
meist eine charakteristische Gestalt. Entweder ist der Kerm ge-
lappt oder in zwei von einander getrennte wandständige Theile
zerfallen. Nur selten konnte ich einen einzelnen runden Kern
beobachten. Eine Structur ist in demselben nicht zu erkennen.
In das im Uebrigen farblose Zellplasma sind kleine runde Körn-
chen eingelagert, die sich bei kurzer Färbung orange, bei 24 stün-
diger roth färben. Oft liegen dieselben in grosser Anzahl dicht
bei einander (Fig. 3 a, b), oft auch nur spärlich und zerstreut
(Fig. 3 ec, d).
Auch machen sich recht merkliche Grössenunterschiede wahr-
nehmbar sowohl zwischen den Körnchen verschiedener Zellen als
auch derselben Zelle (cf. in Fig. 3a und ce, ferner b). Die
Grösse der ganzen Zellen beträgt 5—8 w. Auch diese Art von
Zellen ist in jeder Lymphdrüse ständig wahrzunehmen, doch
216 Heinrich Hoyer:
schwankt die Frequenz der Zellen innerhalb weiter Grenzen. Oft
kann man in einem Gesichtsfelde bei Betrachtung mittelst eines
Immersionssystems an jeder beliebigen Stelle des Präparates eine
grosse Anzahl dieser Zellen beobachten, in einem anderen Falle
muss man lange suchen, ehe man eine oder mehrere granulirte
Zellen zu Gesichte bekommt. Relativ am zahlreichsten trifft man
sie in den Mesenterialdrüsen von Hunden an, sehr spärlich sind
dieselben in den Cervical- und Axillardrüsen vorhanden. Die
Inguinaldrüsen nehmen bezüglich der Menge der Zellen eine Mittel-
stellung ein. Bei mehreren Hunden konnte ich in letzteren eine
bedeutende Vermehrung der Zellen verzeichnen, während in
anderen Drüsen derselben Hunde keine merkliche Zunahme zu
beobachten war. Bemerkenswerth ist noch, dass, wenn in den
Mesenterialdrüsen die Anzahl der Zellen eine sehr grosse ist, in
den übrigen Drüsen dies ebenso der Fall ist. In der einzeinen
Drüse sind sie in allen Theilen derselben ausser den Keimcentris
anzutreffen, vornehmlich liegen sie in den Marksträngen und
Lymphbahnen und oft in grösseren Haufen um die diekeren Blut-
gefässe herum.
Was die Natur der Körnehen betrifft, so färben sich die-
selben in OÖsmiumsäure schwarz und nach Behandlung der in Osmium-
säure gehärteten Schnitte mit Müller’scher Flüssigkeit und nach-
träglicher Färbung mit Biondi’scher Farbmischung wie die
granulirten Zellen in der Dünndarmschleimhaut roth. Die Prüfung,
ob sie mit den Ehrlich’schen eosinophilen Zellen übereinstimm-
ten), lieferte mir anfangs negative Resultate, weil die angewandte
concentrirte Eosinlösung die Schnitte diffus tingirt, so dass die-
selben so wenig differenzirt erscheinen, wie ungefärbte Schnitte.
Um einen besseren Anhalt zu finden für die Vergleichung der
Heidenhain’schen Körnchenzellen mit den eosinophilen von
Ehrlich, schlug ich folgenden Weg ein. Ich zerquetschte kleine
Stückchen des Knochenmarkes von Kaninchen, welches an eosino-
philen Zellen sehr reich ist, zwischen zwei Deckgläschen und
liess sie daranf in möglichst dünner Schicht an der Luft trocken
werden. Ein Theil der Präparate wurde darauf in Eosin-Glycerin,
der andere ohne Vorbehandlung mit Sublimat und Alkohol in
1) Ehrlich, Ueber die specifischen Granulationen des Blutes. Verhand-
Jungen der Physiolog. Gesellschaft zu Berlin. 16. Mai 1874. Nr. 20.
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 217
Ehrlieh-Biondi’scher Flüssigkeit gefärbt. Die nach der letzten
Methode angefertigten Präparate zeigten keine so elegante Fär-
bung wie sie in den Drüsenschnitten gewöhnlich erhalten wird.
Die Kerne der Zellen erschienen nur blassgrün und die Körnchen
mehr braunroth. Die Vergleichung dieser Zellen mit den eosino-
philen ergab eine vollkommene Uebereinstimmung in der Form
der ganzen Zellen, der Kerne und Körnchen. Noch deutlicher
liess sich die Identität der beiden Zellarten an einem Deckglas-
präparate nachweisen, welches zu einer Hälfte mit Eosin, zur
anderen Hälfte mit Biondi’scher Mischung gefärbt war. Die
Zellen in der Mitte des Deckgläschens, auf welche beide Farb-
flüssigkeiten eingewirkt hatten, zeigten einen grünen Kern, schwach
rothes Protoplasma, ziegelrothe Färbung der Granula. In dem
Safte von Mesenterialdrüsen von Hunden, welcher ausgepresst, ge-
troeknet und nach der eben beschriebenen Methode gefärbt wurde,
liessen sich gleiche Erscheinungen nachweisen. Die Zellen, welche
zerrieben und aufgetrocknet werden, nehmen jedoch eine ganz
andere Form an, als die in Schnitten enthaltenen: sie erscheinen
viel grösser und der Kern undeutlich abgegrenzt. Es gelang mir
aber schliesslich aueh in Schnitten mittelst der Eosinfärbung die
Körnchenzellen sichtbar zu machen, indem ich zuerst mit einer
starken Methylgrün-Lösung die Zellkerne färbte und nachträglich
eine ganz schwache wässerige Lösung von Eosin nur ganz kurze
Zeit auf das Präpatat einwirken liess. Die Körnchen in den
Zellen traten dann intensiv roth gefärbt deutlich zum Vorschein.
Alle meine Bemühungen, die physiologische Bedeutung der
Zellen klar zu legen, haben bisher kein entscheidendes Resultat
geliefert. Alle Fütterungsversuche, wie sie Heidenhain an
Hunden angestellt und in seiner Arbeit näher beschrieben hat,
erwiesen einen mehr oder weniger bedeutenden Einfluss auf die
Frequenz der granulirten Zellen in dem adenoiden Gewebe des
Dünndarms, aufihre Frequenz in den Lymphdrüsen hat sich jedoch
ein soleher Einfluss nicht sicher nachweisen lassen. Da wir
(s. weiter unten) die Erfahrung machten, dass das Protoplasma
von Leukoeyten, welche in der Wärme absterben, stark färbbar
wird, stellte Heidenhain die Vermuthung auf, dass die granu-
lirten Zellen möglicher Weise aus gewöhnlichen Leukocyten durch
Absterben der Zelle hervorgehen, wobei der Kern seine ursprüng-
liche runde Form verliere und in dem Zellleibe das Protoplasma
218 Heinrich Hoyer:
in kleinen Partikelehen absterbe, welehe die roth färbbaren Körnchen
darstelle. Die zur Prüfung dieser Hypothese angestellten Versuche,
beruhend auf Darreiechung von Phosphor oder Arsen (Mittel, welche
bekanntlich den Eiweisszerfall in den Zellen des Körpers steigern)
an 6 Hunde, ergaben völlig negative Resultate !).
Die Uebereinstimmung der betreffenden Granula mit rothen
Blutkörperchen in ihrem Verhalten zum Ehrlich-Biondi’schen
Farbstoffgemisch, sowie auch die verschiedene Grösse derselben
legten weiterhin die Vermuthung nahe, es könnten die Granula
vielleicht aufgenommenen Trümmern von rothen Blutkörperchen
entstammen. Diese Vermuthung wurde noch gestützt durch die
Beobachtungen von Pouchet?), welcher die von Ehrlich be-
1) Die Versuchshunde waren alle mittelgross.
Dem ersten Hunde wurden mittelst einer Schlundsonde 5 cbem Phos-
phoröl (1,0 g Phosphor auf 100g Olivenöl) in den Magen eingeführt; nach
24 Stunden wurde derselbe getödtet. Deutliche Vergiftungserscheinungen
waren noch nicht zu beobachten.
Um eine schnellere Wirkung des Phosphors zu erzielen, injieirte ich
den übrigen Hunden das Phosphoröl mittelst einer Pravaz’schen Spritze
unter die Haut.
Der Hund II erhielt subeutan 2cbem Phosphoröl und wurde nach 48
Stunden getödtet.
Das Gleiche gilt auch für Hund III.
Dem Hunde IV wurden am ersten Tage 2, an den zwei folgenden je
1 cbem Phosphoröl applieirt. 6 Stunden nach der letzten Injection yge-
tödtet.
Hund V bekam am ersten Tage 2, an den drei folgenden Tagen je
1 cbem Phosphoröl. Tödtung nach 48 Stunden. Die typischen Vergiftungs-
erscheinungen traten bei letzterem Hunde deutlich hervor.
Dem Hunde VI wurde arsenige Säure (1g arsenige Säure als Natrium-
salz auf 100g Wasser) subkutan injieirt, und zwar in 10 Tagen 14 cbem.
Tödtung 48 Stunden nach der letzten Injection.
Eine starke Vermehrung der Körnchenzellen war nur bei Hund II in
allen untersuchten Drüsen zu konstatiren. Doch scheint dieser Hund bereits
vor der Applicirung des Phosphors krank gewesen zu sein, da derselbe
schon nach der geringen Dosis Phosphoröl am dritten Tage vollständig col-
labirt war, und da sich in den Mesenterialdrüsen grosse Herde von gelben
Zellen vorfanden, welche auf einen pathologischen Zustand derselben schliessen
liessen.
2) Note sur les leucocytes de Semmer et les „Cellules &osinophiles“
d’Ehrlich. Journal de l’anatomie et de la physiologie par Robin et Pouchet
Nr. 6. 1880.
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 219
schriebenen Farbenreactionen auf rothe Blutkörperchen, die Granu-
lationen in den Semmer’schen Leukocyten (Ehrlich’s eosino-
philen Zellen) und auf Haemoglobinkrystalle den Meerschweinchen
in Anwendung brachte und dabei zu dem Schlusse gelangte, dass
diese Gebilde nur durch geringe Farbennüancen von einander
differiren, wodurch die Haemoglobinnatur der Granula eher be-
wiesen als widerlegt wird. Um nun für die Entscheidung dieser
Hypothese einen festeren Anhalt zu erlangen, stellte ich an 4
Hunden Fütterungsversuche mit Toluylendiamin an. Diese Sub-
stanz laugt bekanntlich die Blutkörperchen zum Theil aus, so dass
nur die Stromata derselben übrig bleiben, theils bewirkt sie einen
direkten Zerfall der Körper. Diese letzte Eigenschaft der Sub-
stanz hoffte ich für unsere Zwecke verwerthen zu können und eine
reichlichere Ablagerung der in Frage stehenden Granulationen in
den Elementen der Lymphdrüsen zu erzielen, aber auch diese
Versuche erwiesen sich als erfolglos!).
Der vierten Zellform in den Lymphdrüsen gehören diejenigen
Gebilde an, welche Heidenhain für die im Untergange begriffenen
Leukoeyten hält. Der Kern derselben ist klein rund oder oval
und nach Tinktion mit. Biondi’scher Mischung intensiv dunkel
blaugrün gefärbt, eine Structur ist an demselben nicht zu erken-
nen; das spärlichere oder reichlichere Protoplasma ist intensiv
dunkel roth tingirt und zeigt die verschiedensten Variationen der
1) Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt: Die Hunde er-
hielten das Toluylendiamin entweder in Semmelstücke eingeknetet oder in
Gelatinekapseln eingeschlossen, welche ihnen in den Schlund mit dem Finger
hinabgestossen wurden. Drei von den Versuchsthieren erhielten grössere
Dosen auf einmal, und zwar
Hund I 0,2g, nach 48 Stunden getödtet;
Hund II 0,3g und am vierten Tage danach noch 0,1 g, derselbe wurde
nach 24 Stunden getödtet;
Hund IlI 0,5g, Tödtung nach 48 Stunden.
Beim Hunde IV wurde der Vergiftungsprozess mit Absicht in die
Länge gezogen, indem der Hund innerhalb 13 Tagen im Ganzen 0,9 & (pro.
die mit Unterbrechungen 0,1 g) Toluylendiamin erhielt. Nur bei dem ersten
Hunde war die Frequenz der Körnchenzellen bedeutend vergrössert, doch
blieb es zweifelhaft, aus welcher Ursache.
Auf die weiteren Beobachtungen hinsichtlich anderer Zellformen in
den Drüsen aller dieser Versuchshunde komme ich unten noch zu sprechen,
220 Heinrich Ioyer:
äusseren Gestaltung (cf. Fig. 4). Da die Gestalt des Kernes und
des protoplasmatischen Zellkörpers sehr mannigfach gebildet ist,
so erwies sich eine Messung dieser Theile als nicht ausführbar.
Die Zellen sind in jeder Lymphdrüse anzutreffen, doch liegen sie
meist vereinzelt, nur in den Marksträngen oder den Lymphbahnen
beobachtet man öfters eine grössere Anhäufung derselben. Da nun
Kern und Protoplasma dieser Gebilde ein ganz gleiches Verhalten
gegen das Ehrlich-Biondi’sche Farbstoffgemisch zeigen, wie
Leukoeyten, welche ins Innere von anderen solchen Fällen aufge-
nommen (von Phagocyten gefressen) sind, so erschien es Heiden-
hain sehr wahrscheinlich, dass die in Rede stehende Form von
Drüsenelementen im Absterben begriffene Gebilde darstelle. Zur
Stütze dieser Annahme stellte ich folgende Versuche an: Ich setzte
frische dem Thierleibe entnommene Drüsenstücke in bedeckten
Glasschalen verschiedene Zeitabschnitte einer Temperatur von
390 C. aus. Die Stücke wurden dann in Zeiträumen von einer
Stunde aus den Thermostaten genommen und in gewohnter Weise
mit Sublimat und Alkohol weiter behandelt. Es stellte sich hier-
bei heraus, dass die Stücke, welche 3 Stunden und länger der
Wärmeeinwirkung ausgesetzt gewesen waren, sehr merkliche Ver-
änderungen bezüglich des Färbungsvermögens erkennen liessen.
Die Kerne der Zellen erschienen mehr diffus dunkelgrün tingirt,
während das Protoplasma eine deutlich tief rothe Färbung zeigte.
Diese Färbungsunterschiede markirten sich noch deutlicher bei
dem Vergleiche dieser Präparate mit solchen, welche von einem
Drüsenstücke desselben Hundes hergestellt waren, das sofort nach
dem Tode des Thieres in Sublimat eingelegt worden war. Bei
mehrfacher Wiederholung dieser Versuche erhielt ich stets das
gleiche Resultat. Augenscheinlich ging unter der Wärmeeinwir-
kung die Zellsubstanz in Zersetzung über, welche die tief rothe
Färbung desselben in dem Farbgemisch bedingte. Vergleichsweise
hatte ich Drüsenstücke verschiedene Zeitabschnitte hindurch der
Kälte ausgesetzt, wobei die Zellen ganz unverändert geblieben wa-
ren und sich in ganz normaler Weise färbten.
Eine fünfte von Heidenhain im Zottengewebe beobachtete
Zellform sind die Phagocyten. In den Lymphdrüsen kommen ganz
ähnliche Gebilde vor, wie sie Heidenhain beschrieben und ge-
zeichnet hat. Auch giebt er an, bei gelegentlicher Untersuchung
von Mesenterialdrüsen von Hunden dieselben beobachtet zu haben,
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 221
doch möchte ich einstweilen noch unentschieden lassen, ob die
Heidenhain’schen Phagoeyten und die jetzt näher zu beschrei-
benden Zellen identisch sind.
Es sind dies Elemente von recht verschiedener Grösse und
Form. Der Kern in der Grösse ebenso variirend, erscheint meist
violett, selten blaugrün gefärbt. Kernkörperchen und Kerngerüst
kommen nur undeutlich zum Vorschein. Das Zellplasma tingirt
sich bei einer Reihe von Zellen gar nicht, so dass man neben dem
Kerne nur gelbe formlose Massen erkennt (Fig. 5, a), oder es ist
röthlieh gefärbt, und dann erhält man Bilder wie Fig. 5 b-i.
Bei Zelle b liegt ein ziemlich scharf abgegrenztes gelbes Gebilde
im Protoplasma. In anderen Zellen sieht man braune rostfarbene
Körnchen vereinzelt und auch zu grösseren Haufen vereint einge-
lagert. In Fig. 5 e ist noch ein rothes Blutkörperchen in der
Zelle eingeschlossen. Je mehr braune Pigmentkörperchen in den
Zellen auftreten, um so mehr verliert das Protoplasma die Fähig-
keit sich roth zu färben, und man bekommt Bilder wie Fig. 5 Kk
und i.
Diese Zellformen sind allerdings stets vereinzelt in den
Lymphdrüsen verschiedener Körpertheile anzutreffen; am zahl-
reichsten habe ich sie immer in den Halsdrüsen vorgefunden. Be-
sonders zahlreich sind sie in Mesenterialdrüsen von Kaninchen.
Ihre Verbreitung im Drüsengewebe beschränkt sich vorzugsweise
- auf die Lymphbahnen und Markstränge. Eine merkliche Zunahme
der Anzahl der Zellen fand sich in allen Drüsen der einzelnen mit
Phosphor, Arsen und Toluylendiamin vergifteten Hunde. Da diese
Substanzen einen Eiweisszerfall und insbesondere eine Zerstörung
der roten Blutkörperehen bewirken, so ist es wahrscheinlich, dass
diese Zellen durch Aufnahme der Trümmer von anderen Zellen
ein derartiges Aussehen erlangen. Fig. 5 o und p stellt zum
Vergleiche Zellen dar, welche in grosser Menge in der Leber von
Hunden, die Toluylendiamin erhalten hatten, zu finden waren.
In den Halsdrüsen von Hunden, und zwar besonders reich-
lich von älteren Hunden, fand ich als constant auftretende Zell-
formen die in Fig. 5], m, n abgebildeten. Anhäufungen derselben
markiren sich bereits makroskopisch an den Drüsen als dunkle
durch die Capsel hindurehschimmernde Flecken. Auf einem Sehnitte
stellten sie sich bei schwacher Vergrösserung als Haufen von braunen
Ballen dar, die sich mit einem Oelimmersionssysteme untersucht in
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 33. 15
223 Heinrich Hoyer:
deutlich zu erkennende Zellen auflösen. Ihre Grösse beträgt un-
sefähr 12« im Durchschnitt. Der Kern ist meist nur als heller
violetter Fleck sichtbar. In das Protoplasma sind ausserordentlich
feine braune Körnchen eingelagert, welche sich stellenweise zu
grösseren Ballen vereinigt haben (cf. Fig. 5 m und n). Besonders
auffallend sind Zellen wie Fig. 5 g und I. Man beobachtet in
denselben an einer Stelle die braunen Pigmentmassen scharf ab-
gegrenzt und in dieser abgegrenzten Stelle wie in einem Loche
eine andere Zelle, einen Leukocyten liegen, welcher ganz das Aus-
sehen der oben beschriebenen abgestorbenen Leukocyten trägt.
Diese Pigmentzellen trifft man in den Halsdrüsen stets in den
Marksträngen und in dem Rindenknotengewebe bis zu den Keim-
centren hin an. Die Prüfung des Pigmentes auf seinen Eisenge-
halt mittels einer Lösung von Ferrocyankalium und Salzsäure oder
auch Schwefelammonium gab stets negative Resultate. Ueber die
Genese der Zellen kann ich nichts Bestimmtes aussagen. Betrach-
tet man in Fig. 5 die Zellen von a—n, dann könnte man wohl zu
der Ueberzeugung gelangen, dass die Zellen in dieser Anordnung
eine Entwicklungsreihe darstellen, deren Endprodukte die braunen
Pigmentzellen repräsentiren. Damit würden auch die Beobachtun-
gen von W. Müller!) übereinstimmen, welcher darüber folgende
Mittheilungen macht: Nach Blutergüssen oder künstlich erzeugten
Extravasaten wird eine grosse Menge von Blutkörperchen den Lymph-
drüsen zugeführt. Diese werden zum Theil durch den Lymphstrom
weiter befördert, zum Theil in den Lymphdrüsen zurückgehalten
und sind dann Ursache einer stärkeren Pigmentbildung. Die Pig-
mentmetamorphose beginnt in den Lymphbahnen und von hier ge-
langen die dem Untergange bestimmten rothen Blutkörperchen erst
in die Follikularstränge, schliesslich in die Follikel. Die Um-
wandlung in Pigment geschieht zum grössten Theil im Leibe farb-
loser Zellen.
Im Anschluss an diese Darstellung dürfte es am Platze
sein, über eine Beobachtung von blutkörperchenhaltigen Zellen.
Mittheilung zu machen, die ich gelegentlich an Mesenterial- Lymph-
drüsen nach voraufgegangenem Blutergusse am Darme, welcher
durch einen experimentellen Eingriff dort hervorgebracht worden
1) Untersuchungen über das Verhalten der Lymphdrüsen bei der Re-
sorption von Blutextravasaten. Inaug.-Dissertation. Göttingen 1879.
Eee
Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen. 223
war, gemacht habe. In den Lymphbahnen dieser Drüse fand
sich eine grosse Anhäufung von blutkörperchenhaltigen Zellen,
welche infolge der sehr differenten Färbung recht anschauliche
Bilder lieferten (ef. Fig. 6). In dem röthlich tingirten Zellkörper
sind neben dem dunklen Zellkern mehr oder weniger zahlreiche
intensiv orange gefärbte rothe Blutkörperchen deutlich erkennbar.
Die Grösse der Zelle schwankt je nach der Frequenz der auf-
senommenen Blutkörperchen. In Fig. 6 g ist noch eine Zelle ab-
gebildet, welche neben orange gefärbten Blutkörperchen mehrere
runde, ganz schwach röthlich gefärbte Stromata von Blutkörper-
chen enthält, dieselben also entweder direkt als solche aufgenom-
men hat, oder als Blutkörperchen, aus denen erst nachträglich
das Haemoglobin ausgelaugt worden ist. Solche Zellen mit rothen
Blutköperchen in ihrem Innern konnte ich dann noch öfters bei
der Durchsicht meiner Präparate vereinzelt in den Lymphbahnen
normaler Drüsen beobachten.
Ohne zu weitgehende Schlüsse aus’ meinen Beobachtungen
ableiten zu wollen, darf ich wohl unbedenklich mit Bezug auf die
den Phagocyten ähnlichen Zellformen hervorheben, dass die Lymph-
drüsen nicht blos Bildungsorte von Leukoeyten sind, was die Unter-
suchungen Flemming’s über allen Zweifel erhoben haben, sondern
auch Stätten, an welchen in den Lymphstrom gerathene absterbende
Zellen und Zelltrümmer durch Leukocyten aufgehalten und auf-
genommen werden, um in ibnen durch weitere Metamorphosen
beseitigt zu werden. Dadurch werden die Lymphdrüsen zu Filtrir-
Apparaten für die sie durchsetzende Lymphe.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XI.
Fie. 1. Ein Theil der Endverzweigung eines Trabekels. a. Dicke unmittel-
bar vom Trabekel auslaufende Fasern. Der Schnitt ist mittels eines
Gefriermikrotoms angefertigt von einer frischen Mesenterialdrüse
eines Hundes und durch Trypsin nach der Kühne’schen Vorschrift
verdaut. Aufbewahrung in trockenem Zustande. Dicke des Schnittes
0,15 mm. Homogene Immersion Zeiss 1/js. Ocular 2. Zeichenprisma.
Projektion auf den Arbeitstisch.
224
Heinrich Hoyer: Beitrag zur Kenntniss der Lymphdrüsen.
Fig. 2. Reticulum aus einem Rindenknoten. a. Fasernetz der das Secundär-
Fig.
Fig.
Fig.
knötchen begrenzenden Randzone; b. feines Reticulum des Secundär-
knötcehens. Schnitt von einer in Alkohol erhärteten Halsdrüse eines
Hundes mittels Glycerin - Trypsin verdaut. Dicke des Schnittes
0,01 mm. Zeiss E. Oc. 2. Die Zeichnung ist nach einem frischen,
nicht eingeschlossenen Präparate gemacht. Zeichenprisma. Projektion
in die Höhe des Objekttisches.
Reticulum eines Markstranges a und der denselben umgebenden
Lymphbahn b. Dieselbe Behandlung und Vergrösserung.
Ein Theil der Lymphbahn von einer in Sublimat erhärteten Mesen-
terialdrüse eines Hundes, mit den auf den Bindegewebsfasern noch
haftenden Bindegewebszellen. Färbung mit Ehrlich-Biondi’schem
Gemisch. Dicke des Schnittes 0,005 mm. Homog. Immers, Zeiss 1/ig.
Oc. 2. Zeichenprisma. Projektion auf den Arbeitstisch.
Tafel XL.
Kleine gewöhnliche Leukocyten aus einer Mesenterialdrüse vom
Hunde. Sublimat, Alkohol. Färbung in Ehrlich-Biondi'schem
Farbgemisch. Zeiss, Wasserimmersion J. Zeichenprisma. Projektion
in die Höhe des Objekttisches.
-Grosse Zellen aus einem Rindenknoten einer Mesenterialdrüse vom
Hunde. Behandlung und Vergrösserung ebenso.
Verschiedene Formen von Körnchenzellen aus einer Mesenterialdrüse
vom Hunde. Dieselbe Behandlung und Vergrösserung.
Im Absterben begriffene Zellen aus der Lymphbahn einer Mesen-
terialdrüse vom Hunde. Die gleiche Behandlung und Vergrösse-
rung.
a—n verschiedene Zellformen aus Cervicaldrüsen von Hunden. o und
p pigmentirte Zellen aus der Leber eines Hundes nach Vergiftung
mit Toluylendiamin. Dieselbe Behandlung und Vergrösserung. Vergl.
Text.
Zellen mit aufgenommenen rothen Blutkörperchen aus den Lymph-
bahnen einer Mesenterialdrüse vom Hunde nach künstlich hervor-
gebrachtem Blutextravasate am Darm. Behandlung und Vergrösse-
rung ebenso.
E®
Ze re
Ernst Hamburger: Beiträge zur Kenntniss d. Zellen i. d. Magendrüsen. 225
(Aus dem physiologischen Institut zu Breslau.)
Beiträge zur Kenntniss der Zellen in den
Magendrüsen.
Von
Ernst Hamburger, cand. med.
Hierzu Tafel XII.
Bei den früheren Arbeiten über den Bau der Magenschleim-
haut hatten die Autoren sich des öfteren veranlasst gesehen, als
Beweis für die Identität oder den Unterschied mehrerer in Frage
kommender Zellarten das Aussehen derselben anzuführen, das eine
jede von ihnen bei der Behandlung mit diesem oder jenem Farb-
stoff annahm. Indessen, wenn auch einige Färbemethoden, vor
allem die Doppelfärbung mit Hämatoxylin und Kali chromicum,
eine gute Differenzirung mikroskopischer Bilder ermöglichten,
gelang es doch nicht, mit ihnen die feineren Unterschiede, auf
welche es in den einzelnen Fällen besonders ankam, mit genü-
sender Deutlichkeit hervorzuheben. Erfreulicher Weise ergab es
sich bei den Untersuchungen, die Herr cand. med. Kovert während
des Sommersemesters 1883 im hiesigen physiologischen Institute
an den verschiedensten drüsigen Organen mittelst der Ehrlich-
Biondi’schen Flüssigkeit vornahm, dass bei Anwendung derselben
verschiedene Zellen derselben Drüse auch tinktoriell ein ver-
schiedenes Verhalten zeigten. Nunmehr erwuchs die Hoffnung
ein Mittel gefunden zu haben, durch welches unter anderem über
einige noch strittige Punkte in der Histologie der Magendrüsen
Klarheit zu erlangen wäre; deshalb beauftragte mich Prof.
Heidenhain, dieselben unter fortgesetzter Anwendung der er-
wähnten Flüssigkeit zu untersuchen. Ueber die Färbung selbst
ist bereits anderen Orts!) berichtet worden. Weitere Erfahrungen
1) R. Heidenhain, Beiträge zur Histologie und Physiologie der Dünn-
darmschleimhaut. Pflüger’s Archiv 1888. Supplementband. 5. 40.
226 Ernst Hamburger:
haben seitdem gelehrt, dass die Flüssigkeit im Laufe von Monaten
ihre Mischung ändert, sodass die Färbungen nicht mehr die brillante
Röthe zeigen, wie in der ersten Zeit. Man muss dann nachträg-
lich Säurefuchsin hinzusetzen; die Menge ist durch eine Anzahl
von Färbungsproben zu ermitteln. Gelegentlich wurden andere
Färbungen, wie Hämatoxylin mit Kali chromieum oder essigsaurem
Kupfer, Eosin, Alaun-Carmin, Hämatoxylin-Alaun ete. gewählt,
wobei die Stücke mitunter statt in Sublimat in 97 %,-igem Alkohol
oder in Müller’scher Flüssigkeit erhärtet wurden.
Was die zur Untersuchung verwendeten Thiere betrifft, so
habe ich den Magen von ca. 30 Hunden, mehreren Kaninchen,
Meerschweinchen, Salamandern und Fröschen in den verschiedenen
Phasen der Verdauung mikroskopirt. In Uebereinstimmung mit
den Resultaten des Herın Kovert fand ich hierbei das Proto-
plasma der bald mehr ovalen und linsenförmigen, bald mehr drei-
eckigen Belegzellen der Fundusdrüsen dunkel roth gefärbt, in einer
Nüance, die ungefähr dem in der Ehrlich-Biondi’schen Flüs-
sigkeit enthaltenen Säurefuchsin entspricht, während der Kern
dieser Zellen sich blau präsentirte (Fig. 1). Die Hauptzellen da-
gegen waren ähnlich wie die Zellen der Pylorusdrüsen fast unge-
färbt, mit einem eben noch wahrnehmbaren, meist rosafarbenen
Schimmer versehen, nur bei den Pyloruszellen der Meerschwein-
chen spielte derselbe ins Bläuliche hinüber. In wie weit hierbei
sekretorische Eigenthümlichkeiten, ein Mehr oder Weniger in dem
Säuregrade des Magensaftes im Gegensatz zu anderen Thieren in
Frage kommen, kann zur Zeit nicht angegeben werden. Den In-
halt der Hauptzellen bildeten sparsame, feine Granulationen, die
runden blauen Kerne waren nur wenig heller als die der Beleg-
zellen. Das Protoplasma der Pyloruszellen war in der Form schma-
ler, kurzer Fäden zu erkennen, ihre querovalen, platt an der Mem-
brana propria gelegenen Kerne zeigten sich in blauer Farbe (Fig.
2,a). War dieser letztere Befund von untergeordneterer Bedeutung,
da er nur eine Bestätigung bekannter Thatsachen enthielt, so war
dafür in den Beobachtungen an den Belegzellen ein Beweis gegen
die Ausführungen gegebeu, mit denen einzelne Forscher der An-
nahme eines spezifischen Unterschiedes zwischen den Drüsen des
Pylorus und des Fundus entgegentraten. . Während nämlich Hei-
denhain daran festgehalten, dass sich zwar in den Fundusdrüsen
in physiologischer, wie in histologischer Beziehung 2 Zellarten —
Beiträge zur Kenntniss der Zellen in den Magendrüsen. 227
die Haupt- und die Belegzellen — unterscheiden liessen, in den
Pylorusdrüsen dagegen nur eine den Hauptzellen ähnliche, obschon
nicht mit ihnen identische Zellart auftrete, war in dieser Zeit-
schrift von Nussbaum!) und von Stöhr?) berichtet worden, dass
sie in den Pylorusdrüsen neben den gewöhnlichen Zellen andere,
von diesen verschiedene gefunden hätten, die ihnen wegen des
Vorhandenseins gewisser charakteristischer Merkmale als Beleg-
zellen imponirten. Nur so viel gaben sie zu, dass diese Zellen
sich weit seltener im Pylorus fänden, als die Belegzellen im Fun-
dus, dass also immerhin ein gradueller Unterschied zwischen bei-
den Magenabschnitten bestehe. Auffallend dabei ist, dass Stöhr
seine Zellen mit den vorher von Nussbaum beobachteten iden-
tifieirt, obwohl die beigegebenen Abbildungen und die Beschreibun-
sen im Text in beiden Arbeiten nicht unerhebliche Abweichungen
aufweisen. Nussbaum beschreibt Zellen, deren Eigentümlichkei-
ten gegenüber den gewöhnlichen Pyloruszellen nach seinen eignen
Worten „die Grösse ihres Zellleibes und Zellkernes und ganz be-
sonders die Einlagerung zahlreicher in Ueberosmiumsäure zu
schwärzender Körnchen“ ist, Stöhr dagegen spricht von drei-
eckigen Zellen, die mit breiter Basis der tunica propria aufsitzen,
mit einer schmalen Spitze das Drüsenlumen erreichen und in ihrer
basalen Hälfte einen runden oder längsovalen Kern besitzen. Dass
diese nicht ganz in Form und Aussehen mit den von Nussbaum
abgebildeten Zellen übereinstimmen, giebt er zu, doch glaubt er
hierfür in der „geringen anatomischen Vollkommenheit“ der Nuss-
baum’schen Zeichnungen eine genügende Erklärung zu finden;
dem Umstand, dass seine Zellen sich mit Anilinblan färben, was
die Nussbaum’schen nicht thun sollen), schenkt er keine wei-
tere Beachtung. In meinen Präparaten nun habe ich das Vor-
kommen Nussbaum’scher und Stöhr’scher Zellen neben einan-
der beobachtet und glaube annehmen zu dürfen, dass jede dieser
beiden Zellarten sich von der anderen in demselben Grade unter-
scheidet wie von den gewöhnlichen Pyloruszellen, wie schon ein
1) M. Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen,
III. Mittbeilung. Archiv für mikr. Anat. XVI. Band.
2) Ph. Stöhr, Zur Kenntniss des feineren Baues der menschlichen Ma-
genschleimhaut. Archiv für mikr. Anat. Band XX.
3) P. Grützner, Pflüger’s Archiv. 1879. Band XX.
228 Ernst Hamburger:
Vergleich der Zeichnungen beider Forscher besser als der eitirte
Wortlaut lehrt. Ebenso weit sind aber auch die fraglichen Zellen
davon entfernt, Belegzellen zu sein. Fig. 2 zeigt den Querschnitt einer
Drüse des Hundepylorus, der mehrere Stöhr'sche Zellen (b) ent-
hält. Der Unterschied in der Färbung zwischen ihnen und den
Belegzellen (Fig. 1) ist auf den ersten Blick klar; in den letztge-
nannten zeichnen sich die zahlreichen, kleinen Körnehen durch
einen gesättigten, dunkelrothen Farbenton aus, in den Stöhr’schen
Zellen sehen wir höchstens an der Spitze ein etwas lebhafteres
Roth, im übrigen Zellkörper aber denselben matten, rosafarbenen
Schimmer, den ich als Charakteristikum der Pyloruszellen bereits
oben erwähnt habe. Was die Struktur des Zellleibes betrifft, so
lassen die Stöhr’schen Zellen eben in Folge der etwas dunkleren
Färbung in ihrer inneren Hälfte die fädige Anordnung des Proto-
plasmas noch vollendeter erkennen, als es sonst bei den Pylorus-
zellen möglich ist, nirgends aber ist in ihnen eine Spur der Körne-
lung zu entdecken, wie wir sie in den Belegzellen vor Augen
haben. Wie schon Stöhr angegeben, ist der Kern seiner Zellen
entweder rund oder längsoval, in den Belegzellen dagegen ist er
entweder rund oder senkrecht gegen die Axe der Zelle ausgezogen.
Schliesslich haben die Zellen auch nicht immer jene dreieckige
Gestalt, sondern erstrecken sich zuweilen als schmale Vierecke von
der membrana propria zum Lumen. Alle diese Eigenschaften füh-
ren dahin, dass man die Stöhr’schen Zellen weit eher als modi-
fieirte Pyloruszellen, denn als modifieirte Belegzellen in Anspruch
nehmen darf. Und über das wie? der Modifikation liegt eine
Hypothese, für die sich viele Gründe anführen lassen, ziemlich
nahe: wir haben es wahrscheinlich mit komprimirten Zellen zu
thun. Denkt man sich nämlich die Seitenwände einer Pylorus-
zelle durch einen von den Nachbarzellen ausgehenden Druck ein-
anander genähert, so wird zunächst der an der Basis liegende
querovale Kern je nach der Insensität oder Dauer des Drucks
eine runde oder längsovale Form annehmen und dabei das Proto-
plasma von der Basis der Zelle nach der Spitze pressen, wo durch
das enge Nebeneinander vieler Protoplasmafäden die Färbung deut-
licher wird, als unter normalen Verhältnissen. Für diese Annahme
spricht auch der Umstand, dass die übrigen Zeilen in den Schläu-
chen, in denen Stöhr’sche Zellen sich finden, ganz besonders
breit zu sein pflegen. Ueber die Bedingungen, unter denen eine
Beiträge zur Kenntniss der Zellen in den Magendrüsen. 229
derartige Compression stattfindet, lässt sich vermuthen, dass sie in
der durch lange andauernde Absonderung erzielten Spannungsab-
nahme im Inneren mancher Zellen und ihrer daraus resultirenden
geringen Widerstandsfähigkeit gegen den Druck gefüllter Nach-
barzellen gegeben seien. Unterstützt wird diese Annahme dadurch,
dass die betreffenden Zellen sich immer dann in grosser Menge
finden, wenn eine stärkere Thätigkeit der Magendrüsen voraufge-
sangen; so gehört Fig. 2 zu dem Pylorus eines Hundes, der durch
Einführung trockener Schwämme in den Magen zu gesteigerter
Sekretion angeregt wurde.
Ganz anders ist das Bild, das die von Nussbaum be-
schriebenen Zellen darbieten. Zunächst findet man sie bedeutend
seltener, als die Stöhr’schen Zellen, welche fast in keinem län-
gere Zeit thätig gewesenen Magen fehlen. Fig. 3 vereinigt behufs
Veranschaulichung mehrerer Varietäten in ihrer äusseren Form
drei Nussbaum’sche Zellen (a), aus verschiedenen Drüsenquer-
schnitten in denselben Querschnitt eingetragen, die einzigen, die
in etwa zwölf Präparaten desselben Pylorus auftraten. Nie habe ich
in einem Drüsenschnitt mehr als eine solche Zelle wahrgenommen. In
ihren Umrissen zeigen sie freilich eine gewisse Aehnlichkeit mit
den Belegzellen, ebenso könnte eine flüchtige Beobachtung wegen
der ähnlichen Nüaneirung auch eine Uebereinstimmung in der
Färbung zwischen beiden Zellarten vortäuschen. Bei näherem
Hinsehen wird man indess bemerken, dass ihr Inneres diffus roth
gefärbt ist und dunkie schwarze Körnchen enthält, während sich
in den Belegzellen distinkte, rothe Körnchen von einem weissen,
ungefärbten Untergrund abheben. Der letztere Befund ist für die
Belegzellen bezeichnend. Um denselben festzustellen, müssen die
Schnitte gut gefärbt und hinreichend dünn sein. Ebenso deutlich
ist der Unterschied an frischen Präparaten: zerzupft man eine
Magenschleimhaut in 0,6 °/,iger CINa-Lösung, so haben die Beleg-
zellen ein helles, die Nussbaum’schen Zellen ein vollkommen
dunkles Aussehen. Ueber die physiologischen Eigenschaften die-
ser Nussbaum’schen Zellen weiss ich keine Angabe zu machen.
Ein Zusammenhang ihres Auftretens mit einer Zunahme oder Ab-
nahme der Magenthätigkeit war nicht zu konstatiren, und es
lässt sich nur sagen, dass wir es in ihnen mit Zellen von unbe-
kannter Bedeutung, die weder als Belegzellen noch als Pylorus-
230 Ernst Hamburger:
zellen aufzufassen sind, zu thun haben. Ihr verhältnissmässig sel-
tenes Vorhandensein lässt sie wenig wesentlich erscheinen.
Der weitaus grössste Theil meiner Untersuchungen galt Vor-
gängen in den Belegzellen des Fundus. Bei früheren Arbeiten
über das Epithel des Magens war es nämlich Heidenhain auf-
gefallen, dass hier und da Belegzellen vorkämen, die einen Aus-
fall an Protoplasma erlitten zu haben schienen derart, dass sie
an einzelnen Stellen wie durchlöchert aussahen. Das Auftreten
solcher Vakuolen war in der einschlägigen Literatur vorher nur
von Stöhr beachtet worden, der in seiner bereits oben von mir
angeführten Arbeit einige kurze, allgemeine Bemerkungen über
ihre Grösse und ihre Zahl macht und im Anschluss hieran die
Vermuthung ausspricht, dass ihr Erscheinen wohl nicht von einem
Absterben der Belegzellen Kunde gebe, sondern mit deren Funk-
tion in Zusammenhang stehe. Daauch Herr Geheimrath Heiden-
hain diese Ansicht theilte, gab er mir bei Beginn meiner Arbeit
die Weisung, mein Augenmerk vor allem darauf zu richten, wann
den zu untersuchenden Thieren ihre letzte Nahrung verabreicht
worden sei, und in jedem Falle unmittelbar nach der Tödtung
des Thieres die Reaktion der Magenschleimhaut durch Lakmus-
papier zu prüfen. Der Befund dieser Untersuchungen war nun
ein so konstanter, dass an einem Zusammenhang zwischen der
Thätigkeit der Belegzellen und dem Sichtbarwerden von Vakuolen
wohl kaum noch zu zweifeln ist. So oft das Thier einige Stunden
vor dem Tode ordentlich gefressen hatte, zeigte ein grosser Theil
der Belegzellen entweder an seiner Innenseite an Stelle der
konvexen oder in eine Spitze auslaufenden Begrenzung eine kon-
kave, halbmondförmige Ausbuchtung, die sich weit in den Zellleib
hinein erstreckte, oder, wie es Fig. 4 (a) illustrirt, in dem Zellleib
selbst ein rundes ‘oder ovales Loch von wechselnder Grösse. Her-
vorzuheben ist, dass besonders im Drüsenhals die Vakuolen um-
fangreich zu werden pflegen, wie denn auch Fig. 4 den oberen
Theil eines längsgetroffenen Drüsenschlauches unmittelbar unter
dem Epithel wiedergiebt. Die beiden eben von mir erwähnten
Formen der Vakuolen sind keineswegs ausschliesslich vorhanden,
vielmehr finden sich eine Menge Abweichungen von diesen am
häufigsten erscheinenden Gestaltungen, sodass also z. B. der Aus-
schnitt nicht halbmondförmig, sondern spitzwinklig ist, oder die
kreisrunden Löcher bald mehr im Centrum, bald mehr an der
Beiträge zur Kenntniss der Zellen in den Magendrüsen. 231
Peripherie der Zelle liegen. Ja, in ganz vereinzelten Fällen ist
sogar noch in der Einziehung ein besonderer Gipfel zu unterschei-
den, sodass man von zwei Vakuolen zu reden berechtigt ist.
Immer lag der Kern der Belegzelle hart an der Vakuole an und
in besonders günstigen Fällen, wenn der Schnitt gerade in der
entsprechenden Ebene geführt worden war, konnte man deutlich
eine Communikation der Vakuole mit dem Innenraum der Drüse
sehen. Ein schmaler Gang führte alsdann von der Vakuole bis ins
Lumen, ohne eigene Wandung, nur von den beiden benachbarten
Hauptzellen flankirt, und die Vakuole selbst erschien nur als eine
plötzliche Verbreiterung dieses Ganges (Fig. 5). Dass dieser Gang
nicht immer sichtbar wurde, lag lediglich an der Richtung der
Mikrotomschnitte, der es auch zuzuschreiben ist, dass die Vakuolen
so oft den Eindruck intracellularer Lücken machten, die mit der
übrigen Drüse nicht in Verbindung ständen, Da indess die ein-
zelnen Schnitte sich in ihren Diekenverhältnissen zwischen 0,005
und 0,01 mm bewegten, der Durchmesser einer Belegzelle aber
über dieses Maass hinausgeht, liess sich dieser Uebelstaud nicht
vermeiden.
Ueber den genaueren Zusammenhang zwischen der Thätig-
keit der Magendrüsen und dem Auftreten der Vakuolen wurde
folgendes ermittelt: wie nach früheren Beschreibungen!) die Beleg-
zellen in ihrem sonstigen histologischen Verhalten im Verlauf der
Verdauung in den einzelnen Stunden verschiedene Bilder bieten,
so sind auch hinsichtlich der Vakuolen mehrere zeitliche Abschnitte
zu unterscheiden. Unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme bis
segen das Ende der dritten Stunde ist von Vakuolen noch keine
Spur zu entdecken, in der vierten Stunde treten vereinzelt kleine
Vakuolen auf, die an Zahl und Grösse immer mehr zunehmen,
um am Ende der sechsten Stunde maximale Entwicklung und
maximale Verbreitung zu erreichen. Von diesem Zeitpunkt an
ist bis in die zehnte oder zwölfte Stunde eine Veränderung nicht
zu konstatiren, indem sich die Vakuolenbildung so lange auf gleicher
Höhe hält, dagegen von der zwölften Stunde an nimmt sie all-
mählich ab, — manchmal schon etwas früher —, und Thiere, die
fünfzehn Stunden nach der letzten Fütterung geschlachtet wurden,
zeigen nur noch sehr spärlich oder überhaupt nicht mehr Vakuolen.
1) L. Hermann, Handbuch der Physiologie V, 1.
232 Ernst Hamburger:
Selbstverständlich geben diese Zahlen nur Durchschnittswerthe
wieder, da die einzelnen Drüsen eines Magens nicht alle gleich-
zeitig thätig sind und infolgedessen zu keiner Zeit in ihrem Aus-
sehen vollkommen übereinstimmen. Eine Bestätigung erhielten
diese Beobachtungen, wenn den Thieren die Nahrung längere
Zeit entzogen wurde; die kleinen Belegzellen dreier Hunde, die
48 Stunden nichts gefressen hatten, waren vollkommen frei von
Vakuolen. Liess man aber die Thiere. noch länger, etwa vier
Tage, hungern, — zwei Mal wurde dieser Versuch angestellt —,
so traten von neuem Vakuolen auf, in denen wohl die spontane
Sekretion von Magensaft bei lange dauernder Inanition ihren
Ausdruck findet. Auf der andern Seite bewirkte die bereits er-
wähnte Einführung trockner Schwämme in den Magen eines
Hundes, die eben zur Untersuchung dieser Frage vorgenommen
wurde, dass schon nach ca. vier Stunden die Vakuolen so zahl-
reich waren, wie sonst in späteren Stunden der Verdauung. Eine
hemmende Wirkung scheint das Chloroform auf die Thätigkeit
der Magendrüsen auszuüben, wenigsten waren ceteris paribus bei
Thieren, die nach längerer Narkose getödtet wurden, stets weniger
Vakuolen zu finden als bei nicht narkotisirten.
Da Stöhr mittheilt, er habe in den Vakuolen Sekretan-
häufungen wahrgenommen, und es ohnedies zu erwarten war, dass
das Sekret da, wo es gebildet wird, sichtbar werden würde,
wurden alle Präparate von mir daraufhin durchgemustert, ohne
dass es mir jemals gelang, in einer Vakuole oder in ihrem Aus-
führungsgang etwas, was auf eine Anhäufung von Sekretbestand-
theilen deutete, zu bemerken. Selbst als ich einen Fundus in eine
Lösung von AgNO, brachte, in der Hoffnung, dadurch in den Vaku-
olen eine Fällung von AgCl zu erzielen, ergaben sich keine positiven
Resultate. Endlich bekam ich an dem Magen eines Hundes, der
zu andern Versuchszwecken mit Toluylen-Diamin vergiftet worden
war, und dessen Fresslust infolgedessen bedeutend herabgesunken
war, Bilder zu Gesicht, in denen die Belegzellen ausser ihrem
Kern noch ein oder mehrere runde Körperchen enthielten. Von
dem Kern unterschieden sich dieselben durch ihre hellere Färbung,
sowie dadurch, dass sie stets von einem Hof von homogener,
hellrother Farbe umgeben waren. Ihre Lage innerhalb der Beleg-
zelle war eine sehr wechselnde, bald befanden sie sich in der
Mitte des Zellleibes, bald im peripheren Theil, bald auch am
Beiträge zur Kenntniss der Zellen in den Magendrüsen. 233
äusseren Rand der Zelle, so dass sie in diesem eine an die Va-
kuole erinnernde Delle hervorriefen. An einigen Präparaten waren
sie an dem inneren, an die Hauptzellen anstossenden Rande zu
sehen, in anderen waren sie zwischen zwei Belegzellen eingekeilt,
zuweilen traten sie vollkommen ausserhalb der Drüse im Binde-
gewebe, zuweilen im Lumen auf. Ein Mal auf diese Erscheinun-
gen aufmerksam gemacht, fand ich sie an anderen Hunden wieder
und von den Fig. 4 (b), 6 und 7, die sie erläutern, stammen nur
die beiden letztgenannten von dem mit Toluylendiamin gefütterten
Hund, während Fig. 4 im Gegentheil, wie schon die zahlreichen
Vakuolen in den anderen Zellen beweisen, einem ungewöhnlich
thätigen Magen entnommen ist. Aus diesem Umstande, d. h. dem
Auftreten der Körperchen bei vermehrter, wie bei verminderter
Thätigkeit der Magendrüsen, ergiebt sich schon zur Genüge, dass
wir in ihnen kein Sekret vor uns haben, wenn es auch möglicher-
weise dieselben Gebilde sind, dieStöhr als solche gedeutet hat.
Sehr wahrscheinlich sind es dieselben Körperchen, die Heiden-
hain schon vor langer Zeit durch ihre tief dunkle Gelkfärbung
bei Behandlung mit Kali biehromieum aufgefallen waren !), für die
aber damals eine genügende Erklärung sich nicht finden liess.
Bemerkenswerth ist, dass sie nie in einem der Ausführungsgänge,
welche die natürlichen Ableitungswege des Sekretes bilden, anzu-
treffen waren, sowie dass mitunter mehrere solcher Körperchen in
ein und derselben Zelle auftraten, entweder dieht neben einander
oder in bestimmten Abständen. Unter Berücksichtigung all dieser
Thatsachen kommt man auf den Gedanken, in den Körperchen
mobile Elemente zu erblicken, welche in die Belegzellen einzu-
dringen suchen, hierbei die Wand derselben ein wenig eindrücken,
nach Ueberwindung dieses Widerstandes aber ins Innere der Zelle
gelangen, mit einem Worte als wandernde Leukocyten. Für diese
Auffassung spricht auch ihr Aussehen bei der Behandlung mit
der Ehrlich-Biondi’schen Flüssigkeit, da bekanntlich ?2) nach
dieser Färbung eine Gruppe von Leukocyten einen kleinen, fast
farblosen Protoplasmaleib und einen hellen Kern mit blauen
Pünktchen aufweist. Dass Leukocyten, sobald sie in einer binde-
1) R. Heidenhain, Untersuchungen über den Bau der Labdrüsen.
Archiv für mikr. Anat. Band VI.
2) R. Heidenhain, Pflüger’s Archiv. 1888. Supplementband.
934 E. Hamburger: Beiträge z. Kenntniss d. Zellen in d. Magendrüsen.
gewebigen Schleimhaut in dichten Follikeln nahe unter der Öber-
fläche liegen, mit Vorliebe ihren Aufenthaltsort verlassen und sich
zwischen den Zellen der über ihnen befindlichen Gewebslagen hin-
durch einen Weg ins Freie bahnen, ist nicht nur ein in patholo-
gischen Fällen häufig beobachteter Vorgang, sondern neuere Unter-
suchungen!) haben ihn auch an normal funktionirenden Organen
demonstrirt. Die Deformationen, welche hierbei die Seitenwand
der Zellen, die den Weg einschliessen, erleidet, erinnert sehr an
die Einbuchtungen, die hier beim Magen am Aussenrande der
Belegzellen entstehen. Auf ihrem Wege scheinen die Leukocyten
zum Theil zu Grunde zu gehen. Denn im Innern der Belegzellen
machen sie nieht selten durch undeutliche Conturirung und be-
ginnende Schrumpfung den Eindruck absterbender Zellelemente.
Hinsichtlieh ihrer physiologischen Bedeutung kann ich nichts mit-
theilen, da sie, wie erwähnt, bei nüchternen wie bei gut gefütter-
ten Thieren vorkommen.
Erklärung der Figuren auf Tafel XII.
Die Zeichnungen wurden sämmtlich mit Hülfe des Oberhäuser’schen
Zeichenapparates unter Anwendung der Wasserimmersion von Zeiss 1, Ob-
jektiv 5 in der Höhe des Objekttisches aufgenommen.
Fig. 1. Querschnitt einer Fundusdrüse von einem in der zweiten Stunde der
Verdauung getödteten Hunde.
Fig. 2. Querschnitt einer Pylorusdrüse von einem mit Schwämmen gefüt-
terten Hunde aus der fünften Stunde der Verdauung mit Stöhr-
schen Zellen (b).
Fig. 3. Schematische Zeichnung des Querschnittes einer Pylorusdrüse vom
Hunde aus der fünften Stunde der Verdauung: in einen Quer-
schnitt sind drei Nnssbaum’sche Zellen (a) aus drei verschiedenen
Drüsenquerschnitten eingetragen.
Fig. 4. Längsschnitt des Drüsenhalses und oberen Theiles des Drüsenkörpers
aus dem Fundus eines Hundes in der achten Stunde der Verdauung.
Enthält Belegzellen mit Vakuolen (a) und eine Belegzelle mit einem
Leukocyten (b).
1) Ph. Stöhr, Zur Physiologie der Tonsillen. Biolog. Centralblatt.
Band I. Nr. 12.
Derselbe. Ueber Mandeln und Balgdrüsen. Virchow’s Archiv. 97. X.
Max Teichmann: Der Kropf der Taube. 235
Fig. 5. Querschnitt einer Fundusdrüse von einem Hunde aus der siebenten
Stunde der Verdauung: Vakuole mit Ausführungsgang.
Fig.6 u. 7. Querschnitte einer Fundusdrüse von einem mit Toluylendiamin ver-
eifteten Hunde, etwa zwanzig Stunden nach der letzten Nahrungs-
aufnahme. In beiden Belegzellen mit Leukocyten.
(Aus dem physiologischen Institut zu Breslau.)
Der Kropf der Taube.
Von
Max Teichmann, cand. med.
Der Kropf ist ein Gebilde, welches bekanntlich einigen we-
nigen Klassen der Vögel eigenthümlich ist. Wo er sich findet,
stellt er eine Erweiterung der Speiseröhre dar, die entweder ein-
fach mitten vor dem Oesophagus liegt oder in zwei Abschnitten
seitlich von demselben sich hervorwölbt. Jene Form zeigt er bei-
spielsweise beim Huhn, diese bei der Taube. Von vornherein ist
zu bemerken, dass der Kropf nicht für alle Vögel, bei denen er
überhaupt vorkommt, die gleiche funetionelle Bedeutung zu haben
scheint.
In dieser Hinsicht unterscheidet eine neuere Arbeit von
H. Gadow!) den „Haut- oder Schlundkropf“ von dem „echten
oder wahren Kropf“.
Der Sehlundkropf dient nur als Speicher für überflüssige
Nahrung und verhindert eine Ueberfüllung des Magens bei unge-
störter Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses. Denn der Kropf
entleert sich ganz allmählich; ich habe bei hungernden Tauben
noch nach 24 und mehr Stunden Speisereste von der letzten Nah-
rungsaufnahme herim Kropfe gefunden: TiedemannundGmelin?)
1) H. Gadow, Vergl. Anatomie des Verdauungssystems der Vögel.
Jenai’sche Zeitschr. f. Naturwissenschaften. XII.
2) Tiedemann und Gmelin, Die Verdauung. Heidelberg 1827.
236 } Max Teichmann:
beschrieben Aehnliches. Der Haut- und Schlundkropf wäre dem-
nach nichts anderes, als eine Erweiterung der Speiseröhre, wie sie
abnormer Weise auch beim Menschen vorkommt.
Anders verhält sich der „wahre Kropf“, die Form, welche
sich bei den Columbae und Rasores findet. Ich habe meine Un-
tersuchungen fast ausschliesslich an Tauben angestellt, theils weil
diese am ehesten zu beschaffen waren, theils wegen einer Besen-
derheit, welche der Kropf bei ihnen zeitweise darbietet.
Die einzige ausführlichere Arbeit über den Kropf der Taube
hat, soviel ich ermitteln konnte, ©. Hasse!) im Jahre 1865 ver-
öffentlicht. Dieser Arbeit verdanke ich auch zahlreiche Angaben
über die ältere Litteratur meines Themas. Wenn ich die Ergeb-
nisse der älteren Forscher zusammenfasse, so sind es etwa fol-
gende: Einige Autoren, wie Neergaard?) Howe und Ley-
dig?), behaupten, dass der Taubenkropf Drüsen enthalte, Hasse
bestreitet diese Angabe. Was Leydig als „beutelförmige, mit
Septenbildung ausgestattete Drüsen“ beschreibt, hält Hasse für
den Ausdruck einer feinen Faltung der Propria, hervorgerufen
durch die. Contraction der Muskelfasern des Kropfes. Hasse
giebt an, dass erst im unteren Theile der Speiseröhre, also unter-
halb des Kropfes, Drüsen vorkommen, und zwar in längsverlau-
fenden Leisten concentrirt. Der Kropf selbst, insbesondere die
Seitentheile, welche durch ihre feine Faltung dem blossen Auge
als drüsige Stellen imponiren, seien vollkommen drüsenfrei.
Wenn also über die Anwesenheit von Drüsen im Kropfe die
genannten Autoren uneinig sind, so besteht in einem anderen
Punkte zwischen ihnen in der Hauptsache volle Uebereinstimmung,
und es schliessen sich ihnen darin noch Cl. Bernard®), Milne
Edwards’) u.a.an: Es ist dies die von John Hunter zuerst be-
richtete Erscheinung, dass der Kropf der Taube wenige Tage vor
1) C. Hasse, Ueber den Oesophagus der Taube. Henle u. Pfeuffer’s
Zeitschrift für rationelle Medicin. 3. Reihe. Bd. 23.
2) J. W.Neergaard, Vergl. Anatomie und Physiologie der Verdauungs-
werkzeuge der Säugethiere und Vögel. Berlin 1886.
3) Leydig, Lehrbuch der Histologie. Frankfurt 1857.
4) C1. Bernard, Lecons sur les proprietes physiologiques etc. de
liquides de l’organismes Xieme lecons. Paris 1859.
5) H. Milne Edwards, Lecons sur la physiologie et l’anatomie
compar&e. T. VI. Paris 1860.
Der Kropf der Taube, 237
und nach dem Auskriechen der Jungen erfüllt sei von bröckeligen,
geronnener Milch ähnlichen Massen, mit welchen die Jungen in
den ersten Lebenstagen gefüttert werden. Auch darüber sind die
genannten Autoren einig, dass diese Brocken aus lauter abge-
stossenen, stark verfetteten Epithelien bestehen, und dass die
Schleimhaut, namentlich in den Seitentheilen des Kropfes, zu dieser
Zeit ausserordentlich hypertrophisch und blutreich ist. Die ganze
Erscheinung wird von den einzelnen Forschern mit grösserer oder
geringerer Entschiedenheit der Milchseeretion der Säugethiere an die
Seite gestellt, bis zu dem Grade, dass die althergebrachte Bezeichnung
der erwähnten krümeligen Masse als „Kropfmileh“ von einzelnen
beibehalten ist. Nur Cl. Bernard macht auf einen Unterschied
zwischen diesem „Secret“ und der Milch aufmerksam: in dem
Kropfseeret haben die abgestossenen Zellen ihre Gestalt bewahrt,
während in der Säugethiermilch nur Bruchstücke von Zellen vor-
kommen.
Diese Beobachtungen unter Benützung der heutigen wissen-
schaftlichen und technischen Erfahrungen wieder aufzunehmen,
war die von Herrn Prof. Heidenhain mir zugewiesene Aufgabe.
Es ist leicht ersichtlich, dass eine Hauptfrage für mich war:
Enthält der Kropf Drüsen oder nicht? Von vornherein war es
nicht unwahrscheinlich, dass ‚ein Organ, welches, wie der Tauben-
kropf, nach den übereinstimmenden Befunden aller Autoren durch zeit-
weilige Veränderungen eine functionelle Selbständigkeit gegenüber
seiner anatomischen Nachbarschaft bewies, — dass dieses Organ
auch für gewöhnlich eine besondere Verrichtung habe und mehr
sei, als eine blosse Haltestelle auf dem Beförderungswege der
Nahrungsmittel. Wenn man ausserdem in Betracht zog, dass bei
dem Frosch in der Speiseröhre pepsinabsondernde Drüsen gefunden
sind, so lag der Schluss nahe, dass auch der Kropf der Taube
vermöge der in ihm etwa enthaltenen drüsigen Elemente dazu
bestimmt sei, die Verdauung der aufgenommenen Nahrung einzu-
leiten und dem Magen gewissermaassen vorzuarbeiten. Ich unter-
suchte also von Anfang an auf Drüsen, und in der Vermuthung,
dass dieselben, wenn überhaupt vorhanden, in dem Hauptbezirk
des Kropfes, in den Seitentheilen sitzen würden, nahm ich diese
zum Material meiner ersten Präparate. Allein keine einzige
Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 34, 16
238 Max Teichmann:
Drüse fand ich, überall nur diekes geschichtetes Pflasterepithel.
In den Seitentheilen konnte demnach keine Einwirkung auf die
Speisen stattfinden, die sich auch nur entfernt mit derjenigen
chemisch wirkender Drüsen vergleichen lies. Von der frischen
Schleimhaut liess sich allerdings mit dem Sealpell etwas schleimige
weissliche Flüssigkeit abkratzen; diese aber enthielt, wie schon
Hasse gefunden, nur abgestossene platte Zellen mit feinkörnigem
Protoplasma und gut färbbarem Kerne. Dagegen waren viele
durch Färbung leicht sichtbar zu machende Bacterienhaufen zu
beobachten, die ich ausnahmslos bei allen untersuchten Thieren
wiedergefunden habe. Drüsen fand ich in den Seitentheilen des
Kropfes niemals; aber ein anderer beschränkter Bezirk desselben
zeigte sie stets. Um sie schnell zu finden, empfiehlt sich folgende
Präparationsweise:
Nachdem man den Kropf und die angrenzenden Theile der
Speiseröhre freigelegt hat, unterbindet man die Speiseröhre unten
am Drüsenmagen und lässt von oben her Alkohol in die Speise-
röhre und den Kropf einfliessen, unbekümmert um die Füllung
des Kropfes mit Nahrung. Wenn die Gewebe sich dadurch voll-
kommen ausgedehnt haben und kein Alkohol mehr aufgenommen
wird, unterbindet man auch oben und bringt das Ganze in ein
Gefäss mit Alkohol zu vorläufiger Härtung. So bieten sich die
Theile in ihren natürlichen Verhältnissen dar, nur bei völliger Ent-
faltung der Höhlen. Einem solchen Präparate entnahm ich, um über
die engere Begrenzung der drüsenhaltigen Stelle ins Klare zu kommen,
Stückchen aus verschiedenen Gegenden zur Untersuchung, aber immer
nur aus der Wandung des eigentlichen Kropfes. Auf diese Weise
stellte es sich dann heraus, dass nur in der Gegend, wo der
Kropf allmählich in den unteren Theil der Speiseröhre übergeht,
Drüsen vorhanden sind. Ich sah dann an dieser Stelle durch
die dünnhäutigen Wandungen Streifen hindurehschimmern, die
sich nach Eröffnung des Kropfes als consistente Leisten offenbarten.
Diese waren, 6—8 an der Zahl, um den Ausgang des Kropfes
gruppirt und reichten noch eine Strecke weit in den Oesophagus
hinab. Sicher aber lag ihr oberer Theil, wie ich auch später
immer gefunden habe, in einer Ausdehnung von oft mehr als 1cm
noch im Kropfe. Ich vermuthete, dass die Drüsen in diesen
Leisten concentrirt seien, und fand diese Vermuthung durch das
mikroskopische Präparat bestätigt: die Strecke zwischen zwei
Der Kropf der Taube. 239
Leisten war vollkommen drüsenfrei. Die Leisten, wie auch die
in ihnen enthaltenen Drüsen erwähnt auch schon Hasse, nur
schildert er sie als eine Eigenthümlichkeit des unteren Oesophagus-
abschnittes, die mit dem Kropfe nichts zu thun habe. Ja, schon
in dem alten Werke von Neergaard aus dem Jahre 1806 finde
ich eine Abbildung, die es wahrscheinlich macht, dass der Autor
die Leisten wenigstens gesehen hat, wenn er sie auch nicht be-
schreibt. Von den Falten des Kropfes und der Speiseröhre unter-
scheiden sich dieselben auf den ersten Blick dadurch, dass sie
beim Ausdehnen des Gewebes nicht verstreichen. In ihrer Längen-
ausdehnung und auch in der Dieke bestehen individuelle Ver-
schiedenheiten, zumal das untere Stück der Leisten ganz allmäh-
lich sich verjüngend in die Wandung des Oesophagus übergeht;
am Kropfende dagegen hören sie ziemlich unvermittelt auf. Diese
Leisten beherbergen also die Drüsen. Die Grundlage ihres Baues
bildet eine in der Mitte verlaufende Bindegewebsleiste, welche mit
der bindegewebigen Hülle des Kropfes resp. der Speiseröhre zu-
sammenhängt und nach allen Seiten verzweigte Ausläufer entsendet.
So entsteht ein vielkammeriges Bindegewebsgerüst, in dessen
Lücken die Drüsen liegen. Am besten wird dieses Gerüst auf
Sehiefschnitten durch die Leisten sichtbar. In dem Bindegewebe
verlaufen zahlreiche Gefässe. Die Oberfläche der Leisten wird
von dem gewöhnlichen, allbedeckenden geschichteten Pflaster-
epithel überzogen, dieses erscheint aber hier etwas weniger mächtig,
als sonst in Kropf und Speiseröhre, es ist durch das Vorspringen
der Leisten gleichsam in die Breite gezogen.
Was nun die in den Leisten enthaltenen Drüsen betrifft, so
gehören sie zur Klasse der zusammengesetzt-schlauchförmigen.
Sie sind von einer bindegewebigen Hülle umschlossen, welche von
dem Bindegewebsgerüst der Leisten abgegeben wird und ihrerseits
in das Lumen der Drüsen faltenartige, oft vereinzelte Vorsprünge
entsendet. Auf diese Weise wird hier die secernirende Oberfläche
vergrössert, gleichwie in der Lunge durch die Alveolarsepta die
respirirende Fläche. Auf diesen Vorsprüngen sitzt das Epithel, ein
einschichtiges hocheylindrisches. Die einzelnen Zellen sind, im
Profil betrachtet, reichlich dreimal so hoch, wie breit. Ihre Längs-
achse steht meistens nicht genau senkrecht auf der Bindegewebs-
falte, sondern etwas geneigt nach dem Ausführungsgange hin.
Durch passende Färbemethoden, z. B. mit Hämatoxylin und Kali
940 Max Teichmann:
chromieum, lassen sich die Zellgrenzen sehr deutlich machen, nur
das obere, dem Lumen zugewandte Ende der Zellen erscheint
auch dann zuweilen nicht deutlich abgegrenzt. Der Kern sitzt vor-
wiegend an der basalen Wand, nur selten ist er etwas höher ge-
rückt; er erscheint dunkel gefärbt, aber nicht homogen. Den Zell-
leib stellt eine helle, fast homogene Masse dar, eine nur feine
Körnelung und Spuren eines Protoplasmanetzes sind zu sehen.
Auch das Lumen der Drüse ist meistens von dieser feinkörnigen,
schwach färbbaren Masse erfüllt. In diekeren Schnitten kann es
aussehen, als seien die Septa mit einem zwei- oder gar dreischich-
tigen Epithel besetzt. Es sind dann zwei oder drei benachbarte
theilweise sich deckende Epithelreihen sichtbar. Ferner sieht man
häufig das Lumen eines Drüsenschlauches scheinbar erfüllt mit po-
lygonalen oft kernhaltigen Zellen, die zwischen den gegenüber-
stehenden Epithelreihen gleichsam eingekeilt erscheinen. Es sind
dies die optischen Querschnitte einiger von oben her gesehenen Cylin-
derzellen, und wohl kaum der Ausdruck einer starken Zellvermeh-
rung. Wenigstens habe ich von Kerntheilungsfiguren, wie man
sie z. B. in den Lieberkühn’schen Drüsen des Darmes so häufig
trifft, hier nie etwas gesehen. Der Ausführungsgang der Drüsen
erscheint nicht eben lang, wenn er nicht schief vom Schnitt ge-
troffen wird; er entbehrt, wie Hasse schon angiebt, einer festen
Abgrenzung gegen die Nachbarschaft, ist vielmehr gleichsam ein-
gegraben in das umgebende Epithel. Seine Auskleidung wird von
einer Fortsetzung des oberflächlichen geschichteten Pflasterepithels
gebildet, doch dieses macht dann nicht unvermittelt dem cylin-
drischen Sekretionsepithel Platz, sondern zwischen beide Epithel-
formen sind allmählich höher werdende, mehr kubische Zellen ein-
geschaltet. Diese sieht man mit ihren grossen bläschenförmigen
Kernen am besten auf Flächenschnitten, welche die Ausführungs-
gänge quer treffen.
Meine Untersuchungen habe ich, wie bereits erwähnt, meist
an Tauben gemacht; indessen habe ich auch in der Speiseröhre der
Krähe und im Kropf des Huhnes dieselben Drüsenformen gefunden,
wie bei der Taube.
Was die Topographie der Drüsen bei der Taube betrifft, so
sind sie oberhalb der Leisten nirgends zu finden, ebenso fehlen
sie zwischen den Leisten. Wo aber diese enden, im unteren Theile
der Speiseröhre, hören damit die Drüsen nicht auf, sondern sie
Der Kropf der Taube. 241
sind jetzt gleichmässig in der Wandung der Speiseröhre verstreut;
die Bevölkerungsdichtigkeit an Drüsen ist aber hier weit geringer,
als im Bereich der Leisten; auch scheinen hier die Drüsen gleich-
sam in der Entwicklung zurückgeblieben, sie bestehen aus nur
2—3 Schläuchen. Jedenfalls aber sind sie vorhanden und harren
bis ans Ende des Oesophagus aus. An sie schliessen sich unmit-
telbar die Drüsen des Drüsenmagens an, wie auch das geschichtete
Pflasterepithel der Speiseröhre ganz unvermittelt dem einfachen
Cylinderepithel des Drüsenmagens weicht. Der Uebergang der
Speiseröhre in den Drüsenmagen findet nicht in einer Ebene statt,
die Grenzlinie zwischen beiden ist ziekzackförmig gestaltet. So
kann es vorkommen, dass man auf einem Schnitt aus dieser Re-
gion zwei ganz verschiedene Drüsen- und Epithelformen dicht
nebeneinander sieht. Und auch das Cylinderepithel des Drüsen-
magens hat wieder ein ganz anderes Aussehen, wie die Cylinder-
zellen der Oesophagusdrüsen: Während bei diesen das Protoplasma
feinkörnig und hell ist, der kleine Kern platt an der basalen Wand
gelagert, haben die Epithelzellen des Drüsenmagens ein gröber ge-
körntes Protoplasma und einen grossen bläschenförmigen Kern mit
deutlichen Kernkörperchen ungefähr in der Mitte der Zellen. Solche
Schnitte bieten also in der That abwechselungsreiche Bilder, sie
können aber auch zu der Annahme verleiten, dass die Drüsen aus
Kropf und Oesophagus auch im Drüsenmagen umschriebene Stellen
einnehmen, und dies ist, bei der Taube wenigstens, bestimmt nicht
der Fall.
Obiges sind kurz beschrieben die anatomisch-histologischen
Verhältnisse, welche ich unter gewöhnlichen Umständen beobachtet
habe. In der Annahme, dass die Drüsen ebenso, wie der ganze
Kropf und Oesophagus, vom Vagus innervirt würden, untersuchte
ich die Folgen einer Vagusreizung. Aber, wie mit blossem Auge
keine Seeretion erkennbar war, so bot auch das mikroskopische
Bild der Drüsen . nichts Bemerkenswerthes. Ebensowenig lassen
sich über Veränderungen der Drüsenzellen durch Hunger bestimmte
Angaben machen.
Bei der Untersuchung über die Bedeutung der Drüsen bin
ich zu folgenden Ergebnissen gelangt: Die frischen Drüsenzellen
werden durch Zusatz von Essigsäure und verdünnter Salpeter-
242 Max Teichmann:
säure getrübt, während starke Salpetersäure keinen Niederschlag
hervorruft: Die Zellen enthalten also Muein. Die Absonderung
scheint aber sehr geringgradig zu sein, denn nach Pilocarpinbe-
handlung des Versuchsthieres zeigeu sich an den Drüsen keine
deutlichen Zeichen starker Absonderung. Es wird hiernach in den
Drüsen ein schleimhaltiges Secret gebildet, welches die aufgenom-
mene Nahrung schlüpfrig macht und oberflächlich erweicht. In
der That sind z. B. die Erbsen, welche im Kropfe zu unterst lie-
gend gefunden werden, etwas gequollen.
Ehe sich dieses Resultat herausstellte, hatte ich angenommen,
dass die Drüsen vielleicht ein pepsinähnliches Ferment bildeten,
und diese Möglichkeit wurde durch die Thatsache der Schleimab-
sonderung nicht ausgeschlossen. Andererseits lagen manche Gründe
für meine Annahme vor: Der Drüsenmagen, die eigentliche Stätte
der Verdauung, enthält, bei der Taube wenigstens, nur eine Art
von Drüsenzellen, und zwar sind diese den Belegzellen des Säuge-
thiermagens sehr ähnlich. Bei der Krähe hingegen, einem kropf-
losen Vogel, enthält der Drüsenmagen auch Gruppen solcher Drüsen,
wie sie im Taubenkropf vorkommen. Es könnte also der Kropf
das Ferment, der Drüsenmagen die Säure bilden, wie ja auch bei
dem Frosch die Oesophagusdrüsen bei weitem mehr Pepsin liefern,
als der Magen selbst.
Um in dieser Beziehung Klarheit zu erlangen, wurde eine
Anzahl verschiedener Versuche gemacht. Zunächst wurden die
Drüsenleisten mit 0,2°/, Salzsäure 24 Stunden hindurch extrahirt.
Das Extract verdaute eine Fibrinflocke in ca. 2 Stunden‘). In
der mit reiner Salzsäure von derselben Concentration angestellten
Controlprobe blieb das Fibrin ungelöst. Nach beendeter Verdau-
ung liess sich Propeptonreaction erzielen, nachdem das vorhandene
Syntonin durch Neutralisation der Flüssigkeit ausgefüllt worden.
Dieser Verdauungsversuch wurde im Verlaufe der Untersuchung
noch oftmals wiederholt, stets mit demselben Ergebniss.
Nun konnte aber gegenüber der unstreitigen Anwesenheit von
Pepsin im Salzsäureextract der Einwand erhoben werden, dass das
gefundene Pepsin aus dem Drüsenmagen stamme, dass es durch
1) Auf 1 Gramm Substanz wurden 10 ccm Salzsäure genommen, von
dem filtrirten Extract 1 cem mit 5 ccm Salzsäure versetzt und zur Verdau-
ung angestellt.
Der Kropf der Taube. 243
Brechbewegung, die bei den Tauben sehr leicht entsteht, in den
Kropf gelangt und hier an den Leisten oberflächlich haftend beim
Extrahiren in die Salzsäure übergegangen sei. Um diese Deutung
zu prüfen, wurden verschiedene neue Versuchsanordnungen ge-
troffen.
Wenn das Pepsin aus dem Magen heraufkam, so musste es
nicht bloss an den Drüsenleisten, sondern auch zwischen und über
denselben im Kropfe haften. Es wurden daher Stücke der Kropf-
schleimhaut aus der Umgebung der Leisten extrahirt; das Extraet
verdaute, schwächer allerdings als das der Leisten. Hieraus liess
sich also nichts Bestimmtes folgern.
Besser begegnet, meines Erachtens, dem oben erwähnten
Einwande folgender Versuch: Nachdem die Stückchen der Drüsen-
leisten 24 Stunden lang mit 0,2%, Salzsäure extrahirt sind, werden
sie nochmals, und zwar 48 Stunden lang, in derselben Weise
extrahirt. Auch dieses zweite Extract fand ich noch verdauungs-
kräftig. Wenn also auch das zweite Extract verdaut, so gewinnt
es an Wahrscheinlichkeit, dass das Pepsin den Drüsenleisten ent-
stammt. Einen sicheren Beweis liefert freilich auch dieser Ver-
such nicht, wenn man bedenkt, wie geringe Mengen des Fermentes
genügen, um eine kleine Fibrinflocke zu verdauen.
Zur Vergleichung der Pepsinmengen wurde ferner auch die
Schleimhaut des Drüsenmagens mit 0,2°%/, Salzsäure extrahirt.
Das Extraet verdaute schneller, als dasjenige der Drüsenleisten.
Eine weitere Versuchsanordnung zu dem Zwecke, den erwähn-
ten Einwand zu prüfen, war folgende: Der Versuchstaube, deren
Kropf durch Hungern entleert war, wurde die Speiseröhre mög-
lichst tief unterhalb des Kropfes unterbunden, wobei ein Theil
der Drüsenleisten über, der andere unter der Ligatur blieb. So
sollte ein Abschluss des Kropfes gegen den Drüsenmagen erzielt
werden. Die Thiere vertragen die Operation, wenn sie mit
Vorsicht und unter antiseptischen Cautelen unternommen wird, so
gut, dass sie schon unmittelbar nach derselben sich begierig nach
Nahrung zeigen. Die erste in dieser Weise operirte Taube bekam
kein Futter, wohl aber Wasser. Nach 24 Stunden wurde sie
getödtet, und es fanden sich im Kropfe 10 cem trüber gelblicher
Flüssigkeit; lccm derselben mit 5 ccm 0,2°/, Salzsäure versetzt, ver-
daute sehr rasch. Es wurden dann die Drüsen oberhalb, die Drüsen
unterhalb derLigatur und der Drüsenmagen zu gleichen Gewichtsmen-
244 Max Teichmann:
gen mitgleichen Mengen Salzsäure gesondert extrahirt. Am schnellsten
verdaute der Drüsenmagen, dann folgten die Drüsen unterhalb, und
zuletzt diejenigen oberhalb der Ligatur. Auch für dieses Ergebniss
lässt sich unschwer eine Erklärung finden unter der Annahme, dass
die Drüsenleisten Pepsin liefern: Der Drüsenmagen stand ja trotz
der Unterbindung immer noch mit einem Theile der Drüsen-
leisten in offener Verbindung, die Drüsen oberhalb der Ligatur
dagegen hatten bereits einen Theil ihres Pepsinvorrathes an das
im Kropfe befindliche Wasser abgegeben und dieses zu einer,
wie wir gesehen haben, kräftig verdauenden Flüssigkeit gemacht.
Kein Wunder also, dass ihr Extraet an Energie der Verdauung
hinter den anderen zurückblieb. So wenigstens konnte das
Resultat aufgefasst werden, wenn man von der Annahme einer
wirklichen Absonderung von Pepsin ausging. Eine andere Taube
wurde in der gleichen Weise operirt, bekam aber nicht zu trinken,
sondern zu fressen. Nach 24 Stunden war der Kropf enorm voll
von Erbsen, welche an ihrer Oberfläche leicht angefeuchtet und
erweicht erschienen. Die Kropfschleimhaut selber war sehr trocken.
Die Vergleichung der drei Extracte hatte dasselbe Ergebniss, wie
oben. In diesem Falle waren aber die Drüsen oberhalb der Ligatur
durch die gewaltige Inhaltsmenge des Kropfes so geschädigt (wie
das mikroskopische Bild zeigte), dass man sich nicht wundern
konnte, wenn ihr Extraet nicht sehr verdauungskräftig war.
Da auf dem beschriebenen Wege kein sicheres Ergebniss zu
erzielen war, wurde folgender Versuch angestellt: Einer Taube,
deren Kropf durch Hungern entleert war, wurde ein am Faden
befestigtes Schwammstückchen in den Drüsenmagen gebracht,
hierauf der Oesophagus unterbunden, und auch in den Kropf
mehrere Schwammstückchen eingeführt. Nach 24 Stunden fand
sich im Drüsenmagen und dem Speiseröhrenabschnitt. unter der
Ligatur aber Flüssigkeit, welche durch Gallenbeimischung eine
srünliche Farbe hatte. Sie war übrigens auch früher immer im
nüchternen Drüsenmagen gefunden worden und reagirte stark sauer.
Die Schwammstücke, welche im Kropfe gelegen hatten, enthielten
Flüssigkeit von alkalischer Reaction, während die Kropfschleim-
haut über der Ligatur neutral reagirte, auch auf und zwischen
den Leisten. Das Extract der Schwämmcehen aus dem Kropfe
zeigte nach 13/, Stunden deutliche aber schwache Verdauung.
Es ist klar, dass diese Resultate auch in ihrer Gesammtheit
ne ee
Der Kropf der Taube. 245
keinen vollständig sicheren Schluss über die Herkunft des Pepsins
gestatten, aber doch seine Abstammung aus den Kropfdrüsen sehr
wenig wahrscheinlich erscheinen lassen.
Auf einen weiteren Punkt musste sich noch die Untersuchung
erstrecken: In den meisten Fällen wurde die Reaction der
Kropfschleimhaut stark sauer gefunden; es fragte sich nun, woher
die Säure stamme, ob sie im Kropfe selber entstehe oder secernirt
werde, oder ob sie aus dem Magen heraufkomme. Die mikros-
kopischen Beobachtungen hatten ergeben, dass die frische Kropf-
schleimhaut immer eine grosse Zahl von Bacterien beherberge.
Die saure Reaction derselben konnte also leicht sauren Gährungs-
processen ihren Ursprung verdanken. Mit Rücksicht darauf
wurde nun folgender Versuch gemacht: Einer nüchternen Taube
wurde die Speiseröhre unterbunden und hierauf der Kropf mit
destillirtem Wasser ausgespült, bis das Spülwasser neutral reagirte.
Hierauf wurden in den Kropf Fibrinstückchen eingebracht, in der
Absicht, etwaige saure Gährungsprocesse zu verhüten, wie sie
durch die gewöhnliche, an Kohlenhydraten reiche Nahrung der
Tauben so leicht hervorgerufen werden. Nach 24 Stunden war denn
auch die Reaction der Kropfschleimhaut neutral, ein Beweis dafür,
dass an Ort und Stelle keine Säure secernirt werde, dass viel-
mehr die saure Reaction, abgesehen von der aus dem Magen
heraufgebrachten Salzsäure, lediglich den für gewöhnlich im
Kropfe sich abspielenden Gährungsvorgängen ihren Ursprung ver-
danke. Unterstützt wird dieser Beweis noch dadurch, dass es
mir gelang, ‘in einem Wasserinfus der im Kropfe enthaltenen
Erbsen deutlich Milchsäure nachzuweisen (durch die bekannte
Eisenchloridprobe). Uebrigens sind die Gährungsvorgänge nicht
die einzige Quelle der Säure im Kropfe, sondern nach Behand-
lung der Taube mit Pilocarpin lässt sich im Kropfe auch freie
Salzsäure nachweisen, die also jedenfalls aus dem Drüsenmagen
heraufgekommen ist.
Bei Gelegenheit der Untersuchungen über die Säure suchte
ich auch eine Angabe von Tiedemann und Gmelin auf ihre
Richtigkeit zu prüfen, dass nämlich Milch, in den Kropf ein-
gebracht, gerinne. Ich fand, dass bei Hintanhaltung der sauren
Gährungsprocesse keine Gerinnung erfolgt; diese beruht also wohl
auf der Wirkung der Gährungsmilchsäure.
Die Befunde über die Physiologie des Taubenkroptes lassen
246 Max Teichmann:
sich also in Folgendem zusammenfassen: Der Kropf nimmt die
Nahrung für längere Zeit auf und bereitet sie für die Magenver-
dauung vor, indem die von den Drüsen abgesonderte schleimige
Flüssigkeit in Verbindung mit der durch Gährungsvorgänge er-
zeugten Säure die Körner erweicht und zum Quellen bringt. Da
sich ferner unter gewöhnlichen Umständen auch Pepsin und Salz-
säure in geringer Menge im Kropfe findet, welche wahrscheinlich
nur aus dem Magen stammen, so sind die Bedingungen auch für den
Beginn der Verdauung gegeben. Der Hauptsache nach aber findet
diese sicher erst im Magen statt.
Ein besonderes und merkwürdiges Interesse bietet der Kropf
der Taube des Weiteren insofern, als er bekanntlich zeitweise
physiologische Veränderungen seines Baues und seiner Function
erleidet, die in der Naturgeschichte der Vögel ihres gleichen nicht
finden. Die Angaben, welche ich über diese Erscheinung machen
kann, decken sich im allgemeinen mit denen älterer Beobachter
besonders Hasse’s. Wenn man eine Bruttaube, gleichviel ob
Männchen oder Weibchen, 2—3 Tage vor dem Auskriechen der
Jungen tödtet, so findet man die Wandungen der Kropfseitentheile
verdickt und durch Anwesenheit zahlreicher und weiter Blutgefässe
gieichmässig lebhaft geröthet. Nach Eröffnung des Kropfes sieht
man die Seitentaschen desselben frei von Nahrung, dagegen er-
füllt von einer gelblichen, leicht angefeuchteten krümeligen Masse,
welche einen unangenehmen, stechenden Geruch besitzt, wie nach
ranziger Butter. Unter dem Mikroskop stellen sich diese Massen
als stark verfettete Plattenepithelzellen dar. Die Wandungen des
Kropfes zeigen, mikroskopisch untersucht, eine Dickenzunahme in
allen Schichten, besonders aber im Epithel. Dabei erscheinen die
obersten Epithelschichten stark verfettet und in Ablösung begriffen,
der Kern ist auch in den am stärksten verfetteten Zellen noch
vollkommen erhalten, die einzelnen Fetttröpfehen in den obersten
Zellreihen zu grösseren Massen verschmolzen. Je weiter nach der
Tiefe zu, werden die Fetttröpfchen in den Zellen immer kleiner,
sie verschmelzen noch nicht und färben sich durch Osmiumsäure
schwach grünlichschwarz. Gefässschlingen gehen, wie schon Has se
beschreibt, bis an die oberflächlichsten Zelllagen hin, frei im Epi-
Der Kropf der Taube. 247
thel liegend. Alle diese Angaben beziehen sich nur auf die Ver-
hältnisse in den Seitentaschen; über den Drüsenleisten im unteren
Theile des Kropfes zeigt das Epithel keine Abweichungen vom
gewöhnlichen Zustande. Es ist hiernach klar, dass in den Seiten-
taschen eine lebhafte Epithelwucherung stattfindet, bei welcher in
dem Maasse, als die neugebildeten Zellen von dem Schleimhaut-
substrat nach der freien Fläche vorrücken, das Protoplasma mehr
und mehr Fett bildet.
Unter welchen Einflüssen die beschriebenen Veränderungen
zu Stande kommen, lässt sich ebenso schwer ermitteln, wie bei den
Veränderungen in den Milchdrüsen der Säugethiere; das aber ist
klar, dass sie sich den Vorgängen bei der Milchseeretion der
Säuger nicht vergleichen lassen. Sie sind von diesen einerseits
ebenso schr verschieden, wie von den Erscheinungen der Talg-
secretion andererseits. Während bei der Milchseeretion nicht die
Zellen im Ganzen abgestossen werden, sondern nur ihr oberer Theil
der fettigen Metamorphose anheimfällt unter gleichzeitiger charak-
teristischer Destruction der Zellkerne; während in den Talgdrüsen
der ganze Zellinhalt fettig entartet während der Kern atrophirt,
bleibt hier die Form der abgestossenen Zellen unverändert, der
Kern in allen seinen Theilen erhalten. Und gar das Secret des
Kropfes selbst lässt sich mit der Milch in keiner Weise vergleichen,
fehlen doch in ihm die specifischen Bestandtheile der Milch, das
Casein und der Milchzucker; ist doch das Secret des Kropfes im
Gegensatz zu der flüssigen Milch eine feste Masse. Es widerspricht
also den thatsächlichen Verhältnissen, von einer „Kropfmilch“ zu
reden, wenn auch der Zweck der Milchseeretion durch die be-
sprochenen Vorgänge im Taubenkropf, wenigstens zum Theil, er-
reicht wird.
248 Dr. v. Linstow:
Ueber die Entwicklungsgeschichte und die
Anatomie von Gordius tolosanus Dwuj.
— G. subbifurcus v. Siebold').
Von
Dr. v. Linstow in Göttingen.
Hierzu Tafel XIV, XV, XVI.
Unsere Kenntniss des merkwürdigen Genus Gordius verdanken
wir vorwiegend v.Siebold, Meissner, Schneider, Grenacher,
Villot, Vejdovsky und Camerano, durch deren Studien wir
über die Anatomie gut orientirt sind, wenngleich auch hier noch
manche Widersprüche auszugleichen sind; anders steht es mit der
Entwicklungsgeschichte; mit derselben hat sich vorwiegend Villot
beschäftigt und ist dabei zu dem Resultate gekommen, dass die
Gordien überhaupt keine speciellen Zwischenwirthe haben.
Bevor ein so allgemeiner Satz aufgestellt wird, scheint es
mir nöthig, die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Arten zu
studiren, und bin ich in der Lage, zu der von Gordius tolosanus
Duj. einen Beitrag zu liefern; ich bin weit entfernt, auf Grund
der hier mitgetheilten Beobachtungen die Entwicklungsgeschichte
des ganzen Genus Gordius erklären zu wollen; namentlich weiss
ich nicht, wie Gordius-Larven, die in Schmetterlingsraupen ge-
funden sind, in diese hinein und später aus ihnen in’s Wasser
gelangen; vor allgemeinen Schlüssen werden wir uns vorläufig
um so mehr zu hüten haben, als wir zur Zeit nur die Zwischen-
wirthe für beide Larvenformen von Gordius aquaticus und tolo-
sanus kennen.
1) Villot, Revision des Gordiens, Ann. sc. natur. 7. ser., t. I, 1886, art.
Nr. 5, pag. 296—302.
Ueb. d. Entwieklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 249
Die erste oder embryonale, d. h. dem Embryo ähnliche Lar-
venform von Gordius tolosanus wurde von Meissner!) in Larven
von Ephemera, von Villot?)in Larven von Tanypus, Corethra und
Chironomus beobachtet; die zweite, grosse Larvenform wurde in
Käfern, vorwiegend in Laufkäfern gefunden und zwar in Carabus
hortensis Fabr., Procerus (Carabus) coriaceus Lin., Calathus fuseipes
Goeze —= cisteloides Panzer, Poeeilus lepidus Fabr., Molops elatus
Fabr., Pterostichus metallieus Fabr., Pterostichus (Omaseus) vulgaris
Lin., Pterostichus (Omaseus) melas Creutzer, Pterostichus (Oma-
seus) nigritus Fabr., Harpalus atratus Latr. = hottentotta Duft-
schmidt, Amara similata Gyll., Calathus ambiguus Payk., Amara
fusca Sturm, Zabrus (Pelor) blaptoides Creutz. und Silpha cari-
nata 1llig.
Herr Geheimrath Professor Dr. Ehlers hatte die Güte, mir
Gordien mitzutheilen, die im Sommer 1888 in der Nähe von Göt-
tingen in einem kleinen Bache in Menge gefunden waren; sie
liessen sich als zu Gordius tolosanus gehörig bestimmen und be-
suchte ich im Frühling 1889 den Fundort, um mich für spätere
Exeursionen zu orientiren, als meine Aufmerksamkeit auf Käfer
gelenkt wurde, die theils todt, theils sterbend, theils noch lebend
im Bache lagen, einige frei schwimmend, andere an Pflanzen an-
geklammert oder in Algenmassen verwickelt; in der Zeit einer
Viertelstunde sammelte ich 18 Exemplare, an einem der nächsten
Tage in einem benachbarten Bache 14, die sich als zu Pterostichus
niger Schaller gehörig erwiesen, nur 1 Exemplar wurde als Har-
palus hirtipes Panzer bestimmt. Die Käfer wurden geöffnet und
in einenr Pterostichus niger fand sich ein 115 mm langes und 0,48 mm
breites weibliches, in einem anderen ein 122 mm langes männ-
liches Exemplar von Gordius tolosanus; sie lagen lockenförmig
aufgerollt in der Leibeshöhle des Käfers, waren hellbraun von
Farbe und bewegten sich nach dem Freiwerden lebhaft.
Räthselhaft scheint es, wie die Käfer in den Bach gerathen
waren; eine nahe liegende Veranlassung dazu fehlte vollständig;
es war kein Gewitterregen vorhergegangen, eine Ueberschwemmung
hatte nicht stattgefunden; auch waren diese Käfer die einzigen
in’s Wasser gerathenen Landthiere.
1) Zeitschr. für wissensch. Zoolog. VII, Leipzig 1856, pag. 131, tab. VIL,
2) Arch. zool. experiment. III, Paris 1874.
250 Dr. v. Linstow:
In Bezug auf diese Gordiuslarven theilte Herr Geheimrath
Ehlers mir mit, dass dergleichen Funde bei Göttingen schon
früher gemacht seien, und befinden sich in der Sammlung des
hiesigen zoologischen Instituts Larven von Gordius tolosanus aus
Procrustes coriaceus Lin., Pterostichus niger Schall. und Calathus
eisteloides Panz., sowie unbestimmte Gordius-Larven aus Calathus
eisteloides Panz., Calathus (Harpalus) ruficornis Goeze und Silpha
atrata L. |
Die Entwicklung dieser Art würde somit als festgestellt an-
senommen werden können, wenn nicht Villot, der sich sehr ein-
gehend mit dem Genus Gordius beschäftigt hat, zu ganz abwei-
chenden Resultaten gekommen wäre.
Villot stellt in seiner grossen Arbeit, der Monographie des
Dragonneaux!) die Entwicklungsgeschichte so dar, dass die kleinen,
embryonalen Gordius-Larven, speciell die von Gordius aquaticus,
tolosanus, und grationopolensis, im Sommer in Larven von
Tranypus, Corethra und Chironomus gelangen, um sich hier zu
eneystiren, dass diese Dipteren-Larven von kleinen Fischen,
Phoxinus laevis und Cobitis barbatula gefressen werden, wodurch
die Gordien aus ihren Cysten befreit werden und sich in die
Darmwand der Fische einbohren, um sich hier auf’s neue zu
eneystiren und so den Winter über zu verharren. Im nächsten
Frühling bersten die Kapseln, die Gordien gerathen frei in das
Darmlumen und mit den Excrementen in’s Wasser, wo sie zu den
bekannten, grossen Formen auswachsen und geschlechtsreif
werden. In einer späteren Arbeit?) modifieirt Villot seine An-
sicht dahin, dass er meint, die beiden Phasen des Parasitismus
der Gordien verliefen in einem und demselben Wirth.
Villot findet die embryonale Larvenform encystirt in der
Darmwand der genannten Fische und in Petromyzon Planeri, in
den angeführten Dipteren-Larven, ferner in Hydrophilus piceus,
in Planorbis, er verzeichnet das Vorkommen nach Leydig in
Rana temporaria, nach Claparede in Enchytraeus vermicularis,
nach Meissner in Ephemera, nach mir in Limnaeus vulgaris;
die zweite, grosse Larvenform aber ist gefunden in Coleopteren,
Mi:re:
2) Developpement des Gordiens, Ann. sc. natur., 6 ser. t. XI, art. 3,
1881, pag. 18—20.
Ueb.d. Entwicklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 251
Orthopteren, Neuropteren, Hymenopteren, Lepidopteren, Dipteren,
Hemipteren, in Arachniden, in Crustaceen, in Fischen (Cobitis, Petro-
myzon, Thymallus, Aspius, Coregonus, Salmo), im Amphibien
(Rana), in Vögeln (Otis) und im Menschen. So kommt Villot zu
dem Sehluss: „Les Gordiens n’ont pas d’hötes speeiaux“; das
in sehr zahlreichen Fällen, besonders von v. Siebold angeführte
Vorkommen der zweiten, grossen Larvenform in Insekten nennt
er eine anomalie d’habitat und bezweifelt die richtige Bestimmung
der Helminthen, ein Einwand, den ich, da dieselbe von v.
Siebold herrührt, nieht zugeben kann; bei den von mir in
Pterostichus gefundenen Exemplaren kann ich dafür einstehen,
dass es sich um Gordius tolosanus handelt. In seiner neuen
Arbeit, Anatomie des Gordiens, giebt Villot an, selber zahlreiche
Larven von Gordius violaceus in 5 Exemplaren von Procrustes
coriaceus gefunden zu haben, ohne sich weiter auf die Tragweite
und Deutung dieses Fundes einzulassen.
Bei der Besprechung der grossen Larven von Gordius tolo-
sanus aus Käfern erwähnt Villot!) als einen besonders interessanten
Fall des Auffinden eines Exemplars im Darm eines Menschen
durch Fiori in Piemont, mitgetheilt von Rosa, und meint,
während er das Vorkommen in Käfern für eine anomalie d’habitat
hält, ein solches Vorkommen beruhe nicht auf einem Pseudopara-
sitismus; die Piemontesen ässen keine Käfer, vielmehr müsse ein
Gordius-Embryo mit dem Trinkwasser in den Darm gekommen
sein, wo er sich als wahrer Parasit entwickelt habe, ebensogut,
wie er es in einem Käfer oder einer Spinne gethan haben würde.
Gordius aquaticus ist im Menschen gefunden von Aldro-
vandus, Degland, v. Siebold und von v. Patruban (nach
Villot war der von Degland beobachtete Gordius ein G. tolo-
sanus); der von Fiori mitgetheilte Fall bezieht sich auf Gordius
tolosanus; Kirkland fand nach Diesing Gordius varius, Gay
Gordius chilensis und Gerruti und Camerano Gordius Vilotti,
Pavesi Gordius Villoti und tolosanus im Menschen; Bacounin
berichtet von absichtlich verschluckten Gordien, über welche
‚Beobachtung Cerruti und Camerano sagen: „che questi vermi
non resistono ad una temperatura di 38 gradi e di piu essi non
1) Revision des Gordiens, Ann. sc. natur,, 7. ser., t. I, art. 5, 1886,
252 Dr. v. Linstow:
diedero mai luogo al piu piccolo malessere essendo stati per-
fettemente digeriti‘. Da Gordien schon aus Brunnen geschöpft
wurden, so hat v. Siebold!) gewiss recht, wenn er als selbst-
verständlich annimmt, dass das Vorkommen von Gordien im
Menschen die Folge von zufälligem Verschlucken derselben mit
Trinkwasser ist. Mir wurde einst aus einem Soldaten-Wachtlokal
eine Wasserflasche gebracht, mit der Frage, was für ein Thier
darin sei; es bewegte sich ein Gordius aquaticus im Wasser, und
wenn einer der Soldaten in der Nacht aus dieser Flasche getrunken
hätte, wäre es nur zu leicht möglich gewesen, dass er den Gordius
mit verschluckt hätte. Die in Fischen und Vögeln beobachteten
grossen Larven werden aus mit solchen Larven infieirten Insekten
stammen, die ersteren zur Nahrung dienten, denn alle genannten
Fische und Vögel sind Insektenfresser; kein Wunder, dass sie
dann auch einmal gelegentlich mit einem Insekt eine Gordius-
Larve verschlingen, die dann vermuthlich entweder verdaut oder
mit den Exerementen entfernt wird.
Dass sich Gordius-Embryonen derselben Art gleicherweise
in Insekten, in kalt- und in warmblütigen Wirbelthieren entwickeln
sollen, halte ich nach unseren anderweitigen helminthologischen
Erfahrungen für undenkbar, und aus den gesammten Funden von
Gordius-Larven ohne Rücksicht auf die Gordius-Arten und ohne
die Fälle auszuscheiden, welche als Pseudoparasitismus gelten müs-
sen, den Schluss zu ziehen: „Les Gordiens n’ont pas d’hötes sp6-
ciaux“ halte ich für ebenso unbegründet, als wenn man dasselbe
von den Cestoden behaupten wollte, deren Larven auch in Säuge-
thieren, Vögeln, Fischen, Insekten, Myriapoden, Crustaceen, Mol-
lusken und Helminthen gefunden werden.
Für Gordius tolosanus muss ich den Entwicklungsmodus an-
nehmen, dass die kleinen, embryonalen Larven eingekapselt in
Wasserlarven von Ephemera, Corethra, Chironomus und Tanypus,
die grossen aber frei in der Leibeshöhle von Laufkäfern leben,
welche im Frühling ins Wasser fallen, wodurch die Gordien wie-
der in ihr eigentliches Element gelangen.
Das Hineingerathen in die auf dem Lande lebenden Käfer.
wie das Herauskommen aus denselben in’s Wasser ist in gleicher
Weise merkwürdig. Ersteres wird im Spätsommer geschehen,
1) Zeitschr. f. wissensch. Zoolog. VII, Leipzig 1856, pag. 142,
au
Ueb. d. Entwicklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 253
wenn Theile von Bächen und Teichen ausgetrocknet sind, so dass
die Käfer so die Wasserlarven der Dipteren erlangen und fressen
können, welche die embryonale Larvenform beherbergen; während
des Winters wachsen die jungen Gordien dann in den Käfern
heran. Das massenhafte Ertrinken der Laufkäfer im Frühling ist
das Mittel, durch welches die grosse, zweite Larvenform wieder
in’s Wasser gelangt; dasselbe kann aber wohl nur darin seinen
Grund haben, dass die Käfer in dieser Jahreszeit auf dem Lande
noch keine Beute finden, während das Thierleben im Wasser
schon erwacht ist und Schnecken eine Lieblingsnahrung der Lauf-
käfer bilden, so dass sie, während sie am Rande eines Baches
oder Teiches ihrer Nahrung nachgehen, in Menge ihren Tod durch
Ertrinken finden.
Die Zeit, zu welcher die Gordius-Larven mit den Laufkäfern
in’s Wasser gerathen, ist der Monat April; Ende Juni findet man
im Wasser schon geschlechtsreife Exemplare. In den betreffenden
Bächen, in welehen ich die Funde machte, kommen Gasterosteus
aculeatus und pungitius, Cottus gobio, Gobio fluviatilis, Cobitis
barbatula und Phoxinus laevis häufig vor, niemals aber fand ich
Gordien irgend einer Entwicklungsstufe in ihnen.
Anatomie der Larven aus Käfern.
Die aus Käfern erhaltenen Larven benutzte ich, die Anatomie
derselben zu studiren, und hatte ich über dreierlei Präparate zu
verfügen, nämlich über vor einigen Jahren im hiesigen zoologischen
Institut gemachte Serienschnitte einer aus Procrustes coriaceus
stammenden Larve, welche Herr Geheimrath Ehlers die grosse
Liebenswürdigkeit hatte, mir zur Benutzung zu überlassen; über
Serienschnitte der von mir gefundenen Exemplare aus Pterostichus
niger, welche Herr Dr. Hamann freundlicher Weise anfertigte,
und über selbstgemachte von denselben Exemplaren.
Die Cutis (Derma) ist 0,013mm diek und aussen von der
Epidermis bedeckt; erstere ist hellbraun und faserig, letztere viel
dünner, dunkelbraun und an der Aussenseite durch dichtgedrängte,
pflastersteinartige Erhebungen ausgezeichnet, wie sie für die Art
charakteristisch sind. Vier Schichten, wie Camerano!) sie als
1) Ricerche intorno alla anatomia ed istologia dei Gordii. Torino 1885,
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 17
954 Dr. v. Linstow:
an einzelnen Stellen vorkommend schildert, nämlich 1. strato eu-
ticolare esterno, 2. straterello interotto di stostanza granulosa, 3.
strato fibrillare und 4. straterello interotto di granulazionie finden
sich bei den von mir untersuchten Larven nicht, sondern nur die
Schichten 1 und 3. Vejdovsky!) nennt die beiden Schichten
die homogene und die faserige Cuticula und bemerkt, dass die
erstere an den beiden äussersten Körperenden glatt, durchsichtig
und farblos wird. Meissner bezeichnet die beiden Schichten mit
Epidermis und Corium, Villot mit Epiderme und Derme, später
mit couche superfieielle und profonde der cuticule. Die beiden
Schichten sind bei den Larven bereits ebenso deutlich gesondert
wie bei den freilebenden Exemplareu, entbehren aber noch der
Kreuze mit den Poren und der Sinnesborsten.
Die Hypodermis ist eine 0,0066 mm dicke, aus gekernten,
polygonalen Zellen bestehende Schicht unter der Cutis; am Kopf-
und Schwanzende schimmern die Kerne durch die transparente
Cutis hindurch; in der Scheitelgegend ist sie stark verdiekt und
beim Männchen erhebt sie sich leistenförmig in der Bauchlinie,
die Muskulatur theilend; da, wo am männlichen Sehwanzende die
Theilung beginnt, ist sie ebenfalls verdiekt (Fig. 11), bildet in
der Gegend der vorderen Schwanzganglien dicht hinter der Cloaken-
öffnung die Aussenwand des Körpers, da hier die Cutis fehlt, und
macht vor der Gabelung eine von der Rücken- nach der Bauch-
linie ziehende Brücke (Fig. 13); in den beiden Schwanzgabeln ist
sie in der Bauchseite wesentlich verbreitert (Fig. 14). Beim Weib-
chen ist sie in der Gegend des Uterus an der Bauchseite etwa
5 mal dicker als an der Rückenseite (Fig. 19); die Kerne sind
entweder ei- oder kugelförmig. Meissner bezeichnet die Hypo-
dermis als Perimysium, während Grenacher?) sie subeutane
Schicht nennt und sie als Matrix der Cutis hinstellt. -Villot hat
die seltsame Ansicht, die Hypodermis, welche weder aus epithe-
lialen Zellen noch aus einem gekernten Protoplasma, sondern aus
fibrillären Elementen bestehe, sei ein Theil des Nervensystems,
eine Ansicht, welche er auch in seiner neueren Arbeit „Sur l’ana-
1) Zur Morphologie der Gordiiden. Zeitschr. für wissensch. Zoolog.
XLII. Leipzig 1886.
2) Zeitschr. für wissensch. Zoolog. XVIII, Leipzig 1868,
Ueb. d. Entwicklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 255
tomie des Gordiens“ !) festhält. Der Bauch-Nervenstrang soll mit
der Hypodermis unmittelbar zusammenhängen. Wäre diese Auf-
fassung richtig, so würden wir ein Nervensystem bei Gordius vor
uns haben, das unmittelbar der Cutis anliegend eylinderförmig den
ganzen Körper überzieht und an einer Stelle, dicht hinter der
Cloake des Männchens, frei zu Tage liegt. Ganz neuerdings er-
klärt Villot?) die Hypodermis für ein Gefässsystem, das eine
Absorbtions- oder Excretionsfunetion besitzt, während ausserdem
ein Netzwerk von Ganglienzellen zwischen der subeutanen Schicht
und dem Perimysium liegen soll. Vejdovsky?) nennt die
Hypodermis eine cuticularbildende Matrix, die in ihren ver-
schiedenen Gestaltungsverhältnissen immer von einer Epithelschicht
ableitbar ist. Letzterer Umstand hat Camerano veranlasst, das
Gebilde nicht Hypodermis, sondern Epidermis zu nennen, eine
Auffassung, die auch Michel®) theilt, welcher unabhängig von
ersterem die zellige Natur erkannte. Sowohl Camerano wie
Michel scheint es entgangen zu sein, dass ich 5) bereits im Jahre
1877 die zellige Natur der Hypodermis beschrieben und abgebildet
habe; meine Angaben wurden aber von späteren Forschern ange-
zweifelt; die Kenntniss der zelligen Structur ist übrigens noch viel
älter, denn sie war sehon Schneider bekannt, der in seinen „Un-
tersuchungen über Gordius* Fig. 17 c, die zellige Hypodermis,
die er, wie bemerkt, Perimysium nennt, abbildet.
Was die Frage betrifft, ob das betreffende Stratum Hypoder-
mis oder Epidermis zu benennen ist, so kann von beiden Be-
zeichnungen wohl nur in Bezug auf ein Derma die Rede sein;
nennt man es Epidermis, so ist die nach aussen von ihm liegende
Schieht die Cuticula, und sieht man sich alsdann vergebens nach
einem Derma um, denn die unmittelbar darunter liegende Schicht
von Längsmuskeln kann doch nicht als Derma bezeichnet werden.
Das fragliche Stratum scheint mir aber der ebenfalls aus polygo-
nalen Zellen bestehenden Hypodermis oder Matrix oder Chitinogen-
1) Ann. sc. natur. zoolog. 1887, art. 4, pag. 193.
2) Compt. rend. Acad. sc. Paris, f. CVII, Nr. 6, Paris 1889, pag.
304—306.
3) 1. ce. pag. 380.
4) Compt. rend. Acad. sc. Paris, vol. CVII, pag. 1175—1177.
5) Archiv für Naturgesch. 1877, pag. 5—4, tab. I, Fig. 5.
256 Dr. v. Linstow:
Membran der Arthropoden homolog zu sein, daher ich es als Hy-
podermis bezeichnen möchte; die nach aussen von ibm liegende
Schicht wäre alsdann Cutis oder Derma und die dunkelbraune,
dünnere Aussenschicht Epidermis zu benennen.
Die Muskeln liegen der Innenseite der Hypodermis an;
sie bestehen lediglich aus Längsmuskeln und erreichen in der
männlichen Larve eine Dicke von 0,051 mm = !/, des Körper-
durchmessers, in der weiblichen eine von 0,029 mm = 1/5 des-
selben; etwa 0,49 mm vom Kopfende entfernt beginnen sie mit
einer anfangs sehr dünnen, dann bald mächtiger werdenden
Scehieht. Die langen Muskelzellen haben einen gestreckten, stab-
förmigen Kern, wie man an Längsschnitten sieht (Fig. 21d).
Am männlichen Schwanzende theilt sich die Muskelmasse, die bei
beiden Geschlechtern in der Bauchlinie durch den Verbindungs-
strang zwischen Hypodermis und Nervenstrang unterbrochen ist,
in zwei seitliche Hälften, und wenn die Gabelung vollendet ist,
findet man die Muskulatur beschränkt auf das innere, der Rücken-
seite anliegende Viertel und die äussern zwei Drittel (Fig. 14).
Das männliche Schwanzende zeigt ausserdem an der Stelle, wo
der Darm sich nach der Rückenseite wendet, zwei dorsoventrale
Muskelzüge (Fig. 10), die sich dieht hinter der Cloake zu einer
starken Masse vereinigen (Fig. 11 und 12), von welchen Muskeln
Villot!) irrthümlich behauptet, dass sie aus Parenchym-Elementen
bestehen. Am weiblichen Schwanzende ist in der Gegend des
Uterus die Muskulatur an der Bauchseite erheblich dünner als
an der Rückenseite (Fig. 17), schwindet an ersterer bald ganz
(Fig. 18 und 19) und hat bei der Cloakenmündung völlig aufgehört
(Fig. 20). Jede Muskelfibrille enthält an der ‘Innenseite einen
Kern, der in die Marksubstanz übergeht und nach aussen stark
verdünnt ist (Fig. 24); letztere liegt an der Aussenseite, welche
mit der Hypodermis in Berührung ist und zeigt auf Querschnitten
eine parallele Begrenzung nach den Seiten; sie ist durch Häma-
toxylin gut sichtbar zu machen. Grenacher?) erkannte, dass die
Muskelfibrillen nicht ununterbrochen vom Kopf- bis zum Schwanz-
ende verlaufen, sondern dass sie 0,5—0,66 mm lang sind und die
1) Anatomie des Gordiens, pag. 208.
2) Zeitschr. für wissensch. Zoolog. XIX, Leipzig 1869, pag. 239—290,
tab. XXIV, Fig. 4.
Ueb. d. Entwicklungsgeschichte u. dl. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 257
Form eines Paralleltrapezes haben; er hält die Gordienmuskeln
nicht den Nematodenmuskeln für gleichwerthig, da am visceralen
Rande eine Höhlung ohne Kern erkennbar sei und da sie beider-
seits in eine Spitze auslaufen; das erstere habe ich nicht bestä-
tigen können. Schneider rechnet die Gordien-Muskeln zur
Gruppe der Holomyarier; wenn nun auch die Schneider’sche
Diagnose nicht in allen Punkten bestätigt ist, so bilden diese
Muskeln doch einen scharfen Gegensatz zu den Poly- und Mero-
myariern, so dass die Schneider’sche Eintheilung trotzdem sehr
werthvoll erscheint. Was Vejdovsky eine Dorsalfurche in der
Muskulatur am männlichen Schwanzende nennt, halte ich für nichts
weiter als die Zeichen der beginnenden Gabelung; wenn derselbe
den Muskelkern der Muskeln von Gordius tolosanus seitlich,
ausserhalb der Muskelzelle liegen lässt, so gestehe ich, dass ich
derartiges weder bei meinen Larven noch bei geschlechtsreifen
Exemplaren gesehen habe.
Der Zellkörper dient theils als Stütze der inneren Organe,
theils als Füllsubstanz, wie z. B. in der männlichen Schwanzgabel,
theils aber als Bildungskörper für die Hoden und die Ovarien,
die beide in der Larve noch nicht vorhanden sind; nach der
Körperperipherie zu pflegen die grösseren Zellen zu liegen ; niemals
habe ich ein Epithel der Leibeshöhle gesehen, wie Vejdovsky!)
es beschreibt und abbildet; auffallend ist die segmentirte An-
ordnung der Zellen, wie sie auf Längsschnitten besonders in der
Peripherie des Körpers deutlich ist (Fig. 21). Grenacher nennt
den Zellkörper perienterisches Zellgewebe, Schneider Muskel-
Marksubstanz.
Sowohl die männliche wie die weibliche Larve zeigt auf
Querschnitten zwei seitliche, symmetrische, der Rückenfläche ge-
näherte und einen unsymmetrischen, der Bauchfläche näher liegen-
den Hohlraum; in letzterem. liegt der Darm und an der Bauch-
seite grenzt der Nervenstrang an ihn; ich halte ihn für eine
Leibeshöhle. Sie bietet bei den Larven einen Formunterschied
nach den Geschlechtern; beim Männchen ist sie nach der Rücken-
seite zu rundlich begrenzt, auf Querschnitten erscheint sie hier
nieren- oder hufeisenförmig (Fig. Sh), während sie beim Weibchen
nach dem Rücken zu spitzwinklig begrenzt ist, so dass der
1) 1. c. tab. XV, Fig. 36 pt.
258 Dr. v. Linstow:
Querschnitt die Form eines Kartenherzens hat (Fig. 16 b). Vej-
dovsky nennt die Leibeshöhle Excretionscanal; ich habe keinen
Grund zu einer solehen Deutung gefunden und kenne keinen
Excretioncanal, in dessen Lumen ein Darm verläuft; Villot nennt
die Leibeshöhle eavit& de regression de l’intestin, in Jüngster Zeit
aber cavite periintestinale, die durch einen Zerfall der den Darm
umgebenden Parenchymzellen entstehen soll). |
Der Verdauungtract beginnt mit einer scheitelständigen
Oeffnung, welehe die Cutis durchsetzt; das darunter liegende
Parenchym verlegt aber die nun folgende Röhre (Fig. 7b), so
dass ein Lumen bei den grossen Larven aus Käfern nicht mehr
existirt; auffallender Weise ist der dieke Anfangstheil des Oesopha-
gus aus zwei seitlichen, symmetrischen Hälften zusammengesetzt
(Fig. 2 und 3b); zunächst verläuft er in der mittleren Körper-
achse, wird dann daselbst vom Kopfganglion umgeben (Fig. 3 u. 4),
verläuft etwas weiter hinten getrennt von letzterem an dessen
Rückenseite (Fig. 5) und erscheint auf Querschnitten mehrfächerig
(Fig. 6); der der Mundöffnung zunächst liegende Theil ist kelch-
förmig erweitert (Fig. 7).
Der Darm hat ein deutliches Lumen und wird aus Zellen
mit eiförmigen, granulirten Zellen gebildet (Fig. 23); beim Männ-
chen münden die Ausführungsgänge der Geschlechtsröhren in das
Ende des Darms, eine Cloake darstellend, nachdem der Darm am
Schwanzende von der Bauchlinie nach der Rückenseite getreten
ist und darauf, nachdem er wieder zur Bauchlinie zurückgekehrt
ist, sich stark von der Rücken- nach der Bauchseite verbreitert
hat. Bei beiden Geschlechtern ist das letzte Ende des Darms
von stark erweitertem Lumen und sehr verdickten Wänden. Beim
Weibchen verläuft der Darm in der Gegend des Uterus nahe der
Rückenlinie (Fig. 18 und 19a), in dessen hinterstes Ende er ein-
mündet, wie Grenacher bereits erkannte. Meissner nennt den
Darm Excretionsorgan.
Das Central-Nervensystem beginnt unmittelbar hinter der
Mundöffnung mit zwei schwachen, neben einander liegenden An-
schwellungen (Fig. 2), welche an der Rückenseite des obliterirten
Mundbechers liegen, um sich dicht dahinter zu einer grossen
1) Compt. rend. Acad. sc. Paris t. CVIII, Nr. 13, Paris 1889, pag.
685 —687.
Ueb. d. Entwicklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 259
Nervenmasse zu vereinigen, die den Oesophagus von allen Seiten
umgiebt (Fig. 3u.4); dann tritt sie nach der Bauchfläche hin, nimmt
bedeutend an Umfang ab und verläuft isolirt vom Oesophagus
(Fig. 5 u. 6); anfangs höher als breit (Fig. 5) wird das Organ
nun bald breiter als hoch (Fig. 6) und besteht aus drei deutlich
gesonderten, neben einander liegenden Strängen, die an der Basis
von einer gekernten Masse gestützt werden; der Bauchstrang trennt
die Muskulatur in der Bauchlinie und ist durch einen faserigen
Strang mit der Hypodermis verbunden. Villot’s Auffassung: „Le
ganglion cephalique n’est autre chose qu’en renflement de la
couche hypodermique“ passt für die von mir untersuchten Larven
durchaus nicht (Fig. 3).
Beim Männchen erhebt der Bauchstrang sich dicht vor der
Schwanzgabelung von der Muskulatur und bekommt nun eine be-
sondere, seitliche, aus Muskelmasse bestehende Stütze (Fig. 9u.10);
beim Beginn der Gabelung tritt einer der Seitenstränge an die
Innen- und Bauchseite je einer Gabel (Fig. 11), der Mittelstrang
schwindet, dicht hinter der Cloakenöffnung bemerkt man in jeder
Gabel eine starke Ganglien-Anschwellung (Fig. 12) und nach
vollzogener, vollständiger Trennung der Endäste in jeder derselben
eine zweite (Fig. 14). In beiden Geschlechtern ist der ungetheilte
Bauchstrang von einem gekernten Bindegewebe rings umgeben.
Bei der weiblichen Larve hört der Bauchstrang mit dem Uterus
auf, eine Theilung findet nicht statt, an der Cloakenöffnung ist
er nicht mehr vorhanden (Fig. 20). Grenacher!) nennt den
Bauchnervenstrang Ventrallinie; er lässt denselben auch am
Schwanzende des erwachsenen Weibchens sich gabeln ?), was
bei der Larve nicht der Fall ist, dasselbe findet auch Villot?);
Schneider *) bezeichnet ihn als Oesophagus.
Ein intermuskuläres oder interparenchymatöses Wasser-
gefässsystem, welches Villot beschreibt, existirt bei den von mir
untersuchten Exemplaren nicht, auch Camerano leugnet die
Existenz eines solchen.
Die männlichen Geschlechtsorgane waren in den
1) 1. c. pag. 285.
2) 1. c. pag. 328.
3) Anatomie des Gordiens pag. 195.
4) l. c. pag. 185.
260 Dr. v. Linstow:
Larven noch nicht entwickelt; von den Hoden bemerkt man noch
nichts und die beiden erwähnten, nach der Rückenfläche zu
gelegenen, symmetrischen Lücken im Zellkörper entsprechen ihrem
späteren Lumen; sie sind im Gegensatz zu der Leibeshöhle mit
einem Epithel ausgekleidet, das nicht überall der Wandung flach
anliegt, sondern zum Theil frei in die Höhlung hineinragt. Nach
dem hinteren Körperende verengern sich die Röhren und gehen
in die Samenleiter über, welche links und rechts in den hintersten
Theil des Darms treten (Fig. 11d) und so mit ihm die Cloake
bilden; eine Muskulatur findet sich an der männlichen Cloaken-
mündung nicht. Ausser den kleinen Kegeln, welche die Cloaken-
öffnung dicht und den zum Theil am Ende gespaltenen kleinen
Borsten, welche sie in weiterem Bogen umgeben, findet sich noch
eine dritte Gruppe feiner Spitzen, welche die Innenseite der End-
lappen bekleiden.
Die weiblichen Geschlechtsorgane bilden bei ge-
schlechtsreifen Thieren, abgesehen vom vordersten und hintersten
Körpertheil fünf parallele Röhren; an der Rückenseite der Rücken-
canal (Fig. 31d), seitlich davon die Eiersäcke (Fig. 31c), nach
aussen von ihnen die Ovarien (Fig. 3la u. b); letztere vier
Organe, die beiden Eiersäcke und die beiden Ovarien, grenzen
nach der Bauchseite zu an die Leibeshöhle (Fig. Sle); am
Schwanzende gehen die Eiersäcke in die kurzen Eileiter über
(Fig. 17a), welehe in den Uterus münden, und an dessen Bauch-
seite liegt das gleichfalls in den Uterus mündende Receptaculum
seminis.
In der Larve aus Käfern sind von diesen Organen nur die
Eiersäcke und ihre hinteren, kurzen Ausläufer, die Eileiter und
der Uterus vorhanden (Fig. 16, 17, 18, 19); Ovarien, Receptaculum
seminis und Rückencanal fehlen gänzlich. Die Eiersäcke ent-
sprechen morphologisch den Hodenanlagen der Larve; sie sind,
wie diese, Hohlräume und mit einem ähnlichen Epithel ausgekleidet;
die Eileiter sind diekwandig. Der Uterus besteht aus zwei sehr
verschiedenen Abschnitten; der vordere ist zweitheilig (Fig. 13 b)
und von seiner Innenwand erheben sich pilzförmige Bildungen,
‘ während die hintere Hälfte (Fig. 19 b) von einem Netzwerk ein-
zelliger Drüsen ausgekleidet ist. Der Darm tritt von der Rücken-
seite in den allerhintersten Theil des Uterus; eine seitliche Lage-
rung dem Uterus gegenüber wie beim erwachsenen Thiere findet
Ueb. d. Entwicklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 261
nicht statt; die so gebildete Cloake ist von einer hypodermis-
ähnlichen Membran begrenzt (Fig. 20).
Nach Grenacher waren bei einer Larve von Gordius ornatus
aus Mantis die Eianlagen schon stark entwickelt und im Ovarium
polygonale Zellen, die unreifen Eier, vorhanden. Vejdovsky!)
gab in seiner ersten Arbeit an, die wahren Eierstöcke niemals
gefunden zu haben; er hatte sie in der That aber wohl gesehen
und nur nicht richtig gedeutet, denn was er Tab. XVI Fig. 6leg
mit Eileiter bezeichnet, sind Ovarien und die mit d‘ bezeichneten
Organe die leeren Eiersäcke, von ihm als Leibeshöhle bezeichnet;
in seiner zweiten Arbeit?) werden sie als Ovarien angeführt, ihre
Hohlräume aber als Cölom oder Leibeshöhlle. Meissner nennt
die Ovarien Eierstockschläuche, Villot die lateralen Aeste der
Ovarien.
Die Eiersäcke werden von Grenacher als Oviducte bezeich -
net, von Meissner als Ovarien, während Vejdovsky sie Eier-
säcke und Eierbehälter und Villot die dorsalen Aeste der Ovarien
nennt. Letzterer spricht sowohl den Biersäcken als auch den
Ovarien ein Epithel zu, das ich nur bei ersteren finde.
Die Eiersäcke gehen hinten durch die Eileiter in den Uterus
über, von Grenacher und Villot als Uterus, von Vejdovsky
als Atrium, von Camerano als Diverticolo cloacale bezeichnet.
Gegen die Bezeichnung Uterus dürften keine Bedenken vorliegen,
da hier die Befruchtung der Eier vollzogen wird; die die letzteren
verkittende Substanz wird auch hier abgesondert, wie ja auch der
Säugethier-Uterus die Eihüllen bildet.. Nach Camerano soll das
Diverticolo cloacale eine Erweiterung des Darms sein, in den die
Ausgänge der Geschlechtsorgane eintreten, was sich aber um-
gekehrt verhält, denn der Darm tritt in das hinterste Ende des
Uterus.
Die vorderen, symmetrisch getheilten beiden Abtheilungen
des Uterus, in welche die Eileiter einmünden, nennt Vejdovsky
Hörner des atrium, Camerano rechnet sie nieht zum Diverticolo
eloacale, sondern bezeichnet sie als Erweiterungen der Eileiter.
1) 1. e. pag. 411.
2) Zeitschr. für wissensch. Zoolog. XLVI, 2, Leipzig 1888, pag. 188—216,
tab. XVII.
262 Dr. v. Linstow:
Das Receptaculum seminis wurde bereits von v. Siebold!)
und Grenacher richtig erkannt.
Die Cloakenmündung steht beim Weibchen ebensowenig
terminal wie beim Männchen; bei ersterem findet man sie 0,12 mm
vom Hinterende entfernt und dahinter zeigt der Körper die An-
deutung einer Zweitheilung, wie sie beim Männchen so stark aus-
gebildet ist.
Anatomie der geschlechtsreifen Thiere.
Die geschlechtsreifen Exemplare von Gordius tolosanus baben,
was bisher übersehen ist, Ocellen. Dicht hinter dem Scheitelpunkt,
0,066 mm von demselben entfernt, liegen an der Rückenseite, deren
Cutis hier noch hyalin, d. h. noch nicht braun gefärbt ist, 2 kleine
von schwarzen Pigmentkügelchen umgebene Linsen in einem Ab-
stand von 0,082 mm von einander (Fig. 25a). Die kleinen Pig-
mentgruppen lassen sich auf Längs- und Querschnitten schon bei
schwachen Vergrösserungen erkennen.
Die Entwicklung der Geschlechtsorgane konnte ich an einer
Anzahl ganz junger Gordien untersuchen, welche mein Sohn im
Juni in einem stagnirenden, fast vertrockneten Waldbache in
der Nähe von Northeim fand; es waren 9 Männchen und 2 Weib-
chen von Gordius tolosanus; die Farbe war hellbraun und das
kleinste Männchen hatte nur eine Länge von 68 mm, das grösste
von 150mm. Da der Fund während meiner Abwesenheit von
Göttingen gemacht wurde, brachte der Finder die Exemplare zu Herrn
Dr. Hamann, welcher die Freundlichkeit hatte, nicht nur diesel-
ben zu conserviren, sondern auch eine Anzahl ausgezeichneter Serien-
schnitte anzufertigen, wofür ich an dieser Stelle nochmals meinen
verbindlichsten Dank ausspreche.
Die Wandung der beiden an der Rückenseite der Leibeshöhle
symmetrisch neben einander liegenden, die ganze Leibesausdehnung
des Männchens der Länge nach durchziehenden Hohlräume der Larve,
welche mit einem Epithel ausgekleidet sind, verwandelt sich in die
Hoden. Das Epithel entspricht weder dem bei den Thieren
gewöhnlichen Platten-, Cylinder- oder Flimmerepithel,. sondern
muss als ein Spindelzellenepithel bezeichnet werden, denn die
1) Archiv für Naturgesch., 1843, pag. 307.
Ueb. d. Entwicklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 263
Zellen sind spindelförmig, haben einen spindelförmigen Kern und
liegen nicht immer mit ihrer Seitenfläche der Wandung an, sondern
ragen oft, mit dem einen spitzen Ende in ihr wurzelnd, frei in
das Lumen hinein. Die das Lumen der Hohlräume begrenzende
Sehicht des Zellkörpers wandelt sich in dichtes, gekerntes Binde-
gewebe um, welches physiologisch dem Hoden entspricht (Fig.
26 a), denn aus ihm sprossen in das Lumen Zellen hinein (Fig. 15),
in denen sich Tochterzellen bilden und in letzteren entstehen die
Samenkörperchen, welche bald frei werden und in grossen Massen
zusammengeballt in dem Hohlraum nach hinten gelangen. Die
Epithelzellen sind die samenbildenden Elemente und an den Stellen
der Wandung, an welchen man die Spermatogenese verfolgen
kann, fehlen die ersteren. Die Spermatogenese vollzieht sich in
den jungen, im Wasser lebenden Männchen scheinbar von hinten
nach vorn, d. h. man findet bei einem und demselben Männchen
im vorderen Drittel des Körpers noch gar keine samenbildenden
Zellen, während im mittleren solche in reicher Menge vorhanden sind
und im hinteren die Hohlräume der Hoden bereits von Samenmasse
gänzlich erfüllt sind. Die Entwicklung scheint also hinten im
Körper zu beginnen und allmählich weiter zu schreiten. Die samen-
bildenden Zellen entwickeln sich aus den Spindelzellen-Epithelien
in der Weise, dass aus einer Spindelzelle eine gekernte, gestielte,
kugelförmige Zelle wird (Fig. 26c); aus einer solchen entsteht eine
grössere, hyaline Zelle mit schwach gefärbtem Kern (d), der dann
grösser, stärker gefärbt und granulirt wird (e); in diesen Zellen
bilden sich als Mutterzellen Tochterzellen (f), welche in ihrem
Innern die Samenkörperchen ausbilden (g).
Die Samenkörperchen sind kurze, dicke Stäbchen mit einer
dünneren und einer diekeren Hälfte; sie sind als Zellen mit
excentrischem Kern aufzufassen, und zwar ist der dünnere Theil der
chromatische Kern, der dickere der achromatische Zellleib (Fig. 32).
Die Hoden sind bis jetzt noch von keinem der Forscher, die
sich mit Gordien beschäftigt haben, gesehen worden. Meissner!)
bezeichnet die Samenmassen als Hoden; Vejdovsky?) giebt an,
es sei ihm nicht gelungen, in den freilebenden Gordien die Hoden
in ihrer ursprünglichen Lage und Vertheilung zu entdecken;
1) 1. e. pag. 104.
2) Zur Morphologie der Gordiiden, pag. 417.
264 Dr. v. Linstow:
Camerano!) sagt in ähnlicher Weise: „negli esemplari adulti
non mi venne fatto di trovar nulla che rivelasse la vera ed
intima struttura degli elementi ghiendolare destinati alla produzione
degli spermatozoi“; nur Villot?) sagt, er habe über den männ-
lichen Geschlechtsapparat in seinen Arbeiten aus den Jahren
1874 und 1881 eine description tres exacte et tr&s complete
segeben. In den Nouvelles recherches aus dem Jahre 1881 finden
wir (pag. 5) nur die kurze, unrichtige Notiz, dass der Same des
Männchens vor der Reife entleert wird; in der Monographie des
Dragonneaux aus dem Jahre 1574 aber sagt er (pag. 195 und 223)
(die die weiblichen Sexualorgane betreffenden Worte sind fort-
gelassen): „Les testicules sont deux gros tubes, dans l’interieur
desquels on trouve des spermatozoides; ils ne produisent les
cellules spermatogenes; ils enveloppent et protegent les el&ments
essentiels de la reproduction. — Une masse considerable de
cellules embryonnaires, autour du tube digestif, se divise en deux
parties; l’une centrale, qui se transforme direetement en cellules
spermatagönes, l’autre peripherique, qui fournit le tissu des testi-
cules“. Das verhält sich aber nicht so; die Samenkörperchen
entstehen nicht aus Zellen des Zellkörpers; sie bilden sich an
der Wand der Hoden, wenn diese bereits Hohlräume sind und
keine einzige Zelle des Zellkörpers in ihrem Innern enthalten ;
sie entstehen aus den wandständigen Epithelzellen. Villot hat
also die functionirenden Hoden auch nicht gesehen und hält?)
die wahren Hoden für die Hüllen der samenbildenden Zellen.
Aeussere Copulationsorgane, wie Vejdovsky*) sie beschreibt
und abbildet, habe ich bei der von mir untersuehten Art in keinem
Falle gefunden; die Bursa halte ich für verhärtete Spermamasse,
den Cirrus für ein Kunstproduct.
Die Geschlechtsorgane des erwachsenen weiblichen Thiers
bestehen ausser dem bei Beschreibung der Larve erwähnten
Uterus sowie dem Receptaculum seminis aus den gleichfalls ge-
nannten 5, den Körper der ganzen Länge nach durchsetzenden,
1) Ricerche etc., pag. 49.
2) Anatomie des Gordiens, pag. 207.
3) Anatomie des Gordiens, pag. 207.
4) Zur Morphologie ete., tab. XV, Fig, 8 be; tab. XVI, Fig. 46 cl.
Ueb. d. Entwieklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 265
parallel neben einander verlaufenden Röhren, den beiden Ovarien,
den beiden Eiersäcken und dem Rückencanal.
Die Ovarien sieht man bei jungen Weibchen als prall mit
Zellen gefüllte Organe (Fig. 27, 28, 29b); sie beginnen dicht
hinter dem Kopfe und werden bald so mächtig, dass sie die
Seitenhälften des Körpers derart erfüllen, dass zwischen ihnen
nur ein schmaler Raum bleibt, der von den anfangs leeren Eier-
säcken, der Leibeshöhle mit dem Darm und dem Bauchnerven-
strang eingenommen wird (Fig. 29).
Die Entwicklung und Fortleitung der Eier vollzieht sich in
sehr merkwürdiger Weise; die Ovarien füllen sich prall mit
gekernten Eizellen, welche sich als Tochierzellen in Mutterzellen
(Fig. 27 b) bilden und sich bald polygonal an einander abplatten;
obgleich nun die parallel mit und nach innen von ihnen verlau-
fenden Eileiter (Fig. 27, 28, 29a) selber keine Eizellen produeiren,
füllen sich diese doch mit der fortschreitenden Entwicklung des
Weibchens mit solchen, was in der Weise geschieht, dass an
bestimmten Stellen die Scheidewand zwischen beiden Röhren
schwindet und die Eizellen aus den Ovarien in die Eileiter
hineinwuchern (Fig. 30), wie Vejdovsky!) diese Communication
schon beobachtet hat. In dieser Periode ist ein Rückencanal
noch nicht entwickelt.
Ein ganz anderes Bild gewähren alte Weibehen. Hier be-
obachtet man, wie die eibildenden Drüsen nur an der Innenwand
der Ovarien, da wo Eiersäcke und Leibeshöhle an einander
grenzen, ihren Sitz haben (Fig. 31b), und wie die Eier an der
Innenseite der Ovarien entstehen, um in deren Hohlraum zu
fallen, den Vejdovsky mit Leibeshöhle oder Cölom bezeichnet.
Bei diesen alten Weibchen sieht man also 6 parallele Hohlräume,
in der Bauchgegend die Leibeshöhle mit dem Darm, nach dem
Schwanzende zu auch das Receptaculum seminis enthaltend (Fig. 31f),
seitlich die Ovarien (a u. b), zwischen ihnen nach der Rücken-
gegend zu die leeren Eileiter (c) und in der Rückenlinie den von
Vejdovsky?°) gefundenen Rückencanal, über dessen Function er
unklar ist. Villot?) nennt ihn richtig einen fünften zum Genital-
1) Studien über Gordiüiden I, tab. XVII, Fig. 7, 9, 10.
2) Zur Morphologie ete., pag. 408—409.
3) Anatomie des Gordiens, pag. 201—202,
266 Dr. v. Linstow:
apparat gehörigen rudimentären Canal. Bei einem alten Weibchen,
dessen Eiablage fast vollendet war, fand ich ihn der ganzen
Länge nach mit Eiern gefüllt; hier waren die Lücken in den
Wandungen zwischen Ovarien und Eiersäcken wieder vollständig
geschlossen, dieselben bestehen also nur zeitweise, und halte ich
den Canal für einen in diesem Reifestadium in Function treten-
den Verbindungsgang zwischen Ovarien und Eiersäcken; am
Schwanzende tritt der Canal von der Rückenlinie etwas nach der
Bauchseite zu und wird sehr in die Breite gezogen!) und die
beiden Seitenenden werden in die Hinterenden der Ovarien über-
gehen; der Canal wird nun die Eier nach vorn leiten und sich
hier links und rechts in die Eileiter öffnen; welche sie wieder
nach hinten führen, um sie in den Uterus zu übertragen. Ich
kann bestimmt versichern, bei Thieren, deren Eiablage fast vollendet
ist, auf zahlreichen Serienschnitten die Wandung zwischen Ovarien
und Eiersäcken stets intact und ohne Oeffnungen gefunden zu
haben, wie dasselbe der Fall ist, wenn in ganz jungen Weibchen
die Eiersäcke noch leer sind (Fig. 28 u. 29). Wir finden somit
vier sehr verschiedene Entwicklungszustände der weiblichen Geni-
talien, die den Fig. 16, 29, 30 und 31 entsprechen. Begrenzt
wird das Ovarium aussen von einer einzelligen Schicht (Fig. 31),
einem Rest des Zellkörpers, von Vejdovsky als Epithel be-
zeichnet.
Die Ovarien reichen bis dicht an das Kopfende heran;
die Eier entstehen, wie die Samenkörperchen im Hoden, zuerst
im hintersten Theile des Ovarium, dann allmählich fortschreitend
weiter vorn. Die erste Anlage der Ovarien besteht aus 0,026 mm
grossen, kugelförmigen Zellen, den erwähnten Mutterzellen der
Eizellen (Fig. 27).
Verwandt sind die Gordien einerseits mit den Annulaten durch
die Segmentirung des Zellkörpers und der Ovarien, durch die
Duplieität der männlichen Organe und den an der Bauchseite
verlaufenden Nervenstrang, andererseits aber durch ihre von
Camerano?) beschriebene Embryogenie mit den Nematoden.
1) Vejdovsky. |. c. tab. XVI, Fig. 64 c.
2) I primi momenti della evoluzione dei Gordii, Torino 1889.
Ueb. d. Entwieklungsgeschichte u. d. Anatomie v. Gordius tolosanus Duj. 267
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XTY—XVI.
Die Figuren 1—14, 16—24 beziehen sich auf Larven aus Käfern. 15,
25—32 auf im Wasser gefundene Exemplare.
Fig.
Fig.
1. Scheitelpartie des Kopfendes.
2—6 Kopfende, a Kopfganglion und Nervenstrang, b Mundbecher und
Oesophagus, Querschnitt.
Fig. 7. Längsschnitt durch das Kopfende, a Kopfganglion, a Mundbecher.
Fig. 8. Querschnitt durch eine männliche Larve. a Epidermis, b Cutis
Fig.
Fig.
oO
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
. 17. a Eileiter, Ende der Eiersäcke, b Darm, ce Uterus.
. 18. a Darm, b Uterus mit pilzförmigen Wucherungen.
oder Derma, e Hypodermis, d Muskulatur, e Nervenstrang, f Darm,
g Zellkörper, h Leibeshöhle, i Hohlraum der zukünftigen Hoden.
9—14, männliches Schwanzende.
10a, Muskulatur.
lla, Muskulatur, b getheilter Nervenstrang, e Darm, d Vas efferens.
15. Junges, freilebendes Männchen, a samenbildende Hodenzellen.
16—20. Hinterleibsende der weiblichen Larve.
16. a Hohlraum der zukünftigen Eiersäcke, b Leibeshöhle.
. 19. a Darm, b Uterus mit Netzwerk von einzelligen Drüsen.
. 20. Cloakenmündung.
. 21. a Epidermis, b Cutis oder Derma, e Hypodermis, d Muskeln, e Zell-
körper, f Epithel. Längsschnitt.
. 22. Längsschnitt durch den Nervenstrang.
. 23. Längsschnitt durch den Darm.
. 24. Querschnitt durch die Muskulatur, a contractile Substanz, b Kern,
c Marksubstanz, d Hypodermis. Hämatoxylinfärbung.
. 25. Querschnitt vom Kopfende dicht hinter dem Scheitel. a Ocellen mit
einem Pigmentringe.
g. 26. Querschnitt durch die Bauchhälfte des Hodens. a Hodenparenchym,
b—g die fortschreitende Entwicklung der samenbildenden Zellen,
268 Dr. v. Linstow: Ueb. d. Entwicklungsg. u. d. Anat. v. Gordius tolosan. Duj-
Fig. 27—29 ganz junges, freilebendes Weibchen. a Eiersäcke, b Ovarien.
27 ganz vorn am Kopfende, 23 vom mittleren, 29 vom hinteren
Körperdrittel.
Fig. 50. reifes Weibchen. a Eiersäcke, b Ovarien.
Fig. 31. Weibchen bei fast vollendeter Eiablage. a Hohlraum des Ovarium,
b Drüsenzellen des Ovarium, cEiersack, d Rückenkanal mit Eiern,
e Leibeshöhle, f Receptaculum seminis.
Fig. 32. Samenkörperchen.
Se
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des
Menschen ').
Von
Dr. med. W. Nagel,
Assistenzarzt der Universitäts-Klinik des Herrn Geheimen Medicinal-Raths
Prof. Dr. Gusserow in Berlin und Docent der Geburtshülfe und Gynäkologie.
Hierzu Tafel XVII, XVII, XIX u. XX.
I
Einleitung ; allgemeine Beschreibung des Urogenitalapparates
zweier junger menschlicher Embryonen von 12 und 13 mm Länge.
Die dieser Arbeit zu Grunde liegenden Untersuchungen sind
im Berliner I. anatomischen Institute ausgeführt und haben
vor reichlich 2 Jahren ihren Anfang genommen.
Es war anfänglich meine Absicht, nur Säugethierembryonen
zu diesen Untersuchungen zu verwenden, weil diese in stets ge-
nügender Zahl und Frische am hiesigen Orte leicht zu haben sind
und weil es mir damals als ein frommer Wunsch erschien, ver-
werthbare menschliche Embryonen aus den ersten Wochen in
senügender Zahl zu erlangen.
In meiner Thätigkeit als Assistenzarzt der geburtshülflichen
Poliklinik der Königlichen Charit& hatte ich indessen das Glück,
nach und nach so gut erhaltene menschliche Objeete zu sammeln,
dass ich alsbald die menschlichen Embryonen als hauptsächliches
Untersuchungsmaterial verwerthen konnte.
1) Diese Arbeit ist mit Unterstützung der Stiftung der Gräfin Louise
Bose ausgeführt.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 18
270 Dr. med. W. Nagel:
Vervollständigt wurde meine Sammlung durch freundliche
Geschenke einiger Collegen, der Herren Doctoren Fischelis,
Flaischlen, A. Martin, Schwabach und Hensoldt. Vor
allem aber dadurch, dass mein hochverehrter Lehrer und Chef,
Herr Geheime Medicinalrath Professor Dr. Gusserow, mir
sämmtliche in seiner geburtshülflich-gynäkologischen Klinik ge-
borenen Embryonen in dankeswerthester Weise zur Verfügung
stellte.
Ich war also in den Stand gesetzt eine ziemlich vollständige
Reihe guter menschlicher Embryonen aus dem zweiten Monate,
um welche Zeit die wichtigsten Vorgänge in der Entwicklung des
Sexualapparates sich abspielen, zu untersuchen und lernte recht
bald einsehen, ein wie werthvolles Untersuchungsobjeet der mensch-
liche Embryo ist. In der Klarheit der histologischen Verhältnisse
übertrifft er bei Weitem die mir bekannten Embryonen der höheren
Säugethiere und es wird demnach Niemanden wundern, dass ich
es vorzog, die für den Menschen gefundenen Thatsachen als die
maassgebenden zu betrachten und geduldig auf neues Material zu
warten.
Hierin liegt zum Theil die Ursache für die lange Zeit, welche
ich auf diese Arbeit verwenden musste, denn es bleibt trotz aller
Mühe immer dem glücklichen Zufall überlassen, wie reichlich das
Material fliesst. Eine andere und nicht minder wichtige Ursache
dafür, dass die ausführliche Darstellung meiner Untersuchungen
später der Oeffentlichkeit übergeben wird als mir erwünscht war,
ist die, dass ich meine Untersuchungen nur in den Stunden der
Musse, welche meine amtlichen Pflichten und meine Fachstudien
mir übrig liessen, anstellen konnte. Ich führe dieses an, damit
ınan nicht aus der darauf verwendeten Zeit zu grosse Erwartun-
gen auf den Inhalt dieser Arbeit stellen soll. Ich habe mich be-
strebt, die einmal begonnene Arbeit zu einem würdigen Abschluss
zu bringen und habe mich ferner bestrebt, mich möglichst aus-
giebig mit der einschlägigen Literatur bekannt zu machen. Ich
weiss aber sehr wohl, dass trotzdem viele Lücken geblieben sind
und dass vieles noch einer eingehenden Untersuchung bedarf.
Der Director des I. anatomischen Instituts zu Berlin, Herr
Geheime Medicinalrath Professor Dr. Waldeyer, hat mir wäh-
rend dieser Untersuchungen mit nie ermüdender Bereitwilligkeit
zu Seite gestanden und ich spreche Ihm an dieser Stelle für
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 271
seine freundliche Theilnahme und seine werthvollen Rathschläge
meinen tiefgefühlten Dank aus.
Die Verhältnisse der grossen Stadt führen es mit sich, dass
sehr viele Frauen abortiren, ohne dass eine Erkrankung des Eies
hieran Schuld ist; somit ist es erklärlich, dass ein verhältniss-
mässig grosser Theil meiner Embryonen gut erhalten war. Und
dass dieselben frisch, das heisst wenige Stunden nach der Geburt,
in die Härtungsflüssigkeit eingelegt werden konnten, hat darin
seinen Grund, weil sämmtliche Aborte, von welchen die Embryonen
stammen, unter sachverständiger, zum Theil unter meiner persön-
lichen Ueberwachung abliefen.
Als Härtungsflüssigkeit wurde Alcohol, Müller’sche Flüssig-
keit, Fol’sche und Flemming’sche Lösung verwendet: Nach
meinen Erfahrungen verdient die letztgenannte den Vorzug, weil
sie die histologischen Verhältnisse der verschiedenen Gewebe am
besten zu bewahren vermag. Dieser Vorzug der Flemming’schen
Lösung tritt am deutlichsten an den epithelialen Geweben zu Tage:
die weiter unten geschilderte Entwickelung des Müller’schen
Ganges dem Wolff’schen Kanale entlang habe ich nur an Em-
bryonen, welche inFlemming’scher Lösung gehärtet waren, mit
überzeugender Klarheit erkennen können.
Nach 24 stündigem Aufenthalte in Flemming’scher Lösung
wurden die Embryonen einige Stunden in fliessendes oder oft er-
neutes Wasser gelest und dann in Alcohol nachgehärtet.
Zum Färben der Präparate habe ich mit Vorliebe Hämatoxy-
lin gebraucht. Zum Durchfärben von Embryonen, welche in Aleo-
hol oder Müller’scher Flüssigkeit gehärtet worden sind, genügt
eine 3tägige Behandlung mit einer nicht zu verdünnten Lösung
des genannten Färbemittels. Embryonen, welehe in Chrom-Osmium-
Essigsäure gehärtet sind, müssen dagegen 12—14 Tage in der
Hämatoxylinlösung verweilen; trotzdem gelingt es nicht immer,
eine Durchfärbung zu erzielen. Indessen wird, wie schon erwähnt,
durch die Flemming sche Lösung allein eine so vollkommene
histologische Trennung der Gewebe erzeugt, dass eine Färbung
nicht unbedingt nothwendig ist, gelingt sie aber, so zeigen sich
die Umrisse der einzelnen Zellen manchmal so scharf, als wären
sie mit einem Messer geschnitten. Nach vollzogener Färbung und
272 Dr. med. W. Nagel:
nach den üblichen Vorbereitungen wurden die Präparate in der
bekannten, von Altmann angegebenen Weise in Paraffin einge-
schmolzen, mit einem Microtom zerlegt, Schnitt für Schnitt auf
den Objeetträger gebracht und reihenweise geordnet.
Wie aus dem Nachfolgenden hervorgehen wird, habe ich die
verschiedenen Embryonen sowohl in Querschnitten, wie auch in
Längs- und Frontalschnitten zerlegt.
Die beiden jüngsten bis dahin von mir untersuchten mensch-
lichen Embryonen, deren Erhaltungszustand ein so vorzüglicher
war, dassich ohne weiteres die an diesem ermittelten Befunde als
die wichtigsten betrachten darf, maassen — in gehärtetem Zu-
stande — 12 und 13 mm.
Den einen von diesen, Embryo F, habe ich gehärtet von
Herrn Dr. Fischelis aus Moskau bekommen. Der andere, Embryo
M, welchen ich Herrn Dr. A. Martin verdanke, ist vor meinen
Augen aus dem Uterus mittelst Curette hervorgeholt worden. Der-
selbe war klar und durchscheinend und an der Oberfläche konnte
man deutlich zahlreiche, mit Blut gefüllte Gefässe erkennen, welche
dem Embryo einen röthlichen Schimmer verliehen. Am Kopfe
war er durch die Curette etwas verletzt worden, der übrige Kör-
per aber war wohl erhalten. Der Embryo wurde sofort in Mül-
ler’sche Flüssigkeit gelegt und in der bekannten Weise nach-
behandelt.
Da menschliche Embryonen von dieser Entwickelungsstufe ein
besonderes Interesse beanspruchen, so halte ich es für zweck-
mässig, eine genauere Schilderung des gesammten Urogenitalsy-
stems der beiden genannten Embryonen vorauszuschicken, selbst
auf die Gefahr hin, hier und dort schon Bekanntes zu bringen.
Von den älteren Embryonen dagegen werde ich nur bei der Be-
sprechung der Entwickelung der einzelnen Organe dieses oder jenes
Präparat in systematischer Weise beschreiben, insofern es mir,
behufs besserem Verständniss der Entwickelungsvorgänge, erforder-
lich scheint.
Embryo F.
Länge („die längste durch den Körper führbare Gerade“
[His]) 12 mm.
An den vorderen Extremitäten sieht man die Anlagen der Finger
als radiär verlaufende Verdiekungen des blattförmigen peripheren
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 273
Endes derselben. An den hinteren Extremitäten erkennt man
makroskopisch keine solche Anlage. Die Bauchhöhle war ge-
schlossen.
Die Urnieren liegen zu beiden Seiten der Wirbelsäule als
walzenförmige, in die Bauchhöhle frei hereinragende Körper. Ihr
oberes Ende reicht bis zu unterster Grenze der Lungenanlage,
also bis in die Gegend des späteren Zwerchfells.
Die W olff’sehen Körper sind überall an ihren freien Flächen
mit einem, weiter unten näher beschriebenen, Cylinderepithel
bekleidet und bestehen aus Gefässen, Malpighi’schen Körperchen,
in den Ausführungsgang (Wolff’schen Gang) einmündenden Quer-
kanälchen und aus Zwischengewebe. (Siehe Fig. 1 Tafel XVII.)
Die Glomeruli liegen alle in dem medialen Theile der
Urniere, sind dicht aneinander gereiht und finden sich noch in
dem proximalen Ende des Organes. Dieselben messen durch-
schnittlich 80 X 112 « und zeigen den bekannten Bau: in eine Er-
weiterung des blinden Endes des Querkanälchens hinein ragt ein
mit Epithel bekleideter Gefässknäuel. Die gegenüberliegende
Wand des Querkanälchens, die Bowman ’’sche Membran, ist theils
mit platten Epithelzellen bekleidet, theils mit cubischen, welche
sich in nichts von denjenigen der übrigen Kanälchen unterscheiden.
Der Uebergang von einem Epithel zum anderen ist ein all-
mählicher.
Die Querkanälchen haben einen vielfach gewundenen
Verlauf; ein Unterschied des Epithels in den verschiedenen Ab-
schnitten derselben lässt sich nicht erkennen. Stellenweise sieht
man bei Durchmusterung der aufeinander folgenden Querschnitte,
dass Kanälchen, welche bis dahin ein deutliches, regelmässiges
Lumen gehabt haben, auf einmal dieses einbüssen und als solide
Sprossen durch einige Schnitte hindurch zu verfolgen sind.
Der Wolff ’sche Gang verläuft an der Aussenseite des
Wolff’schen Körpers; im distalen Theile liegt er dem Oberflächen-
epithel näher, als im proximalen Abschnitte des Organs. Die Ent-
fernung zwischen Wolff’schem Gange und der Oberfläche beträgt
in dem proximalen Theile 6«. Der Wolff’sche Gang ist leicht
erkenntlich dadurch, dass er in seiuem ganzen Verlaufe Quer-
kanälchen in sich aufnimmt.
Das Epithel der freien Fläche der Urniere ist einschichtig
und besteht aus dieht aneinander gereihten Cylinderzellen, welche
274 Dr. med. W. Nagel:
eine Länge von 14—19 u. besitzen und mit einem länglichen Kern
versehen sind. Durch dieses Verhalten steht es in auffallendem
Gegensatze zu dem Peritonealepithel (sowohl des parietalen wie
des visceralen Blattes), indem das letztgenannte aus niedrigen, 3 u
messenden, cubischen Zellen besteht. Es scheint ferner, als wäre
das Oberflächenepithel besonders stark entwickelt an einem be-
stimmten Bezirk der äusseren Fläche der Urniere, indem die Höhe
des Epithelsaums stellenweise 24 « beträgt, auch habe ich hier die
grössten Cylinderzellen gefunden. Auf Querschnitten erkennt man,
dass die ebenerwähnte Epithelverdickung hauptsächlich denjeni-
gen Theil betrifft, wo der Wolff’sche Gang verläuft. Man hat
sich also die Epithelverdiekung als einen die ganze Länge des
Wolff’schen Körpers einnehmenden breiten Wall vorzustellen.
An dem proximalen Ende der Urniere, jenseits des abdominalen
Endes des Müller’schen Ganges, ist der Wall schmaler, als weiter
distalwärts (vergl. Figg. 29 u. 30, Tafel XIX). In der oberen
Hälfte der Urmiere verläuft neben dem Wolff’schen Gange,
und zwar mehr nach aussen, ein zweiter Kanal, welcher mit
einem von demjenigen des Wolff’schen Ganges wohl zu unter-
scheidenden hohen, 13—19 « messenden, Cylinderepithel ausgeklei-
det wird und welcher weder mit dem Wolff’schen Gange, noch
mit den übrigen Kanälchen der Urniere in Verbindung steht.
Dieser Gang, den ich als den Müller’schen deute, ist an
seinem distalen Ende geschlossen und liegt dem Wolff'schen
Gange dicht an. Sein proximales Ende bildet dagegen eine offene,
sich deutlich abflachende Rinne (s. weiter unten).
An der Innenseite des Wolff’schen Körpers, an derselben
Stelle, wo auch bei den meisten übrigen Wirbelthieren die erste
Anlage der Sexualdrüse zu sehen ist (Waldeyer), erkennt man
die Keimdrüsenanlage (s. Figg.1 u. 3, Tafel XVID. Dieselbe be-
steht hauptsächlich aus epithelialen Elementen, welche
gegen das Stromagewebe des Wolff’schen Körpers deutlich ab-
zugrenzen sind. Eine bestimmte Anordnung der Zellen lässt sich
nicht erkennen. Das Organ kenntzeichnet sich als eine Verdiekung
des Keimepithels, als ein Epithelwulst. An der Oberfläche
dieses Wulstes stehen die Keimepithelzellen dieht gedrängt, gehen
aber ununterbrochen in die tiefer liegenden Zellschichten über
(s. Fig. 13, Tafel XVII). In der ganzen Keimdrüsenanlage zerstreut,
auch in der eben erwähnten peripheren Schicht, sieht man zahl-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 275
reiche grosse Zellen mit hellem Protoplasma und mit grossem
blassen Kern, welcher meist ein deutliches Kerngerüst mit Ver-
diekungen der Kernfäden an den Kreuzungsstellen trägt. Die
srössten dieser Zellen messen 16 «4, die Kerne I«. Jedoch trifft
man überall zahlreiche Uebergangsformen bis zum Umfange der
gewöhnlichen Keimepithelzellen, aus welchen sie also hervorge-
gangen sind.
Ein Stroma, insofern man hierunter das bindegewebige
Gerüst (mit Gefässen und Nerven) der Keimdrüse versteht, besteht
um diese Zeit nicht. Hie und dort, besonders in der Nähe des
Hilus, sieht man einzelne zarte Züge embryonalen Bindegewebes;
hie und dort verzweigen sieh einzelne Capillaren: das ist die erste
Anlage des Keimdrüsenstromas.
Distalwärts verjüngen sich die Wolff’schen Körper allmäh-
lich; die Glomeruli verschwinden, so dass das unterste Ende der-
selben nur den Wolff’schen Gang nebst embryonalem Bindege-
webe enthält. Man muss sich also die distalen Enden vorstellen
als zwei seitlich von der Rückenwand des Embryo sich erhebende
Falten, in deren Spitzen je ein Wolff’scher Gang verläuft: die
Wolff’schen Körper gehen nach und nach in die Plicae uroge-
nitales (Waldeyer) über, in welchen die Wolff’schen Gänge
bis zum Sinus urogenitalis verlaufen (s. Fig. 2, Tafel XVII). Die
Plieae urogenitales sind noch vollständig von einander getrennt;
ein Genitalstrang im Sinne von Thiersch besteht demnach um
diese Zeit nicht.
Die Einmündungsstelle des Wolff’schen Ganges liegt nach
innen von derjenigen des Nierenganges und etwas oberhalb
dieser; die Entfernung der Mündungen beträgt auf jeder Seite 3 u.
Das Epithel des Sinus urogenitalis ist cubisch, dasjenige der
genannten Gänge eylindrisch; an den Mündungen ist der Ueber-
gang der beiden Epithelarten jedoch kein scharfer, indem das
Epithel des Sinus urogenitalis an der genannten Stelle höher er-
scheint als anderswo.
Auf dem Quersehnitte zeigt sich der Sinus urogenitalis, auf
der Höhe der Einmündungen der genannten Gänge, als ein halb-
mondförmiger Spalt, der Form des Cavum Douglasii genau ent-
sprechend. Verfolgt man ihn aber durch Reihenschnitte proximal-
wärts, so sieht man, dass er alsbald eine Ausbuchtung treibt nach
der peritonealen Fläche der Bauchwand hin; diese Ausbuchtung
276 Dr. med. W. Nagel:
schnürt sich allmählich gänzlich von dem Sinus urogenitalis (bezw.
'Urachus) ab, um als selbständiger Gang, Allantoisgang, zwischen
den beiden Aa. umbilicales zu erscheinen; dicht unterhalb des
Peritoneums der Bauchwand verlaufen alsdann die drei Gebilde
nach dem Nabel hin. Der Allantoisgang verjüngt sich aber all-
mählich, und noch vor dem Verlassen der Bauchwand hat er sein
Lumen eingebüsst, ist also atrophirt (s. weiter unten).
Distalwärts hat der Sinus urogenitalis auf dem Quer-
schnitte eine ovale Form und ist mit einem cubischen, anschei-
nend mehrschichtigen, Epithel bekleidet. Rectum und Sinus
nähern sich immer mehr einander, um sich schliesslich zur Cloake
zu vereinigen.
Die Cloake ist mit zweierlei Epithel bekleidet: die vordere
Wand mit einem eubischen (Epithel des Sinus), die hintere Wand
und der grösste Theil der beiden seitlichen Wände mit einem
cylindrischen (Epithel des Rectums); der Uebergang von dem einen
Epithel zum anderen ist aber ein allmählicher.
Die Nierenanlage ist eine doppelte und liegt zwischen
Wirbelsäule und dem unteren Theil der Urniere. Bei älteren
Embryonen liegt die Niere bekanntlich vielmehr kopfwärts und
zwar am oberen (proximalen) Ende der Urniere.
Den Embryo habe ich, vom Schwanzende anfangend, in Quer-
schnitten zerlegt. Die Schnittrichtung bildete aber keinen rechten
Winkel mit der Körperaxe, indem der erste Schnitt den höchsten
Punkt der unteren Rückenkrümmung tangirte. Sobald ich mich
durch die Wirbelsäule durchgearbeitet hatte, traf ich die Nieren-
anlagen: Niere und Wolff’scher Körper wurden nirgends von
einem und demselben Schnitte getroffen; hieraus schliesse ich auf
die soeben bezeichnete topographische Lage der Nierenanlage, welche
folgendes Verhalten zeigt:
Jede Niere besteht aus einem länglichen, eine Erweiterung
des Nierenganges darstellenden, epithelialen Schlauch, welcher
mehrfache Ausbuchtungen treibt. Die grösste Länge des Schlauches
(Nierenbecken) beträgt 352 u; die grösste Breite einer der
Ausbuchtungen (Anlage der Harnkanälchen) beträgt 64 u. Die
ganze epitheliale Anlage wird umgeben von einer Form dicht ge-
drängter Bildungszellen !), wodurch die Nierenanlage sich sehr deut-
1) Indem ich hier und in dem Folgenden diesen allgemein üblichen ,
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 277
lich von der Umgebung abhebt (s. weiter unten). Die Zellen des
Nierenbeckens und der jungen Harnkanälchen sind hohe Cylinder
mit länglichen Kernen und messen 16... Dieselben lassen sich
überall deutlich von den umgebenden Bildungszellen abgrenzen;
nur in den mehr peripher gelegenen Theilen sieht man an einzel-
nen Stellen eigenartige Zustände, welche vielleicht als erster An-
fang der später zu beschreibenden Entwickelung der Glomeruli
aufzufassen sind. In den äussersten Schichten der Nierenanlage,
so wie hie und dort zwischen den einzelnen Harnkanälchen, sind
die Bildungszellen stellenweise von spindelförmiger Gestalt und
in regelmässigen Zügen geordnet: die erste Anlage der Nieren-
kapsel und des Zwischengewebes.
Der Nierengang verlässt das Nierenbecken an dessen
tiefster, distalwärts gelegener Stelle, macht bald nach seinem
Austritte eine leichte Schwenkung nach vorne und mündet in der
oben beschriebenen Weise in den Sinus urogenitalis.
Der Nierengang (s. Fig. 2, Tafel XVII) misst in der Quere
34 u und ist mit einer Schichte eireulär geordneter Bildungszellen
umgeben. Sein Epithel zeigt dasselbe Verhalten wie dasjenige des
Nierenbeckens.
Embryo M.
Länge 13 mm. An beiden Extremitäten erkennt man die An-
lage der Finger bezw. der Zehen.
Die Urnieren zeigen einen ganz ähnlichen Bau wie bei
dem vorigen Embryo; in dem medialen Theile findet man auch
im proximalen Ende zahlreiche und wohlerhaltene, 114 X 147 u
messende, Glomeruli, von welchen aus die Querkanälchen unter
mässiger Schlängelung bis zum Wolff’schen Gange verlaufen, in
dessen obere mediale Wand sie einmünden.
An den Querkanälchen unterscheidet man weitere und schmä-
lere Abschnitte, ein Unterschied des Epithels besteht aber nicht;
nur an der, dem Glomerulus gegenüberliegenden Wand des Harn-
kanälchens, der Bowman’schen Membran, bemerkt man einen
solchen, indem die Epithelzellen an dieser Stelle platt sind.
Der Wolff’sche Gang verläuft an der äusseren Seite der
nieht ganz klaren Ausdruck gebrauche, schicke ich die Bemerkung voraus,
dass ich unter „Bildungszellen“ diejenigen Elemente verstehe, aus welchen
die nicht epithelialen Bestandtheile eines Organs ihren Ursprung nehmen.
278 Dr. med. W. Nagel:
Urniere, misst in der Quere Al. und nimmt mit regelmässigen
Zwischenräumen ein Querkanälchen auf.
Proximalwärts reichen die Wolff’schen Körper bis zur Zwerch-
fellsanlage; links trifft man mit demselben Schnitte sowohl Wolff-
schen Körper wie Lungenanlage.
In diesem Theile des Wolff’schen Körpers — oberhalb des
abdominalen Endes des Müller’schen Ganges — trifft man nur
Kanälchen kleineren Kalibers, welche sich erst weiter distalwärts
zu einem Ausführungsgange (W olff’schen Gange) vereinigen. Ob
bei diesem Embryo die erwähnten Kanälchen mit der Bauchhöhle
in Verbindung stehen, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu ent-
scheiden; jedenfalls gehen sie bis dicht an das Oberflächenepithel
heran.
In dem oberen, proximalen Theile der Urniere — in gleicher
Höhe mit dem proximalen Ende der Sexualdrüsen — bemerkt man
neben dem Wolff’schen Gange, und zwar mehr nach aussen, den
Müller’schen (s. Figg. 3 u. 4, Tafel XVII). Dieser ist leicht kennt-
lich durch sein hohes, dicht stehendes, 16 u messendes Cylinder-
epithel.
Das distale Ende des Müller’schen Ganges steht, in später
zu beschreibender Weise, mit dem Wolff’schen Gange in Be-
rührung.
Auf der linken Seite — vielleicht weil die Gänge innerhalb
des W olff’schen Körpers nicht parallel mit der Körperaxe laufen
und also etwas schräg getroffen sind — ist der Müller’sche Gang
nur durch 8 Schnitte (& 0,02 [Schantz]) hindurch als selbständiger
Kanal zu verfolgen; auf dem 9. Reihenschnitte fängt die abdomi-
nale (proximale) Oeffnung an, welche als sich allmählich abflachende
Rinne noch durch einige Schnitte zu verfolgen ist (s. Fig. 3,
Tafel» RVID;
Auf der rechten Seite ist der Müller’sche Gang auf 34
Reihenschnitten als vollständiger Kanal zu erkennen; auf dem
35. Schnitte (proximalwärts) fängt das abdominale Ende an, wel-
ches genau dasselbe Bild einer sich allmählich abflachenden Rinne,
wie auf der linken Seite, bietet. Sein distales Ende liegt dem
Wolff’schen Gange ‚dieht an, ohne Verbindung mit dem Ober-
flächenepithel. "An Schnitten unterhalb dieser Stelle ist nichts
mehr vom Müller’schen Gange zu erkennen.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 279
An der Innenseite des Wolff’schen Körpers, an derselben
Stelle wie bei dem vorigen Embryo, erkennt man die Anlage der
Sexualdrüse (s. Fig. 18, Tafel XVIII). Dieselbe erhebt sich als
0,5 mm breiter und 0,3 mm hoher Wulst, welcher der Hauptsache
nach aus epithelialen Elementen besteht und deutlich gegen das
Stromagewebe des Wolff’schen Körpers abzugrenzen ist. In die-
sem Keimepithelwulst bemerkt man ganz deutlich eine gewisse
regelmässige Anordnung der Zellen; sie bilden geschlängelte Stränge,
welche theils unter sich, theils mit der Oberfläche in Verbindung
stehen (s. Fig. 18, Tafel XVII). Zwischen den genannten Strängen
erkennt man ferner, aber nur an der Basis des Organs, spärliche
Züge von zartem embryonalen Bindegewebe mit spindelförmigen
Zellen und begleitenden Capillaren. Endlich sieht man über das
ganze Organ vertheilt einzelne grosse Zellen, die sofort durch
ihren blassen 8 « grossen Kern, welcher ein Kerngerüst trägt, in
die Augen fallen. Im Vergleich mit dem vorigen Embryo ist die
Zahl der grossen Zellen eine sehr geringe: man trifft auf jedem
Schnitte nur 2—5 solche; daneben einzelne Uebergangsformen.
An der Oberfläche des Epithelwulstes sind die Keimepithelzellen
dieht aneinander gereiht und stehen, wie eben gesagt, in ununter-
brochener Verbindung mit den tiefer liegenden Zellen.
Die Wolff’schen Körper verjüngen sich distalwärts und gehen
in die Plicae urogenitales über, in deren Spitzen je ein
Wolff’scher Gang verläuft. Die Pliecae urogenitales sind bis zum
Sinus urogenitalis vollkommen von einander getrennt (s. Fig.
6—11, Tafel XVII); von einem Geschlechtsstrange ist also noch
nicht die Rede. Infolgedessen liegen auch die Mündungsstellen
der Wolff’schen Gänge in den Sinus urogenitalis ziemlich weit
von einander entfernt (s. Fig. 9—11, Tafel XVII).
Im Bereich der Plicae urogenitales haben die Wolff’schen
Gänge dieselbe Weite wie im Bereich der Urniere: in der Quere
messen sie je 33—41l u. Das Epithel ist ein niedrig eylindrisches
und misst 5 «u.
Das Oberflächenepithel des Wolff’sehen Körpers zeigt ein
ganz ähnliches Verhalten wie bei dem vorigen Embryo und ist
bedeutend höher als das Peritonealepithel. Im distalen Theil der
Urniere, an der äusseren Seite und zwar über dem Wolff’schen
Gange, sind die Epithelzellen am höchsten und messen 14 u.
An der Innenseite der Urniere geht die Epithelverdiekung
230 Dr. med. W. Nagel:
unmittelbar in den Keimepithelwulst über; aber auch im proximalen
‘Theile der Plicae urogenitales ist sie vorhanden. Der distale Theil
der Plieae dagegen ist mit — anscheinend — gewöhnlichem Pe-
ritonealepithel bekleidet. Der Uebergang zwischen den beiden
Epithelarten ist ein allmählicher.
Was die Anlage der Nieren betrifft, so sind die topogra-
phischen und anatomischen Verhältnisse im wesentlichen. den bei
dem vorigen Embryo geschilderten gleich. Jedoch ist die Ent-
wicklung weiter vorgeschritten, indem die ganze Anlage grösser
ist und mehr Harnkanälchen beherbergt; die letztgenannten stehen
alle in nachweisbarer Verbindung mit dem Nierenbecken. An
einzelnen Stellen der Harnkanälchen, wie es scheint an deren
blindem erweiterten Ende, ist die eine Wand nach innen einge-
stülpt; in der dadurch entstandenen Bucht liegt eine stärkere An-
häufung von Bildungszellen (Anlage eines Glomerulus). Von
einer Nierenkapsel ist noch nicht die Rede; in den peripheren
Theilen der Nierenanlage sind die Harnkanälchen mit der sie
umgebenden Schichte Bildungszellen von einander getrennt: sie
wachsen also wie auseinander gespreizte Finger in das umliegende
Gewebe hinein.
Der Nierengang verläuft hinten und seitlich von dem W olff-
schen Gange, macht weiter distalwärts einen seichten Bogen nach
vorn und mündet in den Sinus urogenitalis nach aussen von der
Mündungsstelle des Wolff’schen Ganges (s. Fig. 10 u. 11, Tafel
XVII), so ziemlich in derselben Höhe wie diese.
Mit dem Epithel misst der Nierengang in der Quere 23 u
und ist mit einer Schichte eireulär geordneter Bildungszellen um-
geben.
Die übrigen von mir bis dahin untersuchten menschlichen Em-
bryonen hatten eine Länge von 15 mm, 16 mm, 17mm, 13 mm, 20 mm,
22 mm, 23mm, 30mm. Es folgen dann eine Reihe älterer bis zu
einer Kopf-Steisslänge von 15 Centimeter. Aus jeder dieser Alters-
stufen kamen in der Regel mehrere Exemplare zur Untersuchung.
Auf eine systematische Beschreibung der Objecte verziehte
ich, indem ich es als zweekmässiger erachte, die gefundenen That-
sachen bei der nunmehr folgenden Besprechung der Entwickelung
der einzelnen Organe zu schildern.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 281
1 ph
Die Wolff’schen Körper.
Die erste Bemerkung über die Wolff’schen Körper (Oken-
sche, Primordialnieren (Jacobson), falsche Nieren (Rathke),
Urnieren) des Menschen finden wir, soweit ich habe ermitteln
können, in den Beiträgen zur vergleichenden Anatomie von J. Fr.
Meckel (47). Dieser Autor beschreibt mehrere menschliche
Früchte von unter 1 Zoll Länge; eine solche hat er geöffnet und
sagt (S. 71 u. 72): „Zu beiden Seiten des Körpers, in der Mitte
verschmolzen, liegt längs der ganzen Wirbelsäule bis zum Kopfe
hinauf eine längliche Masse, auf der ich zwar hier und da der
Länge nach verlaufende Einschnitte bemerkte, die sich aber nicht
deutlich in bestimmte Organe schied und endlich in den Nabel-
strang auslief.*“ Meckel stellt selbst die Frage: „War es die
gemeinschaftiiche Masse, aus welcher sich nachher Lungen, Leber,
Nieren, Nebennieren und Geschlechtstheile absondern? Woraus
hervorgeht, dass er aus dem untersuchten Embryo die wahre
Gestalt und Bedeutung der Wolff’schen Körper nicht hat erkennen
können. Es gebührt somit Johannes Müller (51) die Ehre,
die Wolff’schen Körper des Menschen zuerst genauer und richtig
beschrieben und die Entwickelung und Veränderung des Organs bei
einer ganzen Reihe von menschlichen Embryonen verfolgt zu haben.
Der kleinste der von J. Müller untersuchten Embryonen
hatte eine Länge von 8 Linien (= 20 mm). Bei diesem beschrieb
er die Nebennieren als sehr grosse, die Nieren bedeckende Organe,
die Niere mit dem Ureter, das keimbereitende Organ, den Wolff-
schen Körper und den ausführenden Geschlechtstheil, Duetus
deferens oder Trompete. Den Wolff’schen Körper beschreibt er
als ein langes plattes Organ, das an dem Geschlechtsgange wie
eine Federfahne an ihrem Kiel seitlich anhing.
J. Müller hebt das frühe Verschwinden des Woiff’schen
Körpers beim Menschen hervor, denn bei dem nächsten von ihm
untersuchten Embryo, welcher eine Länge von 1 Zoll hatte, ent-
deekte er zwischen Ausführungsgang und Keimdrüse (er lässt es
unentschieden ob Hoden oder Eierstock) den Rest des Wolff’schen
Körpers als eine schmale lange Spur. Nach seinen Beobachtungen
verschwinden die Wolff’schen Körper der männlichen Embryonen
ganz, der Nebenhoden ist dagegen ein neues Gebilde. Aus diesem
282 Dr. med. W. Nagel:
Grunde verwirft J. Müller die Rosenmüller’sche Annahme, dass
‘ der von dem genannten Autor beschriebene Körper (Corpus conicum,
siehe Rosenmüller (66)), das Pavorarium (im alten Sinne des
Wortes), dem männlichen Nebenhoden entspreche.
Dem ganzen Bau nach und in Erwägung, dass Jacobson
— bei den Vögeln (siehe Jacobson (30)) — nachgewiesen hat,
dass die Allantoisflüssigkeit in den ersten Tagen Harnsäure ent-
hält und solehe auch im Wolff’schen Körper in den Kanälchen
nachgewiesen werden kann, nimmt J. Müller an, dass die Wolff-
schen Körper secernirend sind, dass sie „in einem vicären Ver-
hältniss zu den Nieren, wie die Kiemen zu den Lungen stehen.“
Es ist bekannt, dass das Hauptverdienst J. Müllers darin
besteht, die Bedeutung der W olff’schen Körper für die Entwicke-
lung der Geschlechtsgänge entdeckt zu haben. Ich werde weiter
unten, in der Besprechung der une dieser Gebilde, das
Nähere hierüber berichten.
Rathke (60) beschreibt die Wolff’schen Körper (falsche
Nieren) bei zwei menschlichen Embryonen, von denen der grösste
7 Linien lang war. Die Ausführungsgänge fasst er in dem hier
angeführten Werke als Eier- und Samenleiter auf. (Später hat
er bekanntlich diese Ansicht geändert, siehe weiter unten.) Als
bemerkenswerthe Thatsache hebt er unter Anderem hervor, dass
bei dem Menschen im Vergleich zu unseren Haussäugethieren die
falschen Nieren eine nur geringe Breite und Dicke wahrnehmen
lassen, so dass es ihm demnach scheint, als erlangen diese Theile
beim Menschen nicht eine so hohe Bedeutung wie bei den übrigen
Säugethieren.
Valentin (75) scheint hauptsächlich Säugethierembryonen
untersucht zu haben und unterscheidet auch im Wolff’schen Körper
„zwei Substanzen“, nämlich die äussere Hälfte, welche beinahe
nur Kanälchen enthält, und die innere, welche zum grössten Theile
aus Verknäuelungen besteht. Valentin fügt die Bemerkung
hinzu: „ich muss offen bekennen, dass es mir trotz aller angewand-
ter Mühe bis jetzt noch nicht recht gelingen wollte, den unmittel-
baren Zusammenhang des Ganges mit den Kanälchen des Wolff-
schen Körpers bei den Säugethieren nachzuweisen.‘
Von jetzt ab, wo mit der Verbesserung der optischen Hülts-
mittel die Aufmerksamkeit der Forscher mehr dem feineren Bau
der Organe zugewandt wurde, verschwindet für eine Zeit lang der
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 283
menschliche Embryo als Untersuchungsobject. Man lernte bald
einsehen, dass dieses so schwer zu beschaffende Material in dem
Zustande, in welchem es meistens zur Beobachtung kommt, nicht
für derartige Untersuchungen geeignet war, und zog es vor, an
Thierembryonen die diesbezüglichen Untersuchungen anzustellen.
v. Baer (2) spricht nur von Thierembryonen und sagt
(Seite 220), dass — bei Säugethieren — die Primordialnieren ent-
stehen und verschwinden wie bei den Vögeln; er sagt ferner, dass
ihr Bau sehr deutlich den allgemeinen Charakter secernirender
Drüsen zeigt und er fasst sie desshalb als absondernde Organe auf.
Bischoff (10) bemerkt, dass man die Wolff’schen Körper
nur bei den jüngsten menschlichen Embryonen findet und dass
man im zweiten Monate nur noch schwache Ueberreste von ihnen
sieht. Mit J. Müller, Rathke, Jacobson und v. Baer be-
trachtet Bischoff die Wolff’schen Körper als absondernde
Organe.
Kobelt (35) verfolgt die Rückbildungsvorgänge des Wolff-
schen Körpers beim Menschen und den höheren Säugethieren; auf
Grund seiner Untersuchungen spricht er die Ansicht aus, dass
der Nebeneierstock des Weibes dem Nebenhoden des Mannes
gleich sei.
Kölliker (36) sah bei menschlichen Embryonen männlichen
Geschlechts aus der 11—12. Woche „einen ganz deutlichen Rest
der Urniere mit gefässhaltigen Malpighi’schen Körperchen
zwischen dem Samenleiter und Hoden.“
Kussmaul (42) bildet die inneren Geschlechtstheile (mit dem
Wolff’sehen Körper) einer menschlichen Frucht ab aus der 10— 12.
Woche (Fig. 6 a. a. O), und beschäftigt sich sonst ausgiebig mit
menschlichen Embryonen, ohne aber auf die Anatomie des Wolff-
schen Körpers einzugehen. Die Entwickelung des Uterus und der
Vagina aus den Müller’schen Gängen bildet den Gegenstand dieses
Abschnittes von dem angeführten berühmten Werk Kussmauls
und ich verweise desshalb auf die später folgende Besprechung
dieser Organe.
In seiner grundlegenden Arbeit beschäftigt sich Waldeyer
(77) eingehend mit der ersten Entwickelung des Wolff’schen
Körpers beim Hühnchen. Soweit Embryonen vom Menschen (ein
solcher von 12mm Länge) und Säugethier ihm zur Verfügung
284 Dr. med. W. Nagel:
standen hat Waldeyer ähnliche Entwickelungsvorgänge gesehen
. wie bei den Hühnern.
Auf Grund der Thatsache, dass die Urnierenkanälchen in
ihren verschiedenen Abschnitten mit einem verschiedenen Epithel
bekleidet sind, nahm Waldeyer, der die beiden Arten Epithel zuerst
genauer beschrieb, mit Rathke, Joh. Müller und Dursy (14)
an, dass es zweierlei Kanäle in der Urniere gäbe. Infolge dessen
unterschied Waldeyer im Wolff’schen Körper einen Urnieren-
theill und einen Sexualtheil; aus dem letzteren entsteht das
Epoophoron bezw. die Epididymis, aus dem ersteren das Parophoron
bezw. Paradidymis (Giralde&’s Corps innomine).
Die Verfasser, welche sich in Anschluss an Waldeyer
(Egli, Gasser, Romiti, Braun a. A.) und vor ihm (vor allem
Bornhaupt) um das Studium der Entwickelung des Urogenital-
systems Verdienste erworben haben, beschäftigen sich fast aus-
schliesslich mit Wirbelthierembryonen. Erst in den letzten Jahren
ist der menschliche Embryo wiederum Gegenstand der Untersuchung
geworden. Derselbe bildet fast ausschliesslich das Untersuchungs-
material in den Arbeiten von Meyer (49), van Ackeren (I),
Tourneux und Legay (71), Geigel!) und findet eine gebührende
Berücksichtigung bei Janosik (31 u. 32) und v. Michalkoviez
(50). In einem kurzen vorläufigen Bericht sagt Gasser (19) von
der menschlichen Urniere, dass man im unteren Theil derselben
viel länger Glomeruli und grosse Kanäle trifft als im oberen Theil;
gegen die Mitte des Organs hin nimmt allmählich die Zahl der
Querkanäle sowohl als der Glomureli ab. Zu einer gewissen Zeit
besteht die Urniere neben dem oberen Theil des Hodens fast nur
aus Querkanälen, es werden fast keine Glomeruli mehr getroffen
und dadurch leitet sieh eine Trennung der Urniere in 2 Abthei-
lungen ein, die späterhin noch schärfer heraustritt. Ferner sagt
Gasser, dass die Vereinigung von Urniere und Hoden nicht durch
das oberste Ende der Urniere bewirkt wird, sondern dass, wenn
auch nur sehr wenig mehr, doch noch ein kleiner Rest der Urniere
und ein kleines Stück des Urnierenganges jene Stelle kopfwärts
überschreitet. Eine Grundlage für das weitere Studium des
1) Ueber Variabilität in der Entwickelung der Geschlechtsorgane beim
Menschen. Verhandlungen der Physical.-Mediein. Gesellschaft zu Würzburg.
1883. N. Folge XVII, Nr. 6.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 285
menschlichen Embryo hat His geschaffen in seinem grossen
Werke: Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig 1850—1885.
Die Neuzeit hat fast nichts über die makroskopischen Ver-
hältnisse des inneren Urogenitalsystems des Menschen hinzuzufügen.
Nur das, was wegen Mangel an geeigneten Hülfsmitteln den Augen
der älteren Forscher verschlossen blieb, ist einer Aufklärung be-
dürftig und hier bietet sich allerdings ein Feld, welches für unab-
sehbare Zeit Arbeiter genug beschäftigen kann; hier hat — um
zugleich an das Zeitalter des Schöpfers aller Naturwissenschaft an-
zuknüpfen — Philippos zum Erobern genug übrig gelassen.
Indem ich — wie so viele andere — mich den in die
Lehrbücher übergegangenen Schilderungen Johannes Müllers
von den topographischen Verhältnissen des Urogenitalsystems des
Menschen anschliesse, gehe ich gleich zur Betrachtung der histo-
logischen Verhältnisse des Wolff’schen Körpers über, indem ich auf
die Seite 272 u. flg. beschriebenen Embryonen verweise. Da meine
Untersuchungen nun gewissermaassen eine Fortsetzung — wenig-
stens was die Grösse der Embryonen betrifft — derjenigen von
His bilden, so halte ich es für richtig, die Befunde His’ hier
anzuführen. Ich laufe ja allerdings hierdurch Gefahr, etwas zu
wiederholen, was aus dem Werke His’ den Meisten bekannt sein
dürfte; ich schaffe aber hierdurch zugleich eine Grundlage, auf
welcher das Weiterbauen erleichtert wird und hoffe in der Weise
einen besseren Ueberblick über die Entwickelung der menschlichen
Urniere zu bringen, soweit dieses in meiner Macht steht.
Von dem Urnierensystem des Embryo L. (Körperlänge 2,4 mm)
sagt His, dass dasselbe als ein eylindrischer Gang angelegt ist,
den er wenigstens an einigen der Schnitte hat constatiren können.
Bei dem Embryo M (Körperlänge 2,6 mm) schildert His das
‘ Urnierensystem folgendermaassen: ‚Zwischen der seitlichen Leibes-
wand und der z. Z. noch sehr breiten Wurzel des Gekröses bildet
die Rückwand der Bauchhöhle eine niedrige Längsleiste, die mit
einer epithelartigen Zellschicht bekleidet ist. Der untere Theil
der Leiste enthält die Urnierenanlage, die sich als Zelleneylinder
von verhältnissmässig bedeutender Dicke (25—35 u) darstellt.
Nach hinten und lateralwärts davon liegt die noch sehr enge
Cardinalvene. Das untere in den Beckentheil übergehende Ende
Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 34, 19
286 Dr. med. W. Nagel:
der Urnierenanlage entzieht sich an meinen Schnitten der Be-
. obachtung, das obere Ende des Zellenrohres reicht nicht soweit
als die Urnierenleiste, es verjüngt sich etwas und oberhalb des
Schnittes 13 ist es nicht mehr zu sehen. Die Fortsetzung der
Leiste aber reicht bis zur Decke der Rumpfhöhle herauf.“
Embryo x (Körperlänge 4mm). „Die Urniere ist in ihrer
ganzen Länge angelegt und sie befindet sich bereits in einer
gegen den Bauchraum vorspringenden gerundeten Längsleiste.
Der obere Theil zeigt S-fürmige gebogene Kanäle, an denen
indess das Kapselstück nicht von Gefässknäueln eingestülpt
erscheint. Letztere sind überhaupt erst insoweit angelegt, als an
der medialen Hälfte der Urnienleiste dichtere Zellenanhäufungen
liegen, in welche man kleine Zweige der Aorta eintreten sieht.
Die untere Hälfte der Urnierenleiste umschliesst anstatt der ge-
bogenen Röhrehen einen sehr weiten und diehtwandigen Kanal,
der den Raum der Leiste zum grösseren Theil ausfüllt. Die Wand-
dicke desselben beträgt fast das doppelte von derjenigen des späteren
Wolff’schen Ganges. Der Wolff’sche Gang tritt unterhalb des
Darms in geschwungenem Bogen in den Beckentheil des Körpers
und er mündet hier in die Seitenwand der Cloake ein. Von
einem neben der Einmündungsstelle abgehenden Blindsack habe
ich keine Andeutung gesehen.“
Embryonen A und B (Körperlänge 7,5mm und 7 mm).
„Das Urnierensystem besteht aus dem Wolff’schen Gang, aus
den in ihn einmündenden Querkanälen und aus den mit letzteren
verbundenen Gefässknäueln. Diese Theile sind in eine 0,5—0,4 mm
breite, gerundete Leiste, die Urnierenleiste, eingeschlossen,
welche jederseits neben der Abgangsstelle des Magen- und Darm-
gekröses der hinteren Rumpfwand entlang läuft. Dieselbe ist von
einem einschichtigen Epithel bekleidet und ausser den Gebilden
der Urniere selbst enthält sie die hinter ihnen liegende Cardinalvene.
Das untere Ende der Urnierenleiste tritt in einem nach abwärts
convexen Bogen zur vorderen Bauchwand, es leitet den W olff’schen
Gang zur Cloake und verliert sich neben dieser letzteren. Nach
oben hin steigt die Urnierenleiste höher hinauf als die Urniere
selbst, sie erreicht die Decke der Rumpfhöhle, mit der von ihr
umschlossenen Cardinalvene tritt sie nach vorn und trifft auf den
gleichfalls in einer besonderen Leiste eingeschlossenen, der Seiten-
wand des Rumpfes folgenden Cuvier’schen Gang.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 287
Der Wolff’sche Gang liegt innerhalb der Urnierenleiste am
meisten lateralwärts, dicht unter der Epitheldecke. Sein Gesammt-
durchmesser beträgt in den mittleren Abschnitten des Organes gegen
60, die Lichtung gegen 40 u. Seine mediale Wand nimmt die nur
etwa 20 ı. im Durchmesser fassenden Enden der Querkanäle auf,
deren spaltförmige Lichtung ohne vorherige Ausweitung direct zu
jenen ausmündet.
Jedes Urnierenkanälchen besteht aus drei quergestellten
und in scharfem Ziekzack zusammengebogenen Schenkeln, einem
hinteren, mittleren und vordern. Der hintere, eylindrisch von Gestalt,
vermittelt die Verbindung mit dem Wolff’schen Gang; der mittlere
ist etwas spindelförmig aufgetrieben, sein verjüngtes äusseres Ende
biegt in den vorderen Schenkel ein, der als enges Rohr beginnt,
dann aber zu einer geräumigen, den Glomerulus umschliessenden
Kapsel sich ausweite. Die Zellen, welche die Kapsel bilden,
sind dünner, als die des übrigen Rohres; die in den Kapselraum
hervortretende Oberfläche des Gefässknäuels ist von einer beson-
deren Epithelschicht bekleidet. Es liegen die Gefässknäuel in der
medialen Hälfte der Nierenleiste; sie werden durch kleine, direct
aus der Aorta kommende Arterienzweige gespeist und bogenförmige
Venenzweige führen das Blut nach der Cardinalvene zurück.
Die geschilderten Verhältnisse finden sich bis in die Nähe des
oberen Endes der Urniere, d. h. bis in die Höhe des unteren Lungen-
endes. In diesem oberen Abschnitte sind die Kanäle kürzer, die
Knäuel und die Kapseln kleiner als im Mittelstück der Drüse.
Das untere Ende der letzteren ist an beiden Schnittreihen schräg
bezw. frontal getroffen und es lässt sich nicht erkennen, ob die
in ihm befindlichen Röhrchen schon ihre volle Ausbildung erhalten
haben.
Im Uebrigen ist der Wolff’sche Gang bis in die Nähe
seines vorderen!) Endes mit Urnierenkanälchen besetzt. Dies
vordere!) Ende des W olff’schen Ganges biegt steil in die Höhe
und verläuft ein kleines Stück neben der Cloake, bevor die Ein-
mündung erfolgt. An der Stelle der letzteren zeigt sich die Cloake
mit zweiseitlichen Ausbuchtungen versehen.“ — Soweit His; von
älteren Embryonen giebt er keine Beschreibung des Wolff’schen
Körpers und es würden also die beiden von mir (Seite 272 u. flg.)
1) Soll doch wohl „unteren“ bez. „untere“ (distal) heissen ?
288 Dr. med. W. Nagel:
geschilderten die nächstfolgenden sein. Im wesentlichen stimmen
‘ meine Befunde mit den von His gemachten Beobachtungen
überein unter Berücksichtigung der durch das verschiedene Alter
bedingten Unterschiede. Junge menschliche Embryonen, sind in
der neueren Zeit ferner von H. Fol (16), Phisalix (57) und
Janosik (33) untersucht und beschrieben. In einem (wie es
scheint nicht ganz frischen) Embryo von 3mm fand der letztge-
nannte Verfasser „das Urogenitalsystem durch den Wolff’schen
Gang, durch einige Bläschen, welche als Anlage der primären
Urnierenkanälchen wohl anzusehen sind und dann durch ein
Zellblastem, in welchem die Zellen keine besondere Anordnung
zeigen, vertreten.‘ Von dem Wolff’schen Gange sagt Janosik,
dass derselbe nach hinten verläuft, ohne mit dem Epithel oder den
Bläschen in Verbindung zu treten; in seinem hintersten Abschnitt
endigt er blind, ohne eine Tendenz zu zeigen, sich mit der
Cloake zu verbinden und sich in dieselbe zu Öffnen.
Die von Waldeyer (77) beim Hühnchen und anderen Wirbel-
thieren zuerst genauer beschriebene, auch von mir beobachtete
Epithelverdiekung an der äusseren Seite des Wolff’schen
Körpers, über dem Wolff’schen Gange, erwähnt His nicht und
ich schliesse daraus, dass diese Erscheinung bei seinen Embryonen
gefehlt hat. Dagegen sagt His, dass — bei den Embryonen
A und B, wo der Müller’sche Gang noch nicht vorhanden war —
in einer Rinne, lateralwärts von der Urnierenleiste, das Epithel
um beinahe das doppelte (bis auf ca. 20 «) verdickt war und er
betrachtet die Stelle als diejenige, an welcher später der Müller-
sche Gang sich bilden wird. Es ist somit die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, dass es sich um dieselbe Erscheinung handelt wie
bei meinen Embryonen, aber auf einer Jüngeren Entwickelungs-
stufe.
Die erwähnte Epithelverdickung ist auch von anderen
Autoren, wie Bornhaupt, Waldeyer, Gasser, Sedgwick,
Balfour und v. Mihalkovicz bei verschiedenen Wirbel-
thieren gesehen worden, ohne aber eine befriedigende Erklärung
gefunden zu haben. Inwieweit dieselbe eine Bedeutung für die
Entwickelung des Müller’schen Ganges hat, soll weiter unten,
bei der Besprechung der Entwickelung der Geschlechtsgänge in
Erwägung gezogen werden.
Die Angabe Mihalkoviez', dass die Malpigihi’schen Kör-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 289
perchen bei jungen Säugethierembryonen auffallend gross sind
(z. B. bei 15 mm langen Schaafembryonen messen sie 0,5—0,6 mm),
kann ich, was den Menschen betrifft, bestätigen: bei meinem Em-
bryo F messen sie nämlich 80xX112 «, beim Embryo M 114x117 u.
Bei einem Embryo von 22mm Länge, in Flemming gehärtet,
messen dieselben 147 u, bei einem solchen von 4 Centimeter Länge
(in Müller’scher Flüssigkeit gehärtet) 114x142 u. Bei einem Em-
bryo von 41/, Centimeter Länge (in Müller’scher Flüssigkeit ge-
härtet) 86X142 u. Diese Messungen habe ich an verschiedenen
wohlerhaltenen Embryonen nachgeprüft. Der Schluss scheint mir
berechtiget, dass die Glomeruli der Urniere, so lange
wie sie die erwähnte Uebereinstimmung in ihren Grös-
senverhältnissen zeigen, auch functionsfähig sind,
und dass ihr Wachsthum wenigstens bis zu einer
Grösse des Embryos von 22mm Schritt hält mit dem
Wachsthum des Embryo.
Bei Embryonen von 3 Centimeter Länge nehmen die Glome-
ruli in dem proximalen Theil der Urniere an Umfang ab, während
sie noch in dem distalen Theil, auch bei grösseren Embryonen
(bis 5 Centimeter Länge und etwas darüber), dieselbe Grösse zeigen,
wie zur Zeit der höchsten Entwickelung der Urniere. Die oben
angeführten Maasse von den grösseren Embryonen beziehen sich
also auf Glomeruli aus dem distalen Theil der Urniere.
Aus diesem Verhalten schliesse ich, dass die Rückbil-
dungder Urniereindem proximalen Theile der-
selben anfängt, was vor mir von Gasser (19) und v.
Kö lliker (36) beobachtet worden ist.
v.Mihalk oviez ist der Ansicht, dass die grossen Malpighi-
schen Körperchen in gar keinem Verhältnisse stehen zum Exeretions-
process des kleinen Körpers des Embryo und er vermuthet desshalb,
dass 'sie auch andern Vorgängen vorstehen. Da nun die Urnieren ganz
junger Säugethier- und menschlicher Embryonen, nach v. Mihal-
koviez, mit massenhaften inneren Blutgefässen versehen sind,
so neigt v. Mihalkoviecz sich der Ansicht zu, dass die Urniere
zur Zeit ihrer ersten Entwickelung ein blutbildendes Organ ist,
dass in derselben eine lebhafte Haematose stattfindet. Es dürfte
schwer halten einen Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese
beizubringen, und ieh habe auch keine Anhaltspunkte dafür finden
können. Ich glaube deshalb, dass die auffallende Grösse der
290 Dr. med. W. Nagel:
Malpighi’schen Körperchen bei jungen Embryonen einfach da-
. durch zu erklären ist, dass dieselben in Vergleich mit den Nieren
in sehr geringer Zahl vorhanden sind, dass desshalb einem jeden
Glomerulus eine grössere Arbeitslast zufällt; diese Mehrfor-
derung von Arbeit bedingt ihren verhältniss-
mässig grossen Umfang.
Zur Entscheidung der Frage über die erste Entstehung der
Urnierenkanälchen sind jüngere Embryonen nothwendig,
als die von mir untersuchten. Der in den Urnieren des Embryo
F ermittelte Befund (s. vorne Seite 273) veranlasst mich aber,
diese Frage kurz zu berühren.
Im Gegensatze zu Bornhaupt (und His, Rosenberg und
Götte, siehe bei Waldeyer (77)), welcher die Entstehung der
Urnierenkanälchen durch Differenzirung aus dem Urnierengewebe
schilderte, behauptete bekanntlich Waldeyer (77), dass die Ur-
nierenkanälchen durch Hohlsprossenbildung aus dem ursprünglichen
Urnierengange entständen. Eine wesentliche Stütze für die Rich-
tigkeit dieser Ansicht bietet die Entwickelung der Niere der hö-
heren Wirbelthiere, die so viele Eigenschaften mit der Urniere
gemein hat und deren erste Entwickelung ungleich leichter zu ver-
folgen ist (s. weiter unten bei Besprechung der Entwickelung der
Niere). Trotzdem haben die Beobachtungen neuerer Forscher
(s. bei v. Mihalkoviez (50) und Hertwig (26)) über die Ent-
stebung der Urnierenkanälchen andere Ergebnisse geliefert. Einige
sind nämlich der Ansicht (ich verweise auf die diesbezügliche
Darlegung Mihalkoviez (50)), dass „die Urnierenkanälchen vom
Coelomepithel des Urogenitalhügels in Form von Strängen oder
schmalen Kanälchen in den Urogenitalhügel hineinragen“ (Braun,
Weldow, Kölliker, Fürbringer, Kollmann, Siemerling,
Sedgwik, Renson).
Andere, wie Remak, Fürbringer (s. bei Mihalko-
viez (50), Egli (15), Sedgwik (6), Balfour (6), Sernoff
schliessen sich der oben angeführten Meinung Bornhaupt’san, dass
die Urnierenkanälchen ganz unabhängig von schon vorhandenen
Epithelien entstehen durch Herausdifferenzirung aus dem Urnieren-
blastem. In beiden Fällen muss man also nothwendig annehmen,
dass die ursprünglich getrennt entstandenen Gebilde (Glomeruli,
Urnierenkanälchen, Urnierengang) allmählich mit einander in Ver-
bindung treten. (Vergl. auch E. Martin: Ueber die Anlage der
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 291
Urniere beim Kaninchen. Inaugural-Dissertation in Marburg 1888.
A. f. Anatomie und Physiologie 1888.)
Was nun v. Mihalkoviez betrifft, so hat dieser Forscher
in seinem grossen Werke (50) sich zu Gunsten der zuletzt ange-
führten Ansicht ausgesprochen. Bei Hühnerembryonen hat v.Mi-
halkoviez nämlich verfolgen können, dass die Urnierenknospen
einfach aus dem Wolff’schen Blastem sich herausdifferenziren; „es
gehört eben zum Charakter des Urnierenblastems, dass sich dessen
indifferente Elemente durch Veränderung der Form zu Epithelien
umbilden können‘. Weiter sagt v. Mihalkovicz (a. a. O. Seite
82): „die neuen (secundären und tertiären) Kanälchen und Glo-
meruli entstehen unabhängig von den schon vorhandenen auf ähn-
liche Art durch Differenzirung aus dem Urnierengewebe, wie die
primären im Wolff’schen Blastem entstanden sind.“
Ist dieses richtig, so müsste man erwarten die Entstehung
der Kanälchen aus dem Urnierengewebe während der ganzen
Wachsthumsperiode des Organes beobachten zu können. Man
müsste demnach auch unter meinen Präparaten von menschlichen
Embryonen solehe finden, die diese Vorgänge zeigten. Ich glaube
nämlich annehmen zu müssen, dass, wenigstens bei dem Embryo
F, der Wolff’sche Körper noch nicht seine volle Entwickelung
erlangt hatte und stütze diese meine Ansicht darauf, dass 1. die
Glomeruli an Grösse gegen die von älteren Embryonen zurück-
stehen, dass 2. die Kanälchen verhältnissmässig spärlich sind, das
heisst geringe Verzweigungen (secundäre und tertiäre Kanälchen)
zeigen und dass 3. ein Unterschied des die verschiedenen Ab-
schnitte eines Kanälchen auskleidenden Epithels nicht zu be-
merken ist.
Man wäre also, so meine ich, zu der Erwartung berechtiget,
bei diesem Embryo F und bei dem nächstfolgenden Aufschlüsse
über die weitere Entwickelung der Kanälchen bezw. über die
Neubildung von solchen zu finden.
Nun finde ich nirgends, weder bei dem Embryo F, noch bei
den anderen von mir untersuchten Embryonen, Andeutungen von
einem Hereinwachsen des Coelomepithels der Urniere in das unter-
liegende Gewebe. Ich habe die Schnittserien sorgfältig durch-
mustert: überall im ganzen Bereich der Urniere hebt das Epithel
sich scharf ab gegen das unterliegende Gewebe und bildet eine
regelmässige, nur an einer Stelle verdickte (s. oben Seite 274)
292 Dr. med. W. Nagel:
Umhüllung des Organs, welche an der Innenseite desselben un-
‚merklich in den Keimepithelwulst (Anlage der Sexualdrüse)
übergeht.
Demnach scheint mir der Schluss berechtiget, dass die
Weiterentwickelung des Kanalsystems der Urniere beim
Menschen nieht durch Hereinwuchern des Oberflächen-
epithels in Form von Strängen oder schmalen Kanäl-
chen in das Urnierengewebe geschieht.
Ich habe vorhin erwähnt, dass man auf Schnitten durch die
Urnieren des Embryo F mehrfach mitten im Gewebe kleine An-
häufungen von epithelialen Elementen sieht. Solche Bilder könnten
wohl unter Umständen zu Gunsten der zweiten, oben angeführten,
Ansicht über die Entstehung der Urnierenkanälchen (durch Her-
ausdifferenzirung aus dem Urnierengewebe) gedeutet werden. Die
Durchmusterung von Schnittserien zeigt aber auf das deutlichste,
dass diese epithelialen Anhänfungen in ununterbrochenem Zusam-
menhange mit den schon vorhandenen Kanälchen stehen, dass sie
nur die soliden Enden dieser darstellen. Auch findet sich nirgends
ein Uebergang von den Zellen des Urnierengewebes zu den er-
wähnten epithelialen Zellen, was doch der Fall sein würde, wenn
diese aus den ersteren hervorgehen. Die soliden Endstücke der
Urnierenkanälchen sind ebenso scharf gegen das umliegende Ur-
nierengewebe abzugrenzen wie die Kanälchen selbst.
Aus diesen Auseinandersetzungen geht: hervor, dass die
weitereEntwickelung der Urnierenkanälchen beim Men-
schen durch eine Sprossenbildung der schon vorhan-
denen Kanälchen geschieht.
Eine Betheiligung von Seiten des Oberflächen-
epithels der Urniere an der Weiterentwickelung des
Kanalsystems in diesem Organe findet beim Menschen
nicht statt.
Ebenso wenig sind wir, meiner Ansicht nach, berech-
tigt anzunehmen, dass dieneuen (secundären und tertiären)
Kanälchen beim Menschen unabhängig von den schon
vorhandenen entstehen dureh Differenzirung aus dem
. Urnierengewebe.
Es ist selbstredend, wie ich schon betont habe, dass nur Un-
tersuchungen an ganz jungen menschlichen Embryonen die Frage
von der ersten Entwickelung der Urnierenkanäle entscheiden
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 293
können. Solche standen mir aber bis jetzt nicht in genügend
frischem Zustande zur Verfügung. Ich bin desshalb auf die, vorne
ausführlich wiedergegebenen, Untersuchungen von His angewiesen.
Aus diesen geht an keiner Stelle hervor, dass die Kanälchen nicht
durch Sprossenbildung aus den schon vorhandenen bezw. aus dem
Urnierengange entstehen. His (a. a. O. Seite 113) sagt ausdrück-
lich: „bis jetzt bin ich bei keinem meiner menschlichen Embryonen
auf Bilder gestossen, welche selbständige Entstehung der Urnieren-
kanälchen zu zeigen vermochten.“
Ich wäre allerdings geneigt, aus den Ergebnissen His’ auf
eine erste Entstehung der Urnierenkanälchen durch Sprossenbil-
dung der schon vorhandenen bezw. des Urnierenganges anzuneh-
men. Ich fühle mich aber hierzu nicht berechtiget, da His selbst
eine solche Auslegung verwirft; er sagt nämlich gelegentlich der
Schilderung des Embryo x (a. a. OÖ. Seite 112—113): „Wäre die
Frage der Entstehung der Urnierenkanälchen noch ungelöst, so
würde ich aus obigem Befunde schliessen, dass die Kanälchen aus
dem primitiven Gang durch Verdünnung und Faltung seiner Wand
entstehen, Bei dem gegenwärtigen Stand der Frage ist indess
der Schluss nicht mehr berechtigt, denn wenn für die sämmt-
lichen Wirbelthierklassen bis zu den Säugethieren herauf die Ab-
stammung der Kanalanlagen aus dem Epithel der Urnierenleiste
nachgewiesen ist, so kann nicht für den Menschen ein abweichen-
der Bildungsmodus angenommen werden.“
Somit harıt die Frage nach der ersten Entstehung des
Kanalsystems der Urniere beim Menschen noch ihrer Lösung.
Bei der Beschreibung des Embryo M (männlichen Geschlechts)
babe ich angegeben, dass der proximale Theil der Urniere keinen
eigentlichen Wolff’schen Gang besitzt, dass sich vielmehr in
diesem Abschnitte — nebst Glomeruli — nur Kanälchen nach-
weisen lassen, die sich erst etwas weiter distalwärts zu einem
Ausführungsgange vereinigen.
Hierdurch erhält der proximale Theil der Urniere in einer
verhältnissmässig frühen Zeit ein von der übrigen Urniere ver-
schiedenes Aussehen und es ist berechtiget mit Waldeyer (77)
diesem proximalen Theile den Namen „Sexualtheil des Wolff-
schen Körpers“ (Waldeyer) zu geben. Es ist ja, auch für den
Menschen, erwiesen (Kobelt, Waldeyer, Kölliker, Gasser)
294 Dr. med. W. Nagel:
und auch aus meinen Untersuchungen geht es hervor, dass in der
That der Nebenhoden sich aus diesem Theile der Urniere ent-
wiekelt; die eigenthümliche Beschaffenheit des Kanalsystems in
dem proximalen Ende des Wolff’schen Körpers bei dem Embryo
M ist gewiss als erste Anlage des Nebenhodens anzusehen. Wenn
man aber um diese Zeit von einem Sexualtheile spricht, so muss
man zugleich festhalten, dass derselbe noch kein besonderes
Organ ist, sondern einen untrennbaren funetionirenden Abschnitt
der Urniere darstellt.
Bei älteren Embryonen wird diese Trennung der Urniere
in zwei Abschnitte noch mehr auffällig, indem die Glomeruli,
sowohl bei männlichen als bei weiblichen Individuen, in dem
proximalen Theile zuerst schwinden (siehe Seite 289), wäh-
rend sie in dem mittleren und distalen Abschnitte viel länger
erhalten bleiben. Gasser (18) hat zum Beispiel noch bei männ-
lichen Embryonen aus dem 6. Monate, Kölliker (36) bei solehen
aus dem 4. Mouate deutliche Glomeruli im unteren Theile der
Urniere gefunden. Auch ich habe bei allen meinen Embryonen,
ohne Rücksicht auf das Geschlecht, deutliche Glomeruli im distalen
Ende gesehen bis zu Ende des 4. Monats und Spuren derselben
lassen sich noch, wenigstens bei den weiblichen Individuen, in
den späteren Monaten nachweisen, wie auch Waldeyer (77) und
Tourneux (72) hervorheben. Diesen beiden Forschern zufolge
findet man bei weiblichen Individuen nur ausnahmsweise in dem
extrauterinen Leben Ueberreste dieses „Urnierentheils“ des W olff-
schen Körpers (= Paroophoron (Waldeyer) gleichwerthig mit
Paradidymis oder corps innomine Girald&’s beim Manne), während
bekanntlich, siehe meine Arbeit (53), der „Sexualtheil“ (Epoophoron
(Waldeyer), Rosenmüllers Organ, Parovarium im alten Sinne
des Wortes, glelehwerthig mit Epididymis beim Manne) ein be-
ständiges Anhängsel des Eierstocks bleibt. Nach den neuesten
Untersuchungen von Tourneux (72) wächst das Epoophoron mit
dem Alter des Individuums; erst nach der Menopause beginnt es
zu atrophiren.
Auch die besondere Lage der Glomeruli, nämlich in dem
medialen Theile der Urniere, trägt bei weiblichen Embryonen
zu einer noch deutlicheren Trennung der Urniere in zwei Ab-
schnitten bei. Die beigefügte Figur 12 Tafel XVII veranschaulicht
dieses in klarer Weise; der ganze laterale Theil des Wolff’schen
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 295
Körpers bildet sich nämlich schneller zurück als der mediale und
stellt um diese Zeit eine bindegewebige Falte dar, an deren
Aussenkante der Müller’sche Gang (Tube) verläuft; mehr nach
der Mitte zu sieht man den atrophirenden Wolff’schen Gang
(& artner’scher Canal; höher oben (proximalwärts) würde dieser
also mit dem Epoophoron in Verbindung treten) mit einzelnen Resten
von Querkanälchen; die freien Flächen der Falte werden von dem
Epithel des früheren Wolff’schen Körpers bekleidet. Die Bedeu-
tung dieser Falte geht ohne weiteres aus der gegebenen Abbil-
dung hervor: es ist die Anlage des Mesovariums. Aus dem
medialen Theile der Urniere, da wo man in der Abbildung die
Glomeruli (Paroophoron) sieht, bildet sich das Ligamentum latum.
(Vergleiche hierüber v. Mihalkoviez (48).)
Nach dem gegenwärtigen Stande der’Dinge ist es meines
Erachtens nicht möglich, den Zeitpunkt der beginnenden Rückbil-
dung der Urniere bestimmt anzugeben. Erschwert wird die Ent-
scheidung dieser Frage durch den Umstand, dass im proximalen
Theile die Glomeruli von vornherein kleiner, die Kanälchen erger sind
als in der übrigen Urniere. v. Mihalkovicz verlegt die höchste
Entwicekelung der menschliehen Urniere in die sechste bis siebente
Woche, vanAckeren(l)undBeauregard(Contribution al’Etude
du Developpement des organes genito-urinaires chez les mammiferes.
These de Paris 1877, Nr. 240) haben schon die Rückbildung bei je
einem Embryo von21u.20 mm beobachtet. Nach meinen Untersuchun-
gen bin ich geneigt den Zeitpunkt etwas weiter hinauszuschieben;
bei Embryonen von 22 mm Länge beiderlei Geschlechts habe ich noch
keine beginnende Rückbildung mit Sicherheit nachweisen können.
In einer früheren Arbeit (Beitrag z. Lehre von der Herkunft
des Fruchtwassers. A. f. Gynäcologie Band 35) habe ich das
proximale Ende des Wolff’schen Ganges bei jungen Embryonen
als offen beschrieben. Erneuerte Untersuchungen haben mich jedoch
in diesem Punkte zweifelhaft gemacht. Die Frage ist in der That
nicht ganz leicht zu entscheiden, weil in dem proximalen Ende der
Urniere kein eigentlicher Wolf f’scher Gang besteht (insbesondere
bei männlichen Embryönen ist dieses auffallend, siehe Seite”293),
indem die Urnierenkanälchen in dieser Gegend noch nicht zu einem
Ausführungsgange vereinigt sind; dieselben verlaufen allerdings
stellenweise bis dicht an das Urnierenepithel, eine Verbindung
mit diesem habe ich aber an gut erhaltenen Embryonen nicht
296 Dr. med. W. Nagel:
nachweisen können. Somit glaube ich jetzt, dass es richtiger
ist, auf dieser Entwickelungsstufe keine Verbindung zwischen
Leibeshöhle und W olff’schem Gange anzunehmen. Dass ältere
Autoren das abdominale Ende des Urnierenganges bald kolben-
förmig (Kobelt (35)), bald offen (Rathke (60)) beschrieben, mag
darin seinen Grund haben, dass Wolff’scher und Müller’scher
Gang vielfach verwechselt worden sind.
So lange wie der Wolff’sche Körper wächst, thut es der Aus-
führungsgang ebenfalls; ich schliesse dieses aus dem zunehmenden Um-
fange desselben. Bei einem weiblichen Embryo von 20 mm Länge
in Flemming gebärtet, maass der W olff’sche Gang (im Bereich
der Pliea urogenitalis) in der Quere 56 «. mit einer Lichtung von
34 u. ‚Bei einem männlichen Embryo von 22mm Länge, in
Flemming gehärtet, maass der Gang an derselben Stelle 56x70 u.
Bei einem männlichen Embryo von 23mm Länge, in Alkohol
gehärtet, maass der Gang in der Quere 84 u.
Das Epithel des Wolff’schen Ganges ist einschichtig und
besteht aus eubischen, 14 bis 20 u messenden Zellen mit deut-
lichem Kern.
Ueber das spätere Schicksal des Wolff’schen Ganges soll
weiter unten, bei Besprechung der Entwickelung der Geschlechts-
gsänge, berichtet werden.
AndenUrnierenkanälchen der beiden vorhin (S. 272 u. flg.)
beschriebenen menschlichen Embryonen ist das Epithel ein gleich-
artiges im ganzen Bereiche eines jeden Kanälchens. Bei etwas
älteren Embryonen mit einer Länge von 18mm, 20mm, 21mm,
22 und 23mm tritt hierin eine sehr wesentliche Aenderung ein.
In der Figur 5, Tafel XVII ist ein Querschnitt durch den
Wolff’schen Körper eines 20 mm langen menschlichen Embryo
zum Theil dargestellt. Der Unterschied in dem Epithel der
Kanälchen ist ein so auffälliger, dass man auf den ersten Blick
zweierlei Kanälchen annehmen möchte. Jedoch lehren Reihen-
schnitte durch den ganzen Wolff’schen Körper, dass es nur eine
Sorte Kanälchen giebt und dass es ein ganz bestimmter Abschnitt
eines jeden Kanälchens ist, welcher mit einem besonderen Epithel
ausgekleidet ist; in der Figur 5 erkennt man auch deutlich den
Uebergang von einem Epithel zum anderen.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 297
Embryonen, welche in Flemming’scher Lösung gehärtet
sind, zeigen den Epithelunterschied am deutlichsten, aber auch an
Embryonen, die mit Alkohol und Müller'scher Flüssigkeit behan-
delt sind, habe ich die zweierlei Epithelien regelmässig gesehen.
Die anatomischen Verhältnisse der Epithelien sind folgende:
Die Urnierenkanälchen sind lateralwärts mit einem Epithel aus-
gekleidet, welches sich von demjenigen des Wolff’chen Ganges
nicht unterscheidet; dasselbe besteht aus eubischen, 6x6 u messenden
Zellen, welche regelmässig aneinander gereiht sind und einen
Kern tragen, der begierig Farbstoff annimmt (Flemming’sche
Lösung, Haematoxylin).. In ihrem Verlaufe nach der Mitte zu
weiten die Kanälchen sich aus und zugleich ändert das Epithel sein
Aussehen: es besteht jetzt aus grossen, fast eubischen, 14x17 u
messenden Zellen mit hellem Protoplasma und mit einem Kern,
welcher sehr wenig ehromatogene Substanz enthält und infolge-
dessen blass aussieht (siehe Fig. 5, Tafel XVII). Die Zellen sind
meist deutlich gegeneinander abzugrenzen und an ihren freien
Enden habe ich bei einem Embryo von 13mm Länge (in Flem-
ming’scher Lösung gehärtet) feine kurze Fortsätze bemerkt,
wodureh die freie Fläche — nach der Lichtung des Kanälchens
zu — ein zackiges Aussehen erhält. Ich will nicht entscheiden
ob diese kurzen Fortsätze als Cilien aufzufassen sind; nach
Janosik’s (31) und Nicolas’ (55) Untersuchungen sind nämlich
bei Säugethierembryonen die erwähnten Zellen mit solchen
Flimmerhaaren versehen, dieselben tragen, wie Nicolas sich aus-
drückt, eine „bordure en brosse“ (vergl. auch hierüber v. Mihal-
kovicz (50)). Die eben geschilderten weiten Abschnitte der
Kanälchen gehen, nach meinen Untersuchungen, unmittelbar
in die Bowman’schen Kapseln über; diese tragen ein aus
platten, 2—3 u messenden Zellen bestehendes Epithel.
Für den Menschen scheint dies eigenthümliche Verhalten der
Urnierenkanälchen bis jetzt nicht bskannt gewesen zu sein. His
erwähnt wohl, gelegentlich der Beschreibung der Embryonen A
und B, dass der mittlere Abschnitt der Kanälchen spindelförmig
aufgetrieben ist, von einem Epithelunterschied spricht er aber
nicht. Dass es innerhalb der Urniere weitere und engere Kanal-
stücke gäbe, war auch Johannes Müller und Rathke bekannt,
aber Waldeyer war der erste, welcher beim Hühnchen (und
Säugethierembryonen) die zweierlei Epithelien erkannte und be-
298 Dr. med. W. Nagel:
schrieb. Wie seine Vorgänger (J. Müller, Rathke, Dursy) sah
auch Waldeyer die engeren und weiteren Kanalstücke als zweierlei
Kanälchen an. Die engeren Kanälchen fasste Waldeyer als dem
Sexualtheile angehörige auf; durch den Epithelunterschied wurde
diese seine Ansicht wesentlich gestützt.
In den letzten Jahren haben v. Mihalkoviez und Janosik
sich eingehender mit dem Kanalsystem der Urniere bei Säuge-
thierembryonen befasst und es gelang dem ersten Forscher, den
Nachweis zu führen, dass die zweierlei Epithelien einem und
demselben Kanälehen angehören, dass die mit dem niedrigen Epi-
thel ausgekleideten engeren Kanälchen die Sammelabschnitte der
weiteren, deren grosse Epithelzellen v. Mihalkoviez genau be-
schreibt, sind.
Dass die mit den grossen Zellen ausgekleideten weiten Ka-
nalstücke auch bei dem Menschen, weil eine so beständige Er-
scheinung, eine besondere Bedeutung haben müssen, ist einleuch-
tend, und ich bin geneigt, die von v. Mihalkoviez (und Nicolas)
für die Säugethiere gegebene Erklärung, dass nämlich die mit
den grossen Zellen bekleideten Abschnitte zu
dem seeretorischen Apparate der Urniere ge-
hören, als die zutreffende auch für den Men-
schen zu halten.
Zu Gunsten dieser Auffassung spricht, meines Erachtens, der
Umstand, dass die erwähnten Kanalstücke unmittelbar in die
Bowman’sche Kapsel übergehen und ferner der, dass die grossen
Zellen erst auf einer späteren Entwickelungsstufe auftreten, wo
die von dem embryonalen Stoffwechsel an den Secretionsapparat
gestellten Ansprüche in Steigerung begriffen sind und dass sie
späterhin, wenn die Urnieren durch die heranwachsenden Nieren
entlastet worden sind, vollkommen verschwinden. Nach meinen
bisherigen Untersuchungen schwinden beim Menschen die grossen
Zellen früher als die Glomeruli, wenigstens in dem distalen Theile
der Urniere.
Man ist also, meinen Beobachtungen beim Menschen zufolge,
berechtigt, die oben beschriebenen grossen Zellen
alseine Eigenthümlichkeit des Wolff’schen Kör-
pers zur Zeit seiner höchsten Entwickelung
und Thätigkeit zu betrachten.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 299
III.
Die Sexualdrüsen !).
Es ist von jeher das Bestreben der Naturforscher gewesen,
möglichst frühzeitige Kennzeichen für das Geschlecht des Embryo
zu finden. Zur Zeit, wo man fast ausschliesslich auf die Beob-
achtungen mit blossem Auge angewiesen war, konnten die Keim-
drüsen keine oder doch sehr späte Anhaltspunkte für die Ge-
schlechtsbestimmung bieten. Es war also natürlich, dass man sich
nach anderen Eigenthümlichkeiten des embryonalen Körpers um-
sah, um daraus im gegebenen Falle zu entscheiden, ob man ein
Weibehen oder Männchen vor sich hatte; so will ich z. B. an die
Untersuchungen Sömmerings (s. bei Valentin (75)) erinnern,
nach welchen bei menschlichen Embryonen schon in der 8. Woche
die Brust bei dem weiblichen kürzer und weiter, bei dem männ-
lichen aber länger und enger sei.
Nach diesem ersten Versuche den Glauben, dass in frühester
Zeit alle Spur einer Geschlechtsverschiedenheit an dem ganzen
Körper mangele, zu brechen, folgten alsbald andere, ohne dass
man sagen kann, dass eine befriedigende Lösung dieser interessanten
Frage bis zum heutigen Tage erzielt worden wäre. Wie zu An-
fang des Jahrhunderts, so sind heute noch die Ansichten der For-
scher auf alle die Möglichkeiten vertheilt, die überhaupt denkbar
sind; nach wie vor lauten die Fragen so: ist der Embryo von
Anfang männlich oder weiblich? Hat er anfänglich gar kein Ge-
schlecht oder schliesst er in dem ersten Zeitraume seines Daseins
beide Geschlechter in sich?
Ist es nun auch nach dem gegenwärtigen Stand der Ent-
wiekelungsgeschichte ganz unmöglich, das Geschlecht des Embryo
in der Zeit vor dem Erscheinen der Keimdrüsen zu bestimmen,
so müsste sich dies, sollte man glauben, nach dem Erscheinen
derselben ändern. Ein Rückblick auf die Entwickelungsgeschichte
dieser Organe lehrt aber ebenfalls, dass man bisher erst auf einer
1) Siehe auch: Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. Sitzung der physikalisch - mathematischen
Classe vom 18. Oktober 1888. — W. Nagel: Ueber die Entwickelung der
Sexualdrüsen und der äusseren Geschlechtstheile beim Menschen.
300 Dr. med. W. Nagel:
verhältnissmässlg späten Entwickelungsstufe einen Geschlechts-
. unterschied wahrnehmen konnte.
Tiedemann (70) nimmt an, dass alle Embryonen des Men-
schen (sowohl was die inneren wie die äusseren Genitalien betrifft)
zuerst weiblich sind. Als Beweis für die Richtigkeit dieses Satzes
führt er u. A. an, dass die meisten Embryonen, welche durch
Abortus abgehen, weiblichen Geschlechts sind.
Nach E. v. Baer (2) findet sich bei Säugethieren und bei
den Vögeln, so verschieden auch im ausgebildeten Zustande die
Genitalien beider Geschlechter sind, im Anfange doch so völlige
Uebereinstimmung, dass es unmöglich ist, die Geschlechter zu un-
terscheiden.
Jobannes Müller (51) unterwirft die ganze Lehre vom
Hermaphroditismus, welche zur damaligen Zeit noch einen guten
Theil der mittelalterlichen Neigung zum Ungeheuerlichen in sich
barg, einer genauen und sachgemässen Kritik. Er vermochte erst
bei einem 10 wöchentlichen Embryo zu unterscheiden, dass es sich
in diesem Falle um ein weibliches Individuum handelte und sagt
dann: „die ursprüngliche Bildung der inneren Genitalien ist weder
vorzugsweise männlich, noch weiblich, sondern es existirt eine
bisher unbeachtete Form, aus welcher sich sowohl das männliche
als weibliche Geschlecht durch auf beiden Seiten eigenthümliche
Veränderung entwickelt.“
Im Gegensatz hierzu sind Valentin (75) und Bischoff (10),
in Uebereinstimmung mit Burdach, Carus und Rathke, der
Ansicht, „dass von Anfang an jedes Individuum in seinem Ge-
schlechte genau bestimmt und individualisirt sei* — nur können
wir es nicht erkennen.
Nach Valentin sind Eierstock und Hoden einander vollkom-
men gleich von Anfang an; der Unterschied der Form tritt aber
an ihnen frühzeitiger hervor, als der des Gewebes. Vergeblich hat
Valentin sowohl in frischen als in gehärteten Früchten nach
Differenzen der inneren Struktur gesucht; beide Keimdrüsen be-
standen aus einem körnigen undurchsichtigen Gewebe. Im Eier-
stocke eines 3 monatlichen menschlichen Embryo fand Valentin,
dass sein Gewebe schon aus grossen mehr oder minder isolirten
Körnern bestand, welche 0,001518 P.Z. bis 0,007185 P.Z. im Durch-
messer hatten.
Es ist auch Bischoff’s Ansicht, dass Hoden und Eierstöcke
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 301
in ihrer ersten äusseren Erscheinung und inneren Beschaffenheit
einander ganz gleich sind; im Anfange unterscheidet er in den
Eierstöcken nicht als primäre Zellen und Zellkerne.
Diese Anschauung Valentin’s und Bischoff’s von der ur-
sprünglichen Verschiedenheit des Geschlechts blieb lange Zeit
hindurch die fast allein herrschende, bis die Arbeiten von Born-
haupt und Waldeyer den Anstoss zu einer genaueren Erfor-
schung der Sexualdrüsen gab. Von diesen beiden Autoren erklärte
Bornhaupt jeden Embryo von Anfang an für männlich, während
Waldeyer als Ergebniss seiner Untersuchungen, die eine ganze
Reihe von Wirbel- und wirbellosen Thieren betrafen, den Satz
aussprach: „Die Uranlage der einzelnen Individuen auch bei
den höchsten Vertebraten ist eine hermaphroditische.*“ Sobald
aber die Keimdrüsen angelegt sind, erkennt man nach Waldeyer
an dem verschiedenen Bau derselben das Geschlecht; als weib-
liche Embryonen betrachtet er — beim Hühnchen — diejenigen,
welehe einen verhältnissmässig stark entwickelten Keimepithel-
wall haben.
Von späteren Forschern sehen Egli (was den Kaninchen-
embryo betrifft), Rouget (65) und Kölliker die Geschlechtsdrüse
in der ersten Zeit als indifferent an. Nach Kölliker entsprechen
sich Hoden und Eierstock ursprünglich in der Form genau; gegen
das Ende des 2. Monates wird jedoch beim Menschen das erste Or-
gan breiter und verhältnissmässig kürzer, während der Eierstock eine
gestreckte Form beibehält. Janosik (31) zufolge ist das Anfangs-
stadium bei beiden Geschlechtsdrüsen gleich, nähert sich aber dem
Bau nach dem Ovarium in späteren Stadien. — Da der Embryo
Anfangs keimdrüsenlos ist, so ist, meint v. Mihalkoviecz (50),
er folglich auch geschlechtslos; ist dann die Keimdrüse erschienen,
so ist er, dem eben genannten Forscher zufolge, in beiden Ge-
schlechtern ganz ähnlich gebaut, dem geschlechtslosen Zustande
folgt also ein indifferenter. Nussbaum (56) sagt: „Embryologische
Studien an niederen Thieren machen es wahrscheinlich, dass die
Anlagen der Geschlechtsdrüsen schon früh vor jeder Arbeitstheilung
der Zellen aus den zum Aufbau des Thierleibes verbrauchten
Furchungskugeln abgesondert werden.“ An einer anderen Stelle,
wo er von der Entwickelung der Batrachier spricht, sagt derselbe
Verfasser: „Die Sonderung im funetionellen Theil zu Hoden oder
Eierstock geht kei den Batrachiern in der Weise vor sich, dass
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 34, 20
302 Dr. med. W. Nagel:
nach einer Reihe von Theilungsvorgängen der embryonalen Anlage,
. die beiden Geschlechtern gemeinsam sind, zur Bildung des Hodens
viele Elemente in grossen Säcken oder Schläuchen vereinigt blei-
ben, beim Eierstock dagegen jedes einzelne von einer bindege-
webigen Hülle umwachsen und so von seinen Nachbarn gesondert
wird. Es ist somit die überwiegende bindegewebige Wucherung,
welehe dem Eierstock seinen ersten speeifischen Charakter auf-
drückt. Dann wächst die Eizelle ungetheilt weiter: die Sperma-
togonie aber theilt sich und erzeugt in ihrer Follikelhaut eine
grosse Zahl von Samenzellen.* Laulanie’s (44) Arbeit kenne
ich nur aus der vorläufigen Mittheilung; da ich aus dieser nicht
mit Bestimmtheit die Ansichten des genannten Autors erkennen
kann, gestatte ich mir, seine Ergebnisse in der Originalsprache
anzuführen: Les cordons de Pflüger et l’epithelium dit germinatif
resultent primitivement de la specialisation corticale des cordons
sexuels, qui se differeneient sur la place dans toute l’etendue du
stroma. (es deux formations de m&me valeur et de m&me origine
ont dans l’ovogenese une part respective qui varie avec les especes
animales.
Dans certains groupes (Carnassiers), les cordons sexuels cor-
ticaux passent A l’etat de cordons de Pflüger en m@me temps, que
l’epithelium germinatif se specialise dans le m&me sens et ils in-
terviennent dans l’ovogenese au m@me titre que ce dernier.
Dans d’autres especes (ruminauts, pore) l’Epithelium dit ger-
minatif est bientöt depossed& au benefice des cordons de Pflüger,
qui interviennent par le procede primitif de la differeneiation im-
mediate des cellules du Stroma.
Chez les oiseaux et les vertebres inferieurs, c'est ’Epithelium
germinatif, qui subsiste et produit ces ovules par involution, &
l’exclusion des eordons sexuels dont l’existence est ephe&mere.
Inzwischen war von Edouard van Beneden (8) eine Ent-
deekung gemacht, die dazu bestimmt schien, ein ganz neues Licht
auf die Streitfrage zu werfen. Der Gedankengang E. van Bene-
den’s ist kurz der folgende.
Nach seinen Untersuchungen und Beobachtungen bei den
Hydractinien, Clavae und bei den Medusen („des campanulaires“)
ist E. van Beneden der Ueberzeugung, dass beim weiblichen
Individuum die Geschlechtsproducte (Eierstock) vom Entoderm
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des” Menschen. 303
herstammen, beim männlichen Individuum dagegen vom Ectoderm;
denn aus letzterem entsteht der Hoden.
Die Befruchtung besteht nun in der Vereinigung eines Eis,
Abkömmling des Entoderms, mit einem (beziehungsweise mit einer
gewissen Zahl von) Spermatozoe, Abkömmling des Eetoderms; die-
ser Akt hat keinen anderen Endzweck als entgegengesetzte Ele-
mente (&l&ments ehimiques de polarit€ opposee) zu vereinigen,
welche, nachdem sie eine kurze Zeit vereinigt gewesen im Ei,
sich wieder trennen. Denn bei der grössten Mehrzahl der Thiere
trennen sich, sobald die Furchung vor sich geht, die Elemente»
aus welchen das Eetoderm sich bildet, von denjenigen, welche das
Entoderm erzeugen.
Hieraus folgert E.van Beneden, dass die erste Anlage des
Embryo, die Keimscheibe also, aus beiden Geschlechtselementen
besteht, dass dieselbe hermaphroditisch sei (äusseres Keimblatt
männlich, inneres Keimblatt weiblich). Mithin kam van Beneden,
aber auf anderem Wege, zu demselben Ergebnisse wie Waldeyer,
der bekanntlich seine Ansicht von dem Hermaphroditismus darauf
gründete, dass gewisse Bestandtheile des Geschlechtsapparates,
welche im ausgewachsenen Zustande nur in einem der Geschlechter
thätig sind, auf einer frühen Entwickelungsstufe in beiden Ge-
schlechtern gut entwickelt vorhanden sind.
E. van Beneden betrachtete seine Hypothese als gültig
für alle Wirbelthiere, ja selbst für den Menschen und nach dem
damaligen Stande der Dinge war er auch hierzu vollständig berech-
tigt. Denn nach den Untersuchungen von Götte, Peremeschko,
Schenk, Oellacher, Rienek (angeführt bei E. van Beneden
(8)) ist das Mesoderm ein Abkömmling des Entoderms, und aus
diesem (Mesoderm) entsteht nach Waldeyer das Keimepithel
(Eier, Follikel. Die Hodenelemente entstehen dagegen aus
dem Wolff’schen Körper (Waldeyer, Kölliker, Balfour (4))
und dieser nimmt, nach den Untersuchungen von His, Hensen
und Waldeyer, seinen Ursprung aus dem Eetoderm.
Ich weiss nicht ob E. van Beneden seine Hypothese noch
aufrecht hält. Die Untersuchungen von OÖ. und R. Hertwig (Der
Organismus der Medusen und seine Stellung zur Keimblättertheorie.
Jena 1878), J. Ciamician (Zur Frage über die Entstehung der
Geschlechtsstoffe bei den Hydroiden; Zeitschrift f. wissenschaft-
liche Zoologie Band XXX.) und M. Nussbaum (56) haben Er-
304 Dr. med. W. Nagel:
gebnisse erzielt, die mit denjenigen v. Benedens in Widerspruch
‘ stehen. Bekanntlich hat sich seitdem vieles in der Lehre von der
Entstehung der Keimblätter geändert, ohne dass damit eine end-
gültige Lösung unserer Frage herbeigeführt wäre, also ohne dass
damit ein strieter Gegenbeweis gegen diese Voraussetzung der
Hypothese v. Beneden’s herbeigebracht worden wäre. Dass ich
die andere Voraussetzung der Hypothese über den verschiedenen
Ursprung der Eierstocks- und Hodenelemente für den Menschen
nicht als richtig anerkennen kann, werde ich in dem Folgenden
auseinandersetzen.
In seinem Lehrbuche der Entwickelungsgeschichte (2. Auflage.
Jena 1888) vertritt OÖ. Hertwig die Ansicht, dass anfänglich eine
vollständige Uebereinstimmung in der Entwickelung von beiderlei
Geschlechtsdrüsen besteht. ‘In dem neuesten Sammelwerke der
Embryologie ausgesprochen, darf man diesen Satz als Ausdruck
der am meisten verbreiteten Meinung über diese Frage betrachten,
obwohl derselbe sich hauptsächlich auf Untersuchungen der
Anamnien stützt (Semper, Balfour, Hoffmann u. A.).
Was nun den Menschen betrifft, so kann ich nach meinen
Untersuchungen den oben erwähnten Satz von der anfänglichen
vollkommenen Uebereinstimmung in der Entwickelung von beiderlei
Geschlechtsdrüsen nicht ohne Weiteres unterschreiben. Ich bemerke
hierbei ausdrücklich, dass die allerersten Entwicklungsstufen mir
allerdings fehlen. Die jüngsten von mir untersuchten Embryonen
zeigten aber in ihren Keimdrüsen so auffällige Unterschiede, dass
ich nicht glaube fehl zu gehen, die Trennung des Geschlechts
auf eine noch frühere Zeit zu verlegen.
Es ist selbstredend, dass ich nur aus Embryonen (ich rede,
wie gesagt, stets von menschlichen), die sich vollkommen wohl
erhalten zeigten, meine Schlüsse über die Entwickelung der
Geschlechtsdrüsen gezogen habe. Abgesehen von den beiden
(Seite 272) beschriebenen Embryonen habe ich die Ergebnisse an
mehreren Exemplaren einer und derselben Grösse vergleichen
können, so dass ich glaube, die nachstehende Schilderung der Ent-
wickelung dieser Organe nicht als Ausnahme, sondern als
Regel hinstellen zu können.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen 305
Der Unterschied in dem Bau der Keimdrüsen wird um so
auffälliger je älter der betreffende Embryo; es wird einem sofort
klar, dass man zweierlei Drüsen vor sich hat, dass die Entwicke-
lung derselben bei einigen Embryonen einen ganz anderen Weg
einschlage als bei anderen. — Bei der nunmehr folgenden Schil-
derung der Keimdrüsen von Embryonen verschiedenen Alters
greife ich zunächst diejenigen heraus, in deren fortschreitendem
Aufbau man von Stufe zu Stufe denselben Entwickelungstypus
verfolgen kann.
Gelegentlich der Beschreibung des Embryo F habe ich dessen
Sexualdrüse geschildert als einen von dem Gewebe des Wolff-
schen Körpers deutlich abgrenzbaren Keimepithelwulst, in welchem
man, ausser den gewöhnlichen Keimepithelzellen, zahlreiche
grössere, bis zu 16u messende Zellen, Sexualzellen und deren
Uebergängsformen aus den Keimepithelzellen, wahrnimmt. Eine
bestimmte Anordnung der Zellen besteht nicht. Hie und dort,
besonders an der Basis des Wulstes, bemerkt man einzelne zarte
Züge von embryonalem Bindegewebe und Capillaren; ein Stroma
besteht um diese Zeit nicht. Siehe Fig. 13 Tafel XVII.
Bei einem Embryo von 20 mm Länge hat die Sexualdrüse
sich mehr von dem Gewebe des Wolff’schen Körpers abgehoben,
so dass die Verbindung mit letzterem durch eine breite, fast die
ganze Länge der Geschlechtsdrüse einnehmende Falte gebildet
wird. Die Drüse selbst hat auf dem Querschnitte eine regel-
mässige länglich ovale Gestalt und ist 0,4 mm breit und 0,2 mm hoch;
jedoch ist dieselbe in den mittleren Theilen etwas abgeplattet.
In den anatomischen Verhältnissen hat sich gegen früher wenig
geändert. Die Sexualdrüse besteht auch auf dieser Entwickelungs-
stufe hauptsächlich aus epithelialen Elementen: Keimepithelzellen
und Sexualzellen mit Uebergangsformen zwischen beiden. An der
Oberfläche stehen die Keimepithelzellen dichter gedrängt, sind
aber in ununterbrochener Verbindung mit den darunterliegenden.
Die Sexualzellen haben eine Grösse von 10—16 « mit einem
Kern von 8. und zeichnen sich durch ihres helles Protoplasma aus.
Der Kern trägt ein Kerngerüst. Die Keimepithelzellen messen 8 «
mit einem Kern von 5 u, der sich viel stärker färbt als derjenige
der Sexualzellen. In dem ganzen Organ, jedoch nicht bis zur
306 Dr. med. W. Nagel:
Peripherie zu verfolgen, sieht man einzelne spindelförmige Zellen,
zarte Züge+ von embryonalem Bindegewebe und Capillaren. An
der Basis des Organs, im Bereich des späteren Hilus ist die-
Stromabildung am reichlichsten.
Die Keimdrüse eines 30 mm langen Embryo zeigt folgende
Verhältnisse:
Die Drüse hat sich noch mehr von dem Wolff’schen Körper
abgehoben, indem die vorhin beschriebene bindegewebige Falte
schmäler und länger geworden ist. Die Sexualdrüse ist in den mittleren
Theilen etwas abgeplattet, sonst regelmässig länglich oval und
misst (auf dem Querschnitt) in der Breite 0,8—0,9 mm, in der
Höhe 0,4mm. Der Hauptsache nach besteht das Organ noch
immer aus Keimepithelzellen und Sexualzellen mit den bekannten
Uebergangsstufen ; die Grösse der Sexualzellen beträgt 164, diejenige
der Kerne 9u, beide, wie die Keimepithelzellen auch, zeigen das früher
beschriebene Verhalten; in der oberflächlichsten Schichte des Epithel-
wulstes stehen die Zellen dieht gedrängt. Das Stroma (Bindegewebe
mit Gefässen, vielleicht Nerven) breitet sich deutlicher in dem ganzen
Keimepithelwulst aus, zarte Züge lassen sich stellenweise bis gegen
die Oberfläche hin verfolgen. Auch in dem späteren Hilus hat
die Stroma-Anlage zugenommen, aber nicht mehr als dass die
ganze Keimdrüsenanlage zunächst den Eindruck eines Keimepithel-
wulstes macht. An einzelnen Stellen, im Hilus, sieht man jedoch
Bilder, welche mit den als Eifächer bekannten Gebilden grosse
Aehnlichkeit haben.
Die Keimdrüsen von 40—50 mm langen Embryonen dieser
Gattung zeigen im wesentlichen dieselben Verhältnisse; man kann
sich, wie die Untersuchung auch an in Müller’scher Flüssigkeit
gehärteten Embryonen dieser Grösse mir gezeigt hat, ihr Aussehen
leicht aus den schon beschriebenen jüngeren Stadien vergegen-
wärtigen. Ich gehe desshalb zur Schilderung der Keimdrüse
von einem Embryo derselben Klasse mit einer Steiss-Kopflänge
von 7 Centimeter über, welchen ich als besonders wohlerhalten
herausgegriffen habe. In frischem Zustande ist die Keimdrüse
von gleichmässiger blassröthlicher Farbe, dachförmig abgeplattet,
und hat eine Länge von 5 mm.
Auf dem Querschnitte hat die Keimdrüse, im gehärteten
Zustande (Flemming’sche Lösung) eine dreieckige Gestalt. Vom
Hilus, wo das Stroma am stärksten entwickelt ist, verbreiten sich
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 307
Bindegewebsbalken mit Gefässen in dem ganzen mittleren Theile
des Organs und theilen die zelligen Elemente (Keimepithel- und
Sexualzellen) in Fächer ein. Die Stromazüge erreichen die
peripheren Theile nicht (wohl aber einzelne mit Blut gefüllte
Capillaren), oder sind wenigstens dem Auge nicht zugänglich;
hier zeigt also die Keimdrüse denselben Bau wie auf einer früheren
Stufe der Entwiekelung: die oberflächlichsten Schichten werden
gebildet aus Keimepithelzellen mit dazwischen gelagerten Sexual-
zellen und zahlreichen Uebergangsformen zwischen beiden Zell-
arten (siehe Fig. 14 Tafel XVII). Die äusserste Schichte
besteht aus dieht gedrängten, ziemlich regelmässig geordneten
Keimepithelzellen, zwischen welchen man einzelne grössere Zellen
sieht. Diese Schicht geht aber, wie in den jüngsten Stadien,
ohne Unterbrechung in die unterliegenden über (siehe Fig. 14
Tafel XVIH).
Die am meisten entwickelten Sexualzellen messen 16 «u, der
Kern 7. (eine vereinzelte Sexualzelle misst 19 u, deren Kern
llu). Das Protoplasma derselben ist hell, der Kern zeigt ein
deutliches Kerngerüst und zahlreiche Verdickungen der Kernfäden,
welche sich mit Haematoxylin intensiv dunkel gefärbt haben.
Für die Beschreibung einer älteren Entwickelungsstufe wähle
ich ein selten günstiges Object. Der betreffende Foetus hatte eine
Kopf-Steisslänge von 11 Centimeter; gestreckt maass er 15
Centimeter und war am 4./7. 88 von Herrn Professor Gusserow
durch Operation einer nicht geplatzten Tubarschwangerschaft ge-
wonnen. Höchst wahrscheinlich ist derselbe erst während der
Operation abgestorben.
Die Keimdrüsen sind blassröthlich, länglich etwas gelappt.
Die rechte hatte eine Länge von I9mm, die linke war 7 mm lang;
die rechte Keimdrüse macht im ganzen einen grösseren Eindruck.
Die in Flemming’scher Lösung gehärtete Keimdrüse zeigt
auf dem Querschnitte eine dreieckige (pilzhutartige) Gestalt und
besteht durchweg aus kleineren und grösseren Zellen, welche
durch Bindegewebsbalken, in welchen Gefässe verlaufen, in Ballen
getheilt werden. Nach dem Hilus zu sind sie am stärksten ent-
wickelt; peripherwärts lösen dieselben sich in immer dünner
werdenden Zügen auf, welche bis zur Oberfläche des Organs zu
verfolgen sind (siehe Fig. 15 Tafel XVII).
Die grössten der Zellen in den erwähnten Ballen messen 23 a,
308 Dr. med. W. Nagel:
und kennzeichnen sich durch ihr helles Protoplasma und ihren
blassen, 14—17 u grossen Kern, welcher ein deutliches Kerngerüst
mit Verdiekungen der Kernfäden an den Kreuzungspunkten trägt,
als Sexualzellen. Die kleinsten Zellen (Keimepithelzellen) messen
11 u mit einer Kerngrösse von 6u. Das Protoplasma der letzt-
genannten Zellen hat sich etwas, ihr Kern, stark dunkel gefärbt
(Haematoxylin). Zwischen diesen beiden Grössen finden sich alle
möglichen Uebergänge.
Der Uebergang von den ohenfbishlichen Schichten der Keim-
drüse zu den tiefer liegenden ist überall ein allmählicher.
Gemeinschaftlich für die hier beschriebenen Keimdrüsen ist
die grosse Anzahl von Sexualzellen verschiedener Entwicke-
lungsstufen. Dieselben liegen zerstreut in dem ganzen Organ,
umgeben von den Keimepithelzellen, aus welchen sie offenbar
hervorgegangen sind. Bei den älteren Embryonen werden die
tieferen Zellschichten der Drüse durch emporwachsendes Stroma-
gsewebe in Fächer getheilt, während die peripheren Theile das-
selbe Aussehen bewahren wie auf den jüngeren Entwickelungs-
stufen. Ganz ähnliche anatomische Verhältnisse findet man stets
(ich verweise auch auf meine frühere Arbeit (52)) in den peri-
pheren Schichten von Sexualdrüsen älterer Embryonen, welche
sich durch das Vorhandensein von Primärfollikel in den tieferen
Lager ganz bestimmt als weibliche kennzeichnen. Aus diesem
Grunde glaube ich den Rückschluss gerechtfertigt, dass alle die
hier beschriebenen Keimdrüsen als Eierstöcke aufzufassen sind.
Zu Gunsten dieser Auffassung spricht auch schon das makros-
kopische Verhalten der Keimdrüsen von den beiden letzten
Embryonen: von der Grösse abgesehen haben die Eierstöcke neu-
seborener und älterer Foeten ein ganz ähnliches Aussehen.
Die Keimdrüsen einer anderen Reihe von Embryonen bieten
auf den verschiedenen Entwickelungsstufen ein von den eben
geschilderten ganz abweichendes Aussehen. Ich werde in dem
Folgenden einige Entwickelungsstufen von dieser zweiten Gattung
etwas näher beschreiben.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 309
Die Sexualdrüse des Embryo M habe ich Seite 277 als einen
0,5 mm breiten und 0,3 mm hohen (auf dem Querschnitt) Keim-
epithelwulst geschildert, welcher dem Wolff’schen Körper
breit aufsitzt aber von diesem jedoch deutlich abzugrenzen ist.
In diesem Keimepithelwulst bemerkt man deutlich stellenweise eine
gewisse regelmässige Anordnung der Zellen; sie bilden geschlängelte
Stränge, welche theils unter sich, theils mit der Oberfläche in Ver-
bindung stehen (siehe Fig. 18 Tafel XVII). An der Basis des
Wulstes sieht man spärliche Züge von zartem embryonalen Binde-
gewebe mit Gefässen. Die äusserste Schichte des Wulstes wird
gebildet von dicht aneinander gereihten Keimepithelzellen, welche
aber in ununterbrochener Verbindung mit den tiefer liegenden
Zellen stehen. Ferner sieht man, durch das ganze Organ ver-
theilt, einzelne grosse Zellen, deren Protoplasma nicht überall deut-
lich abzugrenzen ist und deren blasser, 8u grosser Kern ein
Kerngerüst trägt.
Da die Sexualdrüse durch dieses ihr eigenthümliches Ver-
halten (strangartige Anordnung der Keimepithelzellen, auifallend
geringe Anzahl der grossen Zellen) sich sehr wesentlich von der
Sexualdrüse des Embryo F unterscheidet, sich vielmehr dem männ-
lichen Typus einer späteren Entwickelungsstufe nähert, so glaube
ich nicht fehl zu gehen, wenn ich dieselbe als Hoden bezeichne.
Die Sexualdrüsen von Embryonen dieser zweiten Gattung
(ich rede ausschliesslich von menschlichen) von 13mm, 20 mm,
22mm, 23mm, 25mm Länge haben einen so eigenartigen, mit
dem Hoden des älteren Foetus und des Neugeborenen so sehr
übereinstimmenden Bau, dass man sie auf dieser Entwickelungs-
stufe mit Recht als männliche Keimdrüsen bezeichnen kann.
Ganz gleichgültig ob sie in Flemming’scher oder Müller’scher
Flüssigkeit gehärtet sind, wenn sie bloss genügend frisch waren,
zeigen die Sexualdrüsen der erwähnten Embryonen eine so grosse
Uebereinstimmung in ihrem Bau, dass ich mich darauf beschränken
kann, die Keimdrüse von einem solchen zu beschreiben. Ich
wähle hierzu einen 22mm langen Embryo, welcher durch einen
von mir geleiteten, nicht durch Erkrankung des Eis bedingten,
- Abortus gewonnen wurde und weleher sofort in Flemming’sche
Lösung gelegt wurde. Bei diesem zeigt die Sexualdrüse (mit und
ohne Hämatoxylin gefärbt) folgendes Verhalten:
Dieselbe ist 2 mm lang (das heisst im längsten, durch die
310 Dr. med. W. Nagel:
Sehnittführung getroffenen Durchmesser) und 0,6—0,7 mm breit und
lässt mit grosser Bestimmtheit 3 Hauptgebilde (Epithel, Albuginea,
Zellstränge) erkennen (s. Fig. 19, Tafel XVII). Die Sexualdrüse
ist an ihrer ganzen freien Oberfläche mit einem einschichtigen,
aus regelmässig gereihten, cubischen, 6 u grossen Zellen beste-
henden Epithel bekleidet, welches nirgends Fortsätze in die Tiefe
schickt; dasselbe ist vielmehr, wie die Durchmusterung von Rei-
henschnitten lehrt, allerorts scharf gegen die darunterliegende,
42—56 u breite Albuginea-Anlage abgrenzbar. Diese besteht aus
zartem, embryonalen Bindegewebe mit vorwiegend runden Zellen,
an einzelnen Stellen bemerkt man aber auch spindelförmige Zellen
und dünne Bindegewebsfasern. Der ganze mittlere Theil wird von
Zellsträngen eingenommen, welche anscheinend keine bestimmte
Anordnung erkennen lassen und vielfach mit einander anastomosiren.
Abgesehen von diesen Anastomosen sind die Zellstränge im übrigen
durch embryonales Bindegewebe von einander getrennt, welches
dasselbe Verhalten zeigt, wie in der Anlage der Albuginea. Die
Zellstränge, welche durch die eben erwähnte Albuginea-Anlage voll-
ständig von dem Oberflächenepithel getrennt sind, haben eine
Breite von 30 u und bestehen aus regelmässig angeordneten lang-
eylindrischen, nach der Mitte des Stranges, dem späteren Lumen,
spitz zulaufenden Zellen mit einem deutlichen, länglichen Kern.
An Schnitten, die wohl die Zellstränge der Länge nach getroffen
haben, aber nicht genau durch die Mitte derselben gehen, sieht
man, wie die eben beschriebenen Zellen (von beiden Wänden des
Stranges her) ineinander greifen, genau so, als wenn man die
Finger beider Hände ineinander fügt. In den Zellsträngen zer-
streut sieht man die vorhin erwähnten 11. grossen Zellen, die
Sexualzellen; der Kern derselben misst 8 u. Mittels einer
breiten bindegewebigen Falte steht die Sexualdrüse fast der ganzen
Länge nach in Verbindung mit dem Wolff’schen Körper, gerade
so, wie ich bei der Keimdrüse eines gleich grossen weiblichen
Embryo schon beschrieben habe.
Die nunmehr zu schildernde Sexualdrüse entstammt einem
Foetus, den ich selbst aus einem Uterus hervorgeholt habe. Wegen
starker Blutung sah ich mich genöthigt, einen, ein paar Stun-
den zuvor anderweit eingeleiteten Abortus mittels Curettement
zu beenden. Die Länge des Embryo betrug etwa 31/, Centimeter;
jedoch kann ich dieselbe nicht genau angeben, da der Embryo
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 311
von der Curette beschädigt worden war; wahrscheinlich ist er erst
während der Operation abgestorben, da er alle Zeichen der voll-
kommenen Frische trug (s. vorhin); eine halbe Stunde nach be-
endeter Operation wurde der Embryo in Flemming’sche Lösung
gelegt. Die allgemeinen Verhältnisse dieser Keimdrüse sind wenig
verschieden von denjenigen der vorher beschriebenen. Da es aber
immerhin von einem glücklichen Zufall abhängen wird, über so
frische Embryonen wie diesen verfügen zu können, werde ich
einige histologische Einzelheiten anführen.
Das Oberflächenepithel (Hodenepithel) besteht aus 6 « hohen
cubischen Zellen in einschichtiger Reihe, darunter die Anlage der
Albuginea in einer Dicke bis zu 56 «: dieselbe besteht zum grössten
Theile aus spindelförmigen Zellen mit dazwischen gelagerten spär-
lichen und zarten Bindegewebsfasern. Der ganze mittlere Theil
des Organs wird eingenommen von den zahlreichen, gewundenen
Zellsträngen, welche 32 « breit sind und welche aus regelmässig
angeordneten, nach der Mitte des Stranges spitz zulaufenden Zellen
bestehen; diese letzteren messen 16, einzelne sogar 29 u und
zeigen im übrigen dieselben Verhältnisse wie bei dem vorigen
Embryo. In den Zellsträngen liegen hie und dort einzelne Sexual-
zellen (Ursamenzellen), durch helles Protoplasma sofort in die
Augen fallend; dieselben haben eine Grösse von 14—16u; ihr
Kern hat ein deutliches Kerngerüst mit Verdickungen an den Kno-
tenpunkten der Kernfäden und misst 8 u.
Ich möchte besonders hervorheben, dass viele von den Zellen
der gedachten Stränge (die Epithelien der späteren Samenkanäl-
chen also) schöne Kerntheilungsfiguren zeigen (s. Fig. 21,
Tafel XVII). Die Zellstränge haben kein Lumen, wie man an den
quergetroffenen Kanälchen deutlich sieht.
Die Sexualdrüse eines 10 Centimeter langen Embryo dieser
zweiten Gattung hat auf dem Querschnitte eine regelmässige, nie-
renförmige Gestalt und misst (ebenfalls auf dem Querschnitte)
2,4x 1,6 mm.
Die Albuginea hat dieselbe Dieke wie bei dem vorigen Em-
bryo; die Bindegewebselemente sind aber mehr hervorgetreten und
bilden wellige, parallel zur Oberfläche laufende, stark lichtbrechende
Fasern, dazwischen spindelförmige Zellen.
Hodenepithel und Zellstränge mit den Ursamenzellen zeigen
312 Dr. med. W. Nagel:
hauptsächlich dasselbe Verhalten wie bei dem vorigen Embryo be-
schrieben.
Ein wesentlicher Unterschied gegen früher besteht aber darin,
dass in den zwischen den Zellsträngen liegenden Zügen embryo-
nalen Gewebes die sogenannten Zwischensubstanzzellen auf-
getreten sind. Dieselben sind spindelförmig oder polyedrisch mit
mehrfachen Ausläufern. Ihr Protoplasma hat ein eigenthümliches
mattes Aussehen und färbt sich mit Hämatoxylin blaugrau. Die
Grösse wechselt, die am meisten entwickelten Zwischensubstanz-
zellen messen 24X32 u. Ihre Kerne messen 8 u, haben ein deut-
liches Kerngerüst mit den bekannten Verdiekungen und ein oder
zwei Kernkörperchen.
Bei einem sehr gut erhaltenen Foetus, dessen Kopf-Steiss-
länge 12 Centimeter betrug, zeigte der Hoden in frischem Zustande
eine glatte Oberfläche mit durchschimmernden Capillaren, hatte
eine blassröthliche Farbe, eine bohnenförmige Gestalt und maass
>mm; der rechte war etwas grösser. Diese Hoden wurden in
Müller’scher Flüssigkeit gehärtet. Die anatomischen Verhältnisse
ergeben sich ohne weiteres aus den Figuren 22 u.23, Tafel XVII,
welche, wieauch dieübrigen Abbildungen, genau nach den Präparaten
angefertigt sind; da die histologischen Einzelheiten einfach eine weiter
vorgeschrittene Entwickelungsstufe der früher geschilderten dar-
stellen, will ich hier nur hervorheben, dass die Zwischensubstanz
sehr an Mächtigkeit zugenommen hat, wodurch die noch immer
soliden Samenkanälchen weiter auseinander liegen als früher. Die
Zwischensubstanzzellen gehen nirgends in die Albuginea über.
Aus diesen anatomischen Darlegungen dürfte zur Genüge
hervorgehen, dass der Entwickelungsvorgang der Sexualdrüsen
beim Menschen ein ungemein einfacher ist. Bei beiden Geschlechtern
ist es ein Keimepithelwulst (im Sinne Waldeyer’s), welcher
durch, ursprünglich aus dem Stroma des Wölff’schen Körpers
hervorwachsendes, Bindegewebe zerlegt wird. Beim Weibchen ist
das Ergebniss dieser Zerlegung die Bildung von Eifächern, beim
Männchen dagegen die Bildung von Zellsträngen (spätere Samen-
kanälchen). Es herrscht aber von vornherein, sowohl in der Ge-
staltung des ursprünglichen Keimepithelwulstes wie in dem ganzen
Zerlegungsvorgange ein so grosser Unterschied bei beiden Ge-
schlechtern, dass man von einem sehr frühen Stadium an, soweit
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 313
meine Untersuchungen zurückreichen, an dem anatomischen Bau
der Sexualdrüsen erkennen kann, ob man ein Weibchen oder
Männchen vor sich hat. Mit dieser meiner Anschauung stehe ich
in vielen und wesentlichen Punkten in Widerspruch mit den von
anderen Autoren erzielten Ergebnissen, so dass ich auf die obwal-
tenden Vorgänge, wie auf die Meinungen anderer, etwas näher
eingehen muss.
In seinem Werke Eierstock und Ei (77) schildert Waldeyer
die Entwickelung des Eierstocks einiger menschlicher Foeten,
von denen der jüngste eine Steissscheitellänge von 4 Centimeter
hatte, als „eine gegenseitige Durchwachsung des bindegewebigen
vaseularisirten Stromas und des Keimepithels, in Folge dessen
grössere und kleinere im Allgemeinen rundliche Massen des letz-
teren mehr und mehr in das bindegewebige Stroma eingebettet
werden“. Dass derselbe Durchwachsungsvorgang auch auf der
ersten Entwickelungsstufe des Eierstocks stattfindet, wies Wal-
deyer beim Hühnchen nach (Seite 55 u. 56).
Bis dahin war es die Aufgabe der Embryologen gewesen, die
Entstehung der von Valentin (75) und Pflüger (58) entdeckten,
von zahlreichen Forschern (s. bei Waldeyer(77)) als einen Haupt-
bestandtheil des Säugethiereierstocks nachgewiesenen „Eischläuche“
zu ermitteln. Anscheinend war diese Aufgabe Bornhaupt (s. bei
Waldeyer) gelungen, indem er bei 11—12tägigenHühnerembryonen
senkrechte schlauchförmige Zellenwucherungen vom Peritoneal-
epithel aus in das Stroma der Eierstocksanlage hineinwachsen
sah; Bornhaupt hielt sie für die Anlage der Pflüger’schen
Schläuche, obgleich er ihre Weiterentwickelung nicht verfolgt hat.
Die Beobachtungen Waldeyer’s schlossen die Bildung von
sogenannten Valentin-Pflüger’schen Schläuchen in dem em-
bryonalen Eierstoek aus. Denn zu keiner Zeit der Entwiekelung
des Eierstocks finden schlauchförmige Wucherungen vom Epithel
her in das unterliegende Stroma statt. Die Pflüger’schen Schläuche
gehören, nach Waldeyer, einer viel späteren Zeit der Entwicke-
lung an, und kommen dadurch zu Stande, dass beim nahezu ferti-
gen Organ die peripheren Eifächer eine Zeit lang mit der Eier-
stocksoberfläche in Verbindung bleiben.
Eins der Hauptergebnisse der Untersuchungen Waldeyer’'s,
dass die Eier direkt vom Keimepithel abstammen, ist mit einzelnen
314 Dr. med. W. Nagel:
Ausnahmen (Valaoritis, Die Genesis des Thier-Eies. Leipzig 1882)
von allen späteren Forschern als richtig anerkannt; nach dem
heutigen Stand der Entwiekelungsgeschichte darf man wohl sagen,
dass die Waldeyer’sche Ansicht über die Oogenese zu einer all-
gemein anerkannten Thatsache geworden ist.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit seinen übrigen
Ergebnissen über den Entwickelungsvorgang des Eier-
stocks und über die Betheiligung des Keimepithels an
der Follikelbildung.
Was nun den Entwickelungsvorgang, den Aufbau des Eier-
stocks betrifft, so haben, um bei den höheren Wirbelthieren zu
bleiben, Egli (15) und Balfour (4) Ergebnisse erzielt, die sich
im wesentlichen sehr wohl mit denjenigen Waldeyer’s decken.
Die beiden Forscher schildern nämlich übereinstimmend das Wachs-
thum des Kanincheneierstocks als eine Durchwachsung des sich
stets vergrössernden Keimepithellagers mit Bindegewebszügen, welche
von dem unterliegenden Stroma (Bindegewebe des Wolff’schen
Körpers) hereinwachsen. Hierdurch wird, nach Balfour, das
Keimepithellager in Eifächer (Nester) zerlegt; nach Egli aber
wird durch das Hereinwachsen von Bindegewebszellen ein Zustand
erzeugt, der vollkommen mit der ersten Entwickelungsstufe der
Hodenanlage übereinstimmt. Nach Egli ist zu einer gewissen
Zeit jedes Individuum männlichen Geschlechts (das Kaninchen
am 15. Tage des Embryonallebens).
Zu einem ganz anderen Ergebnisse sind in der neueren Zeit
M. Braun (12), v. Mihalkoviez (50) und Janosik (31) ge-
kommen. Da die Arbeiten der drei genannten Forscher einander
vielfach ergänzen und da die beiden letztgenannten auch mensch-
liche Embryonen untersucht haben und geneigt sind, die von ihnen
gefundenen, sehr verwickelten Vorgänge auch für den Aufbau des
menschlichen Eierstocks gelten zu lassen, werde ich etwas näher
auf die genannten Arbeiten eingehen.
Nach Braun’s Untersuchungen findet bei Eidechsen und
Blindschleichen — bei den Schlangen liegen die Verhältnisse etwas
anders — eine Einwanderung von Zellenbalken in die Keimdrüse
beider Geschlechter statt. Braun nennt diese Zellenbalken Seg-
mentalstränge, weil sie von den Segmentalbläschen (= Mal-
pighi’sche Körperchen der Urniere), mit welchen sie auch
anfänglich noch in Verbindung stehen, und zwar von deren
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 315
äusseren Wand, herstammen. Eine Zeit lang besteht das In-
nere der Sexualdrüse, bei beiden Geschlechtern aus diesen
Zellenbalken; dies ist das indifferente Stadium der Keimdrüsen.
Bei beiden Geschlechtern findet nun eine Verbindung zwischen
Segmentalsträngen und Ureilager statt, die beim Männchen den
Schwund des Ureilagers (= Keimepithel) in Folge des Einwanderns
des grössten Theiles seiner Elemente in die Segmentalstränge be-
dingt, während beim Weibchen im weiteren Verlaufe der Ent-
wickelung es zur Lösung der Verbindung, zur Degeneration der
Segmentalstränge und zur Follikelbildung vom Ureilager aus
kommt.
Da Braun nirgends Uebergangsstadien von den Elementen
der Segmentalstränge zu den Ureiern findet,. meint er, sie seien
eingewandert von aussen (von dem Peritonealepithel = Keim-
epithel).
v. Mihalkovicz findet im wesentlichen die Angaben
Brauns über die Entwickelung der Sexualdrüsen bestätigt und
führt sie weiter aus, auch bei den Säugethieren und dem Men-
schen. Jedoch meint er, dass die Sexualstränge nicht von den
Glomeruli der Urniere herstammen, dass sie überhaupt nicht von
dem Wolff’schen Körper herstammen, wesshalb er den vonBraun
eingeführten Namen „Segmentalstränge“ als nicht zutreffend ver-
wirft. Die Sexualstränge entstehen vielmehr auf einmal ihrer
ganzen Länge nach das Centrum der Geschlechtsdrüse einnehmend,
und zwar durch selbständige Herausdifferenzirung im Stroma. Ihren
Ursprung sucht v. Mihalkoviez nicht in den bindegewebigen
Zellen der Geschlechtsdrüse, sondern in epithelialen Elementen,
welche ursprünglich vom Keimepithel herstammen und folgender-
maassen in die Geschlechtsdrüse hinein gelangen: v. Mihalkoviez
meint nämlich, dass die in dem Keimepithel zuerst erscheinenden
grossen Zellen nicht, wie man mit Waldeyer allgemein annimmt,
Ureier sind, sondern einfach die Bestimmung haben „aus dem
archiblastischen Material des Mesoderm herausdifferenzirte Epithel-
gebilde“ unter die parablastischen Elemente der Geschlechtsleiste
hineingelangen zu lassen, wo sie durch Theilung zur Bildung der
Gesammtmasse des Keimdrüsenblastems beitragen. Mihalkoviez
nennt sie desshalb „grosse Geschlechtszellen“; aus den Nach-
kommen dieser entstehen also die Elemente der Sexualstränge.
Die eigentlichen Ureier sollen, nach demselben Autor, viel
316 Dr. med. W. Nagel:
später erscheinen, bei Säugethieren nicht vor der Differenzirung
des Geschlechts.
Mir standen allerdings nicht Reptilienembryonen zur Ver-
fügung und ich kann mir also kein persönliches Urtheil über die
Verhältnisse des embryonalen Eierstocks bei diesen Thieren
bilden. Die Gebilde aber, welche Braun als Segmentalstränge
schildert und abbildet (Fig. 4, 7 und 3z. B.), würde ich als Eifächer
ansprechen. Ich habe beim Menschen ganz ähnliche Bilder zum
Oefteren gesehen wie die in den genannten Figuren Braun’s ab-
gebildeten und zwar auf den ersten Stufen der Entwickelung des
Eierstockes. So sieht ganz genau der Keimepithelwulst aus, wenn
er durch das emporwachsende Bindegewebe in Eifächer zerlegt
wird!); solche Bilder sieht man ferner zu jeder Zeit im der
Peripherie des embryonalen Eierstocks beim Menschen bis der
Aufbau des Organs vollendet ist. (Vergleiche meine Abbildungen
Tafel XVII, Fig. 14 und 15.)
Entstünden die „Segmentalstränge* (Eifächer) wirklich aus der
äusseren Wand der Malpighi’schen Körperchen (Segmentalblase),
so müsste man doch eine ganz andere Betheiligung von Seiten des
Epithels des Malpighi’schen Körperchens sehen als wieBraun
schildert und abbildet. Ein solches Hereinwuchern von Seiten des
Kanalsystems des W olff’schen Körpers in die Keimdrüse müsste
doch solehe unverkennbareBilder geben, wie etwa das Hervor-
sprossen der Harnkanälchen aus dem primitiven Nierenbecken, und
das ist von keinem Forscher beschrieben. Ich habe niemals, weder
beim Säugethier noch beim Menschen eine andereVerbindung zwischen
Keimdrüse und Kanalsystem der Urniere gesehen als die, welche
überhaupt zwischen den einzelnen Theilen eines Embryo besteht.
Mit Bestimmtheit muss ich aber v. Mihalkovicz gegenüber
fest halten, dass die Gebilde, welche er als Sexualstränge des
Eierstocks schildert, in der That Eifächer sind. Wenn v. Mihal-
kovicz in Eierstöcken von 3—4 Centimeter langen Embryonen
weiter nichts gesehen hat, als dass „die äussere Rindenschicht zu
dieser Zeit einem kleinzelligen Faserknorpel nicht unähnlich sieht‘,
dann glaube ich daraus den Schluss ziehen zu müssen, dass seine
Embryonen nicht ganz frisch gewesen. Das gilt noch im höherem
Grade von den älteren von v. Mihalkoviez untersuchten Foeten.
1) Dieses geschieht, wie vorne beschrieben, zuerst an der Basis des Organs.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 317
Es ist längst bekannt wie der Eierstock so grosser menschlicher
Embryonen aussieht (Waldeyer (77), Schröder (Lehrbuch der
Geburtshülfe 7. Auflage), His (27), Kölliker (36), H. Meyer
(49), Foulis (17)) und nach meinen eigenen Untersuchungen kann
ich die Ansichten Mihalkoviez nicht für die richtigen halten.
Es dünkt mich, als seien. die in den Figuren 191 und 192 Tafel
IX (bei Mihalkovicz) abgebildeten und im Texte geschilderten
hellen Grenzlinien, wodurch die Primordialeierlage beziehungsweise
die aus dieser hervorgegangenen Pflüger’schen Schläuche von
den tieferliegenden „Sexualsträngen“ geschieden werden, durch den
nicht ganz frischen Zustand der betreffenden Eierstöcke bedingt.
Entweder hat v. Mihalkoviez Recht in seiner Auffassung
vou der Entwickelung des Eierstocks oder ich; irgend ein Aus-
gleich zwischen unseren so sehr auseinanderweichenden Anschau-
ungen ist nicht möglich. Zunächst möchte ich aber meine Ansicht
als die zutreffende erachten auch aus folgendem Grunde: meine
Untersuchungen betreffen nämlich eine fortlaufende und ziemlich
vollständige Reihe von wohlerhaltenen menschlichen Embryonen
und die daraus gewonnenen Ergebnisse sind in vollkommenen
Einklang mit den von zahlreichen andern Autoren (s. 0.) bei älteren
Embryonen gefundenen zu bringen.
Ferner glaube ich nach meinen Untersuchungen annehmen
zu müssen, dass v. Mihalkoviez irrt, wenn er sagt, dass bei den
Säugethieren grössere Zellen im Keimepithel vor der Differen-
zirung des Geschlechts überhaupt nicht vorhanden sind. Ich bin
nämlich nach Untersuchung einer ganzen Reihe von Schweins-
embryonen, die ich an den Schlachttagen in dem hiesigen Central-
Viehhofe mir selbst holte und die ich zum Theil in Müller’scher,
zum Theil in Flemming’scher Lösung härtete, zu anderen Er-
gebnissen gelangt. Die mit der letztgenannten Flüssigkeit behan-
delten zeigten am deutlichsten die histologischen Einzelheiten,
wesshalb nur diese Serie der nachfolgenden Beschreibung zu
Grunde liegt. Die kleinsten der eben erwähnten Embryonen hatten
eine Länge von Smm und die übrigen waren um 3—4 mm grösser
als die vorhergehenden; ich glaube desshalb behaupten zu dürfen,
dass keine Entwickelungsstufe der Sexualdrüsen von Bedeutung mir
entgangen sein kann. Die Embryonen wurden in der vorher be-
schriebenen Weise mit Haematoxylin gefärbt, in Paraffin gebettet
und in Reihensebnitten zerlegt. Bei denjenigen von 8mm Länge
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 21
318 Dr. med. W. Nagel:
fand ich als übereinstimmenden Befund die erste Anlage der Sexual-
drüse als eine Verdiekung des Coelomepithels an der Innenseite
des Wolft’schen Körpers, genau so wie Waldeyer es beim
Hühnchen gesehen hat. Die Epithelverdickung, das Keimepithel
im wahren Sinne des Wortes, reichte rückwärts bis zur Ueber-
gängsstelle des Coelomepithels auf das Mesenterium, während die-
selbe sich bauchwärts allmählich verjüngte (s. Fig. 16 Tafel XVII).
Das Keimepithel misst an seiner breitesten Stelle 24. und besteht
aus einer mehrschichtigen Lage ceubischer Zellen, welche sich
durch eine Basalmemıbran deutlich von dem unterliegenden Gewebe
des Wolff’schen Körpers abheben. In dem Keimepithel sieht
man dann mehrere, 2—4 und mehr in jedem Präparate und
auf jeder Seite, 16 u. grosse Zellen, welche sich mit ihrem hellen
Protoplasma und mit ihrem 8—9 u grossen blassen, ein Gerüst
tragenden Kern, als Sexualzellen kennzeichnen. Bei Embryonen der
nächsten Entwickelungsstufe von 11mm Länge ist das Keimepithel
bedeutend gewuchert und bildet einen 0,33—0,38 mm hohen, von dem
Gewebe der Urniere deutlich abgrenzbaren Wulst, an dessen Basis
die Zerlegung durch das emporwachsende Bindegewebe angefangen
hat; im übrigen besteht der Wulst aus epithelialen Elementen mit
den Sexualzellen; in der äussersten Schichte des Wulstes stehen die
Keimepithelzellen dicht gedrängt (Pseudo-Epithelium Balfour's,
siehe weiter unten). Die weitere Entwiekelung, durch welche
der Keimepithelwust, unter ständiger Vergrösserung in Eifächer
beziehungsweise in die zelligen Anlagen der Samenkanälchen,
zerlegt wird, vollzieht sich wesentlich, nach Abzug der geringen
individuellen Verschiedenheiten, in der für den Menschen genauer
geschilderten Weise (siehe Seite 309 u. flg.); nur kömmt es beim
Schwein zu einer stärkeren Ablagerung von Bindegewebe (Stroma)
in dem Eierstocke als beim Menschen. Siehe Fig. 17 Tafel XVII.
Dass die in dem Keimepithel des Smm langen Embryonen
sich findenden, soeben beschriebenen grossen Zellen wirklich
Sexualzellen sind, geht erstens daraus hervor, so meine ich, dass
sie dieselben Eigenschaften besitzen wie die Sexualzellen über-
haupt, und zweitens daraus, dass sie nicht schwinden bei älteren
Embryonen (was sie doch thun müssten, wenn sie mit den früher
erwähnten „grossen Geschlechtszellen“ Mihalkovicz’ identisch
wären), vielmehr auf jeder Entwickelungsstufe mit grosser Be-
ständigkeit und in vermehrter Zahl vorhanden sind.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 319
Was nun den Geschlechtsunterschied auf dieser frühen Ent-
wiekelungsstufe betrifft, wo die Anlage der Geschlechtsdrüse aus
einer Schichte Keimepithelzellen besteht, so meine ich, indem ich
mich hierbei auf die Befunde aus einer späteren Entwickelungs-
zeit stütze, dass solehe Embryonen, in dessen Keimepithel man
verhältnissmässig wenige grosse Zellen findet, als männliche
auszusprechen sind. Enthält dagegen das Keimepithel eine ver-
hältnissmässig grosse Anzahl Sexualzellen, dann entwickeln die
betreffenden Embryonen sich zu weiblichen Individuen. Diesen
Unterschied in der Zahl der Sexualzellen meine ich bei gleich-
grossen Embryonen aus demselben Mutterthiere gesehen zu haben.
Es ist aber selbstverständlich, dass nur sehr umfassende Unter-
suchungen diese schwierige Frage entscheiden können, wesshalb
sie noch eine offene bleibt.
Ebensowenig wie mit Braun und v. Mihalkoviez, stimme
ich mit Janosik überein in Bezug auf die Entwickelung der
Sexualdrüsen. Das gilt sowohl für den Menschen wie für die
Säugethiere (Schwein). Janosik (31) vermochte bei einem mensch-
lichen Embryo von 5 Centimeter Länge noch keinen Geschlechts-
unterschied zu finden und von den Geschlechtsdrüsen eines 5
Centimeter und eines 5,3 Centimeter langen menschlichen Embryo
sagt er: „Histologische Einzelheiten lassen sieh hier nicht er-
forschen, aber das, was man wahrnehmen kann, ist so, dass es
mit den Verhältnissen bei Thieren im Einklange steht.“ Nach
seinen Untersuchungen bei Thieren entwickelt sich nun das Ovarium
zunächst viel langsamer und bekommt später alle ihm zukommen-
den Charactere als der Hoden (so will er z.B. erst bei 2,9 Centi-
meter langen Schweinsembryonen einen Geschlechtsunterschied
bemerkt haben). Ferner schildert er die histologischen Einzel-
heiten bei der Entwickelung des Eierstocks folgendermaassen:
Zuerst proliferirt das Keimepithel in die Tiefe, dann hört es auf
und es bildet sich eine schwache Albuginea. Aus den durch
Proliferation gebildeten Strängen haben den Ursprung: die soliden
und ein Theil der hohlen Zellstränge im Stroma des Ovariums.
Die Eizellen mit der Granulosa sind Produkte einer nochmaligen
Proliferation des Epithels in das Stroma.
Dass Janosik in den Geschlechtsdrüsen menschlicher
Embryonen von 5 bis 5,8 Centimeter Länge noch keine histologische
Einzelheiten zu erkennen vermochte, wird wohl darin seinen Grund
320 Dr. med. W. Nagel:
haben, so glaube ich, dass dieselben nicht ganz frisch gewesen
sind. Mit aller Bestimmtheit muss ich bestreiten, und das gilt
sowohl für menschliche wie für Schweinsembryonen, dass es im
Eierstock jemals zur Entwickelung einer noch so schmalen Albu-
sinea kömmt. Geschlechtsdrüsen mit Albuginea sind nach meinen
Beobachtungen stets männliche und bieten auch die übrigen Kenn-
zeichen dieser.
Was die „soliden Zellstränge‘“ im Ovarium betrifft, so bin
ich insofern ganz einig mit Janosik, dass dieselben aus dem
Keimepithel stammen (aber in anderer Weise als wie von Janosik
geschildert), wenn er unter soliden Zellsträngen die Eifächer
versteht, denn andere solide Zellstränge habe ich im Eierstock -
des Menschen und der von mir untersuchten Säugethiere (Schwein,
Rind) nicht gefunden.
Von „hohlen Zellsträngen“ kenne ich im embryonalen
menschlichen Eierstocke nur eine Art, nämlich die in den
Hilus hinein sich verzweigenden Epoophoronschläuche; diese
stammen bekanntlich weder vom Keimepithel, noch betheiligen
sie sich in irgend einer Weise an dem Aufbau des Eierstocks
(ich verweise auf die diesbezüglichen Auseinandersetzungen in
meinen früheren Arbeiten (52 u. 53)).
Was nun den Hoden betrifft, so hatte Waldeyer (77) wohl
erkannt, dass beim Hühnchen dieses Organ vom Keimepithel
überzogen war und dass man zu einer gewissen Zeit in diesem
Epithel Primordialeier ähnliche Zellen mit schönen, klaren, grossen
Kernen wahrnimmt. Eine Zusammengehörigkeit zwischen Keim-
epithelzellen und Samenkanälchenepithel, wie Bornhaupt be-
obachtet hatte, vermochte Waldeyer jedoch nicht nachzuweisen.
Dagegen meinte er annehmen zu müssen, dass dieSamenkanälchen von
den Kanälen im Sexualtheil des W olff’schen Körpers (siehe unter dem
Capitel „W olff’scher Körper“) aus in den Hoden hineinwachsen.
Vor dieser Zeit nahm man allgemein an, dass die Samen-
kanälchen durch eine histologische Sonderung aus der Substanz
des Hodens entständen (E. von Baer (2), J. Müller, Rathke).
Valentin fasst den Vorgang so auf, als „zerfiele eine angelegte
Hauptmasse in kleinere und zahlreichere Massen.“ Die ersten Spuren
der Samenkanälchen erscheinen, nach demselben Verfasser, gleich-
zeitig mit der Albuginea (Säugethier).
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 321
Diese ältere Ansicht über die Entstehung der Samenkanäl-
chen in loco, dureh eine histologische Sonderung, hat neuerdings
in Schmiegelow (68) und Sernoff (67), was das Huhn betrifft,
und Egli (Kaninchen) Vertheidiger gefunden. Jedoch betrachten
die beiden erstgenannten Autoren die Keimdrüse irrthümlich als
„einen Haufen runder embryonaler Zellen‘, welche mit einem
besonderen, in der ersten Zeit mehrschichtigen (Sernoff)
Epithel, dem Keimepithel, bekleidet ist. Hieraus folgt nothwen-
digerweise als logischer Schluss, dass das Keimepithel sich an
der Bildung der Samenkanälchen nicht betheiligen kann, wenn
es riehtig ist, dass die Samenkanälchen, wie Schmiegelow und
Sernoff annehmen, in loco durch eine Herausdifferenzirung aus
dem Stroma entstehen.
Ich glaube nun für den Menschen nachgewiesen zu haben,
dass die Samenkanälchen nicht durch Hereinwachsen von Epithel-
zellen der Wolff’schen Kanälchen entstehen; ferner meine ich
nachgewiesen zu haben, dass das Keimepithel mit den aus
ihm entstandenen Sexualzellen die ausschliessliche Quelle für
die epithelialen Zellstränge, welche als Anlage der Samen-
kanälchen aufzufassen sind, abgiebt. Denn es ist nicht richtig,
die Geschlechtsdrüse in ihren ersten Stufen der Entwickelung als
einen Haufen embryonaler Zellen zu betrachten, welche mit dem
Keimepithel als einem besonderen Epithel überzogen sind. Die-
selbe besteht vielmehr, auch bei männlichen Individuen, haupt-
sächlich aus einem Haufen epithelialer Zellen, aus einem
Keimepithelwulst; das gilt, nach meinen Untersuchungen, so-
wohl für den Menschen wie für Säugethiere (Schwein). In der
oberflächlichsten Schichte dieses Wulstes stehen allerdings die
Keimepithelzellen diehter gedrängt als anderswo und können ein
besonderes Epithel vortäuschen, wesshalb auch Balfour (4) sehr
treffend diese äusserste Schicht ein Pseudo-Epithelium nennt.
Ich bin also soweit ganz einverstanden mit Schmiegelow
und Sernoff, dass die Samenkanälchen in loco entstehen; ich
muss aber bestimmt daran festhalten, dass die Entstehung dieser
Gebilde nieht auf Kosten des „Stromas“ geschieht. Die Ent-
stehung in loco ist vielmehr nach meinen Untersuchungen so auf-
zufassen, dass der Keimepithelwulst durch das aus dem Gewebe
des Wolff’schen Körpers emporwachsende Stroma (Bindegewebe
mit Gefässen, vielleicht Nerven und Lymphgefässe) in Zellstränge
322 Dr. med. W. Nagel:
zerlegt werde, welche beim Hoden durch Ablagerung von Stroma
dicht unterhalb des vorhin beschriebenen Pseudo-Epitheliums, die
Anlage der Albuginea, sehr früh von der Oberfläche getrennt
werden. Von nun an wachsen und vermehren sich die Zellstränge
ausschliesslich durch Vermehrung ihrer eigenen zelligen Elemente.
Als Beweis für ein derartiges Wachsthum führe ich die in den
Zellsträngen vorhandenen zahlreichen Kerntheilungsfiguren an,
welche ich besonders ausgeprägt bei einem, frisch in Flemming-
sche Lösung gelegten, menschlichen Embryo gefunden habe
(siehe Seite 311). Ferner sieht man nirgends Uebergangsformen
zwischen den umliegenden Stromazellen und den Epithelzellen der
Stränge, diese besitzen zwar keine Membrana propria, sind aber
überall durch die Basalmembran ihrer Zellen scharf gegen das
Stroma abgegrenzt.
In Folge dieser meiner Auffassung von der Entwickelung des
Hodens stehe ich in Widerspruch mit mehreren Autoren der Neu-
zeit, vor allem mit M. Braun, Balfour (4), Janosik und v. Mi-
halkoviez.
Wie schon erwähnt (siehe Seite 314) nimmt Braun für beide
Geschlechter (bei den Reptilien) an, dass eine Einwanderung von
Zellenbalken, welche aus der äusseren Wand der Malpighi’schen
Körperchen hervorsprossen, in die Sexualdrüse stattfindet.
Aus diesen Zellbalken („Segmentalsträngen“) entstehen nun
die Samenkanälchen; der Vorgang hierbei scheint ein etwas ver-
schiedener zu sein bei den verschiedenen Reptilien; bei Eidechsen
und Blindschleichen, sagt Braun, treten die Segmentalstränge in
Verbindung mit dem Ureilager (= Keimepithel im Sinne Wal-
deyer’s). Diese Verbindung bedingt beim Männchen den Schwund
des Ureilagers in Folge des Einwanderns des grössten Theiles
seiner Elemente in die Segmentalstränge.
Balfour ist im wesentlichen bei dem Kaninchen zu den-
selben Ergebnissen gekommen wie Braun bei den Reptilien.
In den Sexualdrüsen beider Geschlechter liegt nach Balfour
unter dem Keimepithel ein epithelähnliches Gewebe, welches zu
einer bestimmten Zeit die Hauptmasse der Sexualdrüsen bildet.
Dieses Gewebe schildert Balfour als bestehend aus soliden Balken
epithelähnlicher Zellen, welche, sowohl was Grösse wie sonstige
Eigenschaften betrifft, den Keimepithelzellen sehr ähnlich sehen.
Es entstammt den Wandungen der Malpighi’schen Körperchen
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 323
und bildet sich beim Weibchen fast ganz zurück, beim Männchen
dagegen soll es mit Zellen, welche aus dem Keimepithel kommen,
die Samenkanälchen bilden.
Bei Besprechung der Entwickelung des Eierstocks habe ich
meine Ansicht über die dortigen Zellbalken und Zellstränge geäussert ;
was nun den Hoden betrifft, so habe ich niemals, auf keiner Stufe
der Entwickelung, solche Gebilde gesehen, wie von Braun und
Balfour bei Reptilien und Kaninchen beschrieben. Die einzigen
im Hoden vorhandenen Zellstränge sind nach meinen Unter-
suchungen diejenigen, deren Entstehung ich vorhin (Seite 321)
geschildert habe. Dieselben sind so eigenthümlich für die männ-
liche Geschleehtsdrüse, dass ich mit E. van Beneden (9) glaube,
es muss eine Verwechselung mit dem Hoden stattgefunden haben,
wenn andere Autoren, von Valentin (Pflüger) bis heute, solche
Stränge und „Schläuche“ als einen regelmässigen Bestandtheil des
Eierstocks schildern.
Es ist ferner nicht richtig, die von Braun, Balfour und
Mihalkovicz beschriebenen Zellstränge und Zellbalken (Sexual-
stränge, Segmentalstränge) mit den sogenannten „Marksträngen“
gleich zu stellen, welche, nachdem Waldeyer zuerst die Auf-
merksamkeit darauf lenkte, sehr viele Forscher beschäftigt haben
(Kölliker, E. van Beneden, Mac Leod (48), Harz (22)
u. A.); ebensowenig ist es richtig, diesen Marksträngen eine Be-
deutung für die Bildung der Follikel (Kölliker u. A.), oder
der Samenkanälchen (Balfour, v. Mihalkoviez u. A., s. vorne)
beizumessen.
Die sogenannten „Markstränge“ (cordes medullaires E. van
Beneden’s) treten nach den Untersuchungen von E. van Be-
neden (9, Mac Leod (48) und W. Harz (22) bei einzelnen
Säugern sowohl im Eierstock wie in dem Hoden in grosser Menge
auf, während sie bei anderen (in dem Eierstocke wenigstens),
vollkommen fehlen. E. van Beneden hat gefunden, dass die
cordes medullaires in dem Eierstocke der Fledermäuse ausseror-
dentlich stark entwickelt sind, aber von verschiedenem Aussehen
in den verschiedenen Theilen des Eierstocks; er unterscheidet
cordons pleins, cordons tubulaires, le corps retieule, le parovarium.
E. van Beneden giebt eine genaue Beschreibung dieser Gebilde,
kann und will aber nicht entscheiden, ob in dem Hoden irgend
welche Gebilde vorkommen, die mit diesen „organes glandulaires“
324 Dr. med. W. Nagel:
des Eierstocks gleichwerthig wären. Er stellt vielmehr zum Schlusse
folgende Fragen zu Beantwortung hin: Les cordons pleins de
l’ovaire ont ils la m&me origine que les cordons tubulaires, les
canaux du corps retieul& et les tubes du parovarium. Sont-ils oü
ne sont pas homologues aux canaux seminiferes?
Nach meinen Untersuchungen beim Menschen (und beim
Schweine), (ich verweise auch auf meine früheren Arbeiten (52 u.
53)), muss ich die Fragen E. van Beneden’s folgendermaassen
beantworten: Alle diejenigen epithelialen Schläuche, welche man
in dem menschlichen Eierstocke und zwar nur im Hilus
desselben oder in dem Mesovarium findet, haben einen ge-
meinschaftlichen Ursprung, nämlich aus dem Wolff’schen Körper,
und bilden das Epoophoron Waldeyers (Parovarium
im alten Sinne des Wortes, Rosenmüller’sches Organ) ; dieselben
sind für die Entwickelung des Eierstocks ganz ohne Bedeutung.
Irgend eine Homologie zwischen diesen epithelialen Schläuchen
und den Samenkanälchen darf man keineswegs annehmen,
denn diese entstehen, wie nachgewiesen, durch eine Zerlegung
des Keimepithelwulstes in Zellstränge, ohne Betheiligung von
Seiten der epithelialen Elemente des Wolff’schen Körpers. Auf
keiner Stufe der Entwiekelung des Hodens sieht man in diesem
Organ andere epitheliale Stränge und Schläuche, als die Samen-
kanälchen und deren solide Vorläufer (die oben erwähnten Zell-
stränge). Es ist erst auf einer viel späteren Entwickelungsstufe
— nach dem 4. Monat — dass (vielleicht) eine Einwanderung von
Wolff’schen Kanälchen in den Hoden stattfindet und zwar von
dem Nebenhoden aus, welcher, wie allgemein bekannt, dem
Wolff’schen Körper direkt entstammt. Diese nachträgliche
Einwucherung von Wolff’schen Kanälchen (über welchen Vor-
gang ich ebensowenig wie alle anderen habe Bestimmtes er-
mitteln können), hat nur den Zweck, eine Verbindung zwischen
den Samenkanälchen und dem Vas deferens herzustellen.
Demnach können, was den Menschen betrifft, die
sogenannten „Markstränge“ in der weiblichen Sexual-
drüse (= Epoophoronschläuche) nur mit dem Epi-
didymis gleichgestellt werden!?).
1) Die von Paladin o (57), Koster (39 u. 40), de Sinety et Malassez
(Sur la structure, l’origine et le developpement des Cystes de l’ovaire. Ar-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 325
v. Mihalkoviez beschäftigt sich eingehend mit den „Mark-
strängen“ beim Menschen, denn mit diesen Gebilden stellt er seine
„Sexualstränge* in gleiche Linie, obwohl diese nicht (nach Mi-
halkoviez) vom Wolff’schen Körper herstammen, sondern aus dem
Stroma der Keimdrüse beider Geschlechter sich herausdifferenziren.
Ich habe oben meine Gründe dargelegt, wesshalb ich die Gleich-
stellung der beiden Gebilde (Markstränge und Zellstränge) nicht
als berechtigt anerkennen kann. Wenn nun v. Mihalkoviecz
seine Sexualstränge nur als Anlage der Samenkanälchen betrachten
würde, so könnte ich mich (mit dem soeben gemachten Vorbe-
halte, dass dieselben nicht mit den Marksträngen gleichgestellt
werden dürfen) einverstanden mit ihm erklären; er misst ihnen
aber eine andere Bedeutung zu (s. Seite 315), und ich muss dess-
halb auf die Ansichten v. Mihalkovicz näher eingehen.
Bei einem menschlichen Embryo von 20 mm Länge (in der
Tafelerklärung ist derselbe als weiblich angegeben, im Texte
werden seine Geschlechtsdrüsen als indifferent behandelt) sah
v. Mihalkovicz im Stroma der Geschlechtsdrüsen Zellstränge,
die stellenweise mit dem Keimepitbel zusammenhingen und die er
als die erte Andeutung der „Sexualstränge‘“ (s. Seite 315) ansieht.
— Bei menschlichen Embryonen von 20mm Länge muss die
Geschlechtsdrüse längst über das indifferente Stadium — wenn
überhaupt ein solehes besteht — hinaus sein. Wenn also v. Mi-
halk oviez bei einem solchen Embryo Zellstränge (,„Sexualstränge‘)
gesehen hat, so hat er, glaube ich (vergl. auch Gasser (19), eben
ein männliches Individuum vor sich gehabt. In der von v. Mi-
chives de Physiologie. Paris 1878 et 1879), Flaischlen (Zur Lehre von der
Entwickelung der papillären Kystome oder multiloculären Flimmerepithel-
kystome der Ovarien. Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäcologie. Band
VI u. VII.) u. v. A. beschriebenen epithelialen Einsenkungen und Schlauch-
bildung vom Keimepithel her, welche ich in den Eierstöcken Erwachsener
oft gesehen habe und welche Koster und ganz besonders Paladino als eine
postfoetale Ei- und Follikelbildung auffassen, habe ich absichtlich hier nicht
erwähnt. Ich glaube in einer früheren Arbeit (53) nachgewiesen zu haben,
dass diese epithelialen Einsenkungen und Schläuche nur durch chronische
Entzündungszustände bedingt werden und dass dieselhen wohl eine grosse
Bedeutung für die Entstehung der epithelialen Eierstocksgeschwülste haben,
aber keineswegs für die Entwickelung des Eierstocks. Diese Gebilde dürfen
— und können — nicht mit den Marksträngen verwechselt werden.
326 Dr. med. W. Nagel:
halkoviez abgebildeten (Tafel IX, Fig. 190) Keimdrüse eines
20 mm langen menschlichen Embryo finde ich aber nichts, was
meiner Ansicht nach als Zellstränge („Sexualstränge*) gedeutet
werden darf.
Noch weniger kann ich v. Mihalkoviecz darin beipflichten,
dass er die grossen, 12. messenden, zerstreut liegenden Zellen,
welche in derselben Abbildung (Tafel IX, Fig. 190) sich vorfinden,
einfach als kernhaltige runde Blutzellen. erklärt, denn diese sehen
doch ganz anders aus in wohlerhaltenen Präparaten. Die Blutzellen
haben (nach meinen Untersuchungen) ein zartes durchsichtiges,
aber scharf umgrenztes Protoplasma und einen Kleinen compacten
Kern. (Die Blutzellenkerne messen 3—4 u, die Kerne der Sexual-
zellen eines und desselben Embryo dagegen 10—11.u.) Wenn ich
mir aus meinen Präparaten einen Schluss auf die betreffende
Figur von Mihalkoviez (l. ec. Tafel IX, Fig. 190) erlauben darf,
so bin ich geneigt, die betreffende Keimdrüse als weiblich und
die grossen mit cs bezeichneten Zellen, die Mihalkovicz also
als kernhaltige Blutzellen deutet, als Primordialeier anzusehen.
Denn von anderen grossen, als Primordialeier zu deutenden Zellen
spricht er nicht, und doch müssen um diese Zeit sehr zahlreiche
Primordialeier von verschiedener Entwickelung vorhanden sein.
Nach v. Mihalkovicz entstehen ferner die Samenkanälchen
auf Kosten der epithelialen Gebilde der Sexualstränge und zwar
erscheinen sie plötzlich auf einmal im ganzen „Markstroma*. —
Die von v. Mihalkoviez gegebene Schilderung von der Ent-
wickelung des Hodens (ich verweise auf sein angeführtes
Werk (50) ist so sehr verschieden von den von mir beobach-
teten Vorgängen, dass ich den Ausspruch von vorhin, wo von
der Entwickelung des menschlichen Eierstocks die Rede war,
hier wiederhole: Entweder hat v. Mihalkoviez Recht oder ich;
eine Vermittelung gibt es hier nieht. Ich möchte doch aber noch
bemerken, dass v. Mihalkoviez sich irrt, wenn er die in Fig. 197
Tafel IX (Querschnitt aus einem Hoden eines 16 Centimeter
langen menschlichen Embryo) mit fs bezeichneten Zellstränge
als „Sexualstränge“ auffasst. Sowohl der Beschreibung im Texte
wie der Abbildung nach sind diese mit fs bezeichneten Sexual-
stränge ganz bestimmt als aus Zwischensubstanzzellen be-
stehend zu erkennen. Die Zwischensubstanzzellen haben
ein so eigenartiges Aussehen (man vergleiche meine Fig. 23
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 327
Tafel XVIII mit der erwähnten Fig. 197 Tafel IX bei v.Mihal-
kovicz), dass dieselben sofort nach ihrem ersten Auftreten als
solche zu erkennen sind.
Ausserdem kommen die Zwischensubstanzzellen verhältniss-
mässig spät zur 'Entwickelung (siehe Seite 312) während die
Samenkanälchen schon sehr früh sich bilden und weiter ent-
wickeln (siehe Seite 309), obne dass noch von Zwischensubstanz-
zellen die Rede ist. Dadurch wird die Behauptung v. Mihalkoviecz,
dass die Samenkanälchen sich aufKosten der (aus Zwischensubstanz-
zellen bestehenden) „Sexualsträngen“ entwickeln, unhaltbar. Es
würde also die Vorstellung von der Entwickelung des menschlichen
Hodens sehr vereinfachen, wenn man den Namen „Sexualstrang‘“,
weil verschiedenartigen Gebilden gegeben, ganz wegliess oder ihn
doch nur für die Samenkanälchen in der ersten Entwickelung
vorbehielte, denn andere epitheliale Stränge als
diese kommen in dem menschlichen Hoden
während seiner ganzen Entwickelung nicht vor.
In einem Punkte, dass nämlich die Ursamenzellen dem Keim-
epithel entstammen und mit den Primordialeiern (Ureiern) gleich-
werthig sind, bin ich mit v. Mihalkoviez einig; jedoch sind wir
auf sehr verschiedenem Wege zu diesem Schlusse gelangt.
Dass Janosik (31) in den Geschlechtsdrüsen menschlicher
Embryonen von 5—5,8 Centimeter Länge keine histologische Ein-
zelheiten zu erkennen vermag, habe ich schon erwähnt. (Uebrigens
bildet er einen Hoden ab von einem 5,8 Centimeter langen mensch-
lichen Embryo). Nach seinen Untersuchungen bei Thieren (Säuge-
thieren) sieht man im Stroma des Hodens, wenn man denselben
als solchen erkennen kann (bei 2,9 Centimeter langen Schweins-
embryonen) Zellstränge, welche nur an einzelnen Stellen noch
mit dem Keimepithel im Zusammenhange stehen. Mit den Kanäl-
chen der Urniere ist keine Verbindung zu entdecken. — Alsbald
lösen sich die Zellstränge vom Keimepithel und dieses wird
niedrig und einschichtig. Später wird es, nach Janosik, höher
und es entwickeln sich in ihm grosse Zellen und rudimentäre
Follikel. Diese Zellen sind die Homologa der Eier und müssen
also die Albuginea durchbrechen, um in die Zellstränge (die
Samenkanälchen) zu gelangen.
328 Dr. med. W. Nagel:
Von diesen letztgenannten Vorgängen habe ich nichts gesehen
beim Menschen (auch nicht beim Schwein). Sobald die oberflächliche
Schieht des Keimepithelwulstes, das Pseudo-Epithelium Balfour’s,
dureh Ablagerung von embryonalem Bindegewebe (Struma) von den
Zellsträngen getrennt worden ist, nimmt dieselbe von nun ab keinen
Antheil an der weiteren Entwiekelung des Hodens, sondern ist
und bleibt das einschichtige Hodenepithel. Ich habe niemals
beobachten können, dass das Hodenepithel späterhin zu wuchern be-
ginnt, auch nicht dass es höher wird oder dass sich in ihm „grosse
Zellen“ und „rudimentäre Follikel“ entwickeln, die dann später in die
Samenkanälchen einwandern. Es ist ganz richtig, dass man bei jungen
menschlichen Embryonen (von 18—20 mm) männlichen Geschlechts,
welche in Flemming’scher Lösung gehärtet sind, kurz nach voll-
endeter Zerlegung des Keimepithelwulstes, in der eben angelegten
Albuginea einzelne grosse Zellen, die ich auch als männliche
Sexualzellen betrachten möchte (siehe Fig. 19, Tafel XVIII) findet.
Ich weiss zwar nicht, ob Janosik ähnliche Bilder vor Augen
hat, wenn er von einer Einwanderung der später gebildeten
Ureier durch die Albuginea (sowohl bei männlichen wie bei
weiblichen Individuen) hindurch in die Samenkanälchen und
Zellstränge spricht. Auf alle Fälle kann ich aber nicht dem
Vorkommen von einzelnen männlichen Sexualzellen in der Al-
buginea ganz junger Embryonen eine solche Bedeutung beile-
sen. Denn es ist bekannt, dass die Natur nirgends mit der Bil-
dung von Geschlechtsprodukten sparsam vorgeht und desshalb
leicht erklärlich, dass bei der Zerlegung des Keimepithelwulstes
diese oder jene männliche Sexualzelle nicht in die Zellstränge auf-
genommen wird. Eine kurze Zeit können solche überzählige
Sexualzellen bestehen bleiben, wesshalb man sie auch nur in
frühen Entwickelungsstadien findet; irgend eine Bedeutung haben
dieselben aber nicht.
Um die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Ge-
schlechtsdrüsenbildung noch einmal kurz zusammenzufassen, so
geschieht die Entwickelung derselben beim Menschen in folgen-
der Weise:
Die Entwiekelung der Sexualdrüse ist bei beiden Geschlechtern
von einem sehr frühen Stadium an eine so verschiedene, dass man,
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 329
soweit meine Untersuchungen zurückreichen, nicht berechtiget ist,
eine vollkommene Uebereinstimmung in der Entwickelung von
beiderlei Geschlechtsdrüsen anzunehmen, wie. die meisten Autoren
bei anderen Thiergattungen dies thun (siehe Seite 299 u. flg.).
Die Entwickelung des Hodens ist nich t als ein Herein-
wachsen von Zellsträngen in das unterliegende Bindegewebe auf-
zufassen, wie man dies nach Analogie mit dem bei niederen
Thieren ermittelten Befunde (Semper und Balfour bei Selachiern,
Hoffmann bei den Amphibien, siehe bei O0. Hertwig (26)
allgemein annimmt (siehe Janosik (31) und v. Mihalkoviez).
Der Vorgang ist vielmehr der, dass der durch die Wucherung
des Keimepithels (im Sinne Waldeyer's) hervorgebrachte Wulst,
welcher sich bei männlichen Individuen dadurch auszeichnet, dass
verhältnissmässig wenige Keimepithelzellen sich zu Sexual-
zellen ausbilden, unter ständiger Vermehrung der epithelialen
Elemente, durch vorwachsendes embryonales Bindegewebe (mit
Gefässen und Nerven-Stroma) in Zellstränge zerlegt wird und
letztere werden alsbald wiederum durch weitere Ablagerung von
embryonalem Bindegewebe (Stroma) von der oberflächlichen
Epithelschicht getrennt.
Hierdurch erhält der Hoden ziemlich früh den für ihn
eigenthümlichen Bau. An Embryonen von 18—20 mm Länge,
also bedeutend früher als sonst (Kölliker, v. Mihalkoviez,
Janosik u. A.) angegeben wird, erkennt man eine deutliche, aus
embryonalem Bindegewebe bestehende Albuginea, durch welche
die Zellstränge, die späteren Samenkanälchen (mit den in ihnen
zerstreut liegenden Sexualzellen), vollständig von dem Ober-
flächenepithel, welches jetzt aus regelmässigen cubischen Zellen
besteht, getrennt werden.
Das embryonale Bindegewebe stammt aus dem Stroma des
Wolff’schen Körpers, eine Betheiligung von Seiten der Wolff-
schen Kanäle (Malpighi’sche Körperchen) eine Einwanderung
von Zellbalken (Segmentalstränge) im Sinne von Balfour und
Braun findet hierbei nicht statt.
Sobald die Zellstränge durch das embryonale Bindegewebe
von dem Oberflächenepithel getrennt sind, wachsen sie nur durch
Vermehrung ihrer eigenen zelligen Elemente. Das Oberflächen-
epithel des foetalen Hodens, welches also nur als ein Rest des
Keimepithels, als die äusserste Schichte des Keimepithelwulstes zu
330 Dr. med. W. Nagel:
betrachten ist, verhält sich, als einfaches Deckepithel, vollkommen
‚passiv der weiteren Entwickelung des Hodens gegenüber. Eine
spätere Neubildung von Zellen (Sexualzellen) im Oberflächen-
epithel und ein späteres Hereinwachsen dieser in das unterliegende
Stroma mit oder ohne Durchbrechung der einmal angelegten
Albuginea, wie Mihalkovicz und Janosik annehmen, findet
nicht statt.
Die sogenannten Zwischensubstanzzellen, die sich durch
ihren Protoplasmareichthum auszeichnen, treten erst zu einer
spätern Entwicklungszeit auf und stehen in keinerlei Beziehung zur
Bildung der epithelialen Elemente der Samenkanälchen, wie
v. Mihalkoviez behauptet.
Aehnlich wie der Hoden, kennzeichnet sich der Eierstock
in seiner ersten Anlage auch als ein Keimepithelwulst, welcher
sich aber dadurch von dem männlichen Epithelwulst unterscheidet,
dass eine weit grössere Menge Keimepithelzellen sich in Primor-
dialeier (Ureier) umwandelt und dass die Zellen niemals, auf
keiner Stufe der Entwickelung, eine derartige schlauchähnliche
Anordnung annehmen wie in der Anlage des Hodens; überhaupt
sieht man in der Anlage des Eierstocks nichts, was mit den
sogenannten Valentin-Pflüger’schen Schläuchen eine Aehnlich-
keit hat).
Etwas später als beim Hoden und viel langsamer wuchern
die Bindegewebszellen von dem Stroma des Wolff’schen Körpers
(ohne Betheiligung der Wolff’schen Kanäle beziehungsweise der
Malpighi’schen Körperchen, wie Kölliker, Braun und Balfour
annehmen) herkommend, in den Keimepithelwulst hinein (vergleiche
auch Egli’s und Balfour’s Befunde beim Kaninchen) und zerlegen
durch Bildung von Bindegewebe (mit Gefässen und Nerven = Stroma)
diesen, und zwar die tieferen Schichten derselben, in die Keimfächer
(Pflüger) oder Eiballen (Waldeyer). Zur Bildung einer Albu-
ginea, wie Janosik angiebt, kommt es nicht: die oberste Schicht
1) Die Pflüger’schen Schläuche gehören einer viel späteren Ent-
“ wickelungsstufe des Eierstocks an und entstehen dadurch, dass die Jüngsten
primären Follikel (in den oberflächlichsten Schichten des Organs belegen)
eine Zeit lang mit dem Keimepithel in Verbindung bleiben; die Pflüger-
schen Schläuche sind also als Ueberbleibsel der jüngsten Eifächer zu be-
trachten. (Siehe meine frühere Arbeit (52) Seite 368).
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 33l
des Keimepithelwulstes bleibt bis zur Bildung der Primär-Follikel
in ständiger Verbindung mit den tieferen Zellschichten.
Das Wachsthum der zelligen Elemente geschieht hauptsäch-
lich an der Oberfläche der Eierstocksanlage. Durch starke Ver-
mehrung der Keimepithelzellen in den oberen Schichten und
Umwandelung eines grossen Theiles dieser in Primordialeier
baut sich der Eierstock auf; schritthaltend hiermit wächst das junge
Bindegewebe aus der Tiefe empor und zerlegt die neugebildeten
Epithelmassen nach und nach in Eiballen. Die jüngsten Stufen
der Entwickelung findet man also stets an der Oberfläche der
Eierstocksanlage (His). Die Entwickelung des Eierstocks ist
nach meinen Untersuchungen also von vorneherein eine ganz
andere als die des Hodens. Ebensowenig aber wie in der Anlage
des Hodens ist, wie es als etwas gemeinschaftliches für beide
Geschlechter allgemein geschildert wird, in der Anlage des Eier-
stocks von einem Hereinwachsen von Zellsträngen vom Keim-
epithel aus in das unterliegende Bindegewebe die Rede.
So wie nach meinen Untersuchungen der Eierstock sich auf-
baut, — und das Ergebniss dieser ist im Wesentlichen eine
Bestätigung der Ansicht Waldeyer's — ist eine zweifache
Eiwanderung von Geschlechtszellen im Sinne von v. Mihalkovicz
und Janosik nicht annehmbar. 2
Aus den obigen Darlegungen geht hervor, dass die Primor-
dialeier sich ausschliesslich aus den Keimepithelzellen bilden,
denn diese sind die einzigen epithelialen Elemente, welche im
Eierstocke sich finden. Und dass die Primordialeier wirklich in
dieser Weise sich bilden, dafür sprechen die zahlreichen Ueber-
gangsformen, welche man stets, in Sonderheit in der ersten Hälfte
der Schwangerschaft, zwischen Keimepithelzelzellen und Primor-
dialeiern (Ur-Eier) findet.
Somit wäre die Entdeckung Waldeyer’s, dass das Ei (mit
dem Follikelepithel) direet von dem Keimepithel abstammt und
ursprünglich also mit einer Epithelzelle gleichwerthig ist, auch
für den Menschen bestätigt (vergleiche auch hierüber meine
frühere Arbeit (52)).
Es geht ferner aus den obigen Darlegungen hervor, dass
die Ursamenzellen denselben Ursprung haben, wie die Ureier
332 Dr. med. W. Nagel:
nämlich aus den Keimepithelzellen, denn diese sind, wie im
Eierstocke, so auch im Hoden die einzigen epithelialen Elemente.
Ursamenzellen und Ureier sind einander also
vollkommen gleiechwerthig. Während aber die Um-
wandlung von Keimepithelzellen in Primordialeier bis zum 7.
Sehwangerschaftsmonat (genau lässt der Zeitpunkt hierfür sich
nicht festsetzen; in allen Fällen ist aber die Eibildung vor der
Geburt abgeschlossen) stattfindet, obwohl am ausgiebigsten in den
ersten Monaten, so scheint die Bildung von Ursamenzellen sehr
früh ihren Abschluss zu erreichen. Das geht erstens daraus
hervor, dass die Zahl der Ursamenzellen von vorneherein eine
sehr geringe ist und zweitens daraus, dass ich. innerhalb der
Zellstränge (die Anlagen der Samenkanälchen) niemals Ueber-
gangsformen zwischen Epithelien und Ursamenzellen gesehen habe;
die Bildung dieser scheint also um die Zeitbe-
endet zu sein, wo der Keimepithelwulst in Zell
stränge zerlegt wird.
Die Erklärung für dieses verschiedene Verhalten der männ-
lichen und weiblichen Geschlechtszellen ist eine sehr einfache:
Beim Weibchen, bei welchem obendrein eine sehr grosse Zahl
bekanntlich (siehe meine Arbeit (52)) schon während der letzten Zeit
des uterinen Lebens zu Grunde geht, müssen die Geschlechtszellen,
die Primordialeier, für das ganze Leben ausreichen, beim Manne
bilden sich dagegen (wenigstens in dem zeugungsfähigen Alter)
ständig neue aus den einmal entstandenen Anlagen.
Dagegen haben die männlichen und weiblichen Geschlechts-
zellen das gemeinschaftliche, dass sie sich, wenigstens während
des embryonalen Lebens, nicht durch Theilung vermehren; und
dass ein solcher Vorgang, auch während des extrauterinen
Lebens, an den Primordialeiern niemals zu beobachten ist, habe
ich früher erörtert (52). |
Es ist auffällig, und auch Balfour hebt dies beim Kanin-
chen hervor, dass in den ersten Entwickelungsstufen weder Keim-
epithelzellen noch Geschlechtszellen ein Kernkörperchen besitzen,
trotzdem ein solches doch für das ausgebildete, entwickelungs-
fähige Primordialei eine nie fehlende Eigenthümlichkeit ist (ich ver-
weise auch in Bezug hierauf auf meine oben angeführte Arbeit (52)).
Ich pflichte desshalb Balfour (4) bei, dass das Kernkörperchen
sich erst später und zwar nach der Entstehung des Kerngerüstes
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 333
bildet. Ueberhaupt schliesse ich mich, was den Menschen betrifft,
den Angaben Balfour’s an über die Vorgänge im Kern während
der Umbildung einer Keimepithelzelle zum Urei. Denn auch
beim Menschen sind in dem Kern der Keimepithelzelle die Chro-
matinbröckel („Mikrosomen‘ im Sinne von Balbiani und Pfitzner)
diehtgedrängt und verleihen dem Kerne ein körniges Aussehen.
Und wenn der Kern der Keimepithelzelle sich zum Keimbläschen
entwickelt, so sieht man auch stets beim Menschen, dass die
Chromatinbröckel (durch Vermehrung oder Neubildung von Kern-
saft) auseinander weichen und in ein Netzwerk sich umbilden,
an welchem Verdickungen an den Kreuzungsstellen der Kernfäden
nie fehlen.
Was die Follikelbildung und das fernere Wachs-
thum des Primordialeies betrifft, so haben meine
hier berichteten Untersuchungen nichts ergeben, was meine
früher (52) ausgesprochene Ansichten ändern konnte und ich kann
desshalb auf diese verweisen. Nur möchte ich an dieser Stelle
noch einmal betonen, dass die Follikelbildung beim Meuschen
nur durch eine weitere Zerlegung der Eifächer geschieht
(Waldeyer) und dass das Follikelepithel, wie Waldeyer eben-
falls zuerst nachgewiesen hat, nur dem Keimepithel entstammt.
Die hier berichteten Untersuchungen berechtigen mich also auch
zu dem Ausspruch, dass das Epithel der Samenkanäl-
chen mit dem Follikelepithelgleichwerthig ist;
beide entstammen sie — wie Urei und Ursamenzelle — dem
Keimepithel.
IV.
Die Entwiekelung der Müller’schen Gänge. !)
Unsere Kenntnisse über die Entstehung und Entwickelung
dieser Gänge haben sich erst in den letzten 2 Menschenaltern aus-
gebildet. In seinem 1830 erschienenen Werk (51) erzählt Johan-
1) Siehe auch: Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. Gesammtsitzung vom 17. Januar 1889. Ueber
die Entwickelung der Müller’schen Gänge beim Menschen. Von Dr. W.
Nagel.
Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 22
334 Dr. med. W. Nagel:
nes Müller (Seite 4), dass auf Wolff’s und Oken’s Beobach-
tungen Albert Meckel eine Hypothese über die Entwickelung
der Genitalien gegründet hatte und dass diese Hypothese des ver-
dienstvollen Anatomen die einzige detaillirte Vorstellung sei,
welche über die erste Bildung der inneren Genitalien vorgebracht
worden war. Albert Meckel sagt: „Von den Seiten des Rück-
grates entstehen zwei Streifen von einer gekörnten polypenartigen
Masse, welche sich zu einer Platte vereinigen, die sich krümmt
und endlich zu einer Röhre schliesst. Die Kanäle sind anfaugs
an beiden Enden offen und bleiben es bei den Weibchen als
Tuben ; schliessen sich aber als ductus deferentes bei den Männ-
chen. „Diese Ansicht“ — fügt Johannes Müller hinzu — „ohne
eigene Untersuchung, bloss auf die missverstandenen Beobachtungen
von Wolff und Oken gegründet, ist erstens, wie der Verfasser
selbst gesteht, eine blosse Hypothese, sie ist zweitens unrichtig.
Nichts kann hiervon verschiedener sein als die wirkliche Entste-
hung der Genitalien.“
Selbst wenn auch H. Rathke der erste war (siehe Johan-
nes Müller a. a. O.), der hier lichtete und eine grosse Reihe wirk-
licher Beobachtungen über die Entstehung der inneren Genitalien
bei Fischen, Amphibien, Vögeln und Säugethieren, mit Ausschluss
des Menschen, mittheilte, so ist es doch das Verdienst Johannes
Müller’s, die ersten genauen Untersuchungen über die nach ihm
benannten Gebilde, in Sonderheit beim Menschen, gebracht zu
haben, und desshalb möchte ich dringend wünschen, dass diese
Gänge wie bisher so auch in der Zukunft den Namen des grossen
Forschers tragen sollten und nicht, wie von einzelner Seite vor-
geschlagen, einfach „Geschlechtsgänge“ benannt werden.
Bekamntlich ist die Schilderung J. Müller’s von der Entste-
hung und Bestimmung der erwähnten Gänge nur was. die Vögel
betrifft in voller Uebereinstimmung mit den heutigen Anschauungen;
bei dieser Thierklasse hat er beobachtet, dass der Eileiter ge-
trennt von dem Ausführungsgange des Wolff’schen Körpers ent-
steht; der Samenleiter dagegen ist eine Umbildung des Wolff-
schen Ganges. Was die Säugethiere betrifft, so werden, nach
diesem Autor, die neuentstandenen Gänge bei beiden Geschlechtern
zu Ausführungsgängen der Sexualdrüsen. Die erwähnten Gänge
entspringen bei diesen Thieren aus den früher vorhandenen, viel
stärkeren kurzen Ausführungsgängen des Wolff’schen Körpers;
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 335
eine nähere Angabe über die Entstehungsweise habe ich aber bei
J. Müller nicht finden können.
Rathke (60) fasst in dem hier angeführten Werke die W olff-
schen Gänge bei beiden Geschlechtern als die Eier- und Samen-
leiter auf; dieselben stellen sich also bei den Säugethieren nur
als Umwandlungen der „falschen Harnleiter“ dar.
In einer späteren Arbeit (61) sagt Rathke, dass er sich in
Bezug der oben erwähnten Gebilde früher geirrt hatte und er be-
stätigt die Beobachtung Jacobson’s (30), dass — bei Säugethieren
— Ei- und Samenleiter neu entstandene Gänge sind und zwar
entstehen sie als zarter Faden an der äusseren Seite der falschen
Harnleiter.
Was die Bedeutung der Gänge bei den Säugethieren betrifft,
stimmt also Rathke in dieser letzten Veröffentlichung mit
J. Müller überein; bei der Natter war er aber zu demselben
richtigen Ergebnisse gekommen wie J. Müller bei den Vögeln.
Nach Rathke ist der ausführende Geschlechtstheil anfangs
ganz solid; nach einiger Zeit aber, und nachdem er an Dicke
schon beträchtlich zugenommen hat, erhält er eine Höhle, die durch
seine ganze Länge hindurchgeht.
Dass der Müller’sche Gang durch Abspaltung von dem
Wolff’schen entstehe, nehmen auch Bischoff (10) und Thiersch
(74) an. Der letztgenannte Autor sagt (seine Untersuchungen be-
treffen Schaafembryonen): „Der Müller’sche Faden tritt als eine
feine weisse Leiste längs des Wolff’schen Ganges auf. Er ist
anfangs solid und nichts als eine theilweise Verdickung der Wan-
dung des Wolff’schen Ganges. Er wächst weder von oben nach
unten, noch umgekehrt, sondern entsteht gleichzeitig entlang des
ganzen Wolff’schen Ganges. Er beschreibt auf der Wandung des
Wolff’schen Ganges eine halbe Spiralwindung, d. h. am äusseren
Rand der Drüse liegt er auch am äusseren Rand des W olff’schen
Ganges, da wo der Wolff’seche Gang nach einwärts umbiegt (wo
has Hunter’sche Band abgeht), begiebt er sich über die vordere
Fläche desselben und da, wo die Wolff’schen Gänge zusammen-
treten, liegt er jederseits am inneren hinteren Rande seines Wolff -
schen Ganges. An diesem Rande bleibt er bis zur Einmündung
des Wolff’schen Ganges in den Canalis urogenitalis, und an die-
sem Rande tritt gegenseitige Berührung mit darauf folgender Ver-
schmelzung der beiderseitigen Müller’schen Fäden ein, welche am
336 Dr. med. W. Nagel:
unteren Ende beginnt und nach aufwärts bis zu der Stelle, wo
die Wolff’schen Gänge gabelförmig auseinander weichen, fort-
schreitet.“
Thiersch bestätigt die von Kobelt (85) und H. Meckel
(siehe hei Thierseh) für die Säugethiere gefundene Thatsache,
dass der Wolff’sche Gang zum Samenleiter, der Müller’sche
zum Eileiter wird. Von sämmtlichen späteren Forschern ist die
Richtigkeit dieses Satzes bestätigt und allgemein anerkannt worden.
Abgesehen von Hensen (25), welcher sich in einer beiläu-
figen Bemerkung zu Gunsten einer älteren Annahme His’, dass
der Urnieren- und der Müller’sche Gang durch eine Einstülpung
aus dem Hornblatt entstehe, ausspricht, stimmen also die hier ge-
nannten Verfasser darin liberein, dass die Müller’schen Gänge
aus dem Wolff’schen entstehen. Mit Bornhaupt (und Dursy,
siehe bei Waldeyer) tritt über die erste Entstehung der genann-
ten Gänge eine ganz neue Anschauung zu Tage.
Bornhaupt (siehe bei Waldeyer (77)) giebt an, dass
der Müller’sche Gang (beim Hühnchen) erst am 6. Tage, und
zwar von der Gegend des obern Endes des W olff’schen Körpers
(einwärts vom Zwerchfellsband der Urnieren), aus dem verdickten
Peritonealepithel durch Faltenbildung und triehterförmige Ein-
stülpung derselben nach hinten zu sich bildet. Das blinde zuge-
spitzte Ende des Trichters liegt zwischen der äusseren Wand des
W olff’schen Ganges und dem ihn bekleidenden Peritonealepithel.
Dieses blinde Triehterende wächst nun in der angedeuteten Rich-
tung zwischen Peritonealepithel und äusserer Wand des Wolff-
schen Ganges, dem letzteren entlang, immer weiter nach hinten,
bis er sich mit der Cloake in Verbindung setzt, was am 8. Tage
geschieht. Auf diese Weise muss ein langer, ungefähr dem
Wolff’schen Gange parallel und nach aussen von ihm ver-
laufender Kanal entstehen, der oben mit einer trichterförmigen
Oeffnung (das spätere Infundibulum der Tube) von Anfang an frei
in die Bauchhöhle ausmündet. Beide Geschlechter verhalten sich
in Hinsicht auf die erste Ausbildung des Müller’schen Ganges
vollkommen gleich.
Es ist bekannt, dass Waldeyer in richtiger Erkennung der
wichtigen, eigenartigen Bedeutung desselben das Keimepithel als
etwas von dem Peritonealepithel ganz verschiedenes (im Gegensatz
zu Bornhaupt und Schenk) zuerst beschrieb. Das Keimepithel
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 391
ist nun anfänglich nicht allein auf die Regio germinativa (Waldeyer)
beschränkt, sondern breitet sich weit auf der innern Fläche der Sei-
tenplatten hin aus. (Die Untersuchungen Waldeyer’s betreffen
das Huhn.) Von der 50.—72. Brütstunde bildet die Regio germinativa
einen verhältnissmässig kleinen und sanft abgerundeten Vorsprung
(Waldeyer schlägt für diesen Vorsprung den Namen „Mittelwall“
oder „Geschlechtswall“ vor), welcher gleichmässig von dem Keim-
epithel überzogen ist. Innerhalb dieses Genitalwalles entwickelt
sich die Urniere und durch das ungleichartige Wachsthum dieser
atrophirt das Keimepithel auf der Bauchfläche derselben (die
Stelle des stärkeren Wachsthumes), während es auf beiden Seiten,
sowohl der medialen als der lateralen (die Stellen des geringeren
Wachsthums) um so stärker hervortritt. Hieraus geht hervor, das
die laterale Epithelverdiekung (die Ursprungsstelle des Müller-
schen Ganges) ursprünglich vollkommen gleichwerthig ist mit der
medialen (Bildungsstätte der Keimdrüse), beide gehören sie dem
Keimepithel an.
Waldeyer beschreibt nun die Entstehung des Müller’schen
Ganges aus dieser lateralen Partie des Keimepithels genauer und
sagt im Anschluss an seine Beobachtungen: „Ich glaube, dass
dieselben keine andere Deutung zulassen, als dass der Müller-
sche Gang sich aus dem Keimepithel entwickelt, und zwar durch
eine successiv vom Kopfende zum Becken fortschreitende Ein-
stülpung dieses Epithels in den Genitalwall, gerade gegenüber
dem Wolff’schen Gange. Dabei schliesst sich die oberste Strecke
der Einstülpung nicht zum Rohre ab; sie bildet den ‚Trichter“,
die abdominale Oeffnung der Tuba Fallopiae; erst weiter abwärts
beginnt die Abschnürung zum geschlossenen Rohre. Der Umstand,
dass wir nach bereits vollzogener vollständiger Abschnürung noch
einmal auf ein Einstülpungsstadium treffen (Waldeyer verweist
hier auf seine Figur 50), zwingt mich zu der Annahme, dass die
Einstülpung selbst in der Richtung a capite ad ealces fortschreite“.
Die Einstülpung des Keimepithels geschieht jedoch nicht senkrecht
auf die Längsaxe des Wolff’schen Körpers; es scheint vielmehr
Waldeyer wahrscheinlich, dass dieselbe in etwas schiefer Rich-
tung zum Beckenende hin erfolgt, so dass immer eine vorgescho-
bene Spitze des weiter sich entwickelnden Ganges existirt. „Wir
sind sogar gezwungen, für den letzten Theil des Ganges, der in
die Cloake einmündet, dieses anzunehmen, da hier der Gang eine
338 Dr. med. W. Nagel:
Strecke weit durch das Beckenzellgewebe verläuft, wo das Keim-
epithel nicht mehr vorhanden ist.“
Gasser (18) neigt sich der Ansicht Bornhaupt’s zu, indem
er bei den Vögeln die Angabe dieses Verfassers bestätigt, dass
der Müller’sche Gang entsteht indem das Peritonalepithel am
vorderen Ende des Wolff’schen Körpers eine Falte bildet, welche
sich zu einer nach hinten gerichteten trichterförmigen Höhle ver-
tieft, deren solide Spitze dann zwischen Peritonealepithel und
Wolff’schen Gang nach hinten weiter dringt. Gasser ist es
nicht gelungen, einen Zusammenhang zwischen Keimepithel und
dem Müller’schen Gange abwärts von Ostium abdominale aufzu-
finden. — Die von Bornhaupt und Waldeyer beschriebene Ver-
diekung des Peritonealepithels über dem Müller’schen Gange hat
Gasser ebenfalls gesehen, er betont aber, dass nach seinen
Untersuchungen dieselbe erst ihre höchste Entwiekelung erreiche,
nachdem der Gang bereits deutlich gesondert ist und ein Lumen
besitzt.
Egli’s (15) Untersuchungen betreffen Kaninchen uud bei diesen
Thieren geschieht die Anlage des Müller’schen Ganges in der
Weise, dass das Oberflächenepithel des W olff’schen Körpers am
stumpfen Kopfende des letzteren (da wo das Zwerchfellbändchen
auf den Wolff’schen Körper übergeht), in Gestalt eines Trichters
in die Tiefe sich senkt und mit einem soliden Fortsatz zwischen
dem lateralen Oberflächenepithel und dem Wolff’schen Gange
gegen das Beckenende vordringt.
In Bezug auf die Entstehung des Müller’schen Ganges
bestätigt v. Kölliker (36) — bei Säugern — die Beobachtungen
Egli’s, nur findet er bereits am 12. und 13. Tage die ersten An-
deutungen desselben in Gestalt einer trichterförmigen Einstülpung
des Peritonealepithels an der medialen Seite des obersten Endes
des Wolif’schen Körpers. Auch v. Kölliker hat beobachtet, dass
der Müller’sche Gang mit einem soliden Zapfen weiter wächst
ohne Betheiliguug des Peritonealepithels des Wolff’schen Körpers,
obwohl dasselbe verdickt ist im Bereiche der ganzen Leiste, wo
der Müller’sche Gang lieg. An seinem obern leicht ange-
schwollenen Ende hat der Müller’sche Gang bei den männlichen
Individuen eine spaltförmige Oeffnung, wie Rathke bei der Natter,
Bischoff bei den Säugethieren nachgewiesen hat.
Der Müller’sche Gang wächst — nach v. Kölliker — unab-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 339
hängig von dem Wolff’schen abwärts, jedoch wird letztererhierdurch
wie eingedrückt und vom Bauchfellepithel abgehoben. An einem an-
deren Orte (37) sagtv. Kölliker von den Geschlechtsgängen eines
weiblichen (?) menschlichen Embryo von 21mm Länge: „DieMül-
ler’schen Gänge verlaufen getrennt und schwinden in der Höhe
der Ureterenmündung, ohne in den Sinus urogenitalis einzumünden,
den die Wolff’schen Gänge weiter unten erreichen‘; und von den
Geschlechtsgängen eines weiblichen Embryo von 31/, Monaten sagt
er: „Die Müller schen Gänge sind in weiterer Ausdehnung ver-
schmolzen und bilden einen deutlichen Uterus und Scheide. Diese
mündet jedoch nicht in den Sinus urogenitalis, sondern endet
blind in der Höhe der noch gut erhaltenen Ausmündungen der
Wolff’schen Gänge, die im Allgemeinen in ihrer ganzen Länge
deutlich wahrnehmbar sind und am Uterus seitlich liegen.“
Zu einem etwas anderen Ergebnisse als die letztgenannten
Verfasser kamen — bei Hühnern — Balfour und Sedgwick (6).
Beide bestätigen wohl, dass der Müller’sche Gang durch eine
rinnenförmige Einstülpung (Groov) des Oberflächenepithels des
Wolff’schen Körpers entsteht, das Abwärtswachsen des Ganges
schildern sie dagegen anders. Nach Balfour und Sedgwick
wird das distale Ende des Müller’schen Ganges nach und nach
solide und verschmilzt mit dem Wolff’schen Gange; das unterste
(distale) Ende des erstgenannten Ganges stellt also eine Ver-
diekung der ventralen Wand des Wolff’schen Ganges dar.
Unterhalb dieser Verdiekung sieht man keine Spur mehr von dem
Müller’schen Gang. Die beiden Verfasser schliessen aus ihrem
Befunde, dass „the Müllerian duct is growing backwards as a
solid rod of cells, split off from the outerwall of the Wolffian
duct“, dass „the Müllerian duct grows by cells passing from
the Wolffian duct to it“, dass also „the actual cells, which assist
in the growth of the Müllerian duct, are derived from the walls
of the Wolttian duct.‘
Nach Janosik (31) entwickelt sich — bei Wirbelthieren
(Schweine) — der Müller’sche Gang unabhängig vom Wolff-
schen Gange als eine Rinne im Pleuroperitonealepithel an der
lateralen oder medialen Seite des Wolff’schen Körpers; „so ist
es in seinem vorderen Ende. Nach rückwärts zu wächst er als
solider Strang weder mit dem Wolff’schen Gange, noch mit
dem Peritonealepithel zusammenhängend.“
340 Dr. med. W. Nagel:
Was den Menschen betrifft, so liegt, nach demselben Ver-
fasser, der Müller ’sche Gang bei einem menschlichen Embryo
von 2 Centimeter Länge mit seinem vorderen offenen Ende etwas
ventral und lateral vom Wolff’schen Gange; die Verbindung des
Müller’schen Ganges mit der Peritonealhöhle ist ganz deutlich.
Nach Janosik’s Untersuchungen fängt beim Männchen
der Müller’sche Gang zu jener Zeit zu atrophiren an, zu welcher
die Differenzirung der Geschlechtsdrüsen erkannt werden kann
(siehe das vorige Capitel. Bei einem 5,3 Centimeter langen
menschlichen Embryo ist der Müller’sche Gang noch nicht weit
atrophirt.
v. Mihalkovicz (50) hat ebenfalls nachgewiesen, dass — bei
Reptilien und Hühnern — das abdominale Ende des Müller ’schen
Ganges sich zuerst bildet und zwar als eine kurze Rinne im
Coelomepithel; diese schliesst sich zu einem kurzen Trichter ab,
welcher abwärts immer enger wird und nagelförmig zugespitzt
aufhört. „Ist der vom Cylinderepithel gebildete Trichter einmal
in dieser Gestalt fertig, so wächst dessen Spitze in einer an der
lateralen Seite der Urniere entstehenden Falte (Tubenfalte)
weiter, dessen Bildung jener des Ganges immer vorangeht, so
dass die Falte quasi als Wegweiser für das vorwachsende Ende
des Ganges dient. Der solide Theil des Ganges ist ziemlich lang
und spitzt sich am unteren Ende sehr fein zu.“
Nach v. Mihalkovicz wächst der Müller ’sche Gang
durch seine eigene Verlängerung: „das könnte auf zweierlei Art
geschehen: durch Vermehrung der Zellen bloss an seiner Spitze,
d. h. durch Apposition, oder ausserdem auch durch Vermehrung
der Zellen in der ganzen Länge des Ganges, also durch intersti- :
tielles Wachsthum“. v.Mihalkoviez neigt sich zu der ersteren
Auffassung, weil der Gang so langsam wächst und weil man an der
Spitze des Ganges „jene indifferenten und in reger Theilung be-
griffenen polygonalen Epithelzellen, wie sie anderwärts das wu-
chernde Epithel zeigt“, findet.
Das Urogenitalsystem eines 20 mm langen menschlichen
Embryo beschreibt Beauregard (a. a. O.); er giebt aber seinen
Figuren 4 u. 5 eine nicht ganz richtige Deutung. Das, was er
an diesen beiden Schnitten (der Nähe des Sinus Urogenitalis ent-
nommen) als Müller’schen Gang (e) beschreibt, ist meiner An-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 341
sicht nach der Wolff’sche Gang; das was er als Wolff’schen
Gang (d) bezeichnet, halte ich für den Ureter.
Im Vorstehenden habe ich vorwiegend diejenigen Forscher
berücksichtigt, welche auch menschliche Früchte in das Bereich
ihrer Untersuchungen eingezogen haben. Um der Arbeit nicht
einen zu grossen Umfang zu geben, habe ich viele sehr wichtige
Arbeiten aus dem Bereiche der niederen Thierwelt unberücksich-
tigt lassen müssen. Ich bitte dies mit der eben angeführten Be-
sründung entschuldigen zu wollen.
Ich habe ferner hauptsächlich nur die Ansichten der Ver-
fasser über die erste Entstehung des Müller’schen Ganges an-
geführt, weil ich zunächst diese Frage an der Hand menschlicher
Embryonen zu erörtern versuchen will.
Aus den angeführten geschichtlichen Thatsachen geht hervor,
dass über die erste Entstehung des Müller’schen Ganges beim
"Menschen nichts Sicheres bekannt ist. Für den Menschen ist also noch
die Frage zu beantworten, ob der Müller’sche Gang wie bei den
niederen Wirbelthieren (Gegenbaur (21), Hofmann (Selachier),
siehe bei ©. Hertwig (26), Nussbaum (Teleostier) (56)) aus
dem Urnierengange durch Abspaltung seine Entstehung nimmt,
oder ob er, wie bei Reptilien, Vögeln und Säugethieren (siehe
ausser die vorne angeführte Literatur auch Braun (12) und ©.
Hertwig (26)) dnrch Einstülpung und Einwucherung des Coelom-
epithels entsteht. | |
In seinem Werke über die Anatomie menschlicher Embryonen
(27), sagt His gelegentlich der Beschreibung der Embryonen A
und B: der Müller’sche Gang ist an diesen Embryonen noch
nicht vorhanden. In der Rinne, lateralwärts von der Urnierenleiste,
ist das Epithel um beinahe das Doppelte (bis auf ca. 20 «) ver-
diekt und so zeichnet sich jetzt schon die Stelle aus, an welcher
später der Müller’sche Gang sich bilden wird.
DieseEmbryonen His’ hatten eine Länge von 7 und 7,5 mm. Der
jüngste von mir bis dahin untersuchte Embryo (ich rede wie auch in
dem folgenden — wenn nicht anders ausdrücklich vermerkt ist —
stets von menschlichen) hatte eine Länge von 12mm. Bei diesem
(siehe Seite 272) verläuft auf einer kurzen Strecke im distalen
Theil der Urniere neben dem Wolff’schen Gange, diesem dicht
anliegend, ein zweiter Kanal, welcher sich durch das 13—19 u hohe,
eylindrische Epithel leicht von dem Wolff’schen Gange unter-
342 Dr. med. W. Nagel:
scheidet. Verfolgt man diesen zweiten Gang proximälwärts, so
wird man gewahr, dass derselbe alsbald sich öffnet, indem seine
Wände mit der vorne erwähnten (siehe Seite 274), weiter unten
näher zu beschreibenden, Epithelverdickung an der Aussenseite
des Wolff’schen Körpers, in Verbindung treten und auseinander
weichen, um in dieser Weise eine kurze Rinne zu bilden (siehe
Fig. 24 Tafel XVII), welche noch auf einigen Schnitten proximal-
wärts zu verfolgen ist, aber allmählich flacher wird, so dass das
oberste Ende derselben nur eine seichte Einkerbung der erwähnten
Epithelverdickung darstellt. Distalwärts verjüngt sich allmählich
der erwähnte zweite Gang, büsst sein Lumen ein, um als eine
spitz zulaufende solide, dem W olff’schen Gange, und zwar dessen
lateraler Wand, eng anliegende Wurzel zu enden.
Obne Zweifel ist dieser zweite Gang der Müller’sche; sein
distales Ende findet sich in gleicher Höhe mit dem proximalen
Ende des Keimepithelwulstes, er bildet also auf dieser Entwieke-
lungsstufe einen kurzen oben offenen Trichter !).
Das Verhalten des Müller’schen Ganges ist auf beiden
Seiten genau dasselbe.
Bei dem Embryo M zeigt die Anlage des Müller schen
Ganges ein ganz Ähnliches Aussehen (siehe Seite 280). Auch bei
diesem Embryo stellt das abdominale (proximale) Ende des
Ganges eine kurze, aufwärts sich allmählich abflachende Rinne
dar. Distalwärts schliesst sich die Rinne zu einem Rohr ab,
welches neben dem Wolff’schen Gange als selbständiger Kanal
zu verfolgen ist (siehe Fig.3 u.4, Tafel XVII) und welches sich in
derselben Weise wie bei dem vorigen Embryo allmählich zu einer
soliden, der lateralen Wand des Urnierenganges eng anliegenden
Wurzel zuspitzt.
Seine Länge ist ziemlich dieselbe wie bei dem vorigen
Embryo und sein Epithel zeigt dieselben eben erwähnten Eigen-
thümlichkeiten.
1) Ich habe den eingebürgerten Ausdruck „Trichter“ beibehalten; dabei
muss man aber festhalten, dass die weite Oeffnung des „Trichters‘“ in diesem
Falle keine regelmässig runde ist; es wäre desshalb richtiger, die erste An-
lage des Müller’schen Ganges mit einer „Tüte“ statt mit einem „Trichter“
zu vergleichen, oder, wie v. Mihalkoviez will, mit einem auf die Spitze
gestellten Pantoffel.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 343
Obwohl ich gewünscht hätte, die geschilderten Thatsachen
an mehreren Embryonen dieser Grösse zu bestätigen, so glaube
ich doch, dass es berechtiget ist, aus dem übereinstimmenden
Verhalten des Müller’schen Ganges auf dieser frühen Entwicke-
lungsstufe den Schluss zu ziehen, dass derselbe sich beim Menschen
in ähnlicher Weise bildet, wie bei den übrigen höheren Wirbel-
thieren von Bornlaupt, Waldeyer, Egli, Gasser,
Balfour, Sedgwiek, Janosik und v. Mihalkoviez
beobachtet, nämlich durch Einstülpung eines bestimmten
Theiles des Oberflächenepithels der Urniere.
Das Bildungsepithel für den Müller’schen Gang
wurde von Bornhauptals ein Theil des Peritonealepithels an-
gesehen, während Waldeyer, abweichend hiervon, behauptete,
dass sowohl die weibliche Keimdrüse wie der Müller’sche Gang
aus einem besonderen Theil des Peritonealepithels, nämlich aus
dem Keimepithel entständen. Die Erklärung, welche Wa!deyer
für die Gleichwerthigkeit beiderlei Bildungsepithelien gab, wie
man sich vorzustellen hat, dass die Bildungsstätte des Müller-
schen Ganges, obwohl an der Aussenseite des Wolfi’schen
Körpers belegen, doch ursprünglich einen Theil des Keimepithels
bildete, habe ich (Seite 336) schon angegeben.
Von keinem der späteren Forscher ist die Gleichwerthigkeit
beider Bildungsepithelien unbedingt anerkannt worden; sie be-
trachten alle die Epithelverdiekung, welche der Bildung des
Tubentrichters vorangeht, als einen besonderen Vorgang, welcher
später auftritt als die Bildung des eigentlichen Keimepithels und
also unabhängig von diesem (Bornhaupt, Egli, Gasser,
v. Mihalkoviecz, Kölliker u. A.)
Wie ich oben geschildert habe (siehe auch Fig. 24 Tafel XVII)
gehen die Wände des Müller’schen Trichters unmittelbar in die
Verdiekung des Oberflächenepithels über, welche sich längs der
ganzen Aussenseite des Wolff’schen Körpers findet; dieselbe
beginnt an dem proximalen Ende des Organs („Zwerchfellband
der Urniere‘“‘ nach Kölliker) und geht auf die Plicae urogenitalis
(im Sinne Waldeyer’s) über. Sie bildet einen, proximalwärts
breiteren, Wall von dichtgedrängten hohen Cylinderzellen. Da
wo der Epithelsaum am höchsten, misst er 24u und ist er, wie
344 Dr. med. W. Nagel:
es scheint, an dieser Stelle mehrschichtig. In dem proximalen
Bezirk der Epithelverdiekung liegt die Rinne, welche, wie schon
erwähnt, der Bildung des Müller’schen Trichters voran geht und
das abdominale Ende dieses letztern darstellt. In meinem jüngsten
vorzüglich erhaltenen Embryo (weiblichen Geschlechts, 12 mm
laug) habe ich nun in dieser Epithelverdickung, nicht allein in
der Nähe der abdominalen Tubenöffnung, sondern auch mehr
distalwärts (aber doch im Bereich der oberen Hälfte der Urniere)
mehrfach auffallend grosse, 14—16 u messende, ‚Zellen gesehen.
An einzelnen Schnitten lagen diese Zellen zu zwei oder drei
zusammen, zeichneten sich durch ihre mehr rundliche Gestalt
deutlich von den Cylinderzellen der Epithelverdiekung ab, hatten
helles Protoplasma und, meist runde, regelmässige Kerne, welche
5—8.. maassen und zum Theil ein deutliches Kerngerüst trugen.
(Siehe Figg. 29 und 30 Tafel XIX.) Dem anatomischen Verhalten
nach haben die eben beschriebenen Zellen, das wird gewiss jeder
einräumen, die grösste Aehnlichkeit mit Geschlecehtszellen, in
Sonderheit mit den Geschlechtszellen desselben Embryo (man
vergleiche die Fig. 13 Tafel XVII, welche der Sexualdrüse dieses
Embryo entstammt).
Bei einem Embryo von 20 mm Länge, welchen ich als weib-
lich bezeichne (siehe das vorige Kapitel), fand ich ebenfalls und
zwar an derselben Stelle, zwischen den Cylinderzellen der Epithel-
verdickung, rundliche, den oben beschriebenen ganz ähnliche
Zellen; nur erreichten dieselben nicht die eben genannte Grösse,
indem sie nur 9—10 .. maassen (die Kerne 5—6 u) und also den
jüngsten Primordialeiern desselben Embryo am nächsten kamen.
Bei männlichen Embryonen sind die hier in Rede stehen-
den grossen Zellen bei weitem nichtso zahlreich vertreten wie bei
weiblichen. Das würde ja auch der geringeren Anzahl der männ-
lichen Geschlechtszellen vollkommen entsprechen. Bei einem
männlichen, ebenfalls vorzüglich erhaltenen, Embryo von 13 mm
Länge gelang es mir nicht, die grossen Zellen in der Epithelver-
diekung zu finden, dagegen bei einem solchen von 22mm Länge
(in Flemming’scher Lösung gehärtet) aber, wie gesagt, in viel
geringerer Zahl; eine besonders gut entwickelte Zelle der beschrie-
benen Art maass 15 «, deren Kern 9 u.
Ich weiss nicht, ob bei Thieren eine ähnliche Beobachtung
gemacht worden ist; ich habe, was die Säugethiere betrifft, keine
fu
u
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 5345
Angabe hierüber finden können. Ist aber meine Auffassung dieser
Zellen als Geschlechtszellen richtig, so würde der hier berich-
tete Befund, wenigstens für den Menschen, auf eine engere Be-
ziehung der beschriebenen Epithelverdickung (Bildungsstätte des
Müller’schen Ganges) zum eigentlichen Keimepithel, wie Wal-
deyer behauptet (siehe Seite 336), hinweisen.
Bei Embryonen von 20—25—30 mm finde ich noch die
Epithelverdickung von unverändertem Aussehen, (bei den älteren
jedoch ohne grosse Zellen), soweit dieselbe nieht durch Bildung
des Genitalstranges verschwunden ist. Ist die Tubenfalte gebildet,
so erkennt man die Verdiekung noch deutlich als epithelialen
Ueberzug der freien Flächen dieser.
Bei einem weiblichen Embryo von 20mm Länge, frisch in
Flemming’scher Lösung gehärtet, fand ich folgendes:
Der Müller’sche Gang ist an seinem proximalen Ende offen
und bildet eine Rinne, indem die gabelförmige Oeffnung durch
mehrere Schnitte zu verfolgen ist. Alsdann verläuft er als ge-
schlossener Gang neben dem Wolff’schen, etwa 16 u. (nach aussen)
von diesem entfernt, leicht kenntlich durch sein 21—24 u hohes
eylindrisches, dieht gereihtes Epithel. Im Beginn der unteren
Hälfte der Urniere nähert sich der Müller’sche Gang dem Wolff-
schen mehr und mehr und legt sich etwas weiter abwärts dicht
an denselben an, so dass das Epithel der beiden Gänge nur durch
ihre verschiedene Gestalt von einander zu unterscheiden ist. An
dem vierten Reihenschnitte (die Dicke jedes Schnittes beträgt
0,025 Schantz) unterhalb dieser Stelle hat der Müller’sche Gang
kein Lumen mehr; von jetzt ab bildet er eine, durch die eigen-
artigen Epithelzellen deutlich erkennbare, solide Wurzel, welche
der ventralen Wand des Wolff’schen Ganges dicht anliegt.
(Siehe Figg. 25, 26 und 27 Tafel XIX.)
In der soliden Endsprosse des Müller’schen Ganges sind
die Zellen gross, eckig; ihr Protoplasma hat sich (mit Haematoxylin)
gefärbt, während das Protoplasma der zierlichen eylindrischen
Zellen des Wolff’schen Ganges ganz hell ist und also keinen Farb-
stoff angenommen hat. (Siehe Figg. 25—27.) An einer Stelle
innerhalb dieser Endprösse habe ich eine SX10 «. messende Zelle
346 Dr. med. W. Nagel:
gesehen, die sich durch ihr helles Protoplasma von den übrigen
Zellen unterschied und die 2 Kerne in sich barg.
Da wo der Müller’sche Gang noch ein deutliches Lumen
hat, liegt er dem Epithel der Urniere dicht an, ist von diesem
aber durch eine Basalmembran deutlich abzugrenzen; je mehr er
seiner Vereinigungsstelle mit dem Wolff’schen Gange näher rückt,
um so mehr entfernt er sich auch von dem Oberflächenepithel.
Die Anlagerung des Müller’shen Ganges an dem Wolff-
schen geschieht noch im Bereiche der Urniere. In dem untersten
(distalen) Theil dieses Organes, sowie im Bereiche der Plieae
urogenitales sieht man auf beiden Seiten je einen Kanal, nämlich
den Wolff’schen. Derselbe hat einen Gesammt-Querschnitt von
56—64 u, ein Lumen von 24—32 u und mündet in den Sinus
urogenitalis in ähnlicher Weise wie bei jüngeren Embryonen
beschrieben (siehe Seite 276). Während aber auf jüngeren Ent-
wiekelungsstufen Nierenkanal und Wolff’'scher Gang ziemlich in
derselben Höhe in den Sinus einmündeten, so liegt jetzt die
Mündung des ersteren (des Ureters also) bedeutend höher oben.
Die distalen Enden der Plicae urogenitales sind auf einer
kurzen Strecke mit einander verschmolzen: man kann also bei
diesem Embryo von einem Genitalstrang (im Sinne von Thiersch)
reden.
Bei einem männlichen Embryo von 22mm Länge, eben-
falls ganz frisch in Flemming’sche Lösung gelegt, zeigt der
Müller’sche Gang ein ganz ähnliches Verhalten wie soeben
geschildert. In dem proximalen Theil der Urniere nämlich ver-
läuft er als ein 72X96 « in der Quere messender Kanal nach aussen
von den Wolff’schen Gange, etwa 48 u von diesem und etwa
24 u von der Oberfläche entfernt. Sein Epithelsaum hat eine Dieke
von 24—32 u und besteht aus den eigenthümlichen hohen Cylinder-
zellen. In seiner Umgebung liegen die Bildungszellen dicht
gedrängt in kreisförmiger Anordnung. Der Gestalt des W olff-
schen Körpers folgend machen beide Gänge — wie bei dem
vorigen und bei allen älteren Embryonen solange man von einer
Urniere reden kann — eine ziemlich plötzliche Biegung einwärts
und verlaufen von jetzt ab der embryonalen Körper-Längsaxe
bedeutend genähert. Unterhalb dieser Biegung, also zu Beginn
der distalen Hälfte der Urniere, nähert sich der Müller’sche
Gang dem Wolff’schen, so dass die Epithelien einander berühren.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 347
Der Müller’sche Gang büsst jetzt sein Lumen ein und ist 7
Reihenschnitte (quer durch den Embryo) hindurch als eine solide,
spitz zulaufende Endsprosse zu verfolgen, welche der ventralen
Wand des Urnierenganges dicht anliegt. (Siehe Fig. 28 Tafel
XIX.) |
Die Zellen derselben sind leicht durch ihre eigenthümliche
eekige Gestalt und durch ihre Grösse von dem Epithel des W olff-
schen Ganges zu unterscheiden, dessen Basalmembran sie nicht
überschreiten.
Unterhalb dieser Stelle ist keine Spur mebr von dem
Müller’schen Gange zu entdecken: in dem distalen Ende der
Urniere und in der Pliea urogenitalis verläuft also auf jeder Seite
nur ein Kanal, nämlich der Wolff’sche.
Die Verschmelzung der Plicae urogenitales reicht viel höher
hinauf als bei dem vorigen Embryo, der Genitalstrang hat also
bei diesem eine grössere Länge. Die Wolff’schen Gänge messen
im Queren im oberen Theil des Genitalstranges durchschnittlich
64 X 72 u, im unteren Theile desselben 40 X 64 u. Die Dicke des
Epithelsaums der Gänge beträgt 14«u. Die Entfernung beider
Gänge von einander beträgt etwa 60 u, und die umgebenden Bil-
dungszellen liegen viel dichter in der Nähe der Gänge; hier-
durch hebt sich der Genitalstrang deutlieh von der Umgebung ab.
Was die Einmündung in den Sinus im Verhältniss zu der-
jenigen der Ureteren betrifft, so gilt das bei dem vorigen Em-
bryo gesagte.
Die soeben geschilderten anatomischen Thatsachen über Ver-
lauf und Wachsthum der Müller’schen Gänge habe ich bestä-
tigt gefunden bei Embryonen, sowohl männlichen wie weiblichen,
mit einer absoluten Körperlänge von 15mm, 20 mm, 21mm, 22
und 23mm. Bei allen Embryonen dieser Grösse bildet der Mül-
ler’sche Gang also einen nach aussen von dem Wolff ’schen
verlaufenden Kanal, welcher proximalwärts mittels einer sich all-
mählich abflachenden Rinne frei mit der Bauchhöhle in Verbin-
dung steht, distalwärts aber in eine solide Spitze ausläuft. Wäh-
rend im proximalen Bezirk der Müller’sche Gang sich mehr und
mehr — es richtet dies sich nach dem Alter des betreffenden
Embryo — von dem Wolff’schen entfernt und zum Theil in
einer eigenen Falte („Tubenfalte* siehe vorne) liegt, nähert er
sich distalwärts dem Urnierengange und legt sich mit seiner soliden
348 Dr. med. W. Nagel:
Endsprosse demselben dieht an. Es richtet sich nach dem Alter
des Embryo, ob man diese Vereinigung der beiden Gänge noch
im Bereiche der Urniere trifft oder im Bereiche der Plica uroge-
nitales: in allen Fällen geschieht aber die Vereinigung in ganz
gleicher, oben beschriebener, Weise. Oberhalb der vorne be-
schriebenen Einwärtsbiegung der Spitzen der Wolff’schen Kör-
per, welche ich bei Embryonen von 13mm an als regelmässige
Erscheinung gefunden habe, liegt der Müller’sche Gang nach
aussen von dem Wolff’schen, nach vollzogener Umbiegung der
W olff’schen Körper aber nach innen; unter allen Umständen
ist es aber eine und dieselbe Wand des Urnierenganges, an wel-
cher man die Endsprosse desM üller’schen Ganges trifft und an
welcher er also abwärts wächst, nämlich die ventrale.
Dieerste Schlussfolgerung aus den hier berichteten Beob-
achtungen, dass der Müller’sche Gang auch beim Menschen und
zwar bei beiden Geschlechtern durch eine Einstülpung eines be-
stimmten Theils des Urnierenepithels entsteht, habe ich schon
(Seite 342) angeführt. Hieraus ergiebt sich, dass das abdominäle
Tubenende — wie es ja in Uebereinstimmung mit den Beobach-
tungen anderer Forscher bei höheren Wirbelthieren von vorne
herein zu erwarten war — beim Menschen von Anfang an offen
ist. Aelteren Beobachtungen zufolge (Johannes Müller,
Rathke, J. Fr. Meckel, Kobelt (35)), wurde allgemein
angenommen, dass es sich beim Menschen anders verhielt, dass
der Müller’sche Gang vielmehr zu Anfang geschlossen sei und
erst später — und zwar nur beim Weibehen — am oberen Ende
sich öffnete. Auch Kussmaul (42) bildet stets das abdominale
Ende der Müller'schen Gänge als geschlossen ab und seitdem
ist diese Ansicht nicht widersprochen worden.
In einer vorläufigen Mittheilung dieser Untersuchungen
(Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin. 1839, III) habe ich die Ansicht ausgesprochen,
dass die oben beschriebene Einstülpung über ein grösseres Stück
des Ganzen sich erstreckt als bloss das abdominale Ende, dass
die erste Entstehung des Müller ’schen Ganges beim Menschen
also als eine längere Rinne aufzufassen wäre, welche sich zu einem
Rohre abschliesst. Erneuerte Untersuchungen haben mir aber ge-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 349
zeigt, dass ich die damals ausgesprochene Ansicht nicht aufrecht
zu halten vermag. Bei meinem jüngsten Embryonen, dessen Er-
haltungszustand tadellos war, hatte der Müller’sche Gang die
erste Stufe seiner Entwieckelung überschritten und zeigte das
schon beschriebene Verhalten. Ich muss desshalb die Frage, wie
weit die Einstülpung abwärts geht, ein wie grosses Stück
des Müller’schen Ganges in dieser Weise entsteht eher er sich
mit dem Wolff’schen in Verbindung setzt, als eine offene stehen
lassen, denn das wird sich nur an Embryonen, welche jünger
sind als die meinigen, feststellen lassen. Die Frage ist aber von
Bedeutung zur Erklärung der mehrfachen Tubenöffnungen, die
auch beim Menschen thatsächlich vorkommen, wie Henle (24),
Waldeyer, Hennig (Der Catarrh der inneren weiblichen Ge-
schlechtstheile. Leipzig 1862) berichten. (Vergleiche auch Richard,
Anatomie des Trompes de Uterus chez la femme. Paris 1851.
Siehe im übrigen bei Waldeyer (77) und v.Mihalkovicz
(50).) Liegen die überzähligen Oeffnungen in unmittelbarer Nähe
der abdominalen Mündung und zwar dicht an einander, so lässt
sich ihre Genese — worauf in Sonderheit Waldeyer und auch
v. Mihalkovicz aufmerksam macht — leicht dadurch erklären,
dass die oben beschriebene Rinne an mehreren Stellen zum Rohr
sich abschliesst. Liegen aber die iberzähligen Oeffnungen weiter
abwärts, so sind wir entweder zu der Annahme gezwungen, dass
unter Umständen die Rinne eine grössere Ausdehnung hat, dass
also in solchen Fällen eine Tubenbildung im Sinne Waldeyer’s
statt hat, oder dass eine erneute Einstülpung von Seiten des Ur-
nierenepithels (vergleiche v.Mihalkovicz (50)), beziehungsweise
von der oben beschriebenen Epithelverdiekung an der Aussenfläche
der Urniere (Keimepithel im Sinne Waldeyer’s) Platz greifen
kann. Letztere Erklärung müsste man vorwiegend in denjenigen
Fällen annehmen, wo die Nebenöffnung, wie in dem Falle von
Richard (siehe beiWaldeyer), in der Mitte der Tube sich
fand. Wahrscheinlich gehören die in der Sitzung der geburts-
hülflichen Gesellschaft zu Berlin vom 14. Dezember 1888 von Veit
und Gusserow angeführten Fälle auch hierher.
Erwähnen will ich noch, dass ich einmal, bei einem Embryo
von 4—5 em Länge, im proximalen Theil der linken Urniere neben
dem Müller’schen einen zweiten Gang gesehen habe. Diese
überzählige Tube fing als Furche an, welche in ein geschlossenes
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 34. 23
350 Dr. med. W. Nagel:
Rohr überging, um schliesslich blind zu endigen. Mit der eigent-
lichen Tube trat dieser zweite Gang nirgends in Verbindung; da
wo derselbe ein geschlossenes Rohr darstellte, war er nicht von
der Tube zu unterscheiden, weil beide Kanäle mit einem durch-
aus gleichartigen Epithel von dem bekannten Aussehen ausge-
kleidet waren. Es handelte sich also um die Anlage eines „Ne-
beneileiters“ im Sinne von Hennig.
Die zweite Schlussfolgerung aus meinen Beobachtungen
wäre die, dass derMüller’sche Gang bald nach seiner
Entstehung sich dem Wolff’schen dicht anlegt
und diesem entlang abwärts wächst. Es würde
also das Ergebniss meiner Untersuchungen demjenigen von Bal-
four und Sedgwick für das Hühnchen erzielten am nächsten
kommen (siehe Seite 339). Es findet beim Menschen gewisser-
maassen eine innige Vereinigung zwischen Müller’schem und
Wolff’schem Gange statt; bis zur äussersten (distalen) Spitze
des Müller’schen Ganges kann man aber die Zellen desselben
deutlich von denjenigen des Wolff ’schen unterscheiden. Die
Vereinigung ist also nicht als ein Aufgehen der Elemente der
beiden Gebilde in einander aufzufassen und ich kann desshalb
nieht Balfour und Sedgwick darin beipflichten, dass die
weitere Entwickelung des Müller’schen Ganges in Form einer
Abspaltung auf Kosten des Wolff’schen Ganges stätt-
findet, dass also die Zellen des Wolff’schen Ganges das Bau-
material für den Müller’schen Gang abgeben. Nirgends sieht
man Uebergangsformen zwischen den Zellarten der beiden Gänge
und an keiner Stelle Theilungsvorgänge im Epithel des Wolff-
schen Ganges. Ich glaube desshalb annehmen zu müssen, dass
der Müller’sche Gang durch Vermehrung der eigenen Zellen
weiter wächst. Erwägt man, dass die Zellen in der soliden End-
sprosse gross, von unregelmässiger Gestalt sind und keine be-
stimmte Anordnung zeigen, während sie höher oben, wo der Gang
ein Lumen hat, einen regelmässigen Saum von hohen Cylindern
bilden, so ist es wohl richtig, trotzdem ich auch nicht an dieser
Stelle ausgesprochene Kerntheilungsfiguren gesehen habe, mit v.
Mihalkovicz anzunehmen, dass das Wachsthum an der Spitze
geschieht.
Wie ich an meinen Präparaten habe verfolgen können, wächst
der Müller’sche Gang der ventralen Wand des Wolff ’schen
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 351
Ganges entlang abwärts, aber, wie eben auseinander gesetzt, auf
eigene Kosten; er benutzt so zu sagen, den W olff’schen Gang
als Leiter um den Sinus urogenitalis zu erreichen. Nur in diesem
Sinne ist die Vereinigung mit dem Wolff’schen Gange auf-
zufassen.
Die geschilderte Ausbildungsweise des Müller’schen Ganges
erklärt sehr wohl, dass mehrere ältere Forscher die Entstehung
des Ganges beim Menschen (Johannes Müller, Bischoff) und
den höheren Wirbelthieren (Rathke, Thiersch) als eine Ab-
spaltung von dem Wolff’schen auffassten. Die genannten Ver-
fasser meinten ferner, dass der neu entstandene Gang anfangs
solide war (der Name „Faden“ deutet dies schon an) und erst
später ein Lumen erhielt. Wie aus den beschriebenen Thatsachen
hervorgeht, haben sie, was die distale Spitze des Ganges betrifft,
vollkommen Recht gehabt.
Dass die Vereinigung der Müller’schen und Wolff’schen
Gänge mit einander in gleicher Weise bei männlichen und bei
weiblichen Embryonen des Menschen geschieht, habe ich schon
oben auf Grund meiner Präparate gezeigt. Da nun ferner das
distale Ende des Müller’schen Ganges stets dasselbe Verhalten
zeigt, ob man es im Bereiche der Urniere oder im Bereiche des
Genitalstranges trifft, ob man einen männlichen oder einen weiblichen
Embryo vor sich hat, so geht daraus hervor, dass die sogenannte
„Abspaltung“ des Müller’schen Ganges von dem Wolff’schen
Gange in gleicher Weise bei beiden Geschlechtern allmählich
weiter abwärts schreitet.
Dohrn (13) hat für den Menschen nachgewiesen, dass der
Müller’sche Gang im Bereiche der Urniere nach aussen und vorn
(eine ähnliche Angabe findet man auch bei Johannes Müller
(51)), während der Wolff’sche Gang medianwärts liegt. Im
Bereiche des Genitalstranges dagegen hat das Umgekehrte statt:
hier liegen — wie Dohrn ebenfalls nachgewiesen hat — die
Müller’schen Gänge nach innen, die Wolff’schen dagegen
nach aussen. Diese Kreuzung der Gänge ist auch bei anderen
Thiergattungen als Regel bekannt und Thiersch erklärte diese
Erscheinung in der Weise, dass der Müller’sche Gang auf der
Wandung des Wolff’schen eine halbe Spiralwindung beschreibt.
Ich glaube nach meinen Untersuchungen beim Menschen annehmen
zu müssen, dass die Kreuzung der Lage der Gänge mit der Bil-
352 Dr. med. W. Nagel:
dung des Genitalstranges (im Sinne von Thiersch) zusammen-
hängt. Der letztere kommt nämlich dadurch zu Stande, dass die
(lateralen) Spitzen des Wolff’schen Körpers, in welchen der
Wolff’seche Gang (bezw. auch der Müller’sche) verläuft, sich
fusswärts mehr und mehr nach innen, nach der Mittellinie des
embryonalen Körpers zu umbiegen (wie vorne beschrieben), um
schliesslich mit einander zu verschmelzen, etwa in derselben
Weise, wie man aus einem elastischen Stabe durch Biegung des-
selben einen Kreis bildet. Dadurch müssen nothwendig die früher
nach aussen belegenen Müller’schen Gänge (bezw. diejenige
Wand des Wolff’schen Ganges, entlang welcher der Müller-
sche wächst) jetztnach innen zu liegen kommen, einander unmittelbar
berührend. Das Abwärtswachsen des Müller’schen Ganges geschieht
also stets einem und demselben Bezirk der Wandung des
Wolff’schen entlang, nämlich der ventralen Seite.
Aus meinen Untersuchungen geht ferner hervor, dass die
Bildung des Genitalstranges beim Menschen zu einer Zeit geschieht,
wo die Ausbildung des Müller’schen Ganges noch nicht so weit
gediehen ist: auf einer gewissen Stufe der Entwickelung enthält
der Genitalstrang sowohl bei männlichen wie bei weiblichen
Individuen nur zwei parallel neben einander verlaufende Kanäle.
Dass diese sowohl hier wie höher oben im Bereich der Urniere
(unterhalb der Einmündung der Müller’schen Gänge) nur als
Ausführungsgänge der Drüse (also als Wolff’sche Gänge im
eigentlichen Sinne des Wortes) aufzufassen sind und nicht mit dem
Segmentalgange niederer Thiere gleichwerthig (siehe Balfour und
Sedgwick (6), vergleiche auch hierüber v.Mihalkovicz (50)), das
geht, so meine ich, aus der oben beschriebenen Entstehungsweise
des Müller’schen Ganges hervor, indem dieser beim Menschen
— im Gegensatz zu den niederen Thieren, in Ueberein-
stimmung mit den höheren Wirbelthieren — also unabhängig
von dem Wolff’schen sich bildet und während seines Abwärts-
wachsens keinerlei Elemente von diesem in sich aufnimmt.
Was die Verschmelzung der Müller’schen Gänge mit
einander betrifft, so lehrte Thiersch, dass die gegenseitige Be-
‚rührung mit darauf folgender Verschmelzung der beiderseitigen
Müller’schen Fäden am unteren Ende beginne und nach aufwärts
bis zu der Stelle, wo die Wolff’schen Gänge gabelförmig aus-
einander weichen, fortschreite. — Aus Dohrn’s Beschreibungen
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 353
geht hervor, dass die Verschmelzung (und auch die Atrophie bei
männlichen Individuen) von oben nach unten geschieht und zwar
verhältnissmässig früh und rasch. Bei einem Embryo von 2,5
Centimeter Länge fand Dohrn die Müller’schen Gänge einander
bereits so weit genähert, dass ihre Epithelkränze sich stellenweise
deckten, bei einem 3 Centimeter langen Embryo war die Ver-
schmelzung schon nahezu vollständig. Die letzte Hälfte des zweiten
Monats des Embryonallebens- ist beim Menschen die Zeit, giebt
Dohrn an, wo die Verschmelzung vor sich geht.
Für den Rindsembryo hat Kölliker festgestellt, dass die
Müller ’schen Gänge in der Mitte des Genitalstranges zuerst
verschmelzen, an beiden Enden desselben dagegen noch längere
Zeit doppelt bleiben. „Ein Verhalten“, fügt Kölliker hinzu,
„das nun auch das Vorkommen von einem einfachen Uterus mit
doppelter Scheide in pathologischen Fällen beim Menschen be-
greiflich macht.“
Langenbacher (43) schliesst sich, was das Kaninchen
betrifft, Thiersch an, indem er behauptet, dass die Verschmel-
zung der Gänge in allen Fällen am unteren Ende derselben be-
ginnt.
In Uebereinstimmung mit Kölliker itv.Mihalkovicz
der Ansicht, dass die Vereinigung zuerst im oberen Drittel des
Geschlechtsstranges erfolgt, und schreitet von hier sowohl in pro-
ximaler als in distaler Richtung rasch fort.
Von vornherein sollte man erwarten, dass die Verschmelzung
der Gänge von oben nach unten, wie Johannes Müller auch
meinte, fortschreitet, weil diese Art der Verschmelzung der all-
mählichen Ausbildung der Gänge entsprechen würde. Indessen
scheint dieses nicht immer der Fall zu sein, wie aus den ange-
führten Ergebnissen anderer Forscher hervorgeht. Ob beim Men-
schen die Verschmelzung der Müller’schen Gänge nach einer
bestimmten Regel geschieht, und dann welcher, bin ich nicht in
der Lage zu entscheiden. Nach meinen bisherigen Beobachtungen
beginnt die Verschmelzung erst dann, wenn die Müller’schen
Gänge das unterste Ende des Wolff’schen erreicht haben, und
zwar findet dieselbe, wie es scheint, an mehreren verschiedenen
Stellen der Berührungsfläche auf einmal statt. Da die Vereinigung
nach übereinstimmender Angabe der Autoren sehr rasch vor sich
geht, hängt es von einem glücklichen Zufalle ab, dass man gerade
354 Dr. med. W. Nagel:
einen Embryo trifft, welcher den Beginn dieser Entwickelungs-
stufe zeigt. Bei einem solchen vorzüglich erhaltenen, in Flem-
ming’scher Lösung gehärteten Embryo weiblichen Geschlechts von
30 mm Länge traf ich auf Reihenschnitten quer durch den Geni-
talstrang, im ganzen Bereiche desselben, bald zwei vollständig von
einander getrennte Lumina, bald nur eins in wechselnder Reihen- |
folge, dazwischen alle möglichen Uebergangsstufen.
Was die Einmündung der Müller’schen Gänge in den
Sinus urogenitalis und das spätere Schicksal derselben betrifft,
welches in Sonderheit den Gegenstand der Arbeiten von Dohrn
(12), Kussmaul (42), Tourneux und Legay (Tl), v. Mi-
halkovicz (50, van Ackeren (l) bildet, so sind meine
diesbezüglichen Untersuchungen noch nicht so weit gediehen, dass
ich mir hierüber ein endgültiges Urtheil bilden kann. Ich behalte
mir desshalb vor, in einer späteren Arbeit auf diesen Gegenstand
näher einzugehen. '
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Bd. 3. Leipzig 1865.
77. Derselbe. Eierstock und Ei. Leipzig 1870.
78. Derselbe. Artikel „Eierstock uud Nebeneierstock“ in Stricker’s
Handbuch der Lehre von den Geweben des Menschen und der Thiere. 1871.
Siehe ausserdem die im Texte angeführte Literatur.
Fie.N1l.
Fig. 2.
Erklärung der Abbildungen.
Frontalschnitt durch den Wolff’schen Körper eines 12 mm langen
menschlichen Embryo. Gl. = Glomerulus. @. = Urnierenkanälchen.
W.G. = Wolff’scher Gang. Lh. = Leibeshöhle. Gef. = Gefäss. Ng.
= Nierengang. :
Querschnitt durch einen weiblichen menschlichen Embryo von
12mm Länge im Bereich der Plicae urogenitales. W.G. = Plicae
urogenitalis mit dem Wolff’schen Gange. Ng. = Nierengang.
Figg. 3u.4. Querschnitt durch den proximalen Theil des Wolff’schen Kör-
Fig. 5.
pers eines 13mm langen menschlichen Embryo männlichen Ge-
schlechts. Uk. = Urnierenkanälchen. M.G.= Müller’scher Gang,
in Fig. 3 ist das abdominale offene Ende desselben sichtbar, in
Fig. 4 bildet der Müller’sche Gang einen geschlossenen Kanal.
Aus dem Wolff’schen Körper eines 20mm langen menschlichen
Embryo. Mk. = Mediale Abschnitte der Urnierenkanälchen. Lk.
— Laterale Abschnitte der Urnierenkanälchen. Leitz 8, Ocular I.
Figg. 6 u. 7. Querschnitte durch einen menschlichen Embryo von 13mm
Länge männlichen Geschlechts, im Bereiche der Plicae urogenitales.
W.G. = Wolff’scher Gang. Ng. = Nierengang. In Fig. 7 sieht
man die Einmündung des Nierenganges in den Sinus. urogenitalis.
Figg. S—-11. Querschnitte durch einen menschlichen Embryo von 13mm
Fig. 13.
Länge männlichen Geschlechts im Bereiche der Mündungsstellen
der Wolff’schen und der Nieren-Gänge in den Sinus urogenitalis.
Ng. = Nierengang. W.G. = Wolff’scher Gang. S.Ur. = Sinus
urogenitalis. D. = Darm. Lh. = Leibeshöhle.
. Querschnitt durch den Wolff’schen Körper und Eierstock eines
Embryo aus dem dritten Monat. M.G. = Müller’scher Gang. Ep.
= Wolff’scher Gang und Urnierenkanälchen (das spätere Epoopho-
ron). Po. = Glomeruli (das spätere Paroophoron).
Schnitt durch die Anlage der Keimdrüse (des, Eierstocks) von
einem menschlichen Embryo von 12mm Länge. (Bruchtheil.) Ke.
360
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
14.
. 15.
16.
lie
19.
Dr. med. W. Nagel:
— äusserste Schicht des Keimepithelwulstes. VUe. = Ureier
(Primordialeier). Müller’sche Flüssigkeit. Leitz 8, Ocular I.!)
Aus dem Eierstock eines menschlichen Embryo von 7 Centimeter
Kopf-Steisslänge. Länge des Eierstocks 5 mm. Ke. = äusserste
Keimepithelschicht (Pseudo-Epithelium Balfour’s). Ue. = Ureier
(Primordialeier). Str. = Stroma mit Blutgefässen. Flemming-
sche Lösung. Leitz 8, Ocular I.
Aus dem Eierstock eines menschlichen Foetus von 11 Centimeter
Kopf-Steisslänge. Länge der Eierstöcke 9mm (r.) und 7 mm (l.).
Bedeutung der Buchstaben wie in Fig. 14. Flemming’sche Lösung.
Leitz 8, Ocular 1.
Querschnitt durch die Eierstocksanlage eines Schweinsembryo von
Smm. Ke. = Keimepithel mit Ureier (Primordialeier.. W.K. =
Stroma des W olff’schen Körpers. Flemming’sche Lösung. Leitz
8, Ocular I,
Aus dem Eierstock eines Schweinsembryo von ca.5cm Länge. Ke,
= äusserste Schicht des Eierstocks (Pseudo-Epithelium Balfour’s).
Ef. = Eifächer. Str. = Stromagewebe.. Flemming’sche Lösung.
Leitz 8, Ocular I.
. Aus der Hodenanlage eines menschlichen Embryo von 13 mm Länge.
(Etwa: die halbe Breite des Keimepithelwulstes ist hier gezeichnet).
Ke. = äusserste Schicht des Keimepithelwulstes. Sz. = Sexual-
zellen. Z. = Zellstränge (Anlage der Samenkanälchen). Müller-
sche Flüssigkeit. Leitz 8, Ocular 1.
Sagittalschnitt durch die Anlage des Hodens von einem menschlichen
Embryo von 22mm Länge. Man erkennt das Hodenepithel und
im Innern die Anlagen der Samenkanälchen mit den Sexualzellen.
M.G.. = Müller’scher Gang. W.G. = Wolff’scher Gang. Flem-
ming’sche Lösung. Leitz 3, Ocular 1.
. Ein Stück des in Fig. 19 abgebildeten Hodens mit starker Ver-
grösserung (Leitz 8, Ocular I). Ke. = Hodenepithel (Rest des
Keimepithels). Uz. = Sexualzellen. Sk. = Zellstränge (Anlage
der Samenkanälchen) mit Sexualzellen.
. Aus dem Hoden eines menschlichen Embryo aus dem Ende des
zweiten Monats. Querschnitt eines Samenkanälchens mit einer sich
theilenden Epithelzelle. Flemming’sche Lösung. Leitz 8, OcularI.
Die Einzelheiten sind mit Seitz 4,0 Millim., Apertur 95, Ocular 12
gezeichnet.
. Querschnitt eines Hodens von einem menschlichen Foetus von 12
Centimeter Kopf-Steisslänge. Ke. = Hodenepithel (Rest des Keim-
1) Es wurde nur diejenige Gewebsschicht gezeichnet, welche man mit
einer Focaleinstellung sieht; diese Bemerkung gilt auch für die folgenden
Zeichnungen.
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 8361
epithels). Alb. = Albuginea. Zwz. = Zwischensubstanzzellen. Sk.
— Samenkanälchen-Anlagen mit Sexualzellen. Müller’sche Flüs-
sigkeit. Leitz 3, Ocular I.
. Ein Stück des in Fig. 22 abgebildeten Hodens mit starker Ver-
grösserung (Leitz 8, Ocular I) gesehen. Bedeutung der Buchstaben
wie in Fig. 22.
. 24. Querschnitt durch den proximalen Theil des Wolff’schen Körpers
Pd or
Fig. 25.
eines 12mm langen menschlichen Embryo (weiblich). M.G. = ab- »
dominales Ende des Müller’schen Ganges. W.G. = W olff’scher
Gang. Müller’sche Flüssigkeit. Leitz 6, Ocular I.
Querschnitt durch den Wolff’schen Körper eines menschlichen
Embryo von 21 mm Länge (weiblich. W.G. = W olff’scher Gang.
M.G. = Müller’scher Gang. Flemming’sche Lösung. Leitz 8,
Öcular 1.
. Querschnitt durch den W olff’schen Körper desselben Embryo etwas
weiter distalwärts. Bedeutung der Buchstaben wie in Fig. 25.
. Querschnitt durch den Wolff’schen Körper desselben Embryo distal-
wärts von der in Fig. 26 abgebildeten Stelle. Bedeutung der Buch-
staben wie in Fig. 25 und 26.
Fig. 28. Querschnitt durch den Wolff’schen Körper eines menschlichen Em-
bryo von 22mm Länge (männlichen Geschlechts). W.G.= Wolff-
scher Gang. M.G. = distales Ende des Müller’schen Ganges.
Flemming’sche Lösung. Leitz 8, Ocular Il.
Fig. 29. Aus dem proximalen Theil des W olff’schen Körpers eines 12 mm
langen menschlichen Embryo weiblichen Geschlechts. E. = Epi-
thelverdickung an der Aussenseite der Urniere mit darin liegenden
Primordialeier ähnlichen Zellen verschiedener Grösse. W.G. =
Wolff’scher Gang mit einem (schräg getroffenen) Querkanälchen.
Gl. = Glomerulus. Vergrösserung Leitz 5, Ocular I.
Fig. 30. Aus dem proximalen Theil des Wolff’schen Körpers desselben
Embryo. E. = Epithelverdickung an der Aussenseite der Urniere
mit darin liegenden Primordialeier ähnlichen Zellen. W.G. =
Wolff’scher Gang. Vergrösserung Leitz8, OcularI. Die Einzel-
heiten sind mit Seitz 4,0 Millimeter, Apertur 95, Ocular 8 ge-
zeichnet.
We
Die Entwickelung der Nieren.
Nach einer älteren Angabe Burdach’s (1) findet man die
erste Nierenanlage beim Menschen um die siebente Woche. Nach
demselben Autor sind beim menschlichen Embryo die Nieren in
der neunten Woche schmal, länglich, gerade und bestehen aus
kleinen Klümpchen, die sich allmählich vereinen, so dass in der
362 Dr. med. W. Nagel:
zehnten Woche ungefähr acht grössere Läppchen bemerkt werden;
‚allmählich krümmen sich die Nieren und werden durch Ver-
mehrung der Läppchen an ihrer Oberfläche höckerig.
Abgeseben von Rathke (17), welcher bei einem kleinen
(offenbar nicht ganz frischen) Embryo die wahren Nieren als 2
keulenförmige Gebilde beschreibt, von welchen ein jedes mit
seinem hinteren und fadenförmig ausgezogenen Ende in der Nähe
der Cloake sich verlor, finde ich nur noch bei v. Kölliker (9 u. 10)
eine Bemerkung über die ersten Entwiekelungsstufen der mensch-
lichen Niere. v. Kölliker schildert die erte Nierenanlage bei
Embryonen von 8 und 85mm in Form eines einfachen keulen-
förmigen geraden Kanales, der nicht mit dem Wolff’schen Gange,
sondern mit dem Sinus urogenitalis zusammenhing und in seinem
leicht verbreiterten Ende von einer dichten Anhäufung von Meso-
dermazellen umgeben war. Bei einem menschlichen Embryo aus
der 6. und 7. Woche ferner fand v.Kölliker die Niere 1°/, mm
gross, bohnenförmig und platt; dieselbe hatte hinter dem unteren
Theile der Urniere ihre Lage.
Phisalix (a. a. OÖ) schildert die Niere eines menschlichen
Embryo von 10mm Länge als einen cylindrischen Sack („a
lumiere elargie, plonge dans une masse me&soblastique tr&s dense‘‘),
welcher mittels eines engen Stieles mit der Blase in Verbindung
steht.
His bringt in seinem grossen Werke (8) keine nähere Be-
‘ schreibung der Nierenanlage.. Von dem Nierengange dagegen
sagt er (gelegentlich der Beschreibung der Embryonen A u. B):
„vor der Einmündungsstelle des Wolff’schen Ganges in die
Cloake zweigt sich ein vor dem ersteren liegender selbständiger
Blindsack ab. Derselbe besitzt ein grösseres Kaliber als der
Wolff’sche Gang und hat eine Länge von nur 0,3—0,4 mm.
Diesen Blindsack muss man für die Anlage des Nierenganges
halten, der nach den, neuerdings durch Kölliker bestätigten,
Angaben Kupffer’s aus dem unteren Ende des Wolff’schen
Ganges sich entwickelt. Dabei bleibt allerdings noch der Nachweis
zu führen, wie es kommt, dass dieser Gang, der noch weit ent-
fernt von der Blasenanlage in die Cloake ausmündet, späterhin
mit der Blase in Beziehung tritt.“
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 363
Die anatomischen Verhältnisse der Nierenanlage bei meinen
Jüngsten Embryonen F und M habe ich Seite 276 u. 280 geschildert und
verweise auf die dort mitgetheilten Thatsachen (siehe auch Fig.
3l Tafel XX). Um es kurz zu wiederholen zeigt sich auf dieser
Entwickelungsstufe die Nierenanlage auf jeder Seite als ein
länglicher, zwischen dem unteren Theile des W olff’schen Körpers
und der Wirbelsäule liegender Schlauch, welcher verschiedene
Ausbuchtungen hat und durch einen offenen epithelialen Gang
(Nierengang im Sinne Kupffers) mit dem Sinus urogenitalis
in Verbindung steht. Sowohl der oben erwähnte Schlauch als
auch die einzelnen Ausbuchtungen desselben sind mit einer
beträchtlichen Sehieht dichtgedrängter Bildungszellen!) umgeben
(siehe Fig. 31) wodurch die ganze Nierenanlage sich deutlich von
der Umgebung abhebt. Wie spätere Entwicklungsstufen zeigen,
ist der längliche Schlauch die Anlage des Nierenbeckens, die
Ausbuchtungen desselben die Anlage der Harnkanälchen.
Betrachtet man einen einzigen Schnitt durch die Nierenanlage,
so kann es den Anschein haben, als bestände diese aus getrennten
Epithelinseln (vergleiche Fig. 31). Vor der Einführung der Reihen-
schnitte mögen solche Bilder vielleicht zu der Annahme Veran-
lassung gegeben haben, dass es sich beim Aufbau der Niere um
eine isolirte Entstehung von epithelialen Röhren handelt, welche
nachträglich mit einander und mit dem Nierengange in Verbin-
dung treten. Eine Durchmusterung von Reihenschnitten durch die
ganze Nierenanlage zeigt aber auf das deutlichste, dass jede Aus-
buchtung, jedes Harnkanälchen also, von seinem äussersten soliden
Ende an, in ununterbrochener Verbindung mit dem Nieren-
becken steht. Da ich nun diese ununterbrochene Verbindung
zwischen Harnkanälchen und Nierenbecken auf allen den von
mir untersuchten Entwickelungsstufen des menschlichen Embryo
habe nachweisen können, da ich ferner bei keinem von meinen
Embryonen, ganz gleich in welcher Weise sie auch gehärtet
waren, auf keiner Entwiekelungsstufe Andeutungen von einer
isolirten Entstehung der epithelialen Elemente der Niere, wie von
Kupffer (11), welcher die erste Entstehung der Nierenanlage
1) Ich wiederhole die Seite 276 gemachte Bemerkung, dass ich unter
„Bildungszellen“ diejenigen Elemente verstehe, aus welchen die nicht
epithelialen Bestandtheile eines Organs ihren Ursprung nehmen,
364 Dr. med. W. Nagel:
als eine hohle Ausstülpung des Wolff’schen Ganges entdeckt
hat, Götte (5), Sedgwick (20), Thayssen (21), Semper,
Braun, Fürbringer (siehe bei OÖ. Hertwig (7)) für verschiedene
Wirbelthiere behauptet, gesehen haben, so glaube ich mich zu
der Annahme berechtigt, dass die Entstehung neuer Harnkanälchen
nur durch Sprossenbildung aus den schon vorhandenen geschieht.
Ich habe allerdings die allerersten Entwickelungsvorgänge
beim Menschen nicht beobachtet; da es aber schwer fällt, sich
vorzustellen, dass die Entwickelung eines und desselben Organes
(die Entstehung ganz gleichartiger Gebilde also) auf späteren
Stufen ganz und gar andere Wege einschlagen sollte als auf etwas
früheren, so meine ich nicht fehl zu gehen, wenn ich die bei
meinen jüngsten Embryonen beschriebenen Ausbuchtungen des
Nierenbeckens als ursprüngliche Sprossen dieses betrachte. Um
so mehr glaube ich mich hierzu berechtigt, weil ich bei Schweins-
embryonen, deren Nierenanlage, wenigstens zu Anfang, grosse
Aehnlichkeit mit der menschlichen hat, auf sehr frühen Stadien
ebenfalls einen derartigen Entwickelungsvorgang habe nachweisen
können. Bei 8 mm langen Schweinsembryonen stellt nämlich die
Nierenanlage einen langgestreckten epithelialen Schlauch dar,
dessen Ausbuchtungen aber zum Theil sehr kurz sind und desshalb
auch in ihrer wahren Natur, nämlich als Ausbuchtungen zu erkennen
sind. Diese epitheliale Anlage wird, gerade wie beim Menschen,
von einer beträchtlichen Schieht Bildungszellen umgeben.
Kallay (Die Niere im frühen Stadium des Embryonal-
lebens. Mitthl. aus dem embr. Institut in Wien. N. F. 1885)
beschreibt die Nierenanlage eines 1,1 Centimeter langen Schweins-
embryo als einen länglichen Schlauch, dessen epitheliale Ober-
fläche Unebenheiten zeigt und welcher an der ventralen Fläche,
ungefähr am Ende des oberen Drittheils, mit dem Urnierengange
zusammenhinge. Den Ureter dieser Niere schildert Kallay als
äusserst kurz und vom Wolff’schen Gange nicht getrennt. —
Diese Beschreibung Kallay’s von dem Ureter stimmt nicht ganz
mit meinem Befunde überein. Bei Schweinsembryenen von Smm
Länge, ganz gleichgültig, ob dieselben in Müller’scher oder
Flemming’scher Lösung gehärtet waren, sah ich nämlich den
Ureter als wohlgebildeten Kanal, welcher auf seinem Lauf abwärts
einen seichten Bogen nach vorne macht um in den Sinus urogenitalis,
nach aussen von dem Wolff’schen Gange, einzumünden. Eigent-
E &;
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 365
lich wäre .es richtiger zu sagen, dass der Ureter in das distale
Ende des Wolff’schen Ganges mündet, denn der Uebergang des
Wolff’schen Ganges in den Sinus urogenitalis geschieht unter
allmählicher Erweiterung des erstgenannten Gebildes, wesswegen
es unmöglich ist, die Grenze zwischen Sinus urogenitalis und
Wolff’sschem Gange genau zu bestimmen !}).
Die weitere Entwickelung der Niere habe ich auch bei
dieser Thierklasse verfolgt und meine Beobachtungen an mensch-
lichen Embryonen bestätigt gefunden, auf keiner Entwickelungs-
stufe habe ich ein isolirtes Auftreten von epithelialen Schläuchen
gesehen, welche dann nachträglich mit einander in Verbindung
traten. Die Harnkanälchen entwickeln sichalso:
aus sich selbst heraus, das heisst: durch Ver-
längerung und Sprossenbildung der schon vor-
handenen.
Mit dieser meiner Ansicht über die Entwickelung der
Harnkanälchen beim Menschen und Schwein stimme ich mit
sehr vielen Forschern überein. Johannes Müller (15)
hat dasselbe bei Amphibien, Vögeln und Säugethieren, Remak
1) Kallay ist im Irrthum, wenn er bei einem 1,1 Centimeter langen
Schweinsembryo einen Müller’schen Gang annimmt. Der Kanal, welchen er
mit diesem Namen belegt und welcher (siehe die betreffende Abbildung
Kallay’s) in dem ventralen Theil der Urniere verläuft, ist der Wolff’sche
Gang. Einen Müller’schen Gang sieht man beim Schwein — nach meinen
Untersuchungen — erst an Embryonen von 20—22 mm Länge. Der erwähnte
Kanal ist beisolchen Embryonen an seinem abdominalen Ende in freier Verbindung
mit der Bauchhöhle, sein Epithel ist ein 16—25 u hohes, cylindrisches und er
liegt an der Innenseite der Urniere nach aussen von dem Wolff’schen Gange;
in seinem ganzen Verlaufe liegt er dem letztgenannten Gange dicht an und
endet distalwärts in eine solide, spitz zulaufende Wurzel, welche wie eingekeilt
zwischen Urnierenepithel und Wolff’schem Gange, dessen ventrale Wand
etwas eindrückend, erscheint. Ueberall, bis zur äussersten Spitze, welche bei
Embryonen von der erwähnten Grösse im oberen Drittel der Urniere liegt,
ist das Epithel des Müller’schen Ganges durch eine deutliche Basalmembran
sowohl von dem Epithel des Urnierenganges wie von demjenigen der Ober-
fläche abgegrenzt. Das Weiterwachsen des Müller’schen Ganges dürfte sich
also beim Schweine in derselben Weise vollziehen, wie ich Seite 350 für den
Menschen geschildert habe, nämlich dem Urnierengange dicht anliegend
aber unabhängig von diesem und dem Urnierenepithel. Vergl. auch hierüber
Janosik (31). Siehe Seite 339.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34, 24
366 Dr. med. W. Nagel:
(18) und Waldeyer (23) beim Hühnchen, Rathke, Köl-
liker, Lieberkühn (12), L. Löwe (13), Golgi (6)
und Toldt (22) bei verschiedenen Säugern nachgewiesen.
Der letztgenannte Autor sagt ferner von dem Wachsthum der
Niere: „dass die hohlen Sprossen des Epithels des Nierenbeckens
unter gabeliger Theilung gegen die Peripherie der Nierenanlage
vordringen, indem sie ihre vordersten Enden mit soliden Zellen-
zapfen vorwärts schieben.“ — Diese Auffassung möchte ich der Haupt-
sache nach für zutreffend halten. Die erste Erscheinung an dem
wachsenden Organ besteht, wie ich an menschlichen Embryonen von
18—20, 22 und 253mm Länge habe nachweisen können, darin, dass die
ganze Nierenanlage gleichmässig an Grösse zunimmt und dass die
Harnkanälchen durch eine ständig fortschreitende Sprossenbildung
an Zahl zunehmen; dabei wachsen die Harnkanälchen, stets
umgeben von einer Schicht diehtgedrängter Bildungszellen etwa
wie auseinander gespreizte Finger in das umliegende Gewebe
ein. Hierdurch erhält die Niere früh das bekannte -eigenartige,
gelappte Aussehen, welches beim Menschen bald nach der Geburt
schwindet, bei den vielen höhern Wirbelthieren dagegen auch
während des extrauterinen Lebens bestehen bleibt.
Aus dem hier geschilderten Entwiekelungsvorgang geht also
hervor, dass man an der Peripherie des Organs die jüngsten
Bildungsstufen findet.
Auffällig ist es, dass die Nieren bei jungen menschlichen
Embryonen so weit hinten — zwischen Rückenwand und unterem
Theil der Urniere — liegt, während man sie doch späterhin viel
mehr nach vorne findet, zuletzt vor der Urmiere. Sedgwick
(20) hat beim Hühnchen zuerst auf dieses eigenthümliche Lage-
verhältniss aufmerksam gemacht und fasst, wie es scheint, dasselbe
als ein actives Wachsen der Nierenanlage nach vorne auf. Erst
wenn die Niere in diese neue Lage gekommen ist, beginnen
— nach Sedgwick — die inneren Differenzirungen in der-
selben. — Beim Menschen liegen, nach meinen Untersuchungen,
die Verhältnisse etwas anders. Zu der Zeit nämlich, wo die
Niere noch ihre hintere Lage einnimmt, zeigt sie deutliche Harn-
kanälchen-Anlagen (siehe Fig. 31 Tafel XX) und besteht also
nicht, wie Sedgwick für das Huhn behauptet, um diese Zeit
nur aus einem indifferenzirten Haufen von Bildungszellen.
Es scheint mir ferner, als handele es sich beim Menschen
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 367
nicht um ein wirkliches Wachsen der Nierenanlage nach vorne.
Ich glaube vielmehr, dass die auffällige Lageveränderung einfach
durch das ungleiche Wachsthum der Urniere und der bleibenden
Niere zu erklären ist: das erstgenannte Organ erreicht bald
den Höhepunkt seiner Entwickelung und bildet sich zurück, um
als ein Theil der inneren Genitalien mit diesen in die Becken-
höhle zu sinken, während die bleibende Niere, der embryonalen
Rückenwand fest anhaftend, sich ständig vergrössert.
Bei dem 12mm langen Embryo F sah ich hier und dort an
der Peripherie der Nierenanlage spindelförmige Zellen, welche,
in regelmässigen Zügen geordnet, stellenweise eine zarte Um-
hüllung des entstehenden Organs bildeten; auch zwischen den ein-
zelnen Gruppen von Harnkanälchenr, an der Grenze der sie
umgebenden Schicht von Bildungszellen, bemerkte ich einzelne
Züge von spindeiförmige Zellen: das ist die erste Anlage der
Nierenkapsel und des Zwischengewebes. Bei Embryonen von
20—25 mm Länge haben die spindelförmigen Zellen so sehr an
Zahl zugenommen, dass man von jetzt an von einer wirklichen
Nierenkapsel reden kann. Bei Embryonen dieser Grösse
ist die ganze Nierenanlage durch eine Schicht concentrisch
geordneter Spindelzellen von dem umliegenden Gewebe abgegrenzt.
Schritthaltend mit der Bildung der Nierenkapsel entwickeln die
Spindelzellen im Innern des Organs sich zu dem Zwischen-
gewebe, welches, wie zuerst Remak, später Schweigger-
Seidel und Toldt nachgewiesen haben und wie ich auch nach
meinen Untersuchungen bestätigen kann, eine geraume Zeit hindurch
einen auffallend grossen Theil der ganzen Nierenanlage einnimmt.
Bei meinen jüngsten Embryonen F und M (8. S. 276 u. 280)
verlässt der Nierenkanal (im Sinne Kupffer’s) das-Nieren-
becken an dessen distalem Ende und verläuft, von einer Schicht
dicehtgedrängter Bildungszellen umgeben, der embryonalen Rücken-
wand entlang, macht dann einen seichten Bogen nach vorne und
mündet in den Sinus urogenitalis so ziemlich in derselben Höhe
wie der Wolff’sche Gang, aber etwas mehr nach aussen (siehe
Fig. 6—11 Tafel XVII). — Bei diesen beiden Embryonen befindet
sich die Mündungsstelle der Nierenkanäle an der dorsalen Wand
des Sinus urogenitalis. Bei jüngern Embryonen scheint das Ver-
hältniss ein etwas anderes zu sein; Fol (3, in der ausführlichen
Bearbeitung des Embryo in Receuil zoologie Suisse Band I. 1884,
368 Dr. med. W. Nagel:
vermisse ich diese Angabe), sagt nämlich, dass die Ureteren in dem
von ihm untersuchten menschlichen Embryo von 5,6 mm Länge in
die ventrale Wand der Cloake einmünden (les ureteres debouchent
au bord ventral et non pas au bord dorsal du cloaque), welches
nach seiner Meinung die Entwickelungsgeschichte der Blase ver-
ständlicher macht. Kupffer (11) sagt, dass der Ureter bei
den jüngsten von den von ihm untersuchten (3mm langen) Embryonen
vom Schaf genau in die hintere Wand mündet, bei älteren
(13mm) dagegen an der äusseren Wand; bei Embryonen von
17 mm Länge liegt die Stelle des Zusammenflusses vorne.
Ob Fol Recht hat, indem er die Einmündungsstelle des
Nierenkanals (Ureters) anfänglich auf die vordere (ventrale). Wand
der Cloake verlegt, kann ich nicht beurtheilen; so viel steht aber
fest, dass ich bei allen meinen Embryonen des Menschen, auch
vor der Bildung einer eigentlichen Harnblase, keine andere
Mündungsstelle der Ureteren als in die dorsale Wand des Sinus
urogenitalis gesehen habe. Je älter der Embryo um so mehr
rückt die Mündungsstelle des Ureters nach oben und etwas nach
aussen, die dorsale Wand des Urachusschlauches verlässt sie
aber nie. — Bei Embryonen von 20-—-22 mm, beiderlei Ge-
schlechts, zeigt, nach meinen Untersuchungen, der Urachus-
schlauch an Stelle der späteren Blase eine spindelförmige,
mit cubischem Epithel bekleidete Erweiterung, in deren hin-
tere (dorsale) Wand, aber bedeutend höher wie die W olff’schen
Gänge und etwas mehr nach aussen, die Ureteren einmünden. Die
Mündungsstellen der vier Gänge haben also schon bei Embryonen
dieser Grösse ihre topographische Lage eingenommen; es besteht
also von nun an ein Trigonum vesicae Lieutaudi. Das Entfernen
der Ureteren von den Wolff’schen Gängen wird wohl einfach
durch die Entwiekelung der Blase bedingt: durch das stärkere
Wachsthum des Urachusschlauches werden die Ureterenmündun-
gen mit in die Höhe genommen !}).
1) Gegenbaur (Lehrbuch der Anatomie des Menschen. II. Auflage.
Leipzig 1885) sagt (Seite 571): „Die Bildung des Trigonum Lieutaudi ent-
spricht der Strecke, welche die vom Urnierengange sich sondernde Nieren-
gänge, resp. die aus diesen hervorgehenden Ureteren zurücklesten.“ Zu
Gunsten dieser Auffassung spricht, nach demselben Autor, auch der Um-
stand, dass die Längsfasern der Ureteren die Grundlage des Trigonum
bilden. Was die Einmündungsweise der Nierengänge und der Wolff-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 369
Den schwierigsten Abschnitt der Anatomie der foetalen Niere
bildet die Entwickelungsgeschichte der Malpighi’schen Körper.
Zwei Ansichten über die Entstehung dieser Gebilde stehen ein-
ander gegenüber; nach der einen, der älteren, entwickeln sich
die Malpighi’schen Körperchen aus den schon vorhandenen Harn-
kanälchen undzwar aus den soliden Enden dieser (Rathke, Kölliker,
v. Wittich (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Band IV),
Dursy, Waldeyer, Frey (4)), nach den anderen, von vielen neueren
Forschern angenommenen, entstehen dieselben als selbständige
Gebilde (Götte (5), Thayssen (21), Kupffer (11), vergl. auch
die Arbeiten über die Entwickelung der Urniere von Braun,
Mihalkoviez u. A., siehe bei OÖ. Hertwig (7)), welche erst
später mit dem ausführenden Harnapparat in Verbindung treten.
Die ersten eingehenden Untersuchungen über die Entwieckelung
der Malpighi’schen Körperchen hat Remak (18) — bei Säuge-
thieren — gemacht, und er spricht sich dahin aus, dass die
Gefässknäuel unabhängig von den Epithelröhrehen zur Ausbildung
kommen und dass die letzteren die Gefässknäuel umwachsen.
„in der Regel“, sagt Remak, „wird diese Umwachsung durch
das blinde Ende des Röhrchens bewerkstelligt. Indem das letztere
schen Gänge betrifft, sagt Mihalkoviez (14): Die Trennung beider
Gänge geschieht auf eine viel einfachere Weise als es Kupffer angab,
nämlich durch Aufnahme der kurzen Allantoisschenkel in die Wand des
Urogenitalkanals, welchem Vorgang eine Verkürzung und Verbreiterung der
ersteren vorangeht. Nach der Aufnahme der Allantoisschenkel münden beide
Gänge gesondert in den Urogenitalkanal, aber anfangs noch ganz nahe an
einander, der lateralwärts gelegene Ureter etwas höher, als der Wolff’sche
Gang. In der Folge rücken aber die Einmündungsstellen der Ureteren an
der hinteren Wand des Urogenitalkanals immer höher, bis sie an die Grenze
der spindelförmig erweiterten Harnblase, dann an deren hintere Wand ge-
langen. Dabei soll man, fügt Mihalkovicz hinzu, „natürlich nicht an ein
actives Hinaufwandern denken, sondern einfach an eine eingeschobene Ver-
längerung der hinteren Wand der Allantois zwischen den Einmündungsstellen
beider Gänge.“*— Ueber die Trennung des Nierenganges von dem Wolff'schen
Gange (aus welchem er sich als eine Ausstülpung entwickelt ‘(Kupffer,
Kölliker u.A.), kann ich nicht aus eigenen Beobachtungen reden, denn bei
meinen jüngsten Embryonen war diese Trennung schon vollzogen. Das
Hinaufrücken der Einmündungsstellen der Ureteren fasse ich nach meinen
Beobachtungen, wie erwähnt, als bedingt durch das Wachsthum der Harn-
blase auf.
370 Dr. med. W. Nagel:
auf einen Gefässknäuel trifft, bildet es eine napfförmige ein-
. gestülpte Erweiterung, durch welche der Knäuel bis zur Eintritts-
stelle seiner Blutgefässstämmchen allmählich umfasst wird. Daher
haben die Gefässknäuel der genannten Säugethiere gewöhnlich
eine endständige Lage. Zuweilen wird aber der Knäuel nicht
durch das Ende des Röhrchens, sondern durch eine Seitenwand
desselben ganz in der beschriebenen Weise umwachsen.“
Bestätigt und ergänzt wurden diese Beobachtungen Remak’s
von Toldt (22). Dieser Autor beschreibt das Aussehen der
Nieren von menschlichen Foeten verschiedener Entwickelungsstufen
(im Alter von 2 Monaten bis zum reifen Foetus) und von einem
3 Monate alten Kinde; die Entwickelung der Malpighi’schen
Körperchen hat er aber hauptsächlich an Säugethieren untersucht.
Nach Toldt entstehen die Malpighi’schen Körperchen in folgender
Weise: die eine Wand des kugelig erweiterten blinden Endes
eines Harnkanälchens erleidet von der Seite her eine Eintreibung
durch den sich entwickelnden Gerässknäuel, so dass dieselbe der
segenüberliegenden Wand genähert wird. (Toldt braucht bekannt-
lich den treffenden Vergleich mit einer Kautschukblase, die man
von der Seite her so eindrücke, dass die Wände der Blase in Be-
rührung kommen.) Das äussere Blatt der so gebildeten Kugel-
schale gestaltet sich zu der Bowman’schen Membran, indem
die Epithelzellen desselben alsbald platt werden; das innere
(eingetriebene) Blatt liegt dem Glomerulus dicht an, welcher in
dem von Bindesubstanz erfüllten Raum der Kugelschale sich
entwickelt.
Nach meinen Untersuchungen geschieht die Bildung der
Malpighi’schen Körperchen beim Menschen wie folgt:
Die Harnkanälchen, welche niemals ganz gerade (wenigstens nicht
auf den von mir beobachteten Entwickelungsstufen) verlaufen,
zeigen bei wohlerhaltenen, in Flemming’scher Lösung gehärteten
Embryonen von 20—25mm Länge vielfache Biegungen und
Knickungen, so dass das Studium derselben sehr erschwert ist
und nur durch eine sorgfältige Durchmusterung von Reihenschnitten
zu ermöglichen; es ist aber unzweifelhaft, dass auch auf dieser
Entwiekelungsstufe alle vorhandenen Kanälchen mit dem Nieren-
becken in ununterbrochener Verbindung stehen. Die von Colberg
(2) als „Pseudoglomeruli“ bezeichneten Gebilde, welche wohl nur
als gleichwerthig mit den eben erwähnten Knickungen der Harn-
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 371
kanälchen aufzufassen sind, findet man auf dieser Entwickelungs-
stufe zahlreich vertreten; ächte Glomeruli, unverkennbare
Malpighi’sche Körperchen also, habe ich erst bei einem Embryo
von 30mm gesehen!). Aus den Nieren eines solchen Embryo sind
die in den Figg. 32 u. 33 Tafel XX naturtreu wiedergegebenen
Zustände entnommen und ich glaube nicht fehl zu gehen, solche
Bilder, die man um diese Zeit vielfach in der Niere trifft, als
verschiedene Entwickelungsstufen eines Malpighischen Körper-
chens aufzufasssen. Verfolgt man den Lauf eines Harnkanälchens,
so wird man gewahr, dass dasselbe sich an einer bestimmten Stelle,
wie es scheint, an seinem äussersten Ende, etwas erweitert und
dass sein Epithel auf einen, in die Erweiterung hereinragenden
knopfartigen Vorsprung der umliegenden Bindesubstanz ununter-
brochen übergeht (siehe Fig. 32 Tafel XX). In dieser Hervor-
wucherung des umliegenden Gewebes erkennt man einzelne
Gefässe und der spätere Entwickelungsgang lehrt, dass sich hier
der Gefässknäuel entwickelt. Zu Anfang ist die Basis der er-
wähnten Hervorwucherung breit (siehe Fig. 32), später schnürt
sie sich mehr und mehr von dem umliegenden Gewebe ab (siehe
Fig. 33 Tafel XX) und nimmt nach und nach das bekannte
traubenartige Aussehen des vollentwickelten Glomerulus an.
Wie man sieht, steht dieser von mir beobachtete Entwickelungs-
vorgang eines Malpighi’schen Körperchens mit den von Remak,
Toldt, Schweigger-Seidel (dieser Autor schildert Seite 76
seines angeführten Werkes (19) bei einem 6monatlichen mensch-
lichen Embryo einen Glomerulus mit einer zusammenhängenden
Zellschichte bekleidet; dieselbe besteht aus kubischen Zellen und
senkt sich zwischen den Läppchen des Knäuels ein), v. Kölliker
berichteten Thatsachen überein. Ob man nun mit Remak den
Vorgang als einen Umwachsungsprocess des Gefässknäuels von
1) Ich will aber nicht in Abrede stellen, dass die erste Anlage der
Malpighi’schen Körperchen möglicherweise auf eine noch frühere Entwicke-
lungsstufe zu verlegen ist; ich fand nämlich in der Nierenanlage eines Em-
bryo von 13mm Länge an einzelnen Stellen die eine Wand des Harnkanäl-
chens nach innen gestülpt; in der dadurch entstandenen Bucht war eine
stärkere Anhäufung von Bildungszellen zu sehen. Vielleicht hat man es hier
mit einer Glomerulusanlage zu thun; ich wage es aber nicht mit Bestimmt-
heit zu sagen, weil ich bei Embryonen von 18—25 mm Länge keine solche
Bilder habe finden können.
372 Dr. med. W. Nagel:
Seiten des Harnkanälchens oder mit Toldt als eine durch den
hervorwachsenden Gefässknäuel erzeugte Eintreibung der Wand
eines erweiterten Harnkanälchens auffasst, ist für die End-
wirkung gleichgültig: in beiden Fällen resultirt daraus eine
doppelblättrige Kugelschale, deren äusseres Blatt sich zu der
Bowman’schen Membran entwickelt und deren inneres (ein-
getriebenes) Blatt den Glomerulusüberzug bildet. Jedoch kömmt
wohl die Auffassung Toldt’s, nach welcher der sich entwickelnde
Gefässknäuel die active, das Epithel die passive Rolle übernimmt,
der Wahrheit am nächsten.
Die Zellen der späteren Bo wman’schen Membran nehmen
sehr früh ein verändertes Aussehen an, indem sie platt werden
(siehe Fig. 32 und 33 Tafel XX); an den jüngsten Malpighi-
schen Körperchen haben sie eine Höhe von 5 u, an der Umschlags-
stelle und in der Umhüllung des Glomerulus behalten die Epithel-
zellen etwas länger ihre cylindrische Gestalt und sehen dem
übrigen Epithel des Harnkanälchens, mit welehemsiealso
dem Ursprunge nach gleichwerthig sind, ähnlich.
Die am meisten entwickelten Malpigh'i’schen Körperchen
liegen stets nach der Mitte des Organs zu, also in den ältesten
Schiehten desselben, und die Anlage neuer Malpighi’scher
Körperchen erfolgt stets, wie ich auch an anderen Embryonen habe
feststellen können, von der Mitte nach der Peripherie zu. Hierbei
muss man aber festhalten, dass um diese Zeit keine Trennung in
Rinden- und Markschicht besteht; die Frage also, ob die Malpighi-
schen Körperchen ausschliesslich in der Rindenschicht (vergl.
Toldt) oder auch in der Markschicht sich entwickeln, ist auf so
frühen Stadien gar nicht zu beantworten.
Es geht aus dem geschilderten Befunde hervor, dass die blei-
bende Niere anfänglich, durch den Bau ihrer Malpighi’schen Kör-
perchen und die einfache Beschaffenheit der Harnkanälchen, eine
grosse Aehnlichkeit mit der Urniere hat; es ist aber keine Frage, dass
die Niere in dieser einfachen Form den von dem Stoffwechsel der
Frucht in dieser Schwangerschaftsperiode gestellten Ansprüchen voll-
kommen genügen kann. Von der ersten Entwickelung an ist das
Malpighi’sche Körperchen, wie soeben auseinandergesetzt, durch
das Harnkanälchen mit dem ausführenden Gange in Verbindung,
somit kann es von Anfang an sein Secret nach aussen entleeren
und es unterliegt folglich keinem Zweifel, dass die Malpighi-
Ueber die Entwickelung des Uregenitalsystems des Menschen. 313
schen Körperchen, sobald ihr Aufbau vollendet ist, auch sofort in
Wirksamkeit treten können.
Von späteren Entwickelungsstufen der menschlichen Niere
verfüge ich nur über vereinzelte Untersuchungen und kann desshalb
kein Urtheil über die Entwickelung der Henle’schen Schleifen,
über die Trennung in Mark- und Rindensubstanz abgeben; in
Bezug hierauf verweise ich zunächst — was die menschliche
Niere betrifft — auf die Arbeiten von Schweigger-Seidel
und Toldt.
Literatur.
1. Burdach, C. Fr. Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. I.
Band. Leipzig 1828.
2. Colberg. Zur Anatomie der Niere. Centralblatt für die medicin.
Wissenschaften. 1863.
3. Fol, H. Sur l’anatomie d’un embryon humain de la quatrieme
semaine. Comptes rendus de l’academie des sciences a Paris. Tome 97.
4. Frey, H. Handbuch der Histologie und Histochemie des Menschen.
Leipzig 1876.
5. Götte. Untersuchungen über die Entwickelung des Bombinator
igneus. Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. V.
6. Golgi, C. Annotazioni intorno all’ istologia dei Reni dell’ Uomo
e di altri Mammiferi. Rendiconti delle R. Accademia dei Lincei. Vol V.
10 Semestre, fasc. 5. Roma 1889.
7. Hertwig, O0. Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen
und der Wirbelthiere. II. Auflage. Jena 1888.
8. His, W. Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig 1880—1885.
9. v. Kölliker, A. Entwickelungsgeschichte des Menschen und der
höheren Thiere. 2. Auflage. 1879.
10. Derselbe. Einige Beobachtungen über die Organe junger mensch-
licher Embryonen. Sitzungsberichte der Würzburger Physik. Mediein. Ge-
sellschaft. 1883.
11. Kupffer, C. Untersuchungen über die Entwickelung der Harn-
und Geschlechtsorgane. Archiv f. mikroskop. Anatomie. I. und I. Band.
1865— 1866.
12. Lieberkühn, N. Ueber die Allantois und die Niere von Säugethier-
embryonen. Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten
Naturwissenschaften zu Marburg. 1875.
374 Dr. med. W. Nagel:
13. Löwe, L. Zur Entwickelungsgeschichte der Säugethierniere. Ar-
- chiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. 16.
14. v. Mihalkovicz, G., (Vietor)\. Entwickelung des Harn- und Ge-
schlechtsapparates der Amnioten. Internationale Monatsschrift für Anatomie
und Histologie. Bd. II.
15. Müller, Johannes. De glandularum secernent. structura penitiori.
Lipsiae 1830.
16. Nagel, W. Beitrag zur Lehre von der Herkunft des Fruchtwassers.
Archiv für Gynäcologie. Bd. 35.
17. Rathke, H. Abhandlungen zur Bildungs- und Entwickelungsge-
schichte des Menschen und der Thiere. Leipzig 1830.
18. Remak. Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere.
Berlin 1855.
19. Schweigger-Seidel. Die Niere des Menschen und der Säuge-
thiere. Halle 1865.
20. Sedgwick, Adam. Development of the Kidney in its Relation
to the Wolffian Body in the Chick. Studies from the Morphological Labo-
ratory in the University of Cambridge. 1880.
21. Thayssen. Die Entwickelung der Nieren. Centralblatt für die
mediein. Wissenschaften. 1873.
22. Toldt, C. Untersuchungen über das Wachsthum der Nieren des
Menschen und der Säugethiere. Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der
Wissenschaftea in Wien. 1874.
23. Waldeyer, W. Eierstock und Ei. Leipzig 1870.
Nicht zugänglich waren mir:
Riedel. Entwickelung der Säugethierniere. Untersuchungen aus dem
anatomischen Institut zu Rostock. 1874.
Riede, K. Untersuchungen zur Entwickelung der bleibenden Niere.
Inaug.-Dissert. München 1887.
Emery, C, Recerche embriologiche sul rene dei Mammiferi (Atti
Real-Accadem. Lincei Mem. Cl. sc. fisik. 1885. Ser. 4(?)).
Erklärung der Abbildungen Nr. 31—33 auf Tafel XX.
Fig. 31. Frontalschnitt durch die beiden Nierenanlagen eines 12mm langen
menschlichen Embryo. N.N. = die Nierenanlagen mit den darin
befindlichen Harnkanälchen. Gef. — Blutgefässe.
Fig. 32 u. 33. Aus der Niere eines 30mm langen menschlichen Embryo (in
Flemming’scher Lösung gehärtet).
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 375
Fig. 32. Schnitt durch die Anlage eines Malpi ghi’schen Körperchen. Gl.
— im Entstehen begriffener Glomerulus. B. = Bowman’sche
Membran. E. — die durch das von aussen hereinrückende Gewebe
eingestülpte Wand des Harnkanälchens (der spätere epitheliale Ueber-
zug des Glomerulus).
Fig. 33. Schnitt durch ein etwas älteres Malpighi’sches Körperchen,
Ueber die Bedeutung der Buchstaben siehe Fig. 32.
V.
Aeussere Genitalien )).
Tiedemann (10) ist der erste, welcher die Entwickelung der
äusseren Genitalien des Menschen näher beschreibt. Als Grund-
lage seiner Beschreibung dienen Untersuchungen einer, ganzen
Reihe von menschlichen Embryonen aus den ersten Wochen; die
jüngsten dieser hatten eine Länge von 6—8 Linien (beiläufig
20 mm). Nach seiner Ansicht sind alle Embryonen des Menschen
zuerst weiblich und als Beweis für die Richtigkeit dieses Satzes
führt er u. A. an, dass die meisten Embryonen, welche durch
Abortus abgehen, weiblichen Geschlechts sind.
. Tiedemann’s Schilderung der Entwickelung der äusseren
Genitalien ist sehr genau und ist, wenigstens in seinen Haupt-
zügen, bis auf den heutigen Tag in alle Lehrbücher übergegangen.
Nach Tiedemann bildet sich gegen das Ende der fünften
oder zu Anfang der 6. Woche eine gemeinschaftliche Oeffnung
für den After und die Genitalien (Cloake) und es erhebt sich ein
kleiner Wulst vor dieser Grube. Bei einem Embryo von 11;
Linie Länge (Nr. 7 seines Verzeichnisses) beschreibt Tiedemann
die äusseren Genitalien folgendermaassen : Unter "dem 3Steiss-
höcker befindet sich eine grosse Grube, von welcher eine kleine
Spalte nach vorne läuft zu einem sehr kleinen hervorragenden
Körper, welcher die Gestalt einer Klitoris hat und an seinem Ende
einen kleinen Knopf bildet. Die Furche oder Spalte ist zu beiden
Seiten durch einen kleinen Hautvorsprung oder angeschwollenen
1) Siehe auch: Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin. 1888. Ueber die Entwickelung der Sexualdrüse
und der äusseren Geschlechtstheile beim Menschen. Von Dr. W. Nagel in
Berlin.
376 Dr. med. W. Nagel:
Rand begrenzt. Die Spalte zieht sich an der unteren Fläche des
. vorspringenden Körpers herauf.“
In Nummer 13 seines Verzeichnisses (Embryo aus der 14.
Woche, 2 Zoll 5 Linien lang) will er zuerst ein männliches Indi-
viduum erkannt haben.
Nach meinen Untersuchungen muss auch ich Tiedemann
darin Recht geben, dass die äusseren Genitalien beim Menschen
sich zunächst in einer Form entwickeln, welche keinen Unter-
schied des Geschlechts zeigt, und sich mehr der bleibenden
Form der weiblichen Genitalien anschliesst. Nur möchte ich das
erste Auftreten der Cloake (Kölliker (5)‘ hat diesen Vorgang
in der vierten Woche des menschlichen Embryonallebens beobach-
tet) und der inneren (siehe weiter unten) Geschlechtsfalten
in ein früheres Stadium verlegen. Denn bei einem Embryo von
10 mm und bei einem solchen von 12mm fand ich deutliche in-
nereGeschlechtsfalten, welche sich als eine Verdiekung der Ränder
der Cloake zeichnen.
Es ist richtig, dass die inneren Genitalien lange vor den
äusseren einen Geschlechtsunterschied zeigen; Tiedemann und
O0. Hertwig (3) lassen aber etwas zu lange, nämlich bis zu Anfang
des vierten Monats, wo der Embryo also eine Grösse von beiläufig
10 Centimeter hat, die Entwickelungsvorgänge bei beiden Ge-
schlechtern die nämlichen sein.
Nach meinen Untersuchungen glaube ich vielmehr, dass man
die Trennung des Geschlechts auf ein früheres Stadium verlegen
muss. Bei Embryonen von 18 und 22mm Länge, deren Sexual-
drüsen den männlichen Typus zeigten (siehe Kapitel III) fand ich
den Geschlechtsspalt vorne geschlossen, so dass die Glans penis
und die Urethralmündung deutlich zu erkennen waren (siehe
Figg. 35 u. 36).
Es liegt auf der Hand, dass man in dem Vorhandensein einer
Urethralmündung an der Spitze der Glans ein zuverlässiges Merk-
mal für ein männliches Individuum haben würde, wenn man mit
Bestimmtheit ausschliessen konnte, dass auf keiner Entwickelungs-
stufe des Weibes eine derartige Bildung auftritt. Ich neige
mich allerdings der Ansicht 'zu, dass es beim Weibe nicht zur
Bildung eines Homologon der Urethralmündung beim Manne kömmt,
denn bei einer ganzen Reihe von wohlerhaltenen weiblichen
(dem Befunde an den inneren Genitalien nach; siehe das Kapitel
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 377
III) Embryonen bis zu einer Grösse von 4 Centimeter und dar-
über fand ich die Glans vorne glatt ohne Grübchen (siehe Fig. 37
Tafel XX). Ich habe überhaupt niemals an weiblichen Embryo-
nen eine an die Urethralmündung erinnernde Bildung mit Be-
stimmtheit unterscheiden können, ich muss es aber dahin gestellt
lassen, ob es auf allen Entwickelungsstufen so ist; zur Entschei-
dung dieser wichtigen Prinzipfrage ist eben eine grössere Anzahl
Embryonen nöthig als die, welche mir zu Verfügung stand. Soviel
glaube ich aber annehmen zu dürfen, dass, wenn es beim Weibe
zur Bildung eines Homologon der männlichen Urethralmündung
kommt, diese jedenfalls schnell wieder schwindet, und dass man
auf einer späteren Entwickelungsstufe, das heisst bei Embryonen
von 25—30 mm Länge an, aus dem Vorhandensein einer Urethral-
mündung bei makroskopischer Betrachtung auf ein männliches
Individuum schliessen darf; dass man also früher als allgemein
angenommen wird (Kölliker, Hertwig u. A.) an den äusseren
Genitalien Merkmale für die Trennung des Geschlechts findet.
In den neueren Lehrbüchern der Entwickelungsgeschichte
sind zum Theil die Eeker-Ziegler’schen Wachsmodelle als
Grundlage für die Schilderung der Entwickelungsvorgänge an den
äusseren Genitalien benutzt.
Diese Modelle, in welchen man die Tiedemann ’schen
Ansichten wieder findet, sind aber nicht völlig zutreffend. Wie nach
meinen Beobachtungen die Bildung der Genitalien geschieht,
werde ich in dem Folgenden schildern, zuerst möchte ich aber
einige Bemerkungen über das von mir benutzte Material voraus-
schicken.
Die Embryonen, an welchen ich die Entwickelung der
äusseren Genitalien verfolgt habe, fanden zum grössten Theile
ihre Besprechung in den vorangehenden Kapiteln und ich verweise
hiermit auf das dort Gesagte. Nach vollzogener Härtung des
ganzen Embryo theils in Flemming’scher Lösung, theils in
Müller’scher und Fol’scher Flüssigkeit oder auch in Alkohol
wurde die Genitalgegend mit einem Pinsel von etwa anhaftendem
Gerinnsel vorsichtig gereinigt, durch behutsame Abtragung des
Steisshöckers und der hinteren Extremitäten (bei den kleineren
Embryonen) freigelegt und alsdann mit der Loupe gezeichnet.
Bei der nunmehr folgenden Einbettung der Objeete in Paraffin
und Zerlegung mittels des Sehantz’schen Mikrotoms gewann
378 Dr. med. W. Nagel:
ich Einblick in die anatomischen Verhältnisse der inneren Geni-
- talien (siehe unter den vorangehenden Kapiteln); in allen Fällen
habe ich also den Befund an den inneren Genitalien mit
demjenigen an den äusseren vergleichen können.
Die erste Veränderung an dem Genitalspalt (Cloake) —
nach Anlage der inneren Genitalfalten (siehe Seite 375) —
besteht darin, dass der vordere Theil der verdiekten Ränder
des Spalts (= den erwähnten inneren ‚Genitalfalten) frei heraus-
wächst und bildet in dieser Weise den Geschlechtshöcker
(Clitoris, Penis=primitiveGenitalfaltenach Ecker (2)). Durch
dieses Vorwachsen wird der Geschlechtsspalt in die Länge gezogen:
seine vordere Begrenzung wird jetzt durch die freie Spitze des
aus den inneren Geschlechtsfalten hervorgegangenen Geschlechts-
höckers gebildet. Die Rinne des Geschlechtshöckers steht also
von vornherein mit dem Geschlechtsspalt in ununterbrochener
Verbindung. Auf dieser Entwickelungsstufe deckt sich mein
Befund im wesentlichen mit dem von Ecker (a. a. O. Erklärung
zu Tafel XXIX, Fig. 9) für einen etwas älteren (über 6° — etwa
20 mm — grossen) Embryo berichteten.
Alsbald fängt der vordere Theil des Geschlechtsspalts,
also im Bereich des Geschlechtshöckers, an, sich zu schliessen.
Diejenigen Embryonen (von 18—30 mm Länge), bei welchen dieser
Vorgang durch Verwachsung der Ränder des Spalts zur Bildung
der Urethralmündung und der Glans des Geschlechtsgliedes führt, bin
ich geneigt für männliche Individuen zu halten. Bei weiblichen
Individuen halte ich es für fraglich, wie schon oben angedeutet,
ob die Glans celitoridis sich in derselben Weise wie beim Manne
die Glans penis bildet; ich glaube nämlich nicht, dass beim
Weibe eine Schliessung im vorderen Theil des Spalts durch eine
Verwachsung der Ränder desselben zustande kommt, weil ein
derartiger Vorgang in der ganzen Entwickelung der weiblichen
Genitalien überhaupt nicht Platz hat. Ich neige mich nach meinen
bisherigen Untersuchungen der Ansicht zu, dass die Glans elitoridis
denjenigen vorderen Theil des Geschlechtshöckers darstellt, an
welchen der Geschlechtsspalt nicht heranreicht.
Die Schliessung des Geschlechtsspalts, also die Verwachsung
der Ränder desselben (= der inneren Genitalfalten) mit einander,
schreitet bei männlichen Individuen immer weiter fort und die
al <i
Ueber die Entwickeluug des Urogenitalsystems des Menschen. 379
Vereinigungslinie ist die spätere Raphe an der unteren Seite des
Penis.
Bei weiblichen Individuen bleibt der Geschlechtsspalt offen
(vergleiche auch die Ansichten Johannes Müller’s (8) über
diesen Punkt), die Ränder desselben (die inneren Genitalfalten
also) bilden sich zu den kleinen Labien aus.
Ungefähr zur selben Zeit, wo durch die Schliessung des vor-
deren Theils des Geschlechtsspalts zuerst ein äusserlicher Ge-
schlechtsunterschied sich bemerklich macht, vielleicht etwas früher,
bilden sich zu beiden Seiten der inneren Geschlechtsfalten, aber
etwas mehr nach aussen, die äusseren Genitalfalten (= Ge-
schlechtswülste anderer Autoren). Es ist nicht ganz richtig, die
äusseren Geschlechtsfalten in der Weise darzustellen, wie in den
Ecker-Ziegler’schen Modellen geschehen. Dieselben umgeben,
nach meinen Untersuchungen, anfänglich nicht den Geschlechts-
höcker und den Geschlechtsspalt als einen ringförmigen Wall, wie
dieses auf den ersten Entwickelungsstufen der genannten Modelle
dargestellt wird. Zu Anfang liegen die äusseren Geschlechts-
wiülste nur seitwärts und es ist erst auf einer späteren Entwicke-
lungsstufe der weiblichen Genitalien, dass sie mehr nach vorne
wachsen (siehe Fig. 37, Tafel XX); bei den männlichen Embryo-
nen nehmen die Genitalfalten bald eine mehr rundliche Gestalt
an (siehe Fig. 36, Tafel XX) und nähern sich einander hinter
dem Geschlechtshöcker, der späteren Lage des Hodensacks ent-
sprechend.
An dem hinteren Rande der Cloake bemerkt man früh, zur
Zeit der beginnenden Bildung des Geschlechtshöckers, zwei kleine
Höcker (siehe Figg. 34, 35 u. 36, Tafel XX). Reichel (9) nennt
diese Gebilde „Analköcker“‘ und meint, dass dieselben in der Weise
zur Bildung des Dammes beitragen, dass sie nach vorne wachsen
bis ihre vorderen Enden sich an die hinteren der Genitalfalte
legen. Ich glaube nicht, dass diese Annahme Reichel’s ganz
richtig ist, denn ich habe diese Höcker auch nach Bildung des
Dammes gesehen. Im übrigen kann ich mich an dieser Stelle noch
nieht über die Dammbildung äussern, denn meine Untersuchungen
über die weitere Entwickelung der distalen Enden der Müller-
schen Gänge und über die Trennung dieser von Mastdarm und
Harnröhre, welche Vorgänge bei der Dammbildung eine so grosse
Rolle spielen, sind noch nieht abgeschlossen. Aus diesem Grunde
380 Dr. med. W. Nagel:
kann ich, auch nicht auf die Ansichten anderer Forscher (Rathke,
Lieberkühn, Perls, v. Mihalkoviez, Reichel u. A.) über
diesen Punkt eingehen !).
Literatur.
1. Bischoff, T.L. W. Entwickelungsgeschichte der Säugethiere und
des Menschen. Leipzig 1842. :
2. Ecker, Alexander. Icones physiologicae. Leipzig 1851--1859.
3. Hertwig, O. Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte. 2. Auflage.
Jena 1888.
4. His, W. Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig 1880 bis
1885. (Tafel XIV, Fig. 2 und Tafel X.)
5. v. Kölliker, A. Entwickelungsgeschichte des Menschen und der
höheren Thiere. Leipzig 1879.
6. Lieberkühn, N. Ueber die Allantois und die Nieren von Säuge-
thierembryonen, Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der ge-
sammten Naturwissenschaften zu Marburg. 1875. Nr. 1.
1) Nach Fertigstellung dieser Handschrift bekam ich die Arbeit von
Tourneux (Sur le Developpement et l’&volution du Tubercule gönital chez le
foetus humain dans les deux sexes. Journal de l’Anatomie et: de la Physio-
logie. XXV. Band. 1889. Nr. 3) zu Gesicht. Dieser Autor beschäftigt sich
hauptsächlich — was den Menschen betrifft — mit älteren Embryonen, aber
auch mit solchen von 24 u. 25mm Länge, und hat wesentlich die Entwicke-
lung des Penis und der Clitoris, der Prostata und des Anus zum Gegenstand
seiner Untersuchungen gemacht. Tourneux ist der Ansicht, dass der Ge-
schlechtsunterschied erst im Laufe des dritten Monats zum Ausdruck kommt
(.... que s’accentue nettement la difference des sexes); bis dahin ist die
Entwickelung der äusseren Genitalien bei beiden Geschlechtern gleich. Ich
kann Tourneux nicht beipflichten in seiner Auffassung von der Entwicke-
lung der Glans penis und der Glans clitoridis, in Sonderheit nicht von der
Betheiligung des Epithels des Geschlechtsspalts („lame &pitheliale, cloacale,
urethrale ou uro-genitale“) in gleicher Weise bei beiden Geschlechtern. Ich
glaube vielmehr meine obige Beschreibung von der verschiedenen Bildung
der Glans Penis und Glans Clitoridis aufrecht halten zu müssen. Ebenso-
wenig kann ich mich — nach meinen bisherigen Untersuchungen — der
Schilderung Tourneux’s von der Schliessung des Geschlechtsspaltes an-
schliessen. Ein näheres Eingehen meinerseits auf diesen Punkt kann jedoch
erst nach Abschluss meiner Untersuchungen über die Trennung von Harn-
röhre und Geschlechtsweg stattfinden.
om
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 381
7. v. Mihalkoviez, G. Entwickelung des Harn- und Geschlechts-
apparates der Amnioten. Internationale Monatsschrift für Anatomie und
Histologie. Bd. 11.
8. Müller, Johannes. Bildungsgeschichte der Genitalien aus ana-
tomischen Untersuchungen an Embryonen des Menschen und der Thiere.
Düsseldorf 1830.
9. Reichel, P. Die Entwickelung des Dammes und ihre Bedeutung
für die Entstehung gewisser Missbildungen. Zeitschrift für Geburtsbülfe und
Gynäcologie. Bd. 14.
10. Tiedemann. Anatomie der kopflosen Missgeburten. Landshut
1813.
Erklärung der Abbildungen Nr. 34, 35, 36 und 37. Tafel XX.
Fig. 34. Aeussere Genitalgegend eines menschlichen Embryo von 17mm
Länge (weiblichen Geschlechts).
Fig. 35. Aeussere Genitalgegend eines menschlichen Embryo von 18mm
Länge (männlichen Geschlechts).
Fig. 36. Aeussere Genitalgegend eines menschlichen Embryo von 22mm
Länge (männlichen Geschlechts).
Fig. 37. Aeussere Genitalgegend eines menschlichen Embryo (weiblichen Ge-
schlechts) mit einer Kopf-Steisslänge von 4 Centimeter. Die Be-
deutung der einzelnen Theile ist aus der Fig. 36 leicht ersichtlich
und zwar bedeuten: A. = Analhöcker. Ae.Gf. = Aeussere Genital-
falte. Ol. u. i.Gf. = Cloake und innere Genitalfalten. Gl.P. =
Anlage der Glans penis mit Mündung der Urethra. Extr. = Hin-
tere Extremität.
v1.
Ueber den Allantoisgang.
Kaum hat eine Frage das Interesse der Embryologen in hö-
herem Grade in Anspruch genommen als die, ob der menschliche
Embryo eine blasenförmige Allantois besitzt; davon zeugen auch
die ausführliche Arbeit v. Preuschen’s (Die Allantois des Men-
schen. Wiesbaden 1887) und der Widerspruch, welchen dieselbe
von berufener Seite erfuhr.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 34, 25
382 Dr. med. W. Nagel:
Ich verfüge allerdings nicht über Embryonen, an welchen
- die Allantoisfrage zu erörtern wäre; in Anbetracht der Wichtigkeit
der Sache, halte ich es aber für berechtigt, noch einmal auf den
Allantoisgang bei meinen jüngsten Embryonen zurückzukommen
und zu versuchen, ob hieraus irgend ein Rückschluss zu machen
wäre.
Bei dem Embryo F (12 mm lang) zeigt der Sinus urogenitalis
oberhalb der Mündungen der Wolff’schen Gänge und der Ureteren
(also richtiger: der Urachusschlauch) medianwärts eine Ausbuch-
tung, welche sich einige Schnitte weiter aufwärts allmählich ab-
schnürt um schliesslich als selbstständiger Kanal zwischen den
beiden Aa. umbilicales zu erscheinen (Figg. 38, 39 u. 40, Tafel
XX). Diese Gefässe verlaufen in der äusseren Bauchwand, dicht
unterhalb des Peritoneums, bis zum Nabel und gehen dann, wie
allgemein bekannt, in den Nabelstrang über. In ihrem ganzen
Verlauf innerhalb der Bauchwand fassen sie zwischen sich den
ebenerwähnten Kanal, welcher wohl mit Recht als Allantoisgang
anzusehen ist. Anfänglich hat derselbe noch ein ansehnliches 57
bis 86 «. breites Lumen und ist mit einem niedrigen, demjenigen
des Sinus urogenitalis vollkommen gleichartigen, Epithel ausge-
kleidet. Proximalwärts dagegen büsst der Allantoisgang allmäh-
lich sein Lumen ein (siehe Fig. 41, Tafel XX) und bevor er den
Nabel erreicht, hat er sich vollständig geschlossen; auf Quer-
schnitten in der Nähe des Nabels zeigt sich der Allantoisgang als
einen kleinen soliden Epithelkranz; er ist also auf dieser Ent-
wickelungsstufe in distalwärts fortschreitender Atrophie begriffen.
Ganz ähnliche Verhältnisse des Allantoisganges wie die von
mir für den distalen Theil desselben beschriebenen (siehe Fig. 40,
Tafel XX) hat His (Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig
1880—1885) bei seinen Embryonen gefunden und zum Theil ab-
gebildet, und zwar zeigen nicht allein die älteren Embryonen von
His (Embryo A, 7,5 mm), sondern auch die jüngeren (wie M (2,6
'mm), « (Amm), BB (3,2 mm), R (5 mm)), diese Uebereinstimmung
in dem anatomischen Verhalten.
Aus diesem gleichartigen Befunde bei den Embryonen His’
und bei den meinigen ist der Schluss gewiss gerechtfertigt, dass
die von His gegebene Schilderung des Allantoisganges, auch bei
seinen jüngeren Embryonen (von 2,6 und 3,2 mm), die richtige: ist.
Wenn dies aber der Fall, so ist es nicht denkbar, dass die von
Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems des Menschen. 383
v. Preuschen für seinen Embryo von 3,78 mm Länge („vom
Scheitelpunkt des Hirnrohrs bis zur Schwanzkrümmung‘“) gefundenen
Verhältnisse der Allantois und des Allantoisganges (siehe z. B.
v. Preuschen’s Fig. 27, Tafel X!) die Regel bilden. Nach
meinen, auf eigener Erfahrung gesammelten Kenntnissen der
menschlichen Embryonen glaube ich nicht, dass v. Preuschen’s
Embryo genügend frisch gewesen, um aus den von ihm erhal-
tenen Sehnittpräparaten sichere Schlüsse ziehen zu lassen. Ich
habe auch mehrmals menschliche Embryonen mikrotomirt, die
genau dasselbe Aussehen (keine histologische Differenzirung der
einzelnen Organe, kein deutliches Lumen in denjenigen Organen,
welche später ein solches haben, Medullarrohr, Herz, Darm) dar-
boten, wie v. Preuschen bei seinem Embryo schildert, ich habe
sie aber alle als nicht brauchbar bei Seite gelegt. — Im Interesse
des Studiums der Entwickelungsgeschichte des Menschen im All-
gemeinen muss man die Forderung unbedingt stellen, dass jeder
Embryo, welcher zu einem Schluss verwerthet werden soll, eine
klare histologische Differenzirung der einzelnen Organe zeigt, sonst
gerathen wir auf Irrwege. Nach meinem Dafürhalten sind Em-
bryonen aus spontan ausgestossenen jungen Eiern zu entwicke-
lungsgeschichtlichen mikroskopischen Studien in den wenig-
sten Fällen geeignet. Ich habe bisher keine von den spontan
geborenen kleinen (unter lömm Länge) Embryonen, welche mir
vorgelegen haben, zu einem mikroskopischen Studium verwerthen
können, obwohl meistens die äussere Körperform vorzüglich er-
halten war. Aeltere Embryonen vertragen ganz gut ein längeres
(intrauterines) Verweilen in einem abgestorbenen Ei, jüngere da-
gegen gar nicht. Von der letzten Kategorie möchte ich künftig
nur solche verwerthet wissen, welche von einem künstlich her-
beigeführten Abortus stammen, denn nur solche bieten Gewähr
einer normalen Entwickelung.
Das weitere Schicksal des Allantoisganges, die Bildung des
Allantoisstieles innerhalb der Bauchhöhle gestaltet sich fol-
genderweise. Allmählich hebt sich der Urachusschlauch mit seinem
Ausläufer, dem Allantoisgange, und die beiden Arteriae umbilicales
aus der Bauchwand, an deren innern Fläche sie anfangs verlaufen
(siehe Figg. 38—41, Tafel XX), heraus. In dieser Weise entsteht
nach und nach in der Bauchhöhle ein dieker Strang, welcher
schliesslich nur mittels einer dünnen Peritonealfalte mit der In-
584 Dr.med. W.Nagel: Ueb. d. Entwickelung d. Urogenitalsysten d. Menschen.
nenfläche der vorderen Bauchwand verbunden ist. Der Strang ist
an seiner freien Fläche überall von Peritoneum umhüllt; unter
dieser Umhüllung befindet sich eine Schicht von embryonalem
Bindegewebe. Im übrigen beherbergt der Strang in sich: die
beiden Aa. umbilicales, welche mehr nach vorne liegen, und den
(zum Theil soliden) Allantoisgang, beziehungsweise in seinem un-
teren Theil den Urachusschlauch. Ich habe die Bildung des
Allantoisstieles an Embryonen von 12, 18, 22, 25 und 30 mm Länge
verfolgt und an allen den eben beschriebenen Entwickelungsvor-
gang beobachtet; bei allen meinen Embryonen (ich rede nur von
menschlichen), war der Allantoisgang obliterirt ehe er den Nabel
erreichte. Die Bildung des erwähnten Stieles geschieht proximal-
wärts schneller als distalwärts, bei Embryonen von 25—30 mm
Länge scheint sie schon vollzogen zu sein und man findet bei
solchen das von älteren Foeten bekannte Bild: vom inneren Na-
belringe verläuft abwärts bis zur Harnblase ein dieker weiss-
schimmernder Strang. (Was die Anatomie der Nabelschnur älterer
Foeten betrifft, so verweise ich auf die Arbeiten von Ruge
(Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäcologie Bd. D, Ahl-
feld (Die Allantois des Menschen und ihr Verhältniss zur
Nabelschnur. Archiv f. Gynäcologie Bd. 8), Zini, Küstner
Sabine (Notiz über den Bau der menschlichen Nabelschnur. A. f.
Gynäcologie. Bd. 9).) Nach der Geburt veröden die Aa. umbili-
cales und der frühere Allantoisstiel wird bekanntlich zum Liga-
mentum vesico-umbilicale medium !), welches mitunter, wie jeder
Gynäcologe aus seinen bei Laparatomien gemachten Beobachtungen
weiss, bei Erwachsenen eine beträchtliche Ausbildung besitzt.
Erklärung der Abbildungen Nr. 38, 39, 40 u. 41 auf Tafel XX.
Die Figuren 38—41 stellen Querschnitte durch verschiedene Bezirke der vor-
deren Bauchwand eines 12mm langen menschlichen Embryo dar.
S.U. = Sinus urogenitalis (Urachusschlauch). All. = Allantoisgang.
Aa. umb. = Arteriae umbilicals. P. = Peritoneum (Coelom-
epithel).
1) Distalwärts — im Bereiche der Harnblase — weichen die Aa. um-
bilicales auseinander, aus diesen Gefässstücken entstehen die Ligamenta
vesico-umbilicalia lateralia.
2 ac
Beitrag zur Kenntniss des Geruchsorgans des Hundes. 385
Beitrag zur Kenntniss des Geruchsorgans des
Hundes.
Von
Prof. Dr. Battista Grassi und stud med. A. Castronovo
in Catania.!)
Hierzu Tafel XXI.
Wir bedienten uns der schwarzen Reaction Golgi’s zum
Studium des Geruchsorgans und erlangten einige gute Resultate,
die wir hier kurz mittheilen wollen. Die Stücke werden ungefähr
sieben Tage lang in der osmiobichromischen Lösung gelassen und
alsdann in eine Lösung von Argentum nitricum überführt;
lässt man die Stücke länger als acht Tage in der osmiobichro-
mischen Lösung, oder nimmt man sie vor sechs und einem halben
Tage heraus, so wird kein gutes Resultat erzielt. Die Reaction
gelingt ungefähr einmal unter dreissig Fällen; findet sie statt, so
ist sie schon in ein paar Stunden vollendet. Die Stücke müssen
schleunigst geschnitten werden, anderenfalls verderben sie, mag
man sie nun in der Lösung von Argentum nitricum lassen,
oder sie in Alcohol überführen. Die Schnitte müssen mit freier
Hand gemacht werden, ohne die Stücke einzubetten, da dieselben
sowohl in Paraffin wie in Celloidin, — soweit wir bis jetzt ver-
sucht haben, — verderben. Die Reaction gelingt gewöhnlich nur
hier und da, in sehr kleinen Streeken und nur für einzelne
Zellen. Die grossen technischen Schwierigkeiten werden durch
die grosse Klarheit der Präparate aufgewogen, die wirklich ausser-
ordentlich ist. Die Nerven werden intensiv schwarz, ebenso die
Riechzellen, deren Kerne jedoch oft farblos bleiben, oder eine Ma-
hagonifarbe annehmen.
1) Ein leider recht unvollständiger Auszug dieser Note wurde im
April dieses Jahres von Bollettino dell’ Accademia Gioenia in Cata-
nia herausgegeben.
386 Prof. Dr. Battista Grassj und stud. med. A. Castronovo:
Die Schnitte der Riechschleimhaut zeigen die Verbindung des
Centralfortsatzes der Riechzellen mit den Nervenfäserchen !).
In Figur I sind drei verschiedene Präparate vereinigt?). In
einem der drei Präparate (Theil « der Figur) sieht man ein
variköses Nervenfäserchen im Bindegewebe der Riechschleimhaut.
Dieses Nervenfäserchen) bildet den centralen Fortsatz einer Riech-
zelle (in deren peripherischem Fortsatz die Reaction nicht gelungen
ist). In demselben Präparate sieht man noch ein anderes Nerven-
fäserchen sich gabeln und in ein Nervenfäserchen, das fast
horizontal verläuft, und in ein anderes, welches den centralen
Fortsatz einer Geruchzelle bildet, sich fortsetzen. Im zweiten
Präparat (Theil d5 der Figur) sieht man drei Geruchszellen, in
einer derselben ist die Reaction im peripherischen Fortsatze gar nicht
und im Centralfortsatze nur unvollkommen gelungen, in den anderen
beiden Zellen ist sie dagegen weit besser gelungen, der Centralfortsatz
der einen Zelle ist deutlich mit dem Centralfortsatze der anderen
Zelle verbunden, sodass eine Figur |_| entsteht, deren Horizontal-
linie sich an der Grenze von Epithel und Bindegewebe befindet.
Im dritten Präparat (Theil ce der Figur) sieht man Nervenfäser-
chen, welche das Epithel erreichen und sich in diesem eine
Strecke weit fortsetzen; wie sie endigen, kann man nicht erkennen.
2%
1) Gisoff sagt, Nervenbündel im Zusammenhang mit Riech-
zellen gesehen zu haben. (Med. Centralblatt XII, Nr. 44, 1874.) Was
die Beobachtungen Lustig’s anbelangt, ist es mir nicht klar geworden, ob
er wirklich Verbindungen der Nervenfäserchen mit Riechzellen gesehen.
(Lustig, Sulle cellule epiteliali nella regione olfattoria degli
embrioni. Atti della R. Accademia delle Scienze di Torino.
Vol. XXIII 1888.)
2) In dieser ebenso wie in unseren anderen Figuren sind stets senk-
rechte oder fast senkrechte Schnitte zur Darstellung gebracht, das. Bindege-
webe der Schleimhaut wurde schematisch leicht schattirt und das Epithel
ganz farblos gelassen; die Figuren wurden alle mit 3 Oc. und 8 Ob. Ko-
ritska gezeichnet.
3) Wir haben stets, der Einfachheit wegen (sowohl in dieser wie in
unseren anderen Figuren), die Nervenfäserchen, der Wahrheit widersprechend,
dargestellt, als ob sie in einer Ebene lägen; alle die von uns gesehenen Ner-
venfäserchen nehmen niemals einen geraden, sondern stets einen mehr oder
minder spiralförmigen Verlauf. Sie zeigen auch stets mehr oder weniger
zahlreiche Varikositäten.
Beitrag zur Kenntniss des Geruchsorgans des Hundes. 387
Ausserdem sieht man ein aufsteigendes Nervenfäserchen, welches
sich in der Nähe der Grenze zwischen dem Epithel und dem
Bindegewebe der Schleimhaut in zwei Nervenfäserchen theilt, die
fast horizontal verlaufen; eines derselben biegt sich bald nach
oben und wird zum Centralfortsatz einer Geruchszelle (in dem
peripherischen Fortsatze dieser Zelle ist die Reaction nicht gelun-
gen); am Punkte, wo es in das Epithel eintritt, löst sich ein
anderes Nervenfäserchen los.
Den hier abgebildeten ähnliche Präparate wurden öfters von uns
erzielt. Aus diesen Präparaten und dem bereits früher Bekannten
ist es erlaubt zu folgern, dass die varikösen Nervenfäser-
chen der Geruchsnerven in das Bindegewebe der
Schleimhaut oder zur Grenze von Epithel und Binde-
gewebe angelangt, sich derartig theilen, dass die
Zweige einen fast horizontalen Verlauf annehmen; diese
horizontalen Zweige wieder andere Zweige abgeben,
die in das Epithel hinaufsteigen, um in den Geruchs-
zellenzuendigen. EinigeNervenfäserchenkönnendirect
zu den Geruchszellen hinaufsteigen, ohne einen hori-
zontalen Verlauf zu nehmen. Von Anastomosen findet
sich nirgends eine Spur. Um Missverständnisse zu vermei-
den, wollen wir bemerken, dass es öfters scheint, als ob zwei
durch die Gabelung eines Nervenfäserchens entstandene Aestchen,
wenn aufeinander gelegt, ein fast doppelt so dickes Nervenfäser-
chen bilden würden wie dasjenige, aus welchem sie hervor-
gekommen.
Ob die sogenannten Stützzellen wirklich solche sind, oder
ob in denselben Nervenfäserchen endigen, können wir nicht ent-
scheiden, wir können nur sagen, dass wir niemals diese Ver-
bindungen und auch nicht einmal Uebergangsformen zwischen
den Riech- und den Stützzellen gesehen haben. Es ist bemerkens-
werth, dass diese Zellen, wie schon bekannt (Brunn im Archiv
für Mikrosk. Anatomie XI. 3, 1875), grobe, sicher nicht
nervöse flügelartige Fortsätze abgeben, welche, wie wir gesehen
haben, sich untereinander verbinden und Maschen bilden können
(Fig. VII).
Ä In der Region der mittleren Muschel, die in den von uns
untersuchten Hunden (im Alter von 2—3, 4—6 Jahren) noch
theilweise knorpelig war, bemerkt man ein besonderes Epithel,
388 Prof. Dr. Battista Grassi und stud. med. A. Castronovo:
welches die Grenze zwischen dem Epithel der Regio olfactoria
und dem Epithel der Regio respiratoria bilde. Das Epithel
dieser Zone (wir werden sie Grenzzone nennen) ist mehrfach
geschichtet und ähnelt nur, was seine Höhe anbetrifft, dem Epithel
der Regio olfaetoria, es unterscheidet sich von demselben
schon mit blossem Auge durch seine ganz leichte, gelbliche Fär-
bung, die auch ganz fehlen kann.
Die Figuren II, III, IV, V und VI sind Copien von senk-
‚rechten Schnitten dieser Grenzzone. In den Figuren II und III
ist die Reaction für die Zellen und theilweis auch für die Nerven-
fäserchen, in den anderen Figuren dagegen nur für die Nerven-
fäserchen gelungen. Was nun den spiralen Verlauf und die Vari-
kositäten anbelangt, so correspondiren die Nervenfäserchen mit den
weiter oben beschriebenen der Regio olfactoria. Die eylin-
drischen Zellen der oberflächlichen Schicht sind von sehr ver-
schiedener Höhe, einige weniger hoch, andere mehr und andere
sehr hoch. Sie besitzen (ob alle, wagen wir nicht zu behaupten)
am Öentralende, welches oft ziemlich zugespitzt ist, eine sehr
zarte und variköse Verlängerung, ganz ebenso, wie die der
Geruchszellen. In einigen wenigen sieht man deren zwei und
manchmal sina auch deren mehrere angedeutet, von denen jedoch
nur eine oder zwei die unzweifelhaften Kennzeichen der Nerven-
fäserchen haben. In Figur II!) sieht man die Verbindung des
Nervenfäserchens, welches den Centralfortsatz der dritten Zelle
bildet (hier und weiter unten zählen wir immer von rechts aus)
mit dem Nervenfäserchen, welches den Centralfortsatz der vierten
Zelle bildet; der Centralfortsatz der fünften Zelle vereinigt sich
nach einem eomplieirten Verlauf mit einem sehr langen Nerven-
fäserehen, welches schräg gegen die freie Oberfläche des Epithels
hinaufsteigt. Die zweite Zelle zeigt ein langes Nervenfäserchen,
welches sich mit einem anderen Nervenfäserchen kreuzt. Wir
glauben nicht, dass das Nervenfäserchen, welches seitlich zur
ersten Zelle geht, daselbst endigt. In der 5., 6. und 7. Zelle
der Figur III sieht man den Centralfortsatz sich mit einem
horizontalen Nervenfäserchen verbinden. Die Figuren IV—VI
stellen, wie sehon gesagt, den Fall dar, in welchem die Reaction
1) In dieser zweiten Figur sind diejenigen Zellen und Nervenfäserchen,
welche im Schnitt tiefer sind, leicht schattirt.
Beitrag zur Kenntniss des Geruchsorgans des Hundes. 389
der Verzweigungen der Nervenfäserchen im Epithel sehr gut
gelungen ist; sie liegen hauptsächlich im mittleren und im tiefen
Theile des Epithels und theilweise auch im Bindegewebe der
Schleimhaut (da, wo sie zu sehen waren, haben wir die rothen
Körperchen angedeutet, welche den Verlauf der Blutgefässe zeigen).
Wie man leicht ersieht, befindet sich in diesem Grenz-
epithel, zwischen dem wirklichen Geruchsepi-
thelund dem respiratorischenEpithelein gross-
artiger Reiehthum von mehr oder minder vari-
kösen (die grösseren weniger varikös) Nervenfäserchen
verschiedener Dicke, welehe sieh im tiefen und
im mittleren Theil des Epithels stark verzwei-
sen; die Verzweigungist derartig, dassziemlich
viele Aestcehen fasthorizontal werden. Von den
Terminalästcehen steigt ein Theil bis dicht an
die Oberfläche des Epithels und ein Theil, wie
dee/Eiguren IL wnd IIl zeigen, endigen im den
eylindrischen Geruchszellen; dass diejenigen Nerven-
fäserchen, welehe fast bis zur Oberfläche des Epithels hinauf-
steigen, frei endigen, kann sehr wohl sein, aber bestimmt ist es
noch nicht.
Wir bemerken ausdrücklich, dass es sich
hier um sehr ecompliecirte Verzweigungen und
niemalsum Anastomosenhandelt.
Dass obige Nervenfäserchen aus den Geruchsnerven her-
rühren, ist sehr wahrscheinlich, beweisen konnten wir es jedoch
noch nicht. Wir können nicht unterlassen darauf aufinerksam zu
machen, dass im Zungenepithel, rings um die Geschmacksknospen
herum, viele verzweigte Nervenfäserchen gefunden wurden, welche
vielleicht mit denjenigen des Epithels der Grenzzone verglichen
werden können. Sind die Ergebnisse Lustig’s richtig, so muss
man annehmen, dass die in Rede stehende Grenzzone die embryo-
nalen Kennzeichen des ganzen Epithels der Regio olfaecetoria
beibehalten hat.
Wir schliessen, indem wir noch auf die Gegenwart zahl-
reicher, die Schläuche der Bowman’schen Drüsen umspinnenden,
varikösen Nervenfäserchen aufmerksam machen.!) Sie wurden
1) In der Grenzregion finden sich diese Drüsen weit spärlicher und im
Allgemeinen grösser vor als in der Regio olfactoria.
390 Dr. v. Linstow:
bereits von Gisoff in seiner obenerwähnten vorläufigen Mitthei-
lung angedeutet!).
Bezüglich der Erklärung der Figuren verweisen wir auf den
Text.
Bemerkungen über Mermis.
Nachtrag zu „Ueber die Eutwicklungsgeschichte und
die Anatomie von Gordius tolosanus“ 2).
Von
Dr. v. Linstow.
Hierzu Tafel XX1.
Mit Gordius am nächsten verwandt ist wohl das Genus Mer-
mis, das gleich der ersteren Gattung als Larve parasitisch und in
geschlechtsreifem Zustande frei lebt, theils im süssen Wasser, wie
Gordius, theils in der Erde; als Bewohner der letzteren kennen
wir Mermis albicans v. Siebold und Mermis nigrescens Dujar-
din, im Wasser aber sind gefunden Mermis aquatilis und lacustris,
die Dujardin ?) unter dem Genusnamen Filaria anführt (Filaires
libres dans les eaux), ferner Mermis explicans Fedtschenko®),
eine Art, die in Turkestan im Rohr eines See’s gefunden wurde,
Mermis laeinulata Sehneider?), deren Fundort nicht bekannt ist,
und drei von mir®) nach Fedtschenko’s Funden aus Turkestan
beschriebene Arten, Mermis paludicola, acuminata und rotundata.
Allen Arten gemeinsam ist eine oberflächliche, unter der Epider-
1) Cisoff’s ausführliche Arbeit ist meines Wissens nach niemals ver-
öffentlicht worden.
2) Dieser Band pag. 248.
3) Historie des Helminthes. Paris 1845. pag. 68.
4) Ber. d. Freunde d. Naturwissensch. X, 2, Moska 1874, pag. 8—10,
Taf. XIV, Fig. 16.
5) Monographie d. Nemätoden, Berlin 1866, pag. 178, Taf. XIV, Fig.
5-1.
6) Archiv für Naturgesch. 1883, pag. 300—302, Taf. IX, Fig. 42—44,
Bemerkungen über Mermis. 391
mis liegende Cutieularschicht mit zwei sich in einem gewissen
Winkel kreuzenden Fasersystemen, am Kopfe 6 in einem Kreise
liegende Papillen, ein derbes Chitinrohr des Oesophagus, das
Fehlen des Anus, eine etwa in der Mitte der Körperlänge liegende
Vulva beim Weibehen und 2 gleiche Spieula des Männchens, das
an der Bauchseite 3 bis 6 parallele Längsreihen von Papillen
zeigt, die grösstentheils praeanal stehen; bekannt sind die Männ-
chen nur von Mermis albicans, laeinulata und paludicola. Die
Larven sind durch ein gekrümmtes Horn am Schwanzende aus-
gezeichnet, das an den Schwanzanhang der Sphinx-Raupen er-
innert.
Die Reihe der im Wasser lebenden Arten kann ich durch
zwei neue vermehren, welche ich in dem Schlamm eines Grabens
mit langsam fliessendem Wasser fand, in dem übrigens eine Un-
summe von Tubifex rivulorum und verschiedenartiger Mücken-
larven, ferner mehrere Schwimmkäfer, Nepa ceinerea und Rana
temporaria leben. Die Bewegungen beider Arten sind sehr träge
und bestehen nur in Seitenbewegungen ; Anschwellungen und Ver-
diekungen des Körpers, wie Tubifex rivulorum sie zeigt, können
nicht ausgeführt werden, da Ringmuskeln fehlen. Die Farbe bei-
der Arten ist weisslich.
Mermis econtorta
ist sehr langgestreckt und dünn, das Schwanzende ist bei beiden
Geschlechtern conisch zugespitzt; bei Berührungen rollt das Thier
sich loekenförmig zusammen, etwa wie Trichosoma contortum und
andere Nematoden es thun; das kleinste Exemplar, ein Männchen,
war 14,8 mm lang, 0,17 mm breit, die Weibchen hatten eine Länge
von 24,1mm und 0,23 mm Breite, resp. von 42mm Länge und
0,28 mm Breite und 44,8mm Länge bei 0,26 mm Breite, resp.
49mm Länge und 0,28 mm Breite; die Breite verhält sich also zur
Länge wie 1:105 oder 1:161 oder 1:172. Ein Exemplar hatte
die Larvenhaut noch nicht abgestreift, denn es zeigte am Schwanz-
ende ein kleines, gekrümmtes Horn.
Das Männchen war unreif und weder die Cirren noch die
Cloakenöffnung waren entwickelt, aber Längsreihen von Papillen
waren am Schwanzende angedeutet, von denen in einer 14 gezählt
werden konnten.
392 Dr. v. Linstow:
Am Kopfende steht 0,02 mm vom Scheitel entfernt ein Kranz
von 6 Papillen (Fig. 1), je eine in der Rücken- und Bauchlinie,
2 in der Dorsolateral- und 2 in der Ventrolaterallinie; dieht da-
hinter, 0,026 mm vom Scheitel, münden in den Laterallinien zwei
Chitinrohre (Fig. 1, a), die wahrscheinlich zum Gefässsystem ge-
hören; man bemerkt im Niveau der Aussenfläche der Muskeln
einen Kreis, aus dessen Centrum ein feines Rohr hervortritt, um
die Haut zu durchsetzen.
In der Mittelachse des Oesophagus verläuft ein starkes Chi-
tinrohr, das vom Scheitelpunkt bis 0,26 mm entfernt in der Mittel-
achse des Körpers liegt und sieh dann nach der Bauchlinie wen-
det; die Haut durchsetzt es am Scheitel nicht, die Durchbohrung
derselben ist nicht chitinisirt. Der Oesophagus hört, wenn man
sich den Körper der Länge nach in 12 gleiche Strecken getheilt
denkt, mit dem 5. Zwölftel plötzlich auf, ohne in einen Darm
überzugehen. Die Vulva liegt wenig vor der Körpermitte; der
dureh sie gebildete vordere Abschnitt verhält sich zum hinteren
wie 16:17; die Vagina ist ein 0,36mm langes und 0,049 mm
breites, muskulöses Rohr, das bogenförmig nach vorn und der
Rückenseite verläuft, um von hier wieder zur Bauchseite zurück-
zukehren, wo es sich dann nach vorn und hinten in die beiden
Geschlechtsröhren theilt. Die kugelförmigen Eier sind 0,059 mm
gross; ihre dünne, hyaline Schale steht weit vom Dotter ab, der
im Stadium der ersten Furchung ist.
Die andere Art,
Mermis crassa,
ist viel robuster von Gestalt und das etwas verdickte Schwanz-
ende ist nicht zugespitzt, sondern breit abgerundet. Ein noch un-
sehäutetes Exemplar zeigte noch das für die parasitischen Larven
charakteristische Schwanzhorn (Fig. 2) und eine stark geringelte
Haut; alle übrigen Exemplare hatten eine glatte Haut, waren aber
geschlechtlich noch nicht entwickelt. Das jüngste Exemplar war
13,2 mm lang und 0,29mm breit, das Horn war 0,039 mm lang
und an der Basis 0,013 mm breit; die Maasse von anderen Exem-
plaren waren 45 mm Länge und 0,72 mm Breite, 56 mm Länge
und 0,76 mm Breite, 59 mm Länge und 0,9 mm Breite; hier ver-
hält sich also die Breite zur Länge wie 1:45, 1:62, 1:66, 1:74.
Die gefundenen anatomischen Verhältnisse weichen von
He
Bemerkungen über Mermis. 395
denen bei Mermis albicans und nigrescens, wie Meissner und
Schneider sie schildern, so ab, dass ein Vergleich wünschens-
werth erscheint.
Die Cutieularbildung besteht aus 4 Schichten, nämlich
1. einer feinen, homogenen Epidermis (Fig. 7 a), 2. einer ober-
flächlichen Coriumschicht (b), in denen zwei Fasersysteme sich in
einem Winkel von etwa 50 oder 130° kreuzen, 3. einer etwas
dickeren Coriumschieht (e), welehe aus Circularfasern besteht, und
4. einer feinen Hypodermis (h). An diese legt sich die Muskulatur
(m) und darauf folgen vom Bauchstrang ausstrahlende Nerven-
fasern, unter denen eine körnige Schicht liegt (Fig. 4 u. 5, g),
welche die inneren Organe einschliesst.
Dujardin!) fand die drei ersten Cutieularschichten bei
Mermis nigrescens, ebenso Meissner?) bei Mermis albicans und
nigrescens; Balsamo Crivelli?) unterscheidet in ungenügender
Weise nur zwei Schichten, während Camerano*) neuerdings bei
Mermis albicans die vier bezeichneten Strata beschreibt.
Sechs sehr stark entwickelte Längswülste, von denen
einer in der Rücken-, einer in der Bauch-, zwei in den Dorsola-
teral- und zwei in den Ventrolaterallinien verlaufen, durchziehen
den ganzen Körper der Länge nach und theilen die Muskeln in
sechs ungefähr gleiche Felder. Sie sind Vorwulstungen der Hypo-
dermis und zeigen sich in der Kopfgegend am stärksten ausge-
bildet. Dicht hinter dem Kopfende sind alle sechs einander ziem-
lich gleich (Fig. 3); nehmen aber beim weiteren Verlauf eine we-
sentlich unter einander verschiedene Gestalt an. Der Dorsalwulst
(Fig. 3—7, d) schrumpft sehr bald zusammen und enthält dann
zwei Kanäle, welche vielleicht mit dem Gefässsystem in Zusam-
menhang stehen; die Dorsolateralen (dl) werden niedrig und sehr
breit und schwellen dieht vor dem Schwanzende mächtig an; die
ventrolateralen (vl) schwinden bald zu unbedeutenden Strängen,
der ventrale (v) bleibt bis zu Ende von mässiger Ausdehnung.
Ganz anders schildern Meissner und Schneider diese Or-
1) Ann. sc. natur., ser. II, vol. XVIII, Paris 1842, pag. 129.
2) Zeitschr. für wissensch. Zoologie, Bd. VII, 1856, pag. 207—284,
Taf. XI—XV; Bd. V, 1853, pag. 1—47. Taf. I—-1.
3) Mem. Istit. Lombard, vol. II, 1845.
4) Atti Accad. sc. Torino, vol. XXIV, 1889, pag. 11—17, Fig. 6-10.
394 Dr. v. Linstow:
gane bei Mermis albicans und nigrescens. Nach Meissner!)
trennen bei den beiden genannten Arten drei „Zellenschläuche“
die Muskulatur in drei Längsfelder, von denen einer in der Bauch-
und zwei in den Laterallinien verlaufen, woselbst jedesmal die
Cutis verdickt ist; die Körper werden als Secretionsorgane be-
zeichnet; ebenso beschreibt Sehneider?) dieselben bei Mermis
nigrescens, welcher die in den Laterallinien gelegenen Wülste
Seitenfelder nennt.
Wo diese Wülste eine stärkere Verbreiterung haben, zeigen sie
grosse, ovale, granulirte Kerne von regelmässiger Anordnung; oft
sind sie strahlenförmig gelagert, wie man auf Querschnitten sieht
(Fig. 6, v).
Die Muskulatur zerfällt in sechs ungefähr gleiche Längs-
felder, die von Mermis nigrescens und albicans nach Meissner
in drei, nach Schneider bei ersterer Art in sechs, aber in an-
derer Weise als bei Mermis cerassa, da nach Schneider die
Rückenhälfte zwei, die Bauchhälfte vier Abtheilungen zeigt. Man
findet nur Längsmuskeln, welche auf Querschnitten eine Quer-
streifung zeigen, so dass sie aus Längsfibrillen bestehen; vorn
im Körper sehr mächtig, werden die Muskeln nach hinten zu er-
heblich dünner.
Das Nervensystem besteht aus einem grossen Gehirn oder
Peripharyngeal-Ganglion, das bei Mermis erassa sich in einer Ent-
fernung vom Scheitel von 0,39 bis 0,57 mm erstreckt und den
Oesophagus einschliesst (Fig. 3, g); vorn verbindet es sich mit
dem Bauchwulst und verläuft nun als Bauchnervenstrang längs
der ganzen Ausdehnung des Thiers in einer nach der Rückenseite
gelegenen Furche des Bauchwulstes (Fig, 4 u.5, n), abwechselnd
nach rechts und links im rechten Winkel zum Verlauf des Bauch-
stranges starke, Ganglienzellen einschliessende Nervenstämme ent-
sendend (Fig. 7), welehe sich in die Muskeln inseriren und über
die Lateralwülste hinwegziehen. Meissner beschreibt bei Mermis
nigrescens 3) einen Dorsal- und einen Ventralnerven, bei Mermis
albicans *) aber einen Dorsal-, zwei seitliche und einen Ventral-
1) 1. c. tom. VII, tab. XI, fig. 1, f, g; tom. V, tab. I, fig. 1,9, 9, 8-
2)/1. oe. tab. RE Ari?
3) 1. c. tom. V, tab. L, fig. 1,i h.
4) 1. c. tom. VI, tab. XI, fig, 1, h, i, k.
Bemerkungen über Mermis. 395
nerven oder N. splanchnieus; Schneider!) dagegen hält die von
dem Bauchstrange ausstrahlenden Fasern für Muskel-Marksubstanz.
Meissner’s Nerven sind übrigens den ganzen Längswülsten ent-
sprechend.
Der Oesophagus verläuft bei Mermis erassa 0,51 mm weit
in der Mittelachse des Körpers, vom Gehirn umgeben, und wen-
det sich dann dem Bauchwulst zu, wo er vor der Körpermitte
plötzlich aufhört, ohne dass ein Darm auf ihn folgte, nach dem
man in der hinteren Körperhälfte vergebens sucht (Fig. 5).
Zwischen der Muskulatur, event. der Nervenschicht und den
inneren Organen findet man eine hyaline, fein granulirte
Sehicht (Fig.3—6, g), die vorn und hinten im Körper, wo auf
eine kurze Strecke der Zellkörper fehlt, sehr mächtig ist; in der
Gegend der Ventrolateralwülste enthält sie zahlreiche Kerne
. (Fig. 4, vl).
Ein Zellkörper, von Meissner Fettkörperschlauch ge-
nannt, beginnt bei Mermis crassa 0,6mm vom Kopfende und
durchzieht den Körper bis fast zum Schwanzende, die ganze Lei-
beshöhle ausfüllend; er besteht aus einer Hüllmembran, die an
ihrer Innenwand grosse Kerne zeigt (Fig. 4, e); der Inhalt besteht
aus hyalinen Kugeln, die durchschnittlich 0,023 mm gross sind
und in ihrem Innern oft eine braune, granulirte Kugel zeigen, die
0,013 mm misst (Fig. 8). Den Namen Fettkörper verdient das
Organ nicht, denn die ganzen Kugeln färben sich schwach in
Boraxcarmin und lösen sich nicht in Xylol; andererseits aber ent-
spricht das Centrum einem Kern im gewöhnlichen Sinne nicht, da
es ganz ungefärbt bleibt. Das Organ dürfte, wenn nicht mor-
phologisch, so doch physiologisch dem Zellkörper der Gordien
gleich zu setzen sein, da es offenbar den Bildungskörper der Ge-
schleehtsorgane darstellt; denn je mehr letztere wachsen, um so
stärker schwindet dieser; bei Mermis albicans ähnelt der Zell-
(Fett-)Körper nach Meissner?) übrigens dem von Gordius sehr
auch der Form nach, so dass an einer Gleichwerthigkeit wohl
nicht zu zweifeln ist. Fedtschenko?°) deutet den Zell-(Fett-)
Körper als Darm, was entschieden unrichtig ist.
1) 1. e. pag. 200 und 231.
2) l. c. tom. VII, tab. XIII, fig. 21.
Shnl..c.
396 Dr. v. Linstow: Bemerkungen über Mermis.
Die Geschlechtsanlage besteht aus einem flachen, breiten,
sehr kernreichen Bande (Fig. 5, s), das unsymmetrisch an einer
Seite des Körpers, Kopf- und Schwanzende ausgenommen, zwi-
schen Dorso- und Ventrolateralwulst der Innenseite der Muskulatur
anliegt.
Demnach bildet Mermis das Bindeglied zwischen Gordius und
den Nematoden; Gordius und Mermis gemeinsam ist das Leben
der Larven als Parasiten und im geschlechtsreifen Zustande im
Freien, die Ringelung des Körpers bei ganz jungen Larven, das
Vorhandensein eines Zellkörpers, besonders entwickelt im unreifen
Zustande, der in der Bauchlinie verlaufende Verdauungstract,
der ganz vorn in der Mittelachse liegt und hier vom Gehirn um-
geben ist, der in der Bauchlinie hinziehende Nervenstamm. Das
Fehlen des Anus, früher für beide Genera angenommen, ist bei
Gordius nicht bestätigt, denn hier münden beim Männchen die
Vasa deferentia in den an dieser ‚Stelle stark erweiterten Darm,
während umgekehrt beim Weibchen der Darm in das hinterste
Ende des Uterus eintritt,. so dass bei beiden Geschlechtern eine
Cloake gebildet wird; ohne Anus sind dagegen wenige Nematoden-
Genera, wie Dracuneulus, Ichthyonema, Allantonema, Atractonema,
Aproeta und nach Fedtschenko einige Filarien ; die Geschlechts-
organe von Mermis erinnern ganz an die der Nematoden. '
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXL.
\
Fig. 1. Kopfende von Mermis contorta. a Gefässöffnung.
Fig. 2—8. Mermis crassa. a Epidermis, b gekreuzte Faserschicht des Co-
rium, c Circularfaserschicht derselben, h Hypodermis, m Muskeln,
& granulirte Schicht, d Dorsal-, dl Dorsolateral-, vl Ventrolateral-,
v Ventralwulst; o Oesophagus, n Nerv, g Gehirn, gz Ganglienzelle.
2 Schwanzende mit Horn, 3—6 Querschnitte, 3 am Kopfende, 4 von
der vorderen, 5 von der hinteren Körperhälfte, 6 vom Schwanzende,
7 Flächenbild, 8 Zelle des Zellkörpers.
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente b. Spulwurme d. Hundes. 397
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente beim
Spulwurme des Hundes.
v
Von
S. M. Lukjanow.
Hierzu Tafel XXIII u. XXIV.
Die in Sublimat fixirten, in Schnittserien zerlegten und der
kombinirten Tinetion unterworfenen Sexualröhrchen der Ascaris
des Hundes !) betrachtend, habe ich gewisse morphologische und
mikrochemische Eigenthümlichkeiten feststellen können, welche,
meines Erachtens, wohl verdienen wenigstens in aller Kürze be-
schrieben zu werden. Alle auf die Methodik Bezug nehmenden
Einzelheiten will ich hier bei Seite lassen, da dieselben bereits
1) Ich muss es dahingestellt lassen, ob meine Ascaridenart mit
der „Ascaris du chien“, die Carnoy (La Cellule, tome III, 1. fascicule; „La
eytodierese de l’oeuf“, p. 44) nicht näher bestimmen konnte, und mit der
Ascaris marginata, die vor Kurzem Kultschitzky (Archiv f. mikrosk.
Anatomie, XXXII. Bd.; „Ueber die Eireifung und die Befruchtungsvorgänge
bei Ascaris marginata“) untersucht hat, vollständig identisch war. Mög-
licherweise existiren mehrere Varietäten des Hundespulwurmes. Es wird
hier nicht überflüssig sein, darauf aufmerksam zu machen, dass von der
Ascaris megalocephala, nach Boveri (Jenaische Zeitschrift für Natur-
wissenschaft, XXI. Bd., 1887; „Zellen-Studien“), zwei Typen zu unterscheiden
sind: Typus Carnoy und Typus van Beneden, die sich nicht so sehr durch
makroskopische Merkmale, als durch mikroskopische Eigenthümlichkeiten
der Sexualelemente charakterisiren. Was übrigens die zoologische Charakte-
ristik des Hundespulwurmes anbetrifft, so sei auf Dujardin, Histoire natu-
relle des Helminthes ou vers intestinaux (Paris 1845) verwiesen.
Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 26
398 S. M. Lukjanow:
an einem anderen Orte!) von mir berücksichtigt worden sind;
‘- es sei nur bemerkt, dass am häufigsten das Hämatoxylin und
das Safranin zur Anwendung kamen.
1. In den tiefsten Abschnitten der Eierstöcke enthalten die
sphärischen Kerne der Eizellen regelmässig je ein central gele-
Senes Kernkörperehen, welches die Merkmale eines Plasmosomas
besitzt; das hämatoxylophile Gerüst ist in diesen Kernen deutlich
zu sehen (Fig. 1). Die karyokinetischen Figuren (Knäuel und
Sterne) treten, der kleinen Dimensionen ungeachtet, scharf hervor
und zwar in ziemlich grosser Anzahl. Die Chromatinsegmente der
karyokinetischen Figuren erscheinen nach der oben erwähnten
kombinirten Färbung, im Gegensatz zu den ruhenden Kernen, ent-
weder hell- oder tiefroth, mit entschiedener Prävalenz des Safra-
nins (Fig. 2, a, b, ec) ?).
2. Innerhalb der Ovarien äussern die Eizellen eine zarte,
kaum wahrnehmbare, netzartig angeordnete Struetur; in der Fär-
bung ist ein deutliches Ueberwiegen von Safranin bemerkbar.
Die Form der Zellen ist nahezu sphärisch (eigentlich sind die-
selben isodiametrische Polyäder mit Facetten, welche durch die
benachbarten Zellen bedingt werden). Paraplasmatische Ein-
schlüsse (wie z. B. Nebenkerne ete.) waren nicht nachzuweisen
(Fig. 1).
3. Beim Uebergange zu den Eileitern sieht man die kugelige
Form der Eizellen immer mehr und mehr der pyramidalen weichen.
Die Dimensionen aller Theile nehmen, wenn auch nicht gleich-
mässig, zu. Im Zellkörper unterscheidet man eine structurlose
Grundsubstanz, welche unter dem Einflusse der Fixirungsmittel ge-
rinnt und den Eindruck eines Netzes macht, dessen Stränge ver-
schieden stark sind. Auch hier finden wir in den Kernen je ein
Plasmosoma und notiren häufig eine auffallend regelmässige Anord-
nung der hämatoxylophilen Gerüstelemente (Fig. 3, 4).
1) S.M. Lukjanow, Notizen über das Darmepithel bei Ascaris mystax;
Archiv f. mikroskop. Anatomie, 1888.
2) Vgl. hierzu die in meinem Laboratorium ausgeführte Arbeit von
A. Kosinski, Ueber verschiedene Färbung der Kerne im Zustande der Ruhe
und der Mitose u. s. w.; Wratsch 1888 (russisch).
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente b. Spulwurme d. Hundes. 399
4. Im weiteren Verlaufe des Reifungsprocesses treten im
Körper der Eizelle Dotterkügelchen auf, welche in den rundlichen
Maschen des protoplasmatischen Netzes liegen; diese Elemente
sind bald blassrosa durch das Safranin, bald leicht blauviolett
durch das Hämatoxylin tingirt (diese Farbentöne erscheinen
übrigens selten rein; sie kommen auch nie so gesättigt
vor, wie in den Kernen minder reifer Eizellen). In der La-
gerung der Dotterelemente wird keine constante Regelmässig-
keit wahrgenommen; doch gruppiren sich dieselben nicht selten
überwiegend in den peripherischen Theilen der Zelle. Die Kerne
solcher Elemente unterscheiden sich schroff von denjenigen, welche
soeben in den tieferen Abschnitten der Sexualröhrehen beschrieben
wurden. Diese Kerne erscheinen ausgebuchtet, sternförmig; eine
deutlich abgegrenzte Membran ist an ihnen nicht zu constatiren.
Die Vorsprünge schliessen sich dicht an die Balken der netz-
förmig angeordneten Grundsubstanz des Zellenleibes an. In den
Vertiefungen zwischen den Prominenzen des Kernes finden wir
Dotterkügelchen, welche, analog dem Verhalten an anderen Stellen,
vollkommen regelmässige Contouren besitzen und von einem hellen
Saum umgeben sind. In Bezug auf die Grösse kommen die Dot-
terelemente den Kernkörperchen nahezu gleich, welch’ letztere in
den Kernen des in Rede stehenden Gebietes nicht selten multipel
vorkommen. Wegen ihres Verhaltens den Farbstoffen gegenüber
müssen diese Kernkörperchen Plasmasomen genannt werden. Sind
ihrer zwei, so können sie bald gleich an Grösse, bald verschie-
den sein. Sehr oft kommen die Kernkörperehen excentrisch
zu liegen. Die Masse, welehe die eigentliche Substanz der
Kerne bildet, wird blauviolett gefärbt, und zwar minder
intensiv, als in den eigentlichen Ovarien. Ein deutlich aus-
geprägtes Gerüst existirt nicht; die Kernsubstanz erscheint fast
homogen. Karyokinetische Bilder sind hier nur äusserst selten
anzutreffen; wenn wir auch auf dieselben mitunter stossen, so tra-
gen sie im Wesentlichen denselben Charakter, wie diejenigen,
welche in tieferen Abschnitten der Sexualröhrchen beobachtet wer-
den (Fig. 5, 6, 7).
5. Die Structur der Kerne in den Eizellen bleibt nicht
lange in demselben Maasse einfach. Recht viele der sternförmigen
Kerne weisen neue Elemente auf, welche für die Bildung der in
Polarkörperchen übergehenden Chromatinelemente von grosser
400 S. M. Lukjanow:
Tragweite sind. Mit Hülfe stärkerer Objective von grösster op-
tischer Dignität (Oelapochromat von C. Zeiss, num. Apertur =
1,30, aequiv. Br. = 2,0; Compensationsoculare 4, 8, 18) gelangt
man zur Ueberzeugung, dass in der scheinbar gleichartigen Grund-
substanz der Kerne, welche den Farbstoffen gegenüber sich ebenso
wie früher verhält, jetzt recht kleine dunkelviolette Körnchen auf-
treten (Fig. 8). Dieselben können in die Kategorie der feinsten
Karyosomen zwanglos eingereiht werden. In Bezug auf ihre Ver-
theilung im Kerne lässt sich kaum eine Regelmässigkeit feststellen.
Es ist recht interessant, dass diese ‚feinen Karyosomen häufig an klei-
nen entweder sich gar nicht färbenden oder nur leicht tingirbaren
vaeuolenförmigen Bläschen, welehe ich in anderen Kernen unter
dem Namen von Hyalosomen beschrieben habe !), fixirt gefunden
werden (Fig. 9). Mitunter verbinden sich diese eigenthümlichen
Systeme unter einander zu mehr complieirten (Fig. 10, 11). Die
Zahl der Körnchen ist einer gewissen Gesetzmässigkeit unterworfen.
Am häufigsten war ich in der Lage 8 Paar hämatoxylophile
Körnehen, welehe mit Hyalosomen verbunden waren, zu unter-
scheiden. Recht oft befindet sich ein Körnchen in unmittelbarem
Zusammenhange mit einem verhältnissmässig grossen centralen
oder excentrischen Plasmosoma (Fig. 8, 11). Karyokinetische
Figuren vom gewöhnlichen Typus werden in entsprechenden Ab-
schnitten der Sexualröhrchen nicht gefunden.
6. In denjenigen Theilen des Eileiters, welche der Gebär-
mutter noch näher liegen, nehmen die Eizellen von Neuem eine
mehr oder minder sphärische Gestalt an. Der Zellenkörper erscheint
sowohl rücksichtlich seiner Zusammensetzung, als auch seiner
Färbbarkeit demjenigen der tiefer liegenden Partien ungefähr
sleich. An den Kernen der Eizellen lassen sich aber wiederum
Veränderungen nachweisen. Wenn wir das Schicksal derjenigen
kleinen Karyosomen verfolgen, welche, dem bereits oben Ange-
führten gemäss, zu einer bestimmten Zeit in den Kernen der
Eizellen auftreten, so können wir constatiren, dass diese Chro-
matinelemente an Grösse zunehmen, während die sie meisten-
1) Was die nähere Präcisirung der Bezeichnungen: Plasmosoma, Ka-
ryosoma und Hyalosoma betrifft, so verweise ich auf meine Beiträge zur
Morphologie der Zelle (Archiv von Du Bois-Reymond, 1887; Archiv f£.
mikrosk. Anatomie, 1887).
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente b. Spulwurme d. Hundes. 401
theils zu Paaren verbindenden Hyalosomen verschwinden. Die
Grundsubstanz des Kernes bleibt wie früher durch Häma-
toxylin blass gefärbt und bietet keine deutliche Struetur. Ich
konnte mich zu wiederholten Malen überzeugen, dass die Zahl
der hämatoxylophilen Paare sich bis auf 8 belief. Es ist auffal-
lend, dass beide Glieder jedes Paares sowohl bezüglich ihrer
äusseren Gestalt, als auch ihres Verhaltens dem Hämatoxylin ge-
genüber ungemein an die Kerne der Spermatozoen erinnern, von
welchen weiter unten die Rede sein wird. Meistens ist das eine
Glied des Paares grösser als das andere. Beim Durchmustern
dieser Paare in verschiedener relativer Lage, habe ich die sie
zusammensetzenden Einzelglieder immer kugelförmig gefunden
(Fig. 12).
7. Die Bildung der Polarkörperchen fällt mit dem Eindrin-
gen des Spermatozoiden in die Eizelle zusammen. An den Prä-
paraten, welche mittels kombinirter Tinction behandelt wurden,
sieht man die Kappe der Samenzelle gierig das Safranin aufneh-
men, während das kleine, für gewöhnlich mit dem Kerne identifi-
eirte Gebilde sich ebenso stark mit Hämatoxylin färbt. Das letzt-
genannte Element erscheint bisweilen einfach, structurlos, homo-
gen; doch bei weitem am häufigsten gelingt es beim eingehenderen
Betrachten der Spermatozoiden, welche in die Eizellen eingedrun-
gen sind, wahrzunehmen, dass dasselbe aus zwei nahezu sphärischen,
dicht aneinander stossenden Theilen besteht. In der Regel ist der
eine von denselben ein wenig grösser, als der andere (Fig.13, 44). Es
kam mir mitunter vor, dass beide Theile des besprochenen Ele-
ments in eine gemeinschaftliche ausserordentlich zarte, den beiden
Gliedern fest anliegende Kapsel eingeschlossen waren. Man
könnte demgemäss die hämatoxylophilen Elemente am passendsten
mit den Kernkörperchen, und zwar mit den Karyosomen, verglei-
chen.
8. In jede Eizelle pflegt nur ein”Spermatozoid Jeinzudringen.
Das Verhalten des letzteren den Tinetionsmitteln gegenüber wird
dabei etwas geändert, aber nur unbedeutend (Fig. 15). Bald er-
leidet das Spermatozoid eine eigenartige Desintegration. Das
Käppehen rundet sich ab, statt der Form eines Hornes nimmt
dasselbe diejenige eines /mehr oder weniger "sphärischen Körpers
an und trennt sich von den übrigen Theilen der Samenzelle ab.
Es kommt im Leibe der Eizelle entweder frei zu liegen, oder von
402 S. M. Lukjanow:
geringer Menge eigenthümlicher Substanz, sichtlich protoplasma-
tischen Charakters, umgeben (Fig. 16). Der Kern mit den anlie-
senden Theilen des Spermatozoid-Protoplasmas befindet sich nun
im Centrum der Eizelle, wobei es sich nicht selten erweist, dass
beide Chromatinglieder nicht Sphären, sondern gekrümmte Stäb-
chen sind (Fig. 16, 17). Die Kapsel, in welche beide Glieder ein-
geschlossen sind, erscheint wie aufgebläht, so dass man den Ein-
druck eines hohlen Kernes mit zwei Chromatinelementen erhält.
Die Desintegration des Spermatozoiden erfolgt indessen nicht
immer nach dem soeben geschilderten Typus. Ich habe Fälle
notirt, in denen das Käppchen bereits in der Substanz der Samen-
zelle verkleinert (Fig. 18), aber auch solche, wo dasselbe in zwei
(oder auch mehrere) safranophile Kügelchen von ungleicher Grösse
zerfallen war (Fig. 19). Aeusserst selten bin ich auf Spermatozoiden
gestossen, welche in allen Theilen, mit Ausnahme zweier Kern-
glieder, mit Vacuolen erfüllt waren. In den bezüglichen Eizellen
zeigen auch die weiblichen Kerne einige Abweichungen von der
Norm, so dass man die erwähnte Erscheinung wohl als patholo-
gische auffassen kann (Fig. 20).
9. Bevor ich über weitere Veränderungen in den Eizellen
sprechen werde, muss noch einem Umstande Aufmerksamkeit
geschenkt werden. Um die Zeit, zu welcher der Kern der Eizelle
sich zur Ausscheidung der Polarkörperchen anschiekt, bemerkt
man im Zellenleibe das Auftauchen kleiner Körnchen, mit denen
das netzartige, durch Hämatoxylin leicht tingirte Stroma wie be-
säet erscheint. Diese kleinen Körnchen absorbiren gierig Safra-
nin, weshalb sie ausserordentlich leicht von den viel grösseren
Dotterkügelchen, welche sich blass mit Hämatoxylin oder Safranin
färben und in den Maschen des genannten Netzes liegen, unter-
schieden werden können (Fig. 14, 15). In manchen Eizellen, zur
Zeit der späteren Phasen ihrer Entwickelung, treten die Dotter-
kügelchen gar nicht hervor, während die kleinen safranophilen
Körnchen recht lange erhalten bleiben. Ihre ‚relative Menge ist
sehr verschieden: je kleiner sie sind, um so grösser ist ihre An-
zahl. Das eine Mal finden wir dieselben ziemlich gleichmässig im
Zellenkörper vertheilt, welcher keine grossen Maschen aufweist; ein
anderes Mal erweisen sich dieselben im engen Zusammenhange
mit der Grundsubstanz, die in Form eines weitmaschigen mit
Hämatoxylin graubläulich tingirten Netzes erscheint.
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente b. Spulwurme d. Hundes. 403
10. Vor dem Auftreten des ersten Polarkörperchens rückt
der Kern der Eizelle an ihre Peripherie (Fig. 21, 15). Es kom-
men indessen auch Fälle vor, wo wir an der Peripherie der Ei-
zelle den Kern im minder reifen Zustande antreffen, als derjenige,
welcher sub 6 beschrieben wurde: statt 8 Paar hämatoxylophile
Glieder, begegnen wir hier und da den mit Hyalosomen verbun-
denen Karyosomen (v. sub 5). Von grossem Interesse scheint mir
die Frage zu sein, ob die einzelnen Paare beim Fortrücken des
Keimbläschens vom Centrum nach der Peripherie der Eizelle ihren
inneren Zusammenhang behalten. Auf Grund meiner Beobachtungen
vermuthe ich, dass dieser Zusammenhang nicht immer bewahrt
wird. Wie es auch sei, von den 16 Chromatinelementen, aus wel-
chen der Kern der Eizelle zusammengesetzt ist und welche paar-
weise zu 3 Doppelgliedern verbunden erscheinen, wird die Hälfte
zur Bildung des ersten Polarkörperchens verbraucht (Fig. 22).
Bei Formirung des anderen Polarkörperchens wird die Hälfte der
zurückgebliebenen Elemente eingebüsst, so dass man in der Eizelle
schliesslich nur 4 Chromatinkügelchen vorfindet, welche ziemlich
verschiedenartig gegen einander plaecirt sind (Fig. 23). Ich bin
bis jetzt nicht in der Lage, das oben Gesagte mit neuen wesent-
lichen morphologischen Details zu ergänzen, mit um so grösserem
Nachdruck muss ich aber darauf hinweisen, dass im ganzen Ent-
wickelungsgange der Polarkörperchen die Chromatinelemente die
Eigenschaft sich mit Hämatoxylin zu färben neben dem negativen
Verhalten dem Safranin gegenüber bewahren. Dieser Umstand
unterscheidet den in Rede stehenden Process scharf von der
Karyokinese, von der ich oben, gelegentlich der Schilderung der
Kerne in den Eizellen der Ovarien, gesprochen habe. Es liegt auf
der Hand, dass wir auch seitens der Morphologie hier grosse Un-
terschiede haben. Ich kann nicht umhin, noch auf eine Frage hin-
zuweisen: ist bei der Bildung der Polarkörperchen die Zahl der
von der Eizelle eingebüssten Chromatinelemente derjenigen der
darin bleibenden stets gleich? Auf manche seltene Beobachtungen
gestützt (Fig. 24), bin ich zum Schluss gelangt, dass es zur Zeit
noch verfrüht wäre, die angeführte Frage absolut bejahend zu be-
antworten.
11. Der männliche und der weibliche Pronucleus erscheinen
bei Application der zusammengesetzten Färbungsmethode, ebenso
wie beim Gebrauch minder complieirter Tinctionen (Fig. 25),
404 S. M. Lukjanow:
einander fast völlig gleich. Man darf indessen nicht unbe-
achtet lassen, dass für gewöhnlich ein Pronueleus grösser als der
_ andere erscheint. Das Gerüst der Pronuclei tritt sehr undeutlich
hervor. An den „Knotenpunkten“ der dünnen Chromatinfäden
werden zuweilen sehr feine, etwas intensiver tingirte Körnchen
beobachtet. Die Kernmembran ist ebenfalls undeutlich zu sehen.
Ab und zu ist man in der Lage sich zu überzeugen, dass die
Fäden des Gerüstes mit kleinen Körnchen der Chromatinsubstanz
in der Membran endigen. Wir entdecken in den Pronucelei central
oder excentrisch gelegene Kernkörperchen, welche bei unserer zu-
sammengesetzten Tinction nicht selten eine Mischfärbung zeigen.
Sind die Vorkerne verschieden gross, so besitzen auch die Kern-
körperchen ungleiche Dimensionen; in den grösseren Nucleolen
bin ich oft auf Andeutungen einer inneren Structur uud zwar in
Form einfacher oder Doppel-Vacuolen gestossen (Fig. 26). Nur
selten beherbergt der eine Pronucleus zwei Kernkörperchen, wäh-
rend der andere nur ein einziges besitzt. Wie aber auch diese Data
dürftig sein mögen, sie reichen immerhin aus, um die absolute
morphologische Identität des männlichen und des weiblichen Pro-
nucleus in Zweifel zu ziehen.
12. Für die Klarstellung der Art und Weise, wie sich der
Pronueleus bildet, ist der Umstand von gewissem Belang, dass
das Kernkörperchen der Eizelle zur Zeit des Auftretens der Polarkör-
perchen ungemein klein und in seiner Beziehung zu den Farbstoffen
manchmal etwas geändert erscheint (Fig. 12, 15). Mitunter ist es ganz
unmöglich, dasselbe zwischen den 16 hämatoxylophilen Elementen
ausfindig zu machen. Beim Betrachten der aus je 4 blauvioletten
Elementen zusammengesetzten Complexe, welche zur Bildung der
weiblichen Pronuclei dienen, habe ich nicht die mindeste Spur
jener von Safranin hell tingirten Plasmosomen gefunden, welche
bei Untersuehung der unbefruchteten Eizellen so grell in die
Augen fallen.
13. Auch die karyokinetischen Metamorphosen der Pronuelei
zeigen gleichfalls beachtenswerthe Eigenthümlichkeiten. Die Chro-
matinschleifen färben sich im Gegensatz zu den Befunden bei den
Polarkörperchen vorwiegend mit Safranin. Jedes Segment bietet
eine v-ähnliche Form dar; ausserdem bemerken wir, dass eine
jede Schleife aus einer Reihe kleiner rosenkranzartig angeordneter
Körner zusammengesetzt ist (Fig. 28). Aus dieser Schilderung
Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente b. Spulwurme d. Hundes. 405
geht hervor, dass die karyokinetische Metamorphose, welche von
den Eizellen in der nächsten Zeit nach der Befruchtung durchge-
macht wird, nur in Rücksicht auf das Verhalten den Färbemitteln
gegenüber mit der in den Eierstöcken beobachteten vollkommen
übereinstimmt: die Rosenkranzform der Chromatinschleifen, die
als ein morphologisches Unterscheidungsmerkmal dienen kann, ist
wohl nicht artifieiellen Ursprungs, da wir in einem und demselben
Präparate in den Ovarien ununterbrochene Fäden vorfinden. Auch
sehen wir, dass der karyokinetische Process sowohl im Gebiete
des Eierstockes, als auch in dem des Uterus ziemlich wesentlich
von den Vorgängen bei der Polarkörperchenbildung abweicht.
14. Die Blastomeren besitzen Kerne, welche den Pronuclei
ähnlich sind. Nur in einer Hinsicht lässt sich vielleicht ein Un-
terschied annehmen: die Nucleolen der bezüglichen Kerne tragen
entschieden den Charakter der Plasmosomen zur Schau (Fig. 29).
Die karyokinetischen Vorgänge, welche in diesen Kernen beob-
achtet werden, stimmen in Bezug auf ihre Farbenreaction mehr
oder weniger mit denjenigen überein, welche soeben Erwähnung
fanden. Die dabei ins Spiel kommenden Chromatinelemente
sind ungemein klein; ihre Zahl festzustellen ist recht schwer
(Fig. 30).
15. Indem ich mich auf die Wiedergabe des factischen Ma-
terials beschränke, will ich am Sehlusse nur der Hoffnung Raum
geben, dass die systematische Anwendung der kombinirten Tinc-
tionsmethoden mit der Zeit es uns möglich machen wird, sowohl
die Analogien, als auch die Unterschiede zwischen denjenigen
Processen zu erklären, welche sich in den sexuellen Elementen
theils bei der Reifung, theils bei der Befruchtung abspielen und
welche heutzutage, vielleicht übereilig, zusammengeworfen werden.
Um das Gesagte zu erläutern, sei nur auf Vorgänge bei Bildung
der Polarkörperchen hingewiesen. Entbehrt denn thatsächlich jeder
Bedeutung das hier zu constatirende Ueberwiegen des Hämatoxy-
lins, während ja beim regelrechten karyokinetischen Processe, den
wir in den Eierstöcken ete. beobachten können, die Chromatin-
elemente sich vorwiegend mit Safranin färben? Ist es denn nicht
interessant, dass vom befruchtenden Spermatozoiden die Eizelle
nur die hämatoxylophilen Elemente seines Kernes zur Ausbildung
des männlichen Pronucleus empfängt? Die Absicht, die Zahl der-
406 S. M. Lukjanow:
gleichen Fragen zu vergrössern, liegt mir fern, denn es ist viel
leichter sie zu formuliren, als befriedigend zu beantworten; ich
glaube indessen, dass das Klarlegen sowohl der specifischen Struc-
tur der sexuellen Elemente, als auch derjenigen der Zelle im All-
gemeinen zur Berücksichtigung derartiger Fragen immer mehr
und mehr auffordert.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII u. XXIV.
Alle Abbildungen sind mit Hülfe des Abbe’schen Zeichenapparats
bei Anwendung der apochromatischen Oelimmersionslinse von Zeiss (num,
Ap.—=1,30; aequiv. Br. = 2,0) und des Compensationsoculars 8 (Vergr. 1000)
angefertigt worden. Die rothen Töne entsprechen der Safraninfärbung, die
graublauen und dunkelvioletten der Hämatoxylinfärbung, die gelben der der
Aurantia, die dunkel bronzebraunen der Hämatoxylin-Aurantia Mischfärbung.
Um Raumersparniss zu erzielen, sind vielfach nur einzelne Theile der Zellen
in den Abbildungen wiedergegeben worden. Auch sind in einigen Abbil-
dungen die Details der Structur der Zellenleiber nur stellenweise einge-
zeichnet.
Tafel XXIH.
Fig. 1. Querschnitt durch den Ovarialtheil des Sexualrohres des Hundespul-
wurmes.
Fig. 2, a, b, c. Im Karyokinese begriffene Eizellen aus dem Ovarium.
Fig. 3 und 4. Kleine pyramidenförmige Eizellen; in den Kernen sieht man
je ein Plasmosoma; die hämatoxylophilen Gerüstelemente sind sehr
regelmässig angeordnet.
Fig. 5 und 6. Grössere pyramidenförmige Eizellen mit ausgebuchteten und
sternförmigen Kernen; in einem Kerne ein Plasmosoma, im ande-
ren zwei.
Fig. 7. In Karyokinese begriffener Kern einer pyramidenförmigen Eizelle.
Fig. 8. Sternförmiger Kern einer Eizelle mit grossem ovoidem Plasmosoma
und mehreren kleinen Karyosomen.
Einige
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
9
10.
il.
15.
16,
20.
21.
22.
Bemerkungen über sexuelle Elemente b. Spulwurme d. Hundes. 407
Ausgebuchteter Kern mit Plasmosoma, einigen Karyosomen und An-
dentungen von Bläschen.
Ausgebuchteter Kern einer Eizelle; neben dem Plasmosoma an voll-
ständig deutliche Hyalosomen gebundene Karyosomen.
Ausgebuchteter Kern einer. Eizelle; Plasmosoma darin excentrisch
gelegen; feine hämatoxylophile Körnchen, ebenfalls an Bläschen ge-
bunden und complicirte Systeme bildend.
. Der Kern der Eizelle zur Zeit des Eindringens des Spermatozoiden.
8 hämatoxylophile Körner-Paare; das Plasmosoma ist kleiner als in
früheren Stadien, ihre Färbung auch etwas modificirt.
Ein reifes Spermatozoid.
. a ein in eine Eizelle eingedrungenes Spermatozoid; der Kern des
letzteren besteht aus zwei hämatoxylophilen Elementen. b der Kern
der Eizelle, sich zur Polarkörperchenbildung anschickend.
Eine Eizelle. a = Spermatozoid; sein Verhalten den Farbstoffen
gegenüber ist etwas verändert; b = Kern der Eizelle mit 16 hä-
matoxylophilen Chromatinelementen und einem verkümmerten Plas-
mosoma.
17, 18 und 19. Verschiedene Formen der Desintegration des Sper-
matozoiden in der Eizelle.
a ein Spermatozoid in der Eizelle, das mit Vacuolen erfüllt ist.
b der Kern der betreffenden Eizelle mit einigen Abweichungen von
der Norm.
Tafel XXIV.
Ein Theil der Eizelle mit nach der Peripherie gerücktem Kerne,
in welchem der Zusammenhang der Doppelglieder zum Theil aufge-
löst ist.
Die Bildung des ersten Polarkörperchens.
23 und 24. Die Bildung des zweiten Polarkörperchens.
25.
26.
28.
Eine Eizelle mit den beiden Vorkernen und der Kappe des Sper-
matozoiden.
Ein Theil einer Eizelle mit den zwei Vorkernen, die je ein Kern-
körperchen enthalten; das eine Kernkörperchen ist grösser als das
andere und enthält Vacuolen.
. Ein Theil einer Eizelle mit zwei Pronuclei; der eine enthält zwei
Nucleolen, der andere einen.
Eine befruchtete Eizelle; darin eine karyokinetische Figur, deren
408 B. Solger:
safranophile Schleifen aus rosenkranzförmig angeordneten Körnern
bestehen.
Fig. 29. Zwei Blastomeren mit je einem Kerne.
Fig. 30. Ein Theil einer Furchungskugel mit im Mitose begriffenem
Kerne.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen
im Hyalinknorpel.
Von
Dr. B. Solger,
ao. Prof. und erstem Proseetor am anat. Institut zu Greifswald.
Hierzu Tafel XXV.
Der eigenthümliche Befund in den Knorpelhöhlen und wei-
terhin in der nächsten Umgebung derselben, über den ich in den
folgenden Blättern zunächst berichten möchte, schliesst sich am
engsten an Neumann’s „pericelluläre Substanz‘ an, wie er
sie vor Jahren in seiner zweiten, in diesem Archiv!) ver-
öffentlichten Mittheilung über den Gegenstand und zwar von einem
Enchondrom geschildert hat. Ich hebe ausdrücklich hervor, dass
ich der in einer früheren Arbeit?) formulirten Vorstellung dessel-
ben Autors, die pericelluläre Substanz stelle einen normalen Be-
1) Neumann, E., Die Jodreaction der Knorpel- und Chordazellen,
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 14, S. 54—59, 1 Taf. (1877).
2) Neumann, E., Bemerkungen über das Knorpelgewebe und den
Össificationsprocess, Archiv f. Heilkunde, Bd. XI, S. 414—424, 3 Fig.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 409
standtheil des ausgebildeten Knorpels dar!), nicht beitreten
kann.
Den von mir angestellten Untersuchungen lag fast ausschliess-
lich die knorpelige Nasenscheidewand des Hammels zu Grunde.
Leider ist das Objeet, an welchem ich zuerst die demnächst vor-
zutragenden Beobachtungen machte (allerdings an Hunderten vou
Schnitten), bisher auch das einzige geblieben, trotz meiner Be-
mühungen, weiteres thierisches Material zu erhalten, das zur Fort-
führung der Untersuchung geeignet gewesen wäre. Doch kann
ich wenigstens noch eine Beobachtung am menschlichen Rippen-
knorpel eines 19jährigen Individuums hinzufügen, welche sich
dem am thierischen Organismus Gefundenen ungezwungen anreiht.
Beobachtungen am thierischen Material.
Das knorpelige Septum narium eines Schafes war ganz frisch
in 0,2 °/ige Chromsäure gelegt worden. Nach 24 Stunden wurde
das Gewebsstück gut ausgewässert, kam dann in 70 °/,igen, hier-
auf in 96 °/,igen Alcohol und wurde schliesslich in 70 %/sigem Al-
cohol aufbewahrt. Da die Conservirung des gesammten Materials
in der angegebenen Weise erfolgt war, ehe ich von den eigen-
thümlichen Ablagerungen im Bereich der Knorpelzellen und inner-
halb der Intercellularsubstanz Kenntniss hatte, war leider die
Prüfung derselben mit gewissen Reagentien, die sich darboten
(mit Jodlösung z. B.), ausgeschlossen oder versprach doch nur un-
vollkommene Ergebnisse. Bei manchen andern Substanzen aber
(Ale. absol., Aether, Salzsäure, Kalilauge) und ebenso bei der Wahl
der Farbstoffe und der Aufhellungsmittel trat dieser Umstand dem
Untersucher kaum hinderlich in den Weg, und so konnte denn
auch die Nachbehandlung der Schnitte mit den soeben angeführten
Mitteln in der mannigfachsten Weise variirt werden.
An ungefärbten, nicht zu dünnen Schnitten durch das knor-
pelige Septum, die mit schwächern Systemen (Zeiss A) bei auf-
fallendem Lichte untersucht werden, unterscheidet man drei Zonen,
1) In seiner ersten Mittheilung (1870) spricht Neumann von einer
dreifachen Gliederung, welche die ursprünglich homogene Grundsubstanz im
Verlauf ihrer Entwicklung erleide, nämlich in den hyalinen Saum der Peri-
cellularsubstanz, sodann in die sie umfassende glänzende Kapselsubstanz und
endlich in die Intercellularsubstanz (Archiv f. Heilkunde, Bd. XI, S. 416).
410 B. Solger:
ein breites, centrales, opak erscheinendes Gebiet, das auf beiden
Seiten zunächst von zwei schmalen, glasartig durchsichtigen Streifen
eingefasst wird; auf letztere folgen dann die gleichfalls schmalen
und opaken subperichondralen Zonen, welche ohne scharfe Grenze
in die Knorpelhaut übergehen. Die zwischen dem centralen Ge-
biet und den subperichondralen Zonen eingeschobene, interme-
diäre Schicht, wie ich sie im Anschluss an eine im ähnlichen
Sinne gebrauchte Bezeichnung Rheiner’s nennen will, interessirt
uns in erster Linie, denn nur in ihrem Bereiche kommen die peri-
cellulären Ablagerungen vor, um welche es sich hier vor Allem
handelt. Die beiden andern Schichten, die centrale und die
beiden subperichondralen, werden erst später für uns in Betracht
kommen.
Der Peripherie weitaus der meisten Zellen, welche in der
intermediären Lage sich finden, liegt eine Masse an, die durch
eine Anzahl von Merkmalen von dem Zellkörper selbst, aber
ebenso auch von dem Kern !) sich unterscheidet. Diese den
Zellen anliegenden Massen zeigen nun aber auch unter sich nicht °
überall völlig das gleiche Verhalten. Es lässt sich vielmehr, wenn
man von der peripheren Grenze dieser Zone zur centralen fort-
schreitend das betreffende Material mustert, an geeigneten Stellen
eine zusammenhängende genetische Reihe herstellen, deren jüngste
Glieder mit dem peripheren, deren älteste mit dem centralen
Abschnitt jener Zone zusammenfallen. Die Wandlungen, welche
die ganze Enwicklungsreihe characterisiren, lassen sich am Besten
an der Hand der beigegebenen Fig. 1, Taf. XXV schildern.
Man braucht nicht lange zu suchen, um auf Schnitten Dutzende
von Zellreihen zu finden, die in allen wesentlichen Stücken mit
der in Fig. 1 getreu wiedergegebenen Gruppe übereinstimmen.
Die abgebildeten neun Knorpelzellen (resp. Knorpelhöhlen) der
intermediären Zone waren, wie schon aus der characteristischen
Form der Zellen hervorgeht, in der Weise im Septum orientirt,
dass « der perichondralen, ı der centralen Zone benachbart war;
die Richtung der freien Fläche der subperichondralen Zone und
1) Gemeinsam mit dem Kern ist ihr nur der beträchtliche Glanz, der
an ungefärbten, in Wasser bei schwächeren Vergrösserungen untersuchten
Schnitten sowohl der pericellulären Substanz, als auch dem homogen erschei-
nenden Zellkern eigen ist.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 411
somit des knorpeligen Septums überhaupt verläuft der Längs-
axe der Zelle « parallel. Gegen die centrale Zone hin treten
an Stelle der senkreeht zur Richtung der Oberfläche abgeplatteten
Zellen allmählich elliptische oder kugelige Elemente, die häufig
durch ihre Lagerung und ihre übereinstimmende Form als Glieder
einer Generation sich erweisen. Gruppen von vier nahe bei-
sammenstehenden, durch Theilung einer Mutterzelle hervorgegan-
genen Tochterzellen (Fig. 2) sind hier ein häufiges Vorkommniss.
Mit der allmählichen Umwandlung der Form geht eine Aen-
derung des optischen Verhaltens des Zellkörpers einher, wie
namentlich nach Einwirkung gewisser Farbstoffe (Kernschwarz
z. B.) klar zu sehen ist. Die mit ß, y, d, & bezeichneten Elemente
besitzen einen dunkelkörnigen Leib, während derselbe bei den
Zellen Z und ı hell und nur von einigen derberen Strängen durch-
zogen ist und manchmal sogar vacuolisirt erscheint. Der Kern
der mehr centralwärts gelegenen Zellen ist von unregelmässiger
Gestalt und seine Ecken verlängern sich manchmal in spitze Fort-
sätze. Ich beschreibe diese Form- und Structurverhältnisse, so
wie sie eben in dem Objeete sich darboten; Fixirung in dem
Flemming’schen Chromosmiumessigsäure-Gemisch hätte unzwei-
felhaft die Zellkörper- und Zellkernstructuren besser fixirt. —
Manche der Knorpelhöhlen beherbergen ausser dem in Kernschwarz
grau gewordenen Zellenleib. noch eine fast homogene lichtere
Masse von mattem Glanze, die durch eine feine Spalte von ihm
getrennt ist, während sie der Wandung der Höhle eng anzuliegen
pflegt (Zelle 8, y, 6). Diese Inhaltsmasse der Knorpelhöhle liegt
bald auf der perichondralen, bald auf der centralen Seite der
Zelle. Die Knorpelzelle und weiterhin die Knorpelhöhle wird nun
aber noch von einer zweiten Art von Ablagerung flankirt, die
nach meinen bisherigen Erfahrungen fast ausnahmlos cen-
tralwärts von der betreffenden Knorpelzelle liegen und durch
manche Eigenthümlichkeiten von der vorigen Substanz !) sich unter-
scheiden. Schon die Form dieser zweiten Ablagerung ist höchst
characteristisch, sie sind stets sichel- oder halbmondförmig ge-
staltet (Zelle y„—n) und in der Einzahl oder noch häufiger in der
Mehrzahl dem centralen Pol einer Zelle angeschlossen. Zwei,
1) Beide erweisen sich übrigens bei Untersuchung im polarisirten
Lichte als einfach brechend.
412 R. Solger:
drei, selbst fünf (Fig. 3) solcher Sicheln sah ich, kurze Zwischen-
räume zwischen sich lassend, neben einander gruppirt. Sie nehmen
dabei stets an Grösse ab und verlieren gleichzeitig an scharfer
Begrenzung, so dass das letzte Glied dieser Reihe manchmal nur
von einigen blassen Körnchen repräsentirt wird. Der erste und
zugleich grösste Halbmond ist gegen den Zellkörper hin stets
scharf begrenzt; er ist in die Wandung der Knorpelhöhle gleich-
sam eingesprengt und bleibt an Ort und Stelle, wenn die Zelle
herausfällt, während die auf sie folgenden Sicheln rings von
Intercellularsubstanz umgeben sind. Gewöhnlich ist sein concaver,
freier Rand eingekerbt, und diese Einkerbungen stehen offenbar in
irgend welchen Beziehungen zu den dunklen Schatten, die quer
über die Gebilde verlaufen. So entsteht der Eindruck einer Glie-
derung oder einer Zusammensetzung aus Stäbchen. In Kern-
schwarz, das allerdings nur wenige Minuten eingewirkt hatte,
bleiben die Sicheln ungefärbt, allein sie heben sich durch ihren
natürlichen Glanz (bei schwächeren Vergrösserungen auch durch
einen leicht gelblichen Farbenton), wenn man dem Präparat nur
Wasser, verdünntes oder reines Glycerin zugesetzt hatte, ungemein
scharf (wenigstens die grösseren, der Zelle näher belegenen) von
ihrer Umgebung ab; an Dauerpräparaten in reinem Glycerin er-
hielten sie sich seit drei Vierteljahren unverändert.
Ebensowenig als mit Kernschwarz gelingt ihre Färbung mit
saurem Hämatoxylin (nur die Intercellularsubstanz wurde etwas
tingirt) oder den verschiedenen Karminlösungen (Alauncarmin,
carminsaurem Natron, ammoniakalischem Carmin), wohl aber mit
Methylgrün und mit Eosin. In wasserlöslichem Methylgrün, das
ich von Trommsdorf in Erfurt bezogen hatte, nehmen sie ebenso
wie der Kern eine blaugrüne Färbung an; in wasserlöslichem
Eosin wurden sie intensiv ziegelroth, während die Grundsubstanz
nur ganz blassrosa erschien. Eosinpräparate mit ihrer Farben-
differenzirung zu conserviren, versuchte ich mit Erfolg, wenn ich
nach raschem Abspülen in Aqu. destill. die Präparate in gesät-
tigter Alaunlösung auswusch und auch dem Glycerin einige Alaun-
körnchen beifügte. Ueberhaupt kann ich, nach meinen bisherigen
Erfahrungen, nur das Glycerin als Einschlussmittel für Dauerpräparate
der Sicheln empfehlen. In Rieinusöl, in Nelken- oder Bergambottöl,
in Terpentinöl werden sie zu hell, und schliesst man gar in Balsam
oder Harz ein, so verschwinden sie beinahe ganz. Doch lösen sie
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 413
sich dabei nicht, denn man kann durch Verdrängen des Balsams und
des Oels ihr früberes Aussehen wieder herstellen, denn in Alcohol
absolutus halten sie sich. Ebenso beständig als in Alcohol sind
sie in Aether und in Wasser. Osmium schwärzt sie nicht,
während die Fetttröpfehen innerhalb der Knorpelzellen trotz der
Vorbehandlung noch die characteristische Reaction lieferten, in
10 %/, iger Salzsäure lösen sie sich auch nach einviertelstündiger
Einwirkung nicht. Es kann sich somit auf keinen Fall um Fett
oder Kalk handeln. Zusatz von 10 °/,iger Kalilauge bringt die
dunkeln Streifen der Sicheln rasch zum Verschwinden, auch
blassen ihre Grenzeonturen rasch ab; neutralisirt man nun aber
das Alkali, so tritt das frühere Aussehen fast vollkommen genau
wieder hervor. Auf Jodlösung (3—5 Tropfen auf ein Uhrschäl-
chen mit Wasser) reagirte die Substanz nicht, während die Zellen
sehr gut hervorgehoben wurden. Dagegen färbten sie sich in
Kali hypermanganieum (2 %/, ige Lösung auf 10 Minuten) braungelb.
Es fragt sich nun: 1) Wo stammen die Halbmonde her ?
und: 2) Was wird aus ihnen ? Die Antwort auf die erste Frage
kann mit ziemlicher Sicherheit gegeben, die auf die zweite Frage
dagegen nur unter der Form einer Vermuthung ausgesprochen
werden. Die zuerst beschriebene, mattglänzende Sub-
stanz (Zelle £, d, e) ist wohl kaum anders als das Product
einer Zellenausscheidung zu deuten; sie ist in Alcohol ab-
solut. beständig, im Gegensatz zu hyalinen Tropfen, die (in Fig. 4
dargestellt) auf manchen Schnitten sich fanden und die in Alcohol
absolut. sich auflösten. Als ein Ausscheidungsproduect
der Knorpelzelle sehe ich auch die Halbmonde
oder Sieheln an, wenn ich auch über das Verhältniss der
beiden aleoholbeständigen Substanzen p und psi zu einander etwas
Bestimmtes nicht anzugeben weiss. Wahrscheinlich ist die mit
pbezeichnete, rein intracellular gelegene Sub-
stanz eine Vorstufe der Sicheln (psi). Die Anordnung
in Form nebeneinander liegender Segmente (bis 5) weist auf einen
zeitweise unterbrochenen Ausscheidungsvor-
gang hin. Die der Zelle benachbarten, demnach jüngsten und
regelmässig auch grössten Segmente sind sich übrigens manchmal
bis zur Berührung genähert. Aus dem stetigen Ab-
nehmen an Ausdehnung, das in demselben Maasse sich geltend
macht, als sie von der Zelle sich entfernen, schliesse ich auf
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 27
414 B. Solger:
einen Einschmelzungsprocess, dem sie zuletzt gänzlich verfallen.
Auch der Zerfall in neben einander liegende, tropfenartige
Segmente, den sie unter Umständen erleiden, wird in diesem Sinne
zu deuten sein. Die meisten Zeichen von Auflösung der Sicheln
trifft man übrigens nahe der centralen Zone; in ihren Gebieten
selbst aber fehlen Sicheln gänzlich und auch in der peripherischen
oder subperichondralen Zone werden sie vermisst. Sehr bemer-
kenswerth scheint mir noch der Umstand zu sein, dass Tochter-
zellen ganz gewöhnlich die Halbmonde nicht nur an demselben
Pole, sondern auch in gleicher oder doch fast vollkommen gleicher
Entfaltung und Gliederung aufweisen (vergl. Fig. 2).
Die intermediäre Zone nimmt also in dieser Beziehung eine
bevorzugte Stellung ein. Sehen wir nun zu, was sich durch Un-
tersuchung der übrigen Gebiete des knorpeligen Septums ermitteln
lässt! Die periphere, subperichondrale Zone umschliesst etwa 6
Lagen abgeplatteter Zellen, deren Körper und Kern allmählich
mehr an Volum gewinnt. Sie gehen ohne scharfe Grenze in die
elliptischen Elemente der folgenden Zone über. Bei Anwendung
stärkster Objectiv-Systeme (Zeiss, Apochromat, n. Ap. = 1,30)
erkennt man zwischen den kernhaltigen Flementen, deren Kern
durch das saure Hämatoxylin scharf umschrieben hervorgekoben
wird, noch ungemein schmale, blasse Spindeln oder Körnchenreihen,
ohne Spur eines Kerns. Das sind offenbar Reste zu Grunde ge-
gangener Zellen, zu deren Nachweis sich besonders Eosin empfiehlt
(Fig. 6 zu). Mit Hülfe desselben Färbeverfahrens lassen sich im
Bereiche der drei äusseren Zellenlagen auch feinste
elastische Fasern!) (Fig. 6, elf) sichtbar machen; sie treten
auf Frontalschnitten, wo sie der Quere nach durchtrennt werden,
besonders deutlich als rubinroth leuchtende Scheibehen hervor,
die beim Heben und Senken des Tubus sich in Stäbchen von
einer der Dieke des Schnitts entsprechenden Länge ausziehen. Sie
stehen einzeln oder in Gruppen von zweien oder dreien beisammen
1) Von ihnen darf ja in einem Artikel, der von pericellulären und
intercellulären Ablagerungen handelt, füglich gleichfalls die Rede sein, wenn
ich auch Kölliker beipflichten möchte, dass die elastischen Fasern ‚,‚einfach
durch eine besondere Umwandlung der Grundsubstanz bindegewebiger An-
lagen sich bilden“ (Handb. d. Gewebelehre, 6. Aufl., 1889, S. 117). In letzter
Instanz handelt es sich doch um Derivate der Bindegewebszellen.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 415
und stimmen vollkommen mit den übrigens viel zahlreicheren
elastischen Fasern des Perichondriums überein. In Essigsäure
(10 %/,), welehe die leimgebende Zwischensubstanz quellen macht,
bleiben sie unverändert. Weiter centralwärts nahm ich
Nichts mehr von ihnen wahr, sie verfallen also jeden-
falls, wenn sie durch Apposition neuer Schichten
mehr in das Innere des Knorpels gerückt sind, der
Auflösung. Ich habe sieübrigens auch auf Längsschnitten bemerkt,
doch ist dann ihre Färbung bei der geringeren Dicke der elasti-
schen Schicht eine weniger hervortretende. Das Vorkommen
elastischer Fasern in der subperichondralen Zone des
Hyalinknorpels bei einem Säugethier wird, so viel ich
weiss, an dieser Stelle zum ersten Male erwähnt; ich
fand sie übrigens auch in dem entsprechenden Gebiet des
Ethmoidalknorpels des Hechtes. Sie können als neuer
Beweis dafür dienen, dass die äusserste Zone des Knorpels ge-
wisse Eigenthümlichkeiten des Perichondriums, also des Binde-
gewebes, noch eine Zeit lang bewahrt. Es färbt sich die Grund-
substanz der subperichondralen Zone des Knorpels ebenso wie die
des Perichondriums in saurem oder Böhmer’schem Hämatoxylin
gar nicht, während beide sich in ammoniakalischem Karmin impräg-
niren. Es besteht also hier das gewöhnliche), schon von Toldt
(Lehrbuch d. Gewebelehre, 1884, S. 130) als gesetzmässig hinge-
stellte Verhalten. Auch Ranvier (Technisches Handb. d. H.,
S. 422) schliesst aus seinen an den Geweben der Encoche d’ossi-
fication der Säugethiere mit Purpurin und Chinolinblau angestellten
Färbungsversuchen, auf einen allmählichen Uebergang der chemi-
schen Eigenschaften des Bindegewebes in die des Knorpels; frei-
lich lässt er seine bogenförmigen Fasern aus dem Knorpel ent-
stehen (!).
Die zweite, gleichfalls wie die vorige paarige Zone, die in-
termediäre, wurde bezüglich ihrer Eigenthümlichkeiten schon ge-
schildert. Wohl aber ist über die unpaare centrale Zone
noch Einiges zu bemerken. Sie verdankt ihr opakes Aussehen
1) Der dem Perichondrium zunächst gelegene „Vorknorpel‘ der Elas-
mobranchier erweist sich nach Hasse (Das natürliche System der Elasmo-
branchier. Specieller Theil. 1882, S. 6) Farbstofflösungen — damit sind
Karmin und Hämatoxylinlösungen gemeint — gegenüber gleich empfänglich.
416 B. Solger:
bei auffallendem Lichte der beginnenden faserigen Zerklüftung
(Faserrichtung transversal). Die einzeln oder zu zweien beisam-
men stehenden Zellen zeigen sich vielfach ebenfalls in transver-
saler Richtung deutlich verlängert. In ihrer Umgebung besteht
stellenweise ‚‚körnige Degeneration“ (Rheiner). Es sind diese
Körner homogene, tropfenartige Ablagerungen, meist von kugeliger
Gestalt, die in der nächsten Umgebung der Wandung der Knor-
pelhöhlen die Intercellularsubstanz durchsetzen. Mit sauerem Hä-
matoxylin konnte ich sie blau tingiren (Fig. 7), doch war der
Farbenton derselben bei Weitem nicht so intensiv, als der des
Kerns. Kleinere, im Innern der Knorpelhöhle gelegene Tröpfchen
blieben dabei ungefärbt, doch darf man daraus noch keineswegs
schliessen, dass diese letzteren mit den blauen Körnern in gar
keinem Zusammenhang stäuden. In Eosin färbten sich die Körner
(wahrscheinlich in Folge der Chromsäurewirkung) nur gelbroth
(s. unten die Angabe über Eosinfärbung der Körner im mensch-
lichen Arytaenoidknorpel). In Alec. absol., Aether, 10 /,iger Salz-
säure hielten sie sich bei !/;stündiger Einwirkung des betreffenden
Reagens; Kalilauge brachte sie aber im Verlauf dieser Zeit zur
Lösung.
Die Körner zeigen also in mancher Beziehung das
gleiche Verhalten wie die Halbmonde. Dagegen dürfen wir,
wie mir scheint, nicht daran denken, beide Substanzen zu einander
in genetische Beziehung zu bringen. Zwar konnte festgestellt
werden, dass sie neben einander in demselben Schnitt vorkom-
men; aber dafür zeigten weite Strecken des Objects nur die Halb-
monde oder Sicheln allein. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass
ihr gleichzeitiges Vorkommen von den Autoren, die über „körnige
Degeneration“ (Rheiner, 1852) oder „körnige Infiltration“
(Schottelius, 1879) schrieben, nicht beobachtet wurde.
Wenn ich nun am Schlusse dieses Abschnitts nochmals zu
der Frage zurückkehre: Was wird aus den Halbmonden? so lautet
die Antwort, die zur Zeit darauf erfolgen kann: Sie verschwin-
den in derIntercellularsubstanz, sie werden dort auf-
gelöst. Ob sie aber innerhalb derselben unter irgend
einer Form wieder auftauchen, oder ob sie an Ort und
Stelle zum Aufbau der Intercellularsubstanz verwen-
det werden, kann ich zur Zeit-nicht entscheiden. Ich
füge noch hinzu, dass ich der Form und dem Lichtbrechungsver-
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 417
mögen nach zu urtheilen mit jenen identische Abscheidungen
auch beim Menschen (Fig. 8) wahrgenommen habe.
Besprechung der Literaturangaben. Von
einer Anzahl Autoren wurden vor längerer Zeit und erst neuer-
dings wieder Beobachtungen veröffentlicht, welehe manche Züge
- mit dem soeben entworfenen Bilde gemein haben. Doch wird
Manches, das auf den ersten Bliek hierher zu gehören schien, aus-
zuschliessen sein. Ich denke dabei besonders an die Mittheilungen
von Neumann, A. Genzmer, J. Arnold, Schaffer. Czermak
und Deekhuyzen (mir erst nach Abschluss des Manuseripts
zugekommen), endlich an die Abhandlungen von Rheiner (1852)
und Sehottelius (1877).
Neumann!) fand, dass in schwachen Jodlösungen, welche
andere Gewebstheile, u. A. auch die Kerne der Knorpelzellen nur
blassgelblich färben, der Körper der Knorpelzellen in wechselnder
Ausdehnung sich rothbraun tingire. Diese Jodreaction, welche er
als ein physiologisches Attribut der Knorpelzelle hinstellt, wird
durch eine Substanz veranlasst, die dem Protoplasma angehört,
im frischen Zustand farblos, homogen und glänzend erscheint
und daher von dem granulirten Protoplasma scharf sich abhebt.
Wahrscheinlich besitzt sie zähflüssige Consistenz. Die Anordnung
und Ausbreitung dieser in Jod rothbraun sich färbenden Substanz
ist sehr verschieden, indem sie bald nur in einzelnen Tropfen im
Innern der Zelle oder in ihrer Peripherie angesammelt erscheint,
bald die Oberfläche der Zelle grösstentheils oder vollständig um-
fliesst. Sie fehlt im hyalinen Knorpel nur den platten Zellen der
subperiehondralen Zone ganz, ist ferner den Zellen des Faser-
und Netzknorpels und den sternförmigen Zellen gewisser Enchon-
drome (auf sie beziehen sich die Abbildungen) eigen und kommt
schon dem embryonalen Knorpelgewebe zu. In derselben Weise
reagiren auch die Zellen der Chorda dorsalis bei Petromyzon,
Rana und bei menschlichen Embryonen; die Chordazellen geben
ausserdem, wie Jaffe ermittelte, die Glycogenreaction, welche
1) Neumann, E., Die Jodreaction der Knorpel- und Chordazellen,
Arch. f. mikroskop. Anat., Bd. 14, S. 54—59, 1 Tafel (1877).
418 B. Solger:
beim Knorpel nicht gelang, während Ranvier in seinem techni-
schen Handbuche die Bräunung der Knorpelzelle durch Jod gleich-
falls auf Glycogen bezieht. Neumann verweist übrigens auch
auf die Angaben von Heitzmann (Wien. med. Jahrb. 1872), der
kernlose, stark glänzende Knorpelzellen beschreibt und ferner
von solehen spricht, deren Körper z. Th. blass und feinkörnig,
z. Th. besonders an einer Randpartie glänzend sei. Heitzmann
scheint jedoch die Einwirkung von Jod lösungen nicht geprüft zu
haben.
Ich habe gleich an der Spitze dieses’Aufsatzes auf die Aehn-
lichkeit des von mir am Septum gemachten Befundes mit Neu-
mann’s pericellulärer Substanz hingewiesen, obwohl auch von mir
die Jodprobe am frischen Gewebe nicht mehr ausgeführt werden
konnte. Dabei hatte ich vor Allem die Figuren 3, 7 und 9 auf
Neumann’s Tafel im Sinne, welche die Substanz (ungefärbt und
rothbraun tingirt) zur Anschauung bringen. Hier scheint die Sub-
stanz völlig innerhalb der Knorpelhöblen zu liegen, ähnlich wie
ich dies bei den Zellen %, d, e meiner Figur 1 fand. Es wird
hun von der Gewinnung frischen Materials, an welchem die Prü-
fung mit Jod vorgenommen werden kann, abhängen, ob an der
von mir einstweilen nur für höchst wahrscheinlich erachteten I[den-
tität des von Neumann und von mir nachgewiesenen Materials
festgehalten werden muss.
Als nahe verwandt, vielleicht als identisch ist auch die Sub-
stanz aufzuführen, die A. Genzmer (Virch. Arch. Bd. 67, S.75 ff.)
in Knorpelhöhlen des Schenkelkopfes junger Kaninchen auffand,
und zwar im Bereiche der von Knochen eingeschlossenen Knor-
pelinseln. Er beschreibt das mieroscopische Bild, das sich ihm
nach 24-48 stündiger Einwirkung von Holzessig darbot, folgen-
dermassen: Während der Kern der betreffenden Zellen meist
eckig und verhältnissmässig gross ist, erscheint der Zellenleib
durchgehends etwas kleiner als sonst, sein Protoplasma grobkörnig.
Als besonders auffallend bezeichnet er eine Schicht grosser Körner,
welche der Zellperipherie anliegt und auf welche manchmal noch
eine zweite folgt, die den Kern einschliesst. In leeren Knorpel-
höhlen haftet die periphere Körnerschicht der Aussenwand an.
Genzmer bringt diese periphere Körnelung, die er auch an ganz
frischen Objecten andeutungsweise fand, mit der Verkalkung des
Knorpels in Zusammenhang.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 419
Für eine den Knorpelzellen zukommende pericelluläre Sub-
stanz im Sinne Neumann’s trat vor Kurzem auch Schaffer!)
auf. Er sah an gewissen Knorpelzellen des embryonalen Unter-
kiefergelenkfortsatzes, die im frischen Zustand ihre Höhlen voll-
kommen ausfüllten, nach Einwirkung von Chromsalzen ein Netz-
werk auftreten, das in Hämatoxylin sich färbte. Schon durch ihre
Färbbarkeit in Hämatoxylin würde sich diese Substanz von den
von mir beschriebenen Massen, auf welche allerdings vorher Chrom-
säure (0,2°/,) eingewirkt hatte, unterscheiden. Aber auch die
Vergleichung der Abbildung eines Präparats, das mit einem
Anilinfarbstoff in Berührung gebracht worden war, mit den von
Neumann und mir gegebenen Figuren, lässt keine Uebereinstim-
mung hervortreten (efr. l. ec. S. 371, und Fig. 25, Tafel XII).
In einer vor Kurzem in Prag erschienenen Abhandlung: „O
tvoreni se kosti (sur la formation des os)“ ?) von JanosSik, die mir
durch die Güte des Verfassers zuging, wird denn auch das Vor-
kommen einer pericellulären Substanz, wie sie nach Jodeinwirkung
von Neumann und neuerdings von Schaffer beschrieben werde,
gänzlich in Abrede gestellt (l. ec. p. 36). Man könne wohl von
einer intercellulären Flüssigkeit reden, die, während sich die Zelle
von der Wandung zurückziehe, aus dem Plasma frei werde und
um die geschrumpfte Zelle sich ergiesse, aber niemals von einer
pericellulären Flüssigkeit.
Andererseits hatte, woran hier erinnert sein mag, schon vor
einer Reihe von Jahren J. Arnold?) sich dahin geäussert, dass
die Knorpelzelle von einer, wenn auch sehr dünnen Schichte des
Ernährungsmaterials umflossen sei, welches in diesen pericellulären
Raum durch feine, in der Knorpelkapsel radiär verlaufende (in-
tracapsuläre) Spalten gelange (l. c. p. 143). Klebs (Arch. f. exp.
Pathol., 1874, p. 437) und Genzmer (Virch. Arch., Bd. 67, p. 75,
Taf. II, Fig. 1) unterscheiden dagegen an der Knorpelzelle eine
besondere homogene Randschicht.
Nach Abschluss des Manuscripts erhielt ich durch die Freund-
1) Schaffer, Die Verknöcherung des Unterkiefers und die Metaplasie-
frage, Arch. f. mikroskop. Anat., Bd. 32.
2) Sonderabdruck aus „Sborniku l&ekarsk&ho“.
3) Virch. Arch., Bd. 73, S. 125—146, 1 Taf.
420 B. Solger:
lichkeit des Verfassers den Aufsatz von Deckhuyzen: Het hyaline
kraakbeen, zijn beteekenis en zijn groei!), der sich auf Unter-
suchungen am Knorpel des Frosches bezieht. Unter den bemer-
kenswerthen Eigenschaften der Knorpelzelle (ihrer ausgesproche-
nen Neigung, zu schrumpfen u. s. w.) wird auf Seite 8 (258) auch
die Anwesenheit einer Mikrosomenlage aufgeführt, die ihrer Peri-
pherie anliegen und wahrscheinlich mit der Bildung gewisser Be-
standtheile der Zwischensubstanz in Beziehung stehen. Verfasser
verweist dann noch ausdrücklich auf die erste Publikation (Arch.
f. Heilkunde, XI, 1870) Neumann’s, dessen pericelluläre Substanz
wohl nur die geschwellte oder gequollene (in opgezwollen vorm)
Microsomenlage darstellt.
Nach Einsicht in die vom Februar 1888 datirte „Vorläufige
Mittheilung* von N. Czermak?) wird vielleicht mancher der
Leser der Meinung sein, die von demselben beschriebenen „halb-
mondförmigen Bildungen“* seien mit den von mir aufgefundenen
Sieheln identisch. Ich selbst neigte, als ich — kurz nach dem
Funde — im Januar d. J. auf Czermak’s Angaben aufmerksam
wurde, derselben Ansicht zu und hielt es daher für angezeigt,
meinerseits nicht vor dem Erscheinen der ausführlichen Publi-
cation Czermak'’s hervorzutreten. Unterdessen glaube ich
aber die wirklichen Halbmonde Czermak’s ‚kennen gelernt
zu haben, und zwar in der knorpeligen Anlage des Schulter-
sürtels kleiner Exemplare von Esox luciuss. dem Hechte,
und möchte daher behaupten, dass sie von meinen sichelförmigen
Abseheidungen völlig verschieden sind. Czermak’s Angabe lautet
wörtlich: „In den Gelenk-, Rippen- und Ohrknorpeln junger
Thiere trifft man auf Zellen, welche halbmondförmig die benach-
barte Schwesterzelle umfassen. Halbmondförmige Bildungen kommen
auch in der Grundsubstanz vor: sie unklammern innig die Zellen-
höhlung nnd besitzen an einem Ende, bisweilen auch in der Mitte,
1) Sonderabdruck aus der ‚„Nederlandsch Tijdschrift voor Genees-
kunde“, 1889.
2) N. Czermak, Vergleichende Studien über die Entwicklung des
Knochen- und Knorpelgewebes, Anatom. Anz., III, S. 470—480.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 421
einige Körnchen (Kernrest); ihre Grösse und Gestalt entspricht
ganz denen der halbmondförmigen; an einigen bemerkt man deut-
lich eine Streifung“ (l. e. p. 476). Es handelt sich also nicht um Aus-
scheidungen von Zellen, sondern um vollständige Zellenindividuen
selbst, deren Substanz im Begriff ist, in Fibrillenbüschel sich un-
zubilden. Denn es heisst weiter: „Augenscheinlich kann die eine
der Schwesterzellen, sich zum Fibrillenbüschel umwandelnd, ein
Grundsubstanzscheibehen bilden, während die andere fortfährt, alle
Funktionen der Knorpelzelle auszuüben.“ Demnach muss wohl
auch die „Streifung“ der Halbmonde, von der Czermak spricht,
anderer Art sein, als die grobe Stäbehenstructur der oben be-
schriebenen sichelförmigen Abscheidungen. — Wie sich übrigens
seine Halbmonde zu Strasser’s!) prochondralen Elementen,
die doch auch von einzelnen (durch stärkere Compressionsvorgänge
veränderten) Zellen und Zelltheilen abgeleitet werden, verhalten, wird
von Czermak nicht erörtert. Im Anschluss hieran möchte ich noch
an eine ältere Abbildung Kölliker’s?) erinnern, auf welcher
Knorpelzellen aus dem Humerus eines 13 mm langen Schafeinbryo’s
zu sehen sind; die meisten dieser Elemente besitzen einen „hellen
‚ Inhalt“, aber zwei von ihnen „haben noch Reste des früheren
dieken Cytoplasma“ ), welehe in Form eines Halbmondes den
Zellkörper umgreifen, oder der Wandung der Knorpelhöhle selbst
angehören (welche dieser Deutungen die richtige ist, lässt sich
aus der Figur nicht entnehmen) und von der Intercellularsubstanz
scharf sich absetzen.
Nach dieser bis auf die jüngste Zeit fortgeführten literarischen
Uebersicht scheint also die Frage nach der Form und besonders
nach der mikroskopisch sichtbaren Form, unter
der sieh die Knorpelzelle an der Bildung der
1) Morphol. Jahrbuch, Bd. V, 1879, S. 240—315, 4 Taf.
2) Handbuch d. Gewebelehre, 5. Aufl., Fig. 152 auf Seite 209.
3) „Protoplasma‘“ (Kölliker’s Gewebelehre, 6. Aufl., 1889, p. 316,
Anmerkung).
422 B. Solger:
Intercellularsubstanz!) und des letzterer voran-
gehen den Alveolenwerks betheiligt (Strasser, 1. e.)?)
wieder in den Vordergrund gerückt zu sein. Was den von mir mit-
getheilten Befund, der in diesem Sinne gedeutet werden könnte,
angeht, so scheint er mir, wie schon bemerkt, weniger als eine
Phase des Aufbaues, sondern vielmehr als ein Zeichen der Rück-
bildung des betreffenden Knorpels aufgefasst werden zu müssen.
Die ‚,„körnige Umwandlung“ (Rheiner) oder
die „körnige Infiltration* (Schottelius) der
menschliehen Kehlkopfknorpel. Die „körnige Um-
wandlung“ wurde zum ersten Male von H. Rheiner?°) im Jahre
1852 beschrieben. Die (im Ganzen etwas mannigfaltige) äussere
Erscheinung der „Körner“ und ihr constantes Verhalten gegen eine
Anzahl von Reagentien wurde von ihm auf das Genaueste fest-
gestellt. Nach seinen Erfahrungen treten in der nächsten Um-
gebung der Zellen, ohne dass diese jedoch ursprünglich an dem
Processe Theil zu nehmen scheinen, also zunächst in der Inter--
cellularsubstanz dichte, feinkörnige Massen auf, die bald hell, bald
vollkommen undurchsichtig sind. Da, wo die Zellen spärlicher
beisammen stehen, finden sich „grössere Körner von meist glattem,
hellglänzendem Aussehen und anscheinend weicher Beschaffen-
heit“, zwischen denen wieder grössere, verschieden gestaltete
Massen von fast colloidem und dann auch solche von krystallini-
schem Aussehen eingesprengt sein können. Sie bieten somit nicht
nur bezüglich ihrer Grösse, ihrer Gestalt und ihres Glanzes,
sondern auch bezüglich ihrer Härte, soweit sich letztere aus dem
1) Nach C. Hasse (Das nat. System der Elasmobranchier. Besonderer
Theil. 1882) kann Intercellularsubstanz im Innern des Knorpels direkt von
den Zellen aus (ohne prochondrale Vorstufe, p. 18), aber „auch gänzlich
ausserhalb des Bereiches der Zelle“ (p. 16) sich bilden.
2) Kölliker vermag „Strasser’s Schilderungen der ersten Knorpel-
entwickelung“ (bei Urodelenlarven) „nicht zu bestätigen‘ (Gewebelehre, 6. Aufl.,
S. 317. F
3) Rheiner, H., Beiträge zur Histologie des Kehlkopfs, Inaug.-Abhand-
lung, Würzburg 1852, 44 Seiten.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 423
blossen Aussehen beurtheilen lässt, ein ziemlich wechselndes Ver-
halten dar. Am reinsten tritt dem Untersucher der Process an
solehen Knorpeln entgegen, an denen die Neigung zu faseriger
Texturveränderung mangelt, also am Giessbeckenknorpel. Doch
war er auch, in geringerer Ausbildung, am Schildknorpel und den
Trachealknorpeln, sowie — eigenthümlich modifieirt — auch im
Ringknorpel nachweisbar. Am Ringknorpel tritt nämlich die
körnige Umwandlung schon an einer bereits in Fasern zerspaltenen
Grundsubstanz auf; dieser Umstand beeinflusst deutlich die Form
der abgelagerten Massen. Sie erscheinen der Richtung der Streifen
entsprechend gedehnt, die zackigen und zerrissenen Bildungen
überwiegen hier über die mehr rundlichen, gleichmässig dimensio-
nirten Formen, welche der homogenen Intercellularsubstanz eigen
sind. Der Vorgang beschränkt sich übrigens am Giessbecken-
knorpel fast nur auf das centrale Gebiet des Knorpels. Der unter
dem Perichondrium gelegene Randstreifen bleibt stets frei und
nur selten wird die durch grössere dichtgelagerte Mutterzellen und
trübe, gelbliche Grundsubstanz characterisirte intermediäre Schicht
davon ergriffen. Dass Rheiner die Zellen zunächst für unbe-
theiligt erklärt, wurde schon erwähnt. Späfer tragen sie, ihm
zufolge, unverkennbare Spuren des Zerfalls. Die Zelle kann mit
körnigen Massen erfüllt sein, die wenigstens theilweise mit den
extracellulären Bildungen übereinstimmen und „wahrscheinlich aus
einem Zerfall des ursprünglich einfachen Kerns hervorgegangen
sind.“ Wie an der Zelle selbst, so können später auch an der
Zellenwandung mehr oder minder ausgesprochene Zeichen der
Destruction sich geltend machen. So erscheint unter Anderem der
normaler Weise glatte Durchschnitt der Zellwandung ‚rauh, höckerig“
und besteht „aus reihenweise hinter einander gelagerten Körnchen
von blassem“Aussehen“. Die granuläre oder körnige Entartung
geht also ursprünglich von ‚der Intercellularsubstanz aus, dehnt
sich später auf den Kern und Zelleninhalt aus und ergreift zuletzt
die Wandungen der Zelle selbst.
Die chemische Untersuchung der Körner ergab als einzige,
positive Ergebnisse nur soviel, dass weder Fett, noch Kalk vor-
liegen’könne. $Wasser, Weingeist, Aether, Essigsäure brachten bei
sewöhnlicher Temperatur ‚und bis zum Sieden erhitzt, keine Ver-
änderung an ihnen hervor, ebensowenig mässig verdünnte Salz-
säure, Schwefelsäure, Kalisolution in der Kälte. Wurden Schnitte
424 B. Solger:
in Kalisolution erwärmt, so begannen die Körner aufzuquellen,
. nahmen dann Tröpfchennatur an und lösten sich beim Kochen
schliesslich mit dem übrigen Gewebe vollständig auf. Aehnlich
verhielten sie sich mässig verdünnter Schwefel- und Salzsäure
gegenüber, nur dass hierbei kein sichtbares Aufquellen der Körner
vorausging. Beim Kochen mit salpetersaurem salpetrigsaurem
Quecksilberoxydul nahm der Knorpel, besonders aber die Körner-
masse eine rosenrothe Färbung an.
Diese eingehenden Angaben von Rheiner blieben bis auf
Schottelius, der im Jahre 1879 eine Abhandlung: „Untersuchun-
gen über physiologische und pathologische Texturveränderungen
der Kehlkopfknorpel“ veröffentlichte, unberücksichtigt. Er bestätigte
im Wesentlichen Rheiner’s Schilderung des mikroskopischen Bil-
des, möchte aber die Bezeichnung: „körnige Degeneration“ 1) lieber
für einen Zustand reserviren, der sich an die fibrilläre Degeneration
anschliesst und besonders nach Behandlung mit schwachen
Osmiumsäurelösungen sich zu erkennen giebt. Er spricht daher
von einer Inerustation der Zellen und einer körnigen Infiltration
der Grundsubstanz. Er schildert die Körner, die er schon im
Aryknorpel von 2—3 jährigen Individuen fand, als kugelrunde,
hellglänzende Gebilde, welche der Kapsel dicht aufzuliegen
scheinen. Dabei zeigte sich Protoplasma und Zellkern, soweit sie
durch die verdeckte Kapsel kenntlich waren, unverändert, selbst
wenn die ganze Intercellularsubstanz von Körnern strotzte. Ueber
ihre chemische Natur weiss er auch nur zu sagen, dass weder
Fett noch Kalk vorliege.
Nach Sehottelius scheinen weder die pathologischen
Anatomen noch die Vertreter der normalen Gewebelebre der
körnigen Infiltration besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu ha-
ben. Meiner Ueberzeugung nach fälltdieser Vor
sang in das Bereich der normaler Weise am
hyalinen Knorpel auftretenden regressiven
Metamorphose, ebenso wie die faserige Zerklüf-
tung. Zum abgerundeten Bilde einer Gewebsform gehören die
1) Auch bei Elasmobranchiern (Spinax) wird nach Hasse (l. c. p. 13)
die bisher fibrilläre Grundsubstanz des Vorknorpels „körnig“ und erweicht,
während das Zellprotoplasma die Schleim- oder Gallertmetamorphose durch-
macht. |
a A
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 425
sämmtlichen Phasen ihrer Entwicklung, und wenn auch natur-
gemäss die Genese und die Regeneration derselben unser Interesse
mehr fesselt, so darf die normale Anatomie doch auch die Er-
scheinungen der Rückbildungen nicht vernachlässigen. Dass die
genannten auch im frühesten Kindesalter auftreten, bestärkt mich
nur darin, sie für die normale Anatomie in Anspruch zu nehmen.
Eigene Untersuchungen. Um sicher zu sein, dass
in den Körnern des Septums dieselben Gebilde vorliegen, wie sie
von Rheiner und später von Schottelius an Kehlkopfknorpeln
geschildert werden, suchte ich sie an diesem Object selbst auf.
Sehnitte durch die oberen Trachealringe und den Aryknorpel eines
jugendlichen Individuums — das Material war direet in Alcohol
von 700), eingelegt — zeigten, in Wasser untersucht, die homogene
Zwischensubstanz von stark lichtbrechenden Gebilden durchsetzt,
die in Volum und Form einander durchaus nicht glichen. Es
waren theils feinste, kugelige Körnchen oder ellipsoide Gebilde
oder sie nahmen sich auch wohl wie höckerige Conglomerate aus.
Bezüglich ihrer optischen Eigenschaften sei bemerkt, dass sie
theils farblos, theils leichtgelblich erschienen und durch beträcht-
lichen Glanz sich auszeichneten, der aber den von Fett-Tropfen
nicht erreichte und in Balsampräparaten schwand. In Alkoh.
abs. oder in Aether hielten sie sich, ebenso in v. Ebner's Ent-
kalkungsflüssigkeit (Fig. 9). Sie zu färben gelang mir an dem
mit Alcohol und nachträglich noch mit Erlicky’scher Flüssigkeit
behandelten Material bei Anwendung von sauerem Haematoxylin
nicht !), wohl aber mit Hülfe von wasserlöslichem Eosin (in 1 %/,-iger
Lösung). Nach Auswaschen in Alaunlösung (eine Messerspitze
voll Alaun auf ein Uhrschälehen mit Aqu. dest.), in der auch
direet untersucht werden kann, zeigte sich folgendes Bild: Körner
und Knorpelzellen dunkelroth, hyaline Zwischensubstanz ganz
blassrosa, an dünnen Schnitten nahezu farblos, Heerde fibrillärer
Zerklüftung ziegelroth. In alaunhaltigem Glycerin hält sich diese
Farbendifferenzirung wochenlang.
Diese Angaben werden wohl ausreichen, um einmal die
Uebereinstimmung der Körner im Kehlkopf, die Rheiner,
1) Das Septum des Schafes, wo die Färbung gelang, war anders be-
handelt worden.
426 B. Solger:
Schottelius und mir vorgelegen hatten, unter einander und
sodann mit denen des Septums zu erhärten. — Fig. 9 zeigt bei
stärkster Vergrösserung (Zeiss Apochromat Ap = 1,30, Compen-
sations-Ocular 4) die kleinkörnige Infiltration der Knorpelhöhlen-
wandung und: die gleichwerthigen massigeren Conglomerate in
grösserer Entfernung von den Zellen (letztere deutlich im Sinne
der Richtung der faserigen Zerklüftung in die Länge gezogen),
durch v. Ebner’s Entkalkungsflüssigkeit unverändert.
Ganz ähnliche körnige Einlagerungen traf ich übrigens auch
im ossifieirenden, d. h. unter einem Knochenbelag schwindenden
Schädelknorpel beim Stichling (Gasterosteus aculeatus) an; besonders
deutlich im Knorpel der Ethmoidalregion. Auch hier sind es
scharf conturirte, glänzende Gebilde von wechselnder Grösse, die
durch Säure, Aleohol, Aether (bei gewöhnlicher Temperatur ange-
wandt) ebensowenig, wie die der Säugethiere und des Menschen verän-
dert werden. In Balsam werden sie gleichfalls sehr stark aufgehellt.
Das Vorkommen der körnigen Infiltration
an Knorpelpartien, die, wie es am Ethmoidknorpel der
Teleostier der Fall ist, von wachsenden Knochen über-
lagert und zum Schwunde gebracht werden,
spricht gleichfalls dafür, dass die körnige De-
generationebenso wie die faserige Zerklüftung
eine normale Begleiterseheinung der Rückbil-
dung des Knorpels darstellt. Ich möchte hier noch
daran erinnern, dass W. Krause (Allg. Anat. S. 73) geradezu von
einem bei der endochondralen Ossification zu beobachtenden
„körnigen Zerfall“ der Knorpelgrundsubstanz spricht.
Ueber pericelluläre und intercelluläre Ablagerungen im Hyalinknorpel. 427
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXV.
Die Figuren 1—7 beziehen sich auf die in 0,20%/iger Chromsäure
fixirte knorpelige Nasenscheidewand des Schafes, die Figuren 8 und 9 auf
menschlichen Knorpel (Rippe, Arytaenoidknorpel).
Fig. 1.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
[I
|
Zellenreihe («—ı) aus der intermediären Schicht, « der subperi-
chondralen, ı der centralen Schicht des Knorpels benachbart. Fär-
bung mit Kernschwarz. p pericelluläre Abscheidung, völlig inner-
halb der Knorpelhöhle gelegen, Vorstufe von psi. psi pericelluläre
Substanz in Form gegliederter Sicheln, in grösserer oder geringerer
Entfernung von der Knorpelhöhle gelegen, zum Theil schon in Auf-
lösung begriffen. Zeiss Apochromat 1,30 num. Apertur, Comp.
Ocular 8. Glycerinpräparat.
Gruppe von Tochterzellen resp. -Höhlen, um die gleiche Anordnung
und Ausbildung der pericellulären Substanz an den gleichwerthigen
Zellen zu zeigen. Intermediäre Lage des Septumknorpels, Zeiss F
Glycerinpräparat.
Fünf pericelluläre Sicheln (Maximum), ebendaher.
Knorpelzelle mit pericellulärer gegliederter Sichel und mit alcohol-
löslichen Tropfen (ict), ebendaher. Boraxcarmin. Zeiss Apochro-
mat 1,30. Apertur. Glycerinpräparat.
Pericelluläre Sicheln nach Färbung in wasserlöslichem Eosin, eben-
daher.
Durchschnitt senkrecht zur Oberfläche des Knorpels (Septum), nach
Eosinfärbung. hk subperichondrale Schicht des Knorpels, pch Pe-
richondrium, tiefste Lage. elf elastische Fasern (Querschnitt) im
Knorpel und im Perichondrium. zu Körnchenreihen (Reste zu
Grunde gehender Zellen der subperichondralen Schicht). Zeiss Apo-
chromat 1,30 Apertur. Präparat in alaunhaltigem Glycerin.
Körnige Infiltration (k) der centralen Schicht des Knorpels (Septum),
Färbung mit saurem Hämatoxylin, Balsampräparat. Zeiss Apo-
chromat 1,30 Apertur.
Leere Knorpelhöhle mit drei pericellulären Sicheln, aus einem
frischen, in 0,75 %/yiger Kochsalzlösung untersuchten Schnitt durch
die Rippe eines 19jährigen Menschen. Zeiss homogene Immer-
sion 1/18.
»
428 B. Solger: Ueber pericelluläre u. intercelluläre Ablagerungen u. s. w.
Fig. 9. Schnitt aus dem centralen Gebiet des menschlichen Giessbeckenknor-
pels, nach Einwirkung von 90°/,igem Alcohol, Aqu. dest, v. Eb-
ner’scher Entkalkungsflüssigkeit, in Wasser untersucht. k körnige
Infiltration der Wandung der Knorpelhöhle, k! körnige Infiltration
der Intercellularsubstanz, f faserige Zerklüftung ersten Grades. Zeiss
Apochromat 1,30 Apertur. Comp. Ocular 4.
Berichtigung.
Auf Tafel XII sind in Fig. 2 und 3 die rothen Strichelungen der
Zellen der Pylorusdrüsen bei der Lithographie ausserordentlich viel zu scharf
und zu dunkel ausgefallen. Ebenso die Punktirungen der Hauptzellen in den
Fundusdrüsen (Fig. 1, 2, 4, 5, 6, 7). Die Figuren erwecken deshalb nicht
eine zutreffende Vorstellung von den Bildern, welche die beiderlei Zellen bei
der Ehrlich-Biondi’schen Färbung geben.
Die postfoetale Histiogenese des Hodens der Maus
bis zur Pubertät.
Von
Dr. Friedrich Hermann,
Docent an dem anatomischen Institut der Universität Erlangen.
Hierzu Tafel XXV1.
Der Grund, der mir die Aufnahme von Untersuchungen über
diesen Gegenstand wünschenswerth erscheinen liess, bestand nicht
sowohl in einer gewissen Neugierde, ein Gebiet, das heutzutage
noch als ziemlich unbekannt gelten kann, zu betreten, als viel-
mehr in etwas ganz anderem. Bekanntlich liegt eine der Haupt-
schwierigkeiten, welche der Hoden des erwachsenen Säugethieres
einer histologischen Analyse entgegenstellt, darin, dass sich in
der epithelialen Wand des Samenkanälchens zwei Processe zu
gleicher Zeit abspielen, erstens die eigentliche Spermatogenese,
die Entstehung der Samenelemente aus ihren zelligen Vorläufern,
und dann der Vorgang einer ausgiebigen Regeneration, welche
die durch die Spermatogenese in Verlust gerathenen Zellelemente
wieder zu ersetzen bestimmt ist. Stellen wir uns diese beiden
Vorgänge unter dem Bilde zweier Kreislinien vor, so müssten
wir für die erstere die Vereinigung der Spermatiden mit einer
Benda’schen Fusszelle als Anfangspunkt, das im Lumen des
Hodenkanälchens freiliegende Spermatozoon als Schlusspunkt
betrachten, während die zweite mit der Neubildung von Sperma-
togonien beginnen, mit der reifen Spermatide endigen würde.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bä. 34. 28
430 Friedrich Hermann:
Eine neue Schwierigkeit entsteht nun dadurch, dass die Anfangs-
punkte beider Kreislinien im Epithellager des Samenkanälchens
nicht örtlich zusammenfallen, d. h. dass die Neubildung von Sper-
matogonien nicht mit der ersten Phase der Spermatogenese corre-
spondirt, sondern dass vielmehr die beiden Kreislinien etwas an-
einander verschoben sind. Einen Beweis, dass gerade durch
diesen letzteren Umstand so viel des Verwirrenden und Unsicheren
in die Histologie des Hodens herein gekommen ist, brauche ich
wohl nicht erst zu erbringen, genügt doch schon ein ziemlich
oberflächlicher Blick in die einschlägige Litteratur, nicht nur der
früheren, sondern auch der neuesten Zeit, um dies zu bestätigen.
Es dürfte nun zu erwarten sein, dass gerade eine Verfolgung
der postfötalen Histiogenese des Hodens bis in die Pubertätszeit
hinein geeignet sei, in diese Verhältnisse Klarheit zu bringen;
können wir doch bei dem jugendlichen Thiere den einen Kreis,
den Vorgang der Spermatogenese, von vorneherein ausschalten,
wodurch der andere nur umso deutlicher hervortreten wird, wobei
der Voraussetzung Raum gegeben werden dürfte, dass der Process
des Wachsthums im jugendlichen, der der Regeneration im er-
wachsenen, functionirenden Hoden gleiche Bahnen einschlagen
wird.
Endlich galt es noch für einen weiteren Punkt einen sicheren
Beweis zu liefern. Ich habe mich in einer früheren Arbeit !)
auf die Seite derjenigen Autoren gestellt, die in den sog. Benda-
schen Fusszellen Elemente erblicken, welche bei dem spermato-
genetischen Process an und für sich vollkommen unbetheiligt sind
und nur als Stützelemente fungiren, an denen angelagert die Sper-
matiden ihre Reifung in Spermatozoen durchmachen; ich habe
für diese Ansicht darin einen neuen Beweis erbracht zu haben
geglaubt, dass es mir gelang, in dem Kerne der Benda’schen
Fusszelie eine eigenthümliche Nucleolarbildung nachzuweisen, die
sich während des ganzen Vorganges der Samenbildung in gleich
typischer Weise erhält. Dieser Beweis dürfte dann noch mehr
an Sicherheit gewinnen, wenn es gelingen würde, auch in ganz
jugendlichen Hoden schon Kerne aufzufinden, die die characteri-
stische Nueleolarbildung beherbergen, wenn es möglich wäre fest-
1) Beiträge zur Histologie des Hodens. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 34,
Heft 1.
Die postfoetale Histiogenese des Hodens der Maus bis zur Pubertät. 431
zustellen, dass von vorneherein bei dem Aufbaue des Hodens
zweierlei Elemente betheiligt sind, einerseits Stützzellen, anderer-
seits die eigentlichen Drüsen- oder Samenbildungselemente. In
wieweit nun die durch die Untersuchung zu Tage geförderten
thatsächlichen Verhältnisse den eben prineipiell aufgestellten
Gesichtspunkten entsprechen, das soll den Inhalt der folgenden
Zeilen bilden.
Vorerst wollen wir uns nun einen Ueberblick verschaffen über
die recht spärlichen Angaben, die über unseren Gegenstand in
der Litteratur zu finden sind. Der erste, der sich mit der Straetur
des noch nicht geschlechtsreifen Hodens befasste, ist v. la
Valette St. @eorge!t), welcher die Verhältnisse beim Kalbe,
Kaninchen, Hunde und beim Menschen untersuchte. Das nicht
geschlechtsreife Hodenkanälchen birgt nach diesem Autor, eingebettet
in eine das Canallumen vollständig erfüllende Eiweissmasse, zweierlei
Kerne, erstens kleine, von runder oder ovaler Form, und zweitens, in
unregelmässigen Abständen zwischen jene vertheilt, grössere runde
Kerne, die von einer Lage nach aussen scharf abgegrenzten
Protoplasmas umgeben sind; diese Gebilde stellen die Spermatogo-
nien dar, die sich innerhalb des Lagers der ersteren Gebilde, der
sog. Follikelzellen, vermehren. Es nimmt also v. la Valette St.
George innerhalb der jugendlichen Samenkanälchen zweierlei
Elemente an.
Ganz im Gegensatz zu dieser Ansicht v. la Valette St.
George’s steht Biondi?), dem sich im Wesentlichen auch
Niessing°) anschliesst. Für Biondi durfte es ja im Hoden
nicht geschlechtsreifer Thiere nur Elemente von einerlei Natur
geben, leugnet er doch auch für den functionirenden Hoden das
Vorkommen stützender Zellelemente (Follikelzellen, Benda’sche
Fusszellen) vollkommen. Sosehen wir denn auf den Abbildungen,
die die Biondi’sche Beschreibung begleiten und die dem Hoden
des Kalbes entnommen sind, weiter nichts als runde Zellkerne,
welche in eine Zwischensubstanz eingebettet sind, die durch die
1) Ueber die Genese der Samenkörper. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 15.
2) Die Entwicklung der Spermatozoiden. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 25.
3) Untersuchungen über die Entwicklung und den feinsten Bau der
Samenfäden einiger Säugethiere. Verhandlungen der phys.-medic. Gesell-
schaft Würzburg, Bd. XXII, Nr. 2.
432 Friedrich Hermann:
Wirkung härtender Agentien ein eigenthümlich netzartig zerklüf-
tetes Gefüge annimmt. Auch die, nebenbei gesagt, recht mangel-
haften Zeichnungen Niessing’s lassen von einer Doppelnatur
der das Hodenkanälchen zusammensetzenden Elemente nichts
erkennen.
Meine Untersuchungen nun, zu denen junge weisse Mäuse
von den ersten Lebensstunden bis in die 6. Woche hinein ver-
wendet wurden, vermochten, um diesen Punkt gleich von vorne-
herein zu betonen, die Ansicht v. la Valette St. George’s
vollständig zu bestätigen.
Feine Querschnitte durch die Hoden neugeborener Mäuse
lassen nach Anwendung der in einer früheren Arbeit !) ausführlich
angegebenen Härtungs- und Tinctionsmethode zur Evidenz .er-
kennen, dass das Hodenkanälchen zu dieser Zeit, wie dies ja
schon von v. la Valette St. George angegeben wird, noch
kein eigentliches Lumen besitzt, vielmehr durchaus von einer
Protoplasmamasse ausgefüllt wird. Leuchtende, feine aber deut-
liche Linien, welche diese Masse durchziehen, lehren aber, dass
wir es nicht mit einer structurlosen Eiweissmasse, einer homogenen
Zwischensubstanz zu thun haben, wie dies neben v. la Valette
St. George auch Biondi behauptet, sondern dass sich die-
selbe aus den Zellkörpern der v. la Valette St. George’schen
Follikelzellen zusammensetzt. Ich muss nach meinen Präparaten
an der Deutung der feinen Linien als Zellgrenzen festhalten und
kann desshalb Biondi durchaus nicht beistimmen, wenn er
glaubt, dass das eigenthümliche netzartige Gefüge der Protoplasma-
masse einfach der Wirkung härtender Agentien seine Entstehung
verdankt. Dazu verlaufen die hellen Linien doch zu bestimmt
und regelmässig und ausserdem gelingt es häufig, mit Hilfe der
feinen Contourlinien eine Follikelzelle mit ihrem Kerne vollkommen °
abzugrenzen. Dass die feinen Liniensysteme dabei namentlich
gegen das Kanälchencentrum kernlose Protoplasmafelder abgrenzen,
darf uns nicht Wunder nehmen; denn die Follikelzellen, zu deren
näherer Betrachtung wir nun übergehen wollen, stellen relativ
grosse, längliche Elemente dar, die namentlich gegen das Centrum
des Kanälchens lappige Ausläufer besitzen. Numerisch treten im
Hoden der neugeborenen Maus die Follikelzellen sehr stark in
1)72.08:0.
Die postfoetale Histiogenese des Hodens der Maus bis zur Pubertät. 433
den Vordergrund, man sieht ihre Kerne allenthalben, ohne dass
sie dabei eine besondere Anordnung zeigen, an der Basalmembran
sowohl, als auch gegen die Mitte des Kanälchens zu liegen; das
Centrum selbst ist allerdings stets frei von Follikelzellkernen, hier
werden nur die erwähnten Ausläufer angetroffen. Jedenfalls, das
lässt sich sicher sagen, sind im jugendlichen Hoden die Follikel-
zellen weit zahlreicher vorhanden, wie dies eine Vergleichung der
Querschnittsbilder (Fig. 1) mit einem Flächenbilde, das dem Hoden
einer erwachsenen Maus entstammt, ohne weiteres deutlich machen
dürfte (Fig. 2). Was nun die Kerne der Follikelzellen betrifft,
so war ich nicht wenig erfreut, in ihnen dieselben eigenthümlichen
Nucleolenbildungen aufzufinden, wie ich sie in einer früheren Ab-
handlung !) als characteristisch für die Kerne der Benda’schen
Fusszelle im funetionirenden Hodenepithel beschrieben habe. Wäh-
rend aber hier der Kern stets nur einen relativ grossen Nucleolus
in seinem Inneren birgt, sehen wir in den Kernen der jugendlichen
Follikelzellen deren 3 bis 4 in entsprechend geringerer Grösse (Fig. 3).
Eingebettet in das Lager dieser Zellen erscheint nun in er-
heblich geringerer Anzahl die zweite Art von Zellbildungen, die
Spermatogonien v. la Valette’s St. George’s in Form kräftig
contourirter, relativ grosser Elemente. In einem Gebiete, das wie
die Hodenhistologie gerade bezüglich der Nomenelatur eine ziem-
liche Complication aufweist, dürfte es sich mit Recht empfehlen,
neue Bezeichnungen zu vermeiden und soweit thunlich an den
alten Namen festzuhalten; gleichwohl möchte ich es nicht ver-
säumen, darauf hinzuweisen, dass die Spermatogonien im jugend-
lichen und die im funktionirenden Hoden nicht als absolut iden-
tische Bildungen aufzufassen sein dürften. Vor allem unterscheidet
sie ihre beträchtlichere Grösse und ausserdem erinnern die jugend-
lichen Spermatogonien mehr an junge Eizellen. Die rundlichen
Zellkörper (Fig. 3) zeigen eine deutliche Schichtung in eine innere
dicht und eine periphere locker genetzte Protoplasmaanlage und
auch der Kern lässt die durch ihre Färbbarkeit mit Saffranin so
deutlich sich characterisirenden echten Nucleolen der Spermatogo-
nien im erwachsenen Hoden vermissen, er birgt vielmehr in einem
ziemlich dichten chromatischen Netzwerk nur einen oder mehrere
derbe Chromatinbroeken. Aeusserst zahlreiche Mitosen (Fig. 1)
1) 2:3..0,
434 Friedrich Hermann:
zeigen nun, dass die jugendlichen Spermatogonien in einer regen
Vermehrung sich befinden und ist es namentlich das Stadium des
Monasters, das sehr häufig zur Beobachtung gelangt.
Dieses, nach den Befunden am Hoden der neugeborenen
Maus geschilderte Stadium bleibt nun lange Zeit hindurch bestehen;
der Hoden von 9, 12 und 14 Tage alten Mäuschen hat sich zwar
als ganzes Organ etwas vergrössert, allein seine histologische
Structur zeigt noch ganz dieselben Verhältnisse und auch die
Diekendimension der einzelnen Samenkanälchen — im Mittel 0,02 mm
— ist die gleiche geblieben wie beim neugeborenen Thiere.
Am 15. oder 16. Lebenstage ändert sich dies aber mit einem
Schlage und wir können nun an diesem Tage bei der Maus den
ersten Beginn der Pubertätsentwieklung Constatiren. Sehen wir
nun zu, welche feineren Vorgänge sich bei diesem Process an den
epithelialen Elementen des Samenkanälchens abspielen.
Hatten die Kerntheilungen der Spermatogonien bis dahin
nur stets zur Erzeugung gleichwerthiger Tochterzellen Veranlassung
gegeben, so sehen wir nun, dass durch sie eine Brut von Zellen
entsteht, die sich in mehreren Punkten von der Mutterzelle unter-
scheiden. Diese jungen Zellen (Fig. 4) sind kleiner, sie haben
das eiähnliche Aussehen ihrer Mutterzellen verloren und zeichnen
sich durch den Besitz mehrfacher, wohlentwickelter echter Nucleo-
len aus, mit einem Worte, sie stellen Zellen dar, welche den
Spermatogonien, wie wir sie im Hoden des erwachsenen Thieres
finden, auf das Genaueste gleichen. Die Erzeugung solcher Sper-
matogonien ist dabei eine so rapide, dass wir dieselben in 3
bis 4 fachen concentrischen Schichten übereinander gelagert finden.
Natürlich muss dieser Process der Spermatogonienbildung auch
seinen Einfluss äussern auf die zweite Art von Zellen, die
Follikelzellen; durch die mächtige Neubildung eigentlicher Samen-
zellen müssen dieselben auseinander gedrängt werden, so dass
ihre Zahl nun hinter der der Spermatogonien zurücksteht, wodurch
das numerische Verhältniss zwischen den beiden Zellarten mehr
und mehr dem bei dem erwachsenen Thiere entspricht. Auch in
Bezug auf die Lage der Follikelzellen innerhalb des Samenkanäl-
chens ist eine Aenderung eingetreten, indem dieselben durch die
rasch wuchernden Spermatogonienfamilien aus ihrer Lage im
Innern des Samenkanälchens herausgedrängt und allmählich
sämmtlich an die Membrana propria angepresst worden, wo sie
Die postfoetale Histiogenese des Hodens der Maus bis zur Pubertät. 435
nun in einer einzigen Schichte ihre Lage haben. Ihre oben er-
wähnten, gegen das Kanälchencentrum gewandten Fortsätze kommen
dabei mehr und mehr zum Schwunde; während man dieselben
anfangs noch als mehr oder minder verdünnte Streifen von Proto-
plasma zwischen benachbarten Spermatogoniengruppen nach dem
Centrum zu ziehen sieht, werden sie später von dem kernhaltigen
Theile der wandständigen Follikelzelle vollkommen abgelöst und
es stellen ihre Reste nun eine Eiweissmasse dar, die gewisser-
massen immer mehr in sich zusammensintert und so bald zur
Bildung eines anfangs buchtigen Lumens im Inneren des ursprüng-
lich soliden Samenkanälchens Veranlassung gibt. Mit diesem
Lagewechsel geht auch im Inneren des Kernes der Follikelzelle
eine Aenderung Hand in Hand, insoferne als die, wie erwähnt,
mehrfach vorhandenen Nucleolen sich zu einem einzigen, grösseren
umwandeln und zwar erfolgt dies, wie ich direet beobachten
konnte, durch eine einfache Verschmelzung (Fig. 5).
Nicht alle Kanälehen des Hodenquerschnittes bieten übrigens
das ebenbeschriebene Bild; während sich noch viele in dem ur-
sprünglichen, jugendlichen Stadium befinden, sind andere schon
in ihrer Entwicklung vorangeeilt. Recht häufig kommen Kanäl-
chen vor, in denen sich die Spermatogonienkerne, in 2 bis 3
Schichten gelagert, in die characteristischen enggewundenen
Knäuel der sog. growing cells umgewandelt haben (Fig. 6), während
stets noch eine Schichte nicht verwandelter Spermatogonien wand-
ständig liegen bleibt und da und dort treten Samenkanälchen
auf, deren Zellen sich schon in die nächst höhere Zellcate-
gorie, in Spermatocyten, umgebildet haben (Fig. 7). Dass durch
diese regen Wachsthumserscheinungen eine Vergrösserung nicht nur
des ganzen Hodens, sondern auch der einzelnen Kanälchen bewirkt
wurde, muss als selbstverständlich erscheinen; der Querdurch-
messer der einzelnen Samenkanälchen beträgt nun im Mittel
0,047 mm.
Ist nun die Entwicklung des Samenkanälchens soweit ge-
diehen, dass die characteristischen lockeren Spirembildungen der
Spermatocyten aufgetreten sind, so scheint eine relativ lange
Ruhepause einzutreten, denn man findet in der Zeit bis zum 21.
Lebenstage ausser diesen Spiremstadien keine anderen Theilungs-
phasen der Spermatoceyten. Es dürfte vielleicht von allgemeinem
histologischen Interesse sein, auf die Möglichkeit einer solch’
436 Friedrich Hermann:
langen Persistenz einer Kerntheilungsphase hinzuweisen; man
hat ja aus dem Umstand, dass im erwachsenen Hoden die Spirem-
stadien numerisch so sehr über die übrigen Phasen der Mitose
überwiegen, schon den Schluss gezogen, dass im Stadium des
Spirems eine Ruhepause erfolgen müsse, allein wie lange diese
währt, liess sich selbstredend nicht entscheiden. Die Untersuchung
des wachsenden Hodens vermag uns in dieser Frage eine directe
Antwort zu geben, wir sind zu der Annahme berechtigt, dass die
Spermatoeyte bei ihrer Theilung zum mindesten 5 Tage lang in
der Prophase des Monospirems verharrt, ehe sie sich anschickt,
in die Metakinese und die sich anschliessenden Anaphasen über-
zugehen. Diese erscheinen erst am 21. Tage und müssen sich
dann um so rapider abspielen, denn man sieht an diesem Tage
schon da und dort Gruppen neugebildeter Spermatiden. Die
Hauptentstehungszeit dieser letzteren liegt von dem genannten
Tage bis zum Schlusse der 4. Lebenswoche und unterscheiden
sich die neugebildeten Spermatiden in. keiner Weise von denen
des erwachsenen Thieres; auch sie bergen die beiden Protoplasma-
einschlüsse, die Kopfkappenanlage und den Nebenkern, deren
Entstehungsmodus mir aber auch hier leider nicht zu beobachten
gelang. Die Dieke des Samenkanälchens hat durch diese Aus-
bildung der Spermatidengenerationen im Mittel 0,078 mm erreicht.
Mit Schluss der 4. Lebenswoche ist also der erste Process,
den wir im erwachsenen, functionirenden Hoden als regeneratori-
schen auffassten, und der mit der Neubildung von Spermatogonien
beginnt, mit der Entstehung von Spermatiden endigt, beim jugend-
lichen Thiere abgeschlossen. In der 5. Lebenswoche setzt nun
der zweite Process, der eigentliche Samenbildungsprocess, ein, es
bilden sich die Spermatidengruppen in früher beschriebener Weise!)
um, treten mit den Benda’schen Fusszellen in Contact und wir
finden in der 6.'.Woche schon sämmtliche Entwieklungsphasen der
Spermatosomen bis zum fertigen, im Lumen der Samenkanälchen
liegenden Spermatozoon.
Mit der 6. Woche hat also die Maus schon die vollständige
Geschlechtsreife erreicht; ob sie freilich in diesem relativ jugend-
lichen Alter factisch schon das Begattungsgeschäft besorgt, ver-
mag ich nicht zu entscheiden, beobachtet habe ich es selbst nie.
1) a.N2. 0:
Diepostfoetale Histiogenese des Hodens der Maus bis zur Pubertät. 437
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXV1.
Sämmtliche Figuren sind unter Benutzung einer apochrom. Oelimmer-
sionslinse von Zeiss Ap. 1,2. Brennw. 2,0 und Ocular 4 und 12 mit der
Camera lucida entworfen. Vergrösserung 500—1500.
Fig. 1. Querschnitt durch ein Samenkanälchen der neugeborenen Maus
500/1. fz. Follikelzelle.. Sp. Spermatogonie.
Fig. 2. Tangentialschnitt durch ein Hodenkanälchen der erwachsenen Maus.
500/1.
Eine Spegmatogonie und 2 Follikelzellen von der neugeborenen Maus
bei stärkerer Vergrösserung. 1500/1.
Fig. 4. Neugebildete Spermatogonienschichten. Maus, 16 Tage alt. 500/1.
Fig. 5. Vereinigung zweier Nucleolen zu einem einzigen grösseren. Maus,
16 Tage alt. 1500/1.
Fig. 6. Umwandlung der Spermatogonien in sog. growing cells. Maus, 16
Tage alt. 500/1.
Fig. 7. Umwandlung der growing cells in Spermatocyten. Maus, 16 Tage
alt. 500/1.
Sämmtliche Präparate waren mit Chromosmiumessigsäure gehärtet und
einer Doppelfärbung mit Saffranin-Gentianaviolett unterzogen worden.
3%
Fig.
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des
Salamanders.
Von
Ww. Flemming in Kiel.
Hierzu Tafel XXVI.
Eine vorläufige Mittheilung über das Folgende wurde auf
dem 3. Anatomencongress in Berlin (Sitzung vom 10. October 1889,
s. im Anatom. Anzeiger 1889) gegeben.
In einer Harnblase von Salamandra maculosa, die in der ge-
wöhnlichen, für Flächenpräparate früher von mir angegebenen
438 W. Flemming:
Weise !), in diesem Fall mit Einspritzung von halbprocentiger
Chromsäure und späterer Safraninfärbung, für den histologischen
Curs präparirt worden war, fanden sich in grosser Zahl Zertren-
nungsformen der Epithelkerne, wie sie die Tafel zeigt. Da ami-
totische Theilungen in dieser Form bei Epithelien von Wirbel-
thieren meines Wissens noch nicht bekannt sind, halte ich sie
einer näheren Beschreibung werth.
Vorweg sei bemerkt, dass der Gedanke, diese Dinge könnten
blosse Kunstproducte sein, ganz ausgeschlossen ist. Chromsäure
liefert zwar für das Blasenepithel der Urodelen meistens keine
sanz untadeligen Fixirungen; die Kerne desselben werden dabei
oft theilweise etwas eckig und verzogen, noch mehr geschieht dies
bei Kernen des Bindegewebes und der Leukoeyten in der Blasen-
wand. So ist es auch an diesem Präparat. Aber es ist nicht
daran zu denken, dass solche Kernformen, wie man sie auf der
Tafel sieht, bloss durch Chromsäurewirkung aus gewöhnlichen
ruhenden Kernen oder etwa aus Mitosen entstehen könnten: aus
dem einfachen Grunde nicht, weil ein grosse Zahl anderer Blasen,
die ich ebenso präparirt habe, gar nichts von solchen Formen
zeigen. Aus demselben Grunde ist es auch unmöglich, dass —
woran man ja auf den ersten Blick denken könnte — durch die
Ausdehnung der Blase bei der Chromsäureeintreibung ein Theil
der Kerne in solche Formen, wie sie hier gezeichnet sind, ausge-
zerrt sein könnte. Die Ausdehnung war nicht stärker, als sie
manchmal durch natürliche Urinfüllung bedingt wird, und ich habe
sie bei anderen Präparaten absichtlich viel weiter getrieben, ohne
dabei jemals, ausser in diesem einen Fall, das hier Beschriebene
zu finden.
Die Zellen des einschichtigen Epithels sind bei ausgedehnter
Blase sehr flach, und haben ebenfalls flache, elliptische oder kreis-
1) Beobachtungen über die Beschaffenheit des Zellkerns, Arch. f. mikr.
Anat., 1877, Bd. 16, S. 696 u. 699, und: Ueber Formen und Bedeutung der
organischen Muskelzellen, Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 1878, Bd. 30, Suppl.,
S. 468. Die Blase wird durch Einspritzung von der Cloake aus mit fixiren-
den Flüssigkeiten ausgedehnt, nachdem man das Thier getödtet und die
Bauchdecken vorsichtig von oben her aufgeschnitten hat, dann abgebunden
und auf entsprechend lange Zeit (je nach dem gewählten Reagens) in die
gleiche Lösung eingelegt, bis sie starr genug ist, um sich beim Zerschneiden
nicht mehr zu falten.
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 439
runde Kerne. Unter diesen finden sich solche, die von einem
kleinen Loch durchsetzt sind, bald excentrisch (Fig. 1) bald cen-
trisch (Fig. 12a); manchmal giebt es mehrere solche Löcher
(Fig. 2); zuweilen sind, wie in dieser Figur, am Umfang der Lücke
kleine Buckel vorgetrieben.
Durehlöcherte Kerne solcher Art waren mir bisher nur bei
Leukocyten hie und da aufgefallen. J. Arnold hat, meines Wis-
sens als Erster, ähnliche Formen aus der Milz der Maus im vori-
sen Jahre näher beschrieben !); viele der Abbildungen, die er in
seinen Figg. 23—50 giebt, scheinen mir wenigstens mit den hier
in Rede stehenden Kernbildern gut vergleichbar). Arnold’s
Deutung dieser Bilder hat durch Denys?°) soeben eine sehr ener-
gische Anfechtung erfahren. Dieser Forscher erklärt alle die
Dinge, die Arnold als in den Kernen auftretende helle Lücken
beschreibt, für Vaeuolenbildungen im Kernkörperchen. Mir scheint,
dass Denys hier zu weit geht, wenn ich auch gern zugestehe, dass
seine Auffassung für einen Theil der fraglichen Bilder zutreffen
mag. Meine Kenntniss über die Milz der Maus ist zwar bis jetzt
nicht ausgedehnt, sie beschränkt sich auf eine Anzahl von Präpa-
raten, die F. Reinke hier bei einer kürzlich begonnenen Unter-
suchung des Objectes gewonnen hat. In diesen fanden wir manche
Formen, welche die Interpretation Denys’ sehr wohl vertragen,
aber auch andere, nicht sehr zahlreiche, bei denen ganz offenbar
eine Durchbreehung der Kerne durch wirkliche Lücken vorliegt.
In solcher Lücke sieht man meistens ein oder einige sehr kleine
Körperchen, zuweilen scheinbar daneben blasse Stränge, bei der
Kleinheit der Zellkerne recht schwer zu controliren. Ich zeichne
einen solehen Kern in Fig. 18b (vergl. Erklärung). Bei dem hier
beschriebenen grosskernigen Blasenepithel des Salamanders liegt
eine solche Durchlöcherung ganz zweifellos und gleichsam in
Fraetur vor Augen. Niemand kann hier daran denken, dass die
1) Ueber Kern- und Zelltheilungsvorgänge in der Milz ete., Archiv f.
mikr. Anat. Bd. 31, 1888, S.546 Abs. 2 ff.; auchArnold’s frühere Arbeiten
enthalten schon Angaben über derartige Kernformen.
2) So Arnold’s Fig. 28, 29, 32; weiter: 46, 48—50.
3) Quelques remarques ä propos du dernier travail d’Arnoid ete., Trav.
du Labor. d’Anatomie pathologique de Louvain (La Cellule, T. V. Fase. 1,
Juillet 1889).
440 W. Flemming:
Löcher in meiner Fig. 12a, 2, 11a, 3, 4, 10 und 13 lediglich va-
euolisirten Nucleolen entsprechen könnten; oder sollten sie etwa
ihren ersten Anfang in der Weise nehmen, dass sich zuerst in
einem Chromatinkörper eine Vacuole bildet — was ja nach den
Anfangsformen (Fig. 1) allenfalls möglich bleibt — so müsste dies
nach den folgenden doch zu einem wahrhaften Durehbruch führen.
Die Formen der weiteren Kernzertrennung sind bei meinem
Objeet recht eigenthümlich, und die Grösse und Plattheit der
Kerne erlaubt sie in allen zu fordernden Uebergangsstadien sehr
deutlich zu verfolgen. Die Löcher in den Kernen — zuweilen
mehrfach, Fig. 2 — vergrössern sich (Fig. 2—3), wobei zuweilen
zarte Brücken, wie sie auch Arnold beschreibt, sich durch die
Lücke ausgespannt zeigen (Fig. 11a); dann werden die Seiten-
ränder dieser Lücke zu verschmälerten Strängen ausgespannt, die
in manchen Fällen sehr lang gedehnt und geknickt sein können
(Fig. 4, 10); in einigen Fällen sind sie noch länger und dünner
als dort und stark gedreht, in einem (Fig. 13) war die eine Seiten-
brücke flach über die andere geschlungen und der Kern 8 förmig.
Dann bricht die eine Seitenbrücke durch, so dass Formen wie
Fig. 5, 6 und 16 entstehen; wie mir scheint, können auch beide
Brücken ziemlich gleichzeitig getrennt werden, denn ich fand
einzelne Kernpaare, an denen ein Kern dem anderen beiderseits
frei endende Zipfel zusendet.
Bei der Mehrzahl all dieser Trennungsfiguren geschieht die
Zerlegung des Kerns zu gleichen Theilen: zwar sind diese Theile
wohl in keinem Falle ganz symmetrisch-ähnlich gestaltet, meistens
einander recht ungleich in der Umrissform, aber der Masse nach
erscheinen sie nach bestmöglicher Schätzung gleich gross. — Auf
die anderen Fälle, in denen die Zerlegung ungleiche Theile liefert
und welche die Minderzahl bilden, komme ich alsbald zurück.
Wie zuweilen in den ersten Anfängen des Vorgangs kleine
Lappen und Buckel in das Innere der Lücke vorgetrieben sind
- (Fig. 2), so finden sich nicht selten solehe auch in späteren
Stadien (Fig. 4, 6), und zwar, wie diese Bilder zeigen, bald an
dieser, bald an jener Seite der Kernhälften.
Nicht immer jedoch muss diese Form der Kerntrennung so,
wie bis jetzt beschrieben, also mit Bildung und Durchbruch eines
Loches verlaufen. In geringerer Zahl finden sich auch Formen,
wie ich zwei in Fig. 7 und 3 zeichne, in denen der Kern, eben-
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 441
falls zu gleichen Hälften, einfach in der Mitte abgeschnürt er-
scheint, und andere, bei denen die Abschnürungsbrücke noch
länger ausgezogen ist. Bei solchen Formen deutet nichts darauf
hin, dass vorher eine Ringform des Kerns vorgelegen haben
könnte.
Die bisher besprochenen Fälle kann man nach dem Gesagten
sämmtlich gleiehtheilige Zerlegungen der Kerne nennen. Es
kommen aber daneben, in geringerer Zahl, auch ungleichthei-
lige vor; Fig. 14 und 15 sind Beispiele davon. In einigen ist
ein Kern zwar in zwei gleichmässige Hälften zerschnürt, aber von
der einen dieser Hälften trennt sich wiederum ein kleineres Stück
ab: Fig. 17, wenn man sich in der letzteren die beiden Kern-
gebilde in einer Zelle liegend denkt. In anderen Fällen geschieht
die Zertrennung, ohne jede Andeutung von Symmetrie, in drei
und mehr Stücke, wobei nicht selten einzelne der abgetrennten
Parcellen sehr klein sind (Fig. 6b). Zuweilen ist auch hierbei
in der grösseren Kernmasse eine lochartige Durchbrechung zu
finden (Fig. 15). Manchmal’sieht man auch, bei sonst: gleichthei-
liger Zerlegung, neben den noch zusammenhängenden Schwester-
kernen wie z. B. Fig. 4 oder 5, sehr kleine, ganz wie diese tingirte
Kernstückchen frei in der Zellsubstanz liegen.
Nach diesen Uebergangsformen zwischen der Sleishiheihsen
und der ungleichtheiligen Kernzerlegung erscheint es nicht mög-
lich, zwischen beiden irgend eine scharfe Grenze zu ziehen. Nach
dem häufigeren Vorkommen der ersteren Form kann man vielleicht
vermuthen, dass sie, um es so auszudrücken, hier das reguläre
Wesen des Vorganges repräsentirt, und hie und da atypisch in
die ungleichtheilige Zerschnürung ausartet.
So viel über die Erscheinungen, welche die Aussengestalt
der Kerne bei dieser Theilungsart betreffen.
In Bezug auf innere Veränderungen ist vor Allem testzu-
stellen, dass dabei jede Spur von einer wahren, oder irgendwie
unvollkommenen oder verstümmelten Mitose gänzlich fehlt. Dies
ist um so klarer, als neben diesen amitotischen Theilungen in
derselben Blase auch wahre Mitosen vorkommen. Ich habe
keine davon gezeichnet, da sie in nichts von den bekannten Formen
abweichen. Sie sind weniger zahlreich, mögen etwa höchstens ein
Viertel der amitotischen Theilungen betragen, und sind ebenso wie
letztere ganz einzeln verstreut, oft dicht neben ihnen gelegen, nirgends
442 W. Flemming:
örtlich angehäuft. Diese Mitosen sind am Präparat sehr gut erhalten,
selbst in feinen dichten Knäueln zeigen sie die Längsspaltung; und
es kann gar kein Gedanke daran sein, dass etwa die amitotischen
Theilungen, die ich hier beschreibe, durch die Behandlung verdor-
bene, oder auch im Absterben veränderte Mitosen sein könnten; es
fehlen alle und jede Uebergangsformen, die sich in solchem Falle
finden müssten.
Aber eine andere innere Veränderung der Kerne tritt
bei den amitotischen Theilungen recht augenfällig hervor:
Während die meisten ruhenden !) Kerne des Epithels (Fig.
11d) sich so verhalten, wie es sonst bei gleicher Behandlung an
diesem Object zu sein pflegt (Fig. 12d), d. h. wenige kleine,
stärker gefärbte Nucleolen besitzen, übrigens eine blasse, anschei-
nend fast gleichmässige Tinctionsfarbe zeigen, die sich nur mit
starken Linsen in eine sehr feine, verwaschene, fadige Zeichnung
auflöst: findet sich an einer geringeren Zahl vön Kernen eine
auffallend stärkere, scheinbar diffuse Tinetion der ganzen Kern-
masse, und darin, statt der einzelnen kleiner Nucleolen, zahlreiche
starkehromatische Brocken und Stränge von unregelmässiger Form,
so dass diese Kerne, im Vergleich mit den ruhenden, scheckig aus-
sehen (vergl. Fig. 11 b mit irgend einem anderen der gezeichneten
Kerne). Ebenso verhalten sich nun, wie die Tafel es darstellt,
sämmtliche Kerne, welche in amitotischer Theilung
stehen. Arnold hat in der erwähnten Arbeit als ein Kenn-
zeichen seiner „indireeten Fragmentirung“ angegeben, dass dabei
das Chromatin im Kern zunehme, sich diffus im Kernsaft vertheile
und dadurch die starke Tinetion bedinge; man wird hieran sofort
erinnert, wenn man meine Objecte betrachtet. Denys (am o. a. Orte)
hat gegenüber dieser Auffassung Arnold’s geäussert, es lasse
sich nicht behaupten, dass in solchen Fällen wirklich. eine Auf-
lösung von chromatischen Nucleinkörpern im Kernsaft statt-
gefunden habe; denn man könne nicht wissen, ob bei den von
Arnold gebrauchten Tinctionen (Hämatoxylin, Safranin und
ähnliche) bloss solche Substanzen, oder auch andere Dinge gefärbt
sein könnten; Denys selbst konnte sich durch Färbung mit saurem
1) Ich bezeichne so wie gewöhnlich der Kürze wegen solche Kerne, die
im vorliegenden Fall weder in mitotischer noch in amitotischer Thei-
lung sind.
n
[3}
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 445
Methylsrün niemals solche diffus-tingirte Kerne herstellen. Dieser
Einwand verdient gewiss Aufmerksamkeit; ich will mich deshalb,
um so mehr weil mein Object keine Prüfung mit Methylgrün mehr
gestattet, mit möglichster Vorsicht benehmen, und nicht von einer
Auflösung von Chromatin im Kernsaft, oder auch nur von einer
Zunahme des Chromatins reden, da man nicht ganz bestimmt
wissen kann, ob die Substanz, die hier stärker gefärbt ist, auch
mit dem sonstigen Chromatin identisch sein muss. Ich will
also einfach sagen: es ist hier eine Anzahl der Kerne stärker
tingirbar als die übrigen geworden, mit erheblicher Färb-
barkeit der gesammten Kernmasse, und mit Auftreten
von stark-chromatischen Strängen und Körnern in ihr;
und das Gleiche findet sich an all den Kernen, die in amitotischer
Theilung stehen. Dies ist ein Ausdruck des thatsächlichen Ver-
haltens, gegen den sich wohl nichts einwenden lässt.
Denn es ist für jeden Kenner der Safranintinetion nicht
daran zu denken, dass es sich bei dem eben Besprochenen nur
um eine ungleichmässige Extraction der Safraninfarbe handeln
könnte, so, dass die einen Kerne zufällig stärker als die anderen
durch den Alkohol entfärbt wären. Es liegt an dem Präparat ein
starker und vollkommen gleichmässiger Extractionsgrad vor, was
man am einfachsten an den Mitosen ermessen kann, bei denen
überall eine gute separate Darstellung der chromatischen Figur
erzielt ist, und keine der diffusen Mitfärbungen des Kernsafts und
Linin’s sich zeigt, wie sie bei unvollkommenen oder ungleichmäs-
sigen Ausziehungen vorzukommen pflegen.
Also: die dunkelgefärbten und zahlreiche Chromatinbrocken
enthaltenden Kerne (wie Fig. 11 b) stellen gegenüber den zahl-
reicheren blassen (solchen wie Fig. 12 d) jedenfalls einen beson-
deren Zustand dar; und dass dieser Zustand ein Vorläufer der
amitotischen Kerntheilung ist (beziehungsweise nach geschehener
Theilung noch als ein Folgezustand derselben bleibt), das geht
nicht nur daraus hervor, dass die in solcher Theilung stehenden
Kerne ebenso dunkeltingirt und scheckig aussehen wie sie, son-
dern auch daraus, dass sehr viele der betreffenden Kerne!) am
Umfange Buckel und Läppchen zeigen, ganz ähnlich wie sie bei
1) Bei dem, den ich in Fig. 11 b gezeichnet habe, ist es gerade
nicht der Fall.
444 W. Flemming:
den Theilungsformen gleich Fig. 4, 7, 6a vorkommen, während
dies bei den gewöhnlichen ruhenden Kernen wie Fig. 12d nicht
so ist.
Man wird hiernach gewiss daran denken müssen, dass die
vorgängige Zunahme der Tingirbarkeit in toto, und das Erscheinen
reichlicherer geformter Chromatinkörper im Kern etwas mit der
amitotischen Theilung desselben zu thun hat. Die Beziehung, in
der das zu Arnold’s Anschauung über die indireecte Fragmen-
tirung steht, liegt nahe. |
Vergebens suche ich in diesen starkgefärbten und scheckigen
‘Kernen nach irgend einer bestimmten Anordnung der Chro-
matinkörper. Diese erscheinen ziemlich gleichmässig im Kern
vertheilt, aber sonst ohne jede Regel gelagert; so ist es sowohl
in den noch ungetrennten, als den durchlöcherten, als den in Ab-
schnürung stehenden Kernen, als endlich in schon getrennten
Kernpaaren. Ich verweise dafür einfach auf die Figuren.
Von besonderem Interesse ist natürlich die Frage, ob auf
diese amitotische Zerlegung des Kerns eine Theilung der Zelle
folgt, oder sich gar, wie es ja bei der Mitose ist, noch während
ihres Verlaufs einleitet. Für die bisher bekannt gewordenen Bei-
spiele von direeter Kerntheilung lauten die Angaben hierüber ver-
schieden. So haben früher Johow, Schmitz und Strasbur-
ger!) bei Pflanzen in solchen Fällen keine Theilung der Zelle
constatirt, ebensowenig Bloehmann?) bei der directen Kernthei-
lung in der Embryonalhülle des Skorpions. Andererseits fand
Carnoy °) bei Zellen verschiedener Arthropodengewebe (Hoden,
Epithel, der Malpighi’schen Gefässe, Fettzellen) amitotische
Kerntheilung mit nachfolgender Zelltheilung, letztere bei den Fett-
zellen mit Zellplattenbildung, bei den übrigen mit Abschnürung
verlaufend. Ebenso beschreibt Platner*) directe Kerntheilung
1) Fr. Johow, Dissertation Bonn, 1880. Fr. Schmitz, Beobachtun-
gen über die vielkernigen Zellen der Siphonocladiaceen. Halle 18792 2.
Strasburger, Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete., Arch. f.
mikr. Anat. 1882.
2) Morpholog. Jahrbuch, Bd. 10, 1885, 5. 480.
3) La Cytodierese ehez les Arthropodes, la Cellule, Louvain 1885, p.
215— 244,
4) Beiträge zur Kenntniss der Zelle etc., Arch. f. mikr. Anat., 1889,
Ss. 147—148.
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 445
(hier allerdings in besonders eigenartiger Form) mit folgender
Zelltheilung an den Zellen der Malpighi’schen Gefässe des
Wasserkäfers.
An meinem Object lässt sich eine Theilung der Zellen, in
welchen sich die Kernzerschnürungen finden, nieht mit Sicherheit
nachweisen, es kann aber nach folgenden Umständen wahrschein-
lich genannt werden, dass sie mindestens in vielen Fällen ein-
tritt: es lässt sich in manchen Figuren mit noch zusammenhän-
senden Kernhälften, wie meine Fig. 6a, 10, 16, zwischen den
letzteren eine blasse Marke erkennen, die ich so zart und ungenau
begrenzt, wie sie eben zu sehen ist, dort dargestellt habe. Auch
in vorangehenden durchlöcherten Stadien, wie Fig. 3 und 4, ist
im Innern des Loches zuweilen eine blasse, körnig-fädige Masse
zu erkennen, welche die Vorläuferin jener Marke sein könnte. Es
finden sich ferner zahlreiche Zellenpaare, in denen die Kerne so
klein sind, dass ihre Grösse derjenigen einer Halbirungsportion
wie in Fig. 5, 7, 16 etc. entspricht, zu je zweien aneinander
geordnet (Fig. 9); die Zellen selbst sind gleichfalls halb so
gross, als eine Zelle wie in Fig. 1, 5, 7 ete. ist und ihre Kerne
haben dieselbe dunkle und scheckige Beschaffenheit wie bei diesen;
es macht also ganz den Eindruck, als seien dies Zellen-Schwester-
paare, die aus einer amitotischen Theilung hervorgegangen sind.
Bilder, welebe als ganz sichere Zwischenstufen zwischen Fig. 16
und Fig. 9 anzusehen wären, habe ich allerdings nicht finden
können.
Man könnte nun zwar auch daran denken, dass die erwähnten
Schwesterzellenpaare (Fig. 9) alle aus mitotischen Theilungen
hervorgegangen sein könnten, welche sich, wie oben bemerkt, ja
ebenfalls in dieser Blase finden. Dagegen spricht aber zunächst
die sehr viel grössere Zahl jener Zellenpaare im Vergleich mit
der der Mitosen; ferner finden sich in viel geringerer Menge Zel-
lenpaare, wie ich eines in Fig. 12b ce wiedergebe, bei denen man
schliessen kann, dass sie wirklich aus Mitose hervorgegangen sind,
da ihre Kerne die characteristische, durch die Eindrückung der
Polfeldstelle bedingte gekrümmte Form noch bewahren. Solche
Formen finden sich aber nicht an der grossen Mehrzahl der Zel-
lenpaare.
Wenn es sich hiernach wahrscheinlich nennen lässt, dass
im vorliegenden Falle auf die Abschnürung des Kerns eine Zell-
+ Archiv £. mikrosk, Anatomie. Bd. 34. 29
446 W. Flemming:
theilung folgt, oder eigentlich noch im Verlaufe dieser Abschnü-
rung beginnt, so muss dies hier eine Theilung mit einer Art Zell-
plattenbildung sein, nicht eine solche durch Abschnürung. Denn
von letzterer kann ich nirgends eine Andeutung finden.
Ueber das nähere Wesen jenes Vorganges lässt sich bei der
Behandlung des Objects leider kein weiterer Aufschluss gewinnen,
da die Structuren der Zellsubstanz sehr zart sind und die Fixirung
durch Chromsäure gewiss überhaupt keine hinreichende Garantie
bietet, ob man das, was sie zeigt, für rein präformirt nehmen
kann. Die Marken in Fig. 6, 10 und 16 und die blassen Differen-
zirungen in den Kernlöchern der Fig. 3 und 4 sind, wie schon
erwähnt, zu zart, als dass man Strueturen darin ausmachen könnte.
Ich habe daran gedacht, ob sich die letztgenannten Differenzirungen
vielleicht in Beziehung zu Attractionssphären bringen lassen,
die ja auch bei dieser Theilungsart eine Rolle spielen könnten,
vermag aber für jetzt nicht darüber zu entscheiden.
Auch die sonstigen Structurverhältnisse der Zellsubstanz um
den Kern her sind bei der Chromsäurebehandlung, und zugleich
bei der grossen Dünnheit der Zellen so wenig sicher auszumachen,
dass ich sie absichtlich überall nur durch ganz schematische
Strichelechen angedeutet habe. Lediglich in Fig. 10 ist der
Zellenleib etwas näher nach dem Ansehen des Präparates aus-
geführt. Die Strichelung in der Zellsubstanz hat oft in der
Peripherie deutlich eoncentrischen Charakter, und ist um den
Kern her lockerer. In Fig. 16 ist dies angedeutet.
Wenn wir es hier mit einer Zelltheilung unter amitotischer
Kerntheilung zu thun haben, so bleibt mir auch zu erwähnen, dass
die erstere hier nieht immer eintreten muss. Denn es finden
sich in der Blase viele Zellen mit 2 Kernen (Fig. 6b, wenn man
sich das kleine Kernchen fort denkt), bei denen jede Spur einer
mittleren Theilungsmarke fehlt, während die Kerne ganz die er-
wähnte starke Tinction und scheckige Beschaffenheit besitzen, und
ihrer Grösse nach ganz den Abschnürungshälften einer Theilung
wie in 6a entsprechen. Es wird danach anzunehmen sein, dass
hier die Kerntheilung ohne Zelltheilung geschehen ist, und
mindestens fraglich bleiben müssen, ob letztere sich noch nach-
träglich einstellen kann.
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 447
Will man die Frage stellen, ob wir es in dem Beschriebenen
mit einem normalen oder doch häufigen Regenerationsvorgange
des Blasenepithels zu thun haben, so muss dieselbe unbedenklich
verneint worden.
Ich habe im Laufe der Zeit sicher mehr als zwei Dutzend
Salamanderblasen mit Injection von ÜUhromsäure oder solchen
Behandlungen untersucht !), welche die besprochenen Kernbilder
so gut wie jene fixiren und zeigen müssten; niemals, ausser in
dieser einen Blase, ist mir etwas Derartiges im Epithel begegnet,
obwohl in demselben meistens nach Mitosen gesucht wurde.
Mögen bei den übrigen vielleicht einzelne solche amitotische Thei-
lungen vorhanden gewesen und übersehen worden sein, so waren
sie dann jedenfalls äusserst vereinzelt. Am hier unten eitirten
Orte habe ich beschrieben, dass in diesem Biasenepithel ein
(geringerer) Theil der Zellen sich durch grössere Masse, Dichtig-
keit und stärkere Färbbarkeit der Zellsubstanz auszeichnet; dass
solche Zellen häufig gruppenweis, zu zweien, dreien oder mehreren
beisammen liegen; und dass sich an ihnen nicht “selten einge-
schnürte Kerne finden. Ich habe damals schon (a. a. O.) die
Frage erörtert, ob es sich hierbei um eine directe Kerntheilung han-
deln könnte, und bin — wofür ich auf das dort Gesagte verweisen
darf — zu dem Schluss gekommen, dass sich dies nicht behaupten
lässt. Hier möchte ich nur hervorheben, dass die eingeschnürten
Kerne jener dunklen „protoplasmareicheren“ Zellen, — welche
sich wie gesagt in allen Salamanderblasen finden, — keinerlei
Vergleichbarkeit haben mit den amitotischen Kerntheilungsbildern,
die ich hier beschreibe. Jene sind einfach durch eine schmale
Marke theilweis durchtrennt, wie es bekanntlich sehr vielfach bei
Zellkernen vorkommt; von den auffälligen Durchlöcherungen und
Zerschnürungen mit langen Brücken, wie sie die Tafel hier giebt,
habe ich niemals etwas gefunden, ausser in diesem einen Fall.
Mitosen sind zwar im Blasenepithel der erwachsenen Sala-
mander recht selten 2); da dies aber bei solchen auch in vielen
1) Chromessigosmiumsäure, Chromosmiumsäure, Platinchlorid, reine
Osmiumsäure mit folgender Kerntinetion. Grossentheils geschah dies bei Ar-
beiten, die ich in dem Buch „Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung“, 1882,
S. 346 erwähnt habe.
2) Nur bei einigen Thieren, welche Parasiten in der Blase hatten,
fand ich sie sehr reichlich, vergl. dies Archiv Bd. 16, S. 362.
448 W. Flemming:
anderen Geweben der Fall ist, so steht der Annahme nichts im
Wege, dass die normale Regeneration hier durch Mitose, nur sehr
allmählich und träge erfolgt.
Jedenfalls stellt also der hier beschriebene Fall einen abnor-
men Ausnahmezustand dar, der wahrscheinlich auf irgend eine
pathologische, vielleicht katarrhalische Veränderung zurückzuführen
sein wird. Bei meinen früheren Versuchen über künstliche Her-
vorbringung von Entzündung der Harnblasenwand, die am hier
unten eitirten Orte besprochen sind, sind mir ähnliche Veränderun-
gen der Kerne nicht aufgefallen.
Man wird mir nach dem Gesagten nicht die Meinung zu-
schreiben wollen, dass die amitotische Theilung überhaupt stets
ein pathologischer oder abnormer Process sei. Mehrere der
eitirten Beobachtungen anderer Forscher sprechen ja dafür, dass
sie auch unter normalen Verhältnissen vorkommen kann.
EI
Dass ich im Vorstehenden mehrere Dinge beibringen konnte,
die für einige Beschreibungen Arnold’s (a. a. O.) auch an einem
anderen Object Belege abgeben können, hat mich besonders gefreut,
weil mir verschiedentlich, und so noch kürzlich 1), eine Gegnerschaft
1) Denys (a. a. O.) sagt in seiner Literaturbesprechung, dass ich in
dem Buche „Zellsubstanz etc.“ zuerst den Gedanken ausgesprochen habe,
„Arnold’s Beschreibung der indireecten Fragmentirung in dessen Arbeiten
von 1833 und 1834 (Virchow’s Archiv Bd. 93 und 97) beruhe ganz und gar
auf schlecht fixirten Mitosen (indirecten Theilungen).“ Mein geehrter College
von Louvain muss mich hier doch missverstanden haben. Ich habe —
nicht in dem Buche von 1882, welches ein Jahr vor jener ersten Arbeit
Arnold’s erschien, sondern in dem Aufsatz: ‚‚Die Zellvermehrung in den
Lymphdrüsen ete.“, Arch. f. mikr Anat. 1885 — jene Arbeit Arnold’s be-
sprochen, aber einen Ausspruch von solcher Schärfe, wie es der eitirten Stelle
bei Denys entspräche, wird man in meinen dortigen Aeusserungen nicht
finden. Ich habe dort gesagt, was ich auch noch jetzt glaube, dass ich in den
Keimstätten der Leukocyten in den normalen Lymphdrüsen nur einen,
in Betracht kommenden Modus der Zellvermehrung finden könne, die
wahre Mitose; und dass mir ein Theil der damaligen Bilder Arnold’s als
Leukocytenkerne oder vielleicht als „‚chromatische Körper“, ein anderer als
veränderte Mitosen deutbar erscheine. Ueber die pathologisch veränderten
Lymphdrüsen, auf die sich die zweite Arbeit Arnold’s bezog, hatte ich keine
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 449
gegenüber Arnold’s Anschauungen über die Kerntheilung zuge-
schrieben worden ist, welche in soleher Form keineswegs existirt.
Im vorliegenden Falle würde ich prineipiell auch keinen Einwand
dagegen haben, die beschriebenen Kerntheilungsformen als ‚indirecte
"Fragmentirung“!) nach Arnold zu bezeichnen; denn sie ent-
spreehen ja im Wesentlichen seiner hier unten eitirten Definition,
mit der geringfügigen Einschränkung, dass in meinem Fall die
gleichtheilige Kerntrennung die häufigere ist, und dass ich den
Ausdruck „Zunahme der ehromatischen Substanz“ äusserster Vor-
sicht zu Liebe gern fortlassen möchte ?).
Ich habe den Ausdruck ‚indireete Fragmentirung“ hier ledig-
lich deshalb unbenutzt gelassen, weil Arnold ihn bei seinen
Objeeten nicht bloss auf diejenigen Formen angewandt hat, deren
Deutung als Kerntheilungen sich meines Erachtens nicht anfechten
oder widerlegen lässt ?); sondern auch auf eine Anzahl anderer
Bilder, welehe mir in dieser Hinsicht noch fraglich bleiben. Dies
bezieht sich zunächst auf viele von Arnold’s Figuren 1—23; ich
zweifle gewiss nicht an der Treue ihrer Darstellung nach dem
Präparat, und kenne manche solche Formen aus eigenen Unter-
suchungen der Iymphatischen Organe, aber ich kann einstweilen
nicht einsehen, weshalb sie gerade Phasen eines Theilungsvor-
eigene Kenntniss und habe ich mir kein Urtheil gestattet (a. a. O., S. 38
des Sep.-Abdr.), und glaube heute wie damals, dass unter abnormen Verhält-
nissen Dinge an Zellkernen vielfach vorkommen können, die unter normalen
fehlen oder vereinzelt sind. Der hier beschriebene Fall könnte dafür ja ge-
rade auch ein Beispiel bieten. Und es würde wohl denkbar sein, dass in der
Milz, in der doch ganz besondere physiologische Verhältnisse das Zellenleben
beeinflussen, solche Formen auch in der Norm häufiger sein können als in
anderen Organen.
1) Diese wird von Arnold definirt als: „Abschnürung der Kerne an
beliebigen Stellen in 2 oder mehrere gleiche, häufiger ungleiche Abschnitte,
welche nicht durch regelmässige Theilungsflächen sich abgrenzen; dabei mit
Zunahme und veränderter Anordnung der chromatischen Kernsubstanz.“
2) Aus den oben $. 442—443 erwähnten Gründen: — Auch bei der Mitose
(„indirecte Segmentirung“, welcher Arnold gleichfalls eine Zunahme der
chromatischen Substanz als Character beilegt) bildet eine solche kein con-
stantes Kennzeichen, denn es giebt recht viele Mitosen, bei welchen die Kern-
figur nach bestmöglicher Schätzung nicht mehr tingirbare Masse besitzt, als
die umliegenden ruhenden Kerne.
3) Wie Arnold’s Fig. 28, 29 ff., 32, 46, 48—50 a. a. 0.
450 W. Flemming:
ganges sein sollen. Einen anderen Theil der Figuren auf Tafel 25,
so 24—27, 39, 40, 42 hat Arnold selbst einer näheren kritischen
Prüfung unterzogen, ob sie nicht mangelhaft conservirte, gewöhnliche
Mitosen sein könnten (S. 559—560 a. a. O.), und glaubt dies aus-
schliessen zu müssen. Ich gestehe, dass ich meinen eigenen
Fixirungen nicht so weit trauen kann, um Bilder wie die erwähn-
ten, oder auch Fig. 16, 17, 18 dort, wenn ich sie in meinen
Präparaten sähe, von solchem Verdachte freizusprechen, denn ich
finde, dass in kleinzelligen Geweben auch bei sonst bester Fixirung
fast immer eine Anzahl veränderter Mitosen mit unterläuft. Die eigen-
thümlich stachligen Kernfiguren von Arnold’s Fig. 30, 31, 35 u.a.
habe ich aus der Milz der Maus und anderer Thiere bis jetzt
ebenso wenig wie Denys zu Gesicht bekommen. Bis ich mich
durch weitere Untersuchung genauer unterrichte und vielleicht
eines Besseren belehre, wollte ich nicht gern eine Bezeichnung
wählen, die auch auf Dinge, welche ich nicht mit in sie einbe-
greifen möchte, bezogen werden kann. Darum habe ich mich
für diesmal mit Worten wie: Trennung, Zerlegung, Zerschnürung
der Kerne beholfen, obwohl ich den Ausdruck Fragmentirung ja
seit lange als zweckmässig und berechtigt anerkannt habe.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIL.
Alle Figuren, mit Ausnahme von Fig. 18: Blasenepithelzellen. Be-
handlung s. im Anfang des Textes. Fig. 10, 13 und 18 sind mit homog.
Immersion von Zeiss gezeichnet, Fig. 15 mit ZeissF, Fig. 12 und 11 b mit
Zeiss D, Oc. I, die übrigen mit Zeiss D, Oc. II. Die blasse körnig-
strichelige Zeichnung in der Zellsubstanz ist überall, mit Ausnahme von Fig.
10, mehr oder weniger schematisch gegeben. Die graue Farbe der Kerne
und die dunklere der Chromatinkörper darin entspricht möglichst genau dem
Ton der Safraninfärbung. Die Chromatinkörper in den Kernen sind nicht
schematisch, sondern entsprechend der wirklichen Form und Vertheilung,
eingezeichnet.
Alle Figuren (mit Ausnahme von Fig. 18) aus dem Epithel einer
Harnblase, der einzigen, bei der ich bis jetzt diese Dinge fand. Alles Nähere
s. im Text.
as en
er
ee
Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. 451
Fig. 1—4. Löcher in Kernen, in verschiedenen Stadien der Vergrösserung.
Fig.
. 6a ebenso; blasse Marke zwischen den Kernhälften in der Zellsubstanz.
. 6b. Eine Zelle mit 2 Kernen und einem kleinen Kernpartikelchen da-
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fir.
Fig.
5.
14
16.
LG
18.
Stadium nach 4, eine Seitenbrücke getrennt.
neben.
8. Zellen mit Kernen, die einfache Durchschnürung zeigen.
Ein Zellenpaar, oben auf Seite 445 näher besprochen.
. Kurz vor dem Durchbruch der Seitenbrücken. Marke in der Zell-
substanz (Zellplatte?).
. a ein Stadium wie Fig 3, mit durch das Loch gespannten Brücken.
b (schwächer vergr., Oc. I) ein nicht in Theilung stehender Kern,
der aber dunkel tingirt und reich an Chromatinkörpern ist, ebenso
wie die in Theilung stehenden, und anders als die meisten Kerne
im Epithel (diese wie Fig. 12d).
(mit schwächerem Ocular gez.). a Kern mit Durchlöcherung. b, e
Kernpaar, welches aus Mitose entstanden scheint (s. Text Seite 445,
Abs. 3). d Ruhender Kern, von der Beschaffenheit wie die meisten
des Epithels sie zeigen.
(stark vergr.). 8förmiger Kern, eine Seitenbrücke ist über die an-
dere geschlungen.
u. 15. Ungleichtheilige Kernzertrennungen.
Stadium wie 5 und 6a, mit Marke in der Zellsubstanz.
Zwei Zellen, vermuthlich aus einer amitotischen Theilung hervorge-
gangen; in der einen ist der Kern nochmals ungleich getheilt,
beide Portionen zusammen von gleicher Masse wie der Kern der
Schwesterzelle.
Zwei Kerne aus einem Schnitt von der Milz der Maus, Chromessig-
osmiumsäure-Gentiana; b Kern mit Loch, in diesem ein blasses Kör-
perchen; a ein beliebiger anderer Kern.
452 Fr. Maass:
(Aus dem anatomischen Institut zu Göttingen.)
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im
menschlichen Körper.
Von
Dr. Fr. Maass, Assistent.
Von den beim Menschen vorkommenden körnigen Pigmenten
ist bisher nur ein Theil eingehender untersucht worden. Es ge-
hören dahin die Farbstoffniederschläge in der inneren Augenhaut,
im Haare, in der Haut, der Lunge, den Neubildungen und dieje-
nigen, welche ihre Entstehung Extravasaten oder Thrombosen ver-
danken. Was darüber an entwickelungsgeschichtlichen, anatomi-
schen, chemischen und physiologischen Thatsachen als erwiesen
angesehen werden kann, ist etwa Folgendes.
Retinapigment. Ueber den Beginn der Pigmentbildung
in dem menschlichen Retinaepithel sagt Kölliker!), er habe bei
einem menschlichen Embryo von 4 Wochen, bei dem die Linse
eben abgeschnürt, aber noch hohl war, das schwarze Augenpig-
ment in seiner allerersten Anlage gesehen.
Eine krystaliinische Gestalt, wie sie die Pigmentkörnchen
der Vogelnetzhaut besitzen, scheint denjenigen der menschlichen
Retina nicht zuzukommen. Frisch behauptet allerdings, dass
die unregelmässige Form der Körnchen durch cadaveröse Verän-
derung kıystallinischer Gebilde bedingt werde, eine Ansicht, wel-
cher Kühne und Le wall?) widersprechen.
Eine Zuführung des Farbstoffes durch Bindegewebs- oder
Wanderzellen, wie es für Haar und Haut behauptet wird, findet
1) Kölliker, Entwickelungsgeschichte des Menscheu und der höheren
Thiere. 2. Aufl., Leipzig 1879. Seite 679.
2) Kühne und Lewall, Untersuchungen aus dem physiologischen
Institut der Universität Heidelberg, Bd. III, Heft 3 u. 4, 1880, S. 236.
a A
er
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 453
hier nach Kölliker!) nicht statt, sondern es sind die Epithel-
zellen selbst als die Pigmentbildner anzusehen.
Eine zuverlässige chemische Analyse des menschlichen Re-
tinapigmentes scheint bisher nicht gemacht worden zu sein. Das-
jenige des Rinds- und Schweinsauges besteht nach Sieber?) aus
Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff. Sauerstoff fehlt ihm voll-
ständig.
In physiologischer Beziehung ist das Retinapigment von
Kühne?) bearbeitet worden, welcher das Ergebniss seiner Unter-
suchungen in folgenden Worten zusammenfasst. „Ich schliesse
daraus, dass der Stäbchenapparat ausser dem Sehpurpur noch
über andere dauerhaftere Sehstoffe verfüge und denke, dass das
Epithelpigment als einer davon aufzufassen sei.“
Haut- und Haarpigment. Ebenso wie die Entwicke-
lung des Retinapigmentes beginnt auch diejenige des Haarfarb-
stoffes schon vor der Geburt, während die ersten Spuren farbiger
Körnchen im Rete Malpighii erst nach Beendigung des intrauteri-
nen Lebens auftreten *). Auf die Herkunft des Pigmentes in Haar und
Haut haben bereits eine ganze Reihe von Beobachtern ihre Auf-
merksamkeit gerichtet. So v. Leydig, Heinrich Müller,
Riehl, Ehrmann, Aeby, Karg und Kölliker. Die be-
treffenden Arbeiten sind eitirt und excerpirt in der Inaugural-
dissertation von v. Wild).
Nach Kölliker) ist durch diese Untersuchungen folgen-
des Resultat erzielt worden. „In den Haaren und in der Epi-
dermis entsteht das Pigment dadurch, dass pigmentirte Bindege-
webszellen hier aus der Haarpapille und dem Haarbalge, dort aus
der Lederhaut zwischen die weichen, tiefen Epidermiselemente
1) Kölliker, Aus den Sitzungsberichten der Würzburger Phys. med.
Gesellschaft, 1887, XI.
2) Sieber, Arch. f. exper. Path. u. Pharm., Bd. 20, S. 362, 1886.
3) Untersuchungen aus dem physiol. Institut der Universität Heidelberg,
1882, Bd. II, S. 122.
4) cf. Kölliker, Entwickelungsgeschichte des Menschen und der
höheren Thiere, 2. Aufl., Leipzig 1879, Seite 772.
5) v. Wild, I.-D., Strassburg 1888.
6) Kölliker, Aus den Sitzungsberichten der Würzburger Phys. med.
Ges., XI, 1887,
454 Fr. Maass:
einwachsen. Hier verästeln sich dieselben mit feinen zum Theil
sehr langen Ausläufern in den Spalträumen zwischen den Zellen
und dringen zuletzt auch in das Innere dieser Elemente ein, welche
dadurch zu wirklichen Pigmentzellen werden.“
Eine chemische Analyse ist nur von dem Haarpigment durch
Nencki) semacht. Es besteht danach aus Kohlenstoff, Wasser-
stoff, Stickstoff und Schwefel. Das Hautpigment soll nach Floyd?)
eisenhaltig sein.
Arbeiten, welche sich mit der physiologischen Bedeutung
dieser beiden Farbstoffe beschäftigten, sind mir nicht bekannt.
Lungenpigment. Nach Karl Bruch?) erfolgt die
Pigmentation der Lungen mit der Pubertät, doch fand derselbe in
einem Fall bereits die Lungen eines achtwöchigen Kindes pig-
mentirt.
In neuerer Zeit scheint man dem Beginn der Entwickelung
des Lungenfarbstoffes keine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.
Es ist aber wohl anzunehmen, dass man mit den besseren Instru-
menten und Methoden, über welche man heute verfügt, die ersten
Spuren noch weiter zurück, als bis zu den Pubertätsjahren wird
verfolgen können.
Ob die Pigmentation der Lungen auf Kohleinhalation oder Um-
wandlung des Hämoglobins beruht, ist noch unentschieden ?).
Die chemische Zusammensetzung dieses Körpers soll nach
einer älteren Mittheilung aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff
und Sauerstoff bestehen >).
Die physiologische Bedeutung ist vollständig unbekannt.
Pigment melanotischer Tumoren. Die chemischen
Analysen des Farbstoffes der Neubildungen haben bisher überein-
stimmende Resultate nicht ergeben. Berdez und Nencki®) er-
hielten aus Tumormasse der Leber und Milz desselben Individuums
1) Nencki, Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 20, S. 365.
2) Hermann’s Handbuch d. Physiol., Bd. V, Theil 2, S. 616.
3) Karl Bruch, Unters. z. Kenntniss des körnigen Pigm. d. Wirbel-
thiere, Zürich 1844, S. 26 u. 27.
4) Virch. Archiv Bd. I, S. 465—466, Ziegler Lehrb. d. spec. Pathalog.
1886, S. 438, Toldt, Gewebelehre, 2. Aufl., 1884, S. 478.
5) Vogel’s pathol. Anatomie, p. 161.
6) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak., Bd. 20, S. 357.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 455
einen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel be-
stehenden Körper, welchen sie als Phymatorrhusin bezeichneten.
Oppenheimer!) erhielt über das Pigment eines Hirntumors, dessen
Analyse er von Nencki erbeten hatte, die Mittheilung, dass
dasselbe eisenhaltig, amorph und in Hämatin durch Kochen nicht
überführbar sei. Moerner?) isolirte aus Harn und Lymphdrüsen
eines an melanotischem Sarcom zu Grunde gegangenen Menschen
ebenfalls einen eisenhaltigen Farbstoff. Und schliesslich ist mikro-
chemisch Eisen in Geschwulstfarbstoffen nachgewiesen worden ?)
Ob diese Substanzen wirklich chemische Unterschiede bieten
oder ob die ungleichen Darstellungsmethoden die wechselnden
Resultate bedingen, bleibt noch abzuwarten ?).
Die bisher besprochenen und die noch wenig untersuchten
Pigmente in der Pia mater und den Nervenzellen werden unter
dem Namen Melanine zusammengefasst. Während sie früher als
identische Körper galten, glaubt man jetzt auf Grund chemischer
und physikalischer Unterschiede differente Substanzen darin vor
sich zu haben).
Extravasate und Thrombosen. Die Art der Umwand-
lung des Blutfarbstoffes zu Pigment in Extravasaten und Thromben
ist vielfach Gegenstand der Untersuchung gewesen ®). Ueber den
gegenwärtigen Stand dieser Frage giebt eine Arbeit von Neu-
mann Aufschluss ?. Er sagt darin etwa Folgendes: In Extra-
vasaten und Thromben können zwar verschiedene Pigmente ent-
stehen, Hämatoidin und ein eisenhaltiges Pigment, Hämosiderin.
Das Hämatoidin (Bilirubin) findet sich oft in Krystallen, das Hämo-
siderin ist meist körnig (nie krystallinisch). Ersteres ändert in
1) Virch. Arch., Bd. 106, S. 546.
2) Moerner, Fortschr. d. Anat. u. Physiologie, Bd. XV,, S. 240—241.
3) cf. Vossius v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, XXXI 2.
4) cf. Nencki contra Moerner weiter unten.
5) C. Bruch, Unters. z. Kenntniss d. körnigen Pigm. der Wirbelthiere,
Zürich 1844, S. 1- 2. Berdez u. Nencki, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm.
Bd. 20, S. 347.
6) Die Literatur ist angegeben bei Langhans, Virch. Arch. Bd. 49;
bei Hindenlang, Virch. Arch. Bd. 79; bei Vossius v. Graefe’s Arch. f.
Ophthalm., XXXI 2.
7) Neumann, Virch. Arch., Bd. 111, Heft 1, S. 25, S. 29-30, S. 36
u. 8. 41.
456 Fr. Maass:
jeder Form durch Zusatz von Schwefelsäure die Farbe in ähnlicher
Weise, wie es bei der Gmelinschen Gallenreaction geschieht. Das
Hämosiderin giebt mit Schwefelammonium Eisenreaetion. Beide
Pigmente entstehen: weder das eine aus dem anderen noch beide
nebeneinander durch Zerspaltung des Blutfarbstoffes, sondern aus
dem Hämoglobin einer rothen Blutzelle wird entweder Hämotoidin
oder Hämosiderin. Die letztere Umwandiung findet bei denjenigen
Blutzellen, bezugsweise ihrem Farbstoff statt, welche mit dem
Gewebe in innigen Contact kommen, in dasselbe eindringen, die
erstere bei dem übrigen Theil der Blutkörperchen, welcher ausser-
halb des Gewebes in einem Bluteoagulum eingeschlossen bleibt.
Es gehört also zur Entstehung des Hämosiderin die Einwirkung
des lebenden Gewebes bezw. seiner Zellen auf den Blutfarbstoff,
während die Hämatoidinbildung einen von vitaler Gewebsthätig-
keit unabhängigen chemischen Zersetzungsprocess darstellt. Zu
denselben Resultaten kommt Skrzeezka!). Ueber das weitere
Schicksal des Hämosiderin hat Martin B. Schmidt?) experi-
mentelle Untersuchungen angestellt und gefunden, dass das
Stadium der Eisenreaction dieses Pigmentes schliesslich einem
späteren weicht, in dem der mikrochemische Nachweis des Eisens
nicht mehr gelingt.
Genese der Melanine. Die Ansichten über die Entstehung
der melanotischen Pigmente gehen nach zwei Richtungen aus-
einander, indem man einerseits das Hämoglobin, andererseits das
Fett als Matrix derselben ansieht. Jede der beiden Theorien zählt
namhafte Autoren zu ihren Anhängern.
Hämoglobintheorie. Auf Grund seiner Beobachtungen
an Hämorrhagien stellt Bruch) die Behauptung auf, dass allen
körnigen Pigmenten der färbende Bestandtheil des Blutes zu
Grunde liege. Weniger bestimmt spricht sich Gorup-Besanez ?)
dafür aus. Er sagt: „Die so ziemlich allgemeine Annahme, dass
1) Skrzecezka; Ziegler u. Nauwerk, Beiträge zur pathol. Anat.,
Bd. Il, Heft 2.
2) Martin B. Schmidt, Virch. Arch. Bd. 115, S. 440.
3) C. Bruch, Unters. zur Kenntniss des körnigen Pigmentes, Zürich
1844, S. 40—44.
4) G. Besanez, Lehrbuch d. physiol. Chemie, 4. Aufl., Braunschweig
1878, S. 202.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 457
das Melanin vom Blutfarbstoff abstamme, ist mindestens sehr
wahrscheinlich und findet namentlich auch in dem Eisengehalt
des Melanins eine Stütze.“ Ebenda wird auch Hoppe-Seyler
als Vertreter dieser Ansicht genannt. Und endlich leitet Virchow!)
das Lungen-, Augen- und Haarpigment vom Blutfarbstoff her.
Gegner dieser Theorie giebt es, soweit ich sehe, unter den heuti-
sen normalen und pathologischen Anatomen überhaupt nicht.
Wenigstens hat ein Widerspruch von dieser Seite, wenn er er-
hoben sein und mir vielleicht entgangen sein sollte, weitere Be-
achtung nicht gefunden.
Als beweisend werden folgende Thatsachen angeführt.
1. Die Pigmentbildung findet meistens in gefässreichen
Geweben statt: Choroidea, Cutis, Lungen ?).
2. In der Umgebung von Gefässen, besonders erweiterten,
ist das Pigment häufig auffallend reichlich 3).
3. Die Körnchen sehen zerfallenden Blutkörperchen oft sehr
ähnlich °).
4. Der Umstand, dass der Blutfarbstoff die Fähigkeit besitzt,
sich zu Pigment umzuwandeln ?).
5. Das Auftreten von Hämatoidinkrystallen und krystall-
ähnlicher Gebilde zwischen den Pigmentkörnchen ).
6. Eine durch cone. Mineralsäuren bervorgerufene der
Gmelinschen Gallenfarbstoffreaction ähnliche Farbenänderung des
Pigmentes’°).
7. Die Eisenreaction mit Schwefelammonium oder Ferro-
eyankalium ®).
8. Der durch chemische Analyse nachgewiesene Eisengehalt
des Pigmentes 7).
1) Virch. Arch. Bd. 1, S. 465—466 und S. 468—469.
2) C. Bruch, Unters. etc., S. 26.
3) Langhans, cit. von Oppenheimer, Virch. Arch. Bd. 106, S. 517
bis 518 u. 540; Nothnagel, Morb. Addiss. Zeitschr. f. klin. Med. 1885.
4) C. Bruch, Unters. etc., S. 42. Gorup-Besanez, Lehrbuch d.
physiol. Chemie, 4. Aufl., Braunschweig 1878, S. 202.
5) Virch. Arch. Bd. I, Die pathol. Pigmente.
6) cf. Vossius v. Graefe’s Arch. f. Ophthalmologie, XXXI 2, Ein-
leitung.
7) Moerner, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. XI, 66—141. Oppen-
heimer-Nencki, Virch. Arch. Bd. 106, S. 546.
458 Fr. Maass:
9. Das Auftreten von Pigmentkörnchen innerhalb der
rothen Blutzellen unter allmählichem Verschwinden der Hämoglo-
binfärbung der letzteren }).
- Den unter 1—4 angeführten Thatsachen, kann man für sich
allein eine Beweiskraft nicht beimessen; Nr. 5 mag die Abstam-
mung des Pigmentes von Hämoglobin vielleicht als wahrscheinlich
erscheinen lassen. Einwandfreie Momente sind uur diejenigen
von 6—9.
Wenn man diesen Maassstab anlegt, so ist bisher noch von
keinem normalen Pigmente der sichere Nachweis seines genetischen
Zusammenhanges mit Hämoglobin erbracht. Nur das Pigment
der Substantia nigra scheint eine Ausnahme zu machen, weil ein
Theil desselben immer Eisenreaction giebt 2).
Ich verzichte darauf, die pathologischen Pigmente, welche
erwiesenermassen Hämoglobinderivate sind, hier aufzuzählen. Bei
den meisten stützt sich die Beweisführung auf Nr. 6 und 7,
während Nr. 9 nur für Melanämie Geltung hat. Durch ehemische
Analyse hat man, so viel ich weiss, bisher nur zweimal in mensch-
lichem Pigment Eisen gefunden ?). Gegen eine dieser beiden Un-
tersuchungen erhebt Nencki den Vorwurf, dass sie mit einem
unreinen Präparate ausgeführt sei ®).
Fetttheorie. Diese Anschauung, unter deren Vertretern
Henle zu nennen ist, wird von Bruch) eingehend besprochen,
Jedoch ohne dass sichere Anhaltspunkte der Arbeit mitgetheilt
werden. Der genannte Autor hält es für wahrscheinlich, dass
sich dem Fett ein Farbstoff beimische und dass aus dieser Ver-
einigung das Pigment hervorgehe. In Klammern setzt er hinzu
„Blutfarbstoff“. Spätere Beobachtungen haben dann in der That eine
gewisse Affinität dieser beiden Substanzen nachgewiesen. Flüssi-
ger und krystallinischer Blutfarbstoff in Extravasaten haftet mit
Vorliebe an Fetttropfen und Fettzellen resp. wird in dieselben
1) cf. E. Neumann, Virch. Arch. Bd. 116, S. 318.
2) M. B. Schmidt, Virch. Arch. Bd. 115, S. 458—459.
3) cf. Literaturangabe auf Seite 457 Nr. 7.
4) Arch. f. exper. Pathologie Bd. 24, Heft I, S. 27—30.
5) C. Bruch, Untersuchungen etc.
%
v
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 459
aufgenommen!). Doch ist man bisher in dieser Richtung nicht
weiter gekommen.
Von den neuern Beobachtern scheint Krukenberg die Ab-
stamung melanotischer Pigmente von fettartigen Substanzen für
wahrscheinlich zu halten. Er spricht es zwar nicht direct aus,
doch glaube ich folgende zwei Aeusserungen so auffassen zu müssen.
„Lipochrome gehen meist aus fettartigen Substanzen hervor“ ?).
„Die Melanine, welche meist mit dem Hämoglobin in enge Bezie-
hung gesetzt werden, weisen sowohl in ihrer Verbreitungsweise,
wie durch ein vicariirendes Vorkommen auf eine nahe Verwandt-
schaft mit den Lipochromen hin“ 3).
Alle bisher erörterten Fragen harren nun für eine ganze Reihe
menschlicher Pigmente noch der endgiltigen Lösung. Ich habe
es daher auf Vorschlag von Herın Prof. Dr. Merkel, welchem
ich auch bei Ausführung dieser Arbeit zahlreiche Rathschläge ver-
danke, unternommen, einen Theil der im Körper vorhandenen
körnigen Farbstoffe eingehender zu untersuchen.
Aus äusseren Gründen habe ich das Nieren-, Leber-,
Herz-, Nebennieren-, Samenbläschen-, Nebenhoden- und
Hodenpigment ausgewählt und mir folgende fünf Fragen vor-
gelegt.
1. Hängt die Pigmentation vom Alter ab und in
welchem Lebensabschnitt beginnt sie?
2. Sind diese Pigmente als physiologische oder
pathologische Bildungen aufzufassen?
3. Wird das Pigment an seinem Fundort gebildet
oder dort aus dem Blut abgelagert oder endlich durch
andere Zellen dahin verschleppt?
4. Entsteht das Pigment aus dem Blutfarbstoff
oder dem Fett?
5. Sind diese Pigmente unter sich identisch oder
nicht?
1) Virch. Arch. Bd. I, S. 453 u. 454. Langhans, Virch. Arch. Bd.
49, 8. 89. Neumann, Virch. Arch. Bd. 111, S. 37.
2) Krukenberg, Vergl. Physiol. Vorträge. Heidelberg 1886.
3) Krukenberg, Grundriss der med. chem. Analyse, Heidelberg 1854,
D..U0.
“
e
460 Fr. Maass:
Das Leichenmaterial, weiches mir zu meinen Untersuchungen .
zur Verfügung stand, wurde zum grössten Theil von ausserhalb
besorgt. Die Organe wurden unmittelbar nach der Section in
96 %/, Alkohol gelegt, verschickt und bis zum Gebrauch conservirt.
Die Fälle und die darüber bekannten Data sind am Schlusse der
Arbeit aufgeführt.
I. Hängt die Pigmentation- vom Alter ab und in
welchem Lebensabschnitt beginnt sie?
Die Methode, welcher ich mich zum Nachweis des Pigmen-
tes bediente, war folgende. Die mit dem Rasirmesser gemachten
Schnitte wurden 24 Stunden in absoluten Alkohol gelegt, um alles
in Tropfenform vorhandene Fett zu entfernen, und dann ohne
weitere Behandlung in Oleum Origani untersucht !. Nachdem
ich einige Uebung im Suchen erlangt hatte, konnte ich in den sehr
hellen, fast glasig durchscheinenden Präparaten auch die kleinsten
Pigmentspuren nachweisen. Ein Verfahren, welches die Körnchen
deutlicher sichtbar macht, besteht darin, dass die entfetteten'
Schnitte wieder mit Wasser durchtränkt und dann in concentrirter
Schwefelsäure, welehe die Gewebe gut aufhellt und die Pigmente
deutlich dunkler färbt, unter das Mikroskop gebracht werden. In
allen zweifelhaften Fällen habe ich dieses letztere Reagenz zur
Controle angewendet. Die Extraction der Fetttropfen ist deswegen
nöthig, weil dieselben kleine und spärliche Pigmentkörperchen
häufig verdecken.
Niere. Zur Untersuchung dienten die Fälle: Nr. 1, 4, 5,
7, 15, 17, 19, 20, 26, 31, 33, 34, 35, 36, 45, 52, welche im Alter
von 3/, bis 61 Jahren standen ?). Bei allen wurde Pigment ge-
funden. Ort der Ablagerung waren fast ausschliesslich die Epithe-
lien der Henle’schen Schleifen. Nur bei älteren Individuen schien
es manchmal, . jedoch äusserst spärlich zwischen den Kanälchen
zu liegen. In Fail 15 führten neben den normalen Pigment-
trägern vereinzelt die Epithelien der Sammelröhren und in Fall
31 diejenigen der gewundenen Kanälchen Farbstoffkörnchen. In
1) Vergrösserung, Winkel (Göttingen) Objectiv Nr. 7, Oc. 3.
2) Genauere Mittheilungen über die einzelnen Fälle enthält das Ver-
zeichniss am Schluss der Arbeit.
“ r ”
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körpur. 461
einzelnen Fällen spärlicher Pigmentation hatte es den Anschein,
als ob die Körnchen dem Kern unmittelbar anlägen und ihn,
wie es auch in der Epidermis der Fall ist, auf seiner nach der
freien Oberfläche gekehrten Seite haubenförmig deckten.
Am spärlichsten und kleinsten waren diese farbigen Gebilde bei
Fall 1 im Alter von °/, Jahren
Im U Eee „ 14 Monaten
BUN SUR „ 3 Jahren,
etwas zahlreicher und grössen bei
Fall 5 im Alter von 21/, Jahren
” 7 „ ” ” 23/4 ”
” 15 ” „ ” 6 ”
” 19 ” ” ” 12 ”
” 20 ” ”„ ” fr ”
In allen übrigen Fällen fanden sich Pigmentkörnchen,
welche wiederum diejenigen der letztgenannten an Grösse und
Menge übertrafen. Sie ordnen sich der Masse des Farbstoffes
entsprechend etwa folgendermassen:
Fall 17 im Alter von 8—10 Jahren
2: 1.830. 28 h
1 200 Naur 21 N
. do a 2a 2
34 Be 28 4
= 24 R
„2 Aa 45 „
SB 28 R
5 AA ER a 61 H
Ein Blick auf diese drei Gruppen zeigt, dass die Menge und
Grösse der Körnchen in erster Linie vom Alter abhängig ist,
indem sie mit der Zahl der Jahre zunimmt. Auffällig ist, dass die
Unterschiede in der Menge des Pigmentes in der zweiten Gruppe
erheblich grössere waren, wie diejenigen in der dritten Gruppe.
Man muss daraus den Schluss ziehen, dass der Process am leb-
haftesten in jugendlichen Jahren fortschreitet und dass er etwa
mit dem 20. Lebensjahre in ein Stadium langsamerer Entwickelung
eintritt. Dass etwa pathologische Zustände die Pigmentablagerung
begünstigten, liess sich nicht erkennen. Namentlich boten sich
keine Anhaltspunkte, dass locale oder allgemeine Atrophie eine
Archiv [. mikrosk. Anatomie. Bd. 24. 30
“
462 Fr. Maass:
derartige Rolle spielten. Denn einerseits zeigten die stark pig-
menthaltigen Zellen keine auffallende Verkleinerung, andererseits
trat von an Nieren heruntergekommenen Individuen, um die
es sich in Fall 1, 5, 19, 20, 36 und 24 handelte, durch ihren
Farbstoff-Reichthum nur Nr. 24 etwas hervor.
Die Antwort auf die gestellte Frage lautet demnach: In
den Epithelien der Henle’schen Schleifen finden sich
vom ersten Lebensjahre an Pigmentkörnchen, deren
Menge und Grösse in erster Linie vom Alter des Indi-
viduums abhängig ist !!).
Leber. Untersucht wurden Nr. 1, 3, 5, 6, 7, 8,9, 10, 11,
13, 14, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 29, 30, 31, 32, 38,
36, 37, 41, 45, 47 und 58 im Alter von ?/,—75 Jahren. Davon waren
pigmentfrei Nr. 1, 3, 5, 6, 7 und 10 im Alter von 3/,—4 Jahren.
Kaum wahrnehmbare Spuren fanden sich in Fall 8 und 9 im Alter
von 3 Jahren. Ziemlich reichlich aber sehr feinkörnig war das
Pigment in
Fall 11 im Alter von 4 Jahren
Kr a ee.
” 14 D) ” ” 51) 2
BSR A Ä
BR U 2
PERS A 5
FOR PR N RAS
Bei den übrigen Fällen nahm die Menge und bis auf Fall
41 auch die Grösse der Körnchen in folgender Reihenfolge zu:
Fall 17 im Alter von 8—10 Jahren
” 18 ” ” „ 8—10 ”
” 22 „ ” 2) 18 „
„ 25 „ 2) „ 20 „
„ 29 ” „ ” 22 ”
„ 36 ” „ „ 28 ”
ra nn, 21 #
a RE. SO BE u,
1) Virch. Archiv Bd. I, 8. 200. In den Nieren Neugeborener fand R.
Virchow gelegentlich Pigmentkörnchen, deren Entstehung er auf kleine Ex-
travasate zurückführt und die zum Unterschied von dem hier besprochenen
Farbstoff Hämatoidinreaction gaben.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 463
Fall 30 im Alter von 23 Jahren
2] 31 ” 2 ” 24 ”
Oi, 20 h
a 25-88 ul),
a nn 80 N
a rg 87 h
AD rar AB h
NE lan? N
a ED h
Ort der Ablagerung war bei den kleinsten Pigmentspuren
ausschliesslich, bei den übrigen vorherrschend, die eigentliche
Drüsenzelle der Leber. Aus der Reihenfolge der Fälle ergiebt
sich auch hier, dass die Masse des Farbstoffes zu dem Lebensalter
in gleichem Verhältniss steht. In Fall 17 und 32, welche für ihr
Alter sehr schwach pigmentirt waren, hatte ein grosser Theil der
Leberzellen durch fettige Degeneration seinen Untergang gefunden.
Es ist wohl am wahrscheinlichsten, dass die Körnchen hierbei frei
geworden und in den Säftestrom übergegangen sind. Ein Grund
für die im Alter von 31 Jahren ungewöhnliche Feinheit des reich-
lichen Pigmentes von Fall 41 liess sich nieht erkennen. Atrophi-
schen Individuen gehörten die Lebern Nr. 5, 9, 17, 19, 20, 24 und
32 an, von welchen nur Nr. 24 stärker pigmentirt war als dem
Alter entspricht, während Nr. 19, 20 und 32 sich umgekehrt ver-
hielten }).
Esr’kommt,alsor beider, Pie mentatiom der
Leber als begünstigendes Moment in erster
Linie das Alter desIndividuums inBetracht.
Herz. Untersucht"wurden ‚Nr.1, 23, 345,89, 11, 13,
13a, 13 b, 13e, 14, 16, 17, 18, 19, 20, 21,:22, 23, 24, 25, 26, 27,
28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 39, 42, 43, 44, 45, 47, 53, 54, 57,
59 und 60. Im Alter von 3/,—81 Jahren.
Davon waren pigmentfrei
Fall 1 im Alter von ®/, Jahren
3
» 2 ” ” ” ]3 »
1
” 3 n ” ” ”
1) Ueber die Ablagerung von Blutpigment respective Eisen in der
Leber vergleiche weiter unten den Abschnitt über Eisenreaction.
464 Fr. Maass:
Fall 4 im Alter von 1 Jahren
» B) ” » ” 24 2 ))
” I) ” ” » 3 ”
2 9 » n ” 3 »
” 1 1 ” ” ” 4 n
» 1 2 ” n » 4 ”
eh) 1 34 $)] ” ” 4 ”
RE! KORRERLHER I > 21 NE
Eine schwache eben beginnende Pigmentation zeigte sich in
Fall 16 im Alter von 8 und Fall 19 im Alter von 12 Jahren }).
Bei den übrigen nahm die Menge und Grösse der Körnchen
etwa in folgender Reihenfolge zu: |
Fall 20 im Alter von 17 Jahren
„ 2l ” ” ” 17 2]
” 28 „ ” ” 22 „
RR „rs 5
BAR we
ua yadık BE #
EB I A
” 26 „7 9 ” 21 „
RAM 21 0) PART BAR. en
” 29 ”„ ch] ” 22 ”„
” 30 ” ” ”„ 23 ”
” 3l 2) „ ” 24 ”
a EZ 0
33.570, 2a,
” 34 ” ” ” 28 „
” 35 ” „ ” 28 ”
nid ni
” 42 ” ” ” 40 ”
43 ” ” ” 40 ”
” 44 95 ” ” 43 KR}
1) Goldenberg sah in geringer Menge Pigment in dem Herzmuskel
eines 3l/,jährigen Mädchens. 1.-D. Dorpat, 1855, S. 40.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 465
Fall 45 im Alter von 45 Jahren
AU EN VEN 135
»„ 98 ” ” ” 62 » ”
54 ” ” „ 63 ”
DORM IN 9%, 07 4
60 ” ” ” 8l 2)
” 59 ıı ” 77 ”
Es waren also vom 12. Lebensjahre an sämmtliche Herzen
pigmentirt. Unter 12 Jahren fanden sich nur einmal bei einem
8 jährigen Individuum farbige Körnehen. Man wird somit etwa
das 10. Lebensjahr als normalen Beginn der Pigmentation ansehen
können. In einigen sehr alten Herzen erreichten die Pigment-
körner theilweise die Grösse eines mittleren Muskelkernes. Be-
sonders reich an solchen Schollen war das Herz einer 77 jährigen
Fraa (Nr. 59). während das Herz 60 im Alter von 81 Jahren nur
vereinzelte davon aufzuweisen hatte. Unter den Herzen atrophischer
Leichen, um die es sich in Fall 5, 9, 17, 19, 20, 24, 31 und 57
handelte, unterschied sich keines weder durch ein Mehr noch ein
Weniger des Pigmentes von den Gleichaltrigen.
Der um das 10. Lebensjahr beginnende Pig-
mentgehaltim Herzmuskelwächstdemnach con-
stant mit dem Alter desIndividuums.
Nebenniere. Untersucht wurden Nr. 16, 17, 18, 19, 20,
24, 25, 26, 27, 29, 31, 32, 35, 36, 37, 41, 43, 45, 47, 54, 58 im
Alter von S—75 Jahren. Davon waren pigmentfrei
Fall 16 im Alter vn 8 Jahren
„ 17 „ ” ” 8—10 ”
133% R3—10: %,;
a kn .
” 26 „ ” ” 21 ”
” 36 ” ” ” 28 ”
Bei allen diesen rief jedoch concentrirte Schwefelsäure eine
diffuse gelb bis gelbbraune Färbung der innersten Zellen der
Rindenschicht hervor.
Spärliche, kaum nachweisbare Körnchen fanden sich in
Fall 20 im Alter von 17 Jahren
” 24 „ ” ” 20 ”„
466 Fr. Maass:
Bei den übrigen Fällen nahm Zahl und Grösse der Pigment-
körnchen in folgender Reihenfolge zu:
Fall 27 im Alter von 22 Jahren
” 25 ” >) ” 20 ”
u OO et, 2 Ns
2 U
Ey BB
ea BO
A u ee
RT a el A
iu RN A
” 45 =. ” ” 45 ”
NEE ET
Der Ort der Ablagerung waren immer die inneren Zellen der
Rindenschicht und in diesen wiederum die nächste Umgebung der
Kerne. Ausserdem wiesen einzeine Nebennieren bald hier bald
dort sehr spärliche grobe farbige Schollen auf, welche sich sowohl
durch ihr Aussehen als durch deutliche Eisenreaction als soge-
nannte zerfallende Blutkörperchen charakterisirten.
Der Beginn der Pigmentbildung liegt etwa im 20. Lebens-
jahr. Gegen eine Begünstigung des Processes durch allgemeine
Körperatrophie sprechen Nr. 17, 19, 20, 24 und 31, welche abge-
magerte Leichen betreffen, aber durch Pigmentmenge nicht her-
vortreten. Die Pigmentarmuth von Fall 58 ist offenbar patho-
logisch.
Es findet sich also im Allgemeinen in der
Nebenniere vom 20. Lebensjahre ab körniger
Farbstoff, dessen Menge mitdemAlterzunimmt.
Samenbläschen. Der Farbstoff ist in diesem Organe an
zwei verschiedenen Stellen abgelagert. In den Epithelzellen und
in langgestreckten meist spindelförmigen Zellen, welche ihrer
Gestalt nach als glatte Muskelfasern anzusehen sind. Es
müssten demnach eigentlich beide Zellarten besonders bespro-
chen werden. Da jedoch beide Pigmente mit einer Ausnahme
immer gleichzeitig und ungefähr in demselben Mengenverhältnisse
vorkamen, so sehe ich von dieser Trennung ab.
Untersucht wurden folgende Präparate: Nr. 8, 10, 11, 12,
18, 23, 24, 27, 31, 34, 36, 41, 43, 45, 5l und 54 im Alter von
3—63 Jahren.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 467
Davon hatten weder im Epithel noch in den glatten Muskel-
zellen Pigment:
Fall 8 im Alter von 3 Jahren
„ 10 „ ” „ 4 ”
”„ 11 „ ” Eh) 4 ”
PAR DE h% 4 ul
© 0 ko ae ir s—10
2 RER 2 20 N
27 u 22 I
In Fall 24 im Alter von 20 Jahren waren im Epithel eben
feinste Spuren zu erkennen.
Alle übrigen Organe zeigten einen sehr viel reichlicheren
Pigmentgehalt. Nach Zahl und Grösse der Körnchen nehmen sie
folgende Reihenfolge ein:
Fall 34 im Alter von 28 Jahren
a ae ZB Ne
a3 en Pe E pas
AT hi
5 AR ee. U META
ae ATTE. en
„Be N ee
SA eh 2,03
Von den 3 Organen aus abgemagerten Leichen Nr. 24, 34
und 31 hatten Nr. 24 und 31 gegenüber Gleichaltrigen und Aelteren
ein unbedeutendes Mehr an Farbstoff aufzuweisen, sodass ein geringer
Grad der fördernden Wirkung der allgemeinen Atrophie nicht
ausgeschlossen ist. Doch scheint es mir nach Analogie mit den
übrigen Organen wahrscheinlicher, dass es sich nur um eine Zu-
fälligkeit handelt.
Die Menge der Körnchen in den Epithelzellen überwog
meistens ein wenig diejenige der Muskelzellen desselben Stückes.
Da ferner in Fall 24 das Epithel bereits Farbstoff enthielt, während
die Muskelzellen noch frei davon waren, so glaube ich für diesen
Mengenunterschied eher den früheren Beginn als das schnellere
Fortschreiten der Pigmentbildung‘ in den Epithelzellen verantwort-
lich machen zu müssen.
Der Anfang für die Entstehung beider Pig-
mente der Samenbläschen liegtzwischen 20 und
468 Fr. Maass:
25 Jahren. Beide Farbstoffe nehmen mit dem
Alteran Menge und Grösse der Körnchen zu.
Nebenhoden. Untersucht wurden Nr. 23, 24, 27, 31, 33,
36, 43, 45, 47, 51, 55 und 56 im Alter von 20 bis 66 Jahren.
Davon enthalten kein Pigment.
Fall 23 im Alter von 20 Jahren
” 24 „ ” ” 20 „
AT I ee %
WISE Mr 2 N,
Im Stadium der beginnenden Farbstoffablagerung befand sich
Fall 31 im Alter von 24 Jahren.
Ziemlich reichliche Körnchen enthielten
Fall 36 im Alter von 28 Jahren
9 TR RANG
da AN NL
er ya a? KR
ODE ho RD
ES NE SV,
BON a0 oe
Das Pigment fand sich immer im Bereich der Epithelzellen,
ob in oder zwischen den Zellen liess sich meistens nicht sicher
entscheiden. Bei Fall 51 lagen pigmentirte Zellen auch in dem
die Kanälchen umgebenden Gewebe. Von den letztgenannten
7 Fällen übertrafen nur Nr. 51 und 56 die übrigen an Menge des
Farbstoffes. |
Es findet sich also im Epitlbel des Neben-
hodens vom 24-30. Lebensjahre ab Pigment, wel-
chesconstant mit dem Alter zunehmende Mengen-
verhältnisse nicht zeigt.
Hoden. Untersucht wurden Fall 33, 38, 40, 43, 45, 46,
47, 51, 55 und 56 im Alter von 25 bis 66 Jahren. Bei allen
diesen Fällen fand sich zunächst Pigment in den interstitiellen
Zellen. Die ersten Anfänge der Farbstoffablagerung war bei
allen schon überschritten. Nach Menge und Grösse der Pigment-
körnchen ordnen sie sich dem Alter vollkommen entsprechend.
Fall 33 im Alter von 25—28 Jahren
„ 38 ” „ ” 32 „
A ei, 33 ”
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 469
Fall 45 im Alter von 45 Jahren
Ense: Ya HIN, „ 40-50 „
N ER AAN a - 50 H
„ 99 ” ” ” 65 ”
DO, Baal iu; a 66 N
”
Nach ungefährer Schätzung mag der Anfang der Pigment-
bildung etwa im 20. Lebensjahre liegen.
Ausser an genannter Stelle weisen Fall 33, 38, 40, 55 und
56 auch im Bereich der eigentlichen Hodenzellen ein spärliches
und feinkörniges Pigment auf. Für dieses letztere nimmt das
Alter als ursächliches Moment anscheinend keine hervorragende
Stelle ein, da einmal in allen eben genannten Fällen etwa die
gleiche Farbstoffmenge vorhanden war, zweitens unter ihnen neben
den zwei ältesten die drei jüngsten Individuen sich befinden.
Ueber den Ernährungszustand der Leichen, welchen die Hoden
entnommen wurden, fehlen die Angaben. Gegen einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen der zuletzt genannten Pigmentablagerung
und Atrophie der Hodenzellen sprechen Fall 38 und 40, welche
einen ausserordentlichen Reiehthum an Spermatozoen zeigten.
Es beginntalso etwa mit dem 20. Lebensjahre
indeninterstitiellenHodenzelleneine mitdem
Alter zunehmende Pigmentablagerung, während
sich für Farbstoffniederschläge in oder zwischen
den Hodenzellen aus diesen Untersuchungen
eine Abhängigkeitvom Alter nicht ergiebt.
II. Sinddie besprochenen Pigmente als phy-
siologische oder pathologische Gebilde aufzu-
fassen?
Aus den bisher mitgetheilten Thatsachen scheint mir bereits
mit Sicherheit hervorzugehen, dass es sich hier nur um normale
Producte des Stoffwechsels handeln kann. Unter den beweisenden
Momenten ist in erster Linie hervorzuheben, dass die Farbstoffe
von einer bestimmten, natürlich nicht ganz scharfen, Altersgrenze
an sich in jedem untersuchten Organe fanden, ohne dass irgend
eine Auswahl unter dem vorhandenen Material getroffen wurde.
Sodann entsprach das Mehr oder Weniger der Körnchen immer
470 Fr. Maass:
der höheren oder niederen Altersstufe des Individuums, mochte
es sich in gutem oder schlechtem Ernährungszustande befinden.
Und drittens waren die letalen Krankheiten zu verschiedenartig,
um immer ein und denselben Process, die Ablagerung des Pig-
mentes, hervorrufen zu können.
. In den Tabellen Seite 471—479 sind alle Fälle nach Krankheiten
geordnet und ist für jedes Organ der Grad der Pigmentation be-
stimmt, durch die Angabe, dass es entweder eine seinem Alter
entsprechende Farbstoffmenge besitzt, oder dass es ältere Organe
darin übertrifft, oder endlich, dass es jüngeren in dieser Hinsicht
nachsteht.
Auffallend ist in diesen Tabellen, dass 9 Organe phthisi-
scher Leichen für ihr Alter wenig, und nur zwei für ihr
Alter viel Farbstoff enthielten, und dass unter der Rubrik
„lobuläre Pneumonie* 8 Organe relativ stark und 2 relativ
schwach pigmentirt waren. Um daraus den Schluss zu ziehen,
dass erstere Krankheit hemmend und letztere fördernd auf
die Pigmentation wirkt, ist das Beobachtungsmaterial natür-
lich nicht zahlreich genug. Doch ist es wohl berechtigt, obiges
Verhalten wenigstens hervorzuheben.
EsistalsodieAblagerung des Pigmentesin
allenbesprochenen Organen ein physiologischer
Vorgang, welcher vielleicht durch pathologi-
sche Processe beschleunigt oder verlangsamt
werdenkann.
Il. Werden die Pigmente an ihrem Fundort
gebildet oder aus Blut oder Lymphe dort abge-
lagert, oderendlich durch andere Zellen dahin
verschleppt?
Wenn es sich um einfache Ablagerung aus den Körpersäften
handelte, so müsste man zunächst an das häufige Vorkommniss
zerfallender Blutkörperchen denken. Da aber überall bei schwacher
d. h. beginnender Pismentation kaum sichtbare oder wenigstens
sehr kleine Körnchen in den Zellen lagen und grössere erst bei
stärkerem Pigmentgehalt auftraten, so scheint mir diese Möglich-
keit voilständig ausgeschlossen. Ich hebe aber ausdrücklich
hervor, dass hiermit das Eindringen flüssigen Hämoglobins in die
471
nschlichen Körper.
es Im me
Zur Kenntniss des körnigen Pigment
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Zur Kenntniss des körnigen®Pigmentes im. menschlichen Körper.
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480 Fr. Maass:
Zelle und dessen Umwandlung zu Pigment durch sogenannte
metabolische Thätigkeit der Zelle nicht geleugnet werden soll.
Die Zuführung eines fertigen Farbstoffes durch die Cireula-
tion erscheint für das Herz, die Samenbläschen, die Hoden und
Nebenhoden auch desshalb unwahrscheinlich, weil in diesen
Organen sicher aus Blut oder Lymphe stammende körnige oder
tropfenförmige Massen noch nie oder nur in sehr vereinzelten
Fällen beobachtet worden sind.
Im Herzen fand Quinceke!) einmal Eisenkörnchen und in
der Nebenniere sah ich selbst entfernt von den pigmentirten
Zellen zerfallende Blutkörperchen. Dagegen gehören die Nieren
und besonders die Leber zu den Stellen, wo körnige oder tropfen-
förmige Massen aus den durchströmenden Flüssigkeiten gewöhn-
lich abfiltrirt werden. Es entsprechen jedoch bei diesen Organen
die Fundstätten jener Gebilde nicht unseren Pigmentzellen.
Quincke?) fand in drei Fällen pernieiöser Anämie Eisen in
den Epithelien der gewundenen Nierenkanälchen und Hinden-
lang?) sah abgelagerten Blutfarbstoff in den Glomerulis. Das
oben beschriebene Pigment lag dagegen in den Epithelien der
Henle’schen Schleifen.
Ueber die Pigmentinfiltration der Leber sagt Ziegler®):
„Enthält das Blut reichliche Mengen von zerfallenden Blutkörper-
chen oder von Pigmentkörnern und gelangen dieselben in die
Leber, so bleiben sie zunächst zum Theil in den Capillaren des
Bindegewebes und des peripher gelegenen Pfortadergebietes liegen.
Weiterhin treten sie theilweise aus dem Gefässsystem aus und
lagern sich namentlich im periportalen Bindegewebe, zum Theil
auch innerhalb der Leberaeini selbst ab. Nach v. Recekling-
hausen, Ponfik, Hoffmann, Langerhans, Popoff,
Asch und Anderen werden die Pigmentkörner im periportalen
Bindegewebe namentlich von den Bindegewebszellen innerhalb der
Acini von den Ku-pfer'schen Sternzellen aufgenommen“. Es
geht daraus hervor, dass die eigentlichen Drüsenzellen der Leber
1) Arch. f. klin. Med. Bd. 33 8. 41 (1883).
2) Arch. f. klin. Med. Bd. 27 S. 211 (1880).
3) Vireh. Archiv Bd. 79 8. 500 (1880).
4) Ziegler, Lehrbuch d. allg. u. spec. pathol. Anatomie. Bd. II,
IV. Aufl. S. 264 u. 265. (Jena 1886).
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 481
eine sehr geringe Neigung besitzen, körnigen Farbstoff von aussen
aufzunehmen, während nach meinen Resultaten auch bei schwächstem
Pigmentgehalt des Organs gerade diese ausschliesslich Körnchen
enthielten.
Dieselbe Abgeschlossenheit der secernirenden Leberzelle auch
segen cireulirende Fetttropfen und Zinnoberkörnchen hat das
Thierexperiment gezeigt. Nach v. Platen!) treten bei Fettin-
filtration der Leber zunächst nur in den Kupfer’schen Sternzellen
Tropfen auf. Nach Ponfik, Hoffmann und Langerhans?)
wird beim Frosch, Meerschweinchen, Kaninchen, Hund ins Blut
injieirter Zinnober innerhalb der Leber nur in Lymphkörperartigen
Gebilden abgelagert. Dieses Verhalten der eigentlichen Drüsen-
zelle gegenüber den verschiedensten Verunreinigungen des Blutes
einerseits und das Auftreten von Farbstoffkörnehen in den ersten
Stadien der physiologischen Pigmentation andererseits deutet doch
entschieden auf die Farbstoff bildende Kraft dieser Zellen.
Die Uebertragung körnigen Farbstoffes aus einer Zelle in
die andere ist bisher nur von den Zellen der Epidermis und des
Haars behauptet worden). Als Beweismittel dient dieser An-
nahme das häufige Vorkommen verästigter pigmentirter Binde-
gewebszellen resp. Wanderzellen unter den Epidermis und Haar-
zellen.
Für Herz und Nebennieren ist ein derartiger Vorgang aus-
geschlossen weil hier das Pigment nur in den Muskelzellen resp.
innersten Rindenzellen liegt.
Bei der Leber könnten diese Beziehungen zwischen den
eigentlichen Drüsenzellen und den Kupfer’schen Sternzellen
bestehen. Ich habe jedoch in allen Fällen beginnender Pigmen-
tation die Körnchen immer in den Drüsenzellen gefunden und
niemals eine Anordnung derselben in Reihen gesehen, wie es die
Wanderung durch einen Ausläufer der Sternzelle doch nothwendig
machen würde.
Bei der Niere lag das Pigment stets in den Epithelien der
Henle’schen Schleifen. Nur zweimal schienen auch zwischen den
1) Virch. Arch. Bd. 74 S. 268—276 (1875).
2) Virch. Arch. Bd. 48 S. 22, 24 u. 27 (1869).
3) cf. oben Seite 453 und 454.
482 Fr. Maass:
Schleifen Körnchen zu liegen, ein Befund, welchem wegen seiner
Seltenheit Beweiskraft nicht beigemessen werden kann.
Zwei Fundstätten des Pigmentes besitzen ferner die Samen-
bläschen, Hoden und Nebenhoden, doch liess sich auch bei diesen
eine Verbindung beider durch Körnchenreihen niemals nachweisen.
Ich glaube demnach nicht fehlzugehen, wenn
ich die beschriebenen pigmenthaltigen Zellen
für dieBildnerihres Farbstoffes halte.
IV. Entstehen die Pigmente aus dem Blut-
farbstoffoder dem Fett?
Um den Zusammenhang mit Hämoglobin nachzuweisen,
stehen drei mikrochemische Reactionen zur Verfügung. Zweie
stützen sich auf den Eisengehalt des fraglichen Farbstoffes. Die
eine Perls’sche Methode färbt das Metall durch Ferroeyankalium
und Salz- oder Salpetersäure blau. Bei dem anderen, Quincke-
schen Verfahren, tritt durch Einlegen der Schnitte in concentrirtes
Schwefelammonium und nachfolgendes Abspülen in Glycerin eine
dunkelgrüne bis schwarze Färbung des Eisens ein. Ich habe mich
auf die Anwendung des Schwefelammonium beschränkt, weil
Quincke es bei seinen bereits erwähnten sehr zahlreichen Ver-
suchen als das zuverlässigere Reagens erkannt hat.
Die dritte Methode beschreibt Virchow in seiner Arbeit
über die pathologischen Pigmente !). Danach gehen die aus dem
Hämoglobin entstehenden Farbstoffe, manche leichter unter der
Einwirkung von concentrirter Schwefelsäure, manche leichter durch
concentrirte Salpetersäure, Farbenänderungen ein, indem sie erst
rothbraun, dann grün, blau und schliesslich farblos werden. In
dieser Reihenfolge können durch Ausfall der einen oder anderen
Farbe oder durch Hinzutreten von Zwischengliedern Aenderungen
eintreten. Begünstigt wird die Reaction der concentrirten Mineral-
säuren durch vorheriges Behandeln der Schnitte mit Kalihydrat-
lösung.
Dasjenige Schwefelammonium, welches ich zunächst benutzte,
gab an veränderten Blutkörperchen der Milz, welche als Probe-
objeet dienten, deutliche Eisenreaction, bei den übrigen Pigmenten
1) Vırchow’s Archiv Bd. IS. 418.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 483
brachte es jedoch keine Färbung hervor. Nachdem diese erste
Flüssigkeit verbraucht war, wandte ich zwei weitere Proben an,
welche auch mit einigen Pigmenten Eisenreaetion gaben. In den
folgenden Mittheilungen sind die verschiedenen Schwefelammonium-
proben der Kürze halber bezeichnet mit (NH,),S Nr. I, Nr. II
und Nr. IH. Die Resultate der Untersuchung auf Eisen und
Hämatoidin sind weiter unten in einer Tabelle susammengestellt.
Mit Schwefelsäure allein ohne Kalihydrat, wurden die Pig-
mente in jedem untersuchten Falle behandelt, ohne dass jemals
auch nur eine Spur von Farbenwechsel eingetreten wäre. Nur
einmal!) wurden rothbraune nicht deutlich krystallinische Gebilde
der Leber, die sich von dem Pigment durch ihre Farbe ausser-
ordentlich deutlich unterschieden, unter der Einwirkung dieser
Säure erst rubinroth, dann grün und schliesslich unsichtbar.
Während der Grünfärbung bildete sich um den Krystall (?) ein
diffusgrüner Hof, welcher nach der Peripherie immer schwächer
wurde, sodass der Vorgang dem einer langsamen Lösung sehr
ähnlich sah.
Die negativen Resultate der Prüfung mit Schwefeisäure
allein sind in der Tabelle nicht angeführt und ist unter der Rubrik
„Virchow’sche Reaction“ nur dann ein Vermerk gemacht, wenn
auch Salpetersäure allein, Kali-Schwefelsäure und Kali-Salpeter-
säure zur Verwendung kamen.
Organ. sr. en Eisenreaction. Hunt Bemerkungen.
; menge. reaction.
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mit (NH,)oS.
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kein Eisen
es] sehr mit (NH,),S. | kein Häma-
» reichlich |Nr. I kein Eisen] toidin
mit (NH,)S.
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kein Eisen
mit (NHy)8. |
Nr. I kein Eisen!
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Eisen
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mit (NHy)oS. Eisen i. d. Periph.
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lich Eisen verändertes Pig-
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in interst. Zellen
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 487
Es gab also keins der angeführten Pigmente die Hämatoidin-
reaction, obwohl sie bei allen, ausser demjenigen des Hodens mehr-
fach versucht wurde, Bei diesem letzteren unterblieb es, weil die
Eisenreaction positiv ausfiel.
Eisenkörnchen wurden nachgewiesen in den Pigmentzellen
selbst bei Leber und Hoden, in den den Pigmentträgern unmittel-
bar angrenzenden Zellen bei der Nebenniere.
Unter den eisenhaltigen Lebern waren sowohl pigmentfreie
als pigmentirte, und bei letzteren standen die Menge des Eisens
und des Farbstoffes nicht in constantem Verhältniss. Die nächst-
liegende Annahme ist hier offenbar die, dass die Ablagerung der
beiden Substanzen in der Leberzelle zwei getrennte Vorgänge sind
und dass die Ansammlung des Eisens im Gegensatz zu der des
Pigmentes vom Alter unabhängig ist. Es müsste dann aber bei
den pigmentirten Organen die Schwefelammonium-Reaction nicht
an den Farbstoffkörnchen selbst erfolgen. Dem entsprechend
schien es mir in einzelnen Fällen, dass der Farbstoff durch
Schwefelammonium mehr oder minder gebleieht wurde und dafür
die grünen Körnchen als vom Pigment unabhängige Gebilde her-
vortraten. Doch habe ich mich mit Sicherheit davon nicht über-
zeugen können.
Ebenso wie diese, trifft auch die Erklärung, welche
Quincke!) giebt, nicht vollständig. Nach diesem Autor stellen
die auf Schwefelammonium nicht reagirenden Farbstoffkörnchen
Blutkörperreste dar, in welchen die Bindung des Eisens noch
nicht locker genug ist, um die characteristische Schwarz- oder
Grünfärbung zu geben. Demnach muss dem Auftreten der Eisen-
körnchen dasjenige der farbigen Blutzellenreste voraufgehen, was
sich für die eisenhaltigen pigmentfreien Organe ohne Zwang nicht
denken lässt, um so mehr als es sich um Individuen handelte,
welche vor Beginn der normalen Pigmentbildung standen.
Unter 7 pigmentirten Nebennieren trat nach Schwefelammo-
nium-Behandlung zweimal eine leichte Grünfärbung kleiner Körn-
chen in den Rindenzellen auf, welche den Pigmentzellen nach der
Peripherie des Organes zu unmittelbar anliegen, die aber selbst
kein Pigment zu enthalten schienen. In denjenigen Zellen, in
welchen die Pigmentkörnehen deutlich zu erkennen waren, fehlte
1) Arch. f. klin. Medicin Bd. 27. S. 214
488 Fr. Maass:
jede Spur grüner Körnchen. Einen} sicheren Beweis für die Hämo-
globintheorie kann ich hierin nicht erblicken.
Immer eisenhaltig zeigten sich die interstitiellen Pigment-
zellen des Hodens. Doch fehlt hier die Prüfung nieht pigmentir-
ter Hoden durch die Eisenreaction, weil, wie sich nach Zusammen-
stellung des Untersuchungsmaterials herausstellte, geeignete Fälle
nicht vorhanden waren.
Die auf den Nachweis des Zusammenhanges von Hämoglobin .
und Pigment gerichteten Versuche haben demnach folgendes
Resultat erzielt.
Mit Hülfe der oben genannten Reactionen
lässtsich der hämatogene Ursprung des Nieren-,
Herz-, Ssamenbläschen- und Nebenhodenpigmen-
tes nicht nachweisen Die Ablagerung des
Eisensin Leberund Nebenniere findet ineiner
solchen Weise statt, dass dadurch der geneti-
sche Zusammenhang von Pigment und Blutfarb-
stoff zwar wahrscheinlich, aber nicht zweifel-
loserscheint. So weit die unvollständigen Ver-
suche am Hoden reichen, deuten sieaufdieAb-
stammung des Zwischenzellenpigmentes vom
Hämoglobin.
Zur Untersuchung’ der Farbstoffe auf den Zusammenhang mit
fettartigen Körpern benutzte ich zunächst die Osmiumsäure und
die für Lipochrome charakteristischen Reactionen !). Osmiumsäure
wirkte nicht auf das Pigment gehärteter Organe, an frischen
dagegen wurden die Pigmente von derselben mehr oder minder
geschwärzt, doch erreichte die Farbe nie die Intensität wie beim
Fett, sondern glich eher der diffusen dunklen Färbung, welche
alle übrigen Zelltheile durch die Osmiumwirkung annahmen. Ebenso-
wenig gaben die lipochromatischen Reaetionen brauchbare Resul-
tate. Nur das oben bereits erwähnte Dunkeln in Schwefelsäure
fand ich bei meinen Arbeiten. Während der angeführten Ver-
suche brachte ich einen Schnitt eines in Alkohol gehärteten
Herzens in Osmium- und dann in Schwefelsäure, worauf ein fast
1) Krukenberg, Vergl. physiol. Vorträge. Heidelberg 1886. Farb-
stoffe.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 489
momentanes intensives Schwarzwerden des Pigmentes und der Fett-
tropfen eintrat. Die beiden Säuren in umgekehrter Reihenfolge
angewandt gaben keine derartige Reaction, ebenso wenig erfolgte
sie, wenn statt concentrirter Schwefelsäure concentrirte Salz-
oder Salpetersäure genommen wurde, oder wenn ich die Versuche
an der anderen in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten Hälfte
des Herzens machte. Das Schwarzwerden der übrigen Zellbestand-
theile folgte demjenigen von Fett und Pigment erst sehr langsam
nach. Vorheriges Einlegen der mikroskopischen Schnitte in ab-
soluten Alkohol verhinderte die Reaction vollständig.
Betreffs der Resultate dieser Reaction an den einzelnen
Fällen und der Besprechung derselben verweise ich auf die Tabelle
S. 491—499 und die darauf folgenden Zeilen.
Die Deutlichkeit der Osmium-Schwefelsäurereaction, wie sie
beim Herzpigment beobachtet wurde, liess sich bei dem Farbstoffe
der übrigen untersuchten Organe nicht im entferntesten erreichen,
weshalb ich weiteres Probiren in dieser Richtung aufgab.
Nächstdem benutzte ich die Fettfärbemethode mit Alkanna-
extract!) und das gleichem Zweck dienende Verfahren von
Ranvier mit Chinoleinblau (Uyanin) 2).
Die Färbung mit Alkannaextract gelang bei keinem der Pig-
mente, Cyanin dagegen gab ein positives Resultat. Ich verfuhr
nach der Vorschrift Ranvier’s, indem ich von der gesättigten
alkoholischen Lösung des Cyanin einige Tropfen in ein Schälchen
goss und diese langsam unter stetem Umrühren reichlich mit
Wasser verdünnte, sodass eine hellblaue durchsichtige Flüssigkeit
entstand. In diese wurden die Schnitte in Alkohol gehärteter
Organe, nachdem sie in Wasser kurz abgespült waren und wenige
Secunden in verdünntem Kali gelegen hatten, eine Stunde und
länger eingelegt. Die Untersuchung geschah dann in Glycerin.
Darin zeigte sich das Pigment des Herzmuskels intensiv dunkel-
blau, die quergestreifte Substanz mattblau und die Kerne blieben
fast vollständig farblos. Zu starke Lösung färbte alles intensiv
blau. Die Tinetion des Fettes vermochte ich jedoch mit meinem
Präparat dieses Farbstoffes nicht zu Stande zu bringen. Ebenso
1) Orth, Cursus der normalen Histologie 4. Aufl. S. 116—117.
2) Ranvier’s Techn. Lehrbuch der Histologie. Buch I, S. 97 (Ueber-
setzung).
490 Fr. Maass:
konnte ich an dem Pigment der übrigen Organe eine brauchbare
Färbung nicht erzielen. Entweder färbte sich das Pigment nicht
oder es wurde durch die Färbung des übrigen Zellinhaltes ver-
deckt. Ich habe freilich die Versuche in dieser Richtung nicht
sehr lange ausgedehnt, sodass vielleicht durch Aenderung der
Concentration etc. doch noch bessere Resultate erreicht werden
können. Es schien mir erfolgreicher die Methode am Herzpigment
genauer zu prüfen, weil hier bereits in der Osmium-Schwefel-
säurereaction ein Hinweis auf enge Beziehungen zwischen Fett
und Pigment gegeben war. Um hier weiter zu kommen, wurden
junge pigmentlose, sowie ältere schwach und stark pigmentirte
Herzen einmal direct gefärbt und dann nach vorheriger Behand-
lung der mikroskopischen Schnitte mit Aether.
Die so erhaltenen Resultate und die Löslichkeitsverhältnisse
aller untersuchten Pigmente in Fettlösungsmitteln sind ebenfalls
in der Tabelle Seite 491—499 zusammengestellt und in den darauf-
folgenden Zeilen besprochen.
Die Intensität der Osmium-Schwefelsäurereaction nimmt nach
den Daten der vorstehenden Tabelle mit der Menge des Pigmen-
tes zu. Während sie bei nicht pigmentirten Herzen vollständig fehlt
und bei schwach pigmentirten nur andeutungsweise vorhanden ist,
erreicht sie bei älteren Individuen eine ausserordentliche Deutlichkeit,
sodass man oft scharf begränzte tintenschwarze Körnchenhaufen unter
dem Mikroskop sieht. Da das Einlegen der Schnitte in absoluten
Alkohol vor der Behandlung die Reaction vollständig verhindert, so
muss man annehmen, dass die Schwarzfärbung des Pigmentes auf
einem ihm innig anhaftenden Körper beruht, welcher durch Alko-
hol gelöst wird. Ebenso wie dieser in Alkohol lösliche Körper
wird, wie oben bereits angegeben wurde, auch das intermuskuläre
Fett durch besagtes Verfahren schwarz, sodass jene Beimischung
des Pigmentes wohl als ein fettartiger Körper angesehen werden
kann.
Zu einem ähnlichen Resultat führte die Cyaninmethode. Auch
hier wurde die Reaction durch Extraction der Präparate mit Al-
kohol oder Aether vollständig verhindert oder wenigstens sehr
verwischt. Die Uebereinstimmung mit Fett liegt jedoch nur in
der Löslichkeit der färbbaren Substanz in den genannten Flüssig-
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keiten, während ihre Aufnahmefähigkeit für den Farbstoff sie
vom Fett unterscheidet. Ebensowenig besteht eine vollsändige
Identität zwischen dem durch Osmium-Schwefelsäure geschwärzten
und dem durch Cyanin gefärbten Körper, da letzterer bei jugend-
lichen Herzen reichlicher zu sein scheint wie bei älteren und
schon bei Organen in Spuren vorhanden ist, welche kurz vor
der Entwickelung des Pigmentes stehen.
Der dem Pigment gegenüber weniger feste Aggregatzustand
dieser beiden Substanzen und ihre innige Mischung mit demselben
legt die Vermuthung sehr nahe, dass sie Vorläufer desselben sind.
Wenn also die Pigmentkörner aus jenem fettähnlichen Zustande
in den definitiven festen übergingen, so wäre es möglich, dass der
Farbstoff jüngerer Organe durch Fettlösungsmittel extrahirt werden
könnte, während derjenige älterer Herzen ganz oder theilweise
ungelöst bliebe.
In dieser Ueberlegung sind die Versuche mit Alkohol abso-
lutus, Chloroform ete. angestellt worden. Von den extrahirten
Schnitten wurden die einen in Oleum origani, die anderen nach
kurzer Durchtränkung mit Wasser in concentrirter Schwefelsäure
untersucht. Die mit den Lösungsmitteln übergossenen Sehnitte
wurden dunkel aufbewahrt, weil sich während der Versuche eine
stark bleichende Wirkung des Lichtes. herausstellte.
Absolut intaet schien der Farbstoff des Herzens in keiner
der genannten Flüssigkeiten zu bleiben. Die geringste Resistenz
aber hatte er offenbar gegen Aether. Bei einem 12-, einem 17-
und einem 18-jährigen Herzen waren nach etwa dreiwöchentlicher
Behandlung nur Spuren oder gar nichts mehr von Pigment zu
erkennen, während bei einem 77 jährigen nach 10 Monaten noch
massenhafte Körnehen vorhanden waren, die aber deutlich an
Farbe verloren hatten und auch in Schwefelsäure sehr viel weniger
dunkelten als vorher.
Wenn nun das Verschwinden des so behandelten Farbstoffes
wirklich auf Lösung und nicht vielmehr auf einer Zersetzung
beruhte, so musste er sich in dem Rückstande der zur Extraction
benutzten und verdunsteten Flüssigkeit wiederfinden. Es wurde
daher Aether, weleher mehrere Tage mit reichlichen Mengen fein-
zertheiltem und vorher 24 Stunden mit Alkohol absolutus behan-
deltem Herzmuskel dunkel gestanden hatte, unter Watteverschluss
verdampft. In dem entleerten Reagenzglase zeigten sich entspre-
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 501
chend dem oberen Rand des verdunsteten Aethers spärliche kleine
deutlich gelbe Tropfen, welche bei Berührung des Glases mit der
Hand sofort herabflossen. In dem übrigen Rückstande liess sich
auch mit dem Mikroskop nichts nachweisen, was dem Pigment
entsprechen konnte.
Dass die so erhaltenen Tropfen mit dem Pigment vollständig
identisch sind, scheint mir aus zwei Gründen unwahrscheinlich.
Erstens konnte ich auf erwärmten Objectträgern ein Flüssig-
werden der in der Muskelzelle eingeschlossenen Körnchen nicht
konstatiren. Doch ist es wohl möglich, dass das geronnene
Eiweiss das Pigment zu fest umschliesst, um nach Druck aufs
Deckgläschen die Entstehung von Formveränderungen zu erlauben.
Zweitens liessen sich dieselben Tropfen auch aus unpigmentirten
Herzmuskeln darstellen }).
Als ein dem Pigment sehr nahe stehender Körper erscheint
jener Aetherrückstand aber doch und zwar erstens durch seine
Farbe. Gewöhnliches menschliches Fett auch von ganz alten,
mageren Individuen, bei denen es ja ziemlich gelb ist, erreichte
in so dünner Schicht niemals dieselbe Farbenstärke. Sodann
werden die Tropfen durch Schwefelsäure sehr stark gebräunt.
Drittens färben sie sich auf ein Deckglas gestrichen in Cyanin
ziemlich intensiv. Und Viertens treten nach Osmium-Schwefel-
säure-Behandlung zunächst rothbraune, später schwarz werdende
Tropfen auf.
Ich glaube also, dass jener Körper einer Vorstufe des Herz-
pigmentes, einem frühern noch weichen Stadium entspricht.
Bei den Pigmenten der übrigen Organe hat sich eine sehr
starke, aber nicht absolute Haltbarkeit gegen Fettlösungsmittel
ergeben. Die Versuche mit diesen sind jedoch weniger zahlreich
und zum Theil auch nicht so lange durchgeführt, wie beim Herz-
pigment, weil hier, wie oben bereits gesagt, die Handhabe der
Osmium-Schwefelsäurereaetion und Kali-Cyanin-Färbung fehlte.
1) Es wurde gewonnen aus
Fall 12 im Alter von 4 Jahren.
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Bei Fall 47 fand es sich erst im zweiten Aufguss.
502 Fr. Maass:
Es haben sich also für den Zusammenhang
zwischen Fett und Farbstoff sprechende Mo-
mentenurbeim Herzpigment ergeben.
V. Sind diese Pigmente unter sich identisch
oder nicht?
Dass die untersuchten Farbstoffe einander näher stehen, wie
den melanotischen Pigmenten des menschlichen Körpers, geht aus
dem Verhalten beider gegen Licht hervor.
Schon bei den Versuchen mit Fettlösungsmitteln wurde an-
geführt, dass das Pigment unter Einwirkung des Lichtes schneller
schwand, als im Dunkeln. Noch deutlicher zeigte sich die zer-
störende Wirkung des Lichtes, wenn ihm die Präparate in desti-
lirtem Wasser ausgesetzt wurden. Nach 24 Stunden Besonnung
war alles verschwunden, während in den dunkel gestellten Prä-
paraten das Pigment noch nach 8 Tagen, als sich schon reichlich
Schimmelpilze auf den Schnitten gebildet hatten, deutlich zu
erkennen war. Dagegen vertrug das Pigment der Brustwarze
und der Substantia nigra des Gehirns in Wasser eine Stägige
Belichtung, worunter 3—4 Tage mit hellem Sonnenschein waren,
ohne eine erkennbare Veränderung. Nach den oben angeführten
Arbeiten von Kühne hat auch das Augenpigment eine aussordent-
liche Widerstandskraft gegen Licht.
Ausser durch ihr Verhalten gegen Licht spricht sich die
Gleichartigkeit der untersuchten Farbstoffe durch das Dunkeln in
Schwefelsäure aus. Die Behandlung mit Schwefelammonium und
Cyanin hat dagegen Verschiedenheiten ergeben, indem Leber- und
Hodenpigment auf Eisen reagirten und das Herzpigment die charak-
teristische Cyaninfärbung ab.
Zu weiterer Prüfung der chemischen Eigenschaften dieser
Pigmente wurden die Organe von Nr. 51, welche mir ziemlich
frisch zugingen, nach ihrer Härtung in 96 %/, Alkohol, mit Salpeter-
säure, Salzsäure, Essigsäure und Kali in concentrirtem, wie ver-
dünntem Zustande behandelt. Die Schnitte wurden, ohne vorher ent-
fettet zu sein, nach kurzer Abspülung in Wasser auf dem Objeetträger
mit den angeführten Reagentien betropft und einmal unmittelbar
darauf unter dem Mikroskop beobachtet und dann, nachdem sie
12 Stunden in den Flüssigkeiten gelegen hatten. Wenn letztere
eingetrocknet waren oder wenig auffallend gewirkt hatten, wurden
Zur Kenntniss des körnigea Pigmentes im menschlichen Körper. 503
sie nach jenen 12 Stunden noch einmal erneuert. Das Unterlassen
der Entfettung zeigte sich nur bei der Leber nachtheilig, weil
hier die zahlreichen Fetttropfen das Pigment zum grossen Theil
verdeckten.
Die so erhaltenen Resultate sind in der nachstehenden
Tabelle aufgeführt.
Die dunkelnde Wirkung der Schwefelsäure trat bei allen
Farbstoffen ausser dem Samenbläschen-Muskelpigment fast mo-
mentan ein, und hielt abgesehen vom Nebenhodenpigment über
12 Stunden. Concentrirte rauchende Salpetersäure zerstörte alle
Pigmente sehr energisch, bei Nieren, Nebennieren, Nebenhoden
und Hodenpigment jedoch erst, nachdem ein kurz dauerndes
Dunkeln vorangegangen war.
Mit verdünnter Salpetersäure erhielt ich nur wenig brauch-
bare Resultate, weil die Präparate zu undurchsichtig blieben, nur
das Hodenpigment wurde unter dieser Behandlung leicht röthlich.
Von ceoneentrirter Salzsäure wurden das Herz-, Leber-,
Nebennieren-, Samenbläschenepithel und Hodenpigment dunkler
gefärbt. Bei den übrigen war es schwer zu entscheiden ob sie
in der Säuren unverändert blieben oder dunkelten. Eine durch
verdünnte Salzsäure hervorgerufene Aenderung liess sich nur beim
Nebenhoden constatiren, indem hier auf Zunahme der Farben-
intensität ein Abblassen folgte.
Coneentrirte Essigsäure bleichte die Farbstoffe ausser Nieren-,
Nebennieren und Hodenpigment. In verdünntem Zustande brachte
sie nur auf Herzpigment dieselbe Wirkung hervor.
Durch concentrirtes Kali verlor nach längerer Zeit das
Nebenhoden- und Hodenpigment deutlich an Farbe, während die
anderen sich darin hielten. Verdünntes Kali bleichte beide
Samenbläschen- und das Hodenpigment.
Da sich bei einem Verfahren, wie dem von mir angewandten,
natürlich nicht alle Beobachtungsfehler ausschliessen lassen, so
habe ich hier nur die unzweifelhaften Resultate aus der Tabelle
hervorgehoben. Dieselben genügen aber, um eine vollständige
chemische Uebereinstimmung der Pigmente auszuschliessen, weil
keines derselben dem anderen in seinem Verhalten gegen die
Reagentien vollständig gleicht. Doch spricht sich ihre nahe Ver-
wandtschaft darin aus, dass im Allgemeinen Salpetersäure schnell
504 Fr. Maass:
TTLLL——ez
Organe Schwefelsäure Salpetersäure Salz-
Ne conc. conc. | verd. (30%, 2) conc.
u Präparat
| en schlecht durch-
Präparat gut ach 12 Stun.| Präparat un- sichtig. Nach
durchsichtig. | gen SEN durchsichtig. | 12 Stunden
Herz. Pigment dunk-| \euert. Präparat Nach 12Stunden Säure erneuert.
ler. Nach 12 | „ut en Säure erneuert,| Präparat gut
Stunden ebenso 4; Pigment undurchsichtig a >.
3 ge igment etwas
leicht grünlich dunkie®
Präparat leid- Präpärat ie Fe
e lich " durchsich-Ischlecht durch-|..aParat, leid”
Präparat gut tig. Pigment | sichtig. Nach Be 07
durchsichtig. | erst dunkler 12 Stunden ie Fee
Niere. Pigment ener- | dann schnell |Säure erneuert, a
gisch dunkler. |noller. Nach 12] etwas besser kur:
Nach 12Stunden| Stunden Säure | durchsichtig Stunden Säure
benso . : * | erneuert. Pig-
5 erneuert. Pig- | Pigment ge- | ment ebenso
ment gebleicht bleicht
jr ERRTE, | Präparat
Präparat leid- | pränar : » schlecht durch- -
: : parat leid- | Präparat un- | . ,,:
lich durchsich- |jjch durchsich-| durchsichtig. | Nehtig. Nach
nn en tig. Pigment |Nach12Stunden| a Pi
Leber, a al nicht zu er- |Säure erneuert, ee
enthält viel Fett 0; 2.0 | kennen. Nach |gut durchsich- p 5
12 Stunden
12 Stunden
tig. Pigment
schlecht durch-‚Säure erneuert,| nicht zu er-
sichtig. Pigment
unsichtbar (?)
ebenso
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
Nebenniere. [energisch dunk-
ler. Nach 12
Stunden ebenso cha
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
energisch dun-
kelnd. Nach 12
Stunden Säure
erneuert, gut
chtig.
Pigment farblos
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment ener-
N er gisch dunkler.
Epithel ’ Nach 12 Stun-
den; Pigment
noch stärker
gedunkelt
Zellsubstanz
wird sehr ener-
gisch zerstört.
Epithelpigment
schwach ge-
bleicht. Nach
12 Stunden Pig-
ment vollstän-
dig gebleicht
kennen
Undurchsichtig.
sichtig. Pigment
leicht gelblich
durch reichli-
ches Fett schim-
mernd
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment eher
dunkler als
heller. Nach
12 Stunden
Nach 12Stunden/Säure erneuert,
Säure erneuert,| gut durchsich-
ebenso
anscheinend
tig. Pigment
entschieden
dunkler. Nach
48 Stunden
Pigment deut-
lich braun
Präparat
schlecht durch-
TE lich durchsich-
Präparat leid-
dunkler. Nach tig. Pigment
12 Stunden
Präparat
anscheinend
gebleicht
Säure erneuert.
schlecht durch-
sichtig. Pigment
dunkler. Nach
12 Stunden
Säure erneuert
leidlich durch-
sichtig. Pigment
stark dunkler
DES En...
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper.
—
505
— rn —————
säure
verd. (30 %/, 9
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Nach
12 Stunden
Säure erneuert.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment unver-
ändert
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
etwas besser
durchsichtig.
Pigment an-
scheinend un-
verändert
«Ebenso wie
conc.
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
eher dunkler
als heller. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
schlecht durch-
sichtig. Pigment
eher dunkler
als heller
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
conc.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment stark
gebleicht. Nach
12 Stunden er-
neuert, ebenso
Essigsäure
\verd.(5—100/,?)
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Nach
12 Stunden
Säure erneuert.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment unver-
ändert
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
etwas besser
durchsichtig.
Pigment unver-
ändert
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Nach
12 Stunden
Säure erneuert.
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
nicht zu er-
Präparat leid-
tich durchsich-
tig. Pigment
deutlich ge-
bleicht. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
gut durchsich-
tig. Pigment er-
scheint jetzt
nur schwach
gebleicht
kennen fe
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
unverändert,
Nach 12Stunden
Säure erneuert,
besser durch-
sichtig, Pigment
vielleicht heller
Ebenso wie
conc.
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Kali
conc.
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Nach
12 Stunden Kali
erneuert. Prä-
verd.(5— 100/92)
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment deut-
lich gebleicht.
Nach 12Stunden
Kali erneuert.
Präparat gut
parat gut durch- DE
lie Pigmeni| fueinchig
unverändert dealer als
e N heller
Präparat
schlecht durch- Bine
sichtig. Nach
12 Stunden Kalı
erneuert, leid-
lich durchsich-
tig. Pigment un-
verändert
Präparat
schlecht durch-
sichtig, kein
Pigment zu er-
kennen. Nach
12 Stunden Kali
erneuert, ebenso
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend
dunkler. Nach
12 Stunden Kali
erneuert
schlecht durch-
sichtig. Pigment
vielleicht etwas
heller
Präparat leid-
tig. Pigment
deutlich ge-
bleicht. Nach
12 Stnnden
Säure erneuert,
ebenso
lich durchsich-
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Präparat gut
durchsichtig,
Pigment theils
mehr röthlich,
theils unverän
dert. Nach 12
Stunden Kali er-
neuert. Pigment
unverändert
schlecht durch-
sichtig. Nach
12 Stunden er-
neuert, ebenso
Ebenso wie
conc.
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend un-
verändert. Nach
12 Stunden Kali
erneuert, ebenso
Präparat gut
durchsichtig.
Pigm. schwach
gebleicht. Nach
12 Stunden Kali
erneuert. Pig-
ment deutlich
eebleicht
506
Organe
von Nr. 51
Fr. Maass:
Schwefelsäure
conc.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment an-
conc.
Gewebe stark
zerstört. Pig-
Salpetersäure
Samen- scheinendunver-| ment deutlich
blächen, ändert. Nach |gebleicht. Nach
Muskel
ment etwas
dunkler
12 Stunden Pig-|12 Stunden voll-
ständig ge-
bleicht
verd. (30 0/2)
Präparat leid-
lich durchsich-
tie. Pigment un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Ebenso wie
Epithelpigment
Präparat gut
durchsichtig.
Nebenhoden,| Pigm. schwach
Epithel dunkler. Nach
12 Stunden Pig-
ment deutlich
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment zu-
nächst dunkler,
dann heller.
Nach 12 Stunden
stark gebleicht.
Präparat gut
durchsichtig.
Nebenhoden, Pigm. schwach
Zellen im |dunkelnd. Nach
Stroma 12 Stunden Pig-
ment deutlic
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich- [schlecht durch-
tig. Pigment |sichtig. Pigment
erst dunkler,
dann schnell
h [bleichend. Nach 12 Stunden er-
12 Stunden stark|neuert. Pigment
deutlich blasser
gebleicht
Präparat leid-
Präparat Präparat leid-
schlecht durch-|lich durchsich-
sichtig. Pigment|tig. Pigment an-
anscheinend |scheinend dunk-
dunkler. Nach | ler. Nach 12
12 Stunden |Stunden Präpa-
Säure erneuert.|rat gut durch-
Pigment deut- |sichtig. Pigment
lich blasser unverändert
“
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment an-
scheinend dunk-
ler. Nach 12
Stunden Präpa-
rat gut durch-
sichtig. Pigment
etwas gebleicht
Präparat
anscheinend
dunkler. Nach
Präparat Präparat leid-
schlecht durch-|lich durchsich-
sichtig. Pigment| tig. Pigment
anscheinend [vielleicht dunk-
dunkler. Nach | ler. Nach 12
12 Stunden |Stunden Säure
äure erneuert.) erneuert. Pig-
Pigment leicht | ment deutlich
röthlich. dunkler
Präparat leid- |lich durchsich-
lich durchsich- tig. Pigmenterst
Hoden, tig. Pigment | dunkler, dann
Interst. Zellen. | deutlich dunk- | blasser. Nach
kler. Nach 12 | ‚12 Stunden S
Stunden ebenso|Däure erneuert.
Alles zerstört
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper.
507
säure
verd, 30 %/, ?)
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
unverändert.
Nach 12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
deutlich dunkler
Nach 12 Stunden
Säure erneuert.
Pigm. schwach
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
deutlich dunk-
ler. Nach 12
Stunden Säure
erneuert. Pig-
ment schwach
gebleicht
conc.
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
deutlich ge-
bleicht. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Essigsäure
verd.(5—100%/,?)
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment deut-
ich gebleicht.
Nach 12Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment stark
gebleicht. Nach
12 Stunden
Säure erneuert,
ebenso
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigm.
vielleicht dunk-
ler. Nach 12
Stunden Säure
erneuert. Pig-
ment anschei-
nend dunkler
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment an-
scheinend
blasser. Nach
12 Stunden er-
neuert, ebenso
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment an-
scheinend etwas
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment un-
verändert. Nach
12 Stunden
Säure erneuert.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment an-
scheinend etwas
gebleicht
Präparat
schlecht durch-
sichtig. Pigment
anscheinend un-
verändert. Nach
12 Stunden
Kalı
cone.
Präparat gut
durchsichtig.
Pigment an-
scheinend etwas
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment an-
scheinend ge-
bleicht. Nach
[2 Stunden Kali
erneuert. Pig-
ment stark ge-
bleicht
verd.(5—100/,?)
Präparat gut
durchsichtig.
Pigm. schwach
gebleicht. Nach
12 Stunden Kali
erneuert. Pig-
ment deutlich
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment un-
verändert. Nach
12 Stunden Kali
ernauert. Pig-
ment schwach
gebleicht
Präparat leid-
lich durcbsich-
tig. Pigment an-
scheinend ge-
bleicht. Nach
12 Stunden Kali
erneuert. Pig-
ment vollstän-
dig gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment
anscheinend ge-
bleicht. Nach
12 Stunden Kali
erneuert. Pig-
ment schwach
gebleicht
Präparat leid-
lich durchsich-
tig. Pigment an-
scheinend unver-
ändert. Nach
12 Stunden Kali
Säure erneuert
ebenso
erneuert. Pig-
ment deutlich
gebleicht
Ebenso wie
concentr,
508° Fr. Maass:
zerstört, Schwefelsäure und Salzsäure dunkeln, Essigsäure und
Kali dagegen bleichen.
Es sind also die untersuchten Pigmente
nicht identisch, sondern nur nahe verwandte
Körper.
Als Gesammtresultat der Arbeit ergiebt sich Folgendes:
1. Die körnigen physiologischen Pigmente des menschlichen
Körpers zerfallen in zwei Gruppen, die Melanine und die der hier
untersuchten Organe.
2. Die Nieren, das Herz, die Nebennieren, die Samenbläschen
und Hoden sind von einer bestimmten Altersgrenze ab pigmentirt.
3. Die Menge des Farbstoffes wächst in diesen Organen
mit dem Alter des Individuums. |
4. Diejenigen Zellen, welche das Pigment enthalten, sind
auch die Bildner desselben. /
5. Für die Theorie der Abstammung vom Hämoglobin bieten
nur Leber- und Hoden-, für diejenige vom Fett nur das Herzpig-
ment Anhaltspunkte.
6. Die Farbstoffe der genannten Organe sind nahe. ver-
wandte, aber nicht identische Körper.
Die Fälle und die darüber mitgetheilten Data sind folgende:
1. Weiblich, ®/, Jahre alt, Empyem im Anschluss an Morbilli.
2. Geschlecht unbekannt, °/, Jahre alt, Fraetura humeri.
Kostkind.
3. Männlich, 1 Jahr alt, Diphtheritis, leidlich genährt.
4. Weiblich, 1 Jahr und 2 Monate alt, Morbilli, Broncho-
pneumonie, mittlerer Ernährungszustand.
5. Männlich, 2!/, Jahre alt, lobuläre Pneumonie, Vereiterung
beider Hüftgelenke, ganz atrophisch.
6. Männlich, 21/, Jahre alt, Diphtheritis.
7. Männlich, 2°/, Jahre alt, Bronchopneumonie, gut genährt.
8. Männlich, 3 Jahre alt, Diphtheritis.
9. Männlich, 3 Jahre alt, Bronchitis capillaris, elendes Kind.
10. Männlich, 4 Jahre alt, Diphtheritis, mittlerer Ernährungs-
zustand.
11. Männlich, 4 Jahre alt, Diphtheritis.
Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes im menschlichen Körper. 509
12. Männlich, 4 Jahre alt, Tonsillarabscess, kräftiges Kind.
13. Weiblich, 4 Jahre alt, Tuberculose, Diphtheritis, gut
genährt.
13a. Männlich, 4°/, Jahre alt, gut genährt.
13b. Männlich, 4 Jahre alt, elendes Kind.
13e. Männlich, 5 Jahre alt, mittlerer Ernährungszustand.
14. Weiblich, 51/, Jahre alt, Diphtheritis, gut genährt.
15. Weiblich, 6 Jahre alt, Diphtheritis, gut genährt.
16. Geschlecht unbekannt, 8 Jahre alt, Nephritis post scar-
latinam, mittlerer Ernährungszustand.
17. Weiblich, 8—10 Jahre alt, Diphtheritis, Bronchopneu-
monie, mässiger Ernährungszustand.
18. Männlich, S—10 Jahre alt, Diphtberitis, gut genährt.
19. Männlich, 12 Jahre alt, Meningitis cerebrospinalis,
schlechter Ernährungszustand.
20. Männlich, 17 Jahre alt, Syphilis, acute gelbe Leberatro-
phie, schlechter Ernährungszustand.
21. Männlich, 17 Jahre alt.
22. Weiblich, 13 Jahre alt, Pleuritis, Pericarditis, sehr anä-
misch, mittlerer Ernährungszustand.
23. Männlich, 20 Jahre alt, Typhus abdominalis, gut genährt.
24. Männlich, 20 Jahre alt, schlecht genährt.
25. Männlich, 20 Jahre alt, Typhus abdominalis, mittlerer
Ernährungszustand.
26. Weiblich, 21 Jahre alt, Typhus abdominalis, gut genährt.
27. Männlich, 22 Jahre alt, Pneumonie.
28. Weiblich, 22 Jahre alt, putride Peritonitis, Ileus.
29. Weiblich, 22 Jahre alt, chronische Pleuritis, amyloid.
30. Geschlecht unbekannt, 23 Jahre alt, Phthisis pulmonum,
mittlerer Ernährungszustand.
31. Männlich, 24 Jahre alt, Echinococeus hepatis, Peritonitis
purulenta, Bronchopneumonie, schlecht genährt.
32. Weiblich, 26 Jahre alt, Phthisis pulmonum, Diabetes,
mässiger Ernährungszustand.
33. Männlich, 25—23 Jahre alt, Nephritis, Stauungsleber, Fett-
herz, leidlicher Ernährungszustand.
34. Männlich, 28 Jahre alt, Phthisis pulmonum, Tubereulose
der Blase und Nieren, stark abgemagert.
35. Weiblich, 28 Jahre alt, Eklampsie.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 33
510
36.
Fr. Maass: Zur Kenntniss des körnigen Pigmentes.
Männlich, 28 Jahre alt, Phthisis pulmonum, mittlerer Er-
nährungszustand.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
46.
47.
48.
49.
50.
51.
30 Jahre alt, Pneumonie (Lues ?)
Männlich, 32 Jahre al:.
32 Jahre alt, Epilepsie.
Männlich, etwa 33 Jahre alt (?).
Männlich, 37 Jahre alt, geisteskrank, Herzinsufficienz.
40 Jahre alt, Tumor cerebri.
Männlich, 40 Jahre alt.
Weiblich, 43 Jahre alt, Blödsinn, Phthisis.
Männlich, 45 Jahre alt, Epilepsie, im Anfall gestorben.
Männlich, 40—50 Jahre ?
Männlich, 49 Jahre alt, Pneumonie.
Männlich, 50—55 Jahre alt, Phthisis pulmonum.
Männlich, 51—56 Jahre alt, Phthisis pulmonum.
Männlich, 52—57 Jahre alt, Phthisis pulmonum.
Männlich, 60 Jahre alt, progressive Paralyse, Meningitis
purulenta.
92.
90.
54.
50.
96.
7.
Männlich, 61 Jahre alt, Pneumonie mit hohem Fieber.
Männlich, 62 Jahre alt, Dementia senilis.
Männlich, 63 Jahre alt, Epilepsie, Pneumonie.
Männlich, 65 Jahre alt.
Männlich, 66 Jahre alt.
Männlich, 67 Jahre alt, Melancholie mit hypochondrischem
Character. Magerte in Folge von Nahrungsverweigerung zum
Skelet ab.
58.
99.
60.
Weiblich, 75 Jahre alt, geisteskrank.
Weiblich, 77 Jahre alt, Dementia senilis.
Männlich, 81 Jahre alt, Selbstmord.
Albert Oppel: Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 511
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus.
‘ Von
Dr. Albert Oppel.
Assistent für Histologie an der anatomischen. Anstalt in München.
Hierzu Tafel XXVIIL, XXIX, XXX.
Um einer Lösung der Frage, ob Proteus anguineus ein auf
niedriger Entwicklungsstufe stehen gebliebenes Amphibium ist,
oder ob seine Vorfahren höher entwickelt waren und die jetzt
lebende Gattung als eine rückgebildete anzusehen wäre, näher-
zutreten, ist vor allem nöthig eine genaue Kenntniss des Baues
seiner Organe. Die Erfahrungen darüber, welche Andere in der
Literatur niedergelegt haben, zusammenzustellen mit dem, was ich
selbst sehen konnte, beabsichtige ich in dieser Arbeit.
I. Capitel. Vom Verdauungstraetus.
Die ersten Arbeiten, welche den Proteus erwähnen, beziehen
sich hauptsächlich auf seine Stellung im System und befassen
sich mit dem Bau des Verdauungstraetus nur nebenbei. Diese
Arbeiten sind aufgeführt in der 1819 erschienenen Monographie
von Rusconi und Configliachi (4); die Verfasser, beginnend
mit Laurenti (1), der den Proteus anguineus zuerst unter dem
Namen Hypochthon in die Literatur einführte, heben hervor,
dass Schreibers (2) zuerst den Proteus zerlegte und seinen Bau
beschrieb, dass aber erst von Cuvier (3) festgestellt wurde, dass
Proteus ein ausgebildetes Thier ist. Die Arbeiten von Schreibers
(2) und Rusconi (4) sind, soweit sie sich auf den Situs viscerum
beziehen, sehr ausführlich und werden an geeigneten Stellen auf-
geführt werden; vor allem ist aber auf die treffliehen Abbildungen
der Italiener hinzuweisen und deren Genauigkeit und Deutlichkeit
hervorzuheben.
Gleichzeitig mit Rusconi (4) arbeitete Rathke (5) über
Proteus; er beschreibt in seiner 1820 erschienenen Arbeit „Ueber
512 Albert Oppel:
die Entstehung und Entwickelung der Geschlechtstheile bei den
Urodelen® den Verdauungstraetus des Proteus folgendermaassen :
„Ueber der Leber in deren Concavität, doch etwas weniges nach
der linken Seite gekehrt, verläuft der lange, gerade, eylindrische
Magen, der sich nur durch seine muskulösen Wände vom übrigen
Darme unterscheidet, und unmerklich in diesen übergeht. Nach
hinten wendet sich dieser, nach dem hintern Rande der Leber
sich riehtend, von links nach rechts, macht hinter der Leber eine
S-förmige Krümmung, die auf den Bauchdecken liegt, und geht
dann in gerader Richtung, und nur ein wenig von rechts nach
links verlaufend, mit oder ohne Aussackung (Dickdarm) in die
Kloake über.“ — An andern Stellen sagt Verfasser: „denn von
einer Speiseröhre kann wohl nicht die Rede sein“; ferner: „Die
vorn abgerundete und nicht zweihörnige Harnblase liegt unter dem
Endstück des Darmkanales, und ging bei meinen Exemplaren, wo
sie freilich sehr stark zusammengezogen war, nicht sonderlich
weit über den Eingang des Beckens nach vorne hinaus. Ihre
Mündung befindet sich in der untern Wand des Darmes.“ —
Verfasser giebt gleichfalls gute Abbildungen von der Lage der
Eingeweide.
Valentin (7), der zuerst einzelne Organe des Proteus einer
mikroskopischen Bearbeitung unterzog, beschreibt zwar richtig die
Darmfalten, hebt aber auch die Anwesenheit von „wahren Darm-
zotten“ hervor, welch letztere Angabe ich nicht bestätigen kann.
Brotz und Wagenmann (9) geben in ihrer Dissertation
eine Beschreibung von Leber, Milz und Pankreas und beschäftigen
sich darin vorzüglich :mit Maass- und Gewichtsangaben.
S. delle Chiaie (10) der nur ein lebendes, ein moribundes
und ein in Alkohol conservirtes Exemplar seinen Untersuchungen zu
Grunde legen konnte, schreibt über den Verdauungskanal: „Da
conico esofago si scende entro lo stomaco finito nel duodeno, ed
il budello poco flessuoso in linea quasi dritta estendesi fino all
ano. La milza & trigona carenata, nella faccia larga rivolta
al ventriculo, ed al pancrea. Questo giace a sinistra del
pilorico stringimento, e componesi da globosi aeinetti, assai
pitı ampli de’ palatini, e, per quanto parmi, aperti nel duodeno in-
ternamente levigato; nel mentre, che sono ivi lamellosi si lo
stomaco che il resto dell’ intestino. Il fegato molto allungato
distinguesi in lobo anteriore maggiore, e nel posteriori minore
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 513
bifido; esistendo tra il suo follicolosco parenchima immenso
numero di acinetti neri solitari, e da me anco notati nella indi-
cata viscera de’ Cheloni. La eistifellea apparisco abbastanza ampla
otriforme, in eui ha fine il ramificato dutto epatico“. Seine Ab-
bildungen stehen an Genauigkeit hinter denen Rusconi’s (4 u. 8)
zurück.
Dalton’s (14) Notizen beziehen sich nur zu einem kleinen
Theil auf den Darmtractus und geben daraufbezüglich nichts
Neues.
Die Arbeiten Leydig’s (15 u. 17), vor allem seine Unter-
suchungen über Fische und Reptilien, ferner die Hoffmann’s (25),
welche ausführlicher über den Darmtraetus des Proteus handeln,
sowie die zahlreichen neueren Abhandlungen, in welchen einzelne
histologische Details zerstreut liegen, sollen an den betreffenden
Stellen berücksichtigt werden.
Hier möchte ich noch eingehen auf die Angaben Wieders-
heim’s (53), der (in einem Abschnitt seines Lehrbuches der ver-
gleichenden Anatomie) über die Urodelen schreibt: „Der Vorder-
darm bildet hier im Allgemeinen ein in der Längsachse des Kör-
pers verlaufendes, mehr oder weniger aufgetriebenes Rohr, das
sich bei den Perennibranchiaten nur undeutlich oder gar nicht
abgrenzen lässt. Letzteres gilt z. B. für Proteus (Fig. 402), wo
der ganze Tractus, wie bei gewissen Fischen, vollkommen gerade
dureh die ganze Leibeshöhle verläuft“. Da nun schon Rusconi (4)
die Angabe Cuvier’s (3): „Der Darmkanal erstreckt sich fast
in gerader Linie von einem Ende des Bauchs zum andern“ mit Hin-
weis auf die richtige Zeichnung Schreibers (2) und seine eigenen
Befunde berichtigt hatte, überraschte mich, diese Ansicht neuerdings
wieder vertreten zu finden. Ich habe die Zeichnungen Schrei-
bers (2), Rusconi’s (4), Rathke’s (5) und Hoffmann’s (15) an
allen kleinen wie grossen frisch getödteten Thieren
korrekt gefunden. Es betrug die Länge des gewundenen Darm-
stücks (meist waren eine eraniale nach rechts und eine caudale nach
links gelegte Schlinge vorhanden, welche zusammen S-Form gaben)
z. B. bei einem 235 mm langen Proteus in situ 2cm, von dem
Mesenterium getrennt und gerade gelegt 4,5 cm, was eine auf die
Windung kommende Längendifferenz von 2,5 em ergiebt. Da die
Windungen sich stets nur in dem hintern Theil des Mitteldarms
finden, ging Schreibers (2) soweit, den nicht gewundenen Theil
514 Albert Oppel:
des Darms als Duodenum und die Schlinge als Dünndarm zu
bezeichnen. Bei in Alkohol conservirten Exemplaren erhielt ich
dieselben Bilder, wie sie Wiedersheim (55), S. delle Chiaie
(10), R. Wagner (11) und Weinzettl (39) geben und wie
Cuvier (3) beschreibt; dasselbe fand ich bei Thieren, welche
während der Zusendung an mich gestorben waren und dann
eröffnet wurden. Die verschiedenen Härtungsmittel vermochten
ebenfalls eine bei Nachhärtung in Alkohol erfolgende Schrumpfung
nur zum Theil zu vermeiden; die besten Resultate gab hier noch
1°/, Osmiumsäure, einem frisch getödteten Thier in den Darm
durch die Kloake injieirt, mit folgender 24 stündiger Härtung des
ganzen Thiers in Y3—!/, °/, Chromsäure; wurde dann die Bauch-
höhle eröffnet, so zeigte sich der Darm in derselben Lage wie
beim frisch getödteten Thier, d. h. mit einer S-förmigen Schlinge.
Schreibers (2) und R. Wagner (11) haben in ihren Abbil-
dungen dem Magen etwa den doppelten Durchmesser im Ver-
gleich zum Darm gegeben. Derartige Formen habe ich nur
beobachtet bei Ausdehnung des Magens durch Nahrung und dann
konnten auch andere Theile des Darmtractus in derselben Weise
gedehnt sein. Richtig beschreibt dies Wiedersheim (53): „Die
Magengegend ist durch eine schwache spindelförmige Auftreibung
kaum angedeutet“.
Eine Erweiterung des Enddarms habe ich stets vorgefunden,
wenn sie auch bisweilen wenig ausgeprägt war, derselbe charak-
terisirt sich ferner durch das Fehlen der Längsfaltung, welche
sonst die Schleimhaut des ganzen Darmtractus, beginnend im
Oesophagus vor den ersten Oesophagealdrüsen zeigt.
Wenn bei makroskopischer Betrachtung der Darmtractus des
Proteus wenig differeneirt erscheint, so weist dies um so mehr
auf eine mikroskopische Untersuchung hin. Auf diese beabsich-
tige ich im Folgenden näher einzugehen. ,
Zu diesem Zweck habe ich zunächst ein im Leben 131mm
langes Thier, das, in Chromsäure gehärtet, nach der Nachhärtung
in Alkohol 121mm lang war, in Paraffin eingebettet, was eine
weitere Verkürzung um etwa 7 mm zur Folge hatte. Dieses Thier
zerlegte ich in 7443 Schnitte & 15 u, welche ich als Serie mit
Eiweiss aufklebte und nach verschiedenen Methoden färbte. In
zweiter Linie habe ich den ganzen Darmtractus mit Drüsen eines
mit Sublimat behandelten, in conservirtem Zustand 195 mm langen
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 515
Thiers als Serie in etwa 6400 Schnitte a 15 u zerlegt, ferner
mehrere Köpfe, einzelne Organe und grössere zusammenhängende
Abschnitte des Darmtraetus von Thieren verschiedener Grösse als
Serie geschnitten; ich fand in Folge der Grösse der Elemente ein
dünneres Schneiden als 15 « für Serien nicht zuträglich. Endlich
verfertigte ich noch eine Anzahl von Einzelschnitten von verschie-
dener Dicke aus verschiedenen Organen, welche mit einem der
folgenden Conservirungsmittel gehärtet waren: Osmiumsäure,
Chromsäure, Pikrinsäure, Sublimat, Alkohol, Müller’scher oder
Flemming’scher Flüssigkeit.
Es war zu erwarten, dass die Verhältnisse verschieden sein
würden bei durch Inhalt ausgedehntem und leerem Darmtractus,
desshalb suchte ich mir für beide Verhältnisse Objecte zu ver-
schaffen. Da die naheliegende Methode, den Darm durch Injection
von Conservirungsflüssigkeiten zu dehnen, welche ich zunächst an-
wandte, Nachtheile hat, indem einerseits die Theile abgetödtet
werden, ehe die Dehnung erfolgt ist, andererseits die Dehnung
leicht ein physiologisches Maass übersteigt, machte ich den Ver-
such, den Darmkanal auf natürliche Weise zu dehnen. Ich warf
einem Proteus mittelgrosse Regenwürmer vor, wovon er, entgegen
der Behauptung von Michahelles (6) und Hyrtl (69), frass.
Auch Zeller (60), der in seiner Arbeit von Futterthieren spricht,
meint damit Regenwürmer, welche seine seit vielen Jahren gehal-
tenen Thiere gerne nehmen, was ich durch dessen gütige persön-
liche Mittheilung erfuhr. 24—36 Stunden nach der Nahrungsauf-
nahme (der Wurm wurde während der Nacht verschluckt) fand
ich den untern Theil des Oesophagus, den Magen und einen grossen
Theil des Darms durch den darin befindlichen Wurm gedehnt.
Gleichzeitig lieferte mir dieses Thier werthvolle Ergebnisse für
die bei der Verdauung eingetretenen Veränderungen.
Als Färbemittel bediente ich mich am häufigsten des Böhmer-
schen Hämatoxylins, des Boraxkarmins und Safranins, ferner ver-
schiedener combinirter Färbungen, wobei ich die von Heiden-
hain (56) empfohlene Biondi-Ehrlich’sche Methode (Fuchsin
S. — Methylgrün — Orange) mit Vorliebe anwandte.
Sehr deutliche Bilder erhielt ich auf folgende Weise: mit
Eiweiss aufgeklebte Schnitte, in Sublimat oder Chromsäure ge-
härteten Objecten entnommen, werden in einer Mischung von
516 Albert Oppel:
1°/, wässerige Methylgrünlösung 120
1%/o or Eosinlösung 2
1%, A Fuchsin S-lösung 40
Alkohol absolutus 40
15 Minuten gefärbt, dann 30 Secunden in eine Picrinsäurelösung
gebracht (gesättigte wässerige Lösung 80 + 20 Alk. abs.), dann
eine Minute in fliessendem Wasser ausgewaschen, dann kommen
sie in absoluten Alkohol und Nelkenöl je eine Minute, Canada-
balsam. Sind die Schnitte noch gelb, so waren sie zu kurz in
fliessendem Wasser, die Picerinsäure hat nur den Zweck, das Grün
verschiedener Kerne zu differenciren.
Um an Schnitten, welche mit einer der oben genannten Con-
servirungsflüssigkeiten, jedoch nicht mit Osmiumsäure behandelten
Objecten eninommen sind, diejenigen Gebilde distinet zu färben,
welche Osmiumsäure reduciren, bediente ich mich bei Proteus
folgenden Verfahrens. Die Schnitte werden 24 Stunden in Borax-
karmin gefärbt, kommen dann 1 Stunde in absoluten Alkohol,
1 Minute in Methylviolett (3 :200 aq. dest. : 40 Alk. abs.), 2—3
Minuten in ÖOxalsäurelösung (80 gesättigte Oxalsäurelösung in
Wasser zu 20 aqua destillata); werden dann in destillirtem Wasser
ausgewaschen und in Glycerin eingebettet. Es sind dann Fett,
markhaltige Nervenfasern und Granulationen bestimmter Drüsen-
zellen durch ihre dunkelblaue Färbung ausgezeichnet.
Aehnliche Resultate erhielt ich, wenn ich 24 Stunden in
Böhbmer’schem Hämatoxylin überfärbte Schnitte in eine Oxal-
säurelösung (20 gesättigte wässerige Oxalsäurelösung zu 80 aqua
destillata) auf einige Secunden brachte und dann in destillirtem
Wasser kurz auswusch.
Diese Methode, bei welcher die oben erwähnten Gebilde blau
bleiben, während sich das Uebrige roth färbt, gestattet ein Ein-
schliessen in Alkohol — Nelkenöl — Canadabalsam, lässt sich
jedoch nur bei Chromsäurepräparaten anwenden und ist nicht so
sicher zu handhaben, wie die erstere. Beide Methoden gestatten
Aufkleben mit Eiweiss.
Mundhöhle.
Die Zunge des Proteus stellt gewissermaassen nur einen stark
entwickelten Schleimhautüberzug der Spitze der beiden frei in
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 517
die Mundhöhle vorragenden Keratohyalia mit dem dazwischen
liegenden ersten Basibranchiale vor. Die Entfernung von der
Spitze des letzteren bis zur Zungenspitze beträgt z. B. bei einem
112mm langen Exemplar 147mm. Leydig (15) schreibt: „Beim
Proteus hat die Zunge ferner weder Papillen noch Drüsen und
besteht bloss aus Bindegewebe und Fettzellen* und in der That
hat Fischer (18) nachgewiesen, dass alle Perennibranchiaten
und Derotremen einer wirklich muskulösen Zunge ermangeln.
Pr. Ludwig Ferdinand von Bayern (46) schreibt hier-
über: „Die äusserste Spitze der Zunge der Fischmolche ist
ebenso frei von Muskeln, wie die der Fische. Das zierliche
Bindegewebsgitter an der Zungenspitze, welches oben und unten
ein sehr dichtes, in der Mitte ein gitterartiges Netzwerk darstellt,
zeigt ein ganz Ähnliches Verhalten, wie in der Fischzunge, nur
dass das erste Basibranchiale nicht so weit gegen die Zungenspitze
vordringt, als bei dieser.“ Somit ist auch verständlich, wie die
Zunge nach hinten direkt in den Boden der Mundhöhle übergeht;
hier treten ausser den beiden seitlichen die Zunge begrenzenden
Falten noch weitere auf, welche Pr. Ludwig Ferdinand (46)
folgendermaassen beschreibt: „Bei Proteus anguineus erheben
sich unmittelbar neben und hinter der freien Zungenspitze 2
starke Wülste, welche schief nach rückwärts gegen die Mandibula
verlaufen und dem Keratohyale entsprechen. Die Zunge erlangt
hiedurch nach rückwärts eine Dreitheilung, indem neben dem
medianen Haupttheil, 2 laterale Abschnitte auftreten.“ Der kleinere
mittlere Abschnitt enthält die Basibranchialia, die 2 seitlichen
das Keratohyoid, weiter hinten die Keratobranchialia oder je nach
der Schnittstelle Branchialbogen.
Den feinern Bau der Schleimhaut der Zunge beschreibt Pr.
Ludwig Ferdinand (46) folgendermaassen: „Was die Schleim-
haut beim Proteus anguineus anlangt, so überkleidet dieselbe nicht
unmittelbar die Knorpel, sondern auf diesen tritt zunächst eine
nicht sehr feste Bindesubstanz auf, welche an dem ersten Basi-
branchiale 2 scharf begrenzte dichte laterale Flügel darstellt.
Dieses Gewebe verdichtet sich gegen die Oberfläche und nimmt
hier erst die eigentliche Schleimhaut auf. Auch diese zeigt gegen
das Epithel eine etwas verdichtete Schichte mit kleinen Erhebun-
gen, welche sich zwischen die Epithelzellen hineindrängen. An
dem Rücken der Zunge ist die Schleimhaut, insbesondere das
518 Albert Oppel:
Epithel, etwa 3 mal stärker ausgebildet, als abwärts gegen den
Boden der Mundhöhle.* Ferner: „Die Epithelzellen sind gross
und behalten von der Tiefe bis zur ‚Oberfläche einen ziemlich
gleichen Charakter bei. Hier bieten dieselben nicht jene platt-
gedrückte Beschaffenheit dar, wie bei den höheren Thieren.
Zwischen ihnen sind zahlreiche grosse Becherzellen eingebettet.
Die kleinen Oeffnungen an den eingezogenen Hälsen dieser dünn-
wandigen Becher kann man an dem Epithel der Proteuszunge
viel leichter übersehen, als an Objecten aus der höheren Thier-
welt.“ Die Angaben des hohen Autors stimmen mit meinen
Beobachtungen im wesentlichen überein.
Das Epithel des Zungenrückens (Fig. 1) ist ein geschichtetes
Plattenepithel, bestehend aus 3—4 Schichten von Zellen, von denen
die unterste Schicht, den Basalzellen der äussern Haut entsprechend,
an manchen Stellen höher als breit, an andern wie die der
mittleren 2. und 3. Schicht von polygonaler Form sind. Letztere
haben keine zum subepithelialen Bindegewebe reichende Fortsätze.
Die Zellen dieser Schichten lassen keine Intercellularbrücken er-
kennen und zeigen stets einen grossen Kern, der oft den grössern
Theil des Rauminhalts der Zelle einnimmt; dies gilt von den
Zellen aller Schichten, ausser den der freien Oberfläche zunächst
liegenden und den Becherzellen, welche beide besonders besprochen
werden sollen.
Die der Oberfläche nächste Schichte der Epithelzellen (Fig. 1a).
zeigt dieselbe Beschaffenheit, wie sie Bugnion (24) für die
äussere Haut nach Behandlung mit Argentum nitricum beschreibt,
nämlich einen helleren platten, der Mundhöhle zunächstliegenden
und einen dunklern um den Kern gelegenen Theil. Bugnion (24)
nennt bei der äussern Haut den ersteren Theil Cuticularsaum und
zeichnet denselben gestrichelt. Diese Bilder erhielt ich, wie sie
Bugnion (24) für die äussere Haut giebt, beim Mundepithel
nach Behandlung mit 1°/, Osmiumsäure und Nachhärtung in Chrom-
säure. Auf die von Bugnion (24) beschriebene Strichelung will
ich hier nicht näher eingehen. Rabl (50) hat die Ueberzeugung
gewonnen, dass die vermeintliche Cuticula in den Stäbchenepithe-
lien der Proteushaut aus zahlreichen kleinen Stäbchen besteht.
Hervorheben will ich noch, dass ich auch bei Behandlung mit
Chromsäure die helle Partie wenigstens an einem Theil der Zellen
zu conserviren vermochte. Stets färbte sich der um den Kern
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 519
gelegene Theil dieser Zellen sowohl hier wie in der äussern Haut
mit verschiedenen Farben, besonders mit Eosin, intensiver, als das
Protoplasma aller übrigen Zellen, gewöhnlich wandte ich hierfür
Methylgrün-Eosin oder Hämatoxylin-Eosin, ersteres gemischt 60:1,
letzteres nacheinander an. Diese beschriebenen Zellen schliessen
dicht zusammen und lassen nur schmale Oeffnungen für die Hälse
der tiefer liegenden Becherzellen. Ich konnte erstere nie tiefer
hinab verfolgen und traf sie stets ohne Zusammenhang mit dem sub-
epithelialen Bindegewebe, wie sie auch Bugnion in der äussern
Haut zeichnet.
Wenn Leydig (15) schreibt: „was den Proteus anbelangt,
so muss ich bekennen, dass ich weder auf der Zunge, noch
irgendwo im Rachen eine Flimmerbewegung zur Anschauung
bringen konnte. Ich habe 4 lebende Exemplare untersucht mit
überall negativem Erfolg, doch möchte ich immer noch, ehe ich
für dieses Thier am fraglichen Ort die Wimpern in Abrede stelle,
glauben, dass nur die überaus grosse Feinheit der Cilien es
schwer oder geradezu unmöglich macht, sie zu beobachten“, so
erklärt sich einerseits das Fehlen von Cilien aus der Beschaffen-
heit des Epithels, andererseits möchte ich hervorheben, dass an
allen Orten, an denen Flimmerhaare bei Proteus vorkommen, die-
selben derartige Dimensionen haben, dass sie nicht leicht zu über-
sehen sind. Leydig (15) hat ja auch die feinsten Flimmerhaare,
welche Proteus besitzt, nämlich am Epithel der Nasenschleimhaut,
wohl erkannt.
Die Becherzellen (Fig. 1b) sind grosse, ins Epithel eingestreute
Zellen, deren Häufigkeit an verschiedenen Stellen wechselt. Sie
sind von kugeliger Form und verjüngen sich gegen die Oberfläche
zu einem kurzen und engen Hals, der zu der kleinen Mündung auf der
Schleimhautoberfläche führt. Gegen das Stratum proprium zu
laufen sie in einen schmalen Fortsatz aus, welcher im Vergleich
zu der Kugelform der Zelle sich wie ein Stiel ausnimmt und den ich
öfter bis zu der Bindegewebsschichte verfolgen konnte, wo er mit
verbreiteter Basis aufsass. Der Kern mit wenig Protoplasma
liegt in der Regel in halbmondförmiger Gestalt der Wand ange-
drückt. Die Form der Becherzellen scheint mir den beim Frosch
und bei Salamandra maculata in der Mundhöhle vorkommenden,
welche Holl (54 u. 49) eingehend beschrieben hat, ähnlich zu sein.
Der Inhalt der Theca der Becherzellen färbt sich bei mit Chrom-
520 Albert Oppel:
säure gehärteten Präparaten intensiv mit Hämatoxylin und gar
nicht mit Safranin, während sich z. B. die Zellen der grossen
Hautdrüsen intensiv mit diesen beiden Farben tingiren. Ich halte
diese Bemerkung nicht für überflüssig, da bei der noch herr-
schenden Unklarheit über die Secrete jedes Unterscheidungs-
merkmal, namentlich wenn es sich auf den Sammelnamen Schleim-
zellen bezieht, auch wenn es nicht auf einer chemischen Reaction
beruht, vorläufig notirt werden sollte.
Es ist dieses Epithel, wie ich hervorheben möchte, in Form
und Schichtung kaum zu unterscheiden von dem Epithel der
äussern Haut. Ein Unterschied dürfte sich vielleicht nur in der
Höhe der Schicht finden, die bei einem 112 mm langen Thier bei
der Haut 0,05—0,05 mm, bei der Zunge auf dem Rücken
0,025—0,03 mm betrug. Dass das Epithel der Zunge ebenso ge-
baut ist, wie das der äussern Haut, wenn man von den hier sich
findenden Becherzellen und den dert eingestreuten Leydig’schen
Zellen als unterscheidend absieht, scheint mir von Bedeutung zu
sein, indem Leydig (15) schreibt: „Während das Epithel der
Zunge bei allen untersuchten Batrachiern aus Cylinderzellen
besteht, wovon immer die einen hell und die anderen mit eiweiss-
artigen Körnchen, besonders stark gegen das freie Ende hin, er-
füllt sind, so zeigt sich das Zungenepithel der beschuppten Rep-
tilien: bei der Landschildkröte, der Blindschleiehe und der Ringel-
natter, aus geschichteten Plattenzellen zusammengesetzt.“ Das
letztere findet sich auch bei Fischen allgemein, wie Leydig (17)
nachgewiesen hat. Da nun bei Fischen und Reptilien das Vor-
kommen eines geschichteten Plattenepithels an dieser Stelle vor-
wiegend ist, so war zu erwarten, dass sich dasselbe wenigstens
bei niederen Amphibien gleichfalls finden würde und das ist in
der That bei Proteus der Fall. Dass die oberflächlichen Zellen
hier nicht jene plattgedrückten Formen darbieten wie bei höhern
Thieren, mag darin seinen Grund haben, dass es in der äussern
Haut auch nicht der Fall ist.
Auf den Seiten und der Unterfläche der Zunge wird das
Epithel weniger hoch, es redueirt sich auf 2 Lagen von Zellen.
Die der Mundhöhle zunächst liegenden Zellen zeigen denselben
Bau wie die entsprechenden Zellen des Zungenrückens, die darunter
liegenden Zellen sind von polygonaler Form wie die tiefern
Schichten des Zungenrückenepithels. In den nach hinten ziehen-
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 521
den Falten wird das Epithel in der Tiefe der Falten oft ein-
schichtig, es verkürzt sich der Höhendurchmesser der Zellen und
damit die Dicke des Epithels auf 3—4 u.
Das am Dach der Mundhöhle die Schleimhaut überkleidende
Epithel ist wie das auf dem Rücken der Zunge gebaut; weiter
nach hinten, namentlich in den seitlichen Taschen, welche zu den
Kiemenöffnungen führen, wird es niedriger in der Weise, wie
dies für die Unterfläche der Zunge eben beschrieben wurde.
Der Uebergang von der äussern Haut in das Epithel der Mund-
höhle ist ein ganz allmählicher und charakterisirt durch das Vor-
kommen von Becherzellen in der Gegend, welche den Lippen
höherer Thiere entspricht.
Was die Sinnesorgane betrifft, so beabsichtige ich auf den
Bau derselben nicht näher einzugehen, da dieselben von Bugnion
(24) vortrefflich beschrieben sind; hervorheben möchte ich nur,
dass ich die von Bugnion (24) bei Proteus vermisste hyaline
Röhre, welcheauch inCarriere’s (48) Abbildung eines tiefgelegenen
Nervenhügels vom Unterkiefer des Proteus anguineus fehlt, zwar
im Mund nicht nachweisen konnte, jedoch in der äussern Haut
der Schnauzengegend mehrfach bei einem lebend 175mm langen,
in Sublimat conservirten Thier gefunden habe. Dieselbe verjüngt
sich etwas dem freien Ende zu und zeigt eine Längsstrichelung,
welche in der Zeichnung wiedergegeben ist (Fig. 2). Malbrane
(29) schreibt darüber: „Bugnion konnte am erwachsenen Proteus
und Siredon keine Gallertröhre und keine starren Haare ent-
decken — sie fehlen hier auch in der That so gewiss, als sie bei
ganz jungen, der Eihülle kaum entronnenen Larven vorhanden
sind.“ Wenn nun auch das von mir darauf untersuchte Thier
nicht als ausgewachsen zu betrachten ist, so zeigt doch der
Befund, dass das Thier während seines Wachsthums (es verlässt
nach Zeller (60) mit 22mm das Ei) die Röhre lange behält. Im
Dach der Mundhöhle fand ich die Sinnesorgane mit Vorliebe
jederseits in einer einwärts von den Zähnen nahe dieser gestellten
Reihe, auch näher der Mitte, selbst genau in der Mitte. Auf der
Zunge sind sie häufiger am Rand und zwar bilden die Papillen,
in welche sie eingesenkt, wie Bugnion (24) hervorgehoben hat,
liegen, namentlich auf dem hintern Theil der Zunge ziemliche
Hervorragungen, ebenso weiter hinten auf den beiden oben be-
schriebenen Schleimhautwülsten.
522 Albert Oppel:
Hier habe ich noch Gebilde zu erwähnen, welche ich im
Epithel der Mundhöhle häufig gefunden habe. Bei Betrachtung
eines Schnittes aus der Lippeninnenseite (Fig. 3), wo sich die
Schleimhaut vor Ueberkleidung des Unterkiefers zu einer Tasche
einsenkt, sieht man bei Färbung mit Methylgrün, am besten in
einer der oben angegebenen Combinationen, zwischen den Epithel-
zellen Formen, welche sich mit Methylgrün intensiver als die
Kerne der Epithelzellen tingiren, Formen wie sie Stöhr (47) und
List (52), ersterer in der Tonsille der Säugethiere, letzterer als
„oft eigenthümlich gewundene bizarre Gebilde“ im Kloaken-
epithel von Raja miraletus, ebenso in dem Epithel der
Oberhaut der Barteln und der Oberlippe von Cobitis fossilis
beschreiben und als Leukocyten ansprechen. Dieselben charak-
terisiren sich bei Proteus durch einen die meisten Tinctions-
mittel lebhaft annehmenden Kern, während das den Kern um-
gebende Protoplasma an in Canadabalsam eingeschlossenen Prä-
paraten meist nicht deutlich zu erkennen ist. Nicht nur im
Epithel selbst, sondern auch unter demselben und sich durch das
unter dem Epithel befindliche Bindegewebe durchwindend, sind
sie häufig zu treffen. Ausser den oft langgestreckten gewundenen
Formen zeigen sich auch rundliche, welche sich von den Epithel-
zellen dadurch unterscheiden, dass ihre Kerne stets kleiner sind
und sich lebhafter tingiren als die Kerne der Epithelzellen, ferner
dadurch, dass ein bei den Epithelzeilen immer sichtbarer Zellleib
bei den Wanderzellen, wie oben erwähnt, nicht immer deutlich ist.
Neben diesen einkernigen Formen finden sich nun auch, im
Epithel selbst jedoch weit seltener, Formen mit mehreren Kernen.
Häufiger begegnet man solchen an andern Orten.
Derartige Wanderzellen finden sich im Epithel der ganzen
Mundhöhle und Zunge an verschiedenen Stellen bald zahlreicher,
bald nur sehr vereinzelt. Stets charakterisiren sie sich durch den
lebhaft tingirten Kern und die geringe Menge von Protoplasma
um denselben.
Andere Formen von Wanderzellen, welche protoplasmareicher
sind und deren Protoplasma dicht zusammengelagerte Körnchen
zeigt, welche die Eigenschaft haben, gewisse Farbstoffe lebhaft
aufzunehmen und festzuhalten, sind in der Mundhöhle des Proteus
nur selten vertreten. In der Lippengegend, sowie an einzelnen
Stellen im Rachen konnte ich solche im Epithel finden und mit
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 523
den von Ehrlich (33 u. 35), der diese Zellen nach ihrem Tinections-
vermögen in verschiedene Unterarten eintheilte, angegebenen
Farben tingiren. Die besten Bilder erhielt ich bei Proteus, wenn
ich Fuchsin-S. in einer der oben angegebenen Combinationen an-
wandte.
Ferner fand ich häufig im Epithel der Mundhöhle meist
kugelige Räume, in welchen eine oder mehrere Wanderzellen
lagen, bestehend aus Kernen, umgeben von mehr oder wenig
Protoplasma; dieselben standen mit den Epithelzellen selbst in
keinem sichtbaren Zusammenhang. Soweit könnten sich meine
Befunde mit denen von List (52) decken, welche er mit folgenden
Worten beschrieb: „Beobachtet man nun Schnitte genauer, so
kann man häufig Ausbuchtungen zwischen den Epithelzellen
beobachten, welche zweifellos auch von Stöhr und mir aus
anderen Epithelien beschrieben wurden. In solchen Ausbuchtungen
kann man oft mehrere Leukocyten liegen sehen. Es ist mir
wahrscheinlich, dass diese Ausbuchtungen zwischen den Epithel-
zellen nicht allein dem Drucke der wandernden Leukoeyten,
sondern wohl hauptsächlich der resorbirenden Thätigkeit derselben
ihre Entstebung verdanken.“
Es fiel mir auf, dass diese Räume ausser den Wanderzellen
häufig noch Einschlüsse enthielten, welche theilweise im Zellleib
der beschriebenen Wanderzellen, zum Theil aber auch in Form
kleinerer und grösserer Körner in dem Raume lagen und denselben
bisweilen nahezu ausfüllten. Diese Stoffe färbten sich mit ver-
schiedenen Farben verschieden, vor allem nahmen sie Fuchsin-S.
und Methylgrün lebhaft auf, färbten sich aber auch zum Theil
mit Safranin intensiv. Nach der von Heidenhain (56) empfohlenen
Biondi-Ehrlich’schen, ebenso mit der von mir oben angegebenen
Fuchsin-S.-Methylgrün-Eosinfärbung nahmen sie sehr mannigfache
Farben an und gaben Bilder, welche mich an diejenigen erinner-
ten, die Heidenhain (56) im Dünndarm des Meerschweinchens
und anderer Thiere gesehen und abgebildet hat. Derselbe glaubt
gleichfalls, dass diese Zellen zu amöboiden Bewegungen fähig
seien. Die bunten Bilder, welche er mit der Biondi-Ehrlich-
schen Methode erhielt, fasst er als Stadien der „intracellulären
Verdauung“ auf, annehmend, diese Zellen fressen andere Leuko-
eyten. Er glaubt, es seien „Zellen, welche zu den von der Patho-
logie so eifrig verfolgten Phagocyten gehören“.
54 Albert Oppel:
Im Darm des Frosches wurden derartige Zellen zuerst von
Leydig (15) gesehen, welcher darüber schreibt: „So beobachtete
ich z. B. im Darm des Frosches, dass zwischen den gewöhnlichen
Elementen des Epithels rundliche Zellen von 0,0120‘ sichtbar
sind, deren Inhalt aus zweierlei Substanzen besteht, einmal aus
grösseren gelblichen Körnern und Klumpen und dann aus hellen
kleineren Kugeln. Man könnte daran denken, dass es Epithei-
zellen seien, in welche gewisse Stoffe aus dem Darminhalte
eingedrungen wären“. — Heidenhain (56) schreibt darüber:
„Reichlich dagegen findet man Phagocyten beim Frosche. Sie
werden aber als solehe nur durch die Ehrlich-Biondi’sche
Färbung gut kenntlich. Wer sich mit der Histologie des Frosch-
darmes beschäftigt hat, wird theils unter, theils zwischen den
cylindrischen Epithelzellen grosse rundliche Formelemente gesehen
haben, die schon am frischen Darm durch ihre gelbliche Färbung
auffallen und histologisch schwer rubrieirbar erscheinen. Ein
Theil derselben, unterhalb des Epithels, gehört zu der Klasse der
eosinophilen Zellen Ehrlichs, ein anderer reiht sich den oben
beschriebenen Phagoeyten des Meerschweinchens an.“
Ich möchte darauf hinweisen, dass derartige Zellen, welche
ich als Wanderzellen mit Einschlüssen bezeichnen werde,
bei Proteus nieht nur im Epithel der Mundhöhle, sondern durch
den ganzen Darmtractus, ebenso wie in der äussern Haut sich
zahlreich vorfinden. Auf die jeweiligen Einschlüsse, welche die-
selben enthalten und die an verschiedenen Orten verschieden sind,
soll an den betreffenden Stellen eingegangen werden.
Ausser den zerstreut liegenden Wanderzellen fand ich bei
einem conservirt 112 mm langen Proteus Stellen im Rachen, welche
eine hervorragende Ansammlung von Wanderzellen zeigten. Da
sich diese Stellen in ihrem histologischen Bau von der übrigen
Mundschleimhaut unterscheiden, beschreibe ich dieselben gesondert.
Das Epithel erhebt sich hier (Fig. 4) zur 3—4 fachen Dicke
und zwar ist dies nicht, oder jedenfalls nur zu einem sehr geringen
Theil, durch eine Vermehrung der epithelialen Elemente bedingt,
vielmehr durch eine massenhafte Einlagerung von Wanderzellen,
welche die im Epithel der Lippe beschriebenen Formen zeigen.
Die Epithelzellen der tiefern Schichten sind hier in der Längs-
richtung gedehnt, durch die dazwischen liegenden Wanderzellen
von einander getrennt und scheinen nur mit schmalen Fortsätzen
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 525
mit dem darunter liegenden Bindegewebe, sowie mit der der
Oberfläche nächsten Schicht zusammenzuhängen. Letztere zieht im
Bau unverändert über das eine Vorwölbung in die Mundhöhle
darstellende Ganze her. Die Bindegewebsschicht unter dem Epithel
ist gleichfalls aufgelockert und zeigt zahlreiche auf dem Durch-
weg befindliche Wanderzellen. Das submueöse Gewebe, gefüllt
mit Wanderzellen, zeigt eine leichte Vermehrung der Bindegewebs-
elemente und eine stärkere Gefässentwicklung wie die Umgebung.
Eine solche Stelle findet sich im Rachen des von mir unter-
suchten Proteus beiderseits direkt hinter dem Kiefergelenk in der
Höhe der unpaaren Schilddrüse; die Lage ist in Fig. 5 angegeben.
Weiter nach hinten fand ich bei demselben Thier in der Höhe der
ersten Kiemenspalte, gleichfalls beiderseits, auf der dorsalen Seite
des Rachens, kurz, ehe die zu den Kiemenöffnungen führende
Tasche ein niedrigeres Epithel bekommt, in der Höhe des hintern
Endes der Thymus, eine solche Stelle, jedoch war dieselbe etwas
weniger ausgebildet, als die oben beschriebene. Bei einem
zweiten Thier von 215mm Länge fand ich an diesen 4 Stellen
die der Bindegewebsschicht zunächst liegenden Zellen in der
Weise verändert, wie ich es oben beschrieben habe, auch die
submueöse starke Gefässentwicklung konnte ich an diesen Stellen
constatiren, doch fehlte eine Wanderzellenansammlung vollständig ;
den Grund hiefür darin suchen zu wollen, dass das erste Thier
im Mai, das letztere im September getödtet wurde, und daraus
Schlüsse auf ein mit der Jahreszeit wechselndes Vorhandensein
der Wanderzellenansammlung zu schliessen, halte ich, da nur
zwei Thiere darauf untersucht wurden, noch nicht für gerecht-
fertigt.
Holl (54 u. 49) hat ähnliche Gebilde in der Mundhöhle von
Rana temporaria und Salamandra maculata gefunden. Er fasst
seine diesbezüglichen Untersuchungen über letzteres Thier mit
folgenden Worten zusammen: „Im Gewebe der Schleimhaut des
Mundhöhlenbodens kommen follikelartige Gebilde vor, welche, im
Schlunde symmetrisch gelagert, wahrscheinlich die Tonsillen
repräsentiren.“ Bezüglich der Bedeutung dieser Organe im Ver-
gleich mit den bis jetzt nur bei Säugethieren nachgewiesenen
(56) Tonsillen, mit denen wenigstens die beiden hinter dem
Kiefergelenk gelegenen in Lage und im Bau Aehnlichkeit haben,
glaube ich noch hervorheben zu müssen, dass ich ausser an den
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 34. 34
526 Albert Oppel:
genannten Stellen im Mund und Rachen sowie auf der Zunge bei
Proteus keine derartigen gefunden habe. Holl (54 u. 49) dagegen
bemerkt für die beiden von ihm untersuchten Thiere ferner, dass
sich solche Gebilde hier „unregelmässig“, dort ‚an verschiedenen
Stellen“ finden. Es würde demnach der Befund bei Proteus einen
derartigen Vergleich unterstützen. Aehnliche Organe wie die be-
schriebenen habe ich auch an bestimmten Stellen der äussern
Haut gefunden und werde in dem betreffenden Kapitel anal
zurückkommen.
Die Mundhöhle des Proteus besitzt ausser den
Becherzellen keine secernirenden Zellen, geschweige
deren Complexe: Drüsen. Da sich jedoch verschiedene An-
gaben in der Literatur finden über Munddrüsen und anderes damit
Zusammenhängendes, so möchte ich hier kurz darauf eingehen,
jedoch gleich betonen, dass ich mich mit dem Bau der Nase hier
nicht befassen werde. Leydig (15 u. 17) hat hierüber 2 Notizen.
Er schreibt 1853: „Rusconi hat auch die Bemerkung, dass man
um das äussere Nasenloch viele Poren sehe, welche wahrschein-
lich einen öligen Saft ausschwitzen. Diese Poren sind die
Oeffnungen sehr entwickelter, flaschenförmiger Drüsen, die in den
Lippen sitzen und die ich der von mir am Salamander und
Frosch beschriebenen Drüse der Nasenspitze vergleichen möchte.“
Diese erste Notiz Leydig’s beruht auf der richtigen Wahr-
nehmung, dass bei Proteus an der Schnauzenspitze - sich eine
grössere Anzahl von Hautdrüsen vorfindet, welche flaschenförmig
sich im Bau dureh Einzelheiten von denen in der Haut des
übrigen Körpers unterscheiden, auf welche ich bei Besprechung
der Haut zurückkommen werde. Diese Drüsen haben nun aber
mit der Glandula intermaxillaris der Amphibien, welche Leydig
(econf. Wiedersheim 27) hier meint, nichts zu thun. Anders
äussert sich Leydig 1857: „Beim Proteus erblickt man in der
Haut der Schnauzenspitze lange gewundene Drüsenschläuche, in
denen ich das Aequivalent der Nasendrüse der vorhergehenden
Batrachier erkennen möchte.“
In der That existiren bei Proteus in der Schnauzenspitze
lange, zum Theil gewundene Drüsenschläuche, welche ich bei ver-
schiedenen Exemplaren in verschiedener Ausbildung antraf. Ich
habe daraufhin Kopfserien von 4 Exemplaren untersucht und sehil-
dere den Befund beginnend von der Ausmündungsstelle der
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 527
Schläuche. Diese ist für alle gemeinsam die Stelle, an welcher
die äussere Nasenöffnung, d. h. der von einem niedrigen Platten-
epithel ausgekleidete Vorraum ausserhalb der mit dem Riech-
epithel bekleideten Nase, an die äussere Haut angrenzt. Von der
hintern Seite dieser Oeffnung entspringend ziehen die Kanäle
zum Theil medial, zum Theil lateral unterhalb der im Bogen nach
hinten steigenden Nasenhöhle gleichfalls nach hinten, um, ohne
sich zu verzweigen, blind zu endigen; d. h. dieser mediale
oder laterale Verlauf bezieht sich nur auf den Ursprung, längere
mediale Kanäle biegen gleichfalls nach aussen und verlaufen
lateral von der Nasenhöhle.
Bei einem Thier von lebend 124 mm, conservirt 114 mm
Länge fand ich rechts einen 0,6 mm, links einen 0,87 mm langen
Sehlauch, beide verliefen lateral von der Nasenhöhle.
Bei einem Thier von lebend 135 mm, conservirt 125 mm
Länge fand sich rechts ein medialer Gang von 0,57 mm und ein
lateraler von 0,83 mm, links ein lateraler Gang von 0,48 mm
Länge.
Bei einem conservirt 215mm langen Thier (Fig. 6, Schema)
fanden sich links 5, rechts 6 Schläuche, von denen je einer sich
durch seine Länge und seinen bestimmten Verlauf auszeichnete.
Derselbe zog sich nämlich beiderseits zunächst nach hinten unter
der Nasenhöhle und dann seitlich von derselben mit den in die
Nasenspitze ausstrahlenden Trigeminusästen, die in der Nähe des
Auges noch beisammen liegen, in der Richtung gegen das Auge
hin. Zu beiden Seiten von diesem lagen links je 2 Kanäle medial
und lateral, rechts 3 medial und 2 lateral. Von den lateralen
Kanälen zeichnete sich gleichfalls jederseits der eine durch seine
Länge aus, derselbe enifernte sich in seinem Verlauf stets zunächst
lateral von dem mittlern, um dann, kurz ehe er blind endigte, dem
mittlern sich wieder zu nähern. Links erreichten von den 3
kurzen Kanälen der längste 0,315mm, der längere laterale 1,303 mm
und der mittlere längste 1,335 mm. Rechts waren die kurzen
zwischen 0,63 mm und 0,34 mm lang, der laterale längere 1,545 mm
und der mittlere erreichte 2,535 mm.
Besonders bemerkenswerth erwies sich ein Proteus (Fig. 7,
Schema) von lebend 131 mm, conservirt 121 mm Länge, der beider-
seits 3 Schläuche besass, von denen der mittlere gleichfalls der
längste war.
528 Albert Oppel:
Links war der mediale 0,285 mm, rechts der mediale 0,21 mm
% » „» laterale 0,945 „ b; „. "laterale 88) A)
Pi ja „mittlere :3,09 ‚., n „ mittlere 2,835 „,
lang.
Beiderseits zog der mittlere wieder mit den Trigeminus-
ästen nach hinten zum Auge und zwar soweit, dass Querschnitte
durch den Kopf rechts gleichzeitig Auge und den Kanal trafen
(Fig. 8), in einem solchen Schnitt endigte der Kanal blind 0,036 mm
vom Auge entfernt. Ich halte diesen mittleren Kanal
zweifellos für den Thränenkanal des Proteus.
Wenn auch ein freies Ausmünden des Thränenkanals auf
der Seite des Auges bei Proteus durch das Fehlen einer Con-
junetiva unmöglich gemacht wird, so kommt doch bei Proteus der
Thränenkanal zur Anlage und mehr oder weniger fortgeschrittenen
Entwicklung, und zwar so, dass mir unter 4 untersuchten Thieren
bei zweien möglich war, den Thränenkanal bestimmt von den
andern beschriebenen Schläuchen durch seine Länge und seinen
Verlauf zu unterscheiden. Ich halte für nöthig dies hervorzu-
heben, da Born (44) sagt: „Bei Proteus existirt kein Thränen-
kanal, soviel kann ich bestimmt behaupten“, und in derselben
Arbeit die Bedeutung der Frage, ob sich bei Perennibranchiaten
und Derotremen ein Thränennasengang finde, hervorhebt. Betreffs
des Baues des Thränenkanals des Proteus konnte ich bemerken,
dass es ein von cubischem Epithel ausgekleideter Schlauch ist,
der sich im Bau nur durch seine grössere Weite namentlich bei
dem 3. beschriebenen Exemplar von den andern Schläuchen unter-
scheidet; bei diesem Thier erreichte der Kanal einen Durchmesser
von 0,12 mm, während die übrigen Schläuche 0,05 mm selten über-
steigen. Die für andere Amphibien von Born gegebene Beschrei-
bung: der Thränenkanal „zerfällt am untern Augenlide in 2
Aeste, die getrennt, hinter einander am freien Rande der inneren
Hälfte des unteren Augenlides ausmünden“ kann ich insoweit
für Proteus bestätigen, als ich bei dem zuletzt beschriebenen
Thier auf der linken Seite kurz vor dem blinden Ende eine Zwei-
theilung des Kanals fand (Fig. 7 Schema).
Um auf die Leydig’sche Ansicht zurückzukommen, so glaube
ich nicht, dass diese Schläuche etwas mit den in die Mundhöhle
mündenden von ihm beschriebenen Drüsen der übrigen Amphibien
gemein haben, dass vielmehr einer dieser Schläuche und zwar,
fi
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 529
wo mehrere vorhanden sind, der längste mittlere dem Thränen-
kanal entspricht, die übrigen der äussern Nasenhöhlendrüse, welche
Reichel (42) als zugleich mit dem Thränennasengang in die Nase
mündend beschreibt, indem für die Beurtheilung eines Organs
nicht nur seine Lage, sondern sein entwicklungsgeschichtlicher
Ausgangspunct in Betracht kommt.
Dass die Ausbildung des Thränenkanals nur bei einzelnen
Exemplaren einen so hohen Grad erreicht, wie bei dem 4. von
mir beschriebenen Thier, nicht aber als bei allen vorhanden
und durch Reduction bei älteren Individuen schwindend zu be-
trachten ist, halte ich aus folgenden Gründen für wahrscheinlich.
Die beiden ersten von mir untersuchten Thiere von conservirt
114 und 135 mm Länge, welche nur wenig ausgebildete Schläuche
zeigten, so dass es mir nicht möglich ist, einen davon als Thränen-
kanal zu bestimmen, unterscheiden sich von dem 4. untersuchten
121mm langen Thier mit seinen hochausgebildeten Thränen-
kanälen kaum bezüglich der Körperlänge; ferner ist das 3. unter-
suchte Thier mit deutlich ausgebildeten Thränenkanälen 215 mm
lang, also bedeutend grösser als die beiden ersten. Die kleineren
Individuen aber auch als die jüngeren anzusehen halte ich, selbst
wenn ich annehme, dass an verschiedenen Orten gefangene Exem-
plare variiren, für gerechtfertigt, da Fitzinger (13) bei Auf-
stellung seiner 7 „Arten“ von Proteus bezüglich der Länge nur
unbedeutende Unterschiede für die ausgewachsenen Individuen
angab.
Schilddrüse.
Ueber die Schilddrüse des Proteus konnte ich ausser den
älteren negativen Angaben der Autoren (Stannius 16),"nur zwei
Notizen finden von Leydig (15) und J. G. Fischer (18). Leydig
schreibt 1853: „Beim Proteus bemerke ich aber auch ferner eine
deutliche Schilddrüse, die bisher noch von Niemanden beobachtet
worden zu sein scheint. Sie ist unpaar, klein und liegt in der
Mittellinie der Kehle an den Blutgefässen. Sie besteht nur aus
wenigen Blasen, 15 war das Maximum; ich sah aber auch die
Zahl der Blasen auf 3 herabgesunken, die einzelnen Blasen messen
0,056— 0,070“, haben ein schönes deutliches Epithel und den
übrigen Raum der Blase nimmt in vielen Fällen ein Colloid-
530 Albert Oppel:
klumpen ein, der wieder mehrere helle Flecken, die sich wie
Lücken ausnehmen, zur Ansicht gewährt.“ Aehnlich drückt sich
Leydig 1857 aus. J. G. Fischer schreibt: „BeiHypochthon und
wie es scheint, nur bei dieser Gattung existirt noch ein hinteres
Analogon des Ceratohyoideus internus in einem schwachen
Muskel.“ — „Auf der Ventralfläche dieses Muskels ist die auch
bei den übrigen Gattungen in dieser Gegend gelegene trauben-
förmige Glandula thyreoidea sichtbar.“
Das Befremdende dieser verschiedenen Beschreibung beider
Autoren erklärt sich aus folgender Thatsache: Proteus hat 3
Schilddrüsen, eine paarige und eine unpaare. Leydig
hat die unpaare und J. G. Fischer die paarige beschrieben.
Die Verhältnisse sind demnach bei Proteus wie sie Maurer (58)
für andere Urodelen beschreibt.
Die Schilddrüsen des Proteus liegen (Fig. 9 Schema) am
Boden der Mundhöhle und zwar unter den in demselben befind-
lichen Knochen. Die unpaare Schilddrüse liegt median, ventral
von dem hintern Ende des ersten Basibranchiale, demselben nahe
anliegend. Die paarige Schilddrüse liegt etwas weiter nach hinten,
beiderseits ventral von dem ersten Keratobranchiale, in der Höhe
der Verbindung des letztern mit dem median gelegenen zweiten
Keratobranchiale. Die paarige Schilddrüse liegt dem sich an dieser
Stelle in die Tiefe senkenden die oben beschriebene Tasche bildenden
Mundepithel sehr nahe an (Fig. 10), die Entfernung Mundhöhle —
Schilddrüse ist nur gleich der Dieke der Mucosa; diese beträgt dort
0,016 mm. Auffallend ist die Aehnlichkeit des hier einschichtig
gewordenen Mundepithels mit dem die Blasen der Schilddrüsen
auskleidenden Epithel. Entfernt von der Schleimhaut der Mund-
höhle liegt die unpaare Schilddrüse, deren isolirte Lage in Fig.
d c dargestellt ist. Dieselben Verhältnisse fand ich bei 2 unter-
suchten Thieren von 112mm und von 215mm Länge. Was den
von Leydig beschriebenen histologischen Bau anlangt, so fand
ich die Blasen meist nur durch lockeres Bindegewebe verbunden
und von Gefässen und Nerven umgeben.
Oesophagus.
Ueber den Oesophagus des Proteus liegen einige Angaben von
Leydig (15) vor. Er schreibt 1853: „nur am Proteus vermochte
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus, 331
ich im Schlunde so wenig Flimmerhärchen zu erkennen, wie auf
der Zunge oder im Rachen.“ — „Auf der Schlundschleimhaut des
Proteus sind die Drüsen so gross, dass man mit blossem Auge die
‚einzelnen Drüsen als hervorragende, durchschimmernde Knötchen
gut bemerkt. Mikroskopisch zeigen sie sich als rundliche Säcke
mit verhältnissmässig enger Mündung und zelligem Inhalt. Dieser
besteht hier aus eylinderförmigen Formen.“ Ferner hebt Leydig
hervor, dass Proteus nur glatte Elemente in der Muskelhaut des
Schlundes hat. 1857 schreibt Leydig von den Oesophagealdrüsen,
sie „werden gegen den Magen zu immer grösser. Nach innen sind
sie mit sekundären Follikeln versehen.“
Der Oesophagus entsteht vorne aus der ohne scharfe Grenze
übergehenden Rachenschleimhaut, zu der caudal von der Einmün-
dung des zu den Lungen führenden Kanals Muskelelemente und
die umhüllende Serosa treten. Letztere tritt nach Theilung der
Lunge in ihre 2 Säcke an 4 Stellen mit dem Oesophagus in Be-
rührung, die Unterbrechungsstellen bilden die Uebergänge der Serosa
beiderseits zu den Lungen, ventral zur Leber und dorsal zu der
Wirbelsäule. Die Spitze der Leber reicht eranial über die erste
Oesophagealdrüse hinaus. Mit dem Auftreten der Muskelelemente
beginnt die Schleimhaut sich in Längsfalten zu legen, die bis zum
Magen ziehen. Ueber die hintere einer Cardia entsprechende
Grenze gegen den Magen soll unten gehandelt werden, hier sei
nur bemerkt, dass die Länge des Oesophagus gerechnet von der
ersten Oesophagealdrüse bis zur ersten zweifellosen Magendrüse
bei einem eingebettet 112mm langen Thier 6,16 mm betrug, bei
einem conservirt 195 mm langen Thier 9,15 mm, also im ersten
Fall !/;,, im zweiten 1/,, der Gesammtlänge des Thiers. Bei einem
145 mm langen Thier betrug sie nur 4,09 mm, also !/,, der Gesammt-
länge, hei diesem Thier jedoch war der Oesophagus nicht in situ
gehärtet und daher hatte sich der hier in conservirtem Zustand
auch weitere Oesophagus in seiner Längsaxe contrahirt. Die Stelle,
an welcher die erste Oesophagealdrüse auftritt, Jiegt bei dem erst-
genannten Exemplar 7,5 mm hinter der Stelle, an welcher der zu
den Lungen führende Kanal einmündet. Wollte man den Oesophagus
von letzterer Stelle aus rechnen, wo er jedoch noch von platter
Form und faltenlos ist, auch noch der zuerst auftretenden Ring-
muskelschicht ermangelt, so wäre ein eranialer drüsenloser und
ein caudaler drüsenbesitzender Abschnitt vorhanden, beide von
532 Albert Oppel:
nahezu gleicher Länge. Eingehender habe ich das Epithel und
die Drüsen zu besprechen.
Das Epithel des Oesophagus liesse sich mit dem Namen
Cylinderepitbel bezeichnen. Doch wäre dies nicht ganz zutreffend,
indem die Zellen nicht die Form eines Cylinders, vielmehr die
eines Conus oder einer Pyramide zeigen und zwar nicht nur in
geringem Maasse, wie sich dies bei vielen Cylinderepithelien findet,
sondern in ausgesprochener Weise, indem die Zellen alternirend,
die eine mit der Spitze, die nächste mit der breiten Fläche auf-
sitzen und so fort. Der Anordnung der Kerne nach ist das Epithel
ein zweizeiliges indem diese stets dem breiten Ende der Zelle
naheliegen. Der Name conisches Epithel ist für diese zweizeilige
Form charakteristisch, da bei einem drei- oder mehrzeiligen Epithel
neue Elemente, nämlich spindelförmige auftreten. So fand ich das
Epithel bei verschiedenen Conservirungsmethoden (Chromsäure,
Sublimat). Bei Injection von 1°/, Osmiumsäure in den Darm konnte
ich die Zellen der 2. Zeile als Becherzellen (Fig. 11a) deutlich er-
kennen mit einzelnen dazwischen liegenden, vielleicht Basalzellen
oder Ersatzzellen angehörigen Kernen. Die Zellen, welche zu den
in der der Oberfläche näher liegenden Zeile befindlichen Kernen
gehörten, zeigten sich stark gegen das Lumen vorgewölbt und
einen zur Basis reichenden Fortsatz (Fig. 11b).
Der Uebergang vom Epithel der Mundhöhle zu dem des
Oesophagus ist ein ganz allmähliger, indem dasselbe zunächst
durch Schwinden der mittleren Schichten niedriger wird, dann
reichen die Kelche der Becherzellen durch’s ganze Epithel, breit,
ohne Fuss der Tunica propria aufsitzend. Weiter caudalwärts
finden sich Stellen, wo nur noch vereinzelte Basalzellen zu treffen
sind und zahlreiche Becherzellen; hier fangen auch die Zellen der
der Oberfläche nächsten Schicht an, wit der Basis in Verbindung
zu stehen. Das geschichtete Epithel hört damit auf. Indem die
eben besprochenen Zellen eine regelmässige Anordnung erhalten,
nehmen sie die conische Form an. An dieser Uebergangsstelle,
die sich von der Einmündung des zu den Luftwegen führenden
Kanals bis zum Beginn der Falten des Oesophagus erstreckt,
finden sich ausser der besprochenen gewöhnlichen Anordnung auch
weiterhin bisweilen auftretende Stellen, an welchen die eine
oder andere Zellform häufiger ist; so traf ich namentlich oft ganze
Reihen von Becherzellen nebeneinander, welche die ganze Dicke
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 533
des Epithels einnahmen, ebenso oft 3—4 geschlossene Zellen neben-
einander von annähernd cylindrischer Form; im mässig durch
Conservirungsflüssigkeiten, auch bei durch Nahrung gedehntem
Oesophagus fand ich gleichfalls das zweizeilige Epithel, dasselbe
unterschied sich kaum durch seine geringere Dicke von dem nicht
gedehnten.
Die Drüsen des Oesophagus (Fig. 12) haben eine rundliche
Form. Sie bestehen aus einem grossen Acinus. Die Drüsen sind
zusammengesetzt aus einem Ausführungsgang und dem secernirenden
Theil. Ich spreche von einem Ausführungsgang, da sich die Zellen
desselben von denen der Schleimhautoberfläche unterscheiden.
Der Ausführungsgang besteht aus Zellen von annähernd cylin-
drischer Form und zwar ist die Grenze zwischen conischem und
cylindrischem Epithel stets eine scharfe. Eine besondere Eigen-
thümlichkeit liegt in der Uebergangsstelle von diesen eylindrischen
Zellen des Ausführungsgangs zu den secernirenden Zellen. Die-
selbe liegt nämlich nicht an der Stelle, an welcher die Erweiterung
des engen Ganges zum Acinus stattfindet, sondern die Cylinder-
zellen gehen noch ein Stückweit in den Acinus hinein (Fig. 12 f.),
um dann rasch zu den niedrigeren secernirenden Zellen abzufallen.
Dies fand ich bei Thieren, welche sich im Endstadium der Ver-
dauung oder im Hungerzustand befanden, d. h. bei solchen, bei
denen Oesophagus und Magen leer war.
Die secernirenden Zellen (Fig. 12 g) kleiden einschichtig
die Wand des Acinus aus. Ihre Höhe wechselte bei verschie-
denen Thieren von sehr hoher, nahezu eylindrischer bis zur platten
Form, vorherrschend fand ich dieselben cubisch. Solche Unter-
schiede trafich auch, dann allerdings in geringerem Grade, im Oeso-
phagus desselben Thieres in verschiedenen Drüsen, welche oft nahe
beisammen lagen. Diese Zellen zeigen in ihrem Protoplasma einen
körnigen Bau, Körner, welche sich mit verschiedenen Farben z.B.
Eosin, S.-Fuchsin tingiren, mit Osmiumsäure bräunen und sich mit den
oben angegebenen Methoden, die bei Proteus diejenigen Gewebe
färben, welche Osmiumsäure redueiren, gleichfalls tingiren. Ich hebe
dies hervor, da Langley (38) in den Oesophagus- und Magen-
drüsen des Frosches solche Granula gleichfalls bemerkte und auf
die Bedeutung derselben näher eingeht. Es ist die körnige Be-
schaffenheit und Tinction bei Proteus hier keine so deutliche, wie
die der Fundusdrüsenzellen des Magens.
334 Albert Oppel:
Die Oesophagealdrüsen nach Beginn der Verdauung bieten
ein ganz anderes Aussehen. Das Lumen fehlt, was jedenfalls nur
zum kleinsten Theil auf Contraction der Wandung, vielmehr zum
srösseren Theil auf ein Colabiren derselben zurückzuführen: ist.
Dieselben Bilder erhielt ich bei künstlich durch Conservirungs-
flüssigkeiten gedehntem Oesophagus (Fig. 13). Ich glaube, dass
die Drüsen im Hungerzustand in der Höhle des Acinus Secret
enthalten, welches nach der Speiseeinfuhr entleert wird. Eine
starke Füllung der Drüsen bei längerem Hunger kann dazu führen,
dass durch die starke Dehnung die obengenannten Cylinderzellen
des Ausführungsganges zum Theil zur Erweiterung des Secret
haltenden Raumes einbezogen werden. In solchen stark gedehnten
Drüsen gehen dann auch die secernirenden Zellen aus ihrer eubi-
schen in eine mehr platte Form über. Die Gebilde, welche Leydig
mit dem Namen „sekundäre Follikel“ der beschriebenen Drüsen
belegt, konnte ich nicht finden.
Die Zahl der Oesophagealdrüsen beträgt bei einem
195 mm langen Thier 132
145 „ } iraalse
11214 2 an:
Unter diesen sind die vereinzelten Drüsen in der hintern
Partie des Oesophagus mitgezählt, welche sich nicht als echte
Magenfundusdrüsen erwiesen und die unten näher beschrieben
werden sollen. Letztere sind bei kleinen Thieren häufiger, worin
sich auch ein Grund dafür findet, dass die Gesammtdrüsenzahl bei
kleineren Thieren grösser ist. Bei der geringen Zahl der unter-
suchten Thiere kann ich jedoch auf letztern Umstand noch kein
Gewicht legen.
Die Musecularis des Vesophagus besteht aus einer innern eir-
eulären Schicht glatter Muskelfasern, welche den grössern Theil
ausmacht. Eine äussere Längsmuskelschicht zeigt sich in Bündel
angeordnet und bildet, gegen den Magen zu stärker werdend, eine
zusammenhängende Schicht. Eine Museularis mucosae konnte ich
in Form einzelner unregelmässig eingestreuter glatter Längsmuskel-
fasern nachweisen, welche jedoch hier nicht so zahlreich wie im
Magen sind.
Magen.
Ueber den Magen des Proteus bringt Leydig (15) folgende
Notizen: „Drüsen finden sich aber, wie bemerkt, nur im Magen und
Beiträge zur Anatomie des Pröteus anguineus, 535
stellen da kleine Säckchen dar, die gruppenweise zusammenstehen.
Man kann sich hier so gut wie anderwärts, besonders wenn nach
leichter Maceration der zellige Inhalt ausgefallen ist, davon über-
zeugen, dass eben nur die Bindesubstanz der Schleimhaut rundliche
Aushöhlungen und damit die Drüsengruppen bildet.“ Ferner: „Das
Epithel, welches Magen und Darminnenfläche überdeckt, ist überall
ein schönes Cylinderepithel, nirgends ein Flimmerepithel. Beim
Proteus messen die Cylinderzellen 0,05‘ in der Länge.“
Der Magen des Proteus trennt sich nach seinem Bau in
zwei Regionen. Die eine als Fundus zu bezeichnende ist charak-
terisirt durch eine eigene Art von Drüsen, welche näher beschrieben
werden sollen. Die Pylorusregion kann man rechnen vom Auf-
hören dieser Drüsen bis zur Einmündung des ersten Pankreas-
ausführungsganges. Die hintere Grenze lässt sich noch schärfer
ziehen bei Betrachtung der Verhältnisse der Muscularis.. Während
nämlich die Dieke der Museularis des Fundus im leeren Zustande
bei einem conservirt 195mm langen Thier für beide Muskel-
schichten je 0,06—0,07 mm betrug, nimmt nach Aufhören der
Fundusdrüsen in der Pylorusregion allmählich die innere Ring-
muskelschicht bedeutend zu, so dass bei demselben Thiere die
Ringmuskelschicht 0,32 mm die Längsmuskelschicht 0,06 mm
betrug. Dann erfolgt ein plötzlieher Abfall beider Schichten auf
0,045 mm. Diese Stelle möchte ich als Anfangsstelle des Darms
bezeichnen, da die hier liegende Verdiekung der Ringmuskel-
schicht offenbar einen für die Magenverdauung in Betracht
kommenden Sphineter vorstellt. In der letzten Strecke der dicken
Ringmuskelschicht vor ihrem Abfall treten ferner glatte Muskel-
fasern auf, welche dieselbe radiär durchstrahlen. Ein ähnlicher
Muskelzug wurde von Klaussner (37) bei Rana esculenta auf-
gefunden.
Bei einem conservirt 195 mm langen Thier war das
Fundusdrüsen enthaltende Stück 8,91 mm
Pylorusregion bis Sphincter 5,287 „
Sphincter bis 1. Pankreasausführungsgang 0,937 „,
lang.
Das Epithel des Oesophagus ändert sich in der Höhe der
letzten Oesophagealdrüsen, indem die Zellen der zweiten Zeile
verschwinden. Das den Magen auskleidende Epithel besteht aus
Cylinderzellen, deren oft sehr lange Kerne nebeneinander stehen.
536 Albert Oppel:
Vorhandene Becherzellen keunzeichnen sich bei in Sublimat con-
servirten Objecten nach Safraninfärbung und Ausziehen in saurem
Alkohol dadurch, dass der Inhalt der Theca, auch der schon ins
Darmlumen entleerte, ein eigenthümliches intensives Ziegelroth
annimmt. Offene Becherzellen fand ich nur in Partien des Magens,
welehe Nahrung enthielten. Bei leerem Magen fand ich stets alle
Zellen geschlossen, der Inhalt der Theca färbte sich dann nicht mit
Safranin, aber hellblau mit Hämatoxylin. Geschlossene Zellen zeigten
stets zwei Abtheilungen, deren histologische, physikalische und chemi-
sche Unterschiede Biedermann (23)betont hat. Die Epithelzellen
zeigen an der Grenze zwischen dem der Oberfläche nähern Theil,
dem „Pfropf“ Biedermann’s und dem Protoplasma in eine Reihe
gestellte Körner, welche sich mit Osmiumsäure bräunen (Fig. 14)
und bei Chromsäurepräparaten mit einer der oben angegebenen
S.-Fuchsinmischungen roth, mit einer der von mir angegebenen
Färbungen für Stoffe, welche Osmiumsäure redueiren, blau färben.
Solche Körner fand ich nur in den Magenepithelien, nie im
Oesophagus oder Darm, was die Ansicht List’s (59) bestätigt,
dass die Magenepithelien als Zellen sui generis zu betrachten sind.
Von diesen Körnern ausgehend konnte ich bei Osmiumsäureprä-
paraten eine Strichelung des Zellprotoplasmas sehen bis zu dem einen
srossen Raum einnehmenden Kern, ebenso zeigte sich eine Striche-
lung des der Oberfläche nähern Theils der Zelle. Diese Be-
obachtungen erinnern an die Verhältnisse bei Siredon piseiformis,
wo Pestalozzi (32) den Pfropf in Ranvier’s Alkohol in Stäb-
chen zerfallen sah.
Die Drüsen (Fig. 15) des Fundus münden, oft mehrere zu-
sammen, in Gruben, welche vom Öberflächenepithel der Schleim-
haut gebildet werden. Die Drüsen bestehen aus zweierlei Zellen,
welche räumlich getrennt sind, hellen näher der Mündung und
sekörnten im Grunde der Drüse. Beide Zellarten sind stets nur
in geringer Zahl vorhanden, ein Längssehnitt durch eine Drüse
zeigt jederseits) 1—3 Zellen der ersten Art, im verbreiterten
Grund der! Drüse 3—6, selten mehr, grosse gekörnte Zellen.
‘Beide’ Zellarten, auch beim Frosch beschrieben von Heiden-
hain (22), Wiedersheim (43), Partsch (31), Langley (38),
Nussbaum (4l) u. A., werden dort meist bezeichnet: erstere
als Schleim-, letztere”als Labzellen und zwar werden letztere mit
den Belegzellen der Säugethiere identifieirt.
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 537
Die erstern Zellen von polygonaler Form unterscheiden sich
von den Epithelzellen der Magenoberfläche und der Gruben dadurch,
dass sie sich nicht mit Hämatoxylin färben. Wohl aber ist die
Erscheinung für diese Zellen charakteristisch, dass sich bei
Hämatoxylinfärbung von Schnitten, mit Sublimat gehärteten
Objeeten entnommen, dunkelblauer krystallinischer Farbstoffnieder-
schlag in Bäumehenform nur über diesen Zellen zeigt, derselbe
bleibt unverändert bei Behandlung mit Wasser, Alkohol, Nelkenöl,
Canadabalsam.
Die gekörnten Labzellen sind von polygonaler Form, färben
sich mit der Biondi-Ehrlich’schen Mischung orange, während
sich die Schleimzellen damit roth färben. Die Granula lassen
sieh mit Eosin, Fuchsin-S. und dem von R. Stintzing (62) zur
Färbung von Belegzellen empfohlenen Congoroth tingiren und
bräunen sich mit Osmiumsäure, wie sie sich auch mit den auf die
Stoffe, welche Osmiumsäure redueiren, anwendbaren Methoden
färben. Diese Zellen unterscheiden sich von denen der Oesophageal-
drüsen dadurch, dass sie grösser sind, auch grössere und zahlreichere
Granula zeigen. Ferner schliessen erstere dieht zusammen, so
dass das Drüsenlumen nur eng ist.
Gegen den Pylorus zu nehmen die Labzellen allmählich ab
und es bleiben kurze Drüsenschläuche, welehe jedoch nicht als
Fundusdrüsen aufzufassen sind, denen die Labzellen fehlen, wie
es Partsch für den Pylorus des Frosches beschrieben hat. Bei
Proteus nämliek unterscheiden sich die Schleimzellen der Fundus-
drüsen von den Zellen der Pylorusdrüsen wesentlich dadurch,
dass erstere gross und blasig sind, letztere klein und von einem
sich mit Hämatoxylin tingirenden Inhalt erfüllt, ähnlich wie die
Epithelzellen der Schleimhautoberfläche, auch zeigen dieselben bei
Hämatoxylinfärbung nie die obenerwähnten Krystalle. Wenn man
also erstere als Schleimzellen bezeichnet, so darf man beim
Proteus letztere nicht als Schleimdrüsen bezeichnen, weil dieselben
nicht aus Schleimzellen bestehen.
Die Museularis mucosae ist ziemlich ausgebildet und zwar
ist ihre Anordnung eine eigenartige. In dem zwischen dem
Epithel und der Museularis des Magens liegenden Bindegewebe
kann man 2 Schichten unterscheiden, von denen die eine dem
Epithel nähere sich auszeichnet durch zahlreiche in das Binde-
sewebe eingestreute glatte Längsmuskelfasern, welche bisweilen
538 Albert Oppel:
zu mehreren zusammenliegen. Diese Schicht reicht etwa eben so
tief wie die Drüsen und es kann die darunter liegende Binde-
gewebsschicht mit Recht als Submucosa bezeichnet werden. Dieses
Bild ist sehr deutlich in der Pylorusregion.
In der Fundusregion schliessen die Drüsen, namentlich der
breite Grund derselben eng aneinander an, besonders im nicht
gedehnten Magen. In diesem Fall treten die Muskelfasern der
Musecularis mucosae zwischen die Drüsenhälse dicht unter das Epithel.
Im gedehnten Fundus sind die Verhältnisse ähnliche wie im
Pylorus.
An der Uebergangsstelle vom Oesophagus zum Magen finden
sich Drüsen, welche sich, streng genommen, nicht unter die bis
jetzt beschriebenen einreihen lassen. Dieselben zeigen gekörnte
Zellen von cubischer Form im Drüsengrunde, und ceylindrische
. Zellen im Hals, sie ähneln somit im Bau sehr den Oesophageal-
drüsen, nicht aber in ihrer Form. Sie bieten nämlich Uebergangs-
bilder von den kugeligen Drüsen des Oesophagus zu den schlauch-
förmigen des Fundus. Diese Drüsen fand ich namentlich bei
jungen Exemplaren sehr zahlreich. Es ist somit nicht möglich,
eine strenge Grenze zwischen Oesophageal- und Magendrüsen zu
ziehen, es bleibt eine etwa I1mm lange Partie, in der gleichzeitig
echte Oesophagealdrüsen, echte Fundusdrüsen und diese Zwischen-
formen vorkommen. s
Ausser diesen Formen fand ich noch bei mehreren Individuen
an dieser Stelle bisweilen grubenförmige Finsenkungen der Schleim-
haut ohne Aenderung des Epithels. Einzelne solche senkten sich
tiefer ein und zeigten beginnende Flaschenform. Dieselben als
Schleimdrüsen anzusehen fand ich keine Veranlassung. Ob es
sich bei diesen Bildungen, welche ich bei jüngern Individuen
fand, um sich entwiekelnde Drüsen handelt, will ich dahingestellt
sein lassen, letzteres wäre von besonderem Interesse, da ich diese
Bildungen nur an eben dieser Stelle angetroffen babe.
Mitteldarm.
Das Epithel bleibt ein einfaches Cylinderepithel und zeigt in
den vorderen Partien des Mitteldarms gegenüber der Pylorus-
region kaum eine Aenderung, namentlich im gedehnten Darm,
während beim leeren Darm besonders in den hinteren Partien des
Beiträge zur Anatomie. des Proteus anguineus. 539
Mitteldarms die Kerne der Epithelzellen nicht in gleicher Höhe
stehen und so 2- bis 3zeilig werden. Gleichwohl liegt die breite
Basis der Zellen stets der Oberfläche des Epithels zugekehrt.
Becherzellen habe ich an manchen Stellen häufig, an andern
seltener angetroffen. Oft fand ich sehr schmale Zellen mit langem
Kern zwischen den Epithelzellen, im übrigen denselben in der
Form ähnlich. Ich fasste dieselben als entleerte Becherzellen auf,
dieselben tingiren sich intensiver als die übrigen Zellen, ebenso
ihre Kerne. Bei einem in Chromsäure conservirt 112 mm langen
Thier fand ich in den obern Partien des Mitteldarms den Epithel-
zellen aufsitzend einen gestrichelten Cuticularsaum, der bei vielen
Zellen abgehoben war. Eine scharfe Grenze zwischen einer obern
hellern Partie und dem Protoplasma der Zelle war nur bei einem
Theil der Zellen deutlich. Nie konnte ich die beim Magenepithel
beschriebenen Körner finden. Derselbe Befund ergab sich bei
einem conservirt 125 mm langen Thier, dem 1%, Osmiumsäure in
den Darm injieirt worden war. Bei einem mit Sublimat conser-
virt 195mm langen, ebenso bei einem mit Flemming’scher
Flüssigkeit conservirt 215 mm langen Thier konnte ich keinen
Cutieularsaum finden. Der Darm War bei der Conservirung nicht
aufgeschnitten.
In den mittleren Partien des Mitteldarms konnte ich häufig
sowohl an Osmiumsäurepräparaten, wie mittelst einer der oben
erwähnten Methoden in den Epithelzellen sowohl, wie in den
darunterliegenden Geweben zahlreiche Fetttröpfehen bei in Ver-
dauung begriffenen Thieren nachweisen.
Drüsen (Fig. 16) sind zahlreich vorhanden; es sind kurze
Schläuche, meist auf dem Längsschnitt nur wenige, unter dem
Epithel befindliche Zellen zeigend, ähnlich wie die in der Pylorus-
region beschriebenen. Sie finden sich in allen Theilen des Mittel-
darms, in den vordern und hintern Partien etwas häufiger und
grösser, werden jedoch bisweilen durch Wanderzellen verdeckt, so
dass nur geeignete Färbemethoden für Wanderzellen, wie ich sie
bei Besprechung der Mundhöhle beschrieb, klare Bilder geben
und davor schützen, den Darmkanal des Proteus in einer Weise
mit dem der Fische zu vergleichen, wie es Leydig (15) 1853
gethan hat: „Bei Salamandra maculata und Proteus ist die
Schleimhaut des Darmes so beschaffen, dass man sie vielleicht
drüsig nennen könnte. Sie erhebt sich nämlich in kleinen Fält-
540 Albert Oppel:
chen, die sich netzartig verbinden und die Räume dazwischen,
von Zellen ausgekleidet, könnten für grosse Drüsen angesprochen
werden, doch sind sie vom anatomischen Standpunkte eher den
Lungenzellen der Reptilien und der im ersten Abschnitt beschrie-
benen feinfächerigen Darmschleimhaut des Störs zu vergleichen;
physiologisch betrachtet mag allerdings eine so construirte Darm-
schleimhaut ähnlich funktioniren, wie eine mit echten Drüsen ver-
sehene. Diese finden sich aber, wie bemerkt, nur im Magen“ ete.
Abgesehen davon, dass eine derartige durch Fältchen hervorgerufene
Oberflächenvergrösserung des Darmepithels, die ja zweifellos vor-
handen ist, ebensogut als die Resorption begünstigend in Anspruch
genommen werden kann, ist der Vergleich Leydig’s nicht be-
gründet, da, wie oben angeführt, Proteus zahlreiche Darmdrüsen
besitzt. Salamandra maculata besitzt gleichfalls deutliche Mittel-
darmdrüsen. Doch möchte ich die Darmdrüsen beider Thiere
nicht direet vergleichen, da der Darm von Proteus weit mehr
Aehnlichkeit mit dem der Larve von Salamandra maculosa als
mit dem des erwachsenen Salamander hat, wie Rabl (50) 1885
hervorhob.
Da die Einmündungsstellen der grossen Drüsen mit diesen
Organen behandelt werden sollen und Muscularis und Serosa nichts
erwähnenswerthes bieten, vielleicht abgesehen davon, dass ich die
der Muscularis mucosae entsprechenden zerstreuten Muskelfasern
vereinzelt auch im Mitteldarm finden konnte, komme ich zu einem
wesentlichen Theil, zu den im Darme vorkommenden Wanderzellen.
Nachdem Oesophagus und Magen Wanderzelien nur verein-
zelt gezeigt hatten, fallen sie im Darm durch zahlreiches Auftreten
sofort ins Auge (Fig. 16). Im Bindegewebe, unter dem Epithel,
zwischen dem Epithel, zwischen den Drüsen und an manchen
Stellen in die tiefere, einer Submucosa entsprechende Schicht
hinabreichend, finden sich Anhäufungen von Wanderzellen, welche
meist in kleineren, von Bindegewebe dichter umsponnenen Häuf-
chen zusammenliegen. Sie gehören den oben beschriebenen Arten
von Wanderzellen an, am häufigsten sind Formen mit wenig
Protoplasma und einem Kern. Sehr zahlreich sind an diesen
Orten Mitosen dieser Zellen; in der Nähe der Drüsen ist es schwer
zu entscheiden, ob die Mitosen den Drüsen oder Wanderzellen an-
gehören. Gleichfalls in grosser Zahl finden sich die Körnchen-
zellen, dieselben sind meist zweikernig mit wandständigen Kernen.
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 541
Häufiger fand ich beide Arten von Zellen bei wohlgenährten,
namentlich bei in der Verdauung begriffenen Thieren.
Wanderzellen mit Einschlüssen fand ich besonders häufig in
den mittleren und unteren Theilen des Mitteldarms und im Anfang
des Enddarms. Doch bieten sie an diesen verschiedenen Stellen
höchst verschiedene und auffallende Bilder. Während nämlich bis-
her vom Mund bis zum Beginn des Mitteldarms die Einschlüsse
in der Art, wie oben beschrieben, sich zeigten, traten hier Ein-
schlüsse auf, welche zu der Umgebung der Zellen in direkt nach-
weisbarer Beziehung stehen.
In den Theilen des Darmes, in welchen Fettresorption statt-
fand und in welchen ich, wie oben bemerkt, Fetttröpfehen in den
Epithelzellen nachweisen konnte, bestanden die Einschlüsse (Fig. 17),
wie auch Heidenhain (56) beim Meerschweinchen bemerkte, aus
zahlreichen kleineren und grösseren Fetttröpfehen von derselben
Form und demselben Aussehen wie die in und unter dem Epithel
befindlichen. Ich konnte Wanderzellen beobachten, welche nur
wenige solche Körnchen enthielten, andere welche vollgepfropft
damit waren. Ausser diesen stets zwischen den Epithelzellen lie-
genden oder sich an ihre Fusspunkte andrängenden Zellen sah'
ich weitere mit Fetttröpfchen gefüllte Wanderzellen in den tieferen
Schichten der Mucosa und Submucosa. Ebendort sind solche Zellen
auch bei anderen Thieren beobachtet. Die Literatur darüber hat
Heidenhain zusammengestellt. Diese Zellen mit Fetteinschlüssen
können in keiner Weise mit den Körnchenzellen verwechselt werden,
da beide ungefärbt durch ihren Bau von einander unterschieden werden
können, indem die Körnchenzellen bei Proteus niemals die an unge-
färbten Präparaten kenntlichen Fetttropfen enthalten. Ferner tingiren
sich die Körnchenzellen mit den von Ehrlich (33 u. 35) ange-
gebenen Farben, Wanderzellen mit Fetteinschlüssen nicht, wohl
aber tingiren sich letztere bei Proteus nach den von mir ange-
gebenen Methoden für Färbung der mit Osmiumsäure sich bräunenden
Gebilde, womit sich wiederum die Körnchenzellen bei Proteus
nicht färben. Heidenhain (56) färbte Körnchenzellen anderer
Thiere, welche mit Osmiumsäure gebräunte Körner zeigten, auf eine
von ihm angegebene Weise mit Fuchsin-S. nach, was bei Fett
nicht möglich wäre und wies dadurch nach, dass Körnchenzellen
kein Fett enthalten, was ich für die Körnchenzellen des Proteus
bestätigen kann. Die oben beschriebenen Zellen mit Fettein-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 34. 35
542 Albert Oppel:
schlüssen sind demnach scharf zu trennen von den Körnchen-
zellen.
Diese Verhältnisse finden sich bei allen von mir untersuchten
Thieren im obern und mittlern Theil des Mitteldarms. Im untern
Theil desselben enthalten dagegen die Zellen andere Einschlüsse
und zwar gelbliche Kügelchen, welche sich mit Osmiumsäure nicht
bräunen und in Alkohol und Xylol nicht lösen (Fig. 18). Hier
finden sich auch in den Epithelzellen keine Fettkügelchen mehr.
Wohl aber gelang es mir bei Proteus mehrmals ebensolche kleine
gelbe Kügelechen in den Epithelzellen nachzuweisen (Fig. 19 e).
Hier, wo es leicht ist, die Zellen und Zelleinschlüsse an un-
gefärbten Präparaten durch ihre gelbe Farbe deutlich zusehen, habe
ich mich mit Sicherheit davon überzeugt, dass diese Zellen in der
That Wanderzellen sind, da ich dieselben in allen Schichten des
Darms zu finden vermochte, vom Epithel, wo sie über, zwischen
und unter den Kernen der Epithelzellen liegen, im Bindegewebe,
auf dem Wege durch die Muskelschichten und noch auf der an
das Mesenterium angrenzenden Seite zwischen den beiden Mesen-
terialblättern und der Längsmuskelschicht des Darms. Ich fand
im Epithel alle Uebergänge von Formen, welche nur wenige Pigmen-
körnchen enthielten, bis zu solchen, die vollgepfropft damit sind,
so dicht, dass der Kern oft vollständig durch die Körnchen ver-
deekt wird. Letztere Formen nahmen dann stets eine auf dem
Schnitt kreisrunde Gestalt an und schienen in einer kleinen Höhle
zu liegen.
Unter dem Epithel fand ich niemals Pigmentzellen, welche
nur wenige Körnchen enthielten, sondern nur gefüllte. Da die
Pigmentzellen im Epithel zum Theil nur wenige Pigmentkörnchen
enthalten (Fig. 13a.), unter dem Epithel sich stets nur gefüllte vor-
finden (Fig. 18 b.) und die Pigmentzellen, wie ich zu beweisen suchte,
Wanderzellen sind, so glaube ich, kann nur die Frage sein, ob
die Pigmentzellen gefüllt ankommend ins Epithel wandern um dort ihr
Pigment zu verlieren, oder ob Zellen im Epithel sich mit Pigment
beladen, um mit demselben den umgekehrten Weg einzuschlagen.
Wollte man ersteres für richtig halten, so würde man damit
auf die Ansicht zurückgreifen, welche Eimer (20) 1867 ausge-
sprochen hat. Er glaubte damals, wie ich aus List (51) p. 503
entnehme, dass die Becherzellen der Darmschleimhaut zur Exeretion
von wahrscheinlich im Körper unlöslichen Stoffen dienen. Beim
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 543
Frosch bestehe diese Ausscheidung in gelbrothen bis schwarzen
Pigmentmassen, welche durch die Becher auf die Schleimhaut-
oberfläche vom Parenchym aus befördert werden. Nahe liegt, daran
zu denken, dass Eimer hier die, wie ich bei der Mundhöhle be-
sprach, schon von Leydig im Froschdarm beobachteten Zellen
mit Pigmenteinschlüssen im Auge hatte. Diese habe ich beim
Frosch gleichfalls im hintern Theil des Mitteldarms etwa 0,5—1,0 em
vor Beginn des Enddarms, wenn auch nicht so zahlreich wie bei
Proteus, beobachtet. Es wäre dann diese Ansicht dahin zu modi-
fieiren, dass Pigmentzellen, durch das Epithel dringend, ihren Inhalt
ins Darmlumen entleeren. Letztere Bilder sah ich auch bei Proteus;
wie weit dies Produkte der Behandlungsweise sind und wie weit
sie den während des Lebens bestehenden Verhältnissen entsprechen,
vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls ist es durchaus nicht
unwahrscheinlich, dass wenigstens einzelne Pigmentzellen bis zur
Oberfläche kommen, wie dies für Wanderzellen von Heidenhain
(56, p. 38) gezeigt wurde, da die Pigmentzellen ja eben Wander-
zellen sind. Es würde dann hier ein ähnlicher Exeretionsvorgang
stattfinden, wie ihn List (63) für die äussere Haut annimmt, wenn
er geneigt ist, „in dem Pigmente ein durch Umwandlung der rothen
Blutkörperchen entstehendes Exeretionsprodukt zu sehen, welches,
wie irgend ein uniöslicher Fremdkörper, durch die Leukoeyten
gegen die Oberfläche geschafft und von den Epithelzellen zum
Theil aufgenommen wird, um dann mit der allmählichen Regene-
ration derselben aus dem Zellverbande gelöst zu werden.“ Gegen
die Ansicht, dass eine solche Pigmentexcretion durch die Wander-
zellen im Darm des Proteus Regel sei, was für die Physiologie
eines neues Feld eröffnen würde, sprechen folgende Gründe.
Da ich Pigmentzellen, wie oben erwähnt, noch zwischen Serosa
und äusserer Längsmuskelschicht des Darms fand an der Stelle
des Mesenterialansatzes, glaube ich, ist es unzweifelhaft, dass sich
diese Zellen in den Lymphbahnen befanden. Wanderzellen, welche
sich in den Lymphbahnen befinden, darf man wohl annehmen,
folgen der Richtung des Lymphstromes. Nun geht aber der Weg
der Lymphe vom Darm zu andern Organen und nicht umgekehrt,
somit glaube ich auch, dass die Pigmentzellen des Darmes nicht
in andern Organen entstehen und in den Darm wandern, um dort
im Epithel ihre Einschlüsse zu verlieren, vielmehr glaube ich, dass
eine bestimmte, oben näher beschriebene Art von Wanderzellen
544 Albert Oppel:
im Darm 'an dieser Stelle Pigment aufnehmen, wie an andern
Stellen andere Stoffe und dann, wenn sie mit Pigment gefüllt sind,
vom Lymphstrom weggeführt werden.
Ich könnte noch anführen, dass die Zellen, im Sinne Heiden-
hains als Phagocyten betrachtet, im obern Theil des Mitteldarms,
wo Fett resorbirt wird, Fett, in dem untern Theil, wo ich in
den Epithelzellen Pigmentkügelchen fand, Pigment aufnehmen
müssen. Sie würden dann durch ihre Einschlüsse selbst den
Beweis liefern, dass sie dieselben an den betreffenden Orten
gewonnen haben.
Die Frage, woher diese Zellen kommen, welche sich im Darm-
tractus mit Einschlüssen beladen, ob sie sich aus den an Ort und
Stelle befindlichen Wanderzellen ersetzen oder ob eine andere Er-
klärung dafür zu suchen ist, bleibt noch eine offene.
Eine weitere Frage ist die, aus was diese Pigmentkörnchen be-
stehen. Die bei Proteus vorkommenden Pigmente sind ausser dem
Pigment des Auges, das Blutpigment und das Gallenpigment, ferner
das Pigment, das sich in den Pigmentzellen der Leber und der Milz
findet. Hautpigment vermissteich bei frisch bezogenen Thieren stets,
nur konnte ich vereinzelte Pigmentzellen in der Haut der Cloaken-
gegend auch bei diesen auffinden; ob solche bei Thieren an den
Fundorten in Krain auch vorkommen, oder erst durch Einwirkung
des Lichtes entstehen, kann ich zur Zeit nicht entscheiden.
Die Gmelin’sche Probe, angewandt auf die Pigmentzellen
des Darmes, wie auf das Pigment der Leber, gab kein Resultat,
doch schliesst dies Gallenfarbstoff nicht aus, da es sich ja in
diesem Fall um Choletelin, das Endprodukt der Gallenfarbstoff-
reaktion, handeln kann.
Weitere Versuche machte ich mit der von Perls (21) ange-
gebenen Eisenreaktion, bestehend in Behandlung von Schnitten
mit Ferrocyankalium und Salzsäure. Ich erhielt eine deutliche
Blaufärbung der vorher gelben Pigmentkörner, während sich
die rothen Blutkörperehen nicht veränderten, was auch Perls für
letztere angiebt. Ich konnte diese Präparate in Canadabalsam
einschliesen.
Bei 24stündiger Einwirkung von Xylol, Aether und Alkohol
absolutus zeigten die Pigmentzellen keine Veränderung.
Jedenfalls, glaube ich, ist das Auffinden von Pigment-
kügelchen in den Epithelzellen dieses Darmabschnittes, gleich-
Jr
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 545
artig mit den in den Wanderzellen befindlichen, was daran denken
liesse, dass diese Einschlüsse resorbirter Darminhalt sein könnten,
für letzteres nicht beweisend.
Enddarm.
Der Enddarm, der sich bei manchen Thieren durch ein plötz-
liches Weitwerden scharf gegen den Mitteldarm abgrenzt, zeigt
in seinem ersten Abschnitt, bezüglich seines histologischen Baues,
keinen Unterschied von den anliegenden Theilen des Mitteldarms.
Es findet ein ganz allmähliges Seltenerwerden der Pigmentzellen
statt, ebenso bilden die übrigen Wanderzellen keine so starken An-
häufungen unter dem Epithel mehr, wie im Mitteldarm. Doch traf
ich bei manchen Thieren an eircumscripten Stellen eine starke
Infiltration des Epithels und des subepithelialen Gewebes mit proto-
plasmaarmen Wanderzellen. Da ich dies nicht bei allen Thieren
traf, lasse ich dahingestellt, ob solche Stellen nicht vielleicht nur
in Ausnahmefällen vorkommen, welche durch mir nicht bekannte
Ursachen bedingt sind.
Die Drüsen (Fig. 20) zeigen in dem weitgewordenen Theil
des Enddarms gegen die Cloake zu eine besondere Form.
Während nämlich die Drüsenschläuche des Mitteldarms ihrer
sanzen Länge nach denselben Durchmesser zeigen, sind hier
die Drüsen an ihrem untern Ende verdickt, sie haben Kolbenform.
Bei näherer Untersuchung zeigt sich an vielen Drüsen eine Zwei-
theilung der Drüse an ihrem untern Ende, welche diese Verdickung
bedingt (Fig. 20). Kurz vor der Einmündung in die Kloake nimmt
der Darm, wie schon von Rathke (5) bemerkt wurde, auf seiner
ventralen Seite die Harnblase auf. Das Epithel des Enddarms
geht allmählig in das der äussern Haut über, den Uebergang bilden
Formen wie ich sie ähnlich im Oesophagus beschrieben habe.
Nahe der Kloake findet ein bedeutendes Dickerwerden der Ring-
muskelschicht des Enddarms statt.
Pankreas.
Das Pankreas des Proteus schon von Schreibers (2) als
solches erkannt, wurde von Rusconi (4) beschrieben als halb-
querfingerlang und seiner ganzen Länge nach am Darme hängend
und ebenso gezeichnet, später beschrieben es noch Brotz und
Wagenmann 1838 (9) und S. delle Chiaie 1840 (10), seit
546 Albert Oppel:
dieser Zeit konnte ich darüber keine weiteren Literaturangaben
finden, ausser der negativen Wiedersheim’s (53), dass er es
habe nicht finden können. Das von obigen Autoren bezeichnete
Organ ist nun allerdings das Pankreas des Proteus oder wenigstens
ein Theil desselben. Das Pankreas (Fig. 21a) liegt in der
Duplieatur, welche das Peritoneum vom Darm zur Leber ziehend
bildet, und zwar liegt der vordere breitere Theil dem Darm an
(Pylorusregion), ohne die Leber zu berühren, der mittlere Theil
füllt den Raum zwischen Leber und Darm aus, beide berührend;
soweit sahen und bildeten es diese Autoren ab. Im hinteren
Theil, der aus dem Grunde bisher nicht beobachtet wurde, da
dies mit der Loupe kaum möglich ist, trennt sich das Pankreas
vom Darm und läuft als Faden auf der concaven Fläche der hier
auf dem Querschnitt halbmondförmigen (Fig. 21) Leber aus,
ähnlich wie es bei gewissen Fischen der Fall ist (Fig. 25 Schema).
Dass Brotz und Wagenmann (9) angeben, das Pankreas des
Proteus sei 3° lang, erklärt sich eben daraus, dass dieselben
diesen hintern Theil übersahen. Die Länge des Pankreas betrug
bei einem conservirt 195 mm langen Proteus 15,015 mm
” ” ” 115 2) ” ” 13,367
Das Pankreas ist der vorzüglichste Sitz von Parasiten, welche ich
in verschiedenen Arten und an verschiedenen Orten, vor allem in
Pankreas, dann auch in Leber, Darmlumen, Darmsubmucosa und
zwischen den Darmmuscularisschichten gefunden habe.
Der Bau des Pankreas (Fig. 22) des Proteus ist durchaus der
für Pankreas charakteristische. Entsprechend der Grösse aller
hier vorkommenden Elemente zeigen die Körner der Innenzone
bedeutende Dimensionen. Dieselben sind in Reihen gestellt,
wobei die dem Lumen näher liegenden etwas kleiner sind, als
die an die Aussenzone angrenzenden. Nach der von mir oben
angegebenen Fuchsin-S.-Eosin-Methylgrünfärbung tingirten sich,
nach Sublimathärtung am deutlichsten, die Körner, welche schon
Ogata (45) beim Frosch zu färben gelang, intensiv roth, während
die Theile der Zellen zwischen den Körnern ebenso wie die
Randzone grünlich erscheint. Die Färbung der Randzone, wie
sie Heidenhain (36) angiebt, gelang mir mit Boraxkarmin
gleichfalls. Bei Hungerthieren war stets die Körnchenzone an Aus-
dehnung überwiegend, bei einem aufder Höhe der Verdauung getöd-
teten Thier (Fig. 23) nahmen die Körnchen nur mehr das Centrum des
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 547
Tubulus ein, ferner waren die Durchmesser der Querschnitte der
Tubuli kleiner. Dieselben betrugen bei ersterem 0,05-—0,06 mm,
bei letzterem 0,035—0,045 mm. In den Tubulis der Hungerthiere
war ein Lumen nicht so deutlich, wie bei dem auf der Höhe der
Verdauung getödteten Thier. Bisweilen fand ich bei Hunger-
thieren, dass das ganze Gerüst einzelner Zellen, oft ganzer Tubuli
nur das die Körnchen umschliessende Netzwerk zeigten, welches
nur einzelne roth gefärbte Körnchen, oft sogar keine enthielt.
Sei es, dass die Körnchen durch die angewandten Reagentien
selöst wurden, was mir unwahrscheinlich ist, da es stets nur
vereinzelte Bezirke waren, in denen diese Erscheinung zu Tage
trat, oder dass hier pathologische Processe mitspielten (ich traf
solche Partien häufig in der Nähe der eingekapselten Würmer), so
scheinen mir doch diese Bilder gewissermaassen als negatives Bild der
Körnchen für den Bau dieser Drüsenzellen von Interesse zu sein.
Was die Ausführungsgänge des Pankreas anlangt, so fiel
mir hier eine Erscheinung auf, die mir von andern Urodelen aus
der Literatur (ich selbst untersuchte eine Schnittserie von Sala-
mandra atra darauf) nicht bekannt ist. Die Pankreasausfünrungs-
sänge des Proteus vereinigen sich nicht zu einem oder wie bei
manchen Urodelen (27 u. 34) zu 2 Gängen, sondern münden in
grosser Zahl (Fig. 24) und zwar an 2 verschiedenen Stellen in
den Darm (Fig. 25, Schema). An der ersten eranialen Stelle
(Fig. 24a) mündeten bei einem conservirt 195 mm langen Exem-
plar 33 von vorne kommende Ausführungsgänge des Pankreas in
den Darm. Da sie alle nahe beisammen münden und es oft
schwer ist, zu unterscheiden, ob an einer Stelle nicht noch
2 eben vor ihrem Austritt ins Darmlumen zusammen sich
vereinigen, habe ich in zweifelhaften Fällen diejenigen als
einen Gang gezählt, deren Axen sich noch ausserhalb des Darm-
lumens schnitten. Bei einem zweiten conservirt 215mm langen
Thier fanden sich entsprechend 10 Ausführungsgänge. Etwa
4mm (3,945 mm beim ersteren Thier) von dieser Stelle caudal
findet sich eine zweite Einmündungsstelle von Gängen und zwar
kommt hier der sich in ein Netz auflösende Ductus choledo-
chus (d. ch.) mit in Betracht. Ausser diesem Netzwerk münden,
wie ich sicher feststellen konnte, hier auch direkt aus der Leber
obne Vermittlung der Gallenblase kommende Gallengänge ein
(d.h. e.). Ob die weiter caudal beobachteten aus dem schmal
548 Albert Oppel:
auslaufenden Theil des Pankreas kommenden Ausführungsgänge
(d. p. p:) ebenfalls an der Bildung des besprochenen Netzes theil-
nehmen oder isolirt, aber mit demselben, in den Darm münden,
konnte ich nicht entscheiden. Jedenfalls finden sich die caudal
von diesem Netzwerk noch beobachteten, von caudaler Seite
kommenden Pankreasausführungsgänge cranial von dem Netz-
werke nicht mehr. Es ist demnach an eine Vereinigung mit den
an der ceranialen Einmündungsstelle mündenden Gängen nicht zu
denken und da ich eine dritte Einmündungsstelle von Ausführungs-
gängen in den Darm nicht beobachtet habe, bleiben nur die
beiden erwähnten Möglichkeiten. Das Netzwerk an der caudalen
Einmündungsstelle (Fig. 25 b) einigte sich bei dem 195 mm langen
Proteus zu 9, bei dem 215 mm langen zu 14 Gängen, welche nahe
beisammen (b) in den Darm mündeten. Es münden dem-
nach die Pankreasausführungsgänge aus dem
eranialen Theildes Pankreasin einer grössern
beiverschiedenen Individuen wechselnden An-
zahlnahebeisammen, die aus dem caudalen Theil
zusammen mit dem vom Ductus choledochus ge-
bildeten Netzwerk und den direktvon der Leber
kommenden Ausführungsgängen.
Leber.
Die äussere Form der Leber, die durch ihr langgestrecktes
Erscheinen jedem Beobachter auffiel, ist von allen, welche sich
eingehender mit Proteus befassten, beschrieben worden, von
Schreibers (2), der dieselbe in 5 Lappen theilte, bis auf
Wiedersheim (53), der die Bedeutung der einzelnen Theile der
Leber des Proteus vem vergleichend anatomischen Standpunkt
würdigt, indem er nachwies: „dass die bei Proteus unpaare
spindelförmige Lebermasse nicht der ganzen Leber der Urodelen,
sondern nur dem rechten Lappen derselben entspricht.“ Er
bestätigt damit die Beobachtungen Weinzettl’s (39), der sich in
demselben Sinne aussprach.
Nur wenige Autoren haben sich mit dem innern Bau der
Proteusleber beschäftigt. Ausser Leydig (15), dem der Pig-
mentreichthum derselben auffiel, ist es nur Eberth (19), der
sich in seiner werthvollen Arbeit über die Leber der Wirbel-
thiere eingehend mit der Proteusleber befasst hat. Da ich mich
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 949
mit jedem Wort, welches Eberth (19) über die Leber des Proteus
geschrieben hat, zu befasseu haben werde, halte ich es für das
kürzeste, diesen Theil seiner Arbeit wörtlich wiederzugeben: „Der
Leber des Proteus, die ich nur an gut conservirten Weingeist-
präparaten studiren konnte, von denen es zweifelhaft war, ob sie
frischen oder längere Zeit gefangenen Thieren angehörten, fehlt
die bei den Salamandrinen vorkommende Corticalschichte amöboider
Zellen, während die centralen Zellinseln hier ungefähr in gleicher
Mächtigkeit sich finden, wie die Leberzellen selbst. Diese centralen
Inseln sind, wie dies schon Leydig erwähnt, braun pigmentirt; ob
stets, ob nur periodisch, wage ich nicht zu entscheiden. Betrachtet man
nicht zu dünne, senkrecht zur Längsaxe der Leber gelegte Schnitte
bei schwächerer Vergrösserung, so findet man bis nahe gegen
die Serosa reichende eylindrische, ein bis fast 2mm lange und
1/.—!/,mm breite Pigmenthaufen, die auch häufig sich theilen,
indem sie bald quere, bald schräge Fortsätze treiben. Dazwischen
beobachtet man auch ganz kleine Pigmentkügelchen, etwa von der
Grösse kleiner Leberzellen und kleinerer Gruppen solcher. Eine
netzförmige Verbindung dieser Massen existirt nicht, wie man
selbst an dieken, mit Canadabalsam durchsichtig gemachten Quer-
oder Flächenschnitten sieht. Letztere zeigen vielmehr in den ver-
schiedenen Höhen stets rundliche abgeschlossene Pigmentinseln,
die jedoch wie die Corticalis oder die centralen Massen amöboider
Zellen der Salamandrinen unmittelbar an das Leberparenchym
grenzen und nie gegen dieses etwa durch eine besondere Membran
abgeschlossen sind.
Die centralen gelb bis sepiabraun gefärbten Zellenmassen sind
wesentlich gleich zusammengesetzt wie jene der Salamadrinen, nur
mit dem Unterschied, dass die Bindesubstanz dort geringer und
die Zellen reichlicher sind und oft so dicht beisammen liegen, dass
sie sich gegenseitig abplatten, wodurch das Ganze wie ein Mosaik
polygonaler Zellen erscheint. Die Differenzen zwischen den cen-
tralen Zelleninseln der Salamandrinen und Proteus bestehen nur
in der relativ beträchtlichen Grösse der einzelnen Elemente hier,
die oft wenig den Leberzellen nachstehen, und in dem Pigment.
Letzteres fehlt übrigens vielen Zellen und findet sich auch zu ge-
wissen Zeiten und zwar in grossen Mengen bei den Salamandrinen,
Zerzupft man die centralen Zelleninseln des Proteus, so isoliren
sich runde polygonale, leicht sternförmige, zarte Zellen, deren
550 Albert Oppel:
Fortsätze in die feinen Zwischenspältchen ihrer Nachbarn eindringen.
Der Kern zeigt hier wie dort vielfache Theilungsstufen. Das Pig-
ment des Protoplasma besteht aus äusserst feinen gelblichen Pünkt-
chen oder auch grösseren hellbraunen runden Körnern.“
Bei Betrachtung eines Querschnittes der Proteusleber (Fig. 21)
fällt sofort in das Auge, dass es sich hier um zwei ganz ver-
schieden gebaute Systeme handelt, welche sich durchweben, das
eine bestehend aus Leberzellen, das andere vor Allem kenntlich
durch die Pigmenteinlagerung und durch "zahlreiche Wander-
zellen. Von der Mitte der concaven Seite des Halbmondes, den
der Querschnitt der Proteusleber bildet, scheinen diese beiden
Systeme auszustrahlen und zwar Anfangs bis etwas über die Mitte
streng radiär geordnet, dann scheint das System der Leberzellen
an Masse zu überwiegen, während das andere, welches ich kurz
Lymphsystem nennen will, nur mehr in Form von Inseln erscheint
doch finden sich auch Stellen, in welchen sich die Streifen des
Lymphsystems bis zur Peripherie verfolgen lassen. An der Peri-
pherie grenzen jedoch die Leberzellen selbst nicht an die Serosa,
sondern es tritt dazwischen eine Rindenschicht von Zellen des
Lymphsystems. Mag dieseibe auch dünn sein, oft nur aus einer
einzigen Zellreihe bestehen und nur an seltenen Stellen Pigment-
zellen enthalten, so fehlt doch die Corticalschicht, welche Eberth
bei Proteus vermisste, keineswegs, wenn sie auch nicht so breit
ist, wie ich sie beim Axolotl und bei Salamandra atra sah und
wie sie Eberth beschreibt. Bei im August frisch bezogenen und
getödteten Thieren fand ich das Lymphsystem der Leber einen
verhältnissmässig grössern Raum einnehmend, als bei im April be-
zogenen Thieren. Es existirt demnach ein Zusammenhang des
Lymphsystems von Peripherie zu Peripherie und in diesem System
liegen einzeln oder zu mehreren vereinigt Pigmentzellen, auch in
srösserer Zahl Gruppen bildend, welche Eberth Inseln nannte.
Dass Eberth den Zusammenhang der letzteren auch an dieken
mit Canadabalsam durchsichtig gemachten Schnitten nicht sehen
konnte, liegt daran, dass er nur nach den Pigmentzellen urtheilte
und nicht die sie verbindenden Stränge von Lymphzellen beobachtete.
Sehr instruktive Bilder erhielt ich, wenn ich Leberschnitte, mit
Sublimat eonservirten Objekten entnommen, mit der von mir an-
gegebenen Methylgrün-Eosin- Fuchsin-S.- Pierinsäure-Färbung oder
auch mit Methylgrüneosin färbte; die intensiv grün gefärbten Kerne
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 551
der Wanderzellen kennzeichnen deutlich die Bahnen des Lymph-
systems (Fig. 21).
Das Lymphsystem ist, wie Eberth (19) bei Schilderung der
Batrachierleber schreibt, von einem bindegewebigen Gerüst getragen,
welches auch Leydig (15) in hohem Grade deutlich fand. Bei
Behandlung der Proteusleber nach der von A. Böhm angegebenen,
durch v. Kupffer (61) empfohlenen Methode, zeigt sich ein Netz-
werk von dickern und dünnern sich verzweigenden Fasern, vielleicht
elastischer Natur, welche das Lymphsystem umspinnen und das-
selbe scharf, allerdings nicht im Sinne einer Membran, wie sie
Eberth vermisst, von den Leberzellen trennen (Fig. 26e). Eine
innerhalb dieses Fasernetzes liegende Zelle berührt
niemals eine Leberzelle direkt. In diesen Fasern selbst
konnte ich keine Kerne wahrnehmen, wohl aber liegen seiner
Innenfläche gegen das Pigmentzellensystem langgestreckte Kerne
an, die zum Theil als Bindegewebskerne zu erkennen sind, zum
Theil aber auch den Eindruck von Endothelkernen machen. Dieses
Fasernetz, hier hoch ausgebildet, scheint mir dem zu entsprechen,
was v. Kupffer (28) als kernlose, vom Gefässsystem unabhängige
Bindegewebsfasern bei verschiedenen Säugethieren nachgewiesen hat.
Innerhalb dieses Netzwerkes fand ich zahlreiche Lymphzellen
und die von Eberth beschriebenen Pigmentzellen. Dass Eberth
erstere bei Proteus gesehen hat, schliesse ich aus seinen Worten:
„Letzteres (das Pigment) fehlt übrigens vielen Zellen.“ Wir haben
es zu thun mit einer grossen Abtheilung des Lymphsystems, welches
in der Leber des Proteus nicht viel weniger Raum einnimmt, als
der secernirende Apparat. Dieses Lymphsystem hat hier in seiner
Ausbreitung die Bedeutung eines perivaseulären überschritten, in-
dem es in eigene Bahnen tritt, welche sich nicht mehr an die
Gefässbahnen halten. Damit schliesse ich das Vorhandensein eines
mit diesem communicirenden perivasculären Lymphsystems nicht
aus, da das Bindegewebsgerüst des Lymphsystems mit einem die
Gefässe umspinnenden Fasernetz (Fig. 26 ec), dasich gleichfalls auf die
eben besprochene Weise zu färben vermochte, in innigem Zu-
sammenhang steht.
Die Lymphzellen (Fig. 27 du.e), welche die Maschen des
Netzes ausfüllen, sind protoplasmaarme Zellen und Körnchenzellen,
letztere meist zweikernig, erstere fast stets einkernig, die Körnchen-
zellen sind weniger häufig als erstere. Mitosen sind unter den
552 Albert Oppel:
Lymphzellen an dieser Stelle eine grosse Seltenheit, wohl aber
zeigen vielfach die Kerne Einschnürungen, welche Eberth offenbar
als direkte Theilungsvorgänge auffasste.
Die pigmentirten Zellen zeigen sich in verschiedenen, jedoch
immer wiederkehrenden Formen. Da dieselben, die ähnlichen neben-
einandergestellt, eine Reihe bilden, deren beide Enden grosse Ver-
sehiedenheiten zeigen, glaube ich, dass es sich bei diesen Zellen
nur um zeitlich aufeinanderfolgende, in einander übergehende Formen
handeln kann und beschreibe sie demnach. Ich sah in der Leber
des Proteus auf dünnen Schnitten (10—15 «) mit grössern und
kleinern Pigmentkügelehen erfüllte Zellen (Fig. 28). Die Kügel-
chen einer Zelle zeigten meist gleiche Färbung und zwar war ein helles
Gelb, oft leicht Orange das vorherrschende, selten sah ich wenig
dunklere Zellen. Die Zellen waren freiliegend und zeigten keinerlei
Zusammenhang mit irgend einem Gewebe, sie waren meist rund,
selten zeigten sie kurze Fortsätze und dann meist nur in einer
Richtung. Solche Zellen hat, wie ich glaube, Eberth gesehen
und als „ganz kleine Pigmentkügelchen etwa von der Grösse kleiner
Leberzellen“ beschrieben; ich habe ähnliche im Darm sich findende
beschrieben und abgebildet (Fig. 18), runde, wie Fortsätze aussendende.
Dort waren letztere überwiegend (aktive Bewegung), hier erstere
(passive Bewegung). Dann finden sich ebensolehe mit Pigment ge-
füllte Zellen eine oder mehrere beisammen festsitzend in den Maschen
des Netzwerkes, dieselben liegen sich theilweise noch locker an,
theilweise so fest, dass eine Grenze zwischen den Zellen weniger
leicht zu erkennen ist; diese Zellengruppen sind dann stetsumsäumtvon
einem Kranz (auf dem Querschnitt) von protoplasmaarmen Wander-
zellen und Körnchenzellen (Fig. 27). Die Pigmentzellen zeigen
für jede anliegende Wanderzelle eine entsprechende Anpassungs-
fläche und werden dadurch, wie Eberth schreibt, „leicht sternförmig*.
Solehe Zellen isolirt hat Eberth vortrefflich abgebildet. Ist dieses
Stadium sehr deutlich, so finden sich in den Zellen ausser Pigment
weitere Stoffe, die sich niemals in freibeweglichen Pigmentzellen
zeigen und welche sich intensiv mit verschiedenen Farben tin-
giren, vor Allem mit Fuchsin-S., mit welchem auch die Körnchen-
zellen sich tingiren (Fig. 29), dann aber auch mit Safranin. Dass
es sich hier nicht etwa um aufgenommene, in intracellulärer Ver-
dauung begriffene Kerne handeln kann, beweist zuerst das, dass
sich solehe mit den von mir angewandten Tinetionsmethoden anders
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 599
tingiren wie z. B. in der Mundhöhle beschrieben wurde, dann die
Form, indem essich keineswegs um zerfallende Kernelemente handelt,
sondern um an verschiedenen Stellen der Zellen auftretende Tropfen
und Tröpfehen. Weiter kennzeichen sich solche Zellen dadurch,
dass das in denselben enthaltene Pigment Veränderungen zeigt,
welche möglich machen, diese Zellen sofort von den frei beweglichen
der Leber oder des Darmes zu unterscheiden. Es treten nämlich
neben den hellen Pigmentkügelchen dunklere auf von sehr ver-
schiedenen Grössen, manche erinnern noch an die bei den frei be-
weglichen Pigmentzellen beschriebenen, daneben liegen grössere
und kleinere, unregelmässige dunkelbraun bis schwarz gefärbte
Einschlüsse. Diese Zellen und Zellgruppen geben die Eisenreaction
in viel stärkerem Maasse als die freibeweglichen Pigmentzellen,
welche sich darin verhalten, wie die Pigmentzellen, welche ich im
Darm beschrieben habe.
Endlich finden sich Pigmentzellen, in denen nur noch wenige
hellere und dunklere Pigmentkörner liegen, deren Kern chromatin-
arım erscheint (Fig. 27c) und schliesslich Zellen mit wenig deut-
lichem Kern und einem netzartig angeordneten Protoplasmagerüst.
Die letzten habe ich nur bei Hungerthieren beobachtet, es machen
diese den Eindruck einer zu Grunde gehenden Zelle.
Die Pigmentzellen befinden sich niemals in einer direkten
Verbindung mit dem Bindegewebsgerüst d. h. sie bleiben stets,
auch die zuletzt beschriebenen Formen, isolirt von demselben durch
die sie umgebenden Wanderzellen, sowie sie eben selbst aufgehört
haben, sich aktiv oder passiv zu bewegen. Die Pigmentzellen der
Leber können daher niemals zum Bindegewebe in Beziehung ge-
bracht werden, wie Eberth beiSchilderung der nach dem Batrachier-
typus gebauten Leber will. Die Frage ist nun, wie und wo ent-
stehen die Pigmentzellen der Leber?
Ueber das Entstehen des Pigments in der Leber anderer
Thiere liegt eine grosse Literatur vor, auf die näher einzugehen
hier nicht möglich ist. Hervorheben möchte ich einige Beobach-
tungen bei Fröschen. Weber (12) sah bei diesen ein Auftreten
von Pigmentkügelchen zu bestimmten Zeiten in den Leberzellen.
Eberth (19) führt für die Frösche an, dass das Pigment in den
farblosen Blutkörperchen oder in den von der Milz eingeführten
Pulpazellen liegt. Leonard (55) findet ein Zusammentreffen von
Vermehrung des Pigments und Untergehen der Leberzellen und
554 Albert Oppel:
sucht beide in Verbindung zu bringen. Diese verschiedenen An-
schauungen schliessen sich jedoch nach meiner Ansicht nicht aus.
An den Pigmentzellen der Proteusleber habe ich niemals etwas
beobachtet, was auf eine Vermehrung durch Kern- und Zelltheilung
hinweisen könnte. Ebensowenig habe ich je etwas gesehen, was
auf eine Entstehung der Pigmentzellen aus andern Zellen in der
Leber schliessen liesse. Wenn sie nicht durch Theilung entstehen,
so müssten sie, wenn sie sich vermehren, aus andern nicht pig-
mentirten Zellen durch Pigmentbildung oder -aufnahme entstehen.
Es müssten sich dann Uebergangsformen aus andern Zellen vor-
finden, z. B. aus vielleicht zerfallenden Leberzellen, welche anfangs
weniger, später mehr Pigment enthalten würden. Ich habe nie
etwas derartiges gesehen, habe überhaupt nie in einer andern Zelle
vereinzelte Pigmentkörnchen in der Leber gesehen, ausser in den
von Lymphzellen gewissermaassen eingekapselten Pigmentzell-
gruppen, welche zweifelsohne Altersstufen darstellen.
Dass die von mir oben beschriebenen pigmenthaltigen Wander-
zellen aus der Milz kommen können, ist jedenfalls nicht in Abrede
zu stellen, ob sie bei Proteus dort entstehen, ist eine Frage, auf
die ich eingehen werde, wenn ich über dieses Organ handle. Im
Verdauungstraetus sind mir nur an zwei Orten Pigmentzellen be-
gegnet, in der Leber und im Darm, in ersterer zu Grunde gehende,
im letzteren entstehende. Wenn auch beide in Beziehung gebracht
würden, so wäre doch die Frage, wo die Pigmentzellen in der
Leber des Proteus herkommen, erst dann als gelöst zu betrachten,
wenn klargelegt ist, ob in andern Organen (Milz vor Allem, dann
Thymus, wo Afanassiew (30) das Entstehen von Pigmentzellen
beobachtete) gleichfalls bei Proteus solche entstehen oder nicht.
Da die Thiere, die ich meinen Untersuchungen zu Grunde legte,
zu verschiedenen Jahreszeiten bezogen und in verschiedenen Ver-
dauungs- und Ernährungszuständen getödtet wurden, glaube ich
zu dem Schlusse berechtigt zu sein: Die Pigmentzellenin
der Leber des Proteusentstehen nicht daselbst,
siegehen vielmehr dort zu Grunde, sie entstehen
an anderen Orten, ein solcher ist der Darm,
womit ieh nieht behaupten will, dass dies die
einzige Quelle ist, welche dieselben liefert.
Weniges habe ich hier noch über das gallebereitende System
der Leber anzufügen, da ich mieh über die Anordnung der das-
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 555
selbe bildenden Leberzellen oben bereits äusserte. Die Leberzellen
zeigen stets einen in der Mitte der Zelle befindlichen Kern, der nach
Auerbach (26) 4—16 meist aber $—12 Kernkörperchen besitzt.
Von diesen tingiren sich eines oder mehrere intensiv mit verschie-
denen Farben namentlich mit Fuchsin-S. und Safranin. Die Zellen
zeigen eine netzförmige Anordnung des Protoplasmas mit reich-
licher Fetteinlagerung bei wohlgenährten Thieren. Die Gallen-
capillaren gelang mir nach der von A. Böhm (61) angegebenen
Methode an frischen Präparaten zu färben und zwar leichter bei
Hungerthieren, was vielleicht mit dem geringeren Fettgehalt der
Leber in Zusammenhang steht. Doch war es mir möglich, die die
Gallencapillaren begrenzenden Leberzellenwände mit Fuchsin-S.
zu färben und auf dem Längsschnitt doppelte Contouren für die
Capillaren zu erhalten, wie auch die Gallencapillaren auf dem
Querschnitt meist ein deutliches Lumen erkennen lassen.
Die radiär zusammenlaufenden Gallencapillaren gehen in die
Gallengänge über. Dieselben bestehen aus eubischen Zellen, die
dem Lumen zu stets eingelagerte sich mit Osmium schwärzende
Fetttröpfehen enthalten. Sie verlaufen stets in der Mitte der con-
caven Seite der im Querschnitt halbmondförmigen Leber, umgeben
von Bindegewebe und zahlreichen Wanderzellen, namentlich
Körnchenzellen. Sich allmählig zu einer kleineren Zahl vereini-
gend münden einige solche Gänge wie beim Pankreas beschrieben
wurde, direkt in den Darm, das Pankreas durchbohrend. Zur
Gallenblase führt nur ein Ductus hepatieus, der nicht stärker ist
als die bisher beschriebenen Gänge, seine Wand wird von einer
Zelllage gebildet. Dieser mündet nicht in die Gallenblase selbst,
sondern in einen dem Duetus eystieus entsprechenden sackartigen
Anhang derselben, welcher den weiten Beginn des grossen sich
nachher in den das bei den Pankreasausführungsgängen beschrie-
bene Netzwerk auflösenden Duetus choledochus darstellt (Fig. 25
Schema.) Dieser Anhang ist wie die Gallenblase von einem ein-
schiehtigen platten Epithel ausgekleidet, welches in seiner einem
Ductus choledochus entsprechenden Fortsetzung allmählig höher
wird, um in das eubische Epitbel der an der oben beschriebenen
Stelle in den Darm mündenden Endzweige überzugehen.
556 Albert Oppel:
II. Capitel. Von den Lungen.
Im Anschluss an den Darmtraetus die Lungen des Proteus
zu untersuchen, wurde ich lediglich durch den genetischen
Zusammenhang beider veranlasst. Ich bin jedoch weit entfernt,
die Lungen des Proteus als Anhängsel des Darmtraetus zu be-
trachten, welches nur von einem entwicklungsgeschichtlichen
Interesse wäre. «
Die Mehrzahl der Autoren, welche der Anatomie des Proteus
eingehenderes Interesse schenkten, haben sich auch mit seinen
Lungen befasst und so ist denn die Literatur darüber zu einer
nicht unbedeutenden angewachsen. Von den ersten Autoren aus
dem Anfang dieses Jahrhunderts bis auf die neuesten alles Gebotene
wörtlich hier vorzulegen, würde zu weit führen, zumal da viel-
fache Wiederholungen namentlich in strittigen Puneten mit unter-
laufen. Im Folgenden seien daher nur die Namen der Autoren
mit Kurzer Angabe ihrer wichtigsten Aeusserungen wiedergegeben.
Schreibers (2), der die Lungen des Proteus zuerst unter-
suchte, fasst dieselben schon als solche auf, indem er sagt: „In
the back of the upper part of the bag there is a small opening,
which terminates, by a very narrow canal or trachea, shewing
very evidently, that these parts constitute the respiratory organs
or lungs of this animal.“
Ebenso erkennt Cuvier (3) die Lungen des Proteus voll und
ganz als solche an, betonend, dass sich bei keinem Amphibium
„weniger Lunge als beim Proteus“ vorfinde.
Rusconi (4), der Cuvier entgegentrat, und der Lunge über-
haupt nicht diesen Namen belassen wollte, wurde von einer An-
zahl deutscher Forscher widersprochen. Davon sind zu nennen
der Referent der Rusconi schen Monographie in der Isis, ferner
R. Wagner (66 u. 67), der die von Rusconi vermisste Lungen-
vene auffand. Noch 1843 vertrat Rusconi (70) die Ansicht, dass
die Bläschen keine eigenthümliche und abgesonderte Circulation
haben, wie die Lungen der andern Lurche. Eine endgiltige
Klarlegurg erfuhr diese Frage durch die 1844 erschienene Arbeit
Hyrtl’s (69), der durch zahlreiche Injeetionen neben der schon
Rusconi bekannten Pulmonalarterie unmittelbar zum Herzen
gehende Lungenvenen mit Sicherheit nachwies. Hyrtl beschrieb
-
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 557
auch die Verästelungen der Gefässe in der Lunge als denen der
Tritonlunge ähnlich.
Ueber die äussere Form der Lunge, von der Schreibers (2),
Ruseconi (4u.8), Rathke (5), delle Chiaie (10), R. Wagner
(11), Hoffmann (25) und Wiedersheim (53 u. 57) Abbildungen
geben, äussert sich Rathke (5) folgendermaassen: „Gerad über
dem Herzbeutel beginnen mit einer geringen, gemeinschaftlichen
Aussackung, die sich durch eine ungemein kleine Längsspalte in
die Schlundhöhle öffnet, die sehr langen, zartwändigen und
schlauchförmigen Lungen ohne alle Spur von Bronchus. Eine
jede derselben krümmt sich am Magen (denn von einer Speise-
röhre kann wohl nicht die Rede sein) von unten nach oben, wird
dann durch ein schmales Band an den Rücken geheftet und er-
streckt sich längs dem Rücken bis zur vordern Spitze des Hödens
oder Eierstocks (an der linken Seite ungefähr bis zum vierund-
zwanzigsten, an der rechten bis zum zweiundzwanzigsten Wirbel),
wo dann das Lungenband in das Band des Eierstockes oder Hoden
übergeht.“ Wenn ich hier noch anfüge, dass beide Lungen an
ihrem caudalen Ende eine blasige lufthaltende Erweiterung zeigen
(Scehreibers 2), dass sie jedes „zelligen Bau’s“ entbehren
(Schreibers (2), Cuvier (9)), ferner die Angabe Wieders-
heim’s (53), dass die Lungen nach vorne von der Stelle, in
welcher beide zusammenhängen, zwei blindsackartige Ausläufer
erzeugen, so glaube ich damit inhaltlich ziemlich vollständig die
Beschreibungen der Autoren wiedergegeben zu haben.
Alle Autoren, welche sich mit der Bedeutung der Lunge des
Proteus als Respirationsorgans befassten, äussern sich dahin, dass
dieselbe nicht für die Vermittlung des für das Thier nöthigen
Gasaustausches zwischen Blut und Luft genüge. Die einen
suchen dies mit dem Hinweis darauf zu begründen, dass die
Lunge des Proteus, meist als „bäutige Säcke ohne zelligen Bau“
bezeichnet, wegen ihrer glattwandigen Beschaffenheit nicht die zu
einem genügenden Gasaustausch nöthige Oberfläche bieten. Andere
verschafften sich nur die Ueberzeugung, dass ein auf das Trockene
gesetztes Thier in längerer oder kürzerer Zeit zu Grunde ging
(Ruseoni (70), Blainville (64), R. Wagner (67)). Rusconi (70)
beobachtete, dass 48—54 Stunden bis zum Eintritt des Todes ver-
gehen können.
Die Frage, ob der anatomische Bau der Lunge einen
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 24, 36
558 Albert Oppel:
Gasaustausch zwischen der in derselben befindlichen Luft und den
Bluteapillaren als möglich erscheinen lasse, d. h. ob dieselbe
in ihrem feineren Bau der Lunge eines luftathmenden Amphibiums
zu vergleichen sei, bin icb in der Literatur nicht begegnet. Ich
glaube, dass ein Eingehen auf diese Frage das Verständniss der
Bedeutung der Proteuslunge fördern könnte.
Zunächst betrachte ich einen Querschnitt durch die Proteus-
lunge an ihrem blasenförmig erweiterten caudalen Ende.
Die äussere umhüllende Serosa trägt platte Zellen, welche
bei wenig gedehnter Lunge länger als breit sind. Die Zellgrenzen
vermochte ich durch Behandlung mit salpetersaurem Silberoxyd
sichtbar zu machen. Die nach innen folgende Schicht lockeren
Bindegewebes, in welchem die grössern Blutgefässe liegen, lässt sich
von dem zur Serosa gehörigen nicht abgrenzen.
Die nächste Schicht besteht aus stärkeren zum Theil eireulär
laufenden Bindegewebszügen wohl zum Theil elastischer Natur.
Zwischen der Schichte des lockeren und des compacteren Binde-
gewebes und in letzteres selbst eingestreut liegen in reichlicher
Menge Züge von glatten Muskelfasern. Dieselben verlaufen zum
Theil cireulär (Fig. 30 d), einzelne auch weniger regelmässig die
eireulären durchkreuzend, doch meistens liegen mehrere in der-
selben Richtung verlaufende Fasern beisammen. Leydig (15)
vermisste die glatten Muskelfasern bei Tritonen, Proteus und Meno-
poma und glaubte demnach in Lungen mit zelliger Innenfläche
mit glatter Muskulatur und in glattwandige Lungen ohne solche
trennen zu sollen. Da schon von H. Müller (71) bei Triton und
von Eberth (72) bei Menopoma glatte Muskelfasern in den Lungen
nachgewiesen worden sind, bietet dies kein charakteristisches
Unterscheidungsmerkmal mehr. Wohl aber werden die nicht alveolär
gebauten glattwandigen Lungen, die gewissermaassen nur eine
einzige Alveole repräsentiren, als einfachere Fermen den andern
gegenüberzustellen sein.
Die Muskel- und Bindegewebsschichte durchbrechend treten
kleinere Gefässe zur Innenfläche der Lunge und breiten sich dort
als Netz von Capillaren (Fig. 30a) aus. Diese erkannte schon
Hyrtl (69) als solche und brachte ihre Grösse richtig in Zu-
sammenhang mit der Grösse der Proteusblutkörperchen.
Das die Innenfläche der Lunge d. h. das sich hier ausbrei-
tende Capillarnetz mit den dazwischen freibleibenden Stellen der
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 559
bindegewebigen Schicht überkleidende Epithel ist ein eigenartiges
(Fig. 30 b). Jede Zelle besteht aus 2 zusammenhängenden Theilen.
Der eine sitzt mit breiter Basis, welche den Kern enthält, dem
Bindegewebe auf und hat Cylinderform. Vom freien Ende dieses
Cylinders geht ein kleiner Fortsatz ab, der umbiegend sieh über
die anliegende Capillare wölbt, um sich mit dem Fortsatz einer
auf der anderen Seite der Capillare liegenden ebensolehen Zelle
zu verbinden. So bilden je 2 Zellen einen Bogen und mehrere
solche aneinandergereiht einen Tunnel, in welchem die Capil-
lare läuft. Dieser Bau entspricht dem von F. E. Schulze in
Stricker's (73) Handbuch der Gewebelehre für Rana esculenta gege-
benen Schema. Da das Blut von der Luft nicht nur durch das
Epithel getrennt wird, sondern auch durch die Wand der Capillare,
so besteht die dünne Wand aus 2 Schichten, dem Fortsatz der
Epithelzelle und dem Endothel der Capillare.. Dass dies der Fall
ist, beweist das Vorhandensein von Kernen (Fig. 30 ec), welche in
der Wand der Capillaren liegend etwas in deren Lumen vorspringen
und, wie ich glaube, als Kerne der Endothelzellen aufzufassen sind.
Wie beide Zellschichten, Epithel und Endothel, verbunden sind,
durch eine Kittsubstanz oder auf eine andere Weise, kann ich zur
Zeit nicht entscheiden, jedenfalls ist die Verbindung beider eine
sehr innige, da ich eine Ablösung niemals beobachtete.
Da nun die Capillaren ein Netzwerk bilden, so werden die
kernhaltigen Theile der Zellen keine Reihen bilden, sondern Gruppen,
wie dies von Eberth (72) für Reptilien und Amphibien abgebildet
wurde. Ich bemerke dazu, dass der Befund bei Proteus, der Ab-
bildung, welche Eberth von der Tritonlunge giebt, näher steht
als der für den Frosch gegebenen, indem bei Proteus stets nur
wenige Zellen eine Gruppe bilden. Dieses Verhalten könnte man
durch die Grösse der Elemente zu erklären versuchen, von denen
wenige zur Ueberbrückung der Capillaren genügen, doch ist mir
dies unwahrscheinlich, da ja die Capillaren bei Proteus gleichfalls
grösser sind, als z. B. beim Frosch. Vielmehr glaube ich, dass, nach
der Abbildung Eberth’s zu schliessen, inmitten der Zellgruppen
eine Anzahl solcher Zellen sich befinden, welche gar nicht bei
der Ueberbrückung der Capillaren betheiligt sein können, da sie
nicht randständig sind. Solche Zellen sind nun bei Proteus in
den bisher beschriebenen Partieen der Lunge nicht zahlreich.
Aenderungen im Bau treten in den Theilen der Lunge (Fig. 30)
»
560 Albert Öppel:
auf, in welchen dieselbe schlauchförmig ist. Die Lunge, welche
hier auf dem Querschnitt kleiner erscheint, als eines der sie be-
gleitenden Gefässe, zeigt eine weniger dicke Wandung, wie auch
Wiedersheim (53) bemerkte. Dies ist zum Theil durch Selten-
werden der Muskelfasern (Fig. 50 d) bedingt. Capillaren und
Epithel bleiben unverändert.
Hier halte ich den Ort für geeignet, klar'zu legen, wie bei
Proteus die verschiedenen Abschnitte. dessen, was gemeiniglich
Lunge genannt wird, aufzufassen sind. Alles bisher von mir be-
schriebene d.h. die paarigen Abschnitte, sind, wie oben ausgeführt,
Lungen zu benennen entgegen Rathke (5), Henle (68) und
Hoffmann (25), welche nur die caudalen Erweiterungen als solche
bezeichnen.
Der nun folgende unpaare Abschnitt ist nicht als Lunge auf-
zufassen, weil sich hier der Bau des Epithels ändert. Dies zeigt
sich darin, dass die Capillaren zunächst seltner werden, während
sich die Zellgruppen vergrössern, bis schliesslich erstere ganz ver-
schwinden. Die Wand ist dann von einem Epithel ausgekleidet,
bei dessen Zellen wenigstens zunächst der Uebergangsstelle meist
der Höhendurchmesser der grösste ist. Dieser Uebergang findet
sich stets an der Stelle, an welcher die beiden .Lungen zu einem
unpaarigen Abschnitt zusammenmünden.
Den unpaarigen Abschnitt hat Henle (68) folgendermaassen
beschrieben (in Fig. 31 gebe ich die Abbildung Henle’s wieder):
„Die einfachste Bildung findet sich beim Proteus anguinus. Die
Stimmlade dieses Thieres ist eine cylindrische Höhle, die gegen
die Stimmritze hin in einen dünnen Hals ausläuft, nach unten in
zwei lange Schläuche übergeht, an deren Enden die Lungen, als
einfache Säcke, sitzen (Rusconi gedenkt schon der Knorpel am
oberen engeren Canal der Stimmlade). Der Apparat ist häutig, nur
in dem oberen engeren Theile liegt jederseits ein eigenthümlich
gestalteter Knorpelstreifen (Fig. 31). Derselbe besteht 1. aus einem
oberen, breiteren Stück, Pars arytaenoidea (c) mit vorderm geraden,
hinterm eonvexen Rand, welches den Eingang zur Stimmlade be-
grenzt; beide Ränder kommen nach oben in eine feine Spitze zu-
sammen; 2. aus einem ununterbrochen mit dem vorigen zusammen-
hängenden schmalen, allmählich nach aussen tretenden Knorpel-
streifen, Pars laryngotrachealis (d), der nach unten in 3—4 kurze
Spitzen ausläuft, oft auch in der Mitte seiner Länge einen kurzen
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 561
Fortsatz nach innen schickt. In der Pars arytaenoidea ist, nahe
ihrem unteren Ende, eine regelmässige ovale Oeffnung, deren
längster Durchmesser in der Längsaxe des Thieres liegt. Diese
Oeffnung ist vielleicht schon die Andeutung einer Trennung des
Stimmladenknorpels in zwei besondere Stücke, welche bei den
verwandten Gattungen erfolgt.“
Wir haben demnach einen unpaaren Abschnitt, der in seinem
caudalen Theil häutig ist, dann jederseits von einer Knorpelspange
unterstützt enger werdend zur Einmündungsstelle in den Oesophagus
führt. Kann nun dieser unpaare Abschnitt in Beziehung zu den
Bronehen, Trachea und Larynx höherer Thiere gebracht wer-
den? Wiedersheim (53) verzichtet von vornherein darauf, indem
er schreibt: „Bei Proteus ist eine eigentliche Luftröhre nieht vor-
handen, indem man durch einen minimalen Längsschlitz (der
median von der ventralen Seite des Vorderdarms ausgeht) in einen
weiten sackartigen, die Vorderenden der beiden Lungen commissur-
artig miteinander verbindenden Raum geräth.“
Ich möchte im Folgenden diesen unpaaren Abschnitt, den
Henle (68) und J. &. Fischer (18) als „Stimmlade“ zusammen-
fassen, näher betrachten. Dass die commissurartige Verbindung den
Namen Lunge nicht verdient, versuchte ich oben zu beweisen, er ent-
spricht vielmehr den Bronchen und der Trachea höherer Thiere;
ich werde ihn daher Traeheobronehialraum nennen. Den dem
Darm nächstliegenden Theil, der aber vom Tracheobronehialraum
nicht seharf abgegrenzt werden kann, werde ich Larynx nennen,
da er, wie ich im Folgenden zu beweisen versuchen werde, nach
seinem Bau dem Larynx höherer Thiere entspricht. Daran ändert
nicht, dass es noch nicht mit Sicherheit festgestellt ist, ob die
Stimme des Proteus im Kehlkopf entsteht oder nicht. Die Stimme
des Proteus, welehe Schreibers (2) und Michahelles (6) als
laut und ähnlich der des Triton beschreiben, habe ich öfter Ge-
legenheit gehabt zu hören. Ich hebe letzteres hervor, da J.G. Fischer
(18) sagt: „Bekanntlich ist Siren die einzige Gattung, der eine Stimme
zugeschrieben wird.“
Unter Zugrundelegung dieser Eintheilung bespreche ich nun den
Traeheobronchialraum und Larynx zusammen nach ihrem Bau.
Bezüglich des Knorpelstreifens Nabe ich der Beschreibung und
Abbildung Henle’s (68), nach der man sich leicht orientirt, wenig
zuzufügen. Die Pars arytaenoidea hat 3 Spitzen, eine eranial und
562 Albert Oppel:
2 caudal gerichtete, von den caudalen (Fig. 32) sieht die eine (d)
nach der medialen, die andere (c) nach der lateralen Seite, letztere
ist zugleich etwas dorsal gestellt. Die eraniale Spitze ragt bis
in die Höhe des Aditus laryngis und legt sich dort dicht unter
das Epithel, welches dieselbe überkleidend an ihrem Rande im
Scehlunde eine kleine Einsenkung bildet. Die beiden eaudalen
Spitzen (d u. c) entsprechen die mediale dem Processus vocalis
und die laterale dem Processus muscularis der Cartilago arytaenoidea
höherer Thiere.
Die mit der Pars arytaenoidea verwachsene Pars laryngo-
trachealis liegt wie erstere als Knorpelstreifen zu beiden Seiten
des Larynx und zieht so nach hinten. An der Stelle, wo die Er-
weiterung der Röhre zum Tracheobronchialraum eintritt, folgt der
Knorpelstreif dieser zunächst nicht, sondern die beiden Streifen
ziehen an der dorsalen Wand des Tracheobronchialraums in gleich-
bleibender Entfernung von einander nach hinten. Dann gehen
von diesem Streif Seitenzweige ab, wie sie Henle (68) beschrieb.
Diese spannen divergirend den Tracheobronchialraum aus.
Das Epithel des Larynx ist ein hohes mehrzeiliges Cylinder-
epithel, welches Flimmerhaare von mässiger Länge trägt. Das-
selbe grenzt sich mehr allmählig sich verändernd gegen das
Epithel des Tracheobronchialraumes, gegen das des Vorderdarmes
dagegen scharf ab. An der Grenze gegen den Darm findet sich
die oben besprochene Hervorragung des cranialen Fortsatzes der
Pars arytaenoidea des Knorpels. Dieselbe ist von einem sehr
niedrigen Plattenepithel, bestehend aus 2 Lagen von cubischen
Zellen überkleidet. Diese gehen unvermittelt in das Cylinder-
epithel des Larynx über, welches etwa die doppelte Höhe des
ebenbeschriebenen hat. Da die Oeffnung gegen den Darm nicht
am eranialen Ende des Larynx liegt, sondern auf der dorsalen Seite
desselben, ist es verständlich, wie die Einmündung der beiden
in einer Richtung verlaufenden Röhren ineinander ohne Umbiegen
des Larynx stattfinden kann.
Am Processus vocalis des Arytaenoidknorpels, der eine leichte
Hervorragung gegen den Larynx bildet, finde ich das Epithel in
einer eigenthümlichen Weise verändert. Dasselbe senkt sich an
dieser Stelle etwa zu einem Viertel seiner Höhe ein, wie wenn
die obersten Zellen des Epithels an dieser Stelle auf das Binde-
gewebe geheftet wären und dadurch die benachbarten Epithelzellen
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus, 563
auseinander gedrängt hätten. Da ich diese Stelle in vier untersuchten
Fällen traf, glaube ich, dass es nichts zufälliges ist. Vielleicht
bildet es eine Andeutung des bei andern Amphibien sich an dieser
Stelle findenden Stimmbandes, welches gleichfalls von einem Platten-
epithel überkleidet ist.
Im Tracheobronchialraum wird das Epithel allmählig ein-
zeilig eylindrisch, dann cubisch, an der ventralen Wand selbst
im nichtgedehnten Zustand platt. Nur an den Stellen der Schleim-
haut, welche den Knorpelstreifen anliegen, setzt sich das Cylinder-
epithel des Larynx fort und zwar soweit die Knorpelstreifen reichen;
dasselbe zeigt auch hier noch vielfach Flimmerung. Auf einem
Schnitt kann die ventrale Wand des Tracheobronchialraumes plattes,
die dorsale cubisches und die beiden lateralen Wände, denen die
Knorpelstreifen anliegen, hohes cylindrisches Epithel zeigen.
Im Epithel, namentlich in dem des Larynx, seltener im Tracheo-
bronchialraum, fand ich die bei Beschreibung der Mundhöhle auf-,
geführten Arten von Wanderzellen, häufig solche mit Einschlüssen.
Nie fand ich grössere Ansammlungen von Wanderzellen in oder
unter dem Epithel.
Die Kehlkopfmuskeln wurden zuerst eingehend von Henle (68)
untersucht. Derselbe beschrieb einen Musculus dilatator aditus
laryngis. Er ist nach Henle bei Proteus nur ein Theil eines
Muskels, der vom Zungenbein und zwar vom untersten Horn oder
der Columella (Fig. 31a) entspringt, von hier aus sich fächerförmig
gegen die Mittellinie hin ausbreitet und über und vor der Stimm-
lade Henle’s mit dem gleichnamigen Muskel der andern Seite in
einer Art Linea alba zusammenkommt. Der „untere* Theil dieses
Muskels befestigt sich bei Proteus (Fig. 31b) „an die ganze vor-
dere Fläche des Knorpels der Stimmlade und geht vor der ovalen
Oeffnung in dessen oberem Theil zum inneren Rand desselben.“
„Er kann daher auch nicht nur die Ränder des Stimmladeneinganges
auseinanderziehen, sondern auch die Stimmlade sammt der vordern
Körperwand, auf der sie ruht, gegen die Wirbelsäule zurück-
bewegen oder bei der natürlichen Lage des Reptils aufheben.“
J. G. Fischer (18) bemüht sich nachzuweisen, dass der
Dilatator Henle’s gar kein Dilatator sei, vielmehr ein Constrictor,
während ein wahrer Dilatator Proteus und anderen fehle. Er sucht
dies durch die Angabe zu begründen, dass bei allen untersuchten
Gattungen die Luftröhre im ganzen Bereich des Muskelansatzes
564 Albert Oppel:
ein häutiger Schlauch sei, welcher durch seitlichen Zug platt werde.
Dies ist nun aber gerade bei Proteus nicht der Fall, indem sich
hier der Dilatator (Fig. 32 f) an den bis aufden Tracheobronchial-
raum übergreifenden Knorpelstreifen inserirt. Es kann hier dieser
Muskel demnach nur als Dilatator wirken.
Bezüglich eines Constrietor aditus laryngis (Henle) (68) sagt
J. G. Fischer (18): „Alle Perennibranchiaten und Derotremen
scheinen mit diesem Muskel ausgerüstet zu sein,“ führt dies jedoch
ebenso wie Henle (68) für Proteus nicht weiter aus. Dubois (74)
erklärt 1886, Proteus habe keinen Constrietor. Wiedersheim(53)
sieht sich 13836 noch zu der Angabe veranlasst, dass ein Museulus
constrietor Proteus zu fehlen scheine; 1888 (57) jedoch gesteht er
demselben einen solchen zu. Letztere Angabe kann ich bestätigen.
Der Constrietor laryngis (Fig. 32e) zerfällt bei Proteus im
Ganzen in 4, d. h. dorsal und ventral je in 2 in einer Art linea
alba in der Medianlinie zusammenschliessende Hauptmuskelzüge.
Diese verlaufen von der Medianlinie zu dem Processus muscularis (ec)
des Arytaenoidknorpels und bilden, sich dort inserirend, zusammen
einen Ring oder besser eine rhombische Form. Von jedem dieser
4 Hauptmuskeln gehen ferner Züge, sich abzweigend, durch das
zwischen beiden Knorpeln liegende Loch, um sich auf der andern
Seite des Processus museularis zu inseriren, die dorsalen ventral
und die ventralen dorsal (Fig. 32 h). Weitere 4 Züge gehen direkt
von der Medianebene zum Processus vocalis (d), um sich dort zu
inseriren (g). Alle diese Muskelzüge (e g h) können, da beide
Knorpel bei Proteus unter sich verwachsen sind, nur als Constrie-
toren wirken. .Bei verschiedenen Thieren fand ich noch einzelne
Bündel von weniger regelmässigem Verlauf, z. B. von einem Knorpel
zum andern in der Längsrichtung verlaufend, da diese jedoch
variiren, glaube ich nicht näher auf dieselben eingehen zu sollen.
Ich glaube, dass die geschilderten Verhältnisse es nicht mehr
zweifelhaft lassen, dass die Lungen des Proteus, wenigstens was
ihren histologischen Bau anbelangt, sich nicht wesentlich von den
Lungen Luft athmender: Amphibien unterscheiden.
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 565
Zusammenfassung.
1) Ein Thränenkanal existirt (gegen Born, der dies in Ab-
rede stellt).
2) Drei Schilddrüsen sind vorhanden (gegen Leydig, der
nur eine annimmt).
3) Tonsillenähnliche Gebilde kommen bei Proteus vor.
4) Oesophagus, Fundus und Pylorustheil des Magens sind
histologisch scharf zu unterscheiden.
5) Im Darm sind Drüsen vorhanden (gegen Leydig).
6) Das Pankreas ist wohlcharaeterisirt.
7) Zahlreiche Ausführungsgänge der Leber und des Pankreas
bilden ein zusammenhängendes Netz.
8) An einer zweiten Stelle münden zahlreiche isolirte Aus-
führungsgänge des Pankreas in den Darm.
9) Lymph- und Blutbahnen der Leber coineidiren nicht.
10) Die Pigmentinseln der Leber liegen innerhalb des Lymph-
systems.
11) Die Pigmentzellen der Leber und des Darmes sind
Wanderzellen.
12) Wanderzellen begrenzen stets kapselartig die Pigment-
zellgruppen der Leber.
13) Larynx, Tracheobronchialraum und Lungen sind von ein-
ander abgegrenzt.
14) Die Lunge ist, nach dem histiologischen Bau zu urtheilen,
funktionsfähig.
Schliesslich danke ich Herrn Professor Dr. von Kupffer
sowie Herrn A. A. Böhm für die mir bei dieser Arbeit gewährte
Unterstützung und freundliche Theilnahme herzlich.
566 Albert Oppel:
Literaturverzeichniss.
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Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 567
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568 Albert Oppel:
%
42. 1882. Reichel. Beitrag zur Morphologie der Mundhöhlendrüsen
der Wirbelthiere. Morph. Jahrb. Bd. VII.
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Lehre von den Eingeweiden ete. Braunschweig.
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mandra maculata. Sitzungsber. der kais. Ak. d. Wiss. zu Wien Math.-nat. Cl.
III Abth.
50. 1885. Rabl. Ueber Zelltheilung. Morph. Jahrb. 10. Bd.
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mikr. Anat. Bd. 28.
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der Wirbelthiere. 2. Aufl. Jena.
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zellen von Rana temporaria. Arch. für Anat. u. Physiologie. Physiol. Abth.
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der Wirbelthiere. Jena.
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München.
63. 1889. List. Zur Herkunft des Pigmentes in der Oberhaut.
Anatom. Anz. IV. J. Nr. 19.
b) für die Lungen sind zu berücksichtigen von a) die
Natamerh.2 3. 4. 5.6.1011: 15. 18. 254 58. 57,’ ferner:
64. 1820. Lettre de M. Charles de Schreibers ä M. Dumieril sur
le Protee, et observations de M. Blainville a ce sujet. Isis p. 567.
65. 1820. Isis. Ref. der Monographie Rusconi’s pag. 570.
66. 1837. Proceedings of the Zoological Society of London 8. 165.
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69. 1844. Hyrtl. Berichtigungen über den Bau des Gefässsystems
von Hypochthon Laur. Medic. Jahrb. des k. k. österr. Staat. 48. Bd. pg. 257.
70. 1844. Isis pg. 502. Rusconi. Neue Beobachtungen über den
Proteus ang. 1843. Dass. Ref. Fror. Neue Not. Bd. 1843. S. 295. (Inhalt bei-
der Ref. nicht übereinstimmend.)
71. 1861. H. Müller. Ueber Muskeln in den Lungen von Triton.
Würzburg. naturwiss. Zeitschr.
12. 1863. Eberth. Ueber den feineren Bau der Lunge. Zeitschr. f.
wiss. Zool. 12. Bd.
73. 1871. Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben.
Leipzig.
74. 1886. E. Dubois. Zur Morphologie des Larynx. Anatomischer
Anzeiger pg. 225.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIII, XXIX
und XXX.
Sämmtliche Zeichnungen wurden von C. Krapf, Universitäts-Zeichner
in München, ausgeführt unter Benützung eines Zeichenprismas zur Anlage;
Schemata nach den von mir gegebenen Skizzen. Gezeichnet wurde mit
Leitz Tubuslänge 160 mm in Tischhöhe mit den jeweilig angegebenen Systemen.
Fig. 1. Obj. 9. Oc. I. Epithel der Mundhöhle. Osmiumsäure. a. Zellen der
Deckschicht ; b. Becherzellen.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
10.
11;
12.
16.
IR
18.
Albert Oppel:
. 2. Apochr. Oel.-Imm. Oc. IV. Sinnesorgan vom Unterkiefer. Sublimat.
a. Röhre.
Apochr. Oel-Imm. Oc. IV. Epithel aus der Lippengegend. Chrom-
säure. Methylgrün-Eosin-Fuchsin-S. Picrinsäure. a. Epithelzellen;
b. Wanderzellen.
Obj. 5. Oc. I. Tonsille.. Chromsäure. Methylgrün-Eosin-Fuchsin-S.
Picrinsäure. a. Gefässe und Capillaren; b. Epithelzellen; c. Wander-
zellen.
Obj. 1. Oc. I. Querschnitt durch die Mundhöhle hinter dem Kiefer-
gelenk. Chromsäure. Safranin. a, Kiefergelenkanschnitt; b. Ton-
sille; c. Unpaare Schildrüse;, d. Basibranchiale I; e. Keratohyoid.
Schema für den Veriauf des Thränenkanals des 3. darauf unter-
suchten Proteus.
Schema für den Verlauf des Thränenkanals des 4. darauf unter-
suchten Proteus. Schnauze von oben gesehen, durchsichtig gedacht.
N. = Nase; A. = Auge.
Obj. 3. Oe. I. Querschnitt durch den Kopf, treffend Auge und
Thränenkanal rechts, Chromsäure (4. darauf untersuchter Proteus).
a. Thränenkanal; b. Auge; c. Nerv.
Schema. Visceralskelett (aus Rusconi (8) entnommen). Die mar-
kirten Punkte zeigen die Lagen der Schilddrüsen an.
Obj. 5. Oe. I. Querschnitt durch die paarige Schilddrüse. Chrom-
säure. Hämatoxylin. a. Tasche der Mundhöhle; b. das dieselbe aus-
kleidende einschichtige Epithel; c. Läppchen der Schilddrüse;
d. Gefäss; e. Nerv.
Apochrom. Oelimm. Oc. 4. Epithel des Oesophagus. Osmiumsäure.
a. Becherzellen; b. Geschlossene Zellen.
Obj. 4. Oe. I. Oesophagealdrüse. Chromsäure. Thier im Hunger-
zustand. a. Mucosa; b. Ringmuskelschicht; c. Längsmuskelschicht;
d. Drüse; e. Anschnitt einer Drüse; f. Einbezogene Cylinderzellen;
g. Drüsenzellen.
. Obj. 4. Oc. I. Oesophagealdrüse. Oesophagus gedehnt durch inji-
cirte Osmiumsäure.
. Obj. 9. Oec. I. Magenepithel.‘ Osmiumsäure.
. Obj. 7. Oe. I. Magendrüse. Sublimat. Methylgrün-Eosin-Fuchsin-S.
Pierinsäure. a. Schleimzellen; b. Labzellen; c. quergeschnittener
Drüsenschlauch.
Obj. 7. Oc. I. Zwei Mitteldarmdrüsen. Sublimat. Methylgrün-Eosin-
Fuchsin-S. Picrinsäure. a. Epithelzellen des Darms; b. Drüsenzellen;
ec. Wanderzellen; d. desgl. Körnchenzellen.
Obj. 7. Oe. I. Mitteldarm. Mitte. Chromsäure.. Hämatoxylin 24
Stunden. Oxalsäure. a. Fetttröpfchen im Epithel; b. Wanderzelle
mit Fetteinschlüssen.
Obj. 7. Oc. I. Mitteldarm, hintere Partie. Sublimat. Methylgrün-
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
19.
20.
25.
26
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30.
Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. 571
Eosin. Uebersichtsbild. Wanderzellen a. im und b. unter dem
Epithel mit Pigmenteinschlüssen.
Obj. 9. Oec. I. Mitteldarm, hintere Partie. Sublimat. Methylgrün-
Eosin-Fuchsin-$8., Picrinsäure. Wanderzellen a. im und b. unter dem
Epithel mit Pigmenteinschlüssen; c. Pigmentkörnchen im Epithel.
Obj. 7. Oe. I. Enddarm mit Drüse. Sublimat. Methylgrün-Eosin-
Fuchsin-S. Picrinsäure. a. Wanderzellen mit Pigmenteinschlüssen ;
b. Körnchenzellen.
. Obj. 2. Oc. I. Leber und Pankreas. Querschnitt. Uebersichtsbild
von einem im August frischbezogenen Thier. Chromsäure. Methyl-
grün-Eosin-Fuchsin-$S. Picrinsäure. a. Pankreas; b. Leberbalken;
c. Pigmentzellgruppen:;d. Wanderzellen ; e. Gallengänge; f. Blutgefässe.
. Obj. 9. Oe. O (ausgef. mit Oc. 1). Pankreas. Hungerzustand. Sub-
limat. Methylgrün-Eosin-Fuchsin-$S. Picrinsäure. a. Ausführungs-
gang; b. Körnchenzelle.
. Obj. 9. Oe. O. Pankreastukulus 36 Stunden nach Nahrungsauf-
nahme. Sublimat. Methylgrün-Eosin-Fuchsin-S. Picrinsäure,
. Obj. 4. Oe. I. Querschnitt durch den Darm in der Gegend der
Pankreasausführungsgänge. Sublimat. a. Pankreasausführungsgänge;
b. Pankreastubuli.
Schema für Leber und Pankreasausführungsgänge. Sagittalschnitt.
D. Darm; P. Pankreas; L. Leber; G. Gallenblase; a. vordere Ein-
mündungsstelle in den Darm; b. hintere Einmündungsstelle in den
Darm; d. p. a. Die vordern Pankreasausführungsgänge; d. p. p.
Die hintern Pankreasausführungsgänge; d. h. e. Direkt in den Darm
mündende Leberausführungsgänge; d. c. y. Ductus cysticus; d. ch.
Ductus choledochus; d. h. Ductus hepaticus.
Obj. 8. Oc. I. Leber nach der Böhm’schen Methode für Bindegewebe
behandelt. Methylgrüneosin. a. Schnitt durch eine Pigmentzell-
gruppe; b. Anschnitt einer solchen; c. Gefässe; d. Leberzellen; e.
Das die Blut und Lymphbahnen umspinnende Netzwerk.
. Obj. 9. Oc. I. Pigmentzellgruppe aus der Leber. Sublimat. Methyl-
grün-Eosin-Fuchsin-S. Picrinsäure. a.b.c. verschiedene Zerfalls-
stadien der Pigmentzellen; d. Wanderzellen; e. desgl. Körnchen-
zellen; f. Leherzelien.
28. Obj. 9. Oc. I. Wanderzelle mit Pigmenteinschluss in der Leber.
Chromsäure. Methyl-Eosin-Fuchsin-S. Picrinsäure.
. Obj. 9. Oc. I. Pigmentzellgruppe aus der Leber. Sublimat. Methyl-
grün-Eosin-Fuchsin-S. Picrinsäure. Mit Fuchsin-S. roth gefärbte
Einschlüssse.
Obj. 7. Oc. I. Querschnitt durch die Lungen aus dem schlauch-
förmigen Abschnitt. Flemming’sche Flüssigkeit. a. Capillaren;
b. Epithel; c. Endothelkern der Capillaren; d. Glatte Muskelfasern,
=
572 Albert Oppel: Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus.
Fig. 31. nach Henle. „Stimmlade des Proteus anguineus von hinten ge-
öffnet. Etwa um das Doppelte vergrössert. a. Columella; b.
Musculus dilatator aditus laryngis; c. Pars arytaenoidea; d. Pars
laryngo trachealis des einfachen Stimmladenknorpels.‘“
Fig. 32. Obj. 3. Oc. I. Querschnitt durch den Larynx in der Höhe der
Verbindung der Pars arytaenoidea mit der Pars laryngotrachealis
(Henle), Müller’sche Flüsssigkeit. a. Epithel der Mundhöhle;
b. Epithel des Larynx; c. Processus muscularis des Arytaenoid-
knorpels; d. Processus vocalis des Arytaenoidknorpels; e. Musculus
eonstrietor von der Medianebene zu dem Processus muscularis ver-
laufend; f. Musculus dilatator inserirt am Processus muscularis; g.
Muskelzüge von der Medianebene zum Processus vocalis; h. Muskel-
züge von der Medianebene zum Processus muscularis der andern
Seite (ventral nach dorsal).
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