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Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

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*,*No book or pamphlei is to be removed from the Lab- 
oratory wiithout the permission of the Trustees, 


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Archiv 


für 


Mikroskopische Anatomie 


und 


Entwicklungsgeschichte 


herausgegeben 
von 
O. Hertwig in Berlin, 


v. la Valette St. George in Bonn 
und 


W. Waldeyer in Berlin. 


Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. 


Dreiundfünfzigster Band. 


Mit 30 Tafeln und 24 Figuren im Text. 


Bonn 
Verlag von Friedrich Cohen 


1899. 


In 


Inhalt. 


Seite 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden und ihrer 
Adnexa. Von Bernh. Solger. Hierzu Tafel I... . . . 1 


Untersuchungen über Zelltheilung. II. Von Bernhard Rawitz. 
EEE RE Re SE ee en 19 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzer der Säugethiere. 
(Erster Theil einer anatomisch-pathologischen Untersuchung 
der sogenannten automatischen Herzcentren.) Von Dr. S. 
Schwartz (Moskau). (Aus dem anatomischen Institut zu 
Berne ENerziss Rate ER Se 63 
Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 
Von J. Herman Jakobsson, weil. Assistent am Histol. 
Institut zu Upsala. (Aus dem Laboratorium des Histologi- 
schen Institutes zu Upsala.) Hierzu Tafel IV undV... 78 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. Von Dr. F. Ris 
(Rheinau, Schweiz). (Aus dem Laboratorium für Histologie 
und allgem. Pathologie der Universität Pavia, dir. von Prof. 
Gammllor&olei.), Hierzu Tafel VI und VIE ..: ......_2%...- 106 

Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut 
einheimischer Frösche. Von Dr. G. Ottendorf, Assistent 
am anatomischen Institut zu Bonn. Hierzu 9 Textfiguren . 131 

Das Genus Mermis. Von Dr. v. Linstow in Göttingen. Hierzu 
en an ee te II 

Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca und Rana 
eseulenta. Von Dr. Hans Beissner. (Aus dem anatomi- 
schen Institut in Bonn.) Hierzu Tafel IX u. 2 Textfiguren 168 

Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. Von Dr. Karl Peter, 
Privat-Docent und Assistent am anatomischen Institut. (Aus 
dem anatomischen Institut der Universität Breslau.) Hierzu 
a N A 1 EN a ta a N SO 

Ueber die Tyson’schen Drüsen. Von Dr. Edmund Saalfeld, 
Berlin. (Aus dem anatomischen Institut zu Berlin.) Hierzu 
En ENTE NEST AR rer SS RR V- 


IV Inhalt. 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure durch 
die Nieren. Von Hugo Sauer in Breslau. Hierzu Tafel XI 


Ueber Holzessigfarben. Von Eugen Burchardt, Arzt in Strass- 
N 3 Ra Be, De a 15:0 


Zur Frage über den feineren Bau der Herzganglien des Menschen 
und der Säugethiere. Von A. S. Dogiel, Professor der Histo- 
logie an der Universität zu St. Petersburg. Hierzu Tafel 
XII, XII u. XIV sRcRR 

Die Nebenniere der Selachier nebst Beiträgen zur Kenntniss der 
Morphologie der Wirbelthiernebenniere im Allgemeinen. Von 
Dr. Alfred Kohn, Assistenten am histologischen Institut 
der deutschen Universität in Prag. (Mit Unterstützung der 
„Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst 
und Literatur in Böhmen“.) (Aus dem histologischen Institut 
der deutschen Universität zu Prag. Vorstand: Prof. Dr. Sig- 
inund; Mayer.) Hierzu Tate) AV 2 Turner 

Ueber die Secretionserscheinungen der Giftdrüse der Kreuzotter. 
Von W. Lindemann, Privat-Dozent der Alle. Pathologie 
an der k. Universität Moskau. Hierzu Tafel XVI 

Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen beim 
menschlichen Embryo. Von Dr. C.S. Engel, Berlin. Hierzu 
Tata NVA nee er Re RO a Fe ee 

Ueber Theilungsvorgänge in Primordial- Eiern bei einer Er- 
wachsenen. Von Dr. W.Stoeckel, Assistent an der Frauen- 
klinik zu Bonn. (Aus dem pathol.-anatomischen Institut zu 
Marburg; Prof. Marchand.) Hierzu Tafel XVII. 

Ueber die Hautdrüsen von Bufo cinereus. Von Dr. Otto Weiss, 
I. Assistenten am Physiologischen Institut zu Königsberg 
i. Pr. (Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg i. Pr.) 


Hierzu 3’Fizuren’ im Text. 2 DI TR 2 re 
Die Linse des Maulwurfes. Von C. Ritter. Hierzu 3 Figuren 
im Text. 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut der männlichen und 
weiblichen Geschlechtsorgane. Von Dr. J. Loewy, Berlin. 
Hieranı Tarel AI NE SFR RE RIES I A 


Beiträge zur experimentellen Morphologie und Entwieklungs- 
geschichte. IV. Von Oscar Hertwig. (Aus dem anatomisch- 
biologischen Institut der Berliner Universität.) Hierzu Tafel 
XX u. XXI 

Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. Von M. Nussbaum 

Ueber Kopfhöhlenrudimente beim Menschen, Von K. W. Zim- 
mermann, a. o. Professor der Anatomie in Bern. Hierzu 
Tafel XXII 


237 


281 


313 


322 


397 


403 


415 
444 


481 


Inhalt. 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen und 
ihrer Fortsätze. Von Vladislav RüZitcka. (Aus dem ex- 
perimental-pathologischen Institut des Prof. Dr. A. Spina in 
Prag.) Hierzu Tafel XXIII Bee 

Ueber die Structur des Protoplasmas der menschlichen Epidermis- 
zelle.e. Von Dr. Karl Herxheimer, Oberarzt der dermato- 
logischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses in Frank- 
furt a.M. Hierzu Tafel XXIV*) 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. Von 
J. Sobotta 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln und der Topographie 
des Mittelohres verschiedener Säugethiere. Von Dr. Esch- 
weiler, Privat-Docent und Assistenzarzt der Universitäts- 
Poliklinik für Ohren- und Nasenkranke zu Bonn. (Aus dem 
anatomischen Institut zu Bonn.) Hierzu Tafel XXV—XXVII 
und 5 Figuren im Text 

Ueber die Blutbildung bei der Pricke. Von Maurizio Aseoli. 
(Aus dem pathologischen Laboratorium der Universität Turin. 
Director: G. Bizzozero.) Hierzu Tafel XXIX . 

Die obere Trigeminuswurzel. Von Dr. Michael Terterjanz. 
(Aus dem I. anatom. Institut zu Berlin.) Hierzu Tafel XXX 


*) In der Ueberschrift S. 510 steht irrthümlich Tafel XXV, 


man in XXIV ändern wolle. 


V 


Seite 


510 


546 


was 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Oe- 
phalopoden und ihrer Adnexa'). 


Von 
Bernh. Solger. 


Hierzu Tafel I. 

Da mir der anatomische Nachweis der zu den Chromato- 
phoren tretenden Nerven?) noch nicht in befriedigender und 
einwurfsfreier Weise erbracht schien, benutzte ich die Gelegen- 
heit, lebendes Material zu erhalten, die während eines längeren 
Aufenthalts an der unter Leitung des Herrn Geh. Rath Prof. 
Dr. Dohrn stehenden zoologischen Station zu Neapel sich mir 
bot, die Lösung der Frage anzustreben. Dank der unermüd- 
lichen Fürsorge des Herrn Dr. S. Lo Bianco war ich stets 
reichlich mit geeigneten Untersuchungs-Objeeten versehen und 
ich erfülle daher an dieser Stelle gerne die angenehme Pflicht, 
ihm für die liebenswürdige Unterstützung meiner Arbeit meinen 
aufrichtigen Dank auszusprechen. Ob meinerseits das dargebotene 
Material in angemessener Weise verwerthet wurde, möge der 
Leser nach Prüfung meiner Befunde entscheiden, zu deren Mit- 
theilung ich sofort mich wende. 

Die meisten Figuren der beigegebenen Tafel beziehen sich 
auf Chromatophoren von Thieren, welche der Einwirkung von 

1) Vorgetragen bei Gelegenheit der Braunschweiger Naturforscher- 
Versammlung 20. Sept. 1897. 

2) Von den älteren Autoren, die mit dem Studium des Einflusses 
des Nervensystems auf diese Gebilde sich beschäftigten, seien hier nur 
genannt Boll, Paul Bert, Fr&ed£rieg, Colasanti, Klemensie- 
wiez, Krukenberg. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 1 


3 Bernh. Solger: 


Methylenblau ausgesetzt waren. Ich bin keineswegs der Erste 
gewesen, der diesen Farbstoff Tintenfischen in der Absicht ein- 
verleibte, um über die zu den Chromatophoren tretenden Nerven 
ins Klare zu kommen, vielmehr hat ihn schon Joubin zu 
diesem Behufe angewendet, allein, wie mir scheint, mit etwas 
zweifelhaftem, oder doch. wenigstens unvollständigem Erfolge !), 
vielleicht zum Theil aus dem Grunde, weil er (bei älteren 
Chromatophoren) die viel discutirten Radiärfasern für bindege- 
webiger Natur hielt und daher sein Augenmerk nicht auf etwa 
in ihre Nähe kommende und mit ihnen verlaufende Nerven 
richtete. Im Gegensatz zu Joubin ging ich für meinen Theil 
von der Anschauung aus, dass hier in der That eine jener 
wenigen Fälle vorliege, in denen, um mit Blochmann (Z. f. 
w. Z., Bd. XXXVII zu reden, eine „einzelne Zelle mit be- 
sonderen zu ihrer Bewegung dienenden Muskeln ausgerüstet“ sei. 
Als solehe Einrichtungen nennt er ausser den Chromatophoren 
der Cephalopoden noch die Purpur-, bezw. Milchsaftdrüsen der 
Aplysien, welche einzellige Drüsen ?) darstellen, die von einer 
mit verzweigten Muskelzellen durchsetzten Lage von Bindege- 
webszellen umgeben sind. Vielleicht sind hier auch noch die con- 
tractilen Pigmentzellen von Tiedemannia neapolitana zu nennen, von 
deren Membran zahlreiche Muskelfasern entspringen (Gegenbaur). 

Sämmtliche Figuren der Tafel I beziehen sich auf Chroma- 
tophoren von Cephalopoden; und zwar stellen sie mit Ausnahme 
von Fig. 8 u. 9 gewisse Befunde nach Einwirkung von Methylen- 
blau dar. Die Application des Farbstoffes, um diese technische 
Frage zunächst zu erledigen, geschah auf dem Wege der Injec- 
tion und zwar benutzte ich natürlich fast stets lebende Thiere 


1) Nach Joubin (Compt. rend., T. 112, p. 60) endet, von einem 
eutanen Netzwerk ausgehend, je eine Nervenfaser mit einer leichten’ 
Anschwellung an der Chromatophore, ohne aber, wie es scheint, in 
dieselbe einzudringen. 

2) Siemenz (Leopoldina, Heft 28) bringt die (nach ihm aus dem 
Eetoderm stammenden) Chromatophoren der Cephalopoden und Ptero- 
poden in functionellen Zusammenhang mit den Farbdrüsen, wenigstens 
bildeten sie den Uebergang zu diesen Organen, die besonders in wär- 
meren Klimaten zur Ausbildung gelangen und ein im Organismus 
nicht weiter verwendetes Pigment als Abfallstoff produeiren. Beiläufig 
sei hier bemerkt, dass die Haut der Wirbelthiere schon vor langer Zeit 
von Bonnet als ein pigmentzerstörendes Organ bezeichnet wurde. 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden ete. B} 


zu diesen Untersuchungen. Mittelst einer Pravatz’schen Spritze 
wurden je nach der Grösse des Thieres eine oder mehrere In- 
Jeetionen einer Mischung etwa gleicher Theile einer filtrirten 
1/,/,igen Lösung von Methylenblau und einer 0,6 °/,igen Koch- 
salzlösung gemacht. Als Einstichstelle wählte ich entweder eine 
beliebige Stelle am Mantel des Thieres oder an der Basis der 
Arme. Nach der Injeetion wurden die Thiere gleich wieder in 
Seewasser gesetzt, das späterhin mehrfach gewechselt wurde, 
weil es mir darum zu thun war, die Wirkung der Injection 
mögliehst rein und ungetrübt zu erhalten und namentlich eime 
Imbibition des Integumentes durch den dem umgebenden Medium 
beigemischten Farbstoff auszuschliessen. Als der günstigste 
Moment für die Untersuchung, wenn überhaupt der. Versuch ge- 
glückt war, erwies sich die Zeit 2—4 Stunden nach der In- 
Jeetion. Sowie eine passende Stelle in den durch Scheeren- 
schnitte erhaltenen Lamellen, die in der Regel ohne Zusatz- 
flüssigkeit untersucht wurden, gefunden war, wurde eine Skizze 
entworfen, bei deren Aufnahme stets Eile geboten war, weil 
manchmal noch während des Zeichnens die blau imprägnirten 
Stellen verblassten. Ich will hier noch ausdrücklich bemerken, 
dass ich das getödtete Thier an der Luft liegen liess und dass 
ich den Zutritt der atmosphärischen Luft und die Erneuerung 
derselben möglichst begünstigte. 


S1. Ueber motorische Nerven. 


Wir fassen zunächst die 4 ersten Figuren näher in’s Auge. 
Bilder wie die in Figur 1—4 schwarz hervorgehobenen vari- 
kösen Linien oder Körnehenreihen werden hier, soviel mir be- 
kannt, zum ersten Mal vorgeführt; sie sind zweifellos auf 
Nerven, genauer aut Muskelnerven zu beziehen und zwar 
halte ich diese Imprägnirung im Gegensatz zu der in den 
Figuren 5 und 6 dargestellten für eine vitale. Der Farbstoff 
erscheint am frischen Präparat in Form tiefblauer, theilweise 
variköser Linien oder in Gestalt grösserer und kleinerer Kügel- 
chen abgelagert, oder es zeigen sich statt dieser Formen andere, 
gleichsam durch Combination der vorigen hervorgegangene 
Figuren von komma-, haken-, oder schlingenförmiger Gestalt. 
Fig. 4 scheint mir auf der Grenzscheide zwischen vitaler und 
postmortaler Imprägnation zu stehen. 


4 Bernh. Solger: 


Bezüglich der Einzelheiten bemerke ich noch folgendes: 

Fig. 1 bezieht sich auf eine Chromatophore von Rossia 
macrosoma und deren Umgebung, wie sie bei Anwendung 
einer schwächeren Vergrösserung etwa Seibert Objeetiv II er- 
scheint. Es liegt eine vitale Färbung dreier Nerven vor, die 
den stumpfen Ecken der Chromatophoren entsprechend angeordnet 
sind. Hier heften sich ja auch die Radiärzellen, d. h. die 
Muskeln an. 

Fig. 2 stellt einen Muskelnerven einer Chromatophore und 
zwar gleichfalls von Rossia macrosoma bei starker Ver- 
grösserung (Oel-Immersion) dar und zwar in vitaler Methylen- 
blaufärbung. Ein scharfer Unterschied besteht bezüglich des 
Aussehens des von der Zelle entfernteren Segmentes a und des 
der Zelle näheren (db) und diese Differenz kehrt auch in Figur 3 
wieder. Das Segment a verläuft nämlich beinahe geradlinig 
oder nur in sanfter Krümmung und zeigt sich mit einigen, ziem- 
lich weit von einander abstehenden spindelförmigen Varikositäten 
besetzt. Im Bereiche des Segmentes b dagegen folgen sich 
kugelige, komma-, haken- oder schlingenförmige, durch den 
Farbstoff intensiv hervorgehobene Auftreibungen dicht aufein- 
ander; diese eigentkümliche Anordnung erklärt sich daraus, dass 
der Nerv hier geschlängelt verlief. 

Fig. 3 stellt 2 benachbarte Muskelnerven von Chromato- 
phoren einer anderen Species (nämlich von Loligo vulgaris) 
dar, nach einer mit dem Zeichenapparat aufgenommenen Skizze 
und zwar bei weitem Abstand des Präparates vom Prisma unter 
Anwendung des Seibert’schen Objectivsystemes V. Das Prä- 
parat zeigt im Wesentlichen denselben Befund als das vorige. 
Die Methylenblauwirkung, die uns in Fig. 4 entgegentritt, steht 
gleichsam auf der Grenze zwischen der rein vitalen 
Färbung und der postmortalen Imbibition des 
neuro-muskulären Apparates. Das Thier war nämlich, als die 
Applieation des Farbstoffes vorgenommen werden konnte, schon 
abgestorben. Die beiden Figuren, etwa eine Stunde nach der 
Injection aufgenommen, stellen ein und dasselbe Segment einer 
Chromatophore von Sepiola rondeletii in 2 verschiedenen 
Zuständen dar. Bei A ist die Chromatophore ausgedehnt, die 
Muskelzelle (dunkelgrau dargestellt) eontrahirt, m BD ist umge- 
kehrt, die Chromatophore (dunkler als vorhin) zusammengezogen, 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden ete. 5 


die betreffende Muskelzelle aber erschlafft und daher länger als 
vorhin. Obwohl das Thier, wie bemerkt, schon abgestorben 
war, reagirten die Chromatophoren, wie man das stets findet, auf 
applizirte Reize noch sehr lebhaft. Von einer Zusatzflüssigkeit 
wurde abgesehen. 

In Figur 4 A, welche also, wie bemerkt, dem kontrahirten 
Zustand des Muskels und der Ausdehnung der Chromatophore 
entspricht, liegen die imprägnirten Nervengranula, 34 an der 
Zahl, ziemlich eng beisammen. In B dagegen hat sich die 
braune Ecke der nunmehr zusammengezogenen Chromatophore 
weiter nach rechts verschoben, die Muskelzelle ist länger und 
schlanker geworden, die Nervengranula, namentlich die ersten 16 
(von rechts her gezählt) haben sich weiter von einander entfernt. 

Aus der Literatur war mir bekannt, dass Harting durch 
direete Beobachtung lebender Embryonen vom „Calmar“ zu der 
Ueberzeugung gelangt war, dass bei der Contraction der Chroma- 
tophoren die strahlenförmigen Fasern vollkommen 
unbeweglich blieben!), er erklärte daher diese Gebilde 
für Nervenendigungen, welche sich an eine umhüllende 
Membran mit kernhaltiger Verbreiterung ansetzen sollten. Ich 
habe diesem positiven Ausspruch gegenüber nicht unterlassen, 
die Beobachtung so lange ununterbrochen fortzusetzen, bis ich 
den Vorgang wiederholt gesehen hatte, er spielte sich aber stets 
in der geschilderten Weise ab ; doch gewann ich dabei die Ueber- 
zeugung, als wenn die Verschiebungen, welche in der Phase 3 
ihren Abschluss erreichten, rascher vor sich gingen, als die- 
jenigen, welche in A vollzogen sind und welche die Contraetion 
characterisiren. 

Fig. 5 und 6, bei Oel-Immersion aufgenommen, stellen nun 
aber zweifellos postmortale Imbibitionen dar, obwohl die 
ihnen zu Grunde liegenden Bilder noch lebenden Thieren 
entstammten. Hier war eben durch die Injection selbst eine 
locale Schädigung der betr. Gewebspartieen eingetreten. Beide 
Figuren beziehen sich auf Rossia macrosoma. 

Dass es sich um postmortale Imbibition handelt, geht mit 
Sicherheit aus folgenden Punkten hervor: 

1. sind mehrfach Kerne gefärbt (Fig. 6), 


1) In demselben Sinne äusserte sich später (1886) Albini. 


6 Bernh. Solger: 


2, die Muskelzelle auf grosse Bezirke blass-blau (diffus) 
imbibirt. 

Die blassblauen oder dunkelblauen (hier grau oder schwarz 
dargestellten) Granula gehören entweder gar nicht oder nur zum 
Theil zum Nerven, sondern (das gilt in erster Linie für Fig. 6) 
zur Muskelscheide (gaine museulaire, Phisalix). Aber auch in 
Fig. 5 ist wenigstens ein guter Theil der Granula auf diese 
Muskelscheide zu beziehen, von der sogleich eingehender ge- 
sprochen werden soll. 

Zwei Fragen sind zunächst zu diskutiren; nämlich einmal 
die Frage, ob die Radiär-Fasern wirklich Muskelzellen sind, und 
zweitens, ob die in den 4 ersten Figuren durch Methylenblau 
hervorgehobenen Linien auf Nerven zu beziehen sind. Kann eine 
dieser Fragen bejaht werden, so wird hierdurch bei der innigen 
Verknüpfung von Muskel und motorischem Nerven auch die Er- 
ledigung der anderen Frage näher gerückt. 

Untersuchen wir zunächst, welche Angaben über Muskel- 
nerven der Chromatophoren der Cephalopoden vorliegen. Mir 
sind nur 2 Autoren bekannt, die ihre mit Hülfe neuerer histo- 
logischer Methoden gewonnenen Ergebnisse ihrer Untersuchungen 
bekannt machten, nämlich Joubin und Phisalix. In seiner 
Arbeit: Chromatophores des C&phalopodes!), giebt Joubin einige 
auf Nervenendigungen selbst bezügliche Abbildungen, an denen man 
folgendes wahrnimmt: An eine ausgebildete Chromatophore, deren 
Muskelzellen noch nicht alle ihr definitives Wachsthum vollendet 
haben, tritt von der Seite her ein ziemlich dieker eontourirter 
Strang, der die von den Radiärzellen gelassene Lücke mit einer 
knopfförmigen Verbreiterung ausfüllt (l. e. Fig. 20). Eine bei 
stärkerer Vergrösserung aufgenommene ergänzende Abbildung 
zeigt noch einige weitere bemerkenswerthe Einzelheiten (l. e. 
Fig. 22), nämlich innerhalb des Stranges einen centralen Faden, 
der im Innern des erwähnten Knopfes in eine Endaufsplitterung 
ausgeht. 

Es ist möglich, dass Joubin ein nervöses Gebilde vor sich 
hatte, dann würde es aber, wie das ja auch wohl im Sinne 
Joubins ist, zur Chromatophore selbst gehören. Eine motorische 


1) Arch. zoolog. exper. et gen, 2. ser, vol. X (1892). 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden ete. 7 


Nervenendigung kann es nicht sein, da nur ein einziges derartiges 
Gebilde auf eine ganze Anzahl (etwa 2 Dutzend Radiärzellen, 
also Muskelzellen im Sinne der Mehrzahl der Autoren) kommt. 
Besser steht es mit den von Joubin bei Cephalopoden-Embryonen 
durch Methylenblau sichtbar gemachten verzweigten Figuren; 
hier handelt es sich wenigstens in seiner Fig. 36 (Taf. XII) um 
Nerven. Aber diese aus den Nervenschlingen hervorgehenden 
keulenförmigen Nervenendigungen der Haut (terminaisons en 
massue) haben mit unseren Methylenblau-Bildern auch nichts zn 
thun und an den in Fig. 35 dargestellten Chromatophoren-Nerveu, 
mit denen möglicherweise die schon erwähnten mit einem Knopfe 
an den Strängen identisch sind, sieht man weiter nichts, als dass 
die Chromatophoren an ihnen wie Beeren an ihren Stielen 
hängen. 

Ich lasse übrigens hier, bei den erwähnten technischen 
Schwierigkeiten, die zu überwinden sind, die Frage ausdrücklich 
noch offen, ob es mir bei den von mir ausgeführten Methylen- 
blau-Versuchen gelungen ist, die Nervenfädchen nun auch bis zu 
ihrer allerletzten Endigung zu verfolgen. Zur Lösung dieses 
Punktes von prinzipieller Bedeutung, der zusammenfällt mit dem 
Problem des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Sarkoplasma 
und Muskelfibrillen einerseits und Neuroplasma und Neurofibrille 
andererseits, möchten sich die von mir gewählten Objecte nur 
wenig eignen. 

Dass man auch in der Beurtheilung der Beziehungen be- 
nachbarter Nerven zu irgend welchen Endapparaten sehr behut- 
sam zu Werke gehen muss, ehe man eine wirkliche Nerven- 
endigung annimmt, ist allgemein bekannt. Ich sah bei erwachsenen 
Cephalopoden nach Methylenblau-Behandlung Bilder, welche an 
die von Joubin gegebene Darstellung (l. e. Fig. 35) einigermaassen 
erinnerten, allein die genauere Untersuchung ergab doch stets, 
dass es sich um Nervenverzweigungen in der Nähe 
von Chromatophoren handelte. 

Der zweite der oben erwähnten Autoren, Phisalix!), 
bediente sich bei seinen Untersuchungen zum Nachweis der Nerven 


1) Phisalix, C., Structure et developpement des Chromatophores 
chez les c@phalopodes, Arch. de physiol. norm. et pathol., ser. 5, vol. 4 
(1892), pag. 445—56, I. Tat. 


8 Bernh. Solger: 


der Osmiumsäure und ferner der Pikrinschwefelsäure, mit nach- 
folgender Färbung in Pikrokarmin. Zunächst konstatirte er ein 
Nervennetz in der Haut seiner Untersuchungsobjeete. In den 
Maschen dieses Netzes finde man häufig ovoide, stark licht- 
brechende Körperchen, in denen ein Nervenfädchen endigt. Die 
Frage, ob diese Gebilde Nervenzellen seien oder Organe des 
Tastsinnes, wird von ihm nur aufgeworfen, bleibt aber unent- 
schieden. Was nun die zu den Chromatophoren selbst gehenden 
Nerven betrifft, so meldet er von ihnen, sie seien fast stets 
„replies“ und um sich selbst gewunden (contournes sur eux m&mes). 
Dies scheint sich aber, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, 
auf die von den Chromatophoren noch entferntere Strecke zu 
beziehen; denn nun erst bringt er die Thatsache bei, dass jede 
Chromatophore einen oder mehrere Nerven erhalte, welche sieh 
zu einem Bouquet freier Endigungen (bouquet terminal) auflösen. 
Diese Endzweige liessen, heisst es weiter, eine „disposition moni- 
liforme“ erkennen und endigen (s’epanouissent) in einer Art Ver- 
zweigung, die mit nervösen Körnern oder Knöpfen (de grains ou 
boutons nerveux) besetzt sind, welche (stark liehtbrechend und 
stark gefärbt) bis zur Berührung des Pigmentfleckes zwischen 
die Zellen des „Collerette* vordringen (Fig. 6, n, n), und zwar 
begegnet man diesen Nervenverzweigungen besonders an der der 
Oberfläche (also der Epidermis) zugewandten Seite der Chroma- 
tophoren. In Fig.6 vonPhisalix wäre somit die untere Seite 
nach aussen gerichtet zu denken. — Diese Einzelheiten be- 
schreibt Phisalix an Querschnitten durch das mit Pikrin- 
schwefelsäure fixirte Integument (nachträgliche Färbung mit 
Pikrokarmin). Schon aus der Wahl des Färbungsmittels geht 
hervor, dass in solchen Präparaten von einer eleetiven Färbung 
nervöser Elemente nicht die Rede sein kann. 

Von etwaigen Beziehungen dieser Nervenfäden, welche eben- 
so wie der Stamm des Mantelnerven, zugleich motorische und 
sensible Fasern enthalten, zu den Muskeln meldet er fast nichts. 

Diese Lücke in unseren zootomischen Kennt- 
nissen wäre also durch den von mir gelieferten 
Nachweis der Nerven, die an den Radiärzellen 
endigen, ausgefüllt. Damit ist aber gleichzeitig auch die 
zweite Frage, die nämlich nach der wahren Bedeutung der Zelle so 
gut wie entschieden: Es sind muskulöse Elemente. 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden ete. B) 


Dieser Auffassung stehen freilich die experimentellen Erfahrungen, 
die J. v. Uexküll!) bei unipolarer Reizung (Kühne) erhielt, 
entgegen, nach Untersuchungen, die an Eledone (Octopus, Sepia) 
angestellt wurden; auf sie gestützt gelangt er etwa zu folgenden 
Sätzen: Die Chromatophoren der genannten Thiere sind nicht 
eontraetil, ihre Ausdehnungen werden nur durch die Contraetion 
der vielverzweigten Hautmuskulatur, die sich an die bindege- 
webigen Elemente ansetzt, bedingt. Alle Erscheinungen an den 
-Chromatophoren lassen sich vollkommen erklären, wenn man 
annimmt, dass die Kapsel Elastizität besitzt, die Radiär- 
fasern aber. bindegewebiger Natur sind. Dies 
letztere ist übrigens im Laufe der verflossenen Jahrzehnte mehr- 
fach behauptet worden, aber auch die Deutung ihres Entdeckers 
A. von Kölliker, der sie zuerst für muskuläre Elemente er- 
klärte, fand stets wieder ihre Anhänger. 

Eine gute historische Uebersicht über den Wechsel der 
Meinungen betreffs der in Rede stehenden Gebilde gab Phisa- 
lix ?), auf welche ich hiermit verweise. Soviel mir bekannt ist, 
fanden speciell diese Elemente in den neueren, mit modernen 
Hülfsmitteln angestellten Untersuchungen über den feineren Bau 
des Muskels der Mollusken keine Berücksichtigung. Ich selbst 
hatte leider damals keine Zeit, eigene Erfahrungen über Gebilde 
zu sammeln, die jedenfalls manches: Eigenthümliche zu haben 
scheinen. Denn ©. Vogt und Yung erkennen zwar die mus- 
kulöse Natur der Fasern an, fügen aber hinzu, ihre eigenen Prä- 
parate hätten ihnen keine überzeugenden Bilder geliefert (nach 
Phisalix eitirt), und nach Joubin sollen sie zwar bei den 
Jungen Chromatophoren muskulär sein, bei den Chromatophoren 
des ausgewachsenen Thieres dagegen bindegewebiger Natur. 
Auch Blanchard (Compt. rend., T. 113, p. 565 ff.) reiht 
sie ebenso wie Girod (1882) und Albini (1886), dem Binde- 
gewebe an. 


1) Uexküll, 'J. v., Physiol. Untersuchungen an Eledone mo- 
schata. Zeitschr. f. Biol. Bd. 28. pag. 550—566, 3 Figg. 

2) Phisalix, C., Röcherches physiologiques sur les chromato- 
phores des e&phalopodes. Arch. de physiol. norm. et pathol. 5e serie, 
T. IV., 24 annee, 1892 pag. 209 ff. — S. auch B. Solger, Ueber pig- 
mentirte Zellen und deren Centralmasse, Mitth. d. naturw. Vereins für 
Neuvorpommern und Rügen, 22. Jahrgang (1890), S. 14 und 15. 


10 Bernh. Solger: 


Ob diese zelligen Elemente aus dem Ecetoderm oder dem 
Mesoderm abzuleiten sind, muss einstweilen dahingestellt bleiben. 

Was nun das Verhalten dieser Zellkapsel anlangt, so be- 
steht sie, wie besonders deutlich zu sehen ist, aus hellen, ge- 
blähten (gonflees) Zellen, deren festonirter Umriss sieh deutlich 
gegen die Umgebung absetzt-und die in ihrer Gesammtheit gleichsam 
eine epitheliale Krone bilden. An den erweiterten Chromatophoren 
ist sie kaum zu erkennen, ihre Zellen erscheinen abgeplattet und 
mit ihrer Basis an die Pigmentzelle angedrückt (Phisalix). 

Ebenso steht es mit dem fibrillären Netzwerk, das sich m 
der Umgebung dieser Zellkapsel findet; im Zustand der Ruhe 
eng um die Chromatophore zusammengezogen, ist es ausgedehnt 
und zeigt verlängerte Maschen an der dilatirten Pigmentzelle. 

Dieses fibrilläre Netzwerk, das ich bei meiner Untersuchung 
nicht weiter berücksichtigte, und ebenso die schon erwähnte 
Muskelscheide färben sich, wie Phisalix feststellte, in Pikro- 
karmin gelb, das umgebende Bindegewebe rotb, der von der 
Scheide umschlossene Muskel zinnoberroth. Ueberhaupt spricht 
Phisalix die Muskelscheide als eine Fortsetzung des fibrillären 
Netzwerkes an, denn in Wirklichkeit handelt es sich auch hier 
gar nicht um Fasern, sondern um ein vacuoläres Gewebe, das 
durch die Anhäufung umgebildeter Zellen entstanden sei, deren 
Kern nur bier und da sich’ noch erhalten habe. 

Wenden wir uns nun zur Erklärung von Fig. 8 und 9, 
Fig. 8 stellt eine Chromatophore von Sepia officinalis im frischen 
Zustande dar, aufgenommen bei Seibert, Objektiv, System V. 
Die Contouren z wurden erst bei Anwendung der Oel-Immersion 
wahrgenommen und nachträglich eingezeichnet. 

Nach dem wasP hisalix über die „collerette“ auf Schnitten 
senkrecht zur Oberfläche der Haut eruirte, scheint es sich bei den 
mit z bezeichneten Gebilden auch nur um Theile derselben zu 
handeln; und zwar um solche, welche der Epidermis zugekehrt 
waren. Doch ist auch an die Möglichkeit zu denken, dass die 
sog. „Kittlinien“ der tiefsten Epidermiszellen vorlagen. Die In- 
sertion der tiefer gelegenen Zellen der Kapsel an den Umfang 
der Chromatophore ist deutlich zu erkennen. Die Zellen sind in 
der That blasenförmig und von der gesammten Structur scheint sich 
nichts erhalten zu haben, als die periphere, membranartige Schicht. 

Fig. 9 bringt dann diese tiefer im Umkreis der Chroma- 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden etc. 11 


tophoren gelegenen Zellen der Kapsel zur Darstellung, wie sie 
bei Untersuchung mit der Seibert schen Oel-Immersion er- 
scheinen. Man bemerkt zwischen den blasenförmigen Räumen 
und äusseren Einsenkungen entsprechend pfeilerartige Verbin- 
dungen, welche zwischen der äusseren Schicht der Chromatophore 
und den peripheren Grenzeontouren der „collerette“ sich aus- 
spannen und eine feine Streifung erkennen lassen. Wie schon 
bemerkt, schreibt Phisalix diesen Elementen Elastizität zu 
und von dieser Eigenschaft soli die Retraction der ausgedehnt 
gewesenen Chromatophoren, nachdem die Contraetion des Muskels 
aufgehört hat, abhängen. Bei der Zusammenziehung spielt also 
der elastische Apparat, von dem die Chromatophore umgeben ist, 
eine Hauptrolle; er ist es, der sie stets wieder zu ihrem ursprüng- 
lichen Volumen zurückführt. Mehrfach wurde von mir eine feine 
radiäre Streifung gesehen, welche einen zwischen den Radiär- 
zellen und der stets kleinen, stark zusammengezogenen Chromato- 
phore befindlichen lichten Raum wie ein Strahlenkranz durchsetzte. 

Jede der Radiärfasern besteht aus einer protoplasmatischen 
Masse, mit einem gegen das basale, der Chromatophore zuge- 
gewandten Ende hin verschobenen Kern. Diese Masse wird 
von einer homogenen, stark lichtbrechenden Wand umfasst. An 
der Insertionsstelle des Muskels an die Chromatophore zeigt sich, 
dem Kern entsprechend, eine leichte konische Anschwellung; 
bezüglich der Structur der Muskelzelle beschreibt Phisalix 
noch Fibrillen und Granula. An der Insertionsstelle lösten sich 
die Radiärfasern oft in Ramificationen auf, deren lateral gele- 
gene mit denen der benachbarten Faser anastomosiren. Durch 
central gelegene Granula wird oft das Bild einer unechten Strei- 
fung hervorgerufen; sie gehören ausschliesslich der central ge- 
legenen Faser an, die stark liehtbrechende und homogene Wand- 
schicht ist davon frei. 

Eine solche Gliederung der Muskelfasern in eine Rinden- 
substanz und in Achsensarkoplasma, das Körnchen führt, ist übri- 
gens, wie Ballowitz!) aus der Literatur nachweist, von an- 
deren Muskeln der Cephalopoden schon längst durch H. Müller 
und Leydig bekamnt. 


1) Ballowitz,E., Ueber den feineren Bau der Muskelsubstanzen 
1. Die Muskelfasern der Cephalopoden. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 39, 
pag. 291—324, 2 Taf. 


12 Bernh. Solger: 


Durch den oben geführten Nachweis von Nerven, welche 
zu den Radiärzellen treten, ist ohne Zweifel das Gewicht der 
Gründe, welche für ihre muskulöse Natur sprechen, erheblich 
verstärkt worden. 

Zu denjenigen Forschern, welche an der eben erwähnten 
Deutung der Radiärfasern festhalten, gehört auch Phisalix 
Er bringt übrigens nicht nur anatomische Thatsachen, sondern 
auch eine Reihe experimenteller Erfahrungen zur Stütze seiner 
Meinung bei. 

Die helleren oder dunkleren Granula und lineären Streifen, 
die man in meinen Fig. 5 und 6 in dem Gebiete der Radiär- 
muskeln durch Methylenblau hervorgehoben findet, sind zweifel- 
los ebenso, wie die diffuse Färbung des Kerns und der centralen 
Partie des Muskels selbst auf postmortale Imbibition dieses Ge- 
bildes und seiner Scheide (gaine museulaire), deren feineren Bau 
Phisalix schildert, zurückzuführen. Nur soviel sei hier er- 
wähnt, dass diese Scheide am Rande des Muskels unter der 
Form körmiger Züge mit festonirten, also gefalteten Rändern 
uns entgegentritt. 


8: 1Ueher acecessorische. Theile, -besangezs 
über die Zellkapseli 

Zu den accessorischen Theilen der Chromatophoren gehören 
aber ausser der eben erwähnten Muskelscheide noch andere Ge- 
bilde, nämlich eine elastische Hülle und ein diese Hülle umgeben- 
des fibrilläres Netzwerk. Die Bewegungen der Chromatophoren 
der Gephalopoden werden durch 2 antagonistische Kräfte her- 
vorgerufen, nämlich 1) durch muskuläre und 2) elastische, von 
welchen jene von einem Kranz radiärer Muskeln ausgeht, wäh- 
rend die andere durch eine elastische Hülle, die der Chroma- 
tophore und ihren Muskeln fest anhaftet und die nach der Aus- 
dehnung passiv in ihren früheren Spannungszustand zurückkehrt, 
repräsenftirt wird (Phisalix). Wir wollen diese elastische 
Hülle, welche Phisalix als collerette bezeichnet, und die 
vielleicht der Umhüllungsmembran von Harless entspricht, in 
der Folge einfach als Zellkapsel bezeichnen, weniger mit 
Rücksicht darauf, dass sie die Chromatophore, an deren ein- 
zelliger Natur ich (gegenüber einer von Phisalix früher ge- 
äusserten Anschauung) übrigens festhalte, einschliesst, als weil 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden etc. 13 


sie, wie Phisalix nachwies, selbst aus metamorphosirten Zellen 
entstanden ist. 

Da ich hier und da Andeutungen eines äusseren Contours 
wahrzunehmen glaubte, so dürfte die Strahlung somit nichts an- 
deres sein, als eine modifizirte Zellkapsel. 


$S3. Ueber Entwicklungsstadien der Chromato- 
phoren. 


In Folgendem gebe ich eine kurze Darstellung der That- 
sachen, die über die Entwicklung der Chromatophoren der 
Cephalopoden vorliegen, sie ist der Hauptsache nach ein Auszug 
aus der schon mehrfach eitirten im Jahre 1892 veröffentlichten 
Arbeit von Phisalix (Arch. d. phys. norm. et pathol. ser. 5 
Bd. 4 p. 445 ft. 

Die bisher über diesen Gegenstand vorliegenden Unter- 
suehungen haben hinsichtlich der fundamentalen Frage nach der 
Abstammung der Chromatophoren bisher noch zu keiner Ueber- 
einstimmung geführt. Nach Klemensiewiez und Girod ent- 
wiekeln sich die Chromatophoren (einschliesslich der Radiär- 
muskeln) auf Kosten des Mesoderms. Derselben Ansicht sind auch 
Phisalix und Faussek!). Joubin dagegen leitet die pigmen- 
tirte Zelle von dem Eetoderm ab, während allerdings die Radiär- 
fasern sich auf Kosten des Mesoderms entwickeln. 

Diesen Angaben gegenüber betont Phisalix ausdrücklich, 
dass von irgend welchen Anzeichen der von Joubin behaupteten 
Einstülpung ectodermaler Elemente nichts wahrzunebmen sei. Es 
handele sich vielmehr um eine Differenzirung mesodermaler Ele- 
mente, und diese Sonderung gewisser Zellen zu Vorstufen von 
Chromatophoren, deren spätere Bestimmung sich vorher durch 
kein Merkmal verrathe, beginne bei den Embryonen von Sepia 
(seiche) auf jener Entwicklungsstufe, auf welcher der Dotter in 
das Innere des Körpers einzutreten anfange. Freilich gilt dieses 
verhältnissmässig späte Auftreten der Chromatophoren, wie ich 
hier einschalten möchte, nicht für alle Glieder der Gruppe der 
Cephalopoden. So beobachtete Grenacher?) bei einem nicht 


1) Faussek, V., Zur Cephalopodenentwicklung, Zool. Anzeig. 
Nr. 519 (1896). 

2) Grenacher, H.,, Zur Entwickelungsgeschichte der Cephalo- 
poden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIV, pag. 426 ff. 


14 Bernh. Solger: 


näher bestimmbaren Cephalopoden aus der Gegend von Porto 
srande (Capverden), von dem ihm eine Reihe von Entwicklungs- 
stadien vorlagen, ein sehr frühzeitiges Auftreten der Chromato- 
phoren; sie erscheinen hier schon zu einer Zeit, zu der das 
Blastoderm die Dotterkugel noch gar nicht vollständig umwachsen 
hat, und zwar in der Gegend des unteren Poles der Dotterkugel, 
wo die Blastodermanlage sich schon etwas von der Dotterkugel 
abgehoben hat, als die ersten Differenzirungsproducte derselben. 
Grenacher beschreibt ihre Gestalt im Allgemeinen als stern- 
förmig, doch sah er an gewissen Stellen auch solche von rund- 
licher Form; er konnte sie übrigens nur am frischen Objeete 
studiren. — Bei Sepia treten, wie eben bemerkt, die ersten An- 
zeichen einer Differenzirung der Chromatophoren erst zu einer 
Zeit auf, in der die Embryonen schon eine Länge von 3 und 4 mm 
erreicht haben, und zwar erscheinen sie am frühesten am Rücken 
in der zwischen den Flossen gelegenen Körpergegend. 

Den Zeitabschnitt, innerhalb dessen sich die verschiedenen 
Form- und Structurveränderungen von ihrem ersten Auftreten an 
bis zur vollendeten Ausbildung der Chromatophoren vollziehen, 
gliedert Phisalix in zwei Perioden. — I. Periode: Alle 
Zellen des Mesoderms anastomosiren durch protoplasmatische 
Fortsätze mit einander. Aus dem so gebildeten Netzwerk heben 
sich von Strecke zu Strecke Zellen ab, welche sich durch ihre 
grösseren Dimensionen und durch sonstige Charaktere (z. B. durch 
das Verhalten des Kerns) von jenen unterscheiden. Es sind diese 
Elemente um die sich entwickelnde Chromatophore, deren Gra- 
nula zunächst noch farblos sind, aber mehr und mehr dunkel 
werden, ohne Ordnung gruppirt, später fangen sie jedoch an, 
in bestimmter Weise sich zu orientiren, wobei die Chromato- 
phoren den Mittelpunkt der Zellrosette abgiebt; auch pflegen 
ihre Kerne in radiärer Richtung verlängert zu sein. 

II. Periode: Sie beginnt kurz vor dem Ausschlüpfen 
der Embryonen und führt zunächst zu einer beträchtlichen Ver- 
grösserung eines centralen, in der Umgebung des Kerns der 
Chromatophore auftretenden Hohlraumes, der schon während der 
ersten Entwicklungsperiode sich bemerklich gemacht hatte. Noch 
mehr charakterisirt sich jedoch dieser Abschnitt durch das Auf- 
treten der seeundären Chromatophoren, welche durch 
manche Eigenthümlichkeiten von den vorigen, den primären, 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephbalopoden etc. 15 


sich unterscheiden. Während nämlich die primären Chromato- 
phoren eine zusammenhängende Schicht bilden, welche unmittel- 
bar unter der Epidermis liegt, aber von ihr durch ein Lager von 
Mesodermzellen getrennt ist, finden sich die nun auftretenden 
seeceundären Ühromatophoren ohne deutliche Ordnung unter 
der vorigen Lage. Auch sie haben einen Hohlraum, um welchen 
sich, besonders aber gegen die Enden der meist ovalen Zelle 
bräunliche Granula anhäufen. Da man an manchen Stellen Haufen 
dicht beisammenliegender Elemente dieser Art begegnet, ist Phi- 
salix geneigt, sie als Reserve-Öentren anzusehen, von denen die 
Verbreitung der Chromatophoren über die an Ausdehnung all- 
mählich zunehmende Oberfläche des Körpers auszugehen habe. 
Auf diese Beobachtungen gestützt, weist Phisalix die „bizarre 
Hypothese“ Joubin’s zurück, nach welcher die Muskeln der 
embryonalen Chromatophoren zu ihrer Ortsveränderung und zu 
ihrer Zerstörung dienen sollien. — Erst später ordnen sich um 
diese seeundären Pigmentzellen, von denen wahrscheinlich ein 
sehr grosser Theil der gelblichen Chromatophoren des erwachsenen 
Thieres herstammt, radiäre Zellen an. Man kann somit die 
Pigmentzellen als amoeboide Zellen ansehen, welche auf dem 
Wege der Pigment-Degeneration sich befinden. 

Bildungsweise der Chromatophoren beim erwachsenen Thiere. 
— Beim erwachsenen Thiere ist die Production neuer Chromato- 
phoren (wir folgen immer noch den Angaben von Phisalix) 
zwar weniger activ als beim Embryo, allein sie fehlt keineswegs 
ganz; sie vollzieht sich hier wie in der Embryonalzeit auf Kosten 
der Bindegewebszellen der Haut und nach demselben Modus wie 
dort. Als Untersuehungs-Objeet wird besonders Sepiola empfohlen. 
Bei erwachsenen Exemplaren dieses Genus finde man ziemlich 
zahlreiche kleinere Pigmentflecke, deren Aussehen merklich von 
dem der ausgebildeten Chromatophore abweiche. Die eine Form, 
die uns hier weniger interessirt, besteht nach seiner Schilderung 
aus einer Zellgruppe, in deren Mittelpunkte je nach der Grösse 
dieser Flecke eine oder mehrere Anhäufungen von Pigment sich 
finden, die, wenn ich den Autor recht verstanden habe, auch 
ihrerseits von degenerirenden Zellen eng umschlossen sind. Die 
zweite Form dieser auf Chromatophoren zu beziehenden Zellen- 
gruppe müssen wir genauer in’s Auge fassen. Es handelt sich 
hierbei um eine einzige Zelle, um welche die benachbarten Ele- 


16 Bernh.:Solger: 


mente eine radiäre Anordnung annehmen. Die centrale Zelle, 
die auf der von Phisalix veröffentlichten Abbildung (l. e., Fig. 4) 
sich dargestellt findet, war übrigens schon pigmentirt. 

Zur Kenntniss dieser rudimentär gebliebenen (also am Ende 
ihrer Entwickelung angelangten) oder, was ja ebenso gut möglich 
ist, noch mitten ihrer Entwickelung stehenden Chromatophoren 
kann ich selbst einige Beiträge liefern. — Betrachten wir zu- 
nächst Fig. T genauer! Es handelt sich um eine chromatophoren- 
ähnliche Zelle von Illex Coindetii. Das betreffende Exem- 
plar, das freilich erst soeben abgestorben in meine Hände gelangt 
war, maass von der Wurzel der Arme bis zum Körperende 10cm, 
war also wohl ausgebildet. Im Bereiche des Mantels wurde nun 
alsballl eine subeutane Injection von Methylenblau (von der oben 
angegebenen Concentration und Mischung) gemacht. Nach einiger 
Zeit konnten Scheerenschnitte hergestellt werden, die mit Sei- 
bert’s Obj. — S. II (Ocular II) untersucht wurden. Es zeigte 
sich folgender Befund: Zwischen vollkommen ausgebildeten Chro- 
matophoren standen ganz kleine, offenbar mit ursprünglich farb- 
losen, nun intensiv blau tingirten Granulis erfüllte Elemente, um 
welche herum — allerdings in einem auffallend grossen Abstande, 
dessen Bedeutung mir nicht klar geworden ist, ein Kranz von 
Zellen sich ordnete, deren basaler Theil mit Methylenblau stark 
imprägnirt war. — Auch folgende am Integumente eines gleich- 
falls eben abgestorbenen Exemplares von Loligo offieinalis 
gemachte Beobachtung gehört hierher. Dass an diesem Thiere 
die Epidermis fast in ihrer ganzen Ausdehnung abgelöst war, 
erwies sich für die Herstellung von Flächenpräparaten des in 
Sublimat fixirten Coriums nur günstig. An solchen, nachträglich 
mit Hämatoxylin gefärbten Partieen der Lederhaut ergab sich 
u. A. folgendes Bild: Eine grosse Zelle von ellipsoidischem Um- 
risse mit ähnlich geformtem fast central stehenden und durch 
Hämatoxylin färbbaren Kerne, deren Körper der Pigmentablage- 
rung vollkommen entbehrte, zeigte sich von einem Kranz zahl- 
reicher (etwa 25—30), viel kleinerer Elemente von ungefähr 
kubischer, eylindrischer oder polymorpher Gestalt umgeben, die 
nur an einigen Stellen in 2 Schichten angeordnet waren (8. 
Fig. 10). 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die central 
gelegene Zelle (ich betone mit Rücksicht auf eine schon 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden etc. 7 


erwähnte Aeusserung Phisalix’s, dass ich nur ein ein- 
ziges Element im Sinne habe) der ganzen Gruppe die 
grösste Aehnlichkeit mit einer unfertigen Chromatophore hat. 
Derartige Bilder lagen wohl auch schon Phisalix!) (1886) vor, 
der ihnen eine eigenthümliche Deutung gab. Darnach sollten 
die Chromatophoren „Vacuolen* sein, die nachträglich mit Zellen 
erfüllt wurden, welche die Pigmentdegeneration erlitten hätten. 
Die Chromatcphoren wären demnach zusammengesetzte Gebilde, 
deren hauptsächlichste Elemente von transformirten Zellen ab- 
stammen, und zwar ordne sich zweimal ein Kranz von Zellen 
um die sich ausbildende Chromatophore. 

Meiner Meinung nach liegt die Sache wohl einfacher. Die 
central gelegene Zelle würde in unserem Falle, wenn sie nicht 
in ihrer Ausbildung unterbrochen worden wäre, ihre bisher noch 
farblosen Granula, wie mir scheint, allein durch ihre eigene 
Lebensthätigkeit zu Pigmentschollen metamorphosirt haben, wäh- 
rend die Elemente des sie umgebenden Zellenkranzes entweder 
nur den elastischen Apparat oder gleichzeitig auch die Radiär- 
Muskeln geliefert haben würden. 

Dem Studium der ersten Entwicklungsstadien der Chromato- 
phoren konnte ich bei der Fülle von anderen Fragen, deren 
Beantwortung ich während meines Aufenthaltes in Neapel in 
Aussicht genommen hatte, leider keine Zeit widmen. Nur auf 
eine während einer späteren Entwicklungsphase zu beobachtende 
Erscheinung, deren Kenntniss wir Joubin?) verdanken, möchte ich 
zum Schlusse noch hinweisen, nämlich auf eine zu einer gewissen 
Zeit bei Embryonen von Loligo marmorata vorübergehend 
bestehende unverkennbare Symmetrie der Chromato- 
phoren, so dass am Mantel wie am Kopfe deutliche Querreihen 
zu Stande kommen. An sechs Exemplaren von weit entwickelten 
Embryonen der genannten Species, die kurz vor dem Ausschlüpfen 
(Ende Januar) standen, kehrte stets derselbe regelmässige Be- 
fund in seinen Grundzügen wieder. Besonders scharf ausgeprägt 


1) Comp. rend., T. 102, p. 775—177. 

2) Leider kounte ich die schon oben eitirte Arbeit Joubin’'s 
mir erst bei Erledigung der Correctur verschaffen; ich muss mich da- 
her darauf beschränken, an dieser Stelle auf seine ausführlichen An- 
gaben, die ich im Wesentlichen bestätigen kann, zu verweisen (verg!. 
bee D2296 4 und, Far X]). 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 2 


18 Bernh. Solger: 


war diese regelmässige Anordnung auf der dorsalen Fläche 
(Fig. 11) der Embryonen, wo die Chromatophoren auch nicht so 
dicht stehen, als auf der ventralen (wenigstens, soweit das Ge- 
biet des Mantels reicht), aber auch auf der ventralen Fläche 
(Fig. 12) tritt die symmetrische Vertheilung der pigmentirten 
Elemente am Kopfe und .an den Armen unverkennbar hervor. 
Manchmal erscheint die Symmetrie gestört oder unvollkommen ; 
dann tritt die vitale Methylenblaufärbung (Einsetzen der noch 
von den Eihüllen umschlossenen Embryonen in Seewasser, dem 
eine stark verdünnte Lösung des Farbstoftes zugesetzt war) er- 
gänzend ein, denn nunmehr gelingt es (wenigstens auf der be- 
zeichneten Entwicklungsstufe) fast stets, die fehlenden Glieder 
dureh künstliche Färbung ihrer Granula hervorzuheben. Das war 
auch in dem unseren beiden Abbildungen (Figg. 11 und 12) 
zu Grunde liegenden Falle eingetreten, hier sind die künstlich ge- 
färbten Chromatophorenanlagen durch Kreise wiedergegeben. 
Greifswald, Anatomisches Institut. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel 1. 


Sämmtliche Figuren beziehen sich auf Chromatophoren von 

Cephalopoden des Golfes von Neapel. 

Fig. 1. Chromatophore von Rossia macrosoma. Vitale Färbung dreier 

“ Nerven, die den stumpfen Ecken der Chromatophoren ent- 

sprechend angeordnet sind. Schwache Vergrösserung (Sei- 

bert, Obj. II). 

Muskelnerv einer Chromatophore von derselben Species bei 

starker Vergrösserung (Oel-Immersion, Seibert). 

Fig. 3. Vitale Färbung zweier benachbarter Muskelnerven einer Chro- 
matophore von Loligo vulgaris mit dem Zeichenapparat auf- 
genommen bei Seibert, Obj. V. 

. 4. Ein und derselbe Muskel und Muskelnerv einer Chromatophore 
in zwei verschiedenen Contractions-Zuständen des ersteren. 
Sepiola Rondeletii. 

. 5 und 6 stellen Muskeln der Chromatophoren von Rossia macro- 


> 
be) 
W 


» ® 
soma dar, und zwar im Zustande postmortaler Imbibition mit 
Methylenblau; Untersuchung mit Seiberts Oel-Immersion. 
Fig. 7. Ersatz-Chromatophore von Illex Coindetii. Das betreffende 


Exemplar, das, soeben abgestorben, zur Untersuchung gelangte, 
maass von der Wurzel der Arme bis zum Körperende 10 cm. 
Imprägnation mit Methylenblau. Seibert, Obj. II, Oeul. IH. 
Fig. 8. Chromatophore von Sepia officinalis, frisch. Aufgenommen 
mit Seibert, Obj. V. Die Contouren bei z wurden erst bei 


Zur Kenntniss der Chromatophoren der Cephalopoden ete. 19 


Anwendung der Oel-Immersion wahrgenommen und nachträg- 
lich eingezeichnet. 

Fig. 9. Unteres Segment der vorhergehenden Figur bei Anwendung 
der Oel-Immersion und tiefer Einstellung auf den Grenz-Con- 
tour der Pigmentmasse, hat einen scharfen Contour, welcher 
der Zellgrenze entspricht. Zwischen dem Grenzcontour und 
der äussersten Schieht der Chromatophore pfeilerartige Ver- 
bindungen von anscheinend fibrillärem Bau. 

. Fig. 10. Vorstufe einer Chromatophore sammt Adnexa von Sepia offi- 
einalis. Methylenblau. 

Fig. 11 und 12 stellen einen und denselben Embryo von Loligo mar- 
morae dar, nach Einwirkung von Methylenblau, Fig. 12 von 
der ventralen, Fig. 11 (einen Tag später aufgenommen) von 
der dorsalen Fläche. 


Untersuchungen über Zelltheilung. 


Von 


Bernhard Rawitz. 


Hierzu Tafel II. 


II. 


Die Theilung der Hodenzellen und die Spermatogenese bei 
Seyilium eanieula L.!) 

Die in den folgenden Zeilen mitzutheilenden Untersuchungs- 

ergebnisse bilden den Anfang einer grösseren Reihe von Arbeiten, 

welche ich über die Theilung der Hodenzellen bei Wirbelthieren 


1) Das Material von Scyllium canicula sammelte ich während 
eines Aufenthaltes in der zoologischen Station zu Rovigno. Herrn 
Dr. Hermes für die liebenswürdige Aufnahme, die ich allezeit in seiner 
Station gefunden, auch an dieser Stelle zu danken, ist mir eine ange- 
nehme Pflicht. Der Aufenthalt in Rovigno wurde mir durch ein vom 
Königl. Preussischen Kultusministerium bewilligtes Stipendium 
ermöglicht. Hierfür meinen ehrerbietigen Dank auszusprechen, ist mir 
Bedürfniss. Wie bisher immer, so standen mir auch bei der Aus- 
führung dieser Arbeit die Mittel des physiologischen Institutes der 
hiesigen thierärztlichen Hochschule zur Verfügung; dem Chef des 
Institutes, Herrn Professor Hermann Munk, statte ich daher hier- 
mit meinen aufrichtigsten Dank ab. 


50 Bernhard Rawitz: 


und Wirbellosen zu veröffentlichen beabsichtige. Der Gesichts- 
punkt, der mich hierbei leitet, ist der, an einer grösseren Reihe 
von Thieren der verschiedensten Typen durch systema- 
tische Untersuchungen festzustellen, unter welchem Bilde die 
Attraktionssphäre im den Hodenzellen erscheint, welche Bedeu- 
tung sie bei deren Theilung besitzt und wie und in welcher 
Weise sie sich am Aufbau des Spermatosoma betheiligt. 

In einer vor zwei Jahren in dieser Zeitschrift veröffentlichten 
Arbeit (9)Y;, die ich als Prooemium dieser Untersuchungen be- 
trachten möchte, war ich zu Resultaten betreffs der Spindel- 
bildung gekommen, die so sehr von der hergebrachten Dar- 
stellung abwichen, dass dadurch der Gedanke an eine so aus- 
sedehnte Untersuchung nahe gelegt wurde. Was ich in jener 
erwähnten Abhandlung beschrieben, halte ich übrigens — dies 
nebenbei bemerkt — der mehr aprioristischen Kritik von Meves 
(6) gegenüber voll aufrecht. 

Eine solche Untersuchung, von einem Einzelnen in der 
beabsichtigten Ausdehnung durchgeführt, scheint mir auch des- 
wegen von Werth, weil dadurch wirklich einmal festgestellt 
werden kann, wie beschaffen die Sphäre in den Hodenzellen 
der Thiere der verschiedensten Typen ist und wo die Vergleichs- 
momente zu suchen sind. Gegenwärtig nämlich kann meines 
Erachtens keine Rede davon sein, dass wir für Analogieen und 
Homologieen eine gesicherte thatsächliche Unterlage hätten. 
Der Eine beschreibt das Verhalten der Sphäre in den Hoden- 
zellen einer Nematode und vergleicht seine Befunde mit denen, 
welche ein Anderer an den Eizellen einer Schnecke erhalten; 
und vice versa. Wir kennen eine Fülle der interessantesten 
Thatsachen und haben doch keine Richtschnur für die Ver- 
gleichung. Beweis dafür unter anderem auch der Streit, was 
man unter einer „Attraktionssphäre“ zu verstehen hat und ob 
überhaupt die Sphäre ein distinkter, wohl charakterisirter Be- 
standtheil der Zelle ist, ob das Centrosoma die Hauptsache ist, 
oder ob, wie ich bis jetzt noch immer glaube, die Prävalenz 
dieses Gebildes nur eine scheinbare ist, nur auf der meist ver- 
wendeten Eisenhämatoxylinmethode beruht. 


1) Die Zahlen in Klammern hinter den Namen weisen auf das 
am Schlusse folgende Literaturverzeichniss hin. 


Untersuchungen über Zelltheilung. 21 


Die Ausdehnung, die ich meiner Untersuchung zu geben 
beabsichtige, erlaubt mir aber auch, mich bei Besprechung meiner 
Resultate auf diejenigen Literaturangaben zu beschränken, die 
sich auf die gerade von mir untersuchte Gruppe beziehen. Da- 
her werde ich in der vorliegenden Veröffentlichung ausschliess- 
lieh auf die Arbeiten über Selachierhoden Rücksicht nehmen. 
Ferner bin ich dadurch zur Zeit noch der Pflicht überhoben, 
aus meinen Resultaten Schlüsse von allgemeiner Bedeutung zu 
ziehen. Denn naturgemäss kann eine allgemeine Erörterung mit 
Nutzen erst dann erfolgen, wenn das gesammte Vergleichungs- 
material vorliegt. Vielleicht ist bisher auch darin von den Au- 
toren zu viel geschehen. Auf Grund einiger wenn auch noch 
so wichtiger und interessanter Befunde, die an einem einzigen 
Objekte gemacht waren, wurde fast jedesmal in grösster Aus- 
führlichkeit das ganze Problem der Zelltheilung, das der Be- 
fruchtung, der Vererbung ete. diskutirt, ohne dass dabei ein er- 
kleklieher wissenschaftlicher Gewinn abfiel. Sehr viele Autoren, 
die über Zelltheilung geschrieben, kommen mir vor — ich will 
damit Niemandem persönlich zu nahe treten — wie ein Geograph, 
der die Provinz Brandenburg beschreibt und daran eine Er- 
örterung der ganzen physischen Geographie der nördlichen Erd- 
hälfte knüpft. Vielleicht wären wir im Verständniss der Zell- 
theilungsvorgänge schon weiter, hätte jeder Einzelne sich mehr 
Reserve auferlegt. 


Im Vorstehenden habe ich bereits den Ausdruck „Attrak- 
tionssphäre“ gebraucht, also mich an die alte van Beneden- 
sche Terminologie gehalten. Ich weiss sehr wohl, dass der 
van Beneden’sche, zur Kennzeichnung gewisser am sich furchen- 
den Ascarisei zu konstatirender Erscheinungen bestimmte Aus- 
druck im Sinne jenes Autors bei anderen Zellen nieht ganz zu- 
treffend ist. In meiner früheren Arbeit (9) habe ich ausdrück- 
lich hervorgehoben, dass van Beneden’s „zone corticale* an 
den Sphären der Zellen des Salamanderhodens nieht vorkommt, 
dass daher die Bezeichnung „sphaire attractive“ in dem von 
van Beneden gewollten morphologischen Umfange nicht 
zutrifft. Den Ausdruck selber aber glaubte ich beibehalten zu 
sollen, einmal weil ein besserer zur Zeit, wenigstens meines Er- 
achtens, nieht vorhanden ist, und dann weil nach meinen Unter- 


22 Bernhard Rawitz: 


suchungen das fragliche Gebilde wirklich einen „anziehenden* 
Einfluss auf die ersten Chromosomenanlagen ausübt (9, pag. 179). 

In mir erfreulicher Uebereinstimmung befinde ich mich 
insofern mit Meves (6), als derselbe gleich mir die Attraktions- 
sphären in den Hodenzellen des Salamanders als besondere distinkte 
Gebilde anerkennt. Leider kann ich mich mit den anderen 
hierauf bezüglichen Ansichten von Meves nicht so einver- 
standen erkläreu. Wenn dieser Autor in seinem Referate über 
Zelltheilung (6, pag. 313) das Charakteristische der Attraktions- 
sphäre in der Anwesenheit des Centrosoma zu sehen scheint, so 
kann ich dem nicht zustimmen und verweise zur Begründung 
meines ablehnenden Verhaltens gegen diese Charakterisirung 
auf meine Abhandlung „über die Zellen in den Lymphdrüsen 
von Macacus eynomolgus“ (dies Arch. Bd. 45), gegen deren 
Resultate stud. med. Schumacher eine ganz unzureichende 
Polemik geführt hat. Durch seine Auffassung ist Meves auch 
zu seiner neuen Terminologie gekommen (6, pag. 315). Er 
nennt die Sphäre „Idiozoma“, denn sie stellt eine „spezifisch 
beschaffene Hülle“ dar, „welche die Centralkörperchen in den 
männlichen Samenzellen !) umgiebt“. Ich kann nicht finden, 
dass bisher ein wirklich stringenter Beweis dafür erbracht wäre, 
dass die Sphäre nichts weiter sei als eine Hülle für das Cen- 
trosoma: im Gegentheil: manche Thatsachen sind bekannt ge- 
worden, dass Sphären vorkommen, auf die jene Definition nicht 
passt. Meves selber hat die interessanten Veränderungen der 
Sphären in den Spermatogonien des Salamanders beschrieben, 
bei denen kaum von einer Hülle der Centrosomen gesprochen 
werden kann. Ich werde in Folgendem ähnliche Verhältnisse 
bei Seyllium zu schildern haben. Wozu überhaupt einen neuen 
Namen ? Attraktionssphäre, Archiplasma oder gar das barbarische 
Archoplasma, Aströsphäre, Centrosphäre, Idiozoma, Nebenkern: 
wahrlich Namen genug, um die Möglichkeit einer Verständigung 
weit hinauszurücken. Je mehr Bezeichnungen übrigens in der 
Wissenschaft für ein Gebilde vorhanden sind, um so weiter sind 
wir vom Verständnisse desselben entfernt: das ist eine alte Er- 
fahrung. Haben wir, um ein Beispiel anzuführen, denn noch ein 


1) Männliche Samenzelle ist ein Pleonasmus; eine Samenzelle 
beim Thier ist immer männlich, weibliche Samenzellen giebt es nicht. 


Untersuchungen über Zelltheilung. 23 


Recht auf die Anwendung des Namens „Zelle*? Das, was wir 
unter Zelle verstehen, ist doch etwas ganz anderes, als was 
Schwann, Remak und Reichert darunter verstanden 
haben. Warum können wir es mit dem Terminus „Attraktions- 
sphäre“ nicht ebenso halten ? Es existirt in der Zellsubstanz der 
Hodenzellen vieler Thiere eine Bildung, die mit gewissen Färbe- 
methoden (Flemming’s Orangeverfahren, Thionin, adjektive 
Anwendung der Aniline, Alizarin ete.) klar hervorzuheben ist und 
die offenbar bei der Theilung dieser Zellen eine bestimmte Rolle 
Spiels: dieseBildwnglisteinevAttraktionssphäre. 
Ob mit dieser Definition das van Beneden’sche Schema über- 
einstimmt oder nicht, ist gleichgiltig; genug, dass wir ungefähr 
wissen, was mit dieser Bezeichnung gemeint sein soll. Wie be- 
schaffen die Sphäre in den verschiedenen Thiertypen ist, ist 
Objekt der Untersuchung; aber wären die Differenzen noch so 
gross, der einmal vorhandene Name, der das Recht der Priorität 
für sich hat, wäre dennoch beizubehalten, ebenso wie die Be- 
zeichnung „Zelle* für so verschiedene, vom ursprünglichen 
Schema limmeiweit abweichende morphologische Gebilde wie 
Ganglienzelle, Muskelzelle, Drüsenzelle beibehalten wird. Bei 
möglicherweise noch so beträchtlicher Verschiedenheit im Aus- 
sehen der einzelnen Sphären: in ihrer Bedeutung für das Leben 
der Zellen könnten sie dennoch übereinstimmen. 

Das Hervorheben der Bedeutung des Centrosoma beruht 
meines Erachtens lediglich auf den Resultaten der unglückseligen, 
sogenannten „regressiven“ Färbungsmethoden. Ich habe aus- 
führlieh in der Nr. 3 des XIII. Bandes des „anatomischen An- 
zeigers“ meine Ansichten über das Unzuverlässige dieser Methoden 
aus einander gesetzt, bei denen man „so lange differenziren“ 
kann, „bis gar nichts mehr different, d. h. bis alles wieder völlig 
entfärbt ist“. Auf das dort Gesagte sei hiermit verwiesen. Ich 
bin erfreut, mich mit F. Hermann (2)!) in Uebereinstimmung 
zu wissen, der auch den „regressiven“ (!) Methoden nicht sehr 
zu trauen scheint. Darum habe ich mich — um nach dieser 
terminologischen Einleitung, welche mir aber nicht überflüssig 


1) Ich bin genöthigt, bei dem Namen Hermann immer den 
Vornamen zuzufügen, da in dieser Abhandlung zwei Autoren gleichen 
Namens zu erwähnen sind. 


24 Bernhard Rawitz: 


erschien, die von mir benützte Technik kurz zu erwähnen — für 
die Untersuchung am Selachierhoden zur Tinetion, da mich auch 
Flemmings sonst ausgezeichnetes Orangeverfahren im Stich 
liess, ausschliesslich des Alizarins bedient. Die echte Färbung, 
die man mit dieser Substanz erzielt, schien mir eine Gewähr für 
die Zuverlässigkeit der gewonnenen Bilder zu bieten. Die 
Technik der Anwendung des Alizarius ist von mir in der Nr. 10 
des XI. Bandes des „anatomischen Anzeigers* ausführlich be- 
schrieben. Fixirt war das von Seyllium canieula stammende Material 
inFlemming’scher Lösung; die Schnittdieke betrug 5— T!/, u. 


A. Zelltheilung. 


Ueber den gröberen Bau des Selachierhodens brauche ich 
nichts anzuführen, da diese Frage seit den Untersuchungen von 
Hallmann (1) und Lallemand (5) erledigt ist. Das Haupt- 
konstituens des Organs sind bläschenförmige Gebilde, die soge- 
nannten Ampullen, deren Verbindungsweise mit dem Neben- 
hoden auf Schnitten nicht immer zu erkennen ist. Nur an den- 
jenigen Ampullen, welche reife Spermatosomen enthalten, kann 
man diese Verbindung wahrnehmen, während an den übrigen, 
namentlich den die Spermatogonien enthaltenden, eine solche 
Verbindung nicht erkennbar ist. Diese letzteren Ampullen würden 
darum besser Cysten heissen. 

Auf einem Transversalschnitte durch den Hoden sieht man, 
dass an der einen Seite die Cysten mit den Spermatogonien 
sich finden, während an der entgegengesetzten die Ampullen mit 
den reifen bez. reifenden Spermatosomen gelegen sind. Die 
weitere Anordnung ist dann so, dass auf die Cysten mit den 
Spermatogonien nach innen zu die mit den Spermatocyten, dann 
die Spermatiden haltigen und endlich diejenigen folgen, in welchen 
die Spermatogenese sich vollzieht. Letztere grenzen an die Am- 
pullen mit den reifenden Spermatosomen. Nach G. Herrmann 
(3) sollen allerdings die Verhältnisse anders liegen. Nach diesem 
Forscher kann man auf Transversalschnitten durch die Hoden 
von Seyllium, Squatina und Raja eine äussere Zone, in welcher 
ein Wachsthum der Ampullen stattfindet, eine mittlere Zone, 
in welcher die Ampullen mit Spermatoblasten (Spermatocyten) 
angefüllt sind, und eine innere Zone unterscheiden, in welcher 
die eigentliche Spermatogenese vor sich geht. Diese Angabe 


Untersuchungen über Zelltheilung. 25 


ist sicherlich unrichtig, denn weder auf Transversal- noch auf 
Dorsoventralschnitten war in den Hoden der zahlreichen Exem- 
plare von Scyllium cavnieula, die ich untersuchte, eine andere 
als die von mir beschriebene Anordnung zu sehen. 

Jede einzelne Oyste bez. Ampulle ist von einer relativ 
starken bindegewebigen Kapsel, in der Kerme nicht wahrzu- 
nehmen sind, umgeben. Wohl findet man an der Kapsel dicht 
anliegend Kerne, die von einem sehr zarten und schmalen Proto- 
plasmamantel umhüllt sind; doch sind dies keine Bindegewebs- 
kerne, sondern die Kerne der Stützzellen (Fig. 1, 2,3, st). Von 
der‘ Kapsel (Fig. 1—4, k) gehen zahlreiche derbe Züge in 
radiärer Richtung gegen den Hohlraum der Ampullen bez. Cysten 
(Fig. 1, 2,4,b), die wiederum durch zarte Bindegewebslamellen 
unter einander in Verbindung stehen. Letztere, die sich mannig- 
fach kreuzen und gegen das Lumen der Cyste hin ein zartes, 
schleierartiges Gewebe bilden (Fig. 2, b,), in welchem keine 
Zellen mehr eingeschlossen liegen, stellen ein Fachwerk dar, in 
welchem die Hodenzellen sich finden, und zwar immer je eine 
Zelle in einem Fache. Die radiäre Richtung der derberen Züge 
bedingt es, dass die Zellen ebenfalls in radiärer Richtung strang- 
förmig geordnet erscheinen (Fig. 1 und 2). Die Existenz des 
mit der Kapsel zusammenhängenden bindegewebigen Fachwerkes 
ist vielfach verkannt worden. So erwähnt Jensen (4) in dem- 
jenigen Theile seiner Arbeit, der sich auf Raja clavata und 
Raja vomer bezieht, eine nach Anwendung der Müller’schen 
Lösung deutlich werdende „granulöse Substanz“, die an der Wand 
des „Follikels“ erscheint und von derselben hervorgebracht sein 
soll. Alles, was über diese granulöse Substanz („eouche granuleuse*) 
ausgesagt wird, ist, wenn ich meine Präparate mit den Abbil- 
dungen von Jensen vergleiche, auf eine durch das angewandte 
Reagens veranlasste Verwechseluug mit dem intraampullären 
sehr feinfaserigen Bindegewebe zurückzuführen. Seine weiteren 
Angaben aber über eine durch Zerstörung der innersten Sperma- 
toeyten entstehende granulöse Substanz, die mit den Spermato- 
eyten verbunden sein und schliesslich die Stützzelle („Cytophore“) 
bilden soll, ist mir gänzlich unverständlich. Was der Autor 
eigentlich gesehen hat, ist mir weder aus seinen Schilderungen, 
noch aus den Abbildungen, noch endlich aus der Vergleichung 
mit meinen Präparaten klar geworden. Auch Swaäön und 


26 Bernhard Rawitz: 


Masquelin (12), die sich in ihrer Schilderung ausserordent- 
lich lange mit Nebensächlichkeiten aufhalten, haben unklare Vor- 
stellungen über die Kapsel der Cysten bezw. Ampullen, wie das 
aus der irrigen Angabe hervorgeht, dass der Stützzellenkern 
(„noyau basilaire‘), der nach meinen Präparaten von Anfang 
an da ist, erst relativ spät erscheinen soll. Sanfelice (11) 
endlich beschreibt an den Ampullen eine endotheliale Membran, 
die thatsächlich nicht existirt. Die bindegewebige Grundlage 
zeigt das von mir beschriebene Verhalten, namentlich die zarte 
Schleierbildung, welche in den Spermatideneysten (Fig. 2, b,) 
am deutlichsten ist, bis weit in die Spermatogenese hinein 
(Fig. 4. Erst wenn die sich entwickelnden Spermatosomen 
ihre Einlagerung in die Stützzelle gewonnen haben, wird dies 
Bild undeutlich. 

Sind die Zellen in Ruhe, dann haben die Cysten überall 
ein gleiches Aussehen, setzt dagegen die Zelltheilung ein, so er- 
scheint eine ganz charakteristische Anordnung, die auch bei den, 
hier nicht weiter berücksichtigten, die Spermatogonien enthalten- 
den Cysten ausgeprägt ist. Es findet sich nämlich (Fig. 5) über- 
all eine deutliche Quadranteneintheilung. Die Zellen je zweier 
einander gegenüberstehender Quadranten zeigen Ruhe bez. Rück- 
kehr zur Ruhe, die der beiden anderen Quadranten Theilung. 
Schon bei Anwendung sehr schwacher Linsensysteme ist eine 
solehe Anordnung deutlich und der Untersucher kann daher 
leicht die Theilungen auffinden. Dabei ist hervorzuheben, dass 
stets mehrere Stadien der Theilung gleichzeitig in einem Qua- 
dranten vorhanden sind. Diese Quadranteneintheilung geht bis 
zur Ausbildung der Spermatiden; sind diese zur Ruhe gekommen, 
dann gehen die Veränderungen, d. h. die Spermatogenese, in 
allen Zellen einer Ampulle gleichmässig vor. 

Die Zelltheilungen will ich von der Spermatocytengene- 
ration ab schildern. Die Theilung der Spermatogonien habe ich 
darum nicht berücksichtigt, weil die diese Zellgeneration ent- 
haltenden Cysten so peripher im Hoden liegen, dass sowohl an 
der Zellsubstanz wie am Kern die Resultate zu stürmischer Os- 
miumwirkung zu beobachten sind. Ist dies auch ziemlich be- 
deutungslos für die eigentlichen karyokinetischen Figuren, so ist 
doch die Struktur der Kerne in der Einleitung der Zelltheilung 
hierdurch sehr stark alterirt, die mikroskopischen Bilder sind 


Untersuchungen über Zelltheilung. 27 


daher meines Dafürhaltens nicht verwerthbar. In den Cysten 
mit Spermatoeyten fehlen die sogenannten „Deckzellenkerne* 
(„Cystenkern“, „Noyau follieulaire“), es erledigt sich für mich 
daher ein Eingehen auf die hierüber höchst widerspruchsvollen 
Angaben der Autoren. 

Die Zellen der aus den Spermatogonien entstandenen Sper- 
matocyten kehren zur vollen Ruhe zurück und zeigen die bereits 
erwähnte, durch die Bindegewebszüge bedingte radiäre Anordnung 
(Fig. 1). Es sind zwei Generationen von Spermatocyten zu unter- 
scheiden, die sowohl durch die Grösse der Zellen im allgemeinen 
wie durch die der Kerne im besonderen von einander abweichen. 
Sie sollen in der folgenden Darstellung durch die Bezeichnung 
Spermatocyten I. und II. Ordnung aus eimander gehalten werden. 

Die ruhenden Zellen der I. Ordnung (Fig. 5) sind 
poleydrische oder rundliche, von zarter Membran umschlossene 
Gebilde, deren durchsehnittliche Grösse 15 u beträgt. Die Zell- 
substanz zeigt eine unbestimmte Struktur, d. h. weder lässt sich 
an ihr eine deutliche Zusammensetzung aus Filar- und Interfilar- 
substanz noch ein ausgesprochen granulirter Bau erkennen. Wahr- 
scheinlich sind die Fäden der Filarsubstanz so fein, ihr Maschen- 
werk ist daher so eng, dass selbst durch ein so ausgezeichnetes 
Fixirungsmittel wie die Flemming sche Lösung Verklumpungser- 
scheinungen hervorgerufen werden, die eben jene unbestimmte 
Struktur bedingen. Moore (8), der am selben Objekte gearbeitet 
hat wie ich, zeichnet überall eine grobretieuläre Anordnung 
der Zellsubstanz. Indessen da die Abbildungen von Moore 
keineswegs die Verhältnisse immer richtig wiedergeben, da er 
sogar Manches zeichnet, was nicht vorhanden ist, so glaube ich 
auch seinen auf diesen Punkt sich beziehenden Figuren nur ge- 
ringe Glaubwürdigkeit beimessen zu dürfen. In der Zellsubstanz 
sieht man zahlreiche sehr feine Körnchen, unter denen gelegent- 
lich, d. h. in einzelnen Zellen, ein oder das andere sich durch 
etwas beträchtlichere Grösse auszeichnet. Diese Körnchen sind 
durch ihre intensivere Färbung von der sich blasser tingirenden 
übrigen Zellsubstanz deutlich unterschieden, infolge ihrer Klein- 
heit aber nur bei sehr starker Vergrösserung wahrzunehmen. 
Sie sind meist in einfacher, hier und da auch in mehrfacher 
Reihe konzentrisch zum Kern angeordnet, gehen aber um letzteren 
nicht ganz herum, sondern fehlen an einem Pole desselben in 


28 Bernhard Rawitz: 


ınehr oder minder beträchtlicher Ausdehnung. Diese Körnchen 
sind in Fig. 5 mit s bezeichnet. Ich halte diese Gebilde 
für das Aequivalent der Attraktionssphäre, wofür 
die später bei der Theilung der Zellen zu beschreibenden Vor- 
gänge die Begründung beibringen. Bei der relativen Indifferenz 
des Ausdruckes „Attraktionssphäre“ scheint mir diese Bezeich- 
nung der beschriebenen Erscheinung die geeignetste. Wohl 
gleicht diese Sphäre weder der im Ascarisei noch der in den 
Hodenzellen des Salamanders; immerhin aber stellen die Körn- 
chen deutlich differenzirte Bildungen der Zellsubstanz dar. Sie 
in ihrer Gesammtheit als „Idiozoma“ zu benennen, geht nicht 
an, denn weder ist ein Üentrosoma zu unterscheiden, noch bilden 
sie einen Gürtel um ein in der Zellsubstanz, ausserhalb des 
Kerns gelegenes Gebilde. 

Der Kern, dessen Durchmesser zwischen 10,5 und 11 u 
schwankt, ist ein kugeliges oder eiförmiges Gebilde. Er besitzt 
eine deutliche Membran; die chromatische Substanz besteht aus 
Körnern, die unregelmässig in einer homogenen, sich nicht fär- 
benden Grundsubstanz vertheilt sind, sieh nieht sehr intensiv 
tingiren und ungleiche, aber stets geringe Grösse haben (Fig. 5). 
Ein Lininnetz ist nieht zu erkennen. 


Beim Uebergang zum diehten Knäuel — wenn hier 
eine solehe Bezeichnung überhaupt anwendbar ist — zeigt sich 


zunächst bei unverändert gebliebenem Aussehen der Zellsubstanz 
eine Veränderung in denjenigen Gebilden, die ich für das Aequi- 
valent der Attraktionssphäre halte (Fig. 6). Die Körnchen- 
sphäre umgiebt nicht mehr konzentrisch den Kern, sondern 
hat sich nach einem Pole desselben zusammengezogen. Noch 
sind die Körnehen getrennt, noch ist keine solide Sphäre vor- 
handen, wohl aber bedeutet dieses Zusammenziehen den Beginn 
der Konsolidirung. Die Körnchen sind weniger zahlreich, die 
einzelnen sind umfangreicher geworden, messen beinahe 1 u, 
ihre Färbbarkeit hat zugenommen, sie imponiren jetzt als ein 
unregelmässig gestalteter, deutlich differenzirter Haufen. Moore 
(8)!) dagegen zeichnet die Sphäre mit einer Deutlichkeit wie 

1) Die Arbeiten von Sanfelice (11) und von Sabatier (10) im 
Text zu berücksichtigen, will ich unterlassen, um die Schilderung 
meiner Befunde nicht durch zu häufige kritische Exceurse zu unter- 
brechen. Die Arbeit von Sabatier habe ich nur der Vollständigkeit 


Untersuchungen über Zelltheilung. 29 


ich sie nur bei den Spermatiden, niemals bei den Spermatocyten 
I. und II. Ordnung und auch nicht bei den Spermatogonien an- 
getroffen habe. Centrosomen habe ich in diesem 
Stadium nie gesehen und es dürfte auch schwer sein, in 
der Körnchenssphäre (Fig. 6) ein Centrosoma zu unterscheiden, 
vorausgesetzt, dass man nicht eine irrationelle „regressive“ Fär- 
bung angewendet hat. Denn bei der letzteren kann durch die 
sogenannte Differenzirung eine Entfärbung der Körnchen herbei- 
geführt werden, sodass schliesslich aus Zufall ein oder das andere 
nicht entfärbt ist, das dann wohlgemuth als „Centrosoma* an- 
gesprochen wird. Wie diese Konsolidirung, diese Zusammen- 
ziehung der Körnchensphäre zu Stande kommt, lässt sich nur er- 
schliessen, nicht beobachten. Man dürfte aber wohl von der 
Wahrscheinlichkeit sich nieht zu sehr entfernen, wenn man an- 
nimmt, dass durch aktive Ortsveränderung die Körnchen in 
der Zellsubstanz wandern, dass dabei mehrere mit einander ver- 
schmelzen (daher die geringere Zahl) und dass durch die Wande- 
rung sie sich an einem Kernpole konzentriren. Da wo die 
Körnehensphäre liegt, ist die Hauptmasse der Zellsubstanz; 
die Körncehen berühren niemals die Kernmembran. 

Die entsprechende Veränderung am Kern offenbart sich 
zunächst durch eine viel intensivere Tingirung in dem ange- 
wendeten Farbstoffe. Die Chromatinkörnchen stehen sehr dicht, 
sie sind zahlreicher geworden (Fig. 6), bilden namentlich im 
Centrum des Kerns einen diehten Haufen — wo diese Vermehrung 
herkommt, konnte ich allerdings nicht feststellen — und liegen 
-in einer Grundsubstanz, die jetzt eine zarte Färbung angenommen 
hat. Indem ich auf meine eingangs eitirte Abhandlung über 
Alizarinfarben verweise, bemerke ich hier nur, dass diese Färbung 
der Grundsubstanz nicht Wunder nehmen darf, da das Alizarın 
die achromatische Substanz deutlich, und zwar in einem von der 
Färbung der chromatischen verschiedenen Tone färbt. Ein Linin- 
netz ist nicht zu erkennen. 


wegen erwähnt; was dieser Forscher eigentlich gesehen und was er 
beschrieben, ist mir trotz wiederholten Studiums der Arbeit nicht klar 
geworden. Ich kenne keine Veröffentlichung über Spermatogenese, 
die eine so verwirrte Darstellung enthält. Die Untersuchungen von 
Sanfelice sind zu flüchtig und mit zu ungenügender Technik an- 
gestellt, um von Werth zu sein. Der italienische Autor streift kaum 
das Problem, geschweige denn, dass er in dasselbe eindringt. 


30 Bernhard Rawiıtz: 


Im Stadium des loekeren Knäuels!) sind zunächst 
die Veränderungen an der Körnchensphäre zu betrachten 
(Fig. Ta). Die Zahl der Körnchen hat sich wiederum, wahr- 
scheinlich infolge mehrfacher Verschmelzung, vermindert, die ein- 
zelnen sind umfangreicher als auf dem vorhergehenden Stadium, 
sie sind näher aneinander gerückt, stellenweise bis zur gegen- 
seitigen Berührung und erscheinen im ihrer Gesammtheit als ein 
sichelförmiges Gebilde von geringer Ausdehnung, das an einem 
Pole des Kernes gelegen ist. Sie finden sich in der Hauptmasse 
der Zellsubstanz, welch letztere unverändert ihre unbestimmte 
Struktur beibehalten hat. 

Der Kern, der an Grösse den Kernen des vorigen Stadium 
gleicht, zeigt die beträchtlichsten Veränderungen (Fig. Ta). Sein 
Gefüge ist jetzt ein sehr lockeres, sein Centrum erscheint hell, 
seine Peripherie dunkler gefärbt. Dies rührt daher, dass im 
Centrum sich nur wenig, durch kleine Körner repräsentirte chro- 
matische Substanz findet, während dieselbe, wie in Fig. Ta deut- 
lich sichtbar, an der Peripherie von grossen, runden oder eckigen 
Klumpen gebildet wird, die grösstentheils der Kernmembran an- 
liegen. Die einzelnen Bestandtheile des Chromatins sind durch 
ein Lininnetz untereinander zu einer (physiologischen) Einheit 
verbunden. Dieses Lininnetz, das jetzt zum ersten Male erscheint, 
besteht aus starren, relativ dicken Fäden. 

Nunmehr treten Veränderungen auf, welche zum Aster über- 
leiten. Für dieses Stadium, das sehr wichtig ist, existirt bisher 
kein besonderer Namen; ich will es mit Rücksicht auf die Er- 
scheinungen am Kern das Maulbeerstadium (Fig. Tb) 
nennen. Die Zellsubstanz ist hauptsächlich in eimer Ecke der 
Zelle angehäuft; hier findet sich ein zartes spindelförmiges Ge- 
bilde (Fig. Tb), das die nunmehr konsolidirte Sphäre 
darstellt. Diese ganz homogen erscheinende Sphäre besitzt 
kein Centrosoma, auch sind an ihren beiden Enden keiner- 
lei Andeutungen von Polkörperehen walırzunehmen. Manchmal 
ist diese spindelförmige Sphäre leicht gebogen und dann konzen- 
trisch zum Kern, dem sie aber nicht anliegt. Ihre durchschnitt- 


1) Um keine neuen Kunstausdrücke einzuführen, brauche ich die 
Bezeichnungen „dichter“ und „lockerer Knäuel“, obgleich, wie ein 
Blick auf die Figuren 6 und 7 lehrt, von Knäuelformen im eigent- 
lichen Wortsinne hier nicht gesprochen werden kann. 


Untersuchungen über Zelltheilung:. öl 


liche Länge beträgt etwa 6u, ihre Breite knapp 1,5u. Noch 
beträchtlicher sind die Veränderungen, die der Kern zeigt. Seine 
Membran ist geschwunden, die chromatische Substanz hat sich 
auf einen Haufen zusammengedrängt, der etwas excentrisch in 
der Zelle liegt und von einem hellen, von Zellsubstanz freien 
Hofe umgeben ist (Fig. 7b). Der Durchmesser hat sich bedeu- 
tend verkleinert, er beträgt nur noch 6 u. Das Chromatin bildet 
eine höckerige, unregelmässig konturirte Masse von maulbeer- 
artiger Gestalt und besteht aus den eng aneinander liegenden 
Chromatinpartikeln. Zwischen der konsolidirten spindelförmigen 
Sphäre und dem Chromatin des Kernes ist eine imnige Verbin- 
dung vorhanden, die durch starre Fäden bewirkt wird (Fig. 7 b). 
Diese Fäden stammen vom Linin, wie aus ihrem starren Aus- 
sehen gefolgert werden kann. Sie ziehen von der Chromatin- 
masse, in deren Innerem sie allerdings infolge der diehten Lage: 
rung der Chromatinpartikel nur schwer wahrnehmbar sind, zur 
Sphäre, an die sie sich inseriren. Dieses Stadium ist allen Unter- 
suchern, die bisher über den Selachierhoden gearbeitet haben, 
entgangen. 

DiespindelförmigeSphäre wächstallmählich 
zur achromatischen Spindel heran und zwar auf 
Kosten der Zellsubstanz. Letztere wird fast ganz in die Spindel 
einbezogen, die zugleich ein faseriges Aussehen gewinnt; die 
Fasern sind von äusserster Zartheit und Feinheit. Erst nach 
Ausbildung der noch extranucleär gelegenen achromatischen 
Spindel erscheinen die Polkörperchen in den Spindelspitzen; sie 
stammen offenbar aus der Sphäre ab, doch lässt sich ihre Ent- 
stehung nicht klar verfolgen. Nur das ist mit Bestimmtheit zu 
sagen, dass sie nicht auf Centrosomen zurückzuführen sind, da 
solehe hier nicht vorkommen. Mit dem Auftreten der Pol- 
körperchen ist die Asterform ausgebildet, da nunmehr das 
Chromatin im Aequator der Spindel sich angeordnet hat und 
zugleich ist eine zweite Art von Spindelfasern erschienen. Diese 
sind starre, hart aussehende und relativ starke Fasern, die aus- 
schliesslich vom Lininnetz abstammen und mantelartig um den 
feinfaserigen centralen Theil der Spindel herumliegen. Die 
Fasern der Centralspindel gehen ganz hindurch, von Polkörper- 
chen zu Polkörperchen, während die Mantelfasern nur vom Pol- 
körperehen zum Chromatin reichen. Eine Polstrahlung 


32 Bernhard Rawitz: 


findet sich nicht. Das Chromatin bildet längJiche, ab- 
gerundete und gegen die Spindel leicht konkav gebogene 
Stäbe, deren etwa 20--24 in der ganzen Circumferenz vor- 
handen sind. Chromatinschleifen, wie solehe nach den Angaben 
von Moore (8) und F. Hermann (2) vorkommen sollen, habe 
ich nie gesehen; die Chromatinringe, die Moore (8) erwähnt, 
sind wahrscheinlich, wie dies schon Meves (6) vermuthet hat, 
auf Verklumpungsfiguren zurückzuführen. Die Spindeln sind 
sehr gross, ihre Längsaxe misst 1l5u, ihre Breite im Aequator 
beträgt 10u. Die Zellsubstanz färbt sich auf diesem Stadium 
nur noch sehr schwach, sie ist sehr zart, zeigt hier und da eine 
leicht faserige Beschaffenheit und sieht aus — der Ausdruck er- 
scheint mir durchaus zutreffend — wie erschöpft. 

Erst nach Ausbildung der Asterform tritt die Spaltung 
der Chromosomen ein. Diese verläuft durchaus nicht gleich- 
mässig in allen Zellen. Manchmal theilen sich die Chromatin- 
stäbe der Länge nach in zwei Theile, manchmal der Quere nach; 
in einzelnen Asterformen, wenn die Chromatindoppelreihe schon 
ausgebildet ist, sieht man noch hier und da zwei Tochterehromatin- 
stäbe mit einander durch eine schmale Brücke verbunden (Fig. 3). 
Immer aber erhalten die so entstehenden Tochterzellen die 
gleiche Chromosomenzahl wie die Zellen der I. Ordnung; es 
handelt sich also hier um eine Aequationstheilung. 

Bevor ich die weiteren Theilungsstadien schildere, muss ich 
kritisch auf die Arbeiten von G. Herrmann (3) und Moore (8) 
eingehen. G. Herrmann's Angaben über die Theilung der 
Hodenzellen bei Selachiern (l. e. p. 397) sind mir unverständlich. 
Ich habe vergeblich versucht, seine Angaben und seine bezüg- 
lichen Figuren (Taf. XXIV Fig. 13 und 14 1. e.) mit meinen über- 
all klaren und eindeutigen Präparaten in Beziehung zu setzen. 
Ich bekenne offen, dass ich nicht erfassen konnte, was dieser 
Autor eigentlich meint, wenn er sagt, der Kern theile sieh in 
zwei Stäbe, von denen jeder zu einem neuen Kern aufquellen 
soll. Und ich verstehe die eitirten Figuren nicht, in denen er 
solche Stäbe abbilde. Auch zu Moore (8) befinde ich mich 
in entschiedenem Gegensatze. In seinen sehr roh gezeichneten 
Figuren bildet er zwei Centrosomen ab, die ihre Strahlenkrone 
haben und an entgegengesetzte Pole wandern sollen. Jetzt 
schwinde die Kernmembran und die chromatische Substanz bilde 


Untersuchungen über Zelltheilung. 33 


eine ovale Masse, in der man die Chromatinschleifen erkennen 
könne. Im Asterstadium sollen von den Polkörperchen Polstrah- 
lungen ausgehen. Durch Vergleich mit meinen obigen Angaben 
und meinen hierher gehörigen Figuren wird die zwischen Moore 
und mir herrschende Differenz deutlich. Manches hat Moore 
richtig geschen, vieles Thatsächliche aber völlig verkannt, und 
zwar darum, weil er offenbar mit vorgefasster Meinung an die 
Untersuchung herangetreten. Er glaubte wiederfinden zu müssen, 
was von anderen Forschern an anderen Objekten bereits ge- 
funden war, und hat sich manche Beobachtung dadurch sugge- 
rirt, für die ein thatsächlicher Boden nicht vorhanden ist. 

Um in der Beschreibung meiner Befunde fortzufahren! Nach 
der Theilung der Chromatinstäbe rücken dieselben aus einander 
und gegen die Spindelpole hin zur Bildung des Dyasters (Fig. 9). 
Dieses Auseinanderweichen ist offenbar keine aktive Ortsverände- 
rung, sondern eine passive, sie wird bedingt durch eine Contrak- 
tion der Mantelfasern der Spindel, also der ursprünglichen Linin- 
fasern. Wie ein Blick auf die Fig. 9 lehrt, sind die Spindelfasern, 
welche vom Polkörperchen zur Chromatinmasse ziehen, sehr viel 
stärker geworden als im Asterstadium, und dieses Stärkerwerden 
ist, wie das ja auch von anderer Seite längst ausgesprochen, 
nur durch eine Contraktion zu erklären, für welche das Punetum 
fixum die Polkörperchen abgeben. Die Fasern lagern sich dabei 
so eng, dass sie streekenweise wie eine homogene Masse er- 
scheinen. Zu gleicher Zeit sind die Chromatinstäbe so dieht an 
einander gerückt, offenbar in Folge des Zuges der Mantelfasern 
der Spindeln und wegen des kleineren, am Spindelpole zur Ver- 
fügung stehenden Raumes, dass sie eine einzige, unregelmässig 
verklumpte Masse bilden, in weleher die einzelnen Bestandtheile 
nicht mehr zu unterscheiden sind. Der Raum zwischen den beiden 
Chromatinmassen wird von den Fasern der Centralspindel ein- 
genommen. Diese sind, wie vorher, überaus zart und fein, aber 
nicht mehr fassdaubenartig gewölbt, sondern nahezu parallel zu 
einander geordnet, zugleich aber auch leicht wellig gebogen. 
Auf diesen Fasern sieht man spärlich und verstreut sehr kleine 
Körnchen (Fig. 9), die sich ganz im Sinne des Chromatins färben 
und vielleicht versprengte Chromatinpartikel darstellen. Die 
Länge der Spindel ist dieselbe geblieben, ihre Breite aber hat sich 
vermindert; sie beträgt im Aequator gemessen Jetzt nur noch 7,5. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 Br) 


34 Bernhard Rawitz: 


Immer weiter rückt die Chromatinmasse gegen die Spindel- 
pole und wir erhalten dadurch das Stadium des Dispirem. 
Hier ist zunächst nur eine wichtige Veränderung zu konstatiren: 
die Polkörperchen sind mit den Mantelfasern scheinbar zu einer 
einheitlichen Masse verschmolzen, denn sie sind als solche nicht 
mehr kenntlich. Im Uebrigen aber sind die Verhältnisse noch 
unverändert. Allmählich werden dann die Spindelpole zu kleinen 
Kappen, welche dem Dispirem auf dessen freier, d. h. dem Zell- 
kontur zugewendeter Seite aufliegen, schliesslich schwinden sie. 
Es beginnt, wie gleich hier bemerkt werden soll, die Central- 
spindel sich aus dem Chromatin heraus zu ziehen, wodurch das 
Schwinden der Spindelpole erklärt wird. Gleichzeitig fängt die 
Zerschnürung der Zelle an sich bemerkbar zu machen. Diese 
Zerschnürung geht endlich durch die ganze Zelle hindurch und 
pari passu mit ihr findet im Aequator ein Zusammendrängen der 
Centralspindelfasern statt, sodass sie das bekannte sanduhrförmige 
Gebilde darstellen (Fig. 10). Der Flemming 'sche Zwischen- 
körper ist bei diesen Zellen keine konstante Erscheinung, denn 
ebenso oft, wie er sich findet — er ist dann ein Ring — ebenso 
oft fehlt er. 

Nunmehr trennen sich, indem gleichzeitig die Spin- 
delim Aequator durehreisst, die beiden so entstandenen 
neuen Zellen, wobei sie sich meist im rechten Winkel von ein- 
ander entfernen. Erst nach der Trennung zieht sich der 
Rest der Centralspindel, welche kein Polkörperchen besitzt, voll- 
ständig aus der Chromatinmasse heraus und nimmt mehr rund- 
liche Formen an. Bereits erscheinen einzelne Körnungen, die 
sich von ihm loslösen: es sind dies die Constituenten der Attrak- 
tionssphäre der neu entstandenen Zellgeneration. Nach dem 
Heraustreten der Spindel beginnt auch die Zellsubstanz sich zu 
regeneriren, was aus ihrer wieder auftretenden grösseren Färb- 
barkeit hervorgeht. Dass, wie F. Hermann (2) von der letzten 
zur Spermatide werdenden Zellgeneration angiebt, die Mantel- 
fasern der Spindel bei dem Herausrücken aus der Chromatin- 
masse umklappen, wie ein vom Sturm umgedrehter Regenschirm, 
habe ich weder bei dieser, noch bei der nächsten Generation von 
Zellen bestätigen können. 

Damit ist die Theilung der Spermatocyten I. Ordnung be- 
endet und die Spermatoeyten II. Ordnung sind entstanden. 


Untersuchungen über Zelltheilung. 35 


Sowohl die Zellsubstanz wie auch der Kern der Sperma- 
toeyten I. Ordnung haben noch eine Reihe von Verände- 
rungen durchzumachen, ehe sie zur Ruhe kommen. Denn es 
setzt auf die Theilung der Zellen der I. Ordnung nieht unmittel- 
bar die der II. Ordnung ein, sondern es folgt ein mehr 
oder minder langes Stadium der Ruhe. Darauf hat 
übrigens, wenn auch nicht in sehr klarer Weise, bereits Moore 
(8) hingewiesen. 

Die Zellen dieser Ordnung unterscheiden sich von denen 
der vorigen ganz allgemein durch ihre geringere Grösse; von 
rundlieher oder polyedrischer Form haben sie einen Durchmesser, 
der etwa 12 u beträgt. Unmittelbar nach beendeter Theilung 
finden wir in diesen Zellen ein noch nicht völlig regenerirtes 
Plasma, eine Hälfte der Centralspindel und einen Kern, der, aus 
dieht an einander liegenden Chromatinpartikelcehen bestehend, das 
Dispirem der vorigen Generation darstellt. Die Veränderungen, 
welche allmählich eintreten und zunächst volle Zellruhe herbei- 
führen, sollen an den drei Bestandtheilen gesondert geschildert 
werden, was darum erforderlich ist, weil dieselben nicht pari 
passu erfolgen. 

Im Kern werden zunächst die einzelnen Chromatinpartikel 
deutlicher. Während im Dyaster und im Dispirem, wie erinner- 
lich, in Folge der Reagenswirkung eine homogene Chromatinmasse 
vorhanden war, lockert sich jetzt diesölbe und man erkennt theils 
runde, theils eckige, bald körnchenartige, bald stäbehenförmige 
Chromatintheile, die in grosser Zahl vorhanden sind und sehr 
dicht liegen. Offenbar hat also eine Zerklüftung der im Aster 
vorhandenen Chromatinstäbe stattgefunden. Sie liegen in einer 
homogenen Grundsubstanz, die sich nur um ein geringes weniger 
intensiv als das Chromatin gefärbt hat. Die Grösse der ovalen 
Kerne beträgt im längsten Durchmesser 6 u; auch sie ist also 
sehr viel geringer als die der Kerne der I. Ordnung. Bei sich 
gleich bleibendem längsten Durchmesser verändert sich jetzt die 
Gestalt der Kerne. Während diese vorher an einer Stelle, die 
dem ehemaligen Spindelpol entsprach, eine leichte Concavität be- 
sassen, werden sie jetzt kugelig, der Breitendurchmesser erreicht 
also das gleiche Maass wie der Längendurchmesser. Dadurch 
wird auch das Kerngerüst wiederum etwas lockerer und die 
Chromatinpartikel sind deutlich zu erkennen. Endlich wird das 


36 Bernhard Rawitz: 


Ruhestadium erreicht. Die Chromatintheile liegen relativ weit 
aus einander in einer nur noch äusserst zart gefärbten Grund- 
substanz; sie stellen unregelmässig geformte Brocken dar, deren 
Grösse eine sehr variable, aber im Allgemeinen geringe ist. Eine 
besondere Anordnung zeigen sie nicht, vielmehr liegen sie ganz 
ungleich verstreut im Kern. Ein Lininnetz fehlt. 

Dass im Ruhestadium die Chromatinbestandtheile des Kerns 
in Form verschiedenartig gestalteter Brocken relativ weit aus 
einander liegen, ist eine beachtenswerthe Thatsache. Würde das 
aus dem Dispirem der Zellen I. Ordnung stammende Chromatin 
der Masse nach unverändert in den Kernen der Zellen II. Ord- 
nung erhalten bleiben, dann wäre unverständlich, dass der Kern 
seine Grösse während des Ueberganges zur Ruhe im Wesentlichen 
wahrt. Denn es leuchtet ohne Weiteres ein, dass die Chromatin- 
masse jener Dispireme, wenn sie in kleine Partikelehen zerlegt 
wird und wenn letztere weit aus einander liegen, dann in einem 
an Umfang doppelt oder dreifach so grossen Kerne sich finden 
müsste, als wie es in der That der Fall ist. Das Beibehalten 
des Kernumfanges lässt sich daher meines Erachtens nur durch 
die Annahme erklären, dass ein Theil der ehromati- 
schen Substanz während der Zeit, in der der 
Kern zur Ruhe kommt, zu Grunde geht. Wie dieses 
Zugrundegehen stattfindet, das ist nicht zu beobachten; genug, 
dass offenbar der ruhende Kern der Spermatocyten II. Ord- 
nung viel weniger Chromatin enthält, als der durch die Theilung 
der Zellen der I. Ordnung eben entstandene Kern. 

In diesem Zugrundegehen ist die Reduction 
der ehromatischen Substanz ausgesprochen, denn, 
und hierin kann ich zu meiner Freude endlich einmal mit 
Moore (8) mich einverstanden erklären, eine Reducetions- 
theilung, wie sie vor Beginn der Spermatogenese 
bei anderen Thieren vielfach beschrieben wor- 
den ist, kommt bei Selachiern nicht vor. Sowohl 
bei der Theilung der Spermatocyten I. Ordnung wie bei der der 
II. Ordnung, dies sei hier schon vorläufig bemerkt, findet nur 
Aequationstheilung statt, indem die Tochterzellen genau dieselbe 
Chromosomenzahl erhalten, welche die Mutterzellen besitzen. 
Dass wirklich hier während des Ueberganges zur Ruhe das 


Untersuchungen über Zelltheilung. 37 
Chromatin der Masse nach redueirt wurde, werden wir nach- 
her beim Asterstadium erkennen. 

Die Zellen II. Ordnung hatten vom Dispirem eine halbe 
Centralspindel erhalten, die aus dem Chromatin herausgetreten 
war. Betrachten wir jetzt das Schicksal dieses Gebildes. Be- 
reits vorhin wurde ausgeführt, dass diese Halbspindel rundliche 
Formen annimmt und dass sich einzelne Körnchen von ihr los- 
zulösen beginnen. Schon bevor die Loslösung beginnt, ist der 
faserige Bau der Halbspindel geschwunden, sie ist ganz homogen 
geworden. Dann macht die Zerlegung der Halbspindel immer 
mehr Fortschritte, es entstehen allmählich zahlreiche Körnchen, 
bis schliesslich ein solides Gebilde nieht mehr vorhanden ist. 
Ein Theil, und zwar der grössere, dieser Körnehen wird offenbar 
zum Aufbau der sich regenerirenden Zellsubstanz verwendet, denn 
er verschwindet spurlos, ein kleinerer Theil bleibt erhalten. Die 
Körnehen, 4—6 an der Zahl, bilden eine in Sichelform angeord- 
nete Gruppe, die konzentrisch zum Kern an einem Pole des- 
selben, ohne aber die Kernmembran zu berühren, liegt und pe- 
dantisch genau das Bild wiederholt, das im Stadium des lockeren 
Knäuels die Sphäre der Spermatoeyten I. Ordnung darbietet 
Beta Aus eivwem. Theile der: Halbspindel'ist 
mit anderen Worten durch Zerklüftung die At- 
traktionssphäre dieser Generation entstanden. 
Auch hier in dieser Körnchensphäre ist, wenigstens mit meiner 
Alizarinmethode, kein Centrosoma zu unterscheiden und dem- 
gemäss auch kein „Idiozoma“ vorhanden. An den Halbspindeln 
waren keine Spindelpole sichtbar, auch keine Zwischenkörperchen- 
reste erhalten. 

Dieser ganz eigenthümliche Zerklüftungsprocess, der zur 
Neubildung der Sphäre führt und mit dessen Beendigung die 
Zellruhe eingetreten ist, ist nicht leicht zu beobachten. Natur- 
gemäss haben die Körnchen wie ihre Matrix, die homogen ge- 
wordene Halbspindel, nur einen geringen Diekendurchmesser, sie 
sind daher nieht nothwendig in jeder Zelle zu erkennen, da nicht 
jede gerade mit der Ebene in den Schnitt gefallen ist, in wel- 
cher die Körnchensphäre gelegen ist. Dann kommt dazu, dass 
mit dem Zerfall der Halbspindel einhergeht eine geringere In- 
tensität in der Färbung der Zerfallsprodukte, wodurch deren 


38 Bernhard Rawitz: 


leichte Erkennbarkeit beeinträchtigt wird. Man bedarf zur Con- 
statirung der von mir geschilderten Verhältnisse sehr starker 


Vergrösserungen — ich wendete Zeiss’ homogene apochroma- 
tische Immersion 1,5 mit den Compensationsocularen 8 und 12 
an — und sehr guter Beleuchtung. Ist man aber erst einmal 


auf diese Verhältnisse aufmerksam geworden, dann findet man 
sie stets leicht wieder. 

Nachdem die Spermatocyten I. Ordnung längere oder kür- 
zere Zeit in Ruhe verharrt — wie lange?, darüber gibt natür- 
lich der mikroskopische Schnitt keinen Aufschluss —, setzt die 
Theilung ein, deren Phasen im Wesentlichen eine Uebereinstim- 
mung mit den Theilungsphasen der Spermatocyten I. Ordnung 
zeigen. Im Einzelnen ist hierbei Folgendes anzumerken. 

Wenn die Spirembildung beginnt, nähern sich die 
einzelnen Körnchen, aus welchen die Attraktionssphäre besteht 
einander, oft bis zur gegenseitigen Berührung. Doch ist noch 
kein homogenes Gebilde vorhanden, vielmehr erkennt man bei 
genauem Zusehen deutlich die einzelnen Sphärenbestandtheile. 
Die chromatische Substanz des Kerns, während der Ruhe, wie 
vorhin beschrieben, durch kleine Körnchen dargestellt, erscheint 
Jetzt in Form von grösseren Körnern, von denen einige sogar 
schon das Aussehen und den Umfang der Chromatinstäbe des 
Asterstadiums besitzen. Ein Lininnetz fehlt, der Kernsaft färbt 
sich nicht. Allmählich wird die Sphäre homogen, indem deren 
Constituenten mit einander verschmelzen. Sie erscheint im Ali- 
zarin blassrosafarben, besitzt längliche Gestalt und hat sich — 
hierin liegt eine Abweichung von den Zellen I. Ordnung — dem 
Kern dicht angefügt. In dieser nunmehr consolidirten Sphäre 
ist ein Centrosoma nicht vorhanden. Die Chromatin- 
theile weichen gleichzeitig aus einander und zeigen eine Anord- 
nung, welche dem lockeren Knäuel der Zellen I. Ordnung 
entspricht (Fig. 7), sie sind diek geworden, haben kugelige 
oder stäbehenförmige Gestalt und färben sich sehr intensiv. Zu 
gleicher Zeit ist das Lininnetz deutlich hervorgetreten. Zwischen 
den Chromatintheilen, diese unter einander verbindend, findet 
sich eine fädige Zwischensubstanz; die Fäden kreuzen sich netz- 
förmig und sind von äusserster Zartheit und Feinheit. Durch 
diesen letzteren Umstand unterscheidet sich dies Lininnetz auf 
das schärfste von dem der I. Ordnung. Im Allgemeinen sind 


Untersuchungen über Zelltheilung. 39 


die die Theilung einleitenden Phasen in dieser Generation 
etwas abgekürzter als in der vorigen. 

Die fernere Umwandlung ist dann die, dass die Chromatin- 
massen nun sämmtlich, nach dem Schwinden der Kernmembran, 
zu dieken Stäben werden, die dicht an einander liegen und einen 
unregelmässig konturirten, maulbeerartigen Haufen bilden. Ausser- 
halb des letzteren liegt eine Spindel von sehr zartem faserigen 
Bau!), die etwa halb so gross ist wie die achromatische Spindel 
des späteren Asterstadiums. Diese feinfaserige Spindel, in 
welcher Polkörperchen noch nicht wahrzunebmen sind, stammt 
ursprünglich, wie bereits hervorgehoben, aus der Sphäre und ist 
zu ihrer augenblicklichen Grösse dadurch herangewachsen, dass 
sie die Zellsubstanz grösstentheils in sich aufgenommen hat. 
Eine Polstrahlung fehlt. Nachdem die Lininfäden, die etwas 
stärker geworden sind, sich an die Spindelpole angesetzt haben, 
treten in diesen die, wahrscheinlich aus der Sphäre stammenden, 
Polkörperchen auf. Durch identische Contraktion der 
Lininfäden, die, wie bemerkt, mit den Chromatinstäben verbunden 
sind, werden die letzteren im Aequator der Spindel gruppirt, 
wobei sich ihre Längsaxe parallel zur Längsaxe der Spindel ein- 
stell. Auf diese Weise ist das Asterstadium entstanden 
(Bis21]). 

Die achromatische Spindel, die auch in dieser Generation 
einer Polstrahlung entbehrt, besteht also, ganz wie das 
gleiche Gebilde der Zellen I. Ordnung, aus zwei Arten von 
Fasern. Die einen stammen von der Sphäre und aus der Zell- 
substanz, sie gehen durch von Pol zu Pol, stellen die Central- 
spindel dar und sind von grosser Zartheit. Die anderen, vom 
Linin gebildet, gehen nur vom Pol zum Chromatin, liegen aussen 
um die Centralspindel herum, stellen also den Spindelmantel dar 
und sind demnach Halbfaseın. Sie sind stärker als die anderen 


1) Ein für alle Mal möchte ich anmerken, dass die Sphäre und 
Spindel auf diesen einleitenden Stadien nicht in jeder Zelle sichtbar 
sind. Die Gebilde sind wenig umfänglich, die Zellen dagegen so 
gross, dass sie mindestens in zwei Schnitte, wie man sich durch Unter- 
suchen der Serie überzeugen kann, zerlegt sind. In einem Schnitte 
können jene Gebilde nur liegen; man muss also, um sie unzweifelhaft 
festzustellen, Serien schneiden und die einzelnen Zellen durch die Serie 
zu verfolgen suchen. 


40 Bernhard Rawitz: 


und zeigen (Fig. 11) kleine, punktförmige Varikositäten. Die 
Länge der ganzen Spindeln beträgt 10 u, ihre Breite 7—8 u, 
sie sind also, wie auch die Vergleichung der Figur 11 mit Figur 8 
zeigt, sehr viel weniger umfangreich und auch sehr viel schlanker 
als die Spindeln der Zellen I. Ordnung. Die chromatische Sub- 
stanz besteht aus ovalen Stäben, nicht, wie Moore (8) una F.Her- 
mann (2) angeben, aus Schleifen, von 1,5 u Länge, welche kon- 
kav-konvex gewölbt sind, und zwar liegen sie mit ihrer konkaven 
Seite der Spindelwölbung an, während die konvexe nach aussen 
sieht. Es sind etwa 14—16 Stäbe vorhanden, denn man kann 
auf dem Medianschnitt durch die Spindel T7—8 zählen (Fig. 11), 
ihre Zahl ist also geringer als die Zahl der Chromatinstäbe der 
I. Ordnung, aber, und das ist sehr wichtig, sie ist doch grösser 
als die Hälfte derselben. Hierin ist also eine fundamentale Diffe- 
renz zwischen Selachiern und denjenigen Vertebraten vorhanden, 
die bisher auf die Thatsache der Chromatinreduktion im Hoden 
untersucht wurden. Die Zellsubstanz ist sehr matt, blass gefärbt 
und zeigt einen leicht fädigen Bau. 

Erst auf dem Asterstadium findet die Chromosomentheilung 
statt, ganz wie bei den Zellen I. Ordnung; dieselbe ist hier aus- 
schliesslich eine Quertheilung und man sieht noch gelegentlich 
(Fig. 12) einzelne der bereits aus einander weichenden Theilungs- 
produkte durch eine schmale Chromatinbrücke mit einander zu- 
sammenhängen. Es gehen also der Zahl nach ebenso viel 
Chromosomen in die sich bildenden Tochterzellen über, während 
die chromatische Substanz im Aster von vorneherein der Masse 
nach geringer war als in den Zellen der I. Ordnung. 

Die Chromatinhälften weichen aus einander und es entsteht 
der Dyaster (Fig. 13). Die Polkörperchen sind jetzt kleiner 
geworden, die sich an sie inserirenden Fasern des Spindel- 
mantels sind, offenbar infolge von Contraktion, stärker und sind 
stellenweise sogar mit einander verschmolzen. Die Fasern der 
Centralspindel sind zum Theil parallel geordnet, zum Theil bauchig 
aus einander getrieben (Fig. 15) und dabei leicht wellig gebogen. 
Die Chromatinstäbe, welche nahe an die Spindelpole gerückt 
sind, sind nicht zu einheitlichen Masse verklumpt, sondern deut- 
von einander getrennt. Dies erklärt sich sowohl aus ihrer ge- 
ringeren Zahl als auch aus ihrem im Vergleich zu den Zellen 
der I. Ordnung geringeren Umfange. Auf den Centralspindel- 


Untersuchungen über Zelltheilung. 4] 


fasern liegen in einigen wenigen Zellen noch einige Chromatin- 
brocken, die nicht mit in den Dyaster hineingezogen wurden und 
nun vielleicht zu Grunde gehen. Die Zellsubstanz zeigt das 
gleiche Aussehen wie im vorigen Stadium. 

Indem sich die Chromatinstäbe allmählich eng aneinander 
legen und zu einer einheitlichen ovalen und etwas höckerig aus- 
sehenden Masse verschmelzen, und indem sie gleiehzeitig in die 
Spindelpole rücken, entsteht das Dispirem. Die Durchsehnürung 
der Zellsubstanz ist erfolgt und die achromatische Spindel, die 
natürlich keine Mantelfasern mehr besitzt, da diese ja, wie erinner- 
lich, sich nach den Spindelpolen hin zurückgezogen haben, ist 
in der Mitte verschmälert, bietet das bekannte sanduhrförmige 
Aussehen dar (Fig. 14). Die Polkörperehen sind geschwunden 
und auch die Spindelspitzen ragen nicht mehr über die chro- 
matische Substanz hervor; wenigstens gehören Bilder, wie eines 
in Fig. 14 wiedergegeben ist, bei so weit vorgeschrittener Thei- 
lung zu den Seltenheiten. Ein Flemming’sches Zwischen- 
körperehen ist bald vorhanden und erscheint dann stets ring- 
förmig, bald fehlt es. An der Grenze der beiden neuen Zellen, 
da, wo der Trennungskontur die Centralspindel umfasst, habe ich 
nie die von Moore (8) und F. Hermann (2) beschriebene 
und abgebildete Reihe aequatorialer Körnehen gesehen !), von 
denen der letztgenannte Autor angibt, dass sie in den Verlauf 
der Centralspindelfasern eingeschaltet seien. Sie sollen kreis- 
förmig gestellt sein, dann unter Zusammenraffung der Central- 
spindel immer enger aneinander rücken und schliesslich einen 
soliden, sich stark färbenden Ring bilden. Moore hat diese 
Gebilde auch gesehen, aber völlig verkannt, wie denn überhaupt 
die Angaben dieses Autors recht wenig zuverlässige sind. Wie 
gesagt: ich habe nie etwas gesehen, das dem von F. Her- 
mann (2) Beschriebenen zu vergleichen wäre. Aber betrachte 
ich mir die Figuren F. Hermanns (2; Taf. XVII, Fig. 1 und 2), 
dann kann ich zu einer Erklärung seiner Angaben kommen. Er 
bildet nämlich, besonders in Figur 1 1. e., die Dispireme nicht 
im Medianschnitte ab, sondern in beiden noch zusammenhängen- 


1) Die von Moore (7) vorgenommene unzulässige Analogisirung 
dieser Bildung mit Erscheinungen am Ascarisei hat F. Hermann (2) 
in seiner wiederholt eitirten Arbeit zutreffend charakterisirt. 


42 Bernhard Rawitz: 


den Zellen als kreisförmige Gebilde, also im Aufblicke. 
D. h.: beide Dispireme sind von oben gesehen und dann er- 
scheinen sie allerdings als Kreise. In Figur 15 dieser Abhand- 
lung sieht man in der einen Zelle die chromatische Substanz 
schräg von oben und bemerkt daher im Centrum einen hellen 
Fleck. Ist meine Auffassung der beiden hier in Betracht kom- 
menden F. Hermann schen Figuren richtig, dann ist auch 
seine Angabe über den zum Zwischenkörperchen werdenden Körn- 
chenring verständlich. Beide Dispireme kann man nur dann von 
oben, also kreisförmig seheu, wenn die noch zusammen- 
hängenden Zellen an der Zusammenhangsstelle, 
im Aequator, gegen einander abgeknickt sind. 
In diesem Falle werden auch die Spindelfäden mitgeknickt und 
diese Knickungsstellen müssen nach optischen Gesetzen als feine 
Pünktchen imponiren. Ich habe angegeben, dass das Flemming- 
sche Zwischenkörperchen nicht in allen Zellen vorkommt; wo es 
sich aber findet, erscheint es von Anfang an als ein zwar feiner, 
aber deutlicher und durchaus einheitlicher Ring. 

F. Hermann zeichnet und giebt ferner in der erwähnten 
Arbeit an, dass die Centralspindel auf diesem Stadium aus der 
Chromatinmasse herausgerückt sei. Auch hier muss ich das 
Zutreffende der Beobachtung wenigstens für mein Material be- 
streiten. Auf diesem Stadium habe ich bei Seyllium canieula 
nie etwas Aehnliches gesehen; da F. Hermann seine Unter- 
suchungen an Seyllium catulus angestellt hat, so liegt hier offen- 
bar eine Abweichung zwischen beiden Arten vor. 

Nach F. Hermann soll sich die allerdings stark ver- 
kleinerte Centralspindel noch dann als Zellbrücke erhalten, wenn 
die beiden Tochterzellen sich bereits von einander entfernt haben. 
Nichts dem Aehnliches kommt bei Seyllium canieula vor; hier 
spielen sich die Vorgänge bei der definitiven Bildung der Sper- 
matiden in folgender Weise ab: 

Nachdem die Durehschnürung der Zellsubstanz und mit ihr 
die Durchsehnürung der Centralspindel erfolgt, nachdem auch die 
letzte Andeutung eines Spindelpoles verschwunden ist, trennen 
sich die so entstandenen Tochterzellen und bilden dabei meist 
einen spitzen, selten einen rechten Winkel zu einander (Fig. 15). 
Jetzt erst zieht sich aus jeder neuen Zelle der Halbspindel- 
rest aus der Chromatinmasse heraus. Das Punctum fixum für 


Untersuchungen über Zelltheilung. 3 


dieses Herausziehen bildet der Zellkontur, der als feine Membran 
imponirt und an dem die Halbspindelfasern aufsitzen und fest- 
haften. Die Faserung ist noch deutlich zu sehen, der Spindel- 
rest erinnert aber in seiner Gestalt nicht mehr an eine Halb- 
spindel. Die dem früheren Spindelpol zugehörigen Fasern 
weichen nämlich jetzt auseinander, wie etwa Besenreiser, die durch 
ein schnürendes, um ihre Spitzen gelegtes Band zusammen ge- 
halten waren, nach Entfernung des Bandes auseinander weichen. 
Zwar erscheinen die Fasern, wie dies Figur 15 getreu wieder- 
giebt, an ihren dem Chromatin zugekehrten Enden durch einen 
deutlichen Kontur abgegrenzt, doch halte ich diesen Kontur für 
eine rein optische Erscheinung. Neben den Spindelresten treten 
hier grössere, da kleinere, fast punktförmige Verdiehtungen in 
der Zellsubstanz auf (Fig. 15), von denen ich nicht sagen kann, 
ob sie aus dieser selber stammen oder ob sie von den Spindel- 
resten herrühren. Die Zellsubstanz und die Chromatinmasse bieten 
das gleiche Verhalten dar, wie vor der Trennung der Zellen. 

Die nächste Umbildungsphase ist nun dadurch ausgezeichnet, 
dass der Halbspindelrest sieh sowohl von der ehromatischen Sub- 
stanz als auch vom Zellkontur zurückgezogen hat (Fig. 16). Er 
hat dabei mehr rundliche Formen angenommen, ist aber noch 
deutlich faserig gebaut. Zugleich erscheint er von einem feinen 
Kontur umgeben. Dieser ist nicht auf das Vorhandensem einer 
Membran zurückzuführen — eine solche kommt nicht vor — 
sondern ist eine durch den Kontrast zwischen der blassrosa Fär- 
bung dieses Gebildes und der ganz schwachen Färbung der Zell- 
substanz hervorgerufene optische Erscheinung. Neben diesem 
Gebilde, das die Attraktionssphäre der Sperma- 
tide darstellt, liegen entweder zwei grössere oder mehrere 
kleinere Körnehen, die sich intensiver als die übrige Zellsubstanz 
gefärbt haben; sie sind identisch mit den vorhin erwähnten Ge- 
bilden. Der Kern ist nach wie vor eine homogene Chromatin- 
masse, welche sich etwas in die Länge gestreckt hat. Die 
Zellsubstanz ist wieder ganz normal, also von unbestimmter 
Struktur. 

Die weitere Veränderung drückt sich darin aus, dass die 
Sphäre homogen wird und eine etwas intensivere Färbung an- 
nimmt (Fig. 17). Noch sind die versprengten Körnchen in der 
Zellsubstanz zu erkennen (Fig. 17), doch giebt es auch Zellen, 


44 Bernhard Rawitz: 


in denen sie fehlen, und fast scheint es, als ob sie in die Sphäre 
einbezogen werden, die dadurch an Umfang etwas zunimmt. 
Eine fernere Veränderung besteht darin, dass die Chromatinmasse 
sich zu lockern beginnt. Man erkennt zusammenhängende Stäbchen, 
Körner und Klumpen von Chromatin, zwischen denen eine helle, 
nur wenig gefärbte Zwischensubstanz vorhanden ist. 

Endlich wird das Ruhestadium erreicht (Fig. 18). Die 
Zellen sind von verschiedener Gestalt, sie erscheinen oval, polye- 
drisch oder unregelmässig; ihre Konturen sind scharf, wie mem- 
branös, die Zellsubstanz gleicht vollkommen der der ruhenden 
Spermatoeyten I. Ordnung. Die Kerne sind alle zur Ruhe ge- 
langt; sie enthalten zahlreiche meist kleine, nur wenige grössere 
unregelmässig geformte Chromatinpartikel, die in einer sehr blass 
gefärbten Grundsubstanz liegen. Ein Lininnetz ist in letzterer 
nieht deutlich zu erkennen. Jeder Kern hat eine sich intensiv 
färbende Membran; die Gestalten der Kerne sind wechselnde, 
hier kugelig, dort oval, zuweilen auch nierenförmig eingebogen, 
und dann findet sich diese Einbiegung entweder auf der der 
gleich zu erwähnenden Sphäre abgewendeten oder auch auf der 
ihr zugewendeten Seite. Die Kerne liegen stets excentrisch in 
einem Pole der Zellen, zuweilen dieht am Rande und dann von 
einem nur schmalen Zellsubstanzsaume bedeckt. Polar entgegenge- 
setzt, in der Hauptmasse der Zellsubstanz, findet sich die Attrak- 
tionssphäre (Fig. 18), die manchmal weit vom Kern ab, manch- 
mal in seiner Nähe liegt. Die Sphäre ist ein solides scheiben- 
förmiges, nicht kugeliges, Gebilde von ganz homogener Beschaffen- 
heit, in der ein Oentrosoma nie zu sehen war. Sie hat ent- 
weder kreisförmige Gestalt oder ist oval; um sie herum ist keine 
besondere Differenzirung der Zellsubstanz (etwa wie bei Sala- 
mandra) zu erkennen. Ihr Kontur ist deutlich und erscheint 
fast immer ganz glatt, doch trifft man auch vereinzelte Sphären, 
deren Begrenzung gezackt ist, ähnlich wie nach meinen Beob- 
achtungen bei Salamandra maculosa, so dass es scheint, als ob 
die Sphäre kontinuirlich mit der Zellsubstanz zusammenhinge. 
Sie hat sich so intensiv in Alizarin, und zwar dunkelrosa, ge- 
färbt, dass sie scharf absticht von dem braunrothen Chromatin 
und von der blassrosa gefärbten Zellsubstanz. Durch diese 
Intensität der Färbung ist sie, die in keiner Zelle fehlt, so leicht 
zu erkennen, sie tritt mit so verblüffender, fast könnte man 


« 


Untersuchungen über Zelltheilung. 45 


sagen, brutaler Deutlichkeit hervor, dass sie schon bei Anwen- 
dung von relativ schwachen Vergrösserungen auffällt. Figur 2, 
die bei Zeiss Ocular 2 System D entworfen und bei Oeular 3 
System D ausgeführt wurde, giebt getreu das Verhalten wieder; 
die Sphäre macht sich neben dem Kern, der bei so geringer 
Vergrösserung homogen aussieht, deutlich bemerkbar und er- 
scheint stets — ich hebe dies der nachherigen Auseinander- 
setzung mit F. Hermann wegen hervor — als ein rundes, nie- 
mals aber als ein spindeliges Gebilde. 

Mit diesem Stadium ist die Zelltheilung im 
Selachierhoden beendet. Die Spermatiden, deren Ent- 
stehungsweise wir verfolgt haben, bestehen aus einer unbestimmt 
strukturirten Zellsubstanz, in welcher eine deutliche, centro- 
somenlose Attraktionssphäre und ein relativ grosser Kern 
gelegen sind, welch’ letzterer kleine, in einer sich nicht oder 
nur wenig färbenden Grundsubstanz eingebettete Chromatin- 
körnchen besitzt. Die Grösse der Spermatiden schwankt zwischen 
10 und 12u, die der Sphären zwischen 2 und 3 u, die der Kerne 
zwischen 4, 5 und 6u. 

(Ganz wesentlich anders schildert F. Hermann (2) den 
Bau der Spermatiden von Seyllium catulus. Obgleich wir ver- 
schiedene Species untersucht haben, so glaube ich doch nicht, 
dass die Differenz unserer Befunde sich einzig und allein daraus 
erklären lässt; denn so grosse prinzipielle Abweichungen 
können meines Erachtens bei zwei so nahe verwandten Arten 
wie Seyllium catulus und canicula nicht vorhanden sein. Ich 
glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich die Ursache für die Diffe- 
renz sowohl in den verwendeten verschiedenen Fixirungsflüssig- 
keiten, wie vor allem in den Färbungsmethoden suche, und ich 
möchte hinsichtlich der letzteren die Behauptung aufstellen, dass 
die exakte, echte Färbung, die man mit dem Alizarin erhält, 
die Präsumptio boni für sich hat. 

Nach F. Hermann (2) spielen sich die hier interessirenden 
Vorgänge folgendermaassen ab: Nachdem sich nach der letzten 
Theilung wieder ein bläschenförmiger Kern gebildet, der excen- 
trisch liegt, finde man in dessen Nachbarschaft ein zierliches 
Spindelehen von homogener Beschaffenheit. Dasselbe sei glashell 
und scharf konturirt, an seinem einen Pole sei ein kleines, an 
seinem anderen ein grosses Körnchen gelegen. Der Nachweis 


46 Bernhard Rawitz: 


ist durch Hämatoxylinlacke erbracht. F. Hermann hält dies 
Spindelehen für eine halbe Centralspindel; von den beiden 
Körperchen soll das kleinere das Öentrosoma sein, während das 
grössere die Hälfte des Zwischenkörperchens repräsentirt. Es 
sollen somit die Verhältnisse ähnlich sein, wie nach Benda beim 
Salamander. Ganz abgesehen davon, dass Benda’s Schilderung 
vom Salamander nach meinen Erfahrungen nicht ganz zutreffend 
ist — der Nachweis bleibt einer späteren Mittheilung vorbe- 
halten —, kann ich den Angaben von F. Hermann für Seyl- 
lium nicht zustimmen. Ich habe nie etwas ähnliches auch nur 
andeutungsweise gefunden, immer nur die Verhältnisse so beob- 
achten können, wie ich sie geschildert, und zwar immer mit 
solcher Deutlichkeit, dass für mich wenigstens an ihrer Richtig- 
keit kein Zweifel ist. Allerdings bin ich unmodern genug, mich 
nicht der Hämatoxylinlacke zu bedienen. Durchaus zutreffend 
hat F. Hermann am Eingang seiner Darstellungen die Unzu- 
verlässigkeit dieser Färbungsmethoden hervorgehoben, bei denen 
„während des „Prozesses der Differenzirung“ soviel in die Ge- 
schicklichkeit und Willkür der einzelnen Untersucher gelegt 
ist“ (2, pag. 280). Darum wundert es mich, dass F. Hermann 
sich zur Anwendung soleh’ unzuverlässiger Methoden entschliesst. 
Ich möchte das Hauptgewicht in den eitirten Worten auf die 
Willkür legen; denn die Geschicklichkeit kann sich schliess- 
lich Jeder erwerben, aber wann einer aufhören soll zu „diffe- 
renziren“, hängt lediglich von seiner Willkür ab. Ich habe 
meinen Standpunkt gegenüber diesen Methoden in einer beson- 
deren Abhandlung (Anat. Anzeiger Bd. XIII, Nr. 3) des breiteren 
dargelegt und brauche daher hier auf eine Kritik derselben mich 
nicht näher einzulassen. Ueber die Grenzen der Leistungsfähig- 
keit ihrer Methoden werden sich die meisten Untersucher gar 
nicht klar; sie kümmern sich auch nicht darum, machen vielmehr 
einfach nach, was vorgeschrieben ist, und können dann als sehr 
moderne Forscher ehrenvollen Citirtwerdens sicher sein. Dass 
die Hämatoxylinlacke zur Erforschung so dunkler Gebiete wie 
das der Attraktionssphären ihrer ganzen Natur nach am aller- 
wenigsten geeignet ist, ist dem, der sich mit dem Technischen 
des Färbens beschäftigt, einleuchtend. Nur dem Umstande, dass 
den meisten Forschern das Wesen des Färbens eine Quantite 
negligeable ist, haben wir es zu danken, dass diese ganz irratio- 


Untersuchungen über Zelltheilung. . 47 


nellen Färbungen gerade auf cytologischem Gebiete in ausge- 
dehntestem Maasse angewendet werden. In manchen der modernsten 
eytologischen Arbeiten ist das Neue, was sie enthalten, nur auf 
eine willkürlich verkürzte oder verlängerte Differenzirung 
zurückzuführen, vieles wäre unbeschrieben geblieben, hätten wir 
eine allgemein anerkannte rationelle Methode des Färbens. 
Ob F. Hermann seine Resultate durch zu langes oder zu kurzes 
Differenziren erhalten hat, weiss ich nicht; jedenfalls finde ich 
in meinen Präparaten keinen Anhalt für seine Angaben. 

Des weiteren erwähnt F. Hermann ein Gebilde in der 
Zellsubstanz, das anfangs dem Kerne sich dieht anschmiege, 
dann in der Hauptmasse der Zellsubstanz gelegen sei. Dieses 
stark granulirte, sich dunkel färbende Gebilde soll eine Archi- 
plasmaanhäufung sein und dem Reste der Spindelmantelfasern 
seine Entstehung verdanken. Ein Blick auf seine zugehörigen 
Figuren 5—9, Taf. XVIT 1. e. zeigt, dass es sich hier an- 
scheinend um die Attraktionssphäre der Spermatiden handelt, 
aber ein Vergleich der F. Hermann’schen mit meinen Ab- 
bildungen offenbart auch sofort die Differenz, die zwischen uns 
vorhanden ist. Dass die Sphäre (Archiplasmaballen) sich inten- 
siv färbt, ist richtig, das habe ich auch hervorgehoben. Aller- 
dings würde ich zur Erkennung nicht eine so irrationelle Kombi- 
nation wie die der Pal’schen Methode mit Saffraninnachfärbung 
gewählt haben, denn die Pal’sche Methode, vortrefflich geeignet 
zum Studium der Faserung des Centralnervensystems, ist ganz werth- 
los für alle übrigen Organe. Auch die leichte Sichtbarkeit dieses 
Gebildes habe ich konstatirt, nur erscheinen die Sphären in 
meinen Präparaten während der Zellruhe stets homogen und von 
rundlicher Gestalt, nicht stark granulirt und unregelmässig be- 
grenzt wie die Archiplasmaballen bei F. Hermann. Die Bilder 
von F. Hermann stammen von einem Materiale, das mit der 
Benda’schen Salpetersäure-Kali bicehromieum-Methode fixirt war. 
So gut diese Kombination für Gehirn und Rückenmark sowie 
für Drüsen ist, so wenig geeignet ist sie nach meinen jetzigen 
Erfahrungen für den Hoden. Auch hat Benda die Methode gar 
nicht für den Hoden empfohlen. F. Hermann selber hat in dieser 
Arbeit ein Präparat abgebildet, in welchem die Köpfe der reifen- 
den Samenfäden vollständig zerstört waren. Das stimmt mit 
dem, was ich im Salamanderhoden mit diesem Fixirungsmittel 


48 Bernhard Rawitz: 


erhalten habe, durchaus überein. Ich habe aber auch gefunden, 
dass die Zellsubstanzen selber stark angegriffen werden, sodass 
manche Struktureigenthümlichkeiten verschwinden, manche artifi- 
ziell hervorgebracht werden. Für artifiziell verändert halte ich 
aber die Sphäre, so wie sie F. Hermann abbildet, wenn es 
sich bei seinem Archiplasmaballen überhaupt um die Sphäre 
handelt, und ebenso glaube ich, dass das glashelle Spindelchen 
im wesentlichen seine Existenz in dieser Form der Fixirungs- 
methode verdankt. Am besten und zuverlässigsten ist nach 
meinen Erfahrungen für den Hoden der Wirbelthiere und Wirbel- 
losen die Flemming’sche Lösung, der, wenn man ihre sehr 
kleinen Fehler kennt, kein anderes Reagens gleich zu achten ist. 
Dass die Sphäre von den Spindelmantelfasern abstammt, muss 
ich direkt bestreiten. Weder klappen diese Fasern regenschirm- 
artig um, noch reissen sie von den Polkörperchen los; ihr Schiek- 
sal ist vielmehr so wie oben beschrieben. Die Sphäre der 
Spermatiden stammt von der Centralspindelab, 
aus der sie naclı mannigfachen Metamorphosen in ihrer defini- 
tiven Gestalt hervorgeht; das Spindelchen aber, das F. Her- 
mann beschreibt, sowie sein Archiplasmaballen sind nach meinen 
Präparaten nicht vorhanden. 


B. Spermatogenese. 


Die Veränderungen, welche die Spermatiden beim Ueber- 
gang zum Samenfaden durchmachen, verlaufen in allen Zellen 
einer Cyste (Ampulle) gleichmässig. Aber die verschiedenen 
Cysten zeigen verschiedene Phasen des Umwandlungsprozesses, 
sodass dieser an einem Hoden von Anfang bis Ende studirt 
werden kann. In all’ den Exemplaren, die ich zu untersuchen 
Gelegenheit hatte, waren die Einzelheiten der Spermatogenese 
in so vollkommener Uebereinstimmung, so ohne jede Abweichung, 
wie ich es bei anderen Vertebraten in dem gleichen Grade bis- 
her nicht gefunden. Hinzufügen will ich, dass das Material im 
April gesammelt wurde. 

Die erste Veränderung, welche die Spermatiden erkennen 
lassen, besteht darin, dass in den Kernen die Zwischensubstanz 
zwischen dem Chromatin (Kernsaft) eine so intensive Färbung 
annimmt, dass das Chromatin nur noch undeutlich zu erkennen 
ist (Fig. 19). Während die Zellsubstanz in ihrem Aussehen un- 


Untersuchungen über Zelltheilung. 49 


verändert bleibt, zeichnet sich die Sphäre, die rund (Fig. 19a) 
oder oval (Fig. 19b) ist, ebenfalls durch eine sehr intensive 
Färbung aus. Allerdings ist es mir nicht klar, ob wir es hier 
wirklich mit einer stärkeren Färbbarkeit dieses Gebildes zu thun 
haben, oder ob es sich nur um eine Kontrastwirkung handelt. 
Letztere wäre folgendermaassen zu erklären. Durch die dunklere 
Färbung, welche der Kern angenommen hat, erscheint die sehr 
blasse Zellsubstanz noch blasser ;, darum ist es sehr wohl 
möglich, dass die Sphäre, welche intensiver tingirt ist als die 
Zellsubstanz, dunkler aussieht, als sie thatsächlieh ist. Ich führe 
dies nur an, weil solche Kontrastwirkungen leicht zu Irrthümern 
Anlass geben können, während es im vorliegenden Falle aller- 
dings irrelevant ist, ob die Sphäre sich dunkler gefärbt hat oder 
nicht. Die Sphäre findet sich entweder in der dem excentrisch 
gelegenen Kerne polar entgegengesetzten Ecke (Fig. 19 b) oder 
sie hat sich ihm bis fast zur Berührung genähert (Fig. 19a). 
F. Hermann (2) beschreibt von diesem Stadium eine Er- 
scheinung an den Kernen, in welcher er glaubt, einen sehr 
wiehtigen Vorgang erblicken zu sollen. Es soll sich nämlich an 
einer Stelle eine Verdichtung des Kernkonturs ausbilden, ent- 
weder durch Anlagerung eines Chromatinpartikelehens oder durch 
die eines Nucleolus an die Kernwand. Durch diese Verdichtung 
soll eine polare Differenzirung am Kern entstehen, da eben diese 
Stelle zum Spiesse des reifen Spermatosoma wird. Die Beob- 
achtung ist richtig; indessen die Bedeutung, die ihr F. Her- 
mann zuschreibt, kann ich ihr nicht beilegen. - Sehr oft näm- 
lich kann man konstatiren, dass der Spiess aus einem Theile 
der Kernmembran sich bildet, der dieser Verdichtung gerade 
entgegengesetzt liegt: damit fällt aber die Bedeutung des Vor- 
ganges in dem von F. Hermann gewollten Sinne weg. Je- 
doch in anderer Weise ist eine polare Differenzirung nicht bloss 
des Kerns, sondern der ganzen Zelle zu beobachten. Sphäre 
und Kern liegen, wie wiederholt hervorgehoben, zunächst in ent- 
gegengesetzten Ecke der Zelle. Hat sich aber die Sphäre dem 
Kern genähert, was schon auf diesem Stadium fast zu einer 
beiderseitigen Berührung führt, so ist dies Faktum von beson- 
derer Wichtigkeit. An dem Pole des Kernes nämlich, welcher 
der Sphäre direkt entgegengesetzt gelegen ist, bildet sich der 
Spiess des Samenfadens, an dem Pole der Sphäre, welcher vom 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 53 4 


50 Bernhard Rawitz: 


Kerne abgewendet ist, der Schwanz des Samenfadens. Doch 
greife ich hiermit der Thatsachenschilderung schon etwas voraus. 

Während die centrosomenlose Sphäre ihr unverändertes 
Aussehen, ebenso wie die Zellsubstanz, beibehält und nach wie 
vor bald kreisförmig, bald oval erscheint, hier noch fern vom 
Kern liegt, dort sich ihm.bereits genähert hat, welche Annähe- 
rung übrigens auf ihre Gestalt keinen Einfluss hat, ist der Kern 
jetzt ganz homogen geworden (Fig. 20). Alle Theile an 
ihm färben sich gleichmässig, das Chromatin ist als solehes 
nicht mehr zu unterscheiden: der Kern stellt eine stark lieht- 
brechende homogene Kugel dar. Eine Verkleinerung seines 
Durchmessers ist nicht erkennbar. 

Nunmehr treten sehr bedeutende und wichtige Veränderungen 
im Kern auf, während Sphäre und Zellsubstanz unverändert 
bleiben. Die Kernmasse zieht sich nämlich von der Kernmembran 
sehr stark zurück, sodass letztere, die auf dem vorigen Stadium 
als solche nieht sichtbar war, deutlich hervortritt (Fig. 21) und 
dass ausserdem ein heller, farbloser Hof um den Kern entsteht. 
Doch zieht sich der Kern nieht gleichmässig von der Membran 
zurück. An demjenigen Pole, welcher dem Zellkontur benach- 
bart und der Sphäre diametral entgegengesetzt ist, bleibt er mit 
der Membran in Verbindung und zieht dieselbe in Gestalt eines 
kleinen Zipfels nach innen hinein. Die Figur 21 giebt die Ver- 
hältnisse klar wieder. Dieser Membranzipfel zeigt eine leichte 
Färbung; das ist sehr erklärlich, wenn man überlegt, dass die 
Membran überhaupt gefärbt ist und dass sich an dieser Stelle 
gewissermaassen eine Falte derselben gebildet hat, sie also in 
zwei Blättern über einander liegt. Die Sphäre ist auch hier 
dem Kern bis fast zur Berührung genähert (Fig. 21 a) oder liegt 
noch immer weit von ihm ab (Fig. 21b). Das Zurückziehen 
des Kernes von der Membran ist nicht bloss mit einer sehr be- 
trächtlichen Volumsverminderung verbunden, sondern es ändert 
sich auch die Gestalt. Statt der Kugeln haben wir jetzt stark 
lichtbrechende homogene Scheiben vor uns, wovon man sich auf's 
bestimmteste durch Heben und Senken des Mikroskoptubus über- 
zeugen kann. 

F. Hermann (2) stellt den Vorgang etwas anders dar. 
Nach ihm findet die Volumsverminderung statt zu einer Zeit, in 
der der Kern noch nieht vollkommen homogen ist. Nach seinen 


Untersuchungen über Zelltheilung. 51 


Angaben und Figuren zu schliessen kann man eine Art Kernge- 
rüst selbst noch dann erkennen, wenn bereits die Schwanzanlage 
des Spermatosoma entstanden ist. Ich vermag nicht zu sagen, 
worauf diese Abweichung der F. Hermann’schen Befunde von 
den meinigen zurückzuführen ist. Möglicherweise hatten die 
Kerne durch die Vorbehandlung mit der Pal’schen Methode so 
gelitten, dass sie nachträglich das Saffranin nieht mehr gut an- 
nahmen, oder der letztere Farbstoff wurde in dem zum Ent- 
wässern bestimmten Alkohol zu stark ausgezogen. 

Derselbe Autor erwähnt ferner, dass bei der Volumsver- 
kleinerung des Kermes Flüssigkeit aus dessen Innerem in Form 
einer kleinen „Vacuole* heraustrete und gegen die Zellsubstanz 
sich vorwölbe. Diese Beobachtung, die, wie F. Hermann ganz 
richtig bemerkt, nicht zu identifiziren ist mit den nicht sehr 
klaren Beschreibungen von Jensen (4) und Swaäön und 
Masquelin (12), kann ich bestätigen, nur lege ich ihr wenig 
Bedeutung bei. Die Vacuole (richtiger müsste es heissen: das 
Tröpfehen) ist nach F. Hermann’'s zutreffender Bemerkung 
eine bald vorübergehende Erscheinung. Das Ausstossen der 
Flüssigkeit und deren Vermischung mit der Zellsubstanz erfolgt 
so schnell, dass der Vorgang in sehr vielen Fällen gar nicht 
fixirt ist. Dass etwas Kernsaft bei der Volumsverkleinerung des 
Kernes ausgestossen werden muss, ist klar, für die Spermato- 
genese aber hat dies keine Bedeutung. Wichtig dagegen ist die 
auch von F. Hermann mitgetheilte Thatsache, dass der Kern 
mit der Membran an einer Stelle in direkter Verbindung bleibt. 
Denn dadurch wird die polare Differenzirung der Zelle deutlich, 
auf die vorher schon hingewiesen wurde. Ferner bildet diese 
Verbindungsstelle, wie ich in Uebereinstimmung mit F. Hermann 
feststellen konnte, später den Spiess des Samenfadens. Dass die 
Retraktion der Kernmasse von der Membran bei der von F. Her- 
mann untersuchten Species nicht gleich von Anfang an eine so 
beträchtliche ist wie bei derjenigen Art, von welcher mein Material 
stammt, ist wohl nur eine untergeordnete Differenz. 

Jetzt rücken die Kerne nahe an den Zellkontur heran und 
ihnen folgt die Sphäre; diese, in der man, aber aueh nur in 
diesem Stadium und nur vorübergehend, zwei cen- 
trosomenartige Bildungen zu erkennen glaubt, liegt niemals mehr 
in einer Ecke der Zellsubstanz, sondern hat sich dem Kern ge- 


52 Bernhard Rawitz: 


nähert. Meist berührt sie ihn bereits, zuweilen, aber nur in 
wenigen Zellen, liegt sie mehr seitlich vom Kern, wie Fig. 22a 
zeigt, die das nächstfolgende Stadium wiedergiebt. Die Gestalt 
des Kernes ist birnförmig geworden; der Pol, der mit der Kern- 
membran in Verbindung geblieben ist, ist dem Stiel der Birne 
zu vergleichen. 

Die Kernmembran schwindet bei der weiteren Veränderung 
bis auf einen Rest und dieser Rest ist die Stelle des Zusammen- 
hanges von Membran und Kern. Flügelartig gehen von der Zu- 
sammenhangsstelle zwei Fortsätze zu beiden Seiten ab, die kon- 
centrisch zum Kern gebogen sind und bis über die halbe Höhe 
des letzteren hinausragen. Der Kern mit diesem Anhange ist 
einem Luftballon mit Gondel zu vergleichen (Fig. 22). Um ihn 
ist noch ein zarter heller Hof zu sehen, der aber nicht mehr 
scharf konturirt erscheint; er selber hat sich dem Membranrest 
so stark genähert, dass dieser num nicht mehr als besonderer 
Stiel imponirt (Fig. 22). Die Gestalt der Zellen hat sich eben- 
falls verändert; während sie früher polyedrische oder rundliche 
Gebilde waren, sind sie jetzt alle in die Länge gestreckt und 
haben ovale Gestalt angenommen. 

Die wichtigste Veränderung aber besteht darin, dass in 
allen diesen Zellen die Schwanzanlage des Spermato- 
soma erschienen ist. Woher sie stammt, wie sie entsteht: das 
festzustellen, war mir nicht möglich; sie ist plötzlich da, doch 
über ihre Bildungsweise ist nichts zu erkennen. Sie erscheint 
als eine zarte, feine, dunkle Linie, die, genau in der Hauptaxe 
der Zelle gelegen, von der Mitte des inneren Kernpoles, wenn 
man die Ansatzstelle des Kerns an die Membran als den äusseren 
Pol bezeichnen kann, bis an den Zellkontur reicht. An letzteren 
setzt sie sich mit einer dreieckigen Verbreiterung an (Fig. 22), 
am Kernpol bildet sie eine feine Spitze; sie wird also von aussen 
nach innen dieker. Diese Verbreiterung ist jetzt noch kein Ring, 
wie ich F. Hermann und den anderen Untersuchern gegenüber 
auf das schärfste betonen muss. Eigenthümlich ist die Stellung 
der Sphäre zur Schwanzanlage. In den einen Zellen — diese 
bilden die Minderheit — liegt die Sphäre seitlich von der Schwanz- 
anlage (Fig. 22a), in der Mehrzahl findet sie sich so gelagert, 
dass sie den Kern an dessen hinteren Pol dieht berührt und da- 
durch von der Schwanzanlage halbirt wird (Fig. 22b). Im 


Untersuchungen über Zelltheilung. 993 


letzteren Falle liegt die Sphäre entweder über oder unter der 
Scehwanzanlage, diese geht nieht durch jene hindurch, wenn es 
auch infolge der geringen Dicke der Sphäre und der dunklen 
Färbung der Anlage so aussieht !). Der Ort, an dem die Schwanz- 
anlage sich zuerst findet, der Umstand, dass Kern und Sphäre 
offenbar mit ihr nichts zu thun haben, macht es höchst wahr- 
scheinlich, dass sie ein Differenzirungsprodukt der Zellsubstanz 
ist. Von Betheiligung eines Centrosoma bei der Schwanzanlage 
ist keine Rede. Zuweilen hat es, dies sei der Vollständigkeit 
halber erwähnt, bei Anwendung sehr starker Vergrösserungen 
den Anschein, als ob die Schwanzanlage aus einer linear ange- 
ordneten Körnchenreihe bestünde. 

Immer deutlicher wird von jetzt ab die Form des Sperma- 
tosoma. Die Zellen strecken sich sehr beträchtlich in die Länge 
und werden gleichzeitig sehr schmal, ihr Längendurchmesser be- 
trägt im Mittel etwa 15u, ihr Breitendurchmesser 4,5u. Die 
Zellsubstanz selber zeigt keine Veränderungen. Der Kern wird 
zu einem strangförmigen Gebilde von etwa 4,5u Länge und Zu 
Breite (Fig. 23a). Hat man Zellen im Schnitt quergetroffen, so 
erkennt man, dass der Durchschnitt des Kernes ein kreisförmiger 
ist (Fig. 23 b); der Kern ist also ein Cylinder, dessen beiden 
schmalen Flächen leicht konvex gerundet sind. Am Aussenpole 
des Kerns, der nunmehr wohl als Spermatosomenkopf bezeichnet 
werden kann, ist der Rest der Kernmembran vorhanden, der 
schirmartig dem Kopfe dicht aufliegt. Der aul dem vorigen 
Stadium noch vorhandene helle Hof um den Kern ist geschwunden. 
Die Sphäre hat sich jetzt genau an die Mitte der inneren Fläche 
des Kerns angelegt und ist ebenfalls oval geworden; sie hat 


1) F. Hermann (2) und auch Moore (8) schildern die Vor- 
gänge in vieler Beziehung anders wie ich. Namentlich ersterer Autor 
lässt dabei sein glashelles Spindelchen und zum Theil auch den Archi- 
plasmaballen eine so merkwürdige Rolle spielen, dass ein Kompromiss 
zwischen unseren beiderseitigen Beobachtungen ausgeschlossen erscheint. 
Es würde aber der Darstellung meiner Befunde in formeller Beziehung 
sehr zum Nachtheil gereichen, wollte ich über dem Strich jedes Mal 
die entgegengesetzte Angabe F. Hermann’s ausführlich kritisiren. Ich 
verzichte daher darauf und hebe nur noch hervor, dass ich das We- 
sentliche der Hermann’schen Darstellungen als unrichtig bezeichnen 
muss. Nur noch selten werde ich im Text auf die F. Hermann’sche 
Arbeit zurückkommen müssen. 


54 Bernhard Rawitz: 


ungefähr dieselbe Länge wie der Kern, ist aber nur höchstens 
halb so breit wie dieser. Ihre Färbbarkeit ist gegen das vorige 
Stadium etwas vermindert, was leicht verständlich ist. Bei dem 
geringen Umfange der Sphäre und ihrem zarten Bau kann sie, 
wenn sie sich ausdehnt, an Masse aber sich gleich bleibt, also 
keine neuen Bestandtheile .aus der Zellsubstanz in sich aufnimmt, 
nicht ebenso intensiv sich färben, wie auf dem Stadium, auf 
welchem sie einen kleineren Raum beanspruchte. Die Schwanz- 
anlage geht durch die längsgestreckte Sphäre hindurch. Nirgends 
findet man mehr Andeutungen, dass die Sphäre neben oder über 
der Schwanzanlage gelegen wäre; durch genaueste, darauf hin 
gerichtete Untersuchungen habe ich mich davon überzeugt, dass 
thatsächlich der an den Kern anstossende Theil der Schwanz- 
anlage in der Sphäre gelegen ist. Das ist nur durch die An- 
nahme zu erklären, dass die an den Kern (aktiv) herangerückte 
Sphäre sich um die Schwanzanlage herum legt und so diese 
einschliesst; doch ist letztere noch deutlich innerhalb der Sphäre 
zu erkennen. Aehnliches scheint F. Hermann gesehen zu haben, 
doch leidet seine Darstellung hier an einiger Unklarheit. Die 
Schwanzanlage geht jetzt über den Zellkontur hinaus (Fig. 23a) 
bis zur halben Zelllänge; die ursprünglich vorhandene dreieckige 
Verbreiterung am Zellkontur präsentirt sich in der Gestalt eines 
ovalen Ringes, der aber noch sehr eng, als solcher nur bei ge- 
nauem Zusehen zu erkennen ist. Durch diesen Ring tritt die 
Schwanzanlage in das Cystenlumen. 

Sehr beachtenswerth ist auf diesem und dem nächsten 
Stadium die topographische Anordnung der Spermatiden. Die- 
selben liegen frei in ihren Fächern, doch sind die die letzteren 
herstellenden, vom Bindegewebe abstammenden Lamellen nicht 
mehr genau zu erkennen. Alle Zellen liegen ausserhalb der 
Stützzelle, welch’ letztere der bindegewebigen Wand der Cyste 
dieht angeschmiegt ist (Fig. 4, st). Die Spermatiden, trotzdem 
sie unregelmässig durch einander liegen, zeigen doch schon im 
allgemeinen die Tendenz, sich so einzustellen, dass der Kern, 
also der Kopf des künftigen Samenfadens, gegen die Cysten- 
wand, die Schwanzanlage gegen das Cystenlumen gerichtet ist. 

Die Längsstreekung und zugleich die Verschmälerung der 
Zelle macht immer weitere Fortschritte und auf dem nächsten 
Stadium, das wir unterscheiden können, haben wir ein Gebilde 


Untersuchungen über Zelltheilung. 55 


vor uns (Fig. 24), das mindestens doppelt so lang und kaum 
halb so breit ist, wie auf dem eben beschriebenen Stadium. 
Auch der Kern hat sich bedeutend in die Länge gezogen. An 
seinem äusseren Ende ist der Kernmembranrest als eine den 
Kern bedeckende Kappe wieder deutlicher geworden, während 
die seitlichen flügelförmigen Fortsätze sich sehr verschmälert 
haben. Ob sich dies Wiederdeutlichwerden darauf zurückführen 
lässt, dass der Kern von seiner Kappe sich etwas mehr zurück- 
gezogen hat, oder wie die Thatsache sonst zu erklären ist, ver- 
mag ich nicht zu sagen. Der Kern selber liegt geschlängelt in 
der Zelle (Fig. 24). Noch haben wir es bloss mit wellen- 
förmigen Biegungen des Kernes zu thun, nicht mit spiraligen 
Windungen, die Biegungen sind noch wenig zahlreich, etwa 2—4, 
und nicht sehr ausgiebig. Bei einer durchschnittlichen Länge 
von 15 u beträgt die Breite des Kernes knapp 1,5u. Mit dem 
Auftreten der Schlängelungen können wir den Kern definitiv als 
Kopf des Spermatosoma bezeichnen. Auch die Sphäre hat 
sich bedeutend in die Länge gestreckt, ist nahezu doppelt so 
lang wie vorher, hat aber nur relativ wenig an Breitendurch- 
messer eingebüsst; ihre Färbbarkeit ist, ebenso wie im vorigen 
Stadium, eine nur geringe. Die Schwanzanlage ist in ihr nicht 
mehr zu erkennen, die Sphäre erscheint ganz homogen. Betrachtet 
man sich die Zellen auf diesem Stadium der Umbildung objektiv 
und zieht man dabei das Schicksal der Sphäre in Betracht, so 
kann über das, was letztere zum Aufbau des Spermatosoma 
beiträgt, kein Zweifel herrschen (Fig. 24): das Mittelstück 
des Samenfadens ist aus der Attraktionssphäre 
der Spermatide entstanden. Die Schwanzanlage, an 
deren Ansatzstelle am Mittelstück ein Endknöpfchen weder jetzt 
noch früher zu sehen ist (gegen F. Hermann), reicht weit 
hinein in das Lumen der Cyste; die Durchtrittsstelle durch die 
Zellsubstanz ist zu einem relativ breiten Ringe geworden (Fig. 24). 

Die Schlängelung des Spermatosomenkopfes, der immer 
schmaler wird und immer mehr sich in die Länge zieht, wird 
sehr viel stärker und schliesslich legt sich der Kopf in zahl- 
reiche Spiralwindungen. Ob diese vom Mittelstück zum Spiess 
eine links aufsteigende Richtung in allen Fällen zeigen, wie 
F. Hermann (2) angiebt, darauf habe ich nicht genau ge- 
achtet, im allgemeinen aber mich von der Richtigkeit der 


56 Bernhard Rawitz: 


F. Hermann'’schen Angabe überzeugt. Doch kann ich m 
letzterem Thatbestande etwas besonders Wichtiges nicht finden. 
Von dem Augenblicke ab, wo die Spiraldrehung des Kopfes 
ausgesprochen ist, findet die Einlagerung der Spermatiden in 
das Protoplasma der Stützzellen statt: eine Thatsache, die weit 
wichtiger ist, als die Drehungsrichtung der Spermatosomenköpfe. 

Im einzelnen ist über die Stützzellen, die jetzt erst die 
Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, das Folgende nachzutragen: 
In den Cysten, in welchen die Spermatiden ihre erste Umwand- 
lung zu Spermatosomen durchmachen, ist die Stützzelle ein nahe- 
zu rudimentäres Gebilde. Ihr Kern ist klein, von eiförmiger 
Gestalt, färbt sich ausserordentlich blass und lässt einige wenige 
Granula sowie ein oder zwei Nucleolen erkennen; ein eigent- 
liches Gerüst aber ist nicht in ihm wahrzunehmen. Der Kern 
liegt mit seiner langen Seite der bindegewebigen Cystenwand 
so dicht an, dass er vielfach für einen Kern dieser Wand ge- 
halten wurde. Die Zellsubstanz um den Kern herum ist so 
schwach entwickelt und so zart, dass sie nur als schmaler Saum 
um den Kern herum erscheint. In diesem Zustande verharren 
die Stützzellen bis zu dem Stadium, in welchem das Wellig- 
werden des Spermatidenkernes beginnt. Es wächst jetzt ihre 
Zellsubstanz ganz beträchtlich heran, während ihr Kern sein 
Aussehen und seine Lage unverändert beibehält.. 

Die Spermatiden mit spiralig gewundenem Kopfe lagern 
sich also in die nunmehr herangewachsenen Stützzellen ein. 
Welche besonderen Mechanismen hierbei thätig sind, oder ob 
die Einlagerung etwa dadurch geschieht, dass die Stützzelle die 
sich zum Samenfaden umbildenden Spermatiden einfach umwächst, 
vermag ich nicht genau zu sagen. Mir scheint letzteres das 
Wahrscheinliche. Die Einlagerung findet in der Weise statt, 
dass der den Kopf und das Mittelstück enthaltende Theil in der 
Stützzelle drin steckt, während der Theil, in welehem das An- 
fangsstück des Spermatosomenschwanzes gelegen ist ist, ausser- 
halb der Stützzelle bleibt. Die Zellsubstanz der sehr langge- 
streckten Spermatide erschemt nur noch als ein schmaler Saum 
um Kopf, Mittelstück und Anfangstheil des Schwanzes. Ich 
kann der Angabe von F. Hermann (2) nicht zustimmen, dass 
sich der Spiess, i. e. der kappenartige Kernmembranrest, durch 
die Substanz der Spermatide durchbohrt und frei zu Tage liegt. 


n 


Untersuchungen über Zelltheilung. 5 


Vielmehr sehe ich in allen meinen Präparaten auch den Spiess 
innerhalb der Spermatide gelegen. Mit der Einlagerung in die 
Stützzellen — es stecken in jeder der letzteren stets zahlreiche 
Spermatiden — tritt eine deutliche systematische Anordnung auf. 
(Fig. 25.) Die äussersten Spitzen der Köpfe mit den betreffen- 
den Spiessen konvergiren, doch olıne dass es zu einer gegen- 
seitigen Berührung kommt, die Köpfe selber divergiren und von 
den Mittelstücken ab findet wieder Konvergenz statt, die am 
Anfange des Schwanzes bis zur gegenseitigen Berührung gehen 
kann. So entsteht eine tonnenförmige Figur (Fig. 25), deren 
basales Ende breiter ist als das dem Ampullenlumen zugewandte. 
Da, wo die Schwänze an das Mittelstück sich ansetzen, ist eine 
leichte Anschwellung des letzteren zu sehen, die besonders auf 
dem nächsten Stadium sehr deutlich ist, fast wie ein dunkles, 
grosses Korn erscheint (Fig. 27), um bei reifen Spermatosomen 
wieder zu fehlen (Fig. 28). Die Schwänze konvergiren gegen 
das Ampullenlumen und legen sich mit ihren freien Enden dicht 
an einander, so einen weit in das Lumen hineinragenden Schopf 
bildend. 

Die Stützzelle wächst nun allmählich heran, wobei sie eine 
zart granulirte Struktur erhält; ihr Kern, bisher basal gelegen, 
rückt an die Seite (Fig. 26 st), während die Samenfäden tiefer 
in die Substanz der Stützzelle eindringen. Die tonnenförmige 
Figur schwindet, die Spermatosomenköpfe werden parallel und 
ihre spiralige Drehung nimmt zu (Fig. 26 sp). Betrachtet man 
die Samenköpfe mit schwacher Vergrösserung, so erscheinen sie 
deutlich geschlängelt und diese Schlängelung stellt sich nach 
Anwendung homogener Immersion als eine ausgeprägte Spiral- 
drehung dar (Fig. 27). Aber am Mittelstücke ist von einer 
solchen Schlängelung oder Drehung nichts wahrzunehmen. F. Her- 
mann (2), der über das angebliche Diekenwachsthun des Mittel- 
stückes ganz eigenthümliche Angaben macht, wofür ich in meinen 
Präparaten kein Analogon finden kann, behauptet auch, dass 
das Mittelstück, bevor es seine „Mantelsubstanz“ (?) erhalten, eine 
Spiraldrehung zeige, die gerade entgegengesetzt der des Kopfes 
gerichtet sei. Betrachtet man den spiralig gedrehten Kopf bei 
Anwendung homogener Immersion sehr lange und gebt dann auf 
das Mittelstück über, so gewinnt es in der That den Anschein, 
als ob letzteres eine entgegengesetzte Drehung besässe. Ich 


58 Bernhard Rawitz: 


halte aber diese Drehung für eine optische Täuschung; durch 
langes Ansehen gedrehter Gegenstände suggerirt man sich 
sehr leicht das Vorkommen einer entgegengesetzten Drehung an 
Objekten, die eine solche thatsächlich nicht besitzen. Dazu kommt, 
dass unser Auge durch die starken Linsensysteme, deren wir zur Er- 
kennung der Einzelheiten bei der Spermatogenese bedürfen, sehr 
bald ermüdet und ein ermüdetes Auge sieht nur zu leicht Struk- 
tureigenthümlichkeiten, für die kein Anhalt vorhanden ist. Einiger- 
maassen ausgesprochene Spiraldrehungen müssen an gut fixirtem 
und distinkt gefärbtem Materiale mit ausgeruhtem Auge stets 
leicht erkennbar sein, soll man von ihrer Existenz sich über- 
zeugt halten. Was nur bei langer Augenanstrengung erkannt 
werden kann, ist entweder gar nicht vorhanden oder nicht so 
vorhanden, wie es dem ermüdeten Auge erscheint. Ich kann 
daher die Angabe von F. Hermann, dass das Mittelstück des 
reifenden Spermatosoma bei Scyllium eine Spiraldrehung zeige, 
nur als eine optische Täuschung, als eine Art Autosugge- 
stion bezeichnen. 

Auch die Mittelsticke haben sich auf diesem Stadium der 
Samenreifung (Fig. 26 m) parallel zu einander geordnet; ihre 
Grenze gegen die Schwanzstücke ist noch immer eine sehr deut- 
liche. Die letzteren konvergiren nach wie vor, legen sich im 
Ampullenlumen dicht an einander und winden sich stellenweise 
um einander. Auf diesem Stadium nehmen sowohl der Kopf wie 
das Mittelstück des reifenden Spermatosoma eine intensive Fär- 
bung an, die sich bis zur vollen Ausreifung immer mehr steigert, 
während der Schwanzfaden stets blass, in Alizarin blassorange, 
bleibt. Ich glaube diese Thatsache darauf zurückführen zu 
können, dass die Zellsubstanz der Spermatide allmählich schwindet; 
sie wird offenbar aufgezehrt und kommt den reifen- 
den Spermatosomen dabei zu gute. Dass ein solches Schwinden 
wirklich statthat, geht zur Evidenz daraus hervor, dass auf 
dem Stadium der tonnenförmigen Figur (Fig. 25) die Grenzen 
der Spermatiden gegen die Substanz der Stützzelle, in deren 
Fächern sie stecken, noch sehr deutliche sind, während auf dem 
augenblicklich behandelten Stadium von solchen Grenzen nichts 
mehr zu erkennen ist. Zwischen den benachbarten Spermatosomen- 
köpfen und Mittelstücken findet man jetzt nur noch die zart 
sranulirte Substanz der Stützzelle. 


Untersuchungeu über Zelltheilung. 59 


Auf diesem Stadium treten ferner in der Stützzelle homogene, 
stark liehtbreehende Körper auf, die bekannten „corps proble- 
matiques“ (Fig. 26 k). Anfangs sind es mehrere kleine, schwach 
gefärbte Körper, die an verschiedenen Stellen der Stützzelle sich 
zeigen, dann verschmelzen sie allmählich mit einander und nehmen 
hiernach eine intensive Färbung an. Woher diese Gebilde stammen, 
habe ich nicht feststellen können; sie entstehen in der Substanz 
der Stützzellen und stellen möglicherweise deren Stoffwechsel- 
produkte dar, worauf der Umstand hinzuweisen scheint, dass sie 
mit zunehmender Reifung der Spermatosomen, mit der offenbar 
auch ein erhöhter Stoffwechsel der diese beherbergenden und er- 
nährenden Stützzellen pari passu gehen muss, grösser werden und 
sich immer intensiver färben (Fig. 29 k). 

Mit der weiter vorschreitenden Reifung der Spermatosomen 
schwinden die Fächer der Stützzellen, welche die benachbarten 
Spermatosomenköpfe und -mittelstücke von einander trennen. Die 
nahezu reifen Spermatosomen stecken in Form eines dieken 
Bündels, das auf Quersehnitten und bei Betrachtung mit schwachen 
Linsensystemen (Fig. 28 b) als ein homogenes dunkles Gebilde 
erscheint, in einem Loche der Stützzelle. Letzteres erkennt man 
besonders an solchen Schnitten, in welchen die Spermatosomen- 
bündel tangential getroffen sind; zu beiden Seiten derselben ist 
die Substanz der Stützzellen deutlich zu sehen, zwischen den 
Spermäatosomenköpfen fehlt sie. Es wird also offenbar diejenige 
Substanz der Stützzelle, welehe die Fächer für die Spermatiden 
bildete, bei der Ausreifung der Spermatosomen ebenso aufgezehrt 
wie die Substanz der Spermatiden selber. Auf solch’ tangen- 
tialen Schnitten machen — dies nebenbei bemerkt — die Sperma- 
tosomenköpfe infolge ihrer spiraligen Drehung in ihrer Gesammt- 
heit betrachtet den Eindruck eines quergestreiften Muskels, weil 
die dem Beschauer abgewendeten Windungen der Spirale heller 
erscheinen als die ihm zugekehrten. 

Die Spermatosomenköpfe des Bündels stellen ein abge- 
stumpft eylindro-konisches Gebilde dar (Fig. 28 a, Fig. 29 sp), 
das bis nahezu auf den Boden der Stützzelle reicht. Die Spiesse 
der Spermatosomenköpfe sind in meinen Präparaten, offenbar in- 
folge der Wirkung des Fixirungsmittels, nieht mehr deutlich von 
einander zu unterscheiden, sie sind aber gegen die Stützzellen- 
substanz durch einen auffällig dunklen und scharfen Kontur abge- 


60 Bernhard Rawitz: 


grenzt (Fig. 29 ss). Die Spermatosomenbündel stecken excen- 
trisch in den Stützzellen (Fig. 28 a, b; Fig. 29). Die Mittel- 
stücke, durch ihre Färbung von den Köpfen deutlich unter- 
schieden, weichen fassdaubenartig aus einander (Fig. 28 a, m; 
Fig. 29 m). An den Schwänzen kann man zwei deutlich unter- 
schiedene Abschnitte wahrnehmen. Der an die Mittelstücke 
angrenzende Theil ist etwas, wenn auch nicht viel, intensiver 
gefärbt, als die übrige Partie; die Grenze zwischen beiden Ab- 
schnitten ist eine ziemlich deutliche, wie aus den Fig. 28a u. 29 
hervorgeht. Die innersten Theile der Schwanzfäden legen sich 
dieht aneinander, in ihrer Gesammtheit rollen sie sich etwas 
und ragen wie eine Locke in das Ampullenlumen binein. Was 
die Grössenverhältnisse anlangt, so sind die Köpfe etwas 37 u, 
die Mittelstücke etwa 15 u lang. 

Die Stützzelle, in der, wie bemerkt, das Spermatosomen- 
bündel excentrisch steckt, reicht auf der einen Seite des Bündels 
(Fig. 28a und besonders Fig. 29) bis zum Ansatze der Mittel- 
stücke an die Köpfe und bildet hier einen schmalen, die Spermato- 
somenköpfe bedeckenden Saum. Auf der entgegengesetzten Seite 
reicht ihre Zellsubstanz bis zum Ansatze der Schwänze an die 
Mittelstücke. Auf dieser Seite ist ihre Hauptmasse gelegen, die 
sich gegen die Mittelstücke hin aber auch bedeutend verschmächtigt. 
Der Kern liegt an der Seite des Spermatosomenbündels und zwar 
in der Hauptmasse der Zellsubstanz entweder in der Nähe der 
Spiesse (Fig. 29) oder etwas höher (Fig. 28a). Er ist oval, 
sehr hell, zart granulirt und enthält 1 oder 2 deutliche Nucleolen. 
Ueber dem Kern, also dem Ampullenlumen zu, findet sich der 
homogene Körper (Fig. 29 k), der bald kugelig, bald oval, bald 
platt wie ein Ritterschild, bald ganz unregelmässig gestaltet ist. 
Z/Zuweilen hat man den Eindruck, als ob zwischen Stützzellenkern 
und homogenem Körper eine Verdichtung der Zellsubstanz sich 
fände, da man hier gelegentlich eine durch intensivere Färbung 
sich auszeichnende Stelle antrifft. Doch ist diese Erscheinung, 
in meinen Präparaten wenigstens, eine inkonstante, 

Auf dieser Ausbildungstufe werden die Spermatosomen aus 
dem Hoden entleert, um im Nebenhoden ihre endgültige, hier 
nicht weiter interessirende Reifung durchzumachen. 

Berlin, Mai 1898. 


Untersuchungen über Zelltheilung. 61 


Literatur-Verzeichniss. 


1. Hallmann, Ueber den Bau des Hodens und die Entwickelung 
der Samenthiere der Rochen. Müller’s Archiv 1840. 

2. F. Hermann, Beiträge zur Kenntniss der Spermatogenese. Archiv 
für mikroskopische Anatomie und Entwickelungsgeschichte Bd. 50. 

3. G. Herrmann, Recherches sur la spermatogenöse chez les sela- 
ciens. Journal de l’Anatomie et de la Physiclogie. 1882, Bd. 18. 

4. Jensen, Etude sur la spermatogenese. Archives de Biologie par 
Ed. van Beneden et van Bambeke. T. 4. 1883. 

5. Lallemand, Observations sur le developpement des zoospermes 
de la raie. Annales des sciences naturelles. Seconde serie. T. 15. 
Zoologie. 

6. Meves, Zelltheilung. Referat in: Merkel und Bonnet, Ergeb- 
nisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1897. 

7. Moore, On the germinal blastema and the nature of the so called 
„reduction division“ in the cartilaginous fishes. Anatomischer An- 
zeiger 1894. 

8. Moore, On the structural changes in the reproduetive cells 
during the spermatogenesis of elasmobranchs. Quarterly journal 
of microscopical science. T. 38. 189. 

9. Rawitz, Untersuchungen über Zelltheilung. I. Archiv für mikro- 
skopische Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. 47. 

10. Sabatier, Sur quelques points de la spermatogenese chez les 
selaciens. Comptes rendus de l’acad&mie des sciences. Paris 1895, 
2.120, 

ll. Sanfelice, Spermatogenese des Vertebres. Archives italiennes 
de biologie. T. X. 1888. 

12. Swaön et Masquelin, Etude sur la spermatogenese. Archives 
de Biologie par Ed. van BenedenetvanBambeke. T. IV. 1883. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel II. 


Die Figuren, die sich alle auf Seyllium canicula beziehen, 
wurden nach Alizarinpräparaten mit dem Abbe’schen Zeichenapparat 
bei Zeiss’schen Systemen entworfen. Bei Trockensystemen wurde 
Ocular 2, bei der homogenen apochromatischen Immersion (1,5) Com- 
pensationsoeular 6 zum Zeichenapparate benutzt. Die Einzelheiten 
wurden bei Ocular 3 bez. 8 eingetragen. Wenn kein besonderes System 
angegeben ist, so ist die Figur bei apochromatischer homogener Immer- 
sion (1,5) gezeichnet. 

Fig. 1. Spermatocyten I. Ordnung in Ruhe (System D). k= Kapsel, 
b=raliäre Bindegewebszüge, st — Stützzellenkern 


Bernhard Rawitz: Untersuchungen über Zelltheilung. 


Spermatiden in Ruhe; in fast jeder Spermatide die Sphäre er- 
kennbar (System D). k = Kapsel, b =radiäre Bindegewebszüge, 
b!= Grenze gegen das Cystenlumen, st = Stützzellenkern. 
Cyste mit Quadranteneintheilung (System B). k = Kapsel. 
Spermatiden ungeordnet in den Bindegewebsfächern (System D). 
k = Kapsel, b = Bindegewebszüge, st = Stützzellenkern. 
Spermatoeyte I. Ordnung; Ruhe. s—= Attraktionssphäre. 
Spermatocyte I. Ordnung. Kern zeigt dichten Knäuel. s= 
Attraktionssphäre. 

Spermatoeyte I. Ordnung. a = lockerer Knäuel, b= Maulbeer- 
stadium, s = Attraktionssphäre. 

Spermatocyte I. Ordnung. Aster. 

Spermatocyte I. Ordnung. Dyaster. 


. Spermatocyte I. Ordnung. Dispirem. 

. Spermatocyte II. Ordnung. Aster. 

. Spermatocyte II. Ordnung. Aster (Chromosomentheilung). 

. Spermatocyte II. Ordnung. Dyaster. 

. Spermatocyte II. Ordnung. Dispirem. 

. Spermatocyte II. Ordnung. Trennung der Theilungsprodukte. 


und 17. Spermatiden zur Ruhe gelangend. 


. Spermatiden in Ruhe. s= Attraktionssphäre. 

. (a und b cfr. Text). Spermatiden. Erste Umwandlung im Kern. 
. (a und b cefr. Text), Homogener Kern. 

. (a und b cfr. Text). Zusammenziehung des Kernes. 

. (a und b cefr. Text). Auftreten der Schwanzanlage. 

. a = Längsstreckung des Kernes und der Sphäre; Schwanz- 


anlage über die Zelle hinausreichend; b= Zelle mit Kern im 
Querschnitt. 


. Deutlichwerden des Spermatosoma. 
. Einlagerung der Spermatosomen in die Stützzelle (System D). 


bi = Bindegewebskapsel, st = Stützzelle, sp = Spermatosomen- 
kopf, m = Mittelstück, s = Schwanz. 


. Reilung der Spermatosomen (System D). k = homogener Kör- 


per. Die übrigen Bezeichnungen wie Fig. 25. 


. Zwei reifende Spermatosomen. ss = Spiess. Die übrige Be- 


zeichnung wie Fig. 25. 


. Reife Spermatosomen (System D, a=im Längsschnitt, b= 


im Querschnitt. Bezeichnung wie vorher. 


. Stützzelle mit reifen Spermatosomen. Bezeichnung wie vorher. 


3) 
oO 


(Aus dem Anatom. Institut zu Berlin.) 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen 
der Säugethiere. 


(Erster Theil einer anatomisch-pathologischen Untersuchung der 
sogenannten automatischen Herzeentren.) 


Von 


Dr. S. Schwartz (Moskau). 


Hierzu Tafel III. 


Es darf wohl nicht auffallend erscheinen, wenn, ungeachtet 
der grossen Zahl der früheren Untersuchungen über die Innervation 
des Herzens, immer wieder neue Arbeiten auf diesem Gebiete 
auftauchen. Einerseits stellt das Herz. ein sehr wichtiges, im 
Wesen seiner Thätigkeit indess ziemlich unbekanntes, ich möchte 
sagen geheimnissvolles Organ dar, andererseits kommen in jeder 
Arbeit neue Angaben, die theils im Widerspruch mit den früheren 
stehen, theils nicht fest genug begründet zu sein scheinen, 
und so bleibt das Streben nach neuem Suchen immer nicht 
getilgt. Und gerade in der letzten Zeit stehen wir zweien ent- 
gegengesetzten Strömungen der Physiologen und Histologen gegen- 
über. Während die Physiologen von der alten Lehre abkommen 
zu wollen scheinen und den Ganglienzellen, wie überhaupt der 
intracardiellen Innervation, eine mehr und mehr geringe Be- 
deutung zuschreiben, suchen die Anatomen fortwährend nach 
neuen Ganglienzellen und Ganglienzellengruppen an der Ober- 
fläche und in der Muskulatur des Herzens. Dass diese Strö- 
mungen diametral entgegengesetzt sind und nicht gut sich ver- 
einigen lassen, braucht keiner weiteren Auseinandersetzung. Aber 
auch die rein anatomischen Angaben sind noch nicht überein- 
stimmend. Wie weit die Differenzen hierin gehen, wird sich 
aus der folgenden kurzen Uebersicht ergeben. 

Remaks ursprüngliche Angabe lautet, dass auf der Ober- 
fläche des Kalbsherzens mehrere Ganglien an den Nervenstämmen 
sitzen sollen. Da er die fraglichen Ganglienknoten, so weit sie am 
Ventrikel sich vorfanden, nur mit freiem Auge gesehen und nicht 
mikroskopisch untersucht hat, — wenigstens sagt er nichts davon — 


64 S. Sehwartz: 


so ist es schwer zu sagen, ob dies in der That Ganglienzellenhaufen 
waren. Der in Fig. 2 von Remak angegebene Nerv ist mit einem 
solchen Ganglion allerdings versehen. Bei der schwachen Ver- 
grösserung und Dunkelheit der gezeichneten Elemente ist es in- 
dessen unmöglich, mit absoluter Sicherheit zu erkennen, ob es 
sich hier um Ganglienzellen handelte. Ich will aber bereitwillig 
die gangliöse Natur des in Fig. 2 abgebildeten Knotens aner- 
kennen, da derselbe nach Remak’s Angabe vom Vorhofe des 
Herzens stammt. | 

Eisenlohr gibt an, dass er Ganglienzellen und Ganglien- 
gruppen nur an der Scheidewand der Vorhöfe gesehen habe. 
Die Ganglienzellen liegen nicht in der Muskulatur selbst; sie be- 
finden sich vielmehr unter dem Pericard und liegen meistens 
zwischen den Nerven oder an den Nerven. Ausser in der 
Scheidewand sollen auch Ganglien im Suleus coronarius 
transversus vorkommen. Die Ganglienzellen besitzen eine 
Kapsel mit Kernen, einen gekörnten Leib, einen oder zwei Kerne 
mit Kernkörperchen. Zur Untersuchung wurden Stücke vom 
Herzen abgeschnitten und mit Osmiumsäure oder Pierocarmin 
bearbeitet. 

Zu ganz ähnlichen Resultaten kam Ott. 

Koplewskyt) hat anlässlich seiner Untersuchungen über 
pathologische Veränderungen der Herzganglien folgende anatomi- 
sche Thatsachen angegeben: Beim Menschen existiren zwei Gruppen 
von Ganglienzellen in der Gegend der Furche zwischen den Vor- 
höfen im Dreieck, das von dem Zusammentreffen der Muskelfasern 
beider Vorhöfe gebildet, und nach aussen von dem visceralen 
Blatte des Pericard umgrenzt ist. Die Zellen besitzen eine binde- 
gewebige Kapsel und haben häufig zwei Kerne. Sie haben ent- 
weder einen einzigen dicken Fortsatz oder zwei feinere. Der 
Verfasser hat weder isolirte Zellen noch Zellgruppen an den 
Nervenfasern im Myocard sitzen gesehen. 

Van Gehuchten hat im Myocard einen weit ausgedehn- 
ten Nervenplexus gesehen, hat aber nie dort Ganglienzellen ge- 
troffen. 

Dagegen hat Berkley bei Bearbeitung des Herzens mit 
der Methode von Golgi zwischen den Muskelfasern bipolare und 


1) Citire nach Jacques, s. das Literaturverzeichniss. 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 65 


multipolare Zellen gefunden, die er als Ganglienzellen auffassen 
zu können glaubt. Die Beschreibung dieser Zellen jedoch, ob- 
wohl Berkley durch Ausschliessen von Artefacten oder ein- 
facher Anschwellungen im Verlaufe der Nerven sich gegen alle 
mögliche Einwände gesichert zu haben glaubt, entspricht voll- 
kommen den Bildern, welche Fusari!) in dem Bindegewebe 
der Zungenmuskeln und des Herzens bei der Bearbeitung nach 
Golgi’s Verfahren bekommen hat und als Bindegewebs- 
zellen bezeichnet. 

Vigual in seiner grossen Arbeit über Herzinnervation gibt 
bei der Besprechung der Ganglienzellen im Froschherzen die un- 
bedingt ganz richtigen und wichtigen Kennzeichen der Ganglien- 
zellen (bindegewebige Kapsel, Kerne der Kapsel, granulirte Sub- 
stanz der Zellen, ein oder zwei Kerne, von welchen jeder zwei 
Kernkörper hat); er weist beim Kaninchen zwei ganz verschiedene 
Arten von Ganglienzellen in mehreren grossen Ganglien nach, die 
er in die Nähe der Pulmonalvenen verlegt. Eine Anzahl dieser 
Zellen sollen nur einen Fortsatz und einen Kern besitzen, die 
anderen sollen immer mehr als einen Fortsatz haben und zwei 
Kerne, und dabei schienen sie „alle Kennzeichen der sympathi- 
schen Zellen des Kaninchens zu besitzen“. Ausser diesem aber 
fand er auch Ganglien auf der Oberfläche des Plexus cardiacus 
(gleich unterhalb der Coronargefässe und auf der Basis ventri- 
euli), die immer nur aus einigen Zellen bestanden. Die Zellen 
haben nur einen Kern und einen Fortsatz, haben aber keine 
Zeichen der Sympathicuszellen. 

Das von Remak angegebene Ganglion auf der Vorhofs- 
scheidewand hat er bei Kaninchen nie gesehen. An den Vor- 
höfen nehmen die Ganglien eine intramuskuläre Lage, auf den 
Ventrikeln eine subpericardiale ein. Auf die physiologischen An- 
gaben, die Vigual beigefügt hat, ist hier nieht der Ort einzu- 
gehen. 

Nach den embryologischen Untersuchungen von His jun. 
befinden sich die Ganglienzellengruppen bei den Säugethieren 
und beim Menschen auf der hinteren Oberfläche des Herzens 
im Gebiete zwischen der Furche beider Vorhöfe und der Aorta 
descendens nach hinten, und bis zum Suleus coronarius trans- 

1) Siehe bei Jacques. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53, 


(eb 


66 S. Schwartz: 


versus nach unten. Manche Ganglienzellen sollen dem hier be- 
findlichen Theile der Aorta anliegen. Keine weitere Verbreitung 
der Ganglienzellen auf die Ventrikeloberfläche ist von 
ihm beobachtet worden. Wie wir sehen, gibt also auch die Ent- 
wiekelungsgeschichte keine Anhaltspunkte für die Annahme der Ver- 
breitung der Ganglienzellen auf die Oberfläche der Ventrikel. 

Kasem-Beck ist bei den Untersuchungen, die er zur Kon- 
trolle der Angaben von Vigual über das Vorkommen von zweierlei 
Ganglienzellen in den Herzganglien verschiedener Thiere anstellte, 
dahin gelangt, dass er das Vorkommen verschiedenartiger Gang- 
lienzellen und die Spiralfaser verneinen musste. Bei Kaninchen 
hat er ein- oder zweikernige ovale Zellen mit einem Fortsatze 
gesehen. Ueber die Lage der Ganglienzellen bei den von ihm 
untersuchten Thieren macht er keine Angaben. 

v. Openchowski macht in seiner Arbeit über Nerven- 
endigungen im Herzmuskel eine kurze Bemerkung über die 
von ihm gesehenen Ganglienzellen, die meist unipolar waren. Er 
hat Zellen an der Grenze der Ventrikel und Vorhöfe gesehen, 
die nur hier und da vorkommen und bis in das obere Viertel 
der Ventrikel hinein liegen. In den 3 anderen Vierteln des Ven- 
trikels hat er keine Ganglienzellen gesehen. 

Jaeques, dessen Arbeit einen grossen Anspruch auf Ge- 
nanigkeit hat, meint, dass an den subperikardialen Nervenplexus 
von Ratten, Mäusen und anderen kleinen Säugethieren eine sehr 
srosse Zahl von kleinen 'Ganglien angehängt seien, hauptsäch- 
lich in dem Suleus atrio-ventrieularis und interatriarius, auf den 
Vorhöfen und am oberen Drittel der Ventrikel. „Man findet sie 
auch, wenn in geringerer Zahl auf der ganzen oberen Hälfte, 
man darf wohl sagen auf den oberen zwei Dritteln des Ventrikels 
in der Nähe des Suleus interventrieularis.“ Bei schwacher Ver- 
srösserung sieht man die Nervenzellen-Häufchen von wechselnder, 
aber immer beträchtlicher Zahl bilden. Diese Häufchen bestehen 
aus unregelmässigen, birnförmigen oder kugelförmigen Elemen- 
ten. Sie liegen immer in der Nähe einer nervösen Faser. Ein 
kurzer Faden verbindet sie stets mit dem nächsten Nervenfaser- 
bündel. Wenn die Zellen sich zu einem Ganglion anhäufen, sind 
sie nicht dicht aneinandergedrängt und von einer allgemeinen 
Hülle umgeben, sondern sie lassen zwischen sich, wenigstens beim 
Hund und der Ratte, immer genügend breite Zwischenräume, in 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 67 


welchen sich die Fortsätze durchflechten und wahrscheinlich auch 
fremde Nervenfasern sich fortsetzen. (Dans lesquels rampent 
leur prolongements et s’insinuent probablement aussi des filets 
nerveux £trangers.) Im Allgemeinen sind die multipolaren Zellen 
vorherrschend; man begegnet aber auch unipolaren und bipolaren 
Zellen. Ausser diesen subpericardialen Zellen, die Jacques 
unbedingt für Nervenzellen hält und den im Muskel selbst liegen- 
den Zellen, die wahrscheinlich Bindegewebszellen (von Berkley 
als Ganglienzellen aufgefasst) sind, hat Jaeques noch eine Art 
von Zellen gesehen, die in der Dicke der Vorhofswand und der 
Vorhofsscheidewand liegen, über welche er kein endgiltiges Ur- 
theil sich gebildet hat. Nach dem Aeusseren und den Dimen- 
sionen gehören sie eher zu den Bindegewebszellen, aber sie be- 
sitzen einen Fortsatz, der ein „ein wenig specielles* Aussehen hat 
(il faut reconnaitre que leurs prolongements presentent un aspeet 
un peu special). Bei der Beschreibung und Abbildung der Zellen 
geht Jacques sehr auf die Form, die Grösse, die Zahl der 
Fortsätze und den Kern mit dem Kernkörperehen ein. In seiner 
ganzen Arbeit ist jedoch kein Wort über die Zellenkapsel und 
die Kapselkerne enthalten. 

Mit den angeführten Angaben denke ich eine genügende 
Rücksicht auf die Literatur der uns beschäftigenden Frage ge- 
nommen zu haben. Ich möchte nur die Bemerkung hinzufügen, 
dass die in Frage kommende Literatur sehr erschöpfend bei 
Jacques und His angegeben ist. 

Nach dem Gesagten ist es nicht zu verkennen, dass wir 
hier mit zwei in der Grundlage verschiedenen Ansichten zu thun 
haben. Wir sehen, dass eine Gruppe von Autoren: Eisenlohr, 
Ott, Koplewsky und vor allem His jun. (auf Grund seiner 
embryologischen Untersuchungen) beim Menschen und bei den 
Säugethieren ein Vorkommen von Ganglienzellen nur im Gebiete 
der Vorhöfe annehmen, die anderen dagegen — Remak, Ka- 
sem-Beck, von Openchowsky, Berkley, Vignal und 
Jacques behaupten, dass Ganglienzellen auch am Ventrikel, und 
nach Berkley sogar inmitten der Muskelwand desselben vor- 
kommen. Wenn man gegen Eisenlohr, Ott und Koplewsky 
den Einwand machen könnte, dass sie nicht das ganze Herz 
untersucht haben und deshalb kein definitives Urtheil in der Frage 
abgeben können, so darf man doch diesen Einwand gegen His 


68 S. Schwartz: 


jun. nicht als geltend anerkennen. Das einzige, was man gegen 
ihn sagen könnte, ist, dass er nur mit Entwickelungsstufen zu 
thun gehabt hat und dass in der folgenden Zeit doch noch wei- 
tere Anhäufungen und Verlagerungen von Ganglienzellen sich aus- 
bilden könnten. Aber man muss doch zugeben, dass die Behaup- 
tungen der gegen His sprechenden Autoren auch nicht völlig 
zweifellos und endgiltig sein können, schon wegen der Wider- 
sprüche, welche sich in ihren Beschreibungen finden. Auf den 
Widerspruch in der Arbeit von Vignal habe ich schon vorhin 
aufmerksam gemacht; jetzt möchte ich nur einige Worte über 
die Angaben von Jacques beibringen. Wie die meisten der 
anderen Autoren hat auch Jaeques mit solchen Unter- 
suchungsmethoden gearbeitet, die hauptsächlich den Zusammen- 
hang der Zellen mit den Nervenfasern verfolgen. Dabei können 
zwei Quellen für Irrthümer entstehen: 1) Wenn der Nerven- 
fortsatz einer fraglichen Ganglienzelle abgeschnitten ist, so 
wird es zweifelhaft, ob eine Ganglienzelle vorliegt, auch da, wo 
bei der Anwendung anderer Verfahrungsweisen die Sache ent- 
schieden werden könnte; 2) wenn eine Zelle auch nieht nervöser 
Art dieht an einer in irgend welcher Richtung verlaufenden Faser 
oder in faserigem, bei dem Untersuchungsverfahren gefärbten 
Bindegewebe liegt, so bekommt man wieder einen Anlass zu Irr- 
thümern. Man muss dabei nicht aus dem Auge lassen, dass es 
selbst bei stärkeren Vergrösserungen sehr oft nieht möglich ist 
zu entscheiden, ob eine Faser nur vorüber läuft, besonders von 
unten, oder in die Zelle hinein zieht. Dass solche Verwechse- 
lungen nicht nur vorkommen können, sondern auch vorgekommen 
sind, beweist genügend die Arbeit von Berkley. Aus wel- 
chem Grunde Jacques in Zweifel gerieth, ob er es mit einer 
Nervenzelle zu thun gehabt habe, ist vorhin angeführt worden. 
Jacques kann sich nicht entscheiden, zu sagen, ob die Zellen, 
die er in der Tiefe der Muskulatur der Vorhöfe gesehen hat, 
Nervenzellen waren oder nicht, obwohl sie grosse Aehnlichkeit mit 
Bindegewebszellen zeigten, denn sie standen im Zusammenhange 
mit einem Fortsatze, der „ein etwas besonderes Aussehen“ hatte. 
(il faut reconnaitre que leurs prolongements pr&sentent un aspeet 
un peu special, qui, dans quelques cas, devient tout & fait iden- 
tique & celui d’une fibre nerveuse). 

Nach diesen Auseinandersetzungen wird es verständlich sein, 
dass ich abermals mir die Aufgabe stellte, die Lage der Gang- 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 69 


lienzellen im Herzen der Säugethiere zu bestimmen. Ich war 
nicht im Stande, der Anschauung von Openchowsky’s 
beizupflichten, dass im Allgemeinen die Autoren in ihren An- 
gaben bezüglich der Lage der Ganglien übereinstimmten. Dass 
das nicht der Fall ist, kann man, abgesehen von meinen Aus- 
führungen, auch aus den Citaten von Jacques in dem von 
Poirier herausgegebenen „Trait& d’anatomie humaine“ sehen. 

Bei meinen Untersuchungen strebte ich darnach, mich mög- 
lichst von den Quellen der Irrthümer früherer Autoren frei zu 
machen. Dazu musste ich mir zwei Bedingungen stellen: 1) das 
ganze Herz zu untersuchen und 2) eine Färbemethode zu wählen, 
die mir ohne weiteres die Ganglienzellen einwandsfrei zu erkennen 
ermöglichte und dabei die Nervenfasern nicht mitfärbte. Was 
die erste Bedingung anbetrifft, so konnte ich sie nur dann er- 
füllen, wenn ich kleine Thiere wählte, um das ganze Herz in 
Schnittreihen zerlegen zu können. Ich untersuchte deshalb Ratten- 
herzen und begnügte mich nicht, Schnittreihen in einer Richtung 
herzustellen, sondern in 3 Riehtungen: der frontalen, sagittalen und 
transversalen. Das gab mir die Möglichkeit, einen vollständigen 
Ueberbliek über die ganze Oberfläche des Herzens, die Scheide- 
wand, Muskulatur und Endocard, zu gewinnen. Die Schnitte 
waren 20 bis 30 u diek. Dabei konnte mir kaum eine Zelle 
entgehen. 

Zum Färben nahm ich das Thionin, welches allen An- 
forderungen entspricht, die man an ein Nervenzellenreagens 
stellen kann. Das Thionin, wie auch das Tholuidinblau, werden 
von den Autoren als ein Medium, welches für Ganglienzellen 
wie geschaffen zu sein scheint, angesehen. Das Tholuidinblau 
passt aber mehr für sehr dünne Schnitte und für Paraflin- 
einbettung. Diese Bedingungen, welche für die Untersuchung 
der feinsten Struetur der Nervenzellen nothwendig sind, wären 
bei einer mehr topographischen Arbeit und Schnittreihen-Anferti- 
sung nicht wohl ausführbar und auch wohl überflüssig. Später, 
bei den Untersuchungen über die feinere Structur werde ich mich 
des Tholuidinblau bedienen. 

Das Thionin habe ich vorher bei unzweifelhaft nervösem 
Material ausprobirt, dann beim Froschherzen, und erst dann, als 
ich mit dem Gebrauch des Thionin genügend bewandert war 
und die Kennzeichen, die eine Ganglienzelle — welchen Ursprungs, 
sympathischen oder spinalen, sie auch sein mochte — mir sicher 


70 S. Schwartz: 


zu eigen gemacht hatte, bin ich zur Untersuchung der Ratten- 
herzen übergegangen. 

Die Ratten wurden durch Aether getödtet, das Herz un- 
mittelbar darauf herausgenommen, wobei ich oft vorher noch die 
Gefässe unterband oder auch durch die Vena cava ascendens 
Formalinlösung (10°/,) einspritzte. Ich pflegte dabei die un- 
sebenden Gewebe von den Gefässen nicht abzupräpariren, um 
keine Zellen wegzuschneiden. Das Herz kam in der Regel 
auf 1 Tag in 10°/,ige Formalinlösung, dann auf 2 Tage in 
Alkohol, wurde aus dem Alkohol in Celloidin eingebettet und in 
Schnitte zerlegt. Dabei habe ich mich des Verfahrens von 
Darkschewitsch bedient, und habe die Schnitte auf nume- 
rirten Papierstückchen in ein hohes Glas mit schwachem Alkohol 
gebracht, dann, nach dem üblichen Verfahren, aus dem Alkohol 
in concentrirter Thioninlösung gefärbt und später in Anilinöl- 
alkohol differeneirt. Dabei wusste ich nach der Bezeichnung 
auf dem Papier immer ganz genau, welchen Schnitt von welcher 
Serienrichtung ich vor mir hatte. Jeder fünfte Schnitt wurde 
gefärbt und die auf diese Weise gewonnenen Präparate nachein- 
ander untersucht. Wenn in irgend welchen Schnitten Ganglien- 
zellen gefunden waren, so wurden auch alle benachbarten Schnitte 
nachträglich gefärbt und untersucht. Wenn man Rücksicht dar- 
auf nimmt, dass in jeder Richtung mindestens 3 Herzen ge- 
schnitten wurden und dass bei diesen verschiedenen Schnittrich-- 
tungen bald eine, bald die andere Fläche des Herzens mit beson- 
derer Deutlichkeit hervortreten musste, so wird es begreiflich, 
dass keine Stelle des Herzens ununtersucht geblieben ist. 

Die Untersuchung ergab, dass an der Oberfläche des Her- 
zens 2 Arten von Zellen streng von einander zu unterscheiden 
sind. Eine Art von Zellen —dieechten Ganglienzellen— 
zeigen folgendes Bild: ein fein gekörnter Leib, von ca. 17—30 u 
im Querschnittsmaass, ist in gröbere Tigroide!) zerfallen, enthält 
meistens 1, oft aber 2 Kerne mit je 1—2 oder auch 5 Kern- 
körperchen. Die Tigroide sind hellviolett gefärbt, der Kern 
hellweiss, die Kernkörperchen tief blauviolett; um diesen Leib 
herum sieht man eine hellblau gefärbte eben nur angedentete 


1) Bekanntlich hat v. Lenhossek die Nissl’schen Körper mit 
dem Namen „Tigroide“ bezeichnet. 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 71 
© > © 


Kapsel mit vielen violett blauen oder blaugrünlichen Kapselkernen, 
Je nach der Richtung, in welcher die Zelle getroffen ist, sieht 
ınan manchmal einen leicht angedeuteten Fortsatz, in den meisten 
Fällen aber nieht. Diese Zellen liegen hauptsächlich in grossen 
Gruppen zusammen, sind mehr oder weniger von Bindegewebe 
“umgeben, in welchem man auch eine sehr grosse Zahl von Kernen 
(der zugehörigen Bindegewebszellen) sieht. Ausser diesen grossen 
Gruppen kommen die Ganglienzellen auch vereinzelt vor, aber 
wieder nur in derselben Gegend, wo auch die Gruppen liegen, 
und es markiren, so zu sagen, die vereinzelten Zellen den Weg 
von einer Gruppe zu der anderen. Wie gesagt, habe ich die 
Ganglienzellen nieht in Zusammenhang mit den Nervenfasern 
untersucht, und wenn ich zur Zeit keine Auskunft über diesen 
Zusammenhang geben kann, war ich doch sehr wohl in der Lage, 
nieht nur die grossen Ganglien aufzufinden, sondern auch ganz 
vereinzelte Ganglienzellen, die alle angeführten Zeichen einer 
Ganglienzelle haben und deshalb für rein nervöse Elemente ge- 
halten werden müssen, genau zu bestimmen. 

Ausser diesen Elementen findet man auf der Oberfläche des 
ganzen Herzens zerstreut eine andere Art von Zellen, die bald rund 
sind, bald oval, bald keilförmig zugespitzt, so dass man an einen 
direeten Fortsatz der zugespitzten Ecke denken kann. Die Zellen 
sieht man bald vereinzelt, bald in kleinen Gruppen von 3—4 Stück, 
sie liegen bald nebeneinander, bald aufemander und können somit 
einen grösseren Körper vortäuschen. Sie liegen, wie gesagt, auf 
der Oberfläche des ganzen Herzens unter dem visceralen Pericard; 
man sieht sie in allen Sulei. Diese Zellen kommen auch neben 
den Ganglien und zwischen den Ganglien vor. Wie man bei 
anderen Färbemethoden sehen kann, liegen diese Zellen neben und 
an den Nervenfasern. Sie begleiten auch die Gefässe und ihre 
Verzweigungen, wie man es schon bei Thioninfärbung sehen 
kann. Sie begleiten auch die Gefässe und die Nerven im Myo- 
cardium selbst. Sie sind im Allgemeinen kleiner als die echten 
Ganglienzellen, indem sie 6—14 u Durchmesser aufweisen. Sie be- 
stehen aus einem mit runden Körnern durchsetzten, viel dunkler 
tingirten Leibe und einem Kerne, in welchem die von oben ge- 
sehenen grösseren Körner ein Kernkörperchen vortäuschen können. 
Sie haben aber keine Kapsel und keine Kapselkerne! Am 
nächsten stehen sie den Ehrlich’schen „Mastzellen“, für welche 


12 Ss. Schwartz: 


ich sie auch halte. Ihre Tinetionsfähigkeit ist so gross, dass, 
wenn die echten Ganglienzellen durch Anilinölalkohol schon so 
differeneirt sind, dass sie kaum noch erkennbar geblieben sind, 
die Mastzellen meist noch zu dunkel gefärbt erscheinen. Ausser- 
dem muss man noch zufügen, dass die Mastzellen nicht immer 
in derselben Zahl und Häufigkeit vorkommen. In einem Herzen 
waren sie zahlreich, in anderen konnte man sie nur in geringerer 
Menge auffinden. 

Nach dieser, meiner Ansicht nach unbedingt nothwendigen 
Trennung der beiden Arten von Zellen, die bisher möglicherweise 
verwechselt worden sind und deshalb Anlass zu widersprechenden 
Resultaten verschiedener Untersucher gaben, wollen wir zu der 
Lagerung der Ganglienzellen selbst übergehen. 

Von den drei verschiedenen Richtungen, in welehen ieh mir 
Schnittreihen angefertigt habe, halte ich die transversale für die 
geeignetste für die Beschreibung der Lage der Ganglienzellen. 
Die beiden anderen zeigen, wie diese auch, dass unterhalb des 
Suleus coronarius transversus und ausserhalb der Gegend der 
hinteren Wand der Vorhöfe, die seitwärts von den hinteren 
Enden der Herzohren begrenzt ist, keine Ganglienzellen mehr 
vorkommen. Wenn man bei der Durchmusterung von Quer- 
schnittsreihen von der Spitze des Herzens zur Basis vorgeht, ver- 
misst man die Ganglienzellen ganz und gar, so lange man auf 
dem Querschnitt nur die Ventrikel hat. Hier hat man stets nur 
kleinere Gruppen von Mastzellen. Erst wenn man in den Suleus 
transversus gelangt, was man an der grösseren Dünne des Muskel- 
schnittes, an den mehr oder weniger quer getroffenen Gefässen 
und an dem Vorkommen von Knorpel im Präparate (im untersten 
Theile der Vorhofsscheidewand zeigt sich bei Ratten ein Knorpel) 
feststellen kann, findet man das erste Ganglion und auch seitlich 
davon im Bindegewebe gelegene vereinzelte Ganglienzellen. Dieses 
Ganglion liegt links von der Scheidewand und hat eine quer- 
ovale Form. Auch hier vermisst man die Mastzellen nicht, die 
in dem Epicard, in der Umgebung der Vorhöfe und der Herz- 
ohren in kleineren Gruppen oder vereinzelt vorkommen. Weiter 
nach oben sieht man eine neue Gruppe von Ganglienzellen. Ob 
diese Gruppe eine besondere vorstellt oder im Zusammenhange 
mit der ersten steht, ist schwer zu sagen. Ihrer Lage nach — 
seitwärts nach links von der ersten — könnte man cher an- 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 


—1 


nehmen, dass diese beiden ein zusammenhängendes Ganglion bil- 
den, das dem linken Vorhof von hinten anliegt. Nun kommt 
eine Strecke von 10—15 Schnitten zu 20 u, die allem Anschein 
nach keine Ganglienzellen enthält. Auch die Mastzellen sind 
hier nur selten vertreten. Dann kommt wieder auf der linken 
Seite des Schnittes ein grosses Ganglion, welches der Wand des 
linken Vorhofs anliegt, sehr lang gezogen ist und, wegen des 
Vorkommens verschiedener Formen in aufeinander folgenden 
Sehnitten und Theilen dieses Ganglions, nicht in einer Ebene zu 
liegen scheint. Noch weiter nach oben sieht man neue Anhäu- 
fungen von Ganglienzellen, die jetzt mehr zur Mitte hin liegen 
und um den Sinus sich gruppiren. Bald trifft man dann Ganglien 
nicht nur links von der Mittellinie und in der Mitte selbst, son- 
dern auch an der rechten Seite des Querschnitts vom Sinus. 
Das letzte Ganglien, welches man zu sehen bekommt, liegt wieder 
links und hat eine ganz runde Form. Einige dieser Ganglien 
sind sehr reichlich von Bindegewebe umsponnen und durchsetzt, 
andere dagegen haben nur knappes Bindegewebe um sich liegen 
und in diesen Ganglien liegen die Zellen viel diehter aneinander. 
Ueberall in diesen Gegenden kann man von Streeke zu Strecke 
auch vereinzelte Ganglienzellen finden, welche so zu sagen den 
Weg von einem zum andern Ganglion anzeigen. Dass auch hier 
die Mastzellen nicht fehlen und zeitweise sich in grösserer Zahl 
anhäufen, sei ausdrücklich bemerkt. 

Ich halte es nicht für nöthig, noch auf die Einzelbeschrei- 
bung der in den anderen zwei Richtungen gewonnenen Schnitte 
einzugehen. Wichtiger scheint es mir, das Aussehen der Gan- 
glienzellen bei anderen von mir versuchten Färbungen anzugeben. 
Wenn man die nach oben angegebener Weise bereiteten Schnitte 
in Hämatoxylin färbt, sieht man den Zellleib grau-violett und 
fein gekörnt, aber ohne die Tigroide erkennen zu können; der 
Kern springt als ein deutlicher, dunkler gefärbter, blau-violetter 
Körper vor und zeigt 1—3 sehr dunkel violette Kernkörperchen. 
Die Kapsel ist nicht siehtbar, aber ihre Kerne treten sehr deut- 
lich hervor und haben eine schwarz-violette Farbe. In der Zelle 
selbst sieht man zuweilen einen Ring um den Kern, der aus ein- 
zelnen grau-hell-violetten, kernartigen Bestandtheilen zusammen- 
gesetzt ist und durch eine helle Zone vom Kerne selbst und auch 
von der Peripherie getrennt ist. Möglich, dass dieser Ring dem 


74 S. Schwartz: 


Tigroid entspricht. In dem Gesichtsfelde fallen ferner die zalıl- 
reichen Bindegewebskerne auf, die durch ihre gestreckte Gestalt 
von den Kernen der Ganglienzellenkapseln sich unterscheiden. 
Auch bei dieser Färbung kann man die Mastzellen sehen, in 
welchen man die grobkörnige Structur leicht erkennen kann. 
Bei dieser Färbung tingiren sie sich viel dunkler als die Ganglien- 
zellen; ihr Zellkern erschemt als ein schwarz-violetter runder Körver. 

Bei Färbung mit Carmin und Osmium-Carmin sind ausser 
den beschriebenen Bestandtheilen der Ganglienzellen auch sehr 
gut die Kapseln selbst und die Fortsätze zu sehen. Bei 
Carmin-Alaun sind die Nuancen der verschiedenen Bestandtheile 
in roth dieselben wie bei Hämatoxylin in violett. Die Kapsel 
ist hellroth gefärbt und lässt sich gut, sowohl vom Protoplasma 
wie auch vom Kern, abgrenzen. Bei Osmium-Carmin, welches 
so angefertigt ist, dass die Schnitte aus dem Alkohol in 1P/,ige 
Osmiumsäurelösung auf 48 Stunden kommen und nachher in 
Alauncarmin, ist der Grundton gelbbraun-roth. Die Zelle selbst 
und ihr Kern sind in gelbröthlichem Tone gefärbt, der Kern 
dunkler als der Zellenleib, Kernkörperehen, Kapselkerne dunkel- 
braun-roth und die Kapsel selbst bläulich-roth. 

Am sehönsten sind die Präparate, die nach Allerhand!) 
gefärbt sind. Der Leib der Zelle ist dabei dunkelbraun oder, 
bei grösserer Differenzirung, hellbraun, der Kern ist immer viel 
dunkler braun gefärbt, das Kernkörperchen fast schwarz. Die 
Kapsel ist scharf conturirt, die Kapselkerne sind ebenfalls von 
fast schwarzer Farbe. Man sieht sehr deutlich von vielen Zellen 
einen Fortsatz abgehen, der hellbräunlich gefärbt, scharf bicon- 
turirt ist und auch, wie die Kapsel, Kerne enthält. Ob es Zellen 
giebt, die zwei Fortsätze haben, kann ich nach meinen bisherigen 
Untersuchungen mit Bestimmtheit noch nicht sagen. Mir schien 
es allerdings, als ob ich auch solche Zellen gesehen hätte. An 
der Stelle, wo man von der Zelle den Fortsatz abgehen sieht, 
liegt meistens ein grosser ovaler Kapselkern. Weitere Beobach- 
tungen über den feineren Bau der Zellen, die ich an manchen 
meiner Präparate bereits machen konnte, sollen später mitge- 
theilt werden, wenn ich dieselben an dünneren Schnitten und mit 
Hülfe anderer Färbemethoden nachgeprüft haben werde. 


]) Allerhand, Neurologisches Centralblatt, 1897. 


-] 
C 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 


In dem übrigen Herzgewebe sieht man bei Thioninfärbung 
gar keine Bildungen, die Anlass zum Verwechseln mit Ganglien- 
zellen geben könnten. Dasselbe gilt auch für die Färbung naclı 
Allerhand. Ich denke, dass es auch bei gewöhnlicher Carmin- 
oder Hämatoxylinfärbung gelingen müsste, Ganglienzellen mit 
Sicherheit als solche an Sehnitten durch das Herz zu erkennen, 
und keine Verwechslungen zu begehen. 

Wenn ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen zusammen- 
fasse, so formulire ich: 

1. Ganglienzellen kommen im Herzen der Ratte nur auf 
einem begrenzten Gebiete der hinteren Vorhofswand vor, mehr 
links als rechts von der Vorhofsscheidewand. Ich nehme keinen 
Anstand, diesen Befund, gestützt auf die Untersuchungen von 
Vignal und His jun., auch auf die übrigen Säugethiere zu 
übertragen. 

2. Die Ganglienzellen bilden 4—5 grosse Gruppen, zwi- 
schen welchen auch vereinzelte Zellen vorkommen. 

3. Das Gebiet, wo die Ganglienzellengruppen liegen, ist 
begrenzt seitlich von den hinteren Enden der Herzohren und nach 
unten von dem Suleus coronarius transversus, in welchem das 
unterste Ganglion liegt. 

4. Die Ganglienzellen liegen immer unter dem visceralen 
Pericard, zwischen ihm und dem Myocard. 

5. Die Ganglienzellengruppen sind von Bindegewebe um- 
geben und durchsetzt, einige mehr, die anderen aber sehr spär- 
lich. In den letzteren liegen die Zellen dicht aneinander ge- 
drängt. 

6. Ausser den Ganglienzellen sieht man auf der Oberfläche 
des Herzens eine sehr grosse, aber wechselnde Zahl von Zellen, 
die die Nerven und Gefässe begleiten, die bald vereinzelt, bald 
in kleinen Gruppen vorkommen. Diese Zellen, welche ich als 
„granulirte Herzzellen* bezeichne und zu den „Mastzellen“ 
Ehrlich's in Beziehung bringe, sind im Allgemeinen kleiner 
als die Ganglienzellen, färben sich viel dunkler, haben keine 
Kapsel und, keine Kapselkerne. 

7. Es liegt nahe anzunehmen, dass diese granulirten Herz- 
zellen in manchen der früheren Untersuchungen mit Ganglien- 
zellen verwechselt worden sind, was besonders leicht bei aus- 
schliesslicher Anwendung des Golgi’schen Verfahrens geschehen 


16 S. Schwartz: 


kann, und dass dadurch die Angaben verschiedener Autoren vom 
Vorkommen von Ganglienzellen in und auf den Ventrikelwandungen 
entstanden sind. Dies ist mir deshalb wahrscheinlich geworden, 
weil die Lage dieser Zellen, in kleinen Gruppen von 3—4 Stück, 
welche sie öfters bilden, vollständig den „sogenannten Ganglien- 
zellen“, welche z.B. Jacques auf der Oberfläche von ?/, des 
Ventrikels beschreibt, entspricht. 


Zum Schluss habe ich die angenehme Pflicht, meinen Dank 
Herrn Professor Waldeyer für die Aufmerksamkeit, die er 
meiner Arbeit geschenkt hat, zu sagen. Ich danke auch Herrn 
Prof. W. Krause und meinen Collegen Dr. Dr. Flatau, 
Pollak und Kalischer für die Liebenswürdigkeit, mit wel- 
cher sie meine Präparate auf meinen Wunsch durehgesehen haben. 


Literatur-Verzeichniss. 


1. Remak, R., Neurologische Erläuterungen. Müller's Archiv 1844. 

Eisenlohr, Ueber die Ganglienzellen und Nerven des mensch- 

lichen Herzens ete. Dissert. inaug. München 1886. 

3. Ott, Zur Kenntniss der Ganglienzellen des menschlichen Herzens. 
Prager medieinische Wochenschr. 1885. 

4. Koplewsky, Veränderungen der Ganglienzellen bei Erkrankun- 
gen des Myocards. Dissertation. Petersburg 1881. 

5. Berkley, On complex nerve terminations ete. Anatomischer An- 
zeiger 189. 

6. Vignal, Recherches sur l’appareil ganglionaire du coeur des ver- 
tebr6s. Arch. de Physiolog. 1881. 

7. His jun., Die Entwickelung des Herznervensystems bei Wirbel- 
thieren. Abhandl. der math.-phys. Kl. d. K. S. G. d. W. 1893. 

8. Kasem-Beck, Zur Kenntniss der Herznerven. Arch. f. mikrosk. 
Anat. Bd. XXII. 

9. v. Openehowskvy, Beitrag zur Kenntniss der Nervenendigungen 
im Herzen. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. XXI. 

10. Jacques, a) Recherches sur les nerfs du coeur ete. Journal de 

l’anat. 1894. 
b) Trait@ d’anatomie humaine public sur la direetion de Paul 
Poirier 189. 

11. Ranvier, L., Traite technique d’Histologie. 1875. 

12. v. Lenhossek, Ueber den Bau der Spinalganglien der Menschen. 
Arch. f. Psychiatr. u. Nervenk. 1897. 


D 


Ueber die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugethiere. 


Fig. 1. 


1D 


Fig. 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


Fig. 5. 


—] 


| 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel III. 


Ein grosses Ganglion von der hinteren Wand der Vorhöfe 
einer Ratte. Sagittale Schnittführung. Färbung mit Thionin. 
Man kann annehmen, dass auf dieser Abbildung Theile meh- 
rerer Ganglien getroffen sind, wenigstens 4, entsprechend den 
Ziffern 1, 2, 3, 4. Vergrösserung 1:150. a= Ganglienzellen, 
b=Kerne der Kapsel, e=Bindegewebszellenkerne, d = Kerne 
der Ganglienzelle, e—= Kernkörperchen. 

Ein kleines Ganglion aus derselben Stelle bei transversaler 
Sehnittführung. Dieselbe Vergrösserung. Dieselbe Bezeich- 
nung. Thioninfärbung. 

Eine Ganglienzelle aus dem ersten Ganglion bei grosser Ver- 
grösserung. Thioninfärbung. a= Tigroid, b = Kapselkerne, 
e=ein Bindegewebskern, d— Zellkern mit fein tingirter Sub- 
stanz in ihm, e= Kernkörperchen. 

Eine Ganglienzelle nach Allerhand gefärbt. Dieselbe Ver- 
grösserung, wie frühere. a= Tigroid, b = Kapselkerne, e = 
Kapselwand, d = Zellkern, e — Kernkörperchen (in diesem 
Fall 3), f = Fortsatz. 

Verschiedene Formen von granulirten Herzzellen. Dieselbe 
Vergrösserung. 

1,1,1, ovale Form. a = die runden Körnchen im Protoplasma 
der Zellen, b = Kern der Zelle, e—= von oben nach dem Kerne 
projieirte Körnchen, die zuweilen ein Kernkörperchen vor- 
täuschen können. 

2. Bisquittähnliche Form. 

3. Keilförmige granulirte Herzzelle. 

4. Schwach granulirte Herzzelle. 

5. Rundovale Form dieser Zellenart, 


(Aus dem Laboratorium des Histologischen Institutes zu Upsala.) 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwick- 
lung der Steissdrüse. 


Von 
J. Herman Jakobsson, 
weil. Assistent am Histol. Institut zu Upsala. 


Hierzu Tafel IV und V. 
Die Untersuchungen über die Steissdrüse‘), deren Ergeb- 
nisse hiermit dargelegt werden, bezogen sich hauptsächlich auf 
die embryonale Entwicklung dieses Organs. 
Ich schieke eine kurze Darstellung über die Anatomie des 
„Glomus coceygeum“ unter Berücksichtigung der vorhan- 
denen Angaben vorauf. 


Luschka?), dem wir die Entdeekung der von ihm so 
benannten Steissdrüse verdanken (1859), giebt als ihre 
Maximalmaasse 4 mın Länge, 3 mn Breite und 2!/, mm Dicke 
an. Diese sind jedoch, wie erwähnt wurde, Maximalmaasse, 
und nicht selten, oder gar in der Regel, hat die Drüse bedeu- 
tend geringere Dimensionen. Luschka sagt selbst, dass sie 
nur selten mehr als ?/, der oben angegebenen Maximalmaasse er- 
reicht. Die äusseren Formverhältnisse sind aus den vorhandenen 
Beschreibungen (Luschka, J. Arnold u. A.) sattsam bekannt. 

Die Drüse liegt in dem um die Steissbeinspitze reichlich 
auftretenden Fettgewebe eingebettet, unmittelbar unterhalb einer 
kleinen Oeffnung in der Insertionssehne des Musculus levator ani 
bei dem letzten Steisswirbel, oder geradezu in dieser kleinen 
Oeffnung, durch welehe die für das Organ bestimmten Gefässe 
und Nerven ihren Lauf nehmen. 

Das Organ bekommt sein Blut durch die äusserst feine 
Endverzweigung der Arteria sacralis media wie durch 

1) Ich behalte den ursprünglichen Namen bei, obgleich das 
Organ streng genommen nicht als Drüse zu bezeichnen ist. 

2) Siehe die nachstehend eitirten Arbeiten von Luschka. 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 79 


Endzweige der Arteriae sacrales laterales; im Verhält- 
niss zu seinem Umfange tritt eine auffallend grosse Anzahl Ge- 
fässe in es hinein. Die zutretenden Gefässe und Nerven bilden 
eine Art Stiel, an dem das ganze Gebilde gleichsam aufgehängt 
ist. Ehe die Gefässe in das Organ eindringen, formen sie auf 
der Oberfläche jedes einzelnen Lobus ein dichtes Netzwerk mit 
rundlichen oder polygonalen Maschen. 

Nerven sind äusserst zahlreich vorhanden und stammen 
hauptsächlich vom Sympathieus. Von dem Ganglion ecocey- 
seum, oder, falls dieses fehlt, von der die beiden unteren 
Enden der Grenzstränge verbindenden Schlinge lösen sich zwei 
oder drei feine Zweige ab, welche gemeinschaftlich mit der 
Arteria sacralis media zwischen Steissbein und dem Ligamentum 
sacro-coceygeum anterius zur Drüse verlaufen, in deren Stroma 
sie späterhin eine plexusartige Verbreitung bilden. 

Ich kann die Richtigkeit dieser Angaben Luschka’s und 
der übrigen nachstehend eitirten Forscher bestätigen. 

Mikroskopisch ergiebt sich die Drüse als aus einer Anzahl 
kleiner Lobuli bestehend, die von je einem fibrillären Binde- 
gewebsstroma durchzogen werden. In Exkavationen dieses Stromas 
sind in regelloser und nicht eben speeifischer Anordnung die 
diesem Organ eigenen parenchymatischen Bestandtheile gelagert 
(Fig. 8 par). Diese bilden theils strangförmige, theils rund- 
liche Zellenanhäufungen. Die Parenchymformationen werden 
wie üblich als „Drüsenschläuche“* und „Drüsenblasen“ benannt; 
da sie nun schlechterdings aber keine „Hohlgebilde“ sind, son- 
dern solide Massen mit Bluträumen im Innern, so erlaube ich 
mir, diese Bezeichnungen gegen die Namen „Parenehym- 
stränge“ und „Parenehymballen“ umzutauschen, mit 
denen ich sie in der Folge benennen werde. Die Stränge und 
Ballen bestehen aus einer mehrschichtigen Zellenmasse mit grossen 
polygonalen oder rundlichen Zellen epithelähnliehen Aussehens; 
im Innern derselben verlaufen regelmässig Gefässe, meist 
Kapillaren, aber auch kleinere Arterien und Venen (Fig. 9 
par u. bl). Die Parenchymstränge haben einen sehr wnregel- 
mässigen, schlängelnden und verästelten Verlauf und bilden eine 
Art Netzwerk. Die wahrscheinlich in recht spärlicher Zahl auf- 
tretenden Parenehymballen stehen vermittelst ihrer Centralgefässe 
indirekt mit den Strängen in Verbindung. Diese im Innern der 


80 J. Herman Jakobsson: 


Parenchymgebilde stets vorhandenen Gefässe können, wie Ar- 
nold, O0. Meyer u. A. dargethan haben, von der Arteria sa- 
eralis media aus injieirt werden. 

Das Stroma besteht aus festem Bindegewebe, ab und zu 
mit einem Streifen glatter Muskelfasern, welche in der Längs- 
richtung der Parenchymstränge oder in etwas schräger Rich- 
tung gegen diese verlaufen (Fig. 8 und 9 str und m). Eine 
kontinuirliche, eirkulär geordnete Muskelumhüllung der Paren- 
chymstränge, wie etliche Untersucher sie ihnen haben zuschreiben 
wollen, konnte ich nicht wahrnehmen. Der den Parenchym- 
strängen und den Parenchymballen unmittelbar anliegende Theil 
des Stromabindegewebes ist zu einer Art fibröser Umhüllung 
derselben verdichtet. Die Richtung der Fibrillen ist hier kon- 
eentrisch, und wahrscheinlich war eben dieser Theil des Stromas 
der Gegenstand der vorerwähnten Auffassung von einer Muskel- 
schicht (Fig. 9 str). Das Stroma hat ferner unmittelbar an der 
Oberfläche der Lappen eine vom Parenchym freie Randpartie, 
in welche eine Menge von Gefässen und Nerven verlaufen (Fig. 
8 kaps). 

Die Nerven bilden, wie bereits erwähnt worden, eine 
plexusartige Ausbreitung im Drüsenstroma. Ihre Hauptmasse 
besteht aus Remak schen Fasern; markhaltige kommen indess 
ebenfalls vor. Hinsichtlich ihrer Endigungsweise ist nichts mit 
Bestimmtheit erwiesen; man scheint jedoch der Auffassung, dass 
sie frei enden, zuzuneigen. Luschka’s Behauptung von der 
Endigung in einer Art terminaler Ganglienzellen hat bislang 
keine Bestätigung gefunden; auch ich habe nichts dergleichen 
gesehen. Auch auf die übrigen meist irrthümlichen Angaben 
Luschka’s, die bereits anderweitig widerlegt sind, habe ich 
nicht nöthig einzugehen. 

Abgesehen von einigen weniger belangreichen Abweichungen 
in der Auffassung von dem Bau der Drüse steht W. Krause!) 
im Grossen und Ganzen noch auf dem Standpunkte Luschka’s. 
Auch ihm ist das Organ eine echte Drüse, welche eine Art 
von Sekret abgiebt, welches aus den Parenchymsträngen weg- 
geschafft wird. 

Eine von den Ansichten Luschka’s und Krause’s ab- 


ı) W.K rause, Zur Anatomie der Steissdrüse. Zeitschr. f. ra- 
tionelle Mediein, 3 R, Bd., X, 1861. 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 81 


weichende Meinung wird von J. Arnold!) ausgesprochen. Ihm 
gebührt das Verdienst, nachgewiesen zu haben, dass jeder der 
Parenchymstränge mit einem centralen Gefässe versehen ist. 
Dieses Gefäss wurde jedoch von Arnold übersehen; er hielt 
das von ihm nachgewiesene Lumen für ein eigenes Lumen des 
Parenchymstranges, welches von dessen eigenen Zellen begrenzt sei. 

Jedoch legte er durch Injektion von der Arteria sacralis 
media aus eine offene Kommunikation zwischen den Lumina der 
Parenchymstränge und dem der Arterie, wie er sagt, dar, und 
dieser Entdeckung misst er eine so grosse Bedeutung bei, dass 
er berechtigt zu sein meint, die ganze Steissdrüse für ein Kon- 
slomerat erweiterter Arterien zu erklären. Die Parenchymstränge 
gelten ihm nur als Gefässschläuche, und ihre eigenthümlichen 
epithelähnlichen Zellen sind ihr Endothel. 

Konsequenterweise giebt Arnold die Bezeichnung „Steiss- 
drüse‘“ auf und ersetzt sie durch den Namen „Glomeruli arteriosi 
coceygei“. 

G. Meyer?) ein Schüler W. Krause’s, und Letzterer 
selbt treten bald der Ansicht Arnold’s vollständig bei. 

W. Krause?) erklärt, das Organ sei nichts als verküm- 
merte Rami dorsales der von der Arteria sacralis media aus- 
sehenden Seitenäste, die ursprünglich den Steisstheil des Me- 
dullarrohres versorgt hätten, dann aber, nachdem dieser früh- 
zeitig verschwunden, in dieser sonderbaren Weise umgebildet 
worden wären. W. Krause wies auch nach, dass der Arnold- 
sche Hohlraum in der That ein Gefässlumen wäre. 

Die späteren Autoren haben sich der Ansicht Arnolds, 
dass es sich bei der Steissdrüse nur um einen Gefässplexus handle, 
nicht anschliessen mögen, sondern halten an ihrer eigenartigen 
Natur fest. 


1) J. Arnold, Ein Beitrag zu der Structur der sogenannten 
Steissdrüse. Virchow’s Archiv f. path. Anat. u. Physiol. Bd. XXXII, 
1865, S. 293. — Derselbe, Zur Steissdrüsenfrage. Ibid. Bd. XXXII, 
1865, S. 454. — Derselbe, Ein weiterer Beitrag zu der Steissdrüsen- 
frage. Ibid. Bd. XXXV, 1866, S. 220. 

2) G. Meyer, Zur Anatomie der Steissdrüse. Zeitschr. f. ration. 
Mediein. Dritte Reihe, Bd. XXVIII, 1866, S. 135. 

3) W. Krause, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Han- 
nover 1876, S. 323. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 55 6 


82 J. Herman Jakobsson: 


Sertoli!), welcher der Letzte ist, der jenem Gebilde eine ein- 
gehendere Untersuchung widmet, drückt dieses mit folgenden Worten 
aus: „Nach dem, was ich bis jetzt angeführt habe, ist die Steissdrüse 
ein specifisches Organ, gebildet aus einem fibrösen Stroma und 
aus in letzteres eingelagerten besonderen, mit Zellen erfüllten Hohl- 
gebilden von sehr verschiedener Form und Grösse, in welche Blut- 
gefässe eintreten und sich in ihnen verzweigen.“ Und weiter unten 
heisst es: „Dass das Lumen der Hohlgebilde ein Blutgefässlumen sei, 
behauptet Arnold mit Recht, aber zufolge meiner Beobachtungen 
nicht weil das Hohlgebilde ein Blutgefäss ist, sondern weil in dem- 
selben ein Blutgefäss verläuft.“ „Die Zellen also, welche in denselben 
(den Hohlgebilden) enthalten sind, stellen nicht, wie man annahm, ein 
Gefässepithel dar, sondern sie liegen ausserhalb der Gefässe und 
müssen daher ihre besondere Bedeutung haben.“ 

Etwa die gleiche Auffassung hegt Eberth?). Er meint, die 
Drüse bestehe aus einem Gefässplexus; um die Gefässe herum seien 
aber polygonale Zellen in grösserer oder geringerer Mächtigkeit ge- 
schichtet, eine Art Gefässscheide bildend. 


Wie sind nun diese epithelähnlichen Zellen, welche die 
eigenthümlichen Parenchymstränge der Drüse bilden, in der That 
aufzufassen? Haben sie epithelialen Charakter, oder sind sie viel- 
leicht nichts als in eigenthümlicher Weise modifieirte Bindegewebs- 
zellen? Die bisherigen rein anatomischen Untersuchungen geben 
darauf keine bestimmte Antwort. 

Eine systematisch durchgeführte Untersuchung über die Ent- 
stehung und Entwicklung des Organs giebt es bis jetzt nicht, 
und wir haben daher den Anhaltspunkt für die Beurtheilung 
der wirklichen Natur dieser Zellen, welche ein solches embryo- 
logisches Studium uns geben könnte, bislang entbehren müssen. 
Hie und da kommt freilich in der Literatur eine einzelne Be- 
obachtung hinsichtlich der Embryologie des Organes zur Mit- 
theilung; diese sind jedoch durchaus unzureichend, um einer 
Erörterung der ganzen Entwicklungsgeschichte dieser Drüse zu 
Grunde gelegt werden zu können. An Vermuthungen betreffs 
ihrer Entstehung fehlt es freilich nicht, wie insbesondere Lusch- 
ka’s grosses Werk „über den Hirnanhang und die 
Steissdrüse“ erweist; es dürfte wohl unnöthig sein, dieses 


1) E. Sertoli, Ueber die Structur der Steissdrüse des Menschen. 
Virchow’s Archiv f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. XLII, 1868, S. 370. 

2) C. J. Eberth, Von den Blutgefässen. Stricker's Gewebe- 
lehre I. S. 212. 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 83 


Alles hier zu recapituliren.- Was thatsächliche Angaben 
anlaugt, so sagt Luschka folgendes: 


„Jedoch habe ich bisher zweierlei Wahrnehmungen gemacht, welche 
wohl auf frühere Stadien seiner Bildung bezogen werden müssen. Bei 
einem fünfmonatlichen, menschlichen Fötus fand ich vor der Steiss- 
beinspitze ein nierenförmiges, !/; Linie breites, durchscheinendes Knöt- 
chen, welches an einem Aestchen der Arteria sacralis media hing. An 
jenem Knötchen konnte man mit Bestimmtheit eine feine, concentrisch 
gestreifte, verhältnissmässig dicke, von zahlreichen länglichen Kernen 
durchzogene Hülle unterscheiden und eine von ihr umschlossene Zell- 
masse. Es fanden sich ungefähr zwölf sphärische, kernhaltige, helle, 
ziemlich grosse Zellen, welche unter einander durch eine feine Molle- 
kularsubstanz zusammengehalten wurden. Diese Wahrnehmung ist 
vielleicht insofern nicht ohne Werth, als sie die Annahme zu unter- 
stützen vermöchte, dass sich aus diesen Zellen die Drüsenblasen und 
durch deren weitere Metamorphose die Schläuche entwickeln könnten. 
Bei älteren Fötus und bei Neugeborenen habe ich sehr zarte, schlauch- 
artig, oft in bedeutende Länge gezogene, mit oblongen Kernen spar- 
sam besetzte Gebilde gefunden, welche im Wesentlichen dem Zuge 
stärkerer Nerven gefolgt sind. Es steht der Annahme kein Hinderniss 
im Wege, diese Bildungen für die Anfänge jener langen, Zellen und 
kleine von Zellen erfüllten Blasen einschliessenden Schläuche der 
Steissdrüse zu halten.“ 

R. Heschl hat die Drüse bei einer 3l/ymonatlichen Frucht „in 
Gestalt eines ovalen !/ Linie langen, !/, Linie breiten, von kernhal- 
tigen, !/s, Linie grossen Zellen erfüllten Hohlgebildes“ beobachtet!). 

Woher diese von Luschka und Heschl beschriebenen 
kleinen Zellanhäufungen ursprünglich stammen, konnten Beide 
nicht mit Bestimmtheit entscheiden. 

Ausser den erwähnten Muthmaassungen betreffs der ver- 
schiedenen Wege, welche sich für die Entstehung des Organes 
erdenken lassen, finden sich in Bezug auf seine Embryologie 
keine Angaben in der Literatur; Schäfer und Symington 
schrieben dann auch letzthin (Quain’s Anatomy): „The mode of 
development and the funetion of this body are not known.“ 

Auch die Forschungen über die vergleichende Ana- 
tomie des Organes haben es nicht vermocht, uns behufs 
der Beurtheilung der Entstehung der Steissdrüse irgendwie feste 
Stützpunkte zu liefern. An Resultaten hat es zwar nicht ge- 
mangelt, bedauerlicher Weise sind sie aber gar nicht überein- 
stimmend. Der eine Forscher bestreitet ganz entschieden die 


1) Citirt nach Luschka, Anatomie des Menschen II. 2. S. 19°, 


84 J. Herman Jakobsson: 


Riehtigkeit der Beobachtungen des anderen, und wahrscheinlich 
hat man Gebilde für homolog erklärt, welche mit der Drüse 


nichts zu schaffen haben. 

 Luschkal) erwähnt eines mit der Steissdrüse homologen Or- 
ganes beim Hunde, welches zwischen dem Mastdarm und der Wirbel- 
säule in der Ebene des ersten Schwanzwirbels liegen solle. Seine An- 
gabe wird von Meyer?) und Arnold?) in Abrede gestellt. Meyer hat 
unter allen von ihm daraufhin untersuchten Thieren nur bei der Katze ein 
Homologon gefunden, und zwar liegt dieses neben dem dritten Schwanz- 
wirbel. Das Vorhandensein eines solchen Gebildes an dieser Stelle bei 
der Katze leugnet aber Arnold. In Bezug auf Hunde und Ratten 
lieferten Meyer’s Untersuchungen negative Resultate. Krause hat 
die Drüse bei einem Schwanzaffen (Macacus eynomolgus) wiederge- 
funden, und zwar liegt sie dort am Beckeneingange, wie bei dem 
Menschen, und ragt zum dritten Schwanzwirbel hinauf. Arnold sagt: 
„Bei einer Anzahl von Säugethieren (Hund, Katze, Eichhörnchen, Ka- 
ninchen, Ratte) finden sich regelmässig in der hinteren Hälfte des 
Schwanzes Gefässsäcke, welche in ihrer Beziehung zu der Arteria 
sacralis media und in ihrem Bau im Wesentlichen mit den Glomerulis 
coccygeis des Menschen übereinstimmen, und die wir deshalb als Glo- 
meruli caudales bezeichnen. Bei keinem der genannten Säugethiere 
finden sich regelmässig Glomeruli oder Wundernetze an dem Stück 
der Arteria sacralis media, das auf den sechs bis acht ersten Schwanz- 
wirbeln gelegen ist.“ 

Meine Untersuchungen über die Entwicklung des Glomus 
coceygeum wurden auf Veranlassung von Professor Hammar 
unternommen und unter seiner Leitung durchgeführt. 

Ich untersuchte Schnittreihen aus der Steissregion von 24 
Föten, die 1,5 em lang bis neugeboren waren, welche mir (zum 
grösseren Theile) aus dem histologischen Laboratorium zu Up- 
sala, zum andern Theile durch Vermittelung von Prof. Erik 
Müller (Stockholm) geliefert wurden; ich spreche dem Letz- 
teren hiermit meinen ergebensten Dank aus. 

Die Untersuchung wurde theils an Querschnitten, theils an Sa- 
gittalschnitten ausgeführt; die Dicke der Schnitte betrug im Allgemeinen 
15 u. Die Schnitte wurden mit Alaunhämatoxylin und Eosin doppelt 
gefärbt, mit gesättigtem Kochsalzglycerin eingeschlossen und unter- 
sucht. Ein Theil des Materials, welches weniger gut konservirt er- 
schien, wurde vorzugsweise zur Kontrolle verwendet. 

Nachstehend bringe ich ein Verzeichniss nebst Angaben der 
Fixirungsmethoden der zur Untersuchung verwendeten Föten. 


1) Der Hirnanhang und die Steissdrüse. 

2)... 8.0. 

3) J. Arnold, Ueber die Glomeruli caudales der Säugethiere. 
Virchow’s Archiv f. path. Anat. u. Physiol. Bd. XXXIX, 1867, S. 497. 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 85 


Körperlänge Steiss-Scheitellänge Fixirungs-Methode 


1,5 cm —_ Sublimat 
15892; — Formalin 1:10 
2,4 „ Pe „ » 

4,6 ,„ 4 cm Alkohol 

5,2 „ 4,5 „ ” 

5,9 „ 4,7 „ „ 

5,9 ” 5,0 ” ” 

60,5 — Perenyi’s Flüsssigkeit 
MDR. — Formalin 1:10 
#1.0*7,; 8,1 cm Müller’s Flüssigkeit 
12,2 eh} 9,1 ” ’ ” 
19.02: _ Formalin 1:10 
16,81. 11,8 em Alkohol 
I — Formalin injieirt 1:10 
23,0 ” ur: „ ” 2] 
32 5, 16,0 em Formalin 1:10 

27x. 24.0; 16.2.5, „ F 

Sr 16,0. Müller’s Flüssigkeit 
25,0 ” 16,5 ” » „ 

28,0 ” 18,5 2) ”„ ” 

2 Reife un n s 


Ausserdem ein Fötus, dessen Rumpf 2,5 cm maass. 


Wenn schon, nach früheren Untersuchungen, Chorda, End- 
darm und Schwanz der Embryonen nichts mit der Entwicklung 
der Steissdrüse zu thun haben, so konnten sie hier doch nicht 
gänzlich übergangen werden. Ich lasse daher zunächst einiges 
über meine Befunde an diesen Organen folgen. 


Das Medullarrohr. 

Fötus von 1,8 cm Länge; Sagittalschnitte (Fig. 1 mr). Das 
Medullarrohr erstreckt sich auf dieser frühen Stufe als ein konti- 
nuirlich gegen die Spitze der Wirbelsäule sich verjüngendes 
Rohr bis in das kaudale Ende des Embryos, von der Epidermis 
nur durch eine äusserst dünne Mesenehymschicht getrennt. Hier 
endet es mit einer unbedeutend aufgeblähten, schwach kolben- 
ähnlichen Parthie, welche ein wenig weiter kaudalwärts geht, 
als die Chorda und das Perichondrium des letzten Wirbels. 
Unmittelbar vor dem angeschwollenen Endtheile setzt sich vom 
Medullarrohre dorsalwärts eine kleine, hohle, zapfenförmige Zell- 
masse fort, die letzte Andeutung des vormals zwischen diesem 
Gebilde und der Epidermis existirenden Zusammenhanges. 


S6 J.SrkernmamzJakiohbsson: 


Aber schon auf dieser frühen Stufe ergiebt sich ein merk- 
licher Unterschied zwischen dem kaudalen Endtheile und dem 
weiter kranialwärts gelegenen Theil des Medullarrohres. Während 
die letztere Parthie die wohlbekannten Veränderungen erfahren 
hat: die Differenzirung zu Neuroblasten und zu Spongioblasten 
nebst dem Auftreten einer Lage längsziehender feiner Nerven- 
fasern (weisse Substanz), verbleibt der über den letzten Wirbeln 
gelegene Theil fortdauernd in einem verkümmerten und unent- 
wickelten Zustand. Dass jedoch auch hier ein Differenzirungs- 
prozess anhebt, scheint ausser Zweifel; er führt indess nie zu 
irgendwie durchgreifenden Aenderungen. Die spezifisch nervöse 
Umbildung des epithelialen Medullarrohres, in kranio-kaudaler 
Richtung fortschreitend, erreicht diese Region eigentlich nie, 
sondern bleibt ungefähr am unteren Rande des 2. Steisswirbels 
stehen. 

Der weiter unten gelegene Theil ist von bedeutend ge- 
ringeren Dimensionen. Seine Wände bestehen aus einer Art ge- 
schichtetem Cylinderepithel, von einigen Fasern der weissen 
Substanz des Rückenmarks umgeben, und das ganze Gebilde 
setzt sich durch einen scharfen Begrenzungsrand nach aussen 
gegen das Bindegewebe ab. Der Centralkanal ist sehr klein, 
stückweise sogar zu einer kleinen Spalte verengert, abgesehen 
von dem äussersten, angeschwellten Theile, wo eine recht grosse 
Höhlung existirt. Die weisse Substanz des Rückenmarks setzt 
sich mit wenigen, in der Peripherie des Rohres gelegenen 
Fasern abwärts fast bis in die Spitze fort. Ventral ruht das 
Gebilde fast unmittelbar auf dem Perichondrium der Wirbel. 

Dieser kaudale Theil des Medullarrohres stellt sich dem- 
nach bereits von Anfang an als wenig entwickelt dar, und er 
fällt denn auch bald einer hochgradigen Atrophie anheim, welche 
zu dem gänzlichen Schwunde des Gebildes führt. 


Fötus von 2,4 cm Länge. Querschnitte. Bei diesem Embryo ge- 
stalten sich die Verhältnisse wesentlich gleich denjenigen der vorher- 
gehenden. Auch hier kann man das Medullarrohr bis in die Spitze 
der Wirbelsäule als ein kontinuirlich sich verjüngendes Rohr verfolgen. 
Der Centralkanal ist eine kleine Strecke lang verengert und das Me- 
dullarrohr in ein strangförmiges Gebilde umgewandelt. In der am 
weitesten kaudalwärts gelegenen Partie ist das Lumen jedoch noch 
vorhanden. 

Fötus von 6 cm Länge. Sagittalschnitte. Die drei letzten Wirbel- 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 87 


stehen ventralwärts rechtwinklig gegen die übrige Wirbelsäule ab 
Das Medullarrohr endet bei der Mitte des ersten Steisswirbels. Von 
hier geht kaudalwärts ein dichter Bindegewebsstrang ab, welcher die 
unmittelbare Fortsetzung des die Umhüllung des differenzirten Medul- 
larrohres bildenden Bindegewebes ausmacht, das in der Folge die ein- 
zelnen Hüllen desselben abgiebt. Nebst diesem Bindegewebe bethei- 
ligen sich auch an der Bildung des Stranges ein Strich feiner, längs- 
gehender Nervenfasern und einige kleinere Anhäufungen rundlicher 
polygonaler Zellen, offenbar Ueberreste zerfallenen Epithels. Diese 
Epithelreste sind natürlich Ueberbleibsel des den Centralkanal aus- 
kleidenden Ependyms. Der ganze Strang, Filumtterminale, führt zu 
einer über den beiden letzten Wirbeln gelegenen Epithelblase, deren 
oberster, sich in eine Spitze verjüngender Theil in ihn übergeht. Das 
kaudaie Ende des mit dem Epithel ausgekleideten Hohlgebildes liegt 
noch immer in der Ebene des letzten Steisswirbelrandes. Das Epithel 
besteht aus polygonalen und platten Zellen. Die Blase ist länglich 
oval, 700 u lang, 100 u hoch und 70u breit, und bildet die gerade und 
direkte Fortsetzung des Filum terminale. 

Die Abänderungen, welche der Endtheil des Medullarrohres hier 
erfahren hat, veranlassten also eine Unterbrechung der Kontinuität 
des Rohrverlaufes. Oben und unten bleibt zwar immer noch der ur- 
sprüngliche Hohlraum, von dem Epithel des Medullarrohres begrenzt; 
in dem zwischen dem ersten und dritten Steisswirbel gelegenen Theile 
ist aber nicht nur der Centralkanal geschwunden, sondern auch das 
ursprünglich vorhandene Epithel ist mit spärlichen Ausnahmen zu 
Grunde gegangen. Was demnach in der Steissregion von dem ur- 
sprünglichen Medullarrohr übrig geblieben, ist eigentlich nichts als 
eine oberhalb der beiden letzten Wirbel gelegene Epithelblase, welche 
in etwas vergrössertem Maassstabe der bei dem vorigen Embryo be- 
gegnenden Ampulla entspricht. 

Fötus von 7,5 cm Länge. Sagittalschnitte. Die drei letzten Wirbel 
sind hier, wie bei dem vorigen Embryo, ventral gebogen, obschon 
nicht in dem Grade, wie dort. Das Medullarrohr ist weiteren Meta- 
morphosen unterworfen worden. Der Centralkanal und sein wand- 
ständiges Epithel hören an der Mitte des ersten Steisswirbels auf, und 
dieser Punkt bezeichnet demnach auf dieser Stufe die untere Grenze 
des eigentlichen Medullarrohres. Von hier geht dann das Filum ter- 
minale kaudalwärts als die unmittelbare Fortsetzung des differenzirten 
Medullarrohres weiter und erstreckt sich bis an den oberen Theil des 
letzten Steisswirbels. Es ist 3 mm lang. In seinem oberen, etwa 0,5 mm 
langen Theil nimmt der Strang gleichmässig von oben bis unten ab 
und bildet einen spitz ausgezogenen Kegel, den Conus medullaris. 
Darauf hält sich sein Kaliber konstant, ausser am unteren Ende, wo 
er in einer grösseren fibrillären Verbreitung endet. 

Das Filum terminale besteht bei diesem Fötus aus zwei 
gegeneinander scharf abgegrenzten Gewebs-Bestandtheilen, Zu äusserst 
liegt eine Schicht verdichteten Bindegewebes aus Fibrillen, welche in 


88 J. Herman Jakobsson: 


der Längsrichtung des Stranges verlaufen, nebst zwischen dieselben 
eingelagerten Zellen mit ovalen, platten Kernen bestehend. Diese 
äussere Hülse, deren Mächtigkeit etwa 15 u beträgt, bildet die unmittel- 
bare Fortsetzung der Hüllen des Rückenmarks. Den centralen Theil 
des Filum terminale behauptet eine fast zellfreie Partie, die aus feinen, 
längsgehenden Fibrillen besteht, welche oben in kontinuirlichem Zu- 
sammenhang mit der weissen Substanz des Rückenmarks stehen und 
als ein Bündel feiner Nervenfasern betrachtet werden muss. Nur im 
Conus medullaris werden verästelte Nervenzellen angetroffen. 

Das Filum terminale liegt in seiner ganzen Ausdehnung in un- 
mittelbarer Berührung mit der dorsalen Oberfläche der Wirbel; nur 
durch spärliche, äusserst dünne Striche fibrillären Bindegebes locker 
mit ihrem Perichondrium vereint. Nur seine Endausbreitung bildet 
hiervon eine Ausnahme, indem hier eine reichlichere Bindegewebslage 
sich zwischen ihn und die Wirbelsäule hineingeschoben hat. 

Unmittelbar dorsalwärts vom oberen Theil des letzten Steiss- 
wirbels schliesst sich das Filum terminale an eine dort belegene Epi- 
thelblase an. Diese bildet hier nicht, wie es auf dem vorhergehenden 
Stadium der Fall war, die unmittelbare, gerade Fortsetzung des Filum 
terminale, sondern liegt von seinem kaudalen Ende dorsalwärts. Diese 
Verschiebung mag wohl dadurch entstanden sein, dass die Wirbelsäule 
bei ihrern hier anhebenden raschen Wachsthum das den Wirbeln dicht 
anliegende und also leicht der Mitbethätigung ausgesetzte Filum termi- 
nale abwärts zog, während die Epithelblase ihren früheren Platz behielt. 
In Folge dessen ergiebt sich eine S-förmige Windung des vorher ge- 
raden Stranges, und zwar liegt die dorsale Bucht eben da, wo das 
Filum terminale in die Epithelblase übergeht, während die ventrale 
den am weitesten hinabgezogenen Theil des Filum bezeichnet. 

Die Epithelblase ist 320 u lang, 130 u hoch und 150 u breit; sie 
ist 280 u von der äussersten Steissspitze entfernt. Sie ist also in er- 
heblichem Maasse kranialwärts verschoben worden. Ihre dorsale Wan- 
dung ist dünn und besteht aus einer Schicht kubischer oder fast platter 
Zellen; in der ventralen hat das Epithel hingegen seinen Charakter 
eines geschichteten Cylinderepithels bewahrt. Ihre Aussenfläche_ ist 
keineswegs eben, sondern mit einer Menge Ausbuchtungen versehen. 


Fragt man nach der Ursache dieses unstreitig ein wenig 
eigenthümlichen Verlaufes der Medullarrohr-Atrophie, so dürfte 
sie zweifelsohne in den merkwürdigen Druck- und Dehnungsver- 
hältnissen zu suchen sein, denen der Endtheil des Medullarrohres 
ausgesetzt ist. Bei einem 1,8 cm langen Embryo bildet der 
untere Theil der Wirbelsäule ein fast gerades Stäbchen, das 
nur sehr schwach bogenförmig — und zwar die Konkavität 
ventralwärts gestellt — gekrümmt ist, und dessen kaudaler Theil 
in den vom äusseren Niveau des Embryos hervorragenden Steiss- 


di Me 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 89 


höcker hineinragt. Bei einem Fötus von 6 cm Länge hat sich 
dies Verhältniss dahin geändert, dass die 3 letzten Wirbel einen 
rechten Winkel in ventraler Richtung gegen den Rest der Wirbel- 
säule bilden. Anlässlich dieser Frage äussert Ecker!): 

„Das Steissbein bildet noch längere Zeit hindurch einen 
stumpfen Vorsprung, den Steisshöcker, der dann allmählich, 
einerseits in Folge der nun eintretenden stärkeren Krümmung 
des Steissbeins, anderseits durch die stärkere Entwickelung des 
Beckengürtels und seiner Muskeln mehr und mehr unter der 
Oberfläche verschwindet.“ Was diese Ventralbiegung der Wirbel 
verursacht hat, mag dahingestellt sein; indess wird infolge 
dessen das auf ihrer Dorsalseite ruhende Medullarrohr einem 
starken Druck ausgesetzt, der am höchsten Punkte der Wirbel- 
krümmung, d.h. bei dem zweiten Steisswirbel, am stärksten ist. 
Und eben hier beginnt die Atrophie. 


Fötus von 11,0/8,1 cm Länge?). Querschnitte (Fig. 3 2b). Hier 
finden sich die Epithelreste dorsal von dem letzten Wirbel und dehnen 
sich von der Steissspitze nach vorn etwa 300 u weit aus. Hier begrenzt 
das Epithel ebenfalls einen grossen Hohlraum, dessen Höhe 350 u und 
Breite 250 u beträgt. Die Konfiguration der Epithelblase ist jedoch 
eine andere. Von dem zur Biase ventralwärts gelegenen Bindegewebe 
schiebt sich eine zapfen- oder papillenförmige Bindegewebswucherung 
in ihr Lumen hinein, auf diese Weise die ventrale Wandung vor sich 
her drängend, ein Verhältniss, das gewissermaassen mit der Einstül- 
pung der primären Augenblase zum Augenbecher vergleichbar ist. 
Hierdurch erhält die Epithelblase im Querschnitt ein mehr oder weniger 
deutlich halbmondförmiges Aussehen, welches sie auch im Sagittal- 
schnitt besitzt, wie die nächste Serie darthut. Die in dieser Weise 
wuchernde bindegewebige Papille ist reichlich mit Gefässen versehen; 
sei es nun, dass diese einen sprengenden Druck auf die Epithelmembrane 
ausüben, oder dass irgend eine andere Kraft hierbei thätig ist — kurz, 
der Zusammenhang der Epithelzellen unter einander ist zerstört, und 
einzelne von ihnen sind zwischen die Bündel des sie umgebenden 
Bindegewebes gerathen. Die dem Lumen näher liegenden Zellen be- 
halten jedoch ihren Zusammenhang mit einander und ihr ursprüng- 
liches Aussehen. 

Das eigentliche Filum terminale wird hier als ein im Querschnitt 
runder Bindegewebsstrang, der den Wirbeln dicht anliegt, wieder- 


1) A. Ecker, Besitzt der menschliche Embryo einen Schwanz ? 
Archiv f. Anat. u. Entw. Jahrg. 1880, S. 428. 

2) Wo zwei Maasse angegeben sind, bezeichnet das erste die 
totale Körperlänge, das letztere die Länge des Steiss-Scheitels. 


90 d. Herman Jakobsson: 


gefunden. Kaudalwärts verliert er sich in das in die Blase hinein- 
wachsende Bindegewebe. 

Fötus von 15 cm Länge. Sagittalschnitte. Das blasenförmige 
Gebilde ist hier unmittelbar dorsalwärts vom dritten Steisswirbel, !/; mm 
von der Steissspitze entfernt, gelegen. Es ist 350 u lang, 300 u hoch 
und 5004 breit. Die Gestaltung ist im Schnitte halbmondförmig. Die 
Bindegewebswucherung ist weiter in die Blase hinein vorgedrungen, 
als im vorhergehenden Falle, und die „Hörner“ des Halbmondes sind 
sehr spitz ausgezogen. Das Filum terminale wird als ein kaudalwärts 
sich rasch verjüngender Strang wahrgenommen, welcher unmittelbar 
unter der Blase in das Bindegewebe verläuft. Keine nervöse Elemente 
sind mit Sicherheit nachweisbar; der Strang scheint also nunmehr nur 
aus fibrillärem Bindegewebe zu bestehen. 

Fötus von 24/16,2 em Länge. Querschnitte (Fig. 2 25‘). Hier 
finden wir die epithelialen Ueberreste etwa !/; mm von der Steissspitze. 
Sie sind 470 u lang. Die im vorigen Stadium erwähnte Bindegewebs- 
papille hat weiter gewuchert. Sie ist bis an die dorsale Wandung der 
Blase herangewachsen, welche sie sogar stellenweise ganz zersprengt 
hat. In Folge dessen ist die Epithelmembrane in kleinere Partieen ge- 
theilt worden, welche sich im Schnitte theils als unregelmässige, ver- 
ästelte und geschlängelte Stränge, theils aber auch als runde Zellen- 
anhäufungen darweisen. In einigen Strängen findet sich ein Lumen, 
offenbar ein Theil des Hohlraumes der älteren grösseren Blase, und 
zwar in der Weise entstanden, dass die bei dem Durchbruch der Pa- 
pille auf einander stossenden ventralen und dorsalen Epithelwandungen 
sich nur an einzelnen Punkten verlötheten. Die Zellen haben eine 
polygonale Form, ausser dort, wo sie diese kleineren Lumina begrenzen, 
in welchen Fällen sie ihre eylindrische Form beibehalten. 

Fötus von 28/18,5 cm Länge. Sagittalschnitte. Von der Steiss- 
spitze 1,5 mm entfernt liegt hier ein bogig gekrümmtes, spaltenförmiges, 
dorsalwärts konvexes Lumen, mit einem Epithel polygonaler Zellen aus- 
gekleidet. Dieses Gebilde ist 0,9 mm lang. 

Reife Föten. Bei einem der untersuchten reifen Föten konnte 
ich nicht die geringste Spur von diesen embryonalen Epithelbildun- 
gen antreffen. Bei dem anderen dagegen habe ich die Vorkomm- 
niss einer epithelbekleideten Blase von ganz erheblichen Dimensionen 
nachweisen können; sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach als ein übrig- 
gebliebener und weiter entwickelter Rest des Medullarrohres zu be- 
trachten. Diese eystenähnliche Höhlung ist von einem geschichteten 
Pflasterepithel ausgekleidet, dessen Zellen stellenweise stark ange- 
schwollen sind; sie ist 500 u lang, 400 u breit und 700 u hoch. Im 
freien Lumen liegen zahlreiche abgestossene Zellen nebst einer koagu- 
lirten Masse. Das Gebilde ist von dem dritten Steisswirbel aus dorsal 
gelegen. 

Von Föten zwischen 28/185 cm und der Reife lagen mir keine 
zur Untersuchung vor; deshalb kann ich mich auch nicht über das 


Beiträge zur Kenutniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 91 


Aussehen der medullaren Epithelreste während der Zwischenzeit äussern. 
Tourneux und Herrmann!), welche über diesen Gegenstand Unter- 
suchungen anstellten, haben aber eine stetig fortschreitende Atrophie 
nachgewiesen. Noch zur Zeit der Geburt kann man indess, nach 
diesen Forschern, noch Ueberreste dieser embryonalen Epithelbildun- 
gen wahrnehmen. 

Die obige Darstellung des Verlaufs der Atrophie des Steiss- 
theils des Medullarrohres stimmt in allem Wesentlichen mit der von 
Tourneux undHerrmann gelieferten Beschreibung desselben 
Verhältnisses überein. Freilich ist zuzugeben, dass ich nicht immer 
auf einem gewissen Stadium ganz genau dieselben Verhältnisse 
wiederfand, welche sie als diesem Stadium eigen beschreiben. 
In Bezug hierauf sei aber daran erinnert, dass die einzelnen 
Phasen nicht nothwendig bei verschiedenen Föten immer mit 
den gleichen zeitlichen Zwischenräumen einander ablösen müssen. 
Der Fötus mag während der Entwicklung mitunter Verhält- 
nissen ausgesetzt sein, welche in diesem Falle fördernd, in jenem 
hemmend zu der regressiven Metamorphose Bezug nehmen. 

Geringere Abweichungen liessen sich wohl anmerken. Es 
würde indess zu weit führen, sich hier auf eine vergleichende Er- 
örterung meiner und ihrer Resultate einzulassen, und ich begnüge 
mich deshalb damit, auf ihren eitirten Aufsatz zu verweisen. 

Wir haben demnach gesehen, dass das Medullarrohr in der 
Steissregion während des Fötallebens eine durchgehends regressive 
Metamorphose durchmacht, welche schliesslich seinen Untergang 
herbeiführt. Pathologisch können sich aus diesen Epithelresten 
kongenitale Sacrococeygeal-Geschwäülste entwickeln!). Bei dieser 
regressiven Metamorphose schwindet zuerst der über dem zweiten 
Steisswirbel gelegene Theil, während der am meisten kaudalwärts 
gelegene in der Form epithelbekleideter Hohlräume oder solider 
Epithelstränge am längsten bleibt. Wir sehen ferner, dass diese 
Epithelreste stets dorsal zur Wirbelsäule, nie kaudal oder central, 
liegen. Sie erleiden ferner — wennschon in geringem Maasse 
— eine der Wirbelsäule gegenüber kranialwärts gehende Ver- 
schiebung. 


1) Tourneux & Hermann, Sur la persistance de vestiges me&- 
dAullaires coceygiennes. Journal de l’Anat. et de la Physiol. Bd. 23, 
1887, S. 498. 


92 J- Herman Jakobssen: 


Die Chorda. 

Die Chorda erstreckt sich bekamntlich frühzeitig in Gestal- 
tung eines geraden und gleich dieken Epithelstranges bis in die 
kaudale Spitze des Embryos. Dieses Verhältniss ändert sich in- 
dess bald dadurch ab, dass der äusserste Theil des Embryoschwan- 
zes, der nach Eeker!) und Anderen nur aus Hornblatt, Chorda 
und einem unsegmentirten Zellenblastem besteht und der übrigen 
Organanlagen entbehrt — möglicherweise könnte er noch das 
Medullarrohr enthalten — bereits früh redueirt wird. Dieser 
äusserste Theil der schwanzförmigen Verlängerung des Embryos 
enthält keine Wirbelsegmente und wurde von His als der 
„Eeker’sche Schwanzfaden“ bezeichnet. Eine ähnliche Bildung 
ist auch, wie Braun?) nachgewiesen, den Embryonen schwanz- 
tragender Wirbelthiere eigen. Bei der Reduktion, welche das 
Verschwinden des Schwanzfadens ergiebt, geht indess derjenige 
Theil der Chorda, welche diesen Faden durchzog, nicht zu Grunde, 
ohne Spuren zu hinterlassen. Der vorher gerade Epithelstrang 
beginnt sich zu winden und rollt sich schliesslich zu einem kleinen 
Knäuel zusammen, das sich ganz an die Spitze des letzten Seg- 
mentes verlegt. Die Chorda erstreckt sich also anfangs ganz er- 
heblich mehr kaudal, als die Anlage des letzten Segments, oder, 
mit den Worten Braun’s, „sie ist zu gross ausgelegt worden“. 

Als einen solehen knäuelförmig zusammengerollten Zellen- 
strang finde ich den kaudalen Theil der Chorda bei einem 1,8 em 
langen Fötus (Fig. 1 ch). Ein Theil dieses Knäuels liegt offen- 
bar innerhalb des Gebietes des letzten Wirbels; sein am weite- 
sten kaudal gelegener Theil ragt aber frei aus dessen Spitze 
heraus und berührt sich eng mit der ventralen Seite des Me- 
dullarrohres. Im letzten Wirbel verläuft der Zellenstrang in zahl- 
reichen Windungen und hat an einigen Stellen eine deutliche 
Gabelung. 

Was die Zellform betrifft, so weicht sie ganz beträchtlich 
von derjenigen ab, welche die Chorda auf früherem Stadium be- 


1) A. Ecker, Besitzt der menschliche Embryo einen Schwanz? 
Archiv f. Anat. u. Entwickelungsgeschichte, Jahrg. 1880, S. 421. 

2)M. Braun, Entwickelungsvorgänge am Schwanzende bei 
einigen Säugethieren mit Berücksichtigung der Verhältnisse beim 
Menschen. Archiv f. Anat. u. Entw. Jahrg. 1882, S. 207. 


cr as Zee ee ei 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 93 


sitzt. Die anfänglich eylindrischen oder kubischen Zellen sind 
jetzt fast sphärisch geworden. Durch die reichliche Aufnahme 
einer, wie es scheint, sehr wässerigen Flüssigkeit sind sie höchst 
bedeutend angeschwollen und haben eine mehr oder weniger deut- 
lich blasenförmige Gestaltung erhalten. Nach der Entwässerung 
scheinen die Zellkerne gleichsam in dünnwandigen Höhlungen 
zu liegen, die von dünnen Membranen begrenzt werden. 

Dieser anfänglich ausserchondrale Theil der Chorda ent- 
rinnt jedoch nicht dem Schicksal, welches auch den innerhalb 
der Wirbelsäule gelegenen Theil betroffen hat, nämlich der Atro- 
phie und dem schliesslichen Schwunde. Durch den unaufhalt- 
sam weitergreifenden Verknorpelungsvorgang werden immer neue 
Stücke in den Bereich des letzten Wirbelknorpels gezogen, und 
schliesslich hat dieser Wirbel die ganze Partie der Chorda, welche 
ursprünglich frei aus seiner Spitze herausragte, in sein Inneres 
aufgenommen. 

Dieser Vorgang lässt sich Schritt auf Schritt verfolgen. Bei 
einem 7,5 em langen Fötus finden wir den unteren Theil des letzten 
Steisswirbels von einer Menge anastomosirender Hohlräume durch- 
zogen, welche sich in Schnitte theils als langgedehntere Kanäle, theils 
als runde Lumina darstellen. Diese Hohlräume werden ausgefüllt von 
einer Masse, die aus Zellkernen und zusammengefallenen und gefal- 
teten Membranen besteht. Deutliche Zellgrenzen konnte ich unmög- 
lich wahrnehmen. Ausserhalb des eigentlichen, knorpeligen Wirbels 
finden wir ebenfalls solche Hohlräume, die von verdichtetem Binde- 
gewebe begrenzt und von demselben Inhalt ausgefüllt werden wie die 
Höhlungen des Wirbels selbst. Sie kommen jedoch nur in ‚unmittel- 
barer Nähe des Wirbels, in seinem Perichondrium vor. 

Bei einem 15 cm langen Fötus ist es nicht mehr möglich, Reste 
der Chorda ausserhalb des Knorpels zu entdecken. Zellreste liegen 
noch in den Höhlungen des Knorpels. Dass dieser aufgewundene 
Theil der Chorda thatsächlich in der vorerwähnten Weise ganz und 
gar vom letzten Steisswirbel eingeschlossen wird, dafür spricht meines 
Erachtens auch der Umstand, dass wir den unteren Theil dieses Wir- 
bels später in den Schnitten in so reichem Maasse von Hohlgebilden 
durchbrochen finden, dass der Schnitt fast ein siebähnliches Aussehen 
gewinnt. 

Wir ersahen demnach, dass der knäuelförmig zusammen- 
gerollte und ursprünglich ausserchondral gelegene Theil der Chorda 
durch die Verknorpelung des Bindegewebes gänzlich in den 
Bereich des letzten Wirbels hineingezogen wird; er veranlasst 
also keine ausserhalb der Wirbelsäule gelegene Bildung. 


94 J. Herman Jakobsson: 


Der Schwanzdarm. 


In Bezug auf den Schwanzdarm kann ich mich kurz fassen. 
Ich muss nämlich gestehen, dass ich in meinen Serien niemals 
ein Gebilde beobachtet habe, von dem sich annehmen liesse, dass 
in ihm der Schwanzdarm oder Ueberreste eines solchen vorlägen. 
Nicht einmal bei einem Embryo, welcher nach der Fixirung 8 mm 
maass, waren dergleichen Reste bestimmt nachweisbar. 


Das Vorkommen eines solchen Gebildes beim Menschen scheint 
übrigens erst letzthin durch die Untersuchungen von Fol und vor 
allem von Keibel!) mit Gewissheit erwiesen zu sein. His?) und 
Ecker°), deren übereinstimmende Ansichten in der Schwanzfrage in 
den sogen. Kompromisssätzen ausgesprochen sind, scheinen nicht ge- 
neigt zu sein, einen solchen Darmtheil als integrirenden Bestandtheil 
des Schwanzes anzunehmen. Sie bezeichnen als den Schwanz nur 
denjenigen Theil des Embryokörpers, welcher sich über die Kloake 
hinaus erstreckt. Die die Analöffnung präformirende Stelle ist nach 
His am untersten Theil der Kloake zu suchen, und der frei heraus- 
ragende Schwanztheil des Embryo entbehrt deshalb nach seinem Da- 
fürhalten einer Verlängerung des Darmrohres. 

Keibel äussert dagegeu anlässlich der Bearbeitung eines 4,2 mm 
langen Embryos: „Medullarrohr, Chorda und Darm reichen bis an das 
Caudalende des Embryo, um dort mit einander, und wie hinzugefügt 
werden mag, mit dem Mesoderm zu verschmelzen. Von diesen Ge- 
bilden bewahrt das Medullarrohr am längsten seine Selbständigkeit, 
während die Chorda sich schon etwas früher der dorsalen Darmwand 
anschliesst. Während von dem Medullarrohr und der Chorda nichts be- 
sonderes hervorzuheben ist, mag vom Darm betont werden, dass die 
Anlage des Afters nicht auf der Kuppe der Cloake (der Bursa pelvis, 
His) statthat, sondern dass der hintere Rand des Afters resp. der 
Aftermembran — denn um eine solche handelt es sich hier noch — 
beträchtlich weiter kranial liegt.“ Umd dann bezeichnet er den kaudal 

1) F. Keibel, Ueber den Schwanz des menschlichen Embryo. 
Arch. f. Anat. u. Entw. Jahrg. 1891, S. 356. 

2) W. His, Anatomie menschlicher Embryonen. 1—3. Leipzig 
1880-85. — Zur Kritik jüngerer menschlicher Embryonen. Sendschrei- 
ben an Herrn Prof. W. Krause in Göttingen. Archiv f. Anat. u. Entw. 
Jahrg. 1880, S. 407. — Ueber den Schwanztheil des menschlichen Em- 
bryo. Antwortschreiben an Herrn Geh. Rath A. Ecker in Freiburg 
i. B. Ibidem, S. 431. 

3) A. Ecker, Beiträge zur Kenntniss der äusseren Form jüngster 
menschlicher Embryonen. Archiv f. Anat. u. Entw. Jahrg. 1880, S. 403. 
— Besitzt der menschliche Embryo einen Schwanz? Briefliche Mitthei- 
lung an W. His. Ibidem, S. 421. — Replik und Kompromisssätze, nebst 
Schlusserklärung von W. His. Ibidem, S. 441. 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 95 


zur Aftermembran gelegenen Theil der Kloake als den Schwanzdarm. 
Bei einem 8 mm langen Embryo hat der Schwanzdarm, sagt Keibel, 
sich von der Kloake abgeschnürt und liegt nun im Schwanze als ein 
Epithelstrang, welcher nur in seinem kaudalen Ende mit einem Lumen 
versehen ist. Bei einem 11,5 mm langen Embryo fand er nur einen 
rudimentären Zellenstrang als eine Andeutung des Schwanzdarmes, 
und schliesslich findet er bei 20 mm Länge davon keine Spur mehr. 


Aus diesen Untersuchungen Keibel’s, verglichen mit den 
von mir gemachten Beobachtungen, erhellt demnach, dass diese 
im Schwanzgebiete vorhandene embryonale Epithelbildung bereits 
auf einer sehr frühen Stufe schwindet, ohne jedwede Spur zu 
hinterlassen. 

Wir haben also ersehen, dass keins der drei vorhin bespro- 
chenen Epithelgebilde den Ursprung der Steissdrüse abgeben 
kann. Es erübrigt jetzt, die von Luschka aufgeworfene Ver- 
muthung von der Herstammung der Drüse aus dem Sympathieus‘ 
näher zu untersuchen. 


Der Steisstheil des Sympathieus und die Anlage der 
Steissdrüse. 


Wenn die Ansicht betreffs der Entstehung der sympathi- 
schen Ganglien, welche heutzutage gang und gäbe ist, die näm- 
lich, dass die sympathischen Ganglien durch Zellenwucherung aus 
den spinalen entstanden seien, richtig ist, so können natürlich 
sympathische Ganglien in dieser Gegend, wo eben infolge des 
frühzeitigen Schwundes des Medullarrohres ihre Voraussetzungen, 
die spinalen Ganglien, nie zur Entwicklung kommen, nicht ent- 
stehen. 

Da der Sympathieus aber nichtsdestoweniger schon auf 
einer recht frühen Entwieklungsstufe als ein zusammenhängender, 
wennschon stetig schmaler werdender Zellenstrang sich ganz bis 
auf die Vorderseite des letzten Wirbels erstreckt, so können wir 
schon a priori vermuthen, dass dieser Endtheil der Ganglienkette 
in einer etwas modifieirten Weise entstanden sei. Und ich glaube 
nieht zu weit zu greifen mit meiner Behauptung, dass dieser 
letzte Theil durch einen Zuwachs des Verbindungsstranges des 
letzten direet angelegten Ganglions in kaudaler Richtung ent- 
standen ist. Wir werden diese Verhältnisse in der Folge ein- 
gehender erörtern. 


96 J. Herman Jakobsson: 


Fötus von 1,8 em Länge. Sagittalschnitte. Diese Serie umfasst 
die 10 am weitesten kaudalwärts gelegenen Wirbel. Jederseits der 
Wirbelsäule liegen 8 Spinalganglien, das erste kranialwärts vom ersten 
Wirbel, das letzte zwischen dem 7. und 8., oder von der Steissspitze 
aus zwischen dem 3. und 4. Diese Ganglien sind gross und kräftig 
entwickelt, ausgenommen das letzte, das im Vergleich zu den übrigen 
ungewöhnlich klein und rudimentär erscheint. Auf der ventralen Seite 
der Wirbelsäule, der Lage der Spinalganglien entsprechend, finden 
sich zwei Reihen von je 7 Ganglienzellen-Anhäufungen. Diese sind 
Anlagen von gleich vielen sympathischen Ganglien, und entsprechen 
ihrer Lage nach genau je einem Spinalganglion. Das letzte spinale 
Ganglion hat also seinen Platz zwischen dem 1. und 2. Steisswirbel, 
das letzte sympathische zwischen dem letzten Sacral- und dem ersten 
Steisswirbel. 

Diese sympathischen Ganglien sind unter einander vereint ver- 
mittelst Stränge feiner Nervenfasern, der Anlage der sympathischen 
Grenzstränge, in welche ebenfalls Zellen gleicher Natur, wie diejenigen, 
welche die Ganglien selbst bilden, verästelte Gebilde mit langen proto- 
plasmatischen Ausläufern, reichlich eingestreut sind. Von jedem der bei- 
den letzten Ganglien geht späterhin ein Ganglienzellen einschliessender 
Strang Nervenfasern kaudalwärts aus, und diese beiden Stränge legen 
sich den abwärts hinziehenden Gefässen eng an. Sie erstrecken sich 
bis auf die Vorderseite des letzten Wirbels und verrathen eine deut- 
liche Neigung mit einander zu konfluiren. 

Es sei hinzugefügt, dass der linksseitige dieser beiden Stränge 
an zwei Stellen, zwischen dem 1. und 2. und dem 2. und 3. Steiss- 
wirbel, eine grössere Zellenanhäufung zeigt, welche eine Art gangliärer 
Anschwellung andeutet. Dieses ist bei dem rechtsseitigen Strang 
nicht der Fall, welcher immer schmaler werdend sich bis zum letzten 
Wirbel erstreckt. Die hypothetisch rekonstruirte Vorderansicht des 
Sympathicus würde auf dem den 6 ersten Wirbeln entsprechenden 
Gebiete der 10 letzten Wirbel zwei perlschnurähnlich angeschwellte 
Zellenstränge darbieten. Vom Zwischenraume zwischen dem letzten 
Sacral- und dem ersten Steisswirbel konvergiren sie gegen die Mittel- 
linie, wo sie sich eng aneinander legen. 

Vergebens späht man auf dieser Stufe nach der Anlage einer 
Steissdrüse. 

Fötus von 2,4 cm Länge. Querschnitte. Der Sympathieus verhält 
sich hier wie bei dem vorigen. 

Fötus von 6 cm Länge. Sagittalschnitte (Fig. 4sy). Bei diesem 
Fötus erwiesen die Verhältnisse sich etwas abweichend. Auch in 
dieser Serie sind die 10 letzten Wirbel, deren 3 letzte, wie vorhin er- 
wähnt worden, einen fast rechten Winkel gegen die übrige Wirbel- 
säule bilden, vorhanden. In der Region der oberen Wirbel liegen die 
Ganglien und die Grenzstränge in gewöhnlicher Ordnung, wenn schon 
der rechte Sympathicus auf einem kleinen Gebiet deutlich markirter 
Ganglien entbehrt, sondern sich eher als ein gleich dicker Strang dar- 


MT en er" EEE 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 97 


stellt. Das sympathische System ist in dieser Weise paarig bis zum 
Zwischenraum zwischen dem letzten Sacral- und dem ersten Steiss- 
wirbel hinab, wo die beiden sympathischen Ketten sich zu einer ein- 
zigen vereinen. 

Dieser Strang setzt sich später als ein einfaches Gebilde bis auf 
die Vorderseite des letzten Wirbels fort, und zeigt drei kleinere gan- 
gliäre Anschwellungen, nämlich zwischen 1. und 2, dem 2. und 3. und 
3. und 4. Steisswirbel.e. Demnach haben wir auf dem Gebiete der letzten 
4 Wirbel durch das Verschmelzen der ursprünglich dicht an einander 
liegenden Stränge einen einheitlichen erhalten. 

Auch bei diesem Fötus ist keine Drüsenanlage ersichtlich. 

Fötus von 7,5 cm Länge. Sagittalschnitte. Dieser Fötus ver- 
hält sich wesentlich wie der vorige. Auch hier bestätigen wir, dass 
der Sympathieus in der Steissregion sich als ein gleich dicker Strang 
ganz bis auf die Vorderseite des letzten Wirbels hinab erstreckt, und 
dass er aus längsgehenden feinen Nervenfasern und einer Menge 
Nervenzellen besteht. 


Fötus von 11/8,1 em Länge. Querschnitte. Etwa 150 u 
von der Steissspitze entfernt stossen wir hier dem Wirbel ventral 
anliegend auf einen kleinen, im Querschnitt rundlichen Strang, 
der infolge seines grossen Zellenreichthums sofort auffällt. Wenn 
wir dieses Gebilde näher untersuchen, finden wir, dass es aus 
einer Arterie und einer Vene, beide quer durchschnitten, und 
zwei sympathischen Nerven besteht. Sowohl die Arterie als die 
Vene geben hier seitliche Aeste ab. Die Nerven, von denen die 
Gefässe dicht umsponnen werden, enthalten ausser Fasern noch 
zahlreiche Zellen; hauptsächlich die letzteren verleihen der be- 
treffenden Partie ihr kompaktes Aussehen. Verfolgen wir die 
Serie kranialwärts, so ergibt es sich, dass sowohl die Gefässe 
als die Nerven sich in ein gemeinschaftliches, strangförmiges 
Gebilde fortsetzen, und wir können das ersterwähnte zellenreiche 
Gebiet also mit Recht als eine knotenförmige Verdiekung des 
Sympathicusstranges bezeichnen. Von der Umgebung grenzt dieser 
Theil sich sehr deutlich dadurch ab, dass das Bindegewebe sich 
in concentrischen Lagen geordnet hat. Weiter kranial gelegen, 
etwa 500 u von der Steissspitze entfernt, liegt eine ähnliche 
kleine rundliche Zellenmasse, welche vermittels eines Nerven- 
stieles mit dem Sympathieus in Verbindung steht und ein vom 
Hauptstamm abgeschnürter Theil desselben zu sein scheint. 

Beide Zellenanhäufungen dürften, wie aus dem 
folgenden erhellt, auf die Drüsenanlage Bezug haben. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 7 


98 J. Herman Jakobsson: 


Fötus von 15cm Länge. Sagittalschnitte. (Fig. 5 ceg und 
Fig. 6). Hier begegnen wir zum ersten Male der Steissdrüsen- 
anlage als einem selbständigen und scharf markirten Gebilde. 
Sie liegt hier in der Ebene der Steissspitze als ein kleines rund- 
liches oder vielleicht besser ovales Zellenklümpcehen von ganz un- 
ansehnlichen Dimensionen. . Es ist etwa 155 u breit und misst 
im Sagittalschnitt 60 u in dorso-ventraler und 120 u in kranio- 
kaudaler Richtung. Das Organ liegt der Arteria sacralis media 
und dem diesem Gefäss sich dicht anschliessenden unteren Theil 
des Sympathiceus eng und zwar unmittelbar an. (Fig. 6 ar und 
n.) Eben die Stelle, wo das Organ belegen ist, ist zugleich der 
Abzweigungsort eines grossen Seitenastes der Arterie, und infolge: 
dessen wird die Drüse gleichsam in ein von diesen beiden Ge- 
fässen gebildetes Knie gebettet. Der Hauptstamm der Arteria 
sacralis media macht hier auch seine schlingenförmige Umbiegung, 
um sich von der Ventralseite her um die Steissspitze auf die dor- 
sale Seite des Steissbeines zu schlagen, wo die Arterie in der 
Gegend des letzten Steisswirbels ihre Endausbreitung hat. 

Das Organ ist durchgehends gleichförmig gebaut und bietet 
sich bereits auf den ersten Blick als eine specifische Bildung 
dar. Verhältnisse, welche andeuten sollten, dass sie nichts als 
eine verdichtete Bindegewebspartie sei, sind nicht vorhanden. 
Irgend welche continuirliche Uebergänge zwischen dem Binde- 
gsewebe der Umgebung und den an dem Aufbau der Drüsenan- 
lage interessirten speeifischen Elemente — den Parenchymzellen 
— sind nicht nachweisbar. Im Gegentheil, seine Umrisse sind 
scharf abgegrenzt. Das die Bildung zunächst einhüllende Binde- 
gewebe hat sich um das Organ her in concentrischen Zügen ge- 
ordnet, eine Art Kapsel bildend (Fig. 6 Kaps.). 

Betreffs der Zellform ist eine völlig bestimmte Aussage 
schwierig, da die Zellen so dicht gedrängt liegen, dass es nahezu 
unmöglich ist, eine derselben ganz isolirt zu betrachten. Jeden- 
falls bieten sie gar keine Aehnlichkeit mit Bindegewebszellen. 
Ihre Form scheint polygonal zu sein; wenigstens kann man viel- 
fach um die grossen runden oder rundlich ovalen Kerne her poly- 
gonale Zeichnungen wahrnehmen (Fig. 6 ccg). 

Die Drüse steht durch mehrere Nervenäste in intimer Ver- 
bindung mit dem unteren Theile des Sympathieus, welcher als 
ein die Arteria sacralis media begleitender Stamm dicht an dem 


‚Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 99 


Organ vorbeizieht. Ihr Nervenreichthum ist in der That so gross, 
dass er eine ganz eigene Bedeutung haben, und nicht nur der 
Ausdruck einer gewöhnlichen Innervation sein dürfte. Wie er- 
wähnt dringen die Nerven in mehreren Verästelungen durch die 
Kapsel zwischen die Parencehymzellen der Drüse hinein, wo man 
sie dann als feine vom Eosin schwach roth gefärbte Fibrillen 
verfolgen kann. In welchem Verhältniss diese Nervenfasern zu 
den Parenchymzellen stehen, erhellt nicht aus den Bildern. 

Was die Gefässe betrifft, so giebt es ihrer äusserst wenige 
(Fig. 6 bl); nur.sehr spärliche Kapillaren kommen in der Kapsel 
und den am meisten peripherisch gelegenen Theilen des Paren- 
chyms vor. Auf diesem Stadium besteht also die Drüse aus 
einem rundlichen Klümpehen wahrschemlich polygonaler Zellen, 
die Grundlage des Parenchyms bildend. Ein inneres Bindege- 
webegerüst ist auf diesem Stadium noch nicht entwickelt. Nur 

Woher stammen nun diese Parenchymzellen, wel- 
che allein die erste Anlage der Steissdrüse bilden? 
Bindegewebiger Natur können sie nicht wohl sein, nach dem, 
was vorhin dargethan worden; ferner entstammen sie weder dem 
Medullarrohr, noch der Chorda, noch dem Schwanzdarme, da 
jedes dieser Gebilde, wie die oben gelieferte Erörterung zeigt, 
seine besondere Metamorphose durchmacht. Dagegen steht dieses 
Zellenklümpcehen in einer so engen Verbindung mit dem sym- 
pathischen Ganglienstrange und entspricht auch in seiner Lage 
dessen unterem Ende, dass man gezwungenerweise das Paren- 
chym als einen abgesehnürten Theil desselben, und die Zellen 
als modifieirte Ganglienzellen betrachten muss. 

Fötus von 24|16,2 cm Länge. Querschnitte (Fig. 7). Bei 
diesem Fötus tritt das Organ mit einem Aussehen auf, welches 
sich erheblich von dem unterscheidet, welches als für das vorige 
Stadium eharakteristisch beschrieben wurde. Dieser Unterschied 
wird hauptsächlich dureh eine starke Vermehrung der Blutbahn 
der Drüse bedingt, ein Verhältniss, welches in dieser Serie be- 
sonders hübsch zu Tage tritt wegen der reichlichen Selbstinjee- 
tion der Gefässe. Anstatt der äusserst spärlichen Kapillaren, 
welche wir in der vorhergehenden Serie in der Kapsel und den 
peripherischen Theilen der Drüse fanden, sehen wir hier die 
ganze Drüsenmasse von einer Menge sinuös erweiterter vor- 
kapillarer Arterien durchzogen (bl). Von diesen gehen dann 


100 J. Herman Jakobsson: 


vielfältige feine Kapillaren aus, welche reichlich unter einander 
Anastomosen eingehen, und sich auch mit den Kapillarbahnen 
der umgebenden Gewebe in Verbindung setzen. 

Diese Blutbahnen durchkreuzen eine die ganze Drüse hin- 
durch gleichartige Zellenmasse (par). Die polygonale Form der 
Zellen tritt hier noch deutlicher hervor, als in der vorigen Serie; 
irgendwelche specielle Anordnung oder Gruppirung derselben ist 
noch nicht wahrnehmbar. Die zuführende Arterie der Drüse geht 
von der nahen Arteria sacralis media als ein starker und muskel- 
reicher Stamm ab, scheint aber fast sofort nach ihrem Eintritt 
in das Organ den grössten Theil ihrer muskulösen Elemente zu 
verlieren. Das Blut wird von der Drüse hinweggeleitet, theils 
vermittels der vorerwähnten kapillaren Anastomosen mit den 
Kapillaren der umgebenden Gewebe, theils ferner vermittels klei- 
nerer, innerhalb des Organes durch Zusammenfluss seiner Ka- 
pillaren entstandener Venen. 

Nerven ziehen von dem dicht nebenan gelegenen Sym- 
pathieus reichlich in das Organ ein. Auf diesem Stadium kann 
man auch eine Andeutung beginnender Lobulirung der Drüse 
gewahr werden. Von der Kapsel (kaps) schieben sich kleinere 
Bindegewebsstreifen in das Parenchym (par) hmein; eine wirk- 
liche Zertheilung desselben in kleinere Abschnitte vermittels binde- 
gewebiger Septa liegt nicht vor. 

Das Organ hat seinen Platz unmittelbar an der Steissspitze 
und misst in kranio-kaudaler Richtung 150 u. Sein grösster 
Diameter im Querschnitt beträgt 190 u. 

Ausser dieser eigentlichen Anlage der Steissdrüse werden 
weiter kranialwärts an zwei Stellen, bezw. 60 und 430 u von der 
Steissspitze entfernt, zwei etwas kleinere Gebilde gleichen Baues 
wie die Hauptanlage angetroffen. Auch diese liegen der Arterie 
und dem Sympathicus dieht an und nehmen von beiden Aeste 
in sich auf. Sie messen in kranio-kaudaler Richtung bezw. 200 
und 135 u, im Querschnitt bezw. 130 und 120 u. 

Bereits vorhin, anlässlich eines 11/S,1 em langen Fötus, 
wurde bemerkt, dass dort in einer Entfernung von 500 u von 
der Steissspitze ein rundliches Zellenklümpcehen angetroffen wurde, 
welches vermittels eines aus feinen Nervenfasern bestehenden 
Stieles mit dem Hauptstamm des Sympathicus in Verbindung stand 
und allem Anschein nach von diesem abgeschnürt war. Nun 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 101 


liegt es ja sehr nahe anzunehmen, dass die bei diesem Embryo 
vorhandenen zwei drüsigen Bildungen aus Zellenklümpchen ent- 
standen sind, welche jenen ähneln, gerade so, wie die Steissdrüse 
sich selbst aus einer weiter kaudalwärts gelegenen, gleichfalls 
primär gefässfreien Zellenmasse entwickelt hat. Und als der- 
gleichen Steissdrüsen en miniature muss ich sie denn auch be- 
trachten. 

Meine diesbezüglichen Beobachtungen stimmen in der That 
sehr gut zu Arnold’s!) Angabe, dass auf der Vorderseite des 
Steissbeins im Anschluss an die Arteria sacralis media mehrere 
kleinere Gebilde sich vorfänden, welehe in ihrer Struktur mit 
dien Parenchymsträngen der Steissdrüse übereinstimmen. Er sagt, 
dass man die Drüse als aus mehreren solcher einfacher Bildungen, 
welehe sich zu einem Ganzen zusammengethan, aufgebaut be- 
trachtet werden kann. Wie bereits oben erwähnt wurde, meint 
er jedoch, diese Bildungen seien Gefässerweiterungen, die er „Ge- 
fässsäcke“ benennt. 

Fötus von 24,5]16 cm Länge. Querschnitte. Bei diesem 
mit dem vorigen ungefähr gleichalterigen Fötus finde ich nur 
eine einzige, aber bedeutend grössere Drüsenanlage. Sie ist 
250 u von der Steissspitze entfernt und misst in kranio-kaudaler 
Riehtung 250 u; die Breite beträgt 350 u. Uebrigens ist sie hier 
in zwei grössere Partieen getheilt, welche durch eine schmalere 
Zellenbrücke mit einander zusammenhängen. Die Struktur ist 
sonst etwa dieselbe wie auf dem vorigen Stadium. Auch die 
Serie des 28,0/18,5 em langen Embryos ergiebt nichts Neues. 

Von den Grössen über 28,0/18,5 em bis zur Reife hat mir 
kein Material zur Untersuchung zur Verfügung gestanden. Die 
Veränderungen, denen das Organ während des zwischen diesen 
beiden Stadien liegenden Zeitraumes unterworfen wird, sind aber 
in der That von so wenig durchgreifender Bedeutung, dass die 
Ermangelung des Materiales aus dieser Periode sich unschwer 
ertragen lässt. 

Reife Föten. Querschnitte (Fig. 8). Wir finden hier die 
Drüse 320 u von der Steissspitze entfernt wieder. Sie misst im 
Querschnitt dorso-ventral 400 u, von der einen Seite querüber 
zur andern 850 u, und erstreckt sich in kranio-kaudaler Richtung 


TAN 32078. 81. 


[y 


102 J. Herman Jakobsson: 


500 u lang. Die zunächst in die Augen fallende Veränderung 
ist der beträchtliche Zuwachs des bindegewebigen Gerüstes, des 
Stromas, der Drüse. Anstatt der kleineren Bindegewebsstreifen, 
die wir auf dem vorigen Stadium von der Kapsel her in das 
Parenchym einsetzen sahen, ohne dass sie jedoch eine eigentliche 
Zertheilung desselben bewirkten, finden wir hier wahre Septa, 
welche die ganze Drüsenmasse durchziehen. Das Parenchym 
wird in dieser Weise in eine Menge kleinerer Partieen zerlegt: 
m. a. W., die Drüse ist gelappt. Einige dieser Septa sind 
sehr grob, und infolge ihres Vorschiebens sind mehrfach Drüsen- 
partieen gleichsam vom Ganzen abgetrennt worden und treten 
nunmehr als freiliegende Gebilde auf. Andere Septa aber, und 
zwar die meisten, durchziehen die Drüse in feinen Zügen. Durch 
diese Bindegewebswucherung ist also der einheitliche Zellen- 
klumpen in kleinere Abschnitte getheilt worden, und das Paren- 
chym (par) liegt hier in unregelmässigen rundlichen oder strang- 
förmigen Anhäufungen. Diese Parenchymstränge gleichen indess 
nicht ganz denjenigen des Erwachsenen. Sie haben ein gröberes 
und plumperes Aussehen. Das Parenchym ist hier dem Volumen 
nach noch vorwiegend, das Stroma dagegen verhältnissmässig 
schwach. Das ganze Organ macht noch den Eindruck eines mehr 
durch und durch parenchymatösen Gebildes, als dieses bei dem 
Erwachsenen der Fall ist. 

Von hier aus bis zum Verhältniss beidem Erwachsenen 
ist jedoch kein grosser Schritt (Fig. 9). Durch eine stetig an- 
dauernde Bindegewebswucherung haben sich diese ursprünglich 
schmalen Septa offenbar zu mächtigen Strichen entwickelt, welche 
schliesslich solehe Dimensionen gewinnen, dass das Parenchym 
immer weniger in die Augen springt. Diese werden ferner in- 
folge der Zunahme des Bindegewebes in immer kleinere Partieen 
zertheilt, welche strangförmig oder rundlich gestaltet (par) in 
das mächtige Stroma (str) eingebettet sind. 

Somit haben wie die Steissdrüse durch alle Entwicklungs- 
stadien hindurch verfolgt, von ihrer ersten Anlage, bis zu ihrem 
endlichen Bau als ein ausgebildetes Organ. 


Zusammenfassung. 


Ein kurzer Rückblick der obigen Darstellung dürfte die 
Ergebnisse meiner Untersuchungen über die embryonale Ent- 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 103 


wieklung der Steissdrüse in folgende Hauptpunkte zusammen- 
fassen. 

1. Zum ersten Male begegnen wir der Steissdrüse als 
einer deutlich bezeichneten Anlage bei einem Fötus von 15 cm 
Totallänge (Ende des 4. Monats). Sie erscheint dort in der 
Form eines kleinen ovalen Häufchens epithelähnlicher, poly- 
gonaler Zellen und liegt unmittelbar ventralwärts der Steissspitze. 
Von ihrer Umgebung ist sie durch kreisförmig sie umgebende 
Bindegewebszüge, welche eine Art Kapsel für die Anlage bilden, 
scharf abgegrenzt. Gefässe finden sich in der Drüsenanlage 
selbst nicht, jedoch spärliche Kapillaren in der Kapsel nnd den 
peripherischen Theilen der Drüse. Mit dem Sympathieus steht 
sie durch zahlreiche Nervenfasern, welche sich unter den Zellen 
im Innern verlieren, in engem Zusammenhang. 

2. Diesem ersten Stadium folgt in der Entwicklung der 
Drüse ein zweites, welches von einer starken Vermehrung der 
Blutbahnen gekennzeichnet wird. (Fötus von 24 cm Totallänge 
Ende des 5. Monats). Das Zellenklümpchen ist nunmehr von 
srossen Arterien und Kapillaren, welche in der Drüse ein dichtes 
Netz bilden, vielfach durchzogen. Im Innern des Organes ist 
noch fast gar kein Bindegewebe vorhanden, nur eine Andeutung 
zur Lobulirung durch eine spärliche von der Kapsel ausgehende 
Bindegewebswucherung. 

3. Die späteren Veränderungen des Organes ergeben die 
Ausbildungen des bindegewebigen Gerüstes und die Lobulirung 
desselben. 

4. Aus diesen Verhältnissen dürfte sich späterhin der 
persistirende Bau des Organes in der Weise entwickeln, dass 
das Bindegewebe stetig an Mächtigkeit zunimmt, bis es schliess- 
lich den Hauptbestandtheil der Drüse ausmacht, und welcher 
dem ausgewachsenen Organe seine eigenthümlich feste Beschaffen- 
heit verleiht. 

5. Während sämmtlicher Entwicklungsperioden liegt die 
Drüse stets ventralwärts zur Wirbelsäule. Sie kennzeichnet sich 
demnach schon durch ihre Lage als ein Organ, das aus einem 
ventral von der Wirbelsäule gelegenen Gebilde hervorgegangen ist. 

6. Ausser dieser Hauptanlage können, ebenfalls ventral 
von der Wirbelsäule, aber mehr kranialwärts in engem Anschluss 
an den Sympathicus und die Arteria sacralis media, kleinere Bil- 


104 J. Herman Jakobsson: 


dungen gleichen Baues wie die Drüse selbst vorkommen, wahr- 
scheinlich derselben Quelle entstammend, wie sie. 

7. Die Steissdrüse ist also nicht, wie es Arnold und 
Krause haben behaupten wollen, ein Gefässknäuel, der entweder 
den unteren, zusammengerollten Theil der Arteria sacralis media 
vertritt, oder seitliche Verzweigungen dieses Gefässes, welche 
dem Steisstheile des Medullarrohres zur Nahrungszufuhr dienen 
sollten, die aber infolge der frühzeitigen Atrophie dieser Partie 
ihre funktionale Bedeutung verloren haben und deshalb dieser 
eigenthümlichen Umwandlung unterzogen wurden. Der Haupt- 
stamm der Arteria sacralis media schlägt sich vielmehr um die 
Steissspitze auf die Dorsalseite und hat da seine Endausbreitung. 
Die für die Drüse bestimmte Arterie zweigt sich als ein Seiten- 
ast von dem Hauptgefässe ab. Die Gefässe spielen bei der Ent- 
stehung des Organs eine secundäre Rolle und wachsen erst, 
nachdem dieses bereits als ein selbständiger, distinkt markirter 
und gefässloser Zellenhaufen angelegt worden, in dasselbe hinein. 

8. Was die Abstammung derjenigen Zellen betrifft, welche 
diese primäre Drüsenanlage bilden, können sie nicht von der Natur 
gewöhnlicher Bindegewebszellen sein, denn sie sind bereits in 
ihrem ersten Auftreten epithelähnlich, und Zwischenformen, welche 
den Uebergang von den Bindegewebszellen ausmachen möchten, 
sind durchaus nicht nachweisbar. Die ganze Anlage ist von An- 
fang an scharf gegen das Bindegewebe abgegrenzt. 

9. Diese Zellen können auch, wie eingehend erörtert wurde, 
weder dem Medullarrohre, noch der Chorda, noch dem Enddarme 
entstammen. 

10. Dagegen müssen wir die Entstehung der Drüse aus 
dem Sympathieus als mehr denn wahrscheinlich erachten. Die 
primäre Drüsenanlage erscheint auf dem Platze des kaudalen 
Endes der Sympathieusanlage und hängt bereits von ihrem ersten 
Auftreten an und fortwährend mit dem Sympathiecus nahe zu- 
sammen. Die Parenchymzellen sind demnach mit den sympa- 
thischen Ganglienzellen homolog. 

11. Aus diesem Gesichtspunkt wäre die Untersuchung des 
Verhältnisses zwischen den Parenchymzellen des erwachsenen 
Organes und seinen zahlreichen Nervenfasern besonders erwünscht. 


Beiträge zur Kenntniss der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. 105 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV u. V. 


Erklärung der Buchstaben: 


ar — Arteria sacralis media. ı m = Glatte Muskelfasern. 

bl = Blutgefäss. mr = Medullarrohr. 

bp = Bindegewebspapille. ı n—= Nervenfasern. 

ce = Centralkanal. | par = Drüsenparenchym. 

ccg = Steissdrüse. | str = Stromagewebe. 

ch = Chorda. sw = Schwanzwirbel. 

d = Darm. sy = Sympathicusanlage. 

ep — Epidermis. tb — Terminalblase des Medullar- 
ft = Filum terminale. rohres. 

kaps = Stromakapsel. | tb‘ = Ueberreste von tb. 

Fig. 1. Vergr. 40:1. Sagittalschnitt durch den unteren Theil eines 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


[) 


1,5 em Fötus. Epidermis ein gutes Stück abgelöst, wodurch 
das Medullarrohr theilweise oder vollständig blossgelegt wird. 
Durch die Spitze der Wirbelsäule (sw) ragt die Chorda (ch) 
frei heraus und steht mit der Terminalblase (Z£b) des Medullar- 
rohres in intimem Kontakt. 

Vergr. 60:1. Querschnitt durch die Steissregion eines 24/16,2 cm 
Fötus. Dorsal von dem Wirbel (sw) Epithelreste der zer- 
sprengten Terminalblase (£b’). In einigen findet sich noch ein 
Lumen. Zwischen diesen Epithelresten die reichlich vaskula- 
risirte Bindegewebspapille (bp). Ventralwärts schliesst sich 
der Arteria sacralis media und einigen sympathischen Nerven 
an eine kleine drüsige Bildung (ccg‘), die ihrem Baue nach 
mit der eigentlichen Steissdrüse übereinstimmt. 

Vergr. 65:1. Querschnitt durch die Steissregion eines 11/8,1 em 
Fötus, etwa 200 u von der Steissspitze. Die Figur zeigt die 
zwischen dem Wirbel und der Epidermis gelegene Terminal- 
blase (2b) mit in sie hineinwachsendem Bindegewebe (bp). 
Vergr. 15:1. Sagittalschnitt durch den unteren Theil eines 
6cm Fötus, das Verhalten der Sympathieusanlage (sy) dar- 
stellend. Die Unterbrechung der Kontinuität auf der Biegung 
des Stranges beruhend. Das dazwischen gelegene Stück findet 
sich im angrenzenden Schnitte. 

Vergr. 15:1. Sagittalschnitt, durch die Steissregion eines 15cm 
Fötus. Dorsal von der Wirbelsäule (sw) das Filum termi- 
nale (ff). Ventrai von der Steissspitze und im Anschluss an 
die Arteria sacralis media die Anlage der Steissdrüse (ceg). 
Vergr. 300:1. Derselbe Schnitt wie Fig. 5, stärker vergrössert. 
Die Drüse liegt dicht neben der Arteria sacralis media (ar) 
und ein paar Nerven. Gefässe (bl) nur in der Peripherie der 
Anlage. Schwache Kapsel (kaps). 


106 B.4 Rs: 


Fig. 7. Vergr. 300:1. Drüsenanlage eines 24/162 em Fötus. Von 
der Kapsel (kaps) aus schieben sich schmale Bindegewebs- 
streifen (str) in das Pareuchym (par) hinein. Grosse, blut- 
angefüllte, vorkapillare Arterien und Kapillaren (bl). 

Fig. 8. Vergr. 90:1. Steissdrüse eines Neugeborenen. Das Parenchym 
(par) liegt hier in grossen Klumpen, zwischen denen dünne 
Bindegewebssepta (str) sich hineinziehen. Die Kapsel (kaps) 
ist stärker entwickelt und das Innere der Drüse von Gefässen 
(dl) reichlich durchzogen. Lobulirung. 

Fig. 9. Vergr. 350:1. Der Länge nach und theilweise auch ober- 
flächlich geschnittener Parenchymstrang (par) eines Erwachse- 
nen. Im Stranginnern ein Gefäss (bl). Das dem Parenchym 
anliegende Stromabindegewebe ist in eirkulären Zügen (str) 
geordnet. Ein Streifen glatter Muskelfasern (m) im Gesichts- 
felde links, wo ebenfalls einige polygonale Parenchymzellen 
durch das aufliegende Bindegewebe hindurebschimmern. 


(Aus dem Laboratorium für Histologie und allgem. Pathologie der 
Universität Pavia, dir. von Prof. Camillo Golgi.) 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 


Von 


Dr. F. Ris (Rheinau, Schweiz). 


Hierzu Tafel VI und VII. 


Der Lobus optieus der Vögel ist bereits von Ramon y 
Cajal!), van Gehuchten?), und Kölliker?) vermittelst der 


1) Ramon y Cajal, Sur la fine structure du lobe optique des 
oiseaux et sur l’origine reelle des nerfs optiques. Journal Internatio- 
nal d’Anatomie et de Physiologie. V. VIII. p. 337—366, pl. XXIII— 
XXIV. 1891. 

2) A. van Gehuchten, La structure des lobes optiques chez 
l’embryon de poulet. La Cellule, V. VIII. fasc. 1. 43 p. 3 pl. 1892. 

3) Kölliker, Handb. d. Gewebelehre. V. II. p. 413—422, Fig. 
5173—579. 1896, 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 107 


Golgi’sehen Methode untersucht worden. Die Befunde dieser 
Autoren sind im wesentlichen übereinstimmend und enthalten bei- 
nahe alles, was auch wir durch dieselbe Methode an dem com- 
plieirten Organ aufdecken konnten. Einzelne nicht unwichtige 
Thatsachen haben wir indessen noch dazu gefunden; um diese 
in richtigem Zusammenhange wiederzugeben, erschien es uns 
nöthig, auch das von den genannten Autoren bereits Veröffent- 
lichte nach unsern Präparaten nochmals zu besprechen und ab- 
zubilden, zumal wir in der Lage sind, einzelne der bereits be- 
kannten Thatsachen durch etwas charakteristischere Abbildungen, 
als die vorhandenen, illustriren zu können. 

Die Arbeit wurde im Jahre 1897 im Laboratorium des 
Herrn Prof. Camillo Golgi in Pavia ausgeführt, und ich bin 
sowohl dem Leiter des Institutes, wie seinem Assistenten Dr. 
Emilio Veratti, für mannigfache Anleitung und Hülfe zu vie- 
lem Dank verpflichtet. 

Als Material dienten zunächst die Gehirne vor Kurzem aus- 
geschlüpfter, oder auch schon etwas befiederter, aber noch blinder 
Singvögel (Spiegelmeisen, Amseln ete.), die von jungen Liefe- 
ranten gerade für andere Zwecke ins Laboratorium gebracht 
wurden; es war dies ganz vorzüglich geeignetes Material, von 
dem tadellose Präparate mit grosser Sicherheit zu erhalten waren; 
allein es ging nicht an, von unserer Seite die gesetzwidrige Nest- 
räuberei zu unterstützen, und so wurden die Untersuchungen an 
Hühnerembryonen fortgesetzt, die ein Brütofen den Sommer und 
Herbst hindurch in reichlicher Menge lieferte. Dieselben wurden 
vom 14.—18. Tage untersucht und erwiesen sich während dieser 
sanzen Zeit sehr brauchbar. An den jüngeren wurden durch- 
schnittlich bei gleicher Behandlung etwas andere Zellgruppen im- 
prägnirt als an den ältern, so dass sich die Theilung des Ma- 
terials nach der verschiedenen Zahl der Bebrütungstage als vor- 
theilhaft erwies. Ausgeschlüpfte junge Hühnchen besitzen als 
selbständig bewegliche, sehende Thiere schon so weit in der 
Entwicklung vorgeschrittene Lobi optiei, dass sich diese, des 
reichlichen Myelingehaltes wegen, nicht mehr besonders für die 
schnelle Golgi’sche Methode eignen; immerhin ergaben uns ein- 
zelne von solchen vorgeschrittenen Gehirnen hergestellte Präpa- 
rate willkommene Controlobjeete. — Das Organ ist beim Hühn- 
chen etwas anders als bei den Singvögeln, offenbar auf einer 


108 FR St 


etwas niedrigeren Stufe der Entwicklung stehen geblieben; auf 
die Differenzen werden wir zurückzukommen haben. 

Die Technik war die schnelle Golgi’sche Methode in ihrer 
klassischen Form: Chromosmiumgemisch (3°/, Kaliumbiechromat 
4 Th., 1°/, Osmiumsäure 1 Th.) für 1—5 Tage, 1°/, Silber- 
nitratlösung bis zur weiteren Verarbeitung der Stücke. Die 
doppelte Imprägnirung wurde nur für die myelinisirten Stücke der 
ausgeschlüpften Hühnchen angewendet, sonst nur die einfache, 
die sehr sichere Resultate ergab; die besten Erfolge erzielten 
wir nach 3 Tagen Chromosmiumbehandlung; für einzelne Dinge 
war aber frühzeitiger Transport in die Silberlösung nothwendig, 
schon nach 48 oder gar nach 24 Stunden. Daneben lief eine 
Untersuchung des Organs an Sublimat- und Chrompräparaten 
mit Kernfärbungen und Weigert-Pal’scher Färbung; wir wer- 
den diese Dinge nur kurz berühren, da wir sie nicht weiter för- 
dern konnten, als zur Controle der Befunde an den Golgi’schen 
Präparaten nöthig war. Eine eingehende Darstellung des Faser- 
verlaufs im Mittelhirn der Vögel ist eine Aufgabe für sich, und 
zwar weder eine kleine noch eine leichte. Wir müssen unsere 
eingehende Beschreibung auf die Dach- oder Rindenregion des 
Lobus beschränken, da nur hier die Untersuchung zu einem ge- 
wissen Abschluss gelangt ist. 

Es wurde auch nicht versäumt, die Region der Endigung 
des Sehnerven an Tritonen-, Frosch-, Eidechsen- und Säugethier- 
Gehirnen nebenher zu untersuchen. Frosch- und Eidechsengehirn 
zeigen sehr hoch differenzirte Lobi optiei, ohne indessen die 
Complieation des Organs der Vögel zu erreichen; das Tritonen- 
gehirn verdient besonderes Interesse wegen seiner primitiven 
Form, von der wohl einst Erklärungsversuche der ganzen Struktur 
werden ausgehen müssen. Bei Säugerembryonen haben wir wenig 
erreicht, nicht annähernd was Ramon y Cajal!), und jedenfalls 
nichts, was irgendwie suggestiv gewesen wäre. 

Das Dach oder die Rinde der Lobi optiei der Vögel er- 
reicht eine Complieation des Aufbaues, welcher nur etwa die der 
Retina oder der Kleinhirnrinde an die Seite gestellt werden 
können. Die Schichtung der Elemente ist in dem Organ eine 


1) Ramon y Cajal, Beitr. z. Stud. der Med. obl. ete. Deutsch 
von J. Bresler, Leipz. 1896 (p. 26 ff., p. 102 ff.): 


Ueber den Bau des Lobus optieus der Vögel. 109 


sehr ausgesprochene; indessen halten wir die Eintheilung in 15 
Schichten nach Ramon für eine unglückliche; sie ist (l. e. Fig. 1) 
nach dem Organ des Sperlings gemacht und ein Specialfall, der 
sich durchaus nicht ohne Weiteres auf andere Arten übertragen 
lässt, z. B. dem wesentlich einfacher gebauten Organ des Hühn- 
chens nicht passt. Auch van Gehuchten’s Eintheilung in nur 
5 Schichten (couche des fibres retiniennes, couche des cellules 
optiques, eouche des fibres optiques centrales) nehmen wir nicht 
auf, da sie der wirklich vorhandenen Complication nicht gerecht 
wird. Kölliker theilt nach Weigert’schen Präparaten vom aus- 
gebildeten Gehirn des Huhns in 6 Schichten; wir nehmen: diese 
Eintheilung an, da sie auch auf Präparate von Embryonen mit 
Zellfärbung übertragbar und somit zur topographischen Ordnung 
der Befunde an Golgi’schen Präparaten zu verwenden ist. Nur 
die zweite Schicht Kölliker’s müssen wir in eine Anzahl von 
Unterabtheilungen bringen; wir thun dies ohne eine neue Nume- 
rirung der Schiehten zu schaffen, um möglichst wenig von Kölli- 
ker abzuweichen. 

Taf. VI, Fig. 1 stellt einen Querschnitt des optischen Daches 
vom l6tägigen Hübnerembryo dar, mit Sublimat fixirt und mit 
Safranin gefärbt. Das Präparat zeigt gegenüber mit der Golgi- 
schen Methode behandelten gleichartigen Stücken eine nicht un- 
bedeutende Contraction, lässt sich aber gleichwohl gut mit jenen 
vergleichen. Es sei hier gleich bemerkt, dass Schnitte in der 
Richtung auf die längste Axe des Lobus fast identische Bilder 
des Daches (natürlich nieht der Ganglien) ergeben, wie solche 
in darauf senkrechter Richtung. Wir haben unsere Sehnitte stets 
nach den Axen des Lobus opticus orientirt und nieht nach denen 
des ganzen Gehirns, um möglichst wenig Abgang an tangential 
fallenden sehr wenig instructiven Schnitten zu haben und dann 
besonders, weil die Lage des Organs wechselt, z. B. beim Hühner- 
embryo, wo es frei liegt, eine ganz andere ist, als bei den jungen 
Singvögeln, wo es durch die mächtig entwickelten Hemisphären be- 
deckt und niedergedrückt wird; nach den Hirnaxen orientirte Schnitte 
hätten also bei verschiedenen Species ganz verschiedene Lage. 

Fig. 1 soll unsere Uebertragung der Kölliker’schen 
Schichten auf das embryonale Organ mit Zellfärbung  illustriren 
und damit als Orientirungstafel für die Analyse der Chromsilber- 
präparate dienen. 


110 F. Ris: 


1. Die Optieusfaserschicht. 

2. und 3. Die „graue Lage“ Kölliker’s. 

2. Diese Schicht enthält verstreut kleine unregelmässig 
polygonale oder spindelförmige Nervenzellen, ist aber ihrer Haupt- 
masse nach eine „moleculäre* Schicht. An ihrer Grenze gegen 
5 indessen sammeln sich die Zellen zu einer ungemein dichten, 
etwa 2—3 Zellen breiten Lage kleiner, regelmässig spindelför- 
miger Elemente, zwischen welchen sich grössere und unregel- 
mässigere Zellen nur verstreut finden. Diese Grenzregion, welche 
ihre besondere Bedeutung hat, wollen wir als Schicht 2a be- 
zeichnen. 

Schon beim Hühnchen zeigt sich, an verschiedenen Stellen 
des gleichen Präparats verschieden deutlich, die Tendenz zu einer 
weitergehenden Schichtung innerhalb der Lage 2, in dem Sinne, 
dass die zerstreuten Zellen sich nach der Oberfläche zu ver- 
diehten, die Mitte der Schieht ziemlich frei lassen und in ge- 
ringer Distanz von 2a sich nochmals zu einer Zellschieht anord- 
nen. Diese beim Hühnchen noch ziemlich verwischte Anordnung 
prägt sich bei den Singvögeln, z. B. der Spiegelmeise mit grosser 
Schärfe aus, so dass sich hier die Lage 2 in folgender Modifi- 
cation darstellt: «) eine 3—4-fache Zellenlage, ß) eine fast zellen- 
freie, den grösseren Theil von 2 umfassende Moleculärlage, 
y) eine regelmässige, einfache Zellenlage, d) eine schmale Mole- 
eulärlage, darauf die Schicht 2a. Wir konnten uns nicht über- 
zeugen, dass dieser complieirteren Schichtung eine besondere Be- 
deutung der so angeordneten Elemente entspreche, nur die schmale 
Moleeulärlage 2d beansprucht später unser besonderes Interesse. 

3. Die Schicht 3 enthält als Hauptmasse zweierlei Ele- 
mente: ]. ziemlich grosse, spindelförmige, mit der Längsaxe in 
radialer Richtung orientirte Zellen und 2. in mindestens ebenso 
grosser Zahl kleine Elemente von gleicher Form und Orientirung. 
Zwischen diesen Hauptformen eingestreut finden sich in geringerer 
Zahl unregelmässige, nicht radial orientirte Elemente, die in der 
Form und Grösse theils an die kleinen Zellen von Schicht 2, 
theils auch an die grossen von Schicht 4 erinnern. — Die Zellen 
stehen hier sehr dieht und die spindelförmigen sind so vertheilt, 
dass näher der Oberfläche die kleinen, tiefer die grossen etwas 
vorwiegen. Unmittelbar unter 2a liegt eine Zone, die nur spär- 
liche Zellen enthält; sie ist beim Hühnchen ganz undeutlich be- 


Ueber den Bau des Lobus optieus der Vögel. 111 


grenzt, wird aber bei den Singvögeln fast zellenfrei, schärfer be- 
grenzt und damit zu einer deutlichen Molecularzone. 

4. Die „gitterförmige, markhaltige Schicht“ von Kölliker. 
Sie ist in dem abgebildeten Stadium noch marklos (übrigens 
wäre das Myelin auch durch die Sublimatfixirung nicht erhalten 
geblieben). Sie ist der Sitz ziemlich weitläufig gestellter, grosser, 
unregelmässig polyedrischer Ganglienzellen; deren reichliches 
Protoplasma zeigt deutliche Schollen chromophiler Substanz. Da- 
zwischen finden sich zerstreut kleine Zellen, die wahrscheinlich 
zum Theil der Neuroglia angehören. 

5. Die „Lage der cerebralen Sehfasern* von Kölliker 
ist beim Embryo noch eine dünne Schieht und von 4 undeutlich 
abgegrenzt. Dagegen wird sie scharf begrenzt und ungefähr 
ebenso breit wie die Schicht 4 mit der Myelinisirung der Fasern 
beim heranwachsenden Thier. 

6. Die Ependymschicht. 

Wenn wir in Betracht ziehen, dass Schicht 1 die zuleiten- 
den, 5 die ableitenden Fasern und 6 die Hauptelemente des Stütz- 
gewebes enthält, so bleibt für die eigentlichen Träger der Funk- 
tion des Organs die nicht mehr sehr eomplieirte Eintheilung in 
die Schichten 2, 2a, 3 und 4 übrig, eine Eintheilung, die sich 
am Studium der Chromsilberpräparate durchaus bewährt. Es ist 
dabei zu bemerken, dass sich eine weitere Theilung für das 
Hühnchen nur gezwungen, für die Singvögel (Spiegelmeise) da- 
gegen ohne Schwierigkeit machen liesse. 

Die Auflösung dieser leicht zu eonstatirenden Schichten in 
ihre Elemente war nun das Ziel unserer Untersuchung vermittelst 
der Chromsilbermethode. 

1. Optieusfaserschicht: Ueber diese ist wenig zu 
sagen. Üollateralen haben wir an ihren Fasern im Bereiche des 
optischen Daches nicht gefunden, dagegen wird auf echte Colla- 
teralen, die aus tiefern Regionen des Traetus abgehen, zurück- 
zukommen sein. An der Abstammung dieser Fasern, oder doch 
ihrer grossen Mehrzahl aus den Elementen der Ganglienzellen- 
schicht der Retina haben wir nicht den mindesten Grund zu 
zweifeln; sie wird von allen neueren Autoren angenommen. 

2. Das für die Sehieht 2 am meisten charakteristische 
Element sind die Verzweigungen eben dieser Optieus- 
fasern, „die freien Endigungen der Sehnervenfasern“, wie sie 


112 PouR is: 


im Sinne der Contakttheorie von den Autoren (Cajal, van Ge- 
huchten, Kölliker) genannt werden. Wir lassen die Frage 
nach der „freien Endigung“ offen, um am Schluss noch mit 
einigen Worten darauf zurück zu kommen. — Diese Bildungen 
sind leicht in grosser Menge in den Präparaten zur Anschauung 
zu bringen, besonders bei. nur kurz dauernder Einwirkung des 
Chromosmiumgemisches. Ihrer Beschreibung durch Cajal, van 
Gehucehten, Kölliker haben wir kaum etwas beizufügen; die 
schönste Abbildung davon gibt Kölliker (l.e. pag. 416, Fig. 575). 
Die Verzweigung der Opticusfaser in viele feine, gewundene Aest- 
chen in fast lauter wenig spitzen, dem rechten sich nähernden 
Winkeln, so dass jede einzelne Faser in einen dichten Strauss 
aufgeht, ist charakteristisch für diese Gebilde; dagegen finden 
wir, dass der Annahme „knopfförmiger, oder hakenförmig um- 
gebogener freier Enden“ grosse Vorsicht entgegenzubringen ist; 
einen derartigen Anblick haben wir an vielen und zwar zum Theil 
an den besten unserer Präparate vermisst, wo die Aestchen ein- 
fach aufhörten, wie jede feine Faser, ohne dass man den Beweis 
hätte, dass hier wirklich die Faser und nicht nur die Imprägna- 
tion zu Ende ist. — Beim Hühnchen fanden wir nur eine sehr 
unordentliche, eben angedeutete Schichtung dieser Bäumehen in 
dem Sinne, dass zu äusserst flachgedrückte, mehr tangential aus- 
gebreitete, in der Mitte und Hauptmasse kugelige, in einer tief- 
sten Schicht wiederum tangential flachgedrückte Büsche liegen. 
Am besten liessen sich noch diese letzteren absondern, als eine 
schmale Zone unmittelbar über der Schicht 2a die Moleeulärlage 
2d einnehmend. Weit deutlicher ist eine derartige, in gleichem 
Sinne angeordnete Schichtung bei der Spiegelmeise (Taf. VI, 
Fig. 5). Die tiefen, tangential ausgebreiteten Büsche kommen 
auch hier in die schmale Moleeularlage 2d zwischen den beiden 
Zellschichten 2y und 2a zu liegen. 

Bei einigermaassen vollständiger Imprägnation der Optieus- 
fasern ist die ganze Schicht 2 ein unentwirrbar dichter Plexus 
feinster Fasern, erscheint aber auch dann nach der Tiefe zu, im 
Niveau der Zellschicht 2a scharf abgeschnitten. Wir suchten 
vielfach nach Fortsetzung der Optieusfasern in tiefere Schichten, 
konnten aber niehts unzweideutig in diesem Sinne aufzufassendes 
nachweisen. Doch möchten wir daraus nicht folgern, dass eine 
solche Fortsetzung nicht möglich sei; das schiehtweise Vordringen 


Ueber den Bau des Lobus optieus der Vögel. 113 


der Silberimprägnation lässt sich oft beobachten; so kommt es 
nicht selten vor, dass die in der Moleeularlage 2d liegende Ver- 
zweigung später zu besprechender Elemente der Schicht 3 allein, 
ausser Zusammenhang mit den zugehörigen Zellkörpern, ganz 
dieht imprägnirt ist. 

Die Zellen der Schicht 2, beim Hühnchen, wie ge- 
sagt, nur andeutungsweise in zwei Schichten geordnet und sonst 
durch die ganze Breite von 2 verstreut, bei den Singvögeln mit 
ausgesprochener Anordnung in zwei besondere Schichten, sind 
sehr wahrscheinlich alles Zellen vom zweiten Typus von 
Golgi, d.h. solche, deren Axenfortsatz in der Nähe der Zelle, 
jedenfalls aber innerhalb des Organs sich gänzlich auffasert. Wir 
haben solche Elemente in Taf. VI, Fig. 2 u. VI, Fig.3?3 darge- 
stellt. Es finden sich im Wesentlichen zwei Typen: 1. tangential 
gelagerte, spindelförmige Elemente, die sehr an die Cajal’schen 
Zellen der Grosshirnrinde erinnern; ihr Axenfortsatz, meist von 
einem Protoplasmafortsatz in einiger Entfernung vom Zellkörper 
entspringend, nimmt meist wenigstens zu Anfang ebenfalls tangen- 
tialen Verlauf (Taf. VI, Fig. 3°). Die Protoplasmafortsätze durch- 
laufen oft sehr lange Strecken in fast gerader Richtung; 2. un- 
gefähr kugelige oder stumpf polyedrische Zellen mit, zahlreichen, 
gewundenen, vielfach verzweigten und dormenbesetzten Proto- 
plasmafortsätzen, die in sphärischer Anordnung um den Zellkörper 
nach allen Richtungen streben; ihre Axenfortsätze geben zahl- 
reiche Aeste innerhalb der Schicht 2 ab und streben oft mit 
einem Hauptast nach der Tiefe in die Schicht 3; über den Plexus 
von 3 hinaus haben wir sie aber nicht verfolgen können (Taf. VI, 
Fig. 3°). Zwischenformen zwischen diesen beiden Haupttypen, den 
tangential spindelförmigen und den sphärischen Zellen, sind häufig 
(Taf. VI, Fig. 2). Alle diese Elemente erfüllen mit ihren Axen- 
fortsätzen und deren Collateralen die Schicht 2 mit einem dichten 
Plexus, der natürlich bei einigermaassen vollständiger Imprägnation 
aus dem der Opticusfasern selbst gar nicht zu entwirren ist. Was 
alles noch aus tiefern Schichten in die Schicht 2 eintritt, darauf 
kommen wir später. 

Die Zellschicht 2a ist offenbar ein hervorragend wich- 
tiger Theil des Organs; wir fanden sie bei allen untersuchten 
Species in annähernd gleicher Weise differenzirt. In ausgezeich- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 3 


114 PERS: 


neter Weise imprägnirt erhielten wir sie besonders bei Hühner- 
embryonen vom 14.—15. Tage, und zwar bei kurzer Einwirkung 
der Chromosmiummischung (24—48 Stunden) und fast ausschliess- 
lich an Stücken, die nicht mehr von den Meningen bedeckt wa- 
ren; an anderen Präparaten erschienen zwar oft einzelne Zell- 
individuen dieser Schicht {wie sie z. B. van Gehuchten ab- 
bildet), aber nicht eine reichliche und zusammenhängende Im- 
prägnation ihrer Elemente. Die früheren Arbeiten über den Lobus 
optieus geben keine genügende Einsicht in die Zusammensetzung 
dieser sehr auffallenden Zellschieht, wie sie überhaupt über die 
Zellen 2. Typus des Organs sich nur sehr wenig eingehend 
äussern. 

Alle kleinen Zellen dieser Sehicht gehören zum 2. Typus 
von Golgi; und zwar sind diese kleinen Zellen die überaus grosse 
Mehrzahl; auf die spärlichen grossen Zellen kommen wir zurück. 
Taf. VI, Fig. 2 stellt ein Stück eines solchen Präparates dar; die 
Zeichnung ist, soweit sie die Schieht 2a angeht, nicht combinirt, 
sondern die möglichst getreue Wiedergabe einer einzigen Stelle des 
Objeets; nur in den oberflächlichen Theilen der Schicht 2 wur- 
den, um die durch Niederschläge bedingten Lücken im Bilde zu 
decken, aus, andern Gegenden desselben Objects entnommene 
Zellen der Schicht 2 eingezeichnet. 

Die Zellkörper sind klein, spindelförmig. Der nach der 
Oberfläche gerichtete Pol entsendet regelmässig einen Protoplasma- 
fortsatz in radialer Richtung nach der Oberfläche zu; dieser 
trägt reichliche kurze Seitenzweige, theilt sich auch gelegentlich 
bald nach dem Abgang vom Zellkörper in zwei Hauptäste; an 
günstigen Stellen (d. h. wo die an den meisten gelungenen 
Präparaten der Schicht 2 a störenden oberflächlichen Nieder- 
schläge fehlen) kann man beobachten, wie die Enden dieser 
Fortsätze bis hart unter die Optieusfaserschicht reichen und sich da 
noch eine kurze Strecke tangential umbiegen. Der Axenfortsatz 
entspringt fast ausnahmslos vom tiefen Pol der Zelle, verläuft 
eine kurze Streeke radial nach der Tiefe und löst sich dann 
sofort in zahlreiche feine Aestehen auf. Die Gesammtheit dieser 
Fortsätze mit ihren Verzweigungen bildet eine der Zellschicht 
2 a parallel folgende Zone eines äusserst dichten und feinen 
Nervenfaserplexus. Die Zone grösster Dichte dieses Plexus er- 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 115 


reicht etwa das erste äussere Drittel der Schicht 3 !); dann ver- 
mindert sich seine Dichte allmählich, und nur einzelne Fasern 
lassen sich durch die ganze Tiefe der Schicht 3 verfolgen. Aber 
ebensowenig, wie nach innen, hat dieser Plexus nach aussen 
eine scharfe Grenze; unzählige Fasern streben aus ihm rück- 
läufig in die Schicht 2, wo sie mit dem wohl physiologisch 
gleichwerthigen Nervengeflecht der eigenen Zellen dieser Schicht, 
sowie den Verzweigungen der Optieusfasern sich unentwirrbar 
vermischen. Es ist noch zu bemerken (siehe Taf. VI, Fig. 2), 
dass einzelne Zellindividuen gleicher Art auch ausser dem Ver- 
bande der Schicht 2 a bis ziemlich tief in die Schicht 3 hinein 
sich finden. 

Es steht also fest, dass eine mehrfache Lage ganz dicht 
gestellter Zellen vom zweiten Typus von Golgi den Hauptbe- 
standtheil der Schicht 2a ausmacht, welehe Schicht sieh in 
gleichmässiger Weise durch das ganze optische Dach ausbreitet. 

Die grösseren Zellen von 2a scheinen nach ihrer 
Bedeutung schon den grösseren Elementen der Schicht 3 nahe- 
zustehen; es gelingt wenigstens in vielen Fällen, ihren Axen- 
fortsatz in eine centralwärts verlaufende Faser zu verfolgen. 
Taf. VI, Fig. 2 stellt einige dieser Elemente dar, unregelmässig 
polyedrische Formen mit nach verschiedenen Richtungen, weder 
streng radial noch ausgesprochen tangential, auseinander streben- 
den Protoplasmafortsätzen; der starke Axenfortsatz strebt radial 
der Tiefe zu, nachdem er in Form von Collateralen auch seinen 
Autheil an den Plexus der kleinen Zellen von 2a abgegeben 
hat. Einen anderen Typus dieser Elemente stellt Taf. VI, Fig. 3° 
dar (von der Spiegelmeise, ganz älınliche Zellen finden sich 
aber auch beim Hühnchen). Der Zellkörper ist spindelförmig, 
radial orientirt; ein starker Spitzenfortsatz verläuft, gegen das 
Ende vielfach verzweigt, bis hart unter die Optieusfaserschicht, 
oft mit tangentialer Umbiegung der Enden; in manchen Fällen 
gibt dieser Fortsatz nahe seinem Ursprung vom Zellkörper, und 
zwar innerhalb der mehrerwähnten Molecularlage 2 ö, tangentiale 


1) Maasse geben wir absichtlich nicht, da sie ganz verschieden 
ausfallen, ob beim 14-, 16- oder 1Stägigen Embryo gemessen, ebenso 
verschieden sind sie beim gleichen Object an Chromsilber- oder an Subli- 
matpräparaten. 


116 F. Ris: 


Aeste ab; vom tiefen Pol der Zelle geht ein Büschel Protoplasma- 
fortsätze ab, die, vielfach verzweigt und sehr fein, kelchförmig 
auseinanderstrahlen. Aus der Mitte dieses Büschels tritt der 
Axenfortsatz hervor, der zur centralen Faser wird; häufig gibt 
dieser Axenfortsatz ein Büschel rückläufiger Collateralen ab, die 
sich in der Region der kelehförmig ausgebreiteten Protoplasma- 
foptsätze ganz ähnlich anordnen, wie diese selbst. Diese Ele- 
mente bilden an gewissen Präparaten (siehe auch van Ge- 
huchten’s Fig. 5) eine eigene tiefere Lage der Zellschicht 2 a; 
doch fanden wir darin keine Constanz, die uns berechtigte, sie 
der Schicht 3 zuzurechnen, wo sie eigentlich physiologisch hin- 
gehören. Die Taf. VI, Fig. 3* (von der Spiegelmeise) dargestellte 
Zelle zeigt bei ziemlich starkem radialwärts in die Tiefe streben- 
dem Axenfortsatz eine sehr eigenthümliche protoplasmatische 
Verzweigung innerhalb der Moleeularschicht 25; da es sich 
aber dabei um eine ganz vereinzelte Beobachtung handelt, wissen 
wir nicht, ob eine derartige Zellform einem zahlreicher vorhan- 
denen Typus entspricht; Cajal bildet etwas damit Vergleich- 
bares ab (l. e. Fig. 4). 

Die Schieht 3: Die Hauptmasse ihrer Elemente bilden 
zwei Zelltypen: 1. die grossen Spindelzellen mit nach der Tiefe, 
centralwärts, verlaufendem Axenfortsatz, 2. die kleinen Spindel- 
zellen, deren Axenfortsatz nach der Oberfläche zu verläuft. Dass 
daneben Zellen vom 2. Typus aus 2 a bis in die Schieht 3 sich 
verstreuen, haben wir schon bemerkt; ebenso werden wir Zell- 
individuen von der Form, wie sie der Schicht 4 angehört, ver- 
einzelt auch in 3 finden. 

Die grossen Spindelzellen: Ein spindelförmiger, 
radiär orientirter Zellkörper sendet einen ganz feinen wellen- 
förmig verlaufenden, mit feinsten Seitenfäserchen versehenen 
Protoplasmafortsatz nach der Tiefe, meist bis tief in die Schicht 4 
hinein; vom Beginn dieses Fortsatzes, sowie vom Zellkörper 
selbst gebt eine besonders grosse Menge feinster Seitenästehen 
ab; der nach aussen gerichtete Pol der Zelle verlängert sich in 
einen sehr starken Protoplasmafortsatz, welcher, oft in zwei 
Hauptäste getheilt, in radialer Richtung bis unter die Optieus- 
faserschicht verläuft; von ihm gehen zahlreiche Seitenästchen 
aus, die auf seinem ganzen Verlauf vorkommen, aber in der 
zellarmen Zone unterhalb der Schicht 2 a besonders dieht stehen 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 117 


und sich auch gegen das Ende der Fortsätze in Schicht 2 etwas 
häufen. Der Axenfortsatz dieser (von allen Autoren ungefähr 
übereinstimmend beschriebenen) Zellen nimmt mit grosser Regel- 
mässigkeit seinen Ursprung von dem peripheren starken Proto- 
plasmafortsatz; er biegt sogleich scharf um und verläuft als 
eentralwärts strebende Faser nach der Schicht 5. Auf diesem 
Verlauf gibt er etwa in der Höhe des zugehörigen Zellkörpers 
und oft fast unentwirrbar mit dessen basalen Protoplasmafort- 
sätzen verflochten, viele feine Collateralen ab, die zusammen 
einen Hauptantheil des dichten Nervenplexus in den tieferen 
Lagen von Schicht 3 bilden; in diesen Plexus geht, wie wir 
schon ausführten, der Plexus der Golgi'schen Zellen von 2a 
allmählich über. Dies ist die Form der grossen Spindelzellen 
beim Hühnchen (Taf. VII, Fig. 1°). 

Nach unsern Erfahrungen modifizirt sich die Gestalt dieser 
Zellen bei anderen Vogelarten nicht unwesentlich. Eine besonders 
weitgehende Modification fanden wir bei der Spiegelmeise (Taf. VI, 
Fig. 3 & 68‘), Hier ist der Zellkörper rundlicher; der starke 
periphere Protoplasmafortsatz bleibt regelmässig auf eine längere 
Strecke ohne Seitenäste, bis er in ein äusserst dichtes, fein ver- 
zweigtes Bäumchen von ungefähr sphärischen Umrissen ausein- 
ander fährt. Diese Bäumehen nehmen mit grosser Regelmässig- 
keit die (wie oben erwähnt bei den kleinen Singvögeln fast 
zellenfreie) Lage unmittelbar unter der Schicht 2a ein; nur 
wenige Zweige dieser eigenthümlichen Verästelung dringen durch 
2a bis in die Schicht 2 vor. Die Lage dieser Bäumchen ent- 
spricht übrigens ungefähr derjenigen, wo der entsprechende Zell- 
fortsatz des Hühnchens den grössten Reichthum an Seitenästen 
aufweist. Der Ursprungsort des Axenfortsatzes ist fast immer, 
gleich wie beim Hühnchen, der Stamm dieses Bäumchens, mit 
sofortiger Umbiegung nach der Tiefe; auch seine Collateralen 
sind entsprechend. Hie und da fanden wir indessen Zellindivi- 
duen (Taf. VI, Fig. 3 6% P), sehr oberflächlich, oder dann sehr 
tief in der Schicht 3 gelegen, bei denen der Axenfortsatz 
vom tiefen Pol des Zellkörpers abging. Der nach der Tiefe 
gehende Protoplasmafortsatz der grossen Spindelzellen ist hier 
viel unregelmässiger als beim Hühnchen; dafür finden wir 
meist ein stärkeres Büschel vom Zellkörper selbst abgehendeı 
basaler Fortsätze. 


118 E.MRrs: 


Die kleinen Spindelzellen häufen sich etwas mehr 
in den äusseren Theilen der Schicht 3 an, während die eben 
beschriebenen grossen in den inneren Theilen dichter stehen. 
Sie dürften in ihrem Volum durchschnittlich weniger als die 
Hälfte der grossen erreichen; ihre Zahl ist ausserordentlich gross. 
Vom tiefen Pol des Zellkörpers geht wiederum ein feinster, 
wellenförmig verlaufender Protoplasmafortsatz nach der Tiefe der 
Schicht 4, mit zahlreichen feinsten kurzen Seitenzweigen. Der 
Fortsatz des peripheren Pols erreicht in radialem geraden Ver- 
lauf die Optieusfaserschicht; innerhalb der Schicht 3 sind seine 
Seitenästehen spärlich und kurz; sobald er aber die Zellschicht 
2 a passirt hat, gibt er ein dichtes Büschel tangential verlaufen- 
der Aeste ab, die gewunden und vielfach verzweigt sich ganz 
flachgedrückt in der mehrerwähnten Molecularlage 2 ö ausbreiten ; 
der Stamm setzt sich nach Abgabe dieses Büschels feiner fort 
und oft sieht man seine Enden unter der Optieusfaserschicht 
tangential umgebogen. Der Axenfortsatz dieser Zellen entspringt 
ausnahmslos von dem peripheren Plasmafortsatz, meist eine er- 
hebliche Strecke vom Zellkörper entfernt; er verläuft diesem 
Fortsatz parallel und oft sehr nahe (da er aber sehr fein ist, 
ist seine Erkennung als Axenfortsatz bei guten Präparaten leicht); 
genau in der Höhe der tangentialen Verzweigung des Plasma- 
fortsatzes bildet auch der Axenfortsatz eine durchaus ähnliche 
und ebenso auf die Lage 2 ö zusammengedrückte Verzweigung; 
sein Stamm verläuft dann weiter peripherwärts, und in einzelnen 
Fällen konnten auch wir beobachten wie er zweifellos in tangen- 
tialer Umbiegung sich der Opticusfaserschicht anschloss. Cajal 
schreibt die Verästelung in 26 den Axenfortsätzen, van Ge- 
huchten dagegen den Protoplasmafortsätzen allein zu; es ist 
aber zweifellos, dass beide Elemente in ungefähr gleichem Maasse 
daran theilnehmen. Der Plexus in 2 ö ist ausserordentlich dicht, 
zumal da hier noch die plattgedrückten Verästelungen der tiefen 
Opticusfasern liegen; es kommt nicht zu selten vor, dass sich 
eine isolirte, diehte Imprägnation dieses Plexus einstellt, ohne 
gleichzeitige Schwärzung der zugehörigen Spindelzellen. Die 
Form der kleinen Spindelzellen ist ungefähr die gleiche beim 
Hühnchen (Taf. VII, Fig. 1°), wie bei der Spiegelmeise (Taf. VI, 
Fig. 5°). Doch kommen hie und da Abweichungen von diesem 
regelmässigen Typus vor, so Taf. VI, Fig. 5%, wo die Verzwei- 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 119 


sung m 2 ö fehlt und dafür Protoplasma- und Axenfortsatz sich 
‘in der äusseren Hälfte der Schieht 2 je in ein dichtes, fein 
verästeltes, sphärisches Bäumchen auflösen, welche beiden Bäum- 
chen sich gegenseitig durchflechten. 

Diese kleinen Spindelzellen werden von den Autoren als 
Ursprung von retinawärts verlaufenden und dort endenden Fasern 
beschrieben. Wie bemerkt haben auch wir zweifellos den An- 
schluss ihrer Axenfasern an die Optieusbündel gesehen (Taf. VI, 
Fig. 3%), können aber nicht unterlassen, einen kleinen Vorbehalt 
zu machen: einmal ist die Anzahl solcher Zellen ausserordent- 
lich gross (so dass also auch eine sehr grosse Menge im Traetus 
peripherwärts verlaufender Fasern vorauszusetzen wäre), und 
dann erscheint es uns etwas gewagt, so feinen Axenfasern so 
kleiner Zellen einen derartig weiten Verlauf zuzuschreiben. 

Zellen vom zweiten Typus kommen in Schicht 3 
ausser in ihren äusseren Theilen, wo sie gewissermaassen als 
versprengte Elemente der Schicht 2a aufgefasst werden können, 
auch in tieferen Lagen vor. Wir beobachteten besonders eine 
Form (Taf. VI, Fig. 38), bei der der Axenfortsatz vom peri- 
pheren Pol eines spindelförmigen Zellkörpers entspringt, nach 
mehr oder weniger langem radialen Verlauf (oft bis nahe an die 
Schieht 2a) umbiegt, parallel dem ersten Theil des Verlaufs 
radial nach der Tiefe strebt und sich in zahlreiche Collateralen 
auflöst; ein basaler Protoplasmafortsatz dieser Elemente löst sich 
ungefähr in derselben Region ebenfalls in eine feine Verästelung 
auf. Die Axenfortsätze dieser Zellen, die wir meist nur in ge- 
ringer Zahl imprägnirten, bauen mit den Collateralen der grossen 
Spindelzellen einen grossen Theil des tiefen Plexus der Schieht 3 
auf; von den Axenfasern der kleinen Spindelzellen sahen wir 
innerhalb der Schicht 3 nur ganz ausnahmsweise eine feine 
Collaterale abgehen. Eine sehr wichtige Quelle für den Plexus 
der Schicht 3 bilden aber noch Verzweigungen von 

Nervenfasern unbekannter Herkunft, welche 
aus der Tiefe von Schicht 5 aufstreben und in Schicht 3, etwa in 
der Höhe der grössten Anhäufung grosser Spindelzellen sich in 
höchst charakteristischer Weise verzweigen (Taf. VII, Fig. 2). Cajal 
gibt (l. e. pag. 355, Fig. 5) eine Beschreibung und Abbildung 
dieser Verzweigungen, die unseren Beobachtungen entspricht. 
Er nimmt mit einigen Vorbehalten an, dass es sich um Elemente 


120 FirRis: 


der Neuroglia handelt; bei van Gehuchten findet sich nichts 
über dieselben, wenn nicht Fig. 5n und Fig. 10n (l.e.) als 
ebenfalls für Glia gehaltene Fragmente derselben angesehen 
werden müssen; Kölliker erwähnt diese Dinge nicht. Wir 
müssen diese Gebilde für Nervenfasern halten und glauben, durch 
unsere Abbildung und Beschreibung diese Anschauung genügend 
zu stützen. Wie Cajal erhielten wir sie am leichtesten bei 
Hühnerembryonen vom 16.—18. Tage, vermissten sie aber auch 
nicht bei den Singvögeln. 

Eine aus der Tiefe kommende sehr dieke Faser biegt sich 
etwa in der Höhe der grossen Spindelzellen von Schicht 3 haken- 
förmig, oft schraubenförmig um. Von dieser Umbiegungsstelle 
streben zahlreiche feine Fasern radialwärts nach der Oberfläche, 
die einzelnen Fasern in fast parallelem Verlauf ein dichtes 
Büschel bildend; die sichtbaren Enden dieser Fasern reichen 
meist bis etwa in die Mitte der Schicht 2, nicht selten aber 
auch bis hart unter die Opticeusfaserschicht. Sie verzweigen 
sich dabei vielfach in ganz spitzen Winkeln, so dass das Bündel 
immer eng beisammen bleibt; kurze, mehr stumpfwinklig ab- 
gehende Seitenästchen, welche das ganze Bild noch mehr com- 
pliciren, sind auf dem in Taf. VII, Fig. 2 abgebildeten Entwicklungs- 
stadium noch spärlich imprägnirt. Von der Umbiegungsstelle 
der starken Faser gehen aber ausser dem radialen Büschel noch 
eine Anzahl feinster kurzer Fäserchen aus, die um diese Stelle 
oft einen dichten Schopf bilden und aus deren Gewirre sich 
längere feine Aestehen absondern, um rückläufig in die tieferen 
Theile der Schicht 3 zu streben, wo sie am Aufbau von deren 
Plexus reichen Antheil nehmen. Eine oft zu beobachtende Ver- 
diekung der Umbiegungsstelle der Fasern scheint uns ein Kunst- 
produkt zu sein: zwischen den zahllosen feinsten Fäserchen 
lagern sich da, wo sie an ihrem Ursprung noch ganz nahe bei- 
sammen liegen, Niederschläge ein; bei ganz feiner Imprägnation 
fehlt die Verdiekung. 

Diese merkwürdigen Gebilde sehen wir aus einem Bündel 
dieker Fasern aufsteigen, welches ungefähr in der Richtung der 
centralen optischen Fasern den Ventrikel umkreisend sich nach 
der Basis zu bis in die Gegend der Ganglien des Lobus optieus 
verfolgen liess. Wir können an der nervösen Natur dieses Faser- 
bündels nicht zweifeln, schon nieht wegen seines Verlaufes und 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 121 


seiner Zusammensetzung, dann aber auch deswegen nicht, weil 
wir einen deutlichen Anfang von Myelinisirung (bei Embryonen 
vom 18. Tage) an den Fasern constatirten in Form der für etwas 
myelinhaltige Fasern charakteristischen rothen, stellenweise in 
Tropfen zusammengeflossenen Chromsilberimprägnirung. Die Her- 
kunft der einzelnen, sich so eigenthümlich verästelnden Fasern 
aus dem myelinisirten Bündel konnten wir in der Taf. VII, Fig. 2 
dargestellten Weise nicht nur an der abgebildeten Stelle, sondern 
noch an manchen andern Orten ganz unzweifelhaft nachweisen. 
Die auf der rechten Seite der Figur abgebildete Theilung der 
dieken Faser in mehrere gleichwerthige Aeste in der Tiefe von 
Schicht 3 ist kein seltenes Vorkommniss. 

Von der umgebogenen Theilungsstelle ab scheinen unsere 
Fasern auch beim heranwachsenden Thier marklos zu bleiben. 
Wir sahen sie beim vor 2—3 Tagen ausgeschlüpften Hühnchen, 
das entsprechend seinem vorgeschrittenen Entwieklungsgrad einen 
ganz myelinisirten Lobus opticus hat, von diesen Theilungsstellen 
ab in ganz gleich charakteristischer Weise imprägnirt, wie bei 
den Embryonen. Nur erreichte hier die Verzweigung, haupt- 
sächlich durch das Hinzukommen zahlreicher kurzer Seitenäst- 
chen eine solche Dichtigkeit, dass nicht daran zu denken war, 
sie durch Zeichnung einigermaassen entsprechend wiederzugeben. 
An denselben Schnitten fand sich reichliche Imprägnation der 
Ependym-Gliafasern, welche durchaus verschiedenen Anblick bie- 
tend an diesem Präparat lauter feine Fasern waren, die unver- 
zweigt in geradester Richtung von ihrem tiefgelegenen Zellkörper 
aus radial nach der Oberfläche strebten. 

Wir versuchten, der Herkunft dieses merkwürdigen Faser- 
bündels auf die Spur zu kommen, gelangten aber zu keiner be- 
friedigenden Einsicht. Weigert’sche Präparate an Embryonen 
verunglückten und der Einbruch des Winters schnitt uns dann 
die fernere Zufuhr von geeignetem Untersuchungsmaterial vor- 
läufig ab. Aus Weigert’schen Präparaten von erwachsenen 
Thieren war bei der grossen Complication der Gegend nichts 
beweisendes zu entwirren. Wir wissen also nicht mehr, als dass 
dieses Faserbündel ungefähr auf dem gleichen Wege, auf dem 
die centralen optischen Fasern (die Axenfasern der grossen Spin- 
delzellen ete.) das optische Dach verlassen, in dasselbe eintritt. 
Wie seine Wege sich gestalten, sobald es die Region des opti- 


122 PHRis: 


schen Daches verlässt, darüber können wir uns nicht weiter 
äussern, da die Beobachtungen kein befriedigendes Resultat er- 
geben haben. 

Auch Cajal (l. e. Fig. 4s) und van Gehuchten ([. e. 
Fig. 10) erwähnen aus der weissen Substanz der Tiefe in das 
Dach eintretende und daselbst sich verzweigende Fasern. Es 
handelt sich aber dabei offenbar nicht um die eben beschriebe- 
nen; Cajal hat, wie gesagt, diese auch gesehen, aber als Glia 
gedeutet, und seine Fig. 4 s stellt etwas dar, was in dieser Form 
zu sehen uns nicht gelungen ist; die Faser von Fig. 10 van 
Gehuchten’s beweist wenig, so kann ein Bruchstück fast jeder 
beliebigen nervösen Verästelung aussehen. 

4. Die Schieht 4. Auf die Schicht 3, die Schicht der 
Spindelzellen, folgt zunächst nach der Tiefe zu eine zellenarme 
Zone, wo noch einzelne spärliche Spindelzellen neben ebenfalls 
spärlichen Individuen vom Typus der Zellen von 4 sich finden 
(Cajal’s 12. Schicht); bald aber nimmt die Zahl der letzteren 
zu und ergibt das charakteristische Bild der Schicht 4, zu der 
wir rationeller Weise auch die zellarme Uebergangszone rechnen. 

Die grossen Zellen der Schicht 4 gehören alle einem ein- 
heitlichen Typus an: Ein unregelmässig polyedrischer Zellkörper 
sendet nach der Tiefe zu einen ziemlich feinen Axenfortsatz, der 
sich, sofort nach dem Austreten aus der Schicht tangential um- 
biegend, den den Ventrikel umkreisenden Bündeln der central- 
wärts verlaufenden Fasern anschliesst ; ausnahmsweise entspringt 
dieser Axenfortsatz statt vom Zellkörper von einem der Proto- 
plasmafortsätze in dessen Nähe. Nach der entgegengesetzten Seite, 
d. h. nach der Oberfläche des Organs zu, geht von dem Zell- 
körper ein System enorm langer Protoplasmafortsätze aus, die 
in ihrer Gesammtheit einen flachen Conus umspannen, dessen 
Spitze der Zellkörper bildet, dessen Basis etwa in die Mitte der 
Schieht 2 verlegt werden muss. An radialen Schnitten erscheint 
natürlich nur ein Querschnitt dieser Ausbreitung (Taf. VII, Fig. 1° 
und besonders die schematische Darstellung Taf. VII, Fig. 5); 
günstig gelegene tangentiale Schnitte zeigen aber, dass derartige 
Fortsätze gleichmässig nach allen Radien des oberflächenwärts 
geneigten Conus ausstrahlen. Diese Fortsätze beginnen in nicht 
sehr grosser Zahl und meist in stark tangentialer Richtung am 
Zellkörper; jeder einzelne verzweigt sich zunächst spitzwinklig 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 123 


in mehrere Hauptäste (meist noch innerhalb der Schicht 4), die 
die stark tangentiale Richtung beibehalten, so dass man über 
jeden dieser Hauptäste in fast gerader Linie zu einem vom Zell- 
körper in 4 sehr weit entfernten Punkt der Schicht 2 gelangen 
kann. Von diesen Hauptästen zweigen sich viele Nebenäste ab, 
die mehr und mehr der radialen Richtung in recht- und spitz- 
winkliger Verästelung zuneigend, schliesslich als äusserst feine, 
spitzwinklig verästelte Fäserchen etwa in der Mitte der Schicht 2 
ihr Ende finden (Taf. VII, Fig. 1). Wir gelangen also vom Zellkörper 
zu einem beliebigen Punkt an der Basis des Conus, den die Zelle 
umspannt: zu den peripheren Punkten direkt über die Hauptäste 
und ihre Verlängerung, zu den centralen über die Nebenäste. 
Bei der enormen Ausdehnung einer einzelnen solchen Zellver- 
ästelung verflechten und bedecken sich natürlich die Gebiete der 
verschiedenen Zellen des gleichen Typus in unentwirrbarer Weise; 
man kann annehmen, dass in dem Gebiet, welches eine dieser 
Zellen umspannt, Theile des Gebietes von vielen Hunderten der 
gleichen Art enthalten sind. 

Diese Verzweigung gibt Präparaten, wo die Imprägnation 
dieser Zellgruppe isolirt erfolgt ist, ein sehr eigenthümliches 
Aussehen: Die Schicht 4 enthält ausser den grossen Zellkörper 
ein dichtes Gewirr spitzwinklig-tangential verlaufender, in allen 
Richtungen sich kreuzender Fortsätze; im Verlaufe durch die 
Schieht 3 werden diese feiner und feiner; die radiale Richtung 
accentuirt sieh mehr und mehr, und endlich in der innern Hälfte 
der Schicht 2 finden wir einen diehten Wald radial-spitzwinklig 
verzweigter feinster Fäserchen. — Bemerkenswerth ist die Nei- 
sung dieser Verästelung zum geradlinigen Verlauf jeder einzelnen 
Faser. In der Regel finden wir auf den gröbern und mittelfeinen 
Zweigen in unregelmässigen Abständen feine knötchenförmige 
Verdiekungen, in gleicher Weise, wie dies als ein bei der Chrom- 
silberimprägnirung von feinen Nervenfasern häufig auftretendes 
Phänomen bekannt ist. 

Wir glauben, dass unsere Figuren dem sehr eigenthümlichen 
Charakter dieser Verästelung besser gerecht werden, als die 
bisher davon bestehenden Abbildungen. 

Diesem Zelltypus der Schicht 4 sind wenig zahlreiche Ele- 
mente beizurechnen, die in verschiedenen Höhen der Schicht 3 
liegen, bis nahe an 2a heranreichend (Taf. VI, Fig. 3°). Ent- 


124 BAHR TS: 


sprechend ihrer grösseren Nähe an der Oberfläche des Organs 
und ihrer geringeren Grösse ist das Gebiet, das sie mit ihren 
Fortsätzen umspannen, viel kleiner als bei den in 4 gelegenen 
Zellen; der Gesammtcharakter der Verästelung ist aber derselbe. 
Vom Axenfortsatz dieser in Schicht 3 versprengten Elemente 
sahen wir zahlreiche Collateralen ausgehen und sich am Plexus 
der Schicht 3 betheiligen. Dagegen gelang es uns niemals, am 
Axenfortsatz der in 4 gelegenen grossen Zellen Collateralen auf- 
zufinden, womit natürlich nicht bewiesen ist, dass solche fehlen 
müssen. Es gelang uns ebenso wenig, einen Nervenplexus in 
Schicht 4 zu imprägniren; die Lücken zwischen den nieht sehr 
dieht stehenden grossen Zellen füllen die in dieser Lage schon 
zahlreich zusammenströmenden centralwärts strebenden Fasern 
aus, die sich später myelinisiren und so die „Gitterschicht“ 
Kölliker’s bilden, 

An den Schichten 2, 2a, 3 war bemerkenswerth die im 
Wesentlichen radiale Anordnung aller Elemente; tangentiale Ver- 
zweigungen, wie die der Moleeulärlage 2d, gewinnen für jedes 
einzelne Element keinen grossen Umfang; überall ausser in 2d 
sind solche ausserdem recht spärlich (wie nieht nur die impräg- 
nirten Stücke, sondern auch solche mit Zellfärbung beweisen). 
Im Gegensatz dazu ist der hervorstechendste Zug der Elemente 
von Schicht 4, das Umspannen eines in tangentialer Richtung weit 
ausgedehnten Gebietes durch die Verästelung jeder einzelnen Zelle. 

5. Die Schieht der cerebralen Sehfasern ist, 
wie oben bemerkt, gegen die Schicht 4 beim Embryo noch nicht 
scharf abgegrenzt; sie wird es erst später mit der Myelinisirung 
ihrer Fasern. Ausser den cerebralen Sehfasern enthält sie noch 
das Bündel der von uns oben beschriebenen „Nervenfasern un- 
bekannter Herkunft“, die sich in den Schichten 2 u. 3 verästeln. 
Es scheint, dass diese Fasern sich von allen in der 5. Schicht 
zusammenkommenden zuerst myelinisiren, ein Umstand, der dazu 
verhelfen sollte, ihrer Herkunft auf die Spur zu kommen. 

6. Die Ependymschicht. Die Gliaelemente des op- 
tischen Daches sind bei den von uns untersuchten embryonalen 
Vogelgehirnen zum allergrössten Theil ächte Ependymfasern, d. h. 
streng radial nach der Oberfläche verlaufende Verlängerungen 
des Ventrikelepithels. Die starr geradlinige radiale Richtung, so- 
wie die fein moosförmigen Fäserchen, die ihnen, wenigstens 


Ueber den Bau des Lobus optieus der Vögel. 125 


in embryonalen Zustand, anhangen, lassen die Ependymfasern 
sofort erkennen; Fragmente derselben haben wir in Taf. VII, 
Fig. 2, den vollständigen Verlauf in der schematischen Figur auf 
Taf. VII, Fig. 5 abgebildet. — Auch von der dem Dache abge- 
wendeten Seite des Ventrikels senden mindestens ein Theil 
der Epithelzellen ihre Ependymfaser nach der Oberfläche des 
Daches; so sieht man an der unteren Seite des Organs Bündel 
von Ependymfasern die sich nach den Ganglien des Lobus wen- 
denden cerebralen Sehfasern im Bogen durchkreuzen und das 
Dach, welches sich hier allmählich auskeilt, erreichen. 

Aechte Neurogliazellen, d. h. aus dem Verband des Epen- 
dyms losgelöste Elemente, fanden wir beim Hühnchen nur spär- 
lieh und die Schicht 4 nach aussen nicht überschreitend; auch 
diese gingen stets in eine streng radiale geradlinige Faser aus, 
sowohl beim Embryo, wie in dem entwickelten Organ des 2—3 
Tage alten Hühnchens; Theilungen konnten wir nie, weder an 
diesen, noch an den ächten Ependymfasern nachweisen. Bei den 
Singvögeln (Spiegelmeise) sahen wir die aus dem Ependym los- 
gelösten Gliazellen zahlreicher und höher hinauf, bis weit in die 
Schieht 3 hineinreichend. — Van Gehuchten hat nach unserer 
Ansicht vielfach unvollständig imprägnirte nervöse Elemente als 
Gliazellen angesprochen. 

Ueber die Ganglien des Lobus optieus gehen un- 
sere Untersuchungen nicht über die von Cajal (l. ce. p. 357 ff.) 
publieirten Ergebnisse hinaus. Nur schien es uns, dass die aus 
dem Dache stammenden cerebralen Sehfasern sich nicht, wie 
Cajal anzunehmen scheint, in dem mittleren Ganglion der vom 
Ventrikel ferner gelegenen Gangliengruppe vollständig auflösen, 
sondern dass sie dahin wohl zahlreiche, äusserst dichte Colla- 
teralenbüschel abgeben, mindestens zum Theil aber mit ihrem 
Stamme auf unbekanntem Wege weiterziehen. 

Es ist nieht daran zu denken, in der Kenntniss dieser 
Gegend wirkliche Fortsehritte zu machen, d. h. weitere Aufschlüsse 
über den Verlauf der optischen Bahnen im Vogelgehirn zu erlan- 
gen, ohne eine sorgfältige Analyse der Basis des Mittelhirns mit 
allen verfügbaren Methoden, eine Aufgabe, die zur Zeit ausserhalb 
‚unseres Bereiches lag. 

Als „Ganglion des optischen Daches“ beschreibt 
Cajal einen kleinen Kern, der an dieses Dach da angelagert 


126 KN@RFLS: 


ist, wo von der Basis her der Traetus optiecus sich über das- 
selbe auszubreiten beginnt. An Schnitten in der Richtung der 
langen Axe des Organs ist dieser Kern am besten zur Anschan- 
ung zu bringen. Er ist nach der Oberfläche zu begrenzt durch 
den Traetus; nach der Tiefe zu umkreist ihn ein Bündel starker 
Fasern, von denen ein Theil, den Ventrikel tangential umkreisend, 
in die tiefe Faserschicht des Daches sich verfolgen lässt (an 
Weigert- wie an Golgi-Präparaten), und deren Herkunft und 
Bedeutung uns unbekannt ist. Der kleine Kern richtet gegen den 
Traetus gewissermaassen einen Hilus, in den Fasern eintreten, 
welche sich sofort in langgestreckte, in den Radien des Kerns 
verlaufende, dichte Büschel auffasern. Diese Büschel, nach Cajal 
„Endigungen von Optieusfasern“, sahen wir zweifellos aus ächten 
Collateralen der Traetusfasern hervorgehen. Ueber die 
Zellen des Kerns haben wir nicht mehr ermittelt als Cajal. 

Ehe noch der Traetus diese Stelle erreicht, zieht er, bald 
nach dem Chiasma, über zwei andere, grössere und ziemlich gross- 
zellige Kerne hinweg, an welche seine Fasern ebenfalls ächte 
Collateralen abgeben. Die Zellen dieser Kerne fanden wir an 
der dem Traetus abgewendeten, tiefen Seite angehäuft, spindel- 
förmig; nach dem Traetus zu gehen sie in einen starken, langen 
Protoplasmafortsatz aus, der sich in ein dichtes Büschel viel ver- 
schlungener, sehr dorniger Aeste auflöst; eine geringere Anzahl 
gleicher Aeste gehen ohne gemeinsamen Stamm nach der ent- 
gegengesetzten Seite ab. Von den Axenfortsätzen dieser Zellen 
konnten wir nur kurze, jedesmal nach der Tiefe zu gerichtete 
Anfangsstücke zu Gesicht bekommen. Auch über die Bedeutung 
dieser Kerne ist uns nichts Näheres bekannt. 


Zusammenfassung unserer Resultate. 


1. Am Aufbau der Schicht 2 nehmen Theil: a) von ner- 
vösen Verzweigungen: 1. Die Verästelung der Traetusfasern, 
2. die Axenfasern der in Schicht 2 liegenden Zellen, welche 
mindestens in ihrer grossen Mehrheit dem zweiten Typus von 
Golgi angehören, 3. zahlreiche rückläufige Zweige aus dem 
Plexus der Zellen von 2a, 4. der periphere Theil der Veräste- 
lung der „Nervenfasern unbekannter Herkunft“ von Schicht 3, 
5. Verästelungen des Axenfortsatzes der kleinen Spindelzellen 
von Schiebt 3 (diese der Mehrzahl nach auf die schmale Lage 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 127 


206 beschränkt); b) von protoplasmatischen Verzweigungen: 
6. die Fortsätze der zahlreichen Zellen der Schicht selbst in 
sphärischer und tangentialer Anordnung, 7. die Fortsätze der 
Zellen zweiten Typus von 2a, in radialer Anordnung in ihrer 
ganzen Ausdehnung, 8. die peripheren Fortsätze der Zellen 
ersten Typus von 2a, radial in ihrer ganzen Ausdehnung und 
in tangentialer Anordnung innerhalb der Lage 26, 9. die stark 
verzweigten Enden der peripheren Fortsätze der grossen Spindel- 
zellen von Schicht 3, 10. die peripheren Fortsätze der kleinen 
Spindelzellen von Schicht 3, in ähnlicher Weise verzweigt wie 
die Axenfortsätze derselben Elemente, 11. die feinsten, in die 
Schicht bis etwas über ihre Mitte radial aufsteigenden Enden 
der Fortsätze der grossen Zellen von Schicht 4. 

2. Die auffallende Zellenschicht 2 a besteht zum weitaus 
grössten Theile, d. h. in ihren kleinen, spindelförmigen Elementen, 
aus Zellen des zweiten Typus; ihre Axenfortsätze erfüllen mit 
ihren dicht verflochtenen Zweigen die äussere Hälfte der Schicht 3 
und geben einen starken Antheil rückläufiger Aeste an den 
Plexus von 2 ab. 

3. Die Schicht 3 enthält: a) an nervösen Verzweigungen: 
1. die bereits erwälnte Verästelung der Axenfortsätze der Zellen 
zweiten Typus von 2a, 2. zahllose Collateralen der als cen- 
trale optische Fasern nach der Tiefe ziehenden Axenfortsätze 
von Zellen ersten Typus, nämlich den grossen Zellen von 2a, 
den grossen Spindelzellen von 3 und den in 3 verstreuten 
Elementen von der Form der Zellen in 4, 3. Verzweigungen, 
wie es scheint nieht sehr zahlreicher in 3 gelegener Zellen 
zweiten Typus, 4. den Hauptantheil der äusserst reichen Ver- 
zweigung unserer „Nervenfasern unbekannter Herkunft“; b) an 
protoplasmatischen Verzweigungen: 5. die Fortsätze der grossen 
Spindelzellen, 6. Die Fortsätze der kleinen Spindelzellen, beide 
in radialer Anordnung, 7. die Hauptmasse der Fortsätze der 
Zellen von Schicht 4 auf ihrem Durchgang nach 2. 

4. die grossen Zellen von Schicht 4 senden centralwärts einen 
Axenfortsatz, an dem wir Collateralen nicht nachweisen konnten; 
ebenso wenig konnten wir in Schicht 4 einen nervösen Plexus 
imprägniren. Mit ihren eigenthümlich starren, geraden Proto- 
plasmafortsätzen umspannt jede der grossen Zellen von Sehicht 4 
ein tangential sehr ausgebreitetes Gebiet der oberflächlicher ge- 
legenen Schichten. 


128 ESehiıE: 


5. Die Fasern des Traetus optieus geben, an mehreren 
grauen Kernen der Basis des Mittelbirns vorbeiziehend, ächte 
Collateralen in diese Kerne ab, die letzten in den „Kern des 
optischen Daches“ von Cajal. 

6. Eine vielfach wiederholte Beobachtung lehrt, dass proto- 
plasmatische und Axenverzweigungen, die derselben Zelle ange- 
hören, vielfach im selben Areal sich ausbreiten, so dass also 
eine bestimmte Zellkategorie das gleiche Areal mit protoplasma- 
tischen und axialen Geflechten erfüllt. 

7. Die Gliaelemente des optischen Daches der Vögel 
stehen (mindestens im Embryonalzustand) auf der Stufe von 
einfachen, unverzweigten Ependymfasern, oder von aus dem 
Verbande des Epithels losgelösten Zellen, die ebenfalls in eine 
unverzweigte radiale Faser ausgehen. 

Cajal und besonders van Gehuchten haben an ihre 
anatomischen Untersuchungen des Lobus optieus ausführliche 
physiologische Disceussionen angeknüpft, um aus dessen Struetur 
die „dynamische Polarisation“ der Nervenzellen abzuleiten, im 
Sinne der von diesen Autoren weiter specialisirten Contakttheorie. 
Wir wollen ihnen auf diesen hypothetischen Boden. nicht folgen ; 
aus unseren Auseinandersetzungen dürfte hervorgehen, dass die 
Complieation gerade dieses Organs eine so grosse ist, das es 
gewagt erscheint, dasselbe als Prüfstein für allgemeine anatomisch- 
physiologische Lehrsätze zu benutzen. Wenn wir z. B. in der 
Schicht 2, bei möglichster Vereinfachung der Zellkategorien, 
nicht weniger als 11 verschiedene Verzweigungsgruppen, 5 axiale 
und 6 protoplasmatische im selben Gebiete sich vereinigen und 
deeken sehen, so muss es als zur Zeit ganz hoffnungslos be- 
zeichnet werden, im Verlauf der nervösen Erregung auf diesem 
Boden klar sehen zu wollen. Was die Contakttheorie an sich, 
ohne die auf dieselbe aufgebaute weitere Hypothese der „dyna- 
mischen Polarisation“, betrifft, so gestehen wir, dass es für 
unsere Vorstellung vom Verlauf der nervösen Erregung ganz 
einerlei ist, ob wir Contakte oder Continuitäten zwischen den 
einzelnen Elementen des Nervensystems annehmen; die Compli- 
cation und gegenseitige Durchflechtung dieser Elemente zeigt sich 
an den Chromsilberpräparaten als eine so hochgradige, dass es 
uns eben weder auf dem einen, noch auf dem andern Wege 
gelingt, uns vorzustellen, was etwa, physikalisch gedacht, bei 
ihrer vitalen Thätigkeit zwischen diesen Elementen vorgehen 


Ueber den Bau des Lobus opticus der Vögel. 129 


könnte. Die geläufigen, von den elektrischen Inductionsapparaten 
in ihren mannigfaltigen Formen hergenommene Vorstellungen 
über diese Vorgänge dürfen doch nur als eine zwar bequeme 
aber doch recht rohe Symbolik aufgefasst werden, der wir auf 
die Auffassung anatomischer Befunde nur mit grosser Vorsicht 
einen Einfluss gestatten können. Die stärkste Stütze der Con- 
takttheorie scheint uns die morphologische Auffassung zu sein, 
welche in jeder Zelle des Körpers ein Individuum sieht und 
Verschmelzungen dieser Zellindividuen ohne direkten Beweis 
nicht anzunehmen geneigt ist. 

Diesen Beweis anzutreten hat neuerdings Apäthy!) mit 
neuen Methoden unternommen. Seine grosse Arbeit verfehlt 
nicht, durch die ausserordentliche Sorgfalt und Gründlichkeit 
der Untersuchungen einen bedeutenden Eindruck zu machen. 
Bewähren sich seine Resultate, so stellt uns Apäthy nichts 
weniger in Aussicht, als die Bestätigung des Gerlach-Max 
Schultze’schen allgemeinen Nervennetzes, natürlich mit der 
durch die neuen Methöden gegebenen Verfeinerung der Resultate 
und Vertiefung der Erkenntniss.. Ueber das Materielle der 
Apäthy’schen Studien zu urtheilen, erklären wir uns gänzlich 
incompetent. Dagegen müssen wir diesem Forscher durchaus 
beistimmen, wenn er die Forderung aufstellt, zur Entscheidung 
allgemeiner Fragen über den Bau des Nervensystems sei von 
den einfachen Typen dieses Baues bei niederen Thieren auszu- 
gehen, welcher Forderung er selbst gerecht wird, indem er seine 
Anschauungen an den Hirudineen entwickelt. Es ist zweifellos 
ganz verkehrt, von unbewiesenen physiologisch-psychologischen 
Lehrsätzen aus die anatomischen Befunde am Nervensystem 
interpretiren und modifiziren zu wollen, wie das heutzutage viel- 
fach geschieht. Der am meisten versprechende Weg, um zu 
klaren anatomischen Anschauungen auch über die complicirtesten 
Hirntheile höherer Thiere zu kommen, ist der, zuerst an niedern 
Formen die allgemeinen Dinge aufzudecken (wovon wir noch 
ziemlich weit entfernt sind) und dann von da aus in die Ge- 
heimnisse der verwickelteren Strueturen vorzudringen. Auf diesem 
gleichen, nach unserer Ansicht richtigen Wege, gehen natürlich 
auch die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen. Inzwischen, 
bis einmal die wahre Structur des nervösen Elements aufge- 


1) Mittheilungen aus der zoolog. Station zu Neapel. 12. Bd. 
4. H. 1897. 


Archiv f. mikrosk, Anat, Bd, 53 9 


130 F. Ris: Ueber den Bau des Lobus optieus der Vögel. 


deckt ist, behalten natürlich auch Untersuchungen, die sich mit 
dieser nicht befassen (wie z. B. auch die unsrige) ihren Werth; 
nur sollten sie sich, wie wir glauben, von Speculationen fern 
halten, denen ohne die Kenntniss der intimeren Structur jeder 
thatsächliche Boden fehlt. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI u. VII. 


Taf. VI, Fig. 1-3 und Taf. VII, Fig. 1—2 sind mit Obj. 5, Oc. 2 
von Leitz (Vergr. ca. 250) und einer Camera lueida nach Abbe& ge- 
zeichnet. Bei der Vervielfältigung sind die Originalien dann zur bessern 
Raumausnützung in etwas verschiedenem Maassstabe verkleinert 
worden, so dass die Vergr. 250 auf die unten stehenden Zahlen redu- 
eirt wurde. 


Tafel VI. 

Fig. 1. Vgr. 188. Streifen eines Querschnittes durch das optischeDach vom 
l6tägigen Hühnerembryo. Sublimatfixirung, Safraninfärbung, 
7,5 u dicker Paraffinschnitt. 1. Optieusfaserschicht. 2, 2a, 3, 4, 
5 die im Text beschriebenen verschiedenen Schichten des 
Daches. 6. Ependymschicht. 

Fig. 2. Vgr. 188. Die kleinen Spindelzellen der Schicht 2a vom l4tägigen 
Hühnerembryo. Ein Theil der oberflächlich gelegenen Zellen der 
Schicht 2 ist aus andern Stellen des gleichen Präparates ergänzt. 

Fig. 3. Vgr. 150. Die Schichten 1—3 von der Spiegelmeise, aus verschie- 
denen Stellen und Schnitten des gleichen Organs zusammenge- 
stellt. 1. Verzweigungen der Opticusfasern; 2. Zellen, zweiten 
Typus der Schicht 2 mit annähernd sphärischer Ausbreitung der 
Protoplasmafortsätze; 3. desgl. mit tangentialer Ausbreitung; 
4. eigenthümliche Zelle (1. Typus?) aus der Schicht 2a; 5. Zellen 
ersten Typus aus der Schicht 2a; 6. grosse Spindelzellen der 
Schicht 3; 6a und 6b desgl. mit vom tiefen Pol entspringendem 
Axenfortsatz; 7. kleine Spindelzellen der Schicht 3; 7a desgl. 
mit Verzweigung in den oberflächlichen Theilen der Schicht 2; 
8. Zellen zweiten Typus der Schicht 3; 9. in Schicht 3 gelegene 
Zellen vom Typus der Schicht 4. 


Tafel VII. 

1. Vgr. 150. Die Schichten 3 und 4 vom 16tägigen Hühnerembryo. 
1. Grosse Spindelzellen; 2. kleine Spindelzellen; 3. die grossen 
Zellen der Schicht 4 (von 3 Stellen combinirt). 

Fig. 2. Vgr. 143. Die Nervenfasern unbekannter Herkunft der Schicht 3 
vom 16tägigen Hühnerembryo. In Schicht 5 das Bündel, dem 
diese Fasern entstammen. Einige Ependym- und Neuroglia- 
zellen mit Fragmenten ihrer Fasern (nicht combinirt). 

Fig. 3. Vgr. 75. Halbschematische Zusammenstellung der verschiedenen 
Zell- und Fasertypen (Axenfortsätze roth). 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie 
der Rückenhaut einheimischer Frösche. 


Von 


Dr. &. Ottendorff, 
Assistent am anatomischen Institut zu Bonn. 


Hierzu 9 Textfiguren. 


Ueber die Frage, ob die Nerven der Haut bei Menschen 
und Thieren auch über die Mittellinie hinaus auf die entgegen- 
gesetzte Seite übertreten, oder ob die Medianlinie eine unüber- 
schreitbare Grenze bildet, ist von den Anatomen schon viel ge- 
stritten worden. So sagt W. Krause in seinem Buch über all- 
gemeine und mikroskopische Anatomie: „Jede Nervenfaser mit 
Ausnahme des N. optieus endigt auf derjenigen Körperseite, auf 
welcher sie das Centralorgan verlassen hat (abgesehen von den 
asymmetrischen Eingeweiden).“ Henle drückt sich etwas vor- 
sichtiger aus: Die peripherischen Nerven überschreiten in den vom 
Cerebrospinalsystem versorgten Körpertheilen in der Regel nicht 
die Medianebene. Auch Andere stellen diese Regel mit grösserer 
oder geringerer Bestimmtheit auf. 

Dass diese Behauptung nicht das Richtige treffe, wurde 
von den Aerzten behauptet. Dr. C. S. Sherrington (Philo- 
sophical Transactions of the Royal Society of London 1895) 
stellte in umfangreichen physiologischen Untersuchungen über die 
Verbreitung der hinteren Rückenmarkswurzeln unter anderem 
fest, dass die Empfindungsgebiete der Nerven ventral und dorsal 
auf kurze Strecken die Mittellinie überschreiten. 

Der erste anatomische Nachweis gelang M. Nussbaum 
durch Anwendung seiner für die Darstellung von Muskelnerven 
benutzten Methode auf die Haut des Frosches, der weissen Maus 
und menschlicher Embryonen. (Ueber den Verlauf und die En- 
digung peripherer Nerven. Verhandlungen der anatomischen Ge- 
sellschaft in Basel 1895.) 

Von Zander wurde die erste hierher gehörige Veröffent- 


132 G. Öttendorff: 


lichung 1897 gemacht. (R. Zander, Ueber das Verhalten der 
Hautnerven in der Mittellinie des menschlichen Körpers. Sitzungs- 
berichte der biologischen Section der physikalisch-ökonomischen 
Gesellschaft in Königsberg i. Pr. 28. Januar 1897.) Zander 
hat seine Untersuchungen am Menschen gemacht und hat speeciell 
die Kopfnerven genau untersucht. In seiner Schrift: Beiträge zur 
Kenntniss der Hautnerven des Kopfes, kommt er theilweise auf 
Grund von Sensibilitätsprüfungen, theilweise durch Präparation 
der Nerven bis in ihre feinsten makroskopisch darstellbaren Ver- 
zweigungen zu dem Ergebniss, dass die Gebiete der verschie- 
denen Nerven durch Entsendung feiner Aestchen in einander 
übergreifen, und dass auch die Mittellinie keine Ausnahme hier- 
von mache, Er führt auch dabei die Untersuchungen von 
F. Krause aus dem Jahre 1895 (Die Physiologie des Trige- 
minus naclı Untersuchungen an Menschen, bei denen das Ganglion 
Gasseri entfernt worden ist. Münchener medie. Wochenschrift 
1895 Nr. 25, 26, 27) an, der durch Sensibilitätsprüfungen die 
Grenzen der einzelnen Nervengebiete und ihr Verhalten zur 
Mittellinie feststellt. Zander hat seine und Krause’ Eı- 
gebnisse in Kopfschematas sehr übersichtlich eingezeichnet. 
Daraus geht hervor, dass sich in den meisten Fällen die Erhal- 
tung der Sensibilität über die Mittellinie hinaus erstreckt. 

Die Arbeiten von Zander datiren in ihren ersten An- 
fängen aus dem Sommer 1895, zu welcher Zeit er diese Unter- 
suchungen zusammen mit E. Funke vornahm, der die Ergeb- 
nisse in einer Dissertation zusammengefasst hat. 

Die sehr zeitraubende und umständliche Präparation der 
Nervenfasern, wie sie beim Menschen nöthig ist, erlaubt aber doch 
nicht die Nerven bis zu ihren Endigungen zu verfolgen. Beim 
Frosch und auch bei der weissen Maus lässt sich dagegen der 
Verlauf der Nerven bis in ihre feinsten Verzweigungen auf eine 
sehr einfache und sichere Art feststellen, wenn man nach der 
von M. Nussbaum angegebenen Methode verfährt. Das Ma- 
terial zu diesen Untersuchungen verdanke ich Herrn Professor 
Nussbaum. Ein Theil der Vorarbeiten ist unter seiner Leitung 
von meinem Vorgänger am hiesigen anatomischen Institut, Herrn 
Dr. R. Förster, ausgeführt worden, der mir seine Notizen in 
liebenswürdigster Weise zur Benutzung übergab. 

Es beziehen sich diese Untersuchungen speciell auf die 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut etc. 133 


Rückenhaut des Frosches. Ich will zunächst den makroskopischen 
Verlauf der betreffenden Nerven schildern und folge dabei dem 
Werk über die Anatomie des Frosches von A. Eeker und 
R. Wiedersheim, neubearbeitet von E. Gaupp, Freiburg, 
2. Aufl. 1897 8: 159. 


A. Rami dorsales. 


Die Rami dorsales der Spinalnerven sind bestimmt für die 
Versorgung der Muskulatur und Haut des Rückens und zeigen 
in den einzelnen Regionen der Wirbelsäule ein Verhalten, das 
im Wesentlichen gleichartig ist und nur durch mehr unter- 
geordnete Anpassungen an die specielle Ausbildung der Musku- 
latur, sowie durch den Mangel der Hautnerven in einzelnen Ge- 
bieten eine Modifikation erfährt. Sie treten am dorsalen Umfang 
der Kalksäckehen hervor; der für den M. intertransversarius be- 
stimmte Ast meist selbstständig neben oder vor den anderen. 
Diese letzteren steigen entweder schon getrennt oder noch zu- 
sammengefasst dicht vor dem zugehörigen Querfortsatz zwischen 
diesem und dem Gelenkfortsatz am medialen Rande des M. inter- 
transversarius dorsalwärts und gehen dann auseinander. 


a) Rami muscularis. 


Sind bestimmt für die MM. intererurales und MM. inter- 
transversarii und die Pars dorsomedialis des M. ilio-lumbaris, so- 
wie für den M. longissimus. 


b), Ramiioutanei.dorsi. 


Für die Haut des Rückens bestimmte Aeste kommen nicht 
allen Spinalnerven zu. Sie fehlen gewöhnlich dem II. und III., 
sowie dem VIII, IX. und X. Nerven. Vorn ist es der R. auri- 
eularis N. vagi, der sein Gebiet bis über die Scapulargegend 
rückwärts ausdehnt. Hinten wird die normale Nichtbetheiligung 
dreier Spindelnerven an der Versorgung der Rückenhaut ausge- 
gliehen durch die starke Rückwärtsverlängerung des davor ge- 
legenen Hautnerven. Hin und wieder sind auch Rückenhaut- 
nerven vom VIII., IX. und X. Spinalnerven, auch einseitig, vor- 
handen und ebenso findet sich gelegentlich ein solcher Ast vom 
III. Spinalnerven. 

Zwei Reihen von R. eutanei dorsi sind zu unterscheiden, 


1314 G. Ottendorff: 


eine mediale und eine laterale. Doch kommen beide Aeste zu- 
gleich nur den Nn. spinales IV, V, VI, VII zu. 


Rami eutanei dorsi mediales. 


Die medialen Rückenhautäste des IV. bis VII. Nerven 
steigen von den Ganglien aus dorsalwärts, dann medialwärts über 
die zugehörigen MM. intererurales und treten am medialen Rande 
des M. longissimus dicht neben der Mittellinie mit caudalwärts 
gerichtetem Verlauf durch die Fascia dorsalis. Die Durchtritts- 
stelle durch die Fascie liegt entweder dicht neben dem Dorn- 
fortsatz des zu dem Nerven gehörigen Wirbels oder etwas caudal 
davon. Die R. eutanei dorsi mediales ziehen frei durch den 
dorsalen Lymphsack nach hinten und zur Seite, um erst nach 
längerem Verlauf an die Haut zu treten. Ihr Gebiet erstreckt 
sich im Allgemeinen seitwärts bis an das dorsale Septum, dessen 
Ansatz an der Haut äusserlich durch die vom Augenwinkel rück- 
wärts ziehende verdiekte Linie markirt ist. Doch greifen sie 
auch über diese Linie hiaus. 

. In dem hinteren Rumpfgebiet kommen ganz besonders viele 
Varianten in der Verteilung der medialen Rückenhautäste vor. 
Meist treten seitwärts vom hintersten Steissbeinabschnitt zwei 
mediale Hautäste durch die Fascia dorsalis, der eine etwas cra- 
nial von dem andern. Diese können entstammen: dem R. dorsalis 
X—XI oder dem R. dorsalis XI— XII, oder sie sind Aeste des 
R. dorsalis XI, mit oder ohne Anastomose des hinteren Astes 
mit dem R. dorsalis XII. Ueber die Häufigkeit dieser verschie- 
denen Vorkommnisse fehlt mir ein Urtheil. Immer verlaufen die 
“ beiden Aeste erst eine Strecke subfascial neben dem Steissbein, 
ehe sie nach aussen abbiegen. 

Einige Male beobachtete Gaupp einen R. cutaneus dorsi 
medialis des dritten Spinalnerven. Er trat seitwärts vom Proc. 
spin. vert. III durch die Dorsalfascie. Auch ein entsprechender 
Ast des N. spinalis VIII kommt vor, der des N. IX scheint, 
wenn er überhaupt vorkommt, besonders selten zu sein. 

Sobald die Nerven die Haut erreicht haben, ist ihre Ver- 
folgung mit blossem Auge nicht mehr möglich. Schon Czermak!) 
hat vor vielen Jahren die auch sonst in der histologischen 


1) Müller’s Archiv 1849, pag. 252 sqgq. 


u 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut ete. 135 


Technik gebräuchliche, stark verdünnte Essigsäure zur Entfer- 
nung des Epithels und der äusseren Schichten des Corium beim 
Studium des Verlaufes der Frosch-Nervenfasern benutzt. Diese 
alte Methode ist dann von Nussbaum in folgender Weise ver- 
bessert und erweitert worden. 

Man löst die Rückenhaut des Frosches, am geeignetsten 
sind grössere Exemplare von Rana fusca, in ihrer ganzen Länge 
und in der Breitenausdehnung zwischen den beiden Rückenwülsten 
ab und durchschneidet die im Rückenlymphsack verlaufenden 
Nerven, spannt dann die Haut mit der pigmentirten Fläche nach 
oben in einer flachen mit Paraffin ausgegossenen Schale auf und 
übergiesst sie mit einer 0,8°/, Lösung von Essigsäure. Diese 
lässt man 3—6 Tage bei eirca 15° Celsius einwirken. Man kann 
alsdann das Epithel und die äussere stark pigmentirte Schicht 
des Corium mit Pincetten von der Unterlage abheben und braucht 
nur selten mit dem Messer nachzuhelfen, um die Trennung voll- 
ständig zu machen. Dann wird das Präparat mit aufwärts ge- 
wendeter Innenfläche für 10 Minuten in eine 0,1°/, Osmiumsäure- 
lösung gebracht, bis sich die Nerven grau färben. Es folgt 
darauf eine Auswässerung des Präparates in fliessendem Wasser 
auf die Dauer von 24 Stunden, wobei sich die Nervenfasern 
schwärzen. Die weitere Härtung erfolgt in Alkohol von stei- 
sender Concentration. Eingeschlossen wird das Präparat in 
Glycerin. Die Behandlung mit Essigsäure hat den Zweck, die 
Einwirkung der Osmiumsäure auf das umgebende Gewebe zu 
verhindern, so dass nur die Nervenfasern intensiv geschwärzt 
erscheinen. 

Es lässt sich an derartigen Präparaten die Ausbreitung der 
Nerven mit grosser Genauigkeit verfolgen, da alle in der gleichen 
Ebene auf der Unterfläche des Corium gelegen sind. 

Betrachten wir zunächst die Theilung eines Nerven direkt 
nach seinem Eintritt in die Haut. 

In den meisten Fällen theilt sich der Nerv erst nach seinem 
Eintritt in die Haut; es ist jedoch auch nicht selten, dass die 
Theilung und zwar in zwei oder auch mehr Aeste schon vor 
dem Eintritt stattfindet. 

Das Grundschema der Theilung ist folgendes (Fig. 1): 

Der Nerv (R) theilt sich nach seinem Eintritt in die Haut 
in einen medialen (Ram), einen lateralen (Ral), einen caudalen 


136 G. Ottendorff: 


(Raca) und einen ceranialen (Rac) Ast. Von diesem Schema 
‘kommen zahlreiche Abweichungen vor, doch findet man meistens, 
wenn der eine oder andere Ast fehlt, dass dieser als seeundärer 
Ast aus einem der benachbarten hervorgeht. 

So findet man nach untenstehender Zeichnung, dass der 
laterale Ast von dem eranialen abgeht, während die anderen dem 
Normalschema entsprechen (Fig. 2). 


Rac 

Ral But 

Ral 

Ram 
R et 
R 
\ Ra ca Ram 
ee Fi 1. 
ie Rac 


@ 
Fig. 2. 


Bei Figur 3 theilt sich der Nerv schon vor dem Eintritt 
in die Haut, wobei der eine Ast (Z,) sich in einen R. lateralis 
(Ral) und R. cranialis (Rac) theilt, der andere Ast (R,) in einen 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut ete. 137 


R. medialis (Ram) und caudalis (Raca). AR, und R, sind durch 
die starke Anastomose A miteinander verbunden. 

Bei Zeichnung 4 sind zwei schwächere mediale Aeste (Ram, 
u. Ram,) vorhanden, von denen der eine aus dem cranialen, der 
andere aus dem caudalen Ast hervorgeht. 

Im weiteren Verlauf der Nerven herrscht die diehotomische 
Theilung vor, jedoch findet man vielfach drei- oder auch vierfache 
Theilungen. 

Die Nerven bilden einen reichen Plexus, und zwar finden 
sich die Anastomosen nieht nur zwischen den Aesten desselben 
Nerven, sondern auch zwischen den Aesten benachbarter Nerven. 

Die umstehende Abbildung (Fig. 5) zeigt die Nervenvertheilung 
in einem Nussbaum schen Präparat der Rückenhaut von Rana 
fusca. Man erkennt die Plexusbildung zwischen den zwei N. 
eutanei dorsi mediales derselben Seite und über die Mittellinie 
hinüber mit gleichen der anderen Seite. Mo, Me = Mittellinie. 
Mo entspricht dem cranialen, M,c dem eaudalen Pol, N=Stamm 
eines N. cutaneus dorsi medialis (vergl. Fig. 9). 

Die Zeichnung ist auf folgende Weise hergestellt worden. 
Das betreffende Präparat wurde unter Benutzung eines genau 
arbeitenden, verschiebbaren Objeettisches in kleine Bezirke ein- 
getheilt und in 42 Einzelphotographien bei einer 54fachen Ver- 
grösserung aufgenommen. Die verschiedenen Photographien wurden 
sodann zu einer einzigen Tafel vereinigt, die zur Herstellung einer 
verkleinerten Photographie diente. Von dieser stammt die vor- 
liegende Abbildung als Pause; doch sind nur der Verlauf der 
Nervenverzweigungen, nicht aber die in der Photographie sicht- 
baren einzelnen Nervenfasern, die Blutgefässe und Pigmentzellen 
copirt worden. Die aus dem Plexus in die höheren Corium- 
schichten aufsteigenden Nerven sind nur rechts unten genau ein- 
getragen. An anderen Stellen sind deren mehr vorhanden, als 
die Zeichnung aufweist. Die Originalphotographie verdanke ich 
Herrn Professor Nussbaum, unter dessen Leitung und Beihülfe 
dieselbe von Herrn eand. med. Schorlemmer angefertigt 
wurde (vergl. Sitz.-Ber. der Niederrh. Ges. 1897, pag. 27). 

Die Plexusbildungen existiren aber nicht nur, wie die Ab- 
bildung zeigt, zwischen Nerven derselben Seite, sondern sie über- 
schreiten auch die Mittellinie in der Art, dass sowohl einander 
gegenüberliegende als auch aus verschiedenen Rückenmarkswur- 
zeln stammende Nerven sich an der Plexusbildung betheiligen. 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut ete, 139 


Im weiteren Verlauf der Nervenfasern wird die Plexus- 
bildung viel häufiger. Man sieht die einzelnen Nervenfasern eines 
Stammes in das Gebiet der anderen Nervenstämme übergehen, 
so dass ein Hautbezirk von sehr verschiedenen Stämmen aus in- 
nervirt werden kann. Es sind dies aber im Gegensatz zu den 
von Zander für den Menschen ausgesprochenen Behauptungen 
nicht blos die Grenzgebiete der verschiedenen Nervenstämme, 
sondern es reichen die Fasern vielfach bis in die Mitte anderer 
Nervengebiete und auch über die Mittellinie hinaus. 


vr® 


a 


Bi: * in B y 3 e| 

Fig. 6. Theilung einer isolirt verlaufenden Nervenfaser N 7T=Thei- 

lungsgestelle der Nervenfaser; B = Blutgefässcapillare; P= Pigment- 

zelle. Nach rechts lässt sich die Faser in den Hauptnervenstamm hin- 

ein verfolgen; nach links zieht sie weiter unter Abgabe von Aesten, 

die wie der bei 7’ gelegene das Corium durchbohren und dann ihr 
Mark verlieren. 


Es handelt sich bei diesen Plexusbildungen nicht allein um 
Fasern, die zuerst in dem einen Stamm verlaufen, um dann in 
den anderen überzugehen. Man findet auch isolirte Nervenfasern, 
die an verschiedenen Stellen sich theilen und ihre Theiläste ent- 
weder anderen Fasern beimischen oder überall isolirt durch die 
Lederhaut in die Höhe steigen lassen. Die Theilungstellen haben 
gewöhnlich die Form eines T. Der horizontale Schenkel ist 
durch eine Ranvier’sche Einschnürung unterbrochen und der 
verticale ebenso gegen den horizontalen abgesetzt. Der verticale 
Schenkel ist, wenn die Faser selbst weiter zieht, um sich noch- 
mals zu theilen, der durchbohrende. In den Nervenfasersträngen 
kommen gewöhnlich Y-förmige Theilungen vor. Ranvier’sche 
Einschnürungen finden sich auch zwischen den Theilungsstellen 
im Verlauf der ungetheilten Fasern. Die Theilung einer isolirten 
markhaltigen Nervenfaser ist obenstehend abgebildet worden. 


140 G. Ottendorff: 


An einer anderen Stelle liessen sich aus einer einzigen Ner- 
venfaser zehn durch Theilung derselben entstandene Fasern bis 
in die höheren Lagen des Coriums verfolgen. Diese einzige 
Faser versorgt mit ihren Theilstücken ein Gebiet von ca. 2[_]mm. 

Besonders ausgezeichnet sind derartig isolirt verlaufende 
und sich deutlich theilende. Nervenfasern durch ihre Dieke und 
ihre intensive Färbbarkeit in Osmiumsäure. 

Ob ihnen eine besondere Funktion zukommt, und ob sie 
mit besonderen Endorganen in Verbindung stehen, bedürfte einer 
besonderen Untersuchung. Soweit sich erkennen liess, durch- 
bohren sie in derselben Weise wie die anderen Nerven die Haut. 
Der Ursprung derartiger Nervenfasern im Centralnervensystem 
würde sich vielleicht wegen ihrer besonderen Dieke durch die 
Wurzeln hindurch verfolgen lassen, wenigstens waren sie in den 
Stümpfen der Nerven, so weit sie in dem Präparat erhalten 
waren, deutlich zu erkennen. 

Ein bestimmtes Gesetz über die Bildung des Plexus lässt 
sich nach diesen Untersuchungen nicht aufstellen, doch lässt sich 
Jedenfalls soviel sagen, dass im Durchschnitt jeder Ast eines 
Nerven mit den benachbarten Aesten desselben Stammes und mit 
den ihm zugewandten Aesten der benachbarten Stämme ein oder 
mehrmals in Verbindung tritt, so dass dieselbe Stelle der Haut 
nicht nur von dem zunächst liegenden, sondern auch von ent- 
fernteren Nervenstämmen aus versorgt wird und zwar nicht bloss 
von den ober- und unterhalb gelegenen Aesten aus, sondern auch 
mit grosser Häufigkeit über die Mittellinie hinüber. 

Die feinere Anordnung der Nervenprimitivfasern bei der 
Plexusbildung lässt sich nach der oben angegebenen Methode 
leicht verfolgen. Man findet dabei, dass die Fasern theils in 
dem ersten Nerven weiter verlaufen, theils in einen andern über- 
gehen, wobei häufig eine Theilung einzelner Nervenprimitivfasern 
stattfindet. Vielfach findet auch eine Ueberkreuzung der Nerven- 
fasern statt, so dass bei der weiteren Theilung der Nerven 
Fasern in die Aeste der Nerven eintreten, die aus einem räumlich 
ziemlich entfernt liegenden Nerven stammen. Es lässt sich ganz 
genau feststellen, dass häufig Nervenfasern, die ganz nahe bei 
einander enden, aus zwei verschiedenen Wurzeln derselben oder 
der entgegengesetzten Seite herstammen. 

Ueber derartige Plexus, jedoch ohne Beziehung auf die 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut ete. 141 


Mittellinie, giebt bereits auch Schwalbe in seinem Lehrbuch 
der Neurologie 1881, pag. 310 an: Es betheiligen sich an solchen 
Endplexus entweder nur die verschiedenen feinen Zweige ein und 
desselben Nerven oder Zweige verschiedener Nerven. In allen 
Fällen findet der reichlichste Fasernaustausch statt, so dass in 
Folge dessen ein und dieselbe Körperstelle z. B. ein und dieselbe 
Strecke der Haut von verschiedenen feinen Nervenzweigen aus 
Fasern erhalten kann. 

Es dürfte jedoch dieser letzte Satz richtiger lauten: von 
verschiedenen feinen Nervenzweigen aus Fasern erhalten kann 
und auch erhält. 

Zum weiteren Beweis derartigen Uebergangs von Nerven- 
fasern in das Gebiet anderer Nervenstämme und speciell für den 
Uebertritt von Nervenfasern über die Mittellinie wurden von 
Dr. Foerster auf Veranlassung von Profesor Nussbaum 
an einer Reihe von Fröschen Operationen ausgeführt, um durch 
die Degeneration einzelner Nervenstämme die aus anderen Nerven 
stammenden Fasern desto leichter erkennen zu können. 

Diese Versuche dehnten sich vom 25. Mai bis 10. August 
1897 aus. 

Es wurde die Operation in zweierlei Weise gemacht. Erstens 
indem auf der Rückenhaut des Frosches durch einen der Mittel- 
linie parallelen Schnitt an der medianen Kante des seitlichen 
Rückenwulstes der Rückenlymphsack eröffnet wurde. Von den in 
dem Rückenlymphsack verlaufenden R. cut. dorsi med. wurden einer 
oder mehrere durchschnitten und die Wunde durch Naht geschlossen. 
Durch den parallel der Mittellinie verlaufenden Schnitt waren 
alle Nervenelemente, die von seitwärts in den Lappen treten, 
zerstört; durch die Zerschneidung der Nervenstämme alle die 
Fasern, die sich von da aus in dem Hautlappen verbreiten, so 
dass nur die über die Mittellinie herübertretenden Fasern und die 
eranialwärts oder caudalwärts hinzukommenden erhalten blieben. 
Um auch diese letzteren auszuschalten, wurde der Längsschnitt 
durch zwei senkrecht dazu stehende Schnitte, die bis zur Mittel- 
linie reichten, vervollständigt, so dass ein Lappen entstand, der 
seine Versorgung nur über die Mittellinie herüber erhalten konnte. 
Es fand sich die Empfindung in den betreffenden Hautpartien 
kurz nach der Operation in geringem Maasse herabgesetzt, nach 
Verlauf von 2 bis 3 Monaten aber wieder anscheinend normal. In 


142 G. Öttendorff: 


diesem Stadium wurden die Versuchsfrösche dann getödtet und 
die Rückenhaut in der angegebenen Weise präparitt. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab sich, dass 
sich die durehschnittenen Nerven nicht wieder regenerirt hatten. 
Sie erschienen in den nach oben angegebener Methode herge- 
stellten Präparaten als ganz. blasse Stränge ohne bestimmte Diffe- 
renzirung, während die erhaltenen Fasern sich durch tiefschwarze 
Färbung auszeichneten. Bekanntlich hat Ranvier zuerst den 
Schwund des Nervenmarks an durchschnittenen Nerven beobachtet 
(Ranvier, Sur le systeme nerveux. Paris 1878). Es liessen 
sich daher mit grösster Leichtigkeit die Fasern der erhaltenen 
Nervenstämme verfolgen und speciell ihr Uebertreten über die 
Mittellinie. In denjenigen Präparaten, wo noch die Möglichkeit 
eines Nerveneintritts im die operirte Gegend von der Kopf- oder 
Sehwanzgegend her vorhanden war, fanden sich derartig verlau- 
fende Fasern. Wo diese Möglichkeit durch die Querschnitte der 
Haut ausgeschlossen worden war, fanden sich nur einige Fasern, 
die von den Stämmen der unverletzten Seite über die Mittellinie 
hinaus in die operirte Seite übertraten, während die Hauptmasse 
der dieser Seite ursprünglich angehörigen Fasern degenerirt war. 

Gehen wir zu den einzelnen Versuchen über, deren Protokoll 
mir von Dr. Förster gütigst zur Veröffentlichung überlassen 
wurde. Ich berichte hierbei nur über die Versuche, die bis zu 
Ende durchgeführt werden konnten. Eine Reihe von Thieren 
ging an verschiedenen Erkrankungen vorher zu Grunde. 


Versuch IL 

25. Mai Operation: Lappenschnitt links, ein Nerv durch- 
schnitten und zu einer Schleife zusammengebunden, um das Aus- 
wachsen und eventuelle Wiederverheilen hintanzuhalten. Haut- 
wunden mit mehreren Seidennähten geschlossen. Erregbarkeit 
auf dem ganzen Lappen post operationem herabgesetzt. 

29. Mai Erregbarkeit im eranialen Theile des Lappens ab- 
geschwächt, im caudalen nur sehr wenig. 

2. Juni Erregbarkeit im ganzen wenig herabgesetzt. 

18. Juni Erregbarkeit etwas abgeschwächt, besonders im 
eranialen Theil. 

26. Juni Erregbarkeit auf dem ganzen Lappen nur wenig 
abgeschwächt. Hautwunde verheilt. 


u Ba ch Yaha 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhautete. 143 


8. Juli Erregbarkeit in dem eranialeu Theile noch ein wenig 
herabgesetzt. 

2. Sept. Erregbarkeit auf dem ganzen Lappen gleichmässig 
vorhanden, vielleicht noch eine Spur herabgesetzt. Getödtet zur 
Anfertigung des Präparats. Der Nervenstumpf unverändert. 

Bei Betrachtung des Präparates, das nach der oben ange- 
gebenen Methode angefertigt wurde, zeigte sich, dass der durch- 
schnittene Nerv sich nicht regenerirt hatte. Es war nur das 
bindegewebige Gerüst erhalten, während die Substanz der eigent- 
lichen Nervenfasern ganz verschwunden war. Von dem Nerven 
der anderen Seite reicht ein starker Ast meist in das Gebiet des 
degenerirten Nerven hinein; auch einige kleinere Aestehen über- 
schreiten noch die Mittellinie. Von einem Eintritt der Nerven 
von oben oder unten her ist nichts zu bemerken. 


Versuch I. 


29. Mai Operation wie bei Versnch I; zwei Nerven durch- 
schnitten. Erregbarkeit post operationem nur im oberen Theile 
ein wenig herabgesetzt. 

4. Juni Erregbarkeit im Ganzen etwas abgeschwächt. 

11. Juni Erregbarkeit anscheinend normal. 

18. Juni Erregbarkeit vielleicht eine Spur abgeschwächt. 

26. Juni nur sehr wenig abgeschwächt. Hautwunde narbig 
zusammengezogen. 

8. Juli Erregbarkeit auf dem ganzen Lappen etwas herab- 
gesetzt. 

31. August Erregbarkeit anscheinend normal. Getödtet zur 
Anfertigung des Präparates. Auf der linken Seite nach dem 
Kopfe zu ist die Haut auf einer etwa linsengrossen Stelle mit 
der Fasecie verklebt ; die Faseie ist daselbst braun verfärbt. Keine 
neuen Nerven zu sehen; die alten centralen Stümpfe unverändert. 
Lymphsack sonst gut erhalten. 

Die mikroskopische Untersuchung des Präparates ergiebt 
dasselbe Resultat wie bei dem vorigen. Die beiden durchschnit- 
tenen Nerven sind zu bindegewebigen Strängen degenerirt. Ein 
Uebertreten geschwärzter, also normaler Fasern über die Mittel- 
linie findet in reichem Maasse statt, von oben und unten her 
jedoch nicht. 


144 G. Ottendorft: 


Versuch I. 


2. Juni Operation: Längsschnitt, links zwei Nerven rese- 
eirt. Hautwunde mit fortlaufender Seidennaht geschlossen. Erreg- 
barkeit post operationem anscheinend unverändert. 

11. Juni Erregbarkeit. unverändert. 

8. Juli median vom Hautschnitt ein wenig herabgesetzt. 

28. Juli Erregbarkeit anscheinend normal. Getödtet zur 
Anfertigung des Präparates, Lymphsack gut erhalten, keine 
Veränderungen zu sehen. 

Die mikroskopische Untersuchung zeigt das Uebertreten 
zahlreicher Nervenfasern in das Gebiet der durchschnittenen Ner- 
ven und zwar von oben und unten her und über die Mittellinie 
herüber; die letzteren gehen theilweise bis beinahe zur Mitte des 
Gebietes der degenerirten Nerven. An diesen selbst lässt sich 
keine bestimmte Differenzirung wahrnehmen, nur bindegewebige 
Stränge und dazwischen eingelagerte schollige Massen, anschei- 
nend Degenerationsprodukte der Nervensubstanz. Dass sie bei 
den beiden ersten Präparaten fehlten, dürfte wohl daran liegen, 
dass bei diesen der Zeitraum der Operation und Tödtung länger 
war, so dass die Resorption der Degenerationsprodukte vollstän- 
diger geschehen konnte. Regenerationserscheinungen an den Nerven 
sind nirgends zu sehen. 


Versuch WW. 


18. Juni Operation: Lappenschnitt links. Reseetion von vier 
Nerven. Wunde mit fortlaufender Naht geschlossen. Erregbar- 
keit post operationem im oberen Theile etswas abgeschwächt, 
unten nur sehr wenig. 

26. Juni Erregbarkeit oben nur ganz wenig abgeschwächt. 
Chromatophoren auf dem Lappen unverändert. 

8. Juli Erregbarkeit im oberen Drittel etwas abgeschwächt. 

26. Juli Erregbarkeit anscheinend normal. Getödtet zur. 
Anfertigung des Präparates. An der Schnittstelle sind die Haut- 
schichten fest verklebt. Die centralen Nervenstümpfe scheinen 
etwa 0,5—1l mm länger geworden zu sein. Sonst keine Verän- 
derung sichtbar. 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut ete. 145 


Mikroskopische Untersuchung: Die peripherischen Verzwei- 
gungen der vier durchschnittenen Nerven sind degenerirt und 
zeigen ausser faserigem Bindegewebe an einigen Stellen einge- 
lagerte körnige Massen, die durch die Osmiumsäure geschwärzt 
sind, anscheinend Produkte fettiger Degeneration. Ueber die 
Mittellinie treten sehr zahlreiche Nervenfasern hinüber und er- 
strecken sich ziemlich weit in das Gebiet der durchschnittenen 


Fig. 7. 


Nerven. Von oben und unten her treten keine Fasern ein, da 
diese durch die Querschnitte bei der Operation zerstört sind. 

Aus der Rückenhaut dieses Frosches stammen die beiden 
Abbildungen 7 u. 8. Fig. 7 ist nach einer bei schwacher Ver- 
grösserung aufgenommenen Einzelphotographie reprodueirt. Das 
Bild zeigt einen oberhalb der Mittellinie (MM,) gelegenen Bezirk 
mit zwei normalen N. ceutanei dorsi mediales und eine untere 
Hälfte mit zwei durcehschnittenen und degenerirten gleichnamigen 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 10 


146 G. Ottendorff: 


Nerven. Der links gelegene Nervenstumpf ist mit & bezeichnet; 
der rechte tritt nahe an den Bildrand heran und ist nicht mit 
einem besonderen Buchstaben versehen worden. Die Photographie 
und besonders die hier benutzte Art der Reproduktion sind nieht 
im Stande, die Eleganz des Präparates wieder zn geben. Ein 
Uebelstand besteht darin, dass die degenerirten Nervenstämme 
(siehe x), obwohl sie im Osmiumsäurepräparat weiss bleiben, bei 
durchfallendem Licht undurchsichtig sind und deshalb im pho- 
tographischen Bilde schwarz erscheinen. Die Reproduktion soll 
nur die Richtung der Nervenverzweigungen angeben. 


In Fig. 8 ist bei Leitz III, Oe. I. ein in die degenerirte 
untere Hälfte hineinragende, aus der gesunden Seite stammende 
und deshalb durch die Osmiumsäure geschwärzte Partie von Ner- 
venfasern abgebildet (MM, Mittellinie). 


Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie der Rückenhaut ete. 147 


Versuch V. 


7. Juli Operation: Lappenschnitt, links zwei Nerven rese- 
eirt. Wunde mit fortlaufender Naht geschlossen. Erregbarkeit 
post operationem im oberen Drittel vielleicht etwas abgeschwächt, 
sonst normal. 

13. Juli Erregbarkeit anscheinend normal. 

22. Juli Erregbarkeit im oberen Drittel ein wenig herab- 
gesetzt, ganz unten vielleicht etwas erhöht (?), sonst normal. 
Getödtet zur Anfertigung des Präparate. Nur die Epidermis 
lässt sich ablösen, zum Lappen ziehen keine neuen Nerven hin. 
Gewebe unter dem Lappen mehr macerirt als auf der gesunden 
Seite. 

Mikroskopische Untersuchung: Die durchschnittenen Nerven 
sind zu blassen, bindegewebigen Strängen : degenerirt; Regene- 
rationserscheinungen sind nicht zu sehen. Der Uebertritt von 
Nervenfasern über die Mittellinie ist deutlich zu erkennen; era- 
nial- und caudalwärts treten keine Fasern hinzu. Ganz so deutlich 
wie bei den anderen Präparaten ist das Bild nicht, da sich die 
Pigment führende Schicht der Haut nur unvollkommen ent- 
fernen liess. 

Aus diesen Experimenten sowohl, als aus der unter normalen 
Verhältnissen angestellten anatomischen Untersuchung geht auf 
das Deutlichste hervor, dass die Mittellinie gar kein Hinderniss 
für den Verlauf der Nervenfasern bildet, dass im Gegentheil der 
Faseraustausch über die Mittellinie hinüber eher reichlicher ist, 
als zwischen den Nervenstämmen derselben Seite. Die dadurch 
bewirkte Innervation ist jedenfalls eine vollkommene; da, wie 
ja auch der mikroskopische Befund erwarten lässt, die Inner- 
vation bei Ausschaltung des einen Nerven vicariirend durch den 
anderen übernommen wird, so dass der Ausfall kein ganz voll- 
ständiger ist. Ausserdem ist dieser Ausfall nur ein temporärer. 
Die Versuche zeigten, wie im Verlauf von ein bis zwei Monaten 
mit Bezug auf Empfindlichkeit restitutio ad integrum eintritt, 
ohne dass die durchschnittenen Nervenstümpfe sich wieder ver- 
einigt hätten, oder von dem centralen Stumpfe ein neuer Nerv 
in die operirte Seite der Haut eingetreten wäre. 

Zum Schluss füge ich noch Fig. 9 bei, um den Werth der 


148 


G. Ottendorf: Die Plexusbildung der Nerven ete. 


Nussbaum’schen Methode für die Verfolgung der einzelnen 
Nervenfasern in den Plexus zu zeigen. 


Bio: 


Die abgebildete Stelle liegt in dem Prä- 
parat, das der Fig. 5 zu Grunde liegt, in Fig. 5 
bei *, also nahe der Mittellinie. Die Fig. 9 
erläutert somit, wie in dem in der Figur 
nach rechts unten aus dem Hauptstamm ab- 
gehenden durchbohrenden feinen Nervenstamm 
je eine Faser von oben, das heisst von der 
einen Körperseite und die zweite von unten 
her, also von der anderen Körperseite eintritt. 
Die beiden Nervenfasern des durchbohrenden 
feinen Nervenstranges würden nach Verlust 
ihres Markes sich in den höheren Schichten 
der Haut verzweigen. Vergr. Leitz, Obj. 5, 
Oo HE 


149 


Das Genus Mermis. 


Von 


Dr. v. Linstow in Göttingen. 


Hierzu Tafel VIII. 


Der zoologischen Sammlung des Königlichen Museums für 
Naturkunde verdanke ich ein reiches Material von Mermis-Präpa- 
raten, in dem sieh mehrere neue Arten fanden, und es ist mir 
eine angenehme Pflicht, Herrn Geh. Rath Professor Dr. Moebius 
an dieser Stelle für die gütige Uebersendung meinen verbindlich- 
sten Dank zu sagen. 


Mermis albieans v. Siebold. 
Fig. 1—4. 

Aeltere Literatur: Diesing, Syst. helm. II, Vindobonae 1851, pag. 108 
—109;' Revis. d. Nematoden, Wien 1861, pag. 607—609. Mermis 
albicans, acuminata, truncata. 

v. Siebold, Stettiner entomol. Zeitung Bd. 3, 1842 pag. 146—161, 
Bd. 4, 1883 pag. 78—84, Bd. 9, 1848 pag. 290—300, Bd. 11, 1850 
pae. 329-336, Bd. 15, 1854 pag. 101—121, Bd. 19, 1858 pag. 143. 
Zeitschr. für wissensch. Zoolog. V, Leipzig 1854, pag. 201—206, VII, 
1555 pag. 143. 

Meissner, Zeitschr. f. wissensch. Zoolog. V, Leipzig 1854, pag. 207— 
284, tab. XI—XV; VI, 1855, pag. 144 u. 250. 

Die kleinste Larve, welche ich untersuchen konnte, war 
15,4 mm lang und 0,17 mm breit; grössere hatten eine Länge 
von 165 und 195 mm und eine Breite von 0,35 und 0,60 mm. 
Die Thiere haben die Neigung, sich lockenförmig aufzurollen. 
Das Kopfende ist abgerundet und zeigt, wie alle Mermis-Arten, 
6 im Kreise stehende Papillen; das Schwanzende (Fig. 4) ist 
ebenfalls gerundet, die Bauchfläche gerade, die Rückenfläche 
eonvex, und am Ende steht eine nach der Rückenseite gerichtete, 
fingerförmige Verlängerung, die 0,138 mm lang und an der Basis 
0,016 mm breit ist. Auf Querschnitten erkennt man, dass dicht 


hinter dem Kopfende die Dorsoventralwülste sich genau in den 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 jtl 


50 v. Linstow: 


Seitenlinien inseriren (Fig. 1 dl), sehr bald aber weiter nach der 
Dorsalseite rücken (Fig. 2 dl); die ventrolateralen Wülste aber, 
die 0,0078 mm vom Kopfende (Fig. 12) wie die dorsolateralen 
mit den dorsalen und ventralen zur Stütze des hier noch in der 
Mittelachse des Körpers verlaufenden Oesophagus werden, inse- 
riren sich hier in den ventralen Submedianlinien, um sich weiter 
hinten mehr den Seitenlinien zu nähren. Die Haut- und Muskel- 
schieht ist fast gleich breit. In der vorderen Oesophagusgegend 
ist der Dorsalwulst mächtig entwickelt (Fig. 2 d) und sendet 
einen Ausläufer nach dem einen Ventrolateralwulst; mit dem der 
anderen Seite steht der Oesophagus in Verbindung (Fig. 20); 
die Dorsolateralwülste sind stark entwickelt (Fig. 2 u. 3 dl) und 
dreitheilig, während der Ventralwulst auf Querschnitten gabel- 
förmig erscheint (Fig. 2 u. 3). Der Fettkörper ist von einer 
derben Hülle umgeben (Fig. 3 f); die Hautschicht ist 0,0091 mm, 
die Muskellage 0,0182 mm dick und die einzelnen Muskelfibrillen 
sind 0,0028 mm breit. 

Die Larve von Mermis albicans lebt in Schmetterlings- 
raupen und geht von hier in die entsprechenden Puppen und 
Schmetterlinge über, ausnahmsweise in Käfern, Gradflüglern, 
Fliegen, Netzflüglern und Mollusken. Ein Fragezeichen vor dem 
Artennamen bedeutet, dass in dem Thiere eine Mermis-Larve ge- 
funden ist, die wahrscheinlich zu M. albicans gehört. 


Lepidoptera. 


Vanessa antiopa, Puppe. 
„ Io, Raupe. 
„ v. album, Raupe. 
Pontia erataegi, Raupe. 
? Epinephele tithonus. 
Zygaena minos. 
Notodonta ziezac, Raupe. 
N 
Pygaera bucephala. 
Liparis chrysorrhoea, Raupe. 
ii auriflua. 
Gastropacha neustria, Raupe. 
3 pruni. 
5 rubi, Raupe. 


dromedaria, Raupe. 


Ptilophora plumigera, Raupe. 
Dasychira salieis, Raupe. 
Oeneria dispar. 

Setina aurita, Raupe. 
Euprepia caja, Raupe. 
Catocala nupta, Raupe. 

5 sponsa. 

5 paranympha, Raupe. 
Naenia typica, Raupe. 
Cueullia verbasei, Raupe. 

„  serophulariae, Raupe, 

Puppe. 
Cueullia tanaceti. 
Diloba eoeruleocephala. 


Das Genus Mermis. 151 


Episema graminis. Amphidasys betularia, Raupe. 
Mamestra pisi. Cabera exanthemaria, Raupe. 
Agrotis brunnea, Raupe. Cheimatobia brumata, Raupe. 
Calpe libatrix, Raupe. Tortrix textana, Raupe. 
? Trachea piniperda, Raupe. „ heparana, Raupe. 
?Hadena polyodon, Raupe. Penthina salicana. 
? Acidalia dilutata. Carpocapsa pomonana. 
Ennomos illuminaria, Raupe. Hyponomeuta variabilis. 

„ Juniperata, Raupe. 4 evonymella. 
Cidaria berberata, Raupe. ® padi. 


Coleoptera. 
Melo& proscarabaeus. Stenopterus rufus. 


Orthoptema. 


Mantis religiosa. ?Oedipoda carolina. 
Gomphocereus morio. Stenobothrus pratorum. 
5 biguttulus. Gryllus parallelus. 

n parapleurus. Gryllotalpa vulgaris. 


Orchelinum graeile. 


Diptera. 
Cordylura pubera. 


Hymenoptera. 


Apis mellifica. Hylotoma berberidis. 
Lophyrus socius. Tenthredo spinarum. 
a ? obseuratus. 5 ovata. 

Mollusken. 


Suceinea amphibia. 


Auch in Aepfeln und Birnen ist Mermis albicans gefunden; 
es wird sich wohl um Fallobst handeln, in welches der Wurm 
hineingekrochen ist, wenn er nicht aus der Raupe von Carpo- 
capsa pomonana stammt. 

Die Geschlechtsform lebt frei in der Erde und ist von 
Meissner eingehend geschildert; das Schwanzende beider Ge- 
schlechter ist abgerundet; das Männchen ist 31—54—68 fım 
lang; auf 1 Männchen kommen etwa 50—200 Weibehen; die 
beiden gleichen Cirren sind 0,19 mm lang, kurz, breit und hinten 
abgerundet; an der Bauchseite stehen 6 Längsreihen von grossen 


152 v. Linstow: 


Papillen, in jeder Reihe S—10, vor der Geschlechtsöffuung in 
jeder Reihe 2—3. Bei den 108—135 mm langen und 0,45 bis 
0,56 mm breiten Weibchen liegt die Vagina 2,5—3,4 mm hinter 
der Körpermitte; die Eier sind 0,16—0,17 mm gross und kugel- 
förmig und zeigen keine Anhänge; die Embryonen sind 2,26— 
2,52—3,39 mm lang und 0,03 mm breit. 

In Mitteleuropa. 


Mermis nigrescens Duj. 
Fig. 5—6. 
v. Linstow, Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XL, Bonn 1892, 
pag. 498—512, Taf. XXVIII-XXIX. 

Diese Arbeit, welche auch eine vollständige Literatur- 
Uebersicht der Art bringt, enthält eine ausführliche Beschreibung 
derselben. 

Die Larve ist 54—332 mm lang, die grösste Breite beträgt 
0,475 mm, das Kopfende ist dünner als das Schwanzende, am 
letzteren ist die Bauchseite gerade und die Rückenseite convex 
und 0,3 mm vom Schwanzende steht eine Papille in der Ventral- 
linie (Fig. 5 p), ein Horn am Schwanzende aber fehlt. 

Die Larve lebt in Heuschrecken, ausnahmsweise in Käfern 
und Schmetterlingen, die bekannten Wirthe sind folgende: 


Orthoptera. 


Gomphocereus parapleurus. Dectieus brevipennis. 
Es morio. h; verrucivorus. 
; sibiricus. Locusta viridissima. 
? 4 virudulus. Oedipoda stridula. 
2 55 elegans. ? Barbistides autumnalıs. 
Stenobothrus pratorum. ? Mantis religiosa. 
"N biguttatus. ? Blatta orientalis. 


Coleoptera, 
Melolantha vulgaris. 
? Coceinella septempunctata. 
? Galleruca ah. 


Lepidoptera. 
Euprepia caja, Raupe. 
Liparis chrysorrhaea. 


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ai A ee a u ET a Al A a U | Un 0 u 2 Din u a m nn a Da a m en A u a en 


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— 


Das Genus Mermis, 153 


Die Geschleehtsform lebt in der Erde; obgleich van Be- 
neden die Weibehen so massenhaft fand, dass er von einem 
Wurmregen spricht, so ist das Männchen noch unbekannt. Die 
dunkel durchscheinenden Eier geben dem Thier ein schwärz- 
liches Ansehen. Die Länge entspricht derjenigen der Larve; die 
Exeretionsgefässöffnung liegt 0,075—0,078 mm vom Kopfende 
in der einen Dorsolaterallinie (Fig. 5 e); die Vagina liegt genau 
in der Mitte der Körperlänge; die Eier sind linsenförmig abge- 
plattet und von eiförmigem Umriss, 0,055 mm lang und 0,047 mm 
breit; an beiden Polen entspringt ein Faden, der in Fransen aus- 
läuft. Ausser den 6 im Kreise stehenden Papillen am Kopfende 
bemerkt man noch 2 andere links und rechts von der Mund- 
öffnung, welche von kegelförmigen Verlängerungen des Paren- 
chyms gestützt werden (Fig. 5). Der Embryo ist 0,25 mm lang 
und 0,010—0,012 mm breit. 


Mermis erassa v. Linstow. 

?v. Siebold, Stettiner entomol. Zeitung 1848, pag. 299; 1858 pag. 343. 
Mermis Chironomi, Mermis Simuliae reptantis (Larve). 

?Kraemer, Illustr. mediec. Zeitung, München 1855, III, pag. 291, tab. 
XI, Fig. 9—10. Merinthoidum mucronatum (Larve). 

v. Linstow, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. XXXIV, 1889, pag. 392 
—396, tab. XXII, Fig. 2-8; Bd. XXXVII, 1891, pag. 244—245, 
tab. XII, Fie. 10; Bd. XXXIX, 1892, pag. 328, tab. XV, Fig. 9—10. 

Stiles, Bullet. soc. zool. France, Paris 1891; Journ. compar. med. and. 
veter. arch. vol. XIII, Nr. 9, 1892, pag. 523—526, Fig. 9—12. 

Ganz junge Larven mit dem embryonalen Bohrzahn am 

Kopfende fand ich 0,55 mm lang und 0,026 mm breit; der Bohr- 

zahn misst 0,01 mm und ist in der Mitte verdickt; das Schwanz- 

ende ist verjüngt mit abgerundetem Ende; ältere Larven waren 
5,55—17,50.mm lang und 0,15—0,25 mm breit, das Schwanzende 

ist auch hier noch zugespitzt. Noch ältere Larven waren 13— 

45—56—59 mm lang und 0,29—0,72—0,76—0,90 mm breit; 

das Sehwanzende ist hier abgerundet und trägt ein 0,0359 mm 

langes und von der Basis 0,013 mm breites Horn. Die Larve 

lebt in den Wasserlarven von Chironomus plumosus, Ch. ? leueo- 
pogon und Simulia reptans. 

Die Geschleehtsform lebt im Wasser. Das Männchen, wel- 
ches Stiles bei Paris auffand, ist 19—28 mm lang; es hat nur 

1 kurzes Spieulum; am zugespitzten Schwanzende finden sich zahl- 


154 v. Linstow: 


reiche prä- und postanale Papillen; sie stehen in 1 mittleren 
und 2 seitlichen Längsreihen ; die mittlere ist ihrer ganzen Länge 
nach verdoppelt, die seitlichen sind vor der Geschlechtsöffnung 
doppelt, so dass man also 6 prä- und 4 postanale Reihen zählt. 
Das Männchen ist 23—90 mm lang; die Art ist breit und 
erinnert in der Körperform an Gordius. 
In Mitteleuropa. 


Mermis contorta v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für mikroskop. Anat. Bd. XXXIV, Bonn 1889, 
pag. 391—392, tab. XXIJ, Fig. 1. 

Lebt im Wasser; der Körper ist langgestreckt und dünn 
und rollt sich lockenförmig ein; das Schwanzende ist in beiden 
Geschlechtern zugespitzt; das Männchen ist 14,5 mm lang und 
0,17 mm breit, das Weibehen 24—49 und 0,23—0,28 mm; der 
Oesophagus nimmt ?/,, des Körpers ein, die Vagina liegt etwas 
vor der Körpermitte, die kugelförmigen Eier messen 0,059 mm; 
die Larve führt ein Horn am Schwanzende. Bei Göttingen. 


Mermis paludicola v. Linstow. 

v. Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1883, pag. 300—301, tab. 
IX, Fig. 42—43. 

?Fedtschenko (Bericht d. Freunde d. Naturwissensch.). Moskau, Bd. 
X, Heft II, 1874, pag. 58—60, tab. XIV, Fig. 16. Mermis explicans 
(russisch). 

Kopf mit 6 fingerförmigen Ausläufern des Parenchyms, 
welche in die 6 Papillen führen; das 36 mm lange und 0,34 mm 
breite Männchen hat ein abgerundetes Schwanzende und zwei 
1,5 mm lange, dünne, stabförmige Cirren und ausserdem einen 
0,14 mm grossen Stützapparat; das Schwanzende zeigt 2 seitliche 
Reihen von Papillen, von denen 9 prä- und 11 postanal stehen, 
ausserdem jederseits postanal 4 mittlere. Das 78mm lange und 
0,485 mm breite Weibehen hat ein abgerundetes Schwanzende; 
gefunden im Wasser an Rohrwurzeln in Turkestan aus Fedt- 
schenko's Sammlung. 

Fedtschenko’s Mermis explicans, gefunden zwischen 
Rohrwurzeln im See Durschan-kul im Thal Sarawsehan in 
Turkestan, ist vermuthlich identisch mit paludicola; Fedt- 
schenko’s Artname kann aber nicht aufrecht erhalten werden, 
weil eine Artbeschreibung fehlt. 


a 0. 


Das Genus Mermis. 155 


Mermis aquatilis Duj. 
Fig. 7—10. 
Dujardin, Histoire des Helminthes. Paris 1845, pag. 68, tab. III, 
Fig. E u. F. Filaria aquatilis, Filaria lacustris. 
Bugnion, Verhandl. d. schweizerischen naturf. Gesellschaft in Bex, 
Jahresber. 1876—77. Lausanne 1878, pag. 247-—255. 

Die Gelegenheit, diese Art untersuchen zu können, ver- 
danke ich der grossen Freundlichkeit des Herrn Professor 
Bugnion in Lausanne, welcher mir ein reiches Material aus 
dem Genfer See schiekte, wofür ich nochmals bestens danke. 

Die Larve lebt nach einer schriftlichen Mittheilung Bu g- 
nion’s in der Wasserlarve von Tanypus nebulosus; die kleinste 
von mir gesehene Larve war Tmm lang und 0,14 mm breit; 
am abgerundeten Schwanzende steht ein 0,068 mm langes Horn 
(Fig. 9). 

Die Geschlechtsform lebt im Wasser; der Körper ist sehr 
zart und fein und lockenförmig aufgerollt. Das Oesophagusrohr 
mündet nicht im Scheitelpunkt, sondern in der Ventrallinie 
zwischen den Papillen (Fig. 7 ö), was schon Dujardin richtig 
beobachtet hat (tab. 3, Fig. F); das Oesophagusrohr verläuft 
vielfach hin- und hergewunden; der Nervenring ist stark ent- 
wickelt (Fig. 7 n) und nach vorn und hinten über dem Oeso- 
phagus verlängert; zahlreiche Ganglienzellen sind deutlich sicht- 
bar; die Exeretionsgefässöffnung mündet 0,021 mm vom Kopf- 
ende (Fig. 7 e); die Fettkügelchen sind gross; zuerst von 
Bugnion gesehene und als Blutkörperchen gedeutete stark 
lichtbrechende Scheiben im Innern des Körpers sind oval und 
abgeplattet, 0,0182 mm lang, 0,0115 mm breit und 0,0044 mm 
diek (Fig. 10); vom Nervenring, der 0,l4mm vom Kopfende 
entfernt liegt, strahlen zahlreiche Nerven nach hinten und vorn 
aus; das Schwanzende ist in beiden Geschlechtern abgerundet. 

Das Männchen ist durchschnittlich 12 mm lang und 0,176 mm 


breit; das Oesophagusrohr nimmt das Schwanzende !/,, der 


1 
2,4 
ganzen Länge ein; es ist nur 1 Cirrus vorhanden, der pfriemen- 
förmig und 0,26 mm lang ist (Fig. 8 c); vor der Geschlechts- 
öffnung stehen 3 Reihen zahlreicher Papillen, 1 mittlere und 
2 seitliche, die etwas hinter der Basis des Cirrus endigen und 


sehr schwer zu erkennen sind; an der Bauchseite der Schwanz- 


156 vaalsınısit' om: 


spitze findet sich ein Längsspalt (Fig. 8 s), der offenbar durch 
an die Ränder tretende Muskeln erweitert werden kann und viel- 
leicht als Haftorgan dient. 

Das 19mm lange und 0,273 mm breite Weibchen hat ein 
Oesophagusrohr, das fast die halbe Thierlänge einnimmt; die 
von ihm durchlaufene Strecke verhält sich zur hinteren wie 
1:1,13; die Vagina mündet hinter der Körpermitte, der durch 
sie gebildete vordere Körperabschnitt verhält sich zum hinteren 
wie 25:19. Die sehr muskulöse, 0,07 mm breite Vagina verläuft 
0,4mm nach hinten, biegt dann eine kurze Strecke nach vorn 
um und theilt sich nun m die 2 Uteri; das eine Geschlechtsrohr 
liegt in der vorderen, das andere in der hinteren Körperhälfte, 
und bei einem jungen Weibchen endigte das vordere Ovarium !/-, 
das hintere !/,, der ganzen Thierlänge vom Kopf- resp. Schwanz- 
ende. Die kugelförmigen Eier messen 0,049 mm. 

Gefunden von Bugnion im Genfer See bei Morges 
zwischen Wurzeln von Potamogeton und Myriophyllum, in 2---80 
Meter Tiefe; auch Asper fand die Art im Schlamm am Grunde 
von Schweizer Seen und Dujardin in Frankreich bei Rennes 
unter den Blättern von Nymphaea. 


Mermis lacinulata Schneider. 
Schneider, Monographie der Nematoden. Berlin 1866, pag. 178 
tab. XIV, Fig. 5—7. 

Männchen 84, Weibehen 330 mm lang; bei beiden Ge- 
schlechtern ist das Sehwanzende gerundet, beim Weibehen ven- 
tral gerade, dorsal convex; das Männchen hat 2 gleiche, 
eylindrische, gekrümmte Spieula mit stumpfen Enden; man findet 
am Schwanzende 3 Längsreihen von Papillen, von denen die 
mittlere kurz vor und hinter der Geschlechtsöffnung verdoppelt ist. 

Vaterland und Wohnort unbekannt. 


Mermis acuminata v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1883, pag. 301, tab. IX, 
Fig. 44. 

Männchen unbekannt, Weibchen 45 mm lang und 0,72 mm 
breit, das Schwanzende ist zugespitzt; am Kopfende stehen 
ausser den gewöhnlichen 6 Papillen 2 spitze Vorsprünge des 
Parencehyms nach vorn; die Eier sind 0,069 mm lang und 0,055 mm 


Das Genus Mermis. 157 


breit, aus Fedtschenko’s Sammlang in Turkestan, Fundort 
unbekannt. 


Mermis rotundata v. Linstow. 
v. Linstow, das. pag. 301—302. 


Auch hier lag nur ein Weibehen vor, das 14mm lang und 
0,17 mm breit ist, das Schwanzende ist abgerundet; das Thier 
ist erfüllt mit 0,74mm langen und 0,02 breiten Embryonen, 
deren lang zugespitzter Schwanz ®/, der ganzen Länge einnimmt; 
auch aus Fedtschenko's Sammlung in Turkestan, Fundort 
nicht bekannt. 

Mermis albicans wird von Leidy als in Nordamerika bei 
Philadelphia vorkommend vorgeführt, die Larve wurde in Locusta 
carolina gefunden (Proceed. Acad. Philadelphia t. V, 1852, 
pag. 263, t. VIII, 1857, pag. 58). Da aber jede Beschreibung 
- fehlt, so ist es unmöglich zu bestimmen, ob hier wirklich Mermis 
albicans oder eine andere Art beobachtet ist. Drei Varietäten, 
elongata, crassicaudata und ferruginea, früher als besondere 
Arten angeführt, werden zu Mermis albicans gestellt, können aber 
nicht hierher gehören, da sie im Wasser leben. 

Das wenige, was Leidy über diese Formen anführt, ist 
folgendes: 


Mermis elongata Leidy. 


Länge 163--596 (!) mm, Breite 0,385—0,75 mm; Farbe gelb- 
lich; in einem Graben bei New Jersey gefunden. 


Mermis crassicaudata Leidy. 
237 mm lang, weiss; im einem Graben bei Philadelphia. 


Mermis ferruginea Leidy. 

381 mm lang, braun; in Brasilien gefunden ohne Ortsangabe. 

Ein Recht, als Art angesehen zu werden, können diese An- 
gaben wohl nicht bedingen, ebensowenig aber kann es sich um 
Varietäten von Mermis albicans handeln. 

Bei dem Mangel aller characteristischen Merkmale der 
Haut bei Mermis muss das männliche Hinterleibsende die Art- 
charaetere geben, und wo die Männchen fehlen, muss man den 
inneren Bau studiren. 


158 v. Binstow: 


Nur in der Larvenform bekannte Mermis-Arten 
Aus Orthopteren. 


Mermis spiralis Baird. 
Baird, Catalog. entoz. Brit. Mus. London 1853, pag. 35, tab. I, Fig. 3. 
Der Körper ist eingerollt, 190 mm lang und 0,56 mm breit, 
aus einer Locusta in Rio de Janeiro. 


Mermis praematura v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1897, pag. 32, tab. IV, 
Fig. 13. 

60 mm lang und 0,40 mm breit, Schwanzende conisch mit 
abgerundeter Spitze; die Vagina liegt hinten und theilt den 
Körper im Verhältniss von 23:7; das Thier stammt angeblich 
aus einer Stenobothrus-Art aus Madagascar, und enthält merk- 


würdiger Weise, obgleich parasitisch lebend, doch kugelrunde, . 


0,06 mm grosse Eier mit einem entwickelten Embryo; ver- 
muthlich liegt, was das Herkommen betrifft, ein Irrthum vor. 


Mermis acrididorum v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1897, pag. 32. 
145—205 mm lang und 0,40—0,36 mm breit, am Schwanz- 
ende ein Horn; aus Orthoeris und einer anderen, Stenobothrus- 
artigen Heuschrecke in Madagascar. 


Mermis longissima Fedt. 

Fedtschenko, Nachricht der Kaiserl. Gesellsch. d. naturf. Freunde 
in Moskau (russisch), Bd. X, Heft II, 1874, pag. 58—60, tab. XIV, 
Fig. 15. 

v.Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1883, pag. 302. Mermis spec. ? 

440 mm lang, Oesophagusrohr über 80 mm lang; die Ab- 
bildung giebt einen Querschnitt ganz vorn dicht hinter dem 

Kopfende wieder. Aus Pachytylus migratorius in Turkestan. 


Aus Arachniden. 


Mermis truncatula Rud. 
Rudolphi, Entoz. histor. II, pag. 78. Filaria truncatula. 
Meissner, Zeitschr. für wissensch. Zoolog. Bd. VII, Leipzig 1856, pag. 48. 
Länge 54—136 mm; aus Phalangium cornutum und Phalan- 
gium opilio. 


Das Genus Mermis. 159 


Mermis robusta Leidy. 
Haldeman, Iconogr. encycl. II, zool. 48. Filaria Lycosae. 
Leidy, Proceed. Acad. Philad. VIII, 1856, Philadelphia 1857, pag. 58. 
81—135 mm lang und 0,46—0,89 mm breit; blass röthlich, 
glänzend, starr, Kopfende eonisch. Pennsylvania in Nordamerika 
aus Lycosa seutulata und Lycosa spec. ? 


Mermis Drassi v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1883, pag. 302, tab. IX, 
Fig. 45. 

Etwa 76 mm lang und 0,46 mm breit, Papillen am Kopfende 
von eoncentrischen Kreisen umgeben, Schwanzende kugelförmig 
verjüngt, am Ende abgerundet, aus Drassus spec.? Fedt- 
schenko’s Sammlung in Turkestan. 


Mermis brasiliensis n. sp. 
Fig. 11—13. 

Berliner Sammlung Nr. 1053. 

Länge 125, Breite 0,531 mm; Kopf mit wenig prominenten, 
ganz vorn stehenden Papillen, die nicht von Kreisen umgeben 
sind; die Exeretionsgefässöffnung liegt 0,055 mm vom Kopfende ent- 
fernt (Fig. 11 e); das Schwanzende ist abgerundet und zeigt 
einen winzig kleinen, 0,0052 mm grossen kegelförmigen Anhang 
(Fig. 12); die Haut ist sehr diek und hat eine Breite von 
0,021 mm. Die Längswülste sind wenig entwickelt, mit Aus- 
nahme der ventrolateralen sind sie dreitheilig (Fig. 13); der 
Oesophagus ist auf die Seite gedrängt (Fig. 13 ö); die Fett- 
kügelchen sind von verschiedener Grösse, einige sind sehr gross, 
die Hülle des Fettkörpers ist breit; hinten im Körper überragen 
die Längswülste die Muskulatur nicht nach innen. Aus einer 
Spinne (Aranea) in Rio grande da Sul, Südbrasilien. 

Andere, nicht benannte und beschriebene Mermis-Larven 
sind gefunden in Mieryphantes bieuspidatus, Tarentula inquilina, 
Salticus formicarius, Tegenaria atrica (Bertkau, Verhandl. d. 
naturhist. Ver. der preuss. Rheinl. Bd. 45, Bonn 1888, pag. 91—92), 
und vermuthlich ist das, was Rösel (Insektenbelust. Bd. IV, 
Nürnberg 1761, pag. 264, tab. XXXIV, Fig. 5) in Epeira dia- 
demata gefunden hat, auch eine Mermis-Larve. 


160 v. Linstow: 


Aus Mollusken. 


Mermis hyalinae v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. XXXVII, Bonn 1891, 
pag. 245—248, tab. XII, Fig. 11—14. 

96 mm lang und 0,36.mm breit; im Fettkörper finden sich 
Längsscheidewände; der Exeretionsporus liegt dicht hinter dem 
Kranz der 6 Papillen; das Schwanzende ist abgerundet und ohne 
Horn, wodurch die Art sich von M. albicans unterscheidet; von 
M. nigrescens ist sie durch den Mangel der beiden Parenchym- 
fortsätze nach vorn, die in Papillen endigen, unterschieden; auch 
sind die Längswülste anders gebaut als bei diesen Arten; aus 
Hyalina cellaria, bei Braunschweig gefunden. 

In Suceinea amphibia=putris ist die Larve von Mermis 
albicans beobachtet, durch v. Siebold in mehrerer Hunderten 
von Exemplaren, Mitten aber führt (Annals and magaz. of nat. 
hist. 3. ser., vol. XX, London 1867, pag. 445—446) eine 8l mm 
lange, nicht näher beschriebene Mermis-Larve aus Limax 
agrestis auf. 


Aus unbekannten Wohnthieren. 


Mermis setiformis v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für Naturgesch. Berlin 1879, pag. 182—183, 
tab. XII, Fig. 30. 

Grösste Länge 40 mm, Breite 0,2 mm; das Kopfende_ ist 
kolbenförmig verdickt und endigt, was sonst bei Mermis nicht 
beobachtet wurde, in 2 halbkugelförmige Lippen; jede derselben 
trägt 3 Papillen, so dass auch hier ein Kranz von 6 Papillen 
besteht; dicht vor und hinter jeder dieser 6 Hauptpapillen aber 
steht noch eine kleinere. Die ursprüngliche Beschreibung ist 
hier in einigen Punkten verbessert. 

Heimath unbekannt. 


Mermis rigida Baird. 
Baird, Catal. entoz. Brit. Mus. London 1853, pag. 35; Proceed. zool. 
soc. London 1853, pag. 19, tab. XXX, Fig. 2. 
Länge 338 mm, Breite 1,13 mm, braun, glänzend, Schwanz- 
ende mit conischer Spitze; Fundort nicht genannt. 


Su se en Eee EEE ee ee ee 


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Met, 


Das Genus Mermis. 161 


Mermis australis n. sp. 
Fig. 14—-16. 

Berliner Sammlung Nr. F. 1002. 

255 mm lang und 0,43 mm breit. Das Exemplar befmdet 
sich in der Häutung und unter der abzustreifenden Haut erkennt 
man die junge. Die letztere ist sehr diek, 0,023 mm messend, 
während die abzustreifende Haut nur 0,013 mm stark ist, was 
ein Dickenverhältniss von 9:5 ergiebt. Am Kopfende stehen 
die constanten 6 Papillen. Das chitinöse Oesophagusrohr, das 
sehr lang ist, wird bei der Häutung mit ausgestossen; der Punkt, 
an welchem es mit dem Scheitelende des Kopfes verwachsen 
war, ist losgerissen und zurückgeschoben (Fig. 14 a), der End- 
punkt aber, welcher etwa in der Mitte des Körpers lag, ist dem 
Kopfende schon sehr genähert (Fig. 14 b), und das lange Rohr 
liegt nun in vielen Windungen im Kopfttheil der abzustreifenden 
Haut (Fig. 14); das Rohr ist 0,010 mm breit. Das Schwanzende 
ist abgerundet und mit einer sehr kleinen, 0,10 mm langen Spitze 
versehen (Fig. 15 a), welche der bleibenden Haut fehlt (Fig. 15 b). 
Die Längswülste sind dadurch merkwürdig, dass sie zu einem 
Cylinder verschmolzen sind, der auf Querschnitten als Ring er- 
scheint (Fig. 16); die Fettkügelchen sind klein und gleiehmässig. 
Von Dr. B. Friedländer in Neu-Seeland gesammelt. 


Mermis africana n. sp. 
Fig. 17--19. 

Berliner Sammlung Nr. F. 726. 

310 mm lang und 0,59 mm breit. 

Das Oesophagusrohr ist vorn spindelförmig erweitert (Fig. 17); 
das Schwanzende ist abgerundet, ohne Anhang und an der Bauch- 
fläche nicht abgeplattet (Fig. 18); die sehr dieke Haut hat 
hinten einen Durchmesser von 0,053 mm, in der Mitte von 
0,130 mm, während die Muskellage 0,0078 mm misst. Die Längs- 
wülste sind wenig entwickelt; der ventrale hat eine schmale 
Basis (Fig. 19 v), die dorsolateralen sitzen mit ganzer Basis der 
Haut auf (Fig. 19 dl) und sind den Seitenlinien nahe gerückt, 
der Fettkörper hat eine dünne Hülle, die Kügelehen haben alle 
fast dieselbe Grösse. 

Von E. Baumann bei Togo, Misahöhe in Südwestafrika 
gefunden. 


162 v. Linstow: 


Mermis costaricensis n. Sp. 
Fig. 20—22. 

Berliner Sammlung Nr. 280. 

Wird bis 68mm lang und 0,52 mm breit. Die Exeretions- 
gefässöffnung findet sich 0,047 mm von Kopfende entfernt, dicht 
hinter dem Kranze der 6 Papillen (Fig. 20 e); am abgerundeten 
Schwanzende steht ein kleines, nach der Rückenseite gekrümmtes, 
0,013 mm langes Horn (Fig. 21); die Fettkügelehen sind sehr 
verschieden an Grösse bis zu den kleinsten, punktförmigen, die 
sich lebhaft färben; die Haut ist 0,0078 mm, die Muskelschiecht 
0,0104mm stark, die Hülle des Fettkörpers ist besonders an 
der Bauchseite breit. Die Dorsolateralwülste haben 3, der ven- 
trale hat 2 Kernreihen, erstere wurzein mit breiter, letzterer 
steht mit schmaler Basis auf der Haut. 

Von Dr. Hoffmann in Costarica gesammelt. 


Nur in der embryonalen Larvenform bekannt. 


Mermis Gammari v. Linstow. 
v. Linstow, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. XXXIX, 1892, pag. 324, 
tab. XV, Fig. 11—12. 

0,59 mm lang und 0,018 mm breit, Bohrstachel 0,021 mm 
lang, der im vorderen Drittel verdiekt ist; der Oesophagus 
& 1 L 
nimmt 38 der Gesammtlänge ein. 

r) 

Uneingekapselt in der Leibeshöhle von Gammarus pulex 
bei Göttingen. Leuckart berichtete (Jahresber. 1856, pag. 350) 
über Mermis in Gammarus pulex. 


Mermis Sialidis v. Linstow. 


v. Linstow, Archiv für mikrosk. Anat. Bd. XXXIX, Bonn 1892, 
pag. 329, tab. XV, Fig. 13. 


Länge 0,54 mm, Breite 0,013 mm, der hinten etwas ver- 


diekte Bohrstachel misst 0,016 mm, der Oesophagus macht 398 
, [= 


der ganzen Thierlänge aus. 
Aufgerollt in kugelförmigen, membranösen Cysten im Fett- 
körper der Wasserlarve von Sialis lutaria, bei Göttingen, 


Das Genus Mermis. 163 


Zur Anatomie und Histologie des Genus Mermis. 


Die Mermis-Arten sind langgestreckte Nemathelminthen, 
deren Haut glatt ist; Dornen, Stacheln, Nackenpapillen, Seiten- 
leisten fehlen stets und leicht erkennbar ist das Genus an 
unter einem bestimmten Winkel gekreuzten Fasersystemen, welche 
der zweiten Hautschicht angehören und durch die dünne Epi- 
dermis durchscheinen; bei Mermis nigrescens fand ich unter der 
Epidermis 3 Corium-Lagen, welche vier Schichten sich der 
Mächtigkeit nach verhalten wie 1:3:4:16; die zweite Lage be- 
steht aus den 2 unter einem Winkel von 80 oder 100° gekreuzten 
Fasersystemen. Die Haut der parasitischen Larven ist viel 
dünner als die der freilebenden geschlechtsreifen Thiere; durch 
mehrere Häutungen erfolgt ein Wechsel. 

Unter der Haut liegt die Hypodermis, welche an 6 Linien 
zu Wülsten vorgewölbt ist, die das ganze Thier der Länge nach 
durchziehen. Diese 6 Längswülste können eine grosse Mächtig- 
keit erreichen, wie bei Mermis crassa, und enthalten oft zahl- 
reiche, runde Kerne, die nicht nur reihenweise neben einander, 
sondern mitunter auch in mehreren Lagen über einander ange- 
ordnet sein können, wie ich es bei Mermis nigrescens und M. 
crassa gefunden habe. Diese Wülste habe ich als 1 dorsalen, 
2 dorsolaterale, 2 ventrolaterale und 1 ventralen bezeichnet; ihre 
Entwicklung ist sehr verschieden; die stärksten sind stets die 
dorsolateralen, der ventrale wurzelt meistens mit schmaler Basis 
auf der Haut, der dorsale pflegt schwach entwickelt zu sein, am 
schwächsten aber die beiden ventrolateralen; dass aber alle 6 
im Prineip gleiehwerthig sind, erkennt man aus Querschnitten 
am Kopf- und Schwanzende (s. meine Abbildung von M. nigres- 
cens tab. XXVIII, Fig. 6 und von M. crassa tab. XXI, Fig. 3 u. 6), 
wo alle 6 in derselben Weise gebildet sind. 

Die 6 Längswülste grenzen 6 Muskelzüge ab, welche aus 
Längsfibrillen gebildet sind; es sind quergestreifte, contractile 
Fasern mit dazwischenliegender Plasmamasse (M. nigrescens 
tab. XIX, Fig. 13), die an der der Leibeshöhle zugewandten 
Seite kleine, rundliche Kerne tragen; bei geschlechtsreifen Exem- 
plaren von M, albicans und M. nigrescens sind die Fibrillen 
0,0023—0,0028 mm breit. Die Muskeln der jüngeren Larven 
sind schwach entwickelt. 


164 v. Linstow: 


Denkt man sich die 6 Längswülste durch Mittellinien ge- 
theilt und bildet so 2 dorsale, 2 laterale und 2 ventrale Felder, 
so nehmen diese bei den einzelnen Arten folgende Procente des 
Körperumfanges ein: 


Mermis 
albi- nigres- crassa afrieca- austra- costari- brasi- 
cans cens na lis censis liensis 


Dorsalfeld 20 16 18 a2 25 = 32 
Lateralfeld 16 18 19 16 16 16 19 
Ventralfeld 14 16 13 12 11 15 13 
Ventralfeld 14 16 13 123 al 13 13 
Lateralfeld 16 18 19 16 16 16 15 
Dorsalfeld 20 16 18 2 23 21 22 


Wenn alle 6 Felder gleich breit wären, so müsste auf jedes 
16?/, 2), kommen; Meissner, Schneider und Rohde 
verlegen die Dorsolateralwülste in die Seitenlinien; sind sie 
sehr breit, so können sie dieselbe wohl erreichen, ihre Mittellinie 
aber verläuft stets erheblich dorsalwärts von ihr. 

In einem der beiden Dorsolateralwülste verläuft ein Exere- 
tionsgefäss, das dieht hinter den Kopfpapillen nach aussen 
mündet, wie ich es bei M. nigrescens, M. hyalinae, M. con- 
torta, M. aquatilis, M. brasiliensis und M. costaricensis ge- 
funden habe. 

Am Kopfende stehen stets 6 Papillen im Kreise, das 
Oesophagusrohr mündet im Scheitelpunkt, bei M. aquatilis aber 
dieht dahinter in der Ventrallinie; Lippenbildungen am Kopfe 
fehlen, worin nur M. setiformis eine Ausnahme macht. 

Das Schwanzende ist entweder abgerundet oder zugespitzt, 
oft an der Bauchfläche abgeplattet, die Larven tragen bei 
manchen Arten ein nach der Rückenseite gekrümmtes Horn. 

Der Oesophagus besteht aus einem oft sehr langen, chiti- 
nösen Rohr, das in der Mitte eines mit regelmässig hinter ein- 
ander liegenden Anschwellungen versehenen Körpers verläuft, 
den ich für den Darm halte; bei den Larven von Mermis nigres- 
cens fand ich, dass das Rohr in der Mitte dieser Anschwel- 
lungen eine kleine Oeffnung besitzt (tab. XXVIIL, Fig. 2 b), so 
dass ich das Rohr, das hinten blind endigt, für einen in den 
Darm versenkten Oesophagus halte. Bei den Häutungen wird 
das Rohr mit ausgestossen (M. setiformis, M. paludicola, M, 


CN RER. ee 2 ie er ie ee EEE ee ee Die 


Das Genus Mermis. 165 


australis) und wieder ergänzt; bei den freilebenden Geschlechts- 
thieren aber fehlen die Oeffnungen; die Ernährung scheint hier 
lediglich durch Aufnahme von Wasser und die in ihm gelösten 
Stoffe durch die Haut zu erfolgen. 

- Ein stark entwickelter Nervenring umgiebt den Oesophagus- 
Darm ganz vorm; Meissner sah bei M. albicans und ich bei 
M. aquatilis zahlreiche Ganglienzellen; nach vorn und hinten 
treten Nerven aus, und im hinter dem Nervenring gelegenen 
Körpertheil sieht man einen Dorsalnerven an der Innenseite des 
Dorsalwulstes und einen Ventralnerven an der Innenseite des 
Ventralwulstes verlaufen; wie bei den Nematoden ziehen Quer- 
stränge der Marksubstanz der Muskeln zu diesen Hauptlängs- 
nerven, durch welche sie innervirt werden, was von Rohde 
gefunden wurde. Die ganze Leibeshöhle der Larven wird, ab- 
gesehen vom ÖOesophagus-Darm, vom Fettkörper erfüllt, den 
Fedtschenko u. a. für den Darm hielten; er ist aber wohl 
nichts weiteres als das Bildungsmaterial für die Geschlechts- 
organe. 

Bei der Larve von M. nigrescens fand ich am Kopfende 
diehtgedrängte kleine Drüsen (tab. XXVIII, Fig. 1.d). 

Bugnion entdeckte bei M. aquatilis Blutkörperchen, welche 
ich bei dieser Art wiedergefunden und beschrieben habe. 

Die Geschlechtsorgane sind ganz ähnlich wie bei den Nema- 
toden gebaut. Bei den Männchen findet man einen Hoden, die Sper- 
matozoen bei M. albicans sind nach Meissner kugelförmig mit 
einem fadenförmigen Anhang; auffallender Weise findet man bei 
den Männchen bald einen (M. crassa, M. aquatilis), bald zwei 
Cirren; die Papillen am männlichen Schwanzende unterscheiden 
sich von denen der Nematoden dadurch, dass sie ausser den 
beiden Seiten- auch eine ventrale Mittelreihe bilden; diese 3 
Reihen sind entweder einfach oder ganz oder theilweise ver- 
doppelt; zieht die Mittelreihe an der Geschleehtsöffnung vorüber, 
so ist sie hier stets verdoppelt; bekannt sind die Männchen von 
M. albicans, crassa, paludicola, contorta, lacinulata und aquatilis. 

Die Vagina liegt in der Körpermitte oder etwas hinter ihr; 
sie hat starke, muskulöse Wandungen und führt in 2 Uteri, die 
in Ovarien übergehen; das eine Geschlechtsrohr liegt in dem 
vorderen, das andere im hinteren Theil des Körpers von der 
Vagina aus gerechnet. 

Archiv f, mikrosk. Anat. Bd, 53 12 


166 v. Linstow: 


Die kleinen Eier sind bald kugelförmig, bald linsenförmig; 
die von M. nigrescens haben die geschilderten Anhänge an den Polen. 

Der Embryo liegt in wenigen oder vielen Windungen auf- 
gerollt in der Eischale. 

Wie bei Gordius muss man zwei Larvenformen unter- 
scheiden, eine jüngere, kleine, embryonale, welche zunächst dem 
Embryo im Ei entspricht, und eine ältere, grosse, welche in die 
Geschlechtsform übergeht. 

Die embryonale Larvenform ist entweder sehr langgestreckt, 
wie bei Mermis albicans, rotundata und praematura, oder kurz 
und verhältnissmässig breit, wie bei Mermis nigrescens, cerassa, 
Gammari und Sialidis; alle führen am Kopfende einen geraden, 
das Ende des Oesophagusrohrs bildenden Bohrstachel. Die 
zweite, grosse Larvenform, welche, weil sie parasitisch lebt, 
keinen Verletzungen ausgesetzt ist und fast keine Bewegungen 
zu machen hat, eine schwach entwickelte Haut und Muskulatur 
besitzt, entbehrt aller Geschlechtsorgane; die Leibeshöhle ist 
vom Fettkörper ausgefüllt und oft steht am Schwanzende ein 
nach der Rückenfläche gekrümmtes Horn. 

Die befruchteteu Weibchen legen ihre Eier, je nach ihrem 
Aufenthalt, in die Erde oder in’s Wasser. 

Die aus den Eischalen kriechende embryonale Larve lebt 
zunächst einige Zeit lang frei in der Erde oder im Wasser, um 
dann mittels des Bohrstachels in Insektenlarven einzudringen ; 
v. Siebold beobachtete, wie die jungen Larven von Mermis 
albicans in Raupen von Hyponomeuta (cognatella=) evonymella, 
Pontia erataegi, Liparis chrysorrhoea und Gastropaeha neustria 
einwanderten (Stettin. entomolog. Ztg. Bd.11, 1850, pag.329-—-336). 

In den Insekten wächst die junge Mermis-Larve heran und 
verwandelt sich in die grosse, zweite Larvenform. Erwachsene 
Larven von Mermis albicans nahm v. Siebold aus den Raupen 
von Hyponomeuta evonymella und sah sie in der feuchten Erde 
in Blumentöpfen in einigen Wochen geschlechtsreif werden (Stettin. 
entomol. Ztg. Bd. 9, 1848, pag. 292—295). 

Die Larven der Landarten leben in Land-, die der Wasser- 
arten in Wasserinsektenlarven, mitunter treten die Mermis-Larven 
in Insekten ganz massenhaft auf, wie es von Rosenhauer 
und v. Siebold für Mermis albicans in Hyponomeuta-Larven 
beobachtet wurde; Assmus beobachtete eine Epizootie bei 


NETT ER Da ZA 


Das Genus Mermis. 167 


Drohnen von Apis mellifica bedingt durch dieselbe Art, und 
van Beneden beschreibt ein so massenhaftes Auftreten von 
Mermis nigrescens in der Nacht vom 31. Mai zum 1. Juni bei 
Löwen (Louvain), dass man von einem Wurmregen sprach. Diese 
Art erscheint, wie es von van Beneden, Kraemer und 
mir geschildert ist, Nachts nach heftigem Gewitterregen im 
Sommer auf der Erdoberfläche, ringelt sich an Pflanzen empor 
und umwindet sie mit der hinteren Körperhälfte, während sie 
mit der vorderen pendelnde Bewegungen in der Luft macht; 
mit dem ersten Sonnenstrahl verschwindet sie wieder in der Erde. 

VanBeneden giebt an, die Weibehen von Mermis nigres- 
cens seien bereits von Eiern erfüllt, wenn sie die Insekten ver- 
lassen (M&m. sur les vers intest. Paris 1861, pag. 278); dann 
müssten die Männchen von Mermis die Weibehen noch während 
ihres parasitischen Lebens in den Insektenlarven befruchten, oder 
man müsste an Parthenogenese oder Hermaphroditismus denken; 
vermuthlich hat van Beneden neben Mermis-Larven, die er 
aus Maikäfern hervorkommen sah, geschlechtsreife Exemplare auf 
dem Boden gefunden und beide Funde irrthümlich vereinigt; und so 
wird auch bei Mermis praematura ein Beobachtungsfebler vorliegen. 

Für die Arten erassa und aquatilis möchte ich das neue 
Genus Paramermis aufstellen, von Mermis durch das Vorhan- 
densein von nur einem Spieulum unterschieden. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIL. 


e = Excretionsgefässöffnung; e = Haut; m = Muskeln; ö = Oeso- 
phagus; f= Fettkörper; d= Dorsal-, dl = Dorsolateral-, v»! = Ventro- 
lateral-, » —= Ventralwulst. 
Fig. 1-4. Mermis albicans, Larve; 1—3 Querschnitte, 1 dicht hinter 
dem Kopfende, 2 etwas weiter hinten, 3 hintere Oesophagus- 
gegend, 4 Schwanzende. 
Fig. 5-6. Mermis nigrescens, Larve; 5 Kopf-, 6 Schwanzende, p Pa- 
pille, dem Orte des Anus entsprechend. 
Fig. 7—10. Paramermis aquatilis. 7 Kopfende, » Nervenring, 8 männ- 
liches Schwanzende von der Bauchfläche, e Cirrus, r Retractor, 
p Protrusor desselben, s saugnapfartige Grube; 9 Schwanzende 
der Larve; 10 Blutkörperchen, a von der Fläche, b von der 
Kante gesehen. 

ig. 11—13. Mermis brasiliensis, 11 Kopfende, 12 Schwanzende, 13 
Querschnitt. 


je 
oO 


168 Hans Beissner: 


Fig. 14—16. Mermis australis. 14 Kopfende, a von der Scheitelfläche 
losgerissenes, vorderes Ende des bei der Häutung ausge- 
stossenen Oesophagusrohres; b hinteres Ende desselben; 15 
Schwanzende; 16 Querschnitt, a abzustreifende Larvenhaut, 
b bleibende Haut. 

Fig. 17—19. Mermis afrieana. 17 Kopf-, 18 Schwanzende, 19 Querschnitt 

Fig. 20—22. Mermis costaricensis. 20 Koptf-, 21 Schwanzende, 22 Quer- 
schnitt. 


(Aus dem anatomischen Institut in Bonn.) 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana 
fusca und Rana esculenta. 


Von 


Dr. Hans Beissner. 


Hierzu Tafel IX u. 2 Textfiguren. 


Schon im Jahre 1846 giebt Bidder in seiner Arbeit: 
Männliche Geschlechts- und Harnwerkzeuge der nackten Amphi- 
bien, eine genauere Beschreibung von dem nahen Zusammenhang 
der Niere und des Hoden bei den Anuren. Er sah zuerst die 
Vasa efferentia testis im Mesorchium sich verzweigend zur Niere 
ziehen und sich in der Nierensubstanz mit den Kanälen der letz- 
teren verbinden. „Am äusseren Rande der Niere“, so schreibt 
er, „verläuft in der ganzen Länge derselben ein Kanal, in den 
von innen her aus der Niere kommende kleine Gänge sich ein- 
senken. Dieser Kanal ist Vas deferens und Ureter zugleich. Die 
Samengänge durchsetzen die Niere nicht neben den Harnkanäl- 
chen und treten erst mit dem Vas deferens zusammen, sondern 
die Vereinigung findet schon früher mit den feinsten Nieren- 
kanälen statt, sodass der Same die Harnkanälchen in ihrer ganzen 
Länge durchzieht und der Urin gleich bei seinem Erscheinen in 
den Harnkanälehen mit Samen gemischt ist.“ 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca etc. 169 


Hyrtl verbreitet sich über den Gegenstand in seiner 
Arbeit: Ueber die Injection der Wirbelthierniere und deren Er- 
gebnisse (Wiener Sitzungsber. der kaiserl. Acad. der Wissensch. 
Bd. 47. Abth. ID) folgendermaassen: „An einer oder der anderen 
Niere findet man die Gruben der Malpighi’schen Körperchen 
mit Masse ausgefüllt, welche nicht bloss die Kapseln der Mal- 
pighi’'schen Körperehen einnimmt, sondern auch in die Aus- 
führungswege der Hoden eindringt, welche bekanntlich bei 
Fröschen in diese Kapseln einmünden.* Niemals ist es ihm aber 
gelungen, alle Malpighi’schen Kapseln vom Ureter aus zu in- 
jieiren, sondern bloss die an der Oberfläche der Niere liegenden, 
die nach seiner Ansicht auch allein mit den Ausfuhrwegen des 
Hodens eommunieiren. 

Heidenhain sagt in seinen Mikroskopischen Beiträgen 
zur Anatomie und Physiologie der Nieren (Archiv für mikrosk. 
Anatomie Bd. X. 1874): „Wie dem auch sei, so ist es für mich 
ganz sicher, dass in dem zweifellos den Harn bereitenden Theile 
der Niere von einer Verbindung der Malpighi’schen Kapseln 
mit den Samenwegen nicht die Rede ist; sie findet erst in den 
grossen Ausfuhrwegen des Harnes statt. Die an die Nieren 
herantretenden Samenkanäle laufen zum Theil nur über die Ober- 
fläche derselben hin.“ 

Spengel: Das Urogenitalsystem der Amphibien (Arbeiten 
aus dem zool.-zootom. Institut zu Würzburg Bd. III. 187677, 
pag. 102) giebt von dem Hodennetze und seiner Verbindung mit 
dem Harnsamenleiter durch die Niere hindurch für den Frosch 
folgende Schilderung: „Die Querkanäle des Hodennetzes münden 
in einen, vollkommen Bidder’s Schilderung entsprechenden 
Längskanal, der am medialen Rande, etwas gegen die dorsale 
Fläche der Niere zugerückt, verläuft und der Niere eng anliegt. 
Der eigentliche Längskanal ist nur sehr dünn; von seiner late- 
ralen Wand entspringen indess in grosser Anzahl Kanäle, welche 
quer durch die Niere hindurch ziehen, sich zum Theil mit ein- 
ander vereinigen und endlich in den Harnleiter eintreten. An der 
Stelle, wo diese Kanäle den Längskanal verlassen, besitzen sie 
eine ampullenartige Erweiterung, wodurch das varicöse Aussehen 
des Längskanals bedingt wird. Ob diese Ampullen ursprüngliche 
Malpighi’sche Kapseln gewesen sind, deren Glomerulus sich 
zurückgebildet oder garnicht entwickelt hat, muss die Entwick- 


170 Hans Beissner: 


lungsgeschichte lehren.“ Einen Zusammenhang des Hodennetzes 
mit den Malpighi’schen Kapseln leugnet er bei Rana, 
Discoglossus, Alytes und Bombinator mit Bestimmtheit. 
Völlig abweichende Verhältnisse jedoch trifft er an bei Bufo. 
„Wie bei den Urodelen und Coeeilien passirt der Same bei Bufo 
die Harnkanälehen ihrer ganzen Länge nach, auch die mit einem 
grossen Glomerulus versehenen Malpighi’schen Kapseln.“ 

Oscar Frankl: Die Ausfuhrwege der Harnsamenniere 
des Frosches (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. 63. 
Heft 1. 1897) beschreibt nach Injeetionspräparaten die betreffen- 
den Verhältnisse in folgender Weise: „Am medialen Rande der 
Niere angelangt, erweitert sich an einzelnen Schnitten der Ductus 
efferens, beziehungsweise der die Ductus efferentes verbindende 
Längskanal zu den sogenannten Ampullen, welche gleichfalls mit 
Injectionsmasse angefüllt sind. Und nun sieht man an vielen Schnit- 
ten den Querkanal durch die Niere laufen, zwar nicht rein quer, 
sondern in leichtem Bogen, gegen den lateralen Rand der Niere, 
woselbst derselbe in den Leydig schen Gang einmündet. Der 
(Juerkanal ist immer mit Berliner-Blau gefüllt. Nach meinen 
Präparaten schwankt die Zahl der Querkanäle zwischen 5 
und 18. 

„Wenn man die Schnittserien durchsieht, merkt man, dass 
nicht bloss sagittal verlaufende Harnkanälchen, von der ventralen 
Nierenfläche zur dorsalen ziehend, in die Querkanäle einmünden, 
sondern dass von der dorsalen Seite der Malpighi’schen Kör- 
perchen Kanäle gegen die dorsale Nierenfläche ziehen, dieselbe 
aber nicht erreichen und entweder in den Querkanal einmünden, 
oder öfter eine Strecke vor demselben aufhören. An den ent- 
sprechenden weiteren Schnitten sieht man dann mühelos das 
fehlende Stück und es bedarf durchaus nicht der Anfertigung 
eines Modells, sondern einige wenige Zeichnungen auf einander- 
folgender Schnitte genügen, die Communication der Malpighi- 
schen Kapseln mit den Querkanälen mittelst sagittaler, mit In- 
jeetionsmasse erfüllter Kanäle darzuthun. Ich schlage demnach 
vor, diese Kanäle als Sagittalkommissuren zu bezeichnen.“ 

So sehen wir nun, dass sich in der Literatur über die Samen- 
niere der Anuren die verschiedensten Ansichten gegenüberstehen. 

Bidder und Hyrtl sind der Meinung, dass der Same 
oder bei letzterem die Injeetionsmasse die Harmkanälchen in 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca ete. 171 
fo} 


ihrer ganzen Länge durchzieht und auch die Malpighi’schen 
Kapseln erfüllt. 

Heidenhain ist entgegengesetzter Ansicht und leugnet 
Jede Verbindung der Samenwege mit den Malpighi schen Kap- 
seln. Darnach würde man annehmen müssen, dass die dem 
Nebenhoden der höheren Wirbelthiere entsprechenden Abschnitte 
in den Ausfuhrwegen des Hodens vom Hoden aus entstanden 
seien. 

Spengel ist für Bufo der Ansicht Hyrtl’s und stimmt 
für Rana wiederum Heidenhain bei. 

Frankl bestätigt durch Injeetion die Communication der 
Malpighi’schen Kapseln mit den Querkanälen durch sagittale 
Commissuren. Nach seiner Annahme aber, die er durch das 
Schema in Figur 1 illustrirt, würde der Same einen ganz anderen 
Weg nehmen, als es Bidder und Hyrtl angenommen hatten. 

Soll man nun glauben, dass die eine Hälfte der genannten 
Beobachter sich geirrt hat, oder wäre es nicht vielmehr denkbar, 
dass beide Parteien Recht haben, dass jeder ein anderes Object, 
das heisst eine andere Species von Rana untersucht hat? 

Die vorgetragenen, entgegengesetzten Ansichten prüfte N uss- 
baum von diesem Gesichtspunkte und kam dabei zu folgenden 
Resultaten. 

Die beiden Species Rana temporaria, speciell die früher 
nicht als besondere Species bekannte Rana fusca und Rana escu- 
lenta wurden auseinandergehalten und an beiden eingehende Unter- 
suchungen angestellt. Schon in einem Sitzungsbericht der Nieder- 
rheinischen Gesellschaft vom Jahre 1877, also drei Jahre nach 
Bekanntwerden der Resultate Heidenhain’s, äussert sich Nuss- 
baum folgendermaassen: „Auch bei erwachsenen Thieren von 
Rana esceulenta können die Glomeruli in den samenableitenden 
Harnkanälchen erhalten bleiben. In den mit Samenfäden erfüllten 
Kapseln fehlt der Glomerulus nicht und in allen Abschnitten der 
betreffenden Harnkanäle finden sich Samenfäden.“ 

In einer späteren Arbeit vom Jahre 1886: Ueber den Bau 
und die Thätigkeit der Drüsen (Archiv für mikr. Anat. Bd. 27. 
pag. 456) kommt er wieder zu dem Resultate, dass bei Rana 
esculenta das Hodennetz in ächte Malpighi’sche Körperchen 
einmündet. 

Auch beim grossen ungarischen Wasserfrosch stehen nach 


172 Hans Beissner: 


seinen Untersuchungen gewöhnlich mehrere Malpighi’sche Kör- 
perchen, dicht bei einander gelagert, durch Kanäle, die vom 
ventralen Pole des Bowman schen Kapselraums ausgehen, mit 
dem Bidder’schen Längskanal und weiterhin mit dem Hoden- 
netze in offener Verbindung. 

Bei Rana temporaria, speciell der neuen Species Rana 
fusca dagegen liegen die Verhältnisse ganz anders. Dort sind 
während der Paarungszeit alle ächten Malpighi'schen Körper- 
chen frei von Sperma und eine direete offene Verbindung der- 
selben mit dem Bidder’schen Längskanal und dem Hodennetze 
wie bei Rana esculenta fehlt. Der Spermastrom geht hier 
von dem Längskanal aus durch die Ampullen, die Malpighi- 
sche Kapseln darstellen, deren Glomerulus zu Grunde gegangen 
ist, in eine Anzahl Querkanäle, die durch die ganze Niere hin- 
durchziehen, in das Vas deferens oder den Ureter münden. In 
seiner Arbeit: Ueber die Entwicklung der samenableitenden Wege 
bei den Anuren (Zool. Anz. Bd. III. pag. 502, 1880) hat Nussbaum 
nun auch nachgewiesen, dass die samenableitenden Wege aus 
der Niere hervorsprossen und sich erst seeundär mit den Anlagen 
des samenbildenden Theiles des Hodens verbinden. Bei Rana 
esculenta bleibt diese Verbindung der Bowman schen Kapseln 
mit dem funetionellen Theile des Hodens auch ferner bestehen 
und der Spermastrom geht durch diese Verbindungen, durch die 
Malpighi'schen Körperchen, deren Glomerulus erhalten bleibt und 
durch die Harnkanälchen in den Querkanal und von da aus zum 
Ureter. Bei Rana fusca jedoch ist diese Art von Verbindung 
nur kurze Zeit nach ihrem ersten Auftreten während der Ent- 
wieklungsperiode vorhanden. Später gehen der Glomerulus und 
die secernirenden Theile des betreffenden Harnkanälchens zu 
Grunde, und es bleibt von ihm nur die Verbindung zwischen 
Längskanal und Querkanal mit eingeschalteter Ampulle übrig. 

In der jüngsten Mittheilung (Zool. Anzeiger 1897, Nr. 544, 
pag. 425) geht Nussbaum nochmals auf die Unterschiede ein, 
welche in der Ausgestaltung der samenableitenden Wege der 
beiden bekanntesten Froschspecies bestehen; er hebt die Eigen- 
thümlichkeiten im Bau der homologen Theile bei anuren und 
urodelen Amphibien und den höheren Wirbelthierklassen hervor, 
und betont die Bedeutung der allmählichen Umwandlung, deren 
einzelne Etappen sich hier in lückenloser Stufenfolge bei fer- 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca ete. 173 


tigen Thieren erhalten haben. Bei anderen fort- oder rück- 
schreitenden Abänderungen kann die Continuität oft nur durch 
das Studium der embryonalen Periode erkannt werden, wie 
sich dies schon an demselben Organ — der Amphibienniere — 
mit Bezug auf das verschiedene Verhalten der Wimpertrichter 
ergiebt. 

Nussbaum hat also durch seine Untersuchungen darge- 
than, dass alle früheren Autoren zum Theil Recht behalten, dass 
aber einige nur RKana fusca, andere nur Rana esculenta 
untersucht haben; denn bei diesen Froschspecies sind die Strassen, 
welehe die Samenfäden vom Hoden zum Ureter zurücklegen, ge- 
rade so verschieden, wie die Samenfäden selbst. 

Zu meinen Untersuchungen bediente ich mich zuerst der 
Species Rana fusca. Ich tödtete einige seit einigen Tagen in 
Copulation befindliche Männchen durch Chloroform; schnitt die 
Nieren heraus, härtete sie in Alkohol von steigender Concentration 
und bettete sie in Paraffin ein. Von einer künstlichen Injection 
der Niere wurde vorsätzlich zunächst abgesehen, da mir die na- 
türlich mit Sperma gefüllte ein genaueres und fehlerfreieres Bild 
zu bieten schien. 

Auf einem Querschnitte eines solchen Objectes, wie ihn 
Figur 1 darstellt, sieht man nun bei schwacher Vergrösserung 
zunächst ein Vas efferens in den Längskanal, der auf dem Quer- 
schnitt getroffen ist, einmünden und dann in leichtem Bogen näher 
der dorsalen Seite der Niere durch das Parenchym ziehen. Dieses 
Anfangsstück muss eine leichte Krümmung machen, da es auf 
der ventralen Seite aus dem Längskanal heraustritt und sich im 
Inneren der Niere nach der dorsalen Seite hinwendet. Die an 
der ventralen Seite gelegenen Malpighi’'schen Körper sind 
sämmtlich frei von Spermatozoen, während der Querkanal und 
seine Seitenzweige von Sperma vollständig erfüllt sind. Bei 
Sehnitten, die von künstlich mit Berliner Blau injieirten Nieren 
angefertigt sind, fand sich jedoch auch in den Malpighi- 
schen Körpern Injectionsmasse, aber Sagittalkommissuren, wie sie 
Frankl in seiner Arbeit beschreibt, sind mir trotz eifrigen 
Suchens nicht zu Gesicht gekommen. Ich fand oft mit Berliner 
Blau gefüllte Harnkanälchen von den Malpighi’schen Körpern 
ausgehend, nach dem Querkanal ziehen und lateral, dicht vor ihm 
enden. Untersuchte man aber dann die folgenden Serienschnitte, 


174 Hans Beissner: 


so sah man den Querkanal allmählich verschwinden und das 
Harnkanälchen unter ihm hinwegziehen und umbiegen. 

In Figur 2—-6 ist an aufeinander folgenden Sehnitten der 
Uebergang von Längskanal zu Ampulle und Querkanal genauer 
dargestellt. Aus diesen Serienschnitten ist auch ersichtlich, dass 
das Anfangsstück des Querkanals, ehe es sich zur Ampulle er- 
weitert, nicht in direet horizontaler Richtung aus dem Längs- 
kanal hervorgeht, sondern dass es sogleich nach seinem Austritt 
eine Krümmung nach dem Kopfstück der Niere zu macht, dann 
nach dem lateralen Nierenrande zu umbiegt und sich zur Ampulle 
erweitert. Dies geht besonders deutlich aus Figur 6 hervor, wo 
der Querkanal mit einem Stück der Ampulle dem Längskanal 
ohne eine Verbindung dicht angelagert ist. Diese Verbindung, 
die in der oral gerichteten Krümmung liegt, ist in den vorher- 
gehenden Schnitten 4 und 5 sichtbar. 


Figur1. Schema zu Rana fusca. 


Der Längskanal und die folgenden Theile sind hier wie- 
derum voll von Spermatozoen, während ein dicht daneben gela- 
gertes Malpighi'sches Körperchen davon völlig frei ist. Ebenso 
waren aber auch alle anderen Malpighi'schen Körperchen der 
Niere frei von Samenfäden. | 

Bei Rana fusca nimmt also das Sperma vom Hoden aus 
seinen Weg durch die im Mesorchium verlaufenden Vasa efferentia 
testis, die sich am medialen Rande der Niere zu dem Bidder- 
schen Längskanal vereinigen, strömt dann durch die Ampullen 
und die Querkanäle zum Ureter. 

An dem vorstehenden Schema habe ich diese Verhältnisse 
möglichst einfach und klar darzustellen versucht. Ve bezeichnet ein 
Vas efferens testis, Z den Bidder' schen Längskanal im Quer- 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca ete. 175 


schnitt, Qu den Querkanal mit der Ampulle A, gl einen Glome- 
rulus mit seinen Harnkanälchen, 7, /7, III, IV, S die aufeinan- 
derfolgenden Abschnitte eines Harnkanälchens, U den Ureter im 
Querschnitt. | 

Bei Stauung von Sperma kann dasselbe selbstverständlich 
vom Querkanal aus rückwärts bis in die Malpighi schen Kapseln 
gelangen, wie ja auch die Injeetionsmasse, die unter ziemlich 
starkem Drucke vom Ureter aus eingespritzt wird, dieselben erfüllt. 

Nach Klarlegung dieser Verhältnisse bei Rana fusca 
wandte ich mich nun der anderen Species Rana esculenta zu, 
indem ich bei Herstellung der Präparate in derselben Weise vor- 
ging, und wiederum zuerst zur Brunstzeit natürlich injieirte Nieren 
untersuchte. Hier ist das Bild, welches sich an feinen Schnitten 
durch die gehärteten Nieren darbietet, ein ganz anderes. Was 
zunächst auffällt ist, dass fast alle dem medialen Nierenrande 
nahe gelegenen Bowman'schen Kapseln, nur wenige ausge- 
nommen, mit Sperma erfüllt sind, ebenso auch alle Abschnitte 
der zugehörigen Harnkanälchen. In den Figuren 7, 8, 9 sind der 
erste, zweite und vierte Abschnitt eines Harnkanälchens, die sich 
Ja bekanntlich durch die verschiedenen Arten ihrer Zellen unter- 
scheiden, dargestellt, und alle sind erfüllt von Spermatosomen. 

Weiterhin fällt bei der Betrachtung auf, was auch Frank] 
in seiner Arbeit bereits erwähnt hat, dass am ventralen Rande 
der Niere ein zweiter Querkanal durch das Nierenparenchym 
zieht, den Frankl als ventralen Querkanal bezeichnet. Von 
diesem Querkanale nun sieht man Kanälchen abgehen, die in 
die Malpighisschen Körperchen einmünden (Fig. 10). Meistens 
ist jede einzelne Kapsel durch ein besonderes Röhrchen mit dem 
Hauptkanal verbunden, manchmal aber sieht man auch, wie in 
Figur 11, einen Kanal sich theilen und zwei Kapseln versorgen, 
wie dies schon von Nussbaum beschrieben und abgebildet 
wurde!). Neben den mit Sperma erfüllten Malpighi schen 
Körperchen kommen auch solche vor, die davon vollständig frei 
sind, und die keine Verbindung mit dem ventralen Querkanal, 
den ich den zuführenden Querkanal zu nennen vorschlage, zeigen, 
die also denen bei Rana fusca gleichen, und nur eine harnab- 
scheidende Thätigkeit entfalten. 


1) Arch. f. mikr. Anatomie Bd. 27. 


176 Hans Beissner: 


Eine Ampulle, wie sie bei Rana fusca vorhanden ist, 
fehlt und ihre Stelle wird von dem ersten, mit dem zuführenden 
Querkanal verbundenen Malpighi’schen Körperchen eingenommen, 
dessen Glomerulus aber in allen Fällen erhalten ist. Der Gang 
des Spermas bei Rana eseulenta ist also hiernach folgender: 
Zunächst gelangt das Sperma wieder in den Bidder’schen 
Längskanal, der auf der ventralen Seite der Niere zuführende 
Querkanäle durch das Parenchym absendet. Aus diesen strömt 
das Sperma durch einfache oder verzweigte Röhrchen in einige 
Malpighische Körperchen, dann durch die zugehörigen Harn- 
kanälchen, sammelt sich in den abführenden Querkanälen und 
gelangt durch diese mit dem Harn in den Ureter. 


Das beigefügte Schema giebt auch diese Verhältnisse, 
wie ich glaube, klar und deutlich wieder. V.e. wie bei Rana 
fusca ein Vas efferens des Mesorchium, Z der im Querschnitt dar- 
gestellte Längskanal, Z. Qu. ein zuführender Querkanal, V ein 
Verbindungsröhrehen mit den Malpighi’schen Körpern, Qu der 
abführende Querkanal, U der Ureter. Ausserdem ist in das 
Schema ein Harnkanälchen eingetragen worden, dessen Malpighi- 
sches Körperehen ohne Verbindung mit dem Querkanal bleibt. 

Noch klarer werden diese Verhältnisse, wenn man sich mit 
der Entwieklungsgeschichte der Anuren vertraut macht, und so 
möchte ich hier nock kurz eine Arbeit von M. Nussbaum: Ueber 
die Entwicklung der samenableitenden Wege bei den Anuren 
(Zool. Anzeiger Bd. III. 1880) anführen. Er sagt auf pag. 502 
folgendermaassen: „Fortgesetzte Untersuchungen haben nun er- 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca ete. 177 


geben, dass wie Semper dies für die Selachier, Braun für 
die Reptilien nachgewiesen hat, die samenableitenden Wege aus 
der Niere hervorsprossen und sich secundär mit den Anlagen des 
samenbildenden Theiles des Hodens verbinden. Es wachsen 
nämlich von sieben bis acht Harnkanälchen feine Schläuche als 
Ausbuchtungen der Bowman’schen Kapseln in das Mesorchium 
hinein und verbinden sich, an ihren vorderen Enden sich baum- 
artig verzweigend, mit den aus den Urgeschlechtszellen hervor- 
gegangenen Zellennestern. Diese Anlage der ableitenden Samen- 
wege existirt schon bei zweibeinigen Larven, die Verbindung mit 
dem funetionellen Hodenparenchym kommt erst beim metamor- 
phosirten Thiere Mitte August zu Stande, während in der Zwischen- 
zeit alle Uebergänge beobachtet werden.“ 

Dieser Zustand bleibt nun bei Rana esculenta bestehen. 
Bei Rana fusca jedoch sind nur die primären Urnierenkanälchen 
mit dem Hoden verbunden. Sie verlieren aber vor der Ge- 
schlechtsreife ihren Charakter als Harnkanäle; ihre Glomeruli 
gehen zu Grunde und ihre Bowman’schen Kapseln liefern die 
Ampullen. 

Am Schlusse meiner Arbeit möchte ich noch eine Ansicht 
Frankl’s in Betreff der Peritonealtrichter richtig stellen. Er 
sagt in seiner Arbeit, dass er, was die Peritonealtrichter angehe, 
der Meinung Hoffmann’s und Nussbaum'’s beistimme, die 
da behaupten, dass diese Trichter bei den Anuren sich vom 
Halse der Malpighischen Kapseln loslösen und als blindge- 
schlossene Röhren weiterwachsen. Er begründet seine Behaup- 
tung dadurch, dass er sagt, falls die Trichter mit den Harn- 
kanälehen eommunieirten, so müsste auch nothwendig bei seinen 
Präparaten Injectionsmasse in den Aussentrichtern zu finden sein, 
was aber nicht der Fall wäre. Aus diesem Injectionsversuch den 
Schluss zu ziehen, dass die Wimpertrichter nicht mit den Harn- 
kanälchen zusammenhängen, ist durchaus berechtigt, und schon 
dieser Versuch würde die Unrichtigkeit der von Spengel!) 
herrührenden Auffassung von der Einmündung der Wimpertrichter 
in den vierten Abschnitt der Harnkanäle zur Genüge darthun. 
Damit wäre aber die Frage nach ihrem wirklichen Verhalten 
noch nicht entschieden. Sie blind endigen zu lassen, geht deshalb 


1) Arbeiten aus dem zool. zootom. Institut der Universität Würz- 
burg Bd. III. 1870. 


178 Hans Beissner: 


nicht, weil dies nicht dem thatsächlichen Verhalten entspricht, 
und überdies schon vor 18 Jahren Nussbaum!) ihre Endigung 
in die ventralen Nierenvenen nachgewiesen hat. Seine Entdeekung 
ist von Wichmann?) A. M. Marshall und E. J. Bles?) 
bestätigt worden. 

Die Wimpertrichter münden bei Rana, Bufo und Bombinator 
in die ableitenden Venen der Niere ein, nachdem sie kurze Zeit in 
der Larve mit dem Halse der Harnkanälchen zusammengehangen 
haben; ein Zusammenhang, der sobald der Glomerulus entwickelt 
ist, zu Grunde geht. In Abbildung 12 ist ein solcher Peritoneal- 
trichter und seine Einmündung in eine Vene der ventralen Nieren- 
fläche von Rana esculenta dargestellt. 


Literatur-Verzeichniss. 


Bidder, Männliche Geschlechts- und Harnwerkzeuge der nackten 
Amphibien. 1846. 

Hyrtl, Ueber die Injection der Wirbelthierniere und deren Ergeb- 
nisse. (Wiener Sitzungsber. d. kais. Acad. d. Wissenschaften Bd. 47. 
Abth. 1.) 

Heidenhain, Mikroskopische Beiträge zur Anatomie und Physiologie 
der Nieren. (Archiv für mwikr. Anatomie Bd. X. 1874.) 

Spengel, Das Urogenitalsystem der Amphibien. (Arbeiten aus dem 
z00l.-zootom. Institut zu Würzburg Bd. III. 1876—77, pag. 102.) 
Nussbaum. (Sitzungsbericht der Niederrheinischen Gesellschaft 1877.) 
Derselbe, Ueber die Entwicklung der samenableitenden Wege bei 
den Anuren. (Zool. Anzeiger Bd. III. 1880, pag. 502 und 514.) 

Derselbe, ebenda 1897, pag. 425. 

Derselbe, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. (Archiv 
für mikr. Anatomie Bd. 27. 1856, pag. 456.) 

Ralf Wichmann, Inaugural-Dissertation. Bonn 1884. 

Marshall und Bles, Studies from the biological laboratories of the 
Owens College Vol. II. Manchester 1890. 

Frankl, Die Ausfuhrwege der Harnsamenniere des Frosches. (Zeit- 
schrift für wissenschaftl. Zoologie Bd. 63. Heft. 1. 1897.) 


1) Zoologischer Anzeiger Bd. III. 1880, pag. 514 und d. Archiv 
Bd. 27. 1880. 

2) Beiträge zur Kenntniss des Baues und der Entwicklung der 
Nierenorgane der Batrachier. Inaug.-Dissert. Bonn 1884. 

3) Studies from the biologieal laboratories of the Owens College. 
Vol. II 1890, pag. 150. 


Fig. 


Fig. 


Der Bau der samenableitenden Wege bei Rana fusca ete. 179 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX. 


Sämmtliche Zeichnungen sind mit Hülfe des Abb&’schen Zeichen- 
apparates in der Höhe des Objecttisches von ungefähr 15 u dicken 
Serienschnitten entworfen. Die Präparate für Fig. 1—6 stammen aus 
Nieren von Rana fusca, während die Präparate zu Fig. 7—12 Nieren 
von Rana esculenta entnommen sind. 


1% 


(Gez. mit Zeiss A, Oec. 2.) Vollständiger Querschnitt durch 
die rechte Niere von Rana fusca. Links im Schnitt ist der 
mediale, rechts der laterale Rand, oben die ventrale, unten 
die dorsale Fläche der Niere gelegen. Der mediale Rand 
zeigt ein Vas efferens testis im Längsschnitt, den Längskanal 
im Querschnitt und beide von Sperma erfüllt. Der ebenfalls 
mit Spermatosomen gefüllte Querkanal zieht der dorsalen 
Seite genähert durch die Niere hindurch. U, Ureter. 


2—6. (Gez. mit Zeiss CC, Oc. 2.) Fünf aufeinander folgende 


»alldh 


10,11. 


Querschnitte durch den medialen Theil der Niere von Rana 
fusca. g=Glomerulus, Y=Vene, = Längskanal, a = Am- 
pulle, A= Harnkanälchen, Qu —= Querkanal. In dem Längs- 
kanal, der Ampulle und dem Querkanal finden sich Sperma- 
tosomen. 

(Gez. mit Zeiss F, Oe. 1.) I. Abschnitt oder Hals eines Harn- 
kanälchens aus der Niere von Rana esculenta auf dem Schräg- 
schnitt. Das Harnkanälchen geht nach oben in die Bow- 
man’sche Kapsel über, von der nur ein Theil abgebildet 
ist. Im Inneren eine Menge von Spermatozoen. Die Zellen 
der Harnkanälchenwandung sind mit den für den ersten Ab- 
schnitt charakteristischen langen Cilien besetzt. 

(Gez. mit Zeiss F, Oe. 1.) II. Abschnitt eines Harnkanäl- 
chens von Rana esculenta auf dem Querschnitt. Im Inneren 
ebenfalls Spermatosomen. Die Zellen mit einem schmalen 
Fransenbesatz. 

(Gez. mit Zeiss F, Oec. 1.) IV. Abschnitt eines Harnkanälchens 
von Rana esculenta. Querschnitt mit Sperma. Die Zellen 
ohne Besatz, aber mit feiner Strichelung ihres Protoplasmas. 
(Gez. mit Zeiss A, Oec. 3.) Rana esculenta. B=Bowman- 
sche Kapsel, gl = Glomerulus, Sp=Spermatosomen, # = Röhr- 
chen, welches vom zuführenden Querkanal kommend in die 
Bowman’sche Kapsel einmündet, 7 = Harnkanälchen. 

(Gez. mit Zeiss A, Oe. 3.) Rana esculenta. Z. Qu. = Zu- 
führender Querkanal, R = Röhrchen, gl = Glomerulus. 


. (Gez. mit Zeiss CC, Oe. 3). Stück aus dem ventralen Rande 


eines Nierenquerschnittes von Rana esculenta. W = Wimper- 
trichter, V= Vene. Man sieht den Wimpertrichter auf dem 
Längsschnitt getroffen und in eine Vene einmünden. 


180 


(Aus dem anat. Institut der Universität Breslau.) 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 


Von 


Dr. Karl Peter, 
Privat-Docent und Assistent am anatomischen Institut. 


Hierzu Tafel X. 


So zahlreich auch die Arbeiten auf dem Gebiete der Sper- 
matogenese sind, welche in den letzten Jahren veröffentlicht 
wurden, so beschränken sie sich doch fast ausschliesslich darauf, 
die Entwieklung der einzelnen Abschnitte des Samenfadens zu 
verfolgen. Namentlich gingen die Forscher darauf aus, die ein- 
zelnen Bestandtheile der Zelle, deren Bedeutung für das indi- 
viduelle Leben der Zelle und für die Befruchtung man erkannt 
hatte, im Spermatozoon wiederzufinden, und darin sind sie bei 
verschiedenen Thieren (Selachier, Amphibien, Säuger) zu auf- 
fallend gleichen Resultaten gelangt. Dagegen scheint die Frage 
nach der Bedeutung des zweiten Elementes im Hodenkanälchen, 
der sog. Sertoli’schen Zelle, in letzter Zeit mehr vernachlässigt 
worden zu sein. Nach Benda’s umfassenden Untersuchungen über 
den Bau des funktionirenden Samenkanälchens bei den Säuge- 
thieren (1887 b), in welchen die Rolle der „Fusszelle“ bei mehreren 
Säugern ausführlich dargelegt wurde, ist meines Wissens nur 
eine einzige Arbeit publizirt worden, welche auf die interessanten 
Verhältnisse der Konjugation der reifenden Spermatozoen mit 
den Fusszellen auch bei anderen Wirbelthieren näher eingeht: 
ich meine Etzold’s Aufsatz über den Testikel des Sperlings 
(1891). Im übrigen ist diese Frage bei anderen Thieren trotz 
der unten wiedergegebenen Notiz Benda’s nicht eingehend 
ventilirt worden. 

Existiren nun schon Lücken in unserer Kenntniss vom Vor- 
kommen einer so eigenartigen Anordnung von Zellen, wie sie 
Samenfaden und Sertoli’sche Elemente bieten, so habe ich über- 
haupt noch nirgends gefunden, dass die Nothwendigkeit dieser 
Anlagerung zu erklären versucht wurde. Man begnügte sich 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 181 


mit der Hypothese, dass die „Fusszellen“ den reifenden Samen- 
körpern Nährstoffe zuführten, ohne darüber nachzudenken, wes- 
halb diese einer solehen Ernährung bedürfen. So muss v. Len- 
hoss&ek noch in seiner in diesem Jahre (1898) erschienenen 
Arbeit über die Spermatogenese der Ratte von dieser Konjugation 
bekennen, dass wir ihr „vom Gesichtspunkte eines kausalen 
Erkennens auch noch heute wie einem Räthsel gegenüberstehen“. 

Ich unternahm es nun, vorerst der Frage nachzugehen, wie 
weit eine Anlagerung reifender Samenzellen an nährende Elemente 
bei den Vertebraten und weiterhin bei den Wirbellosen ver- 
breitet sei, um dann zu untersuchen, ob sich nicht ein Grund für 
diesen eigenartigen Prozess finden liesse. 

Das letzte, was betrefis der Konjugation bei mehreren 
Wirbelthierklassen geschrieben wurde, bildet eine kurze Notiz 
von Benda (1887 a) auf der 1. Anatomenversammlung zu Leip- 
zig, die folgendermaassen lautet: 

„Im grösseren Kreise der Wirbelthierreihe fand ich nur bei 
Vögeln und Reptilien ähnliche Verhältnisse der Zellbildung wie 
bei den Säugethieren, die Verhältnisse der Konjugation bei 
Vögeln, Amphibien (ausser Bombinator), Selachiern; undeutliche 
Kopulation bei Reptilien und Bombinator, sicheres Fehlen eines 
derartigen Vorganges bei Knochenfischen. 

In allen Wirbelthierklassen, ausser den Knochenfischen, 
finden sich aber im Hoden zwei morphologisch und funktionell 
verschiedene Zellarten ete.“ 

Bei dem Lesen dieser Zeilen fiel mir auf, dass die Ge- 
schlechtsorgane der Teleostier nach einem Typus gebaut sein 
sollten, der von dem aller übrigen Vertebraten so sehr abweicht. 
Da nun weiterhin Prenant in seiner öfters zu zitirenden Arbeit 
über die Bedeutung der „accessorischen* Zelle im Hoden (1892) 
bei ausgedehnter Berücksichtigung der einschlägigen Literatur 
über Wirbelthiere und Wirbellose die Knochenfische mit keinem Wort 
erwähnt, glaubte ich erst mich über den Bau der Testikel in 
dieser Thierklasse informiren zu müssen. Ich schicke eine kurze 
Beschreibung derselben voraus; dann wird die in Betracht 
kommende Literatur und zum Vergleich die histologische Be- 
schaffenheit der Hoden der übrigen Vertebraten und der Everte- 
braten besprochen werden, und daran werden sich einige theore- 
tische Erörterungen anknüpfen. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 13 


182 Karl Peter: 


Dass der Bau des Hodens bei den Teleostiern so selten 
Gegenstand der Untersuchung geworden ist, dass die Histiogenese 
ihrer Spermatozoen überhaupt noch keinen Bearbeiter gefunden 
hat, liegt an der Kleinheit der Elemente; vor allem sind die 
massenhaft produzirten Samenkörper so minutiös, dass nur die 
stärksten Vergrösserungen über ihre Zusammensetzung Kunde 
geben. Auch hier werde ich die Entwicklung und Ausgestaltung 
der Spermatozoen nicht in den Rahmen der Besprechung einziehen. 

Zur Untersuchung gelangten die männlichen Geschlechts- 
drüsen von Hecht, Barsch und Schleie während der Winter- und 
Frühjahrsmonate. Stücke eines Hodens wurden dem eben ge- 
tödteten Thier entnommen und inHermann’scher oder heisser 
Zenker’scher Flüssigkeit fixirt. Die Weiterbehandlung ge- 
schah nach bekannten Regeln. Nachhärten in allmählich ver- 
stärktem Alkohol (bei den Sublimatpräparaten mit Jodirung), 
Xylol, Xylol-Paraffin, Einbetten in Paraffin. Die Fixationsmittel 
erwiesen sich beide als brauchbar; das Osmiumsäuregemisch ver- 
dient insofern den Vorzug, als es nicht die geringsten Schrum- 
pfungen entstehen lässt. Oft wirken aber die intensiv schwarz 
gefärbten Fettmassen sehr störend, da sie mitunter ganze Zellen 
erfüllen und so ein Studium feinerer Verhältnisse unmöglich machen. 
Zur Bleichung der Präparate wandte ich, wenn nöthig, Wasser- 
stoffsuperoxyd nach v. Erlanger’s Vorschrift (1895), da es auf 
histologische Details nicht immer ankam, mit Erfolg an. Will 
man aber die feinere Struktur der Zelle besonders während der 
Theilung studiren, so darf man die Schnitte nicht bleiehen — 
wenigstens nicht nach den oben angegebenen Regeln —, es 
entstehen nämlich durch das Wasserstoffsuperoxyd innerhalb der 
Zellen Quellungen, welche die Klarheit des histologischen Bildes 
beeinträchtigen. Das haben mir in genau gleicher Weise behan- 
delte Kontrollpräparate bewiesen. Während die ungebleichten 
Sehnitte ausserordentlich klar alle Einzelheiten der Kern- und 
Plasmastruktur zeigten, wurde es an denen, welche der Wirkung des 
Wasserstoffsuperoxyds ausgesetzt worden waren, unmöglich, feinere 
Gebilde wie Spindelfasern oder Centralkörper (an Zellen des 
Tritonhodens) zu studiren, da diese ganz verquollen waren. 

Die Färbung wurde meist nach der M. Heidenhain- 
schen Hämatoxylinmethode (1894), die auch gute Uebersichts- 
bilder liefert, vorgenommen. Heidenhain hat in seiner letzten 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 183 


Abhandlung über diese Tinktion (1896) an Stelle der Böhmer- 
schen alte Weigert’sche Hämatoxylinlösung empfohlen, die 10 °/, 
Alkohol enthält. Ich versuchte nun, ob nicht ein noch stärkerer 
Spiritusgehalt der Farblösung die Klarheit der Präparate er- 
höhte und wandte eine von Hermann (1891a) empfohlene 
Mischung (1 gr Hämatoxylin, 70 Alkohol absol., 30 aqu. destill.) 
an, und zwar bei Schnitten von Tritonhoden, die in Hermann- 
scher Flüssigkeit fixirt waren, mit überraschend gutem Erfolge. 
Zellen in Kinese zeigten hell grünbraune, stark glänzende Chromo- 
somen; die Centrosomen waren scharf sichtbar und intensiv 
schwarz gefärbt; sehr deutlich nahmen sich die Spindelfasern 
aus, welche dunkel graublaue Farbe trugen. Diese äusserst 
sauberen Präparate waren sehr leicht herzustellen. Die Schnitte 
wurden in eine 2!/,°/, wässrige Lösung von Eisenoxydammon 
gebracht und daselbst '/,—1 Tag belassen (auch Meves (1897) 
empfiehlt ein längeres Verweilen in dieser Flüssigkeit). Nach 
kurzem Abspülen in Wasser gelangten die Schnitte in die Farb- 
mischung, in welcher sie 1—2 Tage verweilten. Hierauf wieder 
Abspülen in Wasser und differenziren in der Eisenlösung, dann 
Wasser, Alkohol, Xylol, Kanadabalsam. Uebrigens habe ich ver- 
sucht, das Wasser völlig aus der Färbeprozedur zu verdrängen ; 
ich habe das Eisensalz in 70°/, Alkohol gelöst, was bis zu etwa 
2°/, ohne Schwierigkeit gelingt, und habe auch das spätere 
Auswaschen in Spiritus vorgenommen. Die so behandelten Prä- 
parate zeigten dieselben scharfen Bilder, wie die durch wässrige 
Lösungen geführten, ohne dass ich eine grössere Klarheit zu 
konstatiren vermochte. Protoplasmafärbungen habe ich übrigens 
nachträglich zahlreiche angewandt; das von Benda empfohlene 
Säureviolett und Lichtgrün in alkoholischer Lösung (0,2 Farb- 
stoff auf 80,0 Alkohol absol.) leistete mir gute Dienste durch 
schärferes Hervortretenlassen der Zellgrenzen. 


Ein Schnitt durch den Testikel einer Schlei zeigt nun zum 
Beginn der Samenbildung folgendes Bild. Bindegewebsstränge 
durchziehen das Organ und theilen einzelne Partieen ab, die 
sich theils durch ihre rundliche Form als Querschnitte, theils 
durch langgestreckte Gestalt als Schräg- bezw. Längsschnitte 
der Hodenkanälchen dokumentiren. Diese Abtheilungen lassen 
einen centralen Hohlraum und einen wandständigen Zellenbelag 


184 Karl Peter: 


erkennen, sind aber oft so vollgepfropft mit Zellen, dass das 
Lumen auf einen Spalt reducirt scheint oder gänzlich geschwunden 
ist. Unter den Elementen, welche diese Kanälchen erfüllen, 
fallen nun 2 gänzlich verschiedene Formen in’s Auge. Die eine 
Zellart (Fig. 1 5) ist gross, hat eine deutliche Membran und 
helles Protoplasma, welches um den Kern herum oft ein diehteres, 
gekörntes Aussehen gewinnt. Der letztere ist gross, bläschen- 
förmig und trägt einen auffallend voluminösen Nucleolus, von 
dem aus grobe Chromatinstränge nach der Kernperipherie hin- 
laufend den Nucleus durchsetzen. Am Rande sind wieder gröbere 
Chromatinbrocken angehäuft. 

Zwischen diesen Zellen finden sich nun eingestreut Kerne 
(Fig. 1,2 N) von dunklem Aussehen, bedingt durch reichlich 
vorhandenes, fein vertheiltes Chromatin und von unregelmässiger 
Gestalt. Ein Nucleolus scheint nicht regelmässig vorzukommen. 
Diese Kerne zwängen sich in die Zwischenräume zwischen den 
runden Elementen ein und richten sieh in ihrer Form völlig 
nach dem ihnen gebotenen Raum, so dass sie langgestreckt, 3 
oder 4 eckig gestaltet sind (Fig. 2 N). Das Protoplasma, welches 
die Kerne einhüllt, schiebt sich noch weiter zwischen die grossen 
Zellen ein und bildet so eine deutlich erkennbare Intereellular- 
substanz für dieselben. Zellgrenzen lassen sich an diesem Plasma 
nirgends wahrnehmen; die unregelmässigen Kerne gehören also 
nicht getrennten Zellindividuen an, sondern wir haben es mit 
einem Syneytium zu thun, in welchem die beschriebenen runden 
Zellen gelegen sind. Auf diesen Punkt werde ich später noch 
zurückkommen; es wird sich nämlich ergeben, dass eine solche 
kernhaltige Plasmamasse sich im Hoden aller Wirbelthiere 
findet. Dass diese Kerne übrigens zu den grossen Zellen in Be- 
ziehung stehen, sie mit ihrem Plasma gewissermaassen einhüllen, 
erkennt man sehr deutlich an solchen Stellen, wo durch das 
Mikrotommesser eine der letzteren in’s Lumen eines Kanälchens 
verlagert ist: meist hat eine der grossen Zellen einen derartigen 
(dunklen, sichelförmig sich an die Membran anschmiegenden Kern 
mit sich herausgerissen. 

Eine Reihe von Fächern besteht ausschliesslich oder vorwie- 
gend aus diesen beiden Elementen. In den meisten (Fig. 3) treten 
aber noch andere Zellarten auf, die kleiner sind als die runden 
Zellen, dabei von verschiedener Grösse, dunkler und homogener, 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 185 


die sich aber durch ihre rundliche Gestalt, ihre deutliche Mem- 
bran und besonders durch das charakteristische Kernkörperchen 
im Centrum, welches sich öfters in mehrere kleinere getheilt hat, 
sicher als Abkömmlinge der erstbeschriebenen Zellen mit grossem 
runden Kern erweisen. Auch lassen sich histologisch alle Uebergänge 
von den grossen bis zu den kleinen Zellen nachweisen (Fig. 3 
5 5,85,8,). Ferner liegen die grossen Zellen unabhängig neben- 
einander, die kleineren Elemente sind dagegen in Nestern gruppirt, 
welche regellos im Kanälchen zerstreut sind und eine wechselnde 
Anzahl von Zellen beherbergen — oft nur 2 oder 4, oft eine grosse 
Menge. Am meisten ähneln den grossen runden Zellen nun die, 
welche nur zu zweit in einem solchen Nest liegen (S,); kleiner und 
dunkler stellen sich schon die Gebilde dar, welche in grösserer An- 
zahl zusammengelegen sind, während die zellreichsten Abtheilungen 
die kleinsten und am meisten umgestalteten Elemente beherbergen. 
Bedenkt man nun noch, dass alle derartig ein Nest erfüllenden 
Zellen sich in demselben Zustande der sog. Ruhe oder auf dem 
gleichen Stadium der Kinese befinden, so wird klar, dass wir es 
bei ihnen mit Abkömmlingen einer der grossen hellen Zellen zu 
thun haben. Die letzteren sind die Ursamenzellen; sie theilen 
sich wiederholt, und ihre Theilprodukte bleiben stets in einem 
engeren Zusammenhange. 

Obgleich nämlich die Zellgrenzen noch deutlich erkenn- 
bar sind, ist ein solches Nest gegen die Umgebung durch eine 
bedeutende Protoplasmamasse abgetrennt, die sich nach der 
Peripherie zu membranartig gestaltet. Während die unregel- 
mässigen Kerne im ersten Stadium zwischen den grossen runden 
Zellen regellos vertheilt erschienen (Fig. 2), liegen sie hier nur an 
der Peripherie der Nester, am häufigsten dem Lumen des Hoden- 
kanälchens zugekehrt. Sie haben sich übrigens sichtbar vergrössert. 
Wir haben es also hier mit echten Cysten- oder Follikelbildungen 
zu thun, wie wir sie später noch öfter antreffen werden. 

Uebrigens möchte ich schon hier darauf aufmerksam 
machen, dass die unregelmässigen Kerne durchaus nichts mit 
dem Bindegewebe zu thun haben, welches die einzelnen Hoden- 
kanälchen umgiebt. Ihr Plasma ist von den Fibrillen der Binde- 
substanz stets deutlich zu sondern. Die beiden Substanzen, 
welche die Zellen und Nester einerseits und die Samenkanälchen 
anderseits begrenzen, sind völlig differente Gebilde. 


156 KariwPp ever: 


Innerhalb dieser Follikel oder Cysten, deren Wand die un 
regelmässigen Kerne angehören, vollziehen sich die weiteren Akte 
der Spermatogenese und zwar so, dass eine solche Cyste stets 
genau dieselben Stadien aufweist. Nachdem die Elemente sich 
dureh Theilung bedeutend vermehrt und zugleich eine auffallende 
Kleinheit erlangt haben, verdichtet sich das Chromatin des Kerns 
in eben der Weise, wie es uns Flemming vom Salamander 
beschrieben hat. Damit leitet sich ein Vorgang ein, auf den 
ich grosses Gewicht legen möchte. Ich konnte ihn in gleicher 
Weise bei Hecht und Barsch verfolgen; für die Schleie fehlten 
mir gerade die betreffenden Stadien. 

Einer der unregelmässigen Kerne des Follikels, meist an 
der Basalmembran des Kanälchens gelegen, übt eine merkwürdige 
Anziehungskraft auf die Köpfe der reifenden Spermatozoen aus. 
Die unreifen Samenkörper, deren Schwanzfaden sich bereits er- 
kennen lässt, liegen anfangs regellos durcheinander. Allmählich 
ordnen sie sich aber in ganz bestimmter Weise so an, dass ihre 
kugeligen Köpfe sich nach der Wandzelle, also meist nach der 
Peripherie des Hodenkanälchens richten, während die Schwänze 
dem Lumen desselben zugekehrt sind (Fig. 4. Erst locker 
neben einander gelagert, drängen sie sich dann enger aneinander; 
die Köpfe liegen dabei in mehreren Schichten übereinander 
(Fig. 5). Kurz, man gewinnt den Eindruck, als ob ihnen in 
der Nähe des bedeutend vergrösserten Follikel- oder Cysten- 
kerns — wie wir den unregelmässigen Kern jetzt nennen können 
— die Umwandlung in ihre definitive Gestalt erleichtert würde. 
Dabei ist das Protoplasma dieser Cystenkerne zwar nach aussen 
membranartig abgeschlossen, nach dem Innern des Follikels lässt 
sich aber keine bestimmte Grenze für dasselbe nachweisen; es 
mischt sich zwisehen die Köpfe der reifenden 
Spermatozoen; diese tauchen in den Zellleib 
der -Kollikelzellenvein. Wirv'haben alsowau ch 
hiervein, dewtliches “Beispiel (einer :K opularıaa 
vor uns. Zwar hat es in Schnittpräparaten oft den Anschein, 
als ob eine Anzahl solcher mit Spermien erfüllter Cysten eine 
kernlose Wandung zeige, indess haben mich Serien davon 
überzeugt, dass sich mindestens ein grosser länglicher Kern 
in jedem Follikel nachweisen lässt; er braucht eben nicht gerade 
in den betreffenden Schnitt gefallen zu sein. 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 187 


Durch Reissen der umhüllenden Membran gelangen die 
Samenkörper in’s Innere der Hodenkanälchen, das sie prall an- 
füllen; auch da kann man an den Büscheln solcher Fäden leicht 
erkennen, dass die einer Samenmutterzelle entstammenden Elemente 
noch lange zusammenbleiben. 

Wir fanden also bei den Teleostiern im Hoden 2 Zellarten, 
deren eine die Samenelemente aus sich hervorgehen lässt, während 
die andere nur indirekt zur Spermatogenese in Beziehung steht, 
indem die reifenden Spermatozoen in deren Plasma eingelagert 
ihre definitive Gestalt erlangen. 


Sehen wir uns nun den Bau des Hodens bei den übrigen 
Vertebraten an, so treten uns wohl überall die beiden Zellarten 
entgegen. 

In der männlichen Geschlechtsdrüse des Amphioxus er- 
wähnt Langerhans zwar nur eine Art von Elementen, doch 
glaube ich, dass diese Angabe der Nachprüfung mit den heutigen 
Mitteln der Technik werth ist. 

Ueber die Hodenentwicklung bei den Cyelostomen habe 
ich in der Literatur keine Notiz finden können. 

Bei allen anderen Wirbelthierklassen werden stets 2 ver- 
schiedene Zellarten in den Samenkanälchen unterschieden. Aller- 
dings wird der Vergleich bei der Durchsicht der Literatur durch 
die Verwirrung, die in der Namengebnng herrscht, erschwert. 
Fast jeder Untersucher hat die beiden Elemente anders bezeichnet ; 
entweder glaubte er bei der Nomenklatur von einer diesen Ge- 
bilden zugesprochenen physiologischen Bedeutung ausgehen zu 
müssen, oder er hielt sich reservirt zurück und gab ihnen mög- 
lichst indifferente, von Gestalt oder Lage hergenommene Be- 
zeichnungen. So kommt es, dass Prenant 1892 nicht weniger 
als 17 verschiedene Namen aufführt, die alle für ein und dieselbe 
Zellart bei den Säugern, für die Sertoli’schen Gebilde gelten. 
Es war mir nun schwer zu entscheiden, nach welchen Angaben 
ich mieh richten sollte, um nicht noch ein neues Wort einzu- 
führen; während nämlich für die samenbereitenden Elemente die 
Nomenklatur von La Valette St. George’s allgemein angenommen 
ist, findet man für die andere Zellart des Hodens auch jetzt noch 
keine einheitliche Bezeichnung. Am weitesten verbreitet sind 
bei den Anamniern die Namen Follikel- oder Cystenzelle, 


188 KarlmPp:eiter: 


bei Amnioten Fuss- oder Sertolische Zelle. Da diese 
aber nur für je eine der beiden grossen Klassen Berechtigung 
haben, so möchte ich den von Gilson (1887) ursprünglich 
für Wirbellose vorgeschlagenen Namen „Nährzelle“ als allgemein 
verwendbar gebrauchen; diese Wahl wird auch noch weiter 
unten gerechtfertigt werden. 

Die Angaben über die Spermatogenese bei den Sela- 
ehiern sind infolge der Grösse der Elemente und der dadurch 
erleichterten Untersuchung sehr reichlich; besonders ist es das 
Verdienst vonSwaän und Masquelin (1883) die Rollen der 
beiden Zellarten während der Entwicklung der Samenfäden ver- 
folgt und klargelegt zu haben. In der gleichen Arbeit be- 
schreiben sie dieselben Verhältnisse bei dn Amphibien und 
setzen die Befunde bei beiden Thierklassen in Parallele. Bei 
Seyllium und Raja wie bei Salamandra fanden diese Autoren 
im Samenkanälchen einmal grosse, bläschenförmige Zellen mit 
deutlichen Grenzen, deren runder, grosser Kern grob vertheiltes 
Chromatin und einen Nucleolus enthält. Dann liegen um diese 
Elemente unregelmässig gestaltete Kerne, homogen mit fein ver- 
theilter ehromatischer Substanz und Kernkörperchen, und zwar in 
einem Protoplasma, das nieht durch Zellgrenzen eingetheilt ist. 
Jede der ersten Zellen ist eine Samenmutterzelle, eine Spermato- 
gonie, die sich wiederholt theilt; die Abkömmlinge werden dabei 
immer von der zweiten Zellart umhüllt. In der so gebildeten Cyste 
wandeln sich dann die stets gleichweit entwickelten Zellen zu den 
langen stabförmigen reifen Samenkörpern um, wobei sie sich 
streng parallel zu Bündeln vereinigen und mit den Köpfen in 
das Plasma einer „Nährzelle* des Follikels tauchen. 

Die eben wiedergegebenen Verhältnisse passen fast ganz 
genau auf die Befunde bei den Teleostiern; aus diesen Angaben 
folgt also, dass die Spermatogenese der Knochenfische, 
wie sie oben beschrieben wurde, sich durchaus so ver- 
hält, wie die der übrigen Anammier. Keinesfalls nehmen 
die Teleostier in Bezug auf die Samenbildung in der Reihe der 
Wirbelthiere die ihnen von Benda (1887 a) zugeschriebene 
exzeptionelle Stellung ein. Wir fanden ja erstens, dass auch 
die Teleostier zwei Zellarten in den Hodenkanälchen besitzen, von 
denen eine sich zu Spermatozoen umgestaltet, während die 
andere nur als Nährzelle fungirt. Der Befund dieser zwei diffe- 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 189 


renten Elemente ist durchaus nicht neu, und ich würde ihn 
nicht weiter hervorgehoben haben, wenn in der Literatur der 
Spermatogenese auf ihn Rücksicht genommen worden wäre. So- 
wohl Nussbaum (1880) wie Jungersen (1889) und Brock 
(1881) erwähnen bei ihren Untersuchungen über die Geschlechts- 
organe der Knochenfische die beiden Zellen und bilden sie richtig 
ab; Brock beschreibt sogar das Entstehen der Zellnester aus 
den grossen Elementen. 

Zweitens liess sich auch bei unseren Objekten eine Follikel- 
bildung mit Konjugation der Samenelemente verfolgen; eine 
Samenmutterzelle, von Cystenzellen umgeben, theilt sich wieder- 
holt. Ihre Tochterzellen befinden sich stets auf dem gleichen 
Stadium, wandeln sich innerhalb des Follikels gleichzeitig in 
Spermatozoen um und ordnen sich dabei so an, dass ihre Köpfe 
der Nährzelle zugekehrt, während die Schwänze nach dem Lumen 
des Kanälchens gerichtet sind: es ist das unleugbar derselbe Prozess 
der Kopulation, wie ihn Benda den Amphibien u. a. zuschreibt, 
während er ihn ebenso sicher den Teleostiern abspricht. Aller- 
dings ist diese Anlagerung nicht so in die Augen fallend, wie 
bei Amphibien und Selachiern, bei denen die Spermatozoen 
parallel zu Bündeln geordnet in’s Plasma der Nährzellen tauchen; 
doch beruht der Unterschied, wie mir scheint, weniger auf einer 
verschieden grossen Affinität der beiden Zellarten zu einander, 
als auf der Formverschiedenheit der Samenkörper. Es sollen 
nämlich die umgeformten Gebilde in der kugeligen Cyste offenbar 
möglichst günstig so angeordnet worden, dass sie alle in nahe Be- 
rührung mit nährenden Elementen kommen. Dies geschieht bei 
langen stabförmigen Körpern, wie bei den Samenfäden der Haie 
und Rochen natürlich so, dass sie sich parallel aneinander legen; 
für die kugelförmigen Köpfe der Teleostierspermatozoen würde 
eine derartige Nebeneinanderlagerung sehr ungünstig sein, da sie 
sehr viel Raum erfordern würde. Hier ist eine Gruppirung in 
mehreren Reihen hintereinander weit vortheilhafter; der gebotene 
Raum wird völlig ausgenutzt und auch die dem Lumen des 
Kanälchens näher gelegenen Elemente werden dem Kern der 
Nährzelle noch benachbart genug sein, um von ihm in geeigneter 
Weise beeinflusst zu werden. Ich glaube also, dass bei den 
Knochenfischen eine ebenso intensive Konjugation der Samen- 
zellen mit dem nährenden Elementen stattfindet, wie bei den 


190 Karl’ Peter: 


übrigen Anamniern. Kurz, die Untersuchung des Hodens der 
Teleostier brachte nichts Neues, sondern füllte nur eine Lücke 
aus und verwies diese Thierklasse auch in Bezug auf die Sperma- 
togenese unter die Anamnier. 

Bei den Amnioten werden gleichfalls stets zwei Zell- 
arten im Samenkanälchen unterschieden, wenn auch, wie be- 
kannt, der Bau der männlichen Geschlechtsdrüse ein anderer ist, 
als er von den niederen Vertebraten beschrieben wurde. Wir 
finden hier keine abgeschlossenen Follikel mehr, innerhalb derer 
sich eine Gruppe von Samenzellen gleichzeitig entwickelt; die 
Cysten sind gewissermaassen gesprengt und ihr Inhalt in der 
Längsrichtung der Hodenkanälchen gruppirt und zwar so, dass 
die Entwiekelung der Geschlechtsprodukte radiär nach der Mitte 
des Kanälchens zu erfolgt. Zwischen den Nährzellen, die in 
Abständen an der Basalmembran gelegen sind, finden sich die 
Samenmutterzellen. Die Abkömmlinge derselben rücken nach 
dem Lumen des Kanälchens, so dass die jüngsten Stadien am 
weitesten von der Peripherie entfernt sind. Dann erfolgt aber 
eine Umlagerung: die reifenden Spermatozoen wandern nämlich 
wieder peripher, um sich in Fortsätze der Nährzellen, welche 
diese nach dem Centrum hin zwischen die Säulen der Sperma- 
tiden aussenden, in die sog. „Füsse“ einzusenken. Dieser Wan- 
derung hat man besonderes Gewicht beigelegt, da man glaubte, 
dass mit ihr der Akt der Konjugation beginne, doch lassen sich, 
wie ich mir denke, auch diese Verhältnisse auf mechanische 
Faktoren zurückführen. Einmal würde nämlich das Samen- 
körperchen, wenn es noch weiter dem Lumen zu sich entwickelte, 
sich allzuweit von der nährenden Zelle entfernen, zumal seine 
langgestreckte Gestalt den Einfluss der letzteren auf das ganze 
Gebilde noch schwächen würde, dann wäre Gefahr vorhanden, 
dass das fadenförmige Gebilde vom Sekretionsstrom im Hoden 
noch unreif fortgeschwemmt würde. Deshalb lagert sich das 
Spermatozoon, das aus später zu erörternden Gründen gerade 
im letzten Stadium seiner Ausbildung besonders des nährenden 
Elementes bedarf, so nahe an den Kern der Fusszelle. 

Für das Vorkommen dieser beiden Zellformen bei den 
3 grossen Gruppen der Amnioten möchte ich, um nicht zu weit- 
schweifig zu werden, für die Eidechse nur auf die Arbeit von 
Tellyesniezky (1897), für den Sperling auf die Beob- 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 191 


achtungen Etzolds (1891) und für die Säuger auf die um- 
fassenden Untersuchungen von Benda (1887b) hinweisen, wenn 
ich mich auch mit der Deutung der Befunde des ersten Autors 
durchaus nieht einverstanden erklären kann. Uebrigens zeigen 
seine Figuren, wie auch unsere Fig. 7, dass die Konjugation bei 
den Reptilien den allgemein bekannten Charakter trägt und 
nicht, wie Benda will, „undeutlich“ ist. 

Wenn ich oben der Umlagerung der reifenden Samenele- 
mente so geringen Werth beilegte und sie einfach auf mecha- 
nische Ursachen zurückführte, so drängt sich die Frage auf, in 

welchem Verhältniss die Spermatiden und Spermatogonien zu 
_ den Nährzellen stehen. Entweder haben sie nämlich keine Be- 
ziehung zu denselben, und dann ist das Eintauchen der unreifen 
Spermatozoen in's Plasma der Fusszellen allerdings ein wichtiger 
Prozess, oder sie sind schon vor der Wanderung in die Füsse 
in den Zellleib der Sertoli’schen Elemente eingelagert, und 
dann entspricht der berührte Vorgang nur einer Ortsveränderung. 
Diese Frage lässt sich übrigens leichter an den plasmareichen 
Zellen des Amnioten als an den mit nur wenig Zellsubstanz aus- 
gestatteten Follikelelementen der niederen Wirbelthierklassen 
prüfen. 

Ueberall, wo die beiden Zellarten der Samenkanälchen 
charakterisirt werden, findet sich die Angabe, dass die künftigen 
Samenelemente gut erkennbare Zellgrenzen besitzen, während 
die einzelnen Nährzellen nicht von einander abzugrenzen sind. 
Ferner haben die Untersuchungen gezeigt, dass zwischen den 
Spermatoeyten und Samenmutterzellen sich eine Intercellular- 
substanz befindet, in welche die erwähnten Gebilde eingebettet 
sind. Was ist nun diese Intercellularsubstanz? Hängt sie mit 
den Fusszellen zusammen oder ist sie eine eigene Formation ? 

Darauf lässt sich die Antwort geben, dass überall der 
direkte Zusammenhang dieser Substanz mit dem Protoplasma der 
Nährzellen erkennbar ist. Für die Knochenfische ist dies oben 
beschrieben und abgebildet worden; bei Triton zeigt es Fig. 6; das- 
selbe beweist auch jeder gut fixirte Schnitt eines Amniotenhodens. 
Alle, welche ihr Augenmerk auf dies Verhältniss richteten, sind 
zu dem gleichen Resultat gekommen, wenn sie auch die Be- 
deutung der Fusselemente durchaus verschieden fassten. So 
identifizirt Tellyesniezky (1897) bei der Eidechse die 


192 KamlmPieter: 


Zwischenzellensubstanz mit dem Plasma seiner „unregelmässigen 
Wandzellen“, welche er allerdings nur als Degenerationsformen 
der Spermatogonien auffasst. Fig. 7 lässt deutlich erkennen, wie 
das Plasma der Nährzellen sich zwischen die Samenzellen jeder 
Entwieklungsstufe drängt. Beim Sperling beweisen Etzold's 
Bilder ein direktes Ineinanderfliessen der Zellsubstanz der Nähr- 
zellen, in deren Plasma die Samenmutterzellen eingebettet sind. 
Hermann (1892) beanstandet zwar die Richtigkeit dieser An- 
gabe, ich möchte indess, da dasselbe Verhältniss überall wieder- 
kehrt, keinen Zweifel an ihr hegen. Für die Säugethiere hat 
Prenant (1887) die Verbreitung der Substanz der „Füsse“ 
zwischen die reifenden Samenelemente erkannt, verwahrt sich 
indess vor Identifizirung dieser Intercellularmasse, in welcher 
auch die reifen Spermien liegen, mit dem Protoplasma der Nähr- 
elemente. Er theilt nämlich jeden „Fuss“ in 2 Abschnitte, deren 
unterer dem Nährkern als Plasma zugehört, während der obere, 
die Samenzellen tragend, aus Intercellularsubstanz besteht. Eine 
solche mikroskopisch nachweisbare Trennung kann aber nur 
durch lange und starke Einwirkung von Reagentien zu Stande 
kommen und wird wohl kaum als normaler Befund angesehen 
werden können. Auch der zweite Beweis Prenant'’s, dass 
nicht jeder Fuss an der Basalmembran einen Kern trage, also 
nur aus Zwischensubstanz bestehe, ist hinfällig; auch hier, wie 
es oben bei den Cysten der Teleostier beschrieben wurde, braucht 
auf Schrägschnitten nicht stets ein Kern im Fuss sich nach- 
weisen zu lassen. Fuss und Nährzelle sind eins, und was für 
uns von Wichtigkeit ist: auch für die Säuger ist bewiesen, dass 
die Intereellularsubstanz ein Theil des Protoplasma der Fuss- 
zellen ist. Fig. 8 zeigt dies deutlich. 

Damit ist bewiesen, dass dieSamenelemente 
in jedem Stadium ihrer Entwicklung mit den 
Nährzellen in Verbindung stehen und nicht erst 
während des Herunterwandernsin die Füsse (bei 
Amnioten) diese Verbindung eingehen. Diese Auf 
fassung steht auch in Uebereinstimmung mit der Struktur der 
Nährzellen während der Spermatogenese. Wenn deren Thätig- 
keit erst mit dem Eintreten der Samenkörper in die fussförmigen 
Fortsätze beginnen würde, so würde sich dieser wichtige Moment 
sicher auch in plötzlichen Veränderungen im Bau ihres Kerns 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 193 


kenntlich machen, wie sie später beschrieben werden. Mit Aus- 
nahme aber einer deutlich wahrnehmbaren Vergrösserung der 
Nuclei, die sehr allmählich eintritt und auf eine sehr langsam 
ansteigende Thätigkeit schliessen lässt, die übrigens auch 
v. Lenhossek (1898) erwähnt, ist es unmöglich, irgend eine 
histologische Veränderung an den Nährzellen während der 
Samenbereitung zu beobachten. 

Uebrigens scheint sich die Verschmelzung der einzelnen 
Sertoli’schen Zellen untereinander erst während des Lebens 
nach der Geburt zu vollziehen; an neugeborenen Mäusen konnte 
Hermann (1887) im Hoden, wenn auch schwach und undeut- 
lich, doch anscheinend sicher Zellgrenzen auch zwischen den 
Nährelementen entdecken. Hier hat das Organ ja auch noch 
keine Funktion, die einzelnen Bestandtheile verhalten sich noch 
indifferenter. Allmählich werden die zahlreichen Follikelzellen 
von den sich stark vermehrenden Spermatogonien an die Wand 
des Samenkanälchens gedrückt, ihre Zellkonturen schwinden und 
sie bilden eine kernhaltige, protoplasmatische Masse, ein Syn- 
eytium, in welches die Samenmutterzellen eingebettet sind. 
Immerhin darf man nach diesem Entstehen den Ausdruck 
„Nährzelle“ als kurz und verständlich wohl noch anwenden. 

Die Frage nach der embryonalen Herkunft dieser Elemente 
ist noch nicht allgemein festgestellt und wird noch verschieden 
beantwortet. Die Spermatogonien stammen natürlich vom Keim- 
epithel ab; die Mehrzahl der Autoren lässt die Nährzellen 
desselben Ursprungs sein. Dies betonen Nussbaum und 
Jungersen für die Teleostier, deren ganze männliche Ge- 
schlechtsdrüse mitsammt dem Zwischengewebe der letztgenannte 
Forscher sogar vom Keimepithel herleitet. Benda (1889) findet 
beim Kaninchen, dass das verdickte Keimepithel in 2 Zellformen 
in das Bindegewebsstroma einwuchert, zwischen denen er auch 
Uebergangsstadien erkannt hat. Die eine Art liefert die Sper- 
matogonien, die andere die Nährzellen. 

Auf der anderen Seite identifizit Brock (1881) die 
Follikelzellen der Knochenfische mit den Zellen des Zwischen- 
gewebes und leitet sie von dem Stroma ab, dem gewöhnlichen 
embryonalen Bindegewebe der Geschlechtsanlage, das aus dem- 
Jenigen der mit Peritonealepithel bekleideten Genitalfalte entsteht. 
Dagegen möchte ich an obige Bilder erinnern, welche klar 


194 Karl Peter: 


zeigten, dass die beiden Elemente histologisch wenigstens deutlich 
von einander abgesetzt sind, und nicht, wie Brock meint, in 
einander übergehen. Ferner vertritt Semon (1887) die Ansicht, 
dass die „Follikelzellen* beim Hühnehen von den Genitalsträngen 
herzuleiten sind. Ich neige mehr der Ansicht der erstgenannten 
Autoren zu, wenn ich auch die Befunde noch nicht selbst nach- 
geprüft habe; zeigt die phylogenetische Entwicklung der Nähr- 
zellen bei den Evertebraten doch deutlich genug, dass sie nur 
besonders umgestaltete Ursamenzellen sind. Ich hoffe aber auf diese 
Frage in einer anderen Arbeit noch zurückkommen zu können. 


Sehen wir uns nun im ungeheuren Reiche der Wirbellosen 
um, so treffen wir häufig auf ganz ähnliche Bilder, wie wir sie 
bei den Vertebraten fanden. Es ist mir natürlich nicht möglich 
gewesen, die ganze hier in Betracht kommende Literatur durch- 
zusehen und zu besprechen; ich werde mich auf einige Typen 
beschränken müssen. In der zweiten Arbeit von Prenant (1892) 
ist die einschlägige Literatur in ausgedehntem Maasse referirt. 

Wir stossen hier nun auf dieselbe Erscheinung, wie ich sie 
oben besprochen habe: auch in den Arbeiten über Spermato- 
genese der niederen Thiere herrscht grosse Verwirrung bezüg- 
lich der Nomenklatur, indem homologe Gebilde mit den ver- 
schiedensten Namen belegt oder gleiche Worte für völlig diffe- 
rente Elemente gebraucht werden. Sehen wir ab von Bezeich- 
nungen, die von Gestalt oder Lage der einzelnen Zellen herge- 
nommen sind, so ist der häufigste Name für die Nährzelle, die 
in den verschiedensten Formen auftritt, „Follikel-* oder 
„Öystenzelle“, Cytophor, Blastophor oder Sperma- 
tophor. Doch ist von diesem Gebilde die sekundär um Samen- 
fadenbündel bei einigen Thieren sich bildende Hülle, die gleich- 
falls Spermatophor genannt wird, streng zu trennen; die Kapseln 
um die Spermatozoenbündel der Scolopender, von Gryllus u. a. 
gehören hierher. Gilson (1887) bezeichnet dieselben als „sekun- 
ddäres Spermatophor“; ich würde zur Vermeidung jeden Missver- 
ständnisses gern zu einem völlig differenten Namen rathen. 

Während wir bei den Vertebraten auf relativ einfache Ver- 
hältnisse stiessen — bei allen untersuchten Gruppen mit Aus- 
nahme des Amphioxus liessen sich Samenzellen und Nährzellen 
unterscheiden — gestalten sich dieselben in dem grossen Reich 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 195 


der Wirbellosen bedeutend komplizirter. In manchen Klassen 
fehlen nämlich Nährelemente völlig, in anderen sind sie durch 
kernlose Massen vertreten. Daher lassen sich 3 Gruppen aufstellen. 

1. Wirbellose Thiere ohne Nährelement. 

2. Formen mit kernlosem Nährmaterial. 

3. Formen mit Nährzellen. 

Zu den ersteren rechnet Prenant in seiner Literaturzu- 
sammenstellung folgende Familien: 

Arachniden, Acariden, Asearis, Turbellarien und Plathelmin- 
then z. Th., Acanthocephalen, Echinodermen, Myriapoden, Medusen. 

Von diesen Thierklassen fallen die Echinodermen, Asearis 
und die Medusen z. Th. aus, da sie unter die beiden anderen 
Rubriken zu rechnen sind. Die übrigen Gruppen weisen nach 
den Arbeiten der Autoren — soweit möglich, habe ich alle 
Öriginalarbeiten eingesehen, — allerdings im Hoden nur eine Art 
von Zellen auf, die sich sämmtlich zu Spermatozoen entwiekeln 
sollen. Nun haben aber die meisten Forscher, wie schon bei 
den Wirbelthieren, auch hier mehr auf Form und Ausbildung 
der Samenfäden selbst ihr Augenmerk gerichtet, als auf den 
Bau der Geschlechtsdrüse, und so glaube ich, das hier und da 
ein nährendes Element übersehen worden ist. Schreibt doch 
auch Jensen (1883): „Il ressort done des recherches de nos 
predecesseurs, que le eytophore est tres-repandu chez les inver- 
tebres. Il semble aussi qu'il se rencontre partout chez les inver- 
tebres.“ Ich bin der Ueberzeugung, dass bei eigens darauf ge- 
richteter Aufmerksamkeit sich auch in manchen dieser Klassen 
eine Nährmasse in der einen oder anderen Form nachweisen 
lassen würde. Jedenfalls werden nach dem heutigen Stande 
unserer Kenntnisse Thierfamilien beschrieben, deren Samenelemente 
sich ohne jedes Nährmaterial selbständig ausbilden. 

Ueber das Vorkommen von kernlosen Nährmassen für die 
Spermatozoen und über deren Entstehen haben uns die schönen 
Untersuchungen Jensen’s (1885) unterrichtet. Bei einer Turbel- 
larie, Plagiostomum vittatum, komte er verfolgen, wie 
von einer Samenzellengruppe sich die centralen Plasmatheile ab- 
schnüren und zusammenfliessen. Während die Spermatosomen 
sich entwickeln, dient ihnen jene Protoplasmamasse als Nähr- 
material. Bei Ascaris kann man vielleicht in der „Rhachis“ eine 
kernlose, die Samenzellen ernährende Masse erblicken, 


196 Karl Peter: 


Eigenthümliche Verhältnisse ergaben des eben genannten 
Autors eingehende Studien über die Spermatogenese der See- 
gurke Cuceumaria frondosa. Hier entwickeln sich zwar auch 
alle Samenzellen zu Spermatozoen, aber aus einer Lage eylin- 
drischer, gekörnter Epithelzellen, welche von der samenbildenden 
Innenschicht der Hodenkanälchen durch eine Muskularis getrennt 
ist, wandern gekörnte, kernlose Massen, „Vesieules“, zwischen 
die reifenden Elemente ein und führen ihnen offenbar nährende 
Stoffe zu. Hier wird das zur Entwicklung der Samenfäden be- 
nöthigte Nährmaterial sogar von einem ganz fremden Gewebe 
geliefert ! 

Den Uebergang von diesen Formen des nutritiven Materials 
zu den kernhaltigen Nährzellen bilden, wieder nach Jensen, 
ein Mollusk Triopa elavigera und die Annelide Clitellio 
arenarius. Bei beiden stösst man nämlich auf kernlose und 
kernhaltige Nährmassen. Bei dem Weichthier degeneriren einige 
Samenzellen — die im Centrum der Spermatidenkapsel gelegenen —, 
ihre Kerne lösen sich auf und ihr Plasma mengt sich zwischen 
die reifenden Geschlechtsprodukte; hier ist das Cytophor dem- 
nach erst kernhaltig, dann kernlos. Clitellio dagegen weist 
2 Arten von Spermatophoren auf: eine ohne Nuclei, „qui n’est 
pas rare du tout‘ und eine aus vollständigen zusammengeflossenen 
Zellen bestehende, deren Kerne sich bis zur fertigen Ausbildung 
der Spermatozoen erhalten. 

Die ganze übrige Formenwelt der Wirbellosen lässt im 
Hoden Samenzellen und Nährzellen erkennen, welche letztere 
meist aus Spermatogonien entstehen, wie oft direkt beobachtet 
werden kann (vergl. die Befunde von Bloomfield (1880) bei 
Lumbrieus terrestris, von Platner (1885) bei Pulmonaten), der- 
artige Elemente finden sich schon in der Klasse der Cölen- 
teraten; Polajaeff (1882) und Fiedler (1888) haben sie 
bei Spongien gefunden und „‚cellule recouvrante“ genannt, 
v. Lendenfeld (1885) beschreibt eine Zelllage mit schwer 
erkennbaren Grenzen um die Geschlechtsprodukte einer Meduse, 
Cyanea Annaskala, während andere Arten der Gruppe nur eine 
Art von Zellen in den Genitalien aufweisen. Bei den Würmern 
sprechen z. B. die Untersuchungen von Bloomfield über den 
Regenwurm für das Vorkommen einer Nährzelle. 

Genau untersucht sind die Verhältnisse bei den Arthro- 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 197 


poden, und zwar scheinen die Follikelzellen nach Gilson 
(1884—1887) bei verschiedenen Krustern (Asellus, Oniscus, 
Amphipoden), obgleich gerade hier deutliche Konjugation beob- 
achtet ist, keine Schwesterzellen der Samenmutterzellen zu sein. 
Wenigstens schreibt der Autor: „.. . loin de deriver du noyau 
d’une metroeyte commune, n’ont qu’une parente lontaine avec 
les cellules spermatiques et viennent du dehors“, ohne dass aus 
der Arbeit selbst hervorgeht, was mit diesem „dehors“ gemeint 
ist. Im übrigen scheinen die Nährzellen desselben Ursprungs 
zu sein, wie die Samenelemente. Sie finden sich bei allen Deka- 
poden; bei den Insekten sind die „Cystenzellen“, welche oft 
mehrere Kerne enthaltend die Spermatiden einhüllen, schon lange 
bekannt; Gilson belegt sie mit dem Namen „noyau satellite“ 
oder „eellule reste“, sonst werden sie hier auch als „Verson- 
sche Zelle“ bezeichnet. Schon die jüngsten Stadien der Samen- 
zellen liegen im Protoplasma dieses grosskernigen Gebildes und 
empfangen von ihm ihr Nährmaterial. 

Auch in dem grossen Kreis der Mollusken sind ganz 
ähnliche Verhältnisse zu finden. Platner (1885) schreibt bei 
der Spermatogenese der Pulmonaten, dass in der aktiven Ge- 
schlechtsdrüse sich ein Theil der Spermatogonien unverändert 
erhält, während andere, an dem Alveolarrand gelegene, sich zu 
den von Platner sogen. Basalzellen umwandeln. Der 
Kein wird stark granulirt, eiförmig, nimmt an Grösse bedeutend 
zu und zeigt 1 oder 2, selten mehr Nucleolen, und färbt sich 
sehr intensiv. Beim Uebergang zu Spermatocyten gruppiren sich 
die Samenzellen um eine Basalzelle und machen genau gleich- 
zeitig alle weiteren Verwandlungen durch. Die „Basalzelle‘ 
bildet dann die Basis des sich entwickelnden Samenfadenbündels, 
wie es ganz auffallend ähnlich alle Vertebraten zeigen. 

Mit einer ganz eigenthümliehen Form von Nährzellen hat 
uns Auerbach (1896) bei Paludina vivipara bekannt gemacht. 
Schon lange wusste man, dass diese Schnecke und mit ihr noch 
einige Verwandte 2 Arten von Spermatozoen produzire; v. Brunn 
(1884) wies nach, dass nur die kleinen, haarförmigen die Be- 
fruchtung vollzögen, die Funktion der langen wurmförmigen 
Elemente blieb dunkel. Auerbach zeigte nun, dass beide 
Formen aus denselben Spermatogonien entstehen und erst im 
Laufe der Entwicklung verschiedene Wege einschlagen. Ferner 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53. 14 


198 Karl Peter: 


fand er, dass die langen wurmförmigen Spermien sich nach ihrer 
Ausbildung zu Bündeln gruppiren und zwischen sich die noch 
unentwickelten haarförmigen Elemente aufnehmen, welche erst 
dort ihre definitive Gestalt annehmen können. Der Autor er- 
kannte die Bedeutung der wurmförmigen Zellen in einem nähren- 
den Einfluss auf die zur Befruchtung bestimmten Gebilde, und 
ich trage kein Bedenken, diese in merkwürdiger Weise umge- 
stalteten Zellen auf die gleiche Stufe mit den übrigen Nährzellen 
zu stellen. 

Ueberhaupt nehme ich mit La Valette St. George und 
Prenant eine funktionelle und meist auch genetische Identität aller 
dieser Nährelemente mit den Sertoli’schen Zellen der Wirbelthiere 
an. Auch Jensen war diese morphologische Aehnlichkeit auf- 
gefallen, er konnte sich jedoch nicht entschliessen, sie bei den 
verschiedenen Klassen zu identifiziren. Sonst stösst man übrigens 
kaum in der Literatur auf Angaben, welche die Follikelzellen 
der Wirbellosen mit denen der Wirbelthiere in Parallele setzen. 
Dies rührt davon her, dass nur selten Arbeiten sich mit den 
beiden grossen Abtheilungen zugleich befassen. Andernfalls würde 
wohl kaum an der Gleichwerthigkeit der in den verschiedensten 
Gestalten auftretenden Nährelemente im Hoden der Thiere ge- 
zweifelt worden sein. 


Wir erkennen aus dem Vorstehenden, dass bei der Sper- 
matogenese das Bestreben vorliegt, den reifenden Samenelementen 
kernloses Nährmaterial zuzuführen, oder sie mit kernhaltigen 
Zellen in innige Verbindung zu setzen. Bei einigen Thierklassen 
liess sich allerdings ein soleher Vorrath von Reservestoffen bis 
jetzt noch nicht nachweisen, indess haben wir oben gesehen, 
dass dies z. Th. vielleicht auf unvollkommenen Methoden der 
Untersuchung beruht. 

Dass nun Zellen zu ihrer Entwicklung Nährmaterial be- 
dürfen, das aus zerfallenden gleichwerthigen Elementen geliefert 
wird, wie es die Jensen schen Befunde bei Triopa und Clitellio 
zeigten, ist nichts Wunderbares; ähnliche Verhältnisse finden 
sich auch anderswo im Thierreiche, wie z. B. bei der Entwick- 
lung der Eier der Daphniden. Es ist eben eine Art von Arbeits- 
theilung; während sonst jede Zelle ihr Nährmaterial in sich 
bergen oder mit der Fähigkeit ausgestattet sein muss, dasselbe 


ee 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 199 


sich aus den umliegenden Geweben zu beschaffen, so degene- 
riren hier einige Spermatogonien selbst zu nutritivem Plasma, 
das nun in nächster Nähe der sich entwickelnden Samenzellen 
gelegen ist. Den letzteren wurde so die Arbeit erspart, entweder 
sich vorher mit genügenden Reservestoffen zu versorgen und zu 
beladen, welche während der Ausbildung wohl auch die Zelle in 
ihrer energischen Thätigkeit gestört hätten — oder auch die 
Nahrungsstoffe aus dem benachbarten selbst aktiven Gewebe zu 
entnehmen. Diese Ersparniss kam den Samenzellen zu gut und 
konnte auf Ausbildung einer feineren und für die Aufsuchung des 
weiblichen Geschlechtsproduktes geeigneteren Form des Sperma- 
tozoon verwendet werden. Schon bei der Bildung von kernlosem 
Nährplasma lassen sich 2 Stufen unterscheiden: bei einigen Thieren 
(Plagiostomum) wird der nutritive Theil des Zellleibs erst wäh- 
rend der Entwicklung von der Zelle abgetrennt, so dass diese 
anfangs doch mit dieser Masse beschwert ist; andere Klassen 
(Clitellio, 'Triopa) entheben die Samenzellen ganz dieser Bürde; 
bei ihnen bildet eine Anzahl vollständiger Spermatogonien durch 
Zerfall das Nährplasma. 

Im Gegensatz zu diesen Fällen mit kernlosem Nährmaterial, 
das auch in anderen Organen vorkommt, ist einzig dastehend der 
andere Befund, dass Zellen während ihrer Ausbildung mit anderen 
Zelien eine innige organische Verbindung eingehen, — mit Ele- 
menten, die nicht zu Grunde gehen, sondern offenbar im Stadium 
einer gesteigerten Funktion stehen. Dies Verhältniss hat sich aus 
dem ersteren entwickelt, wie eben wieder Clitellio und Triopa 
lehren, stellt also gewissermaassen eine höhere Stufe dar. Dabei 
ist auffallend, dass solehe nährende Zellen im Samenkanälchen 
so ausserordentlich weit verbreitet sind. Völlig unabhängig von 
einander hat sich in den verschiedensten Thierklassen dies Ver- 
hältniss herausgebildet, und zwar gerade in solchen Thierklassen, 
welche wie die Mollusken, Gliederfüsser und Wirbelthiere sehr 
hoch organisirt sind, und deren Samenelemente offenbar sehr 
komplizirt gebaut sind. Haben doch die Untersuchungen gerade 
der letzten Jahre erwiesen, wie viele einzelne Gebilde die Samen- 
fäden z. B. des Salamanders oder der Ratte — der beiden klassi- 
schen Objekte für das Studium der Spermatogenese — zu- 
sammensetzen ! 

Weshalb ist nun an Stelle der Zuführung kernlosen Nähr- 


200 Karlepreter: 


materials bei so hochstehenden und zahlreichen Thierkreisen die 
innige organische Verbindung der reifenden Spermatozoen mit 
lebenden kernhaltigen Zellen getreten ? 


Ueber die Bedeutung dieser Zellen, die wir vorgreifend als 
„Nährzellen“ bezeichnet haben, sind übrigens die widerspreehend- 
sten Ansichten geäussert worden, über welche Waldeyer’s 
Referat (1887) einen vollständigen Ueberblick giebt. Bald be- 
trachtete man sie als Nährelemente, bald nur als Stützzellen des 
Hodens analog den Gliafasern des Centralnervensystems; bald 
schrieb man ihnen eine Wirkung zu beim Austreiben der Sper- 
matozoen, bald sprach man ihnen jede Beziehung zur Spermato- 
genese ab. In neuerer Zeit bezeichnet sie Prenant (1892) als 
„El&ment feminin“ und glaubte das Räthsel ihrer Bedeutung 
gelöst zu haben. Er stellte nämlich die Hypothese auf, dass in 
jeder Keimdrüse ein männliehes und ein weibliches Element vor- 
handen sei und identifieirte die Samenzellen mit den Follikelzellen 
im Ovarium, dem männlichen Theil der weiblichen Geschlechts- 
drüse, während er das Ei den Nährzellen des Hodens gleichsetzte: 
eine Hypothese, die sich wohl kaum Anhänger gewinnen dürfte. 
Abgesehen davon würden wir mit einer solehen morphologischen 
Erklärung dem Räthsel des Vorkommens der Nährzellen vom 
Standpunkte der physiologischen Nothwendigkeit um keinen 
Schritt näher getreten sein. Tellyesniezky (1897) hin- 
wieder scheint seinen „unregelmässigen“ Zellen jede Funktion 
abzuspreehen und betrachtet sie nur als Degenerationsprodukte 
der „regelmässigen“ Samenzellen. 

Am nächsten kommt unserer unten folgenden Erklärung 
Gilson (1887), der die Ansicht ausspricht, dass die Samen- 
bildner, in denen sich bedeutende Umwandlungen vollziehen, von 
den Nährzellen besser vorbereitete Nahrung beziehen, als durch 
ein kernloses Plasma. Es sei mir gestattet, den ganzen interes- 
santen und wichtigen Passus, den der genannte Autor in den 
theoretischen Theil seiner schönen Arbeit einflicht, hier wieder- 
zugeben. Gilson schreibt: „Cellules coloniales, cellules sper- 
matiques ou jeunes metrocytes des inseetes ... . . doivent etre 
le siege d’une activite nutritive considerable. Or, ils ne peuvent 
se nourrir que par lintermediaire de la cellule-reste qui les 
eontient. Celle-ei fait subir aux substances nutritives quelle 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 201 


puise dans le milieu exterieur, des modifiecations qui les rendent 
plus facilement assimilables par les cellules internes auxquelles 
elles sont transmises. En d’autres termes, les cellules coloniales 
doivent trouver A l’interieur de la cellule-reste des conditions de 
nutrition plus favorables que celles qu’elles rencontreraient dans 
le plasma ambiant, si elles y etaient plongees direetement.“ Der 
Autor stützt seine Ansicht auf die heutigen Theorien von der 
Funktion des Kernes, indem er fortfährt: „On peut &tre aujour- 
d’hui assez eloigne de penser que le noyau ne joue son röle que 
dans les phenomenes de la multiplication cellulaire et de la 
fecondation, on peut admettre au contraire quil joue un röle 
tres-important dans la fonetion de nutrition, dont il constitue 
peut-etre le centre.“ Doch deckt sich Gilsons Auffassung 
nicht völlig mit der unsrigen, wie aus dem Folgenden hervor- 
gehen wird. Gilson glaubt, dass die sich schnell umwandelnde 
Samenzelle sich nicht genügend selbst ernähren kann und dazu 
die Hülfe der Cellule-reste in Anspruch nimmt. Ich glaube da- 
gegen zeigen zu können, dass im Bau und in der Art der Um- 
wandlung der Spermatide der Grund liegt, dass dieses Element 
Anfangs nur schwer, später gar nicht mehr Nahrung assimi- 
liren kann, so dass sich nicht „günstige Bedingungen“, sondern 
die Nothwendigkeit fremder Ernährung ergäbe. 

An eben dieselbe neuere Ansicht von der Funktion des 
Kernes, die im zweiten Citat wiedergegeben ist, knüpfen auch 
unsere Betrachtungen an und zwar an Born's und Rückert's 
Arbeiten, welche eine interessante und höchst bedeutungsvolle 
Uebereinstimmung zwischen der Vertheilung des Chromatins im 
Kern und der Thätigkeit der ganzen Zelle ans Licht brachten. 

Born hat in seinen Untersuchungen über die Struktur des 
Keimbläschens im Ovarialei von Triton taeniatus besonders auf 
die Vertheilung des Chromatins im Kern sein Augenmerk gerichtet 
und auf eine interessante Beziehung desselben zu der Ausbildung 
der Eizelle hingewiesen. Während der Zeit nämlich, wo das Ei 
stark wächst (bis zur Kugel von I mm und mehr) und gleich- 
zeitig erhebliche und schwierige innere Differenzirungen erleidet 
(Bildung, Ablagerung und Schichtung der Dotterkörner), wächst 
der centrale Kern nicht nur ebenfalls zu sehr bedeutender Grösse 
heran (bis zu '!/, mm Durchmesser), sondern zeigt auch sein 
Chromatin so fein wolkenartig vertheilt, dass in gewissen Sta- 


202 Karl Pieter: 


dien der färberische Nachweis desselben besonders schwierig wird. 
Born glaubt nun annehmen zu dürfen, dass diese feinste 
Vertheilung desChromatins den Zweck hat, dieser 
auch für die nutritive Funktion und den histolo- 
gischen!) Aufbau der Zelle wichtigsten Substanz 
eine möglichst grosse wirkende Oberfläche zu verleihen, 
welche dem Chromatin gestattet, auch die oben angedeuteten 
schwierigen Umgestaltungen im Inneren des Eies zu volbringen. 

Bei dem glücklichen hier gewählten Beispiel trat diese 
feine Vertheilung des Chromatins besonders deutlich in Erschei- 
nung; doch lässt sich ein gleiches Abhängigkeitsverhältniss auch 
an anderen Zellen bei entsprechender Gelegenheit beobachten; 
ich brauche nur an die thätigen Drüsenzellen zu erinnern, die 
stets das Chromatin in feinen Strängen den Kern durchziehend 
zeigen. Man kann daher allgemein den Satz aussprechen: 

„Je intensiver die individuelle Thätigkeit 
derZelle ist, desto feiner vertheilt sieh die ehro- 
matische Substanz im Kern.“ 

Umgekehrt kann man auch schliessen: „Je feiner ver- 
theilt sich die chromatische Substanz im Kern 
darstellt, desto thätiger ist der Elementarorga- 
nismus, und in je gröberen Portionen sie’den 
Kern erfüllt, desto geringer wird die Thätigkeit 
der Zelle sein können. Wird das Chromatin end- 
lich völlig econcentrirt in eine Form gebraeht, 
die bei möglichst geringer Oberfläche möglichst 
viel Substanz beherbergt, so wird die nutritive 
und aufbauende Thätigkeit eines solchen Kerns 
auf Nullherabsinken; es wird einer solchen Zelle völlig 
unmöglich sein, die in den Geweben eirkulirenden Nahrungsstoffe 
zu verarbeiten und weitere Differenzirungen einzugehen.“ 

Für eine derartige Koncentration des Chromatins bietet 
ein allbekanntes Beispiel die Kinese. Das Chromatin steht ja 


1) „Histologischer Aufbau einer Zelle“ ist eigentlich eine ganz 
unmögliche Bezeichnung; indess fehlt uns völlig ein Wort, welches die 
Thätigkeit der Zelle in Bezug auf ihr individuelles Leben, auf Er- 
nährung, Wachsthum und Differenzirung — ganz abgesehen von der 
Fortpflanzung — bezeichnet; in diesem Sinne sind hier die Ausdrücke 
„nutritive Thätigkeit“ oder „innerer Aufbau‘ zu verstehen. 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 203 


nicht nur in Beziehung zur nutritiven Thätigkeit der einzelnen 
Zelle selbst, sondern es enthält auch die Vererbungssubstanzen, 
die eine Zelle bei der Theilung überträgt und welche den Cha- 
rakter der Tochterzellen bestimmen. Ist nun doch der ganze 
komplieirte Mechanismus der Mitose offenbar auf den einen Zweck 
der genauen Halbirung der chromatischen Substanz und die Bewe- 
gung der halbirten Massen zu den beiden Tochterzellen hin zuge- 
spitzt. — Nun sehen wir, dass bei der Karyokinese offenbar im Inter- 
esse der leichteren Halbirung und Transportirung des Chromatins, 
dasselbe in eine möglichst einfache und gleichzeitig kompakte 
Form übergeführt wird, — die eimes cylindrischen Stabes oder 
Fadens. Wir haben nun allen Grund anzunehmen, dass 
das Chromatin in dieser kompakten, gewissermaassen für 
die Reise geeignet verpackten Form, die es während der 
Kinese annimmt, nutritiv für die Zelle gar nicht wirk- 
sam ist und gar nicht wirksam sein kann, dass also der 
Zustand des Kerns, den wir gewöhnlich als den der 
Thätigkeit bezeichnen, nutritiv für das individuelle 
Leben der Zelle ein solcher der absoluten Ruhe ist — 
und umgekehrt. Kurz, die kondensirte Form des Chromatins 
während der Kinese mit der geringen Oberfläche verträgt sich 
nicht mit der nutritiven und aufbauenden Thätigkeit. 

Ein ganz gleiches Verhalten des Chromatins wie während 
der Mitose findet sich nun bei der Ausbildung der Samen- 
fäden. Die ganze chromatische Substanz des Sperma- 
tidenkerns koncentrirt sich nämlich in eben der glei- 
chen Weise, wie es bei der indirekten Kerntheilung 
geschieht und bildet so den kugel- oder stabförmigen Kopf 
des Spermatozoons; völlig homogen stellt sich dieser Theil selbst 
bei den stärksten Vergrösserungen dar. Diese Einrichtung hat 
nun auch denselben Zweck, wie die Kondensirung derselben Sub- 
stanz in den Chromosomen: dieser wichtige Zellbestandtheil soll 
auf einen möglichst klemen Raum zusammengedrängt werden, 
ohne dass bei dieser Verpackung etwas Substanz verloren gehe. 
Das ganze Samengebilde kann so ganz klein und leicht beweg- 
lich werden; das ist natürlich von höchster Wichtigkeit für das 
männliche Geschlechtsprodukt, das dann um so leichter die Ei- 
zelle aufsuchen kann. 

Mit dieser Koncentration des Chromatins im Kopf 


204 Karl’Peter: 


des reifenden Spermatozoons verliert nun aber die sich 
umwandelnde Zelle völlig die Fähigkeit, sich selbst 
zu ernähren und „histologisch“ weiter auszubilden. Da 
sie nun auch nach diesem Ereigniss noch weiterer Er- 
nährung bedarf und weitere Differenzirungen durch- 
zumachen hat, so schlug sie den Ausweg ein, mit an- 
deren Zellen in innige Verbindung zu treten, welche 
ihr diese weitere Ausbildung durch histologische Ver- 
arbeitung und Zufuhr dieses histologisch verarbeiteten 
Nährmaterials gestatteten, und dassind die Fusszellen, 
die „Nährzellen“. Die oben schon geführte Bezeichnung recht- 
fertigt sich jetzt. Das ist meiner Meinung nach der Grund für 
die Kopulation der Samenelemente mit den Nährzellen, — des 
Prozesses, den man schon lange kannte, der aber in seiner Be- 
deutung noch immer räthselhaft erschien. 

Diese Nährzellen haben nun auch ganz das Aussehen von 
Elementen, die intensiv thätig sind. Obgleich sie nämlich selbst 
keine weiteren Umbildungen erleiden und wahrscheinlich häufig 
nach Ausstossen der Spermatozoen zu Grunde gehen, so weisen 
sie doch stets sehr fein vertheiltes Chromatin im Kern anf, das 
also eine grosse wirkende Oberfläche besitzt. Wo sie auch be- 
schrieben werden und von welchem Thier, stets wird der „homo- 
gene‘, stark sich tingirende Charakter ihres Kerns hervorgehoben. 
Diese Gebilde bereiten also die Nährstoffe zu und übermitteln sie 
assimilationsfähig den Spermatiden. Aber nicht nur in den letzten 
Stadien der Reifung stehen die Samenzellen in Beziehung zu den 
Nährelementen; wir haben oben gesehen, dass sich das Proto- 
plasma der letzteren als Intercellularsubstanz zwischen die Sper- 
matogonien und Spermatiden jeder Entwicklungsstufe eindrängt 
und diese rings einhüllt. Auch diese Gebilde haben eine 
leichter assimilirbare Nahrung nöthig, da ihr Chromatin in groben 
Schollen im Nucleus aufgespeichert ist, eine Eigenschaft, die an 
allen Spermatogonien im Gegensatz zu den homogenen Kernen 
der Nährzellen hervorgehoben wird. Ausserdem theilen sich die 
Samenzellen äusserst rasch hintereinander auf mitotischem Wege, 
oft ohne ein sogen. Ruhestadium zwischen die einzelnen Kinesen 
einzuschieben, wie Meves (1897) beim Salamander direkt be- 
obachten konnte. Während dieses Zustandes ist ja aber, wie 
oben ausgeführt wurde, der Zelle die Möglichkeit genommen, 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 205 


selbstständig für ihre Ermährung und Ausbildung zu sorgen. 
Zudem scheinen die Kerne der Spermatogonien ausserordentlich 
lange im Spiremstadium zu verweilen; Hermann (1889”) fand 
bei der Maus diese Phase auf mindestens 5 Tage ausgedehnt. 

Alles dies weist darauf hin, dass die reifenden 
Samenzellen höherer Thiere unmöglich sich allein er- 
nähren und ausbilden können. 

Es ist also im Hoden eine sehr vortheilhafte Arbeitstheilung 
eingetreten: während eine Gruppe von Zellen ihre ganze Energie 
darauf verwandte, möglichst viele Elemente von einer für die 
Befruchtung geeigneten Gestalt hervorzubringen, übernahm eine 
andere Gruppe die Arbeit, die sämmtlichen Zellen des Samen- 
kanälchens mit assimilationsfähigem und direkt verwendbarem 
Nährmaterial zu versorgen. Die Verhältnisse liegen so für die 
Ausbildung der männlichen Geschlechtsstoffe natürlich ungleich 
günstiger, als wenn diesen nur kernloses, noch aufnahmefähig zu 
machendes Plasma zur Ernährung geboten würde, obgleich dies 
auch schon, wie oben erwähnt, eine vortheilhafte Arbeitstheilung 
ist. Im letzten Falle muss ja das Chromatin der Samenzelle 
während der ganzen Entwicklung in einer: Anordnung im Kern 
bleiben, welche die Assimilation der gebotenen Reservestoffe mög- 
lieh macht; im ersteren Falle dagegen ist die Samenzelle dieser 
Sorge völlig enthoben; die chromatische Substanz kann sich in 
einer Weise koncentriren, dass das reife Spermatozoon eine Ge- 
stalt erhält, die ihm die beste Möglichkeit bietet, das weibliche 
Geschlechtsprodukt aufzusuchen. 

Die Genese dieser wiehtigen Umformung lässt 
sich an Clitellio und Triopa nach den Jensen’schen Befunden, 
wie schon erwähnt, gut verfolgen. Bei Triopa lösten sich die 
Kerne im Nährmaterial auf und dienten mit dem Plasma nur als 
Nahrungsstoff. Clitellio behält die Kerne der Nährzellen länger, 
oft bis zum Ablauf der Spermatogenese. Es wird sich von da 
allmählich ein Verhältniss der längeren Aktivität der Nährkerne 
herausgebildet haben, während welcher Periode die Samenzelle 
ihre ganze Thätigkeit auf ihre Umgestaltung richten konnte. 
Schon eine geringe Dauer dieses Stadiums war für die Ausbil- 
dung der Samenfäden von Nutzen. Dieser Vortheil wurde all- 
mählich grösser, je nachdem das Nährplasma seinen funktioniren- 
den Kern bebielt, bis das so einförmige Verhältniss der Nähr- 


206 Karl Peter: 


zellen entstand, welches den Samenzellen völlig die Arbeit der 
Zubereitung der Nahrungsstoffe abnahm. 

Ich bin mir wohl bewusst, dass diese Theorie auf die 
Spermatogenese ohne nutritives Plasma keine Anwendung finden 
kann; auch die Spinnen und Tausendfüsser zeigen komplieirt 
gebaute Samenkörper, ohne dass — nach Gilson’'s Angaben — 
irgend ein noyau satellite sich im Hoden dieser Thiere nach- 
weisen lässt. Nur scheint sich das Chromatin des Kerns in ihrem 
Spermatozoenkopf in ganz gleicher Weise zu verdichten, wie es 
oben für die Wirbelthiere beschrieben wurde. Lässt sich also nir- 
gends ein nährendes Element nachweisen, was ich noch für mög- 
lich halte, so kann man nur an eine höhere Speeialisirung der 
chromatischen Substanz bei den „höheren“ Thierklassen denken. 
Während dieser Zellbestandtheil bei letzteren unbedingt nöthig 
ist, um Wachsthum und Umbildung der ganzen Zelle zu über- 
wachen, so hat er bei den niederen Formen diese Funktion noch 
nicht ausschliesslich an sich gerissen; sie kann hier noch von 
anderen Theilen des Elementarorganismus ausgeführt werden — 
ein Prozess der Differenzirung, wie er überall im Leben der Or- 
ganismen sich wiederfindet. 

Auffallend ist das beinahe regelmässige Vorkommen von 
grossen Nucleolen im Kern der Nährzellen. Sie wer- 
den fast durchgehend erwähnt; Swaön und Masquelin 
bilden sie von Selachiern, Amphibien und Säugern ab; bei Triton 
finde ich sie wenigstens in Kernen am Fuss von Spermatozoen- 
bündeln regelmässig in der Mehrzahl, 3 oder 4. Etzold’s Bilder 
zeigen eben solche Kernkörperchen bei Fringilla und Hermann 
(1889%) beschreibt ihre Gestalt bei der Maus sehr eingehend. 

Nun hat Born in seiner oben eitirten Arbeit bei dem nor- 
malen Wachsthum des Keimbläschens eine ausserordentliche Ver- 
mehrung und Vergrösserung dieser in ihrer biologischen Bedeu- 
tung noch sehr räthselhaften Gebilde beobachtet und glaubt auch 
ihnen einen Einfluss auf das individuelle Leben der Zelle zu- 
sprechen zu können. Ziehen wir in Betracht, dass die Nährzelle 
wie das wachsende Keimbläschen in sehr gesteigerter Thätigkeit 
sich befinden, so lässt sich das fast stets beobachtete Vorkommen 
auffallend grosser und eigenthümlich gestalteter Nucleolen in den 
Nährzellen mit obiger Hypothese wohl in Einklang bringen. 


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Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 207 


Auf einen Punkt möchte ich nun nur noch aufmerksam 
machen. Während die Theilung der Samenzellen stets auf dem 
Wege der Mitose vor sich geht, sind karyokinetische Bilder bei 
den Nährzellen nie zur Beobachtung gelangt. Dagegen hat man 
oft Formen gefunden, welche eine direkte Kerntheilung 
dieser Gebilde sicher annehmen lassen. Dies beschreibt v. Rath 
(1894) vom Salamander, Tellyesniezky bildet amitotisch 
sich theilende Fusszellenkerne aus dem Hoden der Eidechse ab, 
auch Etzold fand beim Sperling eine Vermehrung der Nähr- 
elemente auf das dreifache, ohne je eine Mitose beobachtet zu 
haben. Mir selbst ist nie eine mitotisch sich theilende Nährzelle 
begegnet. Weshalb theilen diese sich nicht auf dem weit ver- 
breiteten Wege der Fadenbildung? Ich glaube, dass auch dies 
Verhalten sich unter Anwendung der Born’schen Theorie er- 
klären lässt. 

Wie im Früheren gesagt wurde, ist der Zelle während der 
Mitose zufolge der Koncentration des Chromatins die Möglichkeit 
genommen, sich selbst zu ernähren oder ihr Nährmaterial sich 
zuzubereiten. Darf sie diese Funktion nicht aufgeben und liegt 
trotzdem die Nothwendigkeit einer Vermehrung vor, so kann eben 
die Kondensirung des Chromatins nicht eintreten — die Mitose 
bleibt aus und der Kern theilt sich direkt. Dieser Fall tritt für 
die Nährzellen des Hodens ein. Sie dürfen nie aufhören, die 
Samenbilder mit histologisch verarbeitetem Nährmaterial zu ver- 
sorgen — daher müssen sie sich direkt theilen. 

Weiterhin gehört ein guter Ernährungszustand dazu, die 
grosse Arbeit der Koncentration der chromatischen Substanz zu 
verrichten; die Zelle muss durch einen Vorrath verarbeiteter 
Nahrung gerüstet sein, es während der oft langen Dauer der 
Mitose ohne Ernährung aushalten zu können. Degenerirte, schwache 
Zellen können aber die Arbeit der Kondensirung nicht mehr leisten, 
und, da sie kein Plus von Reservestoffen besitzen, bei der Thei- 
lung der feinen Chromatinanordnung nicht entrathen — daher auch 
solche Zellen direkte Kerntheilung aufweisen. Diese Thatsachen 
hat schon v. Rath (1894) gefunden und seine Resultate in fol- 
genden Worten zusammengefasst: „Amitose tritt hauptsächlich in 
Zellen auf, die in Folge besonderer Speeialisirungen einer inten- 
siveren Assimilation, Sekretion oder Exkretion vorstehen, ferner 
im alternden, abgenutzten Gewebe und folglich da, wo die Zellen 


2083 Karl Peter: 


nur eine vorübergehende Bedeutung haben.“ Für die Nährzellen 
des Hodens gelten gewiss oftmals beide Gesichtspunkte, da sie 
einerseits gesteigert thätig sind und bei vielen Thieren nach 
Ablauf der Spermatogenese zu Grunde gehen. 


Sprechen wir dem Chromatin des Kerns die Bedeutung zu, 
für die Ernährung und innere Ausbildung der ganzen Zelle Sorge 
zu tragen, so löst sich das Räthsel der Konjugation der Sper- 
matozoen mit den Fusszellen in einfacher Weise: Die reifende 
Samenzelle, deren koneentrirtes Chromatin der nutritiven Funk- 
tion nicht mehr vorstehen kann, muss ihr Nährmaterial durch ein 
anderes Element bereits assimilationsfähig gemacht und histolo- 
gisch verarbeitet beziehen; zu diesem Zweck legt sie sich an 
die Nährzellen an, mit denen sie aber schon als Samenmutter- 
zelle in stetem Kontakt stand und wegen des grob vertheilten 
Chromatins und der wiederholten Mitosen stehen musste. Diese 
zweite Art von Zellen scheint nichts weiter zu sein als eine be- 
sonders differenzirte Ursamenzelle — wenigstens weisen darauf 
manche embryologischen und besonders die vergleichend ana- 
tomischen Thatsachen hin. Da zeigt sich nämlich deutlich, wie 
von den Samenmutterzellen sich erst nur ein Theil des Plasmas, 
dann ganze degenerirende Zellen absondern und zur kernlosen 
Nährsubstanz werden, bis einige der Ursamenzellen ohne zu zer- 
fallen auch die nutritive Funktion der Geschlechtsprodukte über- 
nehmen. Alle die verschiedenen Bildungen, die als Cystenzellen, 
Follikelzellen, Fusszellen u. a. beschrieben werden, sind physio- 
logisch und meist auch morphologisch gleiehwerthige Gebilde und 
nichts anderes, als Nährzellen der reifenden Samenelemente. 


Verzeiehniss der eitirten Literatur. 


Auerbach, L., Untersuchungen über die Spermatogenese von Palu- 
dina vivipara. Jenaische Zeitschrift Bd. XXX (XXIII) 1896. 

Benda, C., Zur Spermatogenese und Hodenstruktur der Wirbelthiere. 
Verh. d. 1. Versamml. d. anat. Gesellsch. z. Leipzig 1887a. . 

Derselbe, Untersuchungen über den Bau des funktionirenden Samen- 
kanälchens einiger Säugethiere ete. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXX. 
1887». 


a Zu a ee 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 209 


Derselbe, Die Entwicklung des Säugethierhodens. Verh. d. 5. Ver- 
samml. d. anat. Gesellsch. zu Berlin 1889. 

Derselbe, Neue Mittheilungen über die Entwicklung der Genital- 
drüsen und über die Metamorphose der Samenzellen. Verhandl. d. 
physiol. Gesellsch. vom 11. XII. 1891. 

Bloomfield, On the Development of the Spermatozoa. Part I. Lum- 
brieus. Quart. Journ. of mier. Sc. 1880, 

Born, G.,, Die Struktur des Keimbläschens im Ovarialei von Triton 
taeniatus. Arch. f. mikr. Anat. XLIII. 1894. 

Brock, J., Untersuchungen üb. d. Geschlechtsorgane einiger Murae- 
noiden. Mitth. a. d. zool. Station z. Neapel Bd. II. 1881. 

v. Brunn, M., Untersuchungen über die doppelte Form der Samen- 
körper von Paludina vivipara. Arch. f. mikr. Anat. XVII. 1884. 

v. Erlanger, R., Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. Morph. 
Jahrb. XX11. 189. 

Etzold, F., Die Entwicklung der Testikel von Fringilla domestica von 
der Winterruhe bis zum Eintritt der Brunst. Zeitschr. f. wiss. 
Zool. LII. 1891. 

Fiedler, K., Ueber Ei- und Samenbildung bei Spongilla fluviatilis. 
Zeitschr. f. wiss. Zool. XLVII. 1888. 

Gilson, G., Etude compar&e de la Spermatogen&se chez les Arthro- 
podes. La Cellule.. Tome I, II, IV. 1884 —1887. 

Heidenhain, M., Neue Untersuchungen über die Centralkörper und 
ihre Beziehungen zum Kern und Zellprotoplasma, Arch. f. mikr. 
Anat. XLIII. 1894. 

Derselbe, Noch einmal über die Darstellung der Centralkörper durch 
Eisenhämatoxylin ete. Zeitschr. f. wiss. Mikrosk. XII. 15%. 

Hermann, F., Beiträge zur Histologie des Hodens. Arch. f. mikr. 
Anat. XXXIV. 1889. 

Derselbe, Die postfötale Histiogenese des Hodens der Maus bis zur 
Pubertät. Arch. f. mikr. Anat. XXXIV. 1389». 

Derselbe, Beitrag zur Lehre von der Entstehung der karyokineti- 
schen Spindel. Arch. f. mikr. Anat. XXXVII. 1891a. 

Derselbe, Urogenitalsystem. Ergebnisse v. Merkel u. Bonnet. 
I. 1891b. 

Jensen, ©. S., Recherches sur la Spermatogenese. Arch. de Biologie 
IV. 1883. 

Jungersen, H. F. E.,, Entwicklung der Geschlechtsorgane bei den 
Knochenfischen. Arbeiten a. d. zool. Inst. z. Würzburg IX. 1889. 

Langerhans, P., Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. Arch. 
f. mikr. Anat. XII. 1876. 

v. Lendenfeld, R., Ueber Coelenteraten der Südsee. I. Cyanea An- 
naskala. Zeitschr. f. wiss. Zool. XXVII. 1853. 

v. Lenhossek, M., Untersuchungen über Spermatogenese. Arch. f. 
mikr. Anat. LI. 1898. 

Meves, F., Ueber die Entwicklung der männlichen Geschlechtszellen 
von Salamandra macul. Arch. f. mikr. Anat. XLVIII. 1897, 


210 Karl Peter: 


Nussbaum, M., Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. 
Arch. f. mikr. Anat. XVIII. 1880. 

Platner, G., Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. Arch. 
f. mikr. Anat. XXV. 1885. 
Polajaef, Ueber das Sperma und die Spermatogenese bei Sycandra 
raphanus. Sitz. d. Akad. d. Wissensch. Wien LXXXVI. 1882. 
Prenant, Recherches sur la-Signification des Elements du Tube se- 
minifere adulte des Mammiferes. Internat. Monatsschr. f. Anat. u. 
Phys. 1887. 

Derselbe, Sur la Signification de la Cellule accessoire du Testicule. 
Journ. de l’Anat. de la Phys. XXVIII. 1892. 

v. Rath, O. Beiträge zur Kenntniss der Spermatogenese von Sala- 
mandra maeul, II. Zeitschr. f. wiss. Zool. LVII. 1894. 


vückert, J., Zur Entwicklungsgeschiehte des Ovarialeis bei Sela- 


chiern. Anat. Anz. VII. 1892. 

Semon, R., Die indifferente Anlage der Keimdrüsen beim Hühnchen 
und ihre Differenzirung zum Hoden. Jen. Zeitschr. XXI (XIV). 1887. 

Swaön, A.u. Masquelin, H., Etude sur le Spermatogenese. Arch. de 
Biol. IV. 1883. 

Tellyesniezky, K., Ueber den Bau des Eidechsenhodens. Math. und 
naturw. Ber. a. Ungarn XIII. 1897. 

Waldeyer, Bau u. Entwicklg. der Samenfäden. Verh. d. 1. Versamnl. 
d. anat. Gesellsch. zu Leipzig. 1887. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel X. 


In allen Figuren bezeichnet S eine Spermatogonie oder einen ihrer 
Abkömmlinge, N den Kern der Nährzellen. 
Fig. 1—5 beziehen sich auf die Spermatogenese der Teleostier. 
Fig. 1. Schleiee. Zenker’sche Flüssigkeit. Hämatoxylin nach Hei- 
denhain; Lichtgrün. Gezeichnet mit Zeiss Homog. Immer- 
sion 3mm, Apertur 1,30. Compens. Ocular Nr. 8. Tubuslänge 160. 
Eine grosse Samenmutterzelle zeigt im Inneren einen grossen 
Kern, dessen Chromatin, an der Peripherie und um den 
Nucleolus stärker angehäuft, in groben Strängen vertheilt ist. 
Im Zellleib ist das dunklere Archiplasma deutlich erkennbar. 
Um die Zelle, deren Grenze scharf sichtbar ist, befinden sich 
3 dunkle chromatinreiche Kerne (N), deren Plasma keine 
Zellgrenzen erkennen lässt. 
Fig. 2. Barsch. Zenker. Hämatoxylin Heidenhain. Lichtgrün. 
Seibert Homog. Immers. !/j. Ocul. I. Tubuslänge 170. 
Eine Anzahl von Spermatogonien ($) von in Fig. 1 ge 
schildertem Aussehen liegen im Plasma der Nährzellen (N), 


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Fig. 4. 


Fig. 5. 


Die Bedeutung der Nährzelle im Hoden. 211 


welches ohne Zellgrenzen aufzuweisen eine Intercellularsub- 
stanz für die ersteren bildet. 

Schleie. Hermann’sche Flüssigkeit. Hämatoxylin Heiden- 
hain. Lichtgrün. Zeiss wie Fig. 1. 

Ein Abschnitt eines Samenkanälchens zeigt die Samenzellen 
(S—S,) in verschiedenen Stadien und Beziehungen zu den 
Nährzellen (N). $S= einzelne Spermatogonien, die sich bei 
S; in 2, bei S, und 83 in mehrere Tochterzellen getheilt haben, 
dabei von einer Membran umschlossen sind, der die Nährkerne 
angehören. S,= eine grössere derartige Cyste. 

Barschh Hermann. Hämatoxylin Heidenhain. Lichtgrün. 
Zeiss wie Fig, 1. 

Die im Inneren einer solchen Cyste befindlichen Zellen 
haben sich bereits zu unreifen Spermatozoen umgewandelt 
und lassen die Schwanzfäden deutlich erkennen (S). Dabei 
beginnen sie sich so anzuordnen, dass ihre Köpfe den beiden 
Nährkernen (N, N,) zugewandt sind. Die Nährzelle N; gehört 
einer anderen schon gesprengten Cyste an. 

Barsch. Hermann. Hämatoxylin. Lichtgrün. Zeiss wie Fig.1. 

Die Umordnung der fast reifen Samenfäden (S) ist erfolgt, 
sie tauchen mit ihren Köpfen ein in das Plasma der Nährzellen 
(N, N,), welches nach aussen membranartig abgeschlossen, nach 
dem Inneren der Cyste zu keine deutliche Grenze zeigt. 


Fig. 6—8 sollen die Beziehung der Intercellularsubstanz in den Samen- 


Fig. 6. 


Fig. 7. 


Fig. 8. 


kanälchen zum Protoplasma der Nährzellen zeigen; man sieht 
deutlich, dass es eben das Plasma der Zellen ist, das sich zwi- 
schen die Spermatogonien und ihre Abkömmlinge einschiebt. 
Triton taeniatus. Hermann. Hämatoxylin. Zeiss wie Fig. 1. 

Ein an der Wand eines Samenkanälchens gelegener, dunk- 
ler Nährkern (N) schiebt sein fetthaltiges Protoplasma zwischen 
die grossen Spermatiden hinein. 

Ringelnatter. Hermann. Hämatoxylin. Seibert wie Fig. 2. 

2 stark chromatinhaltige, unregelmässig gestaltete, an der 
Samenkanälchenwand gelegene Nährkerne (N, N,) lassen ihr 
Protoplasma in fädigen Zügen durch die ganze Zellschicht bis 
zum Lumen des Kanälchens sich erstrecken, so dass Sperma- 
togonien (S), Spermatiden (S;) und fast reife Spermatozoen 
(85) in dasselbe eingelagert sind. 

Hund. Hermann. Saffranin. Gentianaviolett. Seibert wie 
Dre; 2. 

Zwischen den grossen mit deutlichen Zellmembranen ver- 
sehenen Spermatogonien (S$) zeigt sich die dunkler gefärbte 
Intercellularsubstanz, die sich als direkte Fortsetzung des Zell- 
leibes der Nährkerne (N) erweist. 


[60] 
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[0] 


(Aus dem anatomischen Institut zu Berlin.) 


Ueber die Tyson’schen Drüsen. 


Von 
Dr. Edmund Saalfeld, Berlin. 


Hierzu 2 Figuren im Text. 

In einer Anfang vorigen Jahres erschienenen Dissertation (1) 
war Sprunck auf Veranlassung Stieda’s der Frage nach der 
Existenz der sogenannten Tyson’schen Drüsen näher getreten 
und in seiner Arbeit zu folgenden Ergebnissen gekommen: 

1. Weder an der Glans penis noch an der Innenfläche 
des Präputium giebt es Talgdrüsen. 

2. Ein Theil der Autoren (Littre nachfolgend) hat die 
Coronarpapillen der Glans für Drüsen gehalten. 

3. Ein anderer Theil der Autoren hat, nachdem die pa- 
pilläre Natur der vermeintlichen Drüsen erkannt war, die Epi- 
dermiseinsenkungen zwischen den Papillen (Finger’s Krypten) 
für Talgdrüsen gehalten. 

Professor Waldeyer forderte mich zur Nachprüfung der 
Sprunck’'schen Untersuchungen auf. 

Die hierher gehörige Literatur, die Sprunck mit grossem 
Fleiss gesammelt hat, will ich hier nur in so weit berücksichti- 
gen, als ich in der Lage bin, einige ergänzende Mittheilungen 
zu machen. i 

Die beiden von Sprunck eitirten Werke Tyson’s (2) 
habe ich ebenso wie er mit demselben negativen Resultate durch- 
gesehen; von den anderen Schriften Tyson’s, in denen viel- 
leicht noch die Drüsen erwähnt werden könnten, stand mir noch 
eine aus dem Jahre 1680 (3) zur Verfügung, aber auch hier wird 
der Drüsen keine Erwähnung gethan, was um so erklärlicher ist, 
als es sich um ein weibliches Thier handelt, das hier beschrieben 
wird. Die Annahme Sappeys (4), die dieser Autor mit 
positiver Bestimmtheit hinstellt, dass Tyson die Drüsen bei der 
Beschreibung des Orang-Utang (2) zuerst erwähnt habe, ist schon 


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Ueber die Tyson’schen Drüsen. 213 
deshalb nicht zutreffend, weil dieses Werk erst 1699 erschien, 
während Cowper (5) bereits 1694 der Drüsen Erwähnung thut. 
Da Cowper’s Arbeit Sprunek nicht zur Verfügung stand, 
möchte ich der Vollständigkeit halber die betreffende Stelle von 
Cowper hier wiedergeben und erwähnen, dass in diesem Werke 
Cowper’s in Fig. 10 wohl zwei Stellen angegeben sind, wo die 
Drüsen sitzen sollen, ohne dass jedoch die Drüsen selbst in der 
Zeiehnung erscheinen ... pag. 228f.: In that part where the Prae- 
putium (the Glandulae odoriterae) is contiguous to the Bala- 
nus, my very good Friend that judieious Anatomist, Dr. Tyson, 
has discovered certain small Glands (aa) Fig. 10, which he 
calls from the great scent their separated Liquor emits, Glan- 
dulae odoriferae: their Number is uncertain; in those that 
have the Praeputium longer than ordinary, they are not only 
more, but also larger, and separate a greater quantity of their 
juiee, which being lodged there, often grows acrid and corrodes 
the Glans. They are very conspieuous in most @Quadrupeds, 
partieularly in Dogs and Boars, in the latter of which; their 
separated Liquor is eontained in a proper Cist, at tlie Verge 
of the Praeputium; out of which there is a large Aperture, 
whereby it's remitted again to lubrieate the Penis of that Animal. 

Es war mir noch eine Arbeit Tyson’s aus dem Jahre 
1683 (6) zugänglich, in der jedoch ebenfalls die Drüsen keine Er- 
wähnung finden — auch hier handelte es sich um em weibliches 
Thier; dasselbe Geschlecht besass das im Jahre 1695 (7) von 
Tyson beschriebene Thier; auch in dieser Arbeit ist ein Hin- 
weis auf die Drüsen nicht zu finden. 

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch eine hierher 
gehörige Stelle, die sieh bei J. F. Cassebohm (8) findet und 
Sprunck entgangen zu sein scheint, eitiren: „Das Präputium, 
nebst dem Froenulo nehme ich gleichfalls weg, nachdem ich vor- 
her seine Membranum, so ad coronam glandis sich befestiget, ge- 
nau betrachtet habe; denn allhier observieret man zuweilen kleine 
Glandulas, von welchen eine Materia olida secernirt und eirca 
coronam glandis colligirt wird.“ 

Von neueren Autoren, die für die Existenz der Tyson- 
sehen Drüsen eintraten, möchte ich noch Schweigger-Seidel's 
(9) erwähnen, der zu seinen Untersuchungen herangezogen hatte 
die noch mit der Vorhaut verklebte Eichel eines vierwöchent- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 15 


914 Edmund Saalfeld: 


lichen Knaben, ferner mehrere Neugeborene und 7 Erwachsene. 
Schweigger-Seidel sagt: „Der letzte Penis enthält an der 
Eichel mehrere mit Talg gefüllte Drüsenbälge, so dass an dem 
Vorkommen der Eicheldrüsen nicht gezweifelt werden kann, mag 
es auch noch so vereinzelt sein.“ An der Lamina interna prae- 
putii fand dieser Autor in. mehreren Fällen keine Drüsen, und 
dann war auch das äussere Blatt drüsenarm. In anderen Fällen 
fand er sie nur an der vorderen Umschlagstelle reichlich, so dass 
sie einen förmlichen Kranz zu bilden schienen. 

Gegen die von Stieda verfochtene und dureli die Sprunck- 
schen Untersuchungen gestützte Anschauung von der Nichtexistenz 
der Tyson’schen Drüsen hatte sich bereits von Kölliker (10) 
auf der vorjährigen Anatomen-Versammlung zu Gent gewandt 
und an vorgelegten Präparaten die Tyson’schen Drüsen nach- 
gewiesen. Als dasselbe Thema auf dem Internationalen Congress 
zu Moskau von Stieda behandelt wurde, konnte Waldeyer 
durch Demonstration meiner Präparate ebenfalls die Existenz der 
Tyson’schen Drüsen zeigen. 

Ich habe meine Untersuchungen, die damals noch nicht zu 
Ende geführt waren, zu einem gewissen Abschluss gebracht und 
möchte dieselben hier mittheilen. 

Das negative Resultat Spruncek’s rührt meiner Meinung 
nach, wenn er sich auch dagegen verwahrt, wohl daher, dass er 
keine Schnittserien angefertigt hat. Ich habe die Glans penis 
in eirca 500 Abschnitte zerlegt, wobei ich den vordersten Ab- 
schnitt im ganzen schnitt, während ich die übrige Partie noch 
der Länge nach zerlegte, um nicht zu grosse Schnitte zu be- 
kommen und so möglichst wenig Verlust an Material zu erleiden. 

Ich habe von einer Glans eirca 850 Schnitte durchmustert 
und habe hier 28 Drüsen gefunden. Es handelte sich um tubu- 
löse, theils unverästelte, theils mehr oder weniger verästelte 
Talgdrüsen; dass diese wirklich als solehe anzusehen und nicht 
etwa einfache Einstülpungen oder Krypten waren, dafür sprach 
deutlich der anatomische Bau, der klar die Anordnung der kleinen 
Seitentubuli, den Ausführungsgang und die in den Tubulis ge- 
lagerten Talgzellen erkennen liess. An der Uebergangsstelle von 
der Glans penis auf das innere Blatt des Präputium, im Suleus 
coronarius, fanden sich ebenfalls die Drüsen und nieht minder 
fanden sie sich im inneren Präputialblatt. 


Ueber die Tyson’schen Drüsen. 215 


Im vordersten Theil der Glans penis konnte ich sieben ver- 
ästelte und zwei unverästelte Drüsen nachweisen, während ich 
im mittleren Theile der Glans dieselben vermisste. Der unterste 
Theil der Glans penis besass 12 verästelte und 7 unverästelte 
Drüsen; dieselben lagen zum Theil in der unmittelbar an der 
Corona gelegenen Partie des Suleus coronarius. 

In der einen der Länge nach getheilten Hälfte der Lamina 
interna praeputii eines anderen Penis konnte ich 12 verästelte 
und eine unverästelte Drüse nachweisen. 

Die beigefügten Zeichnungen (nach Photographien) lassen, 
glaube ich, jeden Zweifel an der drüsigen Natur der in Frage 
stehenden Gebilde schwinden. 


Tyson’sche Drüsen: 


Glans penis, hinterer Theil. 


Auf die von Sprunck geschilderten Coronarpapillen hatte 
auch ich meine Aufinerksamkeit gerichtet, und zwar bemühte 
ich mich in erster Reihe festzustellen, ob dieselben in irgend 
welcher Beziehung zu drüsigen Elementen ständen. Diese Unter- 
suchungen haben ein negatives Resultat ergeben. Da ich that- 
sächlich nachweisen konnte, dass diese Coronarpapillen eine ge- 
wisse Empfindlichkeit besitzen, wurde ich veranlasst, dieselben 
auf ihre nervösen Gebilde zu prüfen, zumal da dies Sprunck 
nach seiner eigenen Angabe nicht möglich war. Um mir einen 
Ueberblick über das Verhalten der Nerven an den Fundorten zu 
verschaffen, untersuchte ich mit der Goldmethode nicht nur Stück- 
chen der Glans mit Papillen, sondern auch jene correspondirenden 
Stellen von Glandes, welche keine Coronarpapillen enthielten, 


916 Edmund Saalfeld: 


Die naheliegende Prämisse, dass die empfindlichen Coronar- 
papillen mit nervösen Elementen reicher ausgestattet wären als 
die entsprechenden papillenlosen Partieen, hat sich auffälliger 
Weise nicht als richtig erwiesen. Bei meinen Untersuchungen 
stellte sich nämlich heraus, dass irgend ein Unterschied im 
Nervenreichthum zwischen den ‘papillenhaltigen und papillenlosen 
Stellen nicht nachweisbar war. 

Ich legte mir ferner die Frage vor, ob etwa die Condylomata 
acuminata sich besonders bei Patienten fänden, die zahlreiche Coro- 
narpapillen besässen. Aber auch hier bin ich zu einem negativen 
Resultat gekommen. Eine auffallende Bevorzugung bezüglich des 
Auftretens von Acuminaten bei Individuen mit stark ausgeprägten 
Coronarpapillen war nicht nachzuweisen. Dies ist leicht erklär- 
lich, wenn man sich vor Augen führt, dass Acuminaten nicht 
selten an der Vulva vorkommen, ferner beim weiblichen Geschlecht 
am Anus, ‘einer Lokalität, an der sich Coronarpapillen oder 
ähnliche Gebilde nicht finden. 

Fasse ich das Resultat meiner Untersuchungen zusammen, 
so glaube ich den Beweis für das Vorhandensein der Tyson- 
schen Drüsen erbracht zu haben; ferner aber auch zu der Be- 
hauptung berechtigt zu sein, dass die erste Nachricht über die 
Tyson'schen Drüsen nieht von diesem Autor selbst, sondern 
von Cowper aus dem Jahre 1694 herstammt. 

Nachdem mir nun der Nachweis der Tyson’schen Drüsen 
in der Glans penis gelungen war, lag es nahe, die Untersuchun- 
gen auch auf die Glans elitoridis auszudehnen. Ich zer- 
legte 13 Ulitorides von Frauen verschiedenem Lebensalters in 
Schnittreihen und konnte 865 Schnitte durehmustern; ein grosser 
Theil derselben ist auch von Prof. Waldeyer untersucht wor- 
dem Es 'ist mir nicht gelungen, auch. nur eıne 
Drüse nachzuweisen. Es ist daher wohl der Schluss ge- 
stattet, dass, wenn in der Glans elitoridis überhaupt drüsige Ele- 
mente vorkommen, dies doch nur sehr selten der Fall sein kann, 

Nach dem Gesammtergebnisse dieser Befunde ist es also 
unrichtig, das Vorkommen von Talgdrüsen an der Glans penis 
zu bestreiten, wie dies Sprunck thut; dagegen muss es als ein 
Verdienst der Mittheilungen von Stieda und Spruncek aner- 
kannt werden, dass sie diese Talgdrüsen durch ihre Untersuchun- 
gen auf ihren wahren, sehr unbedeutenden Werth zurückgeführt 


Ueber die Tyson’schen Drüsen. 217 


haben. Sie sind durch nichts vor den übrigen Talgdrüsen der 
Haut ausgezeichnet, als durch ihre Kleinheit, ihre geringe Zahl 
und durch ihren Sitz an einer haarlosen Stelle; durch den letz- 
teren Umstand und durch ihre Kleinheit stellen sie sich zu den 
Talgdrüsen der Nymphen, mit denen sie die meiste Aehnlichkeit 
haben; nur sind die letzteren in viel grösserer Zahl vorhanden. 
Ebenso wenig aber, wie die Nymphendrüsen verdienen die der 
Glans penis (oder eventuell die der Glans celitoridis) einen ei- 
genen Namen, um so weniger, als, wie ich nachweisen konnte, 
Tyson diese Drüsen gar nicht einmal selbst beschrieben hat. — 
Von den Beschreibungen der früheren Autoren entspricht die- 
Jenige Schweigger-Seidels vollständig den thatsächlichen 
Verhältnissen. 

Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Prof. 
Waldeyer für die liebenswürdige Unterstützung bei der Arbeit, 
sowie Herrn Prof. W. Krause für die gütige Mithülfe bei der 
Sammlung der Literatur verbindlichst zu danken. 


Literatur-Verzeichniss. 


1. Aus dem anatomischen Institut zu Königsberg i. Pr. Nr. 23: Ueber 
die vermeintlichen Tyson’schen Drüsen. Inaugural-Dissertation 
von Hans Sprunck. 1897. 

2. Dr. Edward Tyson: a) Orang-Outanzg or the anatomy of the 
Pygmie compared with that of a monkey an ape and a man. 
b) A phil. essay concerning the Pygmies, the Cynocephali the Sa- 
tyrs and Sphinges of the Ancients. London 1699. 

3. Tyson, On the Anatomy of a Porpess, dissected at Gresham-Col- 
ledge; with a Praeliminary Discourse concerning Anatomy, and 
a Natural History of Animals. 

4 ef» 1 ipag. 17. 

5. Myotomia reformata: or, a New Administration of all the Muscles 
of Humane Bodies: wherein The true Uses of the Musecles are 
Explained, the Errors of former Anatomists concerning Them 
Confuted, and several Muscles not hitherto taken notice of Descri- 
bed; To which are subjoin’d, A Graphical Description of the Bones; 
And other Anatomical Observations. Illustrated with Figures after 
the Life. By William Cowper Surgeon. London, Printed for 
Sam. Smith and Benj. Walford at the Prince’s-Arms in St. Paul’s 
Church-Yard. MDCXCIV Pag. 225 ff. An Appendix: Containing a 
Description of the Penis, and the manner of its Erection. 


218 Hugo Sauer: 


6. Tyson, Tajacu, sive Aper Mexicanus moschiferus or the Anatomy 
of the Mexico Musk-Hog. Philosophical Transactions No. 153, Ox- 
ford 1683. 

7. Tyson, Cariqueya, seu Marsupiale Americanum, or the Anatomy 
of an Opossum, dissected at Gresham-Colledge. Philosophical Trans- 
actions No. 239, Oxford 1698. 

8. J. F. Cassebohm, Methodus secandi. Berlin bei Schütz 1746. 
8. pag. 158. 

9. Schweigger-Seidel(Virchow’s Archiv 1866, Band 37, pag. 225ff.). 

10. Anatomischer Anzeiger 1897. 

11. Zehnter internationaler Congress zu Moskau, Section für Anatomie. 


Untersuchungen über die Ausscheidung der 
Harnsäure durch die Nieren. 


Von 


Hugo Sauer in Breslau. 


Hierzu Tafel XI. 


Die Ausscheidung von Harnsäure nnd harnsauren Salzen 
in körperlicher Form innerhalb der Nieren bei Gieht und harn- 
saurer Diathese hat die Veranlassung zum Versuch gegeben, 
diesen Vorgang experimentell hervorzurufen. Zwar ist es nicht 
gelungen, den ursprünglichen Plan, auf diese Weise Harnsteine 
zu erzeugen, zu verwirklichen; dagegen hat sich bei den Ver- 
suchen gezeigt, dass es möglich ist, die Ausscheidung der Harn- 
säure experimentell zu studiren. Besonders haben sich Ebstein 
und Nieolaier!)u.?) mit diesen Vorgängen beschäftigt, wo- 
bei sie zu auffallenden und bisher nicht bekannten Ergebnissen 


1) Ebstein und Nicolaier, Ueber die experimentelle Erzeu- 
gung von Harnsteinen. Wiesbaden 1891. 

2) Ebstein und Nicolaier, Ueber die Ausscheidung der Harn- 
säure dureh die Nieren. Archiv f. path. Anatomie Bd. 143, S. 337 bis 
369. 1896. 


De ev 


Se:0ca 2 an 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure ete. 219 


gelangten. Eine Nachprüfung ihrer Versuche schien daher an- 
gezeigt, und ich erfüllte gern den Wunsch meines nunmehr ver- 
storbenen hochverehrten Lehrers, Rudolf Heidenhain, er- 
neute Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure 
dureh die Nieren anzustellen und gedenke an dieser Stelle dank- 
bar seiner Unterstützung durch Rath und That. 

Das wesentliche Ergebniss, zu dem Ebstein und Nieo- 
laier bei ihren Versuchen über die Harnsäureausscheidung 
durch die Nieren gekommen sind, ist die Ansicht, dass die harn- 
sauren Salze innerhalb zelliger Elemente der gewundenen Harn- 
kanälchen sich anhäufen und von diesen getragen dem Nieren- 
becken zugeführt werden. 

Zu dieser Ueberzeugung wurden Ebstein und Nico- 
laier durch Versuche geführt, deren Inhalt in folgendem kurz 
referirt ist. 

Als Versuchsthiere verwendeten Ebstein und Nicolaier 
Kaninehen, und zwar theils gesunde, theils solche, deren Nieren 
vorher dureh neutrales ehromsaures Kali oder Aloin geschädigt 
worden waren. 

Die Einverleibung der Harnsäure in den Organismus der 
Versuchsthiere erfolgte auf verschiedenen Wegen: In reiner Sub- 
stanz wurde die Harnsäure mit dem Futter verabreicht; intravenös 
gelöst in Piperazinlösung, subeutan in Lösungen von phosphor- 
saurem Natron und Piperazin, intraperitoneal als reine Substanz, 
oder in sterilen Flüssigkeiten suspendirt einverleibt. 

Bei der Verfütterung konnte die Harnsäure nur in den 
Faeces, nicht im Harn und den Nieren nachgewiesen werden. 
Diese Versuchsreihe ist demnach als bedeutungslos auszuscheiden. 
Für meine Beurtheilung soll auch die Versuchsreihe an den 
dureh chemische Agentien vorher beeinflussten Nieren nicht in 
Betracht gezogen werden, da hier die Entfernung der Harnsäure 
nieht durch normale Nieren erfolgte; es sind daher nur die- 
jenigen Versuche, bei denen die Harnsäure intravenös, subeutan 
oder intraperitoneal dem Organismus der Thiere einverleibt 
worden war, geeignet, zum Studium der physiologischen Harn- 
säureausscheidung herangezogen zu werden. 

Von den Befunden dieser Versuchsreihe geben Ebstein 
und Nieolaier folgende Beschreibung: 

Der Harn, welcher nach der Einverleibung von Harnsäure 


220 Hugo Sauer: 


ausgeschieden wurde, war fast immer frei von Eiweiss. Er ent- 
hielt viel Urate, welche die Murexidprobe gaben, und Harnsäure- 
krystalle. 

Die Nieren unterschieden sich in Grösse, Farbe und Con- 
sistenz nieht von normalen. Makroskopisch zeigten sie auf dem 
Durchschnitt in der Markschicht grau-weisse Streifen, die bis in 
die Rindenschicht verliefen; dort waren noch ebenso gefärbte 
Pünktchen zu erkennen. 

Die mikroskopischen Bilder ungefärbter, in absolutem Alko- 
hol gehärteter Nierenschnitte werden von Ebstein und Nico- 
laier folgendermaassen beschrieben: „In einer Reihe meist 
dilatirter Harnkanälchen der Rinde, sowie des Markes erschienen 
die Epithelzellen wie gequollen und zeigten, miteinander ver- 
glichen, nur geringe Grössendifferenzen und im wesentlichen eine 
polygonale Form. Diese Zellen, die wir der Kürze halber als 
„kleine Uratzellen“ bezeichnen wollen, sassen in manchen Harn- 
kanälchen wie sonst das unveränderte Epithel wandständig, in 
anderen aber waren sie unregelmässig angeordnet, in anderen 
wieder erfüllten sie die Durchschnitte durch die Harnkanälchen 
vollständig. Ihr Leib war homogen, byalin, theils farblos, theils 
schwach grünlich gefärbt und zeichnete sich durch einen sehr 
starken Glanz aus, durch den die Zellen dem Beobachter selbst 
schon bei schwächerer Vergrösserung in die Augen fallen.“ 

Neben diesen kleinen Uratzellen beschreiben Ebstein und 
Nicolaier noch „grosse Uratzellen*. Ihr Leib soll polymorph, 
bedeutend grösser sein und oft mehrere kernartige Gebilde ein- 
schliessen. Betrachte man den Verlauf der Harnkanälchen von 
den Glomerulis nach den Sammelröhren zu, so habe es den An- 
schein, als ob der Leib der Uratzellen an Substanz verliere, 
so dass man in tieferen Abschnitten nur noch Gebilde im Lumen 
der Kanälchen antreffe, die den Kernen der Uratzellen sehr 
ähnlich wären. 

Abgesehen von den Uratzellen waren in ihren Präparaten 
noch viele Kanälehen mit kleinsten amorphen und grösseren 
strukturirten Körnehen ausgefüllt. Sie erwiesen sich chemisch 
als harnsaure Salze. In den Glomerulis und Kapseln wurden 
die beschriebenen Gebilde nie gefunden. 

Die Struktur der grösseren Coneremente wird verschieden- 
artig angegeben. Viele sollen eine concentrische Schichtung, 


h 


d 


Da I 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure etc. 221 


andere eine radiäre Faserung, noch andere beide Anordnungen 
kombinirt zeigen. Bei der Untersuchung im polarisirten Licht 
fanden Ebstein und Nieolaier noch, dass die kernartigen 
Gebilde der kleinen und grossen Uratzellen, sowie die kleineren 
und grösseren Coneremente das Licht doppelt brachen und viel- 
fach das schwarze Interferenzkreuz der Sphärolithe zeigten. 
Daraus schliessen beide Forscher, dass die intra- und extracellu- 
lären Bildungen identisch sind und bezeichnen sie kurz als 
Sphärolithe. Der Leib der Uratzellen soll dagegen nur selten 
und dann nur am Rande das Licht doppelt brechen. Die 
Sphärolithe konnten in Essig- oder Salzsäure aufgelöst werden. 
Dabei blieb ein der Grösse und Form entsprechendes Gerüst 
zurück, von dem Ebstein und Nicolaier annehmen, dass 
es aus Bestandtheilen derjenigen Uratzellen sich aufbaue, in denen 
der Sphärolith entstanden sei. 

Auf Grund dieser Befunde kommen Ebstein und Nico- 
laier zu folgendem Ergebniss!): ‚Die Harnsäure imprägnirt, 
und zwar höchst wahrschemlich in Form von harnsauren Salzen, 
die Epithelzellen gewisser Abschnitte der Harnkanälchen, die 
infolge dessen aufquellen, sich vergrössern, einen glänzenden Leib 
und vielfach eine schwach gelbe Farbe bekommen (kleine und 
srosse Uratzellen.. In diesen mit den harnsauren Salzen im- 
prägnirten Zellen scheiden sich die Urate sämmtlich oder zum 
Theil in Form eines oder mehrerer Sphärolithe aus... Neben 
den intakten Uratzellen sehen wir freie d. h. extracelluläre 
Sphärolithe, welche durchaus den intracellulären entsprechen, oft 
auch noch am Rande Reste von Protoplasma zeigen, so dass 
anzunehmen ist, dass sie im wesentlichen in den Zellen und 
nicht ursprünglich etwa ausserhalb derselben gelegen haben . . . 
Sie werden ebenso wie die Uratzellen von ihrem Entstehungs- 
orte in tiefere Abschnitte der Harnkanälchen fortgeschwemmt 
und gelangen schliesslich mit dem Harn in die Harnwege und 
werden dann mit ihnen nach aussen entleert.“ Als Ort der 
Ausscheidung nehmen sie die gewundenen Kanälchen und den 
Isthmus der Schleifen an. 

Um nun über diese Angaben von Ebstein und Nico- 
laier ein eigenes Urtheil zu gewinnen, beobachtete ich bei 


1) e. (8. 861. 


222 Hweo.Sauer: 


meinen Versuchen zunächst genau ihre Vorschriften zur Herstellung 
der Präparate: 

Als Versuchsthier wurde das Kaninchen benützt. 

Die Harnsäure wurde nur intravenös einverleibt, da nach 
Ebstein nnd Niecolaier die Ausscheidung der Harnsäure 
unabhängig von der Art der Einverleibung (intravenös, subeutan 
oder intraperitoneal) erfolgte. 

In Betreff der Lösung der Harnsäure hielt ich mich zuerst 
genau an die Angaben von Ebstein und Niecolaier. Sie 
lösten 0,4g Harnsäure in 10 cem einer 5°/, Piperazinlösung. 
Obwohl nun die von mir benützten Chemikalien aus den gleichen 
Fabriken stammten, fand ich doch das Lösungsverhältniss anders. 
Um 0,4 g Harnsäure zu lösen, sind mindestens 10 cem einer 10°, 
Piperazinlösung erforderlich bei gleichzeitiger bedeutender Er- 
wärmung. Selbst dann bleiben noch kleine Mengen von Harn- 
säure ungelöst. Beim Erkalten der Flüssigkeit entsteht ein er- 
heblicher, weisser, amorpher Niederschlag von harnsaurem Pipe- 
razin. Durch erneutes Erwärmen geht der Niederschlag wieder 
in Lösung. 

Bei den meisten Versuchen benützte ich eine kurz vor der 
Injektion bereitete Lösung der Harmsäure in Piperazin. Sie 
wurde von den Thieren gut vertragen, obwohl einige Male dem 
Organismus binnen 10 Minuten 0,7 g Harnsäure in 20 cem einer 
10 °/, Piperazinlösung einverleibt wurden. Bei einigen Versuchen 
wurde auch die von früheren Versuchen übrig gebliebene Flüssig- 
keit verwendet, indem kurz zuvor der Niederschlag von harn- 
saurem Piperazin durch Erwärmen gelöst wurde. Von den 
damit behandelten Versuchsthieren sind mir jedoch, obwohl die 
Flüssigkeit sebr langsam in das Venensystem einfloss, drei in 
sehr kurzer Zeit noch während der Injektion unter starken 
dyspnöischen Erscheinungen verendet. Auf dieselbe Weise ver- 
loren Ebstein und Nieolaier zwei Kaninchen. Das harn- 
saure Piperazin muss demnach eine gewisse Giftwirkung besitzen. 

Von weiteren Nebenerscheinungen, welche nach der intra- 
venösen Injektion von Harnsäure und Piperazinlösung eintraten, 
sei starker Speichelfluss erwähnt. Diese Wirkung muss nicht der 
Harnsäure, sondern dem Piperazin zugeschrieben werden. Denn 
wurde die Harnsäure in Lysidin gelöst einverleibt, so trat kein 
Speichelfluss ein. 


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Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure etc. 223 


Der kurze Zeit nach der Harnsäureeinverleibung secernirte 
Harn war stets eiweissfrei. Die Farbe war schmutzig gelb und 
durch grau-weissliche, körperliche Beimengungen stark getrübt. 
Unter dem Mikroskop zeigte das reichliche Sediment amorphe 
Beschaffenheit und löste sich nach Zusatz von Essigsäure. Beim 
Verdunsten derselben schieden sich Harnsäurekrystalle aus. 

Die Harnsekretion selbst war bei allen Versuchen recht be- 
deutend. Einmal konnten in 40 Minuten 195 eem Harn aufge- 
fangen werden, aus denen 0,098 g reine Harnsäure wiederge- 
wonnen wurden. Im ganzen waren bei diesem Versuch 0,8 g 
intravenös injizirt worden. Daraus kann man sehen, wie rasch 
ein Thier, das unter normalen Verhältnissen keine Harnsäure in 
seinem Organismus produeirt, verhältnissmässig grosse Massen 
dieser Substanz aus seinem Körper durch die Nieren ausscheidet, 
wenn dieselben in die Blutbahnen gelangen. 

Die Versuchsdauer wurde verschieden gewählt. Frühestens 
20 Minuten und spätestens 60 Minuten nach der Injektion der 
Harnsäurelösung wurden die Thiere getötet. 

Die sofort entnommenen Nieren boten an der Oberfläche 
normales Aussehen dar. Auf dem Durchschnitt war die Rinden- 
und Markschicht deutlich gesondert wahrzunehmen, oft auch noch 
die Grenzschicht gut ausgeprägt. Die Markkegel liessen sehr 
feine, grau weisse, oft perlmutterartig glänzende Streifen erkennen 
und diese konnten auch durch die Rindenschicht bis an die Kapsel 
verfolgt werden. Neben den radiär verlaufenden Streifen, waren 
noch quer verlaufende und ebenso gefärbte Pünktehen zu sehen, 
doch nicht mit so grosser Deutlichkeit, und oft waren die Linien 
unterbrochen. 

Die Fixation von Nierenstückchen erfolgte entweder in ab- 
solutem Alkohol oder dem Gemisch von Alkohol-Chloroform-Eis- 
essig, das ich bei einer früheren Arbeit!) mit grossem Erfolg 
benützt hatte und das sich auch hier gut bewährte. Die ge- 
bräuchlichsten anderen Fixirungsmittel konnten nicht Verwendung 
finden, da durch sie die harnsauren Conkremente gelöst werden 
und nicht zur Anschauung kommen. 


1) H. Sauer, Neue Untersuchungen über das Nierenepithel und 
sein Verhalten bei der Harnabsonderung. Archiv f. mikrosk. Anatomie 
1895, Bd. 46 S. 116. 


224 Hugo Sauer: 


Wegen der Erhaltung dieser Gebilde ist es auch recht 
schwierig, einen geeigneten Farbstoff zu finden; derselbe muss 
in alkoholischer Lösung brauchbare Bilder liefern. Wer viel 
Nierensehnitte unter dem Mikroskop gesehen hat, wird bei einiger 
Uebung auch in ungefärbten Präparaten manches erkennen können. 
Um aber zu entscheiden, ob die feinsten Harnsäureniederschläge 
intra- oder extracellulär liegen, ist doch eine Färbung wünschens- 
werth, welche die Epithelien einigermaassen differeneirt. Ebstein 
und Niecolaier benutzten dazu Methylenblau. Eine bessere Fär- 
bung erzielte ich mit gesättigter alkoholischer Thioninlösung. 
Es ist dabei vortheilhaft, das ganze Nierenstückchen zu färben 
und beim Uebergang von Alkohol-Xylol dieser Mischung noch 
Thionin zuzusetzen, sonst blasst die Farbe des Stückchens sehr 
ab. Besonders gut ist zwar die Färbung mit Thiovin auch nicht; 
auf den dünnen Schnitten ist das Protoplasma immer noch recht 
blass blau, die Kerne sind etwas dunkler. Immerhin aber sind 
die Epithelien so differeneirt, dass sich die von Natur aus dunkel- 
braunen harnsauren Conkremente gut von ihnen abheben. 

Beeinflusst wird die Färbung der Nierenschnitte noch durch 
den Grad der Harnsäureeinverleibung resp. Harnsäureausscheidung. 
Wurde z. B. eine Niere während des Versuches exstirpirt, hatte 
sie also weniger Harnsäure ausgeschieden, als die andere, welche 
noch längere Zeit secernirte, so zeigten die Schnitte der zuerst 
entnommenen Niere einen rein blauen Farbenton, während die 
der zweiten Niere besonders im Verlauf der gewundenen Kanäl- 
chen mehr ein schmutzig blaues oder grün-gelbliches Aussehen 
darboten. 

Die geraden Kanalsysteme und die Glomeruli, die, wie noch 
später gezeigt werden wird, mit der Ausscheidung der Harnsäure 
direkt wohl nichts zu thun haben, färbten sich immer gleich gut 
blau und etwas intensiver, so dass bei schwacher Vergrösserung 
die gewundenen und geraden Harnkanälchen sich von einander 
deutlich abhoben. 

Im Einzelnen ergab sich bei der mikroskopischen Betrach- 
tung folgender Befund: Kapsel und Glomeruli boten immer ein 
normales Aussehen. Nie waren Conkremente in ihnen zu finden, 
die auf eine bereits hier beginnende Harnsäureausscheidung hätten 
schliessen lassen. 

Die gewundenen Kanälchen waren theils von normaler 


a ET E A er ed re ei 1 Seit Me A 


».. 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure etc. 225 


Weite, theils mässig dilatirt. Ihr Lumen war mehr oder weniger 
mit gröberen und feineren Körnchen angefüllt, die nach der Mitte 
zu mehr regellos lagen, dagegen dicht beisammen an dem dem 
Lumen zugekehrten Epithelsaume, dort wo normaler Weise die 
Bürstenbesätze sich finden. So bildeten die Conkremente auf 
Schnitten senkrecht zum Verlauf der Harnkanälchen betrachtet 
oft einen Ring, der durch seine gelblich braune, auch grünliche 
und mitunter stark glänzende Farbe sofort auffiel (siehe Abbil- 
dung). Recht häufig konnte ich aber auch feinste Körnchen eine 
Strecke weit in die Epithelien hinein verfolgen (s. Abbdg. a be). 
Die Membrana propria erreichten sie nie. 

Abweichend von diesem Befund waren bei recht wenig 
sewundenen Kanälchen an Stelle der normalen Protoplasmaaus- 
kleidung gelblich glänzende Gebilde zu erkennen. Sehr selten 
ununterbrochen, waren sie meistens durch stärkere Umrandung 
oder Zwischenräume getrennt und sahen eylindrischen oder poly- 
gonalen Zellen ähnlich, besonders noch dadurch, dass in ihrer 
Mitte ein dunkleres kernartiges Gebilde lagerte (s. Abbildung d). 
Manche dieser Gebilde hatten ihren Zusammenhang mit der Basal- 
membran verloren, lagen vereinzelt im Lumen oder füllten die 
Liehtungen der Kanälchen vollkommen aus. Der gelblich grüne, 
hellleuchtende Leib zeigte kaum eine Struktur, während das kern- 
artige Gebilde mitunter radiär gefasert zu sein schien. 

In dem ab- und aufsteigenden Theil der Henle’schen 
Schleifen lagen die oben beschriebenen feineren und gröberen 
Körnehen ganz vegellos, dazwischen aber auch grössere Conkre- 
mente, die eine radiäre Faserung oder konzentrische Schichtung 
zeigten. Ab und zu waren auch die soeben beschriebenen zell- 
ähnlichen Gebilde anzutreffen (s. Abb. d). 

Die Sammelröhren führten dieselben Anhäufungen wie die 
vorigen Kanalsysteme, nur traten die Körnchen mehr in den 
Hintergrund gegenüber grösseren oft fast das Lumen einnehmen- 
den Conkrementen (s. Abb. c). Diese grösseren Niederschläge 
liessen bei der Vergrösserung mit Objektiv D (Zeiss), mit wel- 
chem die Abbildung gezeichnet ist, eine doppelte Struktur er- 
kennen. Ihre Peripherie zeigte eine feine radiäre Faserung, 
während die Mitte eine dunklere mehr konzentrische Schichtung 
erkennen liess, Der Zusammensetzung nach bestanden diese Ge- 
bilde aber nur aus einem Stoff. Bei Zusatz von Essigsäure lösten 


226 Hugo Sauer: 


sie sich im Ganzen auf und beim Verdunsten der Säure schieden 
sich typische Harnsäurekrystalle aus. Bei der Betrachtung mit 
Immersion konnte man ebenfalls erkennen, dass die Conkremente 
nur einfach zusammengesetzt waren. Die mittlere Schicht, welehe 
bei schwächerer Vergrösserung konzentrische Schichtung darbot, 
erschien jetzt ebenfalls nur radiär gefasert. Die nach der Mitte 
zu konvergirenden kleinsten, radiären Fasern können demnach 
bei schwächerer Vergrösserung nicht mehr als solche erkannt 
werden. 

Die Niederschläge von harnsauren Salzen boten alle noch 
eine gemeinsame Erscheinung dar. Bei auffallendem Licht leuch- 
teten sie hellgrau und bei polarisirtem Licht zeigten sie das 
schwarze Interferenzkreuz, eine Erscheinung, welche alle nach 
bestimmten Regeln aufgebauten Körper darbieten. Das schwarze 
Interferenzkreuz war ferner noch an den Kernen der oben be- 
schriebenen gelblichen, zellähnlichen Gebilde (Abbild. d) zu be- 
obachten. 

Was die Epithelauskleidung anlangt, so war sie in den 
geraden Kanalsystemen immer normal. Auch in den gewundenen 
Harnkanälehen zeigten sich keine Veränderungen bis auf die 
wenigen Stellen, wo die beschriebenen gelblich glänzenden zell- 
ähnliehen Gebilde der Basalmembran auflagerten. 

Die Bürstenbesätze waren nie zu sehen, da die dafür ge- 
eignete Färbung wegen der Erhaltung der Harnsäureniederschläge 
nicht anzuwenden war. Um sie aber doch beobachten zu können, 
wurden einige Schnitte nach der von mir!) früher angegebenen 
Methode behandelt, wobei allerdings die Harnsäureconkremente 
verloren gingen. An solchen Präparaten waren die Bürstenbe- 
sätze wohl zu erkennen, aber vielfach nicht in ihrer ganz nor- 
malen Form. Oft waren sie zerrissen oder von den Epithelien 
abgelöst. Es wird sich jedoch schwer daraus urtheilen lassen, 
ob schon in vivo durch die Harnsäureniederschläge die Bürsten- 
besätze und damit die Epithelien selbst in Mitleidenschaft ge- 
zogen worden, oder ob bei der nachträglichen Lösung der Nieder- 
schläge an den zarten Bürstenbesätzen künstliche Veränderungen 
entstanden sind. 

Dieser Befund weicht nun ab von den Beschreibungen 


IP aa NOS. 17. 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure ete. 227 


Ebstein’s und Niecolaier’s, und es fragt sich, worin der wesent- 
liche Gegensatz liegt. 

Wie oben auseinandergesetzt worden ist, erklären E. und N. 
„die kleinen und grossen Uratzellen“ als die Träger der Harn- 
säureausscheidung durch die Nieren. Nach meinen Beobachtungen 
sind aber die gelblich glänzenden, zellähnlichen Gebilde, die 
wohl den Uratzellen jener gleichzusetzen sind, in so verschwinden- 
der Menge anzutreffen, dass sie mit der eigentlichen Ausscheidung 
der Harnsäure und ihrer Salze nichts zu thun haben können. 
Vielmehr möchte ich diese Gebilde für Trümmer pathologisch 
veränderter aber früher normaler Epithelien halten. Ihr Zustande- 
kommen erklärt sieh in der Weise, dass reichliche Anhäufungen 
von Harnsäureconkrementen manche Kanälchen für immer oder 
zeitweise verlegen. Es entsteht so an dieser Stelle und den 
nach den Kapseln zu gelegenen Abschnitten eine Sekretstauung, 
wie ja auch mehrfach stärker erweiterte Harnkanälchen anzu- 
treffen sind. Solche pathologische Veränderungen mögen aber 
geeignet sein, einzelne Epithelien mehr oder weniger zu schädigen 
und zum Absterben zu bringen. Da nun erfahrungsgemäss nekro- 
tische Körper eine Ablagerungsstätte für Salze bilden, so glaube 
ich annehmen zu dürfen, dass im vorliegenden Falle die abge- 
storbenen Nierenzellen mit Harnsäure imprägnirt werden und so 
den gelblich-grünen Ton und Glanz erhalten. Andererseits hat 
aber auch der Organismus das Bestreben, sich nekrotischer Theile 
zu entledigen. Die noch ein zellähnliches Aussehen darbietenden 
Gebilde lösen sich von der Basalmembran ab, gelangen in das 
Lumen und können nun vom Sekretstrom fortgeschwemmt werden. 
Auf dem weiteren Wege werden noch nach und nach durch 
Reibung und Anstossen an die Wandungen des Lumens oder mit 
Harnsäureconkrementen Theile des Zellleibes abgerissen, bis so 
der nekrotische mit Harnsäurekrystallen imprägnirte Kern übrig 
bleibt und so das Aussehen eines Gebildes darbietet, welches E. 
und N. als Sphärolithe bezeichnen. 

Diese Gebilde, die wohl den kleinen und grossen Urat- 
zellen von E. und N. entsprechen, kommen wie gesagt, in meinen 
Präparaten so spärlich vor, dass es unmöglich ist, sie als die 
Träger der ganzen, die Niere passirenden Harnsäuremenge zu 
betrachten. 

Ferner kann ich mich der Ansicht von E. und N. im fol- 


228 Hugo Sauer: 


genden Punkte nicht anschliessen: Jene fanden, dass die Kerne 
der Uratzellen und die grösseren Harnsäureconkremente, die sie 
als Sphärolithe bezeichnen, gleiches Verhalten im polarisirten 
Lieht und das schwarze Interferenzkreuz zeigten. Sie erklären 
daher die intra- und extrazellulären Sphärolithe für identische 
Gebilde und ziehen noch ‚weiter den Schluss, dass die extra- 
zellulären Sphärolithe, d. s. die grösseren und kleineren Ab- 
lagerungen, zuerst in den Uratzellen gebildet und dann allmäh- 
lich frei geworden seien. 

Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass durch das schwarze 
Interferenzkreuz, welches beide Bildungen zeigen, ihre Identität 
nicht bewiesen ist, sondern nur soviel, dass beide Körper eine 
Struktur haben müssen, deren einzelne Componenten nicht über 
10 u betragen, sonst aber können sie aus ganz verschiedenen 
Substanzen bestehen. 

Meines Erachtens sind die intracellulären Sphärolithe von 
E. und N. die Ueberreste zu Grunde gegangener, früher lebens- 
fähiger Zellkerne, in denen sich allerdings Harnsäurekrystalle 
niedergelassen haben; die extracellulären Sphärolithe d. h. die 
kleineren und grösseren Ablagerungen im Lumen bestehen da- 
gegen ursprünglich aus feinsten Niederschlägen von harnsauren 
Salzen, die sich zu grösseren regelmässigen Gebilden aneinander- 
geschlossen und wohl mitunter um ein Gerüst aus einem Eiweiss- 
körper gelagert haben. Letzteres Verhalten konnte ich übrigens 
durchaus nicht immer bestätigt finden, während es Ebstein und 
Nicolaier bei den grösseren Sphärolithen als Regel aufstellen. 

Meine eigenen Befunde führen mich vielmehr zu folgender 
Auffassung von dem Mechanismus der Harnsäureausscheidung 
durch die Nieren: 

Die Nierenkapseln und Glomeruli sind bei der Ausscheidung 
der Harnsäure direkt nicht betheiligt. In ihnen sind nie Nieder- 
schläge von harnsauren Salzen anzutreffen. 

Die ersten, feinsten Conkremente finden sich in den ge- 
wundenen Harnkanälchen. Hier also beginnt der Ausscheidungs- 
prozess. Es bleibt nur noch die Frage offen, unter welchen Be- 
dingungen die Niederschläge von harnsauren Salzen entstehen. 

Wenn man an der bisher fast allgemein angenommenen 
Theorie der Harnsekretion festhält, wonach die Menge des Harn- 
wassers hauptsächlieh dureh die Glomeruli und die harnfähigen 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure ete. 229 


Salze durch die Epithelien der gewundenen Kanälchen ausge- 
schieden werden, so kann man sich drei Möglichkeiten für das 
Zustandekommen von Niederschlägen harnsaurer Salze innerhalb 
der Harnkanälchen denken: 

1. Die Harnsäure gelangt noch in alkalischer Lösung durch 
den Glomerulusstrom in die gewundenen Kanälchen, trifft dort 
mit dem zweiten aber sauren Sekret aus den Epithelien zusam- 
men und fällt dadurch aus. 

2. Kann umgekehrt die Harnsäure in Lösung durch die 
Thätigkeit der Epithelien der gewundenen Harmkanälchen aus- 
geschieden werden, dann mit einem sauerreagirenden Glomeru- 
lusstrom zusammentreffen und dadurch ausfallen. 

3. Kann die Harnsäure durch aktive Thätigkeit der Epi- 
thelien der gewundenen Kanälchen körperlich in das Lumen der 
Kanälchen ausgeschieden werden. 

Die erste dieser Annahmen ist am wenigsten wahrscheinlich, 
da nach den bisherigen Erfahrungen die durch die Glomeruli 
ausgeschiedene Flüssigkeit arm an festen Bestandtheilen ist. 

Gegen die zweite Annahme lassen sich zwar meines Er- 
achtens keine allgemein giltigen Thatsachen anführen; doch 
möchte ich auf Grund des folgenden Befundes die dritte An- 
nahme für die zutreffende halten: 

Wie erwähnt, finden sich die feinsten Niederschläge inner- 
halb der Epithelien der gewundenen Kanälchen und es ist daher 
am wahrscheinlichsten, dass sie innerhalb dieser Zellen entstehen 
und von ihnen ausgeschieden werden. 

Dagegen könnte allerdings der Einwand gemacht werden, 
diese feinsten Niederschläge seien beim Schneiden des Nieren- 
stückchens verschleppt worden. Um dem vorzubeugen, wurde 
ausser in Paraffin noch in Celloidin eingebettet, oder bei Paraffin- 
einbettung das Nierenstückchen vor jedem Schnitt mit Collodium 
bestrichen und noch jeder einzelne Schnitt auf dem Objektträger 
mit Strasser’'scher Klebmasse befestigt. Die Verhältnisse 
blieben die gleichen. Ferner möchte ich noch geltend machen, 
dass bei einer Verschleppung man auch den Weg, also Rillen 
oder Streifen im Protoplasma hätte beobachten müssen. Zudem 
wären wohl eher die grösseren Conkremente für eine Verschleppung 
durch das Messer geeignet gewesen, als die kleinsten. Ich habe 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53. 16 


230 Hugo Sauer: 


daher die Ueberzeugung, dass die feinsten Harnsäureniederschläge 
intracellulär liegen. 

Als zweiten, allerdings nicht strenge beweisenden Grund 
für meine letzte Annahme will ich noch anführen, dass bei der 
Färbung mit Thionin die gewundenen Kanälchen einen Farben- 
unterschied gegenüber den Kapseln und geraden Kanalsystemen 
zeigten. Die Färbung ist nicht wie bei diesen rein hellblau, 
sondern etwas schmutzig, mit einem Uebergang ins Grün. Be- 
sonders deutlich war der Farbenunterschied an den Nieren, welche 
reichlich Harnsäure ausgeschieden hatten. 

Schliesslich machte ich zur Prüfung der dritten Hypothese 
noch Versuche, welche darauf hinausgingen, den Glomerulusstrom 
zu unterdrücken und so ein Wegspülen der Harnsäureniederschläge 
aus den gewundenen Kanälchen nach Möglichkeit zu vermeiden. 
Der Glomerulusstrom kann bekanntlich ausgeschaltet werden, 
erstens durch Herabsetzung des arteriellen Blutdruckes, zweitens 
durch Aetzung der Nierenrinde. 

Zur Herabsetzung des Blutdruckes wurde Kaninchen das 
Halsmark durchschnitten und künstliche Athmung eingerichtet. 
Alsdann wurde die Harnsäurelösung injieirt. Trotz der Durch- 
schneidung des Halsmarkes trat aber jedesmal reichliche Harn- 
sekretion ein und zeigten daher die mikroskopischen Nieren- 
schnitte keine Verschiedenheiten gegenüber denen von gewöhn- 
lichen Versuchen. 

Da somit dieser Versuch keine Unterscheidung in der vor- 
liegenden Frage herbeiführte, wurde die Unterdrückung des 
Glomerulusstromes durch Verschorfung der Nierenrinde versucht. 
Nach einem seitlichen Bauchschnitt wurde eine Niere herausge- 
holt, mit dem Thermokauter auf der Oberfläche Streifen einge- 
brannt, und nach Reposition der Niere die Bauchwunde wieder 
geschlossen. Nach zwei Tagen wurde Harnsäure in die Blut- 
bahn gebracht und die Niere in der früheren Weise untersucht. 

Die mikroskopischen Schnitte liessen deutliche Aenderungen 
an keilförmigen Nierenpartien, deren oberste Rindenschicht ver- 
schorft war, gegenüber den normalen erkennen. Die unter der 
verschorften Rindenzone liegenden gewundenen Kanälchen ent- 
hielten in gleicher Weise Niederschläge von harnsauren Salzen 
wie die der normalen Rinde, nicht aber die dazugehörigen geraden 
Kanalsysteme. Diese Thatsache kann nur so gedeutet werden, 


2er ee er re Sees 


Untersuchungen über die Ausscheidung der Harnsäure etc. 231 


dass. die Harnsäure dureh eine aktive Thätigkeit 
der Zellen der gewundenen Kanälchen in körper- 
licher Form in das Lumen gelangte und von dort 
nieht in die tieferen Theile, in die geraden Kanalsysteme weg- 
geführt wurde, da der Glomerulusstrom versiegt war. 


Zum Schlusse fasse ich meine Ergebnisse in folgende Sätze 
zusammen: 

1. Die Auffassung von Ebstein und Nicolaier von 
der Ausscheidung der Harnsäure durch „Uratzellen“ in der Niere 
kann ich nicht bestätigen. 

2. Als Ort der Ausscheidung sind die gewundenen Kanäl- 
chen zu bezeichnen und ist es in hohem Grade wahrscheimlich, 
dass die Harnsäure durch aktive Thätigkeit der Epithelien in 
körperlicher Form in das Lumen gelangt. 

3. Die geraden Kanalsysteme führen die in den gewundenen 
Kanälchen zur Ausscheidung gekommene Harnsäure dem Nieren- 
becken zu. Auf diesem Wege können sich kleinere Conkremente 
zu grösseren vereinigen. 


Erklärung der Abbildung auf Tafel XI. 


Die Zeichnung ist mit dem Zeichenapparat von Zeiss auf dem 
Arbeitstisch entworfen. Tubuslänge 160 mm, Ocular 4, Objectiv D 
(Zeiss). 

Querschnitt durch die Rindenschicht einer Kaninchenniere. Fixa- 
tion: Alkohol-Chloroform-Eisessig. Färbung: Thionin. 

Bei a, b, ce sind in den gewundenen Harnkanälchen feinste Con- 
kremente von harnsauren Salzen vom Lumen aus in das Protoplasma 
der Epithelauskleidung hinein zu verfolgen. 

In dem aufsteigenden Theil einer Henle’schen Schleife sind bei 
d freiliegende, gelb-grünlich glänzende, zellähnliche Gebilde zu be- 
obachten. Sie entsprechen den „kleinen Uratzelien* von Ebstein 
und Niecolaier. 

In dem Anfang eines Sammelrohres liegen bei e grössere Con- 
kremente von harnsauren Salzen mit einem dunkleren Centrum und 
einer helleren, radiär gefaserten Peripherie. 


232 


Ueber Holzessigfarben. 


Von 
Eugen Burchardt, 
Arzt in Strassburg i. E. 

Im Verlauf meiner Untersuchungen über die kernfixirenden 
Bichromate ') hatten sich mir dieselben Schwierigkeiten für die 
Färbung mit den bekannten Haematoxylin- und Carminfarben 
entgegengestellt, wie wir sie an Präparaten zu finden gewohnt 
sind, welche mit starken Cbromsäurelösungen behandelt wurden. 
Während ich nun damit beschäftigt war, auch für derartige Prä- 
parate geeignete Uarmin- und Haematoxylinlösungen, besonders 
im Hinblick auf eine mögliche Stückfärbung, zu finden, wurde 
ıir-von Herrn Professor Goette die ehrenvolle Aufgabe gestellt, 
für werthvolles Material, das auf fernen Reisen gesammelt, dabei 
meist in zu starken Chromsäurelösungen gehärtet, oft auch nicht 
genügend ausgewaschen war, eine Färbung zu suchen. Die im 
Folgenden zu beschreibenden Holzessigfarben sind das Ergeb- 
niss dieser Untersuchungen. Nachdem ich sie während fast eines 
Jahres bei meinen Arbeiten im hiesigen zoologischen Laboratorium 
einer gründlichen Prüfung unterworfen habe, glaube ich nicht 
mehr zögern zu dürfen, sie zur allgemeinen Kenntniss zu bringen. 
Ich glaube nämlich nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, 
(lass diese Farben in die mikroskopische Färbetechnik, besonders 
insoweit sie eine Stückfärbung sein soll, die erwünschte und bis 
Jetzt zweifellos nicht vorhandene Sicherheit bringen. 


Holzessig-Haematoxylin. 


Gerein. Holzesig . . 130,0 
Kabalamm a e \. .. 2,0 
Haematoxylin.... .; . 0,5 


Bei der Bereitung ist zuerst der Alaun kalt in dem Holz- 


1) „Bichromate und Zellkern“ La Cellule 1897, t. XI. 


ee 


Eugen Burchardt: Ueber Holzessigfarben. 233 


essig durch Umschütteln zu lösen, was einige Zeit erfordert, erst 
dann 0,5 Haematoxylin, in starkem Alkohol gelöst, hinzuzusetzen, 
und die Mischung wenigstens 12 Tage am Lichte stehen zu lassen. 
Sie ist vollkommen haltbar, nimmt aber auch mit der Zeit an 
Färbekraft zu. Diesem Umstande lässt sich durch Zusatz von 
etwas gereinigtem Holzessig, z. B. 20 eem nach 6 Monaten, leicht 
abhelfen. Bei der ausserordentlichen Breite der Tinetionszeit 
wird dies aber erst nach sehr langer Zeit nöthig. Hiervon über- 
zeugt man sich leicht durch Einlegen von Schnitten auf 10 Minuten 
bis 10 Stunden und selbst länger; dieselben sind stets brauchbar, 
allerdings nur bei Untersuchung in Oel, nicht in Glycerin, weil, 
besonders nach Alkoholhärtung, Bindegewebe und Zellen einen 
braunen Farbenton annehmen. 

Dieses Haematoxylin dringt in sehr grosse Stücke ein und 
eonservirt die zartesten Gewebe. Nie darf Wasser zugesetzt 
werden — und dies gilt für alle Holzessigfarben; die Stücke 
(und Schnitte) werden deshalb stets direet aus starkem Alkohol 
eingelegt, verbleiben in der Farbe 1—12 Stunden und länger, 
je nach ihrer Grösse, werden dann gründlich in 50°, Alkohol 
ausgewaschen und wie üblich mit steigendem Alkohol weiter be- 
handelt. Die Farbe ist eine verschiedene, je nach der Härtung. 
Schnitte können auch in Wasser, selbst gewöhnlichem, ausgespült 
werden. 

Nach meinen Erfahrungen ist dies die einzige Haematoxylin- 
lösung, die sich wirklich zur Stückfärbung eignet, denn auch die 
Ehrlich ’sche saure Haematoxylinlösung, mit welcher ja meine 
manches gemein hat, ist selbst in Verdünnungen in diesem Punkte 
durchaus unsicher. 


Holzessig - Carmine. 


Derartige Carmine !) lassen sich eine ganze Reihe herstellen, 
die alle eine verschiedene, aber je nach dem gewollten Zweck 
brauchbare Färbung liefern. 


1) Da meine Versuche »elbstverständlich eine grosse Zahl von 
Lösungen umfassten, mussten diese mit Buchstaben und Zahlen be- 
zeichnet werden, von denen die ersteren hier beibehalten wurden; 
r = rectificatum, e = erudum. 


r 


234 Eugen Burchardt: 


Es sind entweder reine Kernfärbungen oder Mitfärbungen 
von Zellkörper und Muskel, nach einigen Härtungen, wie z. B. 
in Pierinsäure und Pierinschwefelsäure, auch von Bindegewebe. 
Jedoch sind auch die letzteren nicht in störender Weise diffus, 
sondern geben, besonders in dünnen Schnitten, gut differenzirte 
Bilder. 


1.. CarmınXr, 


Ger. Holzesig . . . 100,0 
Bester Carmin . . . 2,0 
über kleiner Flamme langsam auf die Hälfte einzukochen. 

Man erleichtert sich das Einkochen, indem man erst 50 eem 
einfüllt und den Stand der Flüssigkeit mit dem Gelbstift oder 
durch Aufkleben eines Papierstreifens markirt. Die gekochte 
Lösung wird abgekühlt und filtrirt. 

Die Stücke werden 12—24 Stunden gefärbt, hierauf in 50° 
Alkohol ausgewaschen. Die Färbung ist jetzt eine diffuse. Zum 
Differenziren dient Alaunalkohol. In 50° Alkohol wird Kalıi- 
alaun im Ueberschuss geworfen, wiederholt tüchtig umgeschüttelt 
und absetzen gelassen. Es löst sich nach meiner Schätzung 
kaum !/,°/o; filtrirt wird nicht, um durch Zugiessen von 50° 
Alkohol und Umschütteln immer im Besitz einer genügenden 
Menge dieses Alkohols zu sem. Nach dem Differenziren kommen 
die Stücke in reinen 50° Alkohol, um wie üblich weiter be- 
handelt zu werden. Dieses, mein erstes Verfahren, ergiebt eine 
starke Färbung auch für die schwerfärbbaren Präparate, erfordert 
aber meist ein sehr langes Differenziren, von 2—3 Mal 24 Stunden 
und selbst mehr, ohne je eine reine Kernfärbung zu geben. 


IH: Garmin; Pr: 
Ger. Holzessig ... . . .100,0 
Bester ‘Carmin , ... ... 3,0 
Kaplan wir... ned 0,5 
langsam auf die Hälfte einkochen und kalt filtriren. 

Man färbt 2—24 Stunden und wäscht in 50° Alkohol aus. 
Carmin Pr giebt selbst nach sehr langem Einlegen eine reine 
Kernfärbung, die jedoch, gerade weil nichts als Chromatin ge- 
färbt wird, für die meisten mikroskopischen Untersuchungen un- 


3 
t 


Ueber Holzessigfarben. 235 


geeignet ist. Dies Verfahren ist angezeigt für die Färbung von 
Thieren, die in toto eingebettet werden sollen und für Serien 
mit dieken Schnitten, z. B. von Embryonen. 


III. Carmin Xr+Pr (Doppelearmin). 


Carmin Ar | 
Carmin Pr | 

Giebt sehr brauchbare Färbungen bei Einlegen von 6—24 
Stunden; es wird gründlich in Alkohol 50 ° ausgewaschen. Nach 
fast allen Härtungen wird gestreifter Muskel zu stark gefärbt. 
Dem wird durch mehrstündiges Differenziren in Alaunalkohol ab- 
geholfen, wobei nur darauf zu achten ist, dass das Stück 
nach dem Färben zuerst immer in reinem 50° Al- 
kohol ausgewaschen wird, bevor es in den Alaunalkohol 
kommt. Es beruht dies darauf, dass letzterer verbunden mit 
Essigsäure auch die Kerne entfärbt, was allerdings nicht nach 
allen Härtungen in gleicher Weise ausgesprochen ist. Einfache 
Controlversuche, besonders an Alkoholpräparaten werden hier- 
über aufklären. Nach Entfernung der Essigsäure dagegen können 
die Stücke beliebig lange im Alaunalkohol verbleiben, ohne dass 
die Kernfärbung leidet. Je nach der Dauer der Differenzirung 
ist das Bild ein etwas anderes; ich lasse gewöhnlich über Nacht 
im Alaunalkohol und erhalte stets schöngefärbte Schnitte. 

Um jedem Irrthum vorzubeugen, will ich das Verfahren 
kurz wiederholen: färben in Carmin Xr+Pr während 12—24 
Stunden; auswaschen in reinem 50° Alkohol 1—12 Stunden; 
differenziren in Alaunalkohol 6—24 Stunden; auswaschen in 50° 
Alkohol u. s. w. 

Dieses Verfahren ist in den meisten Fällen indieirt; es liest 
sich complieirter als es in Wirklichkeit ist. 


' zu gleichen Theilen. 


Während alle bisher beschriebenen Carmine mit dem ge- 
reinigten Holzessig bereitet waren, habe ich doch auch den rohen 
Holzessig zu diesen Versuchen herangezogen. Das Ergebniss lässt 
sich dahin fassen, dass die mit ihm hergestellten Farblösungen 
eine noch dunklere Kernfärbung geben, dabei aber den übrigen 
Geweben und besonders den Zellen selbst eine tiefbraune oder 


236 Eugen Burchardt: 


braunrothe Färbung verleihen. Ein grosser Nachtheil dieser Ab- 
kochungen besteht in Niederschlägen, vor denen selbst ein jedes- 
maliges Abfiltriren des Farbquantums, besonders bei längerem 
Einlegen, nicht sicher schützt. Immerhin habe ich die folgende 
Mischung beider Holzessige mit Vortheil angewandt, wenn es 
sich darum handelte, in dünneren Schnitten auch die Protoplasma- 
struktur in Gegenfarbe hervorzuheben: 


IV. Carmin Xc+Pr. 
Carmin Xe 
Carmin Pr | 
umschütteln und filtriren. 
Carmin Xc wird hergestellt analog dem Carmin Ar. Die 
Behandlung ist die unter III angegebene. 


zu gleichen Theilen 


Holzessig-Cochenille. 


Ger. Holzessig . . . 100,0 

Bochenille Win MV 58% 4,0 

Rahalaınt 2m. Yalt; 0,5 
auf die Hälfte einkochen und filtriren. 

Einlegen 12—24 Stunden; auswaschen in 50° Alkohol, 
man kann jetzt differenziren mit Alaunalkohol u. s. w. 

Diese leicht darzustellende Lösung giebt eine sehr ange- 
nehme Färbung, bei der zwar die Kerne weniger hervortreten 
als mit den Carminen, die Zellen und Muskeln aber, sei es mit 
oder ohne die Differenzirung in Alaunalkohol, vortrefflich zur 
Anschauung kommen. 


Bevor ieh abschliesse, möchte ich noch eine Befürchtung 
zerstreuen, die sich mir ebenso wie wohl schon dem Leser auf- 
gedrängt hat, dass nämlich diese Holzessigfarben sehr ungleich 
in ihrer Wirkung sein könnten, weil ja dieses Produkt keine 
constante Zusammensetzung hat. Meine Versuche mit reinem 
Holzessig verschiedenster Provenienz, davon besonders zwei schon 
auf den ersten Blick durch Aussehen und Geruch sich unter- 
scheidenden, haben diese Befürchtung völlig zerstreut. Möglicher- 
weise wird durch das lange Kochen der Gehalt, besonders an 


ua NUN. UN. © 


Ueber Holzessigfarben. 237 


Essigsäure, die aber nach einigen daraufhin gerichteten Versuchen 
durchaus nicht der einzige, noch viel weniger der auschlaggebende 
Faktor in diesen Farben sein kann, mehr weniger ausgeglichen. 

Die Contraindieationen sind eben durch diesen Gehalt an 
Essigsäure gegeben und durch eine gewisse Undurchsichtigkeit 
bei der Untersuchung in Glycerin. Die Vorzüge sind die ausser- 
ordentliche Breite der Färbungsdauer und, was damit einhergeht, 
die Sicherheit dieser Verfahren zusammen mit guter Conser- 
virung selbst der zartesten Gewebe und endlich ihre Universalität. 

Die letztere Eigenschaft bedarf jedoch einer Einschränkung 
in so fern, als es sich um Präparate handelt, die nach Härtung 
in Bichromatlösungen nicht oder ungenügend ausgewaschen sind. 
Dies ist der einzige Fall, in welchem mir diese Holzessigfarben 
versagt haben. 


Zur Frage über den feineren Bau der Herz- 
ganglien des Menschen und der Säugethiere '). 


Von 


A.S. Dogiel, 
Professor der Histologie an der Universität zu St. Petersburg. 


Hierzu Tafel XTI, XIII und XIV. 

Seit der Veröffentlichung meiner ersten Untersuchungen 
über den Bau des sympathischen Nervensystems, deren Fort- 
setzung der vorliegende Aufsatz bildet, ist die einschlägige Lite- 
ratur um einige bemerkenswerthe Arbeiten bereichert worden. 


1) S. meinen Aufsatz: Zur Frage über den fein. Bau des sym- 
pathischen Nervensystems bei den Säugethieren, |. c. 


238 S. A. Dogiel: 


Unter den physiologischen Arbeiten sind in erster Linie 
die schönen Untersuchungen von Langley (2) und Anderson zu 
erwähnen; diese Autoren wiesen nach, dass gewisse Fasern der Cere- 
brospinalnerven durch bestimmte vordere Wurzeln in die weissen Rami 
communicantes eintreten und von hier nach gewissen sympathischen 
Ganglien der Grenzstränge verlaufen, wo sie, um die Ganglienzellen 
pericelluläre Geflechte bildend, endigen. Langley nennt diese 
Fasern „praeganglionie fibres“ und schliesst aus Beobach- 
tungen über die Wirkung geringer Dosen von Nicotin, welche die 
sympathischen Zellen lähmen, dass gewisse Ganglienzellen mit jenen 
Fasern nicht in Verbindung treten; dazu gehören nach Langley 
unter anderen die Ganglien der Auerbach’schen und Meissner- 
schen Geflechte. Einzelne solcher Fasern verlaufen sehr weit und 
versorgen die Zellen mehrerer (2, 3, 4) Ganglien. Die Existenz von 
solchen sympathischen Fasern, welche, von Zellen eines beliebigen 
Ganglions ausgehend, an der Peripherie der Zellen desselben, oder 
eines anderen Ganglions endigen, wird von Langley verneint. 

Die Färbung normaler, sowie nach Durchschneidung degenerirter 
Nerven des sympathischen Grenzstrangs mit Osmiumsäure überzeugten 
Langley ferner davon, dass bei der Katze viele markhaltige 
Nervenfasern ihren Ursprung direct von den sympathischen Gang- 
lienzellen nehmen. 

Kölliker (3) giebt eine sehr sorgfältige Beschreibung des 
sympathischen Nervensystems, indem er alle in letzter Zeit durch ihn 
selbst und andere Forscher erhaltene Resultate zusammenstellt; aus 
seinen Angaben ergiebt es sich, dass er seine früher ausgesprochenen 
Ansichten über den Bau des genannten Systems in einigen Punkten 
geändert hat. In erster Linie leugnet er die Existenz irgend welcher 
Beziehungen zwischen den Endverzweigungen der Nervenfortsätze von 
Zellen eines Ganglions und den ‚übrigen Zellen desselben Ganglions 
oder den Zellen anderer Ganglien: die sympathischen Fasern haben 
seiner Ansicht nach freie Endigungen nur an glatten Muskelfasern, 
oder an Drüsenzellen. Was nun die sensiblen Fasern anbetrifft, so 
sind sie nach Kölliker alle cerebrospinalen Ursprungs; — der Sym- 
pathicus selbst enthält keine ihm angehörenden sensiblen sympathi- 
schen Nervenfasern. Ferner stimmt Kölliker mit mir in der An- 
nahme überein, dass die Verästelungen der Dendriten einer Zelle 
nie sympathische Zellen desselben Ganglions umflechten, ebenso darin, 
dass er die vonR. y Cajal in den Darmzotten, dem Pancreas u. S. w. 
beschriebenen sternförmigen Zellen nicht als nervöse Elemente auffasst, 
während R. y Cajal sie zu den sympathischen Zellen stellt. 

D. Timofejew (4) untersuchte den feineren Bau der sympa- 
thischen Ganglien im Gebiet der Prostatadrüse und anderer Theile 
des Geschlechtsapparates, und bestätigte, einige Details ausgenommen, 
im Allgemeinen die Resultate, welche von anderen Forschern auf 
diesem Gebiet gewonnen wurden. Nach seinen Beobachtungen geht 
der Nervenfortsatz der Ganglienzellen immer in eine marklose 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 239 


Nervenfaser über, welche in ihrem ganzen Verlauf keine Collateraten 
abgiebt. Was die in den Ganglien endigenden Fasern betrifft, so ge- 
hören diese theils zu den markhaltigen, theils zu den marklosen Fasern ; 
die Endverzweigungen beider Arten von Fasern umflechten zuerst die 
Zellkapsel, dringen sodann durch dieselbe ein und endigen in Gestalt 
von Faserbündeln, welche dem Körper einer jeden Zelle direct an- 
liegen. 

Arnstein(5)giebtan, indem erPloschk o's Untersuchungen 
über den Bau der sympathischen Ganglien in der Trachea mittheilt, 
in einem jeden Ganglion seien dreierlei Arten von Nervenfasern zu 
unterscheiden. Die einen sind starke markhaltige Fasern, welche nur 
durch das Ganglion hindurchtreten und, ohne ihre Marksubstanz zu 
verlieren, zwischen den Büscheln glatter Muskelfasern sowie unter dem 
Schleimhautepithel in Gestalt von Endbäumchen frei endigen. Eine 
zweite Kategorie von Fasern entspringt an den Ganglienzellen, führt 
nie eine Markscheide, und endet in der glatten Muskulatur der Tra- 
chea; dies sind die motorischen sympathischen Nervenfasern. Fasern 
einer dritten Kategorie endlich bilden in den Ganglien pericelluläre 
Geflechte und gehören zu den dünnen markhaltigen und marklosen 
Fasern. Die ersteren dieser Fasern hält Arnstein für cerebrospinale 
Nervenfasern; bezüglich der zweiten Art spricht er nur die Vermuthung 
aus, es könnten markhaltige Fasern sein, welche ihr Mark in grosser 
Entfernung von der Ganglienzelle verloren haben, oder aber man 
habe es hier mit sympathischen Fasern zu thun. In dem gleichen 
Aufsatze betont Arnstein entschieden, dass die sympathischen 
Fasern stets den Charakter von Remak'schen oder marklosen 
Fasern tragen. Unter anderem verweist er auf die Arbeit Langley’s, 
in welcher dieser die Existenz myelinhaltiger sympathischer Fasern 
nachweist, mit der Bemerkung: „Langley zieht seine Schlüsse aus 
Zählungen; die directe Beobachtung des Ursprungs myelinhaltiger 
Nervenfasern aus sympathischen Zellen feht immer noch.“ 

A. Juschtschenko (6) färbte Ganglien des sympathischen Grenz- 
strangs von verschiedenen Thieren (Pferd, Schwein, Katze u. s. w.) 
nach der Golgi’schen Methode (mit den von Kolossow vorge- 
sehlagenen Modificationen), und gelangte fast zu denselben Resultaten 
wie die übrigen Bearbeiter dieses Gegenstandes. Von einer jeden 
Ganglienzelle gehen nach Juschtschenko Dendriten und ein 
Nervenfortsatz aus; dabei endigen erstere frei oder zwischen den 
Zellen des Ganglions, oder aber sie bilden um die letzteren die soge- 
nannten „nids p£ricellulaires* R. y Cajal’s. Die feinsten Endver- 
ästelungen der Dendriten unterscheiden sich kaum von den Veräste- 
lungen der zwischen den Ganglienzellen endenden Nervenfasern. Wäh- 
rend die Nervenfortsätze der Zellen durch Ganglien hindurchtreten, 
umgeben sie sich nie mit Myelinscheiden, und geben in gewissen Fällen 
Collateralen ab. Die in den Ganglien endenden Fasern sind nach 
Juschtschenko sehr fein, mit Varicositäten besetzt und bilden 


240 A.S. Dogiel: 


um die Zellen und deren Dendriten ein dichtes Geflecht!). Die Mehr- 
zahl der in Ganglien eintretenden marklosen Fasern gehört nach dem 
genannten Autor den cerebrospinalen Fasern an, und nur einige unter 
ihnen sind zu den sympathischen Fasern zu zählen, welche die ver- 
schiedenen Theile des sympathischen Systems unter einander verbinden. 
Was die myelinhaltigen Fasern betrifft, so geht der grösste Theil da- 
von durch die Ganglien hindurch und steht in keinerlei Beziehung zu 
den Ganglienzellen; in den Ganglien selbst enden nur diejenigen 
markhaltigen Fasern, welche vor oder nach ihrem Eintritt in das Gang- 
lion ihre Markscheide verloren haben. Leider geben die Abbildungen 
des Verfassers (Taf. XXVI) nur eine sehr unklare Darstellung des 
Charakters und der Endigungsweise der Fasern innerhalb der Ganglien. 

Endlich sind in neuester Zeit von G. €. Huber (7) Vorlesun- 
gen über das sympathische Nervensystem herausgegeben worden. 
Er giebt darin eine sehr ausführliche Darstellung dessen, was bis jetzt 
über den feineren Bau des sympathischen Systems und dessen Bezie- 
hungen zu verschiedenen Organen und zum cerebrospinalen System 
bekannt ist. 

Der Aufsatz Huber’'s wird alle diejenigen interessiren, welche 
mit dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse von den Funktionen 
und dem Bau dieses Abschnittes des Nervensystems bekannt zu werden 
wünschen. 

Bezüglich der Anordnung und des Baues speciell der sympathi- 
schen Ganglien des Säugethierherzens liegt bereits ein ziemlich 
umfangreiches Material von Veröffentlichungen vor. J. Dogiel (8), 
Vignal(9, Kasem-Beck (10, N. Lawdowsky (11) und viele 
Andere haben sorgfältige Untersuchungen angestellt über die Lage 
der Ganglien in verschiedenen Abschnitten des Herzens, und versuchten 
auch zum Theil den Bau der Ganglienzellen und deren Beziehungen 
zu den muskulösen Elementen des Herzens festzustellen; sie alle be- 
dienten sich dabei der älteren Methoden mit Essigsäure, Goldehlorid 
etc. So fanden unter anderem J. DogielundVignal, dass in den 
Herzganglien des Menschen und der Säugethiere sowohl unipolare als 
auch multipolare Zellen vorkommen; erstere hält Vignal für Spinal- 
ganglienzellen, letztere für sympathische Zellen. Aus den Untersu- 
chungen Lawdowsky'’s über das Herz des Kaninchens geht hervor, 
dass einer der Fortsätze der multipolaren Zellen nach den Muskel- 
elementen verläuft und sich dort in seine Endverästelungen auflöst, 
welche augenscheinlieh in gewisse Beziehung zu den Muskelzellen 
treten. Dagegen gelang es erst in neuerer Zeit, dank den Unter- 
suchungen von Aronson, His (jun., Berkley, P.Jacquesund 
zum Theil auch von Smirnow und W. Schmidt, welche sich der 


1) Auf ein solches Verhalten gewisser in Ganglien endender 
Fasern, Dendriten sympathischer Zellen gegenüber, habe ich bereits 
vor dem Erscheinen des Aufsatzes von Juschtschenko hingewiesen. 
(Siehe: Zur Frage üb. d. fein. Bau etc. etc.) 


| 


Me nn A 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 241 


neueren Methode (Golgi und Ehrlich) bedienten, die Beziehungen 
der Zellen untereinander, zu den Muskeln des Herzens und zu den 
Nervenfasern centraler Abstammung, bis zu einem gewissen Grade 
genau festzustellen. 

Bei Anwendung der vitalen Methylenblaufärbung constatirte 
Aronson (12) erstmals mit Sicherheit das Vorhandensein eines ner- 
vösen Netzes um die Ganglienzellen des Vorhofs, weshalb er diese 
Ganglien auch zu den sympathischen zählte. Nach Aronson be- 
sitzen die an der Basis der Herzkammer (längs der Atrioventricular- 
furche) und in der Scheidewand des Herzens gelegenen Zellen kein 
pericelluläres Netz und unterscheiden sich hierdurch von den zweifel- 
los sympathischen Zellen der Vorhöfe. 

His junior (13), welcher die Entwickelung der Nervenelemente 
des Herzens untersuchte, beschreibt die Ganglienzellen des Herzens 
als unipolare sympathische Zellen und spricht u. a. die Vermuthung 
aus, die Muskeln des Herzens könnten im Stande sein, die rhythmischen 
Contractionen von sich aus, ohne jede Theilnahme von Nerven, zu be- 
wirken. 

H. Berkley (14) untersuchte das Herz von Nagern, welches 
er nach der Golgi’schen Methode "und ferner mittelst Picro-osmium 
bichromicum behandelte; er fand zwischen den Muskelbündeln des 
Myocards ziemlich starke Nervenfasern, welche im Sarcoplasma der 
Muskelzellen als Endbäumchen oder in Form verschiedenartiger Ver- 
dieckungen enden, dabei aber mit den überall im Myocard sich finden- 
den Nervengeflechten in keinerlei Verbindung stehen. 

Im Verlauf dieser Fasern liegen besondere bipolare Nervenzellen 
und zwar in grösserer oder geringerer Entfernung von den erwähnten 
Endapparaten, welche der Verfasser für den sensiblen Apparat des 
Herzens hält. Ausserdem fand Berkley im Myocard bipolare und 
multipolare Zellen mit verästelten Fortsätzen, welche er für sympathi- 
sche Zellen ansieht; es gelang ihm nicht zu entscheiden, ob diese 
Zellen einen nervösen Fortsatz haben oder nicht. Ferner beschreibt 
Berkley ein Nervengeflecht mit darin zerstreuten Ganglien zwischen 
den Muskelbündeln der Vorhöfe und vergleicht dasselbe mit dem 
Auerbach'’schen Geflecht des Darmes. 

P. Jaeques (15) erkennt auf Grund seiner eigenen Beobach- 
tungen über die Herzganglien der Säugethiere wie auch der Unter- 
suchungen seiner Vorgänger an, dass die in der Atrioventrieularfurche 
gelegenen Ganglien multipolare Zellen enthalten (aller Wahrscheinlich- 
keit nach wirken dieselben beschleunigend auf die Herzthätigkeit); da- 
gegen haben die Zellen der Ganglien der Vorhöfe und ihrer Scheide- 
wand den Charakter von unipolaren Zellen, und haben wahrscheinlich 
die Rolle hemmender Apparate. Es gelang Jacques, den nervösen 
Fortsatz dieser Zellen bis zu seinem Eintritt in Nervenstämm- 
chen zu verfolgen. Auf Grund dieser Befunde spricht er die Ver- 
muthung aus, dass die Herzganglien möglicherweise sowohl sympa- 
thische als auch Spinalganglienzellen enthalten. Die von Berkley 


242 A.S. Dogiel: 


im Myocardium beschriebenen Nervenzellen hält Jaeques für Binde- 
gewebszellen. 

Auch G. Heymans und L. Demoor (16) betrachten mit 
Jacques die von Berkley im Myocard beschriebenen Zellen als 
Bindegewebszellen und weisen darauf hin, ihre Zahl sei fast ebenso 
gross wie die der Muskelzellen. 

A.Smirnow (17) erwähnt in Kürze die multipolaren Ganglien- 
zellen der Vorhöfe und Kammern und giebt an, eine markhaltige Faser 
zerfalle in mehrere marklose Fasern, welche in Gestalt pericellulärer 
Netze um die erwähnten Zellen endigen. 

In allerneuester Zeit endlich untersuchte W. Sehmidt (18) die 
Nervenelemente des Herzens einiger Nager (Maus, Kaninchen) mit 
Hilfe der Golgi’'schen Methode und gelangte zu folgenden Schlüssen: 
In den Ganglien der Vorhöfe findet sich eine ungeheure Anzahl unter 
sich anastomosirender Nervenfasern, welche ein dichtes Geflechte 
bilden, in dessen Maschen Nervenzellen liegen. Der Verfasser fand 
in Präparaten des Herzens neugeborener Kaninchen, dass eine jede 
Zelle von einem dichten nervösen Geflecht (Faserkorb) umgeben ist, 
von welchem eine oder zwei Nervenfasern ihren Ursprung (?) nehmen. 
Dies pericelluläre Geflecht besteht nach Schmidt aus feinen mark- 
losen Fasern; die von demselben abgehenden Fasern (wenn es deren 
mehrere sind) verlaufen nach verschiedenen Richtungen. 

Ausserdem treten aus den Ganglien noch einige Fasern, welche 
nach dem Myocard gehen. Diese Beobachtungen, wie auch die Unter- 
suchungen Smirnow's, veranlassen W. Schmidt zu der Ansicht, 
dass es Fasern von mindestens zweierlei Ursprung sind, welche in den 
erwähnten Geflechten enden, und zwar gehört ein Theil dieser Fasern 
zu den markhaltigen Fasern, ein anderer Theil dagegen stammt aus 
dem Myocardiun und verläuft als einzelne marklose Fasern bis zu 
dem Ganglion, wo sie sich in das Endgeflecht auflösen. Doch damit 
begnügt sich der Verfasser nicht, sondern lässt die pericellulären Ge- 
flechte einer jeden Zelle aus den Verästelungen von mehr als zwei 
Fasern verschiedenen Ursprungs bestehen (!). Ueber die Gestalt der 
Ganglienzellen der Vorhöfe, die Beziehungen zwischen ihren Fort- 
sätzen u. Ss. w. sagt Schmidt in seiner Arbeit gar nichts. 

Ferner fand Schmidt im Myocardium der Vorhöfe und Kam- 
mern noch kleine multipolare Zellen; diese Zellen hält er für Nerven- 
zellen, da es ihm mehrere Male gelang, einen aus denselben hervor- 
gehenden feinen Nervenfortsatz zu beobachten und denselben sogar 
bis zu seinem Eintreten in einen Nervenstamm zu verfolgen (vgl. Fig. 
20b, e, d). Die Dendriten dieser Zellen verästeln sich nur unbedeutend 
und enden mit geringen Anschwellungen; bisweilen schien es dem Ver- 
fasser jedoch, als gingen einige Dendriten in feine, aber äusserst kurze 
Fasern von nervösem Charakter über und endeten mit kleinen An- 
schwellungen an einer Muskelzelle (?). In Wirklichkeit ist es sehr 
schwer, aus den Figuren des Autors einen Begriff darüber zu erhalten, 
welcher Natur diese Zellen sind, wo ihr nervöser Fortsatz ist und wie 


#‘ 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 243 


er in das Nervenstämmcehen übergeht, da sich das Nervenstämmchen 
und alle Fortsätze der Zellen durch nichts von einander unterscheiden. 
Ausser den erwähnten Zellen sah Schmidt im Myocard noch an- 
dere mit sich verästelnden und unter einander anastomosirenden Fort- 
sätzen, welche entweder abgestumpft oder zugespitzt enden; es sind 
dies seiner Ansicht nach augenscheinlich Bindegewebszellen. 


Aus den angeführten Literaturangaben ersehen wir, dass 
die Frage über den feineren Bau der Herzganglien von einer 
endgiltigen Entscheidung noch weit entfernt ist. Einige Forscher 
(Vignal, Jacques) geben an, dass die Zellen der erwähnten 
Ganglien zu den sympathischen und den Spinalganglienzellen ge- 
hören, andere (Aronson, His jun., Arnstein, Smirnow) halten 
sie für ausschliesslich sympathische Zellen, und wieder andere 
endlich (Berkley, Sehmidt) weisen darauf hin, dass im Myo- 
card der Vorhöfe und Herzkammern eigenartige nervöse Zellen 
auftreten und stellen das Nervengeflecht selbst dem Auerbach- 
schen Plexus gleich. 

Bezüglich der in den Ganglien endenden und aus denselben 
austretenden (d. h. aus den Ganglienzellen hervorgehenden) Nerven- 
fasern liegen nur spärliche Angaben vor (Smirnow und Schmidt), 
dahin lautend, dass erstere vorwiegend den Charakter von myelin- 
haltigen Nervenfasern cerebrospinaler Abstammung zeigen und 
mit pericellulären Geflechten enden, — letztere dagegen zu den 
marklosen Fasern gehören und sich an der Oberfläche von Muskel- 
zellen des Herzens auflösen. 

Da ich es mir zur Aufgabe gestellt habe, den Bau des 
sympathischen Nervensystems zu erforschen, entschloss ich mich, 
von den peripheren Ganglien auch die Ganglien des Herzens zu 
untersuchen, und dies umsomehr, als im Bau dieser Ganglien 
noch vieles unaufgeklärt geblieben ist, wie aus allem Obengesagten 
hervorgeht. 


Die sympathischen Ganglien des Herzens. 
Als Material für die Untersuchungen dienten die Vorhöfe und 
Kammern des Herzens vom Menschen (Säuglinge im Alter von 
1 bis 2 und 3 Monaten), Hund, von der Katze, vom Schaf, Kalb 
und theilweise auch vom Kaninchen. 

Die Färbung der Nerven erfolgte mit einer Lösung von Me- 
thylenblau, in der Art, wie ich es ausführlich in meinem Aufsatz über 


244 A.S. Dogiel: 


die Endigungen sensibler Nerven im Herzen und in den Blutgefässen !) 
beschrieben habe. Fixirt wurden die Präparate nicht nur in gesät- 
tigter wässeriger Lösung von pikrinsaurem Ammoniak, sondern auch 
nach der Bethe'schen Methode, welche gewöhnlich auf zweierlei 
Weise zur Anwendung kam: Die gefärbten Objeete kamen in eine 
Lösung von molybdänsaurem Ammonium (1:10) mit oder ohne Hin- 
zufügung von Salzsäure (1 Tropfen auf 10 cem), in welcher sie 12—24 
Stunden verblieben. Nach Ablauf dieser Zeit wurden sie 12—24 Stun- 
den in Wasser ausgewaschen, auf 1-2 Stunden in Alkohol übergeführt, 
sodann in Xylol aufgehellt und schliesslich in Damar- oder Canada- 
Xylol eingeschlossen. Eine andere Abänderung der Bethe’schen Me- 
thode bestand darin, dass die Präparate zuvor in Lösung von pikrin- 
saurem Ammoniak fixirt, darauf während einiger Tage in Glycerin 
eingeschlossen, und nachdem sie sich unter dem Deckglas gehörig aus- 
gebreitet hatten und genügend flach geworden waren, in derselben 
Weise weiter behandelt wurden, wie dies oben angegeben worden ist. 
In einigen Fällen wurden die Präparate noch vor der Ueberführung 
in Glycerin mit Hoyer’schem Pierocarmin gefärbt. 

Die beiden letzterwähnten Fixirungsmethoden habe ich über- 
haupt nur in der Absicht angewendet, um die Färbung der Nerven in 
den Präparaten auf längere Zeit zu erhalten; Präparate, welche aus- 
schliesslich nach ıneiner Methode fixirt wurden, halten sich zwar oft 
mehrere Jahre hindurch ohne sich zu verändern, werden aber doch 
init der Zeit weniger durchsichtig und schön, als sie es am Anfange 
waren. Dieser Nachtheil wird aber reichlich durch den Umstand auf- 
gewogen, dass in den nach meiner Methode fixirten Präparaten der 
Nervenelemente und ihre Beziehungen zu einander mit viel grösserer 
Deutlichkeit und Schärfe hervortreten als in stark aufgehellten, nach 
einer der oben angeführten Methoden fixirten Präparaten; selbst die 
vorhergehende Färbung mit Pierocarmin ist bei solchen Präparaten 
ohne besonderen Nutzen. 

Ich wiil nicht unterlassen, an dieser Stelle hervorzuheben, dass 
ich in einem Falle die Nervenfärbung mit Methylenblau am Herzen 
eines Kindes erst 9 Stunden nach erfolgtem Tode angewendet habe, 
wobei die Nerven sich trotz dieses Umstandes in befriedigender Weise 
färbten. 

Der eben angeführte Fall gestattet meiner Ansicht nach zwei 
Deutungen: entweder muss man annehmen, dass die Nerven ihre vitalen 
Eigenschaften noch recht lange nach dem Tode beibehalten, oder aber, 
dass sie diese Eigenschaften verlieren, trotzdem aber während einer 
gewissen Zeit die Befähigung beibehalten, sich mit Methylenblau zu 
färben. 

Die Anwendung der oben mitgetheilten Färbemethode gestattet 
nicht nur ein genaues Studium der Endigungen sensibler Nerven im 


1) Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. LII, 1898. 


, 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 245 


Herzen, — sie ermöglicht es gleichzeitig besser als jede andere Me- 
thode, den feineren Bau der Herzganglien festzustellen. 


An Präparaten, welche nach dieser Methode gefärbt sind, 
sieht man, dass die in das Herz eintretenden dieken Nerven- 
stämme allmählich in eine Menge Stämmehen und Aeste von ver- 
schiedener Stärke zerfallen, und so im Pericardium der Vorhöfe 
und Kammern ein mehr oder weniger weitmaschiges Geflechte 
bilden; dieses Geflecht liegt in den tiefen Schichten des Peri- 
cardiums, fast unmittelbar über dem Myocard, und wurde von 
mir bereits unter dem Namen „subpericardiales Ge- 
flecht“ beschrieben. Die Stämmehen und Aeste dieses Plexus 
zeigen im Pericardium im Allgemeinen einen etwas grösseren 
Durchmesser als in den Kammern; sie bestehen sowohl aus mark- 
haltigen, wie aus marklosen Nervenfasern, oder —- besonders in 
dünneren Stämmehen — fast ausschliesslich aus letzteren. 

Der Charakter und das quantitative Verhältniss beider 
Arten von Nervenfasern sind ausführlich genug in meiner Arbeit 
über die Endigungen sensibler Nerven im Herzen !) besprochen 
worden. Doch muss ich nochmals darauf hinweisen, dass nicht 
alle marklosen Fasern, welche die Gestalt bald variöser, bald 
glatter Fäden von verschiedener Dicke haben, in ihrem ganzen 
Verlauf den Charakter sogenannter Remak’scher Fasern bei- 
behalten. Einige darunter gehören unzweifelhaft zu den myelin- 
haltigen Fasern, was in Folge der Grösse der zu untersuchenden 
Präparate (1, 1!/,, 2 und 2!/, gem) und der daraus resultiren- 
den Möglichkeit, die gefärbten Fasern innerhalb der Nerven- 
stämmcehen eine grosse Strecke hindurch zu verfolgen, leicht zu 
eonstatiren ist. In den meisten Fällen gelingt es zu beobachten, 
wie die meisten (vielleicht auch alle) stärkeren und feineren 
markhaltigen Fasern des Geflechts da, wo die Stämmchen sich 
theilen, gleichfalls eine Theilung erfahren; dabei verlieren einige 
Fasern, während sie noch in dem Nervenstämmchen sich be- 
finden, ihre Markscheide und verlaufen dann weiter — als variköse 
oder glatte Fasern — die ganze, ungemein grosse Strecke hin- 
durch bis zu ihrer Auflösung in die Endverästelungen. Ausser- 
dem trennen sich oft von einer beliebigen markhaltigen Faser 


Tr:E € 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 17 


246 Aus. Dogiel: 


irgend eines Zweigs des Geflechts unmittelbar marklose Fäden 
(Fasern) ab, welche dann als scheinbar marklose Fasern in 
das Geflecht übergehen. Die wahre Abkunft aller solcher Fasern 
kann man nur dann feststellen, wenn es gelingt, die Faser bis zu 
derjenigen Stelle zu verfolgen, wo sie ihre Markscheide verloren 
hat; hat jedoch eine Faser in ihrem ganzen Verlaufe keine Mark- 
scheide, so muss man sie bis zu ihrem Ausgang von der mark- 
haltigen Faser verfolgen können. Andernfalls können die er- 
wähnten Fasern leicht für echte Remak'’sche Fasern gehalten 
werden, neben welchen sie verlaufen und denen sie ihrem Aus- 
sehen, ihrer Stärke u. s. w. nach völlig ähnlich sehen. 

Von den verhältnissmässig wenig zahlreichen markhaltigen 
Nervenfasern in den Nervenstämmen und -Aesten des subperi- 
cardialen Geflechts trennen sich einzelne früher oder später, wie 
ich dies in der oben eitirten Arbeit angegeben habe, von den 
Verästelungen des Geflechts und enden in Gestalt verschieden- 
artiger sensibler Apparate in dem Pericardium, dem .intermusecu- 
lären Bindegewebe, dem Gewebe des Myocardiums, dem Endo- 
cardium und den Wandungen der Herzgefässe; diese Fasern ge- 
hören demnach unstreitig zu den sensiblen Fasern. Was nun 
alle die übrigen markhaltigen und marklosen Fasern, sowie alle 
Remak’schen Fasern betrifft, so stehen sie in einer gewissen 
Beziehung zu den Ganglien des Herzens und es soll ihr ferneres 
Schieksal weiter unten bei der Beschreibung der Herzganglien 
besprochen werden. 

Von dem subpericardialen Geflecht der Vorhöfe und Kam- 
mern geht eine Menge verschieden dicker Aestchen nach allen 
Schichten der Herzwand ab, wo dieselben je nach der Stärke 
einer jeden Schicht eine grössere oder geringere Anzahl neuer 
Geflechte bilden. 

Längs den Stämmehen und Aestchen des subpericardialen 
Geflechts der Vorhöfe liegen zahlreiche, nach Grösse und Ge- 
stalt (rund, oval, polygonal) sehr verschiedene Gruppen von 
Nervenzellen; diese Gruppen bestehen bald aus hunderten, bald 
nur aus einigen Dutzenden oder gar nur einzelnen (3, d, 10) 
Ganglienzellen. Neben diesen Zellgruppen trifft man in den Vor- 
höfen und der Basis der Ventrikel auch noch beständig einzelne 
Ganglienzellen; zum Theil liegen diese einzelnen Zellen den 
Stämmehen und Aestchen des Subpericardialgeflechts dieht an, 


A re 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 247 


zum Theil erscheinen sie in dieselben verflochten, und sind rings 
von Nervenfasern umschlossen. Meist liegen die einzelnen Gang- 
lienzellen in grösserer oder geringerer Entfernung von einander, 
oder es sind 2—3 solcher Zellen nebeneinader gelagert; in den 
Vorhöfen fand ich sie nicht nur im subpericardialen Geflecht, 
sondern auch längs der Aestchen anderer, mehr peripher gelegener 
Geflechte des Pericards und sogar, allerdings seltener, in den 
nervösen Geflechten des Myocards. In dem subpericardialen Ge- 
flecht der Kammern findet man nur selten kleine Gruppen von 
Zellen, während einzelne Zellen nur in nächster Nähe der Atrio- 
ventrieularfurche angetroffen werden. Das Auftreten von überall 
zwischen den Ganglien auftretenden einzelnen Ganglienzellen 
verleiht dem subpericardialen Geflecht der Vorhöfe eine bedeutende 
Aehnlichkeit mit den Gefleehten in der Wand der Gallenblase 
und des Darmes. In dem subpericardialen Geflecht der Vorhöfe 
eines Kindes ist eine solche Menge von Ganglien und einzelnen 
Zellen enthalten, dass dieses Geflecht genau genommen als ein 
einziges ununterbrochenes Ganglion aufgefasst werden kann. 
Das Methylenblau übt auf die Elemente der Herzganglien 
dieselbe Wirkung aus, wie auf die Elemente der sympathischen 
Ganglien überhaupt: auf einem und demselben Präparat kann 
man finden, dass in gewissen Ganglien sich allein die darin 


endenden Nervenfasern gefärbt haben, — in anderen ausser den 
genannten Fasern auch einzelne Zellen, — wieder in anderen 


die Zellen allein. Im Allgemeinen jedoch färben sich in jedem 
Ganglion, die kleineren, aus wenigen Zellen bestehenden ausge- 
nommen, nur sehr wenige Zellen intensiv, während die grosse 
Mehrzahl in den verschiedensten Stadien der Färbung sich be- 
findet. 

Die Merkmale, welche die Zellen aller sympathischen Gang- 
lien überhaupt charakterisiren, sind auch den Zellen der Herz- 
ganglien eigen: immer geht von jeder Zelle eine ge- 
wisse Anzahl von Dendriten und ein Nervenfort- 
satz aus. Eine gleiche Aehnlichkeit besteht auch im Bau der 
Ganglienzellen. Sowohl in dem Körper der Zelle, als in dem 
basalen, erweiterten Abschnitt der Dendriten und des Nerven- 
fortsatzes färben sich zuerst die feinen Körnchen (Granula), welche 
ziemlich gleichmässig im ganzen Körper der Zelle, mit Ausnahme 
des peripheren Abschnitts, wo sie spärlicher auftreten, vertheilt 


248 A:-8. Dogiel: 


sind. Die Körnehen sind sehr klein und so dieht gedrängt, dass 
die ganze Zelle ein körniges Aussehen erhält; die Körnchen sind 
in einer homogenen Grundsubstanz suspendirt (nach A. Bühler!) 
soll diese Substanz eine Netzstruktur haben), welche entweder 
ganz ungefärbt bleibt, oder aber schwach und bisweilen sogar 
stark gefärbt wird (Fig. 1, 2, 3). Je nach dem Grade der Fär- 
bung der Grundsubstanz treten die Körnehen mit grösserer oder 
geringerer Deutlichkeit hervor, ja sie können selbst, bei sehr 
intensiver Färbung, kaum sichtbar werden, während die ganze 
Zelle eine dunkelblaue Färbung annimmt. In denjenigen Fällen, 
wo die Granula sich gefärbt haben, kann man stets Zellen finden, 
in welchen die Körnchen zu einzelnen Gruppen vereinigt sind, 
und die bekannten chromophilen Körperchen oder Nissl’schen 
Klümpehen bilden. 

Letztere treten gewöhnlich sowohl in stärkeren Dendriten 
als auch im Basalabschnitt des Nervenfortsatzes auf und sind im 
Körper der Zelle ungleichmässig vertheilt: der centrale, innere 
Theil der Zelle enthält mehr soleher Klümpchen als die periphere 
Schicht. Woher aber in den Zellen ein und desselben Ganglions, 
bei anscheinend gleichen Bedingungen der Farbstoffemwirkung, 
in den einen Zellen die Körnchen über den ganzen Zellkörper 
zerstreut erscheinen, in anderen wieder ein grosser Theil der- 


selben sich gruppenweise anhäuft, — ob diese Erscheinung von 
dem Grad der Thätigkeit der Zelle abhängt, oder von anderen 
Factoren, — diese Frage wage ich jetzt noch nicht zu ent- 
scheiden. 


Lange Zeit gelang es mir nicht, in dem Körper der sym- 
pathischen Zellen Fibrillen zu entdecken; nur in den stärkeren 
Dendriten und in dem Nervenfortsatz (namentlich in dessen ba- 
salem Conus) traten Fibrillen mit grösserer oder geringerer Deut- 
liehkeit hervor. Unlängst jedoch kamen mir mehrere Zellen zu 
Gesicht, deren Körper eine scharf ausgesprochene 
fibrilläre Struktur zeigt. Die Fibrillen hatten das Aus- 
sehen äusserst dünner Fädehen und verliefen in ganz bestimmten 
kiehtungen, was mir besonders bemerkenswerth erschien: die 
einen waren kreisförmig (concentrisch) und zum 
Theiletwas schief angeordnet, andere verliefen 


1) Siehe weiter unten |. e. 


ee 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 249 


mehr oder weniger parallel zum Längendurch- 
messer der betreffenden Zelle (Fig. 1). Das erstere 
Fibrillensystem gehört der peripheren Schicht des Zellenkörpers 
an, wovon ich mich durch Betrachten bei verschiedenen hohen 
Einstellungen überzeugen konnte, — das zweite System einer 
tiefer gelegenen Schicht, was der Ganglienzelle eine gewisse 
Aehnlichkeit mit den Zellen der cerebrospinalen Ganglien verlieh. 
Zwischen den einzelnen Fibrillenreihen befanden sich sehr schmale 
Zwischenräume, welche mit einer interfibrillären Substanz aus- 
gefüllt waren; letztere enthielt kleine, in Reihen angeordnete 
Körnehen. In einigen Fällen waren die Fibrillen nur undeutlich 
zu sehen, doch konnte man dann immer noch aus der Richtung 
der Körnchenreihen auf die Richtung der dazwischen liegenden 
Fibrillen schliessen. 

Im Allgemeinen kann man sagen, dass Zellen mit deutlich 
ausgeprägtem fibrillären Bau in den sympathischen Ganglien be- 
deutend seltener angetroffen werden, als z. B. in den cerebrospi- 
nalen Ganglien, im Centralnervensystem, in der Retina u. s. w., 
weshalb ich mich wahrscheinlich so lange nicht von ihrem Vor- 
handensein überzeugen konnte. Aus dem eben Angeführten scheint 
mir jedoch hervorzugehen, dass die Ganglienzellen aus denselben 
Elementen aufgebaut sind, wie die übrigen Nervenzellen auch, 
nämlich aus Fibrillen, interfibrillärer Grundsub- 
stanz und Körnehen. Nach der Anordnung der 
Fibrillen aber stehen sie den cerebrospinalen 
Zellen am nächsten, was höchst wahrscheinlich auf die Ent- 
wiekelungsweise der sympathischen Ganglien zurückzuführen ist. 

E. Lugaro!) weist in einer seiner Arbeiten darauf hin, 
dass die Anwesenheit von Körnehen und Klümpehen in Nerven- 
zellen es oft unmöglich machen, den fibrillären Bau deutlich zu 
beobachten. Bei Thieren jedoch, welche mit Arsenik vergiftet 
wurden, verschwinden Körnehen und Klümpchen völlig aus dem 
peripheren Theil der Zelle und bleiben nur in einem beschränkten 
centralen Theil derselben erhalten. In solchen Fällen treten die 
Fibrillen in den Zellen äusserst deutlich hervor. 


1) E. Lugaro, Sulle alterazioni degli elementi nervosi negli 
avvelenamenti per arsenico e per piombo. Rivista di patolog. ner- 
vosa e mentale. V.2. F. 2, 1897. 


250 A.S. Dogiel: 


In neuester Zeit hat A. Bühler!) eine sehr ausführliche 
Beschreibung des Baues der Nervenzellen gegeben, in welcher er 
gleichfalls die unzweifelhafte Existenz von Fibrillen hervorhebt 
und dieselben als Differenzirungsprodukt der Zellsubstanz ansieht. 
Die eben angeführten, äusserst interessanten Beobachtungen von 
Lugaro undA. Bühler sind für mich von ganz besonderem 
Werth, da sie bis zu einem gewissen Grade meine Untersuchungen 
über den Bau der Nervenzellen, und unter diesen auch der sym- 
pathischen Zellen, bestätigen. 

Für gewöhnlich besitzt eine jede Ganglienzelle einen ziem- 
lich grossen, runden oder ovalen Kern; in einigen Fällen aber, 
in den Herzganglien des Kindes z. B., fand ich beständig Zellen 
mit zwei Kernen (Fig. 15); häufig fanden sich in einem 
Ganglion mehrere solcher Zellen. Auf die Kerne selbst kann 
das Methylenblau eine verschiedene Wirkung ausüben: bald färbt 
es nur die Nucleolen, bald den ganzen Kern in mehr oder weniger 
intensiver Weise, wobei jedoch ein schmaler peripherer Gürtel 
entweder gar nicht, oder nur sehr schwach mitgefärbt wird. 

Jede Ganglienzelle wird von einer äusserst dünnen Binde- 
sewebskapsel umgeben, welche durch das Methylenblau oft mehr 
oder weniger intensiv gefärbt wird. In solchen Fällen kann 
man die Grenzen des Zellkörpers nur schwer unterscheiden, doch 
wird einem dafür die Möglichkeit geboten, die Beziehungen der 
Kapsel zu den Zellfortsätzen einigermaassen aufzuklären. 

Die Frage, ob die Kapsel auf die Dendriten der Zelle über- 
geht, oder ob letztere einfach die Kapsel durchsetzen, hat eine 
gewisse physiologische Bedeutung, wie dies Prof. ©. Schieffer- 
decker in einem an mich gerichteten Briefe in sehr richtiger 
Weise hervorhebt. Soviel ich bei meinen Untersuchungen an 
Zellen mit gefärbter Kapsel bemerken konnte, geht diese 
von der Zelloberfläche nicht nur auf den Nerven- 
fortsatz, sondern auch auf diediekeren Dendriten 
ununterbrochen über (Fig. 2 und 3). Besonders deutlich 
sieht man den Uebergang der Kapsel auf alle Fortsätze der 
Zellen an Nervenzellen, welche kleinere Ganglien bilden, oder 


1) A. Bühler, Untersuchungen üb. d. Bau der Nervenzellen, 
Verhandlungen der physik.-mediz. Gesellschaft zu Würzburg. Bd. XXX], 
Nr. 8, 1898. 


nen ee ee ie de Ya 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 251 


einzeln an Nervenstämmehen und -ästchen sitzen. Diese einzelnen 
Zellen haben gewissermaassen das Aussehen unipolarer Zellen 
mit nur einem kräftigen Fortsatz, welcher in das Nervenstämm- 
chen übergeht; jede einzelne Zelle nun erscheint mittelst ihres 
Fortsatzes wie eine Beere an ihrem Stiel, an dem Nervenstämm- 
chen befestigt. In allen den Fällen jedoch, wo die Kapsel einer 
solchen Zelle nur schwach, die Zelle selbst aber mehr oder 
weniger intensiv gefärbt erscheint, ist es unschwer zu erkennen, 
dass an verschiedenen Stellen mehrere Fortsätze von der Zelle 
ausgehen, welche anfangs von der Kapsel bedeckt sind (Fig. 9), 
dann zu einem Bündel zusammentreten, von der Kapsel der Zell- 
oberfläche aus eine Hülle bekommen und schliesslich in das 
Nervenstämmehen eintreten. Dieselbe Erscheinung kann man 
auch in dem Falle beobachten, wenn alle Fortsätze, wie dies 
häufig vorkommt, von einem einzigen Pol der Zelle ausgehen. 
Auf diese Weise kann eine multipolare Zelle unter gewissen Um- 
ständen, falls die Zellkapsel allein gefärbt wird, dem Beobachter 
als unipolare Zelle erscheinen. 

Ferner werden durch das Methylenblau bisweilen (besonders 
in den Herzganglien des Menschen) nicht nur die Ganglienzellen 
mit ihren Fortsätzen gefärbt, sondern es treten gleichzeitig auch 
die Grenzen der flachen polygonalen Zellen deutlich hervor, 
welche die innere Kapseloberfläche auskleiden (Fig. 2). Auf 
solchen Präparaten kann man sich leicht davon überzeugen, dass 
die eben erwähnten Zellen der Kapseln sich auch auf die stär- 
keren Dendriten fortsetzen; auf diesen letzteren treten nämlich 
genau dieselben dunkelviolett gefärbten Zellgrenzen hervor, wie 
an der inneren Oberfläche der Zellkapsel. Diese Belagzellen um- 
hüllen die Dendriten oft auf einer grossen Ausdehnung, und 
schliessen oft ganze Büschel von Dendriten auf einmal ein. Die 
Gegegenwart von flachen Zellen auf der Oberfläche der Dendriten 
scheint mir unzweifelhaft darauf hinzuweisen, dass letztere, gleich 
dem Körper der Ganglienzelle, sich mit einer Hülle umgeben, 
welche eine Forsetzung der Kapsel darstellt. Es ist mir nicht 
gelungen festzustellen, ob die Kapsel die Dendriten auf deren 
ganzem Verlauf begleitet, doch möchte ich annehmen, dass sie 
aller Wahrscheinlichkeit nach die Dendriten bis 
zum Zerfallin dieEndverästelungen umhülltund 
sich dann im Bindegewebe der Ganglien oder 


252 A..8.7D 0 siel: 


Nervenstämmcehen verliert (wenn dieZellen längs 
diesen letzteren zerstreut liegen). 

Was nun die Gestalt der Zellen betrifft, so gehört in den 
Ganglien des Herzens die Mehrzahl «derselben zum multipolaren 
Typus, doch kann man darunter bisweilen auch bipolare und 
selbst unipolare Zellen fmden. Alle Zellen, welche an dem Auf- 
bau der Herzganglien Theil nehmen, können, soviel ich auf Grund 
sorgfältigen Studiums einer grossen Menge von Präparaten con- 
statiren konnte, in drei Grundtypen eingetheilt werden; 
diese Grundformen unterscheiden sich durch den Charakter ihrer 
Dendriten und zum Theil auch des Nervenfortatzes mehr oder 
weniger scharf von einander. 

a) DieGanglienzellendes ersten Typus (Fig. 4) 
sind von runder, ovaler, keulenförmiger oder eckiger Gestalt und 
im Allgemeinen von geringer Grösse; sie scheinen die Mehrzahl 
der Zellen in jedem Ganglion auszumachen und färben sich, im 
Vergleich mit den nach den beiden anderen Typen gebauten 
Zellen,sehr schwer mit Methylenblau; niemals habe ich diese 
Zellen einzeln längs den Nervenstämmehen und -ästchen zer- 
streut oder von den Fasern der Nervengeflechte eingeschlossen 
gefunden, — stets lagen sie in den Ganglien selbst. In seltenen 
Fällen sah ich die Zellen mehr oder weniger in einen der Pole 
des Ganglions hineinragen. 

Die Dendriten gehen in der Zahl von 2—4—8—10—16 
und mehr von den Polen der Zelle aus und erscheinen als kurze, 
dicke, oft etwas flach gedrückte, und mit Varicositäten besetzte 
Fortsätze. Schon in geringem Abstande von der Zelle theilt 
sich jeder Dendrit in mehrere längere oder kürzere varicöse 
Äeste von verschiedener Stärke, welche sich wiederum rasch 
vielfach theilen und endlich in ein Büschel kurzer und dicker 
varicöser Fäden zerfallen (Fig. 4). An den Theilungsstellen der 
Dendriten entstehen gewöhnlich eckige, abgeplattete Anschwel- 
lungen. Alle Verästelungen (auch die letzten Verzweigungen) 
der Dendriten sind mit kurzen, mehrfach getheilten Dornen (d.h. 
dornartigen Fortsätzen) besetzt, welche den Zellen ein eigen- 
artiges Aussehen und eine grosse Aehnlichkeit mit entsprechen- 
den Zellen der Gallenblase verleihen. Doch habe ich mich in 
ıneiner ersten Arbeit über die Ganglien der Gallenblase !), in 


Zur Frage über den feiu. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 253 


welcher ich diese Zellen eingehend beschrieb und abbildete (siehe 
Fig. 4D u. 7), noch nicht entsehliessen können, einen besonderen 
Zelltypus für sie aufzustellen. Je nach der Lage der Zellen im 
Ganglion, d.h. mehr an dessen Peripherie oder aber im cen- 
tralen Theil desselben, verlaufen die Dendriten in einer bestimmten 
Richtung, oder sie gehen nach verschiedenen Seiten ab, wobei 
ihre Verästelungen sowohl zwischen den Zellen des Ganglions, 
als auch an seiner ganzen Peripherie, unmittelbar unter der Hülle 
verlaufen. 

Die Endverästelungen der Dendriten und die stachelartigen 
Auswüchse aller einem Ganglion angehörigen Zellen des ersten 
Typus treten in so innige Verbindung mit einander, 
dass sie ein diehtes Netz bilden; dieses Netz tritt nur 
in dem Falle mit Deutlichkeit hervor, wenn die Dendriten mehrerer 
benachbarter Zellen dieses Typus in einem Ganglion sich gefärbt 
haben (Fig. 4). Im entgegensesetzten Falle aber, d. h. wenn die 
Dendriten von nur einer, zwei oder drei, in verschiedenen Ab- 
schnitten des Ganglions, gelegenen Zellen sich färben, hat es 
den Anschein, als ob alle aus den Verzweigungen resultirenden 
Aestchen frei endigten, in Gestalt eines Büschels von mehr oder 
weniger dicken, kurzen, varicösen Fäden. 

Unter den eben charakterisirten Zellen trifft man häufig 
auch solche an, von deren einem Pole nur ein einziger, sehr 
dieker Dendrit, oder aber ein ganzes Bündel von Dendriten (3—4) 
abgeht: in beiden Fällen zerfallen die Dendriten schon in kurzer 
Entfernung von der Zelle in mehrere Aeste von verschiedener 
Dieke. Der Nervenfortsatz beginnt stets in Gestalt eines oft 
recht langen und ziemlich dieken Kegels an dem Körper der 
Ganglienzelle oder sehr häufig auch an einem der Dendriten. 
Auch habe ich mehr wie einmal beobachtet, wie der eine oder 
der andere der Dendriten schon vorher in mehrere Aeste zer- 
fallen war, und damm erst der Kegel des Nervenfortsatzes von 
einem dieser Aeste seinen Anfang nahm. In vielen Fällen gehen 
von dem proximalen kegelförmigen Abschnitt des Nervenfort- 
satzes eine beträchtliche Menge seitlicher Aeste von verschie- 
dener Stärke ab, welche sieh in keiner Weise von den Dendriten 
unterscheiden; sie verästeln sich im Ganglion und tragen, gleich 
den Verästelungen der Dendriten, zur Bildung des durch letztere 
aufgebauten Netzes bei (Fig. 4). 


254 A. S. Dogiel: 


Bisweilen scheint es (besonders in den an der Peripherie 
des Ganglions gelegenen Zellen), als ob von dem Körper der 
Zelle der Nervenfortsatz allein ausginge, von dessen Kegel zahl- 
reiche seitliche Aeste ihren Ursprung nehmen. Die letzteren 
vertreten gleichsam die Dendriten der betreffenden Zelle. Aehn- 
liche Zellen beschreibt La Villa!) für die Ganglien des Darm- 
gefleehts. An gelungenen Präparaten kann man sich jedoch da- 
von überzeugen, dass an solchen Zellen neben dem Nervenfort- 
satz stets auch mehrere Dendriten ausgehen (Fig. 4); doch do- 
minirt ersterer vermöge der Breite seines Kegels sozusagen über 
die sehr kurzen und rasch in ihre Endverästelungen zerfallen- 
den Dendriten. 

Die Anwesenheit des dieken und langen, mit zahlreichen 
Seitenästen besetzten Kegels am Nervenfortsatz ermöglicht es oft, 
die Zellen des ersten Typus von denen der übrigen Typen zu 
unterscheiden. 

In Gestalt eines Kegels beginnend, erscheint der Nerven- 
fortsatz in seinem weiteren Verlauf als ein langer, stellenweise 
varieöser Faden, oder aber als eine fast völlig glatte mehr oder 
wenig gebogene und dicke Faser. Für gewöhnlich schlängeln 
sich die Nervenfortsätze der Zellen des vorliegenden Typus zwi- 
schen den Zellen eines Ganglions hindurch nach den Polen dieses 
letzteren zu, und treten dann in die mit dem Ganglion verbun- 
denen Nervenstämmehen ein. Soviel ich bemerken konnte, ge- 
hört dieMehrzahlder varicösenFädenund glatten 
Fasern, welche in den Stämmchen enthalten sind 
eben zuden Nervenfortsätzen der hier beschrie- 
benen Zellen. Obgleich der Verlauf der Nervenfortsätze in 
den Stämmchen oft auf sehr grosse Entfernungen hin verfolgt 
werden kann, war doch nie zu bemerken, dass einer derselben 
eine Markscheide bekäme, d. h. sich in eine markhaltige Faser 
verwandelte; die ganze Strecke über behalten die Nervenfortsätze 
ihren ursprünglichen Charakter bei, wobei man an stärkeren 
Fortsätzen die Gegenwart einer Sehwann'schen Scheide kon- 
statiren kann. Auf welche Weise die fraglichen Fortsätze im 
Herzen enden, ist sehr schwer zu erkennen. Gewöhnlich können 
sie weit über die Zelle hinaus in den Stämmcechen verfolgt werden; 


l) Revista trimestral micogräfica. Vol Il. F. 3 u. 4, 1897 (p. 192). 


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Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 255 


später aber wird es in den meisten Fällen unmöglich, sie von 
den übrigen, neben ihnen verlaufenden Fasern zu unterscheiden, 
und ebenso etwas Gewisses über ihr späteres Schicksal auszu- 
sagen. Nichtsdestoweniger gelingt es nach Durchmusterung vieler 
Präparate zweierlei zu constatiren: Erstens treten die fraglichen 
Fortsätze in die Nervenästchen über, welche den Plexus im 
Myocardium bilden; zweitens gelang es mir mehrere Male zu be- 
obachten, wie der Nervenfortsatz einer Zelle vom ersten Typus, 
nachdem er in das Myocardium eingedrungen war, sich daselbst 
in 2—3 dünne varieöse Fäden theilte (Fig. 5). Auf die eben 
angeführten Beobachtungen, sowie auf meine Untersuchungen 
über die Geflechte des Darms gestützt, spreche ich die Ver- 
muthung aus, dass die Nervenfortsätze der Zellen 
vom ersten Typus in der Muskulatur des Herzens 
enden, mit anderen Worten, dass sie zu den moto- 
rischen sympathischen Fasern des Herzens zu 
rechnen sind. 

b) Die Zellen des zweiten Typus (Fig. 5, 6—17) 
gehören zu den interessantesten Elementen aller peripheren Gang- 
lien und darunter auch der Herzganglien. In ihrer Gestalt zeigen 
sie keinen wesentlichen Unterschied von den Zellen des ersten 
Typus; wir finden unter ihnen vorzugsweise multipolare, aber 
auch bi- und unipolare Zellen, von denen letztere häufiger auf- 
treten als bei den nach dem ersten Typus gebauten Zellen. 
Grosse Zellen treten in überwiegender Mehrzahl auf. Zu den 
Zellen des zweiten Typus gehören alle diejenigen Zellen, welche 
vereinzelt längs den Nervenstämmehen und -ästehen des Sub- 
pericardialplexus liegen und theils den einzelnen Stämmehen und 
Aestehen angelagert sind, theils zwischen den Fasern der letzteren 
eingeflochten liegen; sie sind meist reihenweise, eine neben der 
anderen angeordnet, oder aber liegen sie in verschieden grosser 
Entfernung von einander. Die kleineren Ganglien, welche im 
Verlauf der Nervenstämmehen auftreten und meist aus wenigen 
(3—4—5—7) Zellen aufgebaut sind, werden augenscheinlich fast 
ausschliesslich von Zellen des zweiten Typus gebildet. Bisweilen 
endlich findet man sie in den Verästelungen des Geflechts, wel- 
ches sich zwischen den Bündeln von Muskelfasern im Myocar- 
dium der Vorhöfe und der Basis der Kammern ausbreitet. Wie 
gross die Zahl dieser Zellen in den grossen Ganglien ist, lässt 


256 A.S. Dogiel: 


sich schwer unterscheiden, da in diesen letzteren durchaus nicht 
alle, sondern nur ein kleiner Theil der Zellen durch das Me- 
thylenblau gefärbt werden. 

Die Dendriten entspringen zu mehreren (von 1—2 bis 
4—8—10 und mehr) an verschiedenen Stellen des Zellkörpers, 
entweder an einer beliebigen Seite desselben, oder aber von 
einem oder beiden Polen der Zelle, was vollständig von rein 
localen Bedingungen abhängt, und zwar ob die Zellen zu grossen 
oder kleinen Ganglien gehören, ob sie in die Fasern eines Nerven- 
stämmehens eingeflochten sind, oder ob sie diesem Stämmcehen 
nur anliegen u. s. w. Liegen die Zellen ganz an der Peripherie 
des Ganglions, so entspringen die Dendriten an der dem Gang- 
lion zugewendeten Oberfläche der Zelle; nehmen die Zellen da- 
gegen eine mehr centrale Lage ein, so gehen die Dendriten von 
verschiedenen Seiten des Zellkörpers aus und verlaufen hierauf 
nach den Polen des Ganglions. An denjenigen Zellen, welche 
ganz vereinzelt längs den dünnen Nervenstämmchen liegen, be- 
ginnen die Dendriten entweder als ganzes Büschelchen, oder 
aber einzeln von einem der beiden Zellpole. Liegt eine Zelle 
dem Nervenstämmehen dicht an, oder befindet sieh in seiner 
Nähe, so entspringen die Dendriten (deren es einer oder mehrere 
sein können) von derjenigen Seite der Zelle, welche dem Nerven- 
stämmcehen zugewandt ist. In solchen Fällen können die Den- 
driten sogar an verschiedenen Stellen der Zelloberfläche ent- 
springen, und sich bald darauf zu einem Bündel vereinigen, 
welches von einer Fortsetzung der Zellkapsel umhüllt wird und 
nach längerem oder kürzerem Verlauf mit dem Nervenstämmehen 
vereinigt. Gewöhnlich sind die Dendriten einer Zelle an ihrer 
Basis verschieden stark: die einen haben ein ziemlich dickes 
Basalstück, andere erscheinen als dünne Fasern oder Fäden 
(Fig. 6—17). Jeder Dendrit zerfällt meist schon in geringer 
Entfernung von der Zelle in mehrere varieöse oder fast ganz 
glatte Aeste von verschiedener Dicke; letztere treten, je nach 
der Lage der Zelle, in das Ganglion oder in die Nervenstämm- 
chen über, und können selbst auf grosse Entfernungen noch unter- 
schieden werden (Fig. 6—17). Liegt die Zelle aber im Ganglion 
selbst, so schlängeln sieh ihre Dendriten zuerst zwischen den 
Zellen des Ganglions durch, indem sie sich bisweilen wiederum 
theilen und treten dann aus dem Ganglion heraus und in die 


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Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 257 


Nervenstämmehen ein, welche von den Polen des Ganglions ab- 
gehen. Da es mir möglich war, den Verlauf der Dendriten in 
den Nervenstämmchen bis auf ungemein grosse Entfernungen hin 
zu beobachten, konnte ich bemerken, dass sie die ganze 
Zeitüber den Charakter mehr oder weniger dün- 
ner, varicöseroder glatterFasern und Fädenbei- 
behalten; es ist in Folge dessen fast unmöglich, innerhalb 
der Stämmcehen die Dendriten von den marklosen Fasern zu 
unterscheiden. Häufig theilen sich die Verästelungen der Den- 
driten, nachdem sie schon in die Nervenstämmehen übergegangen 
sind, nochmals in mehrere dünne, varieöse oder glatte Aestchen. 

In dem Falle, wenn eine der zu besprechenden Zellen in 
mehr oder weniger beträchtlicher Entfernung von den Nerven- 
stämmehen liegt, verlaufen die von den Polen der Zelle abgehen- 
den Dendriten zu Bündeln vereinigt, oder einzeln nach den zu- 
nächst gelegenen Stämmchen, treten in diese ein und entziehen 
sich dann, vermöge ihrer Aehnlichkeit mit marklosen Fasern, der 
weiteren Beobachtung (Fig. 6). Mit ähnlichen Schwierigkeiten 
hat der Beobachter namentlich dann zu kämpfen, wenn sehr viele 
Nervenfasern der Stämmcehen sich mit dem Methylenblau gefärbt 
haben. 

Die Nervenstämmehen und -ästehen der pericardialen, und 
zum Theil auch der myocardialen Geflechte enthalten demnach 
ausser den Nervenfortsätzen der sympathischen Zellen und den 
Fasern des cerebrospinalen Systems auch Dendriten der nach 
dem zweiten Typus gebauten Ganglienzellen. Die Art und Weise 
der Endigung der Dendriten festzustellen ist äusserst schwer, 
in Folge ihrer bedeutenden Länge und des Umstandes, dass 
sie mit den Nervenfasern der Nervenstämmcehen zusammen ge- 
lagert sind. Auf vielen meiner Präparate aus dem Herzen des 
Kindes hatten sich die zu besprechenden Zellen mit allen ihren 
Fortsätzen wundervoll mit Methylenblau gefärbt, und ich konnte 
die Dendriten bis auf eine grosse Entfernung von den Zellen 
verfolgen; trotzdem ist es mir nicht gelungen über das Schick- 
sal ihres Endverlaufes Aufklärung zu schaffen. In den meisten 
Fällen verliefen die Dendriten in den Nervenstämmehen und 
-ästchen, theilten sich nicht selten auf dem Wege, gingen bis- 
weilen durch eines der nächstliegenden Ganglien hindurch und 
entzogen sich dann der weiteren Beobachtung (Fig. 6, 7, 10, 11, 


258 A.S. Dogiel: 


13, 14 und 16). Oft kommen einander Dendriten von Zellen 
zweier benachbarter Ganglien in den die beiden Ganglien ver- 
bindenden Nervenstämmchen entgegen. Indem man ihren weiteren 
Verlauf verfolgt, kann man sehen, dass sie sich scheinbar mit 
einander vereinigen, oder durch das Ganglion hindurchtreten, 
oder endlich, ehe sie das letztere erreichen, seitwärts abbiegen 
und in die Aestehen übergehen, welche von dem Nervenstamm 
ausgehen. In einigen Fällen nahmen die Dendriten, entweder 
einzeln oder in den Nervenstämmchen oder -ästehen einge- 
schlossen, ihren Verlauf in die Masse des Myocardiums; was 
aber dann mit ihnen geschieht, weiss man nicht. Bezüglich 
ihres weiteren Schicksals kann man, wie mir scheint, nur zwei 
Möglichkeiten zulassen: entweder müssen sie mitirgend 
welchen Endapparaten in der Herzwand enden 
oder aber ihre Endverästelungen müssen sich in den Nerven- 
stämmehen und Nervenästchen der Herzgeflechte mit einander 
verbinden. Erstere Voraussetzung halte ich für die wahrschein- 
lichere. 

Wenn wir in Betracht ziehen, dass die Dendriten der Zellen 
vom zweiten Typus eine ungeheure Länge besitzen, eine verhält- 
nissmässig geringe Zahl von Aestehen abgeben, die Gestalt von 
mehr oder weniger dünnen Fasern und Fäden haben, und end- 
lich, dass sie immer über die Grenzen desjenigen Ganglions, zu 
welchem die Zelle gehört hinausgehen — so wird uns die Mög- 
lichkeit gegeben, die Ganglienzellen des zweiten Typus von den 
übrigen sympathischen Zellen zu unterscheiden. 

Was den Nervenfortsatz betrifft (Fig. 5, 8, 12, 13, 14, 15 
und 16), so verlässt er in Gestalt eines kleinen Kegels den Zell- 
körper oder den erweiterten basalen Theil eines der Dendriten, 
hat das Aussehen einer dünnen, glatten oder stellenweise ver- 
diekten Faser und tritt gemeinschaftlich mit den Dendriten der 
Zelle in eines der Nervenstämmchen ein. Von dem Kegel des 
Nervenfortsatzes zweigen bisweilen, sowohl bei Zellen, welche in 
den Ganglien liegen, als auch bei solehen, welche längs den 
Stämmcehen einzeln angeordnet sind, dünne seitliche Aeste ab. 

Soviel ich bemerken konnte, erhält in den meisten Fällen 
der Nervenfortsatz keine Markscheide, und erhält sich selbst in 
sehr beträchtlicher Entfernung vom Zellkörper noch als marklose 
Faser. In seinem ganzen Verlaufe finden sich ovale Kerne, welche 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 259 


ihm dicht anliegen und den Zellen der Sehwann'schen Scheide 
angehören. Doch traf ich in grossen Ganglien, namentlich im 
Herzen des Kindes, ausser derartigen Fortsätzen auch bisweilen 
Zellen, deren Nervenfortsatz einen anderen Charakter trug. Er 
begann an der Zelle als langer dieker Kegel und hatte das Aus- 
sehen einer starken marklosen Faser, welche mit grossen spindel- 
förmigen Varicositäten besetzt ist; bisweilen war die Faser von 
Kernen der Sehwann'schen Scheide begleitet (Fig. 17). Unter- 
sucht man derartige Präparate, so fallen die Dicke des Fort- 
satzes selbst, wie auch die Grösse der varieösen Erweiterungen 
meist in erster Linie in die Augen. Verfolgte ich den Verlauf 
eines solchen Fortsatzes, so konnte ich sehen, dass dieser, 
oft in recht grosser Entfernung von der Zelle, 
sieh mit einer mehr oder weniger dünnen Mark- 
hülle bedeekte, mit anderen Worten, dass er zu 
einer markhaltigen Faser wurde. Der Nervenfortsatz 
der Zellen vom zweiten Typus erscheint demnach einmal als 
marklose und dann wieder als markhaltige Nervenfaser. Diese 
Thatsache steht in direetem Widerspruch mit der von Arn- 
stein und seinen Schülern ausgesprochenen Ansicht, die sym- 
pathischen Fasern trügen immer den Charakter markloser 
(Remak'scher) Nervenfasern. Die Anwesenheit von Mark- 
substanz in der Umgebung det Nervenfortsätze ist sehr leicht 
durch die intensive Färbung der Ranvier'schen Kreuze zu 
erkennen, wobei die Marksnbstanz häufig unterbrochen ist und 
dann wieder von neuem auftritt, was sich oft vielemale wieder- 
holt; hie und da fehlt die Markscheide auf sehr grosse Ent- 
fernungen hin. 

Bei den bipolaren Zellen entspringt der Nervenfortsatz von 
einem der beiden Zellpole (Fig. 12 u. 15), bei unipolaren Zellen 
beginnt er gemeinschaftlich mit den Dendriten der Zelle an einer 
gemeinsamen Basis. 

Da der Nervenfortsatz, falls er keine Markscheide erhält, 
ebenso glatt, oder schwach varieös erscheint wie die Dendriten 
und deren Aeste und ebenso wie diese im Nervenstämmehen oder 
-ästchen verläuft, so ist es sehr schwer, ihn von den Dendriten 
zu unterscheiden. Am leichtesten ist dies noch an der Stelle, 
wo die Fortsätze die Zelle verlassen: hier erscheinen die Den- 
driten in den meisten Fällen bedeutend stärker und beginnen 


260 A.S. Dogiel: 


sehr bald sich zu verästeln, während der Nervenfortsatz dünner 
ist, sich nieht theilt und meist als ziemlich scharf ausgeprägter 
Kegel beginnt; der Nervenfortsatz behält die eben genannten 
Merkmale bei, auch während er sich im Nervenstämmehen be- 
findet. 

Die grosse Aehnlichkeit im Aussehen des Nervenfortsatzes 
und der Dendriten ist nun auch die Hauptursache, weshalb die 
Zellen vom zweiten Typus den Eindruck hervorrufen, als ob von 
ihnen ausschliesslich Nervenfortsätze ausgingen. 

Um mir Aufklärung darüber zu verschaffen, auf welche 
Weise die besprochenen Fortsätze enden, unter- 
suchte ich eine Menge von Präparaten auf das Genaueste, wobei 
es mir gelang, die Fortsätze eine grosse Strecke hindurch zu 
verfolgen und zu konstatiren, dass sie bis in die Stämmehen und 
Aestchen des Pericardialplexus verlaufen. Ausserdem gelang es 
mir, zwei oder drei Mal zu sehen, wie der Nervenfortsatz einer 
im Stämmcehen gelegenen Zelle das zunächst liegende Ganglion 
erreichte und augenscheinlich in demselben sich verästelte (Fig. 25); 
doch konnte ich mich trotzdem nicht unbedingt davon überzeugen, 
ob der Fortsatz auch wirklich im Ganglion endet, da die gleich- 
zeitige Anwesenheit einer Unmenge von andern Fasern und Fäden 
mich in der Beobachtung hinderte. 

c) Zellen des dritten Typus (Fig. 11a, 18, 19). In 
den grossen Ganglien des Herzens finden sich ausser den beiden 
oben beschriebenen Zelltypen noch multipolare Zellen, welche 
gewissermaassen eine Mittelstellung zwischen dem ersten und dem 
zweiten Typus einnehmen: ihre Dendriten gehen nicht 
über die Grenzen des Ganglions hinaus, stehen 
aber ihrem Charakter nach näher zu den Den- 
driten der Zellen des zweiten als derjenigen des 
ersten Typus. Ihrer Grösse nach unterscheiden sich diese 
Zellen nieht von denjenigen des zweiten Typus. In den Gang- 
lien finden sie sich in ziemlich grosser Anzahl, doch immerhin 
nicht so zahlreich wie die Zellen des ersten Typus. 

Von einer jeden solchen Zelle gehen mehrere (3, 4, 6 und 
mehr) stärkere und schwächere Dendriten ab; in kurzer Entfer- 
nung von der Zelle zerfallen diese, je nach ihrer Dicke, in ein 
ganzes Büschel oder mn 2—3 Aestchen, welche, im Gegensatz zu 
dem, was wir bei den Aestehen an den Zellen vom ersten Typus 


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Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 261 


gesehen haben, eine bedeutende Länge besitzen und die Gestalt 
von dünnen, mehr oder weniger varicösen Fäden haben. Ein 
jedes Aestehen theilt sich in einer gewissen Entfernung wiederum 
gabelförmig in 2—3 dünne Aestchen, welche sich oft von neuem 
verästeln und schliesslich in eine Menge dünner, varicöser und 
vielfach verästelter Fädchen zerfallen. Diese Endveräste- 
lungen aller Zellen des dritten Typus verlaufen 
zwischendenGanglienzellen und bilden ein dieh- 
tes Geflecht, welehes natürlich zu gleicher Zeit 
auchteinigse,der Zellen von’ den anderen Typen 
Denis pin tal Jeiwe. um’ sdienGanglienzellen dureh 
die Verästelungen der Dendriten gebildeten Ge- 
flechte, welche R. y Cajal als „nids pericellu- 
asınaaı shlezre kehneit,i wnid.tebenso) die. ’gle vehren Ge 
flechte in den Ganglien der Gallenblase, welche 
von mir beschrieben und abgebildet worden sind 
(s. Fig. 1,2,5), müssen ohne Ausnahme auf die Den- 
arten der Zellen“ vom! dritten Typus'zuwrück’ge- 
führt werden. 

Die verhältnissmässig kleine Anzahl der bei der Theilung 
der Dendriten entstehenden Aestchen, die bedeutende Länge, 
der geringe, aber eonstantere Durchmesser dieser Aestchen, alles 
dies lässt sie den Nervenfortsätzen ausserordentlich ähnlich er- 
scheinen. 

Was nun den Nervenfortsatz selbst anbelangt, so beginnt 
er in Gestalt eines mehr oder weniger dicken Kegels am Körper 
der Zelle oder an einem der Dendriten und hat das Aussehen 
einer dieken, glatten, nur in seltenen Fällen stellenweise ver- 
diekten Faser (Fig. 11, 18 u. 19); diese Faser tritt in eines der 
Nervenstämmehen über und kann, wie dies auf Fig. 11 u. 19 
dargestellt ist, auf einer grossen Strecke von der Zelle aus ver- 
folgt werden, wobei sie stets als marklose Faser auftritt. Von 
dem conischen Basalstück des Fortsatzes gehen oft ein oder 
mehrere Seitenästehen nach dem betreffenden Ganglion ab, welche 
ganz den Charakter von Dendriten tragen. Ob die Nervenfort- 
sätze der Zellen eines Ganglions in anderen, benachbarten oder 
entfernter liegenden Ganglien oder aber auf eine andere Weise 


enden, darüber kann ich einstweilen nichts Bestimmtes aus- 
sagen. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 18 


262 A. S. Dogiel: 


Indem ich mit der Beschreibung der Ganglienzellen ab- 
schliesse, muss ich nochmals darauf aufmerksam machen, dass 
im Allgemeinen die Färbung der Zellen mit Methylenblau in den 
Ganglien des Herzens schwerer vor sich geht, als in den übrigen 
peripheren Ganglien; am raschesten werden die Zellen des zweiten 
Typus gefärbt, darauf folgen diejenigen des dritten und endlich 
die Zellen des ersten Typus. Als geeignetstes Objekt zum Stu- 
dium der sympathischen Ganglien des Herzens ist nach meinen 
Erfahrungen das Herz des Menschen und der Katze anzusehen. 

In den Ganglien endende Nervenfasern. In- 
dem ich die Ganglien des Herzens studirte, überzeugte ich mich 
davon, dass mindestens zweierlei Fasern in ihnen en- 
digen, welche zweifellos verschiedenen Ursprungs sind. Dies 
bezieht sich, wie ich es zum Theil schon früher ausgesprochen 
habe, auf alle Ganglien überhaupt, diejenigen des sympathischen 
Grenzstrangs mit eingeschlossen. 

a) Zu den Fasern des ersten Typus (Fig. 20, 21 
—26) gehören markhaltige und marklose Fasern von verschie- 
dener Stärke; stets färben sich die Endigungen dieser Fasern 
sehr intensiv mit Methylenblau, weshalb man sie fast auf jedem 
Herzpräparate sehen und in Folge dessen die Beziehungen der 
Endverästelungen zu den Ganglienzellen leicht erforschen kann. 
Je nach der Grösse eines Ganglions treten eine, zwei oder 
mehrere (3—4 und mehr) markhaltige Fasern von den Polen aus 
an dasselbe heran; die Dieke dieser Fasern kann eine verschie- 
dene sein: die einen erscheinen stärker, die anderen dünner, ja 
es treten selbst Fasern mit so schwacher Markscheide auf, dass 
sie oft nur an den sich intensiv färbenden Ranvier'schen 
Kreuzen unterschieden werden können. Die Ranvier’schen 
Einschnürungen sind gewöhnlich anfangs ziemlich weit von ein- 
ander entfernt, diese Entfernungen werden aber mit der wachsen- 
den Nähe des Ganglions allmählich immer geringer, und gleich- 
zeitig wird auch die Faser selbst immer etwas dünner. In ge- 
wissen Fällen verschwindet das Mark der Faser zwischen zwei 
Einschnürungen eine Strecke weit, erscheint dann wieder von 
neuem u. Ss. w., so dass eine solche Faser dann ein varicöses 
Aussehen bekommt (Fig. 20B, Fig. 22). Bisweilen entbehrt eine 
Faser des Marks vollständig auf dem Zwischenraum zwisehen 
zwei oder selbst drei Ranvier’schen Einschnürungen, und hat 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 263 


dann die Form eines mehr oder weniger dünnen Fadens (Fig. 
20A). Nach ihrem Eintritt in das Ganglion theilt sich die mark- 
haltige Faser sofort, oder nachdem sie eine gewisse Strecke zu- 
rückgelegt hat, an einer der Einschnürungen V- oder T-förmig 
in zwei markhaltige Aestchen; ein jedes dieser Aestchen verliert 
häufig schon an der 1., 2. oder 3. Einschnürung seine Mark- 
scheide und zerfällt in zwei varieöse oder glatte Fäden, oder 
aber es theilt sich in zwei kurze markhaltige Zweige und diese 
letzteren erst verwandeln sich früher oder später in eine mark- 
lose Faser (Fig. 29A u. 6). Häufig zweigt sich von einer mark- 
haltigen Faser, bei deren Eintritt in das Ganglion, an einer 
Ranvier'schen Einsehnürung ein dünner markloser Faden ab 
(Fig. 20A), welcher zugleich mit der Faser in das Ganglion ein- 
dringt; die Faser selbst verliert, nachdem sie eine gewisse Strecke 
im Ganglion zurückgelegt hat, ihre Markscheide und theilt sich 
gabelförmig in zwei varicöse Fäden. Doch nicht immer behalten 
die markhaltigen Fasern ihren Charakter bis zu ihrem Eintritt 
in das Ganglion bei: es ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung, 
dass solche Fasern in einer gewissen Entfernung vom Ganglion 
ihre Markhülle verlieren und sich hierauf in zwei oder drei Aeste 
theilen, welche vor ihrem Eindringen in das Ganglion oft noch- 
mals eine Theilung erleiden. In einigen Fällen behält ein aus 
der Theilung der Faser hervorgegangenes Aestehen seine Mark- 
hülle bis zu dem Ganglion selbst bei, oder aber ein markloses 
Aestchen giebt noch vor seinem Eintritt in das Ganglion einige 
Fäden nach dem letzteren ab, worauf es selbst in das Ganglion 
eintritt, sich mit einer dünnen Markhülle umgiebt, um dann bei 
der 2., 3. oder 4. Einschnürung seine Markhülle endgiltig zu 
verlieren und in mehrere varieöse Fäden zu zerfallen (Fig. 200). 
Endlich kamen mir auch solche markhaltige Fasern zu Gesicht, 
welche noch während ihres Verlaufes in den Stämmehen — in 
bedeutender Entfernung von einem der Ganglien — ihre Mark- 
scheide verlieren und in Gestalt verschieden dicker Fäden in 
das Ganglion eintreten, wo sie dann eine Theilung erfahren. 
Doch enden nicht alle in ein Ganglion eintretenden Fasern mit 
sämmtlichen Endverästelungen in diesem letzteren: einige der- 
selben geben ein oder zwei markhaltige oder marklose Aestchen 
an das betreffende Ganglion ab, worauf sie das Ganglion an 
einem seiner Pole wieder verlassen, von neuem in das Nerven- 


264 A.S. Dogiel: 


stämmcehen eintreten, ein anderes in der Nähe liegendes Ganglion 
aufsuchen und dann in diesem letzteren enden. Recht häufig 
kann man beobachten, wie die eine oder die andere markhaltige 
Faser in einer gewissen Entfernung von irgend einem Ganglion 
im Nervenstämmchen sich in zwei markhaltige Fasern theilt; 
von diesen tritt die eine in das betreffende Ganglion ein, und 
zerfällt hier in ihre Endverästelungen, während die andere, ohne 
das Nervenstämmchen zu verlassen, ein benachbartes oder auch 
entfernter liegendes Ganglion erreicht und sich in demselben 
verästelt. Bisweilen giebt die markhaltige Faser in einer Ent- 
fernung von einer oder zwei Einschnürungen vom Ganglion einen 
feinen varicösen Faden ab, wobei sie selbst in das Ganglion ein- 
tritt und daselbst endet, während der erwähnte Faden (Fig. 
20A) seinen ursprünglichen Charakter beibehaltend an dem Gang- 
lion vorbeigeht, sodann eine beträchtliche Strecke zurücklegt und 
auf diesem Wege sich in eine dünne markhaltige Faser ver- 
wandelt; diese Faser endet schliesslich in einem anderen Gang- 
lion, welches von dem ersterwähnten oft sehr beträchtlich ent- 
fernt liegt. 

Ausser den markhaltigen Fasern tritt aber noch eine ge- 
wisse, von der Grösse des Ganglions abhängige Anzahl von mark- 
losen Fasern in dasselbe ein (Fig. 20A u. B; Fig. 21A u. B). 
Die Zahl der eintretenden marklosen Fasern beträgt bei grossen 
Ganglien gewöhnlich 4—6—10 und mehr, bei kleineren Ganglien 
dagegen eine oder mehrere (2—3); dabei haben diese Fasern 
das Aussehen dicker oder dünner, glatter oder variköser Fäden 
und unterscheiden sich in keiner Weise von den Nervenfortsätzen 
der Ganglienzellen. Auf Flächenpräparaten aus dem Herzen, 
von ein, bisweilen 2 und 2!/, gem Grösse, konnte ich den Ver- 
lauf soleher Fasern in den Stämmehen sehr weit verfolgen; 
niehtsdestoweniger gelang es mir kein einziges Mal zu beobachten, 
dass diese Fasern sich mit einer, auch noch so dünnen Mark- 
scheide bedeckten, und ich muss sie daher als marklose Fasern 
ansprechen. Es ist sehr leicht, die erwähnten Fasern mit Nerven- 
fortsätzen von Ganglienzellen zu verwechseln, welche aus dem 
betreffenden Ganglion heraustreten und mit welchen sie grosse 
Aehnlichkeit besitzen; bei genauerer Untersuchung ist es jedoch 
unschwer zu erkennen, dass eine jede dieser Fasern an der 
Stelle, wo sie in das Ganglion eintritt, oder in diesem letzteren 


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Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 265 


in mehrere (2—-3—4) dünne varieöse Fäden zerfällt, welehe inner- 
halb des Ganglions in ganz bestimmter Weise (s. weiter unten) 
enden. Einzelne marklose Fasern treten gleich den markhaltigen 
durch ein beliebiges Ganglion hindurch, oder verlaufen an dessen 
Peripherie und geben auf diesem Wege ein oder mehrere Seiten- 
ästchen ab, welche in dem betreffenden Ganglion enden, während 
die Faser selbst ein anderes Ganglion aufsucht und dort in ihre 
Endverästelungen zerfällt (Fig. 26b). Nicht selten kommt es 
vor, dass eine Faser Seitenzweige an zwei oder gar drei Gang- 
lien abgiebt und erst dann in einem der Ganglien endet. 

Wie aus der vorhergehenden Beschreibung hervorgeht, 
stehendiemarkhaltigen und diemarklosenFasern 
in gleichen Beziehungen zu den Ganglien: einige 
davon enden vollständig, mitallen ihren Endver- 
ästelungen,ineinemder@Ganglien,‚—anderegeben 
zuvor aufihrem Wege Aestchen an andere Gang- 
lien ab. 

Alle aus der Theilung von markhaltigen und marklosen 
Fasern hervorgehenden Aestchen und Fäden enden auf die gleiche 
Weise in den Herzganglien: sie theilen sich vielfach in dünne 
varieöse Fäden, welche sich auf mannigfaltige Weise zwischen 
den Ganglienzellen hindurchwinden, sich dabei auf's neue ver- 
zweigen und schliesslich in eine ungeheure Anzahl feinster vari- 
cöser Fädchen zerfallen. Diese letzteren umflechten 
alle Elemente des Ganglions, d. h. sowohl die 
Ganglienzellen als auch deren Fortsätze; sie bil- 
denin demGanglionein zusammenhängendes und 
äusserst dichtes Gefleeht, an welchem die Ver- 
ästelungen der markhaltigen wie der marklosen 
Fasern, welehein dem betreffendenGanglion en- 
den, Antheil nehmen (Fig. 20 u. 21). 

Im Falle sich die Kapseln der Zellen durch das Methylen- 
blau etwas färben, kann man unschwer bemerken, dass die 
Fädchen des erwähnten Geflechts immer ander 
Oberfläche der Zellkapsel verlaufen, in keinem 
Falleaberunterdieselbeeindringen; von der Kapsel- 
oberfläche gehen die Fäden auch auf die Zellfortsätze über, um- 
flechten diese und markiren gleichzeitig Verlauf und Richtung 
der Fortsätze, auch wenn diese durch das Methylenblau nicht 


266 A.S. Dogiel: 


gefärbt waren, auf eine gewisse Strecke (Fig. 20B, Fig. 21A 
u. Fig. 22). 

Ein solches Verhältniss der Fäden zu den Zellen und ihren 
Fortsätzen tritt mit besonderer Deutlichkeit zu Tage, wenn nicht 
alle, sondern nur einige der Fäden sich färben, was den An- 
schein erweckt, als ob die Verästelungen einer Faser eine oder 
mehrere Zellen umflechten. In Wirklichkeit ist dies in den 
grossen Ganglien nie der Fall, und bei vollständiger Ausfärbung 
kann man sich leicht davon überzeugen, dass an der Bildung 
eines pericellulären Geflechts die Verästelungen vieler Fasern 
betheiligt sind. 

Auf den nach der Golgi’'schen Methode angefertigten 
Präparaten färben sich die Endigungen der Fasern in den Gang- 
lien bekanntlich ziemlich schwer; für gewöhnlich, so viel man 
aus den Abbildungen von L. Sala, A.v.Gehuchten, Köl- 
liker u. a. ersehen kann, gelingt es, bei Anwendung dieser 
Methode, nur wenige der Verästelungen zu färben, aus welchem 
Grunde auch Bilder erhalten werden, welche den Anschein er- 
wecken, als ob die Verästelungen einer oder mehrerer Fasern 
ein Geflecht um eine oder mehrere Zellen bilden. Wie schon 
oben bemerkt, verlaufen die Fäden des Geflechts an der Ober- 
fläche der Kapseln der Ganglienzellen, eine Erscheinung, welche 
mit besonderer Deutlichkeit hervortritt, wenn zu gleicher Zeit 
nicht nur die Fäden des Geflechts, sondern auch die Kapsel selbst 
gefärbt erscheinen. Häufig jedoch bleibt die Kapsel ungefärbt, 
und es färben sich nur die Zellen mit den sie umflechtenden 
Fäden; in diesem Falle überzeugt man sich davon, dass zwischen 
dem Geflecht und der Zelle selbst ein kleiner, beide Gebilde 
trennender Zwischenraum übrig bleibt. In Folge dessen erscheint 
die Zelle, wenn man ihre Dimensionen nach dem Geflecht beur- 
theilt, stets grösser als sie in Wirklichkeit ist, da sie vom Ge- 
flecht noch durch die Kapsel geschieden ist. 

Was die Beziehungen zwischen den Fäden des in Frage 
stehenden Geflechts und den Dendriten der Ganglienzellen be- 
trifft, so werden diese Fortsätze, wie dies auf den Fig. 20B 
und 21 A zu sehen ist, gleich der Kapsel von den Fädchen des 
Geflechts umsponnen. Wenn man in Betracht zieht, dass die 
Kapsel von dem Zellkörper unmittelbar auf die dieken Dendriten 
übergeht, so ist es klar, dass auch die Fäden des Geflechts von 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 267 


der Kapsel auf diese ihre Auswüchse übergehen und durch 
letztere von den Dendriten getrennt sind. Eine unmittel- 
bare Berührung der Fäden mit den Dendriten 
kann nur da stattfinden, wo die Dendriten keine 
Kapsel besitzen, mit anderen Worten — an ihren 
Endverästelungen. 

Gewöhnlieh liegen im Herzen viele Ganglien nahe bei ein- 
ander; verfolgt man in einem solehen Ganglion die Geflechte, 
welche von den Verästelungen der eintretenden Fasern gebildet 
werden, so kann man sich leicht davon überzeugen, dass sich 
von demGefleeht eines beliebigenGanglions ein, 
oder häufig aueh mehrere dünne varicöse Fäden 
ablösen, und nach dem in einem benachbarten 
GanglJion gelegenen Geflecht verlaufen. Dureh 
Vermittelung soleher verbindenden Fäden stehen 
die Gefleehte vieler Ganglien im Zusammenhang 
mit einander. 
| Alles, was soeben über die Endigungen der zu beschrei- 
benden Nervenfasern in den grossen Ganglien gesagt worden ist, 
bezieht sich in gleichem Maasse auch auf die kleineren Ganglien. 
Häufig hat es den Anschein, als ob zu einem solchen Ganglion 
nur eine markhaltige oder marklose Faser herantrete und, in 
eine Menge Fädehen zerfallend, das ganze Geflecht des betreffen- 
den Ganglions bilde (Fig. 22, 23, 24); da aber, selbst bei an- 
scheinend vollständiger Färbung der Nerven mit Methylenblau, 
doeh nicht alle Nervenfasern gefärbt werden, so kann mit grosser 
Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass in Wirklichkeit 
auch in den kleineren Ganglien eine grössere Anzahl von Nerven- 
fasern endet. Die Beziehungen zwischen den Fasern der ersten 
Art und solchen Zellen, welehe überall zu einer, zweien oder 
dreien längs den Nervenstämmchen und -ästchen angetroffen 
werden, sind am Herzen viel leichter aufzuklären, als an den 
übrigen inneren Organen (Verdauungskanal, Gallenblase u. s. w.). 
Es gelang mir sehr häufig auf meinen Präparaten zu beobachten, 
dass zu einer oder zwei solcher Zellen eine markhaltige Faser 
herantrat, in kurzer Entfernung von der Zelle ihre Markhülle 
verlor, und sodann in mehrere, sich wiederum theilende Fäden 
zerfiel. Die letzteren theilten sich, indem sie die Zelle erreichten, 
in eine Menge feinster Fädehen, welche die Zellkapsel nmflochten 


2683 A.S. Dogiel: 


und bisweilen auch die Dendriten auf einer gewissen Entfernung 
umgaben (Fig. 22, 23 u. 24). 

In einigen Fällen trat zu solchen Zellen, statt einer mark- 
haltigen, eine marklose Faser heran und endigte in der vorhin 
angegebenen Weise an der Oberfläche der Zellkapseln. Sehr 
interessant ist das Verhältniss der Fasern zu den einzelnen, längs 
dem Verlauf der Nervenstämmchen der Herzgeflechte in bedeu- 
tender Zahl zerstreut liegenden Zellen. Zu einer solchen Zelle 
tritt gewöhnlich eine markhaltige oder marklose Faser hinzu und 
theilt sich an der Zelle selbst, oder in einiger Entfernung von 
ihr in 2—3—4 Fäden, welche an der Oberfläche der Zellkapsel 
in eine Menge feinster varieöser, die Kapsel allseitig umflechtende 
Fädchen zerfallen (Fig. 22 u. 24). 

Bisweilen, wie dies in Fig. 23 dargestellt ist, trennt sich 
von einer der zu einem beliebigen Nervenstämmchen verlaufen- 
den markhaltigen Fasern, an einer Ranvier'schen Einschnü- 
rung, ein glatter oder variköser Faden ab und verläuft nach 
einigen der von den Fasern des Stämmehens umflochtenen Zellen. 
Nachdem der erwähnte Faden die Zellen erreicht hat, zerfällt 
er in variköse Endfäden, welche die Kapseln der betreffenden 
Zellen umflechten. Von dem so gebildeten pericapsulären Ge- 
flecht zweigt wiederum ein variköses Fädchen ab, welches sich 
zu einer benachbarten ähnlichen Zellgruppe begiebt und unter 
Bildung gleicher Geflechte daselbst endet. Häufig, namentlich 
in Ganglien, welche von 2—3 Zellen gebildet werden, dringen 
die Fäden des Geflechtes nicht zwischen die Kapseln der ein- 
zelnen Zellen hindurch, sondern vertheilen sich nur an deren 
äusserer, der Peripherie des Ganglions zugewandten Seite. 

b) Die Nervenfasern des zweiten Typus (Fig. 
27) färben sich viel schwerer mit Methylenblau als die oben 
beschriebenen Fasern, und während man letztere fast auf jedem, 
nach der angegebenen Methode bearbeiteten Präparate ausge- 
zeichnet sehen kann, kommen erstere nur auf wenigen Präparaten 
zur Darstellung. 

Zum Unterschied von den Fasern des ersten Typus haben 
diejenigen des zweiten ausschliesslich den Charakter von mark- 
haltigen Fasern; viele derselben haben einen ansehnlichen Durch- 
messer und zerfallen innerhalb der Stämmcehen nicht selten 
in markhaltige Fasern von verschiedener Stärke. Hie und da 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 269 


verliert eine der Fasern stellenweise auf einer kurzen Strecke 
ihre Markhülle und erhält in Folge dessen ein rosenkranzförmiges 
Aussehen. 

Meist treten in ein Ganglion, je nach seiner Grösse, eine, 
zwei, drei oder vier Fasern ein, und verlieren, so viel ich be- 
merken konnte, vor oder nach ihrem Eintritt die Markhülle. 
Verfolgt man den Verlauf der in mehrere (2—4) benachbarte 
Ganglien eindringenden Fasern, so kann man sich davon über- 
zeugen, dass sie in eines oder das andere Stämmchen eintreten, 
und dass sie nichts Anderes vorstellen als die Theilungsprodukte 
irgend einer, meist recht dieken, markhaltigen Faser. Gewöhn- 
lich theilt sich eine solche Faser auf ihrem Verlaufe in dem 
Nervenstämmehen nach und nach in eine grosse Anzahl von 
markhaltigen Fasern. Da wo das betreffende Stämmehen sich 
verzweigt, dringen diese Fasern dann in die sich abtrennenden 
Aeste des Stämmehens ein und begeben sich, oft nach einem 
recht langen Verlauf, nach den mit den Aesten verbundenen 
Ganglien, in welche sie zu 1, 2, 3 und mehr eintreten. 

Es erweist sich auf diese Weise bei genauer Untersuchung, 
pass in solchen Fällen, wo in ein gewisses Gang- 
lion mehrere Fasern der zweiten Art eintreten, 
diese letzteren nicht immer alle zuverschiedenen 
Fasern gehören, sondern oft zu ein und derselben 
Faser, welche nach vielfachen Theilungen eine 
verschiedene Zahl von Aestcehen nach mehreren 
Ganglien entsendet. Bisweilen sind diese Aestchen kurz, 
bisweilen dagegen sehr lang, und nur bei bedeutender Grösse 
der Flächenpräparate können sie in ihrer ganzen Ausdehnung, 
vom Anfang bis zum Ende, beobachtet werden. Was soeben 
über die Herkunft der Fasern gesagt wurde, ist jedoch nicht 
immer die Regel; nicht selten erscheinen die in ein Ganglion 
eintretenden Fasern als Aeste nicht einer einzigen, sondern 
von zwei oder drei einzelnen Fasern, oder aber eine oder 
zwei von ihnen gehören der einen, die übrigen einer anderen 
Faser an. Nur in seltenen Fällen fand ich, dass von einer 
markhaltigen Faser, noch vor ihrem Eintritt in eines der grossen 
Ganglien, ein dieker, variköser und kurzer Faden sich ablöste, 
weleher in ein kleines, in der Nähe des grossen gelegenes Gang- 
lion eintrat. 


270 A.S. Dogiel: 


Aus dem soeben Dargelegten ergiebt sich, dass eine 
jede markhaltige Faser der zweiten Kategorie 
während ihres ganzen Verlaufs in eine Menge 
markhaltiger, sich ihrerseits oft in gleicher 
Weise theilender markhaltiger Fasern zerfällt, 
welehe in verschiedener Anzahl nieht in ein oder 
zwei, sondern in viele, längs dieser Fasern ge- 
legene Ganglien eindringen. 

Die Endigungsweise dieser Fasern in den Ganglien des 
Herzens trat mehrere Male mit bemerkenswerther Schärfe hervor, 
so dass es möglich war, ihre Beziehungen zu den Ganglienzellen 
zu ermitteln und gleichzeitig meine Beobachtungen über die 
Endigung der betreffenden Fasern in anderen Ganglien zu be- 
stätigen und zu vervollständigen. Gewöhnlich theilt sich jede 
Faser, nachdem sie ihre Markscheide verloren hat und in das 
Ganglion eingetreten ist, in 2—3 und mehr dicke, glatte und 
variköse Fäden, welche sich zwischen den Ganglienzellen hin 
schlängeln und dabei allmählich in eine grosse Anzahl von 
Fäden gleicher Art zerfallen. Ein jeder dieser Fäden durch- 
bohrt die Kapsel einer Zelle und umflicht den Zellkörper mit 
zahlreichen, sich in verschiedenen Richtungen kreuzenden Win- 
dungen, dabei giebt er in seinem Verlauf kurze seitliche Fäden 
ab. Letztere verflechten sich unter einander der- 
art, dassihre Gesammtheit eine Art Knäuel bil- 
det, als dessenKern derKörper der Ganglienzelle 
selbst erscheint, und dessen Peripherie von den 
Fäden gebildet wird, welche die Zelloberfläche 
umhüllen. 

Nachdem er diese, das Endknänelchen oder pericelluläre 
Geflecht bildenden Fäden abgegeben hat, zieht der Hauptfaden, 
wenn ich mich so ausdrücken kann, weiter, nach einer benach- 
barten, oder etwas entfernter gelegenen Zelle, an welche er neue 
Fäden abgiebt, welehe dasselbe Verhalten wiederholen wie die 
ersten, u. s. w.; endlich, nachdem der Faden sich in der eben an- 
gedeuteten Weise mit mehreren Zellen in Beziehung gesetzt hat, 
zerfällt er an der Peripherie einer letzten solchen Zelle in seine 
Endverästelungen. Bisweilen gesellt sich einer der Fäden, nachdem 
er mehrere pericelluläre Gefleebte gebildet hat, zu den Fäden 
gleicher Geflechte, welehe entweder von anderen Aestehen der- 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 271 


selben Faser, oder von Verzweigungen anderer Fasern der zweiten 
Art zusammengesetzt sind. Ausserdem giebt fast immer ein jedes 
der Knäuelchen einige Fäden an andere Knäuelchen ab, welche 
in gewissem Maasse am Aufbau dieser Geflechte Theil nehmen. 
Ueberhaupt sind alle Endknäuel, soviel ich sehen konnte, mittelst 
solcher Fäden untereinander verbunden, unabhängig davon, ob 
sie in dem betreffenden Ganglion durch die Verzweigungen einer 
oder mehrerer Fasern des zweiten Typus gebildet werden. Die 
Fäden der Endknäuel sind dick und häufig mit starken Varikosi- 
täten besetzt, die Endknäuel selbst haben gewöhnlich geringe 
Dimensionen (siehe Fig. 27). Alle Charaktere zusammengefasst 
— die Gestalt und Grösse der Endknäuel, die Dieke der sie 
bildenden Fäden, und die Anwesenheit von starken Varikositäten 
auf den Fäden — geben den Endknäueln ein so eigenartiges 
Aussehen, dass die Aufmerksamkeit des Beobachters unwillkür- 
lich auf den grossen Unterschied in der Endigungsweise der Fa- 
sern vom ersten und derjenigen vom zweiten Typus gelenkt wird. 

Bisweilen werden durch das Methylenblau nicht nur die 
Endknäuelehen, sondern auch die von ihnen umflochtenen Ganglien- 
zellen gefärbt, so dass es in solchen Fällen fast unmöglich wird 
zu entscheiden, ob die Fäden auf der Oberfläche der Zellen liegen, 
ober ob sie sich stellenweise mit dem Protoplasma der Zellen ver- 
binden; es entsteht in solchen Fällen ein Bild, wie ich es ähn- 
lich schon längst bei der Untersuchung von pericellulären Ge- 
flechten an gewisssen Zellen der Netzhaut und der granulirten 
Schicht des Cerebellum beobachtet habe. Die eben besprochenen 
Endknäuel erinnern sehr an die in neuester Zeit von S. Mayer 
im Trapezkern, dem ventralen (accessorischen) Acustieuskern u. s. w. 
beschriebenen Endapparatee Held!) und S. Mayer?) haben 
kürzlich eine ausserordentlich interessante Beobachtung gemacht, 
welche darauf hindeutet, dass zwischen den pericellulären Ge- 
flechten und dem Protoplasma der von ihnen umflochtenen Zellen 
nicht bloss eine einfache Berührung (Contact) stattfindet, sondern 
dass zwischen ihnen eine innigere Verbindung besteht. Natürlich 
bedürfen diese Beobachtungen bei dem grossen Interesse, wel- 


1) Archiv f. Anat. u. Physiol., Anat. Abth. 1897. 
2) Bericht d. math.-physik. Klasse d. Königl. Sächs. Gesellsch. d. 
Wissensch. zu Leipzig. Sitzungsber. v. 25. Oct. 1897. 


272 AB: \Dogüel: 


ches sie darbieten, noch eimer genaueren Nachprüfung; sollten 
sie sich aber wirklich als den Thatsachen entsprechend erweisen, 
so würden die eben von mir beschriebenen Endknäuel ebenfalls 
in gleichen Beziehungen zu den sympathischen Zellen stehen 
müssen. 

Bei der Durchsicht von Präparaten, auf denen die Nerven 
gut gefärbt waren, wurde meine Aufmerksamkeit unter Anderem 
durch folgende sich immer wieder darbietende Erscheinung er- 
regt: ungeachtet der augenscheinlich vollständigen Färbung der 
Nerven des zweiten Typus in irgend einem der Ganglien, um- 
fleehten ihre Endverästelungen doch lange nicht alle Zellen des 
betreffenden Ganglions; während auf demselben Präparat, in an- 
deren oder sogar in demselben Ganglion die Endverästelungen 
der Nervenfasern des ersten Typus ein sehr dichtes, allgemeines 
Geflecht bilden. Ausserdem sind die Endknäuelchen, wie man 
aus der Vergleichung der Fig. 27 mit Fig. 20, 21, 22 ersehen 
kann, meist kleiner als die pericapsulären Geflechte, welche von 
den Fasern des ersten Typus gebildet werden. Der angeführte 
Unterschied in den Dimensionen zwischen den Endknäuelchen 
und den pericapsulären Geflechten fällt besonders bei solchen 
Ganglien ins Auge, in welchen die Endigungen beider Kate- 
gorien von Fasern gut ausgefärbt sind. 

Auf Grund dieser Angaben kann man, wie mir scheint, die 
Schlussfolgerung ziehen, dasserstens die Verästelungen 
der Fasern zweiter Kategorie nur einige wenige 
Ganglienzellen umflechten, und dass zweitens 
die Mehrzahl der von ihnen umflochtenen Zellen 
geringere Dimensionen aufweisen müssen. Da 
nun ferner die Ganglienzellen von geringerer 
Grösse meist dem ersten Typus von Zellen ange- 
hören, so kann man voraussetzen, dass die Fa- 
sern des zweiten Typus in jedem Ganglion eben 
nur an der Peripherie von solehen Ganglienzellen 
enden. 

Die Dicke der Fäden, aus welchen die Endknäuel bestehen, 
ihre stark ausgeprägten Varikositäten, die eigenartige Gestalt 
der Endknäuel selbst, endlich die oben beschriebenen Eigen- 
thümlichkeiten der als Endknäuel endenden Nervenfasern, alles 
dieses giebt uns die Möglichkeit, die Unterschiede zwischen den 


A A 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 273 


Nervenfasern der ersten und der zweiten Kategorie mit Leichtig- 
keit festzustellen. Die beigegebenen Zeichnungen, welche ich 
möglichst genau angefertigt habe, beweisen besser als alle Be- 
schreibungen, dass in den Ganglien des Herzens zwei verschie- 
dene Arten von Nervenfasern enden, welche einen verschiedenen 
Ursprung besitzen. 

Angesichts der soeben mitgetheilten Thatsachen bleibt noch 
eine Frage zu entscheiden, zu welchen Fasern nämlich die Fa- 
sern erster und zweiter Kategorie zu zählen sind? Diese Frage 
zu beantworten ist einstweilen schwer, doch kann man immerhin 
zu gewissen Schlussfolgerungen gelangen, wenn man die oben 
mitgetheilten Beobachtungen mit den interessanten und werth- 
vollen physiologischen Angaben, welche wir Langley, An- 
derson u.A. verdanken, nebeneinander stellt. Schon in meinen 
ersten Aufsätzen habe ich die Vermuthung ausgesprochen, dass 
die Nervenfasern vom ersten Typus zu den sympathischen, die- 
jenigen des zweiten Typus zu den cerebrospinalen Nervenfasern 
gezählt werden müssten. In der That sehen wir, indem wir den 
Charakter der Fasern der ersten Kategorie untersuchen, in erster 
Linie, dass zu ihnen sowohl markhaltige wie auch marklose Fa- 
sern gehören; dabei ist ihre Endigungsweise in den Ganglien ein 
und dieselbe: sie bilden so zu sagen ein einheitliches Geflecht, 
welches sich zwischen alle Zellen des Ganglions erstreckt, und 
eo ipso alle Zellen sammt deren Fortsätzen umflicht. Dieses Ge- 
flecht kann als intercelluläres Geflecht bezeichnet wer- 
den. Schon die gleiche Endigungsweise der erwähnten Fasern 
spricht dafür, dass sie einen gleichen Charakter tragen. Ferner 
haben alle markhaltigen Fasern einen verhältnissmässig geringen 
Durchmesser und sind nur von einer dünnen Markhülle umgeben, 
welche oft auf grössere oder geringere Strecken, nicht nur vor 
dem Eintritt der Faser in das Ganglion, sondern auch während 
ihres Verlaufes im Nervenstämmehen, unterbrochen erscheint. 
Solche Merkmale kennzeichnen vorzugsweise markhaltige sym- 
pathische Fasern, wie dies aus meinen Untersuchungen über die 
Ganglien des Herzens, und ebenso über diejenigen des Grenz- 
strangs des Sympathicus und das G. solare u. s. w. hervorgeht. 
Endlich weisen die marklosen, in den Ganglien endenden Nerven- 
fasern, soweit ich diese in den Nervenstämmcehen und -ästehen 
der Haargeflechte verfolgen konnte, in ihrer ganzen Ausdehnung 


274 A.S. Doseiel: 


keine Markhülle auf, und gleichen völlig den Nervenfortsätzen 
der Mehrzahl der Ganglienzellen des Herzens; mit anderen Wor- 
ten, diese Fasern sind unstreitig als Remak'sche Fasern anzu- 
sehen. In einigen Fällen gelang es mir überdies zu beobachten 
(siehe Figur 25), wie der Nervenfortsatz einer Zelle, welcher den 
Charakter einer marklosen- Faser trug, von einem Ganglion zu 
einem anderen verlief und in dem oben beschriebenen Inter- 
cellulärgeflecht endete. Auf Grund alles eben Angeführten scheint 
es mir, dass man zu folgenden Schlussfolgerungen gelangen kann: 
a) viele, ja vielleicht alle marklose Fasern, aber nur 
sehr wenige der markhaltigen Fasern, welche in den 
Ganglien des Herzens enden, gehören den Zellen dieser 
Ganglien an; b) alle übrigen markhaltigen Fasern, und 
wahrscheinlich auch einige von den marklosen Fa- 
sern, nehmen ihren Ursprung von Zellen sympathischer 
Ganglien, welche ausserhalb des Herzens gelegen sind. 

Was die Fasern des zweiten Typus betrifft, so haben die- 
selben, wie aus dem vorhin Mitgetheilten hervorgeht, eine bedeu- 
tende Dicke, tragen immer den Habitus von markhaltigen Fa- 
sern, treten im Vergleich mit den Fasern des ersten Typus nur 
in geringer Anzahl in die Ganglien des Herzens ein und endigen 
mit Endknäuelchen (echten pericellulären Geflechten), deren Fäden 
der Oberfläche des Körpers der Ganglienzellen (des ersten Typus) 
unmittelbar aufliegen, also die Zellkapsel durchbohren. Eine 
solche Faser zerfällt während ihres Verlaufs stets in viele Fasern, 
welche in mehreren (2—4—-6 und mehr) Ganglien endigen. In- 
dem durch die Beobachtungen Langley's auf physiologischem 
Wege der Nachweis geführt wird, dass zwischen den peripheren 
Verästelungen gewisser cerebrospinaler Fasern und den Ganglien- 
zellen eine innige Beziehung besteht, rechne ich gerade zu dieser 
Kategorie von Fasern die eben beschriebenen Fasern des zweiten 
Typus. 

Indem ich die Abbildungen, welche verschiedene Erforscher 
des sympathischen Systems (R. y Cajal, A. v. Gehuchten, 
Sala, Kölliker u. a. m.) von sogenannten pericellulären Ge- 
flechten geben, durchsehe, überzeuge ich mieh davon, dass auf 
diesen Abbildungen allein die Endigungen der von mir beschrie- 
benen Fasern erster Art wiedergegeben sind. Die echten peri- 
cellulären Geflechte oder Endknäuel, wie ich sie nenne, färben 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 275 


sich sehr schwer mit Methylenblau. Nach der Golgi’schen Me- 
thode gelang es mir kein einziges Mal sie zu färben, während 
die Fäden des intercellulären Geflechts sich ziemlich leicht nach 
beiden Methoden, besonders aber nach der Ehrlich’schen, 
färben lassen. Die Richtigkeit meiner Annahmen wird übrigens 
durch die Figg. 6 u. 7 der Sala’schen Arbeit!) und die Fig. 
837 in Kölliker’s Lehrbuch?) bestätigt. Bezüglich der letz- 
teren Zeichnung sagt Kölliker unter Anderem: „Zweifelhafter 
ist dagegen das Verhalten in den Fällen, wie sie die Fig. 857 
wiedergiebt. Hier treten an einen Faserknäuel mehrere, ja oft 
(siehe die Figuren von Sala) viele Nervenfasern, und ist nicht 
zu ermitteln, wie dieselben im Einzelnen sich verhalten.“ Von 
meinem Standpunkte aus sind solche Figuren wohl begreiflich 
und können dadurch erklärt werden, dass in den Zwischen- 
räumen, welche eine Ganglienzelle von den übrigen trennen, oder, 
anders ausgedrückt, an der Oberfläche der Zellkapsel, viele Fäden 
enden, welche von der Theilung einer oder mehrerer Fasern des 
ersten Typus herrühren. Drückt man dies mit anderen Worten 
aus, so stellt ein solches quasi pericelluläres Geflecht, wie es auf 
Fig. 857 abgebildet ist, nichts anderes vor, als einen kleinen, 
durch Silber gefärbten Bezirk jenes allgemeinen intercellulären 
Geflechts, mit welchem die Fasern des ersten Typus in jedem 
Ganglion enden. Da nun nach der «olgi’schen Methode in 
den Ganglien meist nur wenige Verästelungen der eben erwähn- 
ten Fasern gefärbt werden, so erhält man sehr häufig ähnliche 
Bilder, besonders in den grossen sympathischen Ganglien (Gangl. 
sympath. I, Gangl. stell., Gangl. solare u. a... Man darf über- 
dies nicht ausser Acht lassen, dass auch die Verästelungen der 
Dendriten zwischen den Ganglienzellen, falls nur ein Theil ihres 
ganzen Verlaufs gefärbt wird, ebenfalls sehr leicht für die Ver- 
ästelungen der Fasern angesehen werden können, welche die 
pericellulären Endgeflechte der Autoren bilden. 

Kölliker, welcher in seinen früheren Arbeiten die directe 
Einwirkung einer sympathischen Zelle auf eine andere zugab, 
hat diese Auffassung in neuerer Zeit fallen lassen und erkennt 


1) L. Sala, Sur la fine Anatomie des ganglions du sympathique. 
Arch. italiennes de Biologie. T. XVIIL., F. III. 1893. 
DYNlE.NG; 


276 A.S. Dogiel: 


mit Langley nur die Existenz einer Art von Fasern an, der 
cereprospinalen Fasern nämlich, welehe mit pericellulären Ge- 
flechten enden. Meine Beobachtungen weisen mit Bestimmtheit 
darauf hin, dass in den sympathischen Ganglien, soviel wir hier 
mit den heutigen Methoden aufzuklären im Stande sind, zweierlei 
Arten von Fasern enden. Ob nun die Fasern des ersten Typus 
zu den sympathischen Fasern gehören oder nicht, darüber lässt 
sich einstweilen vielleieht noch streiten, aber Thatsache bleibt 
doch Thatsache. 

Die Ganglien der Blutgefässe. In dem perivas- 
culären Nervengeflecht der Kranzarterien fand ich nicht selten 
einzelne Ganglienzellen, welche theils nebeneinander, theils in 
srösserer oder kleinerer Entfernung von einander lagen. Soviel 
ich bemerken konnte, waren diese Zellen nach dem zweiten 
Typus gebaut, d. h. eine jede Zelle hatte sehr lange Dendriten, 
welche sich unmerklich zwischen den Fasern des perivasculären 
Geflechts verloren, und einen Nervenfortsatz. Ausserdem unter- 
suchte ich noch die Ganglien des perivaseulären Geflechts der 
äusseren Bindegewebshülle vom Aortenbogen. Die Elemente dieser 
Ganglien färben sich, namentlich beim Menschen, ziemlich leicht; 
um die Ganglien jedoch mit genügender Deutlichkeit hervor- 
treten zu lassen, ist es nothwendig, von dem bereits mit pikrin- 
saurem Ammonik fixirten Gefäss zuvor die innere und einen Theil 
der mittleren Gefässhaut mit einer Pincette abzureissen. , Ge- 
wöhnlich sind die genannten Ganglien aus mehreren, bisweilen 
selbst aus vielen Zellen aufgebaut, bei welchen man dieselben 
Typen unterscheiden kann, wie für die Ganglien des Herzens. 
Ausserdem trifft man in dem perivasculären Geflecht der Aorta 
häufig vereinzelte, in grösserer oder kleinerer Entfernung von 
einander gelagerte Zellen. Sie sind nach dem zweiten Typus 
gebaut und haben, wie man zum Theil aus der Fig. 14 u. 15 
ersehen kann, verschiedene Gestalt: die Mehrzahl von ihnen ge- 
hört zu den multipolaren Zellen, doch traf ich hier und da auch 
uni- und bipolare Zellen an. Von ersteren geht ein ziemlich 
dicker und langer Fortsatz ab, welcher sich in einer gewissen 
Entfernung von der Zelle T-förmig in zwei Aeste theilt. Der 
eine dieser Aeste, und zwar der etwas diekere, verläuft in be- 
liebiger Richtung in dem Nervenstämmehen und zerfällt hierauf 
in mehrere Aestehen; der andere Ast verläuft in demselben Aest- 


| 
{ 
E 
| 
| 
| 
4 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 277 


chen, jedoch in entgegengesetzter Richtung und unterliegt keiner 
Theilung. Derartig geformte Zellen erinnern an Zellen der spi- 
nalen Ganglien; dabei sind die sich theilenden Fortsätze als 
Dendriten aufzufassen, während der ungetheilte Fortsatz dem 
Nervenfortsatz entspricht. Was die bipolaren Zellen betrifft, so 
haben sie die Gestalt einer mehr oder weniger in die Länge ge- 
zogenen, etwas zusammengedrückten Zelle, von deren einem Pol 
der Nervenfortsatz, vom anderen Pol die für diese Zellen cha- 
rakteristischen Dendriten ausgehen. Die Nervenfasern, welche 
in den Ganglien der Wand des Aortenbogens enden, verhalten 
sich zu den Ganglienzellen genau so, wie dies in den Ganglien 
des Herzens der Fall ist. 


Literatur-Verzeichniss. 


1. A.S. Dogiel, Zur Frage über die Ganglien der Darmgeflechte 
bei den Säugethieren. Anatom. Anzeiger Bd. X. Nr. 16. 

— Zur Frage üb. d. feineren Bau d. sympath. Nervensystems b. den 
Säugethieren. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. XLVI. p. 305—344. 

— Zwei Arten sympath. Nervenzellen. Anatom. Anzeiger Bd. XI. Nr. 22. 

J. N. Langley, A short account of the sympathetie system. Phy- 

siologieal Congress. Berne 189. 

2a.J. N. Langley and H. K. Anderson, The innervation of the 
pelvie and adjoining viscera. Journ. of Physiologie Vol. XIX. 
Nr. 1—2, 189. 

— Öbservations on the medullated fibres of the sympathetie system 
and chiefly on those of the grey rami communicantes. Journ. of 
Physiologie Vol. XX. Nr. 1, 1896. 

— On the nerve cell connection of the splanchnie nerve fibres. Journ. 
of Physiologie Vol. XX. Nr. 2—3, 18%. 

3. A. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen Bd. I. 
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4. D. Timofejew, Ueber Nervenendigungen in den männlichen Ge- 
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5. A. Ploschko, Die Nervenendigungen und Ganglien der Respira- 
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6. Juschtschenko, Zur Frage über den Bau d. sympath. Knoten 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 19 


D 


278 


10. 


13. 


14. 


15. 


17. 


18. 


A.S. Dogiel: 


bei den Säugethieren und beim Menschen. Aus d. histol. Labor. 
d. Univ. zu Warschau 1896. Arch. f. mikr. Anat. 1897, Bd. 49, S. 585. 
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Paris, Nr. 45, 1880. 

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AA U nn u tee a A EEE Eu 


nr er Zur 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen ete. 279 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII, XIII u. XIV. 


Fig. 


Fig. 


ig. 13. 


10. 


11: 


ar 


Vertheilung der Fibrillen im Körper einer Ganglienzelle der 
Katze. 8a. 
Ganglienzellen aus dem Vorhof eines Kindes. Man sieht die 
Grenzen der flachen Zellen, welche die innere Oberfläche der 
Kapsel, sowie deren Fortsetzung auf die Zellfortsätze aus- 
kleiden. 6. 
Kapsel, welche die Ganglienzelle und deren Fortsetzung um- 
hüllt, und dann in die Hülle des Nervenstämmcehens (a) über- 
geht. Die Kapsel selbst ist nur schwach durch das Methylen- 
blau gefärbt; der Körper der Zelle dagegen und deren Fort- 
sätze bleiben ganz ungefärbt. Vorhof der Katze. 6. 
Ganglienzellen des ersten Typus; n—Nervenfortsatz; d=Den- 
driten. Vorhof der Katze 6. 
a= Ganglienzellen des zweiten Typus aus dem Vorhof der 
Katze; b= Ganglienzelle des ersten Typus; n = Nervenfort- 
satz; d—= Dendriten; ce = Arterie. Der Nervenfortsatz der Zelle 
des ersten Typus (b) verästelt sich im Myocardium. Der Ner- 
venfortsatz einer der Zellen vom zweiten Typus geht in das 
die Arterie begleitende Nervenstämmchen über. 4. 
Ganglienzelle des zweiten Typus; die Fortsätze treten in die 
Nervenstämmchen (a) über. Vorhof der Katze. 6. 
Gruppe von Ganglienzellen des zweiten Typus; die Fortsätze 
dieser Zellen gehen in die Verästelungen (b) des Pericardial- 
geflechts über. Vorhof der Katze. 6. 
a= Ganglienzellen des zweiten Typus; b = Nervenstämmchen; 
n = Nervenfortsatz; d= Dendriten. Die Nervenfortsätze der 
Zellen treten in das Nervenstämmchen über. Vorhof der Katze. 3. 
Ganglienzelle mit Nervenfortsatz (rn) und Dendriten (d). Die 
Dendriten entspringen an verschiedenen Stellen des Zellkör- 
pers, verlaufen zunächst innerhalb der Kapsel, sammeln sich 
sodann zu einem Bündel und vereinigen sich, in Gemeinschaft 
mit dem Nervenfortsatz, mit dem Nervenstämmchen. Vorhof 
der Katze. 8a. 
Zwei einzeln liegende Ganglienzellen, deren Fortsätze in einem 
Nervenästchen verlaufen. Vorhof der Katze. 6. 
Ganglion, mit darin enthaltenen Zellen des dritten Typus (a); 
= einzelne an der Theilungsstelle des Nervenstämmchens (ec) 
gelegene Zelle des zweiten Typus; n = Nervenfortsatz und d 
= Dendriten der Zellen vom dritten Typus. Alle Fortsätze 
der Zelle vom zweiten Typus (b) verlaufen in Nervenstämm- 
chen. Vorhof der Katze. 5. 
a=Bipolare Ganglienzelle des zweiten Typus aus dem Vor- 
hof der Katze; n—Nervenfortsatz; d=Dendrit. 6. 
a=Ganglienzellen des zweiten Typus; b= Nervenstämmchen; 


280 


. 16. 


17% 


18. 


a! 


. 22. 


A. S. Dogiel: 


n=Nervenfortsatz;, d=Dendriten. Eine der Zellen enthält 
zwei Kerne. Basis der rechten Herzkammer eines Kindes. 6. 


. a—=Ganglienzellen des zweiten Typus; n = Nervenfortsatz; d 


— Dendriten. Adventitia des Aortenbogens eines Kindes. 6. 


. a—=Bipolare Ganglienzelle aus dem Vorhof eines Kindes; n= 


Nervenfortsatz; d= Dendriten. 6. 

Kleinere Gruppe von Ganglienzellen aus dem Vorhof eines 
Kindes; a= Ganglienzellen des zweiten Typus mit Nerven- 
fortsatz (rn) und Dendriten (d). 6. 

Ganglion aus dem Vorhof eines Kindes; a= Ganglienzellen 
des zweiten Typus; rn = Nervenfortsatz; d= Dendriten. Der 
Nervenfortsatz einer Zelle zeigt eine kleine Strecke weit eine 
Markscheide. 6. 

Ganglion aus dem Vorhof der Katze; a= Ganglienzellen des 
dritten Typus mit Dendriten (d), welche sich im Ganglion ver- 
ästeln. 5. 

a=Grosse Ganglienzelle des dritten Typus; rn = Nervenfort- 
satz; d= Dendriten; b = markhaltige Nervenfaser im Nerven- 
stämmchen; Vorhof der Katze. 6. 


.20A, Bu. C. Ganglien aus dem Vorhof der Katze; a = mark- 


lose und b = markhaltige Nervenfasern, welche mit einem all- 
gemeinen intercellulären Geflecht endigen; ce = collaterale Aest- 
chen. 6. 


. 21 A u. B. Ganglien aus dem Vorhof der Katze; a= marklose, 


mit gemeinsamen intercellulären im Geflecht endenden Fasern. 
Auf Fig. A ist zu sehen, wie die Endverästelungen der Fasern 
die Fortsätze der Zellen umflechten. 6. 
Kleineres Ganglion aus dem Vorhof der Katze; a = marklose 
Nervenfaser; b=markhaltige Faser, deren Endverästelungen 
zwischen den Ganglienzellen liegen. 6. 


23. Nervenstämmchen aus dem Vorhof der Katze, welches einige 


[0] 
SS 


Ganglienzellen enthält; « u. b=marklose und markhaltige 
Fasern im Nervenstämmchen. Von einer der markhaltigen 
Fasern (b) theilt sich ein markloser Ast (c) ab, welcher zu 
einer Gruppe von Ganglienzellen verläuft, wo er ein Geflecht 
bildet; von letzterem geht wiederum ein dünner Faden ab, 
welcher in der benachbarten Gruppe von Ganglienzellen mit 
einem eben solchen Geflecht endet. Die betreffende Faser (b) 
konnte bis zu einem grossen Ganglion verfolgt werden, in 
welchem sie in ihre Endfäden zerfiel. Vorhof der Katze. 6. 


. a= Markhaltige Nervenfaser, deren Endverästelungen eine 


(vielleicht auch zwei) dem Nervenstämmchen anliegende Gang- 
lienzelle umgeben. Vorhof der Katze. 6. 


. a= Ganglienzelle des zweiten Typus; 5 = Nervenstämmchen; 


n = Nervenfortsatz, welcher, wie es scheint, in dem inter- 
cellulären Geflecht eines der Ganglien endet. Vorhof der 
Katze. 6. 


art» 


Zur Frage über den fein. Bau der Herzganglien des Menschen etc. 281 


Fig. 26. Gruppe von Ganglienzellen; a—=Zellen des zweiten Typus; 
n= deren später in ein Nervenstämmchen eintretender Ner- 
venfortsatz; b = marklose Nervenfaser, welche einen Seitenast 
nach einem der Ganglien abgiebt. Vorhof der Katze. 5. 

Fig. 27. Ganglion aus dem Vorhof der Katze mit in demselben en- 
denden markhaltigen Fasern (a) des zweiten Typus. 6. 


Alle Zeichnungen sind mit Hülfe des Oberhäuser’schen Zei- 
chenprismas gezeichnet worden. Die am Ende jeder Figurenerklärung 
stehende Zahl bezeichnet das Objectiv von Reichert’schen Systemen. 


(Aus dem histologischen Institut der deutschen Universität zu Prag. 
Vorstand: Prof. Dr. Sigmund Mayer.) 


Die Nebenniere der Selachier nebst Beiträgen 
zur Kenntniss der Morphologie der Wirbel- 
thiernebenniere im Allgemeinen. 


Von 
Dr. Alfred Kohn, 
Assistenten am histologischen Institut der deutschen Universität in Prag. 


(Mit Unterstützung der „Gesellschaft zur Förderung deutscher 
Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen“.) 


Hierzu Tafel XV. 


Wer es jemals unternommen hat, sich über die Neben- 
niere der Selachier aus der ihr gewidmeten Literatur zu 
unterrichten, wird mir beipflicehten, dass es schwierig sei, aus 
derselben eine klare Anschauung über dieses Organ zu gewinnen. 
Vor allem erregt der Umstand Befremden, dass das bei den 
Säugethieren (scheinbar) einheitliche Organ bei den Selachiern 
durch zwei räumlich getrennte, nach Genese und 
Struetur völlig verschiedene Bildungen repräsentirt 
sein soll. Dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass 
eines dieser Gebilde — der Interrenalkörper oder die 


282 Alfred Kohn: 


Zwischenniere (interrenal body nach Balfour) — als ein median 
gelegener, unpaariger Körper sich darstellt, während das andere 
— der eigentliche „Suprarenalkörper* (suprarenal body 
nach Balfour) — paarig ist und in der Vielzahl auftritt. Man 
sollte meinen, dass es zwingende, aus genauen Untersuchungen 
hervorgegangene Gründe sind, die zu einer derartigen Homolo- 
gisirung führten. Wenn man jedoch bedenkt, wie unzulänglich 
unsere Kenntnisse von dem feineren Bau der Nebenniere der 
Säugethiere sind und in wie viel höherem Maasse dies von der 
der Selachier gilt, so wird man daran zweifeln dürfen, dass die 
Erkenntniss der genauen Uebereinstimmung des anatomischen 
Baues diese Auffassung bedingte. In der That lässt sich un- 
schwer ein anderer Weg ausfindig machen, der zu diesem Ergeb- 
nisse geführt hat. Es ist nicht uninteressant, denselben zurück- 
zuverfolgen; man wird dadurch zu einem berechtigten Urtheile 
über die angewendeten Argumente gelangen. Vorher dürfte es 
aber geboten erscheinen, über die beiden hier in Betracht kom- 
menden Organe, den „Interrenal- und die Suprarenalkörper“ 
Balfour’s einige einleitende Bemerkungen vorauszuschicken. 

Als Interrenal body (Interrenalkörper, Zwischenniere) 
bezeichnete Balfour (1) jene von Retzius (29) im Jahre 1819 
entdeckten eigenthümlichen, gelblichen Gebilde an der Dorsal- 
fläche der Nieren der Selachier. In der Regel unpaarig, be- 
stehen sie entweder nur aus einem einzigen, annähernd median 
gelegenen, diekeren, gelblichen, der Dorsalfläche des eaudalen 
Abschnittes der Nieren angelagerten Körper, oder sie treten da- 
selbst als eine unpaare, discontinuirliche Reihe von einzelnen 
längeren und kürzeren schmalen, gelben Streifehen oder Körnern 
auf. In diesem Falle erstrecken sie sich gewöhnlich weiter nach 
vorne als im ersteren; die vordersten Partien erscheinen oft nur 
wie gelbe Punkte. Durch ihre Anlagerung an die Niere, insbe- 
sondere aber durch ihre Farbe und ihre Anordnung zu einzelnen, 
von einander getrennten, disseminirten Partien erinnern sie leb- 
haft an die Nebenniere der Amphibien. 

Die „Suprarenalkörper“ erweisen sich als paarige, 
symmetrisch gelegene, immer in der Vielzahl auftretende Gebilde. 
Leydig (19) machte die Beobachtung, dass bei den Selachiern 
den einzelnen Ganglien des sympathischen Grenzstranges innig 
angeschlossen, sich Knötehen von eigenartiger Structur finden, 


Die Nebenniere der Selachier etc. 283 


die er als die Nebennieren dieser Thiere auffasste. Diese vom 
Abgange der Axillararterie bis zum Hinterende der Leibeshöhle 
reichende Kette paariger Adnexe der sympathischen Ganglien 
sind es, die Balfour, der ursprünglichen Leydig’schen An- 
schauung folgend, als „Suprarenal bodies“ (Suprarenalkör- 
per) bezeichnete. Da aber allgemein unter der Bezeichnung 
„Suprarenal bodies (capsules)* und den gleichbedeutenden Be- 
nennungen (gl. suprarenalis; capsule surr&nale; capsule surrenali) 
die Nebennieren verstanden werden, so wollte Balfour — er 
hat dies auch ausdrücklich erklärt — durch diese Namengebung 
andeuten, dass er diese Gebilde als die eigentlichen Nebennieren 
ansehe. 

Der Begründer dieser Anschauung ist, wie oben erwähnt, 
Leydig (19). Nachdem er erkannt hatte, dass die Structur 
der sogenannten Axillarherzen der Chimaera monstrosa ihren 
Namen durchaus nicht rechtfertige, untersuchte er dieselben auch 
bei Torpedo und anderen Rochen und Haien und fand hierbei, 
dass die sog. Axillarherzen nichts Anderes seien, als das vor- 
derste und grösste einer symmetrischen Reihe von Körperchen, 
die sich den Ganglien des Grenzstranges unmittelbar anlagerten 
und in gleicher Weise den aus der Aorta seitlich austretenden 
Blutgefässen aufsassen wie die Axillarherzen der Axillararterie. 
Leydig (19a) kommt zu dem Schlusse, dass die Axillarherzen 
und ihre Fortsetzungen an den sympathischen Ganglien als die 
eigentliehen Nebennieren der Knorpelfische zu betrach- 
ten seien und nicht die bis dahin dafür genommenen gelben 
Streifen und Körper hinter der Niere. Denn „alle die Eigen- 
thümlichkeiten“, sagt er, „welche die Nebenniere der Säugethiere 
auszeichnen ..., kehren an den fraglichen Körpern der Knorpel- 
fische wieder. So haben erstens beide den gleichen Grundbau: die 
Nebennieren der Säugethiere und gedachte Körper der Knorpelfische 
bestehen aus geschlossenen, mit Zellen erfüllten Blasen; zweitens, 
die Nebennieren der Säugethiere haben wie bekannt, einen 
grossen Reichthum von Blutgefässen, auch unsere Körper haben 
die gleiche Eigenschaft; drittens ist schon allen Beobachtern, 
welche die Nebennieren der Säuger untersuchten, der ungemeine 
Nervenreichthum dieser Gebilde aufgefallen; dass dieser Umstand 
an den „Axillarherzen“ und den übrigen Körpern wiederkehrt, 
habe ich gemeldet.“ 


284 Alfred Kohn: 


Aus dieser Darstellung geht unzweifelhaft hervor, dass nach 
Leydig ausschliesslich jene Gebilde, welche Balfour später 
auch direet die Suprarenalkörper (also die Nebennieren) der 
Elasmobranchier nannte, und die auch ich der Kürze und Ver- 
ständlichkeit halber schon jetzt und späterhin so nennen will!), 
der Nebenniere der Säugethiere entsprechen sollten. Die Supra- 
renalkörper in ihrer Gesammtheit repräsentiren nach seiner Auf- 
fassung jenes Organ, das bei den Säugethieren als ein einheit- 
lieher Körper auftritt. 

Niemand wird die von Leydig aufgezählten Vergleichs- 
momente für ausreichend halten, die vermeintliche Uebereinstim- 
mung von Säugernebenniere und Suprarenalkörper der Selachier 
zu erweisen. Es ist auch ganz klar, dass diese Annahme bei 
dem damaligen Stande der Kenntnisse von der Nebenniere der 
Säugethiere einerseits und den von Leydig zum ersten Male 
beschriebenen Suprarenalkörpern andererseits nicht besser und 
nicht ausreichender begründet werden konnte. Und doch sind 
diese Körperchen seither immer als Nebennieren oder wenigstens 
als ein integrirender Bestandtheil derselben angesehen worden. 
Man wird billig fragen, ob spätere, genauere Untersuchungen die 
nachträgliche Rechtfertigung dieser Ansicht erbracht haben. Es 
scheint indessen, dass sie einer eingehenden Untersuchung nie- 
mals unterworfen wurden, und was von Beschreibungen vorliegt, 
ist nicht ausreichend, die oben mitgetheilte Anschauung zu be- 
gründen. Vielleicht geht man nicht fehl mit der Annahme, dass 
ein von Leydig nicht hervorgehobener Umstand mehr zur Be- 


1) Ich will ausdrücklich hervorheben, dass ich in meiner Dar- 
stellung die Bezeichnung „Suprarenalkörper“ ausschliesslich für 
die den sympathischen Ganglien angeschlossenen Gebilde gebrauche, 
ohne diese jedoch gleich Balfour auch wirklich für die Nebennieren 
anzusehen. Die Benennungen Balfour’s „Inter- und Suprarenal- 
körper“ sind so handlich und verbreitet, dass ich nur ungern auf 
deren Gebrauch verzichtet hätte, zumal im Deutschen, wo die Gland. 
suprarenalis allgemein als „Nebenniere“ und nicht als „Suprarenal- 
körper“ bezeichnet wird, Missverständnisse nicht zu befürchten waren. 
Ich nenne also „Inter- und Suprarenalkörper“ jene Organe der 
Selachier, denen Balfour diesen Namen gab, gebrauche aber den 
Namen „Suprarenalkörper“ nur als eine specielle Bezeichnung für 
die erwähnten segmentalen Gebilde, aber durchaus nicht als synonym 
mit „Nebenniere“. 


a ee ee 


at pe va a az ur a a © 


Die Nebenniere der Selachier etc. 285 


festigung dieser Ansicht beigetragen hat, als die von ihm betonte 
Aehnliehkeit der fraglichen Organe: der Umstand nämlich, dass 
man Gebilde in der Nähe der Niere der Selachier kennen gelernt 
hatte, für die man kein Aequivalent bei höheren Wirbelthieren 
kannte. Erleiehtert wurde die Identifieirung besonders dadurch, 
dass man von der Nebenniere eben auch nicht mehr wusste als 
von den Suprarenalkörpern. 

Ich hielt es für nothwendig klarzustellen, auf welche Gründe 
hin die Suprarenalkörper in Verbindung mit der Nebenniere ge- 
bracht wurden, mit denen sie späterhin immer im Zusammenhange 
belassen wurden, damit nicht diese Verbindung als etwas lange 
Erwiesenes und einer kritischen Prüfung nicht mehr Bedürftiges 
hingenommen werde. 

Kurze Zeit darauf modifieirte Leydig (19b) selbst seine 
Ansicht, wenn auch zunächst nicht wesentlich. Die gelben Streifen 
an der Rückenfläche der Niere — der später von Balfour so- 
genannte Interrenalkörper — denen er früher jede Beziehung 
zur Nebenniere abgesprochen hatte, sollten nun doch u. z. mit- 
sammt den Suprarenalkörpern der Nebenniere der Säugethiere 
zu vergleichen sein. „Der Rindensubstanz der Nebennieren 
von Säugethieren entsprechen die bisher bekannt gewesenen gelb- 
körnigen und streifigen Nebennieren!) der Fische und Amphibien 
... der Marksubstanz der Nebennieren von Säugern ... 
setze ich gleich die von mir bei Plagiostomen und Reptilien ge- 
fundenen eigenthümlichen Blasen mit Zellen?), die Abschnitte 
der sympathischen Ganglien darstellen und continuir- 
lich in die bisher bekannt gewesenen Nebennieren sich fort- 
setzen.“ 

In dieser Formulirung, dass der Interrenalkörper der 
Rinde, die Suprarenalkörper dem Marke der Säuger- 
nebenniere entsprechen, wird die Ansicht Leydig’s von neueren 
Forsehern nachdrücklich vertreten. Man übersehe aber nicht, 
dass Leydig sich damals den Inter- und Suprarenalkörper aus 
Zellen gleicher Art u. z. nervöser Natur aufgebaut dachte; 
bloss durch den enormen Fettgehalt sollten sich die Elemente 
des ersteren unterscheiden. 


1) Der Interrenalkörper. 
2) Der Suprarenalkörper. 


286 NIEredok ohn: 


Aber in seinem Lehrbuche der vergleichenden Histologie 
spricht Leydig (19e) nicht mehr davon, dass die Rindenzellen 
durch Fettaufnahme modifieirte Mark- also (nach ihm) Nerven- 
zellen seien. Er betont vielmehr jetzt ausdrücklich die Verschie- 
denheit der beiden Zellarten, indem er sagt: „Natürlich kann 
nur von der specifisch nervösen Natur des Marks die Rede sein, 
während die meist fetthaltige Rinde mit einer anderen Funktion 
betraut sein mag.“ 

Leydig ging also davon aus, dass nur die Suprarenal- 
körper der Nebenniere der Säugethiere entsprechen; rechnete 
dann zur Nebenniere auch den Interrenalkörper, dessen Zellen 
von den sonst gleichwerthigen der Suprarenalkörper bloss durch 
die Verfettung verschieden wären; schliesslich beschränkt er sich 
darauf, die nervöse Natur der Zellen der Suprarenalkörper, die 
er der Marksubstanz der Säugernebenniere vergleicht, hervor- 
zuheben, den Zellen des Interrenalkörpers, den er der Rinde der 
Säugernebenniere gleichsetzt, spricht er die nervöse Natur ab. 

Seither werden die Suprarenalkörper immer mit den Neben- 
nieren in Verbindung gebracht, von einigen Autoren wohl auch 
ausschliesslich als solche gedeutet, während früher der Interrenal- 
körper allein als die Nebenniere der Fische bezeichnet wurde. 

Retzius (29) entdeckte im Jahre 1819 den Interrenal- 
körper — ich gebrauche die späteren Benennungen Balfour’s 
auch für die Angaben der früheren Autoren — der Haifische 
und fasste ihn wegen der Aehnlichkeit, die er in Farbe und Bau 
mit der Nebenniere der Vögel aufwies, als Nebenniere auf. Er 
fand diese Körper bei Squaliden und Rajiden. Stannius (33) und 
später Ecker (8) konnten diese Befunde bestätigen. Genauere 
Angaben über den feineren Bau fehlen bisher. Wenige Jahre 
später erschienen die, oben ausführlich behandelten Arbeiten von 
Leydig, die zu dem Endergebnisse führten, dass der Inter- 
renalkörper nur als Rindensubstanz, als Marksub- 
stanz dagegen die den Ganglien des Grenzstranges angeschlos- 
senen Suprarenalkörper anzusehen seien. 

Genauere Angaben über den Bau und die Entwicklung 
dieser Organe verdanken wir Balfour. Anfangs nahm er die 
ursprüngliche Ansicht Leydig’s wieder auf. Die Suprarenal- 
körper — der Name stammt von ihm und gibt seine Anschauung 
wieder — seien die eigentlichen Nebennieren der Elasmobranchier. 


rg 


Die Nebenniere der Selachier ete. 38T 


Aber auch Balfour (la) fand sich später veranlasst, 
diese Auffassung in derselben Weise zu ändern, wie Leydig 
es vor ihm gethan hatte. Unter dem Einflusse der unterdessen 
laut gewordenen Anschauungen v. Brunn’s (3) über die Neben- 
niere der Vögel, Kölliker's (16) über die der Säugethiere, be- 
sonders aber Braun’s (2) über die der Reptilien und auf Grund 
seiner eigenen Untersuchungen über Bau und Entwicklung der 
Nebenniere der Elasmobranchier, kam auch er zu dem Schlusse, 
dass der Interrenalkörper der Rindensubstanz und die Su- 
prarenalkörper der Marksubstanz der Nebenniere der höheren 
Wirbelthiere homolog seien. Ihm gebührt auch das Verdienst, Inter- 
und Suprarenalkörper ihrer morphologischen und genetischen Ver- 
schiedenheit gemäss — im Gegensatze zu Semper (31), der 
von einem Uebergange der Supra- in den Interrenalkörper ge- 
sprochen hatte — scharf auseinander gehalten, ihre Entwicklung 
erforscht und insbesondere die genetische Beziehung der Supra- 
renalkörper zum Sympathieus erkannt zu haben. „Die paarigen 
Suprarenalkörper“, sagt er (la), „entwickeln sich aus den sym- 
pathischen Ganglien und stammen daher aus dem Epiblast. Diese 
Ganglien theilen sich nach und vach in emen gangliösen und 
einen Drüsentheil. Der erstere bildet die sympathischen 
Ganglien des erwachsenen Thieres, der letztere die wahren, paa- 
rigen Suprarenalkörper ..... Jeder dieser Körper besteht aus 
einer Reihe von Läppchen und zeigt eine sehr ausgesprochene 
Trennung in eine aus säulenartigen Zellen gebildete Corticalschicht 
und eine aus unregelmässig polygonalen Zellen gebildete Mark- 
substanz ...... Der zweite Körper besteht aus einer unpaarigen 
Zellsäule, welehe zwischen der Aorta dorsalis und der unpaaren 
Vena caudalis liegt und jederseits von den hinteren Theilen der 
Niere begrenzt wird. Ich schlage vor, ihn den Interrenalkörper 
zu nennen. Nach vorne greift er über die paarigen Suprarenal- 
körper über, verbindet sich aber nicht mit ihnen. Er besteht 
aus einer Reihe gut abgegrenzter Läppehen u.s.w.... Der 
Interrenalkörper entwickelt sich aus indifferenten Mesoblastzellen 
zwischen den beiden Nieren in derselben Lage, die er auch beim 
erwachsenen Thiere hat... In Bau und Entwicklung stimmt 
das Organ der Elasmobranchier, welches ich Interrenalkörper ge- 
nannt habe, so vollkommen überein mit dem Mesoblasttheil!) der 

1) Rinde. 


288 Alfred Kohn: 


Suprarenalkörper!) der Reptilien, dass ich nicht anstehe, sie als 
homolog zu betrachten. Die paarigen Körper der Elasmobranchier 
hingegen, welche von den sympathischen Ganglien abstammen, 
entsprechen offenbar dem Theile der Suprarenalkörper der Rep- 
tilien, weleher in gleicher Weise entsteht“ ?). 

Wenn nun auch zwei so ausgezeichnete Forscher wie 
Leydig und Balfour zum Schlusse übereinstimmend dahin 
gelangten, Inter- und Suprarenalkörper der Nebenniere 
der höheren Wirbelthiere gleichzusetzen, so begegneten ihre An- 
sichten in der Folgezeit doch mannigfachem Widerspruche. Che- 
vrel (4), der den anatomischen Bau der Suprarenalkörper ein- 
gehend untersuchte und manche der Angaben Balfour’s be- 
richtigen konnte, gewann die Ueberzeugung nicht, dass die 
Suprarenalkörper als Nebennieren anzusprechen seien; auch über 
die Bedeutung des Interrenalkörpers enthält er sich jeden be- 
stimmten Urtheils. 

Fusari (9a) hat zwar die Nebenniere der Selachier selbst 
nieht untersucht, aber seine Beobachtungen über die Entwick- 
lung der Nebenniere der Säugetbiere führten ihn zu der Ueber- 
zeugung, dass der Interrenalkörper weder der Säugernebenniere, 
noch einem ihrer Abschnitte homolog sei. Bei Mausembryonen 
fand er nämlich zwischen den beiden Nieren epitheliale Läpp- 
chen, die er von den Anlagen der Nebenniere ableitet. Die 
Zellen dieses Zwischennierengewebes beladen sich bald mit Fett- 
tröpfehen und gewinnen später das Aussehen von Fettzellen. 
Hier liegt also nach Fusari ein dem Interrenalkörper nach 
Lage und Bau entsprechendes Gewebe vor. Ich möchte gleich 
hier der Vermuthung Raum geben, dass Fusari einen Theil 
der bei Nagern weitverbreiteten sogen. Winterschlafdrüse vor 
Augen hatte. 

Nach Pettit (25) ist die Frage nach der Nebenniere der 
Selachier noch nieht spruchreif. Immerhin hält er es für das 
Wahrscheinlichste, dass die Suprarenalkörper der Elasmo- 
branchier den Nebennieren der Säugethiere entsprechen dürften. 
Diese Aeusserung Pettit's ist um so befremdender, als er in 
demselben Werke ausführlich über die Nebenniere der 


1) Nebennieren. 
2) sog. Mark. 


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Die Nebenniere der Selachier ete. 289 


Teleostier handelt und es doch keinem Zweifel unterliegen 
kann, dass die von ihm als solehe bezeichneten Organe in jeder 
Beziehung gleichzusetzen sind dem Interrenalkörper der 
Selachier. Letzteren bezeichnet auch Diamare (5) geradezu 
als die Nebenniere, die eine wahre Blutgefässdrüse darstelle. 

In einer Reihe von Arbeiten, die bis in die letzte Zeit 
hereinreichen, vertritt Swale Vineent (37) entschieden wieder 
den Standpunkt, dass der Interrenalkörper der Rinden- 
und dieSuprarenalkörper der Mark substanz der Säuger- 
nebenniere gleichwerthig seien. Diese bezügliche Gleichwerthig- 
‚keit finde ihren Ausdruck nicht nur in dem gleichen anato- 
mischen Bau, sondern auch in dem gleichen physiologi- 
schen Verhalten. Entsprechend den Erscheinungen, die man 
nach Einspritzungen von Extracten der Marksubstanz von Säuger- 
nebennieren beobachten konnte, verursacht auch Injection des 
Extraets der Suprarenalkörper Contractionen der Blutgefässe (der 
Kröte), während die Extracte des Interrenalkörpers — gleich 
denen der Rindensubstanz — ganz oder nahezu unwirksam 
bleiben. Swale Vincent nennt darum den Interrenalkörper 
„Cortical glands“, die Suprarenalkörper „Medullary glands“. 

C. Rabl (27), der zum Schlusse seines Werkes über das 
Urogenitalsystem der Selachier auch auf die Nebenniere zu 
sprechen kommt, bringt genaue Aufschlüsse über die — räum- 
lieh und geweblich — vollständig getrennte Entwicklung von 
Interrenal- und Suprarenalkörper, vermeidet es aber, mangels 
vorhandener brauchbarer histologischer Untersuchungen, bezüglich 
ihrer Vergleichbarkeit mit der Nebenniere höherer Wirbelthiere 
ein bestimmtes Urtheil abzugeben. 

Wie man aus der vorangehenden Uebersicht, die unschwer 
noch um manchen Autor, der bei der Untersuchung der Neben- 
niere anderer Wirbelthiere einen vergleichenden Seitenblick auf 
die fraglichen Organe warf, erweitert werden könnte, galten 
bald der Interrenalkörper, bald die Suprarenalkör- 
per, bald beide vereint als das Homologon der Nebenniere 
der höheren Wirbelthiere. Keine der vorgebrachten Ansichten 
erschien offenbar ausreichend begründet, um sich allgemeine An- 
erkennung erringen zu können. Vor allem fehlte die sichere 
Grundlage, welche eine zuverlässigere Beurtheilung ermöglicht 
hätte, nämlich die Kenntniss des feineren Baues der fraglichen 


290 Alfred Kohn: 


Organe der Selachier. Es liegen zwar einzelne Beschreibungen 
derselben vor, aber sie sind zu allgemein gehalten und für den 
angestrebten Zweck unzureichend. Andererseits ist uns nicht 
minder eine klare Einsicht versagt in das eigentliche Wesen, 
den histologischen Charakter, jener Elemente, welche an der 
Zusammensetzung der Nebenniere der Säugethiere betheiligt sind. 
Durch vergleichend-anatomische Untersuchung scheint 
am ehesten ein Verständniss der Prinzipien des Baues der Neben- 
niere gewonnen werden zu können. Allerdings müssen die so 
erhaltenen Ergebnisse an denen der Entwieklungsgeschichte 
und der genauen histologischen Untersuchung geprüft. 
werden. Die Uebereinstimmung, mit der alle diese Wege zu 
demselben Resultate führen, lässt mich hoffen, in dieser Dar- 
legung etwas zur Lösung der Frage beitragen zu können. Ich 
will zunächst meine Auffassung, die sich auf Untersuchungen 
nicht nur an Selachiern (Rajiden und Squaliden), sondern auch 
an Vertretern aller Wirbelthierklassen gründet, näher präeisiren 
und sie im Nachfolgenden zu begründen versuchen. 

Als die eigentliche Nebenniere der Selachier ist 
nur der Interrenalkörper anzusehen. Demzufolge ist die 
Nebenniere dieser Thiere ein rein epitheliales Organ. Es 
besteht aus verzweigten, vielfach zusammenhängenden Epithel- 
strängen, die durch weite, dünnwandige Blutgefässe von einander 
getrennt sind. Die Epithelzellen sind in der Regel von Fett- 
tröpfehen dicht erfüllt, auf welche die gelbe Farbe des Organs 
zurückzuführen ist. Es wird von einer bindegewebigen Kapsel 
umhüllt. 

Die Suprarenalkörper dagegen sind ein integrirender 
Bestandtheil des Sympathicus und haben mit der 
Nebenniere der Selachier nichts gemein. Sie be- 
stehen vorwiegend aus einer besonderen, für sie charakteristischen 
Art von Zellen — „ehromaffine Sympathicuszellen“ 
habe ich (17) sie genannt — ferner aus typischen Nervenzellen, 
Nervenfasern nebst Blutgefässen und Bindegewebe. 

Ich kehre also wieder zur allerersten Ansicht in der vor- 
liegenden Frage zurück, zu jener, die Retzius aussprach, dass 
der Interrenalkörper als die Nebenniere der Selachier zu 
gelten habe. Die Begründung derselben kann ich erst nach 
Darlegung der einschlägigen Verhältnisse versuchen. 


Die Nebenniere der Selachier ete. 291 


Der Interrenalkörper liegt, als ein unpaariges Organ, 
an der Dorsalfläche des eaudalen Abschnittes der Niere, nahezu 
in der Medianebene. Seine Lage ist, genau genommen, nicht 
als mediane zu bezeichnen, da er gewöhnlich unsymmetrisch, 
etwas seitwärts gerückt, einer der beiden Nieren angelagert, 
erscheint. Er bildet entweder einen massigen, einheitlichen, 
ziemlich kurzen und dieken Körper, wie dies z. B. bei Torpedo 
marm. vorkommt, oder einen schmalen, dünnen, ziemlich weit 
nach vorn reichenden Streifen, wie dies z. B. bei Seyllium can. 
und Mustelus laev. der Fall ist. In ersterem Falle ist auch 
thatsächlich oft nur ein einziger Körper vorhanden, oder er ist 
doch nur in wenige, zwei bis drei unpaar hinter einander ge- 
legene Theilstücke zerfällt, in letzterem Falle aber ist der Streifen 
fast immer discontinuirlich, die einzelnen Partien von wechseln- 
der Länge, doch so, dass im Allgemeinen die hintersten die läng- 
sten, die vorderen nur kurz bis punktförmig sind. Die grösseren 
Körper sind leicht abzupräpariren und isolirt zu erhalten, die 
schmalen Streifehen sind aber nicht leicht vom Nierengewebe, 
in das sie oft förmlich eingebettet sind, abzulösen, so dass sie 
am besten mit einem Theil desselben zur Untersuchung genommen 
werden. Die Farbe des Organs ist immer ausgesprochen gelblich. 

Quersehnitte durch den Interrenalkörper ergeben natürlich 
Bilder von auffallend verschiedener Grösse, je nachdem ein com- 
pacter Körper etwa von Torpedo m. oder der streifenförmige eines 
Jüngeren Mustelus vorliegt, aber der Bauplan ist doch immer ein 
und derselbe. Eine ziemlich zarte, bindegewebige Kapsel bildet 
die äussere Umhüllung des Organs. Dieses selbst besteht der 
Hauptsache nach aus einem von dünnwandigen Blutgefässen 
durchzogenen Netzwerke von Zellbalken. Eine Läppchenbildung, 
wie sie von einzelnen Autoren angegeben wurde, ist nicht wahr- 
zunehmen. Wohl dringen von der Peripherie her stellenweise 
auch stärkere Züge von Bindegewebe in Begleitung der Gefässe 
in den Körper ein, lösen sich aber sehr bald auf, ohne mehr als 
eine ganz äusserliche Einkerbung hervorgebracht zu haben. 

Die Zellbalken sind von verschiedenem Umfange und aus 
einer mehrschichtigen Lage polygonaler Epithelzellen aufgebaut. 
Unmittelbar an die freie Fläche der Balken legt sich die Endo- 
thelbekleidung der zwischengelagerten Blutgefässe an, deren 
Wandung eben nur aus diesem Endothelhäutchen zu bestehen 


292 Alfred Kohn: 


scheint. Es kommen allerdings auch grössere Gefässchen mit 
ausgesprochen arteriellem und venösem Charakter innerhalb des 
Organs vor, die auch eine deutliche Ausbildung aller Wand- 
schichten zeigen, aber Zartheit der Wandung bei ansehnlicher 
Liehtung ist für die Mehrzahl seiner Blutgefässe charakteristisch 
(s. Taf. XV, Fig. 2). Die -Zellstränge sind in den kleineren 
Körperchen im Allgemeinen schlanker, nur aus wenigen, zwei 
bis drei Lagen von Zellen zusammengesetzt, von denen die rand- 
ständigen nicht selten eubisch sind und eine zur Richtung des 
angrenzenden Blutgefässes senkrechte Stellung annehmen. Aber 
in den mächtigeren, aus vier bis acht Lagen von Zellen zu- 
sammengesetzten Balken der grösseren Körper ist eine strenge 
Gesetzmässigkeit in Form und Lagerung der Zellen nicht zu er- 
kennen. Doch bewahren sie immer den unzweifelhaften Cha- 
rakter von Epithelzellen, der in ihrem Habitus, ihrer Anein- 
anderlagerung und Anordnung seinen Ausdruck findet. Von Al- 
veolenbildung oder gar von Formationen, ähnlich den Halbmonden 
der Schleimdrüsen, von denen Swale Vincent berichtet, kurz 
von allem, was für eine Differenzirung zu secernirenden Bläschen 
oder Schläuchen spräche, vermochte ich im Interrenalkörper der 
Selachier nichts wahrzunehmen. Zwei einander durchflechtende 
Netze, das eine von soliden Epithelsträngen, das andere von den 
Blutgefässen gebildet, sind seine Constituenten. 

So weit würde die Beschreibung des Interrenalkörpers voll- 
ständig in Uebereinstimmung stehen mit jener, die ich von den 
in der Nachbarschaft der Schilddrüse der Säugethiere gelegenen 
Körperchen, dem äusseren und inneren Epithelkörperchen 
(noduli [epitheliales] para- und intrathyreoidei) gegeben habe !). 
In der That darf der Interrenalkörper mit vollem Rechte in 
demselben Sinne als ein „Epithelkörper“ bezeichnet werden; der 
Typus seines Baues ist ganz derselbe (s. Taf. XV, Fig. 1). 

Was ihn im Besonderen charakterisirt, das ist der Gehalt 
seiner Zellen an eingelagerten Fetttröpfehen. Diesen ver- 
dankt er seine gelbe Farbe. Diese beherrschen das Bild, das 
er, im frischen Zustande untersucht, darbietet, so sehr, dass 
Leydig eine Zeit lang seinen eigentlichen Bau verkennen und 
ihn für eine Art Fettkörper, ähnlich dem der Amphibien, halten 


1) Kohn, A., Studien über die Schilddrüse. Arch. f. mikr. Anat, 
Bd. 44 u. 48. 


Die Nebenniere der Selachier ete. 293 


konnte. An Präparaten, die mit Flemming’'s Gemisch oder 
Lösungen der Ueberosmiumsäure behandelt worden waren, tritt 
das Fett, welches in Form von Tröpfehen verschiedener Grösse 
das Protoplasma durchsetzt, durch seine Schwärze ungemein deut- 
lich hervor, aber die typische Anordnung der Zellstränge wahrt 
dem Bilde das Gepräge eines epithelialen Organs. Nach den 
meisten Fixirungs- und Härtungsflüssigkeiten verschwindet das 
Fett aus den Zellen, höchstens deutet noch eime netzartige Gra- 
nulirung auf die frühere Einlagerung hin. 

Der Interrenalkörper der Selachier, wie er eben be- 
schrieben wurde, gleicht in seinem Baue vollständig jenem Or- 
gane, das als die Nebenniere der Teleostier bezeichnet 
wird. Allerdings können die Zellstränge letzterer hohl werden, 
ein Lumen gewinnen, also aus soliden Zellbalken zu drüsenartigen 
Schläuchen sich umgestalten, aber die Gleichartigkeit der beiden 
Organe steht ausser allem Zweifel, 

Aber auch mit der Nebenniere der Amphibien 
zeigt der Interrenalkörper im Wesentlichen eine solche Ueber- 
einstimmung der Struktur, dass beide Organe als homolog be- 
zeichnet werden müssen. Ein Unterschied besteht nur insofern, 
als die Nebenniere der Amphibien eine grössere Menge secun- 
därer Organbestandtheile enthält: reichlicher Bindegewebe mit 
grösseren Gefässen, Nervenstämmehen mit sympathischen Nerven- 
zellen und besonders jener eigenen Art von Zellen, die ich 
„ehromaffine Sympathicuszellen“ genannt habe und 
deren Vorkommen im Sympathieus der Amphibien besonders 
durch Leydig (19b) und Sigm. Mayer (21) („Zellennester, 
Kernnester*) bekannt wurde. Aber der Grundtypus des epithe- 
lialen Baues der Nebenniere wird dadurch nicht alterirt. 

Das Gleiche gilt von der Nebenniere der Reptilien, 
der Vögel und auch der Säugethiere, in welche die oben 
aufgezählten seeundären Organbestandtheile und besonders 
die chromaffinen Sympathicuszellen in immer zuneh- 
mender Menge eindringen. Bei den Säugethieren sind die 
dem Sympathieus entstammenden und — wie ich behaupte — 
auch dauernd zuzurechnenden Elemente im Inneren des Organs 
in compaeter Weise gehäuft. Das gigentliche epitheliale 
Organ wird hier „Rindensubstanz der Nebenniere* genannt. 
Auch diese lässt, mag auch die Anordnung complieirter erscheinen, 

Archiv £. wmikrosk. Anat, Bd, 53 20 


994 Alfred Kohn: 


doch im Grossen und Ganzen denselben Typus der verzweigten 
Epithelbalken erkennen, den der Bau des Interrenalkörpers in so 
einfacher Weise veranschaulicht. Die Epithelzellen der Balken 
sind auch bei den höheren Wirbelthieren mit Fetttröpfehen erfüllt. 

Was insbesondere für die Homologie der aufgezählten Or- 
gane spricht, ist der Umstand, dass sich in so zwanglos drasti- 
scher Weise der Uebergang darbietet von der rein epithelialen 
Nebenniere der Fische und der von wenig sympathischen 
Elementen durchsetzten der Amphibien zu der von Strängen sym- 
pathischen Gewebes durchzogenen Nebenniere der Reptilien und 
Vögel bis zu der mit einem so mächtigen, centralen — als Mark- 
substanz bezeichneten — sympathischen Plexus ausgestatteten 
Nebenniere der Säugethiere. 

Auch die Ergebnisse der Entwicklungsgeschichte 
stimmen darin überein, dass bei allen Wirbelthieren die hier 
homologisirten Organe aus gleichartigem, epithelialem Mutterge- 
webe, dem Peritonealepithel, hervorgehen. Für die Nebenniere der 
Säugethiere verweise ich auf die diesbezüglichen Mittheilungen 
von Janosik (14), Mihaleovies (22), der ähnliche Verhältnisse 
auch bei Vögeln und Reptilien constatirte, von Masamaro 
Inaba (15) und von Fusari (9a); für die Nebenniere der Vö- 
gel auf die von Valenti (35), H. Rabl (28) und Fusari; für 
den Interrenalkörper auf die von Weldon (38), van Wijhe 
(38) und C. Rabl (27). Da uns der Interrenalkörper ganz be- 
sonders angeht, will ich die Angaben C. Rabl’s über die Ent- 
wicklung desselben bei Pristiurus hierher setzen: „Schon bei 
einem Pristiurusembryo mit 55 Urwirbeln sehe ich an der Radix 
mesenterii, unter der Aorta im hinteren Drittel oder höchstens 
der hinteren Hälfte des Embryo einige Zellen, welche nicht in den 
Reihen der anderen Mesodermzellen eingeordnet sind... Zahl- 
reicher werden diese Zellen bei Embryonen mit 63, 64 und 69 
Urwirbeln, und in diese Zeit möchte ich auch die erste Anlage 
der Zwischenniere verlegen. Bei Embryonen zwischen 70 und 
80 Urwirbeln ist diese Anlage schärfer begrenzt, so dass man 
schon ungefähr ihre Ausdehnung erkennen kann. Ihr Vorderende 
ist ungefähr in der Höhe des 20. oder 21. Urwirbels zu verlegen, 
ihr Hinterende ans Vorderende der Cloake .... Das ventral von 
der Aorta zwischen den hinteren Cardinalvenen gelegene Organ 
ist nach oben und den Seiten scharf begrenzt, nach unten da- 


Die Nebenniere der Selachier ete. 295 


gegen so innig mit dem Epithel der Radix mesenterii verbunden, 
dass eine Grenze zwischen beiden nicht zu finden ist... Ich 
kann daher kaum daran zweifein, dass die Zwischenniere zu 
diesem Epithel in genetischer Beziehung steht und aus demselben 
hervorgeht ... . (Sie) macht von den frühesten Stadien an den 
Eindruck eines epithelialen Organs.“ 

Der Interrenalkörper der Salachier entspricht also der 
Nebenniere der übrigen Fische, soweit eine solche mit Sicherheit 
nachgewiesen werden Konnte, und der — in der Regel als 
„Rindensubstanz“ bezeichneten — eigentlichen Nebenniere der 
Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugethiere. 

Als Suprarenalkörper werden jene, bereits mehrfach 
erwähnten Körperehen bezeichnet, die den sympathischen Gang- 
lien des Grenzstranges unmittelbar angeschlossen sind. Leydig 
hat zuerst die Beobachtung gemacht, dass jene segmentalen Ge- 
bilde, die den aus der Aorta dorsalis entspringenden Zweigchen 
aufsitzen, und die man sonst für die sympathischen Ganglien zu 
halten geneigt wäre, sich bei genauerer Untersuchung aus zwei, 
ihrem anatomischen Baue nach verschiedenen Abschnitten be- 
stehend erweisen. Der eine derselben ist das eigentliche sym- 
pathische Ganglion, der andere ein Organ eigener Art, das Ley- 
dig als eine Blutgefässdrüse, die Nebenniere, auffassen wollte. 

Balfour, der auch den genetischen Zusammenhang dieser 
Gebilde mit den sympathischen Ganglien nachwies, nannte sie 
„suprarenal bodies“, Suprarenalkörper (Nebennieren). 

Genauere Angaben über ihre Lage und Zahl findet man 
bei Pettit (25). Bei Seyllium cat. z. B. beobachtete er 13—20 
Paare dieser Körper am Abgange der einzelnen Intercostalarterien 
oder an einem Aestchen derselben gelegen, immer auch mehr 
weniger der Vena interrenalis benachbart. Das vorderste Paar 
ist weit voluminöser als die folgenden und derart schief zur 
Medianlinie gestellt, dass es einen nach vorne offenen Winkel (V) 
bildet. Es liegt beiderseits neben dem Oesophagus an der Axil- 
lararterie und wird von einem Zweige derselben durchbohrt. 

Dieses vorderste Paar der Suprarenalkörper war schon vor 
Leydig bekannt gewesen. Duvernoy !) entdeckte es bei Chi- 
inaera monstr. und nannte es einer irrigen Anschauung zufolge 


1) eit. nach Leydie. 


296 Alfved-Kohn: 


„Axillarherz“. Die folgenden Körperchen sind weit kleiner und 
nehmen im Allgemeinen caudalwärts an Grösse ab. Aehnlich 
waren die Verhältnisse auch bei anderen Squaliden. 

Bei den Rajiden sind weniger Suprarenalkörper vorhanden, 
die Zahl von 10 Paaren wird kaum überschritten. Das vorderste 
Paar ist bei Torpedo nicht ‚durch so auffallende Grösse ausge- 
zeichnet, wie bei den Squaliden, und liegt dem Stamme der 
Axillararterien direkt an. Die caudalwärts folgenden Paare liegen 
der Niere innig an, so dass sie der herausgenommenen Niere in der 
Regel anhaften. Im Uebrigen unterliegt nach Pettit die Zahl 
und Grösse der Suprarenalkörper erheblichen Schwankungen. 

Ich habe bloss grössere Organe, also z. B. die früher sogen. 
Axillarherzen, für sich isolirt behandelt, während ich die kleineren, 
besonders von jungen Exemplaren, gern im Zusammenhange mit 
den Nachbarorganen beliess, so dass ich oft beide Nieren, den 
Interrenalkörper und ein Paar der Suprarenalkörper in einer Reihe 
von Quersehnitten untersuchen konnte, 

Die Suprarenalkörper sind, wie schon Leydig mit- 
theilte, immer in innigem Anschlusse an 1—2 sympathische Gang- 
lien anzutreffen. An den grösseren lässt sich überdies häufig 
beobachten, dass der Peripherie des Organs kleine Ganglien- 
gruppen angelagert sind, deren Volum hinter dem des eigent- 
lichen Suprarenalkörpers weit zurückbleibt. Aber in vielen Fällen, 
besonders bei den kleineren Körperchen, ist eine deutliche Ab- 
grenzung des Ganglions gegen den Suprarenalkörper nicht vor- 
handen und eine scharfe Trennung der beiden Organe nicht 
durchführbar. Man kann dies Verhalten so auffassen, dass das 
Ganglion im Suprarenalkörper mehr minder eingebettet liegt. 
Diese Verschmelzung wird im Nachfolgenden ihre Erklärung 
finden (s. Taf. XV, Fig. 4 u. 6). 

Ein Querschnitt durch den Suprarenalkörper lässt diesen 
häufig, nicht immer, eoncentrisch um ein grösseres Blutgefäss 
angeordnet erscheinen. An einem Ende, öfter an mehreren Punkten 
der Peripherie, sind in kleineren Häufchen sympathische Gang- 
lien angelagert (s. Taf. XV, Fig. 3, 7, 8). Das Organ wird von 
einer bindegewebigen Hülle umschlossen und, wenn es eines der 
grösseren ist, durch einstrahlende Bindegewebszüge in einige 
Felder getheilt. Doch ist eine derartige Lappung nicht immer 
deutlieh wahrnehmbar. Balfour unterschied am Suprarenal- 


Die Nebenniere der Selachier etc. 297 


körper eine äussere, aus eubischen Zellen gebildete Rindenschicht 
und eine centrale, aus polygonalen Zellen gebildete Markschicht. 
Dieser Beschreibung liegt vielleicht das Bestreben zu Grunde, 
den Bau des Suprarenalkörpers mit dem der Nebenniere der 
Säugethiere in Einklang zu bringen. Thatsächlieh lässt sich eine 
solche Scheidung nicht aufrecht erhalten; der Bau des Organs ist 
vielmehr ein ziemlich gleichmässiger, wenn auch zuzugeben ist, dass 
die peripheren Zellen oft grösser und regelmässiger gelagert sind 
als die centralen. Leydig hatte angegeben, dass der Supra- 
renalkörper aus Blasen, die von Zellen erfüllt wären, zusammen- 
gesetzt sei. Dieser Angabe wurde späterhin mit Recht wider- 
sprochen (Chevrel). Keinerlei Formation, die an Bläschen oder 
Schläuche oder regelmässige Zellstränge erinnerte, ist nach- 
weisbar. Wenn eine Reihe von Forschern, von Balfour bis 
Swale Vincent, den Suprarenalkörper drüsig gebaut findet, 
so ist dagegen einzuwenden, dass keiner der bekannten Drüsen- 
typen in demselben ersichtlich ist, auch nicht ein Bauplan, der 
an den des Interrenalkörpers — also den eines Epithelkörpers — 
im Entferntesten gemahnen würde. 

Er besteht aus eigenartigen Zellen verschiedener Form und 
Grösse, die zuweilen mit deutlichen Fortsätzen ausgestattet sind, 
einen ziemlich grossen Kern, mitunter deren auch zwei, besitzen und 
in diehter Anordnung in ein spärliches, faseriges Zwischengewebe 
eingelagert sind. Die Zellen liegen regellos einzeln oder in 
kleinen Gruppen. Bloss die peripher gelegenen, die im Allge- 
meinen grösser sind, liegen der Peripherie des im Querschnitte 
rundlichen oder elliptischen Organs mitunter derart an, dass ihre 
Längsdimension senkrecht auf der Umgrenzungslinie steht, aber sie 
bilden keine ceontinuirliche Lage. Die mehr gegen die Mitte hin 
gelegenen Zellen sind durchschnittlich kleiner als die peripheren, 
aber es finden sich auch nieht minder grosse mitten unter ihnen. 
Was mir am charakteristischesten erscheint für die Elemente des 
Suprarenalkörpers, das ist gerade der Mangel jeder gesetz- 
mässigen Anordnung. Nicht zu einer bestimmbaren Formation 
geordnet, liegen die Zellen regellos durcheinander, mit ihren 
Längsdimensionen in verschiedensten Richtungen gestellt, mannig- 
fach gegen einander geneigt. Es fehlt ihnen der bestimmte Gruppen- 
charakter, wie er in allen Epithelformationen zu Tage tritt. Man 
gewinnt nicht den Eindruck, dass sich je eine Anzahl von Zellen zu 
einer organischen Einheit verbinden, wie dies bei epithelialen Bil- 


298 Alfred Kohn: 


dungen (Drüsen) der Fall ist, sondern die einzelnen Zellen treten 
sozusagen als selbständige Individuen auf, vergleichbar den Nerven- 
zellen in einem Ganglion. Nach dieser Anordnung ist es ganz aus- 
geschlossen, dass die Suprarenalkörper als drüsige Organe aufge- 
fasst werden dürfen, wie dies allgemein geschieht. Ganz den 


gleichen Anblick wie ein Ganglion gewährt — von dem Cha- 
rakter der Zellen zunächst abgesehen — der Suprarenalkörper 


schon deshalb nieht, weil seine meist kleineren Zellen viel diehter 
liegen und insbesondere jene stärkeren Bündel von Nervenfasern, 
die zwischen den Gruppen der Nervenzellen eines Ganglions hin- 
durchziehen, hier im Allgemeinen fehlen. Auf diese dichte Lage- 
rung der Zellen und die feine Vertheilung des Zwischengewebes 
ist es wohl zurückzuführen, dass die meisten Autoren dem Su- 
prarenalkörper das Aussehen eines drüsigen Organs zuschreiben. 
Aber die regellose Anordnung der Zellen, die verschie- 
dene Hauptriehtung der Zellachsen und das Vorhanden- 
sein eines, wenn auch meist nicht in stärkeren Bündeln, so doch in 
feineren Zügen das ganze Organ durchkreuzenden Zwischen- 
gewebes, aus Nervenfäserchen, Bindegewebe und Blutgefässen 
bestehend, in welchem die Zellen vereinzelt oder in mannig- 
facher Gruppirung liegen, lassen den Vergleich mit einem Ganglion 
weit eher statthaft erscheinen. 

Die Beschreibung der den Suprarenalkörper aufbauen- 
den Elemente kann nur mit Rücksicht auf die in Anwendung 
gebrachte Fixirungsflüssigkeit gegeben werden; denn die Bilder 
sind ungemein verschiedenartig, je nachdem man die Präparate 
in eine Sublimatlösung (Sublimat-Kochsalzlösung) oder eine Os- 
miumlösung (Flemming’sches Gemisch) oder eine Lösung von 
chromsauren Salzen (3 %/,ige Kaliumbichromatlösung, Müller'sche 
Flüssigkeit) eingelegt hatte. 

Ich lege der allgemeinen Darstellung die Quersehnittsbilder 
zu Grunde, die man von einem mit Sublimat-Kochsalzlösung be- 
handelten Suprarenalkörper mittlerer Grösse erhält. 

Die Ganglienzellen, welche meist in kleinen Gruppen dem 
Organe angelagert sind, mitunter aber auch zu einer grösseren, ein- 
heitlichen Gruppe vereinigt sind, enthalten grosse, meist zweiker- 
nige Ganglienzellen!), die von einer kernhaltigen Hülle umgeben 


1) Dieser Befund erinnert an das gehäufte Vorkommen z wei- 
kerniger Nervenzellen in den sympathischen Ganglien einiger Nage- 
thiere (z. B. Kaninchen). 


2 1 


Die Nebenniere der Selachier ete. 299 


sind. Soleher Gruppen finden sich oft mehrere an verschiedenen 
Punkten der Oberfläche des Suprarenalkörpers. Manchmal sind sie 
deutich abgegrenzt vom Hauptkörper, manchmal ist eine Grenze 
nicht nachweisbar. Im letzteren Falle sind die Nervenzellen um so 
kleiner, je weiter sie von der Peripherie gegen das Innere auf- 
einander folgen. Ihre beiden Kerne liegen dann bis zur Berüh- 
rung dicht aneinander. Ganz unmerklich mischen sich unter 
diese rein nervösen Zellen die eigenartigen Elemente des Supra- 
renalkörpers. Dieser selbst enthält immer eine Anzahl unzweifel- 
hafter Nervenzellen, meist nur mittelgrosser und kleiner Sorte, 
und eine reiche Menge von Zellen mannigfaltiger Form und ver- 
sehiedener, aber die der mittleren Nervenzellen meist nicht über- 
treffender, Grösse, deren Charakter schwer bestimmbar ist, zumal 
Sublimatlösungen (und Alkohol) der Conservirung des Protoplas- 
mas dieser Zellen nieht günstig zu sein scheinen. Aber so viel 
lässt sich ruhig behaupten, dass alle diese mannigfachen Zellen 
eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Ganglienzellen besitzen, die 
ihren Ausdruck findet in ihrer regellosen Anordnung, in dem 
Mangel bestimmter Formationen und in dem selbständigen Cha- 
rakter der einzelnen Zellindividuen, und in deren Annahme man 
noch bestärkt wird durch die Vielgestaltigkeit der Zellen und 
die relative Grösse ihres Kernes. Besonders, wenn sie auch zwei- 
kernig sind, gleichen sie den Ganglienzellen ihrer Umgebung in 
auffallender Weise. Noch augenfälliger tritt diese Aehnlichkeit an 
Präparaten hervor, die mit Flemming’scher Lösung behandelt 
wurden. Der gleichmässig dunkle Farbenton des Zellleibes und 
der helle bläschenförmige Kern erinnern lebhaft an das Aussehen 
kleiner Ganglienzellen nach Anwendung derselben Methode; nur 
erscheinen die letztern hierbei nicht so dunkel wie die des Su- 
‚prarenalkörpers. 

Die merkwürdigste Reaction der Zellen, um derentwillen 
ich sie „chromaffin“ nannte, stellt sich nach Fixation der Organe 
inKaliumbichromatlösungen ein (s. Taf. XV, Fig. 7, 
8, 9). Während die dem Suprarenalkörper angelagerten und die 
inmitten seiner Elemente gelegenen Ganglienzellen sich leicht 
gelblichgrau färben, treten seine speeifischen Zellen in intensiv 
gelbem oder braunem Farbentone in überraschender Weise 
hervor. Durch diese Chromfärbung werden auch die feinsten 
Ausläufer des Zellleibes sehr distinet zur Anschauung gebracht, 


300 Alfred Kohn: 


und es gewinnt den Anschein, als ob es sich manchmal um 
multipolare, mit Fortsätzen versehene Zeilen handelte. Wenn 
auch die Deutlichkeit der Fortsätze in Folge der durch das 
Kaliumbiehromat bedingten Schrumpfung des Zellleibes künstlich 
gesteigert wird, so ist es doch zweifellos, dass die Fortsätze oft 
kein Kunstproduet, sondern -thatsächlich vorhanden sind, da sie 
auch am frischen Präparate nicht selten zur Beobachtung gelangen. 
Die Form der Zellen gleicht oft jener, welche Zellen aus der 
grauen Substanz des Rückenmarkes bei gleicher Behandlung an- 
nehmen (s. Taf. XV, Fig. 8, 9). Ueberhaupt tritt die Aehnlich- 
keit mit Nervenzellen gerade bei dieser Methode am evidentesten 
hervor, so sehr auch andererseits eben die Chromreaetion die 
Zellen des Suprarenalkörpers von den ungefärbt gebliebenen 
sympathischen Ganglienzellen unterscheidet. So unleugbar es 
also nach dieser Reaction erscheint, dass die eigenartigen Zellen 
des Suprarenalkörpers ihrer Natur nach nicht identisch sind mit 
den sympathischen Ganglienzellen, ebensowenig lässt sich leugnen, 
dass sie mit Nervenzellen im Allgemeinen gewisse gemeinsame 
Familiencharaktere besitzen, wie solche trotz aller Besonderheiten 
die Ganglienzellen verschiedenster Herkunft, aus dem Gross- und 
Kleinhirn, der Medulla oblongata und spinalis, den spinalen und 
syinpathischen Ganglien, unter einander aufweisen. 

Stellt man die bündige Frage nach dem Wesen dieser 
Zellen, so muss ich bekennen, dass die bisherige Untersuchung 
mich nicht weiter geführt hat als bis zur Ueberzeugung, dass 
sie am ehesten den Nervenzellen anzureihen sind. Sie aber 
als solche zu präeisiren, ihr Verhältniss zu den typisch nervösen 
Gebilden zu ergründen, ihnen ihre gebührende Stellung innerhalb 
der grossen und mannigfaltigen Gruppe der zum Nervensystem 
gehörigen Zellen nach den hiefür maassgebenden Gesichtspunkten 
anzuweisen, muss weiterer Untersuchung vorbehalten bleiben. 
Auf dem bisherigen Wege gelangt man nur zu dem Urtheile, dass 
die Zellen des Suprarenalkörpers von allen in Betracht kommen- 
den Gebilden den Nervenzellen am nächsten stehen, ohne dass 
man sie mit Sicherheit als solche anzusprechen wagte. Grössere 
Wahrscheimlichkeit gewinnt diese Annahme durch die Ent- 
wieklungsgeschichte, eine Wahrscheinlichkeit, die durch 
die vergleichende Anatomie und die vergleichende 
Entwicklungsgeschichte noch erheblich gesteigert wird. 


PRBETER®: 


a EEE 


Die Nebenniere der Selachier ete. 301 


Balfour erbrachte den Nachweis, dass die Suprarenal- 
körper von den Ganglien des Sympathieus abstammen, die 
sieh im Laufe der Entwieklung in emen „gangliösen‘“ und 
einen „lrüsigen‘ Absehnitt (den Suprarenalkörper) scheiden. 
Van Wijhe bestätigte diese Trennung der Ganglienanlagen in 
einen „gangliösen“ und einen „nieht gangliösen“ Theil. Auch 
C. Rabl fand die Anlagen der sympathischen Ganglien „bei 
einem Embryo von Seyllium eanieula von 53mm Länge stellen- 
weise deutlich in zwei Abschnitte getheilt, einen vorderen, welcher 
deutliche Nervenfasern führt, und einen hinteren grösseren, der 
aus Zellen besteht, die eine gewisse Aehnlichkeit mit Epithel 
zellen besitzen“. 

Dass Balfour und Andere die Meinung aussprachen, dass 
diese Sympathicusderivate drüsiger Natur seien, fällt nicht 
allzuschwer ins Gewicht. Denn einmal konnte ich bereits früher 
feststellen, dass diese Annahme, wie die Untersuchung des ana- 
tomischen Baues lehrt, unhaltbar ist, und dann ist sie auch schon 
an und für sich in hohem Maasse unwahrscheinlich. Wie sollten 
diese von den Ganglienanlagen des Sympathicus stammenden 
Organe drüsig werden, da doch das Medullarepithel, nachdem 
es sich vom Eetoderm differenzirt hat, nur nervöse Derivate 
liefert. Wie sollten gerade diese allerspätesten Differenzirungs- 
producte Drüsenstructur gewinnen, nachdem alle die sich suc- 
cessive abspaltenden Zwischenproducte, wie spinale und sym- 
pathische Ganglien, sich zu typisch nervösen Organen entwickeln. 
So wie sich aus dem Medullarepithel nebst den nervösen Ele- 
menten der Centralorgane auch die Anlagen der Spinal- 
ganglien, aus diesen ausser den eigentlichen Spinalganglien 
auch noch die Anlagen der sympathischen Ganglien 
entwickeln, so scheinen sich schliesslich aus diesen ausser den 
eigentlichen sympathischen Ganglien auch noch jene Organe zu 
entwickeln, die man die Suprarenalkörper nennt und die als 
vorwiegendes Bauelement jene Zellen enthalten, die ich „chro- 
maffine Sympathicuszellen“ genannt habe. 

Eine ihrer kräftigsten Stützen gewinnt die von mir ver- 
tretene Ansicht durch die vergleichend-anatomische Unter- 
suchung. Auch bei den Amphibien findet man die zwei 
Arten von Zellen im Sympathicus verbreitet, neben 
den typischen Ganglienzellen jene eigenthümlichen, einzeln oder 


302 Alfred Kohn: 


in „‚Nestern‘“ auftretenden Zellen, die Leydig entdeckt, Sig- 
mund Mayer eingehend untersucht und eine Zahl späterer 
Autoren [Löwenthal(20), Smirnow (32), besonders Gia- 
eomini (10)] beschrieben hat. Ebenso enthalten die sympa- 
thischen Ganglien der Reptilien, wieLeydig fand, Braun 
genauestens untersuchte und Hoffmann (12) bestätigte, jene 
zwei Arten von Zellen. Endlich kann ich diese Befunde, die 
ich für die aufgezählten Wirbelthierklassen vollkommen zu be- 
stätigen in der Lage bin, dahin ergänzen, dass sich nach meinen 
und Kose’s (18) Untersuchungen auch allenthalben in den synı- 
pathischen Ganglien der Vögel und der Säugethiere 
jene zwei differenten Zellformen finden, welche Thatsache das 
von einigen Autoren behauptete Vorkommen von „Markzellen“ 
der Nebenniere in den ihr benachbarten sympathischen Gang- 
lien [Dostoiewsky (6), Stilling (34, H. Rabl (28), 
Pfaundler (26)] in befriedigender Weise erklärt. 

Diese zweite Art der in den sympathischen Ganglien ver- 
breiteten Zellen erweist sich als homolog für alle Wirbelthier- 
klassen durch Gleichartigkeit des Ursprungs, des Vorkommens, 
der Anordnung, des Habitus und eimiger eigenartiger Reaetio- 
nen, von denen die auffallendste und eigentlich längstbekannte 
[Henle (11)] die Bräunung in Kaliumbichromatlösung ist. 
Dieser merkwürdigen Reaetion wegen habe ich diese Zellen, da 
uns zunächst bessere, ihr Wesen treffende Charakteristika noch 
fehlen, „chromaffine Sympathicuszellen‘“ genannt. 
Sie finden sich in den sympathischen Ganglien und 
Nerven allgemein, wenn auch oft nur in geringer Menge, ver- 
breitet und gelangen mit diesen auch in das Innere der von 
sympathischen Nerven versorgten Organe, ins- 
besondere auch in die Nebenniere. Was man bisher „Mark- 
zellen“ der Nebennieren von Säugern, Vögeln, Reptilien und 
Amphibien, was man „braune Zellen“ (Braun) bei Reptilien, 
„Zellennester“ oder „Kernnester“ (Sigmund Mayer) bei 
Amphibien nannte, ist identisch mit „chromaffinen Sym- 
pathieuszellen“, also auch mit den Elementen der Supra- 
renalkörper. 

Die Entwieklungsgeschichte hat auch für die chromaffinen 
Sympathienszellen der übrigen Wirbelthiere, wenn auch nieht in 
der allgemeinen Formulirung, die ich ihr zu geben mir erlaube, 


nu re ee 


Die Nebenniere der Selachier ete. 303 


den Nachweis ihrer Abstammung vom Sympathieus erbracht. In- 
dem sie nämlich lehrt, dass die Marksubstanz der Neben- 
niere der Säugethiere [Kölliker (16), Mitsukuri (24), 
Fusari (9a), der Vögel (Fusari, H. Rab), der Reptilien 
(Braun, Weldon, Hoffmann) vom Sympathieus 
stammt, hat sie indireet den Beweis geliefert, dass die 
„ehromaffinen Zellen“ aus dem Sympathicus ihren Ursprung 
nehmen; denn die Bezeiehnuug ‚„Marksubstanz der Nebenniere‘ 
ist eben nur ein unpassender Ausdruck für eine locale Ansammlung 
der sonst im ganzen Sympathieus verbreiteten ehromaffinen Zellen. 

Berücksiehtigt man nun alle früher erwähnten Umstände, 
welehe für die nervöse Natur der Zellen der Suprarenalkörper zu 
sprechen scheinen, ferner, dass die Entwieklungsgeschichte auch 
für sie den genetischen Zusammenhang mit dem Sympathieus, mit 
dessen Ganglien sie zeitlebens im Zusammenhange bleiben, erwiesen 
hat, dass im Sympathieus aller Wirbelthierklassen zwei Arten von 
Zellen vorkommen, von denen die eine insbesondere durch ihre 
Färbbarkeit in Kalinmbiehromatlösung ausgezeichnet ist und auch 
diese Eigenschaft den Zellen der Suprarenalkörper in gleicher 
Weise zukommt, so wird man mir die Berechtigung kaum ab- 
sprechen, diese als die chromaffinen Sympathieuszellen der Hai- 
fische aufzufassen. 

Nun könnte man allerdings folgenden Einwand erheben. 
Da — mit der Nebenniere der Säugethiere verglichen — that- 
sächlich der Interrenalkörper der Rindensubstanz ent- 
spricht und die Suprarenalkörper sich aus den gleichen Ele- 
menten zusammensetzen wie die Marksubstanz, so wären also 
doch diejenigen im Rechte, welche die Suprarenalkörper als die 
Marksubstanz der Selachiernebenniere auffassen und demzufolge 
den Interrenalkörper sammt den Suprarenalkörpern als die Neben- 
niere der Selachier bezeiehnen. Dieser Deutung kann ich durch- 
aus nicht beistimmen. Die mitgetheilten Befunde lassen es doch 
in keiner Weise geboten erscheinen, diese zwei local, genetisch, 
morphologisch und jedenfalls auch physiologisch vollkommen von 
einander getrennten Gebilde in eine organische Einheit zusammen- 
zufassen. Auch bei den Amphibien ändert der Umstand, dass 
sympathische Nerven mit ihren zwei Zellformen, den Ganglien- 
und den chromaffinen Zellen in die Nebenniere eindringen, eben- 
sowenig an dem epithelialen Charakter des Organs, als der 


304 Alfred Kohn: 


einer Drüse dureh eingelagerte Nerven mit Ganglienzellen ver- 
ändert wird. Im Prinzipe dasselbe Verhalten treffen wir in 
immer zunehmendem Maasse bei Reptilien, Vögeln und Säuge- 
thieren. Bei den letzteren wird ein mächtiger nervöser Plexus 
mit einer bedeutenden Masse chromaffiner Sympathieuszellen von 
der epithelialen „Rinde“ ganz oder theilweise umschlossen. Aber 
deshalb werden die chromaffınen Zellen ebensowenig zu „Mark- 
zellen“, d. h. zu specifischen Organbestandtheilen der Neben- 
niere als es die übrigen Elemente des Sympathicus, die Nerven- 
fasern und Nervenzellen, hierdurch ‚geworden sind. 

Als ein besonderes, in der ganzen Reihe der Wirbelthiere 
vorhandenes Organ wird die Nebenniere bloss durch ihren epi- 
thelialen Antheil charakterisirt. Die Nervenfasern, Nerven- 
zellen und chromaffinen Zellen finden sich in der Nebenniere 
höherer Wirbelthiere umschlossen von dem eigentlichen (epithe- 
lialen) Organ, ebenso wie in vielen anderen Organen. Von den 
Nervenfasern und den Nervenzellen wird man dies gewiss zu- 
geben. Bezüglich der chromaffinen Sympathieuszellen steht aber 
die Sache genau ebenso, und nur der Umstand, dass sie bei den 
Säugern ihrem wahren Wesen nach unerkannt geblieben waren, 
verschuldete die falsche Auffassung. Sie sind ein eonstanter Be- 
standtheil des Sympathieus, wie bei den niederen Wirbelthieren so 
auch bei den Säugethieren und finden sich bei letzteren, zwar 
nicht in grosser Menge, aber immerhin leicht nachweisbar, in 
dden sympathischen Ganglien der Bauch-, Brust- und Halsregion. 

Der Umstand, dass sie auch in der Nebenniere 
höherer Wirbelthiere vorkommen, ist durchaus kein Grund, sie 
als speceifiseche Bestandtheile derselben anzusehen und als 
solehe selbst dann zu reclamiren, wenn sie, wie bei den Se- 
lachiern, gar nicht in Beziehung zur Nebenniere 
treten. Man könnte sonst mit ebensoviel Recht auch die Gang- 
lien des Grenzstranges als Nebennierentheile bezeichnen. Sie 
sind weder „die Nebenniere* noch die specifische „Marksub- 
stanz‘‘ derselben, sondern sie sind — und beurkunden sich gerade 
bei den Selachiern in einfachster und überzeugendster Weise als 
solehen — ein integrirender Bestandtheil des Sympa- 
thieus. 

Man ging früher immer von der Vergleichung mit den Ver- 
hältnissen bei den Säugethieren aus und maass die Berechtigung, 


I e \Opor VE RN 


Die Nebenniere der Selachier etc. 305 


ein Organ als Nebenniere aufzufassen, an der Zahl und Werthig- 
keit der Vergleichsmomente, die es mit der der Säugethiere ge- 
meinsam hatte. Da aber über die letztere bezüglich der Natur 
ihrer Elemente wenig Positives vorlag, hatten alle diese Ver- 
gleiche einen problematischen Werth. Nun ist der einfache Bau 
der Nebenniere der Selachier bekannt, und seine Ver- 
gleichung mit dem entsprechenden Organe der höheren Wirbel- 
thiere lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass diesem 
epithelialen Körper an und für sich der Rang eines selb- 
ständigen Organes zuzuerkennen ist. 

Bei den Säugethieren findet sich in ausserordentlicher 
Weise eine Complication des Organes ausgebildet, die schon 
bei den Amphibien beginnt und in der aufsteigenden Reihe der 
Wirbelthiere immer zunimmt: die Betheiligung sympa- 
thischer Elemente. Insbesondere ist es ein relativ wenig 
bekannter, bei Säugethieren bisher ganz unbekannt gewesener 
Bestandtheil des Sympathieus, der seeundär in den Aufbau 
der Nebenniere mit einbezogen wird — die chromaffinen 
Sympathicuszellen. Diese eigenartigen, ihrem Wesen und 
ihrer Bedeutung nach noch unaufgeklärten, Zellgebilde sind es, 
die das specifische Gewebselement der Suprarenalkörper der Se- 
lachier darstellen. Die Suprarenalkörper aber deshalb als Neben- 
niere oder Nebennierentheile aufzufassen, sehe ich, wie ich noch- 
mals wiederhole, nicht den geringsten Grund ein. Sie sind De- 
rivate des Sympathicus und stehen den nervösen Organen auch 
nach ihrer definitiven Ausbildung morphologisch und vielleicht 
auch physiologisch nahe. 

Als die natürliche Auffassung der vorliegenden Verhältnisse 
erscheint mir daher die, dass die Suprarenalkörper dem sym- 
pathischenSystem zugetheilt und nicht mit der Neben- 
niere in Beziehung gebracht werden; die Nebenniere der höheren 
Wirbelthiere aber als ein epitheliales, dem Interrenal- 
körper gleichwerthiges Organ anzusehen sei, an dessen Aufbau 
sich in der aufsteigenden Reihe der Wirbelthiere in zunehmender 
Menge sympathische Elemente, besonders die chromaf- 
finen Zellen, die im Sympathieus aller Wirbelthierklassen 
als ein constanter Bestandtheil vorkommen, mitbetheiligen. 

Im Sinne dieser Ausführungen wäre man versucht, die chrom- 
affınen Zellen nach Genese und Natur als eine besondere A b- 


306 Alfred Kohn: 


art der Nervenzellen anzusehen, wie sich ja auch früher 
schon einige Autoren für den nervösen Charakter der (mit ihnen 
identischen) sog. „Markzellen der Nebennieren“ ausgesprochen 
haben. [Leydig, Braun, Fusari (9), H. Rabl, Semon]. 

Diese Ansicht steht im Widerspruche mit der von Swale 
Vincent (37b), dass kein Theil der Suprarenalkörper nach 
Bau und Ursprung nervös sei, und sie widerstreitet ebenso 
auch der Anschauung jener, die zwar den nervösen Ursprung der 
ehromaffinen Zellen zugeben, aber aus dieser nervösen Än- 
lage ein drüsiges Organ hervorgehen lassen. (Balfour, van 
Wijhe). Daher kann ich auch die Richtigkeit der von Jano- 
Sik, Valenti, Minot vertretenen Meinung nicht zugeben, dass 
Rinde und Mark aus Gewebselementen gleicher Art bestehen 
sollen und muss auch Huot (13) widersprechen, der zwischen 
dem Sympathicus und den Suprarenalkörpern nur eine äusserliche 
Contiguität bestehen lässt. 

Andererseits möchte ich mich aber auch jenen nicht an- 
schliessen, welche die chromaffinen Zellen („Markzellen*, „braune 
Zellen“) als in einem embryonalen Zustande verharrende 
Sympathieuszellen ansehen (H. Rabl) oder durch allmähliche 
Uebergangsformen mit den sympathischen Nervenzellen 
verknüpft glauben (Braun, Pfaundler, H. Rab)). 

Vielmehr bin ich der Ansicht, dass sich aus den noch un- 
vollständig differenzirten Sympathieusanlagen zwei verschieden- 
artige Zellformen — die typische Nervenzelle und die chromaffine 
Zelle — entwickeln dürften, die nach ihrer definitiven Ausbildung 
selbständige Zellenspecies darstellen, die keineswegs 
mehr ineinander übergehen. Jene Zellen, welche als Uebergangs- 
formen aufgefasst wurden, wären dann nur besonders günstige 
Repräsentanten der verwandschaftlichen Aehnlichkeit, die zwischen 
allen Mitgliedern der Familie der Nervenzelle — von der Gross- 
hirn- bis zur chromaffinen Zelle — besteht. 

Von einigen Autoren, zumeist von jenen, welche den ner- 
vösen Charakter der Suprarenalkörper bestreiten, wird ein anderes 
Moment in den Vordergrund gerückt: die innige Beziehung zwi- 
schen Suprarenalkörpern und Blutgefässen. (Swale Vin- 
cent, Chevrel, Pettit.) Ich glaube kaum, dem Umstande, 
dass die Suprarenalkörper so regelmässig an einem Blutgefässe 
liegen, mehr Gewicht beimessen zu dürfen, als der allgemeinen, 


Die Nebenniere der Selachier etc. 307 


innigen Lagebeziehung zwischen sympathischem Nerven- und 
Blutgefässsystem. 

Noch ein Wort über die Bezeichnung der Suprarenal- 
körper. Der Name „Suprarenalkörper“ ist zu verwerfen, da er 
synonym ist mit „Nebenniere“, mit welcher diese Organe nichts 
zu thun haben. Er führt übrigens in allen anderen Sprachen als 
der deutschen leicht zu Missverständnissen. Daher mögen „chrom- 
affıne Körper“ bez. „chromaffine Zellen“ vorläufig als Ersatz- 
namen dienen. Vielleicht sind die sog. „Suprarenalkörper“ ei- 
gentlich nichts anderes als sympathische Ganglien, von deren 
Elementen ein grosser Theil der zweiten Zellform, den 
chromaffinen Zellen, angehört. Aehnlich sind ja auch 
die Verhältnisse im manchen Ganglien des Sympathicus der höheren 
Wirbelthiere. So ist z. B. die Menge der chromaffinen Zellen in 
den grossen, sympathischen Ganglien des Plexus coeliacus der 
Säugethiere eine ganz ansehnliche. 

Zum Schlusse will ich nur die prineipiellen Ergebnisse 
meiner Untersuchung kurz zusammenfassen. 

Die Nebenniere der Selachier ist ein unpaa- 
riges, zwischen den caudalen Abschnitten der beiden Nieren, 
an deren Dorsalfläche, gelegenes Organ. Sie ist en epithe- 
liales Gebilde und besteht aus verzweigten Zellsträn- 
gen, zwischen denen dünnwandige Blutgefässe verlaufen. In 
den Epithelzellen sind reichliche Fetttröpfehen eingelagert, 
denen das Organ seine gelbliche Farbe verdankt. Die Neben- 
niere der Selachier führt den Namen „Interrenalkörper“ 
und mag ihn auch beibehalten, wiewohl sonst allgemein „supra- 
renal* für die Bezeichnung der Nebenniere gebräuchlich ist. 

Für die sog. „Suprarenalkörper“ ist diese Benen- 
nung aufzugeben, denn sie haben mit der Nebenniere 
nichts gemein. Sie stellen vielmehr Abschnitte der 
sympathischen Ganglien dar und enthalten ausser den 
spärlich vorhandenen typischen Elementen eines solchen in über- 
wiegender Menge chromaffine Zellen. 

Die Nebenniere der Wirbelthiere ist im Prineipe 
ein epitheliales, aus verzweigten Zellbalken aufgebautes 
Organ. Von den Amphibien angefangen zu den Säugethieren 
aufsteigend, findet sich in zunehmender Menge Sympathieus- 
gewebe mit allen seinenElementen, unter denen aber 


308 


Alfred Kohn: 


die ehromaffinen Zellen unverhältnissmässig überwiegen, 
innerhalb des Organes. 


zu 
als 


der 


in 


Anatomisch, nach ihrem Bauplane, gehören die Nebennieren 
jenen aus verzweigten Epithelsträngen gebildeten Organen, 
deren typische Repräsentanten die „Epithelkörper“ in 
Nachbarschaft der Schilddrüse hingestellt werden dürfen und 
deren Gruppe auch die Hypophysis einzureiien wäre. 


Sie stehen den eigentlichen Drüsen nur noch durch ihren epi- 
thelialen Bau nahe, da sie typischer Drüsenformationen und 
epithelialer Ausführungsgänge entbehren. Letzteres negative Merk- 
mal bringt sie den „glandulae elausae,“ den „Drüsen ohne Aus- 
führungsgang“ (der Schilddrüse) relativ am nächsten. 


1; 


12a. 


6. 


en 


Literatur-Verzeichniss. 


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8. 


58 


10. 


13. 


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192. 


19b. 
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Die Nebenniere der Selachier etc. 309 


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24. 


25; 


26. 


27T. 


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30. 


3. 


39. 


37a. 


3Tb. 


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38. 


39. 


Die Nebeuniere der Selachier ete. anal 


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van Wijhe, J. W., Ueber die Mesodermsegmente des Rumpfes 


ur 


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mikr. Anat. Bd. 33. 1889. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV. 


Sämmtliche Zeichnungen sind mit Hülfe des Zeichenapparates 


angefertigt. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


1 


5. 


Querschnitt durch den (walzenförmigen) Interrenalkörper 
von Mustelus laevis (Müller’s Fl.—Formol; Cochenillefärbung). 
Vergr. 120. Die epithelialen Zellbalken schmal; die Blutgefässe 
meist leer, ihre Wandung collabirt, nur in einzelnen sind Blut- 
körperchen (bk) vorhanden. k = Kapsel. 

Mittlere Partie aus einem Querschnitte durch den Interrenal- 
körper von Torpedo marm. (Sublimat—Kochsalzlösung, Fär- 
bung nach van Gieson). Vergr. ca. 200. Der Körper war 
bedeutend dicker als jener, dessen Durchschnitt in Fig. 1 dar- 
gestellt ist. Die epithelialen Zellbalken (zd) meist breiter als 
in der vorigen Fig.; Blutgefässe (bg) weit, nur von Endothel 
ausgekleidet, mit Blutkörperchen. 

Querschnitt durch einen Suprarenalkörper von Torpedo 
marm. (Sublimat—Kochsalzlösung, Cochenillefärbung). Vergr. 
ca. 90. An dem einen Ende sympathische Ganglienzellen (g), 
nicht scharf abgegrenzt gegen den eigentlichen Suprarenal- 
körper (sk), von dessen Zellen bei dieser Behandlung und 
Vergrösserung fast nur die Kerne deutlich hervortreten. bg = 
Blutgefäss; k = Kapsel. 

Hälfte eines Querschnittes durch einen Suprarenalkörper 
von Myliobatis noct. (Sublimat—Alcohol, Cochenillefärbung). 
Vergr ca.250. An der Peripherie (rechts) sympathische Gang- 
lienzellen (g) gehäuft, von denen einige zweikernig sind. 
Gegen die Mitte hin treten allmählich immer mehr die speci- 
fischen Zellen des Suprarenalkörpers (SZ) [= chromaffine 
Zellen] in den Vordergrund. Die Behandlung war der Dar- 
stellung dieser Zellen nieht günstig; namentlich an den klei- 
neren ist wenig vom Zellleibe zu sehen. 

Aus einem Querschnitt durch den an der Axillararterie gele- 
genen Suprarenalkörper von Torpedo marm. (Flemming- 
sche Lösung). Vergr. ca. 250. In diesem Falle war das sym- 
pathische Ganglion (ggl) scharf abgegrenzt gegen den Supra- 
renalkörper (spk). Die Ganglienzellen (g) meist zweikernig, 


312 


Alfred Kohn: Die Nebenniere der Selachier etc. 


mit kernhaltiger Hülle. Die Zellen des Suprarenalkörpers (sz) 
[=chromaffine Zellen] regellos in faserigem Zwischengewebe 
eingebettet, von verschiedener Form und Grösse. 

Querschnitt durch den Interrenalkörper (?k) und einen 
Suprarenalkörper (sk) von Mpyliobatis noct. (Sublimat— 
Alcohol, Cochenillefärbung). Vergr. ca. 90. Schon bei so 
schwacher Vergrösserung tritt der verschiedene Bautypus des 
epithelialen Interrenal- und des ganglionären Suprarenal- 
körpers deutlich hervor. Suprarenalkörper und sympathisches 
Ganglion sind hier wieder zu einem Körper vereinigt. Die 
peripheren Zellen sind typische Ganglienzellen (g), die cen- 
tralen chromaifine. 

Querschnitt durch einen Suprarenalkörper von Torpedo oc. 
(Müller’sche Flüssigkeit—Cochenillefärbung). Vergr. ca. 90. 
Der Körper umgreift ein Blutgefäss (Dg). Die Ganglienzellen 
(g) in kleinen Gruppen an der Peripherie, deutlich abgegrenzt 
gegen den eigentlichen Suprarenalkörper, dessen chromaffine 
Zellen (chr z) in ihrer specifischen Reactionsfarbe hervortreten. 
n — Nierenkanälchen. 

Die Hälfte eines dem in Fig. 7 dargestellten ähnlichen Quer- 
schnittes durch einen Suprarenalkörper von Torpedo oc. 
(Müller’sche Flüssigkeit—Cochenillefärbung). Vergr. ca. 160. 
Die Ganglienzellen (g), gesondert vom eigentlichen Suprarenal- 
körper, meist zweikernig, der Zellleib geschrumpft. Vereinzelte 
Ganglienzellen (gz) innerhalb des Körpers; die chromaffinen 
Zellen (chr z) in charakteristischer Färbung; bg = Blutgefäss; 
n —= Nerv; nk = Nierenkanälchen. 

Partie aus einem Querschnitt durch einen Suprarenalkör- 
per von Torpedo oc. (Müller’sche Flüssigkeit—Cochenille- 
färbung). Vergr. ca. 500. Vereinzelte Ganglienzellen (g) in- 
mitten der chromaffinen Zellen (chr z); letztere von verschie- 
dener Form und Grösse, mit deutlichen Fortsätzen (f). Die 
feinen Ausläufer sind auf die durch Kaliumbichromat be- 
dingte Schrumpfung zurückzuführen. 


313 


Ueber die Secretionserscheinungen der Gift- 
drüse der Kreuzotter. 


Von 


W. Lindemann, 
Privat-Docent der Allg. Pathologie an der k. Universität Moskau. 


Hierzu Tafel XVI. 


Die Giftdrüsen der Schlangen sind, wie es im Speciellen 
die eingehenden Untersuchungen von Reichel!) erwiesen 
haben, den Oberlippendrüsen der anderen Ophidier und also den 
Mundhöhlendrüsen der Säugethiere homolog. Da aber durch eine 
eigenartige Veränderung der Function aus einer ein Verdauungs- 
secret liefernden Drüse, dieselbe zu einem Organ geworden ist, 
welches eine ganz anders zusammengesetzte Flüssigkeit secernirt, 
wodurch auch in der Struetur manche nicht unbeträchtliche Ab- 
weichungen entstanden sind, so ist vor der Hand nicht zu er- 
sehen, ob die Agentien, welche auf die normal ausgebildete 
Speieheldrüse einflussreich sind, auch bei den Giftdrüsen dieselbe 
Wirkung ausüben werden. 

Wir wissen, dass, obgleich Atropin und Pilocarpin ganz all- 
gemein als Drüsengifte anzusehen sind, ihre Wirkung, je nach 
der Art der Drüse, sehr verschieden ist, so dass zum Beispiel 
bei der Milehdrüse nur die Zusammensetzung des Secrets, aber 
nicht dessen Quantität beeinflusst wird, während bei der Leber 
und der Schilddrüse nur die mikroskopischen Zellveränderungen 
in Betracht kommen, die dabei so minutiös sind, dass die meisten 
Forscher sie selbst gänzlich in Abrede stellen ?). Ich selbst 


1) Reichel, Beitrag zur Morphologie der Mundhöhlendrüsen der 
Wirbelthiere. Morphol. Jahrb. Bd. VIII. 1882. 

2) Vgl. Cornevin, Comptes rendues CXVI, 263. 

3) Vgl. dieAngaben von Afanassieff(Pflüger’s Arch.Bd. XXX) 
und Ellenberger und Baum (Arch. f. wiss. Thierheilk. Bd. XII), 
sowie die Arbeiten von Schmidt (Arch. f. mikr. Anat. Bd 37) und 
Andersson (Arch. f. mikr. Anat. Bd. 35). 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 21 


314 W. Lindemann: 


konnte in den Lebern der mit Atropin und Pilocarpin vergifteten 
Schlangen auch keine Veränderungen finden. 

Deswegen schien es mir nicht ohne Interesse zu sein, diese 
Frage einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen, wofür ich 
während meines Aufenthaltes in Königsberg, wo die Kreuzotter 
sehr gemein ist, die beste Gelegenheit hatte. 

In der diesbezüglichen Literatur, die überhaupt nicht eine 
sehr reiche zu nennen ist, habe ich nur eine einzige Angabe von 
Reichel gefunden, die wie folgt lautet: 

„— injieirte ich einer Kreuzotter im Verlauf einer Stunde 
ca. 0,03 Pilocarpin unter die Haut, tödtete das Thier 20 Minuten 
nach der letzten Einspritzung, präparirte die Drüsen (gl. sublin- 
gualis) sofort heraus und untersuchte sie sodann auf gleiche Weise, 
wie die Drüsen einer ungereizten Kreuzotter. 

„Die in Alcohol gehärteten Drüsen wurden mit Pierokarmin 
gefärbt und in feine Schnitte zerlegt; letztere wurden in Glycerin 
eingelegt. Es zeigte sich Folgendes: An den Lippendrüsen war 
die Zahl der hohen glashellen Cylinderzellen vermindert, die 
dunkelen, stark granulirten niedrigen Zellen in weit grösserer 
Ausdehnung vorhanden, als bei der ungereizten Drüse. An den 
Unterzungendrüsen erblickte ich fast ausschliesslich ein niedriges 
dunkles Cylinderepithel, die Zellgrenzen waren nur schwach 
sichtbar; der an der ruhenden Zelle dicht an die Basis gerückte 
kleine Kern war bedeutend vergrössert, mehr nach der Mitte der 
Zelle gerückt und schien nur eine runde Form angenommen zu 
haben. Es zeigten sich also dieselben Veränderungen, wie sie 
von den Säugethieren bekannt sind.“ 

Die Giftdrüse ist also speciell gar nicht erwähnt, wahr- 
scheinlich war sie wenig verändert. 

Reichel giebt leider nicht an, wie gross die Dosis bei 
einer jeden Einspritzung war; da er aber an einer anderen Stelle 
die Angabe Leydig's bestreitet, dass die Epithelkerne der 
funetionirenden Drüse nach der freien Oberfläche rücken, so ist 
es anzunehmen, dass diese einzelnen Gaben sehr klein waren. 
Solche Gaben erzeugen aber, wie es z. B. vonHeidenhain!) 
an den Speicheldrüsen der Säugethiere festgestellt ist, zwar eine 
Secretentleerung, aber keine ebenso schnelle Wiederherstellung 


1) Herrmann’s Handbuch der Physiologie Bd. V. 


Ueber die Secretionserscheinungen der Giftdrüse der Kreuzotter. 315 


des entleerten Secrets, so dass die Drüsen wie nach einer pro- 
longirten Chordareizung aussehen, das heisst, ihre Zellen er- 
scheinen verkleinert und protoplasmareich. Derartige Verände- 
rungen hat also auch Reichel an der Unterzungendrüse bei 
seinem Versuch gefunden. 

Ein anderes Verhalten zeigen die Drüsen bei sehr grossen 
Pilocarpingaben. Sie werden dann erst zu einer sehr starken 
Seeretion angeregt, nachher aber wird die Ausscheidung sehr 
bald paralysirt, so dass das Protoplasma der Zellen mit Seeret- 
körnern gefüllt bleibt. Es ist daraus ersichtlich, dass zum Studium 
der Seeretionserscheinungen derartige toxische Dosen am meisten 
geeignet sind. 

Was die von mir gewählte Versuchsanordnung anbetrifft, 
so war sie die folgende. Die frisch eingefangenen munteren 
Thiere wurden mittelst einer Zange am Schwanze gefasst, mit 
dem Kopfe nach unten gehalten und in einen engen Glaseylinder 
hineingelassen, wo sie sich nicht umdrehen konnten. Dann wurde 
ein Tuch umgeschlagen, das Thier mit dem Cylinder durch 
dasselbe festgehalten und eine Injection unter die Rückenhaut 
vorgenommen. Die Nadel muss sehr weit unter die Haut einge- 
stochen werden, weil sonst, wegen der geringen Elasticität der- 
selben, die Hauptmasse der injieirten Flüssigkeit wieder ausfliesst. 
Auf diese Weise wurden je drei Schlangen mit Atropin und mit 
Pilocarpin vergiftet. 

Das Atropin hat in ziemlich grossen Dosen (bis 0,05) nur 
eine geringe Giftwirkung — die Thiere werden etwas aufgeregt, 
beissen wüthend um sich, aber weder in dem Zustande der Pu- 
pillen noch in den Bewegungen des Leibes ist was Abnormes zu 
bemerken. Nur eins der drei Thiere, bei welchem ich successive 
bis 0,1 Atropini sulfuriei injieirt habe, ist an der Vergiftung in 
5!/, Stunden gestorben. Etwa eine Stunde vor dem Tode wurde 
es weniger munter, die Bewegungen wurden immer schwächer 
und unbeholfener, bis zum Schlusse eine vollständige Paralyse 
eingetreten ist. Krämpfe, die nach Atropin bei Fröschen auf- 
treten !), habe ich bei Schlangen nicht gesehen. Die mit kleineren 
Dosen vergifteten Thiere zeigten ausser einer gewissen Steige- 
rung der Erregbarkeit nichts Abnormes und wurden nach fünf 
Stunden durch Decapitation getödtet. 

1) Vgl. Kobert, Lehrbuch d. Intoxicationen 1893. S. 609, 


316 W. Lindemann: 


Das Pilocarpin ist dagegen für die Kreuzotter ein ziemlich 
heftiges Gift, so dass es nicht leicht verständlich ist, wie Reichel 
bei der Injeetion von 0,03 keine Vergiftungserscheinungen be- 


kommen hat. Wenn ich dieselbe Dosis von Pilocarpinum hydro- 


chlorieum (Merck) auf einmal injieirte, so war im Verlauf von 
20 Minuten eine gesteigerte Secretion des Speichels zu bemerken, 
so dass überall, wo das Thier mit der Schnauze die Wand des 
Behälters berührt hatte, feuchte Spuren geblieben sind. Bald 
darauf traten Zuckungen in den Rumpfmuskeln auf, denen sich 
bald ein convulsives Rachenaufsperren und Hervorschieben des 
Penis hinzugesellte. Nach 40 Minuten fand der erste Anfall von 
tetanischen Krämpfen statt, der sich als ein korkenziehenförmiges 
Zusammenrollen des Leibes darbot. Diese Anfälle dauerten ca. 
drei Stunden mit kleinen freien Zwischenräumen und während 
dieser Zeit wurde auch die Speichelseeretion immer stärker. 
Nach drei Stunden fingen die Anfälle an schwächer zu werden 
und das Thier wurde durch Decapitation getödtet. 

Ein anderes Thier wurde mit absolut tödtlicher Dosis Pilo- 
carpin vergiftet (0,06) und ist in 2 Stunden eingegangen. Die 
Erscheinungen waren ungefähr dieselben, nur ist die Wirkung 
etwas früher eingetreten. 

Eine dritte Kreuzotter bekam nur 0,005 und wurde nach 
3 Stunden getödtet. Von den Vergiftungserscheinungen ist nur 
Speichelfluss eingetreten. 

Ausserdem wurden 2 Ringelnattern mit Atropin und Pilo- 
cargin vergiftet. Das Atropin wirkt auf die Ringelnatter viel 
stärker, so dass 0,03 schon eine tödtliche Dosis ist. 

Die Köpfe aller vergifteten Schlangen und zwei normaler 
Kreuzottern, von denen eine kurz vorher eine Maus durch ihre 
Bisse getödtet hatte (das Thier wurde im Ganzen 5 Mal gebissen), 
wurden enthäutet und 6 Stunden lang in Sublimat fixirt, gründ- 
lich durchgewaschen und in Alkohol aufgehoben. Die aus dem 
fixirten Präparat entnommenen Drüsen wurden in Celloidin ein- 
gebettet und mit dem Jung schen Mikrotom geschnitten. Die 
Schnitte wurden nach van Giesson gefärbt. 

Um die Veränderungen des secernirenden Parenchyms durch 
die Giftwirkung beurtheilen zu können, ist es nothwendig, erst 
das Verhalten des normalen Organs zu besprechen. 

Die Giftdrüse der Kreuzotter (Pelias berus) wurde zuerst 


Ueber die Secretionserscheinungen der Giftdrüse der Kreuzotter. 317 


von Meyer!) und vonLeydig?) eingehend in ihrer feineren 
Struktur untersucht. Meyer giebt an, dass das giftabsondernde 
Parenchym aus glashellen, nebeneinander liegenden zelligen Ele- 
menten besteht, welehe den Drüsenraum völlig erfüllen. Diese 
irrige Angabe, welche wahrscheinlich durch Untersuchung nicht 
fixirter Drüsen entstanden ist, wurde schon von Leydig be- 
richtigt, dessen Beobachtungen bis jetzt das Wichtigste aus- 
machen, was wir von diesen Drüsen wissen und im Grossen und 
Ganzen auch durch spätere Untersuchungen von Reichel und 
Niemann’) bestätigt worden sind. Wie aus den leider an sehr 
ungeeignet conservirtem Materiale angestellten Untersuchungen 
des letzteren zu sehen ist, ist die Struktur der Giftdrüsen bei 
den meisten Schlangen sehr ähnlich, der Hauptuntersehied ist die 
Weite der Drüsenschläuche, welche am weitesten bei den Cro- 
taliden (0,36—0,45 mm) und am engsten bei den Elapiden 
(0,23-—0,24 mm). Ein abweichendes Verhalten zeigen aber nach 
der Zusammenstellung Hoffmann’s) die Drüsen des Caussus 
rhombeatus Wagl., die durch ihre Grösse und ausgeprägt tu- 
bulöse Struktur sich auszeichnen, ferner die mit einander ver- 
wachsenen Riesendrüsen von Callophis und die in zwei ver- 
schieden gebaute Abschnitte getheilten Drüsen der Naja. 

Was die Giftdrüse der Kreutzotter anbetrifft, so stellt sie 
einen ungefähr dreieckigen Körper dar, welcher hinter der 
Orbitaldrüse geiegen ist und von einer derben elastischen Mem- 
bran, so wie auch von zahlreichen Muskelsträngen umgeben wird. 
Unter dieser Hülle liegt weiches Bindegewebe, welches zahlreiche 
Maschen bildet — die von Leydig zuerst beschriebenen Lymph- 
räume. Dieses Bindegewebe verbreitet sich auch zwischen den 
Drüsenschläuchen und führt Gefässe und Nerven [nach Gaupp’) 
Endäste des N. maxillaris superior V]l. Die Gefässe sind gut 
entwickelt und enthalten manchmal zahlreiche Blutkörperchen. 
Das Parenchym der Drüse besteht aus wunregelmässigen, sehr 
verschieden geformten und langgezogenen Schläuchen, die alle 
nach vorn, dem Ausführgange zu, convergiren und ein weites 


1) Meyer, eit. nach Hofmann, Bronns Klass. u. Ordn. Bd. VI. 
2) Leydig, Arch. f. mikr. Anat. 1873. 

3) Niemann, Archiv f. Naturgeschichte 1892. 58. J. Bd. 1. 

4) Hofmann, Bronns Klass. u. Ordn. Bd. VI. 2. 

5) Gaupp, Morphol. Jahrb. 14. S. 438. 


318 W. Lindemann: 


Lumen besitzen. Die Wandungen dieser Schläuche bestehen aus 
einschichtigem eylindrischem Epithel, dessen Zellen je nach Um- 
ständen höher oder niedriger sind. 

Von den genannten Autoren halten Leydig und Reichel 
die Giftdrüse für tubulös, Niemann gibt an, dass die Schläuche 
eine ganz unregelmässige Form besitzen, was ich bestätigen 
kann. Da ein jeder Unterschied zwischen den Epithelien des 
Drüsenparenchyms und des Ausführungsganges fehlt, was auch 
Leydig und Reichel gefunden haben, so ist gewiss die 
Drüse nicht acinös zu nennen und muss in der That als eine 
secundär veränderte tubulöse Drüse angesehen werden, wofür 
auch die Verhältnisse bei Caussus rhombeatus Wagl. sprechen. 

Was den Bau der Epithelien des secernirenden Drüsen- 
parenchyms anbetrifft, so sind unsere Kenntnisse darüber ziemlich 
dürftig. 

Leydig gibt an, dass das Epithel aus kleinen niedrigen 
Cylinderzellen besteht, deren Kern weit nach vorn liegt und die 
von einander durch feine Intercellulargänge getrennt sind, die 
je nach dem Zustande der Füllung als helle oder dunkele Streifen 
zwischen den Zellen zu sehen sind. 

Reichel schreibt folgendes: „Das der Wand unmittelbar 
aufsitzende Epithel erscheint als ein niedriges Cylinderepithel; 
die Zellen sind schmal, dieht gedrängt und zeigen ein mehr oder 
weniger stark granulirtes Protoplasma; die Zellränder sind nur 
schwer zır erkennen, der Kern ist bald kleiner, bald grösser und 
der Basis der Zelle nahe gerückt. Leydig gibt an, den Zell- 
kern bald ganz an der Basis, bald an der Zellspitze gefunden 
zu haben und schiebt dies verschiedene Verhalten den verschie- 
denen Funetionsstadien zu. Muss ich auch zugeben, dass die 
Kerne an den verschiedenen Schläuchen verschieden weit von 
der Basis entfernt sind, so finde ich doch nirgends weder an 
der unthätigen, noch an der dureh subeutane Pilo- 
earpininjection in Thätigkeit versetzten Drüse 
die Zellkerne der Spitze so nahe gerückt, wie dies Leydig 
andeutet.“ 

„Zerzupft man die frische Drüse in 0,6°/, Kochsalzlösung 
oder macerirt man ein Stück durch 24 Stunden in Müller'scher 
Flüssigkeit, färbt es dann in Karmin und zerzupft in Glycerin, 
so sieht man, dass die Zellen doch nicht rein eylindrisch sind, 


Ueber die Secretionserscheinungen der Giftdrüse der Kreuzotter. 319 


sondern zwar einen cylindrischen Zellleib haben, der sich aber 
in einen mehr oder weniger unregelmässigen in Karmin nicht 
färbbaren Fortsatz auszieht. Die meisten Zellen haben nur einen 
dreieckigen, in eine Spitze endenden Fortsatz, andere deren zwei; 
wieder bei anderen ist derselbe hakenförmig umgebogen und 
dgl. m. Der Zellkern ist rund und färbt sich in Karmin; an 
einzelnen Zellen konnte ich deutlich zwei Kerne wahrnehmen, 
bald direet aneinander eben in Theilung begriffen, bald getrennt. 
Das Zellprotoplasma ist körnig; inihm sieht man meist 
noch eigenthümliche, stark lichtbrechende Kör- 
perchen, die auch schon Meyer gesehen zu haben scheint.“.... 

Niemann nennt das Epithel der Giftdrüse eubisch und 
gibt an, dass der Kern in der Mitte der Zelle gelegen ist. Nach 
seinen Messungen ist die Höhe des Epithels 38—46 u. 

Was also die Seeretionserscheinungen anbetrifft, so ist bei 
keinem dieser Autoren irgend welche nähere Angabe zu finden, 
von den „liehtbreehenden Körperehen“ Reichel’s abgesehen, die 
wahrscheinlich intracellular gelegenes Secret darstellen. 

Das Secret selbst verdient wohl auch eine Erwähnung, 
da es ein sehr interessantes Verhalten bei Sublimatfixation zeigt, 
welches auf einige andere Secretionsvorgänge zurückzuschliessen 
erlaubt. Dies Secret wird nämlich durch Sublimat in der nor- 
malen und noch besser in der atropinisirten Drüse derartig coa- 
sulirt, dass es das Aussehen einer hyalinen Masse bekommt, 
welehe dem Colloid der Schilddrüse täuschend ähnlich ist und 
auch sehr ähnliches Verhalten gegen Farbstoffe zeigt. Am Rande 
dieser Colloidklumpen sieht man auch die sogenannten Vacuolen, 
welche aber, wie ich es schon in Betreff der Schilddrüse gezeigt 
habe, nicht etwa durch Fixation entstandene Artefacte, sondern 
nur frisch secernirte Secrettropfen darstellen. 

Meine eigenen Untersuchungen über den Bau und die func- 
tionellen Veränderungen der secernirenden Epithelzellen der Gift- 
drüse haben Folgendes ergeben: 

Die Form und die Grösse der Zellen ist ganz von dem 
Zustande des Thieres abhängig und vor allem davon, ob es vor 
kurzem gebissen hat oder schon lange in Gefangenschaft ist. 

Als Typus will ich den Bau der Zellen darstellen, die von 
einer frisch eingefangenen Schlange stammen, welche ihre Drüse 
soeben durch Beissen entleert hat und sofort getödtet wurde. 


320 W. Lindemann: 


Einen Schnitt soleher Drüse stellt unsere Fig. 1 dar. Die aus 
demselben Präparat entnommenen Zellen, die auf der Fig. 2 ab- 
gebildet sind, bieten folgende Besonderheiten. Die Kerne sind 
dunkel tingirt, nicht über einen halben Diameter der Zellbasis 
gross und stehen von der Basis der Zelle etwas ab. Die Kör- 
nung des Protoplasmas nimmt von unten nach oben zu und ist 
am freien Rande der Zelle am stärksten. Bei einer Drüse, 
welche von einem Thiere genommen ist, das längere Zeit in 
Gefangenschaft war, und mehrere Tage nicht gebissen hat, ist 
die Körnung des Protoplasmas viel heller und mehr gleichmässig 
über die ganze Zelle vertheilt. Die ungefähre Grösse der Zellen 
aber bleibt unverändert. 

Wird dagegen eine Drüse von einer mit Pilocarpin ver- 
gifteten Kreutzotter untersucht, so fällt sofort auf, dass die 
Zellen stark vergrössert und ihr Protoplasma viel heller ist. 
Ausserdem sind auch die Kerne verhältnissmässig grösser und 
etwas heller geworden. Die Körnung des Protoplasmas ist am 
stärksten in den basalen Theilen der Zelle. Das Secret, welches 
die Drüsenschläuche füllt, besteht aus einer schaumigen Substanz 
und verhält sich gegen Farbstoffe etwas anders als in der Norm. 
Das normale Secret färbt sich z. B. durch van Giesson’sches Ge- 
misch leuchtend Orangegelb, das von der pilocarpinisirten Drüse 
dagegen schmutzig Rosa (Fig. 3 und 4). 

Bei Atropinvergiftung wird dagegen das Secret fest und 
liegt in Form von homogenen Schollen in jedem Drüsenschlauch ; 
am Rande dieser Schollen ist es nur hier und da mit spärlichen 
Vacuolen besetzt. Die Epithelzellen der vergifteten Drüse werden 
sehr niedrig, die Kerne werden sehr dunkel und in die Breite 
gezogen und dabei merklich verkleinert. Das Protoplasma ist 
auch sehr dunkel und fast homogen (Fig. 5 und 6). 

Da die Pilocarpinwirkung bei jeder Dosirung dieselbe ist 
und, gleichgültig ob das Thier an der Giftwirkung zu Grunde 
gegangen ist oder getödtet wird, in einer Secretionssteigerung 
besteht, so ist anzunehmen, dass die Giftdrüse sich den Drüsen 
mit continuirlicher Seceretion, wie die Leber- und die Schilddrüse, 
ähnlich verhält. Eine Paralyse der Seeretion, ist nur durch 
Atropin zu erreichen. 

Der Process der Seeretion besteht also, der Speichel- 
seceretion analog, in dem Auftreten von homogenen Tröpfehen 


Ueber die Secretionserscheinungen der Giftdrüse der Kreuzotter. 321 


im Potoplasma der Zellen, welches dabei heller wird. Das Proto- 
plasma der gesunden Zellen besteht grösstentheils aus diesen 
Tröpfehen, wie es aus dem Bilde einer atropinisirten Zelle zu 
schliessen ist, wo diese Tröpfehen fehlen, weshalb die Zellen 
stark verkleinert erscheinen. Bei der physiologischen Entleerung 
wird sofort die Peripherie der Zellen dunkler gekörnt, was 
augenscheinlich von dem Ausscheiden des Seerets abhängig ist. 
Bei der Pilocarpinvergiftung sieht man dagegen eine Steigerung 
der Bildung dieser hellen Tropfen, weshalb die Zellen viel höher 
und heller werden. 

Zu Schlusse muss ich noch hinzufügen, dass die homologe 
Oberlippendrüse der Ringelnatter (Tropidonotus natrix) weder 
durch Atropin noch durch Pilocarpin irgendwie in ihrem Aus- 
sehen verändert wird. Als Beispiel gebe ich eine Abbildung 
einer pilocarpinisirten Drüse der Natter bei (Fig. 7). 

Hiermit meine Arbeit abschliessend, benutze ich die Ge- 
legenheit, Herrn Professor Dr. Max Braun für die gütige 
Aufnahme in sein Laboratorium meinen besten Dank auszu- 
sprechen. 

Koöntesberg i. PY 27 1171898. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVI. 


Fig. 1. Normale Giftdrüse der Kreuzotter, die soeben gebissen hat. 
Vergr. Oe. 2. Syst. DD. Zeiss. 

Fig. 2. Einzelne Zellen derselben Drüse. Vergr. Oc. 4. Syst. Hom. 
Imm. 1/g Zeiss. 

Fig. 3. Einzelne Zellen einer pilocarpinisirten Drüse. Vergr. Oc. 4. Syst. 
Hom. Imm. !/ja Zeiss. 

Fig. 4 Pilocarpinisirte Drüse mit schaumigem Inhalt. Vergr. Oe. 2. 
Syst. DD. Zeiss. 

Fig. 5. Einzelne Zellen einer atropinisirten Giftdrüse. Vergr. Oec. 2. Syst. 
Hom. Imm. 1/ig Zeiss. 

Fig. 6. Atropinisirte Drüse mit grossen Secretschollen. Vergr. Oe. 2. 
Syst. DD. Zeiss. 

Fig. 7. Pilocarpinisirte Oberlippendrüse einer Ringelnatter. 

Die sämmtlichen Zeichnungen sind von meiner Frau Barbara 
Lindemann angefertigt worden. 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blut- 
körperchen beim menschlichen Embryo. 


Von 


Dr. ©. S. Engel, Berlin. 


Hierzu Tafel XVII. 


Die Unmöglichkeit, aus dem fertigen Blute des Erwachsenen 
einen Einblick in die Entstehungsweise der rothen und weissen 
Blutkörperchen zu gewinnen, hat seit einer Reihe von Jahren die 
Blutforscher veranlasst, das Blut von Embryonen zum Gegenstand 
ihrer Untersuchungen zu wählen. Um mit wenigen Worten den 
jetzigen Stand der Ansichten über die embryonale Blutentwicke- 
lung zu skizziren, sei es mir gestattet, aus dem „Grundriss einer 
klinischen Pathologie des Blutes“ von R. v. Limbeck (2. Aufl., 
Jena 1896) folgenden Abschnitt, der sich mit der Entstehung 
der rothen und weissen Blutkörperchen beschäftigt, hier wieder- 
zugeben (fol. 201): 

„Ueber die Entstehung der rothen Blutkörperchen im Em- 
bryo sind unsere Kenntnisse trotz zahlreicher dahin gerichteter 
Untersuchungen noch sehr unvollkommen. Bereits frühzeitig 
bilden sich in der Area vasculosa des Embryo sog. Blutinseln, 
welche aus freiliegenden Zellen bestehen. Wie diese entstehen, 
ist bis heute strittig. Ein Theil der Autoren leitet sie vom 
Mesoderm, ein anderer vom Entoderm ab. Die ersten Blutzellen 
sind durchaus kernhaltig und vermehren sich auf dem Wege der 
indirekten Theilung. Erst später gesellen sich auch weisse Blut- 
körperchen zu ihnen. In der folgenden Embryonalzeit betheiligt 
sich die Leber insofern an der Blutbildung, als sich die Körper- 
chen in den blindendigenden Ausbuchtungen ihrer venösen Ca- 
pillaren stark vermehren. Schon im fötalen Leben wie auch 
beim erwachsenen Menschen kommen für die Blutbildung jedoch 
ausserdem noch das Knochenmark, Milz und Lymphdrüsen, die 
sog. hämatopoetischen Organe in Betracht. Das embryonale sog. 
rothe Knochenmark, durch das Einwachsen einer periostalen 
Knospe entstehend, enthält folgende morphologische Elemente. 
1) Die sog. Markzellen. Grosse Zellen mit grossem chromatin- 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 323 


armem Kern, der meist in der Einzahl vorhanden und nur selten 
gelappt ist. Diese Zellen kommen im Blute des gesunden, er- 
wachsenen Menschen gar nicht oder gewiss sehr selten vor. 
Bei linaler und gemischter Leukämie sind sie nicht selten im 
Blute zu finden. 2) Kernhaltige rothe (hämoglobinhaltige) Blut- 
körperchen. 3) Eosinophile Zellen und 4) Riesenzellen, welche, 
sofern sie an der Peripherie des Markes liegen, Osteoklasten 
heissen und meistens mehrkernig sind. 5) Mastzellen, meist ein- 
kernige, grob granulirte Zellen mit y-Granulation. Für die embryo- 
nale Blutbildung kommen die kernhaltigen, rothen Blutkörperchen 
in Betracht, welche im Knochenmark durch mitotische Theilung 
schon vorhandener, vielleicht auch aus Leucocyten, die allmäh- 
lich Hämoglobin in sich bilden, entstehen. Beim erwachsenen 
Menschen ist das Knochenmark die Hauptstätte der Blutbildung. 
In der Milzpulpa gelangen wahrscheinlich weniger die rothen als 
die weissen Blutkörperchen zur Ausbildung. Man findet in ihr 
neben fertigen rothen Blutkörperchen, kernhaltige und Zellen, 
welche Trümmer von rothen Blutkörperchen enthalten. Die Mal- 
pighi’schen Körperchen sind als Brutstätten der Leucoeyten an- 
zusehen, von wo dieselben direct in die Pulpa gerathen. Durch 
die Eigenthümlichkeit des capillaren Gefässsystems der Milz 
wird es wahrscheinlich, dass das Blut in direeten Contact mit 
den Pulpaelementen kommt. In den Lymphdrüsen sind stets reich- 
lich kleine mononucleäre Lymphocyten zu finden; in ihrem Cen- 
trum sind oft zahlreiche Mitosen wahrzunehmen, welche für eine 
energische Proliferation derselben an diesem Orte sprechen (Keim- 
centren, Flemming). Es ist anzunehmen, dass sie hier in Mutter- 
zellen der Leucocyten umgewandelt und an die Peripherie des 
Lymphfollikels geschoben werden, von wo sie aus dem weit- 
maschigen Bindegewebe in den Lymphstrom gelangen und so 
dem Kreislauf zugeführt werden. 

Mit fortschreitendem Fötalleben nimmt die Zahl der kern- 
haltigen Blutkörperchen im Blute ab und jene der kernlosen 
zu, was wahrscheinlich auf direeter Umwandlung der ersteren in 
letztere beruht. Wo und wie diese Umwandlung vor sich geht, 
ist zum Theil noch strittig. Einige bezeichnen in erster Linie 
die Leber, andere das eireulirende Blut und die Milz als die 
Hauptstätte dieser Umwandlung. Betreffs des Modus derselben 
lässt die eine Reihe von Autoren den Kern innerhalb der Zelle 


324 2. IS EN EEI: 


einfach zu Grunde gehen und verschwinden (Bizzozero, Neu- 
mann), andere nehmen eine Trennung von Kern und Zelle an 
(Rindfleisch, Howell), und Hayem nimmt überhaupt eine 
von einander völlig unabhängige Entstehung der kernhaltigen 
und kernlosen rothen Blutkörperchen an. Rindfleisch und 
Fellner haben den Austritt des Kerns direet beobachtet, doch 
zweifelt letzterer, hier einen physiologischen Vorgang vor sich 
gehabt zu haben. Ehrlich vereint beide Anschauungen, indem 
er für einen Theil der kernhaltigen, rothen Blutkörperchen, die 
sogenannten Normoblasten, ein Ausgestossenwerden des Kerns 
und für einen zweiten, die sogenannten Megaloblasten, ein endo- 
celluläres Zugrundegehen desselben annimmt. Betreffs der Neu- 
bildung der rothen Blutkörperchen am Erwachsenen lehnt sich 
die Ueberzahl der Autoren an den in groben Zügen geschilderten 
Bildungsvorgang im Embryo und Fötus an.“ 

Ich glaube, diese kurze, aber übersichtliche Skizze v. Lim- 
beck’s hier wiedergeben zu sollen, damit um so leichter die 
Uebereinstimmungen und Abweichungen in der Auffassung über 
die Blutentwieklung, zu denen ich einerseits durch frühere Unter- 
suchungen gekommen bin, die andererseits den Gegenstand dieser 
Veröffentlichung bilden sollen, hervortreten. Bevor ich an die 
ausführliche Schilderung der Beobachtungen herantrete, die ich 
an einer Anzahl von menschlichen Embryonen und Föten ver- 
schiedenen Alters machen konnte, will ich in kurzen Zügen zu 
schildern suchen, zu welchen Ergebnissen ich vor einigen Jahren 
dureh die Untersuehung des Blutes junger Mäuseembryonen (und 
einiger weniger menschlicher Embryonen) geführt worden bin. 
Die jüngsten Mäuseembryonen, die ich hatte untersuchen können, 
waren 5mm lang. Durch Decapitiren derselben und Hinein- 
laufenlassen des Blutes in einen durch zwei Deckgläschen ge- 
bildeten capillaren Raum gewann ich Blutpräparate, die nur eine 
Zellform aufwiesen. Diese Zellen waren kugelig, ca. zwei bis 
drei Mal so gross wie ein normales rothes Blutkörperchen, stets 
kernhaltig; der Kern war vielfach in Mitose begriffen und nahm 
einen verhältnissmässig kleinen Theil der Zelle ein. Das Zell- 
protoplasma liess sich intensiv mit sauren Farbstoffen färben, 
ebenso wie es stets bei den rothen Blutkörperchen der Fall ist. 
Diese Zellform ist also als ein hämoglobinhaltiges, rothes Blut- 
körperchen anzusehen, sie ist jedoch weder identisch mit den 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen ete. 325 


grossen, kernhaltigen, rothen Blutkörperchen der Amphibien und 
Reptilien, noch mit Ehrlich ’s Megaloblasten und Gigantoblasten'). 
Ich habe diese Zellen als „Mutterzellen“, „Metroeyten I. Gene- 
ration“ bezeichnet. In diesem Stadium der Blutentwickelung 
fanden sich weder kernlose rothe Blutkörperchen, noch irgend- 
welche Zellen, die als Leueoeyten angesprochen werden konnten. 
Ich fand mich veranlasst, der Ansieht van der Stricht’s ?) bei- 
zutreten, der behauptet, „dass die ersten Blutkörperchen rothe 
sind, während die weissen später in der Cireulation erscheinen.“ 

Einige Tage später sind die kugeligen Metroeyten I. Ge- 
neration aus dem Blute verschwunden, und statt ihrer finden sich 
kugelige, hämoglobinhaltige Zellen mit einem viel kleineren Kern, 
als ihn der Metrocyt I. Generation besitzt. Von Mitosen ist bei 
diesen Zellen, die ich als Metroeyten II. Generation bezeichnet 
habe, nichts zu sehen. Beide Metrocytenformen nehmen bei 
Triaeidfärbung nach starker Erhitzung mehr das Orange an, die 
kleinkernigen noch mehr als die grosskernigen. In demselben 
Blute — es entspricht einem Mäuseembryo von etwa 12 Tagen 
— fanden sich kleine kernhaltige Rothe, die im Uebrigen den 
Metrocyten II. Generation, namentlich in der Orangefärbung des 
Protoplasmas und dem kleinen Kern ähnlich sind, endlich drittens 
eine zweite Form von kleinen kernhaltigen Rothen, die einen 
verhältnissmässig grossen, stark structurirten Kern und wenig 
Protoplasma enthielten, welches letztere mehr den Fuchsinfarb- 
stoff des Triacid angenommen hatte. Ausser diesen drei Formen 
kernhaltiger rother Blutkörperchen, den orangeophilen, grossen 
Metroeyten II. Generation, den orangeophilen, kleinen, Kernhal- 
tigen Rothen und den fuchsinophilen, kleinen, kernhaltigen Rothen 
fanden sich im Blute drei Formen kernloser rother Blutkörper- 
chen. Die eine Form färbte sich und verhielt sich auch sonst 
wie die gewöhnlichen kernlosen Erythrocyten, die andere Form 
war grösser und entsprach den Macrocyten. Das Protoplasma 
beider hatte dieselbe Farbe wie die Metrocyten und die sich 
orange färbenden, kleinkernigen, kernhaltigen Rothen. Die dritte 
Form der kernlosen Rothen war etwa so gefärbt wie die gross- 


1) Zur Entstehung der körperlichen Elemente des Blutes. Arch. 
f. mikr. Anat. 189%. 

2) Nouvelles recherches sur la genese des globules rouges et des 
globules blanes du sang. Archives de Biologie. 1892. 


326 C.S. Engel: 


kernige Form der kernhaltigen Rothen, nahm also mehr das 
Fuchsin an. Von Leucocyten waren in diesem Alter nur einige 
Lymphkörperehen zu erkennen. Die drei Formen rother Blut- 
körperehen, welche aus dem Triacid besonders das Orange an- 
genommen hatten, d.h. 1. die Metrocyten II. Generation mit 
grossem, kugligem Protoplasmaleib und kleinem, wenig struetu- 
rirtem Kern, 2. die Macrocyten mit grossem, kugligem Proto- 
plasmaleib ohne Kern und 3. die kleinen, orangeophilen, kern- 
haltigen Rothen mit kleinem Protoplasmaleib und einem Kern, 
der dem der Metrocyten in jeder Beziehung gleicht, liessen eine 
Zusammengehörigkeit erkennen. Während einzelne Exemplare 
der Metrocyten II. Generation eine gleichförmig geformte Kugel 
mit einem an der Oberfläche liegenden, kleinen, runden Kern 
bildeten, hatte sich bei anderen um den kleinen Kern herum ein 
Theil der protoplasmatischen Oberfläche derart verdichtet, dass 
es den Anschein erweckte, als ob auf einem orangeophilen Ma- 
erocyten ein kleines, orangeophiles, kernhaltiges Rothes aufläge. 
Diese „Krausenbildung“ wie ich mich ausdrückte, um den kleinen 
Metrocytenkern, liess sich in allen möglichen Uebergangsstadien 
beobachten und ich kam zu der Ueberzeugung, dass ein grosser 
Theil der orangeophilen, kernlosen Macrocyten dadurch entstan- 
den sei, dass sich in dem kernhaltigen Metrocyten ein Theil des 
Protoplasmas der den Kern einschloss, von dem kernlosen Theil 
abgelöst hatte. Ich verglich diese, in der Histologie bisher ohne 
Beispiel dastehende Zellbildung mit dem in die Botanik durch 
Sachs eingeführten Begriff der „Energide*. Auch diese stellt 
einen Theil der Zelle dar, der, um den Kern herumliegend, 
durch diesen mehr beeinflusst wird, als die mehr peripher liegen- 
den Theile der Zelle. Da bei der Fixirung durch Hitze sehr 
leicht Sprünge in den Blutkörperchen entstehen, so lag es nahe, 
diese Krausenbildung um den Metrocytenkern als Kunstprodukt 
anzusprechen. Dagegen war jedoch Folgendes einzuwenden: 
1. Die in den Präparaten in einzelnen kernhaltigen und kernlosen 
Rothen vorhandenen Hitze-Sprünge gingen quer durch die ganze 
Zelle hindurch und waren ohne Weiteres als solche zu erkennen. 
2. Die von den orangefarbenen Metrocyten sich ablösenden oran- 
geophilen, kleinen, kernhaltigen Rothen glichen von dem Augen- 
blick an, wo die ersten Andeutungen von Verdiehtung um den 
Metrocytenkern erkennbar waren bis zum Verlassen des kernlosen 


. 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 327 


Metrocytenrestes in jeder Hinsicht den frei im Präparate liegen- 
den, kleinen, orangeophilen, kernhaltigen Rothen. 3. An den 
kernlosen, orangeophilen Metrocytenresten (Macrocyten) konnte 
in den meisten Fällen die Stelle angegeben werden, wo die Ab- 
trennung des kernhaltigen, rothen Blutkörperchens stattgefunden 
hatte. Während der Macrocyt in der ganzen Peripherie eine 
scharfe Linie (Kugeloberfläche) zeigte, deutete eine zackige, un- 
regelmässige Stelle an der Oberfläche auf den abgelaufenen Vor- 
gang der Loslösung hin. 4. konnte man in einzelnen Exemplaren 
das orangeophile, kleine, kermhaltige Rote noch im Zusammenhang 
mit dem zurückbleibenden orangeophilen, kernlosen Macrocyten 
antreffen. So interessant die Beobachtung ist, dass die kleinen, 
orangeophilen, kernhaltigen Rothen Abkömmlinge der orangeo- 
philen Metroeyten sind, so bedeutungslos ist diese Entwickelungs- 
weise derselben, wenn wir das Blut der späteren embryonalen 
Zeit oder gar dasjenige des Erwachsenen ins Auge fassen. Denn 
weder von der zweiten Hälfte des intrauterinen Lebens an, noch 
im extrauterinen Leben können die orangeophilen, kernhaltigen 
Rothen Abkömnlinge grösserer Zellen sein, weil von der zweiten 
Hälfte des intrauterinen Lebens ab Metrocyten nieht mehr vor- 
handen sind. Nur für eine verhältnissmässig sehr kleine Spanne 
Zeit des embryonalen Lebens hat die Trennung des Metrocyten 
II. Generation in einen kernhaltigen Theil (orangeophiles, kleines, 
kernhaltiges Rothes) und in einen kernlosen Theil (orangeophiler 
Mareocyt) Bedeutung. Es ist das Entwickelungsstadium, welches 
demjenigen folgt, wo alle Blutkörperchen kernhaltig sind. Bei 
der Maus scheint die Bildung von kleinen, orangeophilen, kern- 
haltigen Rothen aus Metrocyten auf den 12. bis 15. Tag der 
embryonalen Entwicklung beschränkt zu sein. Diese Erschei- 
nung, dass der Metrocyt in einen kernhaltigen und einen kern- 
losen Theil sich trennt, von dem der kernlose Theil bestehen 
bleibt, während der kernhaltige sich weiter entwickelt, ist inso- 
fern vom Standpunkt der vergleichenden Anatomie von Interesse, 
als eine ähnliche Beobachtung auch beim Hühnchen gemacht 
werden konnte. Auch bei diesem sind die ersten Blutkörperchen, 
etwa um den dritten Tag der Bebrütung, den Metroeyten I. Ge- 
neration ähnliche, kernhaltige, hämoglobinreiche, kuglige Zellen, 
die vom 5. Tage ab den kleinkernigen Metrocyten I. Generation 
Platz gemacht haben. Beide Zellformen sind jedoch noch nicht 


328 C.S. Engel: 


die definitiven, kernhaltigen Rothen des ausgebrüteten Hühnchens. 
Die länglichen, platten, scheibenförmigen, kernhaltigen Rothen 
des ausgebrüteten Vogels haben um den 8. Tag der Bebrütung 
ihre definitive Form zum Theil noch nieht angenommen; sie sind 
zwar schon scheibenförmig, aber meist noch kreisrund. Diese 
kreisrunden, hämoglobin- und kernhaltigen Blutscheiben hängen 
zuweilen noch mit einer kernlosen, hämoglobinhaltigen Zelle durch 
eine protoplasmatische Verbindung zusammen. Beide Theile, der 
kernhaltige — aus dem sich das kernhaltige rothe Blutkörper- 
chen des Hühnchens entwickelt — und der kernlose — der beim 
Hühnchen zu Grunde geht — sind die Componenten des Metro- 
eyten II. Generation, aus welch’ letzteren beim Hühnchen am 
8. Tage der Bebrütung noch etwa die Hälfte aller Blutzellen 
besteht. Es ist also die interessante Thatsache festzustellen !), 
dass das Blut der embryonalen Maus um den 12. Tag herum 
und das des bebrüteten Hühnereies um den 8. Tag herum zum 
Theil aus kugelförmigen, hämoglobinreichen, kleinkernigen, oran- 
geophilen Metrocyten II. Generation besteht, dass das Blut beider 
ausserdem kernhaltige und kernlose rothe Blutkörperchen besitzt 
— von denen bei der Maus die kernlosen, beim Hühnchen die 
kernhaltigen bei weitem die Majorität bilden —, dass jedoch im 
weiteren Verlauf der Entwickelung bei der Maus die kernlosen, 
beim Hühnchen die kernhaltigen allein verbleiben, während die 
anderen allmählich aus dem Blute verschwinden. 

Auf einen anderen Punkt hatte ich ferner in der betreffen- 
den Arbeit über die Mäuseblutentwicklung aufmerksam gemacht, 
welcher das Verhalten der kernlosen, rothen Blutkörperchen be- 
traf. Bekanntlich besitzt der erwachsene Mensch nur eine Form 
kernloser, rother Blutkörperchen. Es sind dies die kreisrunden, 
dellenhaltigen BJutscheiben, die bei Färbung mit Triacid nach 
starker Erhitzung einen Orange-Farbenton annehmen; bei An- 
wendung von Eosin-Methylenblau oder Eosin-Hämatoxylin färben 
sie sich roth. Denselben Farbenton nehmen die grossen, kern- 
losen, rothen Blutkörperehen, die Macrocyten an, die im Blute 
bei pernieiöser Anämie vielfach gefunden werden und die, wie 
schon erwähnt, in grosser Anzahl zu der Zeit im Blute des Mäuse- 


1) Die Blutkörperchen des bebrüteten Hühnereies. Arch. f. mikr. 
Anatomie. 1895. 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 329 


embryonen vorkommen, wenn zum ersten Male kernlose Rothe im 
Blute auftreten. Bei schweren Anämien findet sich jedoch im 
Blute von Kindern sowohl wie bei Erwachsenen noch eine an- 
dere Form kernloser, rother Blutkörperchen, die sich erstens 
dadurch von den eben besprochenen zwei Formen — den 
normalen Erythroeyten und den Macrocyten — unterscheidet, 
dass sie eine mehr unregelmässige, lappige Oberfläche besitzt, 
besonders aber dadurch, dass sie bei Färbung mit Eosin-Häma- 
toxylin oder Eosin-Methylenblau keinen rothen, sondern einen mehr 
violetten Farbenton annimmt. Gabritschewsky hat diese Zellen 
als Vorstufen bezeichnet und spricht von Jugendformen der rothen 
Blutkörperchen. Dieser Ansicht widerspricht Ehrlich, der an- 
nimmt, dass dieselben als Absterbe-Erscheinung normaler rother 
Blutkörperchen aufzufassen sind. Aus folgenden Gründen bin ich 
zu einer etwas abweichenden Auffassung gelangt. Die polychro- 
matischen kernlosen, rothen Blutkörperchen sind auch durch 
Ehrlich’s Triacid darstellbar; sie nehmen bei Anwendung 
starker Erhitzung von den beiden sauren Farbstoffen (Orange-G 
und Säurefuchsin) mehr das Fuchsin an. Im embryonalen Blute 
kommen sie ebenfalls vor. Bei der Maus habe ich sie am zahl- 
reichsten um den 15. Tag der Entwickelung herum angetroffen. 
Sie sind etwa von der Grösse der normalen, rothen Blutkörper- 
chen, haben eine mehr lappige Oberfläche, sie besitzen selten 
eine Delle und nehmen bei Triaeidfärbung einen mehr rothvio- 
letten Farbenton an. Wie im Blute des postembryonalen Lebens 
unterscheiden sie sich meistens scharf von den orthochromatischen 
oder monochromatischen kernlosen Rothen, die, wie wir gesehen, 
mehr das Orange annehmen, die scharfe Begrenzung der Kugel- 
oberfläche zeigen und im Embryo zuweilen, beim Erwachsenen 
bekanntlich fast immer, eine Delle besitzen. Um die verwandt- 
schaftlichen Verhältnisse der polyehromatophilen, kernlosen Rothen 
festzustellen, eignet sich das embryonale Blut jüngeren Stadiums 
bedeutend besser als das anämische Blut des Erwachsenen, weil 
wir im embryonalen Blute ausser den beiden Formen der kern- 
losen Rothen (den orthochromatischen und polychromatischen) 
auch die zugehörigen kernhaltigen Rothen stets vor Augen haben. 
Von orthochromatischen kernhaltigen Rothen haben wir im Blute 
des 12tägigen Mäuseembryonen zwei Formen, den Metroeyten 
II. Generation und kleine, orthochromatische, kernhaltige, rothe 
Archiv f. mikrosk. Anat, Bd. 53 22 


330 C.S. Engel: 


Blutkörperchen; von fuchsinophilen, das fuchsinophile, kernbal- 
tige Rothe mit structurreichem Kern und schmalem, lappigem 
Protoplasma. Zahlreiche Uebergänge zwischen den kleinen, oran- 
geophilen, kleinkernigen Rothen (den orangeophilen Normoblasten) 
zu den fuchsinophilen Normoblasten lassen den Schluss zu, dass 
mit dem Wachsthum des Kerns der kernhaltigen Rothen das 
Protoplasma derart verändert wird, dass dieses allmählich mehr 
das Fuchsin aufnimmt. Es lässt sich eine Entwickelungsreihe 
zwischen diesen Zellformen erkennen: als Anfang eine äusserst 
kleine Zelle mit glänzendem, orangefarbenem Protoplasma und 
einem kleinen, wenig structurirten Kern — als Ende eine grosse 
Zelle mit lappigem, fuchsinophilem Protoplasma, das nicht den 
Durchmesser des Kerns besitzt, während dieser, structurreich, 
den grössten Theil der Zelle einnimmt. Während die erstere 
ein kleines, orangeophiles, kermhaltiges Rothes bildet, entspricht 
die letztere Ehrlich's Megaloblasten. Aus den orthochroma- 
tischen Normoblasten entstehen die gewöhnlichen, orthochroma- 
tischen Erythrocyten, aus den polychromatischen, kernhaltigen 
die polychromatischen, kernlosen Rothen. Daraus folgt, dass die 
orthochromatischen, kernlosen Rothen der jüngeren embryonalen 


Zeit zum Theil Macrocytengrösse haben — wenn sie nämlich 
aus Metrocyten hervorgegangen sind — während die polyehro- 


matischen die Grösse der normalen Erythrocyten wenig über- 
schreiten, weil ja auch die meisten polychromatischen, kernhal- 
tigen Rothen des embryonalen Blutes nur die Grösse normaler 
Rother besitzen (also Normoblasten sind). Aus der Entstehung 
der orthochromatischen, kernlosen aus den gleichartigen kern- 
haltigen und dementsprechend der polychromatischen, kernlosen 
aus den polychromatischen, kernhaltigen Rothen ergiebt sich noch 
Folgendes: Wie wir gesehen haben, giebt es vor der Zeit, wo 
kernlose Blutkörperchen im Blute vorhanden sind, ein Stadium, 
wo alle Zellen Kernhaltig sind. Dieses Stadium, welches wir 
bei dem 5 mm langen Mäuse-Embryo vorfanden, besitzt ausser 
den Metrocyten I. Generation nur noch solche II. Generation. 
Von fuchsinophilen (polyehromatischen), kernhaltigen Rothen ist 
in diesem Stadium im Blute noch nichts zu sehen. (Ein geringes 
Abweichen der Färbbarkeit der Metrocyten I. Generation von 
denen II. Generation soll hier unbeachtet bleiben.) 
Fuchsinophile, kernhaltige Rothe entstehen, wie wir gesehen 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 331 


haben, im Blute erst durch Heranwachsen aus den kleinen, 
orangeophilen, kernhaltigen Rothen. Es können fuchsinophile, 
kernlose Rothe erst entstehen, wenn aus orangeophilen, klein- 
kernigen, fuchsinophile, grosskernige Rothe geworden sind. Es 
müssen also die polyehromatischen, kernlosen Rothen jünger sein 
als die orthochromatischen Erythrocyten. Es soll gleich an dieser 
Stelle hervorgehoben werden, dass diese Unterscheidung nur beim 
Jüngeren embryonalen Blute durchzuführen ist, dass insbesondere 
die Verhältnisse im Blute Erwachsener andere sind. Beim Er- 
wachsenen werden, wie ich hier vorweg nehmen will, zwar auch 
orangeophile und fuchsinophile, kernhaltige Rothe gebildet. Dies 
geschieht aber nicht im Blute, sondern im rothen Knochenmark. 
Ferner sind die orangeophilen, kernhaltigen Rothen keine Metro- 
eyten, sondern von normaler Grösse. — Nur bei der pernieiösen 
Anämie erreichen sie zuweilen Metrocytengrösse. — Die Folge 
davon ist, dass die aus den orangeophilen, kernhaltigen Rothen 
entstehenden (orangeophilen) rothen Blutkörperchen ebenfalls von 
normaler Grösse sind. — Nur bei der perniciösen Anämie bilden 
sich Maerocyten. — Die fuchsinophilen, kernhaltigen Rothen 
werden zu gleicher Zeit wie die orangeophilen im Knochenmark 
erzeugt. Die aus ihnen hervorgehenden fuchsinophilen, kernlosen 
Rothen, die bei Anämien in die Blutbahn gelangen, sind also 
nicht Absterbeformen der orangeophilen, sondern gelangen wahr- 
scheinlich als „Aushülfeblutkörperchen* aus dem Knochenmark 
ins Blut, wenn einmal der normale Ersatz von orangeophilen 
Blutkörperchen ins Stocken gerathen ist. Dann kommen auch 
fuchsinophile, kernhaltige Rothe, selbst orangeophile, kernhaltige 
Rothe und — wenn diese letzteren bei perniciöser Anämie zu 
Metrocyten ausgewachsen sind — selbst neben den Macrocyten 
auch Metrocyten ins Blut. 

Bevor ich zu der Schilderung der bei menschlichen Emibryo- 
nen verschiedenen Alters gefundenen Zellen des Blutes und der 
Blutbildungsorgane übergehe, will ich noch mit einigen Worten 
der Kerne der vier Formen der kernhaltigen Rothen (Metrocyten, 
orangeophilen Normoblasten, fuchsinophilen Normoblasten, Megalo- 
blasten) gedenken. Wie seit lange bekannt ist, und wie auch 
ich oben angeführt habe, giebt es im Leben des Säugethier- 
Embryo ein Stadium, wo die hämoglobinhaltigen Blutkörperchen 
sämmtlich Kerne besitzen. Andererseits enthalten die rothen 


332 0.8. Engel: 


Blutkörperchen des erwachsenen Menschen und Säugethiers be- 
kanntlich keine Kerne. Es ist nun zuerst die Frage zu beant- 
worten, ob denn überhaupt eine Beziehung zwischen den kern- 
haltigen und kernlosen Blutkörperchen besteht. Es wäre ja 
denkbar, dass die kernhaltigen Rothen verschwinden und die 
kernlosen einen anderen Ursprung haben. Hierher muss man 
Hayem’'s Theorie der Blutentwickelung im postembryonalen 
Leben rechnen, der zwei Entstehungsmodi der kernlosen Blut- 
körperchen annimmt, eine aus den Blutplättchen, die er Hämato- 
blasten nennt, und eine aus den kernhaltigen Rothen. Im All- 
gemeinen herrscht jedoch, wie wir im Eingang dieser Abhandlung 
sahen, die Annahme vor, dass die kernlosen Rothen aus den 
kernhaltigen hervorgehen und zwar dadurch, dass der Kern auf 
irgend eine Weise unsichtbar wird. Soll das kernhaltige Rothe 
kernlos werden, so giebt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder 
verlässt der Kern den hämoglobinhaltigen Theil und es resultiren 
aus der Zelleinheit (Protoplasma plus Kern) zwei Einheiten; oder 
der Kern verlässt das Protoplasma nicht, er verändert sich jedoch 
so, dass er für das Auge unsichtbar, für die Färbung nicht mehr 
darstellbar wird. 

Man könnte bei der zweiten Möglichkeit an die Auffassung 
erinnert werden, die über die Kerntheilung herrschte, bevor 
Flemming die Vorgänge bei der Karyokinese klar legte. 
Damals, als noch keine geeignete Färbungs- und Fixirungs- 
methode für die Darstellung der mitotischen Figuren vorhanden 
war, wurde bekanntlich ebenfalls angenommen, dass der Kern 
bei der Theilung sich auflöse und erst nach derselben wieder 
sichtbar werde. Wenn man, wie etwa bei der embryonalen 
Maus am 12. Tage der Entwickelung, neben grossen, orange- 
ophilen, kugligen Zellen mit Kern, den Metrocyten, ebensolche 
ohne Kern, die Macrocyten antrifft, wenn ferner neben kleinen, 
orangeophilen Zellen mit Kern, gleichgrosse orangeophile ohne 
Kern angetroffen werden, wenn endlich in demselben Präparat 
kernhaltige Blutkörperchen mit polychromatischem, lappigem 
Protoplasma neben ebensolchen ohne Kern vorkommen, dann 
liegt die Vermuthung ausserordentlich nahe, dass je eins dieser 
drei Zellpaare mit einander verwandt ist. — Die fuchsinophilen 
Megaloblasten verhalten sich wie die fuchsinophilen Normo- 
blasten. — Wo bleibt der Kern? Nehmen wir zunächst an, 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen ete. 333 


jeder Kern verlässt sein zugehöriges hämoglobinhaltiges Proto- 
plasma, dann müssten wir im Blute eben so viel Kerne wie kern- 
lose Rothe haben, da, wie wir ja gesehen‘, wenige Tage vorher 
noch jedes Rothe einen Kern besass. Wie stellt sich nun das 
Verhältniss der kernhaltigen zu den kernlosen Rothen am 12. 
Tage des Mäuseembryonen ? Es kommen auf ca. 20 bis 30 
Rothe ohne Kern erst eins mit Kern. Es müsste also die Zahl 
der freien Kerne sich zu den kernhaltigen Rothen ebenfalls wie 
20 bis 30 zu 1 verhalten. Davon ist jedoch gar keine Rede. 
Wenn man in fünf bis sechs Gesichtsfeldern ein einem Metro- 
eytenkern ähnliches Gebilde (mit einem äusserst schmalen, 
hämoglobinfreien Protoplasmasaum) findet, hat man Glück ge- 
habt. Zuweilen freilich findet man, namentlich beim Menschen, 
etwas mehr. Also selbst wenn wir mit Rindfleisch an- 
nehmen, dass der Kern das kernhaltige Rothe verlassen kann, 
haben wir noch nicht die Frage beantwortet, was aus dem Kern 
der übrigen kernhaltigen Rothen geworden ist. Bestände bereits 
in dem vorliegenden Alter ein Blutbildungsorgan, dann könnte 
man annehmen, die Kerne seien in diesem zurückgehalten worden 
und nur das kernlose Rothe sei im die Blutbahn gelangt. Aber 
in dem vorliegenden Alter ist noch das Blut selbst Blutbildungs- 
organ; selbst die Leber, die in diesem Alter bereits an der Blut- 
bildung Theil nimmt, lässt sich, wie wir gleich sehen werden, 
zur Erklärung des Kernschwunds nicht heranziehen. Wir sind 
also unter allen Umständen genöthigt, auch wenn wir den viel- 
fach — auch von mir — behaupteten Kernaustritt (mit einem 
feinen hämoglobinfreien Protoplasmasaum) als sicher hinstellen, 
eine Karyolyse anzunehmen. Da ich auf diese Frage im Verlauf 
dieser Abhandlung nicht wieder zurückkomme, will ich bei dieser 
Gelegenheit erwähnen, dass ich bei zweitägigem Fixiren von 
Blutpräparaten drei- bis viermonatlicher menschlicher Embryonen 
und zweitägigem Färben in kaltem Eosin-Methylenblau von 
Chenzinsky in einer grossen Anzahl kernloser, rother Blut- 
körperehen um die Mitte der Zelle herum eine bläuliche, körnige 
Masse zur Ansicht bekam, die möglicherweise als Kernrest anzu- 
sprechen ist!). Mit dem Unsichtbarwerden hat meines Erachtens 


1) Nach der Würdigung, die ich der Dissertation Pappenheim’s 
(Berlin 1895) in meiner Arbeit „Ist die perniciöse Anämie als Rück- 


334 C.S. Engel: 


der Kern der kernhaltigen Erythrocyten seine Rolle noch nicht 
gänzlich ausgespielt. In der oben angeführten Arbeit habe ich 
auf Beziehungen der Blutplättchen zu den kernlosen, rothen Blut- 
körperchen hingewiesen, auf die ich glaube, an dieser Stelle 
noch einmal zurückkommen zu sollen. Nicht alle kernlosen, rothen 
Blutkörperchen haben, wie es gewöhnlich angegeben wird, eine 
Delle; es gibt auch einige, die eine Kugelform zeigen. Solche 


Kugelformen kann man in fast jedem Blute finden — wenn man 
sich nur einer einwandsfreien Fixirungs- und Färbungsmethode 
bedient — welches zahlreiche Blutplättehen besitzt. Dann kann 


man auch die Ansicht Foä’s bestätigen, dass die rothen Blut- 
körperchen eine peripheren Schicht, die Hämoglobinschicht, 
besitzen, während das homogene Zellprotoplasma den Inhalt 
der Zelle bildet. Bei Triacidfärbung nach starker Erhitzung 
färbt sich die Hämoglobinschicht orange, das von derselben ein- 
geschlossene, homogene Zellprotoplasma mehr röthlich. Dieselbe 
schwach röthliche Farbe nehmen auch bei derselben Färbung die 
Blutplättchen Bizzozero's an. Durchmustert man ein Blutprä- 
parat, das viel Blutplättchen enthält, so findet man ausser frei- 
liegenden Haufen derselben noch solche, die aus kugelförmigen 
rothen Blutkörperehen wie aus einer „platzenden Bombe“ her- 
auskommen. Aehnliche Angaben haben seitdem Bremer!), 
Köppe?), van Niessen?) gemacht. Solche platzende Blut- 
kugeln finden sich sowohl im Embryo als auch im normalen und 
pathologischen Blute, als auch, wie ich gleich beifügen will, im 
Knochenmark des gesunden Erwachsenen. Je mehr Blutplättehen 
ein Blut enthält, um so mehr platzende Blutkugeln sind meistens 
in ihm zu finden. Die herausplatzende Masse verhält sich nach 
Form und Färbbarkeit wie die Blutplättchen, sie nimmt wie 
diese mehr den sauren Farbstoff an. Zuweilen nimmt die her- 


schlag in die embryonale Blutentwickelung aufzufassen ?* (Virchow’s 
Arch. 1898) habe angedeihen lassen, glaube ich auf dessen Behauptung, 
er hätte die Entkernung nachgewiesen, nicht noch einmal eingehen 
zu müssen. 

1) Ueber die Herkunft und Bedeutung der Blutplättchen. Cen- 
tralbl. f. d. med. Wissensch. 1894. 

2) Arch. für Anat. u. Physiol. 1895. 

3) Ueber regenerat. Vermehrung menschl. Blutzellenu. Virchow’s 
Arch. 189. 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 335 


ausplatzende Masse auch Kernfarbstoff auf, sodass man den Ein- 
druck gewinnt, als wenn ein den weissen Blutkörperchen ähn- 
liches Gebilde der Inhalt der Blutkugel gewesen sei. Ich habe 
angenommen, dass auf diese Weise auch einige Leucoeyten ent- 
stehen können. Die Blutplättchen wären dann als Endprodukt 
‘der durch Karyolyse (Nekrose) zu Grunde gegangenen Kerne 
einiger kernhaltiger, rother Blutkörperchen anzusehen. Dafür, 
dass die Blutplättchen Verwandtschaft zu den Kernen (und 
Leucoeyten) haben, spricht, dass Nuclein in ihnen nachgewiesen 
worden ist!). Dadurch würden sich auch diejenigen Blutprä- 
parate erklären, in denen die Blutplättchen zum Theil Kernfarb- 
stoff angenommen haben. Es sind dann in den mit Triacid 
röthlich gefärbten Blutplättchenhaufen einige grünliche Partien 
deutlich erkennbar, die wohl die Veranlassung geboten haben, 
dass den Blutplättchen von einigen Untersuchern ein Kern zu- 
gesprochen worden ist. Andererseits spricht das Verhalten der 
Plättehen den sauren Farbstoffen gegenüber ebenso wie ihre 
starke Alkalinität?) für eine Verwandtschaft mit dem Protoplasma 
der . Leucocyten. In der angegebenen Weise herausplatzende 
Massen habe ich bisher nur aus orangeophilen Blutkörperchen 
herauskommen gesehen, an denen dann noch eine zeitlang der 
Riss in der oberflächlichen Hb-Schieht deutlich zu erkennen ist. 
An fuchsinophilen Zellen, die einen meist viel grösseren, struetur- 
reichen Kern haben, konnte ich derartige Erscheinungen bisher 
nicht beobachten. Bemerkenswerth ist, dass nur diejenigen kern- 
losen Rothen eine wohlausgebildete Delle zeigen, die ursprüng- 
lich den kleinen, wenig structurirten, an der Oberfläche liegenden 
Metrocytenkern besessen haben — das sind die orangeophilen —, 
während die fuchsinophilen, kernlosen Rothen auch nach der 
Entkernung meist ein lappiges Aussehen behalten und häufig nur 
eine Andeutung von Dellenbildung zeigen. Es ist noch zu er- 
wähnen, dass es in erster Linie die polychromatischen, fuchsino- 
philen, kernhaltigen Rothen mit lappigem Protoplasma sind, an 
denen Kernaustritt zu beobachten ist. Doch tritt kein freier 
Kern aus der Zelle, stets findet man eine, wenn auch noch so 
feine, hämoglobinlose Protoplasmaschicht um den Kern. Die aus- 


1) Lilienfeld, Du Bois-Reymond'’s Archiv. 1891. 
2) Ehrlich-Lazarus, Die Anämie. Wien 189. 


336 C.S. Engel: 


getretenen Kerne mit schmalem Protoplasmasaum sind den 
Lymphkörperchen des Blutes ähnlich. 

Im Folgenden will ich versuchen, nachdem ich Gelegenheit 
hatte, eine grössere Anzahl frischer, zum Theil noch lebender, 
menschlicher Embryonen zu untersuchen, nachdem es mir insbe- 
sondere gelungen ist, ausser dem Blute auch die Zellen der 
Leber, des Knochenmarks und der Milz möglichst frisch einer 
Untersuchung zu unterziehen, meine früheren Befunde nach Mög- 
lichkeit zu ergänzen. Zur Verfügung standen Embryonen und 
Föten von 6cem Länge bis zur Geburt. Die Untersuchung ge- 
schah spätestens 12 Stunden nach dem Geborenwerden des Em- 
bryo und zwar sowohl an frischen Präparaten als auch besonders 
an Deckglastrockenpräparaten. Die frischen wurden nach der 
Durchmusterung mit 2°/, Osmiumsäure behandelt und in Glycerin 
eine zeitlang aufbewahrt, die Deckglaspräparate wurden theils 
in Alcohol absol., theils auf der Kupferplatte fixirt. Die in 
Alcohol fixirten wurden in Eosin-Methylenblau, die auf der 
Kupferplatte mit Triacid gefärbt. Die Fixirung auf der Kupfer- 
platte geschah etwas abweichend von Ehrlich's Vorschrift, in- 
dem ich nicht bei ca. 110°, wie Ehrlich, sondern bei ea. 
125—135°C. mit Hülfe der Xylol-Siedetemperatur fixirte. Ueber 
das genauere Verfahren habe ich an anderen Orten berichtet). 
An Trockenpräparaten, die bei starker Hitze fixirt sind, lässt 
sich die Ortho- und Polychromasie der Rothen besonders gut er- 
kennen, wenn man Triacid als Farbstoff anwendet. Alles, was 
orthochromatisch ist, nimmt Orange an, ist orangeophil, alles 
Polycehromatische nimmt mehr das Säurefuchsin an, ist fuchsino- 
phil. Doch sind die Farbenunterschiede bei Färbung mit Eosin- 
Methylenblau zuweilen deutlicher ausgeprägt. Andere Fixirungs- 
mittel, namentlich das seit einiger Zeit in Mode gekommene 
Formol, habe ich für die systematische Untersuchung aus dem 
Spiele gelassen, erstens weil mir die anderen beiden Fixirungs- 
mittel prächtige Bilder gaben, zweitens weil ich es für noth- 
wendig hielt, dieselben Färbungs- und Fixirungsmittel anzuwen- 
den, die ich seit einer Reihe von Jahren benutze, um die zu 


1) Siehe Leitfaden zur klin. Untersuchung des Blutes. Ver- 
handlungen des XVI. Congresses für innere Medicin in Wiesbaden 1898. 
Virchow’s Archiv 1898. 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 337 


verschiedenen Zeiten gewonnenen Präparate mit einander ver- 
gleichen zu können. 

Beginnen wir mit der Schilderung der Blutzellen eines 8 cm 
langen (ca. 3 Monate alten) menschlichen Embryo. 

Das frische, unfixirte Blut enthielt kernlose Erythrocyten 
von normaler und bedeutender Grösse, ferner kernhaltige Rothe 
in zwei Formen: a) solehe mit grossem, kugligem, reichlich gelb- 
farbenem Protoplasma und deutlich in der gelben Zelle er- 
kennbarem Kern, b) kleinere Zellen mit relativ grossem Kern 
und schwach gelblichem Protoplasma. Die ersteren entsprachen 
den Metrocyten Il. Generation, die letzteren den kernhaltigen 
Rothen (Normoblasten). Einige kuglige Zellen waren geschrumpft 
und zeigten die Stechapfelform, auch die Normoblasten zeigten 
vielfach eine unregelmässige Zellbegrenzung. Ausser den hämo- 
globinhaltigen Zellen waren noch einzelne, wenige, hämoglobin- 
freie Zellen zu erkennen, die das Aussehen von Lymphkörper- 
chen hatten. 

Die nach Fixirung gefärbten Präparate ergaben Folgendes: 
Da ich früher nur streng nach Ehrlich bei ca. 110° fixirte, 
so boten die bei 135° fixirten Präparate, namentlich betreffs der 
hämoglobinhaltigen Zellen, ganz besonderes Interesse. Es fielen 
zwei Formen dieser Zellen ins Auge: kernhaltige und kernlose. 
Unter den kernhaltigen fiel eine Form durch die zierliche Kugel- 
gestalt mit verhältnissmässig kleinem Kern auf. Es handelte sich 
um die Metroeyten Il. Generation. Das Protoplasma nahm bei 
Färbung mit van Gieson einen gelblichen, bei Eosin-Hämato- 
xylin oder Eosin-Methylenblau einen glänzend rothen, bei Triacid 
nach geringerer Erhitzung einen orange-röthlichen, nach stär- 
kerer Erhitzung einen reinen orangenen, bei Färbung mit Ehr- 
lich’s Triglyceringemisch (Aurantia, Nigroein und Indulin) einen 
reinen rothen Farbenton an. Da bekamntlich auf der an einer 
Seite erhitzten Kupferplatte die Temperatur allmählich abnimmt, 
kommt es oft vor, dass einzelne Metrocyten orange aussehen, 
während andere, die mehr am Rande des Deckgläschens gelegen, 
weniger stark erhitzt waren, neben dem Orange noch etwas 
Mischfarbe von Orange und Roth zeigen. Die Grösse der Metro- 
eyten schwankt zwischen 12 und 20 u, der Kern hat einen 
Durchmesser von 31/,—6 u. In einzelnen Fällen erreicht der 
Kern eine Grösse von 7—8 u; diese grossen Kerne gehören dann 


338 C.S. Engel: 


aber fast ohne Ausnahme grossen Zellen von 17—20 u an. Von 
Mitosen konnte ich bei ihnen nichts entdecken. Was die Zahl der 
Zellen betriift, so kommen in diesem Alter 4—6 Metrocyten auf 100 
kernlose Rothe. Ausser den (grossen, orangeophilen) Metroeyten 
kommen in demselben Blut noch kleine, orangeophile, kernhaltige 
Rothe vor. Ihre Kerngrösse ist dieselbe wie die der Metrocyten 
(31/,—5 u), ihre Zellgrösse schwankt zwischen 5 und 9u. Den 
orangeophilen Metrocyten und den orangeophilen, kernhaltigen 
Rothen stehen solche kernhaltige Rothe gegenüber, die von der 
Grösse der normalen kernlosen Rothen (7 u), einen verhältniss- 
inässig grossen, structurreichen Kern und ein ziemlich schmales 
Protoplasma haben. Dieses hat ein mehr lappiges Aussehen und 
nimmt bei starker Erhitzung und Färbung mit Triacid das Säure- 
fuchsin an. Ausser diesen fuchsinophilen, kernhaltigen Rothen, 
deren Zelldurchmesser 7—8 u, deren Kerndurchmesser 5—6 u 
beträgt, finden sich, jedoch viel seltener, grössere Formen der- 
selben Art mit einem Zelldurchmesser bis zu 16 u und einem 
Kern bis zu 11 u im Durchmesser. Von den kleineren Formen, den 
Normoblasten bis zu den grösseren Formen, den Ehrlich’schen 
Megaloblasten, giebt es alle möglichen Uebergänge. Zuweilen 
besitzen die Normoblasten zwei Kerne. Erwähnt werden muss 
ferner, dass sie zuweilen in Gruppen von 2—6 Zellen zusammen- 
liegen, sodass man zuweilen den Eindruck gewinnt, als ob das 
Protoplasma nach der Theilung der Kerne erst allmählich sich 
in die jedem Kern zugehörigen Theile getrennt hat. 

Die kernlosen Rothen entsprechen ihrer Farbe sowohl wie 
ihrer Form nach zum allergrössten Theil den orangeophilen, kern- 
haltigen Rothen. Sie sind kuglig, oft ohne Delle, in der Mehr- 
zahl orangeophil und schwanken in ihrer Grösse zwischen 8 und 
18 u. Ihre Oberfläche, die eine scharfe kuglige Begrenzung 
zeigt, hat zuweilen an einer Seite eine etwas zerrissene Stelle, 
die schon im frischen Blute zu bemerken ist, weder mit der 
Stechapfelbildung, noch mit der Darstellung der Präparate, 
noch mit der Fixirung etwas zu thun hat, sondern, wie wir 
sehen werden, mit der Entstehung der orangeophilen, kernhalti- 
gen, rothen Blutkörperchen zusammenhängt. Einige kernlose 
Rothe zeigen, wenn auch in wenigen Exemplaren, das Heraus- 
platzen der Blutplättchen-ähnlichen Masse. Endlich finden sich 


Weiterer Beitrag zur Entwiekelung der Blutkörperchen etc. 339 


einige fuchsinophile kernlose Rothe, die sich wie die polychro- 
matophilen verhalten. 

Die hämoglobinhaltigen Zellen beherrschen das Blutbild in 
diesem Alter derart, dass man eine ganze Anzahl von Gesichts- 
feldern durchmustern kann, ohne eine hämoglobinfreie Zelle zu 
finden. Vorhanden sind erstens Metroeytenkerne, zweitens den 
Lymphkörperehen ähnliche Zellen und endlich, seltener, eine Zelle 
mit neutrophiler Granulation, deren Kern mehr einkernig als 
polymorph ist. Diese erinnert sehr an Ehrlich’s Myeloeyten, doch 
ist sie scheinbar in diesem Stadium des embryonalen Blutes kleiner 
als die im pathologischen Blute des Erwachsenen. Auch einige 
wenige polynucleäre Zellen mit neutrophiler Granulation kommen 
vor. Eosinophile Zellen konnte ich um diese Zeit im Blute nieht 
finden. An den freien Kernen war, wenn man sich besonders 
starker Vergrösserung bediente und nicht zu sehr gefärbt war, 
stets ein sehr schmales, protoplasmatisches, hämoglobinfreies 
Protoplasma zu erkennen. Während sie in ihren kleinsten Exem- 
plaren (3—4 u gross) wenig Struetur, ebenso wie die Metrocyten- 
kerne, aufwiesen, wurde dieselbe mit zunehmender Kerngrösse 
deutlicher, sodass die grösseren Kerne mit dem schmalen Proto- 
plasmasaum zuweilen von Lymphkörperchen nicht zu unterscheiden 
waren. In einem Punkte unterschieden sich jedoch die grösser 
gewachsenen Metroeytenkerne von den gewöhnlichen Lymph- 
körperchen. In Präparaten, die mit Eosin-Methylenblau gefärbt 
sind, zeigen bekanntlich die gewöhnlichen Lymphkörperchen 
einen hellblauen Kern und dunkelblaues Protoplasma, in dem 
bei sehr starker Vergrösserung ein Netzwerk erkannt wird, das 
früher von Ehrlich als basophile Granulation aufgefasst worden 
ist. Die gewachsenen Metrocytenkerne haben im Gegensatz dazu 
einen dunkelblauen, stets strueturirten Kern und ein helles, blaues 
Protoplasma, vorausgesetzt, dass beide Zellen auf dieselbe Art 
fixirt und gefärbt sind. Da beide Zellformen auch im Blute des 
Erwachsenen vorkommen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die 
als Lymphkörperchen bezeichneten Zellen nicht nur einen Ur- 
sprung haben. 

Es dürfte sich empfehlen, bevor ich zur Schilderung des 
Blutes eines älteren Embryo übergehe, der Zellen zu gedenken, 
die im Blute der Blutbildungsorgane des beschriebenen zu be- 
obachten sind. In diesem Alter bietet das Blut der Leber 


340 0.18. Engel: 


das grösste Interesse. Beginnen wir wieder mit den rothen 
Blutkörperchen, so können wir auch hier kernhaltige und kern- 
lose unterscheiden. Ebenso sind die Zellen nach der Farbe 
des Protoplasmas in orangeophile und fuchsinophile zu trennen. 
Abgesehen von den hämoglobinfreien (weissen) Blutzellen sind 
die Zellformen der Leber dieselben wie die des Blutes. Ein 
Unterschied besteht nur in dem Verhältnisse derselben zu ein- 
ander. Beginnen wir mit den orangeophilen Metroeyten. Ihre 
Zahl weicht in der Leber nicht erheblich von derjenigen im 
Blute ab, das Verhältniss derselben zu den übrigen Rothen be- 
trägt 3—6°/,. Auch bezüglich der Farbe, Form und Grösse des 
Zellleibes wie in Betreff der Grösse und Structur des Kerns wei- 
chen die Metroeyten der Leber nicht von denen des Blutes ab. 
In einem Punkte besteht jedoch eine ausserordentliche Verschie- 
denheit zwischen dem Herzblut und dem Leberblut. Während 
das Herzblut beherrscht wird von den orangeophilen, kernlosen 
Rothen, enthält das Leberblut ausserordentlich viel fuchsinophile 
Normoblasten, wodurch dasselbe ein ganz eigenartiges Aussehen 
gewinnt. Sie verhalten sich zu den kernlosen etwa wie 1:1. 
Wenn auch die fuchsinophilen, kernhaltigen Rothen des Leber- 
blutes denen des Herzblutes ausserordentlich ähnlich sind, so 
unterscheiden sie sich doch darin von den letzteren, dass etwa 
ein Viertel aller fuchsinophiler, kernhaltiger Rother der Leber 
mehrkernig ist. Die Zahl der Kerne schwankt zwischen 2 und 6, 
doch herrscht die Zweizahl bedeutend vor. Dabei sind die Zellen 
nicht grösser als die entsprechenden des Blutes, 8—12 u. Proto- 
plasma- und 6—10 u Kerndurchmesser. (Doch konnte ein kern- 
haltiges Rothes von 20 u Durchmesser mit 2 Kernen von je 9 u 
beobachtet werden.) Sind mehrere Kerne vorhanden, ist jeder 
entsprechend kleiner. Alle zeigen jedoch die deutliche Kern- 
structur, welche die Kerne der fuchsinophilen Rothen von denen 
der Metroeyten in den meisten Fällen unterscheidet. Die Kerne 
sind von gleicher oder von verschiedener Grösse. Häufig liegen 
neben einem Kern von normaler Grösse (ca. 6—8 u) einer oder 
mehrere ausserordentlich kleine (von !/, u und sogar noch kleiner). 
An anderen Kernen erkennt man, dass die kleinen durch Knospung 
sich von den grossen zu trennen im Begriff sind. Dann zeigt der 
eine Kern zuweilen Einbuchtungen und Abschnürungen auf der 
einen Seite, während auf der anderen Seite die abgeschnürten 


. 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 341 


Theile schon frei liegen. Karyokinetische Figuren sind zwar 
sicher vorhanden, jedoch verhältnissmässig selten. 

Die kernlosen Rothen sind theils orangeophil, theils fuchsi- 
nophil. Während jedoch im Herzblut die fuchsinophilen sehr 
wenig zahlreich waren, betragen sie in der Leber fast die Hälfte 
der kernlosen. 

Von weissen Blutkörperchen besitzt das Leberblut in dem 
geschilderten Alter mehr als das Herzblut. Von Zellen mit Gra- 
nulation waren ein- und mehrkernige mit neutrophiler Granulation 
zu beobachten, die ersteren von 12— 14 u Durchmesser und einem 
9—10 u grossen Kern (selbst bis zu 24 u und 16 u Kerngrösse), 
der entweder kugelrund ist oder mehr oder weniger tiefe Ein- 
buchtungen hat. Sie sind ohne Weiteres als Ehrlich’s Myelo- 
eyten zu erkennen. Die polynucleären Neutrophilen sind seltener 
und meist etwas kleiner, fast noch seltener sind die Zellen mit 
eosinophiler Granulation. Die angetroffenen (Zelldurchmesser ca. 
14 u, Kerndurehmesser ca. 10 u) sind fast ohne Ausnahme ein- 
kernig, die Granulation hat einen violetten Farbenton, jedes 
Granulum etwa einen Durchmesser von ?/;u. Wenn auch ein- 
zelne neutrophil Granulirte ein ziemlich grobes Korn hatten und 
der eosinophilen Granulation zuweilen ähnlich sahen, so konnte 
doch, wenn man sich eines Farbengemisches bedient, das nur die 
eosinophilen Granula zur Darstellung bringt, z. B. Eosin-Hämato- 
xylin, kein allmählicher Uebergang von der neutrophilen zur 
eosinophilen Granulation, wie es behauptet worden ist, festgestellt 
werden. Mastzellen mit basophiler Granulation wurden nicht ge- 
funden. 

Von Leueocyten ohne Granulation waren, wenn ich die 
freien Metrocytenkerne vernachlässige, zwei Formen sicher zu 
unterscheiden, Lymphkörperehen und grosse Lymphoeyten. Die 
Lymphkörperchen (8— 10 u gross) hatten bei Triacid einen grossen, 
bläulichen, wenig structurirten Kern und ein sehr schmales, rosa- 
farbenes Protoplasma; ihre Zahl war sehr gering. Die grossen 
Lymphocyten waren namentlich bei Färbung mit Eosin-Methylen- 
blau deutlich und in zahlreichen Exemplaren zu erkennen. Sie 
hatten einen Durchmesser von 12—20 u, einen hellgefärbten 
Kern und einen oder mehrere dunkler blau gefärbte Innenkörper 
(die Ehrlich in seinem oben eitirten Buch über Anämie als 
Kernkörperchen anspricht). Ihr Protoplasma war von der Ober- 


342 C.S. Engel: 


fläche bis zum Kernrand 1—4 u dick, sah tief blau aus (Methylen- 
blaufärbung) und war durch hellere Lücken unterbrochen). In 
dem Kern dieser Zellen wurden irgend welche Einbuchtungen 
nicht beobachtet. Im Uebrigen sahen die grossen Lymphoeyten 
genau so aus, wie sie auf Seite 47 des eben eitirten Buches ab- 
gebildet sind. Diese grossen Lymphoeyten sind im Leberblut 
dieses Alters so zahlreich, dass in fast jedem Gesichtsfeld 1—2 
derselben zu zählen sind. Bei der Besprechung der granulations- 
losen Leucocyten muss noch einer Zellform Erwähnung geschehen, 
die nieht ohne Interesse ist. Wie ich oben ausgeführt habe, 
müssen wir unter den rothen Blutkörperchen die kleinkernigen, 
orangeophilen von den grosskernigen, fuchsinophilen unterscheiden. 
Richtet man sein Augenmerk auf diese letzteren, grosskernigen 
Zellen mit schmalem Protoplasma, so findet man, dass dieses mit 
dem Wachsthum der Zelle bei Triacid einen schwach rotvioletten, 
bei Eosin-Methylenblau einen mehr blauen Farbenton angenommen 
hat, sodass, wenn man in dem Präparat, das so überaus reich 
an kernhaltigen Rothen ist, nicht alle Uebergänge von den Normo- 
blasten über die Megaloblasten zu diesen Zellen verfolgen könnte, 
man diese letzteren eher für grosse Lymphocyten als für grosse 
kernhaltige Rothe halten möchte. Wie es scheint, verlieren diese 
Zellen mit dem Wachsthum des Kerns das Hämoglobin aus dem 
Protoplasma, so dass sie dann als grosse Lymphoeyten imponiren. 
Sie unterscheiden sich jedoch dadurch von den eben besproche- 
nen grossen Lymphocyten, dass sie einen intensiv gefärbten Kern 
und ein weniger stark gefärbtes Protoplasma haben. Sie ver- 
halten sich also ähnlich wie die frei gewordenen Metrocyten- 
kerne. 

Endlich soll nieht unerwähnt bleiben, dass die Leber ferner 
noch eine grosse Zellform (ca. 25 u) mit verhältnissmässig nicht 
grossem Kern (10—12 u) besitzt, in deren Protoplasma bei Triacid 
gelbliche, bei Eosin-Methylenblau grünlich gefärbte, im unge- 
färbten Präparat gelbliche, grobe Pigmentkörnchen enthalten sind, 
die wohl als Gallen- oder Blutpigment angesehen werden müssen. 
Die Zellen dürften als die specifischen Leberzellen anzusprechen 
sein, die durch Anfertigung des Anstrichpräparates aus ihrem 
Zusammenhang gerissen sind. 

Von Milz und Knochenmark ist in diesem Stadium 
der embryonalen Entwickelung wenig zu berichten. Die Milz, 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 343 


die ein Dreieck bildet von je 2 mm Länge und 1 mm Breite und 
die etwa !/,; mm hoch ist, enthält im Quetschpräparat, soweit das 
Blut in Frage kommt, nichts Charakteristisches. Man findet 
wenige kernhaltige und verhältnissmässig viel kernlose Rothe, so- 
wohl orangeophile als auch fuchsinophile.. Von Knochenmark ist 
im Oberschenkel noch nichts zu finden. In der Mitte des noch 
nicht verknöcherten Oberschenkels sieht man einige wenige, rothe 
Blutpunkte. Unter dem Mikroskop sehen die Zellen dieser Blut- 
flecke dem Herzblut in diesem Alter sehr ähnlich, doch ist die 
Zahl der kernhaltigen Rothen grösser als in dem letzteren. 

Nachdem ich an der Hand dieses, ca. 3 Monate alten Em- 
bryo die in Betracht kommenden Zellformen eingehend besprochen 
habe, kann ich mich bei der Beschreibung der anderen Embryo- 
nen kürzer fassen, um so mehr, als in den verschiedenen Alters- 
stufen immer dieselben Zellen, wenn auch in verschiedenem Ver- 
hältniss vorkommen. Es dürfte sich empfehlen, nebeneinander 
das Blut, dann Leber, Milz und Knochenmark gleich mehrerer 
Embryonen verschiedenen Alters zu besprechen. 

Beginnen wir mit dem Blute von Embryonen, deren Länge 
6cm, 12cm, 16cm und 19cm beträgt, dann finden wir Fol- 
sendes: Vergleichen wir nacn Durchzählung einer grösseren An- 
zahl von Gesichtsfeldern die Zahl der kernlosen mit den kern- 
haltigen Rothen (Metrocyten, orangeophilen und fuchsinophilen 
Normoblasten), dann betrug das Verhältniss der kernlosen Rothen 
zu den kernhaltigen bei 6 cm 12 kernlose auf I kernhaltiges, bei 
12 cm 55:1, bei 16 cm 150:1, bei 19 cm 176:1. Daraus folgt, 
was bereits längst bekannt ist, dass mit dem Alter des Embryo 
die Zahl der kernhaltigen Rothen geringer wird. Von beson- 
derer Wichtigkeit ist das Verhalten der kernhaltigen Rothen 
zu einander. Bei 6 cm betrug die Zahl der Metrocyten etwa 
4°/, der kernlosen Rothen, bei 12 em nicht mehr ganz !/,°/o 
und von da ab wurden die grossen, orangeophilen Zellen über- 
haupt nieht mehr angetroffen. Die kleinen orangeophilen, kern- 
haltigen Rothen betrugen bei 12 cm ca. !/,°/, und die fuchsino- 
philen ca. 1!/,°/,.. Bei 16 und 19cm fanden sich fast nur fuchsi- 
nophile. Entsprechend dem Schwinden der Metrocyten war der 
grösste Durchmesser eines kernlosen rothen Blutkörperchens bei 
6 cm noch 14—18 u, bei 12 cm nur noch 12—14 u und bei 16 
und 19 em 10yu. Die bei weitem grösste Zahl der kernlosen 


344 C.S. Engel: 


Rothen hatte 7—8 u Durchmesser. Von Leucocyten war bei 
6 em Länge im Allgemeinen noch wenig zu finden. Das Verhält- 
niss der Rothen zu den Weissen betrug etwa 1000—500:1. 
Später besserte sich das Verhältniss zu Gunsten der Leucocyten. 
Am zahlreichsten waren die den Lymphkörperchen ähnlichen 
Formen, zu denen noch die freien Kerne mit schmalem Proto- 
plasmasaum zu rechnen waren. Die Zahl der eine Granulation 
besitzenden Zellen war erst äusserst gering, doch wurden Myelo- 
eyten schon bei 6 em Länge nachweisbar. 

Das Leberblut zeigte in allen vier Altersstufen eine 
ähnlich bedeutende Zahl kemhaltiger Rother, wie wir es aus- 
führlicb bei dem 8 em langen Embryo beschrieben haben. Das 
Verhältniss der kernhaltigen zu den kernlosen betrug bei 6 em 
1:11/,, ‚bei: 12:emı 1: 15! bei 16 em L: 3; "bei. 19ıem esıısr 
Zahl der Metrocyten war bei 6 cm am höchsten, ea. 3°/,, bei 
12 em nur noch !/,°/,, von 16 cm ab wurden keine mehr ange- 
troffen. Die fuchsinophilen, kernhaltigen Rothen waren stets be- 
deutend zahlreicher als die orangeophilen; es muss jedoch her- 
vorgehoben werden, dass, wenn ein Präparat zu stark erhitzt 
wird, eine Unterscheidung von fuchsinophilen und orangeophilen 
Normoblasten fast unmöglich ist, weil dann auch die grosskerni- 
gen etwas Orange annehmen, ebenso wie bei schwachem Erhitzen 
auch die orangeophilen sich etwas mit Fuchsin färben. Was die 
Leucoceyten angeht, so waren, wie bei dem 83cm langen Embryo, 
grosse und kleme Lymphocyten, Myelocyten (schon bei 6 em 
Länge in der Leber) und einkernige Eosinophile festzustellen. 

Die Milz zeigte bei 6 cm Embryolänge keine Abweichung 
vom Herzblut, es kamen auf ca. 12 kernlose ein kernhaltiges. 
Auch bei 12 em Länge zeigte sie keine Abweichung vom Blute 
desselben Alters, es betrug das Verhältniss der kernlosen zu den 
kernhaltigen etwa 50:1. Von Leueocyten wurden einige Lymph- 
körperchen, wenige Myelocyten, sehr selten einkernige Eosino- 
phile gesehen. Bei 16 em machte sich schon eine Verschieden- 
heit von dem Blute desselben Alters bemerkbar. Während im 
Blute das Verhältniss der kernlosen zu den kernhaltigen Rothen 
150:1 betrug, war es in der Milz nur 50:1, also noch ebenso 
wie bei 12 cm Länge. Was die Art der kernhaltigen Rothen 
betrifft, so waren grosse kernhaltige Formen, also Metrocyten, 
nieht vorhanden, auch die Zahl der kleinen, orangeophilen, kern- 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 345 


haltigen Rothen war sehr gering, fast alle kernhaltigen waren 
fuchsinophil. Unter den Leucoeyten überragten die granulations- 
losen die granulirten ganz bedeutend, dabei war die Zahl der 
Leucocyten überhaupt ziemlich erheblich; es kamen etwa ein 
Leucoeyt auf 3 kernhaltige Rothe. Das Milzblut bei 19 cm 
Embryolänge unterscheidet sich wenig von dem 16 em langen, 
die Zahl der kernhaltigen ist relativ etwas geringer (55: 1). 
Die Entwickelung des Knochenmarks endlich gestaltet 
sich besonders dadurch interessant, dass bis zum Ende des zwei- 
ten Monats, so lange, wie noch kein Knochen vorhanden ist, kei- 
nerlei Anzeichen vorliegen, welche darauf hinweisen, dass das 
Knochenmark das Blutbildungsorgan par excellence werden würde. 
Im Gegentheil! Beim Embryo von 6cem Länge enthält der Saft, 
den man aus dem frei präparirten Oberschenkel herauspressen 
kann, wenig körperliche Elemente. Es haben sich um diese Zeit 
auch noch gar keine rothe Punkte in der Mitte der Diaphyse 
gebildet, wie ich sie bei dem 8 cm langen Embryo habe an- 
führen können. Die Zellen des ausgepressten Saftes sind meist 
kernlose Rothe, hin und wieder findet man einen kleinen, orangeo- 
philen Normoblast. Das Verhältniss der kernlosen zu den kerm- 
haltigen war in dem einen Falle, den ich untersuchen konnte, 
ca. 200:1. Von sonstigen Zellen konnte in diesem Alter nichts 
festgestellt werden. Beim i2 em langen Embryo war die Zahl 
der kernhaltigen Rothen, namentlich der fuchsinophilen, schon 
bedeutend. grösser, sodass schon auf 24 kernlose ein kernhaltiges 
kam. Metrocyten waren zwar sicher vorhanden, aber in äusserst 
geringer Anzahl; die orangeophilen, kernhaltigen Rothen betrugen 
etwa den 9. Theil der fuchsinophilen. Bezüglich der letzteren 
fiel auf, dass ihr Protoplasma zuweilen breiter war als das der 
gewöhnlichen fuchsinophilen Normoblasten, sodass ihre Form 
mehr der der orangeophilen glich, während ihre Protoplasma- 
farbe nöthigte, sie als fuchsinophile zu bezeichnen ; auch war ihr 
Kern grösser als der der gewöhnlichen orangeophilen.. In Rück- 
sicht auf das Verhalten beim Erwachsenen ist es von Wichtig- 
keit, auf das Vorkommen von Leucocyten in diesem Stadium 
der Knochenmarksentwiekelung (12 em) zu fanden. Auch hierin 
zeigte es sich, dass das Knochenmark noch nicht auf der Höhe 
seiner Entwiekelung stand. Es konnten nämlich unter mehr als 
2000 kernlosen Rothen weder ein Myeloceyt noch eine mehr- oder 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 23 


346 C.S. Engel: 


einkernige Eosinophile gefunden werden; eine polynucleäre Neu- 
trophile liess sich nachweisen. Auch die Zahl der den Lymph- 
körperchen ähnlichen Zellen betrug bei der angegebenen Zahl 
der Rothen nur 8. Also auch in diesem Alter kann das Knochen- 
mark noch nicht als Blutbildungsorgan angesehen werden. Erst 
ganz allmählich treten die Zellen auf, die man später regelmässig 
im Knochenmark antrifft. Bei 16 cm Länge war das Verhältniss 
der kernlosen zu den kernhaltigen auf 48:1 gesunken — wobei 
wieder die fuchsinophilen ca. 10 Mal so zahlreich waren wie die 
orangeophilen — doch konnte man jetzt bereits etwa 1°/, Myelo- 
eyten erkennen. Einkernige Eosinophile waren schon sicher vor- 
handen, wenn auch noch sehr selten, polynucleäre Neutrophile 
ebenso, granulationslose Leucocyten waren etwa doppelt so zahl- 
reich wie die Myelocyten. Meistens handelte es sich um Lymphkör- 
perchen; die Zahl der grossen Lymphoeyten (also granulationsloser 
Leucoeyten von Myelocytengrösse) betrug etwa den vierten Theil 
der Myelocyten. Ausserdem trat eine granulationslose Zellform 
verhältnissmässig zahlreich auf, die grösser als eine polynucleäre 
einen im Verhältniss kleinen Kern und ziemlich mächtiges Proto- 
plasma hatte, eine Form, die ich als „kleinkernige Markzelle“* 
bezeichnen zu sollen glaubte. Von dieser Form wurden etwa 
ebenso viel gefunden wie Myelocyten. Mit zunehmendem Wachs- 
thum des Embryo (19cm) treten im Knochenmark immer mehr 
die Zellformen hervor, die ihm das Gepräge geben. Während 
das Verhältniss der kernhaltigen zu den kernlosen etwa dasselbe 
ist wie beim 16 cm langen Embryo (1:51), von denen wieder 
die fuchsinophilen zahlreicher sind als die orangeophilen (2:1), 
ist jetzt bereits die Zahl der hämoglobinfreien Zellen im Vergleich 
zu denen der anderen Organe, Blut eingerechnet, vermehrt. Es 
wurden bereits auf 1800 kernlose Rothe 100 weisse gezählt. 
Diese betrugen also bereits etwa 6°/, der kernlosen Rothen. Die 
Vermehrung betraf in erster Linie die einkernigen, grossen Leu- 
coeyten mit neutrophiler Granulation, Ehrlich’s Myeloeyten 
(56 Zellen), während die grossen einkernigen Leucoeyten ohne 
Granulation nur 15 betrugen, von denen ein Drittel einen runden, 
zwei Drittel einen gelappten Kern hatten. Ob die granulations- 
losen Zellen in die granulirten übergehen, konnte ich nicht fest- 
stellen. Gering war noch die Zahl der Eeosinophilen (2), wäh- 
rend von Lymphkörperchen 25 gezählt wurden. Von polynucleä- 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen ete. 347 


ren Neutrophilen waren nur zwei vorhanden. Werden uns also 
von einem 19 cm langen Embryo vier Präparate zur Diagnose 
vorgelegt, von denen je eins ein Abstrichpräparat von Blut, Leber, 
Milz und Knochenmark darstellt, so werden wir zuerst das Leber- 
präparat an der ausserordentlich grossen Zahl der kernhaltigen 
Rothen erkennen. Dasjenige Präparat, welches bedeutend mehr 
kernlose als kernhaltige Rothe und dabei sehr wenig Leucocyten 
(ea. !/,°/,) enthält, werden wir als Herzblut diagnostieiren, Milz 
und Knochenmark, bei denen das Verhältniss der kernlosen zu 
den kernhaltigen fast dasselbe ist, werden wir dadurch trennen 
können, dass in der Milz die granulationslosen Lymphocyten, im 
Knochenmark die granulirten Myelocyten vorherrschen. Wenn 
auch die für die verschiedenen Embryogrössen angegebenen 
Zahlenverhältnisse in anderen Fällen andere sein werden, so 
bleibt doch die bedeutend hohe Zahl der kernhaltigen Rothen 
in der Leber, das Vorherrschen der granulationslosen Zellen in 
der Milz und dasjenige der grauulirten im Knochenmark in diesem 
Alter bestehen. Doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass bei 
Embryonen derselben Grösse zuweilen nicht unbeträchtliche Ver- 
schiedenheiten in dem relativen Verhältniss der einzelnen Zell- 
formen gefunden werden, sodass aus einem bestimmten Aussehen 
des Bildes, sei es des Blutes oder der Blutbildungsorgane, nicht 
mit Sicherheit auf eine bestimmte Embryogrösse geschlossen 
werden kann. Dies gilt namentlich für die etwas grösseren 
Föten, von denen wir hier nur noch die Verhältnisse bei einer 
Länge von 23 cm und bei einer Länge von 27 cm besprechen 
wollen. Diese letztere Länge entspricht etwa einem Embryo am 
Ende des fünften oder Anfang des sechsten Lebensmonats. Die 
Blutverhältnisse der letzten Monate sollen bei einer anderen Ge- 
legenheit erörtert werden. 

Da der Embryo von 23 em Länge zur Untersuchung ge- 
langte, während das Herz noch pulsirte, wurde durch Blutent- 
nahme aus der Radialis die Zahl der Rothen, der Weissen und 
das Hämoglobin bestimmt. Ferner war ich in der Lage, die 
Alealescenz festzustellen. Die Zahl der rothen Blutkörperchen 
ergab (Methode Thoma-Zeiss) 3,500000, die der weissen!) ca. 


1) Das Resultat ist leider nicht genau. Dazu kommt, dass ziem- 
lich viele Kerne der kernhaltigen Rothen mitgezählt sein werden, was 
nicht zu verhüten ist. 


348 C.S. Engel: 


40000. Das nach der Fleischl’schen Methode bestimmte Hä- 
moglobin ergab 80°/,, die Alcaleseenz, die ich mit Hülfe des von 
mir modifieirten Löwy-Zuntz’schen Verfahrens untersuchte, be- 
trug 426,4 mgr NaOH für 100 eem Blut berechnet. Da die Al- 
caleseenz des erwachsenen Blutes zwischen 426 und 553 mgr 
NaOH liegt, so weicht die Alcalescenz des hier untersuchten 
embryonalen Blutes von der des Erwachsenen nicht ab, wenn 
sie auch an der unteren Grenze des Normalen liegt. Was die 
Erythrocytenzahl betrifft, so konnte die für Neugeborene ange- 
gebene Ziffer (mehr als 5 Millionen), sowie ein starker Hb-Gehalt 
des Blutes in diesem Alter (etwa 5. Monat) noch nicht gefunden 
werden. Doch ist festzustellen, dass die Zahl der Rothen ?/, des 
Normalen, während der Hb-Gehalt */, betrug. Wenn auch der 
Hämoglobingehalt des Blutes bei dem untersuchten Embryo nie- 
driger als beim gesunden Erwachsenen ist, so ist doch jedes der 
vorhandenen rothen Blutkörperchen Hb-reicher als normal, wie 
es bekamntlich auch bei den Blutkörperchen der Neugeborenen 
(und oft bei der pernieiösen Anämie) der Fall ist. Betreffs der 
morphologischen Elemente des Blutes und der Blutbildungsorgane 
konnte Folgendes festgestellt werden. Das Blut besteht der 
Hauptmasse nach aus kernlosen Rothen mit Delle von normaler 
Grösse. Fast sämmtlich sind orangeophil. Was die kernhaltigen 
Rothen betrifft, so hätte erwartet werden können, dass ihr Ver- 
hältniss zu den kernlosen geringer sein würde als bei dem 19 cm 
langen Embryo. Das war jedoch auffallender Weise nicht der 
Fall. Es wurden auf etwa 120 kernlose schon ein kernhaltiges 
gezählt. Ob ein Beobachtungsfehler vorliegt, oder ob die Ursache 
für das unerwartete Resultat darin zu suchen ist, dass der 23 cm 
lange Fötus lebend, die beiden 19 em langen, die ich untersuchte, 
und deren Zahlen übrigens ebenfalls etwas von einander ab- 
wichen, erst 12 Stunden nach der Geburt zur Untersuchung 
kamen, lässt sich nicht unterscheiden. Auf jeden Fall findet da- 
durch meine oben aufgestellte Behauptung eine Bestätigung, dass 
gleichen Embryolängen nieht eine gleiche Blutzusammensetzung 
entspricht, dass man andererseits aus der Zusammensetzung der 
Blutzellen genau das Alter des zugehörigen Embryo nicht fest- 
stellen kann. Die kernhaltigen Rothen waren vielfach klein- 
kernig mit orangeophilem Protoplasma. Metrocyten waren nicht 
vorhanden. Unter den grosskernigen, mit schmalem, fuchsino- 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 349 


philem Protoplasma waren einige mit deutlicher Mitose zu be- 
obachten, auch einzelne Megaloblasten (einer von 13 u Zell- und 
10 u Kerndurchmesser) waren zu sehen. Von Leuceocyten wur- 
den granulirte und nicht granulirte gefunden. Eosinophile u. z. 
mehrkernige waren in geringer Zahl vorhanden. Die neutrophil 
granulirten zeigten alle Uebergänge von den einkernigen (Myelo- 
cyten) zu den polymorphkernigen. Das Verhältniss der granu- 
lirten zu den granulationslosen betrug etwa 2:5. Bekanntlich 
ist das Verhältniss beim Erwachsenen etwa 3:1. Wenn man 
bedenkt, dass bis zur Geburt die einkernigen Neutrophilen fast 
gänzlich aus dem Blute schwinden, so dass der Neugeborene 
unter normalen Verhältnissen fast keine Myelocyten im Blute hat, 
so würden wir richtiger handeln, wenn wir die Lymphocyten 
nur mit den polynucleären Neutrophilen vergleichen. Es ergiebt 
sich dann für die Lymphkörperchen ein noch günstigeres Ver- 
hältniss (5:1). Es nehmen also vom 5. Monat des embryonalen 
Lebens an die polynucleären Neutrophilen des Blutes zu, die 
Lymphkörperchen ab, in der Weise, dass — wenn wir die 
Zahlen unseres Embryo zu Grunde legen — am Ende des zweiten 
Drittels des embryonalen Lebens die polynucleären Neutrophilen 
sich zu den Lymphkörperchen wie 1:5, bei jungen Neugebore- 
nen wie 1:(2—)3, bei Erwachsenen wie 3(—2):1 verhalten. 
Das Zahlenverhältniss wird jedoch dadurch complieirter, dass 
ich die grossen und kleinen Lymphoeyten nicht getrennt habe, 
die grossen jedoch viel häufiger bei jungen Kindern und Em- 
bryonen als bei Erwachsenen sind. Auch abgesehen davon findet 
man zuweilen Abweichungen von dieser Regel. Wenn wir auch 
von diesen Schwankungen in den Zahlenverhältnissen hier ab- 
sehen müssen, so muss doch eines Punktes bei dieser Gelegen- 
heit Erwähnung geschehen. Es ist das Verhältniss der poly- 
morphkernigen Zellen mit neutrophiler Granulation zu denen ohne 
Granulation. So nahe liegend die Annahme ist, dass die granu- 
lationslosen „grossen Lymphocyten mit gelapptem Kern“ dadurch 
zu „polynucleären Neutrophilen“ werden, dass sie die neutrophile 
Granulation annehmen, glaube ich doch dieser Auffassung ent- 
gegentreten zu müssen. Nach meiner Ueberzeugung bekommen 
die granulationslosen Zellen, wenn ihr Kern eine gelappte Form 
angenommen hat, keine neutrophile Granulation mehr. Trotzdem 
ist eine Verwandtschaft zwischen den einkernigen, granulations- 


350 @.8. Engel; 


losen und den einkernigen, granulirten Leucoeyten nieht zu be- 
zweifeln. Soweit ich mir in dem ausserordentlich schwierigen 
Gebiet der granulationslosen Leucocyten eine Meinung habe bilden 
können, liegen die Verhältnisse folgendermaassen: Während die 
polynucleären Neutrophilen aus den einkernigen Neutrophilen 
(Myeloeyten) durch allmähliches Lappigwerden des einen Kerns 
entstehen und einen Entwiekelungsgang nehmen, der mit den 
granulationslosen Zellen nichts gemein hat, ist zuerst festzuhal- 
ten, dass die Lymphkörperchen niemals eine neutrophile Granu- 
lation erlangen, auch nicht, wenn sie durch Wachsthum die Grösse 
der polynucleären Neutrophilen (10 u) erreicht haben. Die aus 
den Lymphkörperehen zu grossen Lymphocyten (mit einem runden 
Kern) herangewachsenen Zellen können im Verlaufe der weiteren 
Entwickelung einen gelappten Kern erhalten, der gewöhnlich 
plumper aussieht, als der der polynucleären Neutrophilen. Diese 
grossen Lymphocyten mit gelapptem Kern unterscheiden sich 
nicht nur bei Triaeidfärbung — durch Fehlen einer neutrophilen 
Granulation — sondern auch bei Eosin-Hämatoxylin- und Eosin- 
Methylenblaufärbung von den polynucleären Neutrophilen u. z. 
dadurch, dass das Protoplasma der ersteren einen bläulichen Ton 
annimmt, während das Protoplasma der polynucleären Neutro- 
philen bei Anwendung der beiden letzteren Farbgemische unge- 
färbt bleibt. Die vielfach verbreitete Annahme, dass die Lymph- 
körperehen Jugendformen, die polynucleären Zellen Altersformen 
darstellen, und dass die letzteren aus den ersteren hervorgegan- 
gen sind, ist meiner Ansicht nach dadurch entstanden, dass alle 
mögliehen Uebergänge von den kleinen Lymphkörperchen zu den 


grossen Lymphoeyten mit gelapptem Kern — selbst bei dem 
vorliegenden 23 cm langen Embryo — zu finden sind, Es ist 


aber nicht genügend Rücksicht auf die neutrophile Granulation 
genommen worden. Wo besteht nun die Verwandtschaft zwi- 
schen granulationslosen und granulationshaltigen, einkernigen 
Zellen? Sowohl im Knochenmark des gesunden Erwachsenen 
als auch im Blute bei myelogener Leukämie (als auch in der 
Leber des 23 em langen Embryo) kommen neben den Myeloeyten 
noch Zellen vor, die genau wie diese, einen verhältnissmässig 
grossen, kugligen Kern besitzen, aber in dem ziemlich unbedeu- 
tenden Protoplasma bei Triaeidfärbung keine neutrophile Granu- 
lation zeigen. Nach meiner Ansicht sind diese Zellen, von denen 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 351 


ich annehme, dass sie sich mit Müller’s „Markzellen“ decken, 
und die grosse Aehnlichkeit mit den „grossen Lymphoeyten mit 
rundem Kern“ besitzen, doch möglicher Weise auch von den 
letzteren zu unterscheiden. Für’s Erste habe ich sie mit der 
Mehrzahl der anderen Untersucher als „grosse Lymphocyten“ 
bezeichnet. Diese grossen Lymphocyten des Knochenmarks wie 
des leukämischen Blutes zeigen zuweilen an einer Seite mehr 
oder weniger viel neutrophile Granula und man kann Zellen 
neben einander sehen, welche alle möglichen Uebergänge zwischen 
den granulationslosen zu den granulationshaltigen Formen bilden. 

Auf Knochenmark, Milz und Leber brauchen wir bei un- 
serem Embryo nicht genauer einzugehen, weil die Zellen derselben 
sich ähnlich denen verhalten, welche wir bei dem 19 em langen 
Embryo beschrieben haben. 

Von dem 27 cm grossen Embryo, dessen Beschreibung den 
Schluss dieser Abhandlung bilden soll, ist nur zu berichten, dass 
im Blute das Verhältniss der kernlosen zu den kernhaltigen 
Rothen etwa 200:1 betrug, dass ferner auf etwa 90 Erythro- 
cyten ein Leucocyt, und dass endlich auf vier polynucleäre 
Neutrophilen fünf Lymphocyten kamen. Von einem bedeutenden 
Ueberwiegen der Lymphkörperchen über die Granulirten war 
also hier keine Rede, namentlich nicht, wenn man die vorhan- 
denen Myeloeyten mitrechnet. Eosinophile wurden äusserst wenig 
gefunden. Als Beweis, dass die Lymphkörperchen mit den Kernen 
der kernhaltigen Rothen nahe verwandt sein müssen, kann an- 
geführt werden, dass wiederholt zwei Kerne, die ursprünglich 
offenbar einem kernhaltigen Rothen mit zwei Kernen angehört 
hatten, ohne Hämoglobin im Protoplasma zu besitzen, neben 
einander liegend mit gemeinsamem Protoplasmaleib angetroffen 
wurden, und dass diese Gebilde, was Grösse, Färbung, Form, 
Kernstruetur betrifft, von Lymphkörperchen nicht zu unterschei- 
den waren. 

Was die Blutbildungsorgane angeht, ist das Bild im Quetsch- 
präparat der Milz das einfachste. Ausser zahlreichen kernlosen 
finden sich viele kernhaltige Rothe, meist Normoblasten, doch 
sind die kernlosen in der Mehrzahl. Von Leucoceyten sind zwar 
einige polynucleäre Neutrophile, auch einige Myelocyten, selbst 
einige wenige mehrkernige Eosinophile zu finden, die Mehrzahl 
der Leucoeyten besteht jedoch aus Lymphkörperehen und na- 


352 C.S. Engel: 


mentlich grossen Lymphocyten mit rundem, meist gelapptem 
Kern. 

Das Knochenmark sieht dem von Embryonen gerin- 
gerer Grösse sehr ähnlich. Ausser normalen kernlosen Erythro- 
eyten (orangeophilen) waren zahlreiche Normoblasten, sowohl 
kleinkernige, orangeophile als auch grosskernige, fuchsinophile 
vorhanden, daneben Uebergänge von der ersteren Form in die 
zweite, auch mehrkernige kernhaltige Rothe. Megaloblasten waren 
in geringer Zahl vorhanden. Von Leucocyten waren Myelocyten 
und polynucläre Neutrophile zahlreich, ein- und mehrkernige 
Eosinophile nieht selten zu finden. Basophile Mastzellen waren 
nicht zu sehen. Von granulationslosen Zellen waren kleine 
Lymphkörperchen ziemlich zahlreich, Lymphoeyten mit rundem 
und gelapptem Kern weniger häufig. Endlich sind noch die 
kleinkernigen Markzellen zu erwähnen. 

Die Leber endlich bot ein sehr mannigfaltiges Bild. Ausser 
den auch in diesem Alter sehr zahlreichen orangeophilen und fuchsi- 
nophilen, kernhaltigen Rothen von normaler Grösse waren auch 
grosse Megaloblasten mit einem und zwei Kernen ziemlich häufig 
anzutreffen; sie hatten zuweilen eine ganz bedeutende Grösse, 
Dann war auch der Kern sehr gross. Während die kernhaltigen 
Rothen das Bild beherrschten, wurden auch hämoglobinfreie Zellen 
in reichlicher Menge beobachtet, sodass das Leberblut dem des 
Knochenmarks in manchen Gesichtsfeldern nicht unähnlich war. 
Doch besass es mehr kernhaltige Rothe als das letztere. Alle 
bisher beschriebenen Leucocyten: polynucleäre Neutrophile, Myelo- 
cyten verschiedener, selbst bedeutender Grösse, mehr- und meist 
einkernige Eosinophile in ziemlich grosser Zahl, einige Mast- 
zellen, Lymphkörperehen und grosse Lymphoeyten mit rundem 
und mit gelapptem Kern wurden in reichlicher Anzahl ange- 
troffen. Von den einkernigen Eosinophilen ist noch besonders 
hervorzuheben, dass die grobe Granulation bei Triaeidfärbung 
einen mehr violetten, weniger rothen Farbenton angenommen hatte. 

Es würde zu weit führen, wollte ich noch die Schilderung 
des Blutes und der Blutbildungsorgane aus dem letzten Drittel 
des intrauterinen Lebens folgen lassen. Ich will mich hier darauf 
beschränken, zum Schluss die Hauptpunkte aufzuzählen, die für 
das Blut menschlicher Embryonen von 6—27 cm Länge (Ende 
des 2. bis Anfang des 6. Monats) von Bedeutung sein dürften: 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 353 


1. Die Blutkörperchen junger menschlicher Embryonen 
sind hämoglobinhaltig, die hämoglobinfreien mit und ohne Gra- 
nulation treten erst später im Blute auf. Von diesen finden sich 
die Lymphkörperchen früher und zahlreicher ein als die mehr- 
kernigen Zellen. 

2. Je jünger der Embryo, um so zahlreicher sind die kern- 
haltigen Rothen im Vergleich zu den kernlosen im Blut. Mit 
dem Wachsthum des Embryo geht die Zahl der kernhaltigen 
Rothen zurück. 

3. Die kernhaltigen Rothen der jüngeren, embryonalen 
Zeit sind vielfach grösser als die kernlosen Rothen des gesunden 
Erwachsenen, ebenso sind die kernlosen Rothen bis etwa zum 
Ende des dritten Monats meistens grösser als die normalen 
Erythroeyten. 

4. Bis etwa zum Ende des dritten embryonalen Monats 
finden sieh im Blute hämoglobinhaltige, kleinkernige, kuglige 
Zellen, die von da ab beim gesunden Menschen nicht mehr ge- 
funden werden. — Sie finden sich beim Erwachsenen zuweilen 
im Knochenmark und selten im Blute an pernieiöser Anämie 
Erkrankter. — Diese, Metrocyten genannt, sind nicht identisch 
mit den bei Anämie im Blute vorkommenden Normoblasten und 
müssen ferner von den bei schweren Anämien gefundenen gross- 
kernigen Megaloblasten unterschieden werden. 

5. So lange Metrocyten im Blute vorhanden sind, werden 
auch Macroeyten gefunden, mit dem Verschwinden der ersteren 
werden auch letztere vermisst. Neben den grossen Metrocyten 
besitzt das Blut noch kleinere Zellen derselben Art, die sich von 
ersteren nur durch ihre geringere Grösse unterscheiden. Wie die 
Macrocyten mit den Metrocyten, sind die normalen Erythrocyten 
mit den kleinkernigen Normoblasten verwandt. Bis etwa zum 
dritten Monat, solange das Blut Blutbildungsorgan ist, scheint 
der Metrocyt sich in einen Macroeyten und einen kleinkernigen 
Normoblasten zerlegen zu können. Vom Anfang des zweiten 
Drittels des embryonalen Lebens ab werden weder im Blute noch 
in den Blutbildungsorganen Metrocyten gefunden. 

6. Ausser den orangeophilen enthält das embryonale Blut 
noch fuchsinophile, kernhaltige und kernlose, rothe Blutkörper- 
chen. Durch Wachsthum des Kerns kann ein orangeophiles, 
kernhaltiges zu einem fuchsinophilen werden. Diese Umwand- 


354 0.8. Engel: 


lung scheint nur in der jüngeren Zeit des embryonalen Lebens 
statt zu haben, nach Eingreifen der Blutbildungsorgane scheinen 
beide Formen neben einander gebildet zu werden. Eine direkte 
Umwandlung eines orthochromatischen, kernlosen Blutkörperchens 
in ein polychromatisches (Degeneration) erfolgt nicht; wie die 
orthochromatischen, kernlosen aus orthochromatischen, kernhalti- 
gen Rothen entstehen, so geschieht es auch bei den polychroma- 
tischen. | 

7. Knochenmark und Milz nehmen erst nach dem dritten 
Monat an der Blutbildung Theil; Metrocyten werden in ihnen 
nieht gebildet, das Produkt ihrer Thätigkeit sind orangeophile 
und besonders fuchsinophile Normoblasten. Die, im Vergleich zu 
den zahlreichen fuchsinophilen, geringen orthochromatischen, klein- 
kernigen Rothen scheinen für den Ersatz zu Grunde gehender 
orthochromatisceher, kernloser Rother auszureichen. Die fuehsino- 
philen, kernhaltigen Rothen der Blutbildungsorgane scheinen nur 
im Nothfall (bei Anämien) zur Neubildung von (fuchsinophilen) 
kernlosen Rothen herangezogen zu werden. 

8. Die Leber nimmt schon während einer früheren Zeit 
des embryonalen Lebens an der Blutbildung Theil als Milz und 
Knochenmark; sie scheint weniger zur Bildung von hämoglobin- 
haltigen als vielmehr zur Entwiekelung hämoglobinfreier Zellen 
beizutragen. Aus der ausserordentlich grossen Zahl ihrer fuchsi- 
nophilen, kernhaltigen Rothen, die zur Entwickelung orthochro- 
matischer, kernloser Rother ungeeignet sind, darf man schliessen, 
dass die kernhaltigen Rothen nicht nur zur Bildung von Erythro- 
eyten dienen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass den Kernen 
der hämoglobinhaltigen Zellen eine viel grössere Bedeutung bei- 
gelegt werden muss, als es gemeinhin geschieht. Die Kerne der 
kernhaltigen Rothen scheinen noch eine andere Aufgabe zu haben 
als zu verschwinden. 

9. Es ist nieht zu bestreiten, dass ein grosser Theil der 
Kerne der Normoblasten durch Karyolyse unsichtbar wird, ebenso 
sicher ist aber, dass der Kern, umgeben von einem hämoglobin- 
freien Protoplasmasaum, den Rest des Normoblasten, den Erythro- 
eyten, verlassen kann, um selbständig weiter zu leben. Ebenso 
wie aus dem kernhaltigen, rothen Blutkörperchen durch Kern- 
schwund (Karyolyse) ein kernloses Rothes, ebenso wie durch 
Trennung des Kerns von dem hämoglobinhaltigen Theil ein 


Weiterer Beitrag zur Entwickelung der Blutkörperchen etc. 355 


kernloses Blutkörperchen und ein Leucoeyt entstehen kann, ebenso 
kann der dureh Auflösung des hämoglobinhaltigen Protoplasmas 
(Plasmolyse) frei gewordene Normoblastenkern zum Lymphoeyten 
auswachsen. Es ist sehr wohl anzunehmen, dass der durch Ka- 
ryolyse unsichtbar gewordene Kern zu den Blutplättchen in Be- 
ziehung steht. 

10. Wenn auch die granulationslosen Leucocyten früher 
im Blute gefunden werden als die mehrkernigen, neutrophil gra- 
nulirten, so ist doch noch nicht bewiesen, dass die letzteren aus 
den ersteren hervorgegangen sind. Im Gegentheil ist es sehr 
wahrscheinlich, dass die Lymphkörperchen und grossen Lympho- 
eyten einerseits, die Myelocyten und die polynucleären Neutro- 
philen andererseits, endlich die ein- und mehrkernigen Eosino- 
philen je einen getrennten Entwickelungsgang haben. Wenn 
auch über die Herkunft der Granulationen in den Zellen noch 
keinerlei Anhaltspunkte vorhanden sind, so wird man doch gut 
thun, darnach zu forschen, was aus dem Hämoglobin derjenigen 
kernhaltigen Rothen wird, die zur Bildung von kernlosen nicht 
herangezogen werden. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII. 


Die Bilder entsprechen einer Vergrösserung von 664 (8x 83). 
Als optisches Instrument wurde der Apochromat von Zeiss mit 3mm 
Brennweite und 1,40 Apertur (Vergrösserung 83) mit Compensations- 
ocular 8 benutzt. Gefärbt wurde mit Triacid. Die Fixirung geschah, 
um die Orangeophilie neben der Fuchsinophilie herauszubringen, bei 
ca. 130—1350 C. Um den Eindruck des mikroskopischen Bildes nach 
Möglichkeit zu wahren, konnten einzelne, besonders grosse Zellen bei 
dem beschränkten Raum nicht dargestellt werden. 
Fig. 1. Blut eines menschlichen Embryo von 8cm Länge. 

a) Metrocyt II. Generation; b) kleinerer Metrocyt; ce) kleine 
orangeophile Normoblasten ; d) freier Metroeytenkern; e) oran 
geophiler Normoblast noch in Verbindung mit einem kern- 
losen Erythrocyten; f) Macrocyten; g) normaler Erythrocyt 
(ohne Delle); h) Mierocyt; i) fuchsinophile Normoblasten; k) 
mehrere Normoblasten, die nach der Theilung des Kerns ihr 
Protoplasma noch nicht getrennt haben; 1) Megaloblast; m) 
fuchsinophile Erythrocyten, durch Kernverlust aus den fuchsi- 
nophilen Normoblasten hervorgegangen; n) Lymphkörperchen; 
o) polynucläre Neutrophile. 


ig. 2. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


C. S. Engel: Weiterer Beitr. z. Entwickel. d. Blutkörperchen etc. 


Leberblut desselben Embryo. 

a) Metrocyt; b) kleiner Metrocyt; ec) freier Metrocytenkern 
(mit wenig hämoglobinfreiem Protoplasma; d) ein- und mehr- 
kernige fuchsinophile Normoblasten; d‘/) Kerntheilung; d“) 
Knospenbildung; e) Megaloblast; f) fuchsinophile Erythrocyten; 
g) normaler Erythroeyt; h) Macrocyt; i) Lymphkörperchen; 
k) Myelocyt; I) grosser Lymphocyt oder Megaloblast oder 
„mononucleäre Zelle“. 

Blut eines 23cm langen Embryo. 

a) orangeophiler Normoblast (kleiner Metrocyt); b) orangeo- 
phile Normoblasten, die allmählich fuchsinophil werden; c) 
fuchsinophile Normoblasten (gewöhnliche Form); d) Macroeyt; 
e) normaler Erythrocyt; f) fuchsinophiler Erythrocyt; g) freier 
Kern (eines kleinkernigen Normoblasten) mit wenig Proto- 
plasma; h) Lymphkörperchen; i) grosser Lymphocyt mit ge- 
lapptem Kern; k) polynucleäre Neutrophile; ]) Myelocyt; m) 
Blutplättchen. 

Quetschpräparat aus dem Knochenmark des 23 cm 
langen Embryo. 

a) orangeophiler Normoblast; b) Normoblasten, die allmäh- 
lich fuchsinophil werden (b/); e) freier Kern; d) Lymphkörper- 
chen; e) grosser Lymphoeyt mit gelapptem Kern; f) Myelo- 
eyten; g) polynucleäre Neutrophile. 

Quetschpräparat aus der Milz eines 27 cm langen 
Embryo. 

a) Normoblasten; b) freier Kern mit wenig Protoplasma; 
c) freier Kern, der zum Lymphkörperchen heranwächst; d) 
Lymphkörperchen; e) grosse Lymphocyten mit gelapptem 
Kern; f) grosser Leucocyt mit rundem Kern; g) polynucleäre 
Neutrophile; h) Myelocyt; i) mehrkernige Eosinophile. 
Leberblut des 27 cm langen Embryo. 

a) orangeophiler Normoblast; a‘) fuchsinophil werdend; b) 
fuchsinophile Normoblasten; ce) fuchsinophiler Megaloblast; d) 
Lymphkörperchen; e) grosser Lymphocyt; f) Myelocyten; g) 
polynucleäre Neutrophile; h) mehrkernige Eosinophile; i) ein- 
kernige Eosinophile. 


357 


(Aus dem pathol.-anatomischen Institut zu Marburg; Prof. Marchand.) 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern 
bei einer Erwachsenen. 


Von 
Dr. W. Stoeckel, Assistent an der Frauenklinik zu Bonn. 


Hierzu Tafel XVII. 


Bei der Durchsicht einiger zu anderen Zwecken herge- 
stellter Schnitte aus den Ovarien einer unmittelbar nach der 
Menstruation verstorbenen Erwachsenen machte mich Herr Ge- 
heimrat Marchand auf das Vorhandensein eines doppelten 
Keimbläschens in einem Primordialfollikel aufmerksam und ver- 
anlasste mich zu einer eingehenden Untersuchung der beiden 
Ovarien. 

Es stellte sich dabei die überraschende Thatsache heraus, 
dass die Verdoppelung des Keimbläschens eine sehr grosse An- 
zahl von Primordial-Eiern betraf, ja dass solche mit 3, selbst 4 
Keimbläschen vorhanden waren. 


Es handelte sich um eine Nullipara, welche im Alter von 29 
Jahren am 9. Mai 1898 in der hiesigen medieinischen Klinik in Folge 
von rechtsseitiger kroupöser Pneumonie gestorben war. Aus der 
Anamnese und dem Krankheitsverlauf will ich nur hervorheben, dass 
die Patientin schwächlich und chlorotisch gewesen sein soll. Sie war 
seit ihrem 15. Lebensjahre menstruirt, zunächst in unregelmässigen, 
dann in regelmässigen Intervallen mit geringer Blutung und ohne be- 
sondere Beschwerden. Fünf Tage vor ihrem Tode trat die Periode 
ein und hielt unter sehr geringer Blutung drei Tage an. Zugleich 
stellte sich etwas Nasenbluten ein. Die Pneumonie hatte acht Tage 
vor dem Tode begonnen. 

Bei der Section (Sectionsprotokoll 61) wurde die klinische Dia- 
gnose bestätigt. Der Uterus war von gewöhnlicher Grösse, dunkel- 
geröthet; an seiner hinteren Wand fand sich ein halberbsengrosses, 
weissliches, scharf abgegrenztes Knötchen. Das Oreficium uteri exter- 
num bildete eine kleine rundliche Oeffnung. Die Schleimhaut des 
Uterus war etwas geröthet, an ihrer Oberfläche hingen lose gelblich- 
grau gefärbte, membranöse Fetzen. Die Ovarien waren mit dem Uterus 
unnnittelbar nach der Section in Müller’scher Flüssigkeit mit Zusatz 


358 W. Stoeckel: 


von Formol konservirt und sodann in Alkohol gehärtet. Dieselben 
waren ziemlich gross (am gehärteten Präparat betrug die Länge etwa 
5,0cm, die grösste Breite 2,0 cm, die Dicke in der Mitte 1,0 cm), von 
länglich walzenförmiger Gestalt, an beiden Enden verschmälert; ihre 
Oberfläche war nur wenig höckerig. Es fanden sich einige mit klarer 
Flüssigkeit gefüllte Follikel. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurden das ganze Organ um- 
fassende Querschnitte aus beiden Ovarien in Celloidin und Paraffin 
eingebettet und in Einzelschnitte von 10—12 u sowie Schnittserien zer- 
legt. Zur Färbung wurde Hämatoxylin-Eosin, vornehmlich aber die 
van Gieson’sche Methode verwandt. 


Hervorheben möchte ich zunächst, dass beide Ovarien sich 
als frei von pathologischen Veränderungen erwiesen insofern, als 
von entzündlichen Processen oder sonstigen Veränderungen des 
Gewebes nichts nachzuweisen war. Vielmehr zeigten sowohl die 
bindegewebigen wie die epithelialen Elemente eine vollkommen 
normale Struktur mit ganz ausgezeichneter Kernfärbung. Dieses 
Letztere gilt besonders auch für das die Albuginea überziehende 
Keimepithel, welches an gut eingebetteten Schnitten als einfacher 
Zellbelag mit (nach van Gieson) tief dunkelbraun gefärbten 
Kernen erkennbar ist. Einstülpungen desselben in die Rinden- 
schicht hinein, sowie unvollkommene abgeschnürte Schläuche 
fanden sich an keiner Stelle. Die Gefässe am Hilus sowie in 
der Marksubstanz sind verhältnissmässig weit und meistens prall 
mit Blut gefüllt. Veränderungen der Gefässwand liegen nicht 
vor. Die Primordialfollikel liegen nahe der Oberfläche in der 
ganzen Cirkumferenz der einzelnen Schnitte. Ihre Anzahl ist 
wechselnd, stellenweise sehr beträchtlich. Es fällt sofort eine an 
vielen Stellen wiederkehrende Gruppirung derselben auf, indem 
zwei, drei oder vier von ihnen unmittelbar aneinander gelagert 
eine Reihe bilden oder sich zu einem Kreise vereinigen (Fig. 11). 
Dieses Verhalten erinnert an die Verhältnisse beim Neugeborenen, 
wo eine derartige Anordnung öfters beschrieben worden ist. 
Dieselbe geht dann in der Regel um so mehr verloren, je älter 
das Individuum wird, je mehr die einzelnen Follikel durch zwi- 
schengeschobenes Bindegewebe auseinander gedrängt werden. 
Auch hier finden sich solche einzelne Primordialfollikel, ziemlich 
weit von einander entfernt, in grosser Anzahl, meiner Schätzung 
nach etwa ebenso häufig wie die Follikelgruppen. Diese Letz- 
teren umfassen zuweilen auch sechs und mehr, scheinbar zu einem 
Verbande zusammengeschlossene Follikel, jedoch sehr viel seltener 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete. 359 


als drei und vier. Die Scheidewände zwischen diesen werden 
theils durch ganz feine, sich nach van Gieson lebhaft roth 
färbende Bindegewebsfasern gebildet, theils von einer einfachen 
oder doppelten Reihe von Follikelepithelien, zwischen denen die 
eben erwähnten, eine Membran bildenden Bindegewebsfasern ver- 
laufen. In den tieferen Parthien der Rindenschicht sind Eifollikel 
in den verschiedensten Entwickelungsstadien bis zu vollständig 
reifen Graaf’schen Follikeln, sowie Corpora fibrosa vorhanden. 
Das linke Oyarium enthält den von der letzten Menstruation her- 
stammenden geplatzten Follikel.e. Die Mehrzahl der Primor- 
dialfollikel entspricht vollkommen der Norm. Von rund- 
licher oder mehr ovaler Gestalt werden sie gebildet von einer 
einfachen Umhüllung von Follikelepithelzellen mit länglich-ovalen, 
die Färbung gut annehmenden Kernen, welche stets ein deutliches, 
scharf hervortretendes Kernkörperchen erkennen lassen. Im In- 
nern dieses Epithelringes findet sich das Ei, welches, gewöhnlich 
ziemlich in seiner Mitte, das Keimbläschen enthält. Die Membran 
des letzteren, sein Kernkörperehen und Kerngerüst sind in der 
Regel gut sichtbar, nicht selten jedoch in Folge etwas blasserer 
Färbung schlechter zu unterscheiden. Das Protoplasma der Ei- 
zelle erscheint bei Eosinfärbung röthlieh, bei Anwendung der 
Färbung nach van Gieson matt-gelblich, füllt das Follikellumen 
meistens vollkommen aus und sieht bei starker Vergrösserung 
fein- granulirt aus. Daneben fällt jedoch eine erhebliche Anzahl 
von Follikeln auf, die sehr bemerkenswerthe Abweichungen des 
soeben skizzirten Bildes aufweisen, als deren wichtigste ich 
die Verdoppelung des Eies und des Keimbläschens 
an erster Stelle hervorheben und kurz beschreiben möchte, zumal 
sie auch an Zahl erheblich die später zu beschreibenden Formen 
überragt. Eier mit doppeltemKeimbläschen finden 
sich fast in jedem Schnitt, zuweilen mehrere in 
einem. Ihre Gestalt und gegenseitige Lagerung ist verschieden. 
Gewöhnlich sind beide ungefähr gleich gross und entweder un- 
mittelbar aneinander gelagert, so dass sich ihre Membranen in 
geringer Ausdehnung oder nur in einem Punkte berühren (Fig. 2) 
oder von einander isolirt, auseinander gerückt und allseitig vom 
Protoplasma des Zellleibes umgeben. Im ersteren Falle resultirt, 
falls die Gestalt des Keimbläschens, wie es meistens der Fall ist, 
annähernd rund erscheint, das Bild einer regelmässigen Acht. 


360 W. Stoeckel: 


Seltener habe ich zwei oval geformte Keimbläschen, nur ganz 
ausnahmsweise ein rundes neben einem ovalen gesehen. An zwei 
Eiern fiel mir ihre erhebliche Grössendifferenz besonders auf. 
Das eine derselben zeigte einen Doppelkern derart, dass an einem 
grossen Keimbläschen ein sehr viel kleineres gleichsam wie ein 
Appendix daran sass. Beide Gebilde waren gleichmässig rund, 
wobei das erstere ungefähr der Norm entsprach. Das andere Ei 
zeigte ein ganz ähnliches Bild, indem bei demselben Grössen- 
verhältniss der beiden Keimbläschen ihre Form eine mehr .läng- 
lich-ovale war. 

Es handelte sich hier sicher nicht um Schrägschnitte, son- 
dern die beiden Keimbläschen waren in ihrer ganzen Ausdehnung 
getroffen, was zunächst schon daraus hervorging, dass beide Ge- 
bilde bei derselben Einstellung mit gleicher Schärfe hervortraten, 
mithin also in der gleichen Ebene lagen und ausserdem beide 
alle Theile eines Keimbläschens: eine scharf ausgeprägte Kern- 
membran, ein deutliches, ziemlich grosses, excentrisch gelegenes 
Kernkörperchen, ein etwas weniger markirtes Kerngerüst, sowie 
mehrfache in der Kernsubstanz verstreute dunkelgefärbte Körner 
enthielten. Entsprechend der Gestalt der beiden Keimbläschen 
gingen ihre Membranen an der Berührungsstelle in einander über. 
— Sehr viele dieser Eier werden oft schon durch eine auffallende 
Grösse des Follikels gekennzeichnet, auch das Eiprotoplasma 
zeigt häufig eine das Gewöhnliche überschreitende Ausdehnung; 
seine Masse erscheint jedoch stets vollkommen einheitlich ohne 
jede Furchenbildung, sodass es sich also um einfache Eizellen 
mit doppeltem Kern handelt. Sehrviel zahlreicher 
noch sind Primordialfollikel, die je zwei Eier 
enthalten. Viele derselben unterscheiden sich von den eben 
genannten nur dadurch, dass im Eiprotoplasma zwischen den 
Keimbläschen eine Grenzlinie sichtbar wird, welche dasselbe ent- 
weder nur zum Theil oder vollkommen durchzieht, ohne aber in 
nachweisbare Verbindung mit der Follikelwand zu treten (Fig. 5). 
Dieselbe verläuft etwas gekrümmt oder auch in halbelliptischer 
Kurve, in den meisten Fällen aber halbkreisförmig und bewirkt 
eine Trennung der Protoplasmamasse des Eies in zwei scheinbar 
ungleiche Theile, indem sie den ihrer konkaven Seite anliegenden 
Theil derselben zu einem oval- resp. rundlich geformten Eikörper 
abschliesst, während der Rest des Protoplasmas den halbmond- 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete. 361 


förmigen Raum, welcher von ihrer konvexen Seite und dem ent- 
sprechenden Theil der Follikelwand gebildet wird, ausfüllt. Es 
macht den Eindruck, als ob die so entstandenen beiden Eier 
übereinander liegen, und das obere einen Theil des Protoplasmas 
von dem darunter liegenden verdeckt, so dass nur ein halbmond- 
förmiger Abschnitt von diesem sichtbar ist. Begleitet wird diese 
Grenzlinie öfters von einem schmalen, hellen Streifen. 

In anderen Follikeln präsentiren sich die beiden Eier von 
annähernd gleicher, jänglich ovaler Gestalt und derart aneinander 
gelagert, dass sie sich nur mit ihrem Protoplasmasaum eine kurze 
Strecke weit berühren, im Uebrigen aber von hellen Lücken voll- 
ständig umschlossen werden. Die letzteren liegen zuweilen auch 
in der Mitte des Follikels, die beiden je ein Keimbläschen ent- 
haltenden Eier scheinbar vollständig von einander trennend. 

Diese zunächst in die Augen fallenden Formen überraschten 
mich ungemein. Ich glaubte zunächst in den Eiern mit doppel- 
tem Keimbläschen Bildungen vor mir zu haben, wie sie als ex- 
ceptionelles Vorkommniss unter dem Namen von „Zwillingseiern“ 
ganz vereinzelt bei Föten und Neugeborenen beschrieben sind. 
Abgesehen davon, dass ihre grosse Anzahl diese Annahme von 
vornherein nicht sehr wahrscheinlich machte, forderten die noch 
häufigeren doppeleiigen Follikel ohne Weiteres dazu auf, sie mit 
diesen in nähere Beziehung zu bringen und an einen Theilungs- 
prozess zu denken, der eine Umwandlung doppelkerniger Eier 
in Doppeleier herbeiführt. Besonders dort, wo in einem sonst 
vollkommenen einheitlichen Eiprotoplasma eine Grenzlinie zwischen 
den beiden Keimbläschen andeutungsweise oder scharf hervortrat, 
schien ein Bindeglied vorzuliegen, die Grenzlinien also die Bedeu- 
tung einer Theilungsfurche zu haben. In gleichem Sinne waren 
die erwähnten Grössenunterschiede der beiden Keimbläschen, so- 
wie ihre verschiedene Lagerung zu einander zu verwenden. Man 
kann die verschiedenen Follikel ohne Zwang in eine Reihenfolge 
anordnen, dass sie als Glieder einer Theilungskette aufgefasst 
werden können. Ich bemühte mich des Weiteren für diesen 
Theilungsvorgang, an dessen Vorhandensein schon nach dem bis- 
her Gesagten wohl nicht zu zweifeln ist, neue Anhaltspunkte zu 
gewinnen. Was sich dabei ergab, soll in Kürze mitgetheilt 
werden und zwar sollen zunächst diejenigen Eier behandelt 
werden, die als Vorstadien zu den Eiern mit doppeltem Keim- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53. 24 


3623 W. Stoeckel: 


bläschen anzusehen sind. Das Keimbläschen erscheint vielfach 
ganz besonders gross, wie aufgequollen. Sein Aussehen wird 
dabei entweder im Ganzen heller oder es tritt nur an einzelnen 
Stellen eine unregelmässig umschriebene hellere Färbung ein. 
Die äussere Form ist dabei noch die gewöhnliche, runde, die 
Begrenzung durch die Kernmembran scharf. Die Lage des Kern- 
körperchens wechselt, bald liegt es peripher, bald im Centrum 
und erscheint dabei zuweilen sehr vergrössert, verbreitert und un- 
regelmässig zackig. Daneben sind oft 2—3 Nehenkernkörperchen 
sichtbar, die meistens sehr viel kleiner als das Kernkörperchen 
sind, oft aber demselben an Grösse auch nur wenig nachstehen. 
Ihre Anordnung ist sehr verschieden: bald liegen sie in unmittel- 
barer Nähe des Kernkörperchens, bald in unregelmässigen Ab- 
ständen von demselben. In wieder andern Fällen erscheint das 
ganze Keimbläschen hell und an seiner Peripherie, der Kern- 
membran unmittelbar anliegend, sieht man grössere und kleinere 
Körnchen, unter denen man das Kernkörperehen nicht deutlich 
herauszufinden vermag. 

An andern Eiern tritt eine erhebliche Gestaltveränderung 
des Keimbläschens auf, mit welcher die Form des Eiplasmas 
und des Follikels nur selten korrespondirt. Es erscheint läng- 
lich-oval (Fig. 1). Seine Membran ist meist noch scharf und 
deutlich ausgeprägt, oft aber geht diese scharfe Abgrenzung 
auch verloren. Die Konturen werden unregelmässig, zackig, ver- 
schwommen; das Aussehen kann eckig, hantel-, bohnen-, herzförmig 
werden. Es macht den Eindruck, als ob eine stellenweise Ver- 
breiterung und zugleich Einkerbung und Einschnürung erfolgt. 
Mit dieser äusseren Gestaltveränderung geht meistens auch eine 
Veränderung des Inhalts Hand in Hand. Die vorher erwähnte 
Verbreiterung und Vergrösserung des Nucleolus ist hier oft ganz 
besonders ausgeprägt, das Chromatinnetz enthält besonders zahl- 
reiche und grosse, dunkle Körner und mehrfach sieht man in 
solchen Keimbläschen 2 Kernkörperchen, welche dann entweder 
an der Peripherie einander gegenüberliegen (Fig. 10) oder mehr 
nach der Mitte zu gelagert sind (Fig. 1), wo sie zuweilen in 
gleicher Höhe mit einer meist doppelseitig auftretenden Ein- 
schnürung des Keimbläschens sich vorfinden. Dieses Zusammen- 
treffen ist jedoch ein ausserordentlich seltenes und ich gebe 
diesen Befund daher nur mit einer gewissen Reserve wieder, in- 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern etc. 363 


dem ich den Hauptwerth auf die Gestaltveränderungen des ganzen 
Kernes lege, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit bereits eine 
auf direktem Wege sich vollziehende Theilung anzudeuten scheinen. 
Einzelne dieser Formen freilich können sehr wohl durch Schräg- 
schnitte hervorgerufen sein; namenjlich wo das Aussehen bohnen- 
ähnlich wird, halte ich es für sehr wohl möglich, dass der be- 
treffende Schnitt nur die eine Hälfte des schräge zur Oberfläche 
gelegenen Keimbläschens gefasst hat. Andere Formen, wie be- 
sonders die hantelförmigen, lassen eine solche Verwechselung 
wohl nicht befürchten und ich betrachte sie daher als die Vor- 
läufer einer direkten Kernabschnürung, wie wir sie bei 2 von 
den oben erwähnten Eiern mit doppeltem Keimbläschen nach- 
weisen konnten. Zeichen einer indirekten Kerntheilung habe ich 
nirgends auffinden können. Oefters freilich glaubte ich schleifen- 
artige Gebilde um 2 peripherwärts gelagerte Centren angeordnet 
zu sehen, an andern Stellen auch feine, fadenförmige Ausläufer, 
die netzartig von zwei Kernkörperchen ihren Ausgangspunkt 
nahmen. Indessen waren diese Bildungen nicht scharf ausge- 
prägt, und die Kernmembran war dabei noch stets erkennbar '). 

Verdoppelung des Kernkörperchens, besonders aber Form- 
verändernngen und Abschnürung am Keimbläschen selbst können 
wir demnach als die Vorstadien ansehen, aus denen die ver- 
schiedenen doppelkernigen Eier hervorgehen. Die weitere Meta- 
morphose derselben durch Furchung des Eiprotoplasma in 2 ge- 
trennte Eier (Figur 3), wie wir sie schon kennengelernt haben, 
bedeutet noch nicht das Ende des Prozesses. Derselbe tritt viel- 
mehr jetzt in ein neues Stadium durch Mitbetheiligung der Fol- 
likelwand, mit der Eitheilung kombinirt sich die Follikeltheilung. 
Der Grenzfurche zwischen den beiden Eiern folgend schiebt sich 
zunächst eine feine sich nach van Gieson intensiv rotlı färbende 
Bindegewebslamelle ein. Sie verliert sich manchmal mitten 
zwischen den beiden Eiern in der Grenzfurche, an sehr vielen 
anderen Follikeln sieht man sie jedoch deutlich von einer Seite 
zur andern hinüberziehen, die beiden Eiprotoplasmen vollständig 
von einander trennend (Fig. 6). Es scheint auch ein doppel- 


1) Sie scheinen den neuerdings (Verhandl. d. anat. Gesellsch. v. 
1898, S. 140) von van der Stricht beschriebenen Schleifenbildungen 
zu entsprechen. 


364 W. Stoeckel: 


seitiges Vordringen solcher Bindegewebsfasern dem Verlauf der 
Grenzfurche entsprechend vorzukommen, wenigstens sprechen 
dafür jene Follikel, in denen sie beiderseits zwischen die Eier 
hinein verfolgbar sind, ohne sich noch in der Mitte zu vereinigen. 
Es scheint, dass diese Epithelzellen des Follikels zuerst sich vom 
Rande her zwischen die in Theilung begriffenen Eizellen hinein- 
schieben. Der Follikel zeigt an den der Eifurche entsprechenden 
Stellen eine deutliche Einbuchtung, die Epithelien biegen an 
dieser Stelle aus ihrer ursprünglichen, der Peripherie des Ei- 
plasmas parallel verlaufenden Richtung ab und stellen sich zu- 
nächst schräg, dann mehr minder senkrecht zum Follikel, um 
zugleich nun auch ihrerseits einzeln oder paarweise, von einer 
Seite oder auch von beiden Seiten ziemlich zugleich zwichen die 
bereits getrennten Eier vorzurücken und so die endgültige Bildung 
zweier mit vollständiger Epithelbekleidung versehener einfacher 
Primordialfollikel zu veranlassen. Das gesammte sich darbietende 
Bild ist damit jedoch noch lange nicht vollständig wiederge- 
geben. Dasselbe gestaltet sich vielmehr noch sehr viel bunter 
durch das wiederholte Auftreten von Eiern mit 5 und 4 Keim- 
bläschen sowie von dreieiigen Follikeln. Diese beiden Formen 
sind sehr viel seltener als die Doppelbildungen, immerhin aber 
relativ häufig. In den zahlreichen von mir durchgesehenen Prä- 
paraten kommt ungefähr auf jeden 15. Schnitt ein vielkerniges 
Ei resp. ein vieleiiger Follikel. Betrachten wir zunächst die 
Eier mit mehrfachen Keimbläschen, so finden wir dieselben in 
verschiedener Weise angeordnet. Einmal fand ich sie als drei- 
getheilte Rosette in der Mitte des Protoplasmas gelegen. Diese 
Rosettenform beruhte jedoch nicht auf einem zusammenhängen- 
den, dreitheiligen Keimbläschen, sondern war lediglich durch 
Uebereinanderlagerung vollständig von einander getrennter Keim- 
bläschen bedingt. Bei stärkerer Vergrösserung konnte ich zu- 
nächst 3 sich theilweise kreuzende Kernmembranen deutlich nach- 
weisen; dieser Follikel konnte durch 4 Schnitte von 10 u Dicke 
verfolgt werden. Auf dem Schnitte, welcher dem soeben ge- 
schilderten voraufging, bildeten die 3 Keimbläschen einen 
Kreis; in dem 4. Schnitt wurde noch ein 4. Keimhläschen in 
demselben Follikel sichtbar. 4 Keimbläschen in einem Ei habe 
ich sonst nur noch einmal gesehen. Furchen im Protoplasma 
fehlten in beiden Eiern. Unter den Follikeln, welche 3 von ein- 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern etc. 365 


ander getrennte Eizellen enthielten, möchte ich einen besonders 
hervorheben, an welchem der Theilungsprozess ungleichmässig 
vorgeschritten zu sein schien (Fig. 8). Dieser Follikel hatte be- 
trächtliche Grösse und eine lJangausgezogene schlauchartige Form. 
Er enthielt 3 in einer Reihe angeordnete Eier. Das Protoplasma 
des mittleren war nach einer Seite hin durch eine schwach aus- 
geprägte, halbkreisförmige, von einem hellen Hof umsäumte 
Furche von dem benachbarten Ei getrennt. An dieser Stelle 
fand sich eine doppelseitige Einbuchtung der Follikelwand, welche 
der zwischen die beiden Eier sich vorschiebenden Epithellage 
entsprach. Die Protoplasmen der beiden Eizellen standen noch 
miteinander in Verbindung. Es lag also hier die fast vollendete 
Umwandlung eines Follikels mit 3 Eiern in 2 Follikel mit einem 
resp. 2 Eiern vor. An vielen anderen Follikeln war die Theilung 
bereits vollständig eingetreten: ein Primordialfollikel von gewöhn- 
lichem Aussehen liegt einem andern, der 2 getrennte Eier ent-- 
hält, unmittelbar an (Fig. 5). Ob dabei eine Theilung des Keim- 
bläschen in 3 Tochterbläschen stattfindet, oder ob zunächst eine 
Verdoppelung erfolgt und sich das eine Keimbläschen dann noch 
weiter theilt, ist nach den mir vorliegenden Bildern nicht sicher 
zu entscheiden. Die eben geschilderten Formen scheinen auf 
den zweiten Entstehungsmodus hinzuweisen. Ich möchte an 
dieser Stelle nochmals die bereits eingangs der Arbeit erwähnte 
Gruppirung der Primordialfollikel (mit je einem Ei) zu je zweien, 
dreien oder vieren in Ketten- resp. Kreisform hervorheben, da 
ich sie als das Endresultat dieses ganzen Prozesses ansehe, zu- 
mal auch bier Uebergänge sichtbar sind, indem die Scheidewände 
der enge und unmittelbar aneinandergelagerten Follikel entweder 
nur aus Bindegewebsfasern oder schon aus einer einfachen oder 
doppelten Epithelzellenlage bestehen. Schliesslich deutet nur 
noch gruppenartige Anordnung die ursprüngliche Zusammen- 
gehörigkeit an (Fig. 11). 

Das häufige Vorkommen heller Vakuolen im Eiprotoplasma 
wurde bereits erwähnt; dieselben finden sich sowohl in Gestalt 
kreisrunder Räume von verschiedener Grösse im Innern der Ei- 
zelle als besonders an der Peripherie, sodass das Protoplasma 
durch zahlreiche konkave Ausschnitte unregelmässig gestaltet 
erscheint. 


366 W. Stoeckel: 


Zuweilen findet man eine Vakuole unmittelbar dem Keim- 
bläschen anliegend, mit ihm eine achtförmige Figur bildend }). 

Wenige Worte noch über das Verhalten des Follikelepithels. 
Dasselbe ist im Allgemeinen sehr gut erhalten; seine ovalen 
Kerne treten bei der Theilung scharf hervor. Nur ausnahms- 
weise ändert sich die Form derselben und geht aus einer ovalen 
in eine mehr eckig-polyedrische über, wobei dann auch die 
Struktur etwas verwaschen erscheint. Die Kontinuität des Fol- 
likelepithelringes um das Ei findet sich sehr häufig unterbrochen. 
Für die verschiedenen der erst durch eine Bindegewebslamelle 


1) Nachträglicher Zusatz: In der Mehrzahl der Eier findet 
sich der durch Henneguy*) genauer bekannte und neuerdings von 
van der Stricht**), untersuchte Balbiani’sche Dotterkern. Derselbe 
ist nur in einigen der abgebildeten Eier, wo er besonders deutlich her- 
vortrat, sodann in den Figuren 12—15 bei stärkerer Vergrösserung 
dargestellt. Der Körper ist an den nach van Gieson gefärbten Prä- 
paraten etwas dunkler gelblich gefärbt als das umgebende Protoplasma 
und stärker lichtbrechend. Oft ist das Protoplasına in seiner Umge- 
bung etwas stärker granulirt, oder der Körper liegt in eineın helleren 
Kreise. Der Körper ist in der Regel kreisrund, ca. 4—5 u gross, 
nicht selten aber auch länglich oval, bikonvex und selbst spindelförmig. 
Ziemlich häufig ist die Mitte heller, der Rand etwas stärker lichtbre- 
chend, so dass der Körper ringförmig erscheint. Nicht ganz selten 
finden sich auch zwei gleichgrosse Körper nebeneinander, zuweilen 
auch drei, von verschiedener Form und Grösse, doch ist schwer zu 
entscheiden, ob diese alle derselben Natur sind. Fast immer liegt der 
Körper in nächster Nähe des Keimbläschens, so dass er auch durch 
dasselbe verdeckt werden kann. Sehr deutliche Beziehungen zu dem 
Theilungsvorgang liessen sich noch nicht feststellen. In einem Ei mit 
doppeltem Keimbläschen fand sich nur ein ziemlich grosser, runder 
Dotterkern (Fig. 15), in einem zweiten ähnlichen fanden sich an dem 
einen Keimbläschen zwei länglich runde oder spindelförmige, an dem 
zweiten in einer anderen Ebene ein grösserer runder (Fig. 16). Es 
scheint, dass der Dotterkern durch Aufquellung auch grösser und heller, 
vakuolär werden kann. Die Deutung des Körpers als Attraktions- 
sphäre, welche van der Stricht als wahrscheinlich hinstellt, dürfte 
wohl am meisten für sich haben. Für feinere Untersuchung war das 
vorliegende Objekt nicht hinreichend konservirt. [M]. 


*) Henneguy, Le corps vitellin de Balbiani. Journal de l’anato- 
mie et de la Physiologie. T. 29. 1893. 

**) van der Stricht, Contribution ä& l’etude du noyau vitellin 
de Balbiani dans l’oocyt de la femme. Verhandl. d. anatom. Gesell- 
schaft 1898, S. 128. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete. 367 


theilweise oder ganz von einander getrennten Eier bedarf diese 
Thatsache keiner weiteren Erklärung, da hier die Bildung der 
neu entstehenden Primordialfollikel noch nicht zum Abschluss 
gekommen ist. Auffallend ist dies Verhalten zunächst nur an 
isolirt liegenden, ganz . unveränderten Primordialfollikeln, die 
öfters nur zur Hälfte von Follikelepithel umgeben sind, während 
der Rest von Bindegewebsfasern abgegrenzt wird. Manchmal 
treten auch nur kleine Lücken des Epithelringes auf, indem hier 
und da eine Epithelzelle fehlt. Zunächst spielt auch hier wohl die 
Sehnittrichtung eine grosse Rolle ebenso wie in den Fällen, wo 
die Epithelzellen scheinbar im Innern des Follikels liegen, das 
Centrum mehr oder minder verdeckend. Es beruht dieses darauf, 
dass der Follikel schräg resp. tangential getroffen ist. Ausserdem 
fallen in dünnen Schnitten während ihrer Fertigstellung die Epi- 
thelzellen leicht aus. Ab und zu werden jedoch im Eiprotoplasma 
intensiv gelb (nach van Gieson) gefärbte Gebilde sichtbar, 
welche sich ziemlich scharf von dem mattgelben Grunde abheben 
und stäbehenförmig, zuweilen auch mehr rund, gestaltet sind. 
Dieselben könnten als veränderte, in das Ei eingewanderte, Epi- 
thelzellen angesprochen werden, die degenerirt sind, worauf auch 
dunkelkörnige, in kleinen Häufehen zusammenliegende Massen 
hindeuten, die manchmal neben dem Keimbläschen zu finden 
sind. Beides ist jedoch selten, sodass nennenswerthe degenera- 
tive Prozesse am Follikelepithel, an welehe ich zunächst dachte, 
als ich die zahlreichen, oben beschriebenen Vakuolen sah, aus- 
geschlossen werden können. Dass die letzteren mit „Epithel- 
vakuolen“ nichts gemein haben, ist bereits hervorgehoben; sie 
verdanken ihre Entstehung wahrscheinlich einem Degenerations- 
prozess des Eiprotoplasmas. 

Ziehe ich noch einmal kurz das Faeit aus der soeben ge- 
gebenen Gesammtbeschreibung, so glaube ich, dass man nicht 
anders kann, als die so viel gestaltigen nebeneinander vor- 
liegenden Bilder als Einzelglieder einer Theilungskette aufzu- 
fassen; einer anderen Auslegung dürften sie schwerlich zu- 
gänglich sein. Höchstens könnte man, den Zusammenhang der 
einzelnen Formen zugegeben, an den umgekehrten Prozess, das 
Ineinanderübergehen und Zusammenfliessen zweier Primordial- 
follikel zu einem, der dann 2 Eier enthielte, denken. Es ist 
ohne Weiteres klar, dass Theilungs- und Verschmelzungsprozess 


368 W. Stoeckel: 


in gewissen Stadien nicht zu unterscheiden sein würden. So 
könnte beispielsweise das gruppenartige Zusammenliegen der 
Follikel mit demselben Rechte als Beginn gegenseitiger Vereini- 
gung wie als Schluss bereits erfolgter Trennung aufgefasst wer- 
den. So könnten ferner die zwischen 2 Follikeln sich hinziehenden 
Bindegewebsfasern auch als-der Rest des hier ursprünglich vor- 
handen gewesenen Bindegewebes angesehen werden, welches nicht 
trennend zwischen 2 Eier eines Follikels sich eingeschoben hat, 
sondern welches nach Auseinanderdrängung des Zwischengewebes 
und Epithels seitens der Follikel allein noch eine Vereinigung 
derselben zu einem mit 2 Eiern verhindert und allmählich dann 
auch zu Grunde geht. Eine solche Auffassung wäre für manche 
Formen, wie gesagt, nicht ohne Weiteres von der Hand zu wei- 
sen. Es bliebe freilich völlig unklar, wodurch ein derartiges 
Zusammenfliessen bedingt sein könnte. Eine genaue Zahlen- 
angabe für die einzelnen Follikelkategorien zu machen, ist nicht 
gut möglich. Um aber wenigstens einen ungefähren Anhalt zu 
geben, habe ich an verschiedenen Präparaten diejenigen Follikel 
durchgezählt, welche entweder ein Ei mit doppeltem Keimbläs- 
chen oder 2 durch eine Furche getrennte Eier enthielten. Voll- 
ständig vermisst habe ich dieselben nur in fünf Schnitten; in 
allen anderen, die mir in grosser Anzahl aus den verschiedenen 
Theilen beider Ovarien vorlagen, waren sie vorhanden, zuweilen 
nur 4—5 in einem Schnitt, mitunter sehr viel mehr. An einem 
10 u dieken Celloidinschnitt zählte ich 15 solcher Follikel, die 
sich auf eine Rindenschicht von ungefähr 12 DJmm Inhalt ver- 
theilten; mehr als 10 in einem Schnitt habe ich öfters feststellen 
können. Sehr viel häufiger noch sind die nur durch eine binde- 
gewebige Scheidewand getrennten Primordialfollikel, während 3 
Keimbläschen in einem Ei sowie 3 Eier enthaltende Follikel sel- 
tener, Kernveränderangen an eineiigen Primordialfollikeln noch 
seltener und 4 Keimbläschen in einem Ei am seltensten (nur im 
Ganzen 2 mal) zu sehen waren. Alles in Allem kann man die 
Rindenschieht beider Ovarien völlig durchsetzt nennen von dieser 
auf direktem Wege erfolgenden Follikel- und Eitheilung. 

Die Feststellung dieser Thatsache regt unmittelbar zu der 
sehr wichtigen Frage an, welche Bedeutung die beschriebenen 
Veränderungen besitzen, ob wir es mit einem physiologischen 
Prozess, oder mit einer pathologischen Affektion zu thun haben. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern etc. 369 


Die Konstatirung des Befundes bei einer kroupösen Pneumonie 
muss wohl als eine rein zufällige betrachtet werden, während 
das Zusammentreffen mit der vor 2 Tagen abgelaufenen Men- 
struation nicht unbeachtet bleiben darf. Es ist mir nicht bekannt, 
in welchem Umfange genauere Untersuchungen an Ovarien z. Z. 
der Menses bereits angestellt sind. Bei der relativen Seltenheit, 
in der derartige Fälle zur Sektion bezw. eingehender histologi- 
scher Untersuchung kommen, würde es nicht auffallen, wenn die 
Zahl keine grosse wäre. Es ist immerhin zweifelhaft, ob ein 
solcher Zusammenhang besteht. 

Zum Vergleich mit diesem durchaus ungewöhnlichen Be- 
funde bei einer Erwachsenen wäre das Studium fötaler Ovarien 
sehr wünschenswerth. Herr Geheimrath Marchand stellte mir 
zu diesem Zwecke freundlichst eine Serie von Paraffinschnitten 
zur Verfügung, welche er von dem im frischen Zustand in Sub- 
limat eingelegten, in Alkohol gehärteten Ovarium eines Neuge- 
borenen angefertigt hatte. Die Schnitte waren Längsschnitte 
und umfassten das Ovarium in seinem ganzen Umfang. Sie ent- 
hielten sämmtlich neben vielen schlauchförmigen Einsenkungen 
des Keimepithels und abgeschnürten Pflüger’schen Schläuchen, 
eine ausserordentlich grosse Anzahl von Primordialfollikeln. Rand- 
parthieen und Mitte des Organs in gleicher Weise vollkommen 
durchsetzend, lagen die Follikel dieht neben einander und liessen 
eine besondere Anordnung nur insofern erkennen, als auch hier 
kleine Gruppen, 2, 4, 6 oder mehr Follikel umfassend, vorhanden 
waren. Bei weiterem genauen Zusehen konnte ich zu meiner 
Ueberraschung sämmtliche Veränderungen, so weit sie sich auf 
Verdoppelung des Keimfleckes, Keimbläschens, Eies und Follikels 
beziehen, und zwar recht zahlreich, auch hier konstatiren. Auf- 
fallend viele Keimbläschen enthielten 2 sehr deutliche, ziemlich 
grosse und scharf abgegrenzte Nucleolen, die meistens peripher 
einander gegenüber lagen, jedoch auch mehr in der Mitte nahe 
bei einander sich fanden. Die Gestalt solcher Keimbläschen war 
meist oval, seltener rund, nur ausnahmsweise mehr in die Länge 
gezogen oder unregelmässig mit kleinen Vorsprüngen resp. Ein- 
ziehungen an einzelnen Stellen (z. Th. vielleicht als Folge der 
Paraffineinbettung). Eier mit doppeltem Keimbläschen konnte 
ich in jedem Schnitt und zwar mehrfach nachweisen. Die 
Letzteren lagen dabei auch hier entweder vollkommen isolirt in 


370 W. Stoeckel: 


einem gemeinsamen, einheitlichen Zellprotoplasma oder sie be- 
rührten sich mit ihren Memhranen in grösserer oder geringerer 
Ausdehnung, oder sie gingen auch derartig in einander über, dass 
eine scharfe Trennung zwischen beiden nicht immer möglich war 
und sie in dieser Sammelform mehr einem sehr grossen, in der 
Abschnürung begriffenen Kern glichen. In noch grösserer Zahl 
salı ich doppeleiige Follikel, und ich würde nur vollständig das 
beim ersten Fall Gesagte wiederholen müssen, wollte ich die 
Einzelnheiten noch näher beleuchten. Das Auftreten der Zell- 
körperfurche im Protoplasma, die vollständige Sonderung in 2 
Zellkörper, die Einbuchtung der Follikelwand, das Vordringen 
der Bindegewebslamelle, welche eine zunächst nur unvollständige, 
später vollkommene Trennung der beiden Eier und somit Bildung 
zweier Follikel veranlasst, alle diese Stadien konnte ich nach- 
weisen, ohne besonders darnach suchen zu müssen. Je nachdem 
sich der ganze Vorgang an einzelnen Stellen rascher oder lang- 
samer abspielt, kommen die verschiedenen Theilungsstadien auch 
hier oft an einer Follikelgruppe zum Ausdruck und geben so 
zu den gleichen vielgestaltigen Bildern Veranlassung, wie ich sie 
vorangehend bei den Primordialfollikeln der Erwachsenen ein- 
gehend beschrieben habe. 3 oder 4 Keimbläschen in einem Ei 
sowie dreieiige Follikel habe ich in diesem fötalen Ovarium nicht 
aufgefunden, möchte aber noch erwähnen, dass sich ab und zu 
in einem einfachen Keimbläschen 3 sehr deutliche Kernkörper- 
chen fanden, die von Knotenpunkten des Chromatinnetzes leicht 
zu unterscheiden waren. Diese Befunde zeigen zunächst, dass 
eine direkte Ei- und Follikeltheilung im fötalen Ovarium sicher 
stattfindet, und sie bestärken mich weiterhin in der Annahme, 
dass dieser Vorgang, wo er im geschlechtsreifen Ovarium ange- 
troffen wird, als ein Analogon der embryonalen Theilungsprozesse, 
mithin als physiologisch anzusehen ist, wenn er auch in so 
grosser Ausdehnung wahrscheinlich nur zu gewissen Zeiten, viel 
leicht in oder nach der Menstruation vorkommen dürfte, 

Ich habe mich vergeblich bemüht, in der Literatur eine 
ähnliche Anschauung auf Grund einwandfreier Untersuchungen 
vertreten zu finden. 

Waldeyer äussert sich in seinem bekannten Werk!) 


1) Eierstock und Ei. Leipzig 1870. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete. 371 


pag. 45 über „die sehr schwierige Frage, ob auch noch im 
späteren Leben, etwa bis zum Erlöschen der Geschleehtsthätig- 
keit, neue Follikel und — es ist darauf das Hauptgewicht zu 
legen — neue Eier gebildet werden.* Er stellt eine solche 
Neubildung für alle Säugethiere bestimmt in Abrede und hält 
sie, trotzdem Pflüger!) zur Annahme einer periodischen Neu- 
bildung von Eiern und Follikeln bei erwachsenen Thieren hin- 
neigt, für nicht bewiesen. Er schliesst jene Fälle aus, in denen 
Reste Pflüger’scher Schläuche oder Ballen von Keimepithel, 
die sich nicht zu Follikeln abgeschlossen haben, an einzelnen 
Stellen zurückgeblieben sind, aus welchen dann später noch 
Follikel hervorgehen können. Er verlangt vielmehr für eine that- 
sächliche Neubildung, dass „vom Oberflächenepithel her oder von 
den bereits eingebetteten Keimmassen durch Vermehrung der 
Keimzellen“ neue Eier resp. Follikel entstehen. „Ebenso müsste 
das nachträgliche Auswachsen von Epithelzellen bereits einge- 
betteter Schläuche oder gar abgeschnürter Follikel zu Eiern, 
endlich eine noch spät in solehen Schläuchen 
oder. Follikeln stattfindende Theilung der Ei- 
zellen selbst unbedenklich als Eineubildung auf- 
sefasst werden.“ 

Nagel?) stellt sich auf den gleichen Standpunkt. Er sagt 
pag. 374: „Ich habe überhaupt keine Bilder in meinen Präpa- 
raten, wenigstens beim Menschen, finden können, die auf eine 
Vermehrung der Primordialeier durch Theilung hindeuten. Ist 
einmal eine Keimepithelzelle zur Eizelle geworden, dann ist das 
Ziel erreicht... Eine Vermehrung durch Theilung findet nicht 
statt.“ Er hat bisher trotz ausserordentlich zablreicher Unter- 
suchungen nur zwei mal Primordialeier gefunden, welche 2 Keim- 
bläschen enthielten. Das eine stammte von einem sechsmonat- 
lichen Fötus, das andere von einem Neugeborenen. Er hält sie 
für „wahre Zwillingseier“, aus denen 2 Embryonen gleichen Ge- 
schlechts mit gemeinsamem Chorion hervorgehen würden und 
motivirt seine Ansicht, dass eine Theilung der Primordialeier 
beim Menschen nicht stattfinde, noch näher, indem er sagt: „Es 
würde ganz und gar im Widerspruch stehen mit den heutigen 


1) Die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen. 
2) Das menschliche Ei. Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 31. 


312 W. Stoeckel: 


Anschauungen über Kerntheilung, wenn man solche Bilder als 
Stadien einer Zelltheilung auffassen wollte. In einem solchen 
Stadium, wo die auf karyokinetischem Wege ent- 
standenen Tochterkerne ein solches fertiges Aussehen 
haben und wo von einer Spindelfigur nichts mehr zu entdecken 
ist, müsste das Protoplasma ebenfalls längst vollständig getheilt 
sein.“ Dieser Ansicht haben sich wohl die meisten Autoren an- 
geschlossen. Für meinen Fall trifft sie jedenfalls nicht zu. Wie 
aus meiner Beschreibung hervorgeht, finden sich in meinen Prä- 
paraten sehr zahlreiche Eier, die den von Nagel] abgebildeten 
(mit doppeltem Keimbläschen) nicht nur ähneln, sondern absolut 
mit ihnen übereinstimmen. Indessen handelte es sich dort um 
ein fötales Ovarium, in welchem sich ein einziges solches Ei vor- 
fand, hier dagegen um sehr zahlreiche derartige Bildungen bei 
einer 29jährigen Virgo; es fehlen dort gänzlich die sehr mannig- 
fachen Bildungen, welche hier derartige „Zwillingseier“ als Ueber- 
gangsstadium der Follikel- und Eitheilung erkennen lassen. Ent- 
weder also hat Nagel auch nur ein solches „Stadium“ gesehen 
oder aber es handelt sich um 2 verschiedene Dinge, um ein 
wahres Zwillingsei auf der einen, um Theilungsprodukte auf der 
anderen Seite. Wenn jedoch Nagel seine Auffassung noch da- 
mit motivirt, dass die Annahme einer Theilung im Widerspruch 
mit unseren heutigen Anschauungen über Zelltheilung steht, so 
ist dem entgegen zu halten, dass es sich offenbar um eine di- 
rekte Kern- und Zelltheilung handelt. Schon Marchand!) 
weist übrigens darauf hin, dass eine Theilung des Keimbläschens 
wahrscheinlich nicht auf mitotischem Wege erfolge. — Zwei Eier 
in einem Follikel hat Nagel nur einmal und zwar beim Neu- 
geborenen gesehen. Jedes Ei hatte seinen eigenen Discus, die- 
selben lagen an fast diametral entgegengesetzten Stellen des 
Follikels. Er hält ein derartiges Auftreten eventuell für begün- 
stigend für Zwillinge mit getrenntem Chorion, betont aber, dass 
dieselben ebenso gut auf Platzen mehrerer Follikel zur Zeit der 
Menstruation zurückgeführt werden könnten. Meine eigenen Be- 
funde am Ovarium des Neugeborenen beweisen mir, dass jeden- 
falls nicht alle „Zwillingseier* als solche aufzufassen sind, wenn 


1) Missbildungen in Eulenburg’s Realencyclopädie der ge- 
sammten Heilkunde. 3. Aufl. 1897, S. 53. 


N 


Ueber Theilungsvöorgänge in Primordial-Eiern etc. 373 


dies überhaupt jemals statthaft ist, dass sie nicht ein „fertiges 
Stadium“, wie Nagel sich ausdrückt, sondern dass sie ohne 
Frage das vorübergehende Stadium einer Theilung darstellen 
können. Ferner scheint mir ganz besonders die Arbeit Schott- 
länder’s!) nach dieser Richtung hin verwerthbar zu sein, wie 
wohl er selbst sich ausdrücklich dagegen verwahrt. Seine Unter- 
suchungen beziehen sich auf ein sehr grosses Material meistens 
menschlicher Föten. Er giebt Abbildungen und genaue Beschrei- 
bung abnormer Follikelanlagen, die er „atypische Primordial- 
follikel“ nennt. Dieselben fanden sich in grosser Anzahl in der 
28.—52. Woche des Fötallebens und nahmen in der Zeit vorher 
und nachher an Zahl allmählich ab. Sie enthielten 2, seltener 
3 Eier und verdankten ihre Entstehung „einem allem Anschein 
nach konstanten, aber von dem Gewöhnlichen abweichenden und 
unregelmässigen Vorgang“. Sch. wendet sich gegen die Annahme 
Nagel’s, dass es sich dabei auch um doppelt angelegte Keim- 
bläschen handeln könne. Vielmehr seien es 2, seltener 3 Ei- 
zellen, „die, meistens nicht gemeinsamen Ursprungs, zufällig 
zusammenliegend von Bindegewebe umwachsen und dadurch 
aus den Eiballen (seltener den Schläuchen) gesondert werden“. 
Er weist dabei auf die Aehnlichkeit der Gruppirung in den Ei- 
ballen hin, wo auch „2 seltener 3 Eizellen, die nach gegenseiti- 
ger Lage, Grösse, Richtung der Hauptachse und Gestalt der 
Kerne unmöglich aus einer Mutterzelle hervorgegangen sein kön- 
nen“, genau ebenso zusammenliegen. Die Endbestimmung dieser 
typischen Primordialfollikel ist, wie Sch. selbst sagt, durchaus 
nicht einleuchtend. Was ihr späteres Schicksal anbelangt, so ist 
zunächst eine Verwandlung derselben in gewöhnliche Primordial- 
follikel möglich durch bindegewebige Trennung, doch spricht sich 
Sch. etwas unklar darüber aus, in welchem Maasse er dieselbe 
für wahrscheinlich hält. Er nimmt an, dass sie zuweilen aus- 
bleiben könne, in welchem Falle dann später mehreiige Follikel 
daraus entständen. Schottländer’s Abbildungen (Fig. 4—7) 
könnten ohne Weiteres zur Illustration meiner eigenen Befunde 
dienen; ich möchte deshalb näher auf dieselben eingehen. Fig. 4 
stellt einen Follikel dar, welcher 1 Ei mit 2 Keimbläschen ent- 


1) Ueber den Graaft’schen Follikel. Archiv f. mikrosk. Anato- 
mie Bd. 41. 


374 W. Stoeckel: 


hält; in dem Protoplasma zwischen den beiden Keimbläschen ist 
eine deutliche Furche erkennbar, welehe mit der Follikelwand 
nicht in Verbindung tritt. Dieselbe hat jedoch seiner Ansicht 
nach mit einer Theilung nichts zu thun, sondern markirt nur die 
Grenze zwischen den beiden Eizellen. In Fig. 5 finden sich in 
einem Ei 3 Keimbläschen, ohne dass eine Furchenbildung des 
Protoplasmas erkennbar wäre. Fig. 6 ist ganz besonders bemer- 
kenswerth, weil das betreffende Präparat von einer Erwachsenen 
stammt: 2, je 1 Ei enthaltende Follikel sind unmittelbar an- 
einander gelagert und nur durch eine Bindegewebsmembran von 
einander getrennt. Wo diese Membran in das Follikelepithel 
übergeht, findet sich beiderseits eine Einsenkung der Follikel. 
Fig. 7 endlich veranschaulicht 2 vom Follikelepithel vollkommen 
umschlossene Eier, zwischen welche sich eine bindegewebige 
Scheidewand zu schieben beginnt. — Sch. verwahrt sich indess 
ausdrücklich dagegen, dass diese Ei- und Follikelformen einem 
Theilungsprozesse entsprängen und betont, ebenso wie Nagel, 
dass die „vermeintliche“ Zellkörperfurche in einem Stadium auf- 
trete, in welchem der Gestalt der Kerne nach die Zelltheilung 
schon vollkommen abgelaufen sein müsste, zuweilen aber auch 
gänzlich vermisst werde, was dann „auffallend und schwer zu 
erklären ist“. Es handele sich nicht um eine Furche, sondern um 
die Grenzlinie zweier Eizellen. Bei Fig. 5 könne man eine spätere 
Trennung ähnlich wie bei Fig. 4 annehmen, wiewohl etwas Positives 
sich darüber nicht sagen liesse. Fig. 6 spräche, wenn „man nicht 
eine Neubildung bei der erwachsenen Frau“ zugebe, für ein langes 
„Stationär-Bleiben* solcher atypischen Follikel, da die binde- 
gewebige Trennung noch nicht lange vollzogen zu sein schiene. 
— Diese Trennung dureh zwischenwachsende Bindegewebsfasern 
erfolgt nach der Beschreibung scheinbar in derselben Weise, wie 
in meinen Fällen, wenngleich Fig. 7 ein etwas anderes Verhalten 
zeigt, indem die Absonderung hier zunächst allein durch die 
Follikelepithelien bedingt wird. 

Diese Befunde Schottländer’s sind mir deshalb ganz be- 
sonders wichtig und interessant gewesen, weil sie einmal durch 
Vergleich mit den meinigen vielleicht einer anderen, als der vom 
Autor selbst gegebenen Deutung zugänglich wären und gleichfalls 
als Stadien einer Follikel- und Eitheilung angesprochen werden 
könnten, sodann aber auch die Möglichkeit offen liessen, dass es 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete. 375 


bei der Erwachsenen zu exceptioneller Wiederholung von Vor- 
gängen kommen kann, die schon im fötalen Ovarium in Aus- 
nahmefällen sich abspielen — eine Möglichkeit, die mir nach 
meiner eigenen Untersuchung am Ovarium des Neugeborenen 
ınittlerweile zur Gewissheit geworden ist. In den Schottländer- 
schen Abbildungen und desgleichen in dem erläuternden Text 
vermissen wir freilich die ersten Stadien eines Theilungsprozesses: 
die Veränderung der Keimbläschenform — wo dieselbe auftrat, 
hält sie Sch. für ein Kunstprodukt, hervorgegangen durch die 
Härtung mit absolutem Alkohol — die allmählich sich vollziehende 
und schrittweise zu beobachtende Abschnürung ete., die in un- 
serm Falle fast ununterbrochene Theilungskette zeigt Lücken, 
die im Protoplasma zuweilen auftretende „scheinbare“ Furche 
greift nicht nachweisbar auf die Follikelwand über, es sind eben 
nur einzelne Phasen des ganzen Vorganges sichtbar gewesen. 
Ich würde es auch nicht für unmöglich halten, dass Fig. 6 ein 
Stadium von p. partum eingetretener Follikel- und Eitheilung 
repräsentiren könnte. Sch. selbst kommt allerdings zu dem 
Schlusse, dass beim erwachsenen Menschen sich weder die beim 
Fötus beobachteten noch neue Arten der Follikelentstehung ver- 
folgen liessen. 

Es würden an dieser Stelle einige Beobachtungen anderer 
Autoren anzureihen sein, die sich gleichfalls auf doppelkernige 
Eier resp. mehreiige Follikel beziehen. Besonders die kürzlich 
erschienene Arbeit von v. Franque!) erscheint insofern beach- 
tenswerth, als sie über ein „wahres Zwillingsei* bei einer Er- 
wachsenen (einer 35jährigen Frau) berichtet. Dasselbe entstammt 
einem eystisch degenerirten Ovarium, lag aber, wie der Verfasser 
versichert, in „normal erscheinendem Ovarialgewebe“. Die bei- 
gegebene Abbildung zeigt einen Primordialfollikel, der vollstän- 
dig ausgefüllt ist von dem Eiprotoplasma, welches seinerseits 2 
gleich grosse Keimbläschen mit deutlich sichtbaren ziemlich 
grossen Kernkörperchen enthält. Der Verf. setzt dasselbe auch 
in Beziehung zum Zustandekommen eineiiger Zwillinge, „denn 
die grosse Seltenheit derselben stimmt ja gut überein mit der 
mindestens ebenso grossen Seltenheit mehrkerniger Ovula.“ 


1) Beschreibung einiger seltenen Eierstockspräparate. S.-A. Zeit- 
schrift für Geburtshülfe u. Gynäkologie Bd. 39, Heft 2. 


376 W. Stoeckel: 


v.Franque& giebt ferner an, dass er in den Ovarien eines 
nicht ganz ausgetragenen Mädchens sehr zahlreiche doppelkernige 
Ureier gesehen habe, sowie ein Ovulum mit 3 Kernen, die 12 bis 
15 u maassen und bringt dies in Beziehung zu Theilungsvorgängen 
der Ureier. Ich entnehme der Arbeit v. F.’s noch einige lite- 
rarische Daten: Leopold!) sah „2 Eichen, umgeben von einer 
langgezogenen, feinkörnigen, gelblichen, schwach getrübten Masse“ 
(am frischen Präparat) bei einem Neugeborenen. Hirigoyen?), 
Perotin?) und Sappey*) sollen doppelte Keimbläschen in 
einem Ei, vermuthlich bei Neugeborenen, beschrieben haben. 
Schulin?) giebt an, bei einem 3- und einem 4jährigen Kinde 
mehrkernige Eier gesehen zu haben. Am Schlusse seiner Arbeit 
beschreibt v. F. einen makroskopisch eben erkennbaren Graaf- 
schen Follikel, der 3 getrennte Keimhügel enthielt. In jedem 
derselben lag von einer regelmässigen Corona radiata umschlossen 
ein Ovulum und zwar befanden sich 2 in der gleichen, das dritte 
in einer anderen Schnittebene. An Stelle dieses letzteren mar- 
kirte sich dort, wo nur 2 Eier erkennbar waren, ein heller Fleck. 
Keimbläschen waren an keinem der Eier sichtbar, was Verf. auf 
die reichliche Ansammlung von Deutoplasma und die blasse Fär- 
bung schiebt. Er hält die betreffenden Eier für ganz normal. Dieser 
Follikel entstammt dem Ovarium einer 24 jährigen Nullipara, 
welches ebenfalls eystisch degenerirt war. Diese Thatsache er- 
scheint mir in genetischer Hinsicht nicht belanglos, da im Ver- 
ein mit Oystenbildung mehreiige Follikel, deren Zustandekommen 
durch Kontluenz in folge von Zerstörung des die einzelnen 
Primordialfollikel trennenden Zwischengewebes nicht von der 
Hand zu weisen ist, bereits beobachtet sind. Ich kann mich 
dabei auf eine persönliche Mittheilung von Herrn Geheimrath 
Marchand berufen, welcher mehrere Eier in einem Follikel im 
Verein mit Oystenbildung schon öfters gesehen hat und die obige 


1) Untersuchungen über das Epithel des Ovariums etc. J.D. 
Leipzig 1870. 

2) Etude pratique sur la grossesse et l’accouchement g&mellaires. 
These de Paris 1879. 

3) De la grossesse et l’accouchement gemellaires.. These de 
Paris 1879. 

4) Trait& d’anomalie descriptive. Paris 1879. 

5) Archiv f. mikrosk. Anatomie 1881, Bd. 19. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern etc. 377 


Erklärung ihres Entstehens für möglich hält. Im übrigen scheint 
v. F. diesem Befunde keine sehr grosse Bedeutung beizumessen 
und äussert sich auch nieht weiter darüber, wie er sich den 
Follikel entstanden denkt. Er hält allerdings die betreffende 
Frau für disponirt zu mehrfacher Schwangerschaft, weil das 
Ovarium einen ausserordentlichen Reichthum an Primordial- 
follikeln aufwies, die in 10—20 facher Reihe übereinanderlagen. 
— Von weiter zurückliegenden Beobachtungen erwähne ich die 
von Grohe!), welcher in dem Eierstock eines ?/, jährigen Kindes 
viele Eier mit doppeltem Kern, ferner gleichfalls bei Kindern oft 
in bereits vollständig ausgebildeten Follikeln 2 Eier, bei einem 
Kind von 4!/, Jahren 3 Eier in einem Follikel gesehen hat. 
Gegen diese letzteren Angaben macht v. Franque?), sich darin 
der Ansicht von Klien’) anschliessend, die zu jener Zeit mangel- 
haft entwickelte Technik geltend und hält sie nicht für ein- 
wandsfrei. Ich kann dem nicht beistimmen, da der Nachweis von 
Eiern in grösseren Follikeln besonders complizirte Hilfsmittel 
nicht verlangt. Auch Slavjansky !) hat ebenso wie Bidder?°) 
bei Kindern und auch bei Erwachsenen 2 und 3 Eier in einem 
Graaf’schen Follikel gesehen, wenn auch selten. Der von Erste- 
rem eitirte Fall von Plihal®), in welchem bei einem 18 jährigen 
Mädchen Bildungen ähnlich den Pflüger ’schen Schläuchen sich 
fanden, hat mit Follikel- und Eineubildung nichts zu thun. 
Vermuthlich hat es sich um Schlauchreste aus der fötalen Zeit 
her gehandelt. 

Die bisher genannten Forscher bringen also, wenn wir von 
v. Franqu& absehen, ihre Befunde von doppelkernigen Eiern 
resp. mehreiigen Follikel nieht weiter in Zusammenhang mit 
Theilungsvorgängen oder sie weisen sogar derartige Beziehungen 
direkt zurück. Indessen fehlt es auch nicht an Autoren, die 


1) Ueber den Bau und das Wachsthum des menschlichen Eier- 
stocks ete. Virchow’s Archiv 1885, Bd. 26. 

Z)eleic. 

3) Ueber ınehreiige Graaf’sche Follikel beim Menschen. Mün- 
chener medieinische Abhandl. IV,4 1893 (eit. nach v. Franqu&a.a.O.). 

4) Zur normalen und pathologischen Histologie des Graaf’schen 
Bläschens beim Menschen. Virchow’s Archiv 1870, Bd. 51. 

5) Müller’s Archiv 1842 (eit. nach Slavjansky). 

6) Archiv f. mikrosk. Anatomie 1869, V. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 25 


378 W. Stoeckel: 


Theilungsprozesse an Eiern entweder direkt behaupten oder die- 
selben wenigstens vermuthungsweise annehmen. Alle diese Unter- 
suchungen beziehen sich aber nur entweder auf Thiere oder auf 
menschliche Föten und Neugeborene. So schliesst van Bene- 
den!) aus seinen Untersuchungen, dass bei Neugeborenen und 
Föten eine Eitheilung innerhalb von jungen bereits fertigge- 
bildeten Follikeln erfolgt. Dabei findet am Keimbläschen „endo- 
genetische“ Vermehrung statt. Er bildet Follikel mit 2 Eiern, 
die zum Theil platt aneinandergedrückt liegen, sowie ein Ei ab, 
dessen Keimbläschen 3 Tochterbläschen einschliesst. Bei Letzte- 
rem war das Protoplasma von 3 deutlichen Furchen durchzogen, 
was auf direkte Theilung desselben hinweise. Theilungsvorgänge 
am Follikel selbst vermisst er. Nach vollständiger Theilung der 
Eier findet eine Wucherung von Granulosa-Zellen zwischen die- 
selben statt, schliesslich tritt ein Septum, hervorgegangen aus 
der Tunica propria (nach Henle) auf — Vorgänge, die ausser- 
ordentliche Aehnlichkeit mit den unsrigen haben. v. Beneden 
betont aber ausdrücklich, dass er sie nur ausnahmsweise bei 
Neugeborenen und Föten, niemals bei Erwachsenen gesehen habe, 
für welehe er eine Ei und Follikelneubildung bestreitet. Auf- 
fallend erscheint es, dass er an anderer Stelle gelegentlich von 
Untersuchungen bei Fledermäusen ein Ei mit doppeltem Keimbläs- 
chen nicht als Theilungsprodukt anspricht. — Kölliker?) unter- 
suchte Eierstöcke von Schweinen. Rindern und menschlichen Em- 
bryonen und fand nicht selten Eier mit 2 Kernen und häufig 
andere, die eine innige Verbindung der Protoplasmen miteinander 
zeigen. Für diese Formen nimmt er Theilungsvorgänge an. Sein 
Befund eines mehreiigen Follikels bei einer erwachsenen Frau 
hat damit nichts zu thun und ich erwähne ihn nur nebenbei. 
Klebs?°) fand im Gegensatz zu Pflüger), welcher wohl auch 
Theilungsvorgänge an den Eiern annahm, jedoch nur in den nach 


1) Recherches sur la composition et la signification de l’oeuf 
Memoires couronn&es et M&em. des savants &etrang. publ. p. ’Academie 
R. de Belgique. Coll. in 4° Tome 34. Bruxelles 1870. Citirt nach 
Nagel (a. a. O.). 

2) Gewebelehre des Menschen 1867 und Entwicklungsgeschichte 
des Menschen und der höheren Säugethiere 1879. 

3) Die Eierstockseier der Säugethiere und Vögel. Virchow’s 
Archiv Bd. 28. 

A). c. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete. 379 


ihm benannten Schläuchen (bei der Katze), dass die Oogenese 
bei Thieren „mit der Abschnürung der Follikel nicht beendet 
ist“ und glaubt, „dass auch innerhalb der Letzteren Theilungs- 
vorgänge der Eizellen stattfinden, ohne dass es zur Bildung 
eigentlicher Eiketten kommt. Beim Menschen !) scheint „in der 
ersten Zeit des Lebens eine Vermehrung der Eizellen durch 
Theilung stattzufinden“. Man kann doppelte Kernkörperchen, 
Kerne, welche durch eine quere Scheidewand in 2 Hälften ge- 
theilt sind, sodann 2 Eizellen beobachten, welche dicht neben- 
einander liegend sich gegenseitig abgeplattet haben und von 
einer gemeinsamen Kapselschicht umgeben sind. Diese Formen 
waren häufig beim Neugeborenen, bei einem 7jährigen Mädchen 
wurden sie nur sehr spärlich angetroffen. Letzteres scheint mir 
besonders beachtenswerth, weil dies der einzige Fall ist, wo bisher 
an einem älteren Individuum derartige Follikelformen mit Thei- 
lungsprozessen in Zusammenhang gebracht werden. 

Unvollständig getheilte Eizellen und solche mit 2 Kernen 
hat Klebs nicht gesehen, im Uebrigen aber ist die Aehnlichkeit 
seiner Schilderung mit der meinigen so in die Augen springend, 
dass dies keiner weiteren Begründung bedarf. 

Nur kurz will ich hier auf die Ansicht Balfour’s?) hin- 
weisen, dass das Urei nicht das wahre Ovum ist, sondern dass 
aus ihm erst durch Theilung die Primordial-Eier hervorgehen. 

Schrön?), welcher Katzen, und G. Wagener), welcher 
trächtige Hündinnen untersuchte, sprechen sieh für Ei und Follikel- 
neubildung auch bei erwachsenen Thieren aus. Der Letzere fand 
einmal 6 Eier in einem Follikel. 

Quincke°) nimmt gleichfalls eine Follikeltheilung bei 
Thieren bis zur Pubertät an. Die Befunde von v. Bär®), der 
beim Schwein, von Bidder‘), der beim Kalb Follikel mit 


1) Klebs, Eierstockeier der Wirbelthiere. Virchow’s Archiv 
Ba. 21. 

2) On the Structure and the developement of the vertebrate Ovary. 
Quarterly Journal of Microsc. Science 1878. 

3) Cit. nach Nagel (a. a. O.). 

4) Archiv f. Anat. und Physiologie, anat. Abth. Jahrg. 1879. 

5) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. 12; eit. nach 
Nagel (a. a. O.). 

6) Epistola 18; eit. nach Nagel (a. a. O.). 

1) Müller’s Archiv 1842, 


380 W. Stoeckel: 


2 Eiern, von Coste und Thomson!), die bei Kaninchen und 
Katzen doppelkernige Eier, von Claparide, von la Valette 
und R. Wagener?), die beim Regenwurm, bei der Libellenlarve 
und beim Maikäfer doppelte Keimflecke in einem Keimbläschen 
sahen, führe ich nur nebenher an. j 

Die Angaben von Koster und Paladino über angeb- 
liche Neubildung von Follikeln bei der erwachsenen Frau be- 
ziehen sich, wie es scheint nur auf die Bildung schlauchförmiger 
Wucherungen des Oberflächen-Epithels, welche nach Nagel?) 
auf chronisch-entzündliche Prozesse am Ovarium zurückzuführen 
sein dürften. Dagegen müssen noch einige Arbeiten erwähnt 
werden, welche gleichfalls über Theilungen der Eizellen berichten; 
im Gegensatz zu dem bisher Mitgetheilten handelt es sich dabei 
aber nicht um die Produktion neuer, leistungsfähiger Eizellen, 
sondern um eine Vorstufe degenerativer Follikelentartung, die 
schliesslich zur Atresie der Follikel führt. J. Janosik*) sah 
diese Zustände bei Meerschweinchen, seltener auch bei Katzen 
und Fledermäusen, bei welchen zur Zeit der Trächtigkeit viele 
Follikel zu Grunde gehen, nachdem sich Keimbläschen und Ei 
vorher getheilt haben. Die Eizelle bildet die Richtungskörper- 
chen und kann sich nach Bildung derselben im Ovarium, also 
ohne dass Befruchtung eingetreten ist, noch weiter theilen, wobei 
die aus der Theilung 'resultirenden Segmente kernhaltig und 
entweder untereinander gleich oder verschieden gross sind. Bei 
älteren Thieren kommt daneben eine Fragmentirung und schol- 
liger Zerfall der Eizelle vor, wie sie ähnlich schon Pflüger, 
Schulin (bei der Ratte) und Henneguy°) beschrieben haben. 
Der Letztere berichtet bei der Ratte, Fledermaus, Spitzmaus, 
Katze, dem Storch und bei Reptilien und Amphibien über chro- 
matolytische Degeneration des Eies, die eine irreguläre parthe- 
nogenetische Segmentation desselben einleitet. Das Chromatin 
des Keimbläschens löst sich in kleine, unregelmässige Massen 


1) Cit. nach Marchand (a. a. O.). 
2) Citirt nach Waldeyer, Eierstock und Nebeneierstock. In: 
Strieker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. 
La car, 
E 4) Die Atrophie der Follikel und ein seltsames Verhalten der 
Eizelle. Arch. f. mikrosk. Anatomie 1897, Bd. 48. 
5) Journal de l’Anatomie et de la Physiologie 1894, Bd. 30. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern ete 381 


auf, die verstreut im Dotter liegen. Jede derselben zeigt dann 
weiterhin eine rudimentäre Karyokinese in Gestalt einer kleinen 
Anzahl von Chromosomen und entsprechender achromatischer 
Fäden. Centrosomen fehlen. Der Dotter theilt sich in oft ungleiche 
Fragmente, von denen einige eine oder mehrere Karyokinesen 
einschliessen, während in andern keine Kerntheile nachweisbar 
sind. — Ich habe meine ganz besondere Aufmerksamkeit auf 
diese Angaben gelenkt und versucht die eben mitgetheilten 
Schilderungen von Janosik und Henneguy vielleicht auch 
auf meine Befunde anwenden zu können. Vielleicht handelte es 
sich auch hier um Follikel- und Eiteilung im Sinne einer nach- 
folgenden Follikelatresie. Ich habe jedoch nennenswerthe An- 
zeichen dafür in keiner Weise feststellen können. Eine etwas 
veränderte Kernstruktur (kein deutliches Chromatinnetz, sondern 
helle Zone in der Mitte und am Rande, der Kernmembran an- 
liegende Körner), eventuell Unvollständigkeit des Follikelepithels 
zusammen mit im Protoplasma angetroffenen Zellresten (herrüh- 
rend von eingewanderten Follikelepithelien?) wären die einzigen 
sehr schwachen Belege dafür, die jedoch, wie bereits erwähnt, 
so ausserordentlich selten zu sehen waren, abgesehen davon, dass 
sie nicht einmal eindeutig sind, dass ich degenerative Prozesse 
mit Sicherheit in nennenswerthem Umfange an den Follikeln habe 
ausschliessen können. 

Diese der Litteratur entnommenen Daten machen keines- 
wegs Anspruch auf Vollständigkeit, besonders soweit es sich um 
Untersuchungen bei Thieren handelt. 

Schliesslich habe ich noch die fragliche Beziehung der 
Eier mit doppeltem Keimbläschen zur Entstehung eineiiger Zwil- 
linge und Doppelmissgeburten zu erwähnen. B. Schulze hat 
bekanntlich zuerst die Verdoppelung des Keimbläschens als 
wahrscheinliche Ursache der Doppelbildungen bezeichnet und 
viele Autoren sind ihm darin gefolgt, und A. O. Schultze, neuer- 
dings auch OÖ. von Franque, welcher das von ihm beschrie- 
bene Ei mit doppeltem Keimbläschen aus diesem Grunde als 
„wahres Zwillingsei“ bezeichnet, nach dessen Nachweis bei einer 
Erwachsenen nun nichts mehr daran hindere, das Zustande- 
kommen eineiiger Zwillinge auf dieses Faktum zu beziehen. 
Marchand!) hat bereits seit 1883 diese den Eiern mit doppeltem 


1) Missbildungen in Eulenburg’s Realenceyclopädie 1. Auflage. 


382 W. Stoeckel: 


Keimbläschen für die Entstehung symmetrischer Doppelbildungen 
zugeschriebene Bedeutung bestritten und ihnen höchstens eine 
eventuelle Beziehung zu gewissen Formen asymmetrischer Doppel- 
bildungen (Inelusio foetalis) eingeräumt. hat aber neuerdings auch 
diese Annahme aufgegeben). 

Nachdem wir das Vorkommen eines doppelten Keimbläs- 
chens in den Primordialeiern bei einer Erwachsenen als vorüber- 
sehendes Stadium der Theilung der Eizellen nachgewiesen haben, 
kann selbstverständlich diesen Befunden eine Bedeutung für die 
Entstehung von Doppelbildungen nicht mehr beigelegt 
werden. Denn es ist anzunehmen, dass das reife Ei, wenn es 
seine Befruchtungsfähigkeit erlangt hat, seine Theilung bereits 
vollendet haben wird. Wollte man die Verdoppelung des Keim- 
bläschens noch zur Erklärung der Doppelbildung heranziehen, so 
müsste man diese Erscheinung in einem ausgebildeten mit Zona 
pellueida versehenen Ei und zwar unter möglichster Ausschliessung 
eines Degenerationszustandes (Follikel-Atresie) nachweisen. Aber 
auch in diesem Falle würden die erwähnten theoretischen Be- 
denken bestehen bleiben. 

Aus unseren Befunden geht mit Sicherheit hervor, dass die 
bisher allgemein gültige Annahme, nach welcher im extrauterinen 
Leben und ganz besonders bei der Erwachsenen eine Ei- und 
Follikelbildung nicht stattfinden soll, nicht als richtig anerkannt 
werden kann, da dureh unsern Fall eine solche Thei- 
lung in grosser Ausdehnung bei einem 29jähri- 
gen Weibe hat nachgewiesen werden können. 


Zum Schlusse spreche ich Herrn Geheimrath Prof. Mar- 
cehand, der mich bei der Abfassung dieser Arbeit in mannig- 
facher Weise mit Rath und That unterstützt und auch die grosse 
Liebenswürdigkeit gehabt hat, die derselben beigegebenen Zeich- 
nungen anzufertigen, meinen herzlichsten Dank aus. 


1) Daselbst 3. Auflage S. 53 u. 73. 


Fig. 


Fig. 


Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern etc. 383 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII. 


Fig. 1—10 sind mit Zeiss Apochr. 3cm Oec. 4 und Abbe’schem 
Zeichenapparat entworfen (Vergr. 480. e=Kerne der Epithelzellen 
des Follikel; = Tunica propria; s—= Stroma; v® —= Vacuole; b = Keim- 
bläschen ;k=Keimflock; d&=sog. Dotterkern (Balbiani’scher Körper). 


ir 


10: 


ASioh- 


Ein Follikel mit Primordialei, dessen Keimbläschen langge- 
streckt und mit 2 grösseren Nucleolen versehen ist. (Follikel 
0,053 mm lang, 0,045 breit; Keimbläschen 0,03 lang, 0,015 breit.) 
Follikel mit einem Ei und 2 Keimbläschen, welche einander 
berühren; jedes mit gut ausgebildetem Keimfleck. (Follikel 
0,06 mm lang, 0,05 breit; Keimbläschen 0,02 mm.) 

Follikel mit einem durch eine feine Furche bereits getheilten 
Ei, jedes mit Keimbläschen und deutlichem, rundlichem Keim- 
fleck. Jedem Keimbläschen liegt der etwas undeutlich abge- 
grenzte Dotterkern an. (Follikel 0,065 mm lang, 0,055 breit; 
Keimbläschen 0,02.) 

Zwei neben einander liegende Primordialeier, welche deutlich 
von einander getrennt, aber noch nicht durch eine Fortsetzung 
der Tunica propria von einander geschieden sind. 

Zwei unmittelbar neben einander liegende Follikel; bei ge- 
wissen Einstellungen ist die Grenze zwischen beiden erkenn- 
bar. Der grössere von beiden Follikeln enthält 2 deutlich 
von einander getrennte Eier, das eine etwas kleiner als das 
andere, mit kleinem Keimbläschen. 

Zwei neben einander liegende Follikel, welche durch eine feine 
(mit Fuchsin roth gefärbte) Grenzlinie von einander getrennt 
sind. dk =Jänglich runder Dotterkern. 

Grosser Follikel, welcher 3 von einander getrennte Primordial- 
eier enthält. (Follikel 0,06 mm lang und breit; das grösste der 
Keimbläschen 0,02, das kleinste 0,015 mm.) 

Schlauchförmiger Follikel mit 3 hinter einander gelegenen 
Eiern, welche undeutlich von einander getrennt sind (starke 
Vakuolenbildung). (Länge des Follikel 0,1, Breite 0,04 mm.) 
Grosser Follikel mit 3 neben einander liegenden Eiern, welche 
gegen einander abgeflacht sind. (Follikel 0,07 mm lang, 0,055 
breit.) 

Ein Follikel mit einem Ei, dessen Keimbläschen durch eine 
Linie in 2 Hälften getheilt ist. In jeder Hälfte ein grösserer 
Nucleolus. 

Eine Gruppe von Follikeln mit Primordialeiern in ihrer na- 
türlichen Anordnung, zwei derselben mit doppeltem Keim- 
bläschen; einige Follikel sind sehr dicht aneinander gelagert, 


384 


W. 


16, 


Stoeckel: Ueber Theilungsvorgänge in Primordial-Eiern etc. 


anscheinend durch Theilung auseinander hervorgegangen. 
(Apochrom. 8Smm, Ocul. 4, Vergr. 180.) 


. 12-15. Primordialfollikel aus demselben Ovarium zur Darstellung 


des Balbiani’schen Körpers. "Zeiss’ Apochr. 2mm. Ocul. 4. 
(Vergr. 680) 


. Ei mit etwas verlängertem Keimbläschen und einer grossen 


Vacuole im Protoplasma. dk = Balbiani’scher Körper, läng- 
lieh rund, in der Mitte heller; Nucleolen doppelt. 


. Ein ähnliches Ei mit länglich rundem Dotterkern. 
. Ei mit doppeltem ringförmigen Dotterkern. 
. Ei mit doppeltem Keimbläschen und einfachem, grossen run- 


den Dotterkern. Der Nucleolus des einen Keimbläschens ist 
doppelt. 

Ei mit doppeltem Keimbläschen, das eine in einer anderen 
Ebene, nur angedeutet. Der dazu gehörige Dotterkern gross, 
rund; neben dem grösseren Keimbläschen liegen zwei spindel- 
förmige Körper derselben Beschaffenheit. 


385 


(Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg i. Pr.) 


Ueber die Hautdrüsen von Bufo cinereus. 


Von 


Dr. Otto Weiss, 
I. Assistenten aın Physiologischen Institut zu Königsberg i. Pr. 


Hierzu 3 Figuren im Text. 

Die Haut von Bufo einereus ist mit besonderer Rücksicht- 
nahme auf ihre Drüsen schon häufig der Gegenstand von Unter- 
suchungen gewesen. Wie für die übrigen Amphibien unter den 
Autoren verschiedene Ansichten darüber bestehen, ob mehrere 
Arten von Drüsen in der Haut vorkommen oder ob die verschie- 
denen Bilder verschiedene Entwiekelungsstufen einer und der- 
selben Drüsenart darstellen, so gehen auch bei den Hautdrüsen 
der Kröten die Ansichten auseinander. Da mir in diesem Früh- 
ling eine reichliche Menge Material durch die Liebenswürdigkeit 
des Herrn Dr. W. Lindemann zu Gebote stand, so habe ich 
die Krötenhaut und besonders ihre Drüsen einer erneuten Unter- 
suchung unterzogen, deren Resultate ich kurz mittheile. 

Die zu untersuchenden Objekte wurden theils frisch, theils 
nach Härtung betrachtet. Die Härtung wurde durch Osmiumsäure, 
durch Pikrinsäure, Sublimat, Salpetersäure-Kaliumbichromat, Al- 
kohol und Formalin vorgenommen. Als Färbemittel dienten 
Carmin, Hämatoxylin und eine Reihe von Anilinfarben. 

Die Epidermis der Krötenhaut zeigt drei verschiedene Zell- 
typen. Die der Cutis aufsitzende Schicht besteht im Allgemeinen 
aus prismatischen Zellen, deren kurze Axen der Cutis parallel 
sind, deren lange senkrecht zu ihr stehen. Der Kern dieser 
Zellen ist bläschenförmig, oval, mit zartem Chromatingerüst ver- 
sehen; seine Längsaxe ist der der Zelle gleichgerichtet. Der der 
Cutis zugewandte Theil dieser Zellen zeigt lange, in die oberste 
Schieht der Cutis eingelassene Fortsätze, wie sie zuerst von 
Eilh. Schulze (8) beschrieben sind. An der übrigen Ober- 
fläche der Zelle finden sich ebenfalls Fortsätze. Diesen kommen 
andere der angrenzenden Zelle entgegen und verschmelzen mit 


386 Otto Weiss: 


ihnen. So bleiben rings um die Zelle herum freie Räume, die 
hier wie bei den Wirbelthieren der zur Ermährung der Zellen 
bestimmten Iymphatischen Cireulation dienen [Bizozzero (12), 
Ranvier (17), Flemming (18), Heitzmann (14), Leydig 
(4, 7, 16, 25), Mitrophanow (21), A. Henle (22)]. Nach 
P. Sehultz (23) finden sich nur an den kurzen, der Cutis und 
der Hautoberfläche zugekehrten Seiten der Zelle solche Fortsätze, 
was jedoch für die Krötenhaut sicher nicht zutreffend ist. Die 
Zellen der auf die beschriebene folgenden Schicht sind nur durch 
ihre polyedrische Form von den genannten unterschieden. Das 
Protoplasma beider Zellschiehten färbt sich mit Osmium nur sehr 
wenig, es bleibt durchscheinend. In der erstgenannten Schicht 
habe ich häufig Kerntheilungen beobachtet. Die dritte Zellschicht 
färbt sich mit Osmium dunkler als die tiefen Schichten. Sie be- 
steht aus etwas abgeplatteten Zellen, deren grösster Durchmesser 
der Hautoberfläche parallel ist. Die Abplattung der Zellen ist um 
so grösser, je mehr dieselben nach aussen liegen. Ihre Kerne sind 
eiförmig, der längste Durchmesser liegt parallel der Hautoberfläche. 
Die Intercellularfortsätze werden in der oberen Schicht theilweise 
unvollkommen ausgebildet, theils überhaupt nicht gefunden. 
Scharf getrennt von diesen drei allmählich in einander über- 
gehenden Zellschiehten zieht über diese ein auf den ersten Blick 
keine Differeneirung zeigender schmaler Saum, welcher sich je- 
doch bei näherer Betrachtung als zusammengesetzt aus sehr ab- 
geplatteten Zellen erweist, welche noch färbbare, der Abplattung 
der Zelle entsprechend zusammengedrückte Kerne haben. Diese 
Scehieht wird bei der nächsten Häutung abgestossen (Häutungs 
schicht von Bolau (5), Pfitzner (19)). Dieser Abstossung 
geht eine vielfache Lockerung voraus, welche bewirkt wird durch 
Anhäufung des Seeretes von Zellen der unter der Häutungsschicht 
liegenden Epidermis. Diese Zellen sind hier und da eingestreut 
unter die bereits beschriebenen. Sie wurden von Rudneff am 
Frosch entdeckt und von Eilh. Schulze (8) und Pfitzner 
(19) ebenfalls beschrieben. Dieselben stechen auffällig von den 
sie umgebenden Zellen durch ihr helles, durehscheinendes, zuweilen 
feingekörntes Protoplasma ab. Sie haben eine kugelige oder ovale 
Form, ihre der Hautoberfläche zugekehrte Seite ist abgeplattet. 
Der Kern liegt an ihrer Innenfläche, derselbe zeigt wenig Chro- 
matinsubstanz. Bei vielen Zellen ist der der Häutungsschicht zu- 


Ueber die Hautdrüsen von Bufo ceinereus. 387 


gewendete Contour nicht scharf, das Protoplasma ist herausge- 
quollen, zu beiden Seiten die Zellränder überragend, dabei hat 
die Zelle an Volumen verloren. Durch den Erguss des Zell- 
inhaltes unter die Häutungsschicht wird diese gelockert und so 
die Häutung vorbereitet. Für den Salamander liegen analoge 
Beobachtungen von P. Schultz (23) vor. 

Unter der Epidermis findet sich zunächst ein homogener 
Saum, weleher an seinem der Epidermis zugewandten Theil die 
Fortsätze der Epidermiszellen aufnimmt und dementsprechend 
auf Sehnitten gezähnelt erscheint. Es folgt ein lockeres Binde- 
gewebe in ziemlich breiter Schicht, welches reichlich Blutgefässe 
zeigt, die unmittelbar unter dem homogenen Saum in ein diehtes 
Capillarnetz übergehen, welches offenbar zur Ernährung der Epi- 
dermis bestimmt ist [Rainey (2). Unmittelbar unter dem Saum 
findet sieb eine continuirliche Reihe von mit braunem Pigment 
erfüllten, wenig verästelten Zellen; auch Nervenbündel lassen 
sich vielfach nachweisen. Besonders augenfällig sind die unge- 
mein häufigen Einlagerungen von glänzenden, unregelmässig ge- 
stalteten, mit zackigen Contouren versehenen Gebilden, welche 
sich dureh die bekannten mikrochemischen Reactionen als Caleium- 
carbonat erweisen. Auf die lockere Bindegewebsschicht folgt 
eine derbe. Sie besteht aus wellenförmig, parallel der Hautober- 
fläche verlaufenden Bündeln, welche hier und da strohmatten- 
artig von senkrecht zu ihrer Richtung verlaufenden Faserbündeln 
durchflochten werden. Die der Körperfascie zugekehrte Cutis- 
fläche zeigt wieder eine lockere, gefässreiche Bindegewebsschicht, 
von welcher feine Bündel zur Körperfascie abgehen. 

Das regelmässige Bild der Cutis und der Epidermis wird 
dureh die Drüsen und ihre Ausführungsgänge unterbrochen. Auf 
der Dorsalseite des Thieres findet man zwei Arten von Drüsen, 
auf der Ventralseite nur eine. Die eine Drüsenart, welche sich 
nur auf der Dorsalseite findet, die sogenannten Giftdrüsen, hat 
eine kugelige oder ovale Gestalt. An ihrer Mündung ist die 
Epidermis trichterartig eingezogen, mit ihr auch der Grenzsaum 
der Cutis, welcher nach der Drüse zu dünner wird und dieselbe 
als Membrana propria umgiebt. Auch die Häutungsschicht wird 
mit eingestülpt; dieselbe erstreckt sich in den Ausführungsgang 
bis zu einer Tiefe, welche der Dieke der Epidermis gleichkommt. 
Da wo diese oberste Epidermisschicht aufhört, bilden die Epi- 


388 Otto Weiss: 


dermiszellen einen dieken Wulst, welcher sich nach dem Lumen 
der Drüse zu verjüngt und sich in ein einschichtiges Epithel, 
welches die Drüse auskleidet, fortsetzt. Die innerste Epidermis- 
schieht zeigt nach der Drüse zu kürzer und kürzer werdende 
Fortsätze, welche mit dem Uebergang der Epidermiszellen in 
Drüsenzellen aufhören. Das Lumen des Ausführungsganges ist 
sehr eng, soweit ihn die Häutungsschicht auskleidet, sein Ver- 
lauf ist senkrecht zur Hautoberfläche. Dort, wo die beschrie- 
bene Zellanhäufung sich findet, erweitert sich der Gang, es findet 
sich bereits Seeret in ihm, welches jedoch scharf gegen die ihn 
auskleidenden Zellen gesondert ist. Erst da, wo das einschich- 
tige Drüsenepithel beginnt, sind Zellen und Secret nicht mehr 
scharf von einander abgrenzbar. Einen besonderen Verschluss- 
apparat für diesen Gang in Gestalt eines zähen Schleimpfropfes, 
wie ihn Calmels (20) beschreibt, habe ich gleich Sehultz 
(23) nicht gesehen. Ebenso wenig habe ich einen Sphineter- 
Muskel, wie ihn Schultz (23) beschreibt, nachweisen können. 
Auch erscheint ein solcher nicht erforderlich, da ein Ausfliessen 
des Secretes bei der Enge der Drüsenmündung ohne besonders 
eingeleitete Muskelaction nicht zu befürchten ist. 

Wie gesagt, sitzt das Epithel der Drüse auf einer feinen 
Membrana propria, der Fortsetzung des oberen Cutissaumes. Auf 
diese Membran folgt eine Schicht glatter Muskelfasern, welche 
im Wesentlichen einen vom Drüsengrund zur Mündung gerich- 
teten Verlauf haben. An die Muskelschicht schliesst sich das 
lockere Bindegewebe der Cutis an, welches die ganze Drüse, 
auch da, wo sie in der derbfaserigen Cutisschicht liegt, unmittel- 
bar umkleidet. 

Im Lumen der Drüse befindet sich ein feinkörniges Secret, 
welches dem Giftseeret des Thieres identisch ist. Dasselbe be- 
steht aus feinen, dunklen Körnchen, zwischen denen in unregel- 
mässiger Vertheilung grössere, kugelige Körper liegen. Diese 
bestehen aus einem Conglomerat von sehr feinen, den erstbeschrie- 
benen gleichenden Körncehen, wovon man sich durch die Unter- 
suchung des frischentleerten Secretes leicht überzeugen kann. 
Während sich im Lumen der Drüse, und zwar dessen grösseren 
Raum einnehmend, diese beschriebene körnige Masse mit deutlich 
von einander unterscheidbaren Körnehen und Conglomeraten der- 
selben findet, wird nach der Drüsenwand hin der Abstand der 


Ueber die Hautdrüsen von Bufo einereus. 389 


Körnchen kleiner, so dass sie dieht gedrängt werdend bald nicht 
mehr von einander unterscheidbar sind. Die Körnchen färben 
sich in Hämatoxylin blau, in Osmium dunkelbraun. Es erscheint 
bei so gefärbten Präparaten nahe der Drüsenwand ein dunkler, 
blauer oder brauner Streifen, welcher nach dem Centrum der 
Drüse in die beschriebenen Körnehen sich auflöst. Nach der 
Wand hin zeigt sich wieder ein geringes Lichterwerden des 
Saumes und auch hier lassen sich wieder Körnehen erkennen, 
welche bis in das Protoplasma der Zellen der Drüsenwand zu 
verfolgen sind. An der der Wand zugekehrten Seite zeigt das 
Protoplasma dieser Zellen eine nur sehr geringfügige Körnung. 
Der Kern ist bläschenförmig, er zeigt ein feines Chromatin- 
gerüst. Die Längsaxe des ovalen Kernes liegt in der Richtung 
einer an die Drüse gelegten Tangente. Neben diesen prall mit 
Secret gefüllten kugeligen Drüsen finden sich andere, deren 
Oberfläche nicht glatt, sondern vielfach eingebuchtet erscheint. 
Ihr Seeretinhalt gleicht dem der beschriebenen Drüsen, nur sind 
die Körnchen nicht so dicht gelagert. Nahe der Wand findet 
sich der beschriebene aus dicht gedrängten Körnchen bestehende 
Saum, dessen nach der Wand zu liehter werdende Körnung sich 
auch hier in das Protoplasma der Epithelzellen fortsetzt. Diese 
Zellen erscheinen hier nicht abgeplattet, sondern haben eylin- 
drische Gestalt; sie sind deutlich gegen einander abgegrenzt, 
ihr Kern liegt so, dass seine längste Axe radiär steht, seine 
Struetur ist der vorhin beschriebenen analog. Mitosen finden 
sich sehr selten. Will man sich das Studium des Epithels er- 
leichtern, so muss man durch vorsichtiges Ausschütteln oder 
Auspinseln den Secretinhalt zuvor entfernen. 

Ich machte es mir zur Aufgabe, die Bildung des Gift- 
seeretes zu untersuchen. Hierzu musste die Drüse künstlich ent- 
leert werden, da die Kröten — die Versuche wurden im Früh- 
Jahr angestellt — freiwillig ihr Gift nicht auspressten. Ich ver- 
wendete häufig zur Entleerung den electrischen Reiz, wobei die 
Eleetroden theils in Form feiner Nadeln im Nacken und am 
Rumpfende eingestochen wurden, theils wurde auch die Rücken- 
haut an den beiden Rumpfseiten durchschnitten und nach der 
Medianlinie zu umgeklappt, wobei die Hautnerven sich aus- 
spannten und so nach Durchschneidung gereizt werden konnten. 
In beiden Fällen entleerte sich reichlich Secret aus den Drüsen. 


390 Otto Weiss: 


Dadurch, dass auch auf Reizung der isolirten Nerven eine Se- 
eretion eintritt, wird die Annahme Seek’s (24) widerlegt, der 
Drüseninhalt würde durch eine Erhöhung des Lymphdruckes in 
den Rückenlymphsäcken ausgepresst. Die Erhöhung des Lymph- 
druckes denkt er sich entstanden durch die bei der erstgenannten 
Art der Reizung entstehenden Tetani der Rückenmuskulatur. 
Zuweilen entleerte ich auch den Drüseninhalt durch Ausquetschen 
der Drüsen mit den Fingern. Beide Methoden lieferten gute 
Resultate. Es sei noch erwähnt, dass ich die Angabe Calmels 
(20), dass sich bei electrischer Reizung nur der Rücken des 
Thieres mit milchigem Giftseeret bedeckt, während die Bauch- 
seite sich mit glasigem Secret überzieht, vollkommen bestä- 
tigt fand. 

Die Oberfläche der auf die genannte Art vollkommen ent- 
leerten Drüsen ist in Falten gelegt, das Secret mit den grossen 
kugeligen Körnchen ist verschwunden; dagegen ist der dem vor- 
hin erwähnten dunklen Saum entsprechende Theil des Drüsen- 
inhaltes geblieben. Die Epithelzellen, in deren Protoplasma die 
feinen Secretkörnchen sich fortsetzen, sind jetzt noch schlanker 
eylindrisch geworden, als ich sie bei den in Falten gelegten, 
mässig gefüllten Drüsen fand; im Uebrigen gleicht ihre Structur 
dem Epithelbau der beschriebenen Drüsen. Nachdem mehrfach 
die frisch entleerte Drüse untersucht war, wurde ein Theil der 
Thiere nach der Entleerung des Secretes am Leben erhalten und, 
um die Neubildung des Seeretes zu verlangsamen, an einen kühlen 
Ort gebracht. Es sei erwähnt, dass bei den Thieren, deren Haut- 
nerven durchsehnitten wurden, eine Neubildung von Secret nicht 
beobachtet wurde. Von zwei zu zwei Tagen wurde ein Thier 
getödtet und die Haut desselben untersucht. Die Neubildung 
des Secretes ging so vor sich. Es wurde zunächst der dem 
Inneren der Drüse zugewandte Theil des dunklen Saumes lichter 
durch Vergrösserung des Abstandes der feinen, ihn bildenden 
Körnehen. So erscheint in der unmittelbar nach der Entleerung 
mit einer fast schwarzen Masse ausgekleideten Drüse ein ihre 
Form wiedergebender heller Streifen. Die Epithelzellen zeigen 
nun reichlich dunkle Körner, besonders in ihrem dem Lumen 
zu liegenden Theil. Der helle Streifen wird breiter und breiter, 
während das Epithel gleichzeitig niederer wird. Dabei glätten 
sich die Falten der Drüsenwand mehr und mehr, um bei der 


Ueber die Hautdrüsen von Bufo cinereus. 391 


prallen Füllung der Drüse gänzlich zu verschwinden. Der die 
Form der Drüse wiedergebende dunkle Saum, welcher sich un- 
mittelbar über der Epithelsehicht befindet, wird indessen immer 
gefunden. Er ist um so mächtiger, je weniger Secret in der 
Drüse gebildet ist. Nach und nach bilden sich in dem Anfangs 
nur aus feinen Körnchen bestehenden Secret die grösseren kuge- 
ligen Elemente, deren auf die Raumeinheit fallende Zahl mit 
dem Zunehmen der Secretmenge und dem Alter der Drüse wächst. 
Es erscheint nach dem geschilderten Befund einleuchtend, dass 
das Giftseeret von den die Drüse auskleidenden Epithelzellen aus 
deren Protoplasma gebildet wird, ohne dass die ganze Zelle oder 
etwa ihr Kern zerfällt. Man hat dabei anzunehmen, dass das 
im Protoplasma der Zelle gebildete Secret zunächst nach dem 
inneren Zellabtheil geschafft, hier so zu sagen in eoncentrirter 
Form angehäuft und nach und nach unter gleichzeitiger Abgabe 
von Flüssigkeit zum fertigen Secret gestempelt wird. Dabei 
plattet sich das Epithel der Drüse durch den Druck des Secretes 
ab, Verhältnisse, wie sie für Epithelien längst bekannt und für 
das Epithel der Milchdrüse jüngst noch von Michaelis (50) 
beschrieben sind. 

Ueber das Epithel und die Bildung des Giftseeretes bei der 
Kröte liegen bisher nur wenig Untersuchungen vor. Nachdem 
Rainey (2) ein eylindrisches, Eckhard (1) ein aus Rund- 
zellen bestehendes Epithel für die Giftdrüsen der Kröte beschrie- 
ben hatte, zeigte Leydig (4, 7,16, 25), dass die Epithelzellen 
der gefüllten Drüsen platte Gebilde seien, deren nach dem Cen- 
trum der Drüse zu körniger Inhalt unabgrenzbar in das Secret 
übergehe. Calmels (20) untersuchte zuerst die Bildung des 
Seeretes in den Giftdrüsen. Seiner Ansicht nach besteht ein 
scharfer Unterschied zwischen den Giftdrüsen und den noch zu 
beschreibenden Schleimdrüsen nicht, sondern eine und dieselbe 
Drüse kann bald Giftseeret, bald Schleim produeiren. So sind 
auch bei seiner Beschreibung der Secretbildung die Regenerations- 
vorgänge in der Schleim absondernden Drüse mit denen in der 
Giftdrüse bunt durch einander geworfen, was P. Schultz (23) 
alsbald erkannte und berichtigte. Schultz (23) giebt dann 
selbst eine eingehende Beschreibung über die Bildung des Gift- 
secretes in den Drüsen des Salamanders, wobei er für die Kröte 
ähnliche Verhältnisse annimmt. Nach ihm liegen in der ruhenden, 


392 Otto Weiss: 


mit Secret gefüllten Drüse hier und da in Abständen an der 
Drüsenwand kleine Zellen mit grossem Kern und trübem, dunk- 
lem, meist gleichmässigem Protoplasma. Diese Zellen sollen 
sich nach erfolgter Seeretentleerung durch indireete Kerntheilung 
vermehren, wobei er Mitosen beobachtete „von so mächtiger 
Grösse, wie man sie selten findet“. Diese ungeheuren Kerntheilungs- 
figuren sind später von keinem anderen Autor beobachtet. Bei 
den Drüsen der Kröte sah ich häufig Fadenbildungen, welche 
Mitosen hätten vortäuschen können, in der beschriebenen dunklen 
Randzone; jedoch nur bei einigen Härtungsmethoden z. B. bei 
Alkoholhärtung, auch bei der Salpetersäure-Kaliumbichromieum- 
Härtung. (Ich erwähne dieses, ohne damit etwas gegen Schultz’s 
Beobachtungen am Salamander, den ich nieht untersucht habe, 
sagen zu wollen.) Die ganzen Zellen sollen nach der Vermehrung 
zerfallen und so in Giftseeret umgewandelt werden. Nur an der 
Drüsenwand bleiben dann die beschriebenen Zellen hier und dort 
stehen, um als Ausgangsmaterial für die Secretneubildung zu die- 
nen. Seek (24) zieht die bislang von den Autoren als glatte 
Muskeln angesprochenen, unter dem Epithel liegenden Zellen als 
Ersatzzellen heran, indem er deren muskuläre Natur bestreitet. 
Die Secretbildung erfolgt nach ihm durch vollkommene Auf- 
lösung der Drüsenzellen. Ebenso regenerirt sich nach M. Hei- 
denhain (26) und Nicoglu (27) beim Salamander das Seeret 
durch Zerfall von Zellen. Von der Gegend des „Schaltstückes“ 
(der von mir am Ausführungsgang beschriebenen Zellanhäufung) 
wächst eine neue Drüsenepithelanlage in die Muskelwand der 
Drüse hinein, das alte Secret verdrängend. „Diese neue Anlage 
zeigt, nachdem sie das Secret verdrängt hat, ein geräumiges 
Lumen, weiches direet in das Lumen des Schaltstückes und des 
Ausführungsganges übergeht und von einer gerinnselartig erschei- 
nenden Seeretmasse erfüllt ist. Die auskleidenden Epithelzellen 
sind im ganzen oberen Drüsenabschnitt klein, dem Schaltstück 
benachbart eylindrisch, weiter nach abwärts kubisch geformt.“ 
Von diesen Zellen sollen die des oberen Drüsengewölbes bis auf 
kleine dort sich findende Drüsenelemente, welche cylindrischen 
Epithelzellen gleichen, zu Grunde gehen. Die eylindrischen Ele- 
mente sollen das Keimlager sein, von welchem aus das Epithel 
sich regenerirt. Auch soll von den Zellen am Drüsenfundus ein 
Theil zu Grunde gehen. Aus den übrig bleibenden Epithelzellen 


Ueber die Hautdrüsen von Bufo einereus. 393 


sollen Riesenzellen werden, welehe durch ihren Zerfall das Secret 
bilden. Vollmer (28) suchte dann später nachzuweisen, dass 
die im Schaltstück von Heidenhain (26) und Nicoglu (27) 
beobachteten eylindrischen Elemente Epidermiszellen seien, welche 
durch Wucherung an diese Stelle gelangt sind. Diese Zellen 
sollen dann das Epithel und die Muskulatur der Drüse regene- 
riren. Für die Drüsen der Froschhaut hat neuerdings Junius 
(29) die Seeretbildung untersucht und giebt an, dass die jugend- 
liche Drüse eine eontinuirliche Epithelauskleidung besitzt. Diese 
Epithellage secernirt zunächst ein Secret in das Lumen der Drüse 
hinein, es gehen einige Epithelzellen gänzlich zu Grunde, so dass 
nur hier und da an der Drüsenwand durch das Anwachsen der 
Secretmenge plattgedrückte Epithelzellen stehen bleiben. Ueber 
regenerative Vorgänge macht er keine bestimmten Angaben. Er 
spricht die Vermuthung aus, dass die alten Drüsen veröden und 
neue „nach dem Typus der embryonalen Drüsenanlagen“ sich 
aus „zapfenförmig in die Cutis sich einsenkenden Wucherungen 
der Epidermiszellen“ bilden. | 

Die Angaben der Autoren über die Regenerationsvorgänge 
in den Drüsen sind, wie man sieht, nicht übereinstimmend. Wun- 
derbar ist dieses nicht, da in der mit Secret gefüllten Drüse das 
Studium des Epithels durch die erwähnte dunkle Randzone sehr 
erschwert ist, da ferner in der Wärme die Neubildung des Se- 
eretes in künstlich entleerten Drüsen sehr schnell vor sich geht. 
Schon dieser Umstand, dass man 24 bis 36 Stunden nach der 
Entleerung die Drüse wieder prall mit Secret gefüllt findet, 
spricht dagegen, dass es sich hier um ein durch Zellwucherung 
und nachherigen Zerfall entstandenes Secret handelt. Man müsste 
dann reichlich Mitosen finden, was nach den gemeinsamen Be- 
obachtungen aller Autoren nieht der Fall ist. Dadurch, dass ich 
durch den Aufenthalt der Thiere in der Kälte die Seeretbildung 
verlangsamte und, was bislang versäumt war, die Drüse unmittel- 
bar nach der Secretentleerung untersuchte, gelang es mir, den 
Secretbildungsvorgang in seinen verschiedenen Stadien, wie be- 
schrieben, mir zu Gesicht zu bringen. 

Wie gesagt, giebt es ausser den bislang behandelten Gift- 
drüsen noch eine zweite von diesen streng zu sondernde Drüsen- 
art. Die Frage, ob in der Haut der Amphibien eine oder meh- 


rere Arten von Drüsen vorkommen, ist mehrfach lebhaft diseutirt. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 26 


394 Otto Weiss: 


Während von Engelmann (13), Seek (24), Schultz (23) 
zwei Arten von Drüsen angenommen werden — Gift- und Schleim- 
drüsen — und neuerdings M. Heidenhain (26) und Nicoglu 
(27) noch eine Uebergangsform zwischen beiden annehmen zu 
müssen glauben, sind Calmels (20, Leydig (4, 7, 16, 25), 
Bugnion (15), Junius (29) der Ansicht, dass es nur eine Art 
von Drüsen in der Haut der Amphibien giebt. Da ich nur über 
die Krötenhaut Erfahrungen habe und hier zwischen Calmels 
(20) und Schultz (23) Widersprüche bestehen, so kann ich nur 
zu diesem Streitpunkt einiges beitragen. Ich schliesse mich der 
Ansicht Schultz’s (23) an, welcher zwei Arten von Drüsen 
unterscheidet. Der genannte Autor führt als bauptsächliches 
Unterscheidungsmerkmal den Bau des Ausführungsganges an. 
Während bei den Giftdrüsen derselbe in eine trichterförmige 
Vertiefung der Epidermis mündet, erscheint die Oeffnung des- 
selben bei den jetzt zu beschreibenden Drüsen wie mit dem Loch- 
eisen aus der Epidermis ausgeschnitten. Die Häutungsschicht 
kleidet ihn bis zum Uebergang in die Drüse aus. Hier fehlt die 
für die Giftdrüsen beschriebene Zellanhäufung, das sogenannte 
Schaltstück. Die Epidermiszellen stossen hier mit dem Epithel 
der Drüse ohne besondere Vermittelung zusammen. Dieses unter- 
scheidet sich wesentlich von dem der Giftdrüsen. Die Zellen 
sind kleiner als dort, schlank eylindrisch oder pyramidenförmig. 
Der Kern ist oval gestaltet, bläschenförmig und liegt im Wand- 
theil der Zelle. Das dem Lumen zugewandte Zellstück zeigt 
häufig keinen scharfen Grenzeontour gegen den Inhalt, es zeigt 
eine feine Körnung, welche ebenso wie das fertige im Lumen 
angesammelte Secret der Drüse die Schleimreaetion mit Thionin 
giebt. Diese Reaction fällt bei den Giftdrüsen stets negativ aus 
in allen Stadien der Secretbildung. Mit der Vermehrung des 
schleimigen Secretes wird auch bei diesen Drüsen das Epithel 
niederer, wenn auch die Abplattung der Zellen nicht so weit 
geht, wie in den Giftdrüsen. Für den Zerfall von Zellen bei 
der Secretbildung habe ich auch hier keine Anhaltspunkte ge- 
winnen können. 

Endlich sei noch erwähnt, dass die Schleimdrüsen stets in 
der oberen lockeren Cutisschicht liegen, deren Bindegewebe sie 
umkleidet. Auf diese lockere Bindegewebsschicht folgt eine 
Lage glatter Muskeln, welche jedoch weit weniger mächtig ist, 


Ueber die Hautdrüsen von Bufo einereus. 395 


als bei den Giftdrüsen. Dieselbe besteht aus einer einfachen 
Lage sehr zarter Muskelzellen!), Nach meinen Auseinander- 
setzungen handelt es sich hier um eine von den Giftdrüsen 
scharf zu sondernde Drüsenart. 


Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht, dem Di- 
rector des hiesigen anatomischen Instituts, Herrn Geh. Medieinal- 
rath Prof. Dr. L. Stieda, für die Erlaubniss, die technischen 
Hülfsmittel und die Bibliothek seines Instituts zu benutzen, sowie 
meinem Freunde, Herrn Dr. Lindemann, Privatdocenten für 
allgemeine Pathologie in Moskau, für die Ueberlassung des Thier- 
materials meinen Dank zu sagen. 


Literatur-Verzeichniss. 


Eckhard, Müller’s Archiv. 1849. 


s je 
-2. Rainey, Quart. Journ. mieroscop. Se. Vol. 3. 1855. 
3. Hensche, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. 7. 1856. 
4. Leydig, Lehrbuch d. Histologie. 1857. 
"5. Bolau, Beiträge zur Kenntn. d. Amphibienhaut. Dissert. Göttin- 
gen 1864. 
6. Stieda, Müller’s Archiv. 1865. 
7. Leydig, Ueb. d. Molche d. würtemberg. Fauna. Berlin 1867. 
8. Eilh. Schulze, Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. III. 1867. 
9. Szezesny, Beitr. z. Kenntn. d. Structur d. Froschhaut. Dissert. 
Dorpat 1867. 
10. Ciaccio, Intorno alla minuta fabrica della pelle della rana escul. 
Palermo 1867. 
11. Eberth, Unters. über die normale und pathol. Anat. d. Frosch- 
haut. Leipzig 1869. 
12. Bizozzero, Studj fatti nel laboratorio pathologico della univer- 


sita di Pavia 1870. 
13. Engelmann, Pflüger’s Archiv. 1872. 
. Heitzmann, Sitzungsber. d. Wiener Akademie Mai 1873. 
15. Bugnion, Bullet. de la societ€e Vaudoise des sc. nat. XII. Nr. 70. 1873. 
16. Leydig, Arch. f. mikr. Anatomie. 1876. 
17. Ranvier, Trait& technique d’histologie. 1876. 
18. Flemming, Schriften d. naturw. Ver. in Kiel (Vortrag). 1878. 
19. Pfitzner, Morphologisches Jahrbuch Bd. VI. 1880. 
‘20. Calmels, Archives d. Physiologie. 1883. 
21. Mitrophanow, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 41. 1885. 
22. Henle, A., Göttinger Nachr. Nr. 14. 1887. 
‚ 23. Schultz, Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 34. 1889. 
24. Seek, Ueber die Hautdrüsen einiger Amphibien. Dissert. Dorpat 
1891. 


art 
He 


1) Ueber die Existenz ist früher lebhaft gestritten worden, man 
vergleiche die Arbeiten von Hensche (3), Stieda (6b), Szezesny (9), 
Ciaccio (10), Eberth (11), Engelmann (13), Nicoglu (27), Seek 
(24), Leydig (25). 


396 Otto Weiss: Ueber die Hautdrüsen von Bufo einereus. 


25. Leydig, Biolog. Centralblatt Bd. XII. 1892. 

26. Heidenhain, M., Sitzungsber. d. Würzb. physik.-med. Gesellsch. 
1893. 

27. Nicoglu, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 56. 1893. 

28. Vollmer, Arch. f. mikrosk. Anatomie Bad. 42. 1893. 

29. Junius, Arch. f. mikrosk. Anatome Bd. 47. 1896. 

30. Michaelis, Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 51. 


m 


. 
e. 


IT Ya s 


12 
* 


Fig. 3. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Theil einer frisch entleerten, in Falten gelegten Giftdrüse. 
Osmiumfixation. 
m — glatte Muskelfasern; e= Epithel; k = dunkler aus dicht 
gedrängten Körnchen bestehender Saum. 
Rio.42, Drüsensegment vier Tage nach der Entleerung, das Thier war 
an einem kühlen Ort aufbew ahrt. Osmiumsäure. 
m—k wie in Fig. 1; s= fertiges Secret mit grossen Körnern. 
Fig. 3. Drüsensegment einer pr all mit Secret eefüllten | Drüse. Osmium- 
fixation. 
m—s wie in Fig. 2. 


397 


Die Linse des Maulwurfes. 


Von 
C. Ritter. 


Hierzu 3 Figuren im Text. 


Schon lange hat die Linse des Maulwurfes die Forscher 
beschäftigt. Die Fasern derselben sind zuerst von Leydig be- 
schrieben; Henle hat in seinem grossen Werke über die Ana- 
tomie der Linse eine Zeichnung der Fasern gegeben, welche nur 
theilweise zutreffend ist. Ich finde unter meinen alten Zeich- 
nungen Fasern abgebildet, welche sehr von Henle’s Darstel- 
lung abweichen. Henle und O. Becker geben an, dass ihnen 
Durchsehnitte durch die Linse des Maulwurfes nicht gelungen 
sind. Mit der jetzigen Technik und bei guter Celloidineinbettung 
ist die Entzifferung der Maulwurflinse nicht ohne Mühe, aber 
auch nicht übermässig schwierig. 

Das Maulwurfsauge liegt in der Haut vorn an der Schnautze, 
es ist ungefähr 1 mm im Durchmesser gross, ein kleiner schwar- 
zer Punkt, weleher in einer Conjunctivafalte liegt. Die Linse hat 
eine flache, linsenförmige Gestalt, am Aequator ist sie flach ab- 
gerundet. Sie misst im äquatorialen Durchmesser 0,35 mm, im 
axialen 0,18. Die vordere Fläche hat in ihrer Krümmung einen 
grösseren Durchmesser als die hintere, sie ist also etwas flacher, 
aber nur wenig. 

Die Augen wurden ganz frisch in Zenker’scher Lösung 
fixirt, ausgewässert, allmählich in absoluten Alkohol übergeführt, 
mit Boraxearmin gefärbt, dann in 70°/, Alkohol + !/,°/, Salzsäure 
übertragen und wieder allmählich in absoluten Alkohol geführt, 
dann vorschriftsmässig in Celloidin eingebettet und mit dem Mi- 
krotom geschnitten. 

Die Kapsel ist überall an der Linse sehr dünn und hat 
dieselbe Dieke von 0,001 mm vorn und hinten. Die vordere 
Kapsel mit ihrem Epithel scheidet sich von dem Linsenkörper 
durch einen Spalt, welcher nicht ganz bis zum Aequator reicht 
und keine grade Linie bildet, da das Epithel der vorderen Kapsel 
sehr ungleich in der Dieke und Lagerung ist. 


398 ec. Ratter: 


Die Kapsel ist überall durchsichtig und bildet eine sehr feine 
Plasmamembran. Ihr Epithel gleicht dem Epithel der Kapsel 
anderer Thiere gar nicht. Die Zellen desselben sind unter sich 
an Dieke, Höhe und Grösse sehr verschieden, und zwar liegen 
sehr ungleiche Zellen oft neben einander. Die Höhe der Zellen 
schwankt zwischen 0,025 und 0,01 mm, die Breite zwischen 0,013 
und 0,07 mm. Die Kerne sind meist rund von 0,006 mm Durch- 


ds q ‘psdey AdpıoA » 
L S1q 


"HSUIFINANBN PIP yaınp YIuyasydandı 


Wirbelbildung in der 
Mitte des vorderen 
Kapselepithels. 

a vordere Kapsel. 


‘Asur] A9p 9ssey op pun 


Fig. 3. 
Zelle der Linse. 


josdey} u91opIoA 109p Toyyidgy uaydsımz Je 


messer, gegen den Aequator hin werden sie länger und schmaler. 
Die Zellen sind am höchsten in der Mitte der vorderen Kapsel. 
Hier scheinen sie auf einzelnen Schnitten, wie von einem Mittel- 
punkte fächerförmig auszustrahlen, so dass sie mit der inneren 
Spitze zusammenhängen und breiter werdend an der vorderen 
Kapsel endigen (Fig. 2). Ueberhaupt haben die Zellen weit mehr 
ein faserartiges, als ein epithelartiges Aussehen. Gegen den 


Die Linse des Maulwurfes. 399 


Aequator werden sie schiefliegend, lagern sich mit der Breite an 
die Kapsel, auch wohl mehrere in einer Reihe. Zwischen diesen 
faserartigen Zellen finden sich aber stets wieder einzelne breite 
Zellen und Nester solcher breiten Zellen. Dass die Zellenlage 
an der vorderen Kapsel ein Epithel darstellt, kann aus der ein- 
zelnen Zelle, aus ihrer Gestalt und Lagerung nicht geschlossen 
werden. Die ganze Zellenlage ist zur richtigen Deutung nöthig. 

Am Aequator bilden kleine Zellen, kurz und rund den 
Uebergang zur Masse der Linse. Die Kerne dieser kleinen Zellen 
stehen öfters ziemlich dieht und reihenförmig geordnet neben 
einander. 

Die Masse der Linse bildet nun keinen Kern, es findet sich 
auch nicht die geringste Spur von regelmässig gebildeten Faser- 
lagen. Die ganze Linse wird aus Zellen zusammengesetzt, welche 
nur zum kleinen Theil faserartig auswachsen, zum viel grösseren 
Theil breit werden und mit spitzen Fortsätzen sich zwischen die 
benachbarten Zellen drängen (Fig. 1 u. 3). Vier bis fünf Reihen 
solcher Zellen übereinander bilden die Masse der Linse. Die 
Fortsätze der einzelnen Zellen drängen sich zwischen die Zellen 
der anderen Reihen hindurch und verlaufen vielleicht ausnahms- 
weise von der vordersten Zellenlage durch alle hinteren Lagen 
bis zur hinteren Kapsel, doch ist dies nicht mit voller Sicherheit 
nachzuweisen. Aus den mittleren Schichten aber sieht man häufig 
solche Fortsätze bis zur hinteren Kapsel oder dieht in ihre Nähe 
verlaufen. Wenn, wie sehr häufig, mehrere Fortsätze neben ein- 
ander in gleicher Richtung verlaufen, so erhält an diesen Stellen 
die Linse ein faseriges Gefüge, welches in der Hauptsache von 
vorn nach hinten, also im axialen Durchmesser verläuft. Einzelne 
Faserzüge dieser Art gehen auch in spitzen Winkel gegen die 
hintere Kapsel, aber immer so, dass die Richtung vom Aequator 
nach hinten gerichtet ist gegen die Kapsel. Niemals zeigen diese 
faserartigen Fortsätze der Zellen eine runde gebogene Form, wie 
sie zu einer Kernbildung der Linse nöthig wäre. Die faserigen 
Theile der Linse sind überhaupt nur schmal; sie sind auch so 
selten, dass ich in einzelnen Durchschnitten sie ganz vermisst 
habe. Kerne sind in diesen Faserzügen nicht zu bemerken. 

Die Zellen bestehen aus einem durchsichtigen Protoplasma, 
welches sich nur mit Protoplasma der Linsenzellen vergleichen 
lässt. Von einer Zellmembran habe ich nie etwas bemerkt. Die 


400 BRibFerT: 


Grösse der Zellen schwankt zwischen 0,01 mm und 0,05 mm Länge 
und Breite, ist also sehr erheblichen Unterschieden unterworfen. 
Es ist anzunehmen, dass auch die Dicke der Zellen denselben Spiel- 
raum in der Ausdehnung darbietet, denn alle Durchschnitte zeigen 
dieselben Dimensionen. Die Zellen sind nicht nach der Grösse 
geordnet; manche sind zehnfach so gross, wie die dicht neben 
ihnen liegenden, ohne dass sich ein Grund für das verschiedene 
Wachsthum fände. Die kleinen Zellen sitzen allerdings mehr an 
der Kapsel, aber es finden sich auch in den mittleren Zellschichten 
kleine Zellen zur Ausfüllung. Die mittleren Reihen zeigen haupt- 
sächlich die faserartigen Fortsätze, welche mehrere Reihen durch- 
laufen und sich an die hintere Kapsel ansetzen. Die äussere Zell- 
schicht zeigt dagegen gar keine Fortsätze. Wie ich aber schon 
hervorgehoben habe, es ist von einer Regelmässigkeit in der Zell- 
bildung und Zellenlage überall keine Rede; die faserartigen 
Zellenfortsätze können auch an den Zellen der vorderen Kapsel 
liegen und ihre Enden verschwinden dann zwischen den übrigen 
Zellen. Grosse Zellen finden sich auch an der Kapsel und finden 
sich auch am Aequator. 

Die Kerne sitzen meistens in der Mitte der Zelle oder etwas 
nach der Seite. Sie sind rund und haben einen Durchmesser von 
0,01 mm. Im den Zellen, welche einen dünnen Leib und dieke 
Fortsätze haben, sind die Kerne lang gestreckt in der Richtung 
des Faserzuges, die Breite ist dann 0,003 mm, die Länge 0,008. 
In sehr grossen Zellen habe ich Kerne von 0,01 mm Durchmesser 
gefunden. Die Kerne färben sich mit Carmin ganz gleich- 
mässig gut. 

Die chemische Zusammensetzung des Zellprotoplasmas muss 
dem der Linsenfasern anderer Thiere ganz gleich sein, die Zellen 
erscheinen völlig durchsichtig; das Protoplasma ist an jeder Stelle 
der Zelle ganz gleichförmig, eine Membran scheidet sich nicht ab. 
Auch der Kern ist im lebenden Zustande als durchsichtig anzu- 
sehen. Nur einzelne Zellen der vorderen Kapsel möchten durch 
ihren schrägen Verlauf und durch ihre Häufung dem Lichteinfalle 
Hinderniss geben. 

Von diesem Bilde der Maulwurfslinse, wie es in Fig. 1 ge- 
zeichnet und hier beschrieben ist, habe ich keinerlei Abweichung 


beobachtet. Alle Durchsehnitte zeigen dasselbe charakteristische 
Bild. 


Die Linse des Maulwurfes. 401 


Wenn man nun fragt, auf welche Weise und aus welchem 
Grunde es zu dieser abnormen Bildung der Maulwurflinse kommt, 
wesshalb also keine Kernbildung, keine concentrische Schichten- 
bildung vor sich geht, so liegt es sehr nahe, an das Stehen- 
bleiben auf einer früheren Entwieklungsstufe zu denken. Es 
gleicht der normalen Linse in der Maulwurfslinse die Kapsel, die 
Zellen derselben, die Zellen des Kerns und es ist selbst Faser- 
bildung vorhanden, die chemische Zusammensetzung ist in allen 
Theilen der der normalen Linse gleich zu setzen. Nun finde ich 
allerdings in der Entwieklung der Froschlinse einen Zeitpunkt, 
in welchem die Linse einige Aehnlichkeit mit der Maulwurfslinse 
bietet. Es ist die Zeit kurz vor der Kernbildung. Die Linse 
bietet zu dieser Zeit ein sehr prägnantes Bild. Das Epithel der 
vorderen Kapsel ist ein massives einzelliges Epithel, die Masse 
der Linse besteht aus einer zierlichen Figur von 5 bis 6 Reihen 
von Zellen, wenn man einfach mit den hervortretenden Kernen 
urtheilen wollte. Aber obgleich der Linsenkern noch nicht vor- 
handen ist, zeigt sich schon in jedem Kern und jeder Zelle die 
Gesetzmässigkeit, welche zu der concentrischen Faserbildung 
führt. Es ist eben der Anfang der Kernbildung, zu der die 
ersten Fasern sich gruppiren. Die Zellen sind rundlich gebogen, 
concav gegen die Mitte. Die Zellen wachsen nur in zwei ent- 
gegengesetzten Richtungen nach vorn und hinten aus. In diesem 
Stadium der Entwicklung lässt die Froschlinse die spätere Gestalt 
zuerst ahnen. Von einer solehen Gesetzmässigkeit ist die Maul- 
wurfslinse völlig frei. In ihr herrscht völlige Regellosigkeit in 
der Lagerung der Zellen, es kommt also nur zur Grössenzunahme 
und gegenseitiger Abplattung der Zellen. Auch wenn man die 
Annahme zu Hülfe nimmt, dass zu dem Stehenbleiben auf einer 
früheren Entwicklungsstufe eine abnorme regellose Entwicklung 
der damals vorhandenen Zellen annimmt, kommt man nicht zu 
einem befriedigenden Ende. 

Wiederholte mehrjährige Untersuchung der Linse zwingt 
mich, die Ursache der eoncentrischen Linsenbildung in dem 
Wirbel zu suchen. Die Bildung des Wirbels ist noch lange nicht 
genug untersucht und harıt noch der Entzifferung. Die Lage- 
veränderung der Kerne spielt im Wirbel die wichtigste Rolle. 
Der Wirbel liegt beim Embryo und beim erwachsenen Thiere 
an ganz verschiedenen Stellen. Ich muss mir die genaue Dar- 


402 C. Ritter: 


stellung auf einen anderen Ort vorbehalten. Bei der Maulwurfs- 
linse glaube ich nun annehmen zu dürfen, dass die Wirbelbildung 
bei ihr nieht im Aequator oder der hinteren Kapsel zu Stande 
kommt, sondern schon an der vorderen Kapsel. Ich stütze mich 
dabei auf das Bild Fig. 2, wo man in der Mitte der vorderen 
Kapsel einen Wirbel der Zellen bemerkt. Aehnliche Bilder sind 
öfters zu sehen. Dadurch würde es sich erklären, dass schon 
im vorderen Epithel faserartige Zellen entstehen und dann wäre 
eine Kernbildung der Linsenmasse unmöglich. Durch diese Hypo- 
these, welche sich auf die Präparate stützt, kommt man nach 
meiner Meinung der Erkenntniss näher. Andererseits ist eine 
andere Betrachtung nicht allein möglich, sondern erklärlich, wel- 
che jener ersten fast entgegengesetzt erscheint und sich doch mit 
ihr vereinigen lässt. Man könnte annehmen, dass die Form der 
Linsenzellen, welche sich bei der Maulwurfslinse findet, diejenige 
wäre, welche die Zelle im freien Zustande stets zu erlangen suchen 
wird; der Kürze halber sei mir der Ausdruck: „Die ideale Form 
der Linse“ erlaubt; dass dagegen die regelmässigen Linsenfasern 
der übrigen Thiere durch einen gewissen gesetzmässigen Zwang 
zur Kernbildung veranlasst werden. Dieser Zwang fehlt beim 
Maufwurf und die Zelle wächst schrankenlos aus. Die Bildung 
des Linsenkerns in mathematisch genauer Form ist nicht ohne 
bestimmtes Gesetz, ohne gesetzmässigen Zwang denkbar. Dieser 
Zwang ist mir bei langjähriger Untersuchung der Entwicklungs- 
geschichte der Linse ein nothwendiger Gedanke geworden. Es 
finden sich dafür einzelne Beweise. Der Ort des Zwanges wäre 
die Bildungsstelle der jungen Fasern, man nimmt gewöhnlich den 
Aequator als diesen Ort an, nicht mit Recht, aber der Kürze 
wegen brauchbar. An dieser Stelle, wo die Epithelzellen zu 
Fasern auswachsen, erleiden die Kerne eine Umdrehung, ihre 
vordere Seite wird zur hinteren, die hintere zur vorderen. Dieser 
Drehung, welche bei allen Thieren im Entwicklungszustande zu 
verfolgen ist, während im Alter das Epithel sich sehr ändert, 
entspricht eine völlige Aenderung der Kerme in ihrer Form, sie 
werden lang, schmal und dünn. Es ist möglich, dass die Ver- 
änderungen der Kerne nur die Folge jenes angenommenen Zwanges 
sind. Wir müssen uns zunächst damit begnügen, dass wir den 
Ausdruck eines gesetzmässigen Zwanges an der Stelle der Um- 
wandlung des Epithels in Linsenfasern darstellen, mag es sich 


Die Linse des Maulwurfes. 403 


später auch ausweisen, dass es nur ein Theil der Erscheinun- 
gen ist. 

Es bleibt die Frage zu beantworten, ob eine so gebaute Linse 
wie die des Maulwurfes dem Zwecke der Linse, ein Bild des Gegen- 
standes auf der Retina zu entwerfen, dienen kann. Obgleich 
die Oberflächen der Linse zur Brechung der Strahlen fähig sind 
und die Linse die Strahlen durchlassen muss, so ist doch un- 
zweifelhaft die Maulwurfslinse nicht fähig, ein umgekehrtes Bild 
des Objeetes zu entwerfen. Es fehlt ihr der concentrische Bau, 
es kann kein mathematisches Bild entstehen. Die Linse ist 
durchsichtig und lässt das Licht auf die Retina durchfallen. Die 
Empfindung von Hell und Dunkel wird auf der Retina entstehen 
können. Die Bilder der Objekte müssen aber aus verzerrten 
Linien bestehen, eine Erkenntniss der Gegenstände scheint nicht 
möglich. In dem Bau der Retina und der Bildung des Bulbus 
finde ich ausser der verschwindenden Kleinhaut keinen Grund, 
das Auge des Maulwurfs für zum Sehen untauglich zu erklären. 


Bremervörde, 7. Juni 1898. 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut 
der männlichen und weiblichen Geschlechts- 
organe. 


Von 
Dr. J. Loewy, Berlin. 


Hierzu Tafel XIX. 


Marcello Malpighi (1628—94) hat als erster das Stratum 
mucosum der Haut beschrieben und dasselbe als Rete bezeichnet. 
Diese Bezeichnung entspricht vollkommen den thatsächlichen ana- 
tomischen Verhältnissen dieses Gewebes. Wunderbar muss es 


404 J. Loewy: 


deshalb erscheinen, dass trotz dieses Namens, welcher doch All- 
gemeingut der descriptiven Anatomie geworden, dennoch erst in 
neuester Zeit der Bau des Rete Malpighi als Netzwerk näher 
studiert und festgestellt worden ist, während bisher die Ansicht 
vorherrschte, dass es sich bei dem Strat. mucosum nicht um ein 
Netzwerk, sondern um Zapfen handele (Epithelzapfen), welche 
sich zwischen die Cutispapillen einsenken. 

Ohne hier näher auf die gesammte Literatur einzugehen, 
sei nur erwähnt, dass es hauptsächlich das Verdienst Blaschko’s!) 
war, darauf hingewiesen zu haben, dass man sich der durch 
Fäulnissvorgänge oder auf künstliche Weise von der Cutis abge- 
lösten Oberhaut bedienen müsse, um durch Betrachtung des 
Flächenbildes von der der Lederhaut zugewendeten Seite her 
einen wichtigen Einblick in den komplieirten Bau des Rete zu 
gewinnen. Bei dieser Betrachtungsweise war Blaschko im 
Stande, bisher völlig unbekannte Strukturverhältnisse des Rete 
der gesammten Hautdecke kennen zu lernen. 

Bestätigt und in einigen Punkten erweitert wurden diese 
Angaben durch eine Arbeit Philippson’s?), welcher gleichzeitig 
ein neues Verfahren mittheilte, auf chemischem Wege eine Tren- 
nung der Epidermis von der Cutis herbeizuführen. Vermittelst 
dieser Methode und einer Modifikation derselben hatte ich es dann 
unternommen), systematisch das Rete der gesammten Hautdecke 
zu untersuchen. Hierbei stellten sich mancherlei neue Befunde 
heraus und es zeigte sich, dass wohl kein Gewebe des mensch- 
lichen Körpers eine gleiche Mannigfaltigkeit seines anatomischen 
Aufbaues aufweist, wie das Rete Malpighi. Denn verschieden 
ist meist der Aufbau des Netzes an den verschiedenen Hautpar- 
tieen, verschieden das Rete gleicher Hautbezirke in verschiedenen 
Lebensaltern. Weiter komplieirt wird das Studium dieser Bil- 
dungen dadurch, dass Dank der schleimig-weichen Beschaffenheit 


1) Blaschko, Beiträge zur Anatomie der Oberhaut. Archiv. f. 
mikroskop. Anatomie Bd. 30. Die Arbeit enthält ausführliche Literatur- 
angabe. 

2) Philippson, Ueber Herstellung von Flächenbildern der Ober- 
haut u. der Lederhaut. Monatshefte f. prakt. Dermatologie Bd. VIII, 
pag. 389. 

3) J. Loewy, Beiträge zur Anatomie u. Physiologie d. Oberhaut. 
Archiv f. mikroskop. Anatomie Bd. 37. 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut etc. 405 


des Strat. mucosum dasselbe im Stande ist, bei den verschie- 
densten Bewegungen der Haut beim Spannen und Erschlaffen 
derselben seine Gestalt zu verändern und sich den neuen Ver- 
hältnissen anzupassen. Leicht lassen sich diese Erscheinungen 
auch an der abgelösten Oberhaut demonstriren, wenn man die- 
selbe in stärkerer oder schwächerer Spannung ausgebreitet be- 
trachtet. Es könnte deshalb leicht gegen die bisher mitgetheilten 
Befunde der Vorwurf erhoben werden, dass sie den thatsächlichen 
Verhältnissen nicht völlig entsprächen und theilweise Kunst- 
produkte darstellten, hervorgebracht z. B. durch starkes Auf- 
pressen eines Deckglases auf das leicht veränderliche Rete oder 
dureh Schrumpfung desselben beim Trockenwerden des Präparats. 
Diesem Einwurfe ist schon von Blaschko und mir selbst da- 
durch begegnet worden, dass zur Vermeidung des Druckes die 
Präparate überhaupt nicht mit einem Deckglas bedeckt wurden, 
sondern die Epidermis am Objektträger einfach zum Austrocknen 
gebracht wurde. Dass sie hierbei keinerlei bemerkliche Schrum- 
pfung erlitt, konnte durch vorheriges und nachheriges Messen des 
Präparates festgestellt werden. 

Unter denselben Kautelen, welche theilweise noch dadurch 
verschärft wurden, dass ich die frisch losgelöste Oberhaut sofort 
noch ungefärbt photographirte, habe ich es unternommen, das 
Rete der männlichen und weiblichen Genitalien einer nochmaligen 
Untersuchung zu unterwerfen, nieht nur aus dem Grunde, weil 
diese Bildungen bisher noch am wenigsten bekannt sind, sondern 
weil sie die interessantesten Strukturverhältnisse der gesammten 
Rete der menschlichen Haut darbieten. Alle jene verschieden- 
artigen Typen und Eigenartigkeiten, welche gerade diese Präpa- 
rate aufweisen, in Abbildungen wieder zu geben, würde den 
Raum eines selbständigen Atlasses beanspruchen. Ich muss mich 
deshalb an dieser Stelle, wo nur ein beschränkter Raum zur Ver- 
fügung steht, damit begnügen, die charakteristischsten Bilder 
heraus zu greifen und vorzuführen. 

Bei der Herstellung der Präparate bediente ich mich der 
von Philippson angegebenen Methode, indem die Trennung 
der Epidermis von der Cutis durch !/,°/, Essigsäure erfolgte, 
allerdings unter Anwendung einer konstanten Temperatur von 
37° durch 24 Stunden hindurch. 

Das Material stammt aus der pathologischen Abtheilung des 


406 J. Loewy: 


städtischen Krankenhauses Moabit. Für die bereitwillige und 
liebenswürdige Ueberlassung desselben, spreche ich auch an dieser 
Stelle Herrn Prof. Dr. Langerhans meinen herzlichen Dank aus. 

Durch die erneuten Untersuchungen, welche sich auf eine 
sehr grosse Zahl von Genitalien erstreckten, kann ich nicht nur 
meine früheren Angaben bestätigen, sondern dieselben noch be- 
sonders in Bezug auf die weiblichen Geschlechtsorgane sehr er- 
weitern. 

Wenn ich mich bei der Beschreibung dieser Ergebnisse 
möglichst kurz fasse, so geschieht es, weil ich das Hauptgewicht 
auf die beigefügten Abbildungen legen möchte, welche in ihrer 
Auswahl die Haupttypen des Rete darstellen und besser als jede 
Schilderung das wechselvolle Bild desselben demonstriren. 


1. Die männlichen Geschlechtsorgane. 


Der Grundtypus der Rete der männlichen Genitalien ist das 
einfache ziemlich gleichförmige Netzwerk mit stark ausgebildeten 
Längsleisten und schwächer entwickelten Querleisten. Dieses Bild 
findet sich am klarsten bei Föten und Kindern in den ersten 
Lebenswochen, wenngleich auch schon hier zahlreiche Abwei- 
chungen auftreten, welche sich durch Bildung sekundärer und 
tertiärer Querleisten, durch Verdiekungen einzelner Längsleisten, 
Zottenbildung ete. dokumentiren. Mit zunehmendem Alter wächst 
dann die Mannigfaltigkeit der Bildungen in der eben geschilderten 
Richtung, ohne jedoch jemals den Grundtypus völlig zum Ver- 
schwinden zu bringen. — Bis in das höchste Alter hinein kann 
man das kräftig entwickelte Strat. mucosum verfolgen, zum 
Schwinden gebracht nur an den Stellen, welche durch besonders 
stark ausgebildete Funktionsfalten durchzogen werden. Aller- 
dings treten hier mancherlei Abweichungen zu Tage. So fand 
ich das Rete des Penisschaftes eines 40 und 60jährigen Mannes 
aus auffallend schmalen Leisten, an manchen Stellen nur aus 
Rudimenten bestehend, während ein 84jähriger Mann an der 
gleichen Hautpartie ein auffallend stark entwickeltes Leisten- 
system aufwies. — Man kann daran denken, dass diese Diffe- 
renzen abhängig sind von stärkeren oder schwächeren Druck- 
einwirkungen, wie sie durch einen verschieden intensiven Ge- 
brauch des Gliedes bedingt werden. 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut etc. 407 


Die einzelnen Abschnitte der Haut des männlichen Genital- 
traktus zeigen folgende Verhältnisse : 

Das Rete des Serotums Fig. 1 bietet im Fötalleben und 
in den ersten Monaten ein ähnliches Bild wie das des Rumpfes. 
Wir sehen ein wohl ausgebildetes Netzwerk aus kräftigen Längs- 
leisten und gut entwickelten Querleisten. Die Maschenräume sind 
fast von gleicher Grösse wie die des Rückens. Sekundäre und 
tertiäre Leisten theilen dieselben in Unterabtheilungen. Der Ver- 
lauf der Längsleisten ist bogenförmig und das Serotum herum 
von der Peniswurzel zum Perineum gerichtet. In gleicher Rich- 
tung verlaufen die zahllosen Haare mit ihren Talgdrüsen, wäh- 
rend flache Funktionsfurchen das Gesichtsfeld regellos durch- 
ziehen. Letztere haben noch nicht vermocht, die unter ihnen 
dahinziehenden Leisten zum Schwinden zu bringen. 

Doch schon in diesem Alter wird die Gleichförmigkeit des 
Baues unterbrochen durch grössere oder kleinere charakteristi- 
schere Partieen. Hier verbreitern sich die Längsleisten, zeigen 
kammartige Verdickungen, auf denen besonders deutlich die Drü- 
senmündungen sichtbar werden, treten auch, während sie bisher 
einander fast parallel verliefen, dieht zusammen und kreuzen sich 
theilweise. Die Querleisten werden immer seltener, nehmen aber 
dafür im Diekendurchmesser zu. Letztere Bildungen werden mit 
zunehmendem Alter häufiger und komplieiren sich weiter in 
mannigfacher Weise. So entsteht in grosser Ausdehnung ein 
Leistensystem, das Cutispapillen bedingt, welche die Gestalt zu- 
sammengesetzter Wärzchen aufweisen. Dann treten wieder Bil- 
dungen auf, in denen die Querleisten eine gleich starke Entwick- 
lung wie die Längsleisten aufweisen, sich mit letzteren dendritisch 
verzweigen und verästeln, um schliesslich so zu verschmelzen, 
dass die Cutispapillen wie Pünktehen aus dem flächengleichen 
Strat. mucosum heraus schauen. Dabei haben die Funktions- 
falten nicht nur an Zahl, sondern auch an Breite und Tiefe zu- 
genommen und stellenweise das Rete zum Schwinden gebracht, 
so dass nur noch Stümpfe von Längs- und Querleisten stehen ge- 
blieben sind. Dies ist das für das Serotum charakteristische Bild. 
Der Penisschaft Fig. 2!) besitzt ein verhältnissmässig 
1) Dieses Präparat ist deshalb zur Darstellung gebracht worden, 


um die charakteristischen Funktionsfalten deutlich vor Augen zu 
führen. 


408 J. Loewy: 


grossmaschiges und regelmässiges Netzwerk, dessen Längsleisten 
der Längsrichtung des Schaftes folgen. Ein grosser Theil der 
Maschenräume ist in Unterabtheilungen geschieden. Je weiter 
man sich aber dem Praeputium nähert, desto kleiner werden die 
Maschenräume, desto gedrängter die Längsleisten, desto häufiger 
die Kreuzung der letztern und ihr büschelartiges Auseinander- 
weichen. Hier treten auch in steigender Menge kamm- und 
zottenartige Bildungen auf der Höhe der Längsleisten auf, welche 
die anstossenden Maschenräume überschatten. Die bisher reich- 
lich vorhandenen Haare und Drüsen werden spärlicher. Dagegen 
setzen sich die Funktionsfalten, welche die Penisoberhaut in 
so reicher Zahl durchziehen, dass sie für diese Bilder fast ein 
Charakteristikum bilden, in gleicher Zahl in das Präputium fort. 

Der Unterschied der verschiedenen Lebensalter spricht sich 
deutlich aus in dem Grösserwerden der einzelnen Maschenräume 
und im Wachsen der Leistendurchmesser. Besonders aber springt 
in die Augen die äusserst vermehrte Zahl der Funktionsfalten, 
welche an den meisten Stellen das von ihnen getroffene Rete 
zum Schwinden gebracht haben. 

Bis in das höchste Alter kann man diese Reteleisten kräftig 
entwickelt verfolgen. Doch findet man manchmal, wie schon 
oben erwähnt, selbst schon im Alter von 40 Jahren, nur noch 
die Trümmer eines Retenetzes, Rudimente von Längs- und Quer- 
leisten, vereinzelt Maschenräume bildend, auch an den Stellen, 
welche von den Funktionsfalten nicht durchzogen werden. 

Den weitaus interessantesten Aufbau des Rete des männ- 
lichen Genitaltraetus zeigt das Präputium Fig. 3!). Zunächst 
fällt bei dem eirkulär verlaufenden Leistensystem das Zurück- 
treten der Querleisten in die Augen. Nur an wenigen Stellen 
gleich kräftig wie die Längsleisten entwickelt, erscheinen sie 
meist nur schwach angedeutet oder fehlen völlig. Dann werden 
die Maschenräume gebildet durch die eigenartige Anordnung der 
Längsleisten, durch Kreuzung und Schlängelung, durch Conver- 


1) Besonders deutlich kann man bei der Betrachtung dieser 
Figur — in weniger scharfer Weise auch bei den übrigen — je nach 
der Art des Beschauens das Leistennetz oder die Cutispapillen wahr- 
nehmen. Stellt man das Auge mehr auf die Entfernung ein, so treten 
die Papillen plastisch aus der Ebene hervor, während es zur Wahr- 
nehmung des Rete einer besonderen Einstellung auf die Nähe benöthigt. 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut ete. 409 


genz und Divergenz derselben. Auch fehlen kammartige Ver- 
diekungen derselben nicht, sowie Zottenbildung auf der Höhe 
der Leisten. Näher zur Ansatzstelle an die Glans hin scheinen 
auch die Längsleisten zu schwinden, und die glatte Fläche des 
Strat. mucosum zeigt dicht gedrängt schräg gegen die Oberfläche 
gerichtete Oeffnungen, in welche warzenartig die Cutispapillen 
hineinragen. Ein Bild, wie es auch das Serotum allerdings nur 
an wenigen Stellen aufweist. Dieses Gesammtbild wird weiter 
komplieirt durch zahlreiche Centren, Gebilde, welche durch das 
plötzliche Zusammenströmen vieler Längsleisten zu einem Punkt 
hin entstehen. Sie haben genau das Aussehen eines stark ver- 
zweigten und verästelten Baumes. 

In anderen Bezirken findet man auch kleine Bildungen von 
eigenartiger unregelmässiger Form, welehe ein Ganzes für sich 
darzustellen scheinen, als etwas Fremdes hineingepflanzt in das 
umgebende Leistensystem. Scharf umgrenzt stehen die Leisten 
derselben, welche theils ein gut ausgebildetes Netzwerk, theils 
jenen eben beschriebenen komplieirten Aufbau zeigen, senkrecht 
zur Verlaufsrichtung der Leisten seiner Umgebung und treten 
dadurch äusserst plastisch hervor. Die Oberhaut des Präput. 
ist reichlich mit Drüsengängen und in unregelmässiger Weise mit 
Haaren durchsetzt. Beide nehmen an Zahl immer mehr ab, je 
mehr man sich dem Sule. eoronar. nähert und letztere schwin- 
den dann völlig. Auch die äusserst zahlreichen Funktionsfalten 
werden in der Nähe der Glans seltener. 

Bei Neugeborenen uud Kindern in den ersten Heesrachen 
besteht ein Unterschied gegenüber Erwachsenen nicht nur in der 
schwächeren Entwicklung der Leisten, sondern auch in dem Vor- 
herrschen einfacherer Verhältnisse, indem die Längsleisten regel- 
mässiger und geradliniger verlaufen, wenngleich auch hier schon 
die komplieirten Bildungen zu finden sind. 

Am Suleus eoronarius Fig. 4 treten die Längsleisten 
wieder weiter auseinander und nehmen an Diekendurchmesser zu. 
Zugleich ändern sie ihre Verlaufsriehtung und werden wieder 
parallel der Längsachse des Penis. Dann theilen sich die ein- 
zelnen Längsleisten in zwei resp. drei dünne Leisten, welche sich 
verästeln und kreuzen, häufig auch dicht neben einander her- 
laufen. Die schmale dazwischen liegende Rinne ist dann durch 
minimale Querleisten getheilt, die punktförmige dicht gedrängt 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 27 


410 J. Loewy: 


liegende Maschenräume bedingen. Zwischen diesen Bildungen 
verlaufen stark entwickelte, gewulstete und kammartig verdiekte 
Längsleisten mit zahlreichen Drüsenausführungsgängen, welche in 
der Gegend der Corona glandis spiralige und schleifenförmige 
Gebilde, die durch sekundäre Leisten in kleinere Unterabthei- 
lungen getheilt sind und mächtige Papillen bedingen, .umgreifen. 
Dann werden die Leisten wieder schwächer, führen fast keine 
Drüsengänge mehr, treten näher zusammen und bilden durch 
häufige Kreuzung und vermittelst häufiger Querleisten ein Netz- 
werk, welches Papillen umgreift, die wie Tannenzapfen er- 
scheinen, welche dicht gedrängt schräg in die Unterlage einge- 
lassen sind. 

Diese Leistenanordnung, diese Schleifen- und Spiralenbildung 
findet man stets in diesen Hautbezirken und sie ist als typisch 
für das Rete des Sule. eoronar. und der Corona glandis zu be- 
zeichnen. 

Die Glans Penis weist wieder einfachere Verhältnisse auf. 

Ein deutliches Netzwerk von Längs- und Querleisten ist 
vorhanden, wenn auch letztere nur schwach entwickelt sind und 
erstere durch Kreuzung unter einander und geschlängelten Ver- 
lauf die Hauptmaschenräume selbst bilden. Auf der Höhe der 
äusserst kräftig entwickelten Leisten finden wir vielfach kamm- 
artige Verdiekungen, auch vereinzelte Zottenbildung, stellenweise 
treten auch komplieirtere Bildungen auf, welche Cutispapillen 
von der Form zusammengesetzter Warzen bedingen. 

Was die Verlaufsrichtung der Leisten betrifft, so sind die- 
selben von der Corona gland. radiär gegen das Orifie. urethr., 
dann eireulär um dasselbe gerichtet und gehen schliesslich in 
die gleichfalls eireulär gerichteten Leisten der Mucosa urethrae 
über. 

Drüsenöffnungen sind auf der Glans bei diesen Präparaten 
verhältnissmässig wenig nachweisbar. 

Der Unterschied zwischen dem Rete dieser Hautparthie Er- 
wachsener und ganz junger Individuen besteht einzig in der 
stärkeren oder geringeren Entwicklung der einzelnen Leisten. 


2. Die weiblichen Geschlechtsorgane. 


Bei der Beschreibung des Baues des Rete der Lab. major. 
Fig. 5 u. 6, kann ich mich kurz fassen, da es Strukturverhält- 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut etc. 411 


nisse aufweist, die mit denen des Penisschaftes im Grossen und 
Ganzen übereinstimmen. Auch hier ein meist ausgesprochen 
regelmässiges Netzwerk, mit durchschnittlich kleineren Maschen- 
räumen als sie der Penis zeigt, mit kräftig entwickelten Längs- 
leisten und schwächeren Querleisten, auch hier häufiges Kreuzen 
und Schlängeln der ersteren und Bildung von Maschenräumen 
ohne Zuhülfenahme der letzteren. Dann auch hier stellenweise 
komplieirtere Verhältnisse, kammartige Verdiekungen der Leisten, 
engerer Zusammenschluss derselben zur Bildung von warzen- und 
zapfenartigen Cutispapillen. Zahllose Haare durchziehen das 
Gesichtsfeld, meist regellos angeordnet und reichliche Funktions- 
falten beleben das Bild. Auf der Höhe der Leisten traten die 
Drüsenmündungen zu Tage. — Nähert man sich den kleinen 
Labien, so ändern sich die Verhältnisse ähnlich wie beim Penis 
in der Nähe des Präputiums. Dichter und diehter treten die 
Längsleisten an einander, verschmelzen zu einer Fläche, in der 
punktförmige Oeffnungen für die Papillen sichtbar sind; zotten- 
und warzenförmige Gebilde werden häufiger, Leistencentren treten 
auf, auch vereinzelte rosettenartige Bildungen. Dabei nimmt die 
Zahl der Haare ab, ebenso wie die Menge der Funktionsfalten. 

In den verschiedenen Lebensaltern ist kein wesentlicher 
Unterschied im Aufbau dieser Reteparthien wahrnehmbar. Er 
bezieht sich meist nur auf die Grösse der Maschenräume und 
die Stärke der Leisten. 

Dagegen zeigen die Lab. minor einen ganz eigenartigen 
und charakteristischen Aufbau ihres Leistensystems, der als ty- 
pisch für diesen Hautbezirk betrachtet werden muss. 

In der Gegend der Lab. maj. ist der Totaleindruck noch 
der eines Netzwerkes. Dennoch aber sind auch hier schon die 
einfachen Maschenräume, welche von Längsleisten und Querleisten 
von oft auffallender Stärke gebildet werden, nur selten. Sie er- 
scheinen wie vereinsamte Inseln inmitten komplieirter gestalteter 
Gebilde. Letztere gleichen auffallend denen des Präputiums. 
Auch hier treten die Querleisten fast ganz in den Hintergrund 
und die Längsleisten zeigen wieder ein äusserst vielgestaltetes 
und wechselvolles Bild in ihrem Aufbau und in ihrem Verlaufe. 
Auch Leistencentren (Fig. 8) fehlen nicht, noch jene Leisten- 
komplexe, welche wie selbständige Organe mitten in das Leisten- 
netz hineingepflanzt erscheinen. Sie unterscheiden sich von denen 


412 J. Loewy: 


des Präputiums durch besonders stark entwickelte Centralleisten, 
sowie durch die Häufigkeit ihres Auftretens. Fig. 7, ein Ueber- 
sichtsbild in schwacher Vergrösserung, zeigt besser als jede Be- 
schreibung die grosse Zahl der Centren, die Breite ihrer Central- 
leisten und den eigenartigen selbst in dem einen Gesichtsfelde 
schon so vielfach wechselnden Charakter des umgebenden Leisten- 
systems. 

Nähert man sich der Vaginal-Schleimhaut, so findet man 
Strukturverhältnisse, wie sie nur dem Rete der kleinen Labien 
eigen. Das Bild eines Netzwerkes verliert sich vollkommen. In Kreis- 
und Rosettenform verlaufende Leisten, welche eigenartig geformte 
Cutispapillen bedingen, treten auf, schwinden wieder stellenweise 
völlig, und in der ebenen Fläche werden Kommaähnliche und 
spitzen Krystallnadeln gleichende Oeffnungen sichtbar, welche 
gleichgeformten, schräg gegen die Fläche gestellten Papillen 
entsprechen. Noch weiter zur Schleimhaut hin ändert sich das 
Bild von neuem. Wie Tropfsteinbildungen (Fig. 9) so mannig- 
faltig, so zerklüftet ragen die einzelnen Leisten hervor und 
tragen auf ihren Spitzen die kleinen und unter sich noch viel- 
fach verschiedenen Papillenöffnungen. Dann werden auch sie 
flacher und gehen in die glatte Fläche der Schleimhaut mit 
ihren kommaförmigen dicht gedrängten Papillenöffnungen über, 
deren zugehörige Papillen einen auffallend spitzen Winkel gegen 
die Oberfläche bilden. Dieses hochentwickelte Rete zeigen die 
Lab. minor vom jugendlichen bis zum höchsten Alter. 

An Funktionsfalten sind diese Hautparthieen verhältniss- 
mässig arm. Haare sind überhaupt nicht mehr vorhanden, Drüsen- 
öffnungen auf der Höhe der Leisten kaum wahrnehmbar. 

Die Verlaufsrichtung des Leistensystems resp. der Papillen 
des weiblichen Genitaltrakts ist trotz seines wechselnden Baues 
feststellbar. In den grossen wie kleinen Labien verlaufen die 
Papillen radiär auf die Schleimhaut der Vagina zu, um dann in 
derselben eine eireuläre Richtung einzuschlagen. 

Wenn es mir bei dem beschränkten Raume nicht möglich 
war, für alle die geschilderten Strukturverhältnisse des Rete der 
männlichen und weiblichen Genitalien Abbildungen vorzuführen, so 
kann man sich doch aus den dargebotenen schon ein klares Bild 
von dem vielgestaltigen und wechselreichen Bau des Strat. mu- 
cosum machen. Wir sehen, wie am Serotum, am Penisschaft und 


Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut etc. 413 


den grossen Labien die einfachen Papillen, so wie wir sie an 
der Haut des Rumpfes zu finden pflegen, vorherrschen, wie aber 
auch hier schon komplieirtere Papillenbildungen in grosser Zahl 
auftreten. Am Präputium, am Sule. coronar. der Corona gland. 
und den kleinen Labien werden die Papillen zahlreicher. Dicht 
gedrängt aneinander liegend, eigenartig in ihrer Form gleichen 
sie theils Zotten, theils einfachen und zusammengesetzten Warzen, 
theils Kolben, dann Fäden und spitzen Nadeln oder gar Rosetten 
ähnlichen Bildungen. Hierzu treten die zahlreichen Centren, 
Conglomerate von Papillen, die scheinbar zu einem Ganzen ver- 
schmolzen sind. 

Diese eigenartigen anatomischen Verhältnisse sind von hoher 
praktischer Bedeutung. Die Papillen sind die Hauptträger der 
nervösen Endapparate der Haut und mit einer grösseren Anzahl 
und einem komplieirten Bau der Papillen muss a priori ein ent- 
sprechender Reichthum der nervösen Endorgane einhergehen. 
Hiernach müsste die Haut des Genitaltraktus und ganz besonders 
die der kleinen Labien, des Präputiums und der Corona glandis 
ganz besonders reich mit nervösen Elementen ausgestattet sein. 
Dass dies auch den thatsächlichen Verhältnissen entspricht, geht 
daraus hervor, dass kein Hautbezirk des menschlichen Organis- 
mus eine gleiche Empfindlichkeit aufweist wie die Haut des 
Genitaltraktus. — Ob den beschriebenen Leistencentren eine 
specifiscehe Bedeutung für die Sensibilität dieser Theile zu- 
zuerkennen ist, muss vorläufig dahingestellt bleiben. 

Als bemerkenswerth verdient noch Folgendes hervorgehoben 
zu werden. Entwieklungsgeschichtlich entspricht den Lab. ma]. 
das Scerotum und den Lab. minor. die pars cavernos. urethrae. 
Hiernach müsste man a priori annehmen, dass die entsprechen- 
den Hautdecken eine gleiche Uebereinstimmung aufweisen. Dies 
ist nicht der Fall. Es zeigt vielmehr das Rete der grossen 
Labien eine auffallende Aehnlichkeit mit dem des Penisschaftes 
und das der kleinen Labien mit dem des Präputiums. Leider 
konnte dieselbe auf den Abbildungen nicht im erwünschten Maasse 
zur Darstellung gebracht werden, da nicht die Aehnlichkeiten, 
sondern gerade die für die betreffenden Hautparthieen charakte- 
ristischsten Bildungen bevorzugt werden mussten. 

Schliesslich noch ein Wort über die diagnostische Bedeu- 
tung des Rete. Ist man auch nicht im Stande, aus dem Rete 


414 J. Loewy: Ueber den Bau des Rete Malpighi der Haut etc. 


Malpighi allein stets die betreffende Hautparthie festzustellen, 
so kann man dies wenigstens mit ziemlicher Sicherheit aus dem 
Rete des Präputiums, des Sule. coronar., der Corona gland. und 
der kleinen Labien. 


I) 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIX. 


Scrotum eines zwei Monate alten Kindes. Vergr. 20. 

a. Funktionsfalte; b. Haare; c. Drüsenausführungsgang. 
Penisschaft eines Erwachsenen. Vergr. 50. 

a. Funktionsfalten. 

Präputium eines 45jährigen Mannes. Vergr. 20. 

a. Leistencentrum. 

Sulcus coronar. und Corona glandis eines 45jährigen Mannes. 
Vergr. 20. a. Schleifen- und Spiralenbildung. 

Lab. maj. einer $4jährigen Frau. Vergr. 20. 

a. Drüsenausführungsgang. 

Lab. maj. eines 4jährigen Mädchens. Vergr. 20. 

a. Haare; b. Funktionsfalten; ec. Drüsen. 

Kleine Labien einer 20jährigen. Uebersichtsbild. 

a. Centren. 

Kleine Labien einer 20jährigen. Leistencentrum. Dasselbe 
Präparat wie Fig. 7, stärker vergrössert. Vergr. 50. 

Kleine Labien einer Erwachsenen. Vergr. 20. 

a. Schleimbaut. 


u ee 


415 


(Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Berliner Universität.) 
Beiträge zur experimentellen Morphologie und 
Eintwicklungsgeschichte. 


4) Ueber einige durch Centrifugalkraft in der Entwick- 
lung des Froscheies hervorgerufene Veränderungen. 


Von 


Oscar Hertwig. 


Hierzu Tafel XX u. XXI. 


In dem soeben erschienenen zweiten Theil meines Lehr- 
buchs der allgemeinen Anatomie und Physiologie habe ich für 
entwieklungs-physiologische Forschungen den Grundsatz aufge- 
stellt, dass der Entwieklungsprozess eines Organismus, um ver- 
standen zu werden, erfasst werden muss als ein kleines Stück- 
chen des Naturverlaufs. Das will heissen: „es entwickelt sich 
das Ei in unmittelbarstem Zusammenhang, in steter Fühlung mit 
dem Naturganzen unter Benutzung der es umgebenden Aussen- 
welt. Stoff und Kraft treten beständig in dasselbe ein und aus“ 
(S. 78). Das gesetzmässige Ineinandergreifen äusserer und innerer 
Faktoren beim Entwieklungsprocess habe ich schon in verschie- 
denen Richtungen durch experimentelle Untersuchungen einer 
strengeren Analyse unterworfen. Einmal zeigte ich durch verschie- 
denartig durchgeführte Compression befruchteter Froscheier, wie 
der Furchungsprocess, die Form der Blastula und Gastrula eine 
der Natur des äusseren Eingriffs jedesmal genau entsprechende 
Modification annimmt!). Darauf wies ich nach, dass durch ver- 
schieden eoncentrirte Kochsalzlösungen ganz bestimmte Formver- 
änderungen am Embryo, eigenthümliche Hemmungsmissbildungen 
und Monstrositäten bedivgt werden?). Mit dem Causalnexus, der 


1) Oscar Hertwig, Ueber den Werth der ersten Furchungs- 
zellen für die Organbildung des Embryo. Arch. f, mikrosk. Anat. 
Bd. 42. 1893. 

2) Oscar Hertwig, Die Entwicklung des Froscheies unter dem 
Einfluss schwächerer und stärkerer Kochsalzlösungen. Arch, f. mikrosk. 
Anat. Bd. 44. 


416 Oscar Hertwig: 


zwischen dem zeitlichen Ablauf des Furchungs- und überhaupt 
des Entwicklungsprocesses und verschiedenen Temperaturgraden 
besteht, beschäftigte sich eine dritte Experimentaluntersuchung!). 
Einen vierten Beitrag, zu welchem die Experimente schon vor 
längerer Zeit durchgeführt wurden, übergebe ich erst jetzt der 
Oeffentlichkeit. Es wird m ihm der Einfluss der Centrifugalkraft 
auf die Entwicklung der Eier untersucht und nachgewiesen, dass 
bei einer gewissen Stärke der Centrifugalkraft eine Desorgani- 
sation und ein Absterben des Eies, unterhalb dieses Punktes aber 
characteristische Veränderungen in dieser Entwicklungweise her- 
vorgerufen werden. 

Schon Rauber?) hat sich m seinem kleinen Aufsatz 
„Schwerkraftversuche an Forelleneiern“ mitdiesem Thema beschäf- 
tigt, ohne indessen, wohl in Folge der Wahl seines Versuchsobjeectes, 
zu bemerkenswerthen Resultaten gelangt zu sein. Er bediente 
sich zu seinen Versuchen des Althaus’schen Reactionsrades. Die 
Forelleneier wurden in Reagensröhrehen, die mit Wasser gefüllt 
waren, gebracht, und diese wurden an dem Apparat in der 
Weise befestigt, dass sie um eine verticale Axe in 20 em Abstand 
rotirten. Die Umdrehungsgeschwindigkeit, wobei als Motor der 
Druck der Wasserleitung in Anspruch genommen wurde, betrug 
200 in der Minute. Als nach 8 Tagen der Versuch unterbrochen 
wurde, waren noch alle Eier wohl erhalten. „Die Eiaxe (Verbin- 
dungslinie zwischen dem Mittelpunkt des Keimpols und des 
Nahrungsdotterpoles) lag fast wagrecht; der Keim selbst war 
centripetal, der Nahrungsdotter centrifugal gelagert.“ Ihre Ent- 
wicklung war in den 8 Tagen ungehindert fortgeschritten und 
zeigte nach Härtung und genauerer Untersuchung keine auf- 
fälligen Störungen. 

Bei dieser Gelegenheit hat Rauber auch die Frage ge- 
prüft, wie die Centrifugalkraft auf die Funetionen und 
das Leben ausgebildeter Thiere unter der oben ange- 
gebenen Versuchsbedingung einwirkt und hat hierbei das Ergebniss 
erhalten, dass Fäulnissbacterien, Infusorien, Würmer, Crustaceen, 


1) Oscar Hertwig, Ueber den Einfluss der Temperatur auf 
die Entwicklung von Rana fusca und R. esculenta. Arch. f. mikrosk. 
Anat. Bd. 51. 1898. 

2) Rauber, Schwerkraftversuche an Forelleneiern. Berichte der 
naturforsch. Gesellsch. zu Leipzig. Jahrg. 1884. 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 417 


Gastropoden, Wirbelthiere (einjährige Rana temp.) merkwürdiger 
Weise nicht schwer beeinflusst werden. 

Während Rauber nur eine bestimmte Intensität der Cen- 
trifugalkraft in seinen Versuchen geprüft hat, habe ich dieselbe 
in der verschiedensten Weise variirt und bin dadurch auch zu 
anderen Ergebnissen als Rauber gelangt. Denn ich kann nach- 
weisen, dass bei einer bestimmten Stärke die Centrifugalkraft in 
den Entwicklungsprocess des Eies sehr umgestaltend eingreift 
und keineswegs so wirkungslos ist, wie es aus Rauber’s 
Experimenten hervorzugehen schien. 

Darauf, dass man die Bedingungen zu variiren und zu- 
sammenhängende und nach einem bestimmten Prineip durchge- 
führte Versuchsreihen zu gewinnen sucht, muss überhaupt bei 
entwicklungs-physiologischen Untersuchungen besonders geachtet 
werden, wenn sie uns über das Ineinandergreifen der äusseren 
und inneren Factoren des Entwicklungsprocesses Klarheit ver- 
schaffen sollen. Denn sehr oft pflegt bei den verschiedensten 
äusseren Einwirkungen eine deutlich wahrnehmbare Reaction 
von Seiten des Organismus erst bei einem genau bestimmten 
Grad der Einwirkung hervorzutreten. Um diesen aufzufinden, 
müssen die Experimente variirt werden. 

Zu meinen Versuchen benutzte ich folgenden, von mir zu- 
sammengestellten Oentrifugalapparat: Ein schweres, eisernes Stativ 
trug einen starken, U-förmig gebogenen, eisernen Rahmen, der 
vertical, mit der Oeffnung zur Seite, befestigt war. Zwischen den 
offenen Enden des Rahmens war eine Stahlspindel angebracht, 
die in 2 scharfe Spitzen auslief und mit diesen in 2 conische 
Gruben eingriff, so dass sie leicht um ihre Axe rotirt werden 
konnte. An ihrem oberen Ende war ein Satz von kleineren und 
grösseren Holzscheiben befestigt, mit welchen eine Seidenschnur 
als Transmission in Verbindung gesetzt wurde, um dadurch die 
Bewegung eines Motors auf den Apparat zu übertragen. Von der 
Mitte der verticalen Stahlspindel gingen in horizontaler Richtung 
4 starke Eisenstäbe von 40 em Länge aus, zusammen ein Kreuz 
bildend. An einem jeden von ihnen waren mit Schrauben, in 
einigen Versuchen vier, in andern drei Messingkapseln in ver- 
schiedenen Abständen befestigt, welche dazu bestimmt waren, 
die Glasröhren mit den Versuchseiern aufzunehmen. Bei der An- 


418 Oscar Hertwig: 


ordnung zu dreien betrug der Abstand von der Umdrehuygsaxe 
40 cm, 29 cm, 18 cm. 

Um den Centrifugalapparat in Bewegung zu setzen, bediente 
ich mich im ersten Jahre der Wasserkraft. Von einem Freibassin, 
das auf dem Boden des Instituts angebracht war, wurde durch 
eine Rohrleitung ein Wasserstrahl in eine kleine Turbine geleitet, 
deren Umdrehungsgeschwindigkeit durch die oben erwähnte Trans- 
mission auf die Holzscheiben des Centrifugalapparates übertragen 
wurde. Da indessen der Wasserdruck zur raschen Bewegung 
des Apparates, den ich im zweiten Jahre kräftiger bauen liess, 
um Erschütterungen zu beseitigen, nicht genügend stark war, so 
benutzte ich später als Motor eine kleine Dynamomaschine von 
Schuckert, welche ich in die eleetrische Leitung des Instituts 
einschalt. Durch Variirung eingeschalteter Widerstände liess sich 
die Umdrehungsgeschwindigkeit des Centrifugalapparates auf das 
(enaueste reguliren und Tage lang nahezu constant erhalten. 

Um die Anzahl der Umdrehungen in der Minute zu messen, 
war an der verticalen Spindel ein Schraubengang angebracht, 
der in das Rädchen eines Registrirapparates eingriff, an welchem 
man die Umdrehungsgeschwindigkeit mit der Uhr in der Hand 
feststellen konnte. 


Versuche mit Rana eseculenta. 


Eier von Rana esculenta wurden 3 Stunden nach der Be- 
fruchtung auf den Uentrifugalapparat gebracht, dessen Geschwin- 
digkeit allmählich auf 140—-147 Umdrehungen in der Minute 
gesteigert wurde. Das Eimaterial war auf 4 Röhrchen vertheilt, 
die sich in einem 4fach verschiedenen Abstand von der Um- 
drehungsaxe befanden, wonach wir sie als B!, B?, B?, B* unter- 
scheiden wollen. Bei B! betrug der Radius der Umdrehung 
14 cm, bei B* 40 em, B? und B? waren im Zwischenraum zwi- 
schen beiden in gleichen Abständen angeordnet. 

Entsprechend der Länge des Radius waren die 4 verschie- 
denen Eiportionen in ungleichem Maasse der Einwirkung der 
Centrifugalkraft unterworfen und lieferten demnach auch ver- 
schiedene Ergebnisse. - 

Im Röhrchen B* begann der Entwicklungsprocess bald zu 
erlöschen. Nach einigen Stunden Umdrehung waren zwar bei 
einigen Eiern eine Anzahl Furchen entstanden, blieben aber nur 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 419 


auf die Umgebung des normalen Poles beschränkt und verliefen 
hier in sehr unregelmässiger Weise. Am anderen Tage waren 
die Eier abgestorben und verfärbt, indem das Pigment über die 
Oberfläche ungleich vertheilt war. Von den früher vorhandenen 
Furehen war keine Spur mehr zu sehen. 

Die Eier im Röhrchen B! dagegen theilten sich in nahezu 
normaler Weise und standen am andern Tag auf dem Blastula- 
stadium. Hier zeigte sich nur in so fern eine Abweichung, als 
die vegetative Hälfte noch aus sehr grossen Stücken bestand, 
während die animale Hälfte schon sehr kleinzellig geworden war. 
Am dritten Tag war die Gastrulation beendet, bei den meisten 
Eiern in normaler Weise, indem aus dem engen Blastoporus nur 
noch ein sehr kleiner Dotterpfropf heraussah. Bei einigen in- 
dessen war eine Störung eingetreten. Das ganze Dotterfeld 
(Taf. XX, Fig. 1) lag noch frei zu Tage und war vom colossal 
weiten Urmundring umgeben. Auch war die Dottermasse nur in 
sehr grosse Zellen abgetheilt. Der Befund ist ein ähnlicher wie bei 
Froscheiern, die sich in Kochsalzlösungen von 0,6°/, entwickelt 
haben. 

Die zwischen B* und B! befindlichen Röhrehen 2 und 3 
lieferten das interessanteste Ergebniss. Hier wirkte die Centri- 
fugalkraft in einer Stärke auf die Eier ein, welche einerseits im 
Inhalt eine Sonderung hervorrief, andererseits aber doch dadurch 
den Entwicklungsprocess nicht aufhob, sondern ihn nur in erheb- 
licher Weise abänderte. 

Bei den meisten Eiern kam die erste Thheilung noch in 
normaler Weise zu Stande, indem sie bis an den vegetativen 
Pol durchschnitt. Dagegen blieben die folgenden Theilungen 
mehr und mehr auf die animale Hälfte des Eies beschränkt. Es 
bildete sich so ein Zustand aus, wie er für die 
meroblastischen Eier mit partieller Furchung 
eigenthümlich ist. Wie ein solcher am total sich fur- 
chenden Froschei durch die in einer gewissen Stärke einwirkende 
Centrifugalkraft künstlich hervorgerufen werden kann, lässt sich 
leicht begreifen: 

Auf dieimFroschei vorhandenen Substanzen 
von ungleicherSchwere wirktimExperiment die 
Centrifugalkraft stärker sondernd ein, als es 
unter normalen Verhältnissen durch die Schwer- 


420 Oscar Hertwig: 


kraft geschieht. Die schwereren Dotterplättchen werden 
daher ein Bestreben haben, sich noch dichter an den immer 
nach aussen gewendeten vegetativen Pol zusammen zu drängen, 
während die leichtere protoplasmatisehe Substanz noch mehr nach 
dem der Umdrehungsaxe zugerichteten animalen Pol hinzuströmen 
gezwungen wird. Am meisten aber wird die Stellung und 
Vertheilung der Kerne, welche sich beim Furchungs- 
process bilden, eine veränderte werden müssen. Denn im bläs- 
chenförmigen Zustand sind die Kerne, weil sie viel Kernsaft 
enthalten, noch speeifisch leichter als das Protoplasma und wer- 
den daher, wenn die Centrifugalkraft auf den Inhalt des Eies 
nach der Schwere seiner Theile sondernd einwirkt, in der ani- 
malen Hälfte festgehalten und am Eindringen in den vegetativen 
Abschnitt ganz verhindert. 

Auf diese Weise erklären sich die eigenthümlich abgeän- 
derten Blastulae, die ich erhielt, als ich nach 24stündiger Ein- 
wirkung der ÜCentrifugalkraft einen Theil der Eier aus dem 
Apparat herausnahm und behufs genauerer Untersuchung in halb- 
procentige Chromsäure einlegte. 

Schon nach Entfernung der Gallerte durch Eau de 
Javelle zeigten sich bei Untersuchung der Eier mit Lupenver- 
grösserung bemerkenswerthe Veränderungen. Drei Zonen liessen 
sich an der Oberfläche deutlich unterscheiden (Fig. 2 A u. B). 
In der Umgebung des animalen Poles markirte sich ein rundes 
Feld (Fig. 2 A) durch seine grössere Durchsichtigkeit, welche 
namentlich auch bei seitlicher Betrachtung des Eies (Fig. 2 B) 
auffiel. Das Bild erklärt sich in der Weise, dass man durch die 
sehr dünne Decke der Keimblase ihre mit Flüssigkeit gefüllte 
Höhle hindurchschimmern sieht. Auch ist die Decke, abgesehen 
von ihrer Dünne, mehr durchscheinend geworden, weil durch die 
Behandlung mit Eau de Javelle das bei Rana eseulenta nur in 
geringer Menge vorhandene Pigment aufgelöst ist. Das Bild ist 
ein ähnliches, wie es von den meroblastischen Eiern der Vögel 
bekannt ist, deren vom Dotter abgehobene Keimscheibe in der 
Mitte verdünnt und durchsichtiger als der Randbezirk ist. 

Der den hellen Hof umgebende dunklere Ring reicht etwa 
bis in die Gegend des Aequators des Eies, in manchen Fällen 
auch noch etwas über denselben nach abwärts (Fig.3) und setzt 
hier mit einer unregelmässigen, gezackten Linie gegen die dritte 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 421 


Zone scharf ab. Bei starker Lupenvergrösserung erkennt man 
in seinem Bereich die einzelnen Zellen als kleine Körner. 

Die dritte Zone nimmt die vegetative Hälfte des Eies ein, 
ihre Oberfläche erscheint ganz glatt, nur bei einigen Eiern 
(Fig. 3) lief eine verticale Furche über die Oberfläche und zer- 
legte sie in 2 Hälften. Sie rührt von der ersten Theilebene her, 
welche, wie oben erwähnt, in manchen Fällen noch zu Stande 
kommt. Sonst ist von Zellen und Furehen keine Spur zu sehen. 
Auch in der Färbung unterscheiden sich die Bezirke von ein- 
ander. In Folge der Härtung in Chromsäure hat die nicht in 
Zellen zerlegte vegetative Zone einen grünbraunen Ton erhalten, 
während die in kleine Zellen abgefurchte Hälfte des Eies mehr 
weisslich aussieht. 

Von dem gehärteten Material wurden viele Eier in Serien- 
schnitte zerlegt. Hierbei tritt die Uebereinstimmung der durch 
Centrifugalkraft umgewandelten Froscheier mit dem meroblasti- 
schen Typus in einer noch viel prägnanteren Weise zu Tage. 
Obwohl nieht ein Ei genau den gleichen Befund wie das andere 
darbot, was bei experimentell hervorgerufenen Abänderungen ja 
nur sehr selten der Fall ist, herrschte doch im Ganzen eine sehr auf- 
fällige Uebereinstimmung. Die am meisten typischen Bilder lie- 
ferte das im dritten Röhrchen befindliche Material. 

Wie die Figuren 4, 5, 6, 7, 8 lehren, ist das Froschei scharf 
gesondert in einen nicht in Zellen zerlegten Nahrungsdotter und 
in eine kleinzellige Keimscheibe. Die letztere beträgt gewöhnlich 
nur den dritten Theil der ganzen Eimasse; sie schliesst eine ge- 
räumige Keimblasenhöhle ein, an deren Wand wir .eine nach oben 
gekehrte Decke von dem an den Dotter angrenzenden Boden 
unterscheiden können. Die Decke ist sehr dünn, da sie sich nur 
aus einer einzigen Lage ceubischer Zellen zusammensetzt, und ist 
in Folge dessen bei der Durchtränkung mit Paraffin bei den 
meisten Eiern nach dem Innern eingesunken. (In den Figuren 
ist sie in ihrer natürlichen Wölbung gezeichnet.) Der Boden der 
Keimblase besteht aus 3—4 Lagen noch ziemlich grosser, poly- 
gonaler Zellen. Die ansehnlichsten Zellenmassen liegen in der 
Peripherie der Keimscheibe. 

An manchen Eiern ist die Abgrenzung zwischen Keimscheibe 
und ungetheilter Dottermasse eine sehr scharfe und wird auf dem 
Durchschnitt durch eine häufig ganz gerade Linie angezeigt. Zu- 


422 Oscar Hertwig: 


weilen kommt es auch vor, dass zwischen beiden Theilen sich 
kleine Spalträume ausgebildet haben, wodurch die Sonderung 
eine noch mehr ausgeprägte wird. 

Am Nahrungsdotter ist wieder eine dünne, unmittelbar unter 
der Keimscheibe gelegene, subgerminale Schicht von der übrigen 
Hauptmasse zu unterscheiden. Die subgerminale Schicht besteht 
aus Protoplasma und sehr kleinen Dotterkörnehen und setzt sich 
dadurch auf dem Durchschnitt als ein etwas lichterer Streifen 
von dem grobkörnigen Dotter zuweilen sehr deutlich ab. Was 
aber dieser Schicht noch ein besonderes Gepräge und eine grössere 
Bedeutung verleiht, das sind bald vereinzelte, bald in Haufen bei- 
sammen liegende Kerne, welche sofort an die Merocyten 
(Rückert) der meroblastischen Eier erinnern. Da die 
Objeete mit Boraxcarmin durchgefärbt worden waren, fielen sie 
durch ihre rothe Färbung sofort auf; auch ist in ihrer Umgebung 
häufig etwas Pigment angesammelt. Die Kerne im Dotter [Me- 
roeyten] (Fig. 4—7, Fig. 7 B, Fig. 9 u. 10) zeichnen sich vor 
den Kernen der gewöhnlichen Embryonalzellen durch ihre beträcht- 
lichere Grösse aus, durch ihren lappigen Bau oder dadurch, dass 
sie aus einem Haufen dicht zusammengedrängter Kernbläschen 
zusammengesetzt sind. In ihnen haben wir Kerne vor uns, welche 
auf den ersten Stadien des Furchungsprocesses am weitesten nach 
dem vegetativen Pol zu vorgeschoben worden sind, es aber in 
Folge der durch die Centrifugalkraft hervorgerufenen Verände- 
rungen nicht zu einer Zerlegung der Dottermasse in ihrer Um- 
gebung haben bringen können. 

Die experimentell erzeugte, kernhaltige Lage unter der 
Keimscheibe wollen wir mit demselben Namen belegen, welchen 
Virchow für eine ähnliche Schicht bei den meroblastischen Eiern 
eingeführt hat, und demgemäss das Dottersyneytium nennen. 

Die Kerne im Dotter besitzen hier noch die Fähigkeit, 
sich durch Karyokinese zu vervielfältigen. Denn in manchen 
Schnitten traf ich in dem Dottersyneytium eigenthümliche pluri- 
polare Mitosen an (Fig. 11 u. 12), wie ich solche von überfruch- 
teten Seeigeleiern früher beschrieben habe, und wie man sie von 
den Riesenzellen des Knochenmarks her kennt. An den viel- 
lappigen Kernen oder den Haufen von einzelnen Kernbläschen 
müssen viele Centrosomen auftreten, zwischen welchen sich Spin- 
deln bilden, wodurch eigenthümliche Complexe von dem verschie- 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 423 


denartigsten Aussehen zu Stande kommen. So zählte ich Complexe 
von 5 bis 11 Strahlenfiguren. Hierbei ist auch an die Möglichkeit 
zu denken, dass derartige zusammengesetzte Figuren in der sub- 
germinalen Schicht dadurch entstehen, dass benachbarte Kerne, 
wenn sie sich gleichzeitig in Spindeln umwandeln, näher zu- 
sammenrücken und mit den Polen zusammenlegen. Eine der- 
artige secundäre Vereinigung ursprünglich getrennter, Spindeln 
kommt ja in der That in überfruchteten Eiern vor, wenn die vom 
Eikern getrennt gebliebenen Spermakerne sich in Spindeln um- 
wandeln. 

Das Dottersyneytium ist selten in gleicher Mächtigkeit unter 
der Keimscheibe ausgebreitet (Fig. 4—8). Bald ist es hier dicker, 
dort dünner oder fehlt ganz. Häufig kommt es vor, dass es be- 
sonders ansehnlich unter dem nach oben gewandten Rand der 
Keimscheibe entwickelt ist. Wie die Figuren 6 und 8 zeigen, 
setzt sich hier gegen die ungetheilte, grobkörnige Dottermasse ein 
grösseres unregelmässiges Feld von feinkömiger Substanz ab mit 
zahlreichen Kernen und einzelnen, mit Flüssigkeit erfüllten Hohl- 
räumen (Vacuolen). Schon am frischen Material lässt sich übri- 
gens diese verdickte Randpartie des Synceytiums bei Betrachtung 
der Oberfläche an einer eigenthümlich veränderten Färbung des 
Dotters erkennen. 

Was endlich noch den grobkörnigen Dotter anbetrifft, so 
werden in ihm keine Kerne mehr angetroffen. Die in ihm ein- 
geschlossenen Dotterplättehen (Fig. 13 A) sind durch ihre viel 
beträchtlichere Grösse und dichte Zusammenlagerung von den 
kleineren und mehr auseinander liegenden Plättchen des Dotter- 
syneytiums unterschieden (Fig. 13 B und 13 0). 

Auf Grund der mitgetheilten Befunde können wir das Er- 
gebniss unserer Experimente in folgende Sätze zusammenfassen: 

Wenn die Centrifugalkraft in einer gewissen, 
durch den Versuch zu ermittelnden Stärke auf das 
Ei von Rana eseulenta einwirkt, ruft sie in seinem 
Inhalt eine stärkere Sonderuug der leichteren 
und schwereren Substanzen hervor, in Folge des- 
sen der Furchungsprocess auf die animale Hälfte 
des Eies beschränkt bleibt. Im weiteren Verlauf 
der Furehung erhält dann das Ei eine von der 
Norm ganz abweichende Beschaffenheit, welche 


424 Oscar Hertwig: 


eine sehr weitgehende Aehnlichkeit mit mero- 
blastischen Eiern darbietet, sodass man geradezu 
sagen kann: Das normaler Weise holoblastische 
Ei des Frosches mit totaler Furchung ist in den 
meroblastischen Typus mit partieller Furehung 
dureh den äusseren Eingriff umgewandelt wor- 
den. Denn man kann jetzt einen ungetheilten 
Nahrungsdotter, welcher die Hälfte bis zwei Drit- 
teldes ganzen Eies beträgt, und eine in Zellen 
zerlegte Keimscheibe mit Blastocoel unterschei- 
den; ja dieUebereinstimmung geht sogar so weit, 
dass sich auch unter der Keimscheibe noch eine 
besondere Schicht von Meroceyten, ein Dotter- 
syneytium, ausgebildet hat. 

An den eben der gestellten typischen Befund schliest ich noch 
die Beschreibung einiger Eier an, welche durch die Centrifugal- 
kraft theils noch stärker, theils weniger umgeändert sind. Die 
ersteren erhielt ich aus dem dritten, die letzteren aus dem zweiten 
Röhrchen. 

Ein Durchschnitt von einem stärker beeinflussten Ei ist in 
Figur 14 abgebildet. Er zeigt auch die Sonderung in 3 Schichten. 
Aber die obere, der Keimscheibe entsprechende Schicht ist nicht 
in Zellen zerlegt, besteht vielmehr aus einem feinkörnigen, fädigen 
Protoplasma, welches von grösseren und kleineren Vacuolen durch- 
setzt ist und hier und da auch pathologisch veränderte grosse, 
blasige und gelappte Kerne oder Haufen von Kernbläschen auf- 
weist. In diesen Fällen ist entweder auch die Zerlegung der 
animalen Eihälfte in Zellen verhindert worden, während der 
Kern sich mehrfach hinter einander getheilt und den in der ver- 
änderten Substanz des Eies zerstreuten Kernen den Ursprung ge- 
geben hat; oder es hatten sich im Anfang der Entwicklung wirk- 
liehe Zellen dureh Furehung gebildet, sind aber später wieder in 
Folge von Störungen, welche die Centrifugalkraft in ihnen be- 
wirkt hat, wieder unter einander zusammengeflossen, sodass ihre 
Kerne in eine gemeinsame, protoplasmatische Grundsubstanz zu 
liegen kommen. Welcher von beiden Vorgängen in Wirklichkeit 
stattgefunden hat, liess sich an dem Untersuchungsmaterial nicht 
feststellen. 

Unter der oberen Scheibe folgt eine dünne Lage Dotter- 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 425 


substanz mit sehr kleinen Dotterplättehen, in welcher auch noch 
sehr vereinzelte kleine Kerne angetroffen werden, vergleichbar 
dem früher beschriebenen Dottersyneytium. Den Rest des Eies 
bildet der unveränderte und ganz kernfreie, grobkörnige Nah- 
rungsdotter. 

Die zweite Gruppe von Eiern, welche im zweiten Röhrchen 
sich vereinzelt mit finden, bilden Uebergänge zum normalen Ver- 
halten. In vielen Fällen fehlen nach dem vegetativen Pol zu 
ebenfalls die Kerne in der Dottersubstanz, aber es ist hierbei 
nicht zu der oben beschriebenen scharfen Sonderung in die drei 
Schichten gekommen, vielmehr geht der zellige Theil des Eies, 
indem die Zellen nach dem Aequator zu grösser und dotterreicher 
werden, mehr allmählich in die nicht in Zellen zerlegte Dotter- 
masse über. 

Andere Eier endlich schliessen sich noch mehr an das nor- 
male Verhalten an, indem nach 24 Stunden auch die vegetative 
Hälfte des Eies allerdings nur in einige wenige grosse Dotter- 
zellen zerfallen ist. 

Am zweiten Tage standen die im zweiten und dritten Röhr- 
chen eingeschlossenen Eier, welche dem Einfluss der Centrifugal- 
kraft nach wie vor auf dem Apparat ausgesetzt gewesen waren, 
noch auf dem Blastulastadium, hatten aber im den 24 Stunden 
weitere Fortschritte in ihrer Entwieklung gemacht. Durch fort- 
gesetzte Theilung waren die Zellen erheblich kleiner geworden 
und schliessen an der Oberfläche dicht zusammen (Fig. 15). Die 
Keimblasenhöble hat sich nieht unerheblich vergrössert. Ihre Decke 
ist wie früher sehr dünn, so dass sie bei dem Einschluss der Eier 
in Paraffin leicht einfällt, besteht aber jetzt aus 2 Lagen, einer 
Grundschieht und einer Deekschieht von sehr kleinen Zellen, 
welche an Stelle der einfachen Schieht der grösseren mehr rund- 
lichen Elemente vom Tag zuvor getreten sind (Fig. 4 u. 5). Die 
Grundschicht setzt sich aus ausserordentlich kleinen ceubischen, 
die Deekschieht aus kleinen eylindrischen, zu einem Epithel fest 
zusammenschliessenden Elementen zusammen. 

Am Boden der Keimblasenhöhle sind Veränderungen in 
der Vertheilung der Zellen eingetreten. Während an dem vor- 
ausgegangenen Tage die Keimblasen am Boden über dem Dotter- 
syneytium wenigstens 3 bis 4 Lagen von grösseren Zellen (Fig. 
4—7) besassen, sieht man jetzt zuweilen (Fig. 16 u. 17) den un- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 28 


426 Öscear Hertwig: 


getheilten Nahrungsdotter oder die ihn bedeckende Meroeyten- 
schicht eine Strecke weit unmittelbar an die Höhle grenzen oder 
von ihr nur durch 1 oder 2 Lagen von Zellen getrennt werden. 
Es sind also im Allgemeinen die Zellen mehr von der Mitte nach 
dem Rand der Keimscheibe hingerückt und zwar besonders nach 
dem Randtheil, von welchem weiterhin die Gastrulaeinstülpung 
beginnt. Besonders auffällig ist die verschiedene Dicke des Keim- 
scheibenrandes an den beiden Figuren 16 u. 17 ausgeprägt. 

An einzelnen Objecten macht sich auch jetzt schon der 
erste Beginn der Gastrulation bemerkbar. An dem verdickten 
Randtheil der Scheibe ist schon bei Betraehtung von der Ober- 
fläche eine scharfe Furche zu sehen, welche den zelligen Theil 
gegen den Nahrungsdotter schärfer abgrenzt. Wie der Durch- 
schnitt (Fig. 16) lehrt, hat sich an dieser Stelle ein Umschlags- 
rand, wie am hinteren Umfang der Keimscheibe eines Knochen- 
fisches gebildet. Es wird von hier aus weiterhin eine Masse 
kleiner, locker mit einander verbundener Zellen nach Innen ge- 
drängt; sie lagert sich als eine besondere Schicht der Decke der 
Keimblase an, welche aus kleineren und fester zusammengefügten 
Zellen besteht. 

Am dritten Tage liefert das auf dem Centrifugalapparat 
belassene Eimaterial verschieden weit entwickelte Gastrulae. Schon 
bei Lupenbetrachtung fällt die Einstülpungsstelle als eine halb- 
mondförmige Rinne an der Grenze des ungetheilt gebliebenen 
Nahrungsdotters auf. In Figur 18 zum Beispiel ist eine Kleine, 
dorsale Urmundlippe durch Einstülpung entstanden. 

Auf Durchschnitten bieten derartige Eier verschiedene Be- 
funde dar. (Siehe die Figuren 19—21.) Meist ist die Urdarm- 
höhle sehr klein und spaltförmig, was am meisten noch in Fig. 21 
der Fall ist. Dagegen ist die Keimblasenhöhle noch in grosser 
Ausdehnung vorhanden, nimmt aber an den 3 in Schnitte zer- 
legten Eiern eine etwas verschiedene Lage ein in Folge einer 
ungleichen Vertheilung der eingestülpten Zellmassen. 

In Figur 20 ist die Keimblasenhöhle von der Urdarmhöhle 
nur durch eine ganz dünne Membran getrennt, die theils aus 
kleinen Zellen, theils aus nicht zelliger Dottermasse besteht. 
Aehnlich ist ihre Lage in Figur 19. In Figur 21 dagegen liegt 
die Keimblasenhöhle ganz oberflächlich in der Gegend des hin- 
teren Randes der ursprünglichen Keimscheibe und wird hier eben- 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 427 


falls nach Aussen nur durch ein dünnes Häutchen abgeschlossen, 
welches zum Theil auch nichts anderes als ungetheilte Dotter- 
masse ist. 

In den drei Beispielen besteht etwa ein Drittel bis die 
Hälfte der Eier aus ungetheiltem Nahrungsdotter, der an der 
Oberfläche der Eier noch ganz frei zu Tage liegt und vom Ein- 
stülpungsrand aus beginnt. In ihm finden sich, so namentlich 
auch in der Nähe und gegenüber der Urmundlippe, einige Kerne 
(Meroeyten) eingelagert. Nicht alle Eier erreichen übrigens im 
Centrifugalapparat das Stadium der Gastrula. Ein Theil bleibt 
in der Entwicklung in Folge einer allgemeinen Schädigung stehen 
und geht durch Zerfall zu Grunde. 

Um die Eier, bei welchen durch die Wirkung der Centri- 
fugalkraft der Furchungsprocess, die Form der Keimblase und 
der Gastrula in so erheblicher Weise abgeändert worden war, 
auf ihre weitere Entwicklungsfähigkeit zu prüfen, wurde am 
zweiten und vierten Tag eine Portion aus dem zweiten Röhrehen 
herausgenommen und in ein Uhrschälchen mit Wasser abgeson- 
dert, um unter normalen Verhältnissen weiter gezüchtet zu werden. 

Am 28. Mai waren langgestreckte Embryonen entstanden, 
von denen einige in den Figuren 22 bis 24 abgebildet sind. Bis 
auf das hintere Ende sind sie im Ganzen normal entwickelt. 
Chorda, Nervenrohr, sehr zahlreiche Ursegmente, deren vorderste 
schon in Muskelfasern sich umwandeln, Auge und Ohr sind an- 
gelegt. Der Kopf setzt sich vom Rumpf ab und zeigt in seiner 
unteren Fläche die Haftnäpfe. 

Das hintere Ende dagegen ist ganz missgebildet. Hier 
findet sich ein grösserer Theil nicht in Zellen zerlegter Dotter- 
substanz. Sie ragt als eine höckerige Masse aus einer grossen, 
weiten Oeffnung heraus, durch welche man in das Darmrohr 
hineinkommt. Die Oeffnung ist von einem wulstigen Ring um- 
geben, an welehem sich die Oberhaut in die inneren Zellschichten 
umschlägt. Bei den meisten Embryonen ist eine Schwanzanlage 
entwickelt; sie geht als ein bald mehr, bald minder weit vor- 
stehender Höcker von dem dorsalen Rand des ringförmigen Zellen- 
wulstes aus, welcher die freiliegende Dotterwand umfasst. 

Nach ihrer Lage unter der Schwanzknospe und am hinteren 
Ende des Embryo ist die mit Dotter ausgefüllte Oeffnung, durch 
welche man in den Darm hineinkommt, einem ausseror- 


428 Öscar Hertwig: 


dentlieh ausgeweiteten After oder dem Rest des 
Urmundes zu vergleichen. 

Ein nahe der Medianebene geführter Sagittalschnitt durch 
das hintere Ende eines Embryo (Taf. XXI, Fig. 15) vervoll- 
ständigt den Einblick. An der Rückenfläche zählt man in dem 
abgebildeten Stück allein 17 Ursegmente, von welchen die hin- 
tersten schon dem weit vorstehenden Schwanzhöcker angehören 
und in die kleinzellige Masse desselben übergehen. Unter der 
Sehwanzknospe liegt ungetheilte Dottermasse und setzt sich all- 
mählich nach vorn in die Masse der Dotterzellen fort, welche 
das hintere Ende des Darımrohrs auftreiben. Ventralwärts wird 
die Dottermasse begrenzt durch mittleres Keimblatt und Epi- 
dermis, welche am Afterrand in ähnlicher Weise wie auf früheren 
Stadien der Urmundbildung unter einander zusammenhängen. 

Hiermit ist der Beweis geliefert, dass die Froscheier, in 
welchen unter dem Einfluss der Centrifugalkraft abnorme Sonde- 
rungen im Inhalte des Eies, abnorme Furchung etc. hervorgerufen 
worden sind, doch noch weit differenzirte, in zahlreiche Seg- 
mente gegliederte und mit allen Organen versorgte Embryonen 
liefern können, wenn sie zu geeigneter Zeit dem umändernden 
und allmählich auch schädigenden Einfluss der Centrifugalkraft 
entzogen und unter normale Bedingungen gebracht werden. 


Versuche mit Rana fusea. 


An Rana fusca wurden sowohl die ersten als auch die zahl- 
reichsten Experimente über die Einwirkung der Centrifugalkraft 
vorgenommen. Zugleich wurde hier auch die Frage geprüft, ob 
die Zeit, in welcher das Experiment nach Vornahme der Befruch- 
tung begonnen wird, einen sichtbaren Einfluss auf das Resultat 
ausübt. Es ist das entschieden der Fall. Als ich am Beginn 
meiner Versuche die Eier auf den Centrifugalapparat in der 
ersten Zeit nach der Befruchtung brachte, entwickelten sich die 
Eier überhaupt nicht oder starben bald ab, während sie bei der- 
selben Umdrehungsgesehwindigkeit sich entwickelten, wenn der 
Versuch noch kurze Zeit vor der ersten Theilung begonnen wurde. 
Ich vermuthe, dass im ersteren Fall, wenn das Ei schon während 
der Befruchtung der Centrifugalwirkung unterworfen wird, Ei- 
und Samenkern sich in grösserer Nähe am animalen Pol treffen, 
dass daher der Furchungskern von vornherein eine sehr ober- 


u ei 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 429 


flächliche Lage erhält. Dadurch beginnt schon vor der ersten 
Furehung sich am Froschei eine animale Scheibe schärfer vom 
Dotter zu sondern. Schon die erste Furche geht nicht durch 
das ganze Ei hindurch. Leider habe ich verabsäumt, Eier auf 
dem entsprechenden Stadium vom Centrifugalapparat zu nehmen 
und zu conserviren, um später an einer Schnittserie den Grad 
der Lageveränderung des ersten Furchungskernes festzustellen. 
Ich werde in meinem Laboratorium später noch eine auf diesen 
Punkt besonders gerichtete Untersuchung vornehmen lassen. Dass 
die Centrifugalwirkung auf das Ei um so mehr verändernd 
einwirkt, je früher sie nach der Befruchtung beginnt, geht 
besonders aus folgender Versuchsreihe hervor. 

Eier von Rana fusca wurden am 30. März um 123/, Uhr 
befruchtet und in grosse, mit Wasser vollkommen gefüllte Röhr- 
chen gleich um 1 Uhr auf den Centrifugalapparat gebracht, dessen 
Umdrehungsgeschwindigkeit 150— 160 in der Minute betrug. Schon 
bei den Eiern, die an dem kleineren Radius von 18 em rotirten, 
war die Veränderung eine viel bedeutendere, als in den Experi- 
menten, in denen der Versuch kurz vor der Zweitheilung begonnen 
wurde. Während bei diesen die vegetative Hälfte nach 24 Stunden 
stets in Zellen zerlegt wird, die allerdings weit grösser und un- 
regelmässiger als bei normaler Entwicklung ausfallen, bleibt dort 
ein mehr oder weniger beträchtlicher Theil des Dotters ganz un- 
getheilt; ja es kann sogar die Veränderung so weit gehen, dass 
nur !/, der Eimasse am animalen Pol sich in eine zellige Scheibe 
umgewandelt hat. 

Zwei solehe hochgradig veränderte Eier stellen die Figuren 
1 u. 2 auf Tafel XXI dar. In Figur 1 ist die kleine zellige 
Scheibe durch eine scharfe Linie vom ungetheilten Dotter abge- 
setzt. Sie enthält in ihrer Mitte eine Furchungshöhle, deren 
Decke beim Härten etwas eingefallen ist und aus einer einfachen 
Lage von Zellen besteht, während an ihrem Boden 2 bis 3 Lagen 
von Zellen übereinander liegen. Im Dotter selbst ist wieder eine 
besondere Schicht mit einzelnen Merocyten unterhalb der Keim- 
scheibe zu unterscheiden. Sie enthält ausserdem nur kleinere 
Dotterkörnchen und unregelmässig vertheiltes Pigment, in Folge 
dessen sie auf dem Durchschnitt als ein verwaschenes, bräun- 
liches Band erscheint. 

Die zweite Figur (Fig. 2) zeigt die Furchungshöhle in einer 


430 Oscar Hertwig: 


etwas anderen Lage, da sie sich hier zwischen dem zelligen Theil 
der Scheibe und dem Dottersyneytium befindet. Die zellige Scheibe 
liegt wie ein Uhrglas dem Dotter mit seinem Syneytium auf; ihr 
einer Bestandtheil ist etwa 4 Zellenlagen diek, während der 
entgegengesetze auf 2 Lagen verdünnt ist. 

Als die Eier nach 24 Stunden vom Centrifugalapparat ge- 
nommen wurden, entwickelten sie sich zum Theil noch weiter; 
die am vorausgegangenen Tage noch grossen Zellen hatten sich 
in kleine, mit ihren Seiten dicht zusammenliegende Elemente ver- 
mehrt. Theils befanden sich die Eier auf dem Stadium der kleim- 
zelligen Blastula, theils waren sie in Umwandlung zur Gastrula 
begriffen. 

Auf einem Durchschnitt durch eine kleinzellige Keimblase 
(Fig. 3) hat sieh die Höhlung im Innern bedeutend vergrössert; 
die eine Hälfte der Blasenwand ist aus 3 Lagen kleiner Zellen, 
die andere aus ungetheilter Dottermasse zusammengesetzt. In 
letzterer bemerkt man am Boden der Keimblasenhöhle theils 
einige freie Kerne, theils vereinzelte oder in kleinen Gruppen 
(2 bis 4) zusammenliegende Zellen. An dem Präparat möchte 
ich noch besonders darauf aufmerksam machen, dass von der 
zelligen Hälfte nur eine Umwachsung der ungetheilten Dotter- 
masse begonnen hat. Besonders auf der einen Seite haben sich 
kleine pigmentirte Zellen in einfacher Lage bis in die Nähe des 
vegetativen Poles zu über den Dotter vorgeschoben. 

Bei einigen Eiern, bei welchen die Zerlegung in Zellen von 
Anfang an offenbar eine vollständigere gewesen war, hatte die 
Gastrulation begonnen und hatte sich durch Einstülpung von 
Zellen und ungetheilter Dottersubstanz eine kleine Urdarmhöhle 
gebildet. 

Bei den Eiern, die an einem Radius von 29 cm und noch 
mehr bei denen, die an einem Radius von 40 cm rotirten, äusserte 
sich der Eingriff in noch höherem Maasse, indem entweder ein 
noch kleinerer Bezirk des Eies in Zellen zerlegt wurde oder die 
Zerlegung in Zellen überhaupt ganz ausblieb. Auch trat bei 
ihnen am zweiten Tag eine Weiterentwieklung nicht mehr ein. 

Bei den am längsten Radius rotirten Eiern lieferte der 
Querschnitt stets ein sehr auffälliges Bild, sowohl in dem Fall, 
dass sich eine kleine zellige Scheibe entwickelt hatte, als auch 
in dem Fall, dass die Zellentwicklung ganz unterblieben war. 


ea 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 431 


Stets ging durch das Ei (Fig. 4 u. 5) etwas oberhalb seiner 
Mitte ein intensiv dunkler, breiter Pigmentstreifen hindurch, durch 
welchen es gewissermaassen in 3 Zonen getheilt wurde: 1. in 
eine die Dotterplättchen enthaltende, vegetative Halbkugel, 2. in 
eine oberhalb des Aequators gelegene, schmale Schicht, in welcher 
die Pigmentkörnehen angesammelt waren, und 3. in eine kleine, 
animale Calotte, die entweder aus mehr homogener, protoplas- 
matischer Substanz oder zum Theil aus Zellen bestand. Wir 
haben hier also eine deutlich sichtbare und ausserordentlich 
scharfe Sonderung der Inhaltsbestandtheile des Eies nach ihrem 
verschiedenen specifischen Gewicht zu Stande gebracht. 

Zwei Durchschnitte durch ein Ei, an welchem die animale 
Calotte aus Zellen besteht, bieten die Figuren 4 u. 5. Ueber 
dem Pigmentband liegt zunächst eine homogene, protoplasmatische 
Schieht mit einzelnen Kernen, das Dottersyneytium. Darüber 
folgt die Keimscheibe; in der Figur 4 ist ihr Rand getroffen, 
eine Schicht von 3—4 grossen, unregelmässigen Zellen, von wel- 
chen einzelne viel Pigment enthalten. Der in der Figur 5 dar- 
gestellte Durchschnitt geht durch die Mitte der Keimscheibe, 
welche durch die Furchungshöhle in 2 Lagen von Zellen ge- 
trennt ist, erstens in eine Lage kleiner Zellen, welche lose dem 
Dottersyneytium aufliegen, und zweitens in eine Lage grosser, 
pigmentirter Zellen, welche die Decke bilden. 


Das Gegenstück zu der mitgetheilten Versuchsreihe bildet 
die folgende, die mit Cf 9 bezeichnet wurde. Die am 18. März 
um 10 Uhr 15 Minuten befruchteten Eier wurden um 12 Uhr 
30 Minuten auf den Centrifugalapparat gebracht, dessen Geschwin- 
digkeit auf 145 Umdrehungen in der Minute regulirt wurde. Um 
1 Uhr 15 Minuten begann bei den Controlleiern die erste Thei- 
lung einzutreten. Am folgenden Tag 2 Uhr wurde ein Theil 
der Eier in Chromsäure eingelegt, der Rest vom Üentrifugal- 
apparat genommen und sich weiter entwickeln gelassen. In den 
am längsten Radius centrifugirten Eiern war eine Sonderung in 
eine zellige Scheibe und in eine ungetheilte Dottermasse, die 
etwa die Hälfte bis ?/, des ganzen Eies betrug, eingetreten. 
Aber die Sonderung war viel weniger scharf und die Entwick- 
lung der Eier war viel regelmässiger und weiter fortgeschritten 
als in der oben beschriebenen Versuchsreihe. 


432 Osear Hertwig: 


Als Beispiel diene Figur 6. Wie in dem Fall von Rana 
eseulenta ist die erste Theilebene noch durch das ganze Ei 
hindurchgedrungen. Die Dottermasse ist dadurch in 2 Stücke 
getrennt. Die Abgrenzung gegen den zelligen Theil des Eies 
erfolgt nicht in einer planen Ebene und mit einer scharfen 
Grenze, sondern in mehr unregelmässiger Weise. Nur an einzelnen 
Stellen ist eine Schicht von Merocyten entstanden, während an 
anderen Stellen die Zellen gegen den Dotter nieht so scharf 
abgegrenzt sind. An dem vorliegenden Präparat finden sich 
Gruppen von Zellen von der Keimscheibe abgetrennt und in die 
erste Furchungsebene zwischen die beiden Hälften der unge- 
theilten Dottersubstanz bis in einige Entfernung vom vegetativen 
Pole eingelagert. Der animale Theil des Eies ist in viele, 
schon ziemlich kleine Zellen zerfallen und enthält eine grosse 
Keimblasenhöhle. Ihre dünne Decke besteht aus 2 Zellenschich- 
ten, einer Grund- und einer Deckschicht; ihr Boden aus 3 und 
mehr Zellenlagen, unter welchen dann an manchen Stellen eine 
Meroeytenschicht und auf diese der Dotter folgt. 

Bei den am kürzeren Radius centrifugirten Eiern aus den 
wöhrehen 2 und 1 war die Sonderung noch weniger oder gar 
nicht eingetreten. Das Material im Röhrchen 2 zeigte nur einen 
kleinen Abschnitt des Dotters nicht in Zellen zerlegt; bei den 
Eiern im Röhrchen 1 hatte sogar schon der Gastrulationsprocess 
begonnen, wie bei den in einer Wasserschale gezüchteten Con- 
trolleiern. 

An den nächsten Tagen machte die Entwicklung bei allen 
Eiern, die vom Centrifugalapparat genommen waren, weitere 
Fortschritte, wobei sich aber auch wieder Unterschiede ergaben, 
Je nachdem die Objecte vom ersten, zweiten oder dritten Röhr- 
chen herrührten. Bei den Eiern (Nr. 3) bildete sich am zweiten 
Tage die Gastrulationseinstülpung am Rande der Keimscheibe aus, 
und am dritten Tage legte sich die Medullarplatte an. Die Em- 
bryonen sahen verkrüppelt und missgestaltet aus. Im zweiten 
Röhrchen ging die Entwicklung schon besser von Statten. Am 
dritten und vierten Tage waren Embryonen (Fig. 7) entwickelt, 
bei welchen sich die Medullarrinne zum Rohr geschlossen und 
das vordere Ende als Knopf abgesetzt hatte. Nur das hintere 
Ende zeigte die eharakteristische Störung, welche uns auch schon 
die Eier von Rana esculenta darboten (Taf. XX, Fig. 22-24). 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 433 


Eine Platte von Dottersubstanz, welche nicht in Zellen 
zerlegt war, ist bei der Gastrulation nicht in die Urdarmhöhle 
aufgenommen und auch später nicht von den Keimblättern über- 
wachsen worden. Die Darmhöhle ist daher nach hinten weit 
geöffnet und lässt hier die nicht zellig gewordene Dottermasse 
als Pfropf nach Aussen hervorstehen. 

Am ersten Röhrchen sind fast normale Embryonen ent- 
standen. 

Bei den zahlreichen von mir angestellten Versuchen wurde 
mehrfach auch eine schärfer durchgeführte Sonderung in einen 
zelligen und einen nicht zelligen Abschnitt erreicht in ähnlicher 
Weise, wie bei den von Rana esculenta (Taf. XX, Fig. 4—7) 
abgebildeten Figuren. Zum Beweise dienen die Schnittserien 
durch 2 Eier, welche von 2 verschiedenen Versuchen herrühren, 
bei welehen die Umdrehungsgeschwindigkeit eine grössere als in 
den vorausgehenden Versuchen war (Taf. XXI, Fig. 8 u. 9). 
In beiden Fällen ist der Dotter durch eine ziemlich glatte Contour 
von der animalen Scheibe getrennt. An der Grenze beider hat 
sich ein Dottersyneytium, besonders nach dem einen Rande zu, 
entwickelt. Es zeichnet sich ausser der Einlagerung von Kernen 
gleichzeitig durch einen grösseren Pigmentgehalt aus. In der 
Zellenscheibe ist eine kleine Keimblasenhöhle eingeschlossen, deren 
dünne Decke aus einer einfachen Lage von Zellen besteht. 

In den Röhrchen, die an dem längsten Radius rotirten, 
war in dem Versuch, in welchem die Umdrehungsgeschwindig- 
keit 230 in der Minute betrug, die Sonderung in Zellen auch in 
der animalen Scheibe entweder nicht zu Stande gekommen, trotz- 
dem eine Kernvermehrung stattgefunden hat, oder die Anfangs 
gebildeten Zellen waren nachträglich wieder zu einer Masse ver- 
schmolzen. In der einen oder in der anderen Weise müssen wohl 
die Bilder gedeutet werden, welche Serienschnitte durch solche 
Eier gaben, von denen eines in Figur 10 abgebildet ist. Nach 
dem vegetativen Pol zu ist etwa 2 Drittel bis 5 Viertel der 
sanzen Eisubstanz ungetheilt und auch frei von Kernen. Der 
nach dem animalen Pol zu gelegene Rest ist in eigenthümlicher 
Weise umgewandelt und lässt erkennen, dass an ihm sich die 
ersten Entwicklungsprocesse, wenn auch vollkommen gestört, ab- 
gespielt haben. Eine Keimblasenhöhle ist in ihm entstanden. 
Sie wird aber nur an einer Seite und nur eine kleine Strecke 


434 Oscar Hertwig: 


weit von Zellen begrenzt. Nur ein ganz kleines Stück des 
Scheibenrandes und eine an ihn angrenzende kleine Partie von 
der Decke der Keimblase setzt sich aus ziemlich grossen, pig- 
mentirten Zellen zusammen. Der bei weitem grösste Theil der 
animalen Scheibe ist eine continuirlich pigmentirte Substanz, ohne 
irgend welche Andeutung von Zellengrenzen, dagegen stark durch- 
setzt von grösseren und kleineren Bläschen, welche ihr ein schau- 
miges Aussehen verleihen (Fig. 10). Nach meiner Ansicht sind 
diese Bläschen nichts anderes als zahlreiche Kerne, die durch 
Theilung vom Keimkern abstammen, aber mit Ausnahme des 
kleinen oben erwähnten Bezirks den Dotter nicht in Zellen zu 
zerlegen die Kraft gehabt haben. Manche dieser in den Dotter 
eingebetteten Kerne ist dann durch abnorme Aufnahme von 
Flüssigkeit zu einer grossen Blase umgewandelt worden, eine 
Eigenthümlichkeit, welche sich ja auch an den Merocyten be- 
obachten lässt. Auch die Decke der Keimblasenhöhle besteht, 
wo sie nicht zellig ist, aus einer dünnen Lamelle von Dotter- 
substanz, in welcher einzelne kleine Kerne eingebettet sind. 

Auch in anderen Versuchen, in welchen die Centrifugal- 
kraft stärker wirkte, wurden ähnliche Eier (Fig. 10) erhalten, 
die nach dem vegetativen Pol zu aus unveränderter Dottermasse, 
nach dem animalen Pol zu dagegen aus einer von vielen kleinen 
Vaeuolen durchsetzten und dadurch in eine Art Schaum umge- 
wandelten, pigmentirten Substanz bestanden. 

Zum Schluss gehe ich noch auf einige merkwürdige Befunde 
ein, welehe aus der ersten Zeit der von mir angestellten Ex- 
perimente herrührten. Damals nahm ich dieselben gewöhnlich 
in einer etwas anderen Weise vor. Die befruchteten Eier wurden 
nicht in ein mit Wasser ganz angefülltes Glasrohr gebracht, son- 
dern auf Öbjeetträger in Reihen nebeneinander aufgesetzt, 
nachdem die Gallerthüllen stark gequollen waren. Die Object- 
träger wurden in Glaskästehen wie man sie für mikrosko- 
pische Zwecke von der Firma Leitgeb in Köln bezieht, 
vertical eingesetzt. Die Kästchen, deren Wände vorher mit 
Fliesspapier, das mit Wasser stark durchtränkt war, belegt 
worden waren, wurden mit einem Deckel fest geschlossen und 
an dem Centrifugalapparat befestigt. In anderen Fällen wurden 
die Eier mit gequollenen Gallerthüllen in Glasröhrehen gebracht, 
die nur wenig mit Wasser gefüllt wurden. Die Eier befanden 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 435 


sich daher während des Versuchs nur in einer feuchten At- 
mosphäre. 

Die unter solchen Verhältnissen centrifugirten Eier liessen 
eine sehr auffällige und eigenthümliche Anordnung ihrer Zellen 
in regelmässigen Curven erkennen. Aus 2 Experimenten, bei 
denen 200 Umdrehungen in der Minute stattfanden, rühren 
die charakteristischen Figuren 12—14 her. 

Figur 12 stellt eine Keimblase dar von Eiern, die am 
26. März 9 Uhr 30 befruchtet, um 11 Uhr auf den Apparat 
gebracht und nach 24 Stunden abgetödtet worden waren. Nur 
ein kleiner Theil des Dotters am vegetativen Pol ist nieht in 
Zellen getheilt. Die Keimblase hat eine auffällig kleine Höhle, 
die einen halbmondförmigen Spalt bildet. Es rührt dies daher, 
dass von unten her eine Zellenmasse als Hügel in sie hineinragt 
und dadurch der Höhle die Form eines Halbmonds verleiht. 
Ihre Decke ist dünn und nur von einer Lage abgeplatteter 
Zellen zusammengesetzt. Besonders aber interessirt die Anord- 
nung der Zellen. Die in dem Umkreis der Eiaxe gelegenen 
sind in auffälliger Weise sehr in die Länge gestreckt und dabei 
so orientirt, dass die Richtung ihres längsten Durchmessers mit 
der Richtung der Eiaxe zusammenfällt, wobei sie in Reihen 
hinter einander liegen. Die Endzellen der einzelnen Reihen bilden 
die Spitze des in die Keimblasenhöhle vorspringenden Hügels. 
Im Umkreis dieser centralen Zellenmasse sind die Zellen etwas 
kleiner, aber auch mit einem längeren Durchmesser versehen 
und in Curven angeordnet, deren Concavität nach dem animalen 
Pol gerichtet ist. Mit ihrem einen Ende beginnen die Curven 
an der Circumferenz der als Hügel in die Keimblasenhöhle ein- 
springenden Zellenmasse und reichen mit ihrem anderen Ende 
an die Oberfläche der Keimblase. Es entsteht so ein Bild, als 
ob von unten und von der Seite her das Zellenmaterial in das 
Innere der Keimblasenhöhle hineingepresst würde. In Folge von 
Verhältnissen, deren Analyse sich meiner Beurtheilung entzieht, 
müssen hier in eigenthümlicher Weise Strömungen im Inhalt der 
Keimblase eintreten, Zug- und Schubkräfte wirksam sein, welche 
die Zellen in einer Richtung in die Länge ziehen, sie hier in 
geraden Reihen und dort sich in regelmässigen Curven anzuordnen 
zwingen. 

Dabei zeigte das Eimaterial eines Versuches eine ungemein 


436 Oscar Hertwig: 


gleichmässige Beschaffenheit. Die Schnittserie jeden Eies lie- 
ferte Bilder, wie sie in der Figur 12 wiedergegeben sind. 
Wenn der Versuch über zwei Tage ausgedehnt wird, rücken 
die Eier über das Keimblasenstadium nicht hinaus, die Zellen 
haben sich noch etwas weiter getheilt; im Ganzen aber sind die 
Verhältnisse, namentlich auch die Anordnung in Reihen und 
Curven, dieselben wie am Tage zuvor geblieben. Man vergleiche 
die Durehschnitte durch 2 Keimblasen, welche derselben Versuch- 
reihe angehören und von welchen die eine sich einen Tag, die an- 
dere (Fig. 14) zwei Tage auf dem Centrifugalapparat befunden hat. 


Noch einmal der Begriff „gestaltende Kräfte“. 


Dureh eine Reihe von Experimenten ist von mir dargethan 
worden, wie durch die verschiedensten äusseren Factoren: durch 
Druck, durch chemische Stoffe, durch Erhöhung oder Erniedri- 
gung der Temperatur, durch Centrifugalwirkung, der Entwick- 
lungsprocess eines thierischen Eies, hier also speciell des Frosch- 
eies, in einer streng gesetzmässigen Weise, abgeändert werden 
kann. Es erscheint dies ja selbstverständlich, wenn der Ent- 
wieklungsprocess eines Organismus, wie ich mich in der Ein- 
leitung ausdrückte, als ein kleines Stückchen des Naturverlaufes 
aufgefast wird: Denn wenn in gleichartig wiederkehrenden 
Processen, vordem wirksame Ursachen ausfallen oder neue 
Ursachen eintreten, so folgt nach dem Causalitätsgesetz mit Noth- 
wendigkeit, dass nunmehr der Process in seinem Ablauf gerin- 
gere oder grössere Modificationen aufweisen muss. 

Wenn sich Froscheier anstatt in Wasser in Kochsalzlösung, 
oder unter Druck oder bei 2, bei 5 oder 20° Celsius oder auf 
dem Centrifugalapparat entwickeln, so müssen die Folgen der 
von der Norm abweichenden Entwicklungsbedingungen in dieser 
oder jener Weise in der Beschaffenheit der Entwicklungsproducte 
sich geltend machen. 

Anhänger der Entwicklungsmechanik erblicken in derartigen 
Experimenten einen Weg „zur Erforschung der gestaltenden 
Kräfte oder Energieen der Organismen“, was für sie die Aufgabe 
und das Ziel einer besonderen Wissenschaftsdiseiplin, der Ent- 
wicklungsmechanik- ist. 

Den Ausdruck „gestaltende Kräfte“ habe ich im zweiten 
Heft meiner Zeit- und Streitfragen: „Mechanik und Biologie“ 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 437 


beanstandet. Ich habe dort das von Roux aufgestellte Ziel der 
Entwicklungsmechanik — nämlich die Erforschung der ge- 
staltenden Kräfte oder Energieen des Organismus — als ein un- 
klares bezeichnet, als ein Ziel, bei dessen Bestimmung nament- 
lich gegen den Gebrauch des Begriffes „Kraft“ sich schwer- 
wiegende Bedenken erheben. Ich musste namentlich auch hervor- 
heben, dass Roux das Wort „Kraft“ nieht in der schärferen 
Fassung der Physik und Chemie, sondern gleichbedeutend mit 
dem Begriff „Ursache“ gebraucht, welche beide Begriffe er meist 
promiscue anwendet, und dass er sich einem Selbstbetrug hingibt, 
indem er glaubt, durch den Gebrauch des Wortes Kraft eine 
Erscheinung besser begriffen und seine Forschungsrichtung da- 
durch auf einen „höheren Standpunkt“ gestellt zu haben. 

Roux ist in einer Gegenschrift „Für unser Programm und 
seine Verwirklichung“ für seinen Standpunkt und für die Richtig- 
keit seiner begrifflichen Definitionen seitdem von neuem einge- 
treten; nicht nur spricht er nach wie vor von gestaltenden Kräften 
und vermengt die Begriffe: Ursache und Kraft, sondern er schliesst 
auch seinen Exeurs mit dem Ausruf: „Ja die Philosophie“, wo- 
mit er vielleicht vor 30 Jahren auf diesen oder jenen Leser 
hätte Eindruck machen können, aber nicht mehr in unseren Tagen, 
in denen auch in den Reihen der Naturforscher mehr und mehr 
die Ueberzeugung zum Durchbruch gekommen ist, dass etwas 
philosophische Schulung im Gebrauch der Begriffe den Natur- 
forschern nur von Nutzen ist. 

Wenn es nun auf Roux allein ankäme, so würde ich zu 
seinem Programm „von der Erforschung der gestaltenden Kräfte 
der Organismen“ gewiss kein Wort mehr verlieren. Denn wie 
sollte ich noch länger wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit 
einem Forscher führen, der wenn ihm von anderer Seite, wie 
von Driesch und mir, Einwürfe gemacht werden, immer die 
Gegenrede zur Hand hat, dass man ihn entweder nicht verstehe 
oder seine Ansichten absichtlich falsch darstelle, und wenn man 
sich darauf seiner eigenen Sätze bedient, jetzt seinen Gegner 
„als einen Meister der unrichtigen Darstellung bei Anwendung 
reichlicher, wörtlieher Citate“ anzuklagen für gut findet! Hier 
fehlt somit der Boden für eine fruchtbringende Discussion. 

Was ich also hier noch zu sagen habe, das ist nicht an 
Roux gerichtet, sondern an jene Freunde der Entwicklungs- 


438 Oscar Hertwig: 


mechanik, welche in der Erforschung „der gestaltenden Kräfte 
der Organismen“ ein gut definirtes Arbeitsziel vor sich zu haben 
meinen. Nur an sie wende ich mich, wenn ich jetzt noch ein- 
mal im Anschluss an die schon früher gegebenen Auseinander- 
setzungen, auf welche ich hier zugleich verweise, weitere Gründe 
anführe, warum in dem Ausdruck „gestaltende Kräfte“ eine 
wissenschaftlich unzulässige und unbrauchbare Anwendung des 
Kraftbegriffes liegt. Denn sie führt zu Unklarheiten und Unzu- 
träglichkeiten und ist völlig verschieden von der Verwendung 
des Kraftbegriffes in der Physik. 

In der Phrase „gestaltende Kraft“ liegt wieder die schon 
anderen Ortes mehrfach gerügte Verwechslung der Begriffe Ur- 
sache und Kraft vor, welche fälschlicher Weise für gleichbedeu- 
tend genommen werden. Wenn dies im gewöhnlichen Sprach- 
gebrauch öfters geschieht, so ist dies doch nicht zulässig bei 
wissenschaftlicher Verwendung des Begriffes, am wenigsten aber, 
wenn hierauf eine neue Forschungsrichtung begründet werden soll. 

Die Formen der Dinge und ihre Beziehungen zu einander 
verändern sich aus Ursachen, die zusammenwirken, wodurch im 
Naturverlauf fortwährend in buntem Wechsel neue Gestaltungen 
entstehen. In den Veränderungen erblickt man die Aeusserung 
von Naturkräften, welche ebenso wie die Materie unzerstörbar 
und allgegenwärtig sind. „Kraft, von der Ursache vollständig 
verschieden, ist, nach der Definition vonSchopenhauer, das, 
was jeder Ursache ihre Kausalität, d. h. die Möglichkeit zu 
wirken ertheilt.*“ Aus dem Gemeinsamen, welches Reihen von 
Veränderungen in der Körperwelt zeigen, hat man in den Natur- 
wissenschaften auf eine Gleichartigkeit der sich in ihnen äussern- 
den Kräfte geschlossen und ist auf diesem Wege zur Aufstellung 
einer Anzahl allgemeiner Naturkräfte gelangt, die man als Schwer- 
kraft, eleetrische Kraft, Cohäsionskraft, chemische Kraft ete. 
unterschieden hat. Der Begriff Kraft, wo er in der Naturwissen- 
schaft mit Nutzen zur Erklärung der Erscheinungen verwandt 
wird, zielt immer auf das Allgemeine. 

In diametralem Gegensatz zu dieser Verwerthung des Be- 
griffes Kraft in der Philosophie und Naturwissenschaft, steht 
der von mir beanstandete Begriff „gestaltende Kraft“, d. h. eine 
Kraft, welche gestaltet, also Gestalt oder Form macht. Denn 
Gestalt oder Form betrifft stets das Besondere der Materie. 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 439 


„Form mit der Materie, giebt das Konkrete, welches stets ein 
Einzelnes ist, also das Ding.“ Daher kann eine gestaltende 
Kraft, wie das Besondere, zu dessen Erklärung sie dienen soll, 
stets selbst nur eine besondere sein. Zahllos, und stets wechselnd, 
wie die Formen der Dinge im Naturverlauf, müssen daher auch 
die gestaltenden Kräfte ausfallen. Wenn schon in dieser Be- 
ziehung sich der Begriff als ein unbrauchbarer und von dem 
Kraftbegriff der Physiker total verschieden erweist, so ist in 
anderer Beziehung auch noch daran zu erinnern, dass bei Ver- 
änderungen der Körperwelt stets viele Ursachen zusammenwirken, 
und keine Gestalt als die Wirkung einer einzigen Ursache er- 
klärt werden kann. 

In der Phrase „gestaltende Kraft“ liegt nichts anderes als 
eine Verwechselung der Begriffe Ursache und Kraft vor, wie ich 
schon früher bemerkt habe; es soll heissen: Ursachen, durch 
deren Zusammenwirken eine besondere Gestalt hervorgerufen wird. 

Wie es begriffsverwirrend wirken muss, wenn man anstatt 
von Ursachen, von Kräften redet, die gestalten, Gestalt machen 
oder Gestalt verändern, tritt sofort zu Tage, wenn man den ab- 
straeten Ausdruck in conereten Fällen verwendet. 

Wählen wir dazu die Ergebnisse unserer Experimente: 
0,6°/, Kochsalzlösung, wenn sie als Zusatzflüssigkeit bei der 
Entwicklung von Froscheiern angewandt wird, ist eine Ursache, 
dass Embryonen mit Hemicephalie entstehen. Ist nun etwa in 
diesem Experiment eine von der 0,6 °/, Kochsalzlösung aus 
gehende, Frosch-Hemicephalie gestaltende Kraft nachgewiesen 
worden? In einem andern Experiment wurde die Entwicklung 
des Froscheies auf dem‘ Centrifugalapparat, wenn ein besonderes 
Maass der Umdrehungsgeschwindigkeit eingehalten wurde, eine 
Ursache, dass das Ei eine Sonderung in Keimscheibe und unge- 
theilten Dotter erfuhr. Wer wird hier wieder den Nachweis 
erbracht zu haben glauben, dass die Centrifugalkraft eine ge- 
staltende Kraft sei, in unserem Falle speciell eine Frosehkeim- 
scheiben gestaltende Kraft? 

Bisher waren im Sinne der Physiker Schwerkraft, Cohäsions- 
kraft, chemische, electrische Kraft das, was die Physik von ihnen 
lehrt und niehts Anderes. Jetzt lehrt uns die Entwicklungsme- 
chanik, dass sie auch noch gestaltende Kräfte sind. Und was 
können sie so schliesslich Alles gestalten? Eine weiche Thon- 


440 Öscar Hertwig: 


kugel fällt auf glatten Boden und hat sich zu einer Scheibe ab- 
geplattet. Flugs enthüllt sich uns in diesem Experiment die 
Sehwerkraft als eine Thonscheiben gestaltende Kraft. Setzen wir 
anstatt der Thonkugel eine Glaskugel, welche beim Auffallen 
zerplatzt, dann lernen wir die Schwerkraft wieder von einer 
neuen Seite als eine Glassplitter gestaltende Kraft und so fort ken- 
nen. Wenn ein Handwerker irgend einen Gegenstand anfertigt, 
ein Drechsler eine Kugel, ein Tischler einen Stuhl, und so weiter, 
so können wir ihnen in unserem Suchen nach gestaltenden Kräften 
eine den jeweiligen Gegenstand, eine Kugel, einen Stuhl ge- 
staltende Kraft zuschreiben. Man bedient sich in allen solehen 
Fällen des Kraftbegriffes in derselben nichtssagenden Weise, wie 
wenn man dem Morphium, dem Chloral eine schlafmachende 
Kraft (vis dormitiva) zuschreibt. 

Zu solehen Ungereimtheiten führt schliesslich die Verwen- 
dung eines so unklaren, im gewöhnlichen Sprachgebrauch zu- 
weilen angewandten, aber in der Wissenschaft besser zu 
vermeidenden Begriffes. Daher sagte ich früher wohl schon mit 
Recht (Seite 56): „Was sollen wir uns, bei Lichte besehen, 
unter Ermittelung von gestaltenden Kräften vorstellen? Physik 
und Chemie kennen solehe vor der Hand nicht. Und mit Recht.“ 
„Die Verbindung der beiden Worte „gestaltende Kraft“ insbe- 
sondere schliesst eine naturwissenschaftlich brauchbare Verwen- 
dung des Kraftbegriffes geradezu aus.“ 

Alles dies ist vor mir, namentlich von Schopenhauer 
und von Lotze, schon in vortrefflicher Weise auseinanderge- 
setzt worden. Ich verweise daher auf die für Naturforscher sehr 
lesenswerthen Erörterungen dieser beiden Philosophen und auf 
die Darstellung, welche ich in meiner Schrift: „Mechanik und 
Biologie“ gegeben habe. Auf 2 Stellen aus den Schriften von 
Lotze und Schopenhauer sei indessen zum Schluss meiner 
Abhandlung jetzt noch besonders die Aufmerksamkeit gelenkt. 

„Die Missdeutungen“, bemerkt Lotze, „denen die im 
Grunde höchst einfachen, (vorher erörterten) Wahrheiten in der 
Anwendung des Begriffes der Kraft auf die lebendigen Erschei- 
nungen fortwährend unterliegen, veranlassen uns, zur Verstän- 
digung einige Vergleiche und Beispiele hinzuzufügen. Zahlen- 
verhältnisse sind am geeignetsten, den Zusammenhang von Gründen 
und Folgen zu verdeutlichen.“ 


en ee 


Beitr z. experimentellen Morphologie u Entwicklungsgeschichte. 441 


„Wenn 3 zu 4 addirt, die Zahl 7 giebt, so schreibt hier 
Niemand der 3 oder 4 eine siebenbildende Kraft zu; es ist gar 
zu deutlich, dass einzeln keine von beiden ausreicht, um die 
grössere Zahl zu erzeugen; sie tragen beide zu diesem Resultate 
bei und sind so ein Bild der mehreren Ursachen, die sich zur 
Entstehung jeder Wirkung vereinigen müssen. Aber auch die 
besondere Art und Weise der Vereinigung, die Addition, ist 
maassgebend; andere Beziehungsweisen beider Zahlen, Multipli- 
cation, Division würden andere Grössen erzeugen. Die Kraft, 
jene sieben zu bilden, kommt daher weder einer Zahl allein, 
noch beiden, noch ihrer Beziehung allein, sondern nur der Summe 
aller dieser Bedingungen zu, dass nämlich gerade diese Zahlen 
gerade in dieser Beziehung der Addition verknüpft werden sollen. 
Endlich, wenn man zu derselben 3 nicht 4, sondern 5, 6, 7, in 
die gleiche Beziehung treten lässt, so wird der drei ganz in 
gleicher Weise wie früher ein Antheil von Kraft, bald 8, bald 9, 
bald 10 zu erzeugen, zukommen, während ihre Fähigkeit zur 
Miterzeugung der Sieben verschwindet. Niemand wird hier 
meinen, dass die siebenbildende Kraft doch noch in ihr liege, 
und nur wegen der Ungunst der Umstände sich nicht geltend 
mache; man giebt vielmehr sogleich zu, dass keine dieser Zahlen 
ein für allemal irgend eine bestimmte Kraft besitzt, dass vielmehr 
jeder bald diese bald jene scheinbare Kraft zuwächst, je nach- 
dem sie bald mit dieser bald mit jener anderen in eine oder die 
andere Beziehungsweise eintritt.“ 

„Allerdings sind nun die Zahlen unserer Beispiele keine 
wirklichen Dinge, ihre Beziehungen keine physischen Verhält- 
nisse, die Ergebnisse der Rechnung keine Ereignisse; aber nichts 
hindert, alle Züge des Beispiels auf den wirklichen Naturverlauf 
zu übertragen ete.* 

Wie Lotze den Begriff „siebenbildende Kraft“, so habe 
ich oben an einigen Beispielen den Begriff „gestaltende Kraft“ 
analysirt. 

Um nun aber auch noch zu zeigen, in welcher Weise der 
Begriff „Kraft“ in der Physik gebraucht wird und vom Be- 
griff Ursache zu unterscheiden ist, wodurch ich zugleich diesem 
Kapitel über die „gestaltenden Kräfte“ einen befriedigenden Ab- 
schluss zu geben hoffe, führe ich folgende, so überaus klare Dar- 
legung von Schopenhauer an: 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 29 


443 Osear Hertwig: 


„Die Ursache ist allemal, wie auch ihre Wirkung, ein Ein- 
zelnes, eine einzelne Veränderung: die Naturkraft hingegen ist 
ein Allgemeines, Unveränderliches, zu aller Zeit und überall Vor- 
handenes. Z. B. dass der Bernstein jetzt die Flocke anzieht, ist 
die Wirkung: ihre Ursache ist die vorhergegangene Reibung und 
jetzige Annäherung des Bernsteins; und die in diesem Process 
thätige, ihm vorstehende Naturkraft ist die Electrieität.“ 
„Von der endlosen Kette der Ursachen und Wirkungen, welche 
alle Veränderungen leitet, bleiben zwei Wesen unberührt: einer- 
seits nämlich die Materie und andererseits die ursprünglichen 
Naturkräfte; jene, weil sie der Träger aller Veränderungen oder 
dasjenige ist, woran solche vorgehen; diese, weil sie Das sind, 
vermöge dessen die Veränderungen oder Wirkungen überhaupt 
möglich sind, Das, was den Ursachen die Causalität, d. h. die 
Fähigkeit zu wirken, allererst ertheilt, von welchem sie also diese 
bloss zu Lehn haben. Ursach und Wirkungen sind die zu noth- 
wendiger Suecession in der Zeit verknüpften Veränderungen: die 
Naturkräfte hingegen, vermöge welcher alle Ursachen wirken, sind 
von allem Wechsel ausgenommen: daher in diesem Sinne ausser 
aller Zeit, eben deshalb aber stets und überall vorhanden, all- 
gegenwärtig und unerschöpflich, immer bereit sich zu äussern, 
sobald nur am Leitfaden der Causalität die Gelegenheit dazu 
eintritt.“ (Bd. I, S. 45.) 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX u XXI. 


Tafel XX. 


Alle Figuren (1—24) beziehen sich auf Eier von Rana esculenta. 
Die Eier wurden am 22. Mai 1896 um 9 Uhr 45 Minuten befruchtet 
und um 12 Uhr 45 Minuten auf den Centrifugalapparat gebracht. Die 
Zahl der Umdrehungen in der Minute betrug 140—147. Um 2 Uhr 
30 Minuten ist die erste Theilung im vollen Gange. 
Fig. 1. Ei aus Röhrchen 1 (B!), welches am kleinsten Radius rotirt hat. 
Nach 3 Tagen abgetödtet (am 25./V.). 
Fig. 2. Ei aus Röhrchen 3 (BP), welches am drittlängsten Radius rotirt 
hat. Nach 1 Tage abgetödtet (am 23./V... A vom animalen 
Pol aus, B von der Seite gesehen. 
Fig. 3. Ei aus Röhrchen 3 (BP). Nach 1 Tag (am 23./V.) abgetödtet. 


ee 


BEN 


Beitr. z. experimentellen Morphologie u. Entwicklungsgeschichte. 443 


Fig. 4. Durchschnitt durch ein Ei aus Röhrchen 3 (BP), welches einen 
Tag nach Beginn des Versuches (am 23./V.) abgetödtet wurde. 

Fig. 5—8. Durchschnitte durch Eier aus Röhrchen 2 (B?), welche einen 
Tag nach Beginn des Versuches (am 23./V.) abgetödtet wurden. 

Fig. TB. Ein Stück des Dottersyneytiums mit aufliegenden Zellen 
der Keimscheibe stärker vergrössert. 

Fig. 9 u. 10. Kerne aus dem Dottersyneytium stärker vergrössert. 

Fig. 11 u. 12. Pluripolare Mitosen aus dem Dottersyncytium (Ver- 
grösserung Zeiss D. Oe. 1). 

Fig. 13 A. B. C. Verschiedene Grösse der Dotterptättchen in den ver- 
schiedenen Abschnitten des Eies (Vergrösserung. Homogene 
Immersion. Oc. 4). 

Fig. 14. Durchschnitt durch ein Ei aus Röhrchen 3 (B?), das 1 Tag nach 
Beginn des Versuchs am 23./V. abgetödtet wurde. 

Fig. 15 u. 16. Durchschnitte durch 2 Eier aus Röhrchen 3 (BP), die 
2 Tage nach Beginn des Versuchs (am 24./V.) abgetödtet 
wurden. 

Fig. 17. Durchschnitt durch ein Ei aus Röhrchen 2 (B?), das am 24./V. 
abgetödtet wurde. 

Fig. 18. Ei aus Röhrchen 2 (B?), bei welchem am 25./V. die Gastrulation 
ihren Anfang genommen hat. 

Fig 19—21. Durchschnitte durch Eier, bei welchen die Gastrulation 
im Gang ist und welche 3 Tage nach Beginn des Versuchs 
(am 25 /V.) abgetödtet wurden. Das eine Ei (Fig. 19) stammt 
aus Röhrchen 3 (B?), die 2 anderen stammen aus Röhrchen 2 (B?). 

Fig. 22. Missgebildeter Embryo, gezüchtet aus einem Ei, welches aus 
Röhrchen 2 (B?) nach einem Tag (am 23./V.) vom Centrifugal- 
apparat genommen und bis zum 28./V.im Uhrschälchen weiter 
gezüchtet wurde. 

Fig. 23 u. 24. Missgebildete Embryonen, gezüchtet aus 2 Eiern, die aus 
Röhrchen 2 (BB) nach 3 Tagen (am 25./V.) vom Centrifugal- 
apparat genommen und bis zum 28./V. im Uhrschälchen weiter 
gezüchtet wurden. 


Tafel XX1. 


Die Figuren 1—14 beziehen sich auf Rana fusea, Figur 15 auf 

Rana esculenta. 

Fig. 1-5. Eier von Rana fusca wnrden am 30./III. 12 Uhr 45 Min. 
befruchtet und um 1 Uhr auf den Centrifugalapparat gebracht 
(Versuch cf. 12). 

Fg. 1, 2, 4, 5 sind Durchschnitte durch Eier, welche einen Tag nach 
Beginn des Versuchs dem Röhrchen Nr. 1 entnommen und ab- 
gretödtet wurden. Fig. 3 bezieht sich auf ein Ei, das sich 
etwas länger entwickelt hat. 

Fig. 6. Durchschnitt durch ein Ei, das am 18./III. 10 Uhr 15 Min. be- 
fruchtet und um 12 Uhr 30 Min. auf den Centrifugalapparat 
in Röhrchen 3 (längster Radius) gebracht wurde. Zahl der 


444 


Fig. 


Oscar Hertwig: Beiträge zur experimentellen Morphologie etc. 


Dee 


ig. 13. 


ulsr 


Umdrehungen 145 in der Minute (Versuchsreihe Cf 9). Am 
19./IIl. abgetödtet. 

Missgebildeter Embryo, gezüchtet aus einem Ei, das der Ver- 
suchsreihe ef. 9 (siehe Figur 6) angehört, aus Röhrchen Nr. 2. 
Einen Tag nach Beginn des Versuchs wurde das Ei vom 
Centrifugalapparat genommen und vom 19.—22./III. im Uhr- 
schälchen weiter gezüchtet. 

Durchschnitt durch ein Ei, das am 25./III. 12!/4 befruchtet, um 
2 Uhr auf den Centrifugalapparat gebracht und am 26./IIl. 
abgetödtet wurde. Zahl der Umdrehungen 230. (Versuchsreihe C.) 
Durchschnitt durch ein Ei, das am 17./lll. 9 Uhr 45 Min. be- 
fruchtet, um 12 Uhr auf den Centrifugalapparat gebracht und 
am 18./III. abgetödtet wurde. Zahl der Umdrehungen 180— 
190. (Versuchsreihe cf. 3.) 

11, 12, 14. Die Eier gehören der Versuchsserie Cf 7 an. Be- 
fruchtung 26./llI. 12 Uhr 2C Min. Zahl der Umdrehungen 200. 
Das Ei gehört der Versuchsserie A2 an. Eier am 20./lIl. 9 Uhr 
30 Min. befruchtet, wurden um 11 Uhr auf den Centrifugal- 
apparat gebracht (Zahl der Umdrehungen 200) und 1 Tag 
nach Beginn des Versuchs abgetödtet. 

Längsschnitt durch das hintere Ende eines Embryo von Rana 
esculenta, welches der Versuchsserie Cf 8 (siehe Erklärung 
von Tafel XX) angehört. Einen Tag nach Beginn des Ver- 
suchs wurde das Ei aus Röhrchen Nr. 2 genommen und vom 
23./V.—28./V. im Uhrschälchen weiter gezüchtet 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 


Von 


M. Nussbaum. 


Nach den vorliegenden Angaben von dem Vorkommen der 
Parthenogenese bei den Schmetterlingen schien der Versuch nicht 
aussichtslos, dureh die anatomische Untersuchung weiteren Auf- 
schluss über die Entstehung des Geschlechts zu erhalten. Wollte 
man jedoch diesen Weg einschlagen, so war eine Prüfung und 
Nachuntersuchung jener biologischen Angaben unerlässlich. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 445 


Historisches. 


Die geschichtliche Darstellung kann sich nicht mit allen 
Angaben befassen, die für oder wider die Möglichkeit sprechen, 
aus unbefruchteten Eiern vieler Schmetterlinge Raupen zu ziehen. 
Es wird genügen, die Angaben Derjenigen zu prüfen, welche als 
Naturforscher von Bedeutung unsere Beachtung verdienen. Unter 
ihnen figuriren Autoren, die lebende Raupen aus unbefruchteten 
Eiern aufzogen, andere, die nur der Anfang einer Entwicklung 
in derartigen Eiern beobachteten und schliesslich solche, von 
denen Angaben über die Bedingungen gemacht worden sind, 
welche unbefruchtete Eier von Schmetterlingen zur vollen Ent- 
wicklung gelangen liessen. 

Nach von Siebold!) sind die Beobachtungen schon alt, 
denen zu Folge Jungfernzeugung beim Seidenspinner vorkommen 
soll. Wie viel aber auf diesem Gebiete Voreingenommenheit das 
Urtheil zu trüben im Stande sei, geht deutlich aus der Erzäh- 
lung hervor, die Siebold über Castellet’s Versuche giebt. 
Castellet, General-Inspeetor der Seidenspinnereien im König- 
reich Sardinien, hatte sich durch Versuche davon überzeugt, dass 
unbegattete Weibchen des Seidenspinners entwicklungsfähige Eier 
legen. Sein Bericht über diese Beobachtungen wurde von 
Reaumur nicht grade freundlich und ermuthigend aufgenom- 
men. Die abweisende Antwort machte auf Castellet jedoch 
solch’ tiefen Eindruck, dass er später zur Erklärung seiner Be- 
obachtungen eine Begattung der Raupen kurz vor dem Einspinnen 
annahm; da er bemerkt hatte, dass sich einige Raupen schneller, 
andere langsamer einen Augenblick mit dem Hinterende des 
Leibes vereinigt hätten. Hatte Reaumur dem Dilettanten ab- 
weisend geantwortet „Ex nihilo nihil fit“, so fertigt ihn Siebold 
mit seiner zweiten Beobachtung, betreffend die Begattung der 
Raupen, vernichtend mit den Worten ab: „Was von dieser be- 
obachteten Vereinigung zu halten, wird jeder sich selbst sagen 
können, der in Betreff der Fortpflanzungsorgane die anatomische 
Beschaffenheit einer ausgewachsenen Raupe kennt“ ?). 


1) Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen u. Bienen. Leip- 
zig 1856. 
2) pag. 121. 


446 M. Nussbaum: 


Die Beschreibung der Anlage und Entwicklung der Aus- 
führungsgänge der Geschlechtsdrüsen und die der Begattungs- 
organe hat Herold gegeben; sie ist von J. Nusbaum und 
E. Verson erweitert worden. Nach unseren jetzigen Kennt- 
nissen ist, wie Siebold mit Recht hervorhob, eine Begattung 
während der Raupenperiode absolut ausgeschlossen. 

Verson giebt an, dass etwa bis zur Mitte der Puppen- 
periode die doppelten Duetus ejaculatorii neben einander bleiben 
und, jeder für sich, blind gegen die Herold’sche Tasche en- 
digen (Zool. Anzeiger 18. Jhrg. pag. 407—411). 

In einen dem alten Castellet’s ähnlichen Irrthum sind 
auch diejenigen Experimentatoren verfallen, welche durch die 
verschiedenartige Ernährung von Raupen das Geschlecht der 
Schmetterlinge bestimmt zu haben glauben. Zuvörderst ist in 
derartigen Versuchen, und das gilt auch von solchen, die an 
Wirbelthieren angestellt wurden, nöthig, dass der Verlust an 
Versuchsobjecten während der Dauer des Versuchs gleich Null 
oder doch im Vergleich zur Gesammtzahl verschwindend klein 
sei. Dieser Forderung wird mit Ausnahme der an Rotatorien 
vorliegenden Ergebnisse nirgend Rechnung getragen. Sodann 
haben die Beobachtungen an Raupen den Fehler, dass das Ge- 
schlecht schon bestimmt ist, ehe die Versuche begonnen wurden. 
E. Bessels!) wies bei einigen Lepidopteren nach, dass man 
schon an dem noch von der Eischale umschlossenen Embryo das 
Geschlecht unterscheiden könne, indem bei Zeuzera aesculi, Li- 
paris dispar, einem unbekannten im September an Luzula maxima 
gefundenen Embryo, der Ausführungsgang beim weiblichen Ge- 
schlecht axial von der indifferenten Geschlechtsdrüsenanlage weiter 
verläuft, beim männlichen dagegen seitlich ansetzt. 

Nach Verson?) soll das Geschlecht bei Bombyx mori bald 
nach dem Ausschlüpfen der Larve erkennbar sein. 

Von Toyama°) eitire ich folgende Stelle: „Even in the 
first larval stage, where the sexual differentiation of germ cells 
is not yet to be noticed, the difference of the shape of sexual 


1) Zeitschrift f. wissensch. Zoologie Bd. 17, pag. 545. 

2) Zool. Anzeiger 12. Jahrgang, pag. 100—103 u. La spermato- 
genesi nel Bombyx mori. Padova 1888. 

3) Zool. Anzeiger 17. Jahrgang, pag. 20—24 u. Bull. Coll. Agrie. 
Univ. Tokyo. Vol. 2, pag. 125—157. 


ee 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 447 


glands is to be seen; the male gland is kidney shaped while 
the female gland is triangular and smaller. Moreover, the vas 
deferens is formed on the inner side of the male gland, while the 
oviduet is attached to the outerside of the ovary.“ 

Die wichtigste und gleich der von Bessels am meisten 
für unsern Zweck beweisende Angabe geht auf die neueste Un- 
tersuchung von la Valette’s St. George zurück, da hier die 
Verschiedenheit von Hoden und Eierstock an Embryonen von 
Bombyx mori, die aus dem Ei herauspräparirt waren, deutlich 
zu erkennen ist (D. Arch. Bd. 50, pag. 756 u. 759 und Fig. 5 
nebst Fig. 14 der beigegebenen Tafeln 39 u. 40). Das Geschlecht 
ist demgemäss, soweit dies bis jetzt untersucht wurde, bei den 
Raupen schon vor dem Auskriechen des Embryo bestimmt, und 
alle auf verschiedenartige Fütterung von Raupen basirten Schlüsse 
über die Bestimmung des Geschlechts beruhen auf falschen Vor- 
aussetzungen, sind Trugschlüsse. 

Für die gelegentlich erfolgreiche Parthenogenese bei Schmet- 
terlingen ist vor Allen von Siebold!) eingetreten. Seine Versuche 
an Bombyx mori gliedern sich in zwei Gruppen, je nachdem sie 
ganz oder nur theilweise von ihm angestellt worden sind. 

Von der ersten Art wird nur ein einziger Versuch mitge- 
theilt. Im Gelege sieben jungfräulicher Seidenspinner verfärbte 
sich ein gewisser, immerhin geringer Procentsatz von Eiern 
schiefergrau. Wie weit die Eier sich entwickelten, wird nicht an- 
gegeben. Raupen zum Auskriechen zu bringen, glang nicht; 
denn auch diese Eier wie alle gelb gebliebenen „verschrumpften 
und vertrockneten gänzlich, als das darauf folgende Frühjahr 
herangekommen war“ (pag. 130). 

Die übrigen Versuche, in denen einmal das Auskriechen von 
Raupen aus unbefruchteten Eiern beobachtet wurde, sind wissen- 
schaftlich nieht zu verwerthen, da die abgelegten Eier von An- 
deren Siebold übergeben worden waren, und der wichtigste 
Nachweis, dass es sich um Jungfernzeugung in diesen Versuchen 
handle — die genaue anatomische Untersuchung der benutzten 
Weibehen —, von Siebold nicht gemacht werden konnte. 

Um so mehr ist es zu bedauern, dass die Versuche der 
zweiten Gruppe nicht ganz durch Siebold von Anfang bis zu 


1) 1. c. pag. 120. 


448 M. Nussbaum: 


Ende mit all’ den Vorsichtsmaassregeln durchgeführt worden 
sind, die man ihrer grossen Bedeutung wegen fordern muss. Die 
Resultate der Versuche können richtig sein; bewiesen ist ihre 
Richtigkeit aber nicht. 

Aus den Siebold übergebenen, angeblich unbefruchteten 
Eiern des Bombyx mori gingen nämlich, wie sonst aus befruch- 
teten Eiern, sowohl männliche als weibliche Schmetterlinge her- 
vor. Unsere Anschauungen von der Bedeutung der Befruchtung 
für die Entstehung des Geschlechts müssten auf Grund einer 
solehen Beobachtung eine grosse Förderung enthalten. Wie 
Leydig schon vor Jahren betonte, würde sich die gänzliche 
Einflusslosigkeit der Befruchtung auf die Geschlechtsbildung er- 
geben, wenn bei derselben Species Männchen und Weibchen aus 
befruchteten und unbefruchteten Eiern hervorgehen könnten. 

In seiner Abhandlung „Der Eierstock und die Samentasche 
der Insecten* schliesst Leydig!) mit dem Satze: 

„Wenn wir sehen, dass bei Aphiden, Daphniden, Rotatorien 
Männchen unter dem Einfluss allgemeiner Ursachen, als da sind 
Nahrung, Wärme und Kälte, zum Vorschein kommen, so haben 
wir einstweilen wenigstens einen Anhaltspunkt zu der Vermnthung, 
dass die Differeneirung des Geschlechts auch in anderen Gruppen 
ähnlichen allgemeinen Einwirkungen unterworfen sein könne.“ 

Leydig stützt sich dabei auf die Versuche Kyber’s?) 
an Blattläusen, bei denen durch Nahrungsmangel das Auftreten 
der Männchen herbeigeführt werden konnte. Bei Rotatorien hatte 
Leydig des öfteren beobachtet, dass, wenn die Thiere einige 
Tage in reinem Wasser, das keine Nahrung darbot, gehalten 
würden, der Eierstock einschrumpft, die Körnermasse (Dotter) 
fast vollständig schwindet, die Keimflecke zu einfachen Körpern 
werden, und alle solche Individuen nur Wintereier produeiren. 

Leydig hat somit schon vor mehr als dreissig Jahren 
einen Standpunkt vertreten, der für die in Frage stehenden 
Thiere mit der Zeit sich als der richtige erwiesen hat. 

Wenn aber von Siebold's Versuche an Bombyx mori 
keinen sicheren Aufschluss darüber geben, ob parthenogenetische 


1) Leydig, Nova acta Acad. Leopold. T. XXXIH. pag. 1865. 
2) Kyber, Erfahrungen über Blattläuse. Germar’s Magazin 
der Entomologie 1813. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 449 


Eier sich zu Raupen entwickeln können, und welches Geschlecht 
diese Raupen haben werden, so ist doch durch seine Versuche 
auf's Neue nachgewiesen worden, was vorher Herold beob- 
achtet hatte. 

Herold!) behauptete auf das Bestimmteste, dass die un- 
befruchteten Seidenspinnereier sich bis zu einem gewissen Grade 
entwickelten. Dagegen gelang es ihm nicht, Raupen zum Aus- 
kriechen zu bringen; wenn er auch während des Winters hin und 
wieder aus einem unbefruchteten Ei „einen Foetus hervorgezogen 
hatte“. Zutreffend sind seine Beschreibungen der Färbungsunter- 
schiede befruchteter und unbefruchteter Eier. Deutlich spricht 
sich Herold dahin aus, dass die in unbefruchteten Eiern ent- 
stehenden Räupchen nicht lebensfähig seien (l. e. Text zu 
Dab. VII.;5*). 

Somit ist eine gewisse Entwicklung unbefruchteter Eier, 
also das Vorkommen ächter Parthenogenese bei dem Seidenspinner 
wohl sicher. Es ist aber bis heute noch nicht festgestellt, ob 
die Raupen ausreifen und demgemäss auch nicht, welchem Ge- 
schlecht sie zugehören. 

Unter denjenigen Beobachtern, welche bestimmte Bedin- 
gungen für eine volle Entwicklung parthenogenetischer Eier des 
Bombyx mori erkannt zu haben glauben, gehört in erster Linie 
Barthelemy?). 

Bei seinen Versuchen fand dieser Autor, dass gelegentlich 
parthenogenetische Eier von Sommerzuchten in demselben Jahre 
auskriechende Raupen männlichen und weiblichen Geschlechts 
lieferten, dass dagegen die unbefruchteten Eier von Sommer- oder 
Herbstzuchten, sobald sie überwintert wurden, niemals ganz zur 
vollen Entwicklung gelangten. Dass aber hierin nicht der wahre 
Grund des Fehlschlagens so vieler anderer Experimente aufge- 
funden sein könne, führt schon von Siebold aus, indem er 
darauf hinweist, dass er selbst, sowie sein Mitarbeiter, der Se- 
minarlehrer Schmid, auch aus überwinterten und nach Angaben 
von Schmid unbefruchteten Eiern gelegentlich kräftige Raupen 
erhalten habe. Die Richtigkeit der von Barthelemy aufge- 


1) M. Herold, Untersuchungen über die Bildungsgeschichte der 
wirbellosen Thiere im Ei. Frankfurt 1838. 
2) Annales des sciences naturelles T. 12. 1859, pag. 311. 


450 M. Nussbaum: 


stellten Behauptung wird dadurch gewiss nicht gestützt; doch 
wäre es ungerecht, nicht gleichzeitig den eignen Ausspruch 
Barthelemy’s hier anzuführen (l. ec. pag. 312): 

„La parthenogenese se presente done chez le Bombyx mori 
A l’etat de simple aceident.“ 

Boursier!) berichtet, aus den im Sonnenschein gelegten 
unbefruchteten Eiern des Bombyx mori seien Raupen ausgekro- 
chen; die im Schatten gelegten Eier desselben unbegatteten 
Weibchen hätten sich nicht entwickelt. Diese Angaben gehören 
gleichfalls in die Gruppe der Versuche, welche die Auffindung 
günstiger Bedingungen für die erfolgreich durchgeführte Parthe- 
nogenese des Seidenspinners zum Vorwurf haben. Man wird 
nicht umhin können, sich den schon von Siebold ausgespro- 
cehenen Zweifeln?) anzuschliessen. 

In ähnlicher Weise hat Tiehomiro w unter dem Einfluss 
der Wärme, chemischer und mechanischer Reize an eben abge- 
legten parthenogenetischen Eiern von Bombyx mori experimentirt. 

Den Angaben Tiehomirow’s ist dann Verson?) mit 
folgender Erwiderung entgegengetreten: 

„Um Missverständnissen vorzubeugen halte ich es für an- 
gezeigt, darauf aufmerksam zu machen, dass diese sog. parthe- 
nogenetische Entwicklung bei der Seidenraupe nur bis zur Bil- 
dung der serösen Membran geht, uud dass eine weitere Ent- 
wicklung des kaum angedeuteten Keimstreifens bei den unbe- 
fruchteten Eiern weder mit, noch ohne mechanische und chemische 
Beizung stattfindet. 

Von einer wirklichen parthenogenetischen Brut kann beim 
Seidenspinner überhaupt gar keine Rede sein, wie ich nach 
20jähriger Erfahrung mit Bestätigung meiner ersten diesbezüg- 
lichen Versuche (Annuario della Stazione Bacologieca I) wohl 
behaupten darf; und die gegentheiligen Angaben von Barthe- 
lemy, von Jourdan, von Gasparinu.A., welche von Sie- 
bold in seinen Beiträgen zur Parthenogenesis der Arthropoden 
anführt, sind vollständig aus der Luft gegriffen.“ 

In seinen Beiträgen zur Parthenogenese der Arthropoden 


1) Comptes rendus 1847. 
2) l. c. pag. 126. 
3) Zool. Anz. Bd. XI. 1888, pag. 263. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 451 


berichtet von Siebold aber auch über Versuche, die er selbst 
und zum Theil selbst angestellt hat; dieselben würden also ebenso 
von Verson beurtheilt werden. 

Trotz dieses Angriffes von Seiten Verson's bleibt A. Ti- 
cehomirow dabei, dass nicht allein die von Verson aufge- 
zählten Beobachter, sondern er selbst und noch verschiedene an- 
dere wahre Parthenogenese bei dem Seidenspinner nachgewiesen 
und Räupchen aus den unbefruchteten Eiern erhalten hätten. 
Derselbe Autor hat nach Eintauchen unbefruchteter Eier von 
Bombyx mori in Wasser von 45° C. 65°/, sich entwickeln sehen). 
Wie viel Procent ohne Eintauchen erhalten worden, ist nicht an- 
gegeben. Wie lange das Eintauchen dauerte, ebenfalls nicht. 

Da ich mich selbst ausser mit der Parthenogenese bei 
Bombyx mori auch mit der bei Liparis dispar beschäftigt habe, 
so verweise ich mit Bezug auf die älteren Versuche auf von 
Siebold’s?) Bericht und führe hier nur die Versuche P lat- 
ner’s?) an, über die leider zur eine vorläufige Mittheilung bis 
jetzt gegeben wurde. Diese Versuche verdienen nach meiner 
Ueberzeugung die vollste Beachtung, da Platner zur Zeit, als 
er sie anstellte, unbedingt unter die ersten lebenden Histologen 
gezählt werden musste. 

Nach Platner soll das unbefruchtete Ei des Schwamm- 
spinners gleich wie das befruchtete zwei Richtungskörper bilden. 
Er wandte sich diesem Objekt zu, nachdem er aus den Winter- 
eiern von fünf unbefruchteten Weibchen zahlreiche Räupchen 
gezogen hatte, die munter weiter gediehen. Das Geschlecht der 
Raupen hat Platner durch ein Versehen bei der weiteren 
Aufzucht nicht bestimmen können, da die betreffenden Raupen 
irrthümlich mit anderen zusammengebracht wurden. Weitere Mit- 
theilungen Platner’s liegen nicht vor. 

Was die Bildung des zweiten Richtungskörpers im Ei an- 
langt, so hat man grossen Werth auf den Nachweis gelegt, dass 
die Zahl der färbbaren Elemente des Kernes bei der Bildung 
des zweiten Richtungskörpers halbirt werde. Trifft dies überall 
gesetzmässig zu, so muss im Leibe derjenigen Embryonen, welche 


1) Biol. Centralbl. 1890, pag. 424. 
2) Wahre Parthenogenesis, pag. 131. 
3) Biologisches Centralblatt 8. Bd. 1888, pag. 521—524. 


452 M. Nussbaum: 


nach Abspaltung eines zweiten Richtungskörpers sich partheno- 
genetisch entwiekeln können, unbekümmert um ihr Geschlecht 
zu irgend einer Zeit der Entwicklung eine Verdopplung der 
ehromatischen Kernfäden auftreten, da nicht allein bei der 
Reifung des Eies mit Bildung von zwei Richtungskörpern, son- 
dern auch, wie Platner zuerst beobachtete, im Laufe der 
Spermatogenese eine Halbirung in der Zahl der färbbaren Kern- 
fäden Platz greift. Würde die Wiederherstellung der typischen 
Zahl beispielsweise im unbefruchteten Drohnenei nicht geschehen, 
so müssten alle Spermatiden nur durch einfache und nicht durch 
Reductionstheilung gebildet werden. Unterläge ihre Bildung dem 
allgemeinen Gesetz, was doch wohl erwartet werden darf, so 
könnte der Samenkern schliesslich nur die Hälfte der Fäden wie 
der Eikern enthalten und auch das aus dem befruchteten Ei 
gebildete Weibehen müsste dabei zu kurz kommen. Somit muss 
für die Halbirung während der Richtungskörperbildung auch im 
männlichen Embryo ein Ausgleich vorgesehen sein, wie er in der 
Anlage der weiblichen Biene in der Vereinigung zweier auf die 
Hälfte der ursprünglichen Zahl reducirten Elemente durch die 
Befruchtung gegeben ist. 

Auch die neueren Beobachtungen van der Stricht’s!) 
über die Zahl der Chromosomen in dem zweiten Richtungskörper 
und dem Eikern des Thysanozooneies, die älteren über die 
verschiedenen Wandlungen der chromatischen Substanz des Ker- 
nes, von dem Auftreten eines einzigen Fadens bis zur Theilung 
in die freilich der Zahl nach constanten färbbaren Elemente, die 
Verschmelzung der an Zahl nach so verschiedenen Kernfäden, 
Schleifen oder Kugeln zu einem diehten Körper bei den Samen- 
elementen: dies Alles deutet darauf hin, dass die Reduction der 
Zahl der ehromatischen Elemente beim Ei- und Samenkern nur 
eine mechanische und keine dynamische Bedeutung haben könne. 

Die Spindel ist für eine bestimmte Zahl von Fäden einge- 
richtet; daher die Veränderung in der Zahl.der eopulirenden 
Elemente. Offenbar muss, soll die Zahl constant bleiben, in all 
den Fällen, wo sie bei dem Anheben der Entwicklung des 
befruchteten oder unbefruchteten Eies verdoppelt oder halbirt 
ist, nachträglich eine Correetur stattfinden, da sonst die Constanz 
der Zahl nicht denkbar wäre. 

1) Archives de Biologie T. 15. 1897, pag. 367 sg. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 453 


Gerstäcker hat in Bronn’s Classen und Ordnungen des 
Thierreiches Bd. V, Abth. 1, pag. 166 sechszehn, ©. Taschen- 
berg!) sogar zweiunddreissig Schmetterlingsarten aufgezählt, 
bei denen Parthenogenese beobachtet wurde. Auf eine nähere 
Prüfung dieser Angaben mit Ausnahme der oben besprochenen 
über Bombyx mori und Liparis dispar kann bier nicht einge- 
gangen werden. 

Unsere Auseinandersetzung wird sich weiter mit der Frage 
zu beschäftigen haben, was von den Autoren über die Gesetz- 
mässigkeit im Auftreten eines bestimmten Geschlechts bei den- 
jenigen Thieren ermittelt wurde, die sich durch befruchtete und 
unbefruchtete Eier zugleich fortpflanzen können. 

Soweit unsere augenblicklichen Kenntnisse reichen, ist bei 
Wirbelthieren zur Fortpflanzung der Art jedesmal Befruchtung 
nöthig. Die früher behauptete parthenogenetische Furchung des 
Frosch- und Hühnereies existirt nach Pflüger?) und Bar- 
furth?) nicht. Bei Barfurth ist auch eine ausführliche Be- 
sprechung der bezüglichen Literatur zu finden. 

Dem tieferen Eindringen in die Erkenntniss der Partheno- 
genese der Wirbellosen hat in erster Linie die Vermischung 
zweier, ganz von einander zu trennenden Erscheinungen hindernd 
im Wege gestanden. Man hätte die Erzeugung verschieden ge- 
stalteter Generationen und die Entwicklung verschiedenartig aus- 
gestatteter Eier (Subitan- und Dauereier) von der Untersuchung 
nach der Entstehung des Geschlechts trennen müssen, was aber 
nicht geschehen ist. Die Grundbedingung für die Entstehung 
des Geschlechts muss überall die gleiche sein, während das Auf- 
treten eines besseren Bewegungsapparates bei den fertigen Thieren, 
oder grössere Widerstandskraft der Eier nur gewissen Arten 
einen Schutz zu ihrer Erhaltung, eine Anpassungsfähigkeit an 
veränderte, schwierige Lebensverhältnisse gewähren, deren andere 
Arten nicht benöthigen. Während die Entstehung des Geschlechts 
eine universelle Erscheinung ist, so kommt den anderen, gleich- 
zeitig auftretenden Eigenschaften eine nur auf bestimmte Arten 
beschränkte Bedeutung zu. 


1) Abhandlungen der naturf. Gesellschaft zu Halle Bd. XVII, 
pag. 367 mit umfangreichem Literaturverzeichniss. 

2) Pflüger’s Archiv Bd. 29. 1882. 

3) Archiv für Entwicklungsmechanik Bd. II., pag. 303, 189. 


454 M. Nussbaum: 


Würde man aber auch das Beiwerk secundärer, wit der 
Entstehung des Geschlechts nicht in direetem Zusammenhang 
stehender Einrichtungen in den Hintergrund drängen, so sind die 
Angaben über das Auftreten eines bestimmten oder beider Ge- 
schlechter im Verlauf der Parthenogenese nicht sicher genug, in 
vielen Fällen geradezu einander widersprechend, so dass eine 
durchgreifende Gesetzmässigkeit daraus nicht abgeleitet werden 
kann. Dazu werden noch viele Vorarbeiten nöthig sein. 

Vielleicht hätte die weitere Entwicklung der ganzen Frage 
ein schnelleres Tempo angenommen, wenn der richtigen Auffas- 
sung Leydig’s sich Leuekart und Siebold nicht im 
Anfang entgegengestellt hätten. Jetzt nimmt man allgemein an, 
dass die parthenogenetische Entwicklung vom Ei ihren Ausgang 
nimmt, wie es Leydig!) schon 1850 von der Entstehung der 
oviparen Blattläuse gelehrt hatte. 

Siebold, einer der berühmtesten Naturforscher, die sich 
je mit dieser Frage beschäftigt haben, gruppirte das Vorkommen 
der Parthenogenese nach dem Gesichtspunkt des gesetzmässigen 
Auftretens eines bestimmten Geschlechts bei der Jungfernzeugung 
verschiedener Arthropoden. Er fügte dem von Leuckart ein- 
geführten Begriff der Arrenotokie, den der Thelytokie 
hinzu, um zu bezeichnen, ob die Jungfernzeugung nur männliche 
oder nur weibliche Brut erziele. Um keinen Zweifel an der 
Auffassung Siebold’s aufkommen zu lassen, will ich die be- 
treffende Stelle hierhersetzen : 

„Obgleich noch viel zu wenig Beispiele von jungfräulicher 
Zeugung genauer geprüft worden sind, um die Frage zu ent- 
scheiden, welches Geschlecht die von jungfräulichen Müttern 
erzeugte Brut an sich trage, so wird man, wenn auch kein all- 
gemein gültiges Gesctz für die Parthenogenesis aus den bisher 
gewonnenen Resultaten hinstellen können, doch wenigstens soviel 
aus denselben als festgestellt betrachten dürfen, dass unter den 
Hymenopteren bei Apiden, Vespiden und Tenthrediniden männ- 
liche Brut und unter den Lepidopteren und Crustaceen bei 
Psychiden, Talaeporiden und Phyllopoden weibliche Brut durch 
parthenogenetische Fortpflanzung erzeugt werden kann.“ 

Dieser Zusammenstellung ist es nun, wie ich glaube, zum 


1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. II., pag. 62. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 455 


grössten Theil beizumessen, weshalb die Vorstellung derjenigen 
verwirrt werden musste, die sich nicht selbständig mit dem 
Gegenstande beschäftigt haben. Denn die Parthenogenese der 
Apiden und der Psychiden ist keineswegs auf dieselbe Stufe zu 
stellen und von demselben Gesichtspunkte aus zu beurtheilen. 
Die Honigbiene und ihr verwandte Arten legen entweder unbe- 
fruchtete oder befruchtete Eier. Aus den unbefruchteten ent- 
stehen unabänderlich Männchen, aus den befruchteten Eiern ebenso 
gesetzmässig weibliche Nachkommen. Männchen und Weibehen 
sind immer gleichzeitig in einem Bienenstaate nöthig, weil sonst 
die Art ausstürbe. 

Eine Aufklärung über die Ursachen der Entstehung des 
Geschlechts ist hiermit nicht gegeben. Aber es sind doch immer 
dieselben Eier, die je nachdem sie befruchtet werden oder nicht, 
ein bestimmtes Geschlecht liefern. 

Dass auch Arbeiterinnen männliche Brut erzeugen, ist in 
Uebereinstimmung mit dieser Erscheinung. Denn die Arbeite- 
rinnen der Bienen und Wespen sind Weibchen, deren Generations- 
organe durch die besondere Art des Futters nicht ihre volle 
Ausbildung erhielten; sei es, dass die Eierstöcke degenerirten, 
oder dass nur die Missbildung der äusseren Geschlechtswerkzeuge 
eine Befruchtung der wohlentwickelten Eier unmöglich machte. 
Die Bienen und Wespen sind somit dadurch ausgezeichnet, dass 
gleichgeformte Eier von verschieden gestalteten Weibchen abge- 
setzt werden und dass diese Eier unbefruchtet sich zu Männchen, 
befruchtet aber zu Weibchen entwickeln. 

Man müsste freilich, um auch den zweiten Theil dieser 
Behauptung beweisen zu können, die Eier von Arbeitswespen 
befruchtet und Weibchen daraus gezogen haben. Das ist bis 
jetzt nicht geschehen; doch bleibt darum die Thatsache unan- 
fechtbar, dass die unbefruchteten Eier aller Bienen Männchen, 
und dass die befruchteten Eier der Königin Weibchen liefern. 
Was für unsern besondern Zweck sich aus dieser Erfahrung er- 
giebt, ist der Nachweis, dass unabhängig von der äusseren Form 
der Weibchen ein bestimmtes Geschlecht unter bestimmten Be- 
dingungen auftritt. 

Gerade bei der Frage nach der Entstehung des Geschlechts 
der Bienen hat der um die Förderung unserer Kenntnisse von 
der Parthenogenese so hochverdiente Zoologe Leuckart ein 


456 M. Nussbaum: 


Moment eingeführt, welches unter dem Einfluss seiner Autorität 
von den Nachfolgern angenommen wurde, aber einer vereinfachten 
Uebersicht hemmend entgegentreten musste. 

Leucekart!) verwerthete die Umwandlung von Arbeits- 
bienen in Königinnen durch rechtzeitig dargereichtes Futter als 
ein Beispiel für die Entstehung des Geschlechts unter der Wir- 
kung äusserer Bedingungen. Das ist aber nicht angängig. Denn 
die Arbeiterinnen sind Weibehen wie die Königinnen. Das reiche 
Futter bringt nur bei der Königin die Geschlechtsorgane zur 
vollen Entfaltung, ähnlich wie vo m Rath) durch reiches Futter 
an Drohnen das umgekehrte Ergebniss erzielte. Die Drohnen 
erreichten zwar die doppelte, gewöhnliche Grösse, erlitten aber 
Hemmungsbildungen an Hoden und Copulationsorganen. Man 
kann somit an der Bienenlarve durch Variation des Futters das 
schon vorhandene Geschlecht nieht mehr ändern; man kann aus 
einer Drohne keine Königin und aus einer Königin oder Arbeiter- 
larve keine Drohne aufziehen. Wohl aber kann man durch 
Variation des Larvenfutters die angelegten Geschlechtsdrüsen 
und auch die Copulationsorgane zur besseren oder geringeren 
Entwicklung bringen. 

Auf die Entstehung des Geschlechts bleiben Einwirkungen 
während der Larvenperiode der Bienen erfolglos, da das Ge- 
schleeht schon vorher bestimmt ist. Ob der Hunger bei den 
Bienen einen geschlechtsregulirenden Einfluss habe, ist nicht nach- 
gewiesen; wirkt er auch hier, so muss er sich schon im Ei gel- 
tend machen. Es würde aber nur durch das Ausbleiben der 
Befruchtung ein Zustand mangelhafter Ernährung des Embryo 
hervorgerufen werden können, da die befruchteten Eier alle weib- 
liche Larven liefern. 

Fast man die Eigenthümlichkeiten im Auftreten der 
Parthenogenese bei den Bienen und Wespen zusammen, so er- 
giebt sich, dass 

1. dieselbe Königin, d. h. ein ausgebildetes Weibchen, beide 

Geschlechter erzeugt, 

2. dass die unbefruchteten Eier männliche, und die befruchteten 

Eier weibliche Brut liefern, 


1) R. Leuekart, Zur Kenntniss des Generationswechsels und 
der Parthenogenese bei den Insekten. Frankfurt 1858. 
2) Bericht d. Naturforschenden Gesellsch. zu Freiburg i. Br. Bd. 8. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 457 


3. dass beide Geschlechter demgemäss zur Erhaltung der Art 
unbedingt nöthig sind, 

4. dass die verkümmerten Weibehen nicht begattet werden 
können, und demgemäss aus ihren unbefruchteten Eiern nur 
Männchen entstehen, 

5. dass die Parthenogenese nur Männchen liefert und dass 

6. das Dauerei in der Bienencolonie keine Rolle spielt. 

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Rotatorien. 
Hydatina senta kann auf dem Wege der Parthenogenese männ- 
liche und weibliche Brut erzeugen. Ein Aussterben der Art wie 
bei den Bienen ist somit ausgeschlossen, selbst wenn unter den 
nöthigen äusseren Bedingungen die Parthenogenese eine Zeit lang 
die einzige Fortpflanzungsweise darstellt. Alle Weibchen der 
Hydatina senta, die Mütter der männlichen und der weiblichen 
Naclıkommen, haben dieselbe Form und Gestalt; es giebt keine 
ausgebildeten und verkümmerten Weibehen wie bei den Bienen. 
Die begatteten Weibchen erzeugen unter Umständen Dauereier. 
Sollte die Maupas’sche Hypothese von der Art der Entstehung 
der Dauereier völlig zu beweisen sein, so würde in einem Punkte 
die Entstehung des Geschlechts bei Bienen und Rotatorien Ueber- 
einstimmung zeigen. Es würde dann in beiden Thiergruppen 
durch Befruchtung derjenigen Eier, die parthenogenetisch Männ- 
chen geliefert hätten, Weibchen entstehen. Bei Rotatorien würde 
gleichzeitig die Form des Eies durch die Befruchtung abge- 
ändert werden, aus einem kleinen dünnschaligen männlichen Ei 
würde ein grosses hartschaliges Dauerei hervorgehen. Bei der 
Biene bleibt auch nach der Befruchtung Form und anfänglicher 
Inhalt des Eies unverändert, wie schon oben betont wurde. 

Die Besonderheiten in der Fortpflanzung der Rotatorien 
beständen somit darin, dass 

1. jedes Weibehen parthenogenetisch nur ein Geschlecht 
erzeugt, 

2. dass auf parthenogenetischem Wege beide Geschlechter 
entstehen, 

3. dass die reifen Weibehen nur an ihrem Ovarium, nicht in 
der Leibesform verschieden sind, 

4. dass aus den befruchteten Eiern unter Ausbildung einer 
Dauerform Weibehen auskriechen, 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53. 30 


458 M. Nussbaum: 


5. dass zur Erhaltung der Art unter günstigen äusseren Bedin- 
gungen die Befruchtung nicht nöthig ist. 

Aehnlich wie die Rotatorien verhalten sich die Blattläuse. 
Als Beispiele mögen die Verhältnisse gelten, wie sie von der 
Reblaus, Phylloxera vastatrix bekannt sind. Die ungeflügelte 
Form der Weibchen legt bei genügender Ernährung, wie dies 
von Behr!) besonders hervorgehoben wurde, Eier, aus denen 
wieder ungeflügelte Weibehen auskriechen. Tritt Nahrungsmangel 
ein, so erscheint eine geflügelte, parthenogenetische Generation, 
die neben den Weibehen auch Männchen enthält. Aus den be- 
fruchteten Eiern dieser geflügelten Form gehen wieder unge- 
flügelte Weibchen hervor. 

Da die Blattläuse auch von der Ausbildung des befruch- 
tungsbedürftigen Dauereies Gebrauch machen wie die Rotatorien, 
um die durch den Hunger unterbrochene Jungfernzeugung wieder 
eintreten zu lassen, indem aus den Dauereiern nur Weibehen 
entstehen, so sind in diesem Punkte Rotatorien und Blattläuse 
einander gleich. Aber die Bildung dieser Dauereier selbst kann 
nur eine secundäre, von der Entstehung des Geschlechts unab- 
hängige Einrichtung sein, da die Erzeugung von weiblichen 
Nachkommen aus befruchteten Eiern weder bei der Biene, noch 
bei den meisten anderen Thieren an das Auftreten von Dauer- 
eiern gebunden ist. Die Entstehung von Dauereiern bei den 
Rotatorien ist verständlich aus der Lebensweise dieser Thiere, und 
die Widerstandsfähigkeit der Dauereier ist nur die weitere Fort- 
bildung einer auch den Sommereiern eignen Kraft. Den Rota- 
torien fehlen die Variationen der Leibesform, wie sie bei den 
Blattläusen zur Leistung ganz bestimmter Aufgaben, die mit der 
Entstehung des Geschlechts nichts zu thun haben, sich finden. 

Sieht man demgemäss von Leibes- und: Eiform ab, so ist 
den Bienen, Rotatorien und Blattläusen gemeinschaftlich, dass die 
befruchteten Eier dem weiblichen Geschlecht verfallen sind. Die 
Verschiedenheit besteht darin, dass die Bienen parthenogenetisch nur 
ein Geschleebt, und zwar das männliche, erzeugen können, Blatt- 
läuse und Rotatorien parthenogenetisch aber beide Geschlechter. 

Blattläuse und Rotatorien sind bis jetzt die einzigen Tbhiere, 
deren Geschlechtsverhältnisse während der Parthenogenese durch 
äussere Einwirkungen regulirt werden können. Für die Rota- 

1) Zoe, Vol. II, Nr. 4, January 12, 1892. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 459 


torien habe ich an Hydatina eine grosse Reihe soleher Einwir- 
kungen dahin zusammenfassen können, dass alle Hunger in der 
Colonie erzeugen. Das Auftreten der Männchen wird demgemäss 
einem Mangel an Ernährung verdankt. 

Eine Bespreehung der Angaben über Geschlechtsbestim- 
mungen an befruchteten Eiern gehört nicht hierher und könnte 
vor der Hand auch zu keinem Ergebnis führen. 

Aber auch die Geschlechtsverhältnisse parthenogenetisch 
erzeugter Junge von einer grossen Zahl wirbelloser Thiere sind 
zur Zeit so wenig bekannt, dass ein vereinfachter Ueberblick 
über das ganze Gebiet noch nieht möglich ist. 

So sind die Geschlechtsverhältnisse der Sackträgerschmet- 
terlinge durch das vorliegende Beobaehtungsmaterial keineswegs 
aufgeklärt. Denn wenn eine lange Reihe parthenogenetisch 
erzeugter Weibchen die Art fortpflanzt und während dieser Zeit 
kein einziges Männchen sich findet, so müssen, um die Zeit, 
wann Männchen gefunden werden, auch diese durch Partheno- 
genese entstanden sein. Dann würde sich die Fortpflanzung 
dieser Arten der ächt parthenogenetischen der Rotatorien an- 
schliessen. Aus befruchteten Eiern der Psychiden wollen die 
Beobachter bald nur Weibchen, bald beide Geschlechter!) ge- 
züchtet haben. Wie unsicher aber die Feststellung stattgehabter 
Begattung für eine stattfindende Befruchtung ist, möchte auch 
ohne das Thierexperiment wohl hinreichend bekannt sein. Nur 
die histologische Untersuchung des Eies selbst kann hier die 
Frage der vollzogenen Befruchtung entscheiden (vergl. d. Arch. 
Bd. 49, pag. 305). Wir wissen also über die Geschlechtsbildung 
in befruchteten Psychidenweibchen nichts Sicheres. In der soeben 
eitirten Schrift betont pag. 142 Siebold, wie wichtig es wäre, 
die Brut einer zweigeschlechtlichen Generation von Cochlophora 
helix bis zur völligen Entwicklung der vollkommenen Schmetter- 
linge zu erzielen. „Jedenfalls wird daduch die wichtige Frage 
gelöst werden können, ob die aus befruchteten Eiern der Coch- 
loplhora helix erzogenen Raupen sämmtlich oder nur’zum Theil 
als männliche Individuen ausschlüpfen werden.“ 

Für andere Wirbellose werden dagegen von anderen Autoren 
ganz bestimmte Angaben gemacht, so dass es nöthig sein wird 


1) Vergl. Siebold, Beiträge, pag. 148 u. 149. 


460 M. Nussbaum: 


zu zeigen, wie in die Literatur über unseren Gegenstand positive 
Behauptungen eindringen, die späterhin als bewiesene Thatsachen 
weiter geführt werden, ohne dass aber in den vorliegenden Beob- 
achtungen ein wirklicher Beweis zu finden ist. 

So sagt Taschenberg (l. c. pag. 394): 

„Durch Siebold ist die thelytoke Parthenogenese bei 
Apus über jeden Zweifel erhoben worden. Später (1872) stellte 
Brauer fest, dass aus den befruchteten Apus-Eiern Männ- 
chen hervorgehen.“ ; 

Die folgende Darlegung wird zeigen, dass Brauer nach 
dem Zusammenbringen von Männchen und Weibehen aus den 
im Schlamm abgesetzten Eiern Männchen und Weibehen zog und, 
um die von Siebold vertretene Ansicht zu stützen, die Hypo- 
these machte, es seien bei seinen Versuchen wohl nicht alle 
Eier befruchtet worden. 

Fr. Brauer!) hat Liebesspiele eines Männchen mit un- 
gefähr zwanzig Weibchen von Apus cancriformis beobachtet. 
Die Annäherung an das Weibchen erfolgte aber in einer anderen 
Form, als sie von Kozubowsky?°), dem Entdecker der Männ- 
chen dieses Phyllopoden, beschrieben wurde. Da der Befruchtungs- 
vorgang selbst, das Eindringen der Samenzellen und ihre Ver- 
änderung im Ei, weder von vonSiebold, noch Kozubowsky, 
noch von Brauer beobachtet wurde, so sind die Angaben über 
das Geschlecht der von angeblich begatteten Weibchen abge- 
legten Eier nicht verwerthbar. In Brauer ’s Versuchen fanden 
sich in dem getrockneten Schlamm des Aquarium, worin drei 
Tage lang ein Männchen und elf Weibchen gelebt hatten, Eier, 
die bei der späteren Aufzucht 12 Männchen und 5 Weibchen 
lieferteu. Nachdem diese Thiere ihre Geschlechtsreife erlangt 
und zehn Tage in dem Aquarium zusammengeblieben waren, 
lieferte der Aufguss des neuerdings getrockneten Schlammes zwei 
Männchen und acht Weibehen. Dazu macht Brauer dann die 
Bemerkung: „Dass bei diesen Versuchen stets beide Geschlechter 
erschienen, darf wohl nicht auffallen, da nicht anzunehmen ist, 
dass alle Eier bei der grossen Zahl und der fortwährenden Bil- 
dung desselben befruchtet werden“ — —. Die Zulässigkeit dieses 


1) Sitz.-Ber. d. Acad. zu Wien, 65. Bd., pag. 279. 1879, 
2) Wiegmann'’s Archiv Bd. 1, pag. 312. 1857. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 461 


Schlusses wird nicht durch den anderen Versuch nachgewiesen, 
worin entsprechend den Erfahrungen älterer Experimentatoren 
ein isolirt aufgezogenes Weibchen nur neun, und ein abermaliges 
Troeknen und Aufgiessen des Schlammes einen weiblichen Apus 
als dritte Generation lieferte. Wenn in diesen Versuchen sehr 
viele Eier sich nicht entwickelten, so wird dadurch ebenfalls 
seine Beweiskraft vermindert. Ehe man also etwas Gewisses über 
das Geschlecht der aus befruchteten Eiern des Apus eaneriformis 
gebildeten Brut aussagen könnte, müssten neue Versuche unter den 
entsprechenden Controlmaassregeln ausgeführt worden sein. 

Während also das Vorkommen der Parthenogenese bei den 
Phyllopoden namentlich durch die Versuche Schaeffer’s, 
Siebold’s und durch den zuletzt ausgeführten Versuch Brauer’s 
sicher nachgewiesen ist, so steht eine sichere Aufklärung über 
die Geschleehtsverhältnisse der aus unbefruchteten und befruch- 
teten Eiern hervorgegangenen Brut noch aus. 

Wir kennen somit bis jetzt mit befriedigender Gewissheit 
nur die Gesetzmässigkeit im Auftreten des Geschlechts bei den 
Bienen und Wespen, den Rotatorien, den Blattläusen und den 
Polypen und können durch äussere Einwirkung das Geschlecht 
bei diesen Thieren bestimmen. Meine jüngste Veröffentlichung 
über Hydatina senta hat trotz der beigefügten Ergebnisse zahl- 
reicher Einzelversuche die Meinung, das Auftreten der parthe- 
nogenetischen und befruchtungsbedürftigen Generationen sei an 
bestimmte Cyclen gebunden, nicht beseitigen können. Die An- 
nahme solcher Cyelen ist aber unzulässig, wenn es gelingt, 
durch den Versuch zu jeder Zeit nach Belieben die gewollte 
Vermehrungsform einzuleiten, Männchen und Weibchen durch 
Variation der Versuchsbedingungen zu erzeugen. 

Man hat seit Weismann!) das Auftreten der Geschlechts- 
generationen bei manchen niederen Krebsen als an einen be- 
stimmten Cyclus gebunden erklärt. Für dieselbe Deutung der 
Geschlechtsverhältnisse bei den Rotatorien ist vor Kurzem auch 
Lauterborn?) eingetreten. 

Gewiss wird sich in der freien Natur dieser Cyelus ausge- 


1) Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden. Leipzig, W. 
Engelmann, 1876—1879. 
2) Biolog. Centralbl. Bd. XVIII, pag. 173. 1898. 


462 M. Nussbaum: 


bildet haben, wie viele Pflanzen bei uns nur im Sommer grünen 
und blühen. Die Entstehung des Cycelus ist aber an äussere Be- 
dingungen geknüpft. Wenn ich daher für die Grundursache der 
Entstehung des männlichen Geschlechts bei den Räderthieren 
den Hunger verantwortlich machte, so habe ich in meiner Ab- 
handlung hinlänglich betont, dass die Räderthiere hungern, wenn 
sie, wie Maupas gefunden hat, unter dem Einflusse der. gestei- 
gerten Temperatur Männchen bilden. Sie hungern aber auch, 
wenn sie gegen den Herbst oder im Frühjahr Männchen erzeugen, 
da auch um diese Zeit trotz der fallenden Temperatur der Hunger 
die wahre Ursache der Geschlechtsdifferenzirung ist. So werden 
sich in der freien Natur unter feststehenden äusseren Bedingungen 
sehr wohl Cyelen ausbilden können, die sogar der Eintheilung 
des Jahres in die Jahreszeiten folgen, ohne dass dem Hunger, 
dem Grundregulatur des Geschlechts, bei den parthenogenetisch 
erzeugten Räderthieren der maassgebende Einfluss fehlte. Denn 
es ist möglich, durch das Experiment zu zeigen, dass zu jeder 
beliebigen Zeit, bei den verschiedenartigsten Temperaturen immer 
nur dann Männchen erscheinen, wenn Hunger in der Colonie 
auftritt. 

Wären die Cycelen nicht an die äusseren Verhältnisse ge- 
bunden, so gäbe es keinen Grund für ihr Bestehen. Würden 
aber die auf unserer Erde den grössten Schwankungen unter- 
worfenen äusseren Verhältnisse nicht einen einfachen, sich stets 
gleichbleibenden Factor erzeugen und in die Rechnung einstellen, 
wie für unsern Fall den Hunger, so wäre die Anpassungsfähig- 
keit an die äusseren Verhältnisse nicht möglich. ‚Kein Rotator 
könnte bei gleichbleibender, bei ansteigender oder abfallender 
Temperatur gleichmässig gezwungen werden, männliche Brut oder 
Dauereier statt der weiblichen Subitaneier zu liefern. 

Das Experiment lehrt, dass der Hunger auf verschiedene 
Weise erzeugt werden kann: die Verhältnisse in der freien Natur 
sind so geordnet, dass der Hunger nur zu gewissen Zeiten als 
Begleiterscheinung einer augenfälligen Veränderung auftritt. Da- 
her im Experiment Fehlen, in der freien Natur das Vorhandensein 
von Cyclen. 

Bei den Polypen konnte ich zu jeder Zeit, an demselben 
Thier mehrmals im Jahre, Geschlechtsproducte erzeugen. Die 
Autoren geben verschiedene Jahreszeiten für das Auftreten der- 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 463 


selben an. Schon aus diesem Umstande allein wäre, auch ohne 
die Bestätigung durch das Experiment der Schluss gerechtfertigt: 
die Bedingungen für die Fructifieation der Polypen treten zu 
verschiedenen Zeiten ein. Sie sind aber auch in Fällen, wo die 
Beobachter auf Veränderungen der Wassermenge, der Jahreszeit 
geachtet haben, durch diese Veränderungen erst geschaffen worden. 
So verhält es sich auch mit den Cyelen der Blattläuse. Für 
gewöhnlich treten gegen den Herbst die Männchen auf, nachdem 
im Sommer nur Weibehen vorhanden waren und die Art parthe- 
nogenetisch fortpflanzten. Das ist also ein ausgesprochener Öyelus. 
Da aber schon die älteren Experimentatoren viele Jahre lang 
durch gutes Futter das Erscheinen der männlichen Blattläuse 
bei ihren Versuchen hindern konnten, so sind die in der Natur 
beobachteten Cyelen nur der Ausdruck, dass in der Natur bei 
uns gewöhnlich im Herbst Futtermangel für die Blattläuse ein- 
tritt, und die parthenogenetische Generation der befruchtungs- 
bedürftigen weichen muss. Die Cyelen sind demgemäss nichts 
anderes, als der Ausdruck dafür, dass die Bedingungen für das 
Erscheinen der Männchen für bestimmte Arten an bestimmten 
Orten nur zu gewissen Zeiten eintreten. 

Die Ermittelung der Zeit, wann ein einfaches und bequem 
einzuführendes Agens das Geschlecht bestimme, schien mir bei 
den Rotatorien so weit gefördert, dass ich einige meiner Schüler 
mit der Aufgabe betraute, die Veränderungen in den Ovarien 
während dieser Phase der Entwieklung zu studiren. Die Resul- 
tate dieser Untersuchung werden an einer anderen Stelle ver- 
öffentlicht werden. 

Es lässt sich nun leicht einsehen, dass wenn es auch 
gelungen wäre, den gesuchten cellularen Ausdruck für die 
Geschlechtsdifferenzirung aufzufinden, man ihn bei anderen Ge- 
schöpfen nicht immer in derselben Phase der Entwicklung er- 
warten dürfe. 

Man hat sich gewöhnt, den Eintritt der Geschlechtsreife 
auf verschiedenen Entwicklungsstufen der Organismen als etwas 
durchaus Bekanntes hinzunehmen. Bei Pflanzen und Thieren, 
auch bei verwandten Species, ist dieses Ereigniss an so verschie- 
dene Punkte der Entwicklung verlegt, dass es dadurch wohl ver- 
ständlich sein dürfte, wenn auch die Differenzirung des Geschlechts 
nieht überall an dieselbe Periode geknüpft ist. Das erschwert 


464 M. Nussbaum: 


natürlich ein schnelles Vordringen auf diesem Gebiet, weil für 
jede naturwissenschaftliche Untersuchung die Kenntniss der Zeit, 
wann eine bestimmte Veränderung auftritt, unerlässlich ist. Hier 
wird sie aber in gewiss vielen Fällen nicht aus der Analogie 
festgestellt, sondern erst aus der Verbindung des Experiments 
mit mühsamen histologisch-embryologischen Versuchen erkannt 
werden können. 

Bei dem grauen Polypen des süssen Wassers kann das Ge- 
schlecht, wie ich gezeigt habe, am fertigen Thier durch Variation 
der äusseren Bedingungen abgeändert werden. Je nach dem 
Grade der Ermährung erzeugt derselbe Polyp Eier oder Hoden. 
Die Entstehung des Geschlechts ist also in eine Zeit verlegt, wo 
bei höheren Thieren eine Abänderung des einmal ausgebildeten 
Geschlechts wohl von Niemandem versucht werden dürfte. Die 
histologischen Vorgänge, welche zur Differenzirung des Geschlechts 
führen, müssen sich demgemäss bei der Hydra grisea im Beginn 
jeder zur Bildung von Geschlechtsproducten führenden Periode 
wiederholen. 

Bei den Bienen liefert jedes unbefruchtete Ei ein männ- 
liches, jedes befruchtete Ei ein weibliches Individuum; es muss 
daher die Periode der Geschlechtsdifferenzirung in der Zeit nach 
der Befruchtung des Eies fallen. Das Geschlecht selbst ist an 
der eben ausgekrochenen Larve nicht mehr abzuändern. 

Während aber bei den Wirbellosen wie auch bei den 
Wirbelthieren immer nur das Geschlecht eines in der Entwicklung 
begriffenen Individuum bestimmt wird, so ist bei den Räder- 
thieren die Zeit der Geschlechtsbestimmung soweit zurückverlegt, 
dass nicht das Geschlecht einer heranwachsenden, sondern das 
der folgenden Generation zu einer gewissen Periode der Ent- 
wicklung sich entscheidet. Ich konnte im Gegensatz zu Maupas, 
der das Geschlecht der Enkel im Ovarium der Grossmütter ent- 
stehen lässt, zeigen, dass nur das Geschlecht der nächsten und 
nicht der zweitnächsten Generation jedesmal in den Ovarien der 
heranwachsenden Weibchen festgestellt wird. Füttert man ein 
junges Weibehen von Hydatina senta gut, so liefert es später 
zur Zeit der Geschlechtsreife nur weibliche Nachkommen; wird 
es kurze Zeit, nachdem es das Ei verlassen hat, mangelhaft er- 
nährt, so sind alle seine Nachkommen männliche, sobald keine 
erfolgreiche Befruchtung stattgefunden hat. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 465 


Würde somit, wie das zu erwarten ist, die Differenzirung 
des Geschlechts in einem histologisch erkennbaren Vorgang be- 
stehen, so würden die sichtbaren Zeichen dieses Vorganges sicher 
zu verschiedenen Zeiten gefunden werden. Genau so, wie bei 
dieser Species reife Eier und reife Samenkörper schon bei 
Larven ausgebildet sind und bei anderen erst zu verschiedenen 
Zeiten nach vollendeter Ausbildung der übrigen Organe. Genau 
so wie die gleichen zur vollen Reife der Geschlechtsproduete 
führenden Theilungsvorgänge beim Ei und beim Samenkörper 
zu verschiedenen Zeiten auftreten. Die Richtungskörperbildung 
beginnt bei den Eiern im Ovarium und ist bei manchen Species 
vor dem Eindringen der Samenzelle zur Zeit der Befruchtung 
beendet, während in anderen Eiern der zweite Richtungskörper 
vom Ei erst nach dem Eintritt der männlichen Zelle abgeschieden 
wird. Die homologen Theilungsvorgänge an den Samenzellen 
sind im Gegensatz zu dem zeitlich so weit hinausgerückten Auf- 
treten im Ei schon längst vorüber, ehe die Samenkörper ihre 
definitive Gestalt und völlige Reife erlangt haben. 

Aus diesem Grunde nahm ich die alten Versuche über die 
Parthenogenese bei den Schmetterlingen wieder auf, mit der Ab- 
sicht, die Angaben meiner Vorgänger zu prüfen und einer etwa 
vorhandenen Gesetzmässigkeit im Auftreten des Geschlechts bei 
den parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern nachzugehen. 
Der letzte Punkt schien deshalb von der grössten Wichtigkeit, 
weil nach den vorliegenden Angaben sowohl aus befruchteten als 
auch aus unbefruehteten Eiern vieler Schmetterlinge ebensowohl 
Männchen als Weibchen sich bilden sollten. Während demge- 
mäss bei Bienen, Rotatorien und Blattläusen der Einfluss der 
Befruchtung, wenn auch in vorläufig unerklärter Weise, geschlecht- 
bestimmend wirkt, würde bei den Schmetterlingen nach den vor- 
liegenden Angaben die Befruchtung für die Entstehung des Ge- 
schlechts bedeutungslos sein, und es würden aus einem Vergleich 
der befruchteten und unbefruchteten Eier Vergleichspunkte ge- 
wonnen werden können, die bei den Rotatorien nicht aufzufinden 
sein dürften. 


Eigene Beobachtungen. 
Bei der Anstellung der Versuche hat man der Natur der 
Sache gemäss eine Reihe von Sicherheitsmaassregeln zu treffen, 
um Täuschungen auszuschliessen. 


466 M. Nussbaum: 


Selbstverständlich muss jede einzelne Puppe, oder, wenn 
es sich um Cocons handelt, je ein Cocon in einen besonderen 
verschliessbaren Kasten gebracht werden, der gut gelüftet und 
von Unbefugten nicht geöffnet werden kann. 

Trotz aller, oft sehr bestimmt lautenden Angaben kann man 
einem Cocon nicht immer das Geschlecht des auskriechenden 
Schmetterlinges vorher ansehen. Da oft zwei Thiere in einem 
Cocon liegen, die auch verschiedenen Geschlechts sein können, 
so muss der Cocon nach dem Auskriechen des Schmetterlings 
untersucht werden, ob er nur eine Puppenhülse enthält. 

Nach der Eiablage muss jedes zu einem Versuch benutzte 
Weibehen auf den Inhalt von Samen- und Begattungstasche unter- 
sucht werden. 

Nach obigen Regeln sind alle meine Versuche angestellt 
worden, so dass ich auf das Bestimmteste versichern kann, dass 
die zu den Versuchen benutzten Weibehen in der That unbe- 
fruchtete Eier gelegt haben, wenn sie nieht absichtlich später 
oder von Anfang an zur Paarung zugelassen wurden. 

Die Art, wie ein unbegattetes Weibchen seine Eier legt, ist 
schon an und für sich so characteristisch und von der begatteter 
Weibchen so verschieden, dass der Unterschied im Gelege als 
ein Zeichen für voraufgegangene oder fehlende Begattung ver- 
werthet werden kann. Man wird aber dieses Zeichen keineswegs 
zu den untrüglichen zählen dürfen. 

Die Schwammspinner, bei denen je nach der Angabe der 
Autoren ebenfalls Parthenogenese vorkommen soll, legen, wenn 
sie unbegattet bleiben, wie Bombyx mori unregelmässig und in 
grösseren Zwischenräumen, so dass die typische Form der Eier- 
schwämme nicht zu Stande kommt. 

Der Schwamm von Porthesia chrysorhoea ist länglich, zungen- 
förmig. Bleiben die Weibchen unbefruchtet, so verstreuen die 
Thiere die Eier einzeln, hüllen sie schlecht in die ausgerupften 
Wollhaare ein oder machen kleine, in der Form atypische 
Schwämme. Dasselbe gilt von dem Schwamm der Liparis 
dispar, dessen typische Schildform bei einem unbegatteten Weib- 
chen gleichfalls nicht zu Stande kommt. 

3ombyx mori legt auf einem glatten Papier als Unterlage 
nach der Begattung alle, oder fast alle Eier in einem Tage und 
in einem einschichtigen Haufen ab. Man sieht an den in Reihen 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 467 


angeordneten und auf der Unterlage festgeklebten Eiern eine 
gewisse Methodik der Eiablage, vielleicht um jedem derselben 
Luft und Licht zu sichern. Das Gelege eines unbegatteten Weib- 
chen ist nicht zusammenhängend; hier ein Häufchen, dort ein 
anderes, wie wenn das Thier in den langgezogenen Pausen noch 
die Gelegenheit zur Paarung abwarten wollte. 

Vor dem Legen hebt das unbegattete Weibehen den Hinter- 
leib fast um 45° gegen die Unterlage in die Höhe und schiebt 
die bis dahin verdeckten, letzten, nicht ganz behaarten Leibes- 
segmente vor. An den beiden Seiten dieser letzten Segmente 
erscheint je eine prall, mit gelblicher Flüssigkeit sich füllende 
Blase, die, sobald das Postabdomen der Unterlage wieder ge- 
nähert wird, durch eine quer gestellte Einschnürung sich ein- 
buchtet. Mit der völligen Senkung des Hinterleibes werden die 
Blasen ganz eingezogen, bei der Hebung wieder hervorgestossen. 
Endlich, wie nach langen Wehen, fährt das fingerförmige letzte 
Leibessegment wie tastend auf der Unterlage hin; die Blasen 
und nach ihnen die letzten Leibessegmente werden eingezogen 
und verschwinden in dem behaarten äussersten Theile des Post- 
abdomen; das Ei tritt hervor und haftet fest an der Unterlage, 
wo es durch das jedes Ei einhüllende Secret der Kittdrüsen an- 
geklebt wird. 

Gelegentlich kommt es vor, dass das Klebemittel der Kitt- 
drüsen nicht ausreicht und die letzten Eier nicht befestigt 
werden; sie rollen dann auf dem untergelegten Blatt umher, 
während normal befestigte Eischalen auch nach dem Auskriechen 
der Räupchen noch fest an der Stelle haften, wo sie zuerst ab- 
gesetzt worden waren. 

Den Bericht über meine Versuche lasse ich hier folgen. 


A. Bombyx mori. 


1. Ein grosser Cocon wird am 8. Juli 1897 in ein ver- 
schliessbares Kästchen aus Zinkboden und feinmaschigen Draht- 
geflechtwänden gebracht. Am 20. Juli kriecht ein weiblicher 
Schmetterling aus dem Cocon, fängt am 21. Juli an zu legen; 
am folgenden Tage sind erst 20 Eier abgesetzt; am 23. Juli und 
an den darauffolgenden Tagen setzt das Weibchen das Lege- 
geschäft fort und verendet am 3. August. Von den abgesetzten 
257 Eiern sind am 3. August 2 Stück grau und 3 Stück ge- 


468 M. Nussbaum: 


sprenkelt. Die übrigen Eier sind noch gelb; alle zeigen die cen- 
trale Delle. Der Cocon enthält eine leere Puppenhülle. Begat- 
tungs- und Samentasche des Weibchens sind frei von Samen- 
fäden. 

Die Eier werden am 10. August auf dem mit den nöthigen 
Notizen versehenen, breit zusammengerollten und verschnürten 
Papier in einen frostfreien Keller gebracht, wo auch die später 
gewonnenen Eier überwinterten. Als die Eier am 6. Juni 1898 
wieder in mein Arbeitszimmer gebracht wurden, waren einige 
wenige noch gelb, die übrigen bei auffallendem Licht rosa 
schimmernd; schräg beleuchtet dagegen schmutzig-grau. 

Ausgekrochen 0°/,. 

2. Dem am 8. Juli unter Verschluss genommenen Cocon 
entschlüpft am 22. Juli ein weiblicher Schmetterling, der bis zum 
24. Juli 7 Uhr Morgens 125 Stück Eier gelegt hat. Nachdem 
die auf dem untergelegten glatten Papier haftenden Eier (Por- 
tion a) entfernt sind, wird der Schmetterling auf ein neues Blatt 
Papier mit einem in der Nacht zum 24. Juli ausgekrochenen 
Männchen zusammengebracht und wieder unter Verschluss genom- 
men. Die Copula beginnt sofort und wird öfters wiederholt. Die 
abgelegten Eier (Portion b) werden entfernt, und die in Copu- 
lation befindlichen Schmetterlinge am 26. Juli 11 Uhr Morgens 
auf einem nenen Blatt Papier wieder in den verschliessbaren 
Kasten gebracht. Um 6 Uhr Abends sind die Schmetterlinge 
getrennt; das Weibehen hat wieder Eier gelegt. Am 27. Juli 
Morgens 7 Uhr sind die Schmetterlinge wieder in Copulation, 
die um 8 Uhr gelöst und bis zu dem am 30. Juli erfolgten 
Tode des Männchen nicht mehr wiederholt wird. Das am 
31. Juli getödtete Weibehen hat gänzlich leere Eierstöcke; seine 
Begattungs- und Samentasche sind mit Spermatozoen erfüllt. Der 
Cocon enthält nur eine Puppenhülle. Die abgelegten Eier, Por- 
tion e, werden am 10. August 1897 mit der Portion b in den 
Keller gebracht und dort bis zum nächsten Frühjahr bei einer 
Temperatur von ungefähr 7° C. aufbewahrt. 

Die Eier verhielten sich folgendermaassen. 

Portion a enthielt 125 Stück. Die Eier zeigten vom 26. Juli 
an eine eentrale Delle, blieben ohne Ausnahme gelb. Am 10. August 
wurden alle mit Ausnahme von 3 Stück in Wasser von 45° C. 
getaucht. Am 26. August waren alle Eier gelb und hatten eine 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 469 


centrale Delle. Eine Entwicklung trat nicht ein. Im Tag und 
Nacht geheizten Zimmer überwinterten sie und fingen Mitte 
April 1898 an zu vertrocknen. 

Ausgekrochen O°/,. 

Portion b zählte 104 Eier, die bis zum 28. Juli fast alle 
grau gefärbt waren; nur 3 Eier blieben gelb. Nach der Ueber- 
winterung bei einer Temperatur von 7° C. krochen von den auf 
dem Blatte am 8. Juni vorhandenen 87 Stück Eiern 61 Stück 
aus, 26 jedoch nicht, obschon mit Ausnahme von 3 Eiern alle 
schön blau gefärbt waren und in gewöhnlicher Weise auf der 
Mitte der Oberfläche eine Vertiefung zeigten. 

17 Eier müssen mangelhaft aufgeklebt gewesen und beim 
Verbringen in den Keller oder beim Heraufholen aus dem breit 
gerollten und verschnürten Papier verloren gegangen sein. 

Ausgekrochen 71°/, (bezogen auf den Rest von 87 Stück). 

Portion e nicht genau gezählt; in den Notizen auf ungefähr 
100 geschätzt. Am 3. August sind nur 23 Eier gelb, 3 leicht 
gesprenkelt. Die Eier werden wie Portion b überwintert. Bei 
dieser Portion muss die Anheftung der Eier noch mangelhafter 
gewesen sein als bei Portion b, da im Juni 1898 nur 21 Stück 
blaugrauer Eier zurückgeblieben sind, aus denen 15 Raupen aus- 
kriechen. 

Ausgekrochen 70°/, (bezogen auf den Rest von 21 Stück). 

Während also von den unbefruchteten anfangs gelegten 
Eiern kein einziges zur Entwicklung kam, da alle Eier gelb 
blieben, entwickelten sich die nach der Begattung des Weibchen 
abgesetzten Eier zum grössten Theil. Von den 104 in Portion b 
enthaltenen blieb die Entwicklung nur bei 3, von dem Rest der 
in Portion e enthaltenen bei 26 Eiern aus. Zum Auskriechen 
kamen im Ganzen, obschon viele befruchtete Eier verloren 
gingen, 76 Stück. Die Zahl der ausgekrochenen Raupen lässt 
sich einfach aus der Veränderung der Eierschalen entnehmen. 
Entwickelte Eier sind blaugrau und haben eine centrale Delle. 
Beim Auskrichen benagt die Raupe eine Langseite der Schale, 
die als weisses plattes Oval mit schwarz berändertem, an einer 
Längsseite befindlichem Loch auf der Unterlage festgeheftet 
bleibt; die in den ersten Tagen nach der Eiablage an der 
Schalenoberfläche sichtbar gewordene Delle bleibt erhalten. Un- 
entwickelte Eier vertrocknen zu unregelmässig gestalteten Näpf- 


470 M. Nussbaum: 


chen. Man kann die Beweisstücke der Versuche demgemäss wie 
ächte Akten und ohne grosse Mühe aufbewahren. 

3. Wie sich erst im Verlauf des Versuchs ergab, enthielt 
dieser dritte in einen verschliessbaren Kasten verbrachte Cocon zwei 
Schmetterlinge. Die Art der Einspinnung ist in solchen Fällen 
nicht immer dieselbe. Oft liegen zwei Puppen in der Höhle eines 
einfachen Cocons; oft aber auch, wie in diesem Versuche, sind 
die Puppen durch eine Scheidewand von einander getrennt. 

Das Weibchen flog am 23. Juli aus, hatte bis zum Morgen 
des 24. Juli 9 Eier gelegt und war in Copula mit dem inzwischen 
aus der anderen Abtheilung des Cocons ausgekrochenen Männ- 
chen. Bis zum Morgen des 26. Juni hat das Weibchen seine 
Eier abgesetzt; es wird am 3. August getödtet und zeigt Eier- 
stöcke leer, Begattungs- und Samentasche von Samenfäden 
erfüllt. 

Von den gelegten Eiern sind am 3. August 1897 mit Aus- 
nahme von 40 Stück alle grau. Unter den 40 Eiern sind 32 
gelb, 8 grau gesprenkelt. Nach dem Ueberwintern sind die Eier 
mit Ausnahme von 40 blaugrau. Nach dem 10. Juni 1895 sind 
300 Raupen ausgekrochen und 66 Eier uneröffnet zurückgeblieben. 

Ausgekrochen 82°/,. 

4. Das in dem verschliessbaren Kasten aus dem Cocon am 
24. Juli ausgekrochene Weibehen legt bis zum Morgen des 
26. Juni ungefähr 150 Eier; es stirbt am 28. Juli; in seinen Ei- 
röhren sind noch reife Eier mit der Schale vorhanden. Begat- 
tungs- und Samentasche sind leer. Der Cocon enthält nur eine 
Puppenhülle. Die Eier sind am 7. August 1897 gelb mit Aus- 
nahme von 7 grau gesprenkelten. Von den überwinterten Eiern 
wird kein einziges blaugrau. 

Ausgekrochen 0°/,. 

5. Das vor dem Auskriechen aus dem Cocon isolirte Weib- 
chen legt vom 26. bis zum 29. Juli 1897 im Ganzen 41 Eier 
und wird dann getödtet. Die Eierstöcke sind rosenkranzartig mit 
gelben hartschaligen Eiern gefüllt; Begattungs- und Samentasche 
dagegen frei von Samenfäden. Von den gelegten und gleich 
den aus den anderen Versuchen überwinterten Eiern ist Keine 
einzige Raupe erzielt worden; kein einziges Ei war blaugrau 
geworden. 

Ausgekrochen 0°/,. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 471 


6. Ein grosser Cocon wird am 9. Juli 1897 in einen luftigen, 
verschliessbaren Kasten gebracht. Der am 24. Juli ausgekrochene 
weibliche Seidenspinner hat bis zum 26. Juli 24 Eier gelegt. 
Um 10 Uhr Morgens wird er an demselben Tage unter Verschluss 
mit einem Männchen zusammengebracht. Die Begattung erfolgt 
sofort und ist am Abend 6 Uhr 30 Minuten noch nicht beendet. 
Am folgenden Morgen (27. Juli, 8 Uhr) sind die Schmetterlinge 
wieder vereinigt. Das Weibchen hat aber inzwischen 32 neue 
Eier abgesetzt. Auch am 28. Juli befinden sich die Thiere in 
Copulation. Inzwischen hat das Weibchen wieder einige Eier 
gelegt. Vom 29. Juli an ist eine weitere Copulation nicht beob- 
achtet worden. Nachdem das Weibchen im Ganzen etwa 380 
Eier abgelegt hat, werden die Schmetterlinge am 30. Juli ge- 
tödtet. Die Eierstöcke des Weibchen sind leer, Begattungs- und 
Samentasche mit Sperma gefüllt. 

Von den überwinterten Eiern sind im Juni 1898 28 ver- 
trocknet. Ausgekrochen sind ungefähr 350 Raupen, zwei sind 
beim Auskriechen, noch halb in der Schale steckend, zu Grunde 
gegangen. 

Ausgekrochen 91°/,. 

Von der Gesammtsumme der gelegten Eier waren aber 24 
unbefruchtet abgelegt worden. Diese hatten bis zum 3. August 
1397 keine Entwicklung gezeigt, so dass der Verlust an befruch- 
teten Eiern, die bis zum 3. August 1897 schön grau gefärbt 
waren, verschwindend klein ist. 

7. Dieser Versuch scheiterte daran, dass die Puppe im 
Cocon nicht zur Entwicklung kam und vor der Verwandlung 
abstarb. 

8. Ein grosser Cocon wird isolirt und am 9. Juli 1897 in 
einen verschliessbaren Kasten gebracht. Da der Cocon am 
3. August, also fast vier Wochen später, nicht weiter verändert 
war, als dass an einem Pole die Flüssigkeit durchsickerte, die 
sonst am Flugloch haftet, so wird der Cocon eröffnet. In einer 
einzigen Höhle liegen zwei Weibehen und abgelegte Eier. Einige 
Eier waren grau gesprenkelt, die meisten gelb. Ausgekrochen 
ist keine Raupe. 

Die folgenden Versuche sind im Laufe des Jahre 1898 
angestellt worden, um die Angaben Tichomiroff’s über den 
Einfluss des Eintauchens in Wasser von 45° auf die Weiterent- 


472 M. Nussbaum: 


wicklung der Eier des Seidenspinners zu untersuchen. Die Mög- 
lichkeit, durch künstliche Nachhülfe auf irgend einem beliebigen 
Wege die unbefruchteten Eier bis zur Entwicklung fertiger Rau- 
pen weiter zu züchten, wird zwar von Verson, wie schon an- 
geführt wurde, bestritten. Aber man man muss doch bedenken, 
dass an sicher unbefruchteten Eiern die Entwicklung bis zu einem 
gewissen Grade fortschreitet, wie die Angaben Herold’s auf 
das Unzweifelhafteste darthun. Es wäre demgemäss denkbar 
gewesen, dass das von Tichomirow angegebene Mittel in irgend 
einer Weise auf das virtuell entwieklungsfähige Ei so vortheil- 
haft einwirke, dass die Entwicklung bis zum normalen Ende, 
d.h. bis zum Auskriechen von Raupen weitergeführt würde. 

Schon im vorigen Jahre wurde ein derartiger Versuch mit 
unbefruchteten Eiern gemacht (siehe pag. 468). Da das Resultat 
nicht den Erwartungen entsprach und die Abhandlung Tieho- 
mirow’s nicht im Buchhandel zu haben ist, so wandte ich mich 
an den Autor um Auskunft, zu welcher Zeit er das Eintauchen 
der Eier vorgenommen habe. Ich erhielt in liebenswürdigster 
Weise die Antwort, dass die erfolgreichen Experimente haupt- 
sächlich mit Eiern aus der ersten halben Stunde nach der Ablage 
gemacht worden seien. Dies bestimmte mich, die Versuche zu 
wiederholen, da zu dem einzigen, den ich bis dahin gemacht 
hatte, 14 Tage alte Eier benutzt worden waren. 

Die Aufgabe, mit frisch gelegten Eiern zu experimentiren, 
complieirt natürlich den Versuch ungemein, da, wie schon ange- 
geben, die unbegatteten Weibchen nicht in einem Zuge die Eier 
absetzen und die Geduld des Beobachters auf eine harte Probe 
stellen. 

Die Versuche wurden unter den angegebenen Vorsichts- 
maassregeln wie die früheren angestellt, so dass sowohl nach 
der Art der Aufzucht, als auch durch die anatomische Unter- 
suchung der Geschlechtsorgane volle Sicherheit gewährleistet 
wurde, an begatteten oder unbegatteten Weibehen experimentirt 
zu haben. 

Hatte ein Schmetterling eine kleine Portion Eier gelegt, 
so wurden sie nach Tiehomirow's Angabe in Wasser von 
45° getaucht und dem Schmetterling ein neues Papier zum An- 
kleben der nächsten Eier untergelegt. Die Kasten wurden nach 
Entnahme der Eier sofort wieder verschlossen. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 473 


9. Aus dem unter Verschluss genommenen Cocon ist am 
26. August 1898 früh ein weiblicher Schmetterling ausgekrochen. 
Bis zum Abend ist noch kein Ei abgesetzt worden; am anderen 
Morgen früh finden sich 8 gelbe Eier, von denen 7 Stück auf 
eine Secunde, das achte für eine halbe Minute in Wasser von 
45° C. getaucht werden. Von den 7 nicht weit von einander 
gelegenen Eiern blieben gelb sechs Stück; eins war am 30. August 
bräunlich verfärbt und zeigte am 1. September an einem Pole 
eine dunkle Sprenklung. Bis zum 15. September ist keine weitere 
Veränderung aufgetreten. Das in einer Ecke weit ab von den 
übrigen gelegene und länger in das warme Wasser eingetauchte 
Ei verfärbt sich am 1]. September, wird am 2, September grau 
und vom 5. September an gesprenkelt; in dem grauen Grundton 
treten dunkle Punkte auf. Eine weitere Veränderung hat nicht 
stattgefunden. 

Die zweite Portion Eier legte der Schmetterling, nachdem 
er am 27. August 1898, Morgens 9 Uhr, auf ein neues Blatt 
Papier gesetzt worden war, in der Zeit von 2 Uhr bis 8 Uhr 
Abends. Um acht Uhr wird der Schmetterling auf ein neues 
Blatt gebracht, die abgesetzten 29 gelben Eier für eine Secunde 
in Wasser von 45° getaucht. Von dieser zweiten Portion wird 
am 1. September ein Ei an einem Pole gesprenkelt und macht 
bis zum 13. September keine weiteren Fortschritte. Die übrigen 
Eier bleiben sämmtlich gelb. 

Die Ablage der dritten Portion Eier wurde direet beobachtet. 
Von Abends 8 Uhr 15 Minuten bis 8 Uhr 45 Minuten legte der 
Schmetterling in gleichen Zeitintervallen vier Eier, die, sobald 
das letzte an der Unterlage festgeheftet war, nach Entfernung 
des Weibehen eine Seeunde lang in Wasser von 45° getaucht 
wurden. Alle Eier blieben bis zum 13. September unentwickelt 
und gelb, trotzdem sie innerhalb der ersten halben Stunde nach 
der Ablage eingetaucht worden waren. 

Die vierte Portion Eier legte das Weibchen von 8 Uhr 
45 Minuten am 27. August 1898 Abends bis zum folgenden 
Nachmittag 5 Uhr 30 Minuten und zwar von 8 Uhr 45 Minuten 
bis 8 Uhr 52 Minuten ein Ei, von da bis 9!/, Uhr keine und 
dann bis 10'!/, Uhr noch zwei Eier. Am anderen Morgen 7 Uhr 
fanden sich sechs Eier vor. Bis 3'/, Uhr Nachmittags erschien 
kein weiteres Ei; dann aber bis 4 Uhr 50 Min. 14 Stück und 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 Sq 


474 M. Nussbaum: 


bis 5'/, Uhr noch vier Eier. Da die Eier zu den verschiedenen 
Zeiten an weit genug von einander entfernten Stellen auf dem 
Papier festgeklebt waren, so konnte ihr Alter durch Bleistift- 
notizen kenntlich gemacht werden. Das Weibchen wurde um 
51/, Uhr auf ein neues Blatt gesetzt und wie vorher auch wieder 
unter Verschluss genommen. Die ganze Portion von 24 Eiern 
wurde dann um 5 Uhr 32 Minuten für eine Secunde in Wasser 
von 45° C. eingetaucht. Obwohl die Eier zum Theil in der letzten 
halben Stunde gelegt und alle keinen ganzen Tag alt waren, 
trat bis zum 13. September 1898 keine Veränderung an ihnen 
auf; alle blieben gelb, wenn auch am 1. September, also nach 
vier Tagen, die centrale Delle deutlich ausgeprägt war. 

Die letzten 18 Eier dieser Portion waren im Laufe von 
2 Stunden abgesetzt worden, so dass, wie das auch bei den Eiern 
der dritten Portion beobachtet wurde, ein Ei dem anderen in 
einem Zwischenraum von etwa 7 Minuten folgte. Die Ablage 
erfolgte somit zögernd, und wenn sie in Gang gekommen war, 
wurden immer nur wenige Eier in einem Zuge abgesetzt. 

Die fünfte Portion wurde nicht in Wasser eingetaucht. Von 
51/, Uhr Nachmittags des 28. August 1898 bis zum folgenden 
Morgen 8 Uhr waren 19 Eier gelegt worden; nach 1 Uhr bis 
4 Uhr Nachmittags weitere 34 Eier und bis 7 Uhr noch 3 Eier. 
Unter diesen 56 Eiern wurde am 2. September ein Ei und am 
3. September noch ein Ei grau gesprenkelt. Weitere Entwieklung 
dieser Eier trat nieht ein; die übrigen blieben gelb mit eentraler 
Delle, gänzlich unentwickelt. In der Zeit vom 29. August Abends 
7 Uhr bis zum Morgen des 31. August 7 Uhr setzte der Schmet- 
terling noch 65 Eier ab. Von diesen 65 Eiern blieben 61 gelb, 
nur die centrale Delle zeigte sich am 1. September an ihnen; 
zwei Stück wurden gesprenkelt und zwei andere homogen grau 
verfärbt, ohne aber bis zum 13. September die Tiefe der Färbung 
und die Beimischung von Blau zu zeigen, wie sie den normal 
entwickelten Eiern dieser Stufe zukommt. 

Von den im Ganzen bis dahin abgelegten 186 Eiern hatten 
somit im Ganzen nur neun Eier eine gewisse Veränderung gezeigt, 
deren Bedeutung später besprochen werden soll. 

Nachdem das Weibchen nunmehr 5 Tage alt geworden 
war und sicher die Hälfte seiner Eier abgesetzt hatte, wurde es 
mit einem höchstens 1'/, Tage alten Männchen zusammengebracht, 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 475 


Dieses Männchen hatte am ersten Tage nach dem Auskriechen 
ein anderes Weibchen erfolgreich begattet, so dass, wie die Ver- 
suche zeigen, ein Männchen nicht allein mit demselben Weibchen 
öfter copulirt, sondern auch mehr als ein Weibchen erfolgreich 
begatten kann. 

Die beiden Schmetterlinge werden am 31. August 1898, 
Morgens 7 Uhr 30 Min. zusammengebracht und unter Verschluss 
genommen. Die Copulation erfolgt fast augenblicklich, obwohl 
das.Männchen mit dem vorher zur Paarung benutzten Weibehen 
nicht vereinigt gewesen war. Die Copulation dauert bis 1 Uhr 
40 Minuten Mittags. Das Männchen wird entfernt und getödtet. 
In der Zeit von 3 bis 5 Uhr Nachmittags legt das Weibchen 
46 Eier; es gebraucht also zur Ablage des einzelnen nicht 
ganz 3 Minuten. Die Eier werden aber nur zu einem kleinen 
Bruchtheil festgeklebt, so dass man annehmen könnte, um 
diese Zeit sei der Vorrath der Kittdrüse erschöpft gewesen. 
Es wird sich jedoch später zeigen, dass das Verstreuen 
der Eier einen anderen Grund hat. Das Weibchen lebt am 
3. September 1898 noch, ist also acht Tage alt geworden. Seine 
Eierstöcke erweisen sich bei der anatomischen Untersuchung ganz 
leer. Die Begattungs- und Samentasche sind von Samenfäden 
erfüllt. In dem Cocon steekt nur eine leere Puppenhülle. Von 
den 46 nach der Begattung abgesetzten und meist nicht festge- 
klebten Eiern sind 13 Stück bis zum 13. September gelb geblieben. 
Von den übrigen 33 entwickelten sind 30 der Entwicklungsstufe 
entsprechend gefärbt, drei aber nur grau gesprenkelt. 

10. Aus dem am 16. August 1898 unter Verschluss genom- 
menen Cocon kriecht am 30. August ein Weibchen aus, das bis 
zum andern Morgen 10 und bis zum Nachmittag des ersten Sep- 
tember im Ganzen 30 Eier, bis zum 3. September Morgens 
9 Uhr in Summa 90 Eier gelegt hat. Nur etwa die Hälfte der 
Eier haftet an der Unterlage. Bis zum 13. September sind alle 
Eier noch gelb mit eentraler Delle; nur drei sind grau gesprenkelt. 
Bei der anatomischen Untersuchung des am 3. September ge- 
tödteten Weibchen enthalten die Eierstöcke noch reichlich hart- 
schalige gelbe Eier; die Begattungs- und Samentasche sind frei 
von Spermatozoen. Der Cocon enthält nur eine leere Puppenhülle. 

11. Ein am 1. September 1898 6 Uhr Abends aus einem 
am 16. August unter Verschluss genommenen Cocon ausgekro- 


476 M. Nussbaum: 


chenes Weibchen hat erst in der Nacht vom 3. auf den 
4. September 3 Eier gelegt, bis zum 5. September Morgens 12, 
bis zum 6. September 22 Eier, bis zum 7. September 55 Eier, einen 
Tag später im Ganzen 53 Eier; am 10. September zählte ich 
132 Eier, am 13. September 242 Eier. Das Weibchen lebte noch. 
170 Eier hafteten nicht auf der Unterlage, nur 1 Ei war ge- 
sprenkelt, alle anderen waren gelb. _Am 13. September 1 Uhr 
Mittags wird der Schmetterling auf eine neue Unterlage gesetzt 
und wieder unter Verschluss genommen. Gegen 2 Uhr Mittags 
ist ein Ei halb aus der Vagina hervorgetreten, die aber nicht der 
Unterlage aufruht, sondern horizontal frei in die Höhe gehalten 
wird. Das Ei ist um 3 Uhr noch nicht weiter gerückt und wird 
mit einer scharfen Scheere quer durchschnitten, um so leichter 
durch die fortwährend arbeitende Bauchpresse des Thieres ent- 
fernt zu werden. Der Eirest ist aber um 5!/, Uhr noch nicht 
entfernt. Am 14. September Morgens 7 Uhr ragt ein neues Ei 
aus der Vagina hervor und die vertrocknete Schalenhälfte des 
am Tage zuvor durchschnittenen Eies klebt dorsal an der Vagina 
fest. Am folgenden Morgen setzt das Thier zwei Eier ab; das 
zuerst gelegte ist nicht an der Unterlage festgeklebt. Dieses Ei 
war aber schon den ganzen vorigen Tag zur Hälfte aus der 
Vagina hervorgetreten. Das letzte Ei haftet dagegen am Papier 
fest. Dadurch wird auch erklärt, weshalb so viele Eier lose um- 
hergestreut sind. Das Secret der Kittdrüse fehlt nicht, wie man 
annehmen könnte, sondern erhärtet bei dem lang hingezogenen 
Legeakt an der Luft, ehe das Ei die Vagina ganz verlassen hat. 
Der Schalenrest des am 13. September durchscehnittenen Eies klebt 
am 19. September noch dorsal an der Vagina fest. Das Weib- 
chen selbst lebte noch am 18. September Abends; es lag am 
folgenden Morgen todt in dem Kästchen, war also 18 Tage alt 
seworden und hatte im Laufe von 12 Tagen im Ganzen 242 Eier 
abgesetzt, beginnend mit dem 3. Tage nach dem Ausschlüpfen. 
In den letzten 3 Tagen war kein Ei gelegt worden. Von dem 
ganzen Gelege sind am 19. September nur zwei Eier grau ge- 
sprenkelt; die übrigen sind, wie das gewöhnlich der Fall ist, 
etwas dunkler gelb, als gleich nach der Ablage. 

In dem Cocon steekt nur eine Puppenhülle. Die Eierstöcke 
des seeirten Thieres enthalten noch 18 reife, hartschalige, gelbe 
Eier. Begattungs- und Samentasche sind frei von Samenfäden. 


Zur Parthenozenese bei den Schmetterlingen. 477 
> oO 


In dem doppelhörnigen Reservoir der Kittdrüsen ist, wie sich 
nach Aleoholzusatz ergiebt, noch reichlich Seeret vorhanden. Die 
Kittsubstanz ist im frischen Organ so durchsichtig, dass sie sich 
von der durchsichtigen Hülle nicht abhebt. In Alcohol gerinnt 
sie, wird weiss und zieht sich von der Wand zurück. 

12. Ein in Paarung begriffenes und über Nacht aus- 
geschlüpftes Weibehen und Männchen werden am Morgen des 
30. August 1898 isolirt. Die Thiere sind am Abend noch nicht, 
wohl am folgenden Morgen getrennt. Das Männchen dient dann 
zu Versuch 9, Abth. 6 (pag. 475). Das begattete Weibchen bleibt 
unter Verschluss und legt am 31. August nach 5!/, Uhr bis 
9 Uhr Abends 235 Eier, die sich regelmässig weiter entwickeln. 
Nur zwei Stück bleiben gelb, während die anderen am 4. September 
hellrehbraun, am 5. September dunkler mit einem Stich ins Blaue 
und am 13. September blaugrau sind. Bis zum 1. September 
6 Uhr Abends werden noch 30 Eier gelegt, die sich mit Aus- 
nahme von zwei grau gesprenkelten regelmässig weiter entwickeln. 
Vom 1. September 6 bis 9!/, Uhr Abends erscheinen noch 33 
Eier, die sich regelmässig entwickeln. Bis zum 3. September 
bleibt das Weibchen amı Leben und legt noch 11 Eier, von denen 
3 bis zum 13. September gelb bleiben, während die übrigen 
normalerweise um diese Zeit schon blaugrau sind. 

Bei der anatomischen Untersuchung des am 3. September 
abgetödteten Weibehen fanden sich noch einige Eier in den Eier- 
stöcken und viele Spermatozoen in der Begattungs- und Samen- 
tasche. Von den 309 abgelegten Eiern sind nur sieben in der 
Entwicklung zurückgeblieben. 

Zieht man die Summe aus diesen Versuchen, so haben sich 
von den 1102 beobachteten, unbefruchteten Eiern im Ganzen 22 
Stück, also ungefähr 2°/, bis zu einem gewissen Punkte ent- 
wiekelt, während von 1260 befruchteten Eiern sich im Ganzen 
1190 Stück, also 94,5°/, entwickelten. Die unbefruchteten Eier 
lieferten keine Raupen, während aus den befruchteten, soweit bis 
jetzt beobachtet, von 70 bis zu 91°/, lebensfähige Raupen erzielt 
wurden. Das Resultat muss um so augenfälliger die Verschiedenheit 
befruchteter und unbefruchteter Eier darthun, als in .den meisten 
Versuchen dasselbe Weibehen zu Anfang unbefruchtete und erst 
nach zwei bis fünf Tagen befruchtete Eier gelegt hat. Die un- 
befruchteten Eier gingen alle zu Grunde, aus den befruchteten 


478 M. Nussbaum: 


krochen im folgenden Frühjahr die Raupen aus. Die Lebens- 
bedingungen, die Art der Aufbewahrung der Eier während des 
Winters waren in allen Versuchen dieselben gewesen. 

Die ganze von mir in vereinzelten Fällen beobachtete Ent- 
wicklung unbefruchteter Eier bestand in einer grauen Spren- 
kelung des Eies. Die mikroskopische Untersuchung soleher Eier 
ergab, dass sich ein aus pigmentirten Zellen zusammengesetztes 
Chorion und eine kleine Embryonalanlage gebildet hatte, dass 
also der Furchungsprozess eingeleitet worden war. Es ist über- 
flüssig besonders zu betonen, dass in den grau oder graublau 
verfärbten Eiern die Entwicklung des Embryo weiter verfolgt 
werden konnte, da aus solchen Eiern im Frühjahr die Raupen 
auskrochen. Dagegen konnte an den gelb gebliebenen Eiern 
auch nach vierzehn Tagen noch keine Furchung nachgewiesen 
werden, 


B. Porthesia chrysorhoea. 

Die Versuche sind unter denselben Vorsichtsmaassregeln 
wie die vorigen angestellt worden. Von den eingesponnenen 
Puppen wurden 5 Stück vorsichtig aus dem Cocon befreit, um 
das Geschlecht derselben bestimmen zu können, und jede der 
weiblichen Puppen in einen verschliessbaren Kasten gebracht, wie 
sie zu den Versuchen am Bombyx mori gedient hatten. Nebenher 
wurden mehrere Paare isolirt, und der Rest der ganzen Zucht 
ohne weitere Auswahl aufbewahrt. 

Anfangs Juli 1898 krochen die Schmetterlinge aus. Die 
unbegatteten Weibehen legten viel später als die begatteten und 
dann nur einige Eier. Während die Eierschwämme der begat- 
teten Weibehen eine gestreckte Zungenform haben, sind die der 
Jungfernschmetterlinge unregelmässig. Das begattete Weibchen 
macht einen Schwamm und setzt alle Eier darin ab; das unbe- 
gattete liefert kleine Schwammbruchstücke und hält die meisten 
Eier nach seinem Absterben in den Eiröhren zurück. Das Recep- 
taculum seminis der unbegatteten Weibchen enthält keinen Samen. 
In den unbefruchteten Eiern ist keine Entwicklung aufgetreten, 
der Dotter blieb ungefurcht. Aus den befruchteten Eiern krochen 
vom 2. August an lebende Raupen aus; die unbefruchteten Eier 
enthielten auch um diese Zeit noch flüssigen ungefurchten Dotter. 


Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 479 


(6. Liparis dispar. 

Durch die Güte des Herrn Frings, eines ausgezeichneten 
Bonner Entomologen, erhielt ich zu Anfang Juli dieses Jahres 
etwa 100 grosse Raupen von Liparis dispar. Bei gutem Futter 
trat gegen den 20. Juli die Verpuppung ein. Einzelne als Puppen 
isolirte Weibchen krochen in den verschlossenen Kästchen am 
30. Juli aus; die meisten erst bis zum 5. August. Durch geeig- 
nete Auswahl verblieben unter den verpuppten Raupen nur drei 
Männchen zurück, die sich auch zu Schmetterlingen entwickelten, 
der Vorsicht halber aber in einem von den zu den Versuchen 
über die Parthenogenese benutzten weit entfernten Zimmer gleich- 
falls unter Verschluss gehalten wurden. 

Sicher unbefruchtete Weibchen habe ich im Ganzeu 29 zu 
Versuchen verwandt. In 5 verschlossenen Kästchen wurde je eine 
weibliche Puppe zum Auskriechen gebracht, der Schmetterling 
bis zum Tode gehalten und sein Gelege aufbewahrt. In einem 
Versuche waren 2, in einem anderen 6 und in einem letzten 16 
weibliche Puppen in verschliessbaren Kästchen ohne Zusatz von 
Männchen isolirt. Bei der Section der Weibchen waren die 
Genitalorgane frei von Samenfäden: die Eiröhren enthielten 
auch in den eines natürlichen Todes gestorbenen Weibchen stets 
viele reife Eier. 

Auch hier war, wie bei Porthesia chrysorhoea, der natür- 
liche Kunsttrieb zur Anfertigung eines schildförmigen Schwammes 
in Folge der ausgebliebenen Begattung gestört, das Legegeschäft 
in die Länge gezogen; ebenso wurden, wie schon gesagt, bei Wei- 
tem nicht alle Eier abgesetzt. Der Schwamm hatte niemals die 
typische Form, wie er von begatteten Weibchen gefertigt wird. 
Meist zupften die jungfräulichen Thiere die Afterwolle, ohne dass 
sie zusammenhielt; hier und da war ein Ei darin eingewickelt; 
viele Eier rollten aber auch frei zu Boden. Kam es zur Bildung 
eines Schwammes, so war er abgeplattet und anstatt einheitlich 
zu sein, in mehrere von einander räumlich getrennte Theilstücke 
zerlegt. Da alle Versuche in gleichem Sinne ausfielen, so sollen 
nur einige derselben hier mitgetheilt werden, um die Unterschiede 
gegen die mit begatteten Weibchen angestellten zeigen zu können. 

1. Eine unter Verschluss genommene Puppe von Liparis 
dispar kriecht am 30. Juli 1898 als Schmetterling aus und hat 
am 31. Juli wenige Eier lose abgesetzt. Die abgezupfte After- 


4850 M. Nussbaum: Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. 


wolle fliegt auf leichten Luftzug hin und her. Das Thier ist am 
3. August todt. Die Mehrzahl der fertigen, hartschaligen Eier 
liegen in den Eiröhren. Die Samenblase ist leer. Bei Unter- 
suchung einiger Eier am 14. August 1898 zeigt sich, dass keine 
Furchung eingetreten ist; am 19. September d. J. sind die Eier 
geschrumpft; jede Entwicklung fehlt. 

2. Zu einem am 31. Juli ausgekrochenen Weibchen, das 
noch keine Eier gelegt hat, wird am 1. August ein Männchen 
gebracht. Als das Männchen am 2. August entfernt wird, hat 
das Weibehen schon einen grossen schildförmigen Eierschwamm 
begonnen und ist noch mit Eierlegen beschäftigt. Als das Weib- 
chen am 4. August getödtet wird, sind die Eierstöcke ganz leer; 
die Bursa copulatrix voll unbeweglicher Samenfäden. Die Eier 
enthalten schon bei der Untersuchung am 14. August Embryonen 
am 30. August messen die pigmentirten Räupchen 3,25 mm, 
haben Haarkleid, Beine und Kiefer entwiekelt und wachsen ent- 
sprechend weiter, wie eine nochmalige Untersuchung am 19. Sep- 
tember d. J. ergibt. 

Somit ist es in diesen Versuchen nur bei Bombyx mori in 
einer verschwindend kleinen Zahl von Fällen gelungen, eine bis 
zu einem gewissen Grade fortschreitende parthenogenetische Ent- 
wieklung der Eier zu beobachten. Die Möglichkeit des Vor- 
kommens der Parthenogenese, wie sie von älteren Beobachtern, 
namentlich Herold, behauptet wird, ist dadurch von Neuem 
wieder bestätigt worden. Vorläufig fehlt aber die Aussicht, 
durch weitere histologische Untersuchung unbefruchteter Eier von 
Schmetterlingen die Vorgänge kennen zu lernen, welche die Dif- 
ferenzirung des Geschlechts einleiten. 

Dafür ist der Procentsatz der unbefruchtet überhaupt nur 
zur Furehung gelangenden Eier zu gering. Es würde auch keine 
Möglichkeit zur praetischen Durchführung einer entwicklungsge- 
schichtliehen Untersuchung gegeben sein, selbst wenn, wie es 
einzelne Autoren behaupten, hin und wieder lebende Raupen aus 
unbefruchteten Eiern gewisser Schmetterlinge sich entwickelten, 

Die Zahl der günstigen Objeete ist also nicht vermehrt, 
wohl aber für den heutigen Stand unserer Kenntnisse begrenzt 
worden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine erneute Unter- 
suchung der Psychiden von Erfolg begleitet wäre. 


481 


Ueber Kopfhöhlenrudimente beim Menschen. 


Von 


K. W. Zimmermann, 
a. o. Professor der Anatomie in Bern. 


Hierzu Tafel XXII. 


Als ich an einem menschlichen Embryo von 3,5 mm N.- 
St.-L!) die Blutgefässe des Kopfes untersuchte, fielen mir auf 
der rechten Seite lateral von der Carotis interna und zugleich 
lateral von der Anlage der Rathkeschen Tasche etwas hinter der 
Augenblase in einer zellreicheren Gegend des Mesoderms, nahe 
dem Mundhöhlenepithel, drei scharf begrenzte kleine 
Lumina (s. Fig. 2) auf, von denen das vordere (ventrale) 
am grössten und etwas in die Länge gezogen (a), das hintere 
(dorsale) am kleinsten (e) erschien. Das mittlere (b) und das 
hintere waren rundlich. Erst dachte ich an Querschnitte von 
Blutgefässen, ein genaueres Studium der fraglichen Gebilde bei 
stärkerer Vergrösserung und die Verfolgung derselben durch die 
verschiedenen Schnitte hindurch belehrte mich jedoch bald eines 
Besseren. Zunächst constatirte ich, dass die Lumina allseits ge- 
schlossenen Bläschen angehörten. Die Wände derselben waren 
von epithelartigen Zellen begrenzt, welche peripher spitz aus- 
liefen. Der an der Bildung des Lumens betheiligte Abschnitt 
dieser Zellen war im Allgemeinen etwas breiter, doch wechselte 
die Breite und Länge bei den einzelnen Zellen sehr. Die Kerne 
lagen zum Theil in gleicher Höhe, doch fanden sich auch ver- 
schiedene aus der Kernreihe mehr oder weniger peripheriewärts 
herausgerückt. Dieselben gehörten schmäleren und längeren Zellen 


1) Kurz vor dem Einbetten gemessen. Der Embryo entspricht 
äusserlich ganz dem von Rabl einer Selbstmörderin 8 Stunden post 
mortem entnommenen 4 mm langen Embryo. Der Erhaltungszustand 
ist zwar nicht der allerbeste, da das Hirnrohr stark unregelmässig ge- 
faltet ist, doch sind die hier in Betracht kommenden Verhältnisse durch- 
aus gut erhalten und klar zu erkennen, so dass es ausgeschlossen er- 
scheint, dass die zu beschreibenden Gebilde etwa Kunstprodukte seien. 


482 K. W. Zimmermann: 


an. Mehrere weiter abliegende Zellen sandten noch einen ganz 
schmalen Fortsatz zwischen die übrigen Zellen hinein bis zum 
Lumen. Wieder andere von rein spindelförmiger Gestalt liessen 
den entspsechenden Fortsatz zwar zwischen die das Lumen begren- 
zenden Zellen hinein, aber nicht mehr bis zum Lumen selbst 
verfolgen. Alle drei Höhlen zeigten den gleichen Charakter und 
waren nur durch die Weite der Lumina verschieden. 

Als ich durch Verfolgen der Schnitte erkannt hatte, dass 
es sich um geschlossene Bläschen und nicht um Quer- 
schnitte von Kanälchen handelte, drängte sich mir mit Rücksicht 
auf die Lage und auf den Bau der Gebilde der Gedanke auf, 
dass es sich um kopfhöhlenähnliche Bildungen han- 
delte. Ausschlaggebend wurde der Umstand, dass ich auch 
auf der linken Seite genau an derselben Stelle 
ganz ähnliche Verhältnisse aufzufinden ver- 
mochte, femer dass bei Selachiern in derselben Gegend 
Augenmuskeln bildende Kopfhöhlen liegen, und dass bei einem 
menschlichen Embryo von T mm Länge in der gleichen Gegend 
ein grösserer, zellreicherer Bezirk sich vorfand, in welchem zwar 
keine Spur von Kopfhöhlen mehr nachweisbar war, im dem aber 
der Oeulomotorius, Trochlearis und Abducens sich verloren, so 
dass ich annehmen musste, die die Augenmuskeln liefernden 
Zellmassen seien aus den fraglichen Gebilden hervorgegangen. 

Nun lag der Gedanke nahe, dass in den drei kleinen 
Höhlen die drei entsprechenden Kopfhöhlen der Selachier zu 
suchen seien, aus denen sich die Augenmuskeln entwickeln, dass 
also die vorderste grosse Höhle die Oculomotoriusmuskulatur, die 
mittlere den M. obliquus superior, die hintere den M. reetus 
lateralis liefere. Diese Erwägung wurde aber durch den Befund 
auf der linken Seite zu niehte gemacht, da sich hier statt 
der dreiim Ganzen sieben kleinere Höhlen fan- 
den und zwar zwei grössere, drei mitlere und zwei kleinere. 
Dieser Befund konnte zwar an der Deutung der Gebilde als 
Kopfhöhlen nichts ändern, machte es jedoch zur Gewissheit, 
dass man nicht etwa in jeder der Kopfhöhlen 
eine einer bestimmten der Selachier entspre- 
chende vor sich habe, wenigstens nicht auf der linken 
Seite, dass man vielmehr in ihnen nur Reste von Kopf- 


Ueber Kopfhöhlenrudimente beim Menschen. 483 


höhlen zu sehen habe. Ob von einer oder von allen dreien, 
lässt sich noch nicht entscheiden. 

Noch ist zu bemerken, dass irgend welche röhrenförmige 
Reste in den Visceralbogen nicht aufzufinden waren. 

Ich habe auch einige andere Säugethierembryonen ent- 
sprechenden Alters auf Kopfhöhlenrudimente hin untersucht, jedoch 
bei keinem auch nur eine Andeutung von solchen gefunden, wo- 
mit ich jedoch durchaus nicht sagen möchte, dass dergleichen 
nur beim Menschen vorkäme. Vielleicht existiren die Bildungen 
nur kurze Zeit, und es standen mir nicht die richtigen Stadien 
zur Verfügung, oder das Auftreten derselben ist individuellen 
Schwankungen unterworfen!),. Es wäre sehr wünschenswerth, 
dass die Herren Fachgenossen, welche über eine grössere Zahl 
von Säugethierschnittserien verfügen, dieselben auf Kopfhöhlen- 
rudimente hin untersuchten. Ich bin überzeugt, dass wir dann 
bald über das Verhalten derselben bei den Säugern im Allge- 
meinen ins Klare kommen werden. 

Zum Schluss gebe ich noch einige Maasse der Höhlenlumina. 
Da die äusseren Contouren der Gebilde, wie die Fig. 2 zeigt, 
keine bestimmten sind, so lassen sich auch genaue Zahlen für 
die Gesammtgrösse nicht angeben. 

Rechts (drei Höhlen. Sie lagen annähernd in der gleichen 
Sagittalebene): 

[ grösster Längsdurchmesser des Lumens: 43 u 


= | „ Querdurehmesser 5 a 19 u 

[ grösster Durchmesser » n 16 u 

“ | kleinster = a 5 12 u 

2 grösster ” „ n Iu 
“ | kleinster 2 a 1,6 u 


N 
Links (sieben Höhlen. Die Reihenfolge der Buchstaben 
deutet an, wie die Gebilde von innen nach aussen aufeinander 
folgen; e und f lagen im gleichen Schnitt): 


a: Durchmesser des Lumens Yu 

b. = = 18 u 
grösster x ® 2 23,8 u 

© | kleinster " E > 13,4 u 


1) Ich besitze einen Eidechsenembryo, bei dem eine Höhle auf 
der einen Körperhälfte sehr schön entwickelt ist, auf der anderen aber 
vollständig fehlt und durch eine zellreichere Stelle vertreten wird. 


484 K. W. Zimmermann: Ueber Kopfhöhlenrudimente b. Menschen. 


d. Durchmesser des Lumens bu 

[ grösster ” 5 ® 18 u 
fi | kleinster = 2 5 4,4 u 
r | grösster 5 3 5 15 u 
“ | kleinster 2% a R u 
8: n n » 5,9 u 


Bern, den 10. Oktober 1898. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI. 


Fig. 1. Sagittalschnitt eines menschlichen Embryo von 3,5 mm N.- 
St.-L., die drei Kopfhöhlenrudimente der rechten Seite ent- 
haltend. 1. 2. 3. 4 erster, zweiter, dritter, vierter Visceral- 
bogen. 4A. Aorta; Al. Allantois; C. Herz: D, D, D Darm; G. 
Gehörbläschen; Z. Leber; X. die drei Kopfhöhlenrudi- 
mente; ZL. Leibeshöhle; M, M, M. Medullarrohr; N, Nabel- 
vene; P. rechte Lungenanlage; S. Schwanzdarm; V. Vorder- 
hirn. Vergr. 26 fach. 

Fig. 2. Die drei Kopfhöhlen der rechten Seite (a. b. ec), M. Mund- 
höhlenepithel. Vergr. 490 fach. 

Fig. 3. Die sieben Kopfhöhlen der linken Seite (a bis g; nur Um- 
risse). 1. erster Visceralbogen; A. Augenanlage. Vergr. 168fach. 


485 


(Aus dem experimental-pathologischen Institut des Hofrath Prof. 
Dr. A. Spina in Prag.) 


Untersuchungen über die feinere Structur der 
Nervenzellen und ihrer Fortsätze. 


Von 


Vladislav Ruzicka. 


Hierzu Tafel XXI. 

Die allgemeine Histologie des Nervensystems bietet trotz 
der vielfachen Bearbeitung dennoch eine ganze Reihe ungelöster 
Probleme von fundamentaler Wichtigkeit. 

Unter denselben gebührt den Fragen nach der Struetur der 
Nervenzellen und ihren anatomischen Beziehungen zu den in den 
Centralorganen enthaltenen Elementen die erste Stelle. 

leh habe mich in der letzten Zeit mit dem Studium dieser 
Fragen, hauptsächlich mit Bezug auf das Säugethierrückenmark 
beschäftigt und theile im Nachfolgenden die Resultate, zu welchen 
ich gelangt bin, mit. 


I. Zur Frage von der Entstehung der Nissl’schen 
Körperchen. 

Vor Allem möchte ich die bereits vielfach ventilirte, bis 
jetzt jedoch noch offene Frage berühren, wie die Nissl’schen 
Bilder zu Stande kommen und in wie ferne sie in der Struetur 
der lebenden Nervenzelle begründet sind. Diesen Gegenstand 
haben in neuester Zeit Held!) und Bühler?) in ihren Abhand- 
lungen gestreift und auf die Ausführungen dieser beiden For- 
scher will ich in den nachfolgenden Zeilen reagiren. Ich werde 
aus der Literatur nur dasjenige anführen, was für meine Arbeit 
von Interesse ist. 

Held kam auf Grund mikroskopisch-chemischer Unter- 
suchungen zu der Ansicht, dass die Nissl’schen Körperchen in 


1) Held, Beitr. zur Structur der Nervenzellen und ihrer Fort- 
sätze. Arch. Du Bois-Reymond. 1895, S. 396. — 1897, S. 204 u. 273. 
2) Bühler, Unters. über den Bau der Nervenzellen. Stahel. 
Würzburg 1898. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 32 


486 Vladislav Rüzicka: 


der lebenden Nervenzelle nicht präformirt sind, sondern 
durch sauere Fixirungsmittel (wie Sublimat, Osmiumsäure) aus 
den im lebenden Protoplasma gelösten Stoffen entstandene Fäl- 
lungsproducte darstellen. In frischen, sofort nach dem Tode 
untersuchten Nervenzellen, konnte er diese Körperchen nicht ent- 
decken. Erst nach Zusatz des Fixirungsmittels traten sie hervor. 

Diesen Beobachtungen entgegen sehen Flemming!) und 
Dogiel?) die Nissl’schen Körperchen für präformirt an. Der- 
selben Ansicht ist Marinesco?°), dessen Urtheile gemäss die 
Grösse und Gestalt der erwähnten Gebilde von der Grösse der 
Maschen des Spongioplasmas abhängt. 

Auch von Lenhossek) hat die Nissl’schen Körperchen 
für präformirt angesehen. Er behauptet nämlich, sie an Spinal- 
ganglienzellen sofort nach dem Tode deutlich gesehen zu haben. 
Seine Meinung stützt er weiterhin durch die Umstände, dass 
erstens die Nissl’schen Körperchen bei Anwendung verschiedener 
Fixirungsmethoden immer ihre typische Form zeigen, und dass 
sie, zweitens, bei verschiedenen Thiergattungen constante mor- 
phologische Unterschiede aufweisen. 

In einer neueren Arbeit bezeichnet sie jedoch Lenhossek ’°) 
als aufgespeicherte Nahrungsstoffe und beruft sich hierbei auf 
ihr Verschwinden im Fieber. 

Eine gewissermaassen vermittelnde Stellung zwischen Held 
und den übrigen eitirten Forschern nimmt Bühler ein. 

Bühler giebt an, dass er die Nissl’schen Körperchen 
weder an lebenden, noch — und dies möchte ich im Hinblicke 
auf das weiterhin Mitzutheilende hervorheben — an fixirten Ner- 
venzellen gesehen hat. Trotzdem hält er sie für präformirt, 
indem er annimmt, dass in der lebenden Zelle festere Substanzen 


1) Flemming, Ueber die Structur centraler Nervenzellen bei 
Wirbelthieren. Anat. Hefte. 1896. 

2) Dogiel, Der Bau d. Spinalganglienzellen bei d. Säugethieren. 
Anat. Anzeiger XII. 1896. 

3) Marinesco, Rech. sur l’histol. de la cellule nerveuse avec 
quelques considerations physiologiques. Compt. rend. 1897. 

4) Lenhoss&k, Ueber Nervenzellenstructuren. Verh. d. anat. 
Ges. 1896. 

5) Lenhossek, Ueb. d. Bau d. Spinalganglienzellen. Arch. f. 
Psych. 28. 1896, 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen etc. 487 


vorkommen können, die ohne Anwendung von Reagentien nicht 
sichtbar sind. Zu dieser Annahme wurde Bühler durch die 
Beobachtung geführt, dass die Kerne der lebenden Spinalgang- 
lienzellen im Beginne der Beobachtung nicht so deutlich zu sehen 
waren und keine so deutliche Membran und innere Structur auf- 
wiesen wie später. Hiermit bringt Bühler die Ansichten Auer- 
bach’s und Flemming’s über die Unsichtbarkeit lebender 
Kernstructuren in Verbindung. 

Auerbach hat nämlich die Ansicht ausgesprochen, dass die 
Ursache des Auftretens von Zellkernen im Absterben der Zellen 
zu suchen sei. Hingegen ist Flemming!) der Meinung, dass 
der Kern zwar auch in der lebenden Zelle existirt, jedoch dess- 
halb unsichtbar sei, weil er denselben Brechungsindex acquirirt 
wie der Zellleib. 

Bezüglich dieser Diskussion muss ich auf eine Publikation 
von mir?) hinweisen, in welcher ich den nachfolgenden Versuch 
mitgetheilt habe. 

Einem Leucoeyten, der zuerst vollkommen kernlos erschien, 
später jedoch drei Kerne bildete, die wiederum verschwanden, 
setzte ich verdünnte Essigsäure zu. Der Leueocyt starb ab und 
zeigte nunmehr zwei Kerne. 

Durch diesen Versuch wird also direet dargelegt, dass wir 
keine Berechtigung haben, die intravitale Existenz irgendwelcher 
Zellbestandtheile ohne Weiteres zu behaupten, von deren Vor- 
handensein wir keine sinnlichen Eindrücke empfangen und auf 
die wir nur aus Bildern schliessen, die wir an fixirten und ge- 
färbten Objecten zu sehen gewohnt sind. 

In Anbetracht dieser Beobachtungen kann ich den von Bühler 
für seine Ansicht, dass die Nissl’schen Körperchen präformirt 
sind, angeführten, oben eitirten, Grund, nicht für zureichend halten. 

Die Entstehung der Nissl’schen Körperchen beim Ab- 
sterben der Zellen will aber Bühler nicht anerkennen, indem 
er nur ein besseres Hervortreten derselben in diesem Falle zugiebt. 

Für die Ansicht, dass die Nissl’schen Körperchen prä- 
formirt sind, führt jedoch Bühler weiterhin auch den Umstand 


1) Flemming, Ueber Unsichtbarkeit lebendiger Kernstructuren. 
Anat. Anz. Nr. 23, 24. VIL 

2) Vlad. RüZicka, Unters. über d. ungefärbten Zellen d. Blutes. 
Allg. Wiener medic. Ztg. 1894. 


488 Vladislav RüZicka: 


an, dass Held nach Behandlung mit Laugenaleohol an Stelle der 
dadurch aufgelösten Körperchen Lücken gefunden hat. 

Zum Schlusse sagt Bühler von den Körperchen des 
Nervenzellenprotoplasma: „— an der frischen Zelle nicht zu sehen, 
lassen sie sich aber durch Methylenblau sichtbar machen; ganz 
ebenso verhält es sich mit ihrer Unterscheidung am fixirten 
Schnitt im ungefärbten und im gefärbten Zustande.“ 

Indem ich nunmehr zu meinen eigenen Beobachtungen über- 
sehe, will ich gleich von vornhinein feststellen, dass ich am 
Protoplasma der überlebenden, in physiologischer 0,6°/, Koch- 
salzlösung untersuchten Nervenzelle, mag es nun eine Rücken- 
marks-, Hirnrinden- oder Spinalganglienzelle von Kalt- oder 
Warmblütern (Frosch, Triton, Hund) gewesen sein, ähnlich wie 
HeldundBühler nie etwas Anderes gesehen habe, 
als eine Körnelung, die je nach der Thier- und Zellen- 
art fein bis mittelgrob sein kann. 

Weiterhin muss ich konstatiren, dass ich auch an fixirten 
Nervenzellen nichts von den Nissl’schen Kör- 
perehen entdeeken und dieselben auch durch 
Zusatz von Fixirungsflüssigkeiten (Alcohol 
absol, Sublimat cone.) zu lebenden Zellen nicht 
hervorrufen konnte. Ich befinde mich also, was die 
erstere Beobachtung anbetrifft, in Uebereinstimmung mit Bühler. 
Auch an der fixirten Nervenzelle habe ich nichts Anderes gesehen, 
als meistentheils eine Granulirung und zwar sowohl an Alcohol. 
wie an Sublimat- und ÖOsmiumsäurepräparaten. An Alecohol- 
schnitten konnte ich sogar oft die schönste fibrilläre Structur 
beobachten, wie sie Max Schultze beschrieben hat. Wenn 
also Held behauptet, dass die Nissl’schen Körperchen durch 
die Einwirkung der Fixirungsflüssigkeiten entstehen, so kann ich 
mich seiner Meinung aus dem Grunde nicht anschliessen, weil 
mich meine eigenen Versuche von dem Gegentheile überzeugt 
haben. Um so weniger kann ich dies jedoch in Betreff der von 
Bühler geäusserten Anschauung thun, nach welcher die 
Nissl’schen Körperchen trotz der Unsichtbarkeit in der leben- 
den Zelle und in fixirten Schnitten doch präformirt sein 
sollen. Bühler stützt diese seine Ansicht auf die bereits 
erwähnte Angabe von Held, dass die Niss1’schen Körperehen 
an fixirten Schnitten nach Behandlung mit Laugenalcohol ver- 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 489 


schwinden und Lücken hinterlassen, woraus freilich auf ein Vor- 
handensein derselben geschlossen werden könnte jedoch nur 
in den fixirten Schnitten, nicht aber auf eine Präformation in 
der lebenden Zelle, wie Bühler meint. 

Die betreffende Angabe von Held ist jedoch meinen Er- 
fahrungen gemäss nicht haltbar. 

Obzwar es mir gleich von Anfang an unwahrscheinlich er- 
schien, dass durch die Einwirkung gewisser Stoffe auf die Ner- 
venzellen in denselben Lücken nach Gebilden auftreten sollten, 
die weder in der lebenden noch in der fixirten Zelle zu 
sehen sind — wie ich ja in Uebereinstimmung mit Bühler 
habe constatiren können — so habe ich trotzdem Sublimat- 
schnitte von Hunderückenmark mit Kalialcohol behandelt und in 
demselben untersucht. Auch an diesen Schnitten fand ich nichts 
Anderes, als an den nur mit Fixationsflüssigkeiten behandelten. 
Vor Allem fand ich in den Zellen keine Lücken nach den 
Nissl’schen Körperchen, sondern wieder nur die auch sonst 
beobachtete Granulirung. Ja, ich habe mich sogar überzeugen 
können, dass die mit Kalialcohol vorbehandelten 
Zellen der Sublimatschnitte beinachfolgender 
Toluidinblaufärbung das gewohnte Bild der 
Nissl’schen Körperchen darbieten. 

Sehr schlagend ist in dieser Beziehung der nachfolgende 
Versuch. 

Ein Sublimatschnitt, der ungefärbt und wnaufgehellt in 
Alechol untersucht, keine Nissl’schen Schollen zeigt, wird mit 
Toluidinblau gefärbt, in Wasser und Alcohol abgefärbt und in 
dem letzteren abermals durchmustert. Es kann nun die 
Anwesenheit der Nissl’schen Körperchen in den 
Zellen konstatirt werden. Der Schnitt wird in Kali- 
alcohol getaucht. Dadurch wird aus demselben aller Farbstoff, 
der sich hierbei zugleich in Roth umwandelt, entfernt. Färbt 
man nun von Neuem mit Toluidinblau in der oben angegebenen 
Weise mit nachfolgender Aufhellung in Nelkenöl und Einschluss 
in Canadabalsam, so erhält man dasselbe Bild wie bei 
der ersten Färbung, nämlich Zellen mit Nissl- 
schen Körperchen!). 


1) In Kalialeohol aufgehellte Schnitte können nicht in Canada- 
balsam eingeschlossen werden, weil sich in demselben sofort eine sei- 
fige Trübung einstellt. 


490 Vladislav Rüzicka: 


Aus meinen Versuchen können die nachfolgenden Schlüsse 
gezogen werden: 

1. Die Kalialeoholbilder sind nicht durch Auflösung der 
Nissl’schen Zellkörperchen entstanden, oder 

2. der Kalialeohol hat die Körperchen gelöst und sie sind 
in meinem ebeneitirten Versuche von Neuem entstanden. 

Ist die erstere Folgerung richtig, so müsste man annehmen; 

a) dass die Angabe von Held, die Nissl’schen Körperchen 
entstünden durch Einwirkung sauerer Fixirmittel, unrichtig ist, 
und dass sie 

b) daher, in Anbetracht der auch von Held statuirten 
Unsichtbarkeit derselben in der lebenden Zelle, in dieser nicht 
präformirt sind. 

Im Falle, dass die sub 2) angeführte Eventualität Geltung 
haben sollte, würden meine früher angeführten, an der lebenden 
und fixirten Nervenzelle bezüglich der Nissl’schen Schollen 
semachten Beobachtungen, wie auch das Wiedererscheinen der- 
selben in dem letzterwähnten Versuche unerklärt bleiben. 

Ich muss mich daher .der erstangeführten Möglichkeit zu- 
wenden und aus meinen Beobachtungen schliessen, dass die 
Nissl’schen Körperehen weder in der lebenden 
Zelle präformirt sind, noch durch den Einfluss 
sauerer Fixirungsmittel entstehen. 

Indem ich die eben angeführte Entstehungsweise nicht zu- 
geben kann, die in Rede stehenden Gebilde aber trotzdem als 
Artefacte ansehen muss, stehe ich vor der Nothwendigkeit, zu 
schliessen, dass sie in der weiteren Präparationstechnik begründet 
sind, und es handelt sich demnach zunächst darum, zu erfahren, 
durch welchen Eingriff sie dargestellt werden. 

Um hierüber Aufschluss zu gewinnen, unternahm ich eine 
Reihe von Versuchen, in welehen ich die einzelnen Prozeduren 
der von mir zur Darstellung der Niss1’schen Körperchen ge- 
brauchten Methode in ihrer Einwirkungsweise auf eine bestimmte 
Zelle der Reihe nach geprüft habe. 

Die ursprüngliche Methode von Niss] habe ich nicht an- 
gewendet, da ich der Ansicht bin, dass, wenn zwei Methoden — 
eine einfachere und eine eomplieirtere — zu demselben Resultate 
führen, die einfachere den Vorzug verdient. 

Zur Färbung wandte ich Toluidinblau an, das von Len- 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen etc. 491 


hossek geradezu als ein Specifieum zur Darstellung der Nissl- 
körper gerühmt wird. Ich habe es, statt wie üblich in einer 
eoncentrirten, in einer 1°/, wässerigen Lösung gebraucht, die ich 
für gewöhnlich bis zur Dampfentwickelung erwärmt habe. Der 
in diese Lösung für einige Seeunden getauchte Schnitt wurde in 
Wasser und in Alcohol entfärbt, hierauf in Nelkenöl aufgehellt. 
In dem letzteren geht noch viel Farbe ab, so dass man gut thut, 
stärker gefärbte Schnitte in das Nelkenöl zu bringen. Man soll 
also dementsprechend auch den Alcohol nicht allzulange einwirken 
lassen. Die Färbung gelingt auch ohne Erwärmung, nur muss 
dann die Entfärbungsprocedur noch schneller und vorsichtiger 
durchgeführt werden. 

Bei meinen Versuchen habe ich alle Tempi, aus denen das 
eben beschriebene Verfahren besteht, welches mir allerzeit gute 
Resultate geliefert hat, einzeln in ihrer Wirkungsweise auf 
das Nervenzellenprotoplasma geprüft. Ich habe die ganze Pro- 
cedur stets an einer und derselben Zelle wiederholt, bis das 
ganze Verfahren in allen wichtigen Combinationen erschöpft war. 
— Es gelang mir jedoch die Nissl’schen Körperehen nur 
dann darzustellen, wenn ich nebst der Färbung 
auch die Abfärbung geübt habe. 

Kein einziger von den Eingriffen, welche das oben eitirte 
Verfahren zusammensetzen, führt zur Darstellung der Nissl'schen 
Schollen, die zwei letztangeführten ausgenommen. Die Fär- 
bung ist eine econditio sine qua non. Aber das Tolui- 
dinblau selbst färbt diffus, und erst die bis zu einem gewissen 
Grade gediehene Abfärbung zieht die Differenzirung der Schollen 
nach sich. 

Eine längere Einwirkung der Entfärbungsmedien (Alcohol, 
Oel) bewirkt leicht vollkommene Entfernung des Farbstoffes aus 
den Schnitten. Eine kürzere Einwirkung derselben hat wieder 
eine ungleichmässige Differenzirung zur Folge. Einzelne Zellen 
bieten dann deutliche Nissl’sche Schollen, während andere noch 
überfärbt sind. Diese letzteren sind es wahrscheinlich, die von 
Goldscheider und Flatau!) als „ehromophil“ bezeichnet und 
mit Recht für normale Gebilde angeseben werden. Färbt man 


1) Goldsceheider und Flatau, Norm. u. pathol. Anat. der 
Nervenzellen. Berlin 1898. S. 26. 


Zellleib gross, deutlich ausgeprägt, umgiebt vollständig 


492 Vladislav Rüziecka: 


überhaupt nicht ab, so findet man die Zellen diffus gefärbt, ohne 
die geringste Andeutung der Nissl'schen Körperchen. 

Die Abfärbung muss somit einen bestimmten 
Grad erreichen, um die Nissl’schen Körperchen 
hervortreten zu lassen. Die Entfärbung ist es 
also, die des Weiteren zur Darstellung der Nissl- 
schen Körpercehen unumgänglich nothwendig ist. 

Inwieferne diese Beobachtung mit der Angabe, dass die 
Niss]'schen Körperchen aus Körnerhaufen bestehen (Held), wie 
ja thatsächlich manchmal konstatirt werden kann, zu vereinigen 
ist, will ich diesmal unerörtert lassen. Ich beschränke mich 
darauf, zu konstatiren, dass es mir ohne Farbstoff nie ge- 
lungen ist, jene Körperchen zur Ansicht zu bringen. 


II. Die Protoplasmastruetur der Vorderhorn- 
zellen des Stierrückenmarkes. 

Es ist bekannt, dass Nissl mittels einer von ihm erfun- 
denen, ziemlich komplieirten Methode, die im nachfolgenden 
Schema gekennzeichneten, auf Färbungsunterschieden beruhenden 
Typen der Nervenzellen aufgestellt hat. 


Nervenzellen 


I. 1. 


den Kern (somatochrome Zellen). — 


Zellleib klein, Kern gross 


j Sun 
eytochrome, karyochrome, 


u nl 7 
Je nach der Protoplasma- Je nach der Wichtig- wenn derKern wenn der Kern 


structur: keit der im Protoplas- Leucocyten- die Grösse der 
arkyochrome=.netzförmige ma enthaltenen mor- grösse besitzt. Nervenzellen- 
stichochrome==fibrilläre phol. Bestandtheile: kerne besitzt. 
arkyostichochrome pyknomorphe 
gryochrome=körnige parapyknomorphe 


apyknomorphe 


Hinsichtlich dieser Classification hat nunmehr Niss] ineiner 
neueren Arbeit!) erklärt, dass „die Praxis ihn darüber belehrt hat, 
dass diese Nomenelatur den realen Verhältnissen wenig Rechnung 
trägt“. In demselben Aufsatze führt Niss] weiterhin aus, dass 
es überhaupt keine echt gryochrome Zellen giebt und dass, 
ausser den motorischen und einigen wenigen spindelförmigen 
Zellen, auch keine rein stichochrome Zellen vorhanden sind, und 


1) Nissl, Ueb. d. Veränd. d. Nervenzellen nach experim. er- 
zeugten Vergiftungen. Allgem. Zeitschr. f. Psychiatr. Bd. 53. 1897. 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 493 


kommt schliesslich, indem er den arkyostichochromen Typus gänz- 
lich fallen lässt, zu dem Schlusse, dass eigentlich nur arkyo- 
chrome Zellen existiren. 

Auch Levi!) führt an, dass zwischen den von Nissl auf- 
gestellten Typen keine scharfe Unterscheidung möglich ist, und 
dass sämmtliche Uebergangsformen vorkommen. 

Was nun die Beziehungen der Structur zu den Functionen 
der Zellen betrifft, so hat Niss] den Standpunkt eingenommen, 
dass zwar einige morphologische Typen (als: Vorderhornzellen 
[motor. Hirnregion], Spinalganglienzellen, Purkyn&’sche Zellen 
u.s. w.) aufgestellt werden können, dass jedoch bloss die 
parallelstreifige Anordnung der Protoplasma- 
schollen mit einer bestimmten u. zw. mit der mo- 
torischen Funktion zu verknüpfen ist. 

„Bis zu diesem Punkte* — sagt Nissl — „führt uns die 
anatomische Erkenntniss. Weiter lässt sie uns — vorläufig — 
im Stiche.“ 

Den Grund für dieses Versagen seiner Methode sucht 
Niss! in dem complieirten Autbaue des Centralnervensystems. 
Als einfacher zusammengesetzte Abschnitte desselben bezeichnet 
er die Gruppen der motorischen Vorderhornzellen, die motorischen 
Kerne des Hirnstammes und die sensiblen Spinalganglien. Im 
übrigen sei die Gliederung sehr verwickelt, was hauptsächlich 
von der Hirnrinde gilt, die aus „ganz verschiedenen Zellarten 
zusammengesetzt ist.“ 

Auf die weiteren Ausführungen von Nissl will ich vor- 
läufig nicht eingehen, da sich dieselben nicht direet auf den von 
mir bearbeiteten Gegenstand, das Rückenmark, beziehen, sondern 
hauptsächlich das Gehirn betreffen. Doch muss ich betonen, dass 
aus den Untersuchungen von Niss|l die ausserordentliche 
Schwierigkeit bei der Ableitung funetioneller Typen von Ner- 
venzellen aus morphologischen Kennzeichen sehr deutlich erhellt. 

So stellt Niss] auch fest, dass ein dem motorischen 
sehr nahe stehender Zelltypus nicht nur die 
motorische Region, sondern eine „ganz enorme 
Fläche der Rinde bevölkert. 


1) Levi, Ric. eitologiche comparate sulla cellula nervosa dei 
vertebrali. Riv. di patol. nerv. e mentale. Maggio, Giugno 1897. 


494 Vladislav Raziecka: 


Nichts ist natürlicher, als die Frage, soll auf Grund der 
morphologischen Congruenz diese ganze, weit verbreitete, sicher- 
lich niehtmotorische Gebiete umfassende Region auch für mo- 
torisch angesehen werden? Ich werde es versuchen, diese Frage 
im Nachfolgenden indireet zu beleuchten. 

Da nach dem bisher Angeführten nur für die motorischen 
Nervenzellen ein bestimmter morphologischer Typus aufgestellt 
worden ist, so erscheint es mir — angesichts der Thatsache, 
dass ein demselben sehr ähnlicher auch innicht mo- 
torisehen Regionen des Gehirns weitverbreitet ist — wichtig 
zu entscheiden, ob Zellen von bestimmt motorischer Funktion, 
wie es z.B. die Vorderhornzellen des Rückenmarkes sind, in 
allen Fällen das erwähnte morphologische Aussehen zur Schau 
tragen. 

Ich habe die darauf bezüglichen Untersuchungen am 
Rückenmark des Stieres ausgeführt. 

Die von mir befolgte Präparationsmethode war die fol- 
gende: Das Rückenmark wurde dem Thiere gleich nach dem 
Tode entnommen und noch warm in Scheiben von etwa !/, em 
Dieke in concentrirten wässerigen Sublimat zur Fixirung ge- 
bracht, in Alcohol nachgehärtet, dann in Celloidin eingebettet 
und in der üblichen Weise zur Färbung verarbeitet. 

Die Färbung habe ich in derselben Weise vorgenommen, 
wie es im I. Absatze dieser Abhandlung angegeben wurde. 

Mit Hilfe dieser Färbungsmethode, welche — wie man sich 
leicht überzeugen kann — dieselben Resultate liefert wie die 
ursprüngliche Methode von Nissl, konnte ich mich, wie ich 
gleich in vorhinein feststellen will, von einer einheitlichen 
parallelstreifigen Structur der motorischen Vor- 
derhornzellen, wie sie von Nissl geschildert und 
nunmehr allgemein angenommen worden ist, 
nieht überzeugen. Im Gegentheile habe ichin 
den Vorderhornzellen des Stierrückenmarkes 
die verschiedenartigsten Gruppirungen und For- 
men der Nissl’schen Körperchen konstatiren 
können. 

Im Nachfolgenden gebe ich eine Beschreibung der von 
mir vorgefundenen auffälligsten Typen. 

In den Abbildungen von typischen Nissl’schen Schollen, 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 495 


wie sie .B.e. Goldscheider und Flatau auf Tafel VI, 
Fig. 1!) geben und wie man sie auch anderwärts abgebildet sehen 
kann (Lenhossek Fig. 17, St. 1522), zeigen dieselben ge- 
wöhnlich grosse Gleichmässigkeit und Regelmässigkeit, sowohl 
was die Grösse, als auch was ihre Vertheilung im Zellkörper anbe- 
langt. Die Schollen selbst werden zumeist als grobe, homogene 
Einlagerungen geschildert, die eines scharfen Umrisses entbehren. 
Dies ist ja auch in der weitaus grössten Anzahl der Fälle wirk- 
lich der Fall. Manchmal — freilich relativ selten — haben sie 
jedoch das Aussehen eines sehr fein gelochten Siebes, wobei die 
rundlichen Löcher nicht gleich gross sein müssen, so dass die 
ganze Scholle das Aussehen eines äusserst kleinmaschigen Netz- 
werkes mit groben Balken erhält. Weiterhin können die Schollen 
aus Körnern zusammengesetzt sein und zwar können die Körner frei 
liegen, wie dies auch Held beobachtet hat, oder sie sind von 
einem unsebarfen Contour umgeben, der jedoch den ihm zuge- 
hörenden Körnerhaufen deutlich als NissI’sches Körperchen 
charakterisirt (Fig. 1). 

Auch kann sich die Scholle als ein dunkler, uuscharf con- 
tourirter Farbfleck präsentiren, in dessen Innerem noch dunk- 
lere Körnchen liegen (Fig. 2). 

Weiterhin habe ich Zellen gesehen, deren Nissl’sche 
Körperehen vollkommen glattrandig waren und als solide Gebilde 
hervortraten, so dass sie eher den Altmann'schen Granulis 
zugerechnet werden konnten (Fig. 8). 

Bis jetzt habe ich nur von Zellen gesprochen, deren Schollen 
eine gleichmässige Gestaltung im ganzen Zellkörper zur Schau 
trugen. Wenn diese Anordnung auch in der Mehrzahl der Fälle 
Geltung hat, so bildet sie doch keineswegs die Regel. 

Man begegnet Zellen, welche theils solide N issLl’sche 
Körperchen enthalten, theils mit Körnern gefüllt sind und somit 
einen Uebergang zwischen den grobscholligen und den gryo- 
chromen Zellen bilden (Fig. 5). Diese Zellkategorie kann in 
Folge der verschiedenartigsten Combinationen der erwähnten 
beiden Formen selbst das Aussehen von pathologisch veränderten 
Zellen gewinnen, so eigenartig muthet das ungewohnte Bild an 
(vergleiche Fig. 17). 

9) Goldscheider os Fiatau, 1. 
2) Lenhosse&k, D. feinere Bau d. Nervensystems. 1895. 11. Aufl. 


496 Vladislav Ruzicka: 


Die als normal geschilderte parallelstreifige Structur kann 
auch in verschiedener Weise zum Ausdruck kommen. Neben 
den typischen Bildern, die auch im Stierrückenmarke häufig vor- 
kommen, findet man in einzelnen Zellen eine förmlich fibrilläre 
Struetur: mässig wellige Linien von wechselnder Stärke ziehen 
durch die Zelle. Die Linien sind entweder solid oder können 
auch zum Theile aus Körnern zusammengesetzt sein (Fig. 4). 
Während in einer Anzahl von Zellen diese Linien ohne jede 
Anastomose verlaufen, finden sich wiederum andere, in welchen 
die Fibrillen, ungefähr parallelstreifig verlaufend, zahlreiche Ana- 
stomosen aufweisen, so dass man eher von einer netzförmigen 
Struetur sprechen könnte (Fig. 5). 

Dass unter den Vorderhornzellen auch rein arkyochrome 
vorkommen können, beweist meine Fig. 6. 

Auch Fig. 7 stellt eine Zelle von netzförmiger Struetur mit 
welligem Verlaufe des Gerüstbalken vor. 

Ebenso wie rein arkyochrome Zellen sind im Stierrücken- 
marke auch rein gryochrome vorhanden, wodurch die Richtigkeit 
einer früher angeführten, das Vorkommen solcher Zellen be- 
streitender Angabe von Niss| in Frage gestellt wird. 

Die von mir beobachteten rein gryochromen Vorderhorn- 
zellen kommen im Stierrückenmarke in drei Typen vor und zwar 
als grobkömige (Fig. 8 und 9), feinkörnige (Fig. 10) und ge- 
mischtkörnige (Fig. 11). 

Schliesslich habe ich Zellen beobachtet (Fig. 12), die in 
ihrer gänzlich unregelmässigen Körnung und Streifenbildung, 
ebenso als Uebergangsformen zwischen arkyochromen und gryo- 
chromen Zellen hätten gelten können, als sie an die in patho- 
logischen Zuständen oft beschriebene Chromatolyse erinnert 
haben. 

Die Vorderhornzellen des Rückenmarkes 
von Stieren zeichnen sich also dadureh aus, 
dass sie eine von der für motorische Zellenall- 
semein anerkannten in Vielem und Wesentlichem 
abweichende Strucetur aufweisen. 

Dass dieses Verhalten nicht nur auf das Stierrückenmark 
beschränkt ist, habe ich mich auch am Hunderückenmark über- 
zeugt. Wiewohl hier die Mehrzahl der Vorderhornzellen das 
typische Verhalten zeigt, so habe ich doch auch ganz feinkörnige 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen etc. 497 


Zellen gesehen (Fig. 13, 14, 15), sowie auch solche, die aus 
völlig ungleichmässigen Protoplasmaelementen, das heisst zugleich 
aus Nissl'schen Schollen und winzigen Körnchen aufgebaut 
waren (Fig. 16, 17). 

Desgleichen kann ich über ein bisher unbeschriebenes Ver- 
halten der Nissl’schen Schollen vom Rückenmarke eines fast 
ausgetragenen Meerschweinchenembryos berichten. Eine gewisse 
Anzahl von Zellen zeigte nämlich die nachfolgende Structur. 
Auf der Oberfläche der Zellen lag ein parallelstreifiger Zug von 
Fibrillen, welche aus verschieden grossen Körnern zusammenge- 
setzt waren, im Inneren der Zellen lagen jedoch Granulationen 
von verschiedener Form und Grösse (Fig. 18). 

Andere Vorderhornzellen desselben Rückenmarkes zeigten 
wiederum eine so regelmässige wabige Structur, wie sie Gold- 
scheider und Flatau (l.c. Fig. 1, St. 8) als Regel (beim 
Kaninchen) abbilden und wie ich sie an den übrigen von mir 
untersuchten Objeeten (Pferd, Stier, Hund, Katze, erwachsenes 
Meerschweinchen, Frosch, Triton) nirgends in dieser Klarheit 
und Menge wiedergefunden habe. 

Aus den angeführten Beobachtungen geht hervor, dass den 
Vorderhornzellen des Stierräckenmarkes keine einheitliche Proto- 
plasmastructur zukomnit, in soweit sie nämlich ihren Ausdruck 
in der Anordnung und Beschaffenheit der Nissl’schen Kör- 
perchen findet. Ich halte mich demgemäss zu dem Schlusse be- 
rechtigt, dass die parallelstreifige Anordnung der 
Nissl’schen Schollen für die motorischen Vor- 
derhornzellen des Stierrückenmarkes nichtals 
eharakteristisch angesehen werden kann. 

Meinen Beobachtungen zu Folge verhalten sich also die 
Vorderhornzellen des Stierrückenmarkes in vollkommen analoger 
Weise wie die Zellen der Grosshirnrinde, deren diesbezügliches 
Verhalten, wie ich ja schon oben angeführt habe, bereits Nissl 
früher constatirt hat. 

Wollte ich nach dem Vorbilde Nissl’s vorgehen, so müsste 
ich die Manigfaltigkeit der Anordnung der Protoplasmaschollen 
in den Vorderhornzellen des Stierrückenmarkes, ebenso wie er, 
auf einen complieirten Aufbau der Vorderhornzellengruppe zurück- 
führen, womit ich aber mit allgemein anerkannten physiologischen 


498 Vladislav Rüzicka: 


Gesetzen über die Funetion derselben in Widerstreit gerathen 
würde. 

Niss] hat, nachdem er für die motorischen Nervenzellen 
einen besonderen Protoplasmabau festgestellt hat, denselben trotz 
der erwähnten widerstreitenden Befunde an der Grosshirnrinde 
mit einer bestimmten physiologischen — und zwar der moto- 
rischen — Funktion verbunden. Von verschiedenen Seiten her 
gelangte man hierauf zu der, wie es scheint, nunmehr ganz all- 
gemeinen Anschauung, dass den motorischen Zellen überhaupt 
nur dieser morphologische Typus zu Grunde liegt. 

Aus dem, was ich bisher angeführt habe, ist jedoch er- 
sichtlich, dass diese Ansicht mit Bezug auf die Vorderhornzellen 
des Stierrückenmarkes (und wahrscheinlich auch andere Zellen) 
nicht beibehalten werden kann. 

Da es aber keinen Zweifel geben kann, dass es sich hier 
um ausgesprochen motorische Zellen handelt, so muss der Schluss 
zugestanden werden, dass die motorische Funetion mög- 
licher Weise auch an andere alsan parallelstrei- 
fige Structuren geknüpft sein kann. 

Nur dem Umstande, dass Niss] kein genügend geeignetes 
Objeet untersucht hat, kann ich es zuschreiben, dass er aus seinen 
richtigen Beobachtungen nicht den richtigen Schluss gezogen hat, 
dass die Form und Anordnung der von ihm be- 
sehriebenen Körperchen für die Protoplasma- 
struetur der lebenden Nervenzellen nicht ent- 
scheidend ist. 

Ob dies dadurch zu erklären ist, dass — wie Marinesco 
meint — die Grösse und Anordnung der erwähnten Gebilde von 
der Grösse und Anordnung der sie umgebenden Maschen des 
eigentlichen Protoplasmaretieulums abhängt und daher secundären 
Charakter besitzt, oder dass, wie Lenhossek neuerdings be- 
hauptet, dieselben aufgespeicherte Nahrungsstoffe darstellen und 
ddemgemäss in Form und Grösse variiren können, vermag ich 
nicht zu entscheiden, da ich keine hierauf bezüglichen Unter- 
suchungen angestellt habe. 


Indem ich im ersten Absatze nachgewiesen zu haben glaube, 
dass die Nissl'schen Körperchen Artefakte sind, die in keiner 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 499 


direeten Beziehung zu der eigentlichen Protoplasmastruetur stehen, 
und in dem zweiten zu der Ansicht komme, dass die Anordnung 
derselben nicht für eine bestimmte Function characteristisch ist, so 
will ich mich hiermit trotzdem in keiner Weise gegen die Verwer- 
thung derselben bei pathologischen Untersuchungen aussprechen, in- 
soferne nur bei der Beurtheilung der pathologischen Veränderungen 
stets daran gedacht wird, dass dieselben nur einen bedingten 
Werth besitzen und mit der eigentlichen Struetur 
und Function des Nervenzellenleibes nichts zu 
thun haben. 


IH. Die gegenseitigen Beziehungen der im Rücken- 
mark enthaltenen Gewebselemente. 

Im Nachfolgenden soll uns die Frage nach den anato- 
mischen Beziehungen der Nervenzellen zu einander beschäftigen, 
eine in physiologischer Beziehung gewiss sehr wichtige Frage. 

Ohne mich in weit ausgreifende historische Darlegungen 
einzulassen, möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Streit- 
frage, ob die Nervenzellen untereinander anastomosiren oder nicht, 
heute trotz der gegentheiligen älteren Erfahrungen Gerlach’s, die 
mit Hülfe der Goldfärbung gewonnen wurden, in Folge der 
Erfolge der Silberimprägnation nach Golgi von den meisten 
Forschern verneinend beantwortet wird. Vor Allen anderen ist 
es von Lenhossek!), welcher für die freie Endigung der 
Ausläufer der Nervenzellen in sehr entschiedener Weise eintritt, 
indem er sich auch auf die Autorität von Kölliker und Dei- 
ters, die sich gegen irgendwelche Anastomosen ausgesprochen 
haben, beruft. 

Es lohnt sich die Gründe, welche von Lenhossek an- 
geführt werden, etwas näher zu untersuchen. Seine Behauptung, 
„die Nervenzellen sind von Anfang an und bleiben nach wie vor 
selbständige, für sich bestehendelndividuen, sie 
stehen auch späterhin bloss in Kontaetbeziehungen zu einander“, 
wurde auf Grund der Golgi’schen Methode gewonnen. Diese 
letztere ist nach von Lenhossek u. A. unerlässlich, um in 
den Bau des Centralnervensystems einzudringen. Will man sich 
jedoch davon überzeugen, dass zwischen den Nervenzellen keine 


1) Lenhossek, D. feinere Bau etc. S. 39, 46 u. ff. 


500 Vladislav Rüzicka: 


Anastomosen bestehen, so muss man nach Lenhossek’s An- 
gabe in den Präparaten solche Stellen aufsuchen, wo nur we- 
nige Zellen nebeneinander imprägnirt sind; „dann“, sagt er, 
„wird es nicht schwer sein, eine jede Zelle als durehaus selbst- 
ständiges Individuum zu erkennen, jeden Dendriten frei endigen 
zu sehen.“ Demgegenüber muss jedoch aufmerksam gemacht 
werden, dass an den geforderten Stellen die Imprägnation un- 
vollständig sein kann, da ja bekanntlich die Methode von Golgi 
überhaupt sehr unverlässlich ist. Andererseits tritt, wie ja auch 
Lenhossek gesteht, bei vollständiger Färbung, wenn die Fort- 
sätze tief schwarz gefärbt werden, ein solches Fasergewirr zu 
Tage, dass die Frage nach der Anastomosenbildung nicht ent- 
schieden werden kann. 

Meines Erachtensist daher die Methode von 
Golgi für die Entscheidung der Anastomosen- 
frage überhaupt unbrauchbar. Für diese Behauptung 
führe ich nachfolgende Gründe an. 

I. Es ist doch selbstverständlich, dass bei der Entscheidung 
der Frage, ob zwischen gewissen Zellen Verbindungsbrücken vor- 
kommen oder nieht, jede Färbungs- oder Imprägnirungsmethode 
vermieden werden muss, welche zu einer unvollständigen Färbung 
des Präparates führen könnte. Der letztere Umstand. kommt je- 
doch bei der Methode von Golgi bekanntlich nur zu oft vor. 
Selbst die eifrigsten Anhänger dieser Methode gestehen, dass 
dieselbe in einer unverlässlichen Weise, oder wie sie, z. B. Len- 
hossck, sich ausdrücken, „sehr elektiv“ färbt, so dass man nie 
voraussetzen kann, welche Elemente sich färben werden und 
welehen Umfang die Färbung erlangt. Mit der Golgi schen 
Methode theilt diese Eigenschaft auch die Methylenblaufärbung 
nach Ehrlieh — und es ist bezeichnend, dass es Dogiel?) 
gelungen ist, mit Hülfe der letzteren die Anastomosen der Retina- 
nervenzellen nachzuweisen, was freilich von Cajal?) auf Grund 
desselben Färbungsverfahrens bestritten wird. Ich will auf diese 
Streitfrage hier nieht weiter eingehen, doch hielt ich es — mit 


1) Dogiel, Ueb. d. nervösen Elem. in der Retina d. Menschen. 
Schultze’s Arch. Bd. 38. 1891. — Zur Frage über d. Bau d. Nerven- 
zellen ete. Ibid. Bd. 41. 1893. — Zur Frage üb. d. Verhalten d. Nerven- 
zellen zu einander. Arch. Du Bois-Reymond, Anat. Abth. 1893. 

2) Cajal, La retine des vertebres. La Cellule. T. IX. 1893, 


u A 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 501 


Hinblick auf meine eigenen Resultate — für angemessen zu 
konstatiren, dass Dogiel mit Hülfe der Methylenblaumethode 
das gelungen ist, was mit der Golgi 'schen Niemandem gelingen 
wollte, ein Umstand, der für die Brauchbarkeit dieser letzteren 
Methode in der diseutirten Angelegenheit bezeichnend ist. 

II. Soll die oben gestellte Frage in befriedigender Weise 
gelöst werden, so muss bei Methoden, die zu einer vollkommenen 
Färbung führen, darauf gesehen werden, ob durch dieselben die 
Durehsichtigkeit der gefärbten Stelle beeinträchtigt wird oder 
nicht. Wie unwichtig dieser Umstand auch auf den ersten Blick 
erscheinen mag, so ist er doch nieht zu unterschätzen, denn nur 
bei genügender Durchsichtigkeit kann oft zur Entscheidung ge- 
bracht werden, ob es sich in einem gegebenen Falle um eine 
echte Anastomose oder nur um eine Kreuzung der Ausläufer 
handelt. 

Die Methode von G olgi ertheilt jedoch den Zellausläufern 
eine tiefschwarze Färbung und macht sie undurchsichtig. Bei 
einem eventuellen Zusammentreffen einiger Aestchen (in gut im- 
prägnirten Präparaten) ist man daher, besonders wenn die Aeste 
dünn sind, nicht im Stande zu entscheiden, ob es sich um Ana- 
stomosen oder blos um Auflagerungen handelt. Wenn aber von 
Lenhoss&äk!) aus diesem Verhalten den Schluss zieht, dass 
„die vermeintlichen Anastomosen natürlich nur auf Täuschung“ 
beruhen, so ist dieser Schluss unmotivirt. Ob eine Täuschung 
vorliegt, kann eben nicht mittels Methoden entschieden werden, 
die — wie die von Golgi — zu Täuschungen Anlass geben 
können. Wollte man sich andererseits, wie es übrigens Len- 
hoss&k (siehe oben) auch thut, auf unvollkommen gefärbte 
Präparate berufen, dann wäre wieder die unvollständige Färbung 
die Quelle neuer Irrthümer. 

Aus diesen Gründen habe ich die Silberimprägnation nach 
Golgi bei meinen Untersuchungen nicht angewendet und an- 
dere Tinetionsmethoden versucht, um zum Ziele zu gelangen. 
Die meisten, unter denselben auch die Methylenblaufärbung nach 
Nissl oder nach Rehm, zeigten sich unbrauchbar. Dagegen 
ergab das nachfolgende Verfahren konstante Ergebnisse. 

Das untersuchte Material war normales Stier- und Hunde- 


1) Lenhossek, Der feinere Bau etc. St. 46. 
Arch. f, mikrosk. Anat. Bd. 53. 33 


502 Vladislav RüZicka: 


rückenmark, dasselbe wurde in concentrirtem wässerigem Subli- 
mat fixirt, in Alcohol nachgehärtet, in Celloidin eingebettet und 
die Sehnitte dann in der nachfolgenden Weise verarbeitet. 

Die von mir angewendete Färbungsmethode ist vollkommen 
identisch mit der im I. Absatze mitgetheilten. Nur verbleibt der 
Schnitt in der erwärmten '1°/, Toluidinblaulösung etwas länger, 
etwa 15—20 Secunden; dagegen wird die Entfärbung verkürzt, 
darauf die Aufhellung in Cajeputöl vorgenommen und der Schnitt 
in Canadabalsam montirt. Die Dauer der Abfärbung und Auf- 
hellung muss ausprobirt werden. Die Zellen erscheinen dann 
ein wenig überfärbt, die Zellenausläufer mittelstark tingirt, so dass 
die eventuell in ihnen enthaltenen Nissl’schen Körperchen 
deutlich hervortreten. 

Ich ging bei diesem Verfahren von der Erwägung aus, 
dass bei der im I. Absatze mitgetheilten Färbung sich die Zel- 
lenausläufer nur auf eine gewisse, mehr oder weniger kurze 
Strecke färben. Ich hoffte daher, bei der Steigerung der Färbung 
jenen Punkt zu erreichen, bei welchem die Dendriten ganz ge- 
färbt erscheinen würden. Dies ist mir nun auch gelungen. — 

Mit Hülfe dieser einfachen Färbungsmethode kann man nun 
zwischen einzelnen Nervenzellen Anastomosen nachweisen. 

Ich habe mich vorläufig bei dem Studium derselben auf 
das Rückenmark beschränkt und mein Augenmerk hauptsächlich 
auf die Vorderhornzellen gerichtet. 

Die Nervenzellenanastomosen kommen nun fast in jedem 
Schnitte vor und erscheinen zumeist in Form von breiten Proto- 
plasmabrücken (Fig. 19), sie können jedoch auch feine Fäden 
bilden (Fig. 20). Dieselben sind gewöhnlich schon bei schwachen 
Vergrösserungen deutlich sichtbar (Reiehert, Obj. 4), doch 
bleiben sie selbst bei den stärksten Vergrösserungen (homog. 
Immersion !/,;) der genügenden Färbung wegen klar und un- 
zweideutig. Es empfiehlt sich jedoch, bei starken Vergrösse- 
rungen entweder überhaupt ohne den A bb e’schen Beleuchtungs- 
apparat zu arbeiten, oder denselben wenigstens etwas herabzu- 
schrauben. Die intimeren Structuren treten dann besser hervor. 

Die Anastomosen sind trotz der Färbung durchsichtig, so 
dass man sich ohne Mühe überzeugen kann, ob sie eontinuirlich 
zwischen den zugehörenden Zellen verlaufen, oder ob etwa zwei 
verschiedenen Zellen angehörige, gegeneinander gerichtete Aus- 


Untersuchungen über die feinere Struetur der Nervenzellen ete. 503 


läufer einander bloss überdeeken, und so eine Verbindung vor- 
täuschen. Zuweilen, wenn man den Schnitt stärker entfärbt 
hat, so dass die sog. Zwischensubstanz der Ausläufer farblos 
erscheint, lassen sich die Verbindungen der Nervenzellen an den 
im Inneren der Dendriten befindlichen korn- oder stäbchenförmigen 
Nissl’schen Körperchen deutlich als solche erkennen (Fig. 21). 

Zu bemerken ist, dass die Anastomosen viel seltener an 
Längs- als an Querschnitten des Rückenmarkes zur Beobachtung 
gelangen; doch kann man sich bei einiger Geduld auch an den 
ersteren von der Existenz der Anastomosen überzeugen. 

Bis jetzt habe ich keine Verbindungen zwischen Zellen 
verschiedener Zellgruppen (z. B. zwischen Vorderhorn- und Com- 
missurenzellen, Vorderhorn- und Hinterhornzellen) konstatiren 
können. Die von mir gesehenen Anastomosen verbanden nur 
Zellen innerhalb derselben Gruppe. Es sind demgemäss die 
Protoplasmabrücken zumeist kurz, doch können auch ziemlich 
weit voneinander entfernte Zellen anastomosiren (Fig. 21). Nie 
habe ich am Rückenmarke gesehen, dass mehrere Zellen durch 
Ausläufer verbunden gewesen wären; stets fand ich nur zwei 
Zellen miteinander verbunden. Es fällt mir aber darum nicht bei, die 
Möglichkeit auch von complieirten Auastomosen nicht zuzugeben; 
denn ich habe im Gegentheil am Gehirne erwachsener Meer- 
schweinchen vielfache Anastomosen beobachten (Fig. 22) können. 

Man sieht also, dass es durchaus nicht den Thhatsachen ent- 
spricht, wenn behauptet wird, dass jede Nervenzelle ein voll- 
kommen selbständiges Individuum vorstellt. Im Gegentheile sieht 
man, dass Verbindungen zweier Nervenzellen untereinander zu 
keiner Seltenheit gehören (Stier- und Hunderückenmark), ja, dass 
auch mehrere Zellen anastomosiren können (Meerschweinchengehirn). 

Mag man gegen die Existenz der Anastomosen von Nerven- 
zellen welche Gründe immer anführen, bei mir steht es fest, 
dass dieselben thatsächlich bestehen. Darin stimme ich mit 
Dogiel (l. e.), der freilich ein anderes Objeet untersucht hat, 
völlig überein. Diese Uebereinstimmung ist um so wichtiger, als 
Dogiel mit einer anderen Methode gearbeitet hat. 

Die angeführten gröberen Verbindungen sind jedoch nicht 
die einzigen, welche die Nervenzellen des Rückenmarkes eingehen. 
Es finden sich noch andere vor, die ich im Nachfolgenden be- 


504 Vladislav Rüzicka: 


schreiben werde. Als günstigstes Objeet empfehle ich die Vor- 
derhornzellen des Hunderückenmarkes. Zuerst habe ich die zu 
bespreehenden Verbindungen in Sublimatschnitten gesehen, die 
in der im I. Absatze angegebenen Weise mit Toluidinblau gefärbt 
und in Eosin nachgefärbt worden sind. Das Verfahren gestaltet 
sich folgendermaassen: 
1°/, Toluidinblau erwärmt, einige Secunden, 
Wasser, 
1°/, aleoholiseh-wässerige Lösung von Eosin, nur Durchziehen, 
Wasser, 
Aleohol, 
Oel, Balsam. 

Die Nissl’schen Körperchen erscheinen nach dieser 
Färbung blau, die Grundsubstanz der Zelle und der Dendriten, 
sowie auch das Gliagewebe rosa gefärbt. 

Sieht man derlei Präparate, die so dünn als möglich sein 
müssen, sorgfältig durch, so wird man unter den Nervenzellen 
stets einige Exemplare finden, die an der Peripherie ihres Zell- 
leibes eine äusserst feine, radiäre, dem Bürstenbesatze der 
Flimmerepithelien nicht unähnliche Streifung vorzeigen. 

Die Untersuchung mit starken Objeetiven (Reichert, 
homog. Immers. !/,s, bei Compens. Ocular Nr. 4) ergiebt, dass 
diese Streifung von einer grossen Anzahl äusserst dünner Aus- 
läufer des Nervenzellenleibes herrührt, welche sich aus dem 
Zellleibe oft — jedoch nicht immer — mit einem winzigen 
Hügelehen erheben. Dieses Hügelehen markirt auch abgerissene 
Zellfortsätze. Die Ausläufer endigen zumeist frei in dem sog. 
pericellulären Raume, doch kann man an geeigneten Stellen deutlich 
wahrnehmen, dass sie sich mit den Balken des umliegenden Ge- 
rüstes zu einem dichten Netzwerke vereinigen (Fig. 26, 28, 29). 

An etwas diekeren Schnitten, welche mittels Hämatoxylin!) 
gefärbt wurden, erscheinen die einzelnen Zellen wie von einem 


1) Die Schnitte kominen in eine 1/,0/, wäss. Lösung von krystall. 
Hämatoxylin, werden dann in hypermangansaures Kali getaucht, bis sich 
schwarze Wolken erheben; dann werden sie in eine 1°/, Lösung von 
doppeltchromsaurem Kali gebracht, in der sie schwarz werden, gelangen 
noch einmal in die Hämatoxylinlösung, woselbst sie braunrothe Wolken 
ausscheiden, dann in Alcohol, Oel, Balsam oder Wasser, Glycerin. Die 
Hämatoxylinlösung soll stets möglichst frisch sein. 


a 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 505 


aus den feinen Ausläufern gebildeten Spinngewebe umsponnen. 
An dünnen Schnitten beobachtet man dagegen den Bürstenbesatz 
auf der Peripherie des Zellleibes; an einzelnen Stellen — ganz 
besonders an den Abgangsgebieten der Dendriten — aber auch 
dunkle Punkte auf der Oberfläche desselben, welche für die 
optischen Querdurchschnitte der feinen Ausläufer zu halten sind 
und zwar umsomehr, als einzelne Punkte bei der Handhabung 
der Stellschraube mit dem die Zelle umgebenden Gewebe ver- 
bunden erscheinen (Fig. 30. An anderen Zellen kann man 
wiederum erblieken, wie sich die feinen Ausläufer entweder 
direet, oder erst nachdem sie sich getheilt haben, mit der um- 
gebenden Glia in Verbindung setzen. Dass dieselben wohl mit 
dem Gliagewebe identisch sind, zeigt auch ihr tinetorielles Ver- 
halten; sie färben sich nämlich ebenso wie die Glia lebhaft mit 
Eosin. 


Die Nervenzellen werden also hüllenförmig von dem wahr- 
scheinlich gliösen Retieulum umgeben, an dessen Aufbau die 
Verzweigungen der aus den Nervenzellen entspringenden feinsten 
Ausläufer Antheil nehmen. 

Die Nervenzellen des Rückenmarkes sind 
also auch mit dem Gliagewebe innigst verbunden. 

Der Umstand, dass nicht alle Zellen der Sublimatpräparate 
die feinen Ausläufer zeigen, ist wohl darauf zurückzuführen, dass 
die von mir verwendete Fixirungs- und Härtungsmethode die- 
selben nicht gut zu conserviren vermag. Darauf weist der Um- 
stand hin, dass auch bei Zellen, welche die feinen Ausläufer in 
schöner Weise vorführen, dieselben zumeist in Folge der Re- 
traction des Gewebes abgerissen erscheinen und dass nur ein- 
zelne derselben unversehrt in der Glia endigen (Fig. 27, 28). 

Ausserdem sind die Ausläufer so zart, dass man den Schnitt 
überfärben muss, um sie gefärbt zu erhalten. 

Die besten Resultate werden erreicht, wenn man Schnitte 
vom in Flemming’schem Gemische fixirten, in Alcohol nach- 
gehärteten Rückenmarke des Hundes durch 5—17 Stunden mit 
Toluidinblau färbt (das Verfahren, wie im I. Absatze). Auf diese 
Weise erhält man prachtvolle Bilder (Fig. 31), bei denen freilich die 
feinere Structur der Zellleiber und des umgebenden Gewebes 
verwischt wird. Die feinen Ausläufer treten jedoch deutlich in 
dem breiten pericellulären Raume hervor. Dieselben sind auch 


506 Vladislav RüZicka: 


an ungefärbten Präparaten schön zu sehen. Desgleichen sah ich 
auch nach Osmiumsäurefixirung am Froschrückenmarke sehr 
schöne Bilder der feinen Ausläufer (Fig. 26). 

Wie die feinen Ausläufer mit der inneren Structur der 
Nervenzelle zusammenhängen, vermag ich nicht anzugeben. 
Manchmal scheint es, als ob sie mit dem intracellulären Netz- 
werke in Verbindung stehen würden. In welchen Beziehungen 
die von mir beschriebenen feinen Ausläufer zu den von Held 
(1. e.) entdeckten pericellulären Concrescenzen, die er als Endi- 
gungen von Telodendrien fremder Axonen auffasst, stehen, vermag 
ich nieht anzugeben. 

So wie die Peripherie des Zellleibes erscheinen auch die 
starken Dendriten von den feinen Ausläufern besetzt (Fig. 27, 
29, 30). Daselbst sind sie bereits mit Hilfe der Golgi'schen 
Methode von Ramön y Cajal!) in der Hirnrinde beobachtet 
worden. 


Einige Aufklärung über die physiologische Bedeutung der 
Anastomosen der Nervenzellen untereinander und jener zwischen 
den letzteren und der Neuroglia bieten die folgenden histolo- 
gischen Beobachtungen. 

Man kann zuweilen gewahr werden, wie ein Dendrit fein 
ausläuft und sich mit dem Ausläufer einer Gliazelle in direcete Ver- 
bindung setzt (Fig. 25). 

Weiterhin kann man beobachten, dass sich Gliafasern an 
die Wände der Blutgefässe anheften. Besonders schön ist dies 
an Präparaten aus Flemming’schem Gemisch, die durch 17 
Stunden mit 1°/, Toluidinblaulösung gefärbt wurden, zu sehen 
(Fig. 24a). 

Die Beziehungen zwischen den Blutgefässen und Gliafasern 
wurden schon wiederholt studirt. So hat Lloyd Andriezen?) 
angegeben, dass eireulär und longitudinal laufende Ausläufer der 
um das Blutgefäss gelagerten Gliazellen dasselbe mit einem ge- 
schlossenen Geflechte umgeben. 

Nach von Lenhossek?°) sollen hingegen die Gliazellen- 

1) Ramön y Cajal, Sur la structure de l’&eorce certbrale de 
quelques mammiferes. La Cellule. 1897. Fig. 7. 


2) Lloyd Andriezen, On a system of fibre cells. Intern. Mo- 
natshefte. 1894. 


3) Lenhossek, Der feinere Bau ete. S. 209. 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen ete. 507 


ausläufer nahe an dem Gefässe mit Endverbreiterungen endigen, 
die sich so aneinander fügen, dass sie eine Outicularmembran 
bilden, in welchem das Blutgefäss — um die Worte Lenhos- 
sek’s zu gebrauchen — „wie ein Fremdkörper“ verläuft. 

Ich habe mich von der Richtigkeit dieser Angaben nicht 
überzeugen können. Ich bestreite zwar nicht, dass in der Nähe 
der Gefässe liegende Gliazellen ihre Ausläufer sowohl in longi- 
tudinaler, als auch in eirkulärer Richtung um das Gefäss schlingen 
können, aber von einer Grenzmembran, welche das Gefäss von 
dem übrigen Gewebe absondern würde, habe ich keine Andeutung 
gesehen. Noch viel weniger kann diese so gebildet sein, wie Len- 
hossek angiebt. Im Gegentheile muss ich darauf beharren, dass 
die in querer Richtung an das Blutgefäss herantretenden Glia- 
zellenfortsätze sich zumeist direct in die Wand desselben ein- 
senken und mit derselben verschmolzen sind. 

Des Weiteren kann man die Beobachtung machen, dass 
die Nervenzelle direct mittels eines stärkeren Dendriten mit dem 
Blutgefässe zusammenhängt (Fig. 24), während, wie aus dem 
früher Angeführten zu ersehen ist, dieselbe auf der andern Seite 
durch feinste Ausläufer mit dem Netzwerke des Gliagewebes 
verbunden ist. 

Ich zweifle auch an den Anastomosen der Neurogliazellen 
nicht im Geringsten. Auch dies ist vielfach bestritten worden, 
wiewohl es viele ältere positive Angaben giebt. So hat z.B. 
Rohon!) am Gehirne von Torpedo marmorata solche Verbin- 
dungen beschrieben und abgebildet. 

Es scheint also, dass sämmtliche zellige Elemente des 
Centralnervensystems durch Ausläufer untereinander verbunden 
sind und mit Hilfe derselben auch mit dem Blutgefässsysteme 
zusammenhängen. 

Ich glaube aus diesen Beobachtungen mit Recht auf die 
trophische Rolle der erwähnten Verbindungen schliessen zu dürfen, 
wie dies bereits Strieker?) auf Grund eigener Beobachtungen 
und jener von Gerlach, Deiters u. A. ausgesprochen hat. 

Sowohl die stärkeren Dendriten, als auch 


1) J. V. Rohon, D. Centralorgan d. Nervensystems d. Selachier. 
Denkschriften d. math.-naturw. Klasse d. kais. Akad. Wien. 1877. Tafel 
IV, Fig. 33 u. 35. 

2) Stricker, Vorlesungen etc. 32. Vorl. Wien 1885. 


508 Vladislav Rü2icka: 


die feinen Gliaverbindungen der Nervenzellen 
sind demgemäss, wenn man den Thatsachen kei- 
nen Zwanganthun will, als Ernährungsapparate 
derselben aufzufassen. 

Golgi hat die Behauptung ausgesprochen, dass die Den- 
driten ausschliesslich nur diese nutritive Rolle besorgen. Zugleich 
gab er an, dass sich dieselben mit ihren Enden an die Blutge- 
fässe anlegen und so das ernährende Plasma aus denselben der 
Zelle zuführen. Die Richtigkeit dieser anatomischen Beobach- 
tungen wurde aber von Lenhossek in der heftigsten Weise 
bestritten. Er habe nie etwas derartiges finden können!), die 
Dendriten seien überall ausser aller Beziehung zu den Blutge- 
fässen. 

Dass diese Behauptung Lenhossek’s unrichtig ist, be- 
weisen meine oben eitirten Beobachtungen (Fig. 24), welche die 
Zuverlässigkeit der Angabe von Golgi in vollem Umfange be- 
stätigen. 

Ob freilich den Dendriten nur die Aufgabe zukommt die 
Ernährung der Nervenzellen zu besorgen, wie Golgi meint, 
kann ich nicht entscheiden. Bei den Gliaverbindungen scheint 
dies wirklich der Fall zu sein. Doch möchte ich es auch in 
Bezug auf diese nicht für ganz erwiesen halten. Ich habe näm- 
lich an einer Nervenzelle beobachtet, dass sich der Nervenfort- 
satz unweit von seinem Ursprunge in mehrere sehr feine Aeste 
auflöste, die in das Netzwerk der Glia eintraten und sich daselbst 
vollständig verloren (Dendraxon). Dieser Beobachtung zu Folge 
könnte möglicherweise auch das Gliagewebe nervöser Leitungen, 
wenigstens zum Theile, fähig sein. Doch will ich aus dieser 
einzelnen Beobachtung keine weitgehenden physiologischen 
Schlüsse dedueiren. 

So viel steht aber fest, dass Nerven- und Gliazellen durch 
Zellenausläufer miteinander und untereinander verbunden sind. 

In Kürze möchte ich noch auf die allgemein histologische 
Bedeutung dieser Erkenntniss hinweisen. 

Bekanntlich hat Heitzmann die Behauptung aufgestellt, 
dass das Protoplasma eine netzförmige Structur und Ausläufer 
besitzt, die mit den Fortsätzen benachbarter Protoplasmastücke 


1) Lenhossek, Der feinere Bau etc. S$. 110. 


Untersuchungen über die feinere Structur der Nervenzellen etc. 509 


zusammenhängend ein Netzwerk formiren. Für das Centralner- 
vensystem wurde dies in neuerer Zeit bestritten, doch fügt sich, 
wie meine Beobachtungen zeigen, auch die Nervenzelle in das 
von Heitzmann aufgestellte Schema. 

Die Hauptergebnisse der vorliegenden Arbeit sind also in 
Kürze die nachfolgenden: 

1. Die Nissl’schen Körperchen sind in der lebenden Ner- 
venzelle nicht präformirt; sie sind Artefaete, die nicht durch die 
Einwirkung sauerer Fixirmittel, sondern erst bei der Entfärbung 
zu Stande kommen. 

2. Die motorischen Vorderhornzellen des Stier- und auch des 
Hunderückenmarkes besitzen nicht durchwegs eine parallelstreifige 
Protoplasmastructur. Diese kann also nicht als charakteristisch 
für die motorische Function angesehen werden. 

3. Die Nervenzellen des Rückenmarkes können durch Ana- 
stomosen untereinander verbunden sein. 

4. Die Nervenzellen des Rückenmarkes senden von ihrer 
Oberfläche feinste Ausläufer, welche in die Fasern des umge- 
benden Gewebes übergehen. 

5. Sowohl die stärkeren Dendriten, als wahrscheinlich 
auch die feinen Ausläufer der Nervenzellen stellen den Ernährungs- 
apparat der letzteren vor. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII. 


Fig. 1—12. Vorderhornzellen des Stierrückenmarkes. Vergröss. Comp. 
Oc. Nr. 4, Obj. homog. Immers. 1/,>. 

Fig. 13—17. Vorderhornzellen des Hunderückenmarkes. Vergr. wie 
oben. 

Fig. 18. Vorderhornzellen aus dem Rückenmark eines fast ausgetra- 
genen Meerschweinchenembryos. Vergr. wie oben. 

Fig. 19, 20, 23. Anastomosen zwischen zwei Vorderhornzellen des Stier- 
rückenmarkes. Vergr. wie oben. 

Fig. 21. Anastomose zwischen zwei entfernteren Vorderhornzellen des 
Stierrückenmarkes. Vergr. wie oben. 

Fig. 22. Anastomosen zwischen Grosshirnrindenzellen des erwachsenen 
Meerschweinschens. Vergr. wie oben. 

Fig. 24. Anastomose zwischen einer Nervenzelle und einem Blutgefässe. 
Zusammenhang des Blutgefässes mit dem Gliagewebe (a). Stier- 
rückenmark. Vergr. wie oben. 


510 Karl Herxheimer: 


Fig. 25. Anastomose der Nervenzelle mit einer Gliazelle. Stierrücken- 
mark. Vergr. wie oben. 

Fig. 26. Die feinen Ausläufer einer Vorderhornzelle des Froschrücken- 
markes. Osmiumsäurefixirung. Einbettung in Glycerin. Vergr. 
wie oben. 

Fig. 27, 28,29. Die feinen Ausläufer der Vorderhornzellen des Hunde- 
rückenmarkes. Sublimat-Alcohol. Toluidinblau-Eosinfärbung. 
Vergr. wie oben. 

Fig. 30. Die feinen Ausläufer einer Vorderhornzelle des Hunderücken- 
markes. Sublimat-Alcohol. Hämatoxylin nach meiner im Texte 
angeführten Methode. Vergr. wie oben. 

Fig. 31. Gruppe von Vorderhornzellen des Hunderückenmarkes. Flem- 
ming’sches Gemisch. Alcohol. In Toluidinblau durch 17 Stun- 
den gefärbt. 


Ueber die Structur des Protoplasmas der 
menschlichen Epidermiszelle. 


Von 


Dr. Karl Herxheimer, 
Oberarzt der dermatologischen Abtheilung des städtischen Kranken- 
hauses in Frankfurt a. M. 


Hierzu Tafel XXV. 


Einleitung. 


Die Frage nach der Structur des Protoplasmas der Zellen 
hat in dem letzten Jahrzehnt vielfache und ausgedehnte Erörte- 
rungen hervorgerufen, ohne dass bisher eine Einigung erzielt 
worden wäre. Nicht zuletzt aus diesem Grunde habe ich die 
menschliche Epidermis des Genaueren auf den Bau des Proto- 
plasmas ihrer Zellen studirt. Doch waren noch andere Gründe 
maassgebend. Einmal hatte ich im Jahre 1889 „eigenthümliche 
Fasern“ in der Epidermis des Menschen beschrieben, die, wie 
ich damals annahm, die Oberfläche der Zellen umspannten, von 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 511 


denen ich aber mich später überzeugte, dass sie zum grössten 
Theile intracellulär gelagert waren und somit Fasern darstellten, 
die das Protoplasma durchsetzten. Es musste sich nun natur- 
gemäss die Frage erheben, in welchem Verhältniss diese übrigens 
schon von Ranvier beschriebenen Fasern zu dem färbbaren 
Theil des Protoplasmas standen. Wir werden auf diese Frage 
später zurückkommen. Des Weiteren veranlassten mich patho- 
logische Befunde, der Ergründung des normalen Baues des Pro- 
toplasmas der menschlichen Epidermiszellen näher zu treten. 
Es wurden denn auch mit geringen Ausnahmen nur menschliche 
Epidermis oder diejenigen von Säugern untersucht, obwohl der- 
artige Studien an Protozoen oder sonstigen niederen Thieren 
gemacht zu werden pflegen. Aus naheliegenden Gründen. Denn 
bei letzteren sind die bezüglichen Verhältnisse wegen der Grösse 
der Objeete leichter zu erkennen, liegen weniger complieirt und 
sind schon mit relativ einfachen Fixirungs- bez. Tinetionsme- 
thoden sichtbar zu machen, sogar am lebenden Objeet wahrzu- 
nehmen. Die vergleichend anatomische Untersuchung wird aber 
zu unseren Zwecken überflüssig, wenn es uns gelingt, die feinen 
Protoplasmastructuren am Menschen darzustellen. Letzteres glaube 
ich nun erreicht zu haben durch ein Verfahren, das ich weiter 
unten mittheilen werde. Die nachfolgenden Resultate sind mit 
diesem Verfahren zum grossen Theil gewonnen worden. 

Bevor wir uns der Beschreibung des Protoplasmas der 
menschlichen Epidermiszellen zuwenden, wollen wir einen Blick 
auf den derzeitigen Stand der Frage nach der Structur des 
Protoplasmas der Zellen überhaupt werfen. Wohl am wenigsten 
Anhänger hat die Lehre botanischer Forscher, wie Berthold, 
Frank Schwarz und früher auch Strasburger gefunden, 
dass dem Protoplasma keine besondere Struetur zukomme, oder 
höchstens, dass man nur eine gekörnte Binnenschicht anzunehmen 
habe, dass aber die Aussenschicht eine homogene Substanz sei. 
Die Annahme Künstler’s, dass das Protoplasma der Flagel- 
laten aus Kügelchen bestehe, die einen flüssigen Inhalt hätten, 
dürfte wohl mit der sogleich zu erörternden Bütschli’schen 
Wabentheorie zusammenfallen. Die Körnchenlehre wurde von 
Martin, Pfitzner, Wiesner u. A., sowie namentlich von 
Altmann vertreten. Letzterer nahm an, dass Granula, mit 
denen das Plasma so vollgepfropft sei, dass die Grundsubstanz 


512 Karl Herxheimer: 


fast verschwinde, und die er Cytoblasten nannte, die eigentlichen 
lebenden Elemente in der Zelle seien. Mit dem Momente, da 
sich nachweisen liess, dass Altmann als Granula die ver- 
schiedensten Elemente, die im Protoplasma vorkommen, zusam- 
menfasste, erschien seine Auffassung unhaltbar. Dies ist auch 
deshalb der Fall, weil man von den Elementarorganismen im 
Sinne Altmann's verlangen müsste, dass sie entweder selbst frei 
leben oder dass ihnen analoge Organismen frei leben könnten. 
Neuerdings hat Max Münden freilich behauptet, dass die 
Granula auch als „Protocytoblasten“ z. B. als Bacterien, Coecen 
u.s. f. vorkämen. Eine Widerlegung dieser Anschauung ist über- 
flüssig. Eine weitere Theorie der Protoplasmastruetur ist von 
Schäffer und von Leydig aufgestellt worden, welche der 
Ansicht sind, dass das Protoplasma einen schwammigen Bau 
besitze, wobei das Gerüstwerk (Spongioplasma) von festerer Be- 
schaffenheit sei, in welchem eine flüssige Masse (Hyaloplasma) 
enthalten wäre. Die letztere sei als die eigentlich lebende Sub- 
stanz anzusehen. 

Wir haben im Vorhergehenden einige längst bekannte Theo- 
rien der Uebersichtlichkeit halber angeführt, bemerken aber, dass 
sich keine derselben allgemeine Geltung zu verschaffen im Stande 
war. Wenn wir jetzt auf die hauptsächlich in Betracht kommenden 
Anschauungen etwas ausführlicher eingehen, so rechtfertigt sich 
dies einmal durch die Bedeutung, welche denselben zukommt, 
und ferner dadurch, dass wir in unseren Beobachtungen öfters 
auf sie reeurriren müssen. Es handelt sich um die Theorien von 
der fibrillären Structur und von dem wabigen Bau des Proto- 
plasmas. Erstere wird besonders von Flemming, Ballo- 
witz, C. Schneider vertreten. Flemming’s „Faden- 
gerüstlehre*“ nimmt an, dass im Allgemeinen im Zellleib faden- 
förmige Gebilde (Mitom) verlaufen, zwischen denen eine sichtbar 
nicht geformte Substanz (Paramitom) sich befindet. Flem- 
ming läugnete schon 1893 nicht, dass es zwischen den Fäden 
Verbindungen gäbe derart, dass ein Gerüstwerk vorhanden wäre; 
bloss glaubte er damals, dass dies am lebenden Objeet nicht 
sicher zu erkennen sei und ein Gerüst am gefärbten Präparate 
durch Gerinnung oder Verklebung vorgetäuscht werden könne. 
Damals gab er zu, dass ein wabiger Bau möglich sei, voraus- 
gesetzt, dass von dem Vertreter der Wabentheorie, Bütschli, 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menuschl. Epidermiszelle. 513 


zugegeben werde, dass Fibrillen in den thierischen Zellen wenig- 
stens regelmässig vorkämen. Der Verlauf dieser Fäden sei inner- 
halb der Wände des Fachwerkes zu denken. Später, 1895, 
glaubte Flemming den Anschauungen Bütschlis sehr 
nahe zu stehen, wenn letzterer zugäbe, dass die Schaumstrueturen 
vielfach mittels Durchreissens der Wände sich in Netzwerke 
verwandeln können. Es kämen dann bez. der Fadenstructur 
nicht mehr Kantenbilder in Betracht noch die Ansicht, dass die 
Fäden gestreckte Wabenwände darstellten, sondern die Fibrillen 
seien „drehrunde Fäden von besonders beschaffener abgesonderter 
Zellsubstanz“. Flemming nahm somit für die Provenienz der 
Fäden in der thierischen Zelle im Allgemeinen einen ähnlichen 
Standpunkt ein, wie ich und Hugo Müller ihn bezüglich der 
Epidermiszellen des Menschen andeuteten, indem wir über die 
Fäden sagten: „Ob dieselben als differenzirtes Protoplasma an- 
gesehen werden müssen, etwa im gleichen Sinne, wie das Fett 
der Fettzelle oder das Pigment der Pigmentzelle, lassen wir 
dahingestellt.“ Neuerdings, 1897, betont Flemming den Un- 
terschied zwischen seinem Fadengerüst und dem wabigen Bau 
Bütschli's schärfer. 

Bütschli hat durch seine ausgezeichneten Untersuchungen 
den wabigen Bau der sichtbar geformten Theile des Protoplasmas 
in hohem Grade wahrscheinlich gemacht. Er hatte den Netzbau 
vielfach am lebenden Object unter dem Mikroskope studirt, unter 
dem man bei starken Vergrösserungen nur Flächen, aber keine 
Körper sehen kann. Denselben Bau konnte er durch künst- 
lich erzeugte Oelschäume gewinnen, ein Versuch, der jederzeit 
leicht gelingt. Nachdem Bütschli die Schaumstructur nun 
noch an einer ungemein grossen Zahl der verschiedensten Zell- 
formen nachgewiesen hatte, konnte der Annahme einer weiten 
Verbreitung derselben, wenigstens im Thierreiche, nichts mehr 
entgegenstehen, wenngleich für manche Zellarten eine besondere 
Structur nicht vorhanden ist, das Protoplasma vielmehr homogen 
erscheint. Man hat es bei den Wabenwänden mit einer dieker 
flüssigen Substanz zu thun, innerhalb deren sich eine dünnere 
Flüssigkeit befindet. Die Annahme der Waben- bez. Schaum- 
struetur schliesst selbstverständlich nicht aus, dass geformte Ele- 
mente, z. B. Granula, eingeschlossen sind, doch sind dies nicht 
Theile, die zur Grundsubstanz des Protoplasmas zu rechnen sind. 


514 Karl Herxheimer: 


Auch viele andere Forscher sprechen sich in neuester Zeit 
für den wabigen resp. schaumigen Bau des Zellplasmas im Sinne 
Bütschlis aus. Mikosch allerdings beobachtete in den 
Epidermiszellen von Sedium telephium feine körnige Fädchen, 
die sich erst beim Absterben vacuolisiren, will diesen Bau aber 
durchaus nicht verallgemeinen. Trinchese fand in Epithel- 
zellen von Janus eristatus einen netzigen Bau, Lilian J. Gould 
bei Pelomyxa palustris eine feine Vacuolisirung, eben dieselbe, 
in deren centralem Protoplasma Israel. Schütt, der die 
Zellen der Peridineen studirte, lässt die Frage, ob Fäden oder 
Waben die Grundstructur des Plasmas bilden, offen, erhielt aber 
durch Fixirung Bilder, die sich von denjenigen Bütschli's 
durch die Grösse der Waben unterschieden, während Schau- 
dinn bei Caleituba eine stärker und eine schwächer lieht- 
brechende Substanz unterscheiden konnte, von denen die erstere 
ein Netzwerk bildete, dessen Maschen von der letzteren ausge- 
füllt wurden. von Lenhossek fand die Structur des Plasmas 
der Nervenzellen so fein, dass er sich darüber nicht auszusprechen 
wagte. 

Rhumbler erkennt die Wabenstruetur im Sinne Bütschli’s 
an, daneben komme aber auch wabenloses Plasma vor, während 
Crato für pflanzliche Zellen den Wabenbau annimmt. Für die 
letzteren ist nach Klemme ein homogenes Plasma mit körnigen 
Einlagerungen anzunehmen. Auch Galeotti glaubt, dass bei 
den meisten Zellarten das Plasma homogen sei, körnige Ein- 
lagerungen und Vacuolen enthaltend. Waldeyer spricht sich 
im Sinne Reinkes für Pseudowaben aus, d.h. es existire 
nicht ein gleichmässig vacuolärer Bau, sondern es kämen gröbere 
Granula vor, die sich weiter zu Fetttröpfchen ete. differenziren könn- 
ten, und daneben mehr flüssige Massen, während feinere Granula, die 
sich eventuell zu Fäden aneinanderreihen könnten, in den Wänden 
der Grundsubstanz eingelagert seien. H. Rabl findet in den 
Epithelzellen der Malpighi'schen Schieht nach Vorbehandlung 
sowie an frischer Haut Fasern, wie sie schon von Ranvier, 
Flemming,mir, Blaschko, Kromayer u. A. beschrieben 
waren. Von Erlanger endlich beschreibt den wabigen Bau 
in den Epithelien des Kiemenblattes der Salamanderlarve, ebenso 
in den Zellen des Ascariscies. In den Zellen der Diatomeen 
fand Lauterborn die Waben so geordnet, dass ihre Zwischen- 


ee 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 515 


wände als ausgeprägte parallele Längsstreifen erscheinen, die 
gleichmässig durch Querwände verbunden sind. Während Held 
bezüglich der Structur der Nervenzellen einen wabigen Bau im 
Bütschlischen Sinne innerhalb des Lebens bezweifelt, meint 
Braus bezüglich der Leber, dass das im optischen Querschnitte 
fädige Plasma in Wirklichkeit Wabenwände vorstellen könne. 

Einen besonderen Standpunkt vertritt neuerdings W. His 
bezüglich der Keimzelle des Selachiereies: Um den Kern herum 
liegt „eine trübe, gerüstbildende Substanz“ (mit Leydig Spon- 
gioplasma genannt), welche eine helle, strueturlose Substanz ent- 
hält (Hyaloplasma). Die Peripherie der Zelle wird nach His 
von einer Zone gebildet, welche er als periphere Ausbreitung des 
Spongioplasmas auffasst. Die gerüstbildende Substanz sei viel 
gröber als die Fäden Flemming’s und die Waben Bütschli’s. 

Aus vorstehender kurzer Uebersicht aus der Literatur aus 
den Jahren 1894, 1895 und 1896 — zu einem Theile der Arbeit 
Flemming's in den „Ergebnissen der normalen Anatomie und 
Entwicklungsgeschichte* von Merkel-Bonnet entlehnt — er- 
hellt, dass von einer Einigung der Anhänger der „Fadengerüst- 
lehre* und des Wabenbaues bislang keine Rede sein kann. 
Unna studirte die Plasmastructur an den Zellen des Bindege- 
webes der menschlichen Haut und zwar, wie es scheint, vor- 
wiegend an pathologischem Material. Er konnte an gewissen 
Zellen einen netzförmigen, an anderen einen wabigen und wieder 
an anderen einen spongiösen Bau unterscheiden. Für letztere 
sieht er als Typen die von ihm beschriebenen Plattenzellen an, 
während seine „Korbzellen* geradezu „Schaumzellen“ genannt 
werden könnten. Wenn also Unna für einzelne Zellarten den 
wabigen, bez. schaumigen Bau des Protoplasmas zulässt, so ist 
er andererseits ein Gegner seiner Verallgemeinerung. Er meint, 
dass es unrichtig sei, von allen Einzelstructuren abzusehen und 
den Zellleib nur als Ganzes auf seine Structur hin zu betrachten. 
Wir werden im Folgenden sehen, ob die a priori ansprechendere, 
verallgemeinernde Anschauung Bütschlis oder die individua- 
lisirende Unna’ bez. der menschlichen Epidermis zu Recht 
besteht. Auch Unna’s mikroskopische Bilder sind Netze. 

Nun hat aber Bütschli nachgewiesen, dass die Annahme 
eines im gewöhnlichen Sinne netzförmigen oder schwammigen 
Baues nicht aufrecht erhalten werden kann. Dieser Beweis 


516 Karl Herxheimer: 


stützt sich zunächst auf das Vorhandensein der Vacuolen, die 
im Entoplasma der Infusorien eine kugelige Gestalt haben. Va- 
cuolen besitzen die Fähigkeit zusammenzufliessen, und sie nehmen 
dann wieder eine kugelige Gestalt an. Von dem Inhalt gewisser 
Nahrungsvacuolen ferner ist es bekannt, dass er ein wässeriger 
ist. Auch das Verhalten bei den Strömungserscheinungen spricht 
gegen netzförmigen oder spongiösen Bau. Ferner erklärt die 
Wabentheorie zwanglos das Vorhandensein eines zusammenhän- 
senden Grenzsaumes, der bei vielen. Zellen in einer festen Zell- 
membran besteht, wie dies nachgewiesen ist. 

Ein wichtiges Moment endlich ist nach unserer Ansicht 
die Uebereinstimmung des Baues der künstlich erzeugten Schäume 
mit dem Protoplasma. Diese zeigt sich nicht nur in der 
allgemeinen Aehnlichkeit, sondern auch darin, dass die festen 
Körnchen immer nur in den Knotenpunkten des Wabenwerkes 
liegen und ferner in den Strahlungserscheinungen, die im künst- 
lichen Schaum, wie im Zellleib bedingt sind durch Hintereinan- 
derreihung der Waben. Nachdem wir also durch eine Reihe 
von theoretischen Erwägungen zur Annahme eines schaumig- 
wabigen Baues des Zellleibes gelangt sind, wenden wir uns zu 
unserem eigentlichen Thema. Bevor wir jedoch auf die Einzel- 
heiten in dem Baue des Protoplasmas der Epidermis eingehen, 
ist es nöthig, Einiges über die von uns angewandte Technik 
mitzutheilen. 


Specielle Untersuchungen. 


Technik. 


Wenn auch mit den Fortschritten der histologischen Färbe- 
technik überraschende Resultate auf den verschiedensten Gebieten 
zu Tage gefördert worden sind, so haben wir uns in einer so 
schwierigen Frage, wie sie diejenige nach dem Baue des Proto- 
plasmas darstellt, doch für verpflichtet gehalten, vielfach frische 
Schnitte zu untersuchen. Obwohl wir ferner die normalen Ver- 
hältnisse festzustellen bemüht waren, konnten wir nicht allzu 
häufig normale Haut exstirpiren. Es liegt auf der Hand, dass 
die Untersuchung der Haut von Leichen zwecklos ist. Zum 
Ueberfluss hatte ich solehe, nachdem ich sie der unten zu be- 
schreibenden Färbeprocedur unterworfen hatte, untersucht. Das 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 517 


Resultat war, wie unten ausgeführt wird, ein von der Norm ab- 
weichendes, auch dann, wenn ich das als Fixirungsmittel ver- 
wendete Formol alkalisch gemacht hatte. Ich war somit auf 
frisch zu exstirpirendes Material beschränkt, das uns z.B. in 
den spitzen Condylomen reichlich zur Verfügung steht. Diese 
besitzen besonders grosse Epithelien, so dass sie sich zu unseren 
Zwecken vorzüglich eignen. 

Eine zweite Reihe von Untersuchungen betraf Schnitte von 
spitzen Condylomen, die kurze Zeit in 10°/,igem Formol gehärtet 
waren (12—24 Stunden), dann — wie bei der ersten Reihe — 
mit dem Gefriermikrotom geschnitten und in physiologischer 
Kochsalzlösung untersucht wurden. Die Schnitte waren von 
höchstens Su Dicke. Die Untersuchung geschah in allen Fällen 
mit Zeiss’schem Apochromat 2,0 und den Compensations-Ocu- 
laren 4, 6, 8. 

Weitaus die zahlreichsten Untersuchungen wurden an fixirtem 
und gefärbtem Material ausgeführt. Hierbei hatten wir öfters 
Gelegenheit, die normalen Verhältnisse zu beobachten. Die Fixi- 
rung geschah vorzugsweise Anfangs in Alcohol, später in Formol. 
Das letztere Mittel ist zum Zwecke der Fixation des Protoplas- 
mas wiederholt empfohlen worden, z.B. von Infante-Tor- 
tona in 5°/,iger Lösung. Es hat den Vorzug, gewisse Eiweiss- 
körper nicht zu fällen (Blum), was auch von Alfred Fischer 
bez. der sauren, wässerigen Lösung der käuflichen Albumose be- 
stätigt wird. Nach meinen Erfahrungen ist es dem Alcohol, 
der Pierinsäure, der Müller’schen und Flemming’schen 
Flüssigkeit sowie den wässerigen Sublimatlösungen zu unseren 
Zwecken überlegen, doch muss ich gestehen, dass mir bez. der 
Pierinsäure und dem Sublimat relativ geringe Erfahrungen zu 
Gebote stehen. Zur Anwendung gelangte die 10° ,ige Formol- 


‘- Lösung. Die Hautstückehen müssen lebensfrisch in Formol ge- 


Er 


legt werden, worin sie 48 Stunden bleiben. Dann werden sie 
in fliessendem Wasser abgespült, um 24 Stunden in T70°/,igem 
Aleohol und weitere 24 Stunden in völlig absolutem Alcohol ge- 
härtet zu werden. Nachdem sie alsdann noch 2—3 Stunden in 
Alcohol und Aether zu gleichen Theilen verweilt haben, erfolgt 
ihre Einbettung in Celloidin, und zwar auf zwei Tage in dünn- 
flüssiges und dann einen halben Tag in diekflüssiges. Alsdann 
werden sie in bekannter Weise auf Korke aufgeklebt und ge- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 34 


518 Karl Herxheimer: 


schnitten. Präparate, die lange Zeit aufgeklebt in Alcohol auf- 
bewahrt werden, scheinen ihre Färbbarkeit zu verlieren. Schnitte, 
die 8 u Dieke überschritten, waren zu unseren Zwecken un- 
brauchbar, da die Structur an ihnen nicht zu erkennen war, und 
es gelangten gewöhnlich Schnitte von weniger als etwa 8 u Dicke 
zur Verwendung. Man kann leicht ceonstatiren, ob die Dieke von 
S u überschritten ist, wenn nämlich das Protoplasma durch die 
unten zu erwähnende Tinetionsprocedur diffus blau gefärbt ist. 

Auch an Paraffinschnitten konnten, wenn auch selten, Un- 
tersuchungen vorgenommen werden. Im Allgemeinen dürften 
Paraffinschnitte zum Zwecke der Protoplasmastudien vorzuziehen 
sein, weil bei der Paraffineinbettung dünne Schnitte leichter 
gelingen, jedoch dürfte gerade die äussere Haut sich häufig für 
die Paraffineinbettung ungeeignet erweisen, weil sie sehr hart 
wird.. Immerhin gelingt es durch die Uebung auch die Paraffin- 
einbettung für Hautstückchen nutzbar zu machen. Das Celloidin 
steht aber dem Paraffın rücksichtlich der Feinheit der Schnitte 
wenig nach, und Schnitte des angegebenen Dickendurchmessers 
gelingen bei einiger Uebung leicht, so dass es schliesslich Ge- 
schmackssache der jeweiligen Untersucher ist, welcher Methode 
er den Vorzug giebt. 

Die Färbung der Schnitte geschah sowohl mit Nissl's 
Methylenblau als auch mit dessen Fuchsinmethode (Neurol. Cen- 
tralblatt, 1894, Nr. 19 ff.), als auch mit dem Unna’schen poly- 
chromen Methylenblau. In dem letzteren wurden die Schnitte 
'),—1 Stunde gefärbt, dann !/;—1 Minute in Glycerinäther 
entfärbt, in Alcohol abgespült, in Xylol aufgehellt und in 
Canadabalsam eingeschlossen; es wurde also das Verfahren 
(durchgeführt. welches von Unna für das „Spongioplasma* 
angegeben worden ist. Oder die Schnitte kamen nach 
der Färbung in polychromem Methylenblau in Xylol-Alcohol 
10:40, dann in Xylol-Aleohol 20:30, worauf sie in Xylol auf- 
gehellt wurden. Letztere Methode wurde von Unna zur Dar- 
stellung des „Granoplasma“ angegeben. 

Endlich konnten auch leidliche Färbungen mit Thionin so- 
wie mit Methylviolett (aleohol. ges. Lösung mit Zusatz von 10°/, 
Oxalsäure) und Mentholvasogenentfärbung erzielt werden. Zur 
Darstellung des Protoplasmabaues bei Axolotl genügte die An- 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 519 


wendung des Bismarckbrauns und des Delafield’schen Häma- 
toxylins; wie diese zur Kernfärbung benutzt zu werden pflegt. 

Ganz besonders eignet sich zur Demonstration der Structur- 
verhältnisse des Protoplasmas ein basischer Anilinfarbstoff, der 
mir von der ehemischen Fabrik von Leonhardt & Co. in Mül- 
heim a. M. gütigst zur Verfügung gestellt wurde, das Cresyl- 
echtviolett. 

Aus der Gruppe der Cresylfarbstoffe ist das Cresylecht- 
violett allein zu unseren Zwecken zu sebrauchen, während das 
Cresylblau das Plasma nur leicht anfärbt, etwa wie die Rosanı- 
line oder Pararosaniline.e Das erstere wird nach den Mitthei- 
lungen der Fabrik erhalten durch Einwirkung der Analogen 
von Dialkylmetaamidokresolen auf Nitrosoverbindungen. Lassen 
diesen Farbstoff in concentrirter wässeriger Lösung, welche von 
Zeit zu Zeit filtrirt werden muss, sich aber über 1 Jahr lang 
hält, etwa 10 Minuten auf entsprechend dünne Schnitte ein- 
wirken, seien diese nun von frischem Gewebe mit dem Ge- 
friermikrotom hergestellt oder von solchem, das in Alcohol 
fixirt wurde, so erhalten wir neben einer Blaufärbung der 
Kerne mit sehr deutlicher Darstellung des Kernnetzes eine 
röthliche aber schwache Tingirung des Protoplasmas, wenn wir 
nachher in Alcohol abspülen und in Nelkenöl aufhellen. Be- 
handelt man die mit Cresylechtviolett gefärbten Schnitte etwa 
20 Secunden mit dem käuflichen Aceton und dann mit Alcohol 
und Nelkenöl, so erhält man eine absolute Kernfärbung, wobei 
die Kernnetze gewöhnlich erhalten bleiben, jedoch die Tinetion 
des Protoplasmas vollkommen ausgezogen wird. Die Behand- 
lung der Schnitte mit Wasser ist zu beiden Zwecken unzulässig. 

Das Celloidin braucht vor der Behandlung mit Cresylecht- 
violett nicht entfernt zu werden. Damit stimmt auch z. B. die 
Thatsache überein, dass sich die Hornschicht blau färbt. Ich 
möchte auf die Theorie der Protoplasmafärbung durch Cresyl- 
echtviolett nicht näher eingehen, sondern nur die Vermuthung 
aussprechen, dass die Rothfärbung bez. Blaufärbung auf den 
Lösliehkeitsverhältnissen des Farbstoffes beruhen, so dass, wenn 
die Säure überwiegt, eher Blaufärbung eintritt, in neutraleren 
Lösungen eher Rothfärbung. 

Eine ungleiche schärfere Darstellung des Protoplasmas er- 
hält man dureh längeres Verweilen der Schnitte in der Farb- 


520 Karl Herxheimer: 


stofflösung bez. durch Färben über der Spiritusflamme. Bei 
frisch exeidirtem, mit dem Gefriermikrotom geschnittenen. Gewebe 
lässt sich dann der Bau des Protoplasmas schon deutlich erkennen, 
sowohl an Epidermiszellen, als auch an den Zellen des Binde- 
gewebes, wobei zu bemerken ist, dass nachherige Fixirung in 
Formol ohne Einfluss auf die Plasmadarstellung ist. Sehr vor- 
zuziehen ist jedoch vorherige Formolfixirung, so dass der Vor- 
gang ein sehr einfacher ist. Schnitte der in Formol, wie ange- 
geben, fixirten Haut werden auf dem Objeetträger mit concentrirtem 
wässerigem Cresylechtviolett so lange über der Spiritusflamme 
erhitzt, bis Dämpfe aufsteigen, sodann lässt man die Präparate 
erkalten, um sie in 96°/,igem Alcohol abzuspülen, in welchem 
Farbwolken abgegeben werden. Nach wenigen Minuten erfolgt 
Aufhellung in Nelkenöl und Einschliessung in Xylol-Canadabal- 
sam, Die ganze Procedur nimmt 5—10 Minuten in Anspruch. 
Bacterien (verschiedene Bacillenarten, Staphylococcen etc.) werden 
blau oder röthlich, Mastzellenkörner roth, rothe Blutkörper blau 
gefärbt. Die Bindegewebsbündel erscheinen fast immer electiv 
tingirt, ähnlich wie bei Mallory’s Färbung. 

Zusätze von Carbolwasser, Anilinwasser, Aethylendiamin, 
Alkalien, wie Kalilauge oder Borax, und ferner von Kresolen zu 
dem ÜCresylechtviolett waren von keinem besonderem Vortheil, 
die meisten Zusätze fällten sogar den Farbstoff aus. 

Ich habe nun auch den Bau des Protoplasmas auf physi- 
kalischem Wege darzustellen versucht, indem ich im Gewebe 
Kohlensäure zu erzeugen bemüht war. Zu diesem Zwecke wurden 
in spitze Condylome am Lebenden Salze injieirt, die eine Gas- 
bildung im Gewebe voraussetzen liessen. Obwohl die Möglich- 
keit, die Waben durch die Gase aufzutreiben, nicht zu läugnen 
ist, ist dieses Ziel trotz vielfacher Versuche nicht erreicht worden, 
wie die sofort darauf gefertigten Schnitte lehrten. Vielleicht 
wird man bei fortgesetzten Versuchen auch nach dieser Riehtung 
zu einem positiven Resultate gelangen. Eben so wenig waren 
Versuche zur Injeetion der Protoplasmaräume mit Asphalt-Chlo- 
roformlack erfolgreich, die unter möglichst hohem Druck vorge- 
nommen wurden. Die. schwärzliche Injeetionsmasse gelangte 
immer nur in die Intercellularräume, die in den unteren Epi- 
dermisschnitten an vielen Stellen vollkommen injieirt wurden, 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 521 


niemals jedoch konnte sie im Innern der Zellen selbst nachge- 
wiesen werden. 

Endlich ist hervorzuheben, dass wohl alle bekannten früheren 
zur Darstellung der Protoplasmafasern angegebenen Methoden 
zur Anwendung gelangten. 


Structur des Protoplasmas der Epidermiszellen. 


Der Gang der Untersuchungen war naturgemäss der, dass 
zuerst normale und dann pathologisch veränderte Haut auf den 
Plasmabau nachgesehen wurde. Ueber die krankhaften Ver- 
änderungen des Plasmas zu berichten, ist hier nicht der Ort. 
Die Untersuchungen hatten sich zunächst auf die Stachelzellen- 
schicht zu erstrecken. Hier besitzen wir passende Studien- 
objeete, weil die Zellen von dem katabiotischen Process, der 
sich physiologisch in der Oberhaut abspielt, noch nicht betroffen 
sind. Naturgemäss hat das Studium bei der basalen Cylinder- 
zelle einzusetzen. 

Was wissen wir bislang von der Structur des Protoplasmas 
der Stachelzellen beim Menschen ? Die meisten Autoren haben 
set Ranviers Entdeckung der Epithelfasern in diesen das 
Strueturbild der Epidermiszellen sehen zu müssen geglaubt!), und 
dieser Meinung wurde neue Nahrung zugeführt, nachdem sich 
durch meine Untersuchungen herausgestellt hatte, dass die Fasern 
sich speeifisch färben liessen. Diesen Standpunkt vertritt Kro- 
mayer (Archiv für Dermatol. u. Syphilis, 1890) derart, dass er 
die Epithelfasern in den obersten Schichten der Epidermis zer- 
fallen lässt und das Keratohyalin als ihr Zerfallsprodukt ansieht. 
Während andere Autoren sich über das Verhältniss der Fasern 
zur Plasmastruetur nicht aussprechen, glaubt Unna (Monatshefte 
für pract. Dermatol., 1894 Nr. 6), dass die Fasern nicht das 
eigentliche Structurbild der Epidermiszelle ausmachen, sondern 
dass letzteres dargestellt werde von einer spongiösen Grundsub- 
stanz mit einer gekörnten Masse als Randbelag oder in deren 
Hohlräumen, während die Epithelfasern in den Balken des 


1) Dieser Standpunkt findet sich auch in der jüngst erschienenen 
Anatomie der Haut des verstorbenen A. von Brunn vertreten. (Jena, 
G. Fischer, 1897.) 


522 Karl Herxheimer: 


Schwammgewebes und zwar theils isolirt, theils netzartig 
verbunden verlaufen. Unna scheidet somit die sichtbaren 
Bestandtheile des Epithelplasmas in ein Schwammgerüst, von 
ihm Spongioplasma genannt, eine gekörnte Substanz, das soge- 
nannte Granoplasma, und die Fasern, welche er theilweise netz- 
artig verbunden gesehen hat. Ergänzt man dazu noch das zwi- 
schen den geschilderten sichtbaren Substanzen gelegene nicht 
sichtbare Medium, so erscheint das Epidermisplasma hiernach 
complieirter, als man bislang anzunehmen geneigt war. Denn 
es hatten weder Kupffer bei seiner Unterscheidung im „Pro- 
toplasma“ und „Paraplasma“, noch Flemming bei der seinigen 
in „Mitom* und „Paramitom“, noch Leydig bei seiner Ein- 
theilung in „Spongioplasma“ und „Hyaloplasma* eine derartige 
Polymorphie des sichtbaren Plasmas im Auge. Auch von der 
Ansicht, die Niss] 1894 für die Nervenzelle vertrat, dass der 
darstellbare Theil des Protoplasmas in verschiedenen Zellen eine 
verschiedene Anordnuug habe, dass z. B. in einer Zelle die Netz- 
structur, in einer anderen die körnige Anordnung vorhanden sei, 
weicht die Unna’sche Anschauung ab, wobei allerdings bemerkt 
werden muss, dass Niss| auch Combinationen, also eine Poly- 
morphie, zulässt, welche Unna, wie wir gesehen haben, als 
Regel annimmt. Es ist übrigens schon wegen der Verschieden- 
heit der Function nicht erlaubt, ohne weiteres auf die Nerven- 
zelle zu exemplifieiren. 

Untersucht man nun die Cylinderzelle in normaler mensch- 
licher Epidermis unter den im technischen Theile erörterten Be- 
dingungen mit Cresylechtviolett, so gelingt es, einen netzförmigen 
Bau!) der gefärbten Substanz nachzuweisen. Die Netze sind hier 
ausserordentlich klein, und ich habe gewöhnlich erst mit Zeiss- 
schem Apochromat und Compensations-Ocular 8 deutlich sehen 
können. Die Bestandtheile ihrer Wandung gleichen auf den 
ersten Blick bei schwächerer Vergrösserung Körnern, man kann 
Jedoch Strichform und das Mascheninnere bei genauerem Zu- 
sehen unterscheiden. Am besten eignet sich zur Untersuchung 
die Haut der Handflächen und Fusssohlen, deren Zellen grösser 
sind. Jedenfalls erreichten die Netze den Umfang von lu 


1) Wenn ich im Folgenden von netzförmigem Bau spreche, so 
bezieht sich dieser Ausdruck lediglich auf das mikroskopische Bild. 


Br 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 523 


nieht entfernt, selbst nicht an Handfläche und Fusssohle, so dass 
sie nicht gemessen werden können. Zur Untersuchung gelangte 
die Haut der Brust, des Rückens, der Fingerbeere, der Fussfläche, 
des Präputiums, der Leistengegend, und zwar von Individuen 
zwischen dem 20. und 30. Lebensjahre. Auch die Chromatin- 
netze der Kerne waren meist sehr deutlich und eontrastirten durch 
ihre intensiv blaue Färbnng lebhaft gegenüber den rosarothen 
Plasmanetzen. Die Treffpunkte der Netze erschienen bei starker 
Vergrösserung verdickt, niemals waren in den Netz- 
maschen des Protoplasmas der basalen Cylinder- 
zellen freiliegende Körner nachzuweisen. Es ist 
hierbei ausdrücklich zu betonen, dass die Untersuchungen sich 
zunächst auf normale Verhältnisse erstreckten, weil Unna offen- 
bar seine Studien vorwiegend an pathologischer Epidermis gemacht 
hat. Er sagt nämlich: „Am raschesten orientirt man sich über 
die einzelnen Substanzen des Protoplasmas an abnorm grossen, 
im Uebrigen aber wenig veränderten Epithelien, beispielsweise an 
Schnitten kleiner spitzer Condylome etc.“ Ferner ist hervorzu- 
heben, dass ich auch bez. dieses Punktes viel mit den von 
Unna für die Darstellung des Granoplasmas angegebenen Me- 
thoden gearbeitet habe, jedoch in der normalen Stachelschicht 
immer zu dem angegebenen Resultate gelangte. Die bei hyper- 
trophischen Processen in der Epidermis von Unna und vielen 
Anderen gesehenen Anhäufungen von Granula, welche proximal- 
wärts liegen, sind eben pathologische Produkte. Sie liegen übri- 
gens auch häufig zwischen den Zellen. Zum Theil sind diese 
„Körner“ in pathologischen Veränderungen der Epidermis nichts 
anderes als isolirte Netztheilchen, denn sie sind von unregel- 
mässiger Gestalt, oft — bei starker Vergrösserung wahrzuneh- 
men — linienförmig und meist von demselben Durchschnitt etwa 
wie die Netzwandung. Wie sich diese von dem Keratohyalin 
unterscheiden, werden wir später auszuführen haben. Andern- 
theils mögen sie in gewissen Fällen isolirten Tröpfehen dünn- 
flüssigen Plasmas entsprechen. Die beschriebene „Körnung“ in 
pathologischer Oberhaut ist somit etwa der „Körnung“ analog, die 
wir in vielen Fällen bei einer Zellart im Bindegewebe wahr- 
nehmen, die gleichfalls nur in (den verschiedensten) pathologi- 
schen Zuständen auftritt, nämlich bei den Unna’schen Plasma- 
zellen. Auch hier sind häufig noch die Netze zu erkennen, viel 


524 Karl Herzheimer: 


fach jedoch sind sie überdeckt durch zahllose „Körner“. Abgesehen 
von den pathologischen Plasma„granulationen“ und denjenigen, die 
dureh den Stoffwechsel der Zelle hervorgebracht werden, kommt 
eine solehe noch nach dem Tode vor, wie sie Verworn für die 
einzelligen Organismen nachgewiesen hat. Auch hier handelt es 
sich, wie bei krankhaften Zuständen, um einen körnigen 
Zerfall. Der Tod des Protoplasmas erfolgt eben mit seiner 
Contraetion. Nach meinen an mehreren Leichen vorgenommenen 
Untersuchungen beginnt der körnige Zerfall in den Zellen der 
Epidermis 6—12 Stunden post mortem. Die dicksten Schollen 
und Körner von unregelmässiger Gestalt fanden sich 12 Stunden 
post mortem in der basalen Cylinderzellenschicht, dieht unter- 
halb derselben lag sogar eine Reihe davon ausserhalb der Zellen 
im Bindegewebe des Papillarkörpers, die später, etwa 24 Stunden 
post mortem vermehrt waren. Ein Theil von ihnen hatte die 
Richtung der Cylinderzellen eingehalten, sodass sie gewisser- 
maassen die Fortsetzung derselben bildeten. Die Körner der 
oberen Zellschichten waren feiner und zunächst vollständig gleich- 
mässig in dem Zellleib vertheilt. Hierdurch und durch die mattere 
mehr röthliche Färbung unterscheiden sie sich vom Keratohyalin. 
Eine Netzstructur habe ich mit der beschriebenen Methode an 
den Zellen der Leichenhaut nicht darstellen können. 

Schon am Plasmabau der basalen Cylinderzelle lässt sich 
erkennen, dass die kleinsten Maschen nach der Oberfläche der 
Zelle zu liegen, während diejenigen um den Kern herum grösser 
erscheinen. Diese Verhältnisse sind durch die Oberflächenspannung 
bedingt. Allerdings erscheint auch bei vielen Zellen nach der 
Oberfläche zu das Plasma diffus rosa gefärbt, und in diese Masse 
ragen dann gewöhnlich vereinzelte Fäden des centralen Netz- 
werkes hinein, die wie abgerissen scheinen. Vielleicht handelt 
es sich bei der gleiehmässig rosa gefärbten peripheren Masse um 
Stoffwechselprodukte der Zelle, jedenfalls ist nichts Sicheres 
darüber zu entscheiden gewesen. Nicht immer färbte sich die 
Peripherie, sondern bei manchen Zellen blieb sie, ähnlich wie 
(das Netzinnere, ungefärbt. Diese Verhältnisse scheinen mir die 
Ausnahme zu bilden, und wir sind daher nicht befugt, etwa ein 
Endoplasma und Exoplasma zu unterscheiden, wovon das erstere 
eine Structur zeige, das letztere aber homogen sei, wie die Bo- 
taniker es wollen. Sehr viel leichter als beim Menschen und 


ww 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 525 


bei Säugern, z. B. bei der Maus, sind die Strueturverhältnisse 
bei Axolotl und beim Regenwurm zu sehen. Bei dem ersteren 
namentlich genügt Aleoholhärtung und Darstellung mit Bismarck- 
braun oder einem gut kernfärbenden Hämatoxylin, um dieselben 
darzulegen, während. Cresylechtviolett sie zu tingiren nicht im 
Stande war. Die Oberhaut wird hier, abgesehen von einer 
obersten Lage, welche der Hornschicht beim Menschen entspricht, 
aus zwei Reihen von Zellen, die besonders gross sind, gebildet. 
Wie aus der beigegebenen Fig. 2 ersichtlich, besteht das Pro- 
toplasma aus einem sehr deutlichen Netzwerk, welches gleich- 
mässig grosse Netzräume einschliesst, deren Grösse je etwa lu 
beträgt. Hier tritt die Erscheinung mehr in den Vordergrund, 
dass das Netzwerk nicht den ganzen für das Plasma bestimmten 
Raum einnimmt, jedoch ist keineswegs immer die Peripherie des 
Zellleibs frei und der centrale Theil structurirt, sondern man 
findet einmal, dass dies der Fall ist, ein anderes Mal, dass der 
der Oberfläche zugekehrte, wieder ein anderes Mal, dass der 
dem Körper zugekehrte Theil keine Structur aufweist. Ob diese 
Erscheinungen künstlich hervorgerufen sind, was bei Alkohol- 
härtung des zarten Protoplasmas leicht begreiflich wäre, sei da- 
hingestellt; ähnlichen Verhältnissen sind wir auch beim Menschen 
begegnet. Immerhin sind es weitaus die meisten Zellen, die das 
beschriebene Netzwerk im ganzen Leib aufweisen. Ferner ist 
hervorzuheben, dass die dem Körper zugekehrten Theile des 
Netzwerkes intensiver gefärbt sind, so dass die Netze mehr 
plastisch hervortreten (ef. Figur 2). 

Um nun den Einwand, dass die gefundenen Bilder künstlich 
erzeugt seien, zu entkräften, war es nöthig, die Bilder auch an 
frischen Präparaten zu demonstriren. In der That habe 
ieh an möglichst dünnen Schnitten vom spitzen 
Condylom, das vom Lebenden exeidirt und sofort 
mit dem Gefriermikrotom geschnitten wurde, in 
der Stachelzellenschicht den netzförmigen Bau 
gesehen (Fig. 3). Zu diesem Zwecke bedarf man grösserer 
Zellen, als diejenigen in normaler Oberhaut sind. Vielleicht wird 
man nun einwerfen, dass auch der Aether bei dem Gefrieren 
eine plasmaverändernde Wirkung ausüben könne. Es ist aber 
sehr auffallend, dass immer der netzförmige Bau resultirt, und 
kein anderer. Es sind zur Darstellung der erwähnten Bilder, 


a 


526 Karl Herxheimer: 


wie erörtert, dünne Schnitte nöthig, und es ist deshalb nicht 
möglich, auf das Microtom zu verziehten. Das Rasirmesser 
würde selbst dem Geübteren viel zu dieke Schnitte ergeben. 
Die Figur 3 zeigt den beschriebenen Bau. Gleichzeitig sind hier 
deutlich die extracellulären Stacheln zu constatiren, die mit dem 
Netzwerke des Zellleibs am frischen Präparat in keiner Verbin- 
dung zu stehen scheinen. Auch ist zu bemerken, dass in 
diesen frischen Sehnitten Fasern nicht zu sehen 
sind. Freilich muss zugestanden werden, dass die Zelle den 
höheren Oberhautlagen entstammt und dass die Netze nicht 
mehr ven der Kleinheit derjenigen in den Cylinderzellen sind, 
sondern es hat hier eine gleichmässige Ausdehnung der Maschen 
(Waben) stattgefunden. Es besteht hiernach und nach dem, was 
bei der Formolfixirung des Plasmas gesagt wurde, für mich kein 
Zweifel mehr daran, dass im optischen Querschnitte die eigent- 
liche Structur des Leibes der basalen Cylinderzelle und der ge- 
sammten Zellen der Stachelschieht eine netzförmige ist. 

Im optischen Querschnitte stellt sich dieses von gleich- 
mässigen Vacuolen durchsetzte Plasma als ein Netzwerk dar. 
Körperlich betrachtet kann das. Netzwerk nur eine Schaumstruetur 
im Sinne Bütschli’s sen. Bütschli führt als Beweis dafür 
verschiedene Momente an. Zunächst ist es das Auftreten von 
Vacuolen bei den Infusorien, welche ersteren eine kugelige Ge- 
stalt haben, Wasser enthalten (wenigstens die Nahrungsvaeuolen) 
und zusammenfliessen können, wobei ihre Form wieder kugelig 
wird. Isolirte Plasmatheile nehmen stets Tropfengestalt an. 
Hält man dazu noch das Verhalten bei den Strömungserschei- 
nungen, so dürfte eine flüssige Beschaffenheit des Paraplasmas 
analog den Oelschäumen wahrscheinlich sein. 

Des Weiteren nimmt die Wabentheorie als Zellmembran 
einen pellieulaartigen Samen als Folge des Baues an. Eine 
Membran ist für viele Zellen nachgewiesen und von mir jüngst 
wieder an den Epidermiszellen mit der Weigert'schen Neuro- 
sliamethode dargestellt worden. Die Vertreter der Schwamm- 
theorie sind mit dieser nieht im Stande zu erklären, auf welche 
Weise der zusammenhängende Saum stets wieder an der Ober- 
fläche von solehen Zellen zu Stande kommt, von deren Zellleib 
einzelne Stückchen abgeschnitten worden sind. 

Auch die bereits erwähnte radiäre Stellung der Theile des 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 527 


Zellleibes um den Kern, die in vielen Fällen statthat, und die That- 
sache, dass die körnigen Einschlüsse — vollkommen entsprechend 
unseren Beobachtungen — immer in den Knotenpunkten des 
Wabenwerkes liegen, wird durch Bütschli’s Theorie leicht 
erklärt. 

Die Strahlungserscheinungen im Protoplasma lässt Bütschli 
durch Diffusionsvorgänge, die Streifungserseheinungen der Epi- 
thelien theils durch diese, theils durch Druck oder Zug ent- 
stehen. 

Die besprochenen von Bütschli für die Existenz eines 
alveolären, honigwabenartigen Baues des Protoplasmas geltend 
gemachten Momente haben im Zusammenhang mit der diesem 
Autor gelungenen experimentellen Darstellung des alveolären 
Baues der Oelschäume, wie gesagt, die Erkenntniss des Plasma- 
baues wesentlich gefördert. Es erübrigt nur noch, mit einigen 
Worten auf die Ansicht derjenigen Autoren einzugehen, welehe 
ein Spongioplasma annehmen, d. h. welche sich vorstellen, dass 
das Plasma schwammartig gebaut sei, eine Structur, die neuer- 
dings Unna für die Epidermiszellen und eine grosse Zahl von 
Bindegewebszellen annimmt. Dieser Forscher stellt sich vor, 
dass das Gerüst der erwähnten Zellen aus einem soliden, weichen 
Körper bestehe, mit eingesprengten Flüssigkeitströpfehen. Einer 
solehen Annahme stehen jedoch, wie ich glaube, verschiedene 
Bedenken entgegen. Das ist einmal die ausserordentliche Fein- 
heit des Gerüstes, die am deutlichsten in den Epidermiszellen, 
aber auch in den Bindegewebs- und Endothelzellen hervortritt. 
Ebenso ist zu betonen, dass die Annahme einer „soliden, weichen“ 
Masse keine so gleichmässige Form des (Gerüstwerkes abgeben 
würde, wie wir sie thatsächlich immer und immer wieder wahr- 
nehmen. Vielleicht würde durch den Druck der innerhalb des 
Gerüstwerkes vorhandenen Flüssigkeit die Form häufiger ver- 
ändert werden, als dies thatsächlich der Fall ist. Eine Aus- 
nahme davon machen gewisse pathologische Zustände, in welchen 
die Netze sowohl bedeutend erweitert sein als auch eine andere 
Form annehmen können. Dies ist bei intensivem Oedem der 
Fall, wofern durch dasselbe die Plasmastruetur nieht gänzlich 
zerstört wird. Endlich duldet auch das Gesetz der Oberflächen- 
spannung die Zugrundelegung einer soliden Masse nicht. Nach 
diesem Gesetz müssen die der Oberfläche am nächsten liegenden 


528 Karl Herxheimer: 


Waben die kleinsten sein. Dies ist nun thatsächlich der Fall, 
wie man es deutlich an den verschiedensten Zellarten demon- 
striren kann. Besonders mache ich in dieser Hinsicht auf die 
in der mittleren Stachelschicht liegenden Epithelien aufmerksam, 
aber auch auf Bindegewebszellen und Endothelien beim Kinde 
und beim erwachsenen Menschen, endlich auf Epithelien und 
Muskelzellen bei Axolotl, auf Epithelien des Regenwurms u. 8. f. 
Wie man hieraus sieht, hat das Gesetz der Oberflächen- 
spannung durchweg Geltung. Dies kann aber nur bei flüssigen 
und gewissen gasförmigen Körpern statthaben, niemals bei 
solchen, die im pbysicalischen Sinne fest sind. Für eine andere 
Art der Bindegewebszellen, die er „Korbzellen“ nennt, lässt 
Unna den schaumigen Bau zu. Er lässt den wabigen Körper 
sich weiter derart entwickeln, dass aus dem wabigen Baue durch 
Vergrösserung der Bläschen auf Kosten der Wabenwände ein 
sehaumiger und, „wenn schliesslich viele Wabenwände platzen“, 
ein netzförmiger Bau resultirt. Diese letztere Auffassung aber 
ist wohl nieht recht haltbar, da wir von „netzförmigem“ Bau 
nur beim optischen Querschnitt reden können, während 
es sich bei unseren Betrachtungen doch lediglich um Körper 
handeln kann. „Netzförmig“ sieht somit unter dem Mikroskope 
sowohl der pseudowabige als schwammige als wabige Bau aus. 
Will man aber den Ausdruck ‚„netzförmig“ körperlich aufgefasst 
wissen, so präjudieirt er zu wenig, denn man kann sich sowohl 
ein Netz aus weicher als aus harter Masse hergestellt denken. 
Ferner giebt es eng- und weitmaschige Netze, und es ist deshalb 
nicht einzusehen, warum man einen vacuolären Bau, weil dessen 
Maschen grösser geworden sind, einen „netzförmigen‘“ nennen soll. 
Entsprechend diesen Anschauungen sehen wir auch mittels unserer 
modernen Tinetionsmethoden nur Netze unter dem Mikroskop, und 
es ist somit durchaus unmöglich, den Bau des Protoplasmas anders 
als auf physiealischem Wege mit Sicherheit zu eruiren. 
Vorstehende kleine Abschweifung wurde für nöthig gehalten, 
um die Ansicht zu widerlegen, dass das Gerüst des Protoplas- 
mas aus einer soliden Masse bestehe. In der menschlichen Haut 
ist eine Verschiedenheit, wie sie Unna in dem pseudowabigen 
spongiösen, wabigen, schaumigen Kern erkennen will, nicht wahr- 
nehmbar: Epidermiszellen, Bindegewebszellen, Endothelien, Drü- 
senzellen, Zellen des subeutanen Fettgewebes weisen alle Netze 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 529 


auf. Dass diese durch Grösse, Anordnung, Form etc. verschieden 
sind, soll keineswegs bestritten werden. Im Gegentheil sind 
diese Eigenschaften für die Differentialdiagnose in Anspruch zu 
nehmen, denn es lässt sich ohne weiteres demonstriren, dass 
2. B. eine Endothelzelle unter normalen Verbältnissen, wenigstens 
in den centralen Parthien des Zellleibs, ein Netzwerk mit relativ 
grossen Maschen besitzt, dessen Anordnung derart eingerichtet 
ist, dass es zu beiden Seiten des Kernes in einer Linie mit dessen 
Längendurchmesser liegt, dass ferner auch die Bindegewebs- 
zellen, wie das beim neugeborenen Menschen mit der Cresylecht- 
violettfärbung besonders deutlich hervortritt, etwas grössere 
Maschen ihrer Netze aufweisen, als die Epidermiszellen'). 


1) Die Uebereinstimmung, welche das Plasmanetz der Bindege- 
webszellen in der angegebenen Richtung mit demjenigen der Chroma- 
tophoren zeigt, war für mich einer der Gründe für die bindegewebige 
Natur dieser letzteren (K.Herxheimer: Ueber Pemphigus vegetans 
nebst Bemerkungen über die Natur der Langerhans'schen Zellen, 
Archiv für Dermatol. und Syph. 1896). Ich hatte damals die Langer- 
hans’schen Zellen und Chromatophoren für identisch erklärt, eine 
Behauptung, die ich auch heute vollkommen aufrecht erhalte. Als 
Gründe für meine Auffassung sind heute wie damals maassgebend ein- 
mal die Localisation der fraglichen Gebilde in den unteren Epider- 
misschichten, ferner ihre eigenthümliche Gestalt, sowie dass in den 
meisten Fällen bei den Gebilden von diesen Eigenschaften sich ein 
deutlicher Kern nachweisen lässt (Färbungen mit Bismarckbraun, 
Fuchsin ete.). Uebrigens spricht auch die Thatsache, dass bei der 
Silberreduktion häufig im centralen Theile der erwähnten Gebilde eine 
Höhle hellgelblich bleibt, also nicht mitredueirt wird, welche Höhle 
ihrer Lagerung und Gestalt nach offenbar dem Kern entspricht, für 
die Zellnatur der Reduktionsfiguren. Ich habe zufällig dieses Ver- 
halten nicht in dem Präparate constatirt, welches ich zur Zeichnung 
benutzte, habe es jedoch vielfach gefunden bei Untersuchungen mit 
der Cajal’schen Methode, die sich auf etwa 30 spitze Condylome er- 
streckten, welche serienweise geschnitten wurden. Ich erwähne dieses 
Verhalten deshalb, weil Kromayer neuerdings die Zellnatur der 
Langerhans’schen Zellen wiederum in Abrede stellt (Dermatolog. 
Zeitschrift, Berlin 1397). Dass nicht alle Fortsätze dieser Gebilde mit 
dem centralen Theile, welcher den Kern enthält, im Zusammenhang 
stehen, erklärt sich aus der Chromatophorennatur der Gebilde. Ich 
habe beobachtet, dass isolirte Fortsätze in Epidermiszellen geradezu 
invaginirt werden, ein Vorgang, der schon öfters beobachtet wurde, 
so von R. von Wild (Inaug.-Dissertat. aus dem von Reckling- 
hausen’schen Institute, Strassburg 1889). 


530 Karl Herxheimer: 


Ueber die basalen Cylinderzellen der menschlichen Epi- 
dermis, zu deren Besprechung wir zurückkehren wollen, haben 
wir noch mehrere Bemerkungen anzufügen. Einmal nämlich sind 
ihre Netze seitlich von den Kernen, welche in der Breite den 
Raum des Cylinders meist fast für sich allein beanspruchen, sehr 
spärlich und mehr gestreckt. An den Polen der Kerne ist dann 
mehr Raum zur Entwickelung des Plasmas vorhanden. Kommt 
ferner die Zelle der Cylinderform sehr nahe, erreichen also hier 
die Netze eine grössere Ausdehnung, dann sind sie rundlicher, 
läuft aber die Zelle an ihren Polen spitzer zu, dann verlaufen 
sie gestreckter. 

Ferner finden wir durchaus nicht immer eine regelmässige 
Anordnung der Netze, sondern die Maschen werden nicht selten 
dureh grössere Vacuolen!) ersetzt, die sich hier, entsprechend 
der Form der Zelle, gewöhnlich um die Pole der Kerne befinden, 
und die ich speciell als Polvacuolen bezeichnen möchte deshalb, 
weil sie auch in der übrigen Stachelschicht so häufig wiederkehren, 
dass sie einen Typus repräsentiren?) (Fig.4). Sie kommen etwa gleich 
häufig an beiden Polenden der Kerne, aber auch nicht selten nur 
an dem einen vor. Anders gelagerte Vacuolen habe ich in nor- 
malen Cylinderzellen nicht gesehen. Eine eventuelle Ver- 
wechselung mit pathologischen Veränderungen am Kern ist schon 
deshalb ausgeschlossen, weil mit Cresylechtviolett sich die Kern- 
membran meist deutlich gegen den Kernleib absetzt. Die Kerne 
weisen ihre normale Grösse, die Kernkörperehen und Netze auf, 
in deren Knotenpunkten fast immer Körner eingelagert sind. 

Das Verhalten des Pigmentes zu den Netzen lässt sich mit 
wenigen Worten schildern. Sind die Pigmentkörner, die in der 
Cylinderzellenschieht häufig um einen oder beide Pole des Kernes 
gelagert sind, nieht in allzu grosser Menge vorhanden, so sieht 
man sie zumeist in den Netzen darin liegen, oft aber auch an 
den Netzwänden, namentlich in den Randschichten des Plasmas, 
ähnlich wie das Ribbert für die Chromatophoren feststellte 


1) Wie sich des Weiteren ergeben wird, kommt den Vaeuolen, 
die ja ein integrirender Bestandtheil der Schäume sind, eine solche 
Bedeutung zu, dass ich auf sie später eingehen muss. 

2) Dieselben kommen also auch in der normalen Haut vor, nicht 
bloss in der pathologischen, wieRille meint (68. Vers. Deutscher Natur- 
forscher, 1896, S. 444). 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 531 


(Beitr. z. path. Anat. ete. Bd. XXD. Bei nicht zu starkem 
Ueberhandnehmen des Pigmentes bleiben in der Regel die Va- 
cuolen frei. Es gelingt jedoch nicht häufig, die Pigmentkörner 
und -schollen in dieser Lagerung zu beobachten (cf. Fig. 7), weil 
gewöhnlich ihre Zahl oder ihr Umfang so gross ist, dass sie 
die Netze mehr oder weniger vollständig verdeeken. Wir haben 
auf dieses Verhalten des Pigmentes später kurz zurückzukommen. 

Bevor ich mich zur Besprechung des Restes der Stachel- 
schieht wende, bemerke ich, dass mir der Nachweis einer netz- 
förmigen Structur des Epidermisplasmas an der Haut von Neu- 
geborenen nicht geglückt ist. Es konnten nur 4 Stückchen Haut 
von der Brust und dem Rücken zweier verschiedener Neugebo- 
rener untersucht werden, jedoch zeigte Formolfixirung und Cre- 
sylechtviolettfärbnng in der Cylinderzellen- und übrigen Stachel- 
zellenschieht nur matt gefärbtes Plasma, das structurlos war. 
Möglich also, dass man hier eine Art von Reifen anzunehmen 
berechtigt wäre, d. h. dass die Bildung der Wabenstructur erst 
in den ersten Lebensmonaten begänne. Doch gestehe ich zu, 
dass meine diesbezüglichen Untersuchungen an Zahl nieht hin- 
reichend sind, und es bleibt einer zukünftigen Bearbeitung des 
Themas vorbehalten, den Termin der Structurbildung im Plasma 
der Epidermiszellen festzustellen. 

In den nächsthöheren Schichten des Rete Malpighü nimmt 
mit der Grösse der Zellen und ihrer veränderten Form die Grösse 
der Netzmaschen zu, so dass es geradezu Gesetz zu sein scheint, 
dass in den Epidermiszellen die Netze in Bezug 
auf Ausdehnung ihrer Maschen und Dicke der 
Netzwandungen der Grösse der Zelle propor- 
tional sind. Ganz besonders findet diese Regel eine Be- 
stätigung durch pathologisch veränderte Epidermis. Die grossen 
Zellen des Cancroids der Haut, des spitzen Condyloms ete. haben 
relativ grobe Zellen, in atrophischer Epidermis dagegen ungemein 
schwer zu sehende Netze. Andererseits sind im Thierreiche 
analoge Beobachtungen leicht anzustellen. Man braucht nur die 
groben Netze der grossen Epidermiszellen der Siredonlarve oder 
des Regenwurms mit den schwerer darstellbaren und schwieriger 
zu sehenden Netzen der Meerschweinchen- oder Mausepidermis 
zu vergleichen. 

Auch in dem Rest der menschlichen Stachelschieht sind 


532 Karl Herxheimer: 


die grossen Maschen mehr central, die kleineren mehr peripher 
gelegen. Die Grösse der Netze, welche nach dem Centrum der 
Zelle hin zu finden sind, ist in der zweiten und dritten Lage 
der Epidermis, je nach der Localisation verschieden, am grössten 
sind sie an Handfläche und Fusssohle. Wie schon erwähnt, 
findet sich die Vacuolenbildung hier nieht nur an den Polen der 
Kerne, sondern an verschiedenen Stellen im Protoplasma, in An- 
lehnung an den Kern mitunter an einer Seite, oft auf beiden 
Seiten, seltener mitten im Plasmanetze nnd am seltensten an der 
Oberfläche der Zelle. Sie findet sich unter normalen Verhält- 
nissen in der ganzen Stachelschicht. Um die Beschreibung der 
Vacuolenbildung zu vervollständigen, sei hinzugefügt, dass die 
Vacuole gelegentlich in den höheren Lagen der Stachelschicht 
rings um den Kern herum geht (Fig. 5). Diese perinucleäre 
Vaecuole braucht dann nieht die einzige in dem Plasma einer 
Zelle zu sein, sondern es kann noch, wie überhaupt im Plasma, 
eine zweite Vacuole auftreten. Auch in Zellen ohne perinucleäre 
Vacuolen können zwei oder mehrere Vacuolen vorkommen. 

Eine Bedeutung gewinnen Vacuolen für das mikroskopische 
Bild darum, weil man sie von den gleichmässig vergrösserten 
Maschen (d.h. Waben) des Netzwerkes zu unterscheiden hat. 
Der Unterscheidungsmerkmale sind verschiedene. Die Maschen- 
ausdehnungen kommen gleichmässig in der ganzen Zelle vor, 
und zwar halten sie das Gesetz der Oberflächenspannung ein, 
sie richten sich auch in ihrer Grösse nach derjenigen der Zelle und 
erreichen etwa in der Mitte der Epidermis den Höhepunkt ihrer 
Ausdehnung. In einigen pathologischen Fällen, z. B. im spitzen 
Condylom, liegen die Zellen mit den grössten Maschen dicht unter 
der Hornschicht. Ferner sind die regelmässigen Maschenaus- 
dehnungen von den unregelmässig auftretenden Vaeuolen auch 
dureh die Form unterschieden. Die Masche hat, wie man dies 
leicht an den grossen Zellen zu eonstatiren im Stande ist, im 
Allgemeinen eine mehr unregelmässige, die Vacuole eine abge- 
rundete Form, die deutlich in Folge der Formolfixirung erhalten 
bleibt. Ein weiterer Unterschied ist der, dass die Vacuole in 
der Regel bedeutend grösser ist als die Netzmasche. Besonders 
deutlich ist der Unterschied bei mässig ödematöser Haut, in welcher 
die Maschen durch das Oedem vergrössert sind und meist un- 
regelmässig gestaltet erscheinen, während die Vacuolen mitunter 


Ueber die Struetur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 533 


mitten in diesem veränderten Netzwerk dasselbe Aussehen haben 
als in dem unveränderten. In einzelnen Fällen schien mir auch 
die Wandung der Vacuolen stärker als diejenige der Maschen, 
doch lässt sich das bei der Kleinheit der Objeete nicht messen. 
Endlich sind die Netzmaschen stark lichtbrechend, die Vacuolen 
dagegen weniger. 

Es erübrigt noch das Verhalten des Netzwerkes in der 
Keratohyalinschieht kurz zu erörtern. Die Körner derselben 
sind meist, wie längst bekannt, um den Kern herum gelagert. 
Oft liegen sie so dieht nebeneinander oder sind so diek, dass 
es ausserordentlich schwer hält, das dazwischen liegende geformte 
Plasma zu erkennen. Trotzdem gelingt es zuweilen. Besonders 
aber stehen uns zu diesem Zweck die peripheren Theile des 
Zellleibes in der Keratohyalinschicht zur Verfügung, in welchen 
sich zu wiederholten Malen deutlich das Netzwerk in normaler 
menschlicher Epidermis constatiren liess. Das Material lieferte 
Rückenhaut, Brusthaut, Penishaut, Haut der Fingerbeere und der 
Fusssohle Erwachsener. Ebenso lieferte pathologische Haut ein 
diesbezüglich positives Resultat. Die Körner liegen in diesem 
Falle durchaus unregelmässig in dem Netzwerk. Nicht in allen 
Fällen konnte auch in den körnerfreien Theilen der Zelle ein 
Netzwerk wahrgenommen werden, jedoch ist dies nicht etwa als 
Beweis anzusehen, dass die Körner gewissermaassen Zerfalls- 
produkte des Netzwerkes wären, wie dies Kromayer für das 
Keratohyalin gegenüber den „Protoplasmafasern“ annimmt. Im 
Gegentheil ist meines Erachtens durch die gleichzeitige Anwesen- 
heit des Netzes und der Körner erwiesen, dass die letzteren mit 
dem ersteren in einem genetischen Zusammenhange nicht stehen. 
Dafür sprechen noch andere Momente. Einmal die Form. Wir 
können uns bei dem krankhaften Zerfall des Netzwerkes davon 
überzeugen, dass dessen Produkt durchaus unregelmässig gestal- 
tete Theilchen sind; die Keratohyalinkörner sind zwar auch 
nieht regelmässig geformt, bieten aber doch nicht so zahlreiche 
Varietäten der Form. Die meisten der letzteren sind auch be- 
deutend grösser als die „Granula“ des Netzwerkes. Ferner ist 
die Topographie beider Arten von „Körnern“ in der Zelle eine ver- 
schiedene, ebenso ihre Anzahl, bezüglich welcher letzteren die 
Keratohyalinkörner hintanstehen. Ebenso sicher zur Differenzi- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 35 


534 Karl Herxheimer: 


rung ist die mikrochemische Reaction zu verwerthen, weil das 
Keratohyalin sich färberisch wohl allen basischen Anilinfarben 
gegenüber wie die Chromatinsubstanz verhält, speciell auch 
gegenüber dem Cresylechtviolett, mit welchem das Keratohyalin 
sich wie das Chromatin bläulich färbt. Zum Nachweis dieser 
Reaction sind hinreichend dünne Schnitte erforderlich. Ob aus 
dem tinetoriellen Moment und aus der häufig perinucleären Lage- 
rung des Keratohyalins auf den Ursprung des letzteren aus der 
Kernsubstanz geschlossen werden darf, soll hier nieht untersucht 
werden; jedenfalls wird diese Annahme immer wahrscheinlicher, 
wie denn auch neuerdings einige Autoren, z.B. H. Rabl für 
die nucleäre Genese eintreten. Zweifellos ist, dass das Kerato- 
hyalin aus dem Plasmanetzwerk nicht hervorgeht, und wenn das 
letztere nicht immer in den keratohyalinhaltigen Zellen sichtbar 
war, so mag daran theils der Umstand die Schuld tragen, dass 
das feine Netzwerk durch die gröbere Keratohyalinsubstanz ver- 
deckt wird, vielleicht aber auch die Möglichkeit, dass hier dicht 
unter der Hornschicht das Netzwerk nicht mehr in allen Zellen 
vorhanden ist. Wo in dieser Schicht das letztere noch sichtbar 
war, verhielt es sich ebenso wie in den tieferen Schichten, auch 
bezüglich eventueller Vacuolen, die hier fast noch reichlicher 
sind, als in den tieferen Lagen. Ferner sei noch erwähnt 
dass es gar nicht selten in pathologischer Epidermis gelingt, 
nachzuweisen, dass die Keratohyalinschollen sich nach der An- 
ordnung der Waben richten, d. bh. also in mehr eylindrischen 
Zellen sowohl als in abgeplatteten etwa parallel der Zellachse 
verlaufen. Im ersteren Falle laufen nämlich die Waben mehr 
in der Längsrichtung, im letzteren mehr in der queren. Ich bin 
geneigt, diese Anordnung des Keratohyalins als einen Beweis 
mehr für den flüssigen Inhalt der Waben anzunehmen, da ich 
glaube, dass die Richtung der Keratohyalinschollen in den er- 
wähnten Fällen durch den Flüssigkeitsdruck verursacht wird. 
In den Zellen von normaler Hornschieht konnten Netzstruc- 
turen nicht sichtbar gemacht werden. Die Besprechung der 
Struetur der Hornzellen gehört nicht zu unserem Thema. 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 535 


Wie verhalten sich die’ Protoplasmafasern zu 
der Wadenstruwetur der Epidermiszellen??). 


Wie schon kurz berührt worden ist, sind über das Ver- 
hältniss der Fasern zu der Grundsubstanz des Protoplasmas der 
Epithelien die Meinungen der Autoren getheilt. Denn während 
z.B. Kromayer die Fasern für die Grundsubstanz hält, unter- 
scheidet Unna von ihnen noch eine spongiöse Grundsubstanz 
mit randständigen Körnermassen. Aehnlich Rabl. Dieser Autor 
glaubt, dass die Fasern als im Protoplasma verlaufende Fäden 
anzusehen seien, giebt aber daneben noch eine Grundsubstanz 
ebenfalls streifiger Natur zu, so dass die Protoplasmafasern nur 
als eine besondere Art dieser Grundsubstanz zu betrachten wären. 
Einen ähnlichen Standpunkt nimmt Flemming ein, während 
Bütschli es für zulässig hält, dass in den Wabenwänden noch 
Fasern verlaufen, das streifige Aussehen der Epithelien aber 
zurückführt auf eine Streckung der Waben. Diese kommt bei 
den Epithelien nach ihm durch Diffusionsströme zu Stande. Für 
andere Streifungen z. B. diejenigen der Pseudopodien der Rhi- 
zopoden, nimmt er Zug oder Dehnung in der Richtung der 
Streifung an. Alle diese streifigen Structuren nennt er faserig- 
wabig. In den Untersuchungen, die ich gemeinsam mit Hugo 
Müller über die Lage der Fasern mit Hülfe der Weigert’schen 
Neurogliamethode anstellte, gelangten wir zu dem Ergebniss, 
dass es sich um Fasern handle, welche das Plasma durchziehen; 
die Frage aber, ob sie als Grundsubstanz oder als differenzirtes 
Plasma anzusehen seien, analog z. B. dem Pigment der Pigment- 
zelle, liessen wir offen. Ich sehe es heute nach langen Studien 
als wahrscheinlich an, dass die Fasern richtige Plasma-Grund- 
substanz in Kupffer’schen Sinne sind, mit anderen Worten: 
Die Protoplasmafasern der Epidermiszellen des 
Mensehen sind wahrscheinlich identisch mit 
dem Material der färbbaren Grundsubstanz, als 
deren Struetur wir im Obigen die wabige, im 
optischen Querschnitte netzförmige, angenom- 
men haben. 


1) Auch der Ausdruck „Protoplasmafasern“ entspricht nicht 
exact der körperlichen Vorstellung, und ich verweise diesbezüglich auf 
den nachfolgenden Text. 


536 Karl Herxheimer: 


Diese Annahme mag zunächst auffallend erscheinen, wenn 
man bedenkt, dass die Fasern eine gerade Richtung haben. 
Bei näherer Betrachtung jedoch klärt sich dieser scheinbare 
Widerspruch auf, und deshalb dürfte es von Interesse sein, 
einige Punkte aus der Geschichte der Fasern hervorzuheben, 
soweit sie zur Klärung der vorliegenden Frage beizutragen ge- 
eignet sind. Wiewohl durch Ranvier die fibrilläre Struetur 
der Epidermiszellen bekannt geworden war, so mussten doch 
die von mir gesehenen „Epidermisspiralen“ zunächst überraschen, 
einmal weil angenommen wurde, dass sie extracellulär gelagert 
seien, ferner aber auch wegen ihrer spiraligen Form. 

Der letzte Punkt dürfte durch die nachfolgenden Betrach- 
tungen seine Erledigung finden. Das erstere Moment, die extra- 
celluläre Lagerung, erwies sich für die „Büschelform“, d.h. die 
Bündel dieht nebeneinander gelagerter „Spiralen“, als irrig: es 
ist zweifellos, dass diese Fasern intracellulär liegen. Davon 
unterschieden sich aber, wie ich in der gemeinsamen Arbeit mit 
Hugo Müller feststellen konnte, diekere vereinzelte Fasern 
der Zellperipherie, welche wir als identisch wit den Zellmem- 
branen auffassten. (Ich will hier parenthetisch bemerken, dass 
diese unsere Auffassung verschieden ist von derjenigen von Ma- 
nille Ide, einem Autor, welcher in den Zellmembranen ver- 
laufende besondere Fasern annimmt, von deren Knotenpunkten 
sich die Intercellularbrücken erheben sollen.) Unsere Auffassung 
der Membrannatur der vereinzelten diekeren Fasern stützte sich 
besonders auch auf Präparate, die wir mit der Weigert’'schen 
Neurogliamethode erhielten, welche letztere eine eleetive Färbung 
der Cutieularbildungen der Epithelzellen abgiebt. Dieser Ansicht 
ist nın Kromayer entgegengetreten (Monatsheft für praet. 
Dermatol. Bd. XXIV, Nr. 9), und auch Rabl widerspricht ihr. 
Letzterer aus dem Grunde, weil er an den Zellen, deren Fasern 
ungefärbt bleiben, und deren Peripherie isolirt tingirt wird, 
neben dieser letzteren gelegentlich blaue Punkte findet, die er 
nur als Faserquerschnitte deuten kann. Die breitesten Fasern 
verlaufen nach Rabl peripher und sind diejenigen, die am 
stärksten gefärbt sind. Kromayer meint, dass der Zellumriss 
von uns in einen Gegensatz zu den Fasern gebracht worden sei, 
also faserlos sein müsse. Diese Folgerung ist eine durchaus 
nicht nothwendige, denn die Membran kann sehr wohl aus dem 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 537 


Protoplasma hervorgegangen sein, ohne alle Eigenschaften des- 
selben zu theilen; sie kann dicker und intensiver färbbar sein, als 
die Plasmafaser, und sie ist es auch. Kromayer meint ferner, 
dass daraus, dass die Zellmembran isolirt gefärbt wäre, zu 
schliessen sei, dass sie kein mathematischer Begriff sein könne. 
Dieser letztere Satz ist wohl nicht aufreeht zu erhalten, da man 
sieh doch vorstellen kann, dass es möglich ist, die Oberfläche 
einer Kugel isolirt zu färben. Ich will hier de Kromayer- 
schen Ausstellungen an den Zeichnungen von Hugo Müller 
und mir nicht weiter berühren, um den Leser mit dieser mehr 
persönlichen Angelegenheit nicht zu behelligen!),., Wenn Kro- 
mayer behauptet, dass man die Membran immer nur seitlich 
gefärbt sähe, niemals aber in der Mitte der Cylinderzellen d. h. 
also an der Unterfläche der Cylinder, so kann ich auch vielfach 
an der Unterfläche der letzteren einen deutlichen Membranab- 
schluss sehen an mehreren Präparaten, deren Färbung (nach 
Weigert) sich noch bis heute erhalten hat. 

Die Kromayer’schen Einwendungen gegen unsere in 
unserer Arbeit vorgebrachte Abtrennung der Zellenmembran von 
den Protoplasmafasern sind nicht nur nicht stichhaltig, ‘sondern 
überflüssig, denn wir haben mit keinem Worte einen „Gegen- 
satz“ zwischen Membran und Fasern ausgesprochen, haben es 
sogar unentschieden gelassen, ob wir es mit einer eigentlichen 
ablösbaren Membran zu thun haben, betrachten die Membran 
vielmehr als physicalisch verändertes, d. h. verdichtetes und 
stärker tingirbares Protoplasma. Man ersieht hieraus auch, wie 
nahe unser Standpunkt demjenigen Rabl’s ist. Mit der An- 
nahme der Wabentheorie kommen wir auch zur Annahme einer 
Zellmembran, die wir durch die Weigert’sche Methode be- 
reits dargestellt haben. Wir befinden uns dabei in Ueberein- 
stimmung mit Bütschli (S. 155), welcher es für wahrschein- 
lich hält, dass die Alveolarschicht sich häufig durch Solidifieation 
zu einer festen Membran, der Zellmembran, entwickelt. 


1) Nur die eine Verwunderung können wir nicht unterdrücken, 
dass Kromayer sich berechtigt glaubt, anzunehmen, dass wir die 
Membran einmal um die Zelle, in der zweiten Figur aber um den 
Kern herum gezeichnet hätten. Woraus dies Kromayer schliessen 
konnte, blieb uns unklar; ich verweise diesbezüglich insbesondere 
auch auf die Betrachtung der Fig. II der Kromayer’schen Arbeit. 


538 Karl Herxheimer: 


Die in diesem Capitel berührten Fragen finden zum Theil 
ihre Beantwortung in den Gründen, durch welche ich bewogen 
wurde, die Identität des Materials der Netze des Protoplasmas 
der Epidermiszellen mit den Fasern als wahrscheinlich hinzu- 
stellen. Bezüglich des sichtbaren Plasmas nehmen die Epithelien 
der Oberhaut offenbar keine Sonderstellung ein, sondern ver- 
halten sich analog dem Bau der meisten Zellen. Beispielsweise 
ist auch im menschlichen Pancreas eine streifige Struetur der 
Epithelien beschrieben worden. Auf theoretische Erörterungen 
über die Unwahrschemlichkeit des streifigen Baues der Grund- 
substanz einzugehen, würde übrigens zu weit führen. Kurz ge- 
sagt: ich kann mir eine solche gegenüber dem eireulirenden 
Plasma schwer vorstellen. Es gilt vielmehr, die Punkte kurz 
zu besprechen, welche es mir wahrscheinlich machen, dass die 
Fasern veränderte Wabenwände sind. 

Ich glaube, oben nachgewiesen zu haben, dass die sicht- 
bare Plasmagrundsubstanz im Mikroskop einen netzförmigen Bau 
zeigt, und zwar durch die Bilder, welche die Gefrierschnitte 
liefern. Aber auch derjenige Skeptiker, welcher einen even- 
tuellen  plasmaveränderlichen Einfluss des Aethers einwenden 
würde, ist zu widerlegen durch die Thatsache, dass die Netz- 
bilder immer und immer wieder bei Formolfixirung und Cresyl- 
echtviolettfärbung erhalten werden, mit derselben Methode, 
mit welcher ebenso häufig die gesicherten Bilder 
bei derKerntheilung inihren Einzelheiten mitten 
inihrer Thätigkeit „einer Momentphotographie 
gleich“ erhalten werden, insbesondere die Chromosomen, 
die achromatische Spindel und das Centrosom. Entspricht also 
der netzförmige Bau der natürlichen Plasmastructur, so bleiben 
bezüglich der Auffassung der Fasern nur zwei Möglichkeiten. 
Entweder sie stellen veränderte Netze dar, oder es handelt sich 
um differeneirtes Plasma. 

Im Folgenden will ich darzuthun versuchen, dass die erstere 
Annahme wahrscheinlich ist, und damit wäre eine Besprechung 
der zweiten Möglichkeit überflüssig. Zunächst lag es nahe, das 
Verhalten des Protoplasmas gegenüber den verschiedenen Fixi- 
rungsflüssigkeiten zu studiren. Ich habe zu vielen Malen das 
gleiche Stück frisch exeidirte Haut z. B. vom spitzen Condylom, 
einmal auch von normaler Handfläche, in zwei Theile geschnitten 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 539 


und das eine Stück in Formol, das andere in Alcohol gehärtet. 
Wurde dann die färberische Darstellung mit Cresylechtviolett 
vorgenonmen, so erhielt ich bei den Formolpräparaten immer 
Netze, bei den Alcoholpräparaten entweder Fasern oder auch 
manchmal, wenn auch selten, Körner. Die Bedingungen zum 
Zustandekommen der letzteren habe ich nicht eruiren können. 
Hierbei ist zu bemerken, dass bei Aleoholhärtung auch in nor- 
maler Haut wiederholt Körner in grosser Zahl allein im Plasma 
gefunden wurden. Nun bedienen sich die bisher bekannten 
Methoden zur Darstellung der Fasern zur Härtung des Alcohols 
oder der ebenfalls gewiss nicht indifferenten Chromsäure, ebenso 
solcher Differenzirungsmittel der gefärbten Fasern, welche für 
das Protoplasma nicht gleichgültig sind. Dies gilt sowohl für 
die Weigert’sche Differenzirung mit Jodjodkali und Anilinöl- 
Xylol als für die Reink e’sche mit Jodjodkali und alcoholischer 
Pierinsäure, für diejenige nach von der Stricht mit Holz- 
essig, nach Schütz mit Pierinsäure und schwefelsaurem Eisen- 
oxydul sowie nach meiner Angabe mit Mentholvasogen, ferner 
für Blaschko’s Behandlung mit Chromsäure und die Härtung 
Rabl’s in Müller’scher oder Flemmin g’scher Lösung. 

Es ist mir niemals, gleich Unna, gelungen, in demselben 
Präparate, das in einer bestimmten Fixirungsflüssigkeit conservirt 
war, Netze neben Fasern im Protoplasma zu erhalten. Es gelang 
mir dies auch dann nicht, wenn ich die von Unna empfohlenen 
Methoden anwendete. Im Gegentheil liess sich mitunter verfolgen, 
wie die „Stacheln* direet in das Netzgewirr im Inneren der 
Zelle fortsetzten (mit Cresylechtviolett, vgl. d. Figur 12), und es 
ist öfters geglückt, die direete Fortsetzung der „Stacheln“ in 
die Wabenwände zu beobachten, ein Umstand, der für die Ent- 
scheidnng unserer Frage hochbedeutsam erscheint. Für die 
Identität des Materials der Wabenwände mit den Fasern spricht 
nun noch eine Reihe von Gründen. Ich will gar nicht betonen, 
dass für die am besten zu sehenden Waben und Fäden die 
grossen Zellen der Handfläche und Fusssohle am geeignetsten 
sind, ebenso wie das Erforderlichsein gleich dünner Schnitte zur 
Darstellung der Fasern und Netze, denn beide Momente sind 
durch die Feinheit der Gebilde zu erklären. Eine ungleich grössere 
Bedeutung kommt ihrer Topographie in der Zelle selbst zu. 
Während Ranvier, Blaschko, Kromayer die Fasern durch 


540 Karl Herxheimer: 


das ganze Plasma gehen lassen, sind Beneke, Schütz der An- 
sicht, dass sie nicht in das Innere des Zellleibes dringen, sondern 
immer nur an der Peripherie der Zelle verlaufen. Diese ent- 
gegengesetzte Auffassung würde uns ohne weiteres klar, wenn 
wir mit Kromayer annähmen, dass Beneke und Schütz nur 
Oberflächenbilder gesehen hätten, bez. dass die Dieke der von 
ihnen gefertigten Schnitte eine tincetorielle Darstellung der inneren 
Fasern nicht zugelassen habe. Es ist jedoch eine leicht festzu- 
stellende Thatsache, dass in vielen Zellen der normalen Cylinder- 
schicht, sowie der übrigen Stachelschicht die nächste Umgebung 
des Kernes auch bei vollkommen gelungener Färbung freibleibt. 
Ich eonstatire dies an Präparaten, die Herr Kromayer selbst 
gemacht und mir freundlichst zur Verfügung gestellt hat und 
bemerke dazu, dass es sich dabei keineswegs um Kernhöhlen 
handelt. Dieses Verhalten der Fasern entspricht demjenigen 
der Netze, wie aus der Beschreibung des Verhaltens der letzteren 
hervorgeht. Nebenbei bemerkt würde auch die Ausdehnung der 
Gebilde unserer Auffassnng entsprechen, da die Fasern etwa 
doppelt so breit sind, als die Wabenwände. 

Ist schon der beschriebene Parallelismus auffallend, so ist 
es nicht minder die Uebereinstimmung der Gebilde in ihren Ver- 
halten gegenüber dem Keratohyalin in der Körnerschieht. Denn 
hier, wo Kromayer die Fasern verschwinden und aus ihrem 


Material die Körner entstehen lässt, sind die Fasern — auch an 
der Planta pedis und Vola manus — vorhanden (Unna, Rab)). 


Dass hier die Fasern nicht so deutlich hervortreten, als in der 
Keimschicht, versteht sich von selbst. Dieselbe Undeutlichkeit 
macht sich ja auch bei Besichtigung der Netze störend bemerk- 
bar, und wenn der Zellleib mit Körnern vollgepfropft ist, so ist 
es oft unmöglich andere Structurbilder zu sehen, besteht aber 
diese Möglichkeit, dann ist auch hier der gewöhnliche Fundort 
der gleiche, nämlich die Zellperipherie. Und sollte wirklich in 
dieser Schicht, wo die Katabiose — darin stimmen alle Autoren 
überein, mögen sie auch über die Herkunft des Keratohyalin 
differirende Ansichten haben — deutlich zu Tage tritt, ein com- 
plieirterer Bau des sichtbaren Plasmas vorhanden sein? 

Eine weitere Handhabe für unsere Auffassung bildet die 
Analogie der fraglichen Gebilde in dem Verhältniss zu dem Pigment. 
Ist das Pigment in Körnchenform in der Basalschicht vorhanden, 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 541 


so bevorzugt es bekanntlich die Gegend der Pole des Kerns. 
Schon bei so localisirtem Pigment verschwinden die Netztheile 
sehr häufig, namentlich ist dies aber der Fall, wenn der Pigment- 
gehalt grösser wird. Dementsprechend beobachtete in solchen Fällen 
Kromayer wenig gefärbte Fasern (Arch. für Mikrosk. Anatomie. 
Bd. 42), was ich durch eigene Untersuchungen bestätigen kann. 
Dieser Punkt in der Reihe der Analogieen soll deshalb nicht be- 
sonders betont werden, weil es nahe liegt, anzunehmen, dass durch 
das Pigment das Plasma verdeekt oder gar zum Theil zerstört 
wird. Dass es bei mässiger Anhäufung in der Peripherie der 
Zellen siehtbar ist, geht aus Fig. 7 hervor. 

Die Reihe der Analogieen der beiden in Frage stehenden 
Formen des sichtbaren Plasmas ist damit noch nicht erschöpft. 
Die Oberhaut der Vola manus und Planta pedis, sowie aus son- 
stigen Gründen verbreiterte Epidermis weist Verhältnisse auf, wie 
sie bereits von Kromayer geschildert sind. Es finden sich da 
fast regelmässig Epithelien, die durch die Schmalheit ihres Kernes 
und die Schlankheit ihrer Gestalt den Eindruck machen, als ob 
sie einem Seitendrucke ausgesetzt wären. Gleichzeitig sind in 
diesen Zellen, die Kromayer Stabzellen nennt, sowohl Kern als 
Plasma intensiver gefärbt, als in den sie umgebenden. Dadurch 
tritt eine deutliche Differenzirung ein. Verfolgt man nun die 
ersteren, so kann man vielfache Verbindungen derselben unter 
einander sehen, sodass hier ein stärker gefärbtes „Gewebe“ in 
einem schwächer gefärbten darin liegend wahrzunehmen ist. Diese 
Verbindungen werden hergestellt durch meist lang ausgezogene 
Zellfortsätze, und gerade diese sind es, an denen sich eine 
Streckung der Netze (i. e. Waben) demonstriren lässt (Fig. 8). 
Die Netze verlieren nämlich in den Fortsätzen ihre gewöhnliche 
Gestalt, indem sie länglich werden. Allmählich werden sie an 
Zahl geringer, um zum Schluss in eine Faser auszulaufen, welche 
definitive Verbindung herstellt, und die nicht selten einen welligen 
Verlauf nimmt. Die Uebereinstimmung dieser Zellen mit den 
Kromayer’schen liegt zu sehr auf der Hand, als dass man sich 
ihr verschliessen könnte. Auf die Netze in diesen Zellen muss 
ich noch mit einer kurzen Bemerkung zurückkommen. Nicht 
immer nämlich sind die Netze darin ganz gleichmässig stark ge- 
färbt, sondern es geschieht des öfteren, dass von zwei aufeinander 
folgenden Netzmaschen in der ersten die Wand einer Seite und 


542 Karl Herxheimer: 


in der folgenden diejenigen der entgegengesetzten stärker her- 
vortritt, sodass eine Linie mit welligem (früher als spiralig be- 
zeichnetem) Verlaufe resultirt. Dies ist besonders in den geschil- 
derten Fortsätzen der Fall, sodass wellige Fasern vorgetäuscht 
werden. Ich erwähne diesen Umstand ausdrücklich, weil er 
zeigt, dass die frühere Annahme, welche den welligen Faserver- 
lauf als arteficiell bezeichnete, nicht immer unbedingt zu Recht 
besteht. 

Es liesse sich noch manche Analogie zwischen Fasern und 
Netzen aus der pathologischen Anatomie anziehen, worauf um 
so eher verzichtet werden kann, als unsere diesbezüglichen 
Kenntnisse erst im Entstehen sind. Eines physiologischen Vor- 
ganges jedoch soll noch nach dieser Richtung gedacht werden, 
nämlich der Kerntheilung. Bei der Kerntheilung geht die Faser- 
bildung nach Unna vorübergehend verloren. Dasselbe kann ich 
für das Netzwerk bestätigen. In einem tubereulösen Papillom des 
Stimmbandes des Menschen, sowie in Hautcareinomen war es mög- 
lich, das Verhalten der Netze in den verschiedenen Stadien der 
Theilung zu verfolgen (Formolpräparat, Cresylechtviolettfärbung; 
Fig. 9, 10, 11). Gewöhnlich — nieht immer —- bildet sich mit dem 
Beginn des Knäuelstadium um die Chromosomen eine homogene 
Zone, während peripher davon noch deutliches Netzwerk besteht, 
schr bald dehnt sich aber diese Zone zu einem weiten Hofe aus, 
während das siehtbare Plasma zerfällt und Detritus bildet, in 
welchem einzelne grössere Körner noch wahrzunehmen sind. 
Zuletzt lassen sich darin kaum noch feinste Fäserchen mit Hülfe 
stärkster Vergrösserungen unterscheiden (ef. Fig.), zur Zellperipherie 
gedrängt. Während der nun folgenden Stadien der Entwicke- 
lung der Chromosomen kann dieser Plasmarest vorhanden sein, 
oder er ist ganz verschwunden, während die achromatische 
Spindel violett gefärbt vorhanden ist. Erst nach vollkommener 
Zelltheilung sind dann die Netze wieder zu constatiren. 

Die vorstehenden kurz angeführten Analogieen zwischen 
Fasern und Netzen des Protoplasmas belehren uns, dass auch 
(die Uebereinstimmung bei den Mitosen vorhanden ist. Unna 
lässt nun bei Beschreibung des Hauteareinoms die faserige 
Structur in eine schaumige übergehen, ein Befund, zu dem übrigens 
auch sein Schüler Menahem Hodara gelangt ist (Mon. für 
pr. Dermat. 1897, Nr. 5). So bei der Abschnürung der Epithelnester 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 543 


vom Deckepithel: „Man kann ziemlich sicher sein, dass an 
dieser Stelle die allgemeine Epithelfaserung wie abgeschnitten 
aufhört. Die jungen Epithelien haben dann eine neue eigene 
Structur gewonnen; statt des eirceulären, schlingenförmig ge- 
bogenen und des radiär ausstrahlenden Fasersystems zeigen sie 
ein einheitliches feineres oder gröberes Netz von Protoplasma- 
fasern, in dessen Mitte der Kern aufgehängt ist. Sie gleichen 
in Bezug auf die netzförmige, schaumige (sie!) Struetur 
der Protoplasmafaserung den grossen Spinnenzellen des Binde- 
gewebes oder besser noch vielen einfachen Drüsenepithelien“* 
(Histopathologie der Hautkrankheiten, S. 684). Hier wäre also 
die auffallende Thatsache des Uebergangs der einen Form des 
sichtbaren Plasmas in die andere zu registriren. Unna erklärt 
diesen Vorgang durch den pathologischen Process, wodurch die 
Epithelien zu einer grösseren Selbständigkeit gelangen sollen. 
Es stand mir freilich nur eine geringe Anzahl von Haut- 
carcinomen zur Verfügung. Es ist mir nun gerade in einem 
solchen Falle möglich gewesen, den Uebergang der „Stacheln“ 
in die Netze im Innern der Epithelzelle zu verfolgen. Vor allem 
aber gelang es, sowohl im Deckepithel, als in den alveolären 
Parthien der Geschwulst die Netze färberisch darzustellen. Die . 
Verschiedenheit der Befunde Unna’s und der meinigen gründet 
sich offenbar auf die Methode. Es scheint mir, dass je 
dureh die Fixirung und Färbung das eine Mal Netze, 
das andere Mal Fasern zur Darstellung gelangen. 
Welches diejenige Methode ist, welche die eigentliche Plasma- 
struetur wiedergibt, glaube ich in meinen Ausführungen dargethan 
zu haben. 


Schlussfolgerungen. 


1. Die Struetur der normalen menschlichen Epidermiszelle 
ist eine wabige, im mikroskopischen Bilde netzförmige. Diese 
Structur ist eine einheitliche. 

2. Es ist als wahrscheinlich anzusehen, dass die „Proto- 
plasmafasern* aus dem Material der Wabenwände gebildet 
werden. 


544 


20. 


Karl Herxheimer: 


Literatur-Verzeichniss. 


. O0. Bütschli, Ueber die Structur des Protoplasmas. Verhand. der 


deutsch-zoolog. Ges. 1891. 

Derselbe, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und 
das Protoplasma. Leipzig, W. Engelmann, 1892. 

Max Münden, Archiv für Anat. u. Physiol. 1896, Nr. 3 u. 4. 
Waldeyer, Dieneueren Ansichten über den Bau und das Wesen 
der Zelle. Deutsch. med. Wochenschr., 1895, Nr. 43 ff. 
Flemming, Morphologie der Zelle und ihrer Theilungserschei- 
nungen. Ergebn. der Anatomie und Entwicklungsgesch. Heraus- 
gegeben von Merkel u. Bonnet, 1893, 1894, 1895, 1896. 

M. Ide, La membrane des cellules du corps muqueux de Mal- 
pighii. La cellule, tome IV. 

F. Kromayer, Zur pathologischen Anat. der Psoriasis nebst 
einigen Bemerkungen über den normalen Verhornungsprocess und 
d. Struetur d. Stachelzellen. Archiv für Dermat. u. Syph., 1890. 
Derselbe, Die Protoplasmafaserung der Epithelzelle. Archiv 
für mikrosk. Anat., 39. Bd. 

Derselbe, Ueber dieDeutungdervonHerxheimer im Epithel 
beschriebenen Fasern. Arch. für Dermat. u. Syph., 18%. 
Ranvier, Nouvelles recherches sur le mode d’union des cellules 
du corps muqueux de Malpighii. Comptes rendus de l’acad&mie 
des sciences, tome 89. 


. Derselbe, Sur la structure des cellules du corps muqueux de 


Malpighii. Compt. rend. de l’acad. des sciences, tome 9. 


. Reinke, Zellstudien. Arch. für mikrosk. Anat., 43. Bd. 


G. Retzius und Axel Key, Zur Kenntniss der Saftbahnen in 
der Haut des Menschen. Biolog. Unters., 1881. 


. Unna, Entwickelungsgesch. und Anatomie der Haut. v. Ziems- 


sen’s Handbuch der Hautkrankheiten, Leipzig, Vogel, 1883. 
Derselbe, Ueber die neueren Protoplasmatheorien u. das Spongio- 
plasma. Deutsch. Medizinalzeitung, 1896. 


. Derselbe, Ueber Protoplasmafärbung nebst Bemerkungen über 


die Bindegewebszellen der Cutis. Monatsheft für prakt. Dermat., 
1894. 


. Derselbe,' Die spezifische Färbung des Epithelprotoplasmas. 


Ebenda. 


. Derselbe, Die Färbung der Epithelfasern. Ebenda. 


H. Rabl, Ueber Verhornung. Anat. Anzeiger, Sep.-Heft z. 12. Bd., 
1896. 

Derselbe, Bleiben die Protoplasmafasern in der Körnerschicht 
der Oberhaut erhalten? Arch. für Dermat. u. Syph., 41. Bd. 


. Infante-Tortona, La Riforma medica, 1896, Nr. 155. 
. F. Blum, Ueber Wesen und Werth der Formolhärtung. Anatom. 


Anz., XI. Bad. 


Ueber die Structur des Protoplasmas der menschl. Epidermiszelle. 545 


23. 


24. 


A. Fischer, Neue Beiträge zur Kenntniss der Fixirungsmethoden. 
Anat. Anz., X. Bd. 

F. Nissl, Ueber die sogenannten Granula der Nervenzellen. 
Neur. Centralblatt, 1894, Nr. 19, 21, 22. 


. M. Verworn, Ein Beitrag zur Physiologie des Todes. Arch. für 


drzes.- Phys.,: EL. XIII, 1896. 


. P. Ernst, Ueber pathologische Verhornungen. Verh. der Ges. 


deutsch. Naturforscher u. Aerzte, Leipzig, Vogel, 189%. 
Blaschko, Ueber den Verhornungsprocess mit Demonstration 
von Präparaten. Verh. d. deutsch. dermatol. Gesellsch., 1889. 
Schütz, Ueber den Nachweis eines Zusammenhangs der Epi- 
thelien mit dem darunter liegenden Bindegewebe in der Haut des 
Menschen. Arch. für Dermatol. u. Syph., 1896. 


. K. Herxheimer u. H. Müller, Ueber die Deutung der sogen. 


Epidermisspiralen. Ebenda. 
K. Herxheimer, Demonstration eigenthümlicher Fasern in der 
Epidermis des Menschen. Verh. d. deutsch. dermat. Ges., 1889. 


. Beneke, Verh. d. Ges. deutsch. Naturf. u. Aerzte. Leipzig, Vogel, 


1394. 

v. Erlanger, Neuere Ansichten über die Structur des Protoplas- 
mas, die karyokinetische Spindel und das Centrosom. Leipzig, 
Engelmann, 1896. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIV. 


. 1. „Netz“werk einer basalen Cylinderzelle von normaler Oberhaut 


des Rückens. Zeiss’ Aprochromat. Comp. Oe. 4. 


.2. „Netz“werk aus dem Deckepithal des Axolotl. Apochrom. wie 


bei Fig. 1. Färbung mit Bismarckbraun. 


. 3. Weite „Netz“maschen einer Zelle aus den höheren Schichten der 


Epidermis des spitzen Condyloms. Gefrierschnitt. Apochrom. 
Comp. Oe. 8. Schematisch. 


-, 4. Polvacuolen einer Zelle aus den unteren Schichten der Ober- 


haut der normalen Handfläche. Apochrom. Comp. Oe. 6. 


'. 5. Perinucleäre Vacuole aus den mittleren Lagen der Epidermis 


vom spitzen Condylom. Apochrom. wie bei Fig. 4. 


. 6. Vacuolen zerstreut im Plasma einer Epidermiszelle bei syphil. 


Wucherung der Kopfhaut. Apochrom. wie bei Fig. 1. 


". 7. Pigment in dem „Netz“werk einer basalen Cylinderzelle von 


normaler Epidermis des Penis eines Erwachsenen. Apochrom. 
wie bei Fig. 1. 


.8. Normale Vorhaut eines Erwachsenen. Basale Cylinderzellen 


der Epidermis. Auf der Seite der Cutis „Netze“, auf der- 


546 J. Sobotta: 


jenigen der Epidermis langgestreckte, „faserige* Netze. Apo- 
chrom. wie bei Fig. 1. 

Fig. 9, 10, 11. Verhalten des Protoplasmas bei der Kerntheilung bei 
einem Tuberkelknötchen vom Stimmband. Apochrom. wie 
bei Fig. 1. 

Fig. 12. Normale Epidermis der Handfläche. „Fasern“ in „Netz“wände 

übergehend. Apochrom. Comp. Oe. 6. 
Wo die Darstellungsweise nicht besonders angegeben ist, kam 
Formolhärtung und Cresylechtviolettfärbung zur Anwendung. ° 


Noch einmal zur Frage der Bildung des 
Corpus luteum. 


Von 
J. Sobotta. 


Ein im Archiv für Anatomie und Physiologie (Anatomische 
Abtheilung) soeben erschienener Aufsatz von J. G. Clark!) ver- 
anlasst mich zur Frage nach der Herkunft der Elemente des 
Corpus luteum der Säugethiere nochmals Stellung zu nehmen. 
Wenn ich dies thue, so geschieht es nicht, weil ich glaube, dass 
durch die Veröffentlichung Clark ’s das Ergebniss meiner Unter- 
suchungen zweifelhaft geworden wäre, sondern ich entschliesse 
mich dazu, weil die dieser Frage ferner stehenden Fachgenossen 
nicht ohne weiteres die in der Veröffentlichung Clark’s ent- 
haltenen Versehen sofort zu erkennen im Stande sein dürften. 

Es sei mir daher gestattet, mit wenigen Worten eine An- 
zahl von Punkten aus der Veröffentlichung Clark’s zu beleuchten. 

Bevor ieh damit beginne, muss ich kurz das präeisiren, was 
ich ein Corpus luteum nenne und was man meiner Ansicht nach 


1) Clark, J. G., Ursprung, Wachsthum und Ende des Corpus 
luteum nach Beobachtungen am Ovarium des Schweines und des 
Menschen. Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abth. 1898. 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. 547 


allein ein Corpus luteum zu nennen hat. So überflüssig das im 
ersten Augenblick erscheinen mag, so nothwendig ist eine klare 
Begriffsbestimmung, wenn man die durchaus verworrene Nomen- 
elatur gerade der letzten Veröffentliehungen berücksichtigt. Es 
werden da Dinge mit dem Namen „Corpus luteum“ belegt, die in 
der Wirklichkeit mit einem solchen absolut nichts zu thun haben. 

Ich bezeichne als Corpus luteum (Corpus luteum verum der 
Autoren) das Umbildungsproduet eines normal gereiften und 
normal geplatzten Graaf’schen Follikels. Wenn einige Au- 
toren dieses Umbildungsproduect nur dann ein Corpus luteum 
verum nennen, wenn das entleerte Ei auch wirklich befruchtet 
wird (wenn nicht, Corpus luteum spurium), so habe ich gegen 
eine solche Unterscheidung nichts einzuwenden, möchte aber be- 
tonen, dass vorläufig ein Beweis für die Verschiedenheit der Um- 
bildung des Graaf’schen Follikels im Falle der Befruchtung oder 
Nichtbefruchtung des Eies noch nicht erbracht ist. Bei der Maus, 
wo ich die Verhältnisse recbt genau zu untersuchen Gelegenheit 
hatte, giebt es einen solehen Unterschied nicht. Vielleicht wäre 
es also besser, überhaupt nicht von einem Corpus luteum spurium 
zu sprechen, zumal die verschiedenen Autoren ganz grundver- 
schiedene Dinge mit diesem Namen belegen, worauf ich bereits 
in meinen Veröffentlichungen über diesen Gegenstand hingewiesen 
habe. 

Ich veröffentlichte im Jahre 1896 eine ausführliche Arbeit 
über die Bildung des Corpus luteum der Maus). Es stand 
mir dazu ein Material von ca. 1500 in Bildung begriffener Cor- 
pora lutea zur Verfügung, d. h. es waren die Umbildungsproducte 
von ca. 1500 Graaf’schen Follikeln in den ersten 3—4 Tagen 
nach dem Follikelsprung in lückenlose Schnittserien zerlegt, ebenso 
wie die aus diesen Follikeln entleerten, befruchteten oder befruch- 
tungsfähigen Eier. Ein solches Material nannte ich eine Serie 
zum Studium der Bildung des Corpus luteum und nenne 
sie auch heute noch so. Dieses Material ergab und ergiebt auch 
heute noch, dass die landläufige und bis dahin auch von mir 
getheilte Ansicht der Entstehung der grossen für das Corpus 
luteum charakteristischen Zellen aus der innern Thecaschicht der 


1) Ueber die Bildung des Corpus luteum bei der Maus. Archiv 
für mikrosk. Anatomie Bd. XLVII. 1896. 


548 J.ISob ottL.a: 


Follikel unriehtig ist, dass diese Zellen vielmehr vom Follikel- 
epithel stammen. 

Später?) hatte ich Gelegenheit, die Identität einiger Entwick- 
lungsstadien des Corpus luteum des Kaninchens mit den früher 
beschriebenen der Maus zu zeigen. 

Vor mir hatten nur 2 Autoren wirklich nachweisbare ?) Ent- 
wieklungsstadien des Corpus luteum von Säugern gesehen; es 
waren Bischoff) und Pflüger‘). Von allen anderen Autoren, 
die über das Corpus luteum vorher und nachher geschrieben haben, 
hat zum mindesten keiner den Nachweis zu bringen vermocht, 
überhaupt ein wirkliches Entwicklungsstadium gesehen, geschweige 
denn eine Reihe soleher beobachtet zu haben. Ich glaube auch, 
dass es nicht zuviel gesagt war und gesagt ist, wenn ich behaupte, 
dass in der That auch von Niemanden derartige allein entschei- 
dende Präparate gesehen worden sind. 

Wie verwerthet nun Clark?) in seiner Veröffentlichung die 
vor dieser erschienene Literatur? Er zählt so ziemlich alle 
Autoren zusammen, die jemals irgend eine meist gänzlich unbe- 
gründete Ansicht über das Corpus luteum geäussert haben, ganz 
gleichgiltig, ob dieselben wenige Beobachtungen oder durchgrei- 
fende Untersuchungen über den betreffenden Gegenstand gemacht 
hatten, ganz gleichgiltig ob sie Entwicklungsstadien oder bereits 
ausgebildete gelbe Körper vor sich hatten. Dabei kommt Clark 
natürlich zu dem Resultat, dass sich die überwiegende Mehrheit 
der Forscher im gegentheiligen Sinne ausgesprochen haben, wie 
Bischoff, Pflüger und ich. 

Stellt man nun aber die Zählung anders an, als Clark, 
und zählt man diejenigen Autoren, welche bestimmt in Entwick- 
lung begriffene Corpora lutea gesehen haben, so haben die wenigen 
drei Autoren die richtige Anschauung gewonnen, und zu einer 


1) Ueber die Bildung des Corpus luteum beim Kaninchen etc. 
Anat. Hefte Bd. VIII. H. 3. 1897. 

2) Als einzig zulässigen Nachweis erachte ich den, dass die aus 
dem Follikel entleerten Eier bekannt sind. Sonst sind die betreffenden 
Gebilde mindestens sehr zweifelhafter Natur. 

3) Bischoff, Th. C. W., Entwicklungsgeschichte des Kaninchen- 
eies. Braunschweig 1842. 

4) Pflüger, Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des 
Menschen. Leipzig 1863. 

D) UT: 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. 549 


falschen sind nur diejenigen gekommen, welchen ein geeignetes 
Beobachtungsmaterial nicht zur Verfügung stand. Dass letztere 
in der Mehrzahl waren, ist ja nicht wunderbar. 

Was nun speciell die Berücksichtigung meiner beiden Ver- 
öffentlichungen von Seiten Clark’s betrifft, so schweigt 
Clark über meine auf ein wohl mehr als beweisendes Material 
gestützte Arbeit über die Entwicklung des Corpus luteum 
der Maus bis auf die pure Titelangabe gänzlich, eitirt dagegen 
eine Anzahl von Stellen aus meiner zweiten Arbeit über das 
Corpus luteum des Kaninchens, die ich übrigens selbst als lücken- 
haft bezeichnet habe und die doch auch nur auf der früheren 
Publikation basirte. Sie sollte, wie schon oben angegeben, nur 
die Gleichheit der beobachteten Entwicklungsstadien des Corpus 
Juteum des Kaninchens mit denen der Maus zeigen. 

Wenn Clark also meine Untersuchungen hätte berück- 
sichtigen wollen — und dazu lag meiner Ansicht nach einfach 
die Verpflichtung vor, — so hätte doch in erster Linie diejenige 
Arbeit berücksichtigt werden müssen, auf deren Resultat meine 
Anschauung sich stützt und die für alle Einzelheiten der- 
selben den Nachweis an der Hand maassgebender Präparate ent- 
hält. Dem Leser der Arbeit Clark’s, welcher meine Publika- 
tionen nicht kennt, wird dadurch die Anschauung erweckt, als 
stützten sich meine Behauptungen allein auf das von Clark Ci- 
tirte. Dies zwingt mich, dagegen Einspruch zu erheben, und ich 
kann Clark den Vorwurf nicht ersparen, die einschlägige Lite- 
ratur mindestens ungenügend berücksichtigt zu haben, da von 
dem Inhalt der bei weitem ausführlichsten Arbeit über den in 
Clark’s Veröffentlichung behandelten Gegenstand auch nicht 
ein Wort erwähnt wird. Sein Citat meiner zweiten Ar- 
beit wirkt infolgedessen geradezu sinnentstellend. 

Nun zu den Untersuchungen Clark's. Die Arbeit ist be- 
‚titelt: Ursprung, Wachsthum und Ende des Corpus luteum nach 
Beobachtungen am Ovarium des Schweines und des Menschen. 
In derselben gelangt der Autor „zuResultaten, die über 
die Entstehung des Corpus luteum beim Mensch 
und höheren Thieren keinen Zweifel lassen“. 
Mit anderen Worten: Clark behauptet u. a., dass meine Behaup- 


tungen über die Entstehung des Corpus luteum bei der Maus 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 53 36 


550 J. Sobotta: 


falsch seien, denn zu den höheren Thieren dürfte doch auch 
diese immerhin gezählt werden; jedenfalls steht sie höher als 
das Schwein. 

Um nun zu sehen, womit Clark gegen meine Behaup- 
tungen ankämpft, muss ich kurz sein Material etwas näher be- 
leuchten. Es stammt hauptsächlich vom Schwein und wurde im 
Schlachthaus gewonnen, wobei ausser den Eierstöcken auch der 
Uterus der Thiere mit herausgeschnitten wurde. Auf diese Weise 
verschaffte sich Clark eine Serie von „Normalstadien“ 
zur Entwicklnng des Corpus luteum des Schweines. Leider wird 
nicht mitgetheilt, wieman solche „Normalstadien* gewinnen kann. 
Wenn es sich bei dem Material, das sich Clark auf dem Schlacht- 
hof verschaffte, wirklich um Corpora lutea (vera — s. ob. p. 547) 
gehandelt hätte, so hätte man doch auch die betreffenden Eier 
bezw. Embryonen finden müssen. Wäre das geschehen, dann 
wäre es wohl nicht verschwiegen worden. Ich gehe also wohl 
nicht fehl, wenn ich behaupte, dass Clark’s Schweine nicht 
begattet waren, bezw. keine befruchteten Eier besassen, mit 
anderen Worten, dass es sich sicher nicht um echte Corpora lutea 
gehandelt hat und dass es mindestens zweifelhaft ist, ob über- 
haupt von Clark irgendwelche Umbildungsstufen des Graaf schen 
Follikels beobachtet wurden. Jedenfalls ist dafür von Seiten 
Clark’s auch nicht der Schatten eines Beweises gebracht worden. 
Und dabei behauptet Clark (S. 124 seiner Publikation) „an 
derHandvollständiger Serien der Corporalutea 
vom Schwein“ nachgewiesen zu haben, dass ich Unrecht 
hätte u. s. w. 

Ich habe meine Entwicklungsstadien des Corpus luteum auf 
andere Weise gewonnen als Clark. Bei den ca. 1500 in Ent- 
wicklung begriffenen gelben Körpern der Maus geschah das in 
der gleichen Weise wie auch später bei der kleinen Anzahl von 
Stadien vom Kaninchen. Ich benutzte ausschliesslich die Eier- 
stöcke frisch begatteter Thiere und nahm die Anwesenheit und 
den Entwieklungsgrad der befruchteten Eier als Anhaltspunkt 
für das Alter des Corpus luteum. Diese Art und Weise zu ver- 
fahren, halte ich für die einzig richtige, und mit dieser meiner 
Ansicht stehe ich wohl auch nicht allein. 

Dass meine Entwieklungsstadien zur Entscheidung der 
Frage nach der Abstammung der Elemente des Corpus luteum 


Las ey 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. 551 


geeigneter waren als die „Normalstadien“!) Clark’s, ist mir 
keinen Augenblick zweifelhaft. 

Obwohl das Erwähnte eigentlich schon genügt, um die Be- 
weiskräftigkeit der Angaben Clark’s zu beleuchten, möchte ich 
doch noch eimige Punkte aus der Veröffentlichung des Autors 
hervorheben. Clark beginnt seine Untersuchungen mit einem 
Entwicklungsstadium des Corpus luteum, welches ein „zweifellos 
soeben geplatzter Follikel“ war. So kategorisch wie dieses 
„zweifellos“ auch klingt, ich gestatte mir mehr als einen Zweifel 
gegen diese Behauptung, ja ich mache mich anheischig zu be- 
haupten, dass das von Clark beobachtete Gebilde zweifellos 
kein frisch geplatzter (sc. normaler) Follikel war (das entnehme 
ich nicht nur aus der Beschreibung, sondern insbesondere auch 
aus der Abbildung 6, Tafel VI. Clark bringt für seine Behaup- 
tung keine Spur eines Beweises; ein aus dem Follikel entleertes 
Ei wurde nicht beobachtet. Damit ist natürlich das Gegentheil 
noch nicht bewiesen, es kann ja sein, dass das Ei Clark ent- 
gangen ist; leicht zu finden wird es beim Schwein gewiss nicht 
sein. (Allerdings ist es überhaupt nicht so bequem, sich Ent- 
wicklungsstadien vom Corpus luteum zu verschaffen. Wenn ich 
10000 Mäuse aufs Gerathewohl getödtet hätte, so hätte ich immer 
noch nicht Material für diesen Zweck gehabt.) Der angeblich 
soeben geplatzte Follikel des Schweines weicht nämlich in allen 
Hauptpunkten so völlig von den entsprechenden nachweislich 
frisch geplatzten Follikeln anderer Thiere ab, dass ich es zu 
verantworten wage, das Gegentheil von Clark’s Angaben zu 
behaupten. - Daranf komme ich unten noch zurück. 

Clark behauptet S. 115/116, dass die Thatsache absolut 
feststände, dass das Follikelepithel zur Zeit des Follikelsprunges 
oder bald nachher völlig verschwindet, wobei sich Clark auch 
auf Angaben einiger älterer Autoren beruft. Wer hat nun wirk- 
lich frisch geplatzte Follikel von Säugethieren, d. h. solche, für 
die auch der Nachweis in Gestalt der entleerten Eier gebracht 
werden konnte, beobachtet und beschrieben? Ausser mir meines 
Wissens Niemand. Weit über 100 solcher sah ich von der Maus, 
fast 20 vom Kaninchen. Alle diese Follikel haben aber ihr völlig 


1) Was Normalstadien eigentlich heissen soll, weiss ich nicht. 
Solche Bezeichnungen bedürfen einer genauen Erklärung. 


552 ).1So.hbpottar 


intactes Epithel, nicht „degenerirendes“!), ein so intaetes, dass 
selbst nach dem Follikelsprung noch Vermehrung der Zellen durch 
Mitose statt hat. Diese an einem reichhaltigen und geeigneten 
und systematisch gewonnenen Material (nicht an beliebig aus dem 
Schlachtbaus entnommenen Organen) gemachten Beobachtungen 
gelten Clark gleich Null. Hätte selbst Clark seine Behauptungen 
auch nur auf ein einziges der Art gewonnenes Stadium wie ich 
gestützt, so würde man diesen einzigen Fall dann noch für patho- 
logisch halten müssen angesichts der Constanz des gegentheiligen 
Verhaltens. Aber auch nicht eine einzige Beobachtung 
der Art stand Clark zur Verfügung! Seine Behauptungen, die 
sich auf nichts stützen, sind schlankweg „Thatsache“. Diese 
„Thatsache* ist ein Gegenstück zu der vorhin eitirten Zweifel- 
losigkeit! 

Aber es giebt noch mehr sehr lehrreicher Beispiele dieser 
Artin Clark’s Arbeit. So spricht S. 114 Clark von „rapider 
Vermehrung der Luteinzellen“. Ich erlaube mir die Frage, wie 
geschieht diese rapide Vermehrung? Das könnte doch nur durch 
Mitose (höchstens vielleicht Amitose, was aber sehr unwahrschein- 
lich) geschehen. Davon erfährt man aber nichts bei Clark, 
ebensowenig zeigen seine Abbildungen davon eine Spur. Wenn 
man eine solehe Behauptung aufstellt, so sollte man doch wenig- 
stens versuchen, sie zu beweisen. Angesichts des völligen Mangels 
eines Beweises gestatte ich mir, die mehrfach wiederkehrende 
Behauptung Clark’s von der Vermehrung?) oder gar „rapiden“ 
Vermehrung der „Luteinzellen“ zu bestreiten. 

Was bedeutet denn nun aber überhaupt Luteinzellen ? 
Ich möchte auf die durchaus verwirrende Unzulässigkeit dieses 
Ausdruckes auch angesichts einer soeben erschienenen Veröffent- 
liehung Kölliker’s®) hinweisen. Lutein ist bekanntlich eine 
eigenthümliche in Alkohol, Aether, Cloroform ete. lösliche ge- 
färbte (meist gelbe), wahrscheinlich ölähnliche Substanz, die sich 
in den Zellen des ausgebildeten Corpus luteum findet, ausserdem 


1) Reife der Zellen und Degeneration scheint nach Clark (S. 112) 
zusammenzufallen. 

2) Diese Vermehrung der „Luteinzellen“ soll sogar noch zu einer 
Zeit erfolgen, wo schon die Degeneration der Zelleu beginnt!! 

3) v. Kölliker, A., Ueber die Entwicklung der Graaf'schen 
Follikel. Sitzungsber. der physik.-medie. Gesellsch. zu Würzburg. 1898. 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. 553 


aber bei vielen T'hieren auch in anderen Zellen des Eierstocks, 
in den Zellen der innern Theeasehicht, den Stromazellen (inter- 
stitiellen Zellen) ete., vielleicht auch sonst im Organismus 
(Nebennierenrinde). Darf man alle diese Zellen wegen dieser 
gemeinsamen Eigenschaften mit dem Namen der Luteinzellen 
belegen? Meiner Ansicht entspräche das nicht der sonst geübten 
Bezeichnungsweise. Ein Paradigma: Es giebt im thierischen 
Körper sog. Fettzellen, d.h. Bindegewebszellen, deren Zellleib mit 
einem meist sehr grossen Fetttropfen erfüllt ist. Gelegentlich 
finden sich Fetttropfen grösserer oder kleinerer Art auch in 
Epithelzellen, z. B. denen der Leber. Dadurch können derartige 
Epithelzellen sogar äusserlich fast vollständig das Aussehen einer 
bindegewebigen Fettzelle annehmen (Fettinfiltration).. Darf man 
deswegen aber die fettinfiltrirten Epithelzellen Fettzellen nennen 
oder gar mit den Fettzellen identifieiren oder selbst den Schluss 
ziehen, dass eine dieser Zellformen aus der anderen hervorgehe ? 
Das wird doch jeder Histologe für unstatthaft erklären. Aber was 
anderwärts unstatthaft wäre, soll im Eierstock und im Corpus 
luteum speeiell erlaubt und geboten sein! Weil die Zellen der 
inneren Thecaschicht reifer oder namentlich atretischer Follikel 
bei manchen Thieren Lutein enthalten können wie die Epithel- 
zellen des ausgebildeten (wohlgemerkt des ausgebildeten, nicht des 
reifenden!) Corpus luteum, weil dieselben einander bei manchen 
Thieren auch sonst noch in einigen Punkten ähneln, deswegen 
sind diese Zellen nieht nur gleichen Ursprungs, sondern die eine 
seht aus der anderen hervor. 

Ich möchte die Autoren, welche trotz meiner Veröffent- 
liehungen noch immer so denken, doch bitten, sich einmal ihre 
„Luteinzellen“ an wachsenden Corporibus luteis anzusehen. 
Da haben die Luteinzellen weder Lutein noch ähneln sie in Be- 
zug auf Grösse ete. den Zellen der inneren Theeaschicht. Auch 
möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es Thiere giebt, bei 
denen auch im ausgebildeten Zustand die „Luteinzellen‘“‘ des 
Corpus luteum den Zellen der innern Theeaschicht der Graaf’schen 
Follikel absolut nicht: ähneln. Ich möchte also auch davor 
warnen, einige wenige vielleicht an ungünstigem Material gemachte 
Beobachtungen für die Norm zu halten. Das sollte man am 
allerwenigsten, wenn zahlreiche systematische Untersuchungen 
an günstigem Material das Gegentheil beweisen. 


554 J.Sobotta: 


Ich brauche wohl nicht nochmals darauf aufmerksam zu 
machen, wie wenig man berechtigt ist, aus der Aehnlichkeit 
irgendwelcher Zellen Schlüsse auf gleiche Abstammung zu 
machen. Ebenso wie es epithelähnliche Bindegewebszellen giebt, 
giebt es auch Bindegewebszellen völlig gleichende Epithelzellen. 

Man wird nun wohl von mir wissen wollen, für was ich 
den zweifellos frisch geplatzten Follikel Clark’s halte. Der 
Umstand, dass kein Epithel vorhanden war, sondern nur die 
(veränderte) innere Thecaschicht, macht es mir nach meinen Er- 
fahrungen sicher, dass es sich um einen Fall von Atresie ge- 
handelt hat!). In gewissen Fällen findet man z. B. auch beim 
Kaninchen neben den normalen sprungreifen Follikeln fast gleich- 
grosse atretische ohne oder nur noch mit - Resten von Epithel, 
dagegen mit einer scheinbar wuchernden (siehe darüber meine 
zweite Publikation S. 180/181 Anmerkung) inneren Thecaschicht. 
Dass solche Bildungen mitunter namentlich nach Anwendung 
gewisser wenig geeigneter Conservirungsmittel eine entfernte 
Aehnliehkeit mit echten Corpora lutea haben, darauf habe ich 
an der gleichen Stelle hingewiesen. Kürzlich hat auch Kölliker 
(l. e.) derartige Bildungen beschrieben, die er ebenfalls Corpora 
lutea nennt. Diese Bezeichnung scheint mir aus oben ange- 
führten Gründen durchaus verwerflich, da sie jeden Unbefangenen 
im ersten Augenblick zu der Vermuthung verleiten muss, es 
handele sich wirklich um Corpora Iutea, was aber Kölliker 
selbst gar nieht behauptet. Auch constatirt Kölliker nur eine 
Aehnlichkeit der Zellen dieser atretischen Follikel mit denen 
des (ausgebildeten) Corpus luteum. Seine Beobachtungen kommen 
also für die Frage der Abstammung der Elemente des Corpus 
luteum garnicht in Betracht ?). 


1) Die angebliche Rissöffnung, die Clark beobachtete, scheint 
meine Behauptung absurd zu machen. Aber es kommt thatsächlich 
vor, dass atretische Follikel, d. h. solche, die zur Zeit ihrer Reife nicht 
geplatzt waren und deswegen schon die für die Atresie charakteristi- 
schen Veränderungen zeigten, zur Zeit der Reifung anderer Follikel 
noch mit von den Erscheinungen ergriffen werden, welche die nor- 
malen Follikel befallen, d. h. dass sich Blut in sie ergiesst, oder dass 
sie sogar noch platzen. Letzteres kommt jedoch nach meinen Erfah- 
rungen nur an Thieren vor, die nicht unter günstigen Lebensbedin- 
gungen gehalten werden. 

2) v. Kölliker (l. c.) bezeichnet es als auffallend, dass Niemand 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. 555 


Ich möchte auch nicht unterlassen darauf hinzuweisen, wie 
verschieden die Epithelzellen des Corpus luteum und die Zellen 
der innern Thecaschicht je nach der Conserviruug des betreffen- 
den Objeetes erscheinen. Wenn man in Lösungen fixirt, die das 
Lutein, Fett ete. nicht binden, so dass die Stoffe in Alkohol 
und Oel nachher völlig gelöst werden, dann schrumpfen die 
Epithelzellen des Corpus luteum ganz wesentlich zusammen. 
Färbt man nun, wie dies meist geschieht, lediglich die Kerne, 
so sind die Epithelzellen des ausgebildeten Corpus luteum, z. B. 
auch des Kaninchens, von den Zellen der innern Thecaschicht 
kaum zu unterscheiden. Conservirt man aber mit Lösungen, 
welche derartige Zelleinschlüsse so fixiren, dass sie auch nach 
Paraffineinbettung erkennbar bleiben, die ferner auch das Proto- 
plasma an und für sich schon mehr färben, wie Flemming’sche 
oder vielleicht noch besser Hermann’sche Lösung, so stellen sich 
insbesondere die Epithelzellen des Corpus luteum ganz anders 
dar. Indessen halte ich solche Vergleiche über Aehnlichkeit 
oder Unähnlichkeit der beiden Zellformen für völlig belanglos, 
wenn es sich um die Abstammung der Zellen handelt. Jedenfalls 
darf man nicht aus dem Aussehen atretischer Follikel auf die 
Abstammung der Elemente des Corpus luteum Rückschlüsse 
machen. 

Um auf die Clark’sche Arbeit zurückzukommen: das erste 
„Normalstadium* Clark’s zur Bildung des Corpus luteum waren 
atretische, jedenfalls nicht normale Follikel, soweit sich aus dem 
Mangel sicherer Anhaltspunkte schliessen lässt. 

Das zweite Normalstadium betitelt der Autor: „Das Corpus 
luteum in der Mitte seiner Entwicklung.“ Wie alt dieses ist, 
wo das zugehörige Ei sich befindet (Uterus wurde mit heraus- 
geschnitten!), warum es die Mitte der Entwicklung darstellt, 
darüber lässt der Autor im Unklaren. Es ist eben ein „Normal- 
stadium‘! Diesmal handelt es sich nun nach der Beschreibung 


die von ihm gesehenen Bildungen beschrieben habe, die bei der typi- 
schen Atresie der Follikel sich bilden. Dazu möchte ich bemerken, 
dass diese Art der Atresie mindestens nicht für alle Säugethiereier- 
stöcke typisch ist, sogar bei manchen (Maus) nie vorkommt. Die Atresie 
macht sich hier ganz andere Effecte. Zweitens habe ich in meiner 
zweiten Publikation (l. e.) dieser Bildungen, soweit sie beim Kaninchen 
vorkommen, ziemlich ausführlich gedacht (S. 180/81, Anmerkung). 


556 J: Soboita:r 


Clark’s vielleicht wirklich um ein Corpus luteum, aber wenn, 
dann um ein längst ausgebildetes. Wer einmal in Bildung 
begriffene Corpora lutea gesehen hat, für den ist das ausser 
allem Zweifel. Das hätte Clark übrigens selbst nach der von 
mir gegebenen Darstellung von Bildungsstadien des Corpus luteum 
sehen können. Vielleicht ist aber auch dieses Stadium Clark’s 
gar kein ‚frisches‘ Corpus luteum. Da die „Luteinzellen“ theil- 
weise schon degeneriren (auf einem „Normalstadium“ zur 
Entwicklung des Corpus luteum!!), handelt es sich um ein 
bereits in rückschreitender Metamorphose befindliches Gebilde. 
War es wirklich ein Corpus luteum, so stammte es vielleicht von 
einer früheren Trächtigkeit des Schweines, da das Schwein 
wohl nicht mehr trächtig gewesen zu sein scheint. 

Ich darf mir wohl eine Beleuchtung des dritten Clark’schen 
Normalstadiums: Corpus luteum auf der Höhe seiner Entwick- 
lung ersparen. Den Leser, der sich hierfür interessirt, bitte ich 
nun einmal in meinen früheren Publikationen, namentlich in der 
über das Corpus Juteum der Maus die von mir beschriebenen 
Stadien der Entwicklung des Corpus luteum, die von mir ge- 
gebene Altersbestimmung, die Sichtung meines Materials mit den 
Normalstadien Clark’s zu vergleichen. 

Wenn ich das thue, dann verstehe ich offen gestanden 
nicht, wie es Clark hat unternehmen können, sein Material 
gegen das meinige ins Feld zu führen. Die Erkenntniss aber, 
dass ich Recht habe mit meinen Behauptungen, ist insbesondere 
an dem sehr vollständigen und reichlichen Material, das mir 
von der Entwicklung des Corpus luteum der Maus auch jetzt 
noch zur Verfügung steht, ohne Mühe leicht zu gewinnen. Ich 
stelle Material dazu allen Fachgenossen hiermit 
zur Verfügung und hoffe, dass recht viele derselben, soweit 
sie noch nicht überzeugt sind, sich selbst die Ueberzeugung ver- 
schaffen. 

Zum Schluss handelt noch Clark von der Rückbildung der 
Corpora lutea, wobei die altbekannten Thatsachen bestätigt 
werden. Diese, dass nämlich die Epithelzellen des Corpus luteum 
dabei zu Grunde gehen, während das persistirende bindegewebige 
Gerüst zur Narbe schrumpft, deuten übrigens auch schon darauf 
hin, dass es sich um Epitheizellen, nicht um Zellen der inneren 
Theeaschicht handelt. Diese letzteren sind ja, wie die Entwick- 


Noch einmal zur Frage der Bildung des Corpus luteum. 557 


lung des Graaf’schen Follikels lehrt, aus spindelförmigen Binde- 
gewebszellen hervorgegangen. Warum sollten sie sich nicht in 
solche zurückverwandeln. 

Bei der Rückbildung der Corpora lutea zeigt sich eben 
dieselbe Erscheinung wie bei der Rückbildung epithelialer Organe 
ete. überhaupt. Das Epithel geht zu Grunde, das Bindegewebe 
schrumpft. Dafür liefert die pathologische Anatomie zahllose 
Beispiele. 

Die atretischen Follikel der Art, wiesieKölliker beschrieben 
hat, erfahren ebenfalls eine Art von Rückbildung, wie es scheint, 
aber ohne dass die „Lutemzellen“ dieser Gebilde zerfallen, sondern 
indem sie sich zu Spindelzellen umbilden. 

Das einzige, was Clark Neues zur Anwendung gebracht 
hat, war die Verdauungsmethode seiner Präparate. Der damit 
nochmals gelieferte Nachweis eines feineren Gerüstes im aus- 
gebildeten Corpus luteum, war früher schon bekannt. Seine Ent- 
stehung habe ich genau beschrieben. 

Clark’s Arbeit hätte also, selbst wenn sie vor meinen 
Publikationen erschienen wäre, keinen sonderlichen Fortschritt 
bedeutet; jetzt, wo sie nach denselben erscheint, bedeutet sie nur 
einen Rückschritt. Sie ändert nichts an dem, was durch wirkliche 
systematische Beobachtungen festgestellt ist. 

Würzburg, im Juli 1898. 


Nach Abschluss des Manuseripts erschienen die Verhandlungen 
der Anatomischen Gesellschaft von der 12. Versammlung in Kiel. 
In einem Bericht über seinen Vortrag hat von Kölliker dort 
ungefähr dasselbe zu Protokoll gegeben, was in der oben eitirten 
Abhandlung bereits beschrieben wurde. Zum Schlusse bemerkt 
der Autor: „und ich bin daher der Meinung, dass in den Unter- 
suchungen Sobotta’s.. . ein schwacher weiter aufzuklären- 
der Punkt enthalten ist.“ von Kölliker spricht sich also in 
dieser Publikation ziemlich entschieden gegen die von mir ver- 
tretene Ansicht aus. Ich habe oben (p. 554) schon hervorgehoben, 
dass das von von Kölliker benutzte Material für die von mir 
behandelte Frage ja nicht ins Gewicht fällt, dass es sich bei 
den Untersuchungsobjeeten von Kölliker’s gar nicht um 
Corpora lutea handelt, geschweige denn von Entwickelungsstadien 


558 R. Eschweiler: 


der Gebilde. Ich erachte es deswegen für vollständig überflüssig, 
auf diese Veröffentlichung von Kölliker’s einzugehen, da 
unsere Untersuchungen sich auf ganz verschiedene Dinge be- 
ziehen. Ich sehe in der Veröffentlichung von Kölliker’s nur 
eine Bestätigung der von mir gelegentlich meiner zweiten Publi- 
kation über das Corpus luteum (l. e.) S. 180/181 Anmerk. ge- 
machten Bemerkungen, nicht aber einen Beitrag zur Entstehung 
des Corpus luteum. 


(Aus dem anatomischen Institut zu Bonn.) 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln 
und der Topographie des Mittelohres ver- 
schiedener Säugethiere. 


Von 
Dr. R. Eschweiler, 
Privatdocent und Assistenzarzt der Universitäts-Poliklinik für Ohren- 
und Nasenkranke zu Bonn. 


Hierzu Tafel XXV—XXVII und 4 Figuren im Text. 

Die vergleichende Anatomie des innern Ohrs ist fast er- 
schöpfend bearbeitet. Der schallzuleitende Apparat mit seinen 
Adnexen ist dagegen selten Gegenstand der vergleichend-anato- 
mischen Untersuchung gewesen, und wo das Mittelohr der Thiere 
mit seinem Inhalt und die Tube eine Besprechung erfahren 
haben, da handelt es sich weniger um vergleichende, als viel- 
mehr um deskriptive Thieranatomie. Ganz besonders geringe 
Beachtung haben die Muskeln der Gehörknöchelehen erfahren, 
obschon doch gerade sie ein interessantes Objekt der vergleichend 
anatomischen Untersuchung sind, zumal, da ihre Funktion noch 
sehr strittig ist, und vielleicht auf dem Wege der vergleichenden 
Anatomie eine Lösung der Frage gefunden werden kann. 


ee ee E Po 


Yo 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 559 


Von den älteren Anatomen, welche genaue Untersuchungen 
auch bei Thieren gemacht haben, ist besonders E. Hagenbach!) 
zu nennen. Er beschreibt indessen nur die betreffenden Muskeln 
bei verschiedenen Säugethieren. Die ersten wirklich vergleichend 
anatomischen Untersuchungen sind von Zuekerkandl?) aus- 
gegangen. Er sowohl, wie Hagenbach legen hauptsächlich 
Werth auf die Structurverhältnisse des Muskelbauchs. Zuck er- 
kandl hat neben diesen zum ersten Mal auch auf die Ver- 
schiedenheiten aufmerksam gemacht, welche der Tensor tympani 
der Thiere in seinem Zusammenhang mit der Tuba Eustachii 
besitzt, und daraus eine vergleichend anatomische Deutung für 
den Tensor des Menschen herzuleiten versucht. Während er zum 
Studium der Structur des Muskelbauchs das Mikroskop herange- 
zogen hat, sucht er den Zusammenhang des Muskels mit der 
Tube makroskopisch zu demonstriren. Die nachfolgende Dar- 
stellung wird aber zeigen können, dass die Analyse von dinnen 
Serienschnitten noch eine Reihe von Eigenthümlichkeiten zu Tage 
fördert, die bei makroskopischen Präparationen verborgen bleiben 
müssen. 

Diese Untersuchung muss nämlich umsomehr auf grosse 
Genauigkeit Anspruch machen dürfen, als gerade im Zusammen- 
hang mit der Tuba Eustachii und in etwaigen Lageänderungen 
des Muskelbauchs der Schwerpunkt der vergleichend anatomischen 
Untersuchung des Tensor tympani zu suchen ist; es ist ja die 
Zugehörigkeit des Tensors zur Tube viel inniger, als zum Mittel- 
ohr, weil der Muskel erst sekundär in den Dienst des Gehör- 
organs gestellt ist. Es wurde daher in den folgenden Unter- 
suchungen besonders auf diesen Punkt die Aufmerksamkeit ge- 
lenkt und damit eine Betrachtung der Tuba Eustachii verknüpft. 
Da die Gehörorgane in Serienschnitte zerlegt wurden, konnten 
nieht nur die Structurverhältnisse des Muskelbauchs, sondern auch 
andere wichtige Verhältnisse der Paukenhöhle und ihres Inhalts 
studirt werden, z. B. die Gehörknöchelchen, der Musculus stape- 
dius, vor allem aber die wechselnde Gestaltung der Trommel- 
höhle. 


1) E. Hagenbach, Disquisitiones anatomicae eirca musculos 
auris internae. Basileae 1833. 

2) E. Zuekerkandl, Zur Morphologie des Musculus tensor tym- 
pani. Archiv f. Ohrenheilkunde Bd. 20, S. 104. 


560 R. Esehweiler: 


Ehe zur Beschreibung der makroskopischen und mikrosko- 
pischen Untersuchung übergegangen wird, mögen einige Bemer- 
kungen über die Technik einen Platz finden. 

Nach Durchsägung des betreffenden Thierschädels in sagit- 
taler Richtung wurde das Gehirn herausgenommen. Darauf 
wurde der äussere Gehörgang nahe dem Trommelfell abgeschnitten 
und letzteres in der unteren Hälfte mit einem Messerchen per- 
forirt, um der Härtungsflüssigkeit den Eintritt in die Paukenhöhle 
zu gestatten. Wie sich nachher noch ergeben wird, war es oft 
nicht möglich, die Luft völlig aus dem Mittelohr zu entfernen, 
obgleich das Präparat stets mit der Trommelfellperforation nach 
oben gerichtet in der Härteflüssigkeit lag. Zu Anfang habe ich 
versucht, durch Ausspritzen der Tuba vom Rachen her die Luft 
aus der Pauke durch die Trommelfellöffnung hinauszudrängen. 
Es gelang das zwar, aber die Tubenschleimhaut wurde dabei so 
stark. verletzt, dass späterhin von dem Verfahren Abstand ge- 
nommen wurde. Augenblicklich mache ich den Versuch, durch 
Auspumpen die Luft zu entfernen: ich stelle das Präparat mit 
durchstochenem Trommelfell, völlig bedeckt von 80°%/, Alcohol, 
unter den Reeipienten einer Luftpumpe. Man sieht dann deutlich 
bei der Vacuumbildung die Luftblasen entweichen. Ob man mit 
diesem Verfahren wirklich zum Ziele kommt, und ob nichts da- 
bei zerrissen wird, muss sich noch herausstellen, wenn die be- 
treffenden Präparate geschnitten werden. 

Als Härtungsflüssigkeit diente der Alcohol in steigender 
Concentration. Die Präparate — bei kleinen Thieren der halbe 
Kopf, bei grössern das in weiterem Umkreis ausgesägte Gehör- 
organ — wurden am ersten Tag in 50 und 70°/, Alcohol, am 
zweiten Tag in 80°/,, am dritten und vierten in 96°/, Alcohol 
gebracht. 

Der Alcohol hat sich uns ausserordentlich gut bewährt: 
ein mit Zenker’scher Flüssigkeit fixirtes Präparat gab weniger 
schöne Bilder. 

Nach der Härtung wurde die Entkalkung in einer Mischung 
von 4 Theilen Salpetersäure v. spec. Gew. 1,33 und 100 Theilen 
Aqua destillata vorgenommen. 

Die Entkalkung dauerte verschieden lange. Eine Norm 
lässt sich auch für gleiche Thierspecies nicht aufstellen, da 
Alters- und individuelle Unterschiede in der Knochenhärte vor- 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. S6l 


kommen. Es muss eben für jedes Präparat durch Anstechen 
mit einer spitzen Nadel und Anschneiden mit dem Rasirmesser 
der richtige Zeitpunkt zur Herausnahme aus der Säure gesucht 
werden. Es ist zweckmässig, die Präparate noch 48 Stunden 
in der Säure zu belassen, selbst wenn sie schon gut schneidbar 
sind, weil nämlich kleine nicht ganz und gar entkalkte Stellen 
nach der späteren Aleoholbehandlung einen viel höheren Härte- 
grad annehmen, als man an dem eben der Säure entnommenen 
Präparat nachweisen konnte. 

Nach vollendeter Entkalkung wurde 24 Stunden lang 
in fliessendem Wasser ausgewaschen und dann wieder in stei- 
gendem Alcohol gehärtet. Jetzt erfolgte das Zurechtschneiden 
des Präparates und das Anlegen der Schnittebene. Die Lage 
der letzteren soll noch bei Beschreibung jeder Serie später 
genauer erörtert werden. Ich will hier nur bemerken, dass es 
zu Anfang beabsichtigt wurde, die Tubenlängsaxe, die Anhef- 
tungsstelle des Musculus tensor tympani am Felsenbein, und die 
Insertion seiner Sehne am Hammer möglichst in eine Ebene, 
d. h. in die Schnittebene zu bringen. Später habe ich auf den 
Rath des Herrn Prof. Nussbaum die Schnittebene frontal ge- 
legt. Beide Methoden haben ihre Vorzüge. Die letztere gewährt 
den grossen Vortheil, dass sie eine für alle Thiere konstante 
Lage behält und dass somit ein Vergleich zwischen den einzelnen 
Thierarten erleichtert wird. Erst nach Anlegung der Schnitt- 
ebene und Behandlung mit Alcohol absol. und Aether-Alcohol 
erfolgte die Einbettung in Celloidin. 

Ueber die Herstellung der beigegebenen Tafeln sei Fol- 
gendes bemerkt. Es war zunächst beabsichtigt, alle Präparate 
und Schnitte zu photographiren. Bei der verschieden starken 
Blaufärbung (Hämalaun) der verschiedenen Gewebsarten wurden 
jedoch stellenweise die Contraste zu stark und andrerseits die 
Details zu wenig ausgeprägt, so dass die meisten Präparate doch 
nachträglich gezeichnet wurden. 

Die Aufnahmen von Figur 2 und 3 wurden nach Art von 
Mikrophotographien, aber bei auffallendem Sonnenlicht 
und bei vierfacher Lupenvergrösserung gemacht. Das Präparat 
— der Recessus tympanieus pharyngis — war ein ausserordentlich 
ungünstiges Objekt für die photographische Aufnahme, denn ein- 
mal war es sehr schwer, die Tiefe des Recessus genügend zu 


562 R. Eschweiler: 


erleuchten, zweitens konnte bei dem grossen Niveauunterschied 
zwischen den Theilen des Präparats immer nur auf einen kleinen 
Bezirk scharf eingestellt werden. Eine genügende Beleuchtung 
wurde dadurch erzielt, dass mit einem auf Stativ befestigten 
grossen Refleetor, wie er zum Kehlkopfspiegeln benutzt wird, 
ein Streifen intensiven Sonnenlichts in die Tiefe des Recessus 
tympanieus geworfen wurde. Auf der Mattscheibe der Camera 
wurde dann bei der ersten Aufnahme das Trommelfell, bei der 
zweiten das Ostium attiei tympaniei eingestellt. Die Expositions- 
dauer war eine sehr kurze. Sie betrug drei bis vier Sekunden. 

Die photographische Aufnahme der Serienschnitte wurde 
folgendermaassen vorgenommen. Als Lichtquelle diente der von 
der Sonne hell beleuchtete Horizont. Mit diesem Licht wurde 
das Bild zunächst auf der Mattscheibe der Leitz’schen Camera, 
dann mit der Lupe scharf auf der hellen Glasscheibe eingestellt. 
Darauf wurde auf die Irisblende eine Gelbscheibe gelegt und 
nun ohne weitere Abblendung des durchfallenden Lichtes zehn 
Sekunden lang exponirt. 

Bei Ausführung der Zeichnungen wurden die Umrisse theils 
nach den Photogramnten durehgepaust, theils mit dem Zeiss’schen 
Prisma entworfen. 

Während der Durchsicht einer Serie wurde der Befund 
zunächst in ein Schema eingetragen, welches die Uebersicht 
ausserordentlich erleichtert. Statt der näheren Beschreibung 
lasse ich hier einen Theil des Schemas, wie es bei Durchsicht 
der Schnittserie vom Gehörorgan des Schuppenthieres sich ergab, 
folgen. Auf Grund solcher Tabellen wurde dann unter Erweite- 
rung der Details die genauere Beschreibung der Serie geliefert. 


3 SE 
= ® Mm. 
E ae Pauken- | 5= r ar Verschie- 
> ube Mr Ss ’ven mpani 
7 höhle = = yıp denes 
E 5.2 und 
x = stapedius 
2 „A 
5 Ost. pharyng. Is facialis Cavernöses 
Lumen mehr- im Quer- Gewebe und 
mals ange- schnitt. Drüsen i. der 
schnitten. Ein Gan- Grehörgangs- 
glion nahe gegend. 


d. Schädel- 
höhle. 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 563 


a 

© je 

$ ‚o Mm. 

E Tub Pauken- SS K- tensor | Verschie- 

B) ube 5 E= rve 7 

Zi höhle o= Rn Kynpanı denes 

= er und 

= f- stapedius 

S E tapediu 

6|Tubenlumen 

in fibröses 
Gewebe 
eingelagert. 
12 Tube 
ampullen- 
artig erwei- 
tert. 
13 Tube Beginn der 
in ganzer | Paukenh. 
Länge. Ost. tymp. 
Knorpel üb.ltubae erfüllt 
dem Ost. mit abge- 
phar. tubae.| stossenem 
Epithel. 

15 Die Pauken- Ceruminal- 
höhle grenzt drüsen im 
unmittelbar äusseren 

an caver- Gehörgang. 
nöses Ge- 
webe. 
17 M. stape- 
dius. 
18 Die Pauke 
buchtet sich 
nach dem 
Labyrinth 
hin aus. 
21] Knorpel Ganglion in 
auch unter Schnitt 5 
dem Ost. giebt einen 
phar. tubae Nerv ab. 

25 Fenestra ro- Gehör- 

tunda. gangslumen. 

28 Von der 

Schädel- 
höhle her er- 
streckt sich 

eine Aus- 
buchtung 
nach der 
Pauke hin. 


564 R. Eschweiler: 

= - — _ - - — - 

3 ‚© Mm. 

= Pauken- S2 tensor Ver- 

3 Tube höhle = Nerven tympani | schie- 

e 52 und denes 

© = stapedius 

z 2 

33] Von der 

Tuba ent- 
springt ein 
rachenwärts 
verlaufen- 
der Muskel. 
35 Stärkere Ab- 
schnürung 
der Aus- 
buchtung. 

36 Ganglion 

am N. acu- 
stieus. 

41 Nur noch 
Spitze des 

M. stap. 
sichtbar. 

42 Der Durch- Ganglion 

bruch der aus Schnitt 
Schädel- 5 ver- 

höhle in die schwunden. 

Pauke berei- Nur noch 

tet sich vor. Nerv vor- 
handen. 

43 Die Spitze 
des M. stape- 
dius verlässt 
die Knochen- 

höhle., 
47|Oberer und Stapes- 
unterer Ab- platte. 
schnitt des 
Tubenknor- 
pels vereint. 

48 Drei | Eigenthüm- 
Knochen-Jliche Anord- 
kernei.d.| nung der 

Stapes- | Acustiens- 
platte. fasern. 
49| Tubenknor- Stapes- 
pel stark ge- kopf. 
rollt u. dem 
Rachenepi- 


thel anlie- 
gend. 


ER 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 565 


Die Reihe der untersuchten Thiere möge mit der untersten 
Species der Säugethiere eröffnet werden: mit dem Ornithorhyn- 
chus paradoxus. 

Vom Gehörorgan des Schnabelthiers hat bis jetzt nur die 
Tuba Eustachii eine Beschreibung erfahren. Zuerst seitens R ü- 
dinger's!), 

Später hat Zuckerkandl?) die Ergebnisse der Rüdin- 
ger'schen Untersuchung nachgeprüft und ist dabei, von einigen 
unwesentlichen Berichtigungen abgesehen, zu demselben Ergebniss 
gekommen, welches dahin lautet, dass dem Schnabelthier die 
Ohrtrompete gänzlich fehlt. „Statt eines solehen Rohrs findet 
man eine etwa kleinlinsengrosse Oeffnung an der Seitenwand des 
Rachens, beziehungsweise an der innern untern Partie des de- 
fekten Paukenhöhlenbodens, welche die Aufgabe der Tuba über- 
nelmend für die Ventilation der Paukenhöhle Sorge trägt, und 
an welcher die Rachenschleimhaut dünner werdend in die Pau- 
kenhöhlenschleimhaut übergeht. Ein Verschluss dieser Oeffnung 
(welche man Ostium pharyngo-tympanicum nennen könnte), etwa 
in Form einer Falte oder Klappe existirt nicht, und somit ist 
der Zugang von der Rachenhöhle zur Paukenhöhle ein ganz 
freier, mag sich der Pharynx verhalten, wie er wolle. .. .* 
„Von Innen her untersucht, sieht man, wie der Rachenraum 
gegen das Ostium pharyngo-tympanicum sich ein wenig trichter- 
förmig zuspitzt, und durch die Oeffnung gewahrt man deutlich 
den Hammer. Siehe Tafel XXV, Figur 1 (O Nasenhöhle, N 
Choanenrohr, PH Pharynx, X Schädelhöhle). 

Als ich nun das Gehörorgan des Schnabelthiers behufs 
Untersuchung des Musculus tensor tympani zum Serienschnitt 
vorbereitete, diente mir die Beschreibung Zuckerkandl's zur 
Grundlage der Präparation. Es musste danach angenommen 
werden, dass bei der weiten Communication des Mittelohrs mit 
dem Pharynx eine Durchtränkung der ganzen Paukenhöhle mit 
Alcohol und ein völliges Eindringen des Celloidins ohne Weiteres 
stattfinden würde. Es war daher eine unangenehme Ueber- 
raschung, dass beim Schneiden des grossen Präparats ein Theil 


1) Rüdinger, Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Histo- 
logie der Ohrtrompete. München 1870. 
2) Zuckerkandl, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der 
Öhrtrompete. Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 23, S. 201. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 37 


566 R. Eschweiler: 


der Paukenhöhle sich als leer erwies, und dass in Folge dessen 
die Schnitte von einer grossen Brüchigkeit waren. Dieser Um- 
stand liess es als unwahrscheinlich vermuthen, dass eine weite, 
dem „Ostium pharyngo-tympaniecum® Zucekerkandl’s ent- 
sprechende Communication zwischen dem Rachen und der Panu- 
kenhöhle bestände. Es wurde deshalb die andere Kopfhälfte 
des Ornithorhynchus einer genauen makroskopischen Uutersuchung 
und Präparation unterworfen. Dabei ergab sich nun Folgendes: 

Wie Zucekerkandl |.ce. bemerkt, ist die Nasenhöhle des 
Ornithorhynchus jederseits in ein langes hinteres Ansatzrohr aus- 
gezogen, welches einer Choane gleichzusetzen ist und oberhalb 
des weichen Gaumens in den Pharynx mündet. Dicht hinter dem 
hintern Ende dieser lang ausgezogenen Choane befindet sich an 
der Seitenwand des Rachens eine kleinlinsengrosse, etwa zwei 
Millimeter tiefe runde Nische. Sie wird lateralwärts vom Trom- 
melfell abgeschlossen, welch letzteres sammt dem Hammerstiel 
deutlich vom Rachen her zu sehen ist. Zuekerkandl nennt 
den Zugang zu dieser Nische Ostium pharyngo-tympanicum. 

Die Nische selbst wird am besten mit dem Namen Reces- 
sus tympanicus pharyngis belegt. Dieser Recessus ist als ein 
Theil der Paukenhöhle aufzufassen, welcher mit dem Rachen 
durch das weite Ostium pharyngo-tympaniecum eommunizirt. Der 
Recessus tympaniceus (r ? der Figur 2) mit dem Trommelfell und 
Hammergriff (der kleine schwarze Strich im hellen Trommelfell) 
ist in Figur 1, die der Zuckerkandl'schen Arbeit entnommen 
ist, zu sehen. Wenn die Beschreibung Zuckerkandl's voll- 
ständig wäre, so müsste der Recessus tympanicus pharyngis un- 
mittelbar in den Theil der Paukenhöble übergehen, welcher den 
Rest des Hammers und die iibrigen Gehörknöchelchen enthält. 
Dies ist jedoch nicht der Fall, sondern es sind beide Abschnitte 
der Paukenhöhle von einander geschieden und communiziren nur 
durch eine kleine Oeffnung miteinander, welche in der Tiefe des 
Recessus tympanieus pharyngis und zwar nahe dem Rande des 
vorderen oberen Trommelfellquadranten liegt. Da sich hier der 
die Gehörknöchelehen bergende Raum, den ich dem Kuppelraum 
des Menschen gleichsetze, in den Recessus tympaniecus öffnet, so 
soll diese Communication mit dem Namen Ostium attiei tympa- 
nici belegt werden. 

Das Ostium attiei tympaniei ist für ein kleines Stecknadel- 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 567 


köpfehen durchgängig. Zur Erklärung möge Tafel XXV, 
Figur 2 und 3 dienen. 

Figur 2 giebt die linke hintere Rachengegend des Ornitho- 
rhynchus wieder. Man sieht bei r ? den Recessus tympanieus 
pharyngis, dessen Boden — das Trommelfell — in eine dunkle 
und eine. helle Partie zerfällt. Die helle Partie ist ein Lichtkegel, 
hervorgerufen dureh die künstliche Beleuchtung. Die Spitze dieses 
Liehtkegels entspricht dem Umbo des Trommelfells. z ist die 
mediane Durchschnittsfläche der Zunge. oe ist der losgelöste An- 
fangstheil des Oesophagus. Bei ch beginnt das lange Ansatzrohr 
der Choane. Der dunkle Theil des Recessus tympanieus ist nach 
oben hin von einem hellen Saum umgeben, welcher im Niveau 
der Rachenwand liegt. Unter diesem Saum liegt das Ostium 
attici tympaniei versteckt und wird erst dann sichtbar, wenn 
man das Präparat so um eine horizontale, zum Beschauer trans- 
versal stehende Axe dreht, dass man unter dem Rand des Re- 
cessus tympanicus in die Tiefe sieht. Das ist für die Aufnahme, 
welehe in Figur 3 abgebildet ist, geschehen. In diesem Bild 
ist gemäss der oben angegebenen Drehung mehr vom oberen, 
als vom unteren Theil des Trommelfells zu sehen. Nach oben 
vorne erscheint als dunkler Fleck nahe dem Rand des Recessus 
tympanicus das Ostium attiei tympanici. Es liegt nicht im Trommel- 
fell, sondern nahe seinem Rande in der Rachenschleimhaut. Vom 
Lichtkegel des Trommelfells ist nur die Spitze zu sehen. Auf 
beiden Bildern fällt der helle, dem Sonnenreflex entsprechende 
Streifen auf. Bei der makroskopischen Präparation wurde zunächst 
die Rachenschleimhaut in der Umgebung des Recessus tympani- 
eus abpräparirt. Es zeigte sich, dass zwischen dem Rande des 
hinteren Choanenendes, also der in Figur 2 mit ch bezeichneten 
Stelle und zwischen der Circumfererenz des Ostium attiei tym- 
paniei zwei Muskelbäuche ausgespannt sind, deren pharyngealer 
Ursprung genau zu begrenzen war, deren tympanales Ende sich 
jedoch in die Paukenhöhle hinein verlor. Diese Muskelbäuche 
liegen fast transversal, verlaufen demgemäss mediolateral. Der 
mediale Ursprung am Choanenrande liegt etwas mehr oralwärts, 
als das Sehnenende. 

Nun wurde unter Schonung des Hammers das Trommelfell 
und der das Ostium pharyngo-tympanicum begrenzende Theil der 
Rachenhaut abgetragen, und somit ein weiter Zugang zur 


568 R. Eschweiler: 


Paukenhöhle geschaffen, wo sich jetzt die Insertion der eben 
erwähnten Muskelbäuche am Hammer zeigte. Dieses Präparat 
ist in Figur 4 wiedergegeben. Da die starke Niveaudifferenz 
zwischen dem Boden des Recessus tympanicus und der Rachen- 
wand nicht mehr vorhanden war infolge Abtragung der benach- 
barten Schleimhaut, so brauchte keine Beleuchtung mit dem Re- 
flektor zu erfolgen. Das Präparat wurde vielmehr dem direeten 
Sonnenlicht ausgesetzt und ebenfalls mit sehr kurzer Expositions- 
dauer photographirt. 

Man sieht in Figur 4 die beiden Muskelbäuche bei m und 
m’. Besonders deutlich ist der Ursprung des oberen an der 
hinteren Umrandung des Choanenrohres (ch). Beide Muskel- 
bäuche spitzen sich tympanalwärts zu. Der obere entwickelt 
eine blinkende Sehne. Beide verschwinden dann unter dem 
Trommelfellrest £. Vor letzterem und über dem Sehnenende des 
Muskels liegt eine dunkle Stelle. Hier befindet sich der nun breite 
Zugang zur Paukenhöhle, die eine besondere Besprechung verlangt. 

Die Paukenhöhle zerfällt in zwei Theile. Der eine davon 
ist der Recessus tympanicus pharyngis, dessen Lage vorher 
beschrieben wurde. In ihm befindet sich von den Gehör- 
knöchelehen nur der Hammerstiel, soweit er in das Trommelfell 
verwebt ist. Der andere Theil der Paukenhöhle, welcher den 
Kopf des Hammers nebst Amboss und Steigbügel enthält, liegt 
höher, als der Recessus tympanicus, so dass sein Boden im Niveau 
des oberen Trommelfellrandes liegt. Gleichzeitig liegt er auch 
lateral vom Recessus tympanieus und erstreckt sich weiter nach 
vorn, als dieser. Nach vorne hin senkt sich der Boden dieses 
Paukenhöhlenabschnitts wieder etwas. 

Denkt man sich den Recesssus tympanieus pharyngis als 
geschlossenen Raum, so würde die gesammte Paukenhöhle einem 
Doppelsack ähnlich sein, von dem der untere mediale Theil dem 
Recessus tympanieus pharyngis, der obere laterale dagegen dem 
die Gehörknöchelehen bergenden Kuppelraum entspräche. Dieser 
dem Kuppelraum des Menschen verglichene Theil enthält aber 
beim Schnabelthier weit mehr wichtige Theile, als beim Menschen, 
denn seine mediale Wand wird von der das ovale und runde 
Fenster enthaltenden Felsenbeinfläche gebildet. 

An der Stelle, wo der Doppelsack eingeschnürt ist, liegt 
auch die Communikationsöffnung beider, nämlich das Ostium attiei 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 569 


tympanici. Diese Verhältnisse werden am besten durch die Figur 9, 
Tafel XXVI illustrirt. Nur ist zu bemerken, dass die auf den 
Abbildungen der Schnabelthierserie rechts befindlichen Theile 
höher liegen, ais die linke Seite. Es ist deshalb nöthig, die 
Bilder um 45° in entgegengesetztem Sinne des Uhrzeigers zu 
drehen, um eine der normalen entsprechende Stellung zu er- 
halten. 

Man sieht deutlich, wie die Paukenhöhle im engern Sinne 
P zum Recessus tympanieus pharyngis resp. zur Rachenhöhle 
PH und zum Trommelfell 7 gelegen ist. 

Ehe zur Beschreibung der Serienschnitte übergegangen wird, 
sind einige Vorbemerkungen nöthig. 

Nach sagittaler Durchsägung des Schnabelthierkopfes wurde 
zunächst die Mündung des äussern Gehörgangs aufgesucht. Die- 
selbe ist spaltförmig und liegt, da eine Ohrmuschel fehlt, im Pelz 
verborgen, zwei em von der Mittellinie und 2,2 cm von der Haar- 
grenze am hintern Schnabelende des Thieres. Der äussere Gehör- 
gang umzieht als platte Röhre von dünner, aber derber fibröser Wan- 
dung dieht unter der Haut die Seitenfläche des Kopfes. Er verläuft 
um die hintere Kante des Unterkiefergelenkfortsatzes herum median 
und senkt sich dabei zwischen den Weichtheilen in die Tiefe. Das 
Präparat befand sich zur Zeit der Verwendung schon seit lange 
in mittelstarkem Alkohol. So kommt es, dass das Epithel durch- 
weg infolge von Maceration verschwunden und auch der Zusammen- 
hang der Schleimhaut mit der Unterlage an einzelnen Stellen auf- 
gehoben ist. Nach Einbettung in Celloidin geschah die Zerle- 
gung in Schnitte von 0,04 mm Dieke. Dünnere Schnitte durften 
nicht gemacht werden, weil infolge Leerseins der Paukenhöhle 
eine grosse Brüchigkeit der Schnitte bestand. Zur Färbung wurde 
Hämalaun genommen. Es zeigte sich, dass die Weichtheile den 
Farbstoff nur sehr langsam aufnahmen, während der Knochen 
sich rasch intensiv färbte. 

Die Schnittebene verläuft von vorne oben nach hinten unten 
und ist gegen die Horizontale um etwa 45° geneigt. Sie ist also 
eine Tangentialebene am Mittelpunkt des Kreisbogens, welcher 
den untern vorderen Quadranten des Trommelfells begrenzt. 

Die Serie beginnt mit Schnitten, welche das Trommelfell nahe 
seinem vordern Falz getroffen haben. Die Membran ist hier sehr 
diek. Auf der einen Seite liegt die Rachenhöhle resp. der Re- 


570 R. Eschweiler: 


cessus tympanieus, auf der andern der äussere Gehörgang. Die 
Paukenhöhle im engeren Sinne, d. h. der die Ossieula grössten- 
theils bergende Raum ist in den ersten Schnitten noch nicht er- 
öffnet. Der erste Schnitt, welcher ein diesem Paukentheil zuge- 
höriges Lumen zeigt, ist Schnitt 5. Dasselbe ist zunächst durch 
eine membranöse Scheidewand getheilt, wird jedoch von Schnitt 8 
an einheitlich. Schnitt 16 (Figur 5, Tafel XXVI) möge zur 
Orientierung dienen. 

Zu den Seiten des Trommelfells 7’p liegt einwärts der 
Recessus tympanicus pharyngis /H, auswärts der äussere Gehörgang 
M. A. E. Der Zugang des Recessus vom Rachen her ist dadurch 
verengt, dass sich ein breites Gewebspolster, bestehend aus Drüsen 
D und Muskelfasern m von der Unterlage abgehoben hat. Da- 
durch ist ein Kunstprodukt, der hohle Raum a entstanden, der 
von ziemlich grosser Ausdehnung und daher in fast allen Schnitten 
sichtbar ist. Ausser der mächtigen Drüsenschicht D liegt im 
Recessus tympanicus pharyngis noch die Drüsenmasse D‘, deren 
beider Zusammenhang in den vorhergehenden Schnitten sichtbar 
ist. Die Drüsen bilden einen Doppelwulst, dessen grösserer 
Absehnitt im Recessus tympanicus pharyngis, dessen kleinerer 
im Attieus tympanicus liegt, beide sind durch einen schma- 
leren über den Rand des Ostium attiei tympanici verlaufenden 
Streifen von Drüsengewebe verbunden. F' ist das Felsenbein, 
C' die Schädelhöhle, P der vorher erwähnte, die Hauptmasse der 
Ossieula enthaltende Paukenhöhlenabschnitt. Er soll der Kürze 
halber im Folgenden nur mit dem Ausdruck „Paukenhöhle“ be- 
zeichnet werden. Das Lumen 7? ist wie ersichtlich, von zwei 
Schenkeln eingefasst, von denen der eine dem äusseren Gehör- 
gang, der andere dem Recessus tymp. phar. anliegt. 

Die solitären Muskelfasern bei f£, welche der Muskelmasse 
m angehören, sind die ersten unmittelbar als Muskelfasern des m. 
tensor tympani zu bezeichnenden Muskelelemente. In den fol- 
genden Schnitten wird nun der Raum 7’ immer grösser; dabei 
verdünnen sich die beiden ihn abgrenzenden Schenkel, welche 
sammt dem Trommelfell stark in die Länge gezogen werden. 
Die Zahl und die Länge der Tensorfasern wird grösser. Zugleich 
bereitet sich ein Uebergang derselben in das Gros der Rachen- 
muskulatur vor. 

In Schnitt 19 ist der Zusammenhang des Tensor tympani 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 571 


mit der Rachenmuskulatur sehr deutlich. Am unteren Trommelfell- 
rand ist der im Querschnitt getroffene Knochenfalz desselben sicht- 
bar. In Sehnitt 21 tritt im Trommelfell nahe seinem oberen 
Ende eine spindelförmige Verdiekung auf, welehe Knorpelzellen 
erkennen lässt. Es ist dies die erste Andeutung des Hammers. 
Die Drüsen D’ sondern sich immer deutlicher von dem Drüsen- 
complex D, indem zwischen beide der Tensor mit seiner Sehne 
und Schleimhautbekleidung allmählich sich einschiebt und auf 
den Hammer losrückt. Vorgreifend soll hier schon bemerkt 
werden, dass diese Verbindung des Muskels mit dem Hammer 
in Fig. 7 Schnitt 25 vollzogen, und damit der langgestreckte 
Raum PH der Fig. 5 in zwei Abtheilungen zerlegt ist, von 
denen die eine den in Figur 6 mit 5b bezeichneten Raum 
repräsentirt. Später wird dieser den Drüsen D‘ anliegende 
Raum 5b unter Schwund der pharyngealen Paukenhöhlenwand 
in das Paukenhöhlenlumen 7? einbezogen, und somit eine Ver- 
bindung des Pharynx mit der Paukenhöhle durch Vermittlung 
des Raumes b erzielt. Der Musculus tensor tympani ist im Schnitt 
21 schon ziemlich ansehnlich. Der Muskelbauch enthält an 
seinem der Schleimhaut anliegenden Rande Sehnenfasern. In 
Sehnitt 25 (Figur 6 Tafel XXVTI) sind die vorher beschriebenen 
Verhältnisse am Uebergang des Pharynx in die Paukenhöhle 
illustrirt. Man sieht, wie die den Muse. tensor bedeckende 
Schleimhautfalte schon den Hammer M erreicht hat. Letzterer 
ist in grosser Ausdehnung sichtbar. Der Raum Db ist noch von 
der Paukenhöhle getrennt. In den folgenden Schnitten rückt 
das stumpfe Ende des Tensor tympani immer näher an den 
Hammer heran. Der Raum b vergrössert sich, so dass die den 
Muskel mit dem Hammer verbindende Schleimhautbrücke immer 
schmäler wird. Späterhin wird diese Brücke nur noch von der Sehne 
des Tensor tympani gebildet. Die Sehne s tritt in Schnitt 28 
Figur 7 in grösserer Ausdehnung auf. Längs des der Schleim- 
haut zugekehrten Muskelrandes gehen die deutlich quergestreiften 
Muskelfasern in wellige Sehnenfaserbündel über. Letztere sind 
tingirt, während die Muskelfasern nicht gefärbt sind. Bei Z 
ist das Labyrinth angeschnitten. Im Schnitt 31 liegen auch an 
dem dem Knochen zugekehrten Muskelrand und zwar nahe 
seinem Abgang aus der Muskulatur im Rachen wellige Sehnen- 
fasern. Die Endsehne des Tensor tympani ist hier sehr lang 


572 R. Eschweiler: 


und schlank. Auch der Raum 5 ist in die Paukenhöhle 7 über- 
gegangen. Mithin liegt hier der Anfang des Ostium attiei 
tympanici. Die Drüsen D‘ liegen nun ganz in der Paukenhöhle. 
In den folgenden Schnitten wird die Paukenhöhle immer ge- 
räumiger. Der Hammer wird in seinem untern Theil dünner, 
am Kopfende dieker. Auch im Innern vom Muskelbauch des 
Tensor tympani treten Sehnenfasern auf. In den nächsten Schnitten 
verändert sich das Bild nieht wesentlich. Nur wird der anfangs 
einheitliche Muskelbauch des Tensor in mehrere Muskelpartien 
von gleicher Verlaufsrichtung zerlegt. In Schnitt 56 erscheint 
die erste Andeutung der Stapesplatte. Die Muskulatur des 
Pharynx ist erheblich verdünnt, nur wenige Fasern sind mehr 
davon zu sehen. Der pharyngealwärts ziehende Ursprung des 
Museulus tensor tympani ist hier in eine fibröse Scheide 
eingebettet. Im Schnitt 58 (Fig. 8, Tafel XXVI) ist dies 
besonders deutlich. Es sind hier zwei Abschnitte des Tensor 
tympani zu sehen. Der eine mit ?, der andere mit t‘ bezeichnet. 
t ist der in die Muskulatur m des Pharynx übergehende 
lange und schmale Bauch, welcher in den vorhergehenden 
Schnitten als einheitlicher Muskel von grosser Länge zu 
sehen war. 

t‘ ist ein kurzer, aber diekerer Muskel, weleher sich immer 
mehr entwickelt, je mehr der Bauch ? an Volum abnimmt. Er 
entspringt an der Labyrinthwand und geht in dieselbe Endsehne 
über, wie der Bauch f. Unter Einschrumpfen des Bauchs £ 
wächst der Bauch ?‘ bis in Nr. 66 Figur 9 ein Schnitt durch 
die grösste Ausdehnung dieses Muskelabschnitts erreicht ist. In 
diesem Präparat sind alle Gehörknöchelehen im Durchschnitt 
enthalten. M Hammer, 7 Amboss, St Steigbügel. Es fällt die 
relativ mächtige Entwicklung des Steigbügels auf, der, wie auch 
makroskopisch nachweisbar ist, Stäbehenform besitzt. Die Stapes- 
platte ist durch straffes Bindegewebe an den Rand des Vorhof- 
fensters geheftet. Von einer Stapediussehne ist nichts zu sehen. 
Ebensowenig liegt auch in den folgenden und vorhergehenden 
Schnitten etwas, was als Musculus stapedius angesprochen werden 
könnte. Der Bauch des Tensor tympani hat hier Retortenform. 

Er entspringt theils von der Labyrinthwand, theils von dem 
nahen Bindegewebe. Bei D’ ist in dünner Schicht der Rest 
der Paukenhöhlendrüsen zu sehen. Ohne eine Besonderheit zu 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 913 
bieten, verkleinert sich der Muskelbauch allmählich in den folgenden 
Sehnitten, bis er in Schnitt 87 geschwunden ist. 

Wenn man das Gesagte zusammenfasst, so ergibt sich 
Folgendes: 

Der Museulus tensor tympani des Schnabeltbiers besteht 
aus zwei Theilen. Der eine von diesen geht unmittelbar aus 
der Muskulatur hervor, welehe am hintern lateralen Choanenrand 
entspringt. Der zweite Bauch hat sein Wurzelgebiet an der 
Labyrinthwand. Er ist kürzer, dieker als der Rachenbauch und 
am Ursprung abgerundet. Mit dem Rachenbauch steht er insoweit 
in naher Verbindung, als er sich unmittelbar neben ihn legt und 
seine Fasern in gleicher Richtung verlaufen lässt. Es muss 
Jedoch ausdrücklich bemerkt werden, dass sein Ursprung ein 
selbstständiger ist. Beide Theile des Museulus tensor tympani 
gehen in dieselbe Endsehne über, welche sehr lang und schlank 
ist und unter spitzem Winkel am Hammer inserirt. Die Lage 
der Paukenhöhle wurde schon vorher besprochen. Interessant 
ist der unmittelbare Uebergang der Rachendrüsen in die Pauken- 
höhle. Diese Drüsen (D’ der Abbildungen) liegen der Labyrinth- 
wand an und bilden nahe dem Ostium attiei tympaniei eine dieke 
Schicht, welche nach oben hin immer mehr an Mächtigkeit ab- 
nimmt. Da mit wachsender Entfernung vom Rachen die Drüsen- 
sehieht dünner wird, ist es erklärlich, dass die Paukenhöhle der 
höheren Säugethiere, welehe eine lange Tube und damit eine 
grosse Entfernung der Pauke vom Rachen besitzen, nur spärliche 
oder keine Drüsen enthält. 

Wie aus den Ergebnissen der makroskopischen Präparation 
hervorgeht, ist für die Ventilation der Paukenhöhle in doppelter 
Weise gesorgt. Die Gleichgewichtslage des Trommelfells wird 
dadurch erzielt, dass der Lufteintritt zu dem Recessus tympanicus 
pharyngis durch das Ostium pharyngotympanicum ein ganz freier 
ist. Der andere Abschnitt der Paukenhöhle, welcher Amboss und 
Steigbügel enthält, wird durch das Ostium attiei tympanici mit 
dem Recessus und so mit der Rachenhöhle in Communikation 
gebracht. Es erfüllt demgemäss auch das Ostium attiei die 
Funktion der Tuba Eustachii der höhern Thiere. Morphologisch 
kann dasselbe jedoch nicht mit dieser identifizirt werden, weil 
es eine Communikation von zwei Paukenhöhlenabschnitten bildet. 
Das Ostium pharyngo - tympanicum dagegen entspricht als Ver- 


574 R. Eschweiler: 


bindung zwischen Pauke und Rachenhöhle der Tube des Menschen. 
Da das Ostium pharyngo -tympanicum aber keine Röhre, sondern 
nur eine Oeffnung darstellt, so ist es gerechtfertigt, zu sagen, 
dass dem Sehnabelthier die Tuba Eustachii fehlt. Aus ‚diesem 
Grunde kann von einem Zusammenhang des Musculus tensor 
tympani mit der Tuba Eustachii keine Rede sein. Dagegen 
besteben nähere Beziehungeu zwischen dem Ostium attiei 
tympaniei und der Sehne des Muskels. Die Sehne des Tensor 
tympani verläuft an der untern Peripherie des Ostium attiei und 
ist in der Schleimhaut eingebettet, welche den Recessus tympanicus 
von dem zweiten Paukenabschnitt trennt. Die Sehne ist dem- 
gemäss in gewissem Grade fixirt. Sie verläuft nicht frei in der 
Paukenhöhle, sondern in der Duplikatur der Schleimhaut, welche 
sich an der eingeschnürten Stelle des Doppelsacks gebildet hat. 
Wenn man sich das Ostium pharyngo - tympanicum zu einer 
Röhre, d. h. zu einer wirklichen Tube ausgezogen denkt, so 
kommt der Rachenbauch des Muse. tensor tympani in unmittel- 
bare Nachbarschaft der Tuba Eustachii und wird mit ihr in Ver- 
bindung treten müssen. Es besteht dann ein Tubenantheil des 
Tensor tympani — der Rachenbauch —, und ein Paukenhöhlen- 
antheil — der Felsenbeinbauch. — Wenn man die Verhältnisse 
beim Schnabelthier als Grundform des Muse. tensor tympani 
betrachtet und die obenerwähnte Ausbildung des Tubenrohrs in 
Betracht zieht, so können folgende Schemata für den verschiedenen 
Bau des Muse. tensor tympani aufgestellt werden. 
1. Der Muskel besitzt einen Tubenbauch und einen Felsenbein- 
bauch, welehe beide gleichwerthig sind. 
2, Diese Muskelabschnitte können sieh in verschiedener Weise 
zurückbilden, so dass 
a) nur noch ein Felsenbeinbauch, 
b) nur noch ein Tubenbauch, 
c) eine Combination des einen mit Rudimenten des 
andern bestehen bleibt. 


Ns; Eehidna hystrix, 

Der knorplige, fibröse äussere Gehörgang ist sehr lang, 
einer abgeplatteten Röhre ähnlich, und 'schlingt sich wie bei 
Ornithorhynchus um die Seitenwand des Schädels herum. An 
seinem medialen Ende, wo er sich an die Cirkumferenz des stark 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 575 


gegen die Horizontale geneigten Trommelfells ansetzt, entspricht 
der obere Insertionsrand des Gehörgangs nicht dem oberen 
Trommelfellrand, sondern es wird das Trommelfell durch die 
über dasselbe hinwegziehende Insertionslinie der oberen Gehör- 
gangswand in einen kleineren oberen Theil, welcher nicht straff 
gespannt ist — pars flaceida — und einen grösseren unteren 
gespannten Theil — pars tensa — zerlegt. Der Hammergriff 
ist im Trommelfell deutlich zu sehen und verläuft abweicheud 
vom Verhalten beim Menschen von oben hinten nach unten vorne. 

Zuekerkandl widmet in der zu Anfang eitirten Arbeit auch 
dem Gehörorgan von Echidna seine Betrachtung nnd beschreibt 
auf Grund makroskopischer Präparation und mikroskopischer 
Querschnitte den Verlauf und Bau der Tube dieses Thhieres. Die 
der Zuckerkandl’schen Arbeit entnommene vorzügliche Ab- 
bildung der Rachenwand mit dem Ostium pharyngeum tubae findet 
sich auf Tafel XXVI, Figur 10. „Am Sagittalschnitt des Kopfes 
sieht man an der Seitenwand des Pharynx eine kleine, im Ruhe- 
zustand geschlossene Lücke — das Ostium pharyngeum tubae — 
welche wie bei vielen anderen Säugethieren von einem wulstigen 
Ringe umgeben ist. Dieser Wulst beginnt schon an der vorderen 
Peripherie der Oeffnung, schlägt sich oben um letztere herum 
uud setzt sich hinten als leistenartiger Vorsprung weit an der seit- 
lichen Rachenwand nach unten fort.“ 

Da das pharyngeale Tubenostium zum Trommelfell so zu 
liegen schien, dass eine Verbindungslinie beider fast in der 
Frontalebene verlief, so erwartete ich, auf den Frontalschnitten 
der Serie vertikale Längsschnitte des Tubenlumens zu erhalten. 
Diese Annahme erwies sich als unrichtig. Die Tube verläuft so 
stark von hinten innen nach vorne aussen, dass bei der ange- 
sebenen Schnittebene Schrägschnitte der Tube geliefert wurden. 

Die Nummerierung der Serie beginnt mit dem am meisten 
caudalwärts gelegenen Sehnitt. Die Schnittdicke beträgt 0,05 mm. 
Der Macerationszustand des Präparats von Echidna ist der wenigst 
gute von allen bearbeiteten T'hieren, das Epithel infolgedessen 
nieht zu untersuchen. Die Serie ergiebt Folgendes: 

Der erste Schnitt durch das pharyngeale Ostium der Tube 
ist in Nr. 6 enthalten. Hier ist sonst nichts von der Pauken- 
höhle sichtbar. Da die Schnittebene eine Frontalebene ist, so 
geht aus dem Gesagten hervor, dass entgegengesetzt dem Ver- 


576 R. Eschweiler: 


halten beim Menschen das pharyngeale Tubenostium caudalwärts 
von dem hintersten Ende der Pauke liegt. Bei allen höheren 
Säugethieren würde das’Umgekehrte der Fall sein, indem bei 
der angegebenen Schnittführung zuerst die Paukenhöhle und zu- 
letzt erst das pharygeale Tubenostium getroffen werden würde. 
Das Epithel des Tubenlumens ist, wie eben bemerkt, nicht er- 
halten. In den folgenden Schnitten rückt das nunmehr allseitig 
umwandete Tubenlumen von der Rachenwand ab. Die Form des 
Tubenquersehnitts ist höchst unregelmässig, im Ganzen ebenso 
hoch wie breit und erst in der Nähe der Pauke in die Form 
eines hohen schmalen Parallelogramms übergehend, wie Zucker- 
kandl bei Untersuchung der Tube von Echidna fand. Die Drüsen 
in der Umgebung der Tube zeichnen sich durch ihre Menge und 
ihre Anordnung aus. Die Drüsenschläuche liegen in breiten 
Spalten eines dichten diekfaserigen Bindegewebspolsters, welches 
die mediale und obere Wand der Tube begleitet und am stärksten 
nahe dem pharyngealen Ostium ist. Die laterale und untere 
Wand der Tuba ist von Muskeln umgeben, welche einerseits bis 
dicht an den Sehleimhautüberzug des Rachens reichen, andererseits 
über dem Tubenlumen hinweg medialwärts in das erwähnte 
Drüsen bergende Bindegewebe eindringen. Figur 11, TafelXXVI, 
eine Abbildung aus Schnitt 13 der Serie, bringt dies zur An- 
schauung. Bei 7’ liegt das unregelmässig gestaltete Tubenlumen. 
D sind die in derbes fibröses Gewebe f eingelagerten Drüsen, 
m sind Muskelfasern, welehe über dem Tubenlumen in das 
Bindegewebe hinein sich erstrecken, sodass Gruppen von Muskel- 
fasern m entstehen, welche durch Bindegewebssepta voneinander 
getrennt werden. 

Zwischen dem beschriebenen drüsenhaltigen Bindegewebs- 
zug, welcher die Tube begleitet, und der Schädelbasis liegt von 
Schnitt 25 ab ein schmaler Knorpelstreifen, der, wenn man ihn 
auf die Tube beziehen könnte, ihrer oberen Wand angehören 
würde. Er ist jedoch offenbar nicht als Tubenbestandtheil auf- 
zufassen, weil einmal seine Entfernung vom Tubenlumen beträcht- 
lich ist und zweitens, weil er nur eine beschränkte Ausdehnung 
besitzt und nieht mit dem nachher zu beschreibenden wahren 
Tubenknorpel in Verbindung steht. In den folgenden Schnitten 
entfernt sich der Tubenquerschnitt von der Rachenhöhle. Das 


4 u 5 er ee ee 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 577 


Bindegewebe medial von der Tube nimmt an Stärke ab und ent- 
hält weniger Drüsen. 

In Schnitt 39 tritt auch lateral vom Tubenlumen eine 
Knorpelinsel auf, von der Muskelfasern ausgehen. Dies ist der 
erste Schnitt durch den Tubenknorpel. Von ihm aus verlaufen 
schmale Streifen von Muskelfasern nach unten, nach aussen und 
über dem Tubenlumen hinweg medialwärts. Diese Muskelgruppen 
sind die vorderen Ausläufer der in Figur 11 zum Theil wieder- 
gegebenen grossen Muskelmasse. 

In Sehnitt 47 sind ausser dieser einen Knorpelinsel noch 
mehrere andere zu sehen, welche sich in einer von der oberen 
Tubenwand ausgehenden und nach aussen oben verlaufenden Reihe 
gruppieren. Sie zeigen den Weg an, den das Tubenlumen in 
den folgenden Schnitten nimmt. Diese Knorpelinseln werden 
immer mächtiger, bleiben aber von einander ge- 
trennt. 

In Sehnitt 55 beginnt die Tube in die Paukenhöhle einzu- 
münden. In der Abtheilung des Tubenknorpels, welche am meisten 
paukenwärts liegt, tritt eine längliche Ossifikation auf. Dieser 
Knochenkern bildet die Grundlage für den hin- 
teren Rand des Trommelfellfalzes. 

In Schnitt 56 ist das Ostium tympanicum tubae zu sehen. 

In Sehnitt 59 sind die ersten Muskelfasern enthalten, welche 
dem M. tensor tympani angehören. Sie liegen in einer Nische, 
welche sich an der unteren äusseren Seite des Felsenbeins gebildet 
hat. Schon in Schnitt 50 trat in der Nachbarschaft des medialen 
Felsenbeinendes (in Figur 12) und nach unten von demselben eine 
Knocheninsel im Bindegewebe auf. Dieselbe hat sich mit dem 
Felsenbein vereinigt, sodass eine Nische in letzterem entstanden 
ist, welche sich lateralwärts öffnet. Schnitt 59, Figur 12, Tafel 
XXVI zeigt diese Verhältnisse. Bei PH ist die Rachenhöhle 
sichtbar; ihre offenbar macerierte Schleimhaut zeigt ein gefranztes 
Aussehen; # ist das Felsenbein, in dem Theile des Laby- 
rinths sichtbar sind. Bei N liegt die Nische des Tensor. Sie ist 
theils mit Muskelfasern, theils mit Bindegewebe gefüllt. Letzteres 
zeigt grösstentheils den Typus eines weitmaschigen lockeren 
Bindegewebes, wie wir es aus dem subkutanen Gewebe kennen. 
Nach aussen von diesem letzteren liegt ein Lumen !. Dasselbe 
steht, wie sich in den späteren Schnitten zeigt, mit der Pauken- 


578 R. Eschweiler: 


höhle in direkter Verbindung. Es muss eben die Nische des 
Tensors als eine Ausbuchtung der Paukenhöhle angesehen werden. 
Bei 7 sieht man das aus Figur 11 bekannte Tubenlumen in et- 
was veränderter Form, mehr hoch als breit. Von seiner oberen 
äusseren Ecke zieht sich der tympanale Theil des Tubenlumens 
zur Paukenhöhle ? hin, ümgeben von den Tubenknorpeln 7”. 
Deutlich ist der grosse Knochenkern in dem am meisten der 
Pauke genäherten Tubenknorpel. Der in diesem Schnitt sicht- 
bare Theil der Paukenhöhle ist klein. Ihre mediale Wand ist 
hier vom Felsenbein, ihre laterale von Biudegewebe und Mus- 
kulatur gebildet. Das in die äussere Wand eingelagerte dreieckige 
Knochenstück ist ein Theil des Felsenbeins. Es verschmilzt nach- 
her mit dem Gros des Os petrosum und bildet dann einen kuppel- 
ähnlichen Abschluss der Paukenhöhle nach oben. Nahe der lateralen 
Paukenwand ist der Nervus facialis (n. f.) in grösserer Aus- 
dehnung sichtbar. 

In Sehnitt 61 ist die Mündung der Tube in die Paukenhöhle 
deutlich zu beobachten. Von dem in Figur 12 sichtbaren Lumen 
T aus verläuft ein kurzer relativ weiter Kanal bis zur Paukenhöhle. 
Der Uebergang des Tubenlumens in diese geschieht plötzlich und 
ist dem bei Manis später zu beschreibenden Verhalten durchaus 
ähnlich. Der untere Abschnitt der Paukenhöhle, in welchen die 
Tube mündet, ist gegen den oberen Trommelhöhlenraum durch 
einen bindegewebigen Streifen abgeschlossen, welcher in Schnitt 
59 und den folgenden vom Felsenbein bis zum hinteren Trommel- 
fellfalz quer ausgespannt ist. Die nun folgende Vergrösserung 
der Paukenhöhle geschieht vorwiegend durch Ausdehnung dieses 
unteren Abschnittes, während der obere Paukenraum seine Grösse 
ziemlich konstant bewahrt und die Gehörknöchelchen birgt. Da- 
durch, dass der untere Trommelhöhlenabschnitt sich stark nach 
unten ausdehnt, rückt in der fortschreitenden Serie der Trommel- 
fellfalz nach unten. Er entfernt sich dabei von dem seine Lage 
bewahrenden Bindegewebs streifen, welcher die Paukenhöhle theilt; 
diese Scheidewand inserirt sich späterhin an dem Hammer, dessen 
erste Andeutung in Schnitt 62 erscheint als länglicher Knochen- 
schnitt. 

Der Muskulus tensor tympani entwickelt sich in seiner Nische 
immer stärker und nimmt eine kolbige Form an, indem er in 
der Tiefe der Nische ziemlich diek ist und gegen die Pauken- 


u 1 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 579 


höhle hin einen sich verjüngenden Streifen von Muskelfasern 
entsendet, welcher längs des Felsenbeins verläuft. Die Nische 
des Tensor erscheint vorläufig noch gegen die Pauke durch eine 
breite Bindgewebslage abgeschlossen. Unter allmählicher Re- 
duktion letzterer geht jedoch in Schnitt 66 die Tensornische in 
die Paukenhöhle über, dicht neben der Einmündung der Tube 
in diese. 

In Sehnitt 70 ist der Trommelfellfalz schon in einige Ent- 
fernung von dem jetzt breiter im Schnitt getroffenen Hammer 
gerückt. Es beginnen die ersten Schnitte durch das Trommel- 
fell in Erscheinung zu treten, welches nach ohen hin am unteren 
Ende des sichbaren Hammertheils seinen Abschluss findet. 

In Schnitt 72 ist der hintere Rand des Ligamentum annulare 
stapedis sichtbar. In den folgenden Schnitten wird die Stapes- 
platte im Querschnitt sichbar. Zugleich verlängert sich der 
Hammer nach oben hin und verbreitert sich an seinem unteren 
Ende, wo er an der dem Trommelfell zugewendeten Seite einen 
knieartigen Vorsprung zeigt, der dem Processus brevis mallei 
hominis entspricht. Nach aussen vom Trommelfell ist das Ge- 
hörgangslumen angeschnitten. Ein Schnitt durch den Trommel- 
fellfalz ist nur am unteren Rand des Trommelfells zu sehen. 
Es besteht also kein geschlossener Paukenring bei Echidna. Die 
Nische des Tensor tympani ist jetzt nicht mehr vom Pauken- 
höhlenlumen abgeschnürt, sondern geht breit in dasselbe über 
und bildet gewissermassen den Boden derselben. In Sehnitt 78 
(Figur 13, Tafel XXVI) präsentirt sich folgendes Bild: 

Die Paukenhöhle zerfällt in einen grösseren untern Abschnitt 
P und einen kleineren oberen 7. Ersterer enthält den Museulus ten- 
sor tympani £, die Tubenmündung 7’ und das Trommelfell 7’p, an 
dessen unterem Ende der Trommelfellfalz im Querschnitt sichtbar 
ist. Das Trommelfell als solches reicht hier nur bis an den mit 
dem Proc. brevis hominis verglichenen Hammertheil. Nach 
oben von letzterem wird die Wand des Raumes P’‘ von einer 
dieken theils fibrösen, theils muskulären Schicht m gebildet. 
Das Vorkommen von Muskelfasern an dieser Stelle scheint mir 
besonders bemerkenswerth. Es soll später noch darauf zurück- 
gekommen werden. 

Der Tensor tympani ist hier ein schmaler, langgestreckter 
Muskel, der entlang der Labyrinthwand liegt und an seinem 


580 R. Eschweiler: 


Ursprung eine leichte, kolbige Verdickung zeigt. In der Um- 
gebung des Muskelursprungs befindet sich lockeres Bindegewebe. 
Wie ersichtlich, besteht mit der Tuba Eustachii gar kein Zu- 
sammenhang. Nach oben hin geht der Muskel in seine Endsehne 
über, welche indess keine deutlich sehnige Struktur zeigt, sondern 
aus eng zusammengeschlossenen Bindegewebsfasern besteht, wie 
sie auch schon in der vorher erwähnten Scheidewand zwischen 
den beiden Paukenabschnitten zu sehen waren. Die Sehne s 
des Tensor tympani inseriert am Körper des Hammers M, d.h. 
an seinem dicksten Theil. Nach dem äusseren Gehörgang (M. A. E.) 
hin erstreckt sich der erwähnte Fortsatz. Nach oben hin geht 
der Hammerkörper in einen langen schmalen Processus superior 
über, der seinerseits mit einem im Querschnitt sichtbaren hinteren 
Fortsatz des Ambosses J, dessen Hauptmasse viel weiter nach 
vorne hin liegt, artikuliert. Zwischen beiden Knochen liegt eine 
deutliche Gelenkspalte.e An den Amboss schliesst sich der Steig- 
bügel an, der gleich wie bei Ornithorhynchus Columellaform 
besitzt und verhältnissmässig sehr stark entwickelt ist. Am Dach 
dieses oberen Paukenraums 7° liegt der Nervus facialis, zu- 
sammen mit einem grösseren Gefäss in eine Knochennische ein- 
gelagert. 

Die kolbige Anschwellung des unteren Tensorendes ist hier 
schon weniger stark, als in den vorhergehenden Schnitten. In 
den folgenden Präparaten nimmt dieselbe noch mehr ab, während 
sich die Breite des auf dem Felsenbein liegenden Muskeltheils 
etwas vergrössert. Auf diese Weise erscheint der Muskel dann 
bis dicht an seine Sehne heran von gleichmässigerm Kaliber. 

Der Hammer verändert nunmehr seine Gestalt. Der bis 
Jetzt einer hohen schlanken Pyramide ähnliche Hammertheil ent- 
sendet unter bedeutender Reduktion seines unteren breiten Theils 
einen Fortsatz nach vorne und unten in das Trommelfell hinein; 
es ist dies der bei Beschreibung des makroskopischen Befundes 
erwähnte Hammergriff, welcher von oben hinten nach vorme 
unten verläuft. Da die Längsrichtung seines Verlaufs viel weniger 
als beim Menschen von der horizontalen abweicht, erscheint der 
Hammergriff in der Schnittserie fast im Querschnitt. Das 
Manubrium gleicht weniger einem Stäbchen, als einer schmalen 
langen Platte, welche kammartig ins Innere der Paukenhöhle 
vorspringt. 


rn u u ai N u a Be it 5 re ee ee 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 581 


Der Processus superior des Hammers, der mit dem Amboss 
artikulirt, behält vorläufig seine Grösse bei, steht aber scheinbar 
nicht mehr mit dem Manubriam in Verbindung. Neben der in Figur 
13, Tafel XXVI sichtbaren Nische für den Nervus facialis bildet 
sich eine zweite Bucht im knöchernen Dach der Paukenhöhle. 
Zwischen ihr und der Nische des N. facialis bleibt ein dünner 
Knochenkamm stehen, welcher späterhin (Schnitt 99) ligamentös 
mit dem oberen Ende des Hammers und Ambosses verschmilzt 
und somit den Abschluss eines Raumes bildet, der zwischen den 
Gehörknöchelehen, dem oberen Theil des Trommelfells und dem 
Paukenhöhlendach liegt. Die laterale Wand des oberen Pauken- 
höhlenraums, in der eben das Vorherrschen muskulärer Bestandtheile 
hervorgehoben wurde, ist in Schnitt 88 erheblich verdünnt, aber 
noch immer viel dicker als die untere Trommelfellpartie. Es 
entspricht diese Wand, welche sich nach unten hin in das 
Trommelfell fortsetzt, der pars flaceida und ossea vom Trommel- 
fell des Menschen. Nach oben hin setzt sie sich an eine Crista 
des Felsenbeins an. In demselben Schnitt befinden sich nur 
noch vereinzelte Muskelfasern an dieser Stelle. 

In Schnitt 99 ist, wie vorher erwähnt, eine neue Abtheilung 
der Pauke geschaffen durch Syndesmose des oberen Hammer- 
und Ambossendes mit dem Paukendach. Der Amboss ist jetzt 
nicht mehr als kubischer Querschnitt, wie in Figur 15 vorhanden, 
sondern als längliches Stäbchen, welches parallel mit dem jetzt 
sehr dünnen, am oberen Ende keulenförmig verdiekten Processus 
superior mallei verläuft. Das Manubrium mallei ist jetzt tiefer 
nach unten gerückt und ungefähr in der Mitte, nicht mehr am 
oberen Rande der unteren Trommelfellpartie zu sehen. Noch 
immer ist der ganze obere Trommelhöhlenraum nach unten durch 
eine von der Labyrinthwand zum Hammer ziehende Binde- 
gewebsplatte abgeschlossen. 

In Schnitt 104 ist der Ambosskörper getroffen. Er über- 
ragt den sichtbaren Hammertheil bedeutend. Der medial gelegene 
Theil des oberen Paukenabschnitts hat sich bedeutend verkleinert 
und verschwindet in den nächsten Schnitten ganz, und zwar ist 
das dadurch geschehen, dass der Amboss und der noch sichtbare 
Theil des Hammers — Processus anterior s. longus — sich stark 
der Felsenbeinwand nähern. 

Der laterale zwischen Gehörknöchelchen, Paukendach und 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 53 38 


583 R. Eschweiler: 


pars flaeccida des Trommelfells liegende Raum bewahrt indessen 
noch länger seine Grösse. Er verkleinert sich langsam nach 
vorne hin und geht an seinem vordersten Ende in den unteren 
Paukenabschnitt (?P der Figur 13) über. Wir haben es hier 
mit zwei durch eine enge Communikation in Verbindung stehenden 
Paukenabschnitten zu thun, von denen der obere die Gehör- 
knöchelehen enthält. Es besteht also eine Analogie mit den 
Verhältnissen bei Ornithorhynchus. 

Bei Beschreibung von Schnitt 78 wurde der Muskelfasern 
in der Membrana flaceida Erwähnung gethan. Es waren längs- 
geschnittene Fasern. Sie wurden immer mehr reduzirt und 
waren in Schnitt 89 verschwunden. In Schnitt 93 tritt nun am 
oberen Rande der Pars flaceida, dort, wo sich diese amı Felsen- 
bein inserirt, eine neue Muskelgruppe auf und zwar im Quer- 
schnitt. Zunächst nur vereinzelte Fasern zwischen diekeu 
Bindegewebsbalken zerstreut, fernerhin sich vergrössernd und 
einen ziemlich starken Muskel bildend, der, immer im Querschnitt 
sichtbar, einen grossen Theil der Pars flaceida bildet. 

In Schnitt 105 zeigt sich die erste Andeutung des oberen 
Trommelfellfalzes.. Dicht unter dem unteren Hammerrande ist 
ein kleiner Knochenschnitt im Trommelfell sichtbar. Er bleibt 
längere Zeit hindurch sehr klein; erst in Schnitt 118 erhält er 
charakteristische Form, d. h. es wird an seinem unteren Rand 
eine Einkerbung sichtbar, aus der die Trommelfellfasern ent- 
springen. 

In Schnitt 115 schliesst sich die Nische des N. facialis zu 
einem Facialkanal ab, an dessen laterale Wand sich die nun 
verschmälerten Reste von Hammer und Amboss anlegen. Hier 
befinden sich auch die letzten Reste des Musculus tensor tympani 
in Gestalt einer ganz dünnen Schicht von Muskelfasern auf der 
Labyrinthwand. 

In Schnitt 120 entsteht innerhalb des Processus longus 
mallei ein Markraum, der Amboss verschwindet, und der Hammer- 
fortsatz entfernt sich wieder von der Wand des Facialkanals, 
bleibt aber noch ligamentös mit derselben verbunden. Der obere 
Paukenhöhlenraum verkleinert sich jetzt und geht unter Schwund 
der Bandverbindung zwischen Hammerfortsatz und Felsenbein in 
den unteren Paukenabschnitt über. 

Der obere Theil des Trommelfells — die Pars flaceida ist 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete 583 


Jetzt stark verkürzt und zum grösseren Theil lateralwärts von 
dem vorher erwähnten sehr umfangreichen, quergeschnittenen 
Muskel (m‘) bedeckt (efr. Selnitt 129, Figur 14, Taf. XXVI). 
Die Paukenhöhle verkleinert sich allmählich, ohne besonders Be- 
merkenswerthes mehr darzubieten. 


Zusammenfassune. 


Die Paukenhöhle von Echidna hystrix ist ein theils von 
knöcherner, theils von bindegewebiger Wand begrenzter Raum 
von verhältnissmässig grosser Ausdehnung und unregelmässiger 
Gestalt. Die obere und mediale, zum Theil auch die untere 
Wand derselben wird vom Felsenbein gebildet, während nach 
hinten, vorne und aussen der Abschluss durch Bindegewebe und 
stark entwickelte Muskulatur erfolgt. Den grössten Theil der 
lateralen Paukenhöhlenwand bildet das Trommelfell, welches aus 
zwei Abtheilungen besteht — wie bei Beschreibung des medialen 
Gehörgangsendes angegeben wurde — einer Pars tensa und einer 
Pars flaceida. Die erstere ist in einem spangenartigen Knochen- 
rahmen ausgespannt, dem Annulus tympanicus, welcher nach oben 
hin nicht geschlossen ist. Sein oberes hinteres Ende — der 
Spina tymp. post. hominis entsprechend — geht unmittelbar aus 
dem Tubenknorpel hervor. Sein oberes vorderes Ende (Spina 
tymp. ant. hominis) schliesst sich an das vordere Ende des pro- 
cessus longus mallei an. Sonst ist das Os tympanicum mit keinem 
Knochen der Nachbarschaft verbunden. Die Pars tensa zeigt 
keine bemerkenswerthen Unterschiede von der des Menschen. 
Der abweichende Verlauf des Hammergriffs in derselben wurde 
schon erwähnt. 

Die Membrana flaceida dagegen enthält mächtige muskuläre 
Elemente und zwar im hinteren Abschnitt solche, welche eine 
ungefähr radiäre Faserordnung zum Trommelfell besitzen, während 
in den vorderen Partien die Muskelfasern eirculär verlaufen. 

Die Paukenhöhle ist in ganzer Ausdehnung durch eine von 
der medialen zur lateralen Wand hinziehende bindegewebige 
Scheidewand in zwei Etagen getheilt, eine obere und eine untere. 
Die Insertionslinie dieses Septums an der lateralen Wand 
beginnt rückwärts dieht über der Tubenmündung, verläuft zur 
oberen Cireumferenz des Pars tensa des Trommelfells und endigt 


584 R. Eschweiler: 


dann am Hammerkörper und am Processus folianus des Hammers. 
Die trennende Schicht zwischen den Paukenhöhlenetagen besteht 
demgemäss in den hinteren Abschnitten aus diesem Bindegewebs- 
septum, nach vorne hin aus diesem und dem unteren Rande der 
Gehörknöchelehen. Die beiden Abschnitte der Pauke kommuni- 
ziren durch eine kleine, am vorderen Ende der Trommelhöhle 
liegende Oeffnung miteinander. 

Der untere Abschnitt enthält: die Pars tensa des Trommel- 
fells mit dem Hammergriff, die Tubenmündung und den Mus- 
eulus tensor tympani. Der obere Paukenraum enthält: den 
Hammer mit Ausnahme des Manubriums, den Amboss, den Steig- 
bügel, die Pars flaceida des Trommelfells, den Nervus facialis, 
die Fenestra ovalis und die Fenestra rotunda. 

Die tympanale Tubenmündung liegt am hinteren Ende der 
Paukenhöhle, dort, wo die laterale Wand in die untere übergeht 
in unmittelbarer Nachbarschaft des Annulus tympanieus. 

Die Tube selbst ist eine fibröse Röhre, welche nur in ihrer 
distalen Hälfte von Knorpel umgeben ist. Der Tubenknorpel 
besteht aus mehreren Stücken und ist auf der lateralen Seite der 
Tube stärker ausgebildet, als auf der medialen. Die dem Rachen 
näher liegende mediale Tubenhälfte tritt in nahe Beziehung zu 
mächtig entwickelten Muskeln, welche unmittelbar aus der 
Rachenmuseulatur hervorgehen. An dem Tubenknorpel ist 
dagegen nur in einer ganz beschränkten Ausdehnung eine 
Muskelinsertion nachzuweisen. 

Der Musculus tensor tympani entspringt am Felsenbein und 
zwar am Boden der Pauke, wo deren mediale und untere Wand 
zusammentreffen. Der Muskelbauch stellt eine dünne, aber aus- 
gedehnte Muskelplatte dar, welche die mediale Paukenhöhlen- 
wand zum Theil bedeckt. Am unteren Rande, d. h. an ihrem 
Ursprungsrande, zeigt diese Muskelplatte eine Verdiekung, welehe 
am stärksten am hinteren Ende desselben ist. Hier reicht der 
Muskelursprung in eine Nische der Paukenhöhle hinein, welche 
an deren hinterem Ende von unten her in sie einmündet. Nach 
oben hin geht der Muskelbauch in eine ebenfalls breite platte 
Selme über, welehe in das erwähnte Septum der Paukenhöhle 
verwebt ist, sich von diesem nieht deutlich abgrenzen lässt und 
mit ihm am Hammerkörper inserirt. Die Faserrichtung ist eine 
von unten und hinten nach oben und vorne verlaufende. Ein 


ee 


ni 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 585 


Zusammenhang des Muskels mit der Tube besteht nicht, ebenso 
wenig ein solcher mit der Rachenmuskulatur. 

Ein Museulus stapedius ist nicht vorhanden. 
Auch sind keine Theile als Rückbildungsprodukte eines solchen 
anzusprechen. Es fehlt z. B. jede Andeutung eines Sehnenan- 
satzes am Stapes. 

Der Steigbügel hat, wie bei Ornithorhynchus die Form 
einer Columella. Er ist im Verhältniss zu den andern Gehör- 
knöchelchen sehr stark entwickelt. Seine Fussplatte ist liga- 
mentös mit der Fenestra ovalis verbunden. Zwischen dem Stapes- 
köpfehen und dem in Figur 13 sichtbaren Querschnitt durch 
einen Ambossfortsatz ist keine Gelenkspalte zu sehen. Letztere 
ist dagegen zwischen Hammer und Amboss sehr deutlich. Der 
Amboss vermittelt die Verbindung zwischen Hammer und Steig- 
bügel durch einen Processus posterior ineudis, welcher da eine 
kolbige Verdiekung zeigt, wo er zwischen beiden Knochen liegt; 
der relativ kleine Ambosskörper liegt vor der Gelenkverbindung 
mit dem Stapes und ist sammt dem anliegenden Theil des 
Hammers fest am Felsenbein ligamentös befestigt. Der Hammer 
besitzt einen ziemlich ansehnlichen Körper, von dem aus drei 
gut ausgebildete und ein kleiner stumpfer Fortsatz nach oben, 
vorne, unten und lateral verlaufen. 

Nach oben der Processus superior, welcher sich mit dem 
Processus posterior ineudis und durch ihn mit dem Stapes ver- 
bindet. 

Nach vorne der mit dem Processus superior gemeinsam 
entspringende und von ihm ausgehende Processus longus, der in 
seinem proximalen Theil die Verbindung mit dem Ambosskörper, 
in seinem distalen diejenige mit dem vorderen Trommelfellfalz 
eingeht. 

Nach unten (und stark nach vorne) das Manubrium mallei. 

Nach lateralwärts der Processus brevis. 


Il. Manis javanica. 


Beim Schuppenthier ist ähnlich wie bei Ornithorhynchus 
die Choanenöffnung zu einem langen Rohr ausgezogen. Das 
Ostium pharyngeum der Tube liegt amı hintern Ende dieses 
Rohrs in der seitlichen Rachenwand oberhalb des Uebergangs 
vom harten in den weichen Gaumen und hat die Form eines 


8b R. Eschweiler: 


horizontal gestellten Spaltes. Figur 15, Tafel XXVII giebt die 
Ansicht von der seitlichen Rachengegend wieder. 

F ist die Felsenbeinkante; N das Choanenrohr, an dessen 
hinterem Ende das pharyngeale Tubenostium als dunkler Spalt 
sichtbar ist; p d ist der harte, p m der weiche Gaumen; tons 
die Tonsille; z die Zunge. 

An dem Kopf von Manis, dem das vorliegende Präparat 
entstammt, war behufs anderer Zwecke die knöcherne Sehädel- 
kappe abgesägt worden. Durch diesen Sägeschnitt war ein 
System von Hohlräumen in der seitlichen Schädelwand freigelegt. 
Gelbliche Bröckel in diesen Knochenzellen erwiesen sich als 
Blutgerinnsel des in Alkohol autbewahrten Präparates. Die rothen 
Blutkörperchen waren rund und hatten Grösse und Form wie 
bei den höheren Säugethieren. Der Boden einer Knochenzelle 
bestand aus einem durchscheinend dünnen Knochenblatt, welches 
abgetragen wurde; es zeigte sich nun in der Tiefe dieses zweiten 
Faches ein kleines rundes auf Druck nachgebendes glattes Kno- 
chenstückehen, der Amboss. 

Auch bei Manis wurde die Schnittebene für die Serie des 
in Celloidin eingebetteten Präparats frontal angelegt; es erfüllte 
sich hier die bei Echidna getäuschte Hoffnung, die Tube im 
frontalen Längsschnitt zu treffen. 

Wie bei Echidna verläuft auch bei Manis die Tuba von 
innen hinten nach aussen vorne, jedoch wie bemerkt fast in der 
Frontalebene. Die tympanale Tubenmündung liegt auch beim 
Schuppenthier am hinteren Ende der Paukenhöhle, so dass 
in den von hinten nach vorne fortlaufend nummerirten Schnitten 
zuerst das pharyngeale Tubenostium, dann erst die ganze Tube 
und das hintere Paukenhöhlenlumen erscheint. Die Schnittdicke 
der Serie beträgt 0,05 mm, ihre Untersuchung ergiebt Folgendes: 

In Schnitt 1 ist das pharyngeale Tubenostium zum ersten 
Male angeschnitten. Es erscheint als kurze Einsenkung der 
Rachenwand ohne knorplige Begrenzung. Von der Paukenhöhle 
ist noch nichts zu sehen, dagegen zeigt sich die bei der makro- 
skopischen Präparation erwähnte Knochenzelle in der Schädel- 
wand, welche den Amboss enthält und nach oben durch ein 
dünnes Knochenplättchen abgeschlossen ist; es ist der in Figur 
15, Tafel XXVII mit € bezeichnete Raum, welcher nach oben 
noch theilweise durch die Knochenspange a gedeckt ist. Das 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 587 


Centrum dieses Schnittes ist knöchern und birgt einen eben an- 
geschnittenen Schwellkörper. Nach aussen von dem den Schwell- 
körper umgebenden Knochen sind Drüsen sichtbar, welche den 
hintersten blinden Enden von Ceruminaldrüsen des äusseren 
Gehörganges angehören. 

In Schnitt 5 ist das Tubenlumen inselweise angeschnitten. 
Es ist mit hohem Cylinder-Flimmerepithel ausgekleidet. 

In Sehnitt 15 ist die Tube in ganzer Länge getroffen. Ihr 
Lumen weist nahe dem pharyngealen Ende eine Erweiterung auf. 
Am oberen Rande des Ostium pharyngeum liegt ein länglieher 
Streif des angeschnittenen Tubenknorpels. Nach der Mitte des 
Sehnittes hin erweitert sich die Tube zu einen mit Flimmer- 
epithel bekleideten Raum. Dies ist die am meisten kaudalwärts 
gelegene Ecke der Paukenhöhle. Die Erhaltung des Präparates 
war derart, dass wohl die Flimmerzellen deutlich als solehe zu 
erkennen, oft aber von der Stelle, wo sie im Leben gesessen 
hatten, abgelöst waren. Von der Paukenhöhle ist der erwähnte 
Schwellkörper durch eine dünne Knochenschicht getrennt. Nach 
Schwund derselben zeigt sich in Schnitt 16, Figur 16, Tafel 
XXVII folgendes Bild. 

Bei o phist das Ostium pharyngeum tubae mit dem an seiner 
oberen Wand getroffenen Knorpel sichtbar. Lateralwärts ver- 
läuft die Tuba etwas nach unten ausgebogen und auf kurzer 
Strecke eine Erweiterung ihres Lumens zeigend. Das Tuben- 
lumen ist nach oben und unten von einer fibrösen Schicht um- 
geben und sammt dieser in einen knöchernen Kanal eingefügt. 
Weiter nach aussen und oben geht die Tube in die Paukenhöhle 
über und zwar erweitert sich das Tuberlumen ziemlich plötzlich 
bei o £. Der hintere mediane Paukenhöhlenwinkel 7 hat hier 
die in der Abbildung ersichtliche Form. Er ist fast nach allen 
Seiten von knöcherner Wand umgeben. Nur lateralwärts ist die 
Pauke bindegewebig getrennt von dem vorher erwähnten Schwell- 
körper $. Ty ist das später zu beschreibende Os tympanicum. 
Der Schwellkörper besteht aus einem grobmaschigen Gewebe, 
welches unvermittelt vom Knochen entspringt; seine Maschen sind 
reichlieh mit rothen Blutkörperchen gefüllt. Dieser Schwellkörper 
hat eine recht beträchtliche Grösse. Lateralwärts von seiner 
äusseren knöchernen Umrahmung sind die Drüsen D sichtbar. 
Am oberen Rande des Schnittes zeigt sich als tiefe Mulde der 


588 R. Eschweiler: 


Raun ©, der Eingangs erwähnt wurde; er verschmilzt späterhin 
mit der Pauke. Nahe seinem Boden liegt bei n. f der Nervus 
facialis, und bei g ein Ganglion. 

In Schnitt 17 ist zum ersten Male der Bauch des Musculus 
stapedius angeschnitten nahe dem Nervus faeialis. 

In Schnitt 21 zeigt sich auch an der unteren Begrenzung 
des Ost. pharyng. tubae ein runder Schnitt durch den Tuben- 
knorpel. Die Paukenhöhle vergrössert sich suecessive. Während 
in Schnitt 16 Figur 16 ihre laterale Wand theils bindegewebig, 
theils knöchern gegen den Schwellkörper abgesetzt war, schwindet 
nun mehr und mehr die knöcherne Scheidewand, so dass 
schliesslich die ganze laterale Wand der Pauke nur von einer 
dünnen Membran gebildet wird, aus der die Septa des Schwell- 
körpers unmittelbar hervorgehen. 

In Sehnitt 25 ist die Fenestra eochleae angeschnitten. In 
der bindegewebigen Scheidewand zwischen dem Schwellkörper 
und der Paukenhöhle tritt ein spaltförmiges Lumen auf: Der 
erste Anschnitt des äusseren Gehörgangs. Die dünne Leiste 
zwischen ihm und der Paukenhöhle ist die hintere Cirkumferenz 
des Trommelfells. 

In den folgenden Schnitten wird die Scheidewand zwischen 
dem Raum € und der Paukenhöhle verdünnt. 

In Schnitt 35 setzt sich an den unteren Schnitt durch 
den Tubenknorpel ein Muskel an. Der Bauch des Museulus 
stapedius verkleinert sich und nähert sich mit der Spitze der 
Paukenhöhle. Er ist jedoch noch immer ringsum von Knochen 
umgeben. 

In Sehnitt 41 buchtet sich der Raum C’noch weiter nach unten, 
die Paukenhöhle noch weiter nach oben aus, und es bereitet sich 
so eine Verschmelzung von P und (€ vor. Gleichzeitig tritt die 
Spitze resp. Sehne des Musculus stapedius aus ihrem Knochen- 
rahmen heraus. Es repräsentirt sich in Schnitt 45, Figur 17 
folgendes Bild: 

Die beiden Theile des Tubenknorpels (TAX und 7X!) am 
pharyngealen Ostium fangen an, miteinander zu verschmelzen. 
Bei m sieht man den Ansatz eines Muskels am unteren Rande 
des Tubenknorpels.. Trommelfell 7p und Paukenhöhle P haben 
sich stark vergrössert. Letztere geht nach oben in den Raum € 
über. Zwischen ? und ( liegt eine schmalere Verbindungsstrecke 


| 
| 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete 589 


beider. In dieser ist bei f. o. der Beginn der Fenestra ovalis, 
bei stp die Sehne des Musculus stapedius zu sehen. n. f. ist der 
Nervus facialis, der nun viel näher dem Lumen der Pauke liegt, 
als in Figur 16. Man sieht, wie die laterale Paukenwand fast 
in ganzer Ausdehnung bindegewebig ist, und wie das Trommel- 
fell 7» keinen knöchernen Falz besitzt, sondern oben und unten 
aus dieser Bindegewebswand hervorgeht, welche auch die Wand 
des nun sehr ausgedehnten Schwellkörpers $ ist. Dieser hat, 
wie aus der Abbildung ersichtlich, nieht nur zur Paukenhöhle, son- 
dern auch zum äusseren Gehörgang und zum Trommelfell Be- 
ziehungen. 

In den folgenden Präparaten vereinigen sich die Tuben- 
knorpelabschnitte zu einem einheitlichen Knorpel, der das pha- 
ryngeale Tubenende umfasst und seine Gestalt fast bis zum Ende 
beibehält, während er vom Rachen ab- und der Paukenhöhle 
näherrückt. Es ist dieses Verhalten dadurch zu erklären, dass 
die Schnittebene mit der Tubenaxe einen kleinen, nach aussen 
offenen Winkel bildet. Da die Tube sehr breit ist, so erscheint 
ein Theil ihres Lumens in ganzer Ausdehnung in den Schnitten; 
der die vordere Wand umsäumende Knorpel ist indess in Schräg- 
schnitten getroffen, von denen die zuerst erscheinenden am Pha- 
rynx, die zuletzt geschnittenen an der Paukenhöhle liegen. Die 
Sehne des Musculus stapedius rückt immer mehr in die Pauken- 
höhle hinein. Die Fenestra ovalis ist deutlich sichtbar; sie ist 
von der Platte des kolumellaähnlich geformten Steigbügels ver- 
schlossen. 

In Sehnitt 54 gewährt die Umgebung des ovalen Fensters 
den in Figur 18, Tafel XXVII wiedergegebenen Anblick. Stp 
ist der Stapes, welcher das im einer Einsenkung der Labyrinth- 
wand # gelegene Vorhoffenster verschliesst. Diese Einsenkung 
entspricht der Pelvis ovalis beim Menschen. 

T ist der Amboss, der am unteren Ende seines langen Fort- 
satzes getroffen ist. Zwischen ihm und dem Stapes liegt ein Os 
lentieulare (o.2.); bei n. f. ist der Nervus facialis sichtbar. Die 
übrigen Bezeichnungen entsprechen denjenigen auf Figur 17. 
Man sieht hier, wie eine Trennung der Paukenhöhle ? vom 
Raum (€ dadureh eingeleitet wird, dass von der knöchernen Um- 
gebung des Schwellkörpers S aus ein spitzer Fortsatz sich gegen 
den untern Rand der Pelvis ovalis erstreckt. 


590 R. Eschweiler: 


Schon in Schnitt 56 ist diese Trennung herbeigeführt, in- 
dem von dem äussersten Ende des spitzen Knochenfortsatzes bis 
zum unteren Rande der Pelvis ovalis hin ein Bindegewebszug 
sich ausspannt, auf welchem ein vom Ganglion g ausgehender 
Nerv verläuft. Von hier an bis zum Ende der Serie bleibt diese 
Bindegewebsmembran bestehen. Sie zerlegt somit die Pauken- 
höhle in zwei Abschnitte, einen oberen und einen unteren. Der 
untere enthält wie bei Echidna das Trommelfell und den Ham- 
mergriff, der obere die anderen Theile der Gehörknöchelehen- 
kette. 

In den folgenden Schnitten verschwindet das Stäbehen des 
Steigbügels, während der Amboss sich bedeutend vergrössert. 
Der Körper desselben trägt einen nach oben verlaufenden Fort- 
satz, weleher ligamentös an die Wand des oberen Theils der 
Paukenhöhle (C') angeheftet ist. Das. Septum der Paukenhöhle 
ist straff bindegewebig; in dasselbe sind Knorpelzüge eingewebt. 
Oben und unten ist es mit Epithel bekleidet. 

In Sehnitt 69 ist zum ersten Mal der Hammer angeschnitten 
und zwar am untersten Ende des Griffs, der in das Trommelfell 
verwebt ist. Der Tubenknorpel liegt jetzt nahe der Paukenhöhle; 
eine breite Knochenschicht trennt ihn vom Pharynx. Schnitt 77: 
Während bis jetzt die Labyrinthwand mit einer dünnen epithel- 
bedeckten Bindegewebsschicht bedeckt war, zeigt sich hier, an der 
Stelle, wo man den Muskelbauch des Muse. tensor tympani er- 
warten könnte, eine dickere Bindegewebslage aus ziemlich breiten 
Fasern bestehend, welche parallel dem Knochen verlaufen. Ein Theil 
dieser Fasern geht in die Scheidewand der Paukenhöhle über. 

Das im Trommelfell sichtbare Stück des Hammers vergrössert 
sich und rückt nach oben, wo nun der Körper des Hammers er- 
scheint, der einen dem Processus brevis hominis entsprechenden 
kurzen stumpfen Fortsatz am oberen Rande des Trommelfells in 
dieses hinein erstreckt. In Schnitt 84, Figur 19, Tafel XXVII 
kommt folgendes Bild zu Stande: Der Tubenknorpel TX mit 
dem von ihm nach unten verlaufenden Muskel m liegt ganz nahe 
der Paukenhöhle ?P. Von dem die Tube umgebenden Bindege- 
webe geht eine Parthie auf die Labyrinthwand über und bildet 
bei n den vorher erwähnten flachen Wulst derberer Bindegewebs- 
fasern, der jedoch keine Muskelfasern enthält. 


LU 2 Le Li ab un uae 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 591 


Nach oben von diesem Wulst beginnt mit breiter Basis das Sep- 
tum der Paukenhöhle. Dasselbe verschmälert sich rasch und 
inserirtt am Hammer M, der hier mit seinem das Trommelfell 
vorwölbenden kurzen Fortsatz sichtbar ist. An ihn reiht sich 
der Ambosskörper J. 

In den folgenden Schnitten nimmt die Ausdehnung des 
Hammers nach oben hin zu, während sich der Amboss verkleinert. 
Zwischen beiden liegt eine deutlich sichtbare Gelenkspalte. 

In Schnitt 88 ist das Bindegewebspolster n verschwunden. ' 
Der obere Abschnitt der Paukenhöhle (C) schliesst sich nach 
oben hin ab. 

Der Tubenknorpel nähert sich seinem Ende: der Querschnitt 
wird kleiner. Von dem an ihm entspringenden Muskel m und 
vom Knorpel selbst aus verlaufen Bindegewebszüge in das sub- 
epitheliale Gewebe der Pankenauskleidung hinein. 

Gegen das vordere Ende der Paukenhöhle hin nähert sich 
der Muskel m sehr dem Lumen der Pauke, erreicht dieselbe 
aber nicht. 

Die Paukenhöhle bleibt bis an ihr vorderes Ende durch 
das Septum getrennt. 


Zusammenfassung. 


Die Paukenhöhle des Schuppenthieres ist begrenzt von den 
drei das Schläfenbein zusammensetzenden Knochen, nämlich vom 
Felsenbein nach innen, vom Schuppentheil nach oben und vom 
Paukentheil nach aussen. Pars squamosa, tympanica und petrosa 
des Schläfenbeins sind nur bindegewebig miteinander verbunden 
und zwar ist diese Verbindung bald fester und inniger, bald loser, 
sodass im letzteren Fall der Abschluss der Paukenhöhle an den 
Verbindungsstellen durch Bindegewebe erfolgt. Das Os tympa- 
nieum zeigt besonders bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten. Das- 
selbe ist ein relativ sehr grosser, massiver und dieker Knochen- 
ring, welcher nach oben offen ist. Das der Spina tympanica 
posterior des Menschen entsprechende Ende des Ringes ist rund 
und plump geformt; das der Spina tymp. anterior gleichwerthige 
Ringende ist zugeschärft, springt leistenartig oberhalb des Trommel- 
fells in die Paukenhöhle hinein vor und giebt die Grundlage ab 
für einen Theil des Septums der Paukenhöhle. Das Centrum 
des Paukenrings passirt den äusseren Gehörgang, dessen proxi- 


592 R. Eschweiler: 


males Ende innerhalb des Annulus tympanicus von einem grossen 
ringförmigen Schwellkörper umgeben ist. Dieser Schwellkörper 
hat eine grössere Cireumferenz, als das Trommelfell, und so kommt 
es, dass letzteres nicht vermittelst eines Knochenfalzes vom Annulus 
tympanicus entspringt, sondern von der Bindegewebsmembran, 
welehe den Schwellkörper nach der Paukenhöhle hin abschliesst. 
Es muss also der verschiedenartige Füllungsgrad dieses Schwell- 
körpers einen Einfluss ausüben: 

1. auf die Spannung des Trommelfells, 

2. auf das Volum des proximalen Gehörgangsendes, 

3. auf das Volum der Paukenhöhle. 

Das Trommelfell stellt eine dünne Membran dar, welche, 
wie bemerkt, von der Umhüllung des Schwellkörpers ihren Aus- 
gang nimmt. Eine Trennung in Pars tensa und Pars flaceida 
ist nicht durchzuführen, da oberhalb des kurzen Hammerfortsatzes 
kein Trommelfell mehr liegt, sondern cavernöses, dem Schwell- 
körper angehörendes Gewebe. Im Trommelfell ist das Manubrium 
des Hammers verwebt. 

Die Paukenhöhle zerfällt in zwei Abschnitte: einen oberen 
und einen unteren. Die Paukenhöhle ist nämlich durch eine hori- 
zontal ausgespannte Scheidewand in zwei Etagen zerlegt. Dieses 
Septum nimmt von der Labyrinthwand seinen Ursprung, verläuft 
bis zum oberen vorderen Ende des Annulus tympanicus, der ihm 
eine schmale breite Crista entgegensendet, geht mehr nach vorn 
auf den Hammerhals über und inserirt endlich in dem vordersten 
Theil der Trommelhöhle an dem unteren Rande der vom Schuppen- 
theil gebildeten äusseren Wand des oberen Paukenabschnitts. 

Der obere Paukenhöhlenraum enthält die Gehörknöchelehen 
mit Ausnahme des Manubrium mallei, den Musculus stapedius 
und die Paukenfenster. 

Der untere Trommelhöhlenabschnitt enthält die Tubenmün- 
dung, das Trommelfell und den Hammergriff. 

Die Gehörknöchelehen weisen weniger grosse Abweichungen 
von denen des Menschen auf. Imsbesondere besteht ein nach 
unten gerichteter Fortsatz des Ambosses, welcher mit dem Stapes 
artieulirt. Es ist demgemäss bei Manis nicht wie bei Ormitho- 
vhynchus und Eehidna der Stapeskopf der höchst gelegene 
Punkt der Gehörknöchelchenkette. 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 593 


Während der Musculus stapedius gut ausgebildet ist, fehlt 
ein Musculus tensor tympani. 

Weder im Zusammenhang mit der Tube, noch auf der 
medialen Paukenhöhlenwand sind Muskelfasern nachzuweisen. 

Nach den Ergebnissen der Schnittserie von Echidna und 
nach der aus Vergleichung von einzelnen Schnitten von Manis 
und Echidna sich ergebenden Aehnlichkeit in der Anordnung der 
Paukenhöhlenabschnitte erwartete ich zwischen Tube und Septum 
der Paukenhöhle den Muskelbauch eines Tensor tympani und im 
Septum selbst dessen Sehne zu finden. Es zeigte sich indessen 
nur eine Verdickung des subepithelialen Bindegewebes (n der 
Figur 19), und es gelang nicht, innerhalb dieses Bindegewebs- 
polsters Muskelfasern nachzuweisen. Da sonst nirgendwo 
Muskelfasern anzutreffen sind, welche als ein verlagerter oder 
reduzirter Tensor tympani angesprochen werden könnten, so 
glaube ich das erwähnte Bindegewebspolster n als degenerirten 
Musculus tensor tympani deuten zu dürfen. 

Am Boden der Paukenhöhle mündet die Tube. Dieselbe 
stellt eine breite, von oben nach unten abgeplattete Röhre dar, 
deren vordere Wand knorplig ist. Der Knorpelrahmen umgiebt 
in gleichbleibender Stärke die vordere (mediale) Tubenwand, so- 
dass auf dem Querschnitt sich schematisch folgendes Bild von 
der Tube ergeben würde: 


IK. 
—' 

T. K. bedeutet den Tubenknorpel, 7’ das Tubenlumen. Wie 
ersichtlich, ist das Tubenlumen sehr breit; demzufolge bildet das 
Ostium tympanicum eine lange Spalte im Paukenhöhlenboden. 
Fast in ganzer Länge der Tube inserirt an dem uuteren Rand des 
Tubenknorpels ein starker Muskel, welcher rachenwärts verläuft. 
Die Tube nimmt ihren Weg zwischen Os tympanicum und Felsen- 
bein. Nahe dem pharyngealen Ostium ist sie in ihrem Verlauf 
etwas nach unten ausgebogen und zeigt an dieser Stelle eine 
Erweiterung ihres Lumens. Die Verlaufsrichtung der Tubenaxe 
wurde schon vorher beschrieben. 


Dem oberen Paukenhöhlenabschnitt kommt nicht nur durch 
die Trennung vom unteren vermittelst des Septum der Pauke 


594 R. Eschweiler: 


eine Sonderstellung zu, sondern er ist auch betreffs seiner knö- 
chernen Begrenzung von dem anderen Theil der Trommelhöhle 
verschieden. Der mit (© bezeichnete Raum liegt innerhalb des 
Schuppentheils vom Schläfenbein und kommuni- 
zirt mit dem unteren Theil der Paukenhöhle an der Stelle, wo 
die Gehörknöchelehen im Schnitt erscheinen. Diese Communika- 
tionsöffnung ist enger, als die grösste Weite des Raumes ©. Auf 
diese Weise ist der obere Paukenabschnitt nur durch eine kleine 
Oeffnung zugänglich, die ich Ostium attiei tympaniei nennen 
möchte. 


IV. Mus museulus. 


Die Schnittebene des von der Hausmaus gewonnenen Prä- 
parats liegt parallel der Tubenlängsaxe und annähernd horizontal. 
Es wurde nach dem zu Anfang angegebenen Prineip versucht, in 
einem Schnitte gleichzeitig die Tube in ihrer ganzen Länge, den 
grössten Durchmesser des Bauchs vom Musculus tensor tympani 
und den Ansatz der Sehne vom Tensor tymp. am Hammer zu 
treffen. Die Tubenlängsaxe und die grösste Cireumferenz des 
Tensorbauchs liegen auch in einer Ebene; der Sehnenansatz am 
Hammer liegt dagegen etwas tiefer, sodass in den Sehnitten 
zunächst Muskelbauch und Tube, dann die Sehne des Tensor 
tympani in Schrägschnitten und dann der Sehnenansatz am 
Hammer erscheint. Die Serienschnitte vom Gehörorgan der 
Maus sind 0,03 mm diek. Sie wurden mit Hämalaun gefärbt. 
Alle Gewebe zeigen einen grossen Kernreichthum. 

Die Serie ergiebt Folgendes: 

In Schnitt 7 ist der erste Querschnitt durch das Lumen 
der Paukenhöhle enthalten, und zwar ist die höchste Stelle des 
Kuppelraums getroffen, wo noch keine Gehörknöchelehen zu 
sehen sind. Neben dem Kuppelraum liegt der Durchschnitt 
durch eine Ampulle nebst Bogengang des Labyrinths. Im 
folgenden Schnitt sind die Gehörknöchelchen sichtbar, welche in 
Sehnitt 9 den Anhang des Processus folianus mallei zeigen. 
Letzterer befestigt sich in Schnitt 12, Figur 20, Tafel XXVIl 
an der vorderen äussern Ecke des Kuppelraumlumens, indem 
sein Perichondrium mit dem der Wand des Kuppelraums ver- 
schmilzt. Ausser dem Kuppelraum A erscheint auch bei P ein 
knöchern umrandetes Lumen. Dies ist der erste Ansehnitt des 


ES REGEN 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 595 


in der Bulla ossea gelegenen Paukenhöhlentheils. Die Pauken- 
höhle ? vergrössert sich in den folgenden Schnitten immer mehr 
auf Kosten des Raumes Cr, welcher die mittlere Schädelgrube 
darstellt, medial begrenzt durch die Kante des Felsenbeins F'. 
‘ Bei U ist der Gelenkkopf des Unterkiefers angeschnitten. Die 
obere Seite der Bilder ist pharyngealwärts, die linke ist lateral 
und die rechte medial gelegen. In Schnitt 15 ist zum ersten 
Mal Tubenknorpel angeschnitten. Der lateral vom Tubenknorpel 
liegende Knochen gehört der Bulla ossea an. In dem länglichen 
Zwischenraum zwischen Tubenknorpel und Bulla ossea entspringt 
pharyngealwärts gelegen ein Muskel von der Tube und der Bulla. 
Der Muskel geht tympanalwärts in ziemlieh derbes Bindegewebe 
über. Sowohl aus diesem Bindegewebe, als auch vom Tuben- 
knorpel und von der Bulla ossea entspringen späterhin die ersten 
Fasern des Musculus tensor tympani. 

In den folgenden Schnitten werden die Ursprungsverhält- 
nisse des Tensor tympani noch viel deutlicher. In Schnitt 17 
hat das Paukenhöhlenlumen ? die gegenüberliegende Wand des 
Kuppelraums erreicht. Die Schnitte nähern sich dem Boden der 
mittleren Schädelgrube Cr. In Schnitt 18, Figur 21, Tafel XXVII ist 
deutlich zu sehen, wie von der Bulla und dem Dach des tympanalen 
Tubenendes die Fasern des Musculus tensor ihren Ursprung 
nehmen. In diesem Schnitt ist die Tube so getroffen, dass der 
knorpelige Theil derselben als ein Rahmen erscheint, welcher 
das im Flächenschnitt getroffene Epithel des Tubendachs umgiebt. 
In der Mitte des Epithels liegt das grade angeschnittene Lumen 
der Tube. Der Tubenknorpel endet tympanalwärts breit abge- 
stumpft. Die Fasern des Tensor tympani entspringen nieht nur 
von der Längsseite der Tube, sondern auch von diesem abge- 
stumpften Ende. Der Bauch des Tensor tympani ? füllt den 
Raum zwischen Tubenende, Bulle und einer Nische des Felsen- 
beins aus. Zwischen dem Tensor tymp. ? und der Rachen- 
muskulatur m liest eine ganz schmale Zone von Bindegewebe 
b. In den folgenden Präparaten verengert sich der Raum, welcher 
diese Fasern enthält, entsprechend der Grössenzunahme des Tuben- 
lumens. Letzteres wird von hinten nach vorne hin immer weiter 
eröffnet. Bei 7'p erscheint das Trommelfell. 

In Schnitt 20, Figur 22 bereitet sich eine Vereinigung des 
Raumes ? mit dem Kuppelraum X vor. Das weite Tubenlumen 


596 R. Esehweiler: 


T hat sich dem Raum P stark genähert. . Es geht pharyngeal- 
wärts plötzlich in einen engen Kanal über, welcher etwa ein 
Drittel der ganzen Tubenlänge ausmacht. Ausser den von der 
Tube entspringenden Fasern des Museulus tensor tympani liegt 
mehr nach dem Kuppelraum hin ein Muskelkomplex #. Diese 
Muskelfasern gehören auch zum Tensor tympani; in Schnitt 20 
sind sie zwar noch von dem Muskeltheil £ durch eine schmale 
Knochenbrücke getrennt. Letztere schwindet jedoch in den 
nächstfolgenden Schnitten, und die Muskelabschnitte ? und # 
bilden dann einen einheitlichen Muskelbauch. Die trennende 
Knochenleiste rührt daher, dass hier das den Muskelbauch 
deekende Gewölbe nieht glatt ist, sondern eine nach unten ge- 
richtete lange und schmale Convexität aufweist. Neben dem 
Muskelkomplex £° und nur durch ein dünnes Knochenblatt von 
ihm getrennt liegt das Ganglion genieuli des Nervus facialis mit 
dem Nervus petrosus superficialis maior (g. g.). In dem mit ? 
“ bezeichneten Theil des Tensor tympani ist die Verzweigung eines 
Nervs zu beobachten, welcher längs der die beiden Muskelkom- 
plexe trennenden Knochenleiste verläuft und mehrere Zweige an den 
Muskel t abgiebt. Centripetal ist er nur bis an den Rand des Lumens 
Pxu verfolgen. In Schnitt 21 sind die beiden Muskeltheile zu einem 
einzigen Muskelbauch verschmolzen, der zum kleineren Theil von 
der knorpeligen Tuba, der Bulla ossea und dem Bindegewebe 
zwischen dieser und der Bulle, zum grössten Theil aber aus einer 
grossen Nische des Felsenbeins entspringt. In Schnitt 23, Figur 
23 bereitet sich der Durchbruch des Tubenlumens 7 in die 
Paukenhöhle vor. Der Musculus tensor tympani zeigt hier keine 
Ursprungsfasern vom Bindegewebe b mehr. Der Muskelbauch 
ist von der Paukenhöhle durch einen Knochenstreifen % getrennt. 
Der Muskelbauch liegt in weiter Ausdehnung dem Felsenbein 
an, ist aber von dem Knochen durch eine schmale Zone hellen 
zarten Bindegewebes geschieden, so dass hier keine Fasern mehr 
vom Felsenbein entspringen. 

Das Wurzelgebiet des Muskelbauchs ist hier vielmehr das 
dünne straffe Periost des Deckknochens %k, welcher der Bulla 
ossea angehört. In Schnitt 24 ist das Tubenlumen nach der 
Pauke hin geöffnet. Der lateral gelegene Knorpel ist geschwunden. 
Die knöcherne Bedeckung % des Muskelbauchs verkleinert sich 
vom oralen und aboralen Pol des Muskels her, so dass dieser 


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Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 597 


in den folgenden Schnitten nur an Stelle seiner stärksten Prominenz 
gegen die Paukenhöhle hin mit Knochen bedeckt ist. Die Räume 
P und X bilden jetzt einen einzigen Raum, welcher am 
pharyngealen Ende den Tubeneingang zeigt und hinten an seiner 
lateralen Wand durch das Trommelfell gegen den äusseren Gehör- 
gang abgeschlossen ist. Medial vom Musculus tensor tympani 
tritt die Schnecke in Erscheinung. Der Muskelbauch des Tensor 
tympani nimmt an Dicke ab und entwickelt an der dem Felsen- 
bein anliegenden Seite seine Sehne. Die Sehnenfasern beginnen 
schon nahe dem oralen Muskelpol und verlaufen bis zum ent- 
gegengesetzten Muskelende, wo sie nach unten umbiegen. Die 
der Pauke zugekehrte Seite des Muskelbauchs ist noch mit 
Knochen bedeckt, von dem die Muskelfasern entspringen. 

In Schnitt 26, Figur 24 ist die längs des Felsenbeins ver- 
laufende Sehnenparthie schon ziemlich stark entwickelt. Auclı 
am tympanalen Muskelrand beginnt die Sehnenbildung. Durch 
Vereinigung beider Sehnenanfänge ist der aborale Pol des Muskels 
zu einem abgestumpften Sehnenkonus geworden (s). Man sieht 
in Figur 24 ausserdem das Ostium pharyngeum tubae und die 
durch Oeffnung des Lumens entstandene Tubennische 7. Bei 
Ol liegt die Schnecke, bei V das Vestibulum. Während nun 
in den nächsten Schnitten der muskuläre Theil des Tensor 
tympani immer mehr abnimmt, entwickelt sich die Sehne stärker. 
Das Knochenblatt & wird immer dünner, bis sein unterster Rand 
in Schnitt 29 erreicht ist. In Schnitt 31, Figur 25 ist nur 
noch die Endsehne des Tensor tympani sichtbar. Sie erstreckt 
sich längs der Schneckenkapsel nach hinten und unten und 
inserirt in Schnitt 35 an einem langen knöchernen Fortsatz des 
Hammers. Sie behält die im Figur 25 ersichtliche Verlaufs- 
richtung bei. In demselben Schnitt ist der Steigbügel in der 
Ebene seiner Schenkel getroffen. Zwischen den Schenkeln ver- 
läuft die Arteria stapedis. 

Auf Grund der vorhergehenden Beschreibung lässt sich un- 
schwer eine Anschauung von der Tuba Eustachii und dem 
Museulus tensor tympani der Maus gewinnen. 

Die Tube der Maus ist eine knorplighäutige Röhre, deren 
Knorpelwand ähnlich der des Menschen wie eine nach unten 
offene Rinne gestaltet ist. An derselben ist eine mediale, eine 
laterale und eine obere Wand zu wnterscheiden. Die laterale 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53 39 


598 R. Eschweiler: 


Wand reicht weniger tief nach unten, als die mediale, und beide 
Wände nehmen tympanalwärts gleichmässig an Höhe zu. Der 
Tubenknorpel ist bedeutend länger als das Tubenrohr; er setzt 
sich noch weit in die Paukenhöhle hinein fort und bildet hier 
eine rinnenartige Fortsetzung der Tube. Diese Fortsetzung stellt 
eine von knorpligem Dach bedekte Nische an der medialen 
Paukenhöhlenwand dar, welche von unten aussen her zugänglich 
ist. So kommt es, dass in der vorher beschriebenen Schnittserie 
die enge Tubenröhre zunächst in ein weites, von Knorpel um- 
gebenes Lumen mündet, dessen laterale Wand immer mehr 
schwindet, bis in den tieferen Schnitten nur noch die mediale 
Knorpelwand zu sehen ist. Vom Dach dieser knorpelwandigen 
Nische, also vom tyımpanalen Ende des Tubenknorpels, entspringt 
theilweise der Musculus tensor tympani. Für die oberen Parthien 
des Muskels ist hier und in dem Bindegewebe zwischen Tube 
und Bulle, also im knöchernen Canalis tubarius das alleinige 
Wurzelgebiet. Je mehr die Schnitte nach abwärts vorrücken, 
um so mehr werden diese Ursprungsfasern reduzirt, und um so 
mehr geht der Ursprung auf das Felsenbein über; aber auch 
hier bleibt die Ursprungszone immer auf den tubenwärts gelegenen 
Theil der Muskelgrube im Felsenbein beschränkt, während das 
aborale Ende des Muskelbauchs nur lose dem Felsenbein anliegt 
und schon frühzeitig eine Sehne an dem dem Knochen anliegen- 
den Muskelrand entwickelt. Der ganze Muskel hat eine Dicke 
von etwa 0,5 mm (Schnitt 15—30 = 15—0,03). Davon ent- 
fallen auf den Theil, welcher von Tube und Felsenbein entspringt, 
etwa 0,74 mm, der Rest auf den Felsenbeinbauch. Bemerkens- 
werth ist der Ursprung des Muskels von dem Deckknochen k 
der Muskelgrube. Dieser Deckknochen gehört der Bulla ossea 
an, welche bei ihrer Adaption an die Facies externa der Felsen- 
beinpyramide mit dem umgebogenen vorderen Rand die Fossa 
museularis maior deckt. Der obere Theil der Muskelgrube wird 
dadurch völlig abgeschlossen. Nach unten hin verjüngt sich 
diese Deekplatte zu einem schmalen Knochenblatt, so dass aus 
der kontinuirlicehen Knochendeeke, welche in Figur 22 mit der 
Bulla B in Verbindung steht, der isolirte Knochen k von Figur 
24 wird. Die Endsehne des Museulus tensor tympani ist lang, 
schlank und rund. 

Es muss besonders betont werden, dass bei der Maus ein 


ee ST ie eier ii fee ee 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 599 


Zusammenhang zwischen dem Tensor tympani und der Pharynx- 
muskulatur besteht. Der Zusammenhang wird durch eine schmale 
Zone von Bindegewebe vermittelt und findet sich nahe dem Dach 
der knorpligen Tube (b der Abbildungen). 

Es ist nach dem Gesagten ersichtlich, dass insofern von 
einer Zweibäuchigkeit des Museulus tensor tympani geredet werden 
kann, als der Muskel zwei verschiedene Ursprungsgebiete besitzt. 
Sämmtliche Fasern verschmelzen jedoch innig miteinander und 
bilden den an der Labyrinthwand liegenden einheitlichen Muskel- 
bauch. Die Muskelgrube für den Tensor tympani ist sehr flach. 
Trotz ihrer geringen Tiefe wird der Muskelbauch fest in ihr fixirt 
durch den oben erwähnten Decekknochen der Bulla, von dem ein 
grosser Theil des Muskels entspringt. Das Knochenblatt bildet 
keine trochleaartige Vorrichtung für die Sehne des Muskels, denn 
diese weicht von der Zugrichtung der Muskelfasern nicht ab. 

Entsprechend dem baldigen Verschmelzen der Muskelur- 
sprünge zu einem Bauch entwickelt sich auch nur eine Sehne, 
im Gegensatz zum Tensor tympani des Schnabelthiers, der bei 
zwei gesonderten Bäuchen auch eine aus zwei Componenten sich 
zusammensetzende Sehne hat. Am Ursprungsgebiet des Tensor 
tympani besteht indessen eine gewisse Homologie mit dem Ver- 
halten des Muskels beim Ornithorhynchus, und anderseits eine 
Ueberleitung zu dem Bau des Tensor tympani bei andern Säugern, 
denen der Zusammenhang des Muskels mit der Tube fehlt, und 
bei denen nur ein Felsenbeinbauch vorhanden ist. 


V. Felis domestiea. 


Diesen Typus zeigt die Katze sehr deutlich. 

Das Präparat wurde in derselben Weise hergerichtet, wie 
oben bei Beschreibung der Maus erwähnt wurde. Nur genügt es 
nicht, die Bulla von unten her zu eröffnen, weil der Raum der 
Bulla in zwei Abtheilungen zerfällt, welche nur in der Gegend 
des runden Fensters miteinander kommuniziren. Es wurde dem- 
gemäss das Trommelfell mit seinem Rahmen abgetragen. Infolge 
dessen sind in den später zu beschreibenden Schnitten Trommel- 
fell und Sehnenansatz des Muskels am Hammer nicht zu demon- 
striren. Das Präparat wurde einer elf Tage alten Katze ent- 
nommen. Ein so junges Thier wurde gewählt, um nicht zu lange 
entkalken zu müssen. Die Entkalkung dauerte 4 Tage. Härtung 


600 R. Eschweiler: 


und Färbung waren dieselben wie bei den vorher beschriebenen 
Schnittserien. Bevor zur Durchsicht letzterer geschritten wird, 
möge kurz die osteologische Beschreibung der für das Verständ- 
niss der Serie wichtigen Theile gegeben werden. 

Die Facies externa der Felsenbeinpyramide bildet die me- 
diale Wand der Paukenhöhle. Ungefähr im Centrum derselben 
liegt eine kleine ovale scharfrandige Oeffnung; die Fenestra 
vestibuli s. ovalis. Unter ihr erhebt sich ein glatter Knochen- 
wulst, das Promontorium, welches aus zwei durch eine seichte 
Furche getrennten Erhebungen besteht. Von diesen liegt die 
grössere direkt unter der Fenestra vestibuli und trägt die Fenestra 
cochleae s. rotunda. Die andere kleinere ist vor die grössere 
gelagert. Ueber dem Promontorium und vor und über der Fenestra 
vestibuli liegt eine tiefe Grube für den Muskelbauch des Mus- 
eulus tensor tympani: die Fossa musecularis maior. Sie wird 
überdacht von einem Theil der Facies superior pyramidis, welche 
hier aus einer dünnen Knochenplatte besteht. Diese Platte kann 
als Tegmen tympani bezeichnet werden. Das Tegmen tympani 
trägt einen kurzen Fortsatz: den Processus tegminis tympani. 

Am hintern untern Rande der Fossa museularis maior, dieht 
über der Fenestra vestibuli mündet ein Kanal -- der Canalis 
facialis — mit einer kleinen, unter einem dünnen Knochenblätt- 
chen fast verborgenen Oeffnung. Von diesem Knochenblättchen 
lateralwärts verdeckt verläuft der Suleus facialis als Fortsetzung 
des Canalis facialis hinter dem Promontorium her nach abwärts. 
In seinem Verlauf vertieft er sich zu einem Grübehen, welches 
den Musculus stapedius aufnimmt: Fossa muscularis minor. Die 
Knochenlamelle, welehe den Suleus facialis deckt, verschmilzt 
mit einer von der Pars mastoidea entspringenden etwas stärkeren 
Knochenlamelle. Beide vereint verwachsen mit der Bulla ossea 
und umgrenzen mit ihr das Foramen stylomastoideum. 

Die Pars tympanica vom Schläfenbein der Hauskatze wird 
durch die mehr erwähnte Bulla ossea repräsentirt. Im Gegen- 
satz zu vielen andern Säugethieren ist der knöcherne Gehörgang 
nicht ein der Bulla ansitzendes Rohr, sondern er wird dureh eine 
in der Aussenwand der Bulla liegende von gewulsteten Rändern 
umgebene ovale Oeffnung gebildet. Die Gestalt der Bulla ist 
ungefähr halbkuglig, doch ist ihr Durchmesser von vorne nach 
hinten grösser, als der von oben nach unten. Nach vorne und 


u ‚re 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 601 


unten geht von der Bulla ein kleiner spitzer Fortsatz aus: Pro- 
cessus bullae spinosus anterior. Am hintern Ende ist die Bulla 
abgestumpft und mit einer rauhen Fläche zur Verbindung mit 
dem Os oceipitale versehen. Man kann eine äussere und eine 
innere Wand der Bulla unterscheiden. Die äussere, laterale 
Wand ist stark vorgewölbt und zeigt den Porus acustieus ex- 
ternus, dessen obere Umrandung sieh spangenartig über die 
Bulla erhebt und fest mit der Schuppe verschmilzt. Unterhalb 
des Porus acustieus externus verläuft vom Processus bullae spi- 
nosus anterior bis zum oberen hintern Ende der Bulla eine rauhe 
Linie. 

Die mediale Wand der Bulla zeigt in der Mitte eine sehr 
grosse, unregelmässig umrandete Oeffnung, durch welche man in 
das Innere der Bulla hineinsieht: Foramen bullae magnum. Dieser 
Innenraum zerfällt in zwei Abtheilungen, welche durch eine 
dünne knöcherne Scheidewand — das Septum bullae — getrennt 
werden. Das Septum bullae endigt frei mit scharfem Rand, der 
nach oben umgebogen ist. An dem umgebogenen Theil befindet 
sich ein seichter Eindruck, welcher durch Anlagerung des Pro- 
montoriums hervorgerufen ist — Impressio promontorii. Das 
Foramen bullae magnum ist von einem fast gleichmässig breiten 
Knochensaum umgeben, dessen Rand ungleichmässig gezackt ist. 
Nach oben geht er in die mit der Schuppe verwachsene Um- 
randung des Porus acustieus externus über. Vor dem vorderen 
Ursprung der Gehörgangsspange liegt eine hinten schmale, nach 
vorne breiter werdende flache Furche. Sie wird von dem untern 
umgebogenen Theil der Squama temporalis gedeckt und so zur 
Fissura Glaseri für die Chorda tympani abgeschlossen. 

Unterhalb des Eingangs in die Fissura Glaseri befindet sich 
am Rande des Foranıen bullae magnum ein sichelartig gekrümmter 
Fortsatz: Processus bullae faleiformis. Dort, wo der Processus 
bullae spinosus anterior entspringt, liegt auf der medialen Bulla- 
wand eine grössere Furche: der Suleus tubarius. Nach innen 
wird derselbe zunächst von der Ursprungsleiste des Processus 
spinosus bullae, dann von einer scharfen Knochenkante der Bulla- 
wand begrenzt. Am untern Rande des Foramen bullae magnum 
liegt eine kleine vertikal verlaufende Gefässfurche. 

Die beiden Abtheilungen der Bulla ossea sind ungleich gross. 
Die kleinere liegt oben und vorn, die grössere unten und hinten. 


602 R. Eschweiler: 


Beide sind glattwandig. Die vordere obere Kammer ist die Ca- 
vitas tympani propria. Sie enthält den Trommelfellfalz, der in 
seiner Peripherie ganz geschlossen ist. Die Trommelfellebene 
ist nur wenig grösser, als der Porus acusticus externus und liegt 
von ihm nur zwei Millimeter entfernt. Der knöcherne äussere 
Gehörgang ist demgemäss sehr kurz. 

Die Verbindung der Schläfenbeintheile mit einander bedarf 
noch einer kurzen Besprechung. 

Die Squama temporalis und die Pars petromastoidea sind 
nur dort fest mit einander verbunden, wo der Warzentheil mit dem 
hintern Rande der Schuppe verwachsen ist. Im übrigen befindet 
sich zwischen Felsenbein und Schuppe eine Sutura petroso-squa- 
mosa, welche sowohl vom Schädelinnern her an der Grenze 
zwischen Facies superior pyramidis und der Squama, als auch 
von der Paukenhöhle her im Dach der letzteren (Antrum tym- 
panicum) sichtbar ist. 

Die Verbindung der Pars tympanica mit dem Schuppentheil 
ist, wie erwähnt, sehr fest au der oberen Begrenzung des Porus 
acusticus externus. Nahe der Stelle, wo die Verschmelzung 
intritt, liegt die Fissura Glaseri. Der Rand des Foramen bullae 
magnum adaptirt sich ziemlich genau der Facies externa pyramidis. 
Nur zwischen dem vorderen Rand dieser Pyramidenfläche und 
der Bulla bleibt ein breiter Spalt offen, welcher von einem zwischen 
Felsenbein und Schuppe sich einschiebenden Fortsatz des Keil- 
beins gedeckt wird. Der so entstehende knöcherne Kanal ist der 
Canalis tubarius. 

Der Canalis tubarius liegt demgemäss zwischen Bulla ossea, 
Os petrosum und Os sphenoidale. Seine laterale und untere 
Wand wird von ersterer gebildet. Das Felsenbein bildet die 
mediale, das Keilbein die obere und theilweise die mediale Wand. 

Eine bemerkenswerthe Abweichung vom Verhalten beim 
Menschen weist die Stellung der Facies externa pyramidis, d.h. 
die mediale Paukenhöhlenwand auf. Während dieselbe beim 
Menschen fast vertikal gestellt ist, ist sie bei der Katze stark 
mit dem oberen Rande gegen die Horizontale geneigt. Die 
beiderseitigen Facies externae pyramidum schneiden sich nach 
unten verlängert in einem Winkel von etwa 135° Dadurch 
kommt die Fossa muscularis maior in eine solehe Lage, dass 
sie weniger eine Muskelgrube, als vielmehr ein Gewölbe dar- 


| 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 603 


stellt, dessen Kuppel (bei der natürlichen Stellung des Kopfes) 
der Boden der Fossa museularis maior ist. In dieser Grube liegt 
der von der Paukenhöhlenschleimhaut bedeekte Musculus tensor 
tympani' und entsendet eine kurze, kegelförmige Sehne von star- 
kem Glanz in der Richtung nach aussen hinten und unten. Die 
Sehne inserirt an einem langen Knochenvorsprung des Hammers, 
unterhalb dessen die Chorda tympani verläuft. Die Muskelsehne 
verläuft rechtwinklig zur Längsaxe des Hammerstiels, aber spitz- 
winklig zur Trommelfellebene.. Sehne und Trommelfellebene 
bilden einen nach vorne offenen Winkel von etwa 40° miteinander- 
Der Angriffspunkt der Sehne am Hammer liegt ausserhalb der 
Längsaxe des Manubriums und zwar mehr nach‘dem Innern der 
Pauke hin. Dadurch wird bei der Contraction des Muskels 
nicht nur eine Einwärtsbewegung des Umbo, sondern auch eine 
Rotation des Hammers um die Längsaxe des Manubriums erzeugt, 
so dass das Trommelfell dann in seiner hinteren Hälfte stärker 
gespannt wird, als in der vordern. Diese Wirkung des Tensor 
tympani ist deutlich zu beobachten, wenn man durch Eindrücken 
des Muskelbauchs in seine Grube hinein die Sehne anspannt. 

Entsprechend der starken Neigung der Facies externa py- 
ramidis ist auch das Tronmelfell stärker, als beim Menschen im 
Sinne der Inclination geneigt, aber in geringerem Grade, als die 
mediale Paukenhöhlenwand. So kommt es, dass beide nach 
unten hin divergiren, und somit die obern Trommelfellparthien der 
Labyrinthwand näher liegen, als die untern. 

Das tympanale Tubenostium liegt am vorderen Ende des 
Paukenhöhlendachs. Es bildet einen relativ breiten Spalt, von 
dessen oberem Rand ein glänzender derber Strang nach dem 
Muskel hin sich erstreckt. Zwischen jenem und dem Muskel 
scheint bei makroskopischer Betrachtung eine Verbindung zu be- 
stehen. Die nun folgenden Ergebnisse der mikroskopischen Un- 
tersuchung zeigen andere Verhältnisse. Die Schnittebene ist ent- 
sprechend derjenigen der Maus angelegt. 

Die Schnittdicke beträgt 0,03 mm. Die Numerirung 
schreitet von oben nach unten fort. 

Schon im ersten Präparat ist der Hammerkopf im Quer- 
schnitt sichtbar. Er liegt rings von Knochen umgeben im 
Kuppelraum. Der Kuppelraum geht bald in den übrigen Theil 
der Paukenhöhle über, wo oralwärts im Bindegewebe kleine 


604 R. Esehweiler: 


Drüsen auftreten. Diese bilden ein immer stärker werdendes 
Convolut und sind um ein in ihrer Mitte gelegenes Lumen grup- 
piert. Das letztere ist mit hohem Cylinderepithel ausgekleidet. 
Von Schnitt 23 ab werden die Drüsenträubehen und -Schläuche 
spärlicher, während sich das Lumen weiter vergrössert. Die 
ersten Spuren vom Muskelbauch des Tensor tympani finden sich 
in Schnitt 30. Es liegen hier einige Muskelfasern in dem 
Bindegewebe, welches eine Bucht des Felsenbeins ausfüllt. In 
Schnitt 31, Figur 26, Tafel XXVIIT ist dies noch deutlicher. Die 
Fasern ? sind in der Längsrichtung geschnitten. Sie liegen frei 
im Bindegewebe, welches die bei F im Felsenbein befindliche 
Bucht ausfüllt. ° Die Paukenhöhle P enthält Gallertgewebe. Bei 
JM ist der Querschnitt des Hammerkopfs sichtbar. 7 ist das von 
Drüsen umgebene Lumen. Der Muskelbauch vergrössert sich 
nun successive und nähert sich dem Knochen. Ein Theil seiner 
Fasern ist im Querschnitt sichtbar. In Schnitt 40 verlaufen 
zwischen den Muskelbündeln Gefässschlingen und Nervenveräste- 
lungen. Letztere liegen nahe der Basis des Muskelbauchs, wäh- 
rend die grösseren Gefässstämme nahe der Spitze des Muskel- 
kegels eintreten. In Schnitt 45, Figur 27 ist der Eintritt des 
Nervs in den Muskel besonders deutlich. Der Nerv zerfällt 
gleich nach dem Eintritt in zahlreiche Aeste, welche noch ziem- 
lich weit zwischen den Muskelfasern zu verfolgen sind. £ ist 
eine schon recht ansehnliche Muskelmasse. Bei © verläuft em 
srösseres Gefässstämmehen. Von den Gehörknöchelchen ist jetzt 
Hammer (M) und Amboss /zu sehen. Das Lumen / von Figur 
26 hat sich in die Paukenhöhle geöffnet und stellt hier die Bucht 
! dar. F ist das Felsenbein; Sph das Keilbein. In Schnitt 48 
tritt oralwärts vom grossen Bauch ? des Tensor tympani parallel 
verlaufend mit seinen Randfasern ein gesonderter Muskeleomplex 
auf, in Gestalt von zwei Bündelehen längsgeschnittener Muskel- 
fasern. Die beiden Bündelehen vereinigen sich und es bietet 
dann Schnitt 51, Figur 28 folgendes Bild: Die Paukenhöhle ist 
in der Umgebung der Gehörknöchelehen und des Tensor tym- 
pani noch von Gallertgewebe erfüllt. Die Gelenkspalte zwischen 
Hammer und Amboss ist sehr deutlich. Die grössere Abtheilung 
t des Tensor tympani zeigt einen hellen Fleck in der Mitte, 
welcher aus Bindegewebe besteht. Bei #! liegen die gesonderten 
Muskelfasern. g ist ein langovales Ganglion, in welches der 


| 


En 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 605 


Tensornerv übergeht. Zwischen diesem Ganglion und der Bucht 
! liegt das stumpfe Ende eines dieken Bindegewebsstreifens S, 
der sich pharyngealwärts verbreitet und den kegelförmigen 
Längsschnitt eines Rachenmuskels mm umgiebt. Dieser Sehnen- 
streifen liegt zwischen dem Keilbein Sph und dem Rest der 
Bulla ossea 5. f ist der Querschnitt des Processus bullae falei- 
formis. 

Die Faserriehtung in den Durchschnitten des grossen Ten- 
sorbauchs ist einem starken Wechsel unterworfen. In Figur 26 
sind nahe dem Sehnenende des Muskels die Fasern quergetroffen, 
während sie am Knochenende im Längschnitt erscheinen. Am 
oralen Ende der Muskelbasis streben die Fasern nach dem Keil- 
bein hin. Gleichzeitig treten zwischen dem gesonderten Muskel- 
komplex * und dem Gros des Muskels immer neue Muskelfasern 
in Erscheinnng, so dass eine Vereinigung beider Muskelabsehnitte 
vorbereitet wird. In Schnitt 54 ist diese Verschmelzung voll- 
zogen. In demselben Präparat tritt das pharyngeale Tubenende 
auf und zwar ganz am oralen (in den Abbildungen rechts gele- 
genen) Ende des Schnittes. Es stellt eine Einsenkung der 
Rachenschleimhaut dar, welche scheinbar blind endigt. Die 
Sehnittebene liegt nämlich nicht genau parallel, sondern leicht 
geneigt zur Tubenaxe, und zwar pharyngeal tiefer, als tympanal- 
wärts. Es wurde beim Schneiden des Präparats also zuerst das 
Pharyngealostium der Tuba getroffen. Medial von der Mündung 
der Tube liegt ein breiter Streifen zellenreichen Knorpels. Lateral 
von dem Tubenostium befindet sich der in Figur 28 mit mm 
bezeichnete Muskel. Der Bindegewebsrahmen, welcher von 5 
ausgehend diesen Muskel umfasst, ist auf der lateralen Seite 
stärker entwickelt, als auf der medialen und zeigt hier eine 
wellige Faserung. In Schnitt 57 ist die pharyngeale Tubenein- 
stülpung durch den Schnitt in der Weise getroffen, dass eine 
Zunge von Knorpelgewebe halbinselartig von einem mit Epithel 
bekleideten Lumen umgeben wird. Dies Bild kommt dadurch 
zu Stande, dass das Tubenlumen, wie auch makroskopisch zu 
sehen ist, einen sichelförmigen Querschnitt besitzt. Es müssen 
demgemäss auf dem Längsschnitt zwei Lumina entstehen, sobald 
der Boden der Tube, d. h. die konkave Schneide der Sichel ge- 
troffen wird. Nur das eine Ende des sichelförmigen Lumens 
wird von Knorpel umfasst. Der Musculus tensor tympani stellt 


606 R. Esehweiler: 


jetzt einen grossen, seine Knochenbucht völlig ausfüllenden Bauch 
dar, in dessen Inneres hinein breite Züge von Sehnengewebe 
sich erstrecken. Tubenwärts ist der Muskelbauch in eine Spitze 
ausgezogen. Die Fasern verlassen hier die Fossa muscularis 
maior und greifen auf das Keilbein über. Es bestehen jedoch 
keine Beziehungen zwischen dem Muskel und der Tube, oder 
deren Nachbarschaft. Die Bucht 2 ist sehr flach geworden. Der 
Sehnenstreifen 5 hat sich sammt seinem. Muskel mm verkürzt 
und ist breiter und plumper geworden. 

In Schnitt 61 und den folgenden ist innerhalb des Muskels 
parallel dem Knochenrand der Muskelgrube verlaufend ein band- 
artiger Streifen zu verfolgen, welcher zum grössten Theil aus 
Nervendurchsehnitten besteht, in dem aber auch einzelne Gefässe 
zu sehen sind. Hier bildet der Nerv offenbar einen Grundplexus, 
der quer zu seiner Fläche angeschnitten ist. Der knieförmig 
erscheinende Durebschnitt des Tubenlumens erstreckt sich immer 
mehr nach der Paukenböhle hin. Nur der blind endigende me- 
diale Schenkel des Lumens ist von Knorpel umrahmt. Zahl- 
reiche Drüsen liegen in der Nähe des pharyngealen Ostiums. 

In Schnitt 69 ist der Zusammenhang der Tube mit der 
Paukenhöhle deutlich geworden. Das Knie des Tubenlumens hat 
den Rand der Bucht 7 erreicht. Das laterale Lumen der Tube 
vermittelt die Communikation mit dem Pharynx. Das mediale 
Tubenlumen endigt oralwärts blind. Zwischen dem Musculus 
tensor tympani und dem tympanalen Tubenostium liegt an der 
Paukenhöhlenwand eine Knorpelinsel, welche in den folgenden 
Schnitten mit dem Tubenknorpel verschmilzt. So entsteht das 
in Figur 29 (Schnitt 75) wiedergegebene Bild: 

Vom aboralen Ende des einheitlichen Tubenknorpels kA’ 
geht ein dünner Bindegewebszug s bis in die Nähe der ersten 
Muskelfasern des Tensor tympani, aber ohne mit denselben in 
Verbindung zu treten. Der breite Sehnenstreifen S ist ge- 
schwunden. Der zugehörige Muskel liegt noch immer der late- 
ralen Tubenwand enge an. Der Muskelbauch des Tensor tym- 
pani ist in seinem oralen Ursprungsgebiet durch eine helle Zone 
von Bindegewebe vom Knochen geschieden, während am aboralen 
Ende der Muskelbasis der Ursprung am Knochen immer fester 
wird unter gleichzeitiger Verdünnung des Bodens der Fossa 
muscularis maior, 


j 
{ 
k 
ü 
$ 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 607 


In den folgenden Schnitten wird das mediale Tubenlumen 
allmählich reduzirt, während das laterale Lumen immer mehr 
klafft. Lateral von dem nun weiten Ostium tympanicum tubae 
treten in Schnitt 81 mehrere Knorpelinselehen auf, die zu einem 
dicken, zwischen Bulla ZB und dem tympanalen Tubenostium 
liegenden Polster werden. Dieses Knorpelstück steht aber mit 
dem Tubenknorpel nicht in Verbindung. Der Musculus tensor 
tympani entwickelt seine Endsehne. Der knöcherne Boden der 
Muskelgrube weist am hintern Ende eine Lücke auf. Hier be- 
steht eine nur bindegewebige Scheidewand gegen den Nervus 
facialis. An dieser Stelle ist der Nervus facialis bis zu seinem 
Knie zu verfolgen. Das Ganglion genieuli und der Nervus pe- 
trosus superficialis maior liegen in diesem und den folgenden 
Präparaten (Figur 30, Schnitt 83 nf). Vom Tubenknorpel ist 
nur noch der Rest %‘ erhalten. Der sehnige Theil des Tensor 
tympani nimmt eine von der Kegelform abweichende Gestalt an, 
indem die den Gehörknöchelchen zugekehrte Seite des Sehnen- 
kegels eingedrückt erscheint. Am pharyngealen Tubenende liegt 
der Boden der Tuba im Schnitt vor, während das tympanale 
Ostium noch sehr weit klafft. Zahlreiche Drüsen mit ihren Aus- 
führungsgängen befinden sich in der Umgebung der Tube. Der 
Muskelbauch des Tensor tympani verkleinert sich rasch. In 
Sehnitt 95 sind seine letzten Spuren geschwunden. 

Wenn man die Ergebnisse der mikroskopischen und ma- 
kroskopischen Untersuchung zusammenfasst, so zeigt sich Fol- 
gendes: 

Der Musculus tensor tympani der Katze entspringt aus der 
Fossa muscularis maior des Felsenbeins und von dem benach- 
barten Theil des Keilbeins, wo dieses den Canalis tubarius nach 
oben abschliesst. Der Ursprung des Tensor tympani ist somit 
ein anderer, als er von Mivart!) beschrieben ist. Mivart 
erwähnt die Fossa muscularis maior gar nicht und nimmt als 
Ursprungsgebiet des Tensor tympani den umgebogenen Rand 
des Septum bullae an: The tensor tympani muscle arises from 
a poinited process which projeets from the free margin of the 
septum of the bulla as it eurves upwards at the posterior wall 
of the tympanum. 


1) Mivart, The Cat. London 1881, 


608 R. Eschweiler: 


Der Muskel ist stumpf kegelförmig. Der Muskelkegel ist 
auf dem Querschnitt elliptisch entsprechend der Form der Fossa 
museularis maior, deren einer Durchmesser länger als der andere 
ist. Die Muskelfasern entspringen im grössten Theil der Muskel- 
grube und am Keilbein von dem lockeren Periost, welches den 
Knochen überzieht. Nur an dem aboralen Theil der Fossa mus- 
eularis maior gehen die Muskelfasern direkt vom Knochen resp. 
von dem hier sehr dünnen und straffen Periost aus. Einen Zu- 
sammenhang mit der Tuba besitzt der Muskel nicht. Zwischen 
dem tympanalen Tubenende und dem Anfang des Muskels be- 
findet sich überall noch eine längere Strecke von Schleimhaut 
und lockerem Bindegewebe resp. Periost, und nur der ganz 
schmale Streifen s in Figur 27 scheint auf verloren gegangene 
Beziehungen zwischen Tube und Muskel hinzudeuten. Im Ein- 
klang damit steht auch der Umstand, dass die Basis des Muskel- 
kegels tubenwärts gleichsam ausgezogen scheint. 

Die Faserrichtung des Muskels ist durchweg eine radiäre, 
indem die Spitze des Sehnenkegels als etwas excentrisch gele- 
gener Mittelpunkt angenommen werden kann, von dem die Fa- 
sern ausstrahlen. Sehr deutlich ist dies nur in den Schnitten, 
welche den Muskel in seiner grössten Ausdehnung getroffen haben, 
z. B. in Figur 27. In den andern Schnitten sind die nicht in 
der Schnittebene verlaufenden Fasern mehr oder weniger 
schräge getroffen. Ueberall aber wird von den Fasern ein direk- 
ter Weg vom Knochen zur Sehne eingeschlagen und nirgends 
findet sich, wie bei der Maus, eine Parallelität der Fasernrieh- 
tung zum Knochen. Da die Spitze des Muskels nicht gleichweit 
von der Randzone des Muskelursprungs entfernt ist, sondern 
näher dem aboralen Rand der Fossa museularis maior liegt, so 
ist die Länge und Riehtung der Muskelfasern eine verschiedene. 
Die tubenwärts verlaufenden Fasern sind viel länger, als die zu 
dem aboralen Rand der Muskelgrube ziehenden. Erstere bilden 
mit dem Knochen einen spitzen, letztere einen rechten Winkel, 
so dass die Kraft, welehe die Sehne des Muskels bewegt, in 
viele Componenten zerfällt, von denen die extremsten in der 
Hypotenuse einerseits und in der kurzen Kathete eines rechtwink- 
ligen Dreiecks andrerseits wirken. 

Die Wirkung der kurzen Fasern muss dabei verstärkt werden 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 609 


durch die innige Fixation am Knochen, welche den langen tubar- 
wärts verlaufenden Fasern fehlt. 

Da mit der weit in die Paukenhöhle vorgeschobenen 
Tube resp. deren Korpel keine Verbindung besteht, so ist noch 
weniger ein Zusammenhang des Muskels mit der Rachenmusku- 
latur nachzuweisen. Bei der Durchsicht der Serie schien der 
Sehnenzug S in Figur 26 eine Verbindung des Muskeltheils # 
mit der Rachenmuskulatur mm anzubahnen. Es wären dann Ver- 
hältnisse eingetreten, wie sie ähnlich bei der Maus vorhanden 
sind. Das trat jedoch nicht ein, sondern mit dem Vordringen 
der Tube wird der Sehnenzug S vom Tensorbauch gänzlich ge- 
schieden. 

Der Eintritt des Nervs in den Musculus tensor tympani 
ist in der beschriebenen Serie deutlich. Ebenso die Verbindung 
derselben mit einem grossen Ganglion, welches wohl als Gang- 
lion oticum anzusehen ist. Die Zubereitung sowohl dieses, wie 
der vorher beschriebenen Präparate ist indessen wenig ge- 
eignet die Details des Nervenverlaufs zur Anschauung zu bringen. 
Es wird vielmehr zu diesem Zweck eine Untersuchung mit der 
von M. Nussbaum angegebenen Essigsäure-Osmiummethode 
nöthig sein, welche unter Aufhellung und Maceration des Binde- 
gewebes und gleichzeitiger Erhaltung und Färbung der Nerven, 
letztere bis in ihre feinsten Verzweigungen zu verfolgen gestattet. 
Diese Untersuchung wird von grosser Wichtigkeit sein, weil wir 
durchM. Nussbaum wissen, dass die Stelle des Nerveneintritts 
in einen Muskel und der centrale Ursprung der Nerven wichtige 
Kriterien für eine stattgefundene Verlagerung des Muskels abgeben. 

Die Tuba Eustachii der Katze ist eine knorplig-häutige 
Röhre, welche mit spaltförmiger Oeffnung in den Nasenrachen- 
raum mündet. Das Ostium pharyngeum tubae ist medial von 
einer knorpligen, lateral von einer häutigen Lefze begrenzt, von 
denen die erstere stärker prominirt.. Das Lumen der Tube ist, 
wie oben bemerkt, einer stark gekrümmten Sichel zu vergleichen, 
deren Conkavität nach innen gerichtet ist. Die mediale Spitze 
der Sichel, ist von einem Knorpelrahmen umgeben, welcher einen 
medialen höheren und einen lateralen niedrigeren Schenkel besitzt. 
Der mediale Schenkel reicht bedeutend weiter in die Paukenhöhle 
hinein, als das Tubenlumen. (Siehe Abbildung 30 A“.) 


610 R. Eschweiler: 


Um das Gesagte zusammen zu fassen, sei noch einmal auf 
das Schnabelthier zurückgegriffen. 

Bei Ornithorhynehus stellt die Paukenhöhle einen eingeschnür- 
ten Sack dar, der unten und medial von der Einschnürung sich breit 
in den Rachen öffnet. Die Gegend der Rachenmündung wurde von 
uns Recessus tympanicus pharyngis genannt. Die ganze laterale 
Wand dieses Nische ist durch das Trommelfell gebildet. Die 
Gehörknöchelehen liegen mit Ausnahme des im Trommelfell ver- 
webten Manubrium mallei im oberen blinden Theile des Sackes. 
Die Theilung der Paukenhöhle in einen unteren, dem Rachen 
angehörenden, und einen oberen, funktionell dem Gehörsinn dienen- 
den Raum ist besonders bemerkenswerth. Beide kommuniziren 
nur durch eine kleine Oeffnung miteinander. 

Eine ähnliche Zweitheilung besteht anch bei Echidna 
hystrix und Manis javanica, doch ist hier der Ausdruck Doppel- 
sack weniger angebracht, weil beide Abschnitte nicht an der 
engen Communikationsstelle auch eine Abschnürung wie beim 
Schnabelthier aufweisen, sondern durch eine grössere horizontale 
Scheidewand von einander getrennt sind. 

Die untere Paukenhöhlenetage entspricht dem Recessus tym- 
paniecus pharyngis des Ormithorhynchus; sie enthält Trommelfell 
nebst Manubrium des Hammers und kommunizirt mit dem Pharynx. 
Nur hat sie sich vom Rachen entfernt, wobei der breite Zugang 
zum Recessus tymp. phar. des Schnabelthiers zur mehr oder 
weniger langen Tuba der anderen Thiere ausgezogen worden ist. 

Die obere Paukenhöhle enthält bei Echidna und Manis wie 
beim Schnabelthier die für den Gehörsinn wichtigsten Theile: 
Steigbügel und Labyrinthfenster. Sie ist durch eine bindegewe- 
bige Scheidewand vom unteren Theil der Paukenhöhle getrennt 
und kommunizirt mit diesem nur durch eine bei Echidna sehr 
enge am vorderen Pol der Paukenhöhle gelegene Oeffnung, welche 
dem Ostium attiei tympanici des Ornithorhynchus entspricht. Bei 
Manis ist diese Communikationsöffnung grösser, als bei Echidna 
und nahe dem hinteren Pol der Trommelhöhle gelegen. Mit der 
Vergrösserung des Ostium attiei tympanici bei Manis geht eine 
Reduktion des Septum der Paukenhöhle Hand in Hand und wir 
nähern uns schon dem Befund bei den höheren Säugethieren und 
beim Menschen, wo der obere, das Gros der Gehörknöchelchen ent- 
haltende Abschnitt der Paukenhöhle, der Kuppelraum, ‘zwar 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 611 


noch etwas abgesetzt gegen die untere Paukenhöhle, aber nicht 
mehr von ihr getrennt erscheint. 

Ganz schematisch sind diese Verhältnisse in den nebenste- 
henden Figuren dargestellt. Es geht aus diesen auch hervor, 
dass die räumliche Ausdehnung beider Paukenhöhlenabschnitte zu- 
genommen hat im Verhältniss zur Grösse des Trommelfells, nnd 
dass dieses bei Echidna und Manis, abweichend von dem Ver- 


Schema der rechten Pauken- 
höhle von Echidna hystrix. 
Seitenansicht von Aussen. 

a.t. Atticus tymp. resp. obere 


Schema der rechten Pauken- 


Paukenhöhlenetage, o Gehör- 

knöchelchenkette, s Septum der 

Paukenhöhle, unterer Theil der 

Paukenhöhle, {p Trommelfell 
(pars tensa). 


Schema der rechten Pauken- 
höhle des Menschen. 
Seitenansicht von Aussen. 
a.t. Atticus tymp., o Gehörknö- 
chelchenkette, ? unterer Theil 
der Paukenhöhle, {p Trommel- 

i fell (pars tensa). 


höhle von Ornithorhynchus. 
Seitenansicht von Aussen. 
a.t. Atticus tymp., o Kette der 
Gehörknöchelchen,o. a.t. Ostium 
attici tymp., r. t. Recessus tymp. 
phar. 


Schema der rechten Pauken- 
höhle von Manis jav. 
Seitenansicht von Aussen. 
a.t. Attic. tymp., o Kette der 
Gehörknöchelchen, s Septum 
der Paukenhöhle, ? unterer Theil 
der Paukenhöhle, {p Trommel- 
fell (pars tensa). 


halten bei Orithorhynchus nicht mehr die ganze laterale Wand 
der unteren Pankenhöhlenetage darstellt. Dabei ist jedoch nur 
der gespannte Trommelfelltheil berücksichtigt. Mit dem oberen 
Rand der Pars tensa, d. h. des dünnen, den Hammergriff ber- 
senden Theils der Membran, welcher beim Schnabelthier und 
bei Echidna in einem wirklichen Paukenring ausgespannt ist, 
schneidet nach oben hin die untere Paukenhöblenetage ab. Von hier 
ab wird die laterale Wand des oberen Paukenhöhlentheils von 


612 R. Eschweiler: 


einer viel diekeren, nicht gespannten Bindegewebsschicht gebildet. 
Sehon bei Beschreibung der Serien wurde dieser Theil der late- 
ralen Paukenhöhlenwand als Pars flaceida gedeutet, was dahin 
erweitert werden muss, dass er nicht nur der Membrana Shrap- 
nelli des Menschen, sondern bei Ornithorhynehus und Eehidna 
auch noch der Pars ossea (Walb) des Trommelfells entspricht. 
Manis dagegen hat schon einen knöchernen Abschluss des oberen 
Paukenhöhlenraumes. 

Bei Eehidna befinden sich in dieser lateralen Wand des 
Attieus Muskeln, und zwar in den hinteren Partien solehe mit 
von oben nach unten verlaufenden Fasern. In den vorderen 
Partien dagegen ist die Faserrichtung eirkulär. Bekanntlich 
haben die älteren Anatomen die Pars flaceida des menschlichen 
Trommelfells mit muskulären Elementen durchsetzt geglaubt. 
Die von Kessel!) ansgesprochene Vermuthung, dass es sich 
beim Nachweis von Muskeln in der Pars flaceida niederer Säuge- 
thiere annehmen lasse, die Pars fl. hominis verdanke einem 
reduzirten Muskel ihre besondere Struktur, kann sich also be- 
stätigen, wenn wir eben diesen Theil der lateralen Paukenhöhlen- 
wand bei Echidna als Aequivalent der Shrapnell'schen Mem- 
bran ansehen dürfen. Dazu sind wir meiner Ansicht nach be- 
rechtigt. Zwar ist diese Muskelpartie nicht dem äusseren 
Gehörgang zugewandt, sondern es zieht (siehe die makroskopische 
Präparation von Eehidna) die obere Cirkumferenz der Gehör- 
gangsinsertion an der Grenze zwischen dem eigentlichen ge- 
spannten Trommelfell und der Pars flaceida einher; aber nicht 
die Beziehungen zum äusseren Gehörgang, sondern die zur 
Paukenhöhle charakterisiren die einzelnen Abschnitte der 
Paukenhöhlenwand und aus ihnen geht die Analogie des in 
Frage stehenden Theiles mit der Pars ossea und flaceida des 
menschlichen Trommelfells hervor. Was die Funktion der beiden 
Muskeln, ihre Zugehörigkeit zu andern Gruppen und ihre Inner- 
vation angeht, so konnte es bei der vorwiegend auf andere 
Ziele gerichteten Zubereitung der Präparate nicht gelingen, 
darüber ein Urtheil zu gewinnen. Soviel ist jedoch als sicher 
anzunehmen, dass sie auf die Spannung des Trommelfells inso- 
fern einen Einfluss ausüben, als die ganze laterale Pauken- 


1) Kessel, Die Histologie der Ohrmuschel ete. In Schwartze's 
Handbuch der Öhrenheilk. I. S. 56. 


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Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 613 


höblenwand durch eine Contraktion dieser Muskeln beeinflusst 
werden muss. Der rückwärts gelegene Muskel, dessen Fasern 
von oben nach unten verlaufen, ist am ehesten geeignet, eine 
Spannung des Trommelfells ins Werk zu setzen, während der 
eirkulärfaserige Muskel über der oberen Spange des Pauken- 
rings verläuft (s. Figur 14) und somit erst uach Dehnung des 
letzteren die Trommelfellspannung beeinflussen könnte. 

Zu dem die Paukenhöhle in zwei Theile trennenden Septum 
steht bei den drei niederen Säugethieren die Sehne des Musculus 
tensor tympani in naher Beziehung; sie ist völlig in dasselbe 
eingewebt und bildet bei Echidna, dessen Tensor tympani breit 
und platt ist, sogar einen sehr grossen Theil des Septums, oune 
dass eine Trennung von sehnigen und bindegewebigen Elementen 
von einander möglich wäre. 

Wenn die beiden Abschnitte der Paukenhöhle sich ver- 
einigen, so kommt, wie es bei Manis schon eingeleitet ist, eine 
Reduktion des Septums zu Stande. Die Sehne des Tensor 
tympani bleibt dann allein zurück und wird eventuell von Binde- 
gewebszügen, welche in ihrer Umgebung von der medialen zur 
lateralen Labyrinthwand verlaufen, begleitet. So glaube ich das 
Tensor ligament (Toynbee) und Zanfal-Schwalbe’s Tensorfalte 
erklären zu dürfen. Mit der besprochenen Zweitheilung der 
Paukenhöhle darf nicht die Zweikammerigkeit der Bulla ossea 
bei der Katze verglichen werden. Bei der Katze sind diese 
zwei getrennten Abtheilungen dadurch gebildet, dass im Os 
tympanicum, welches zu einem mächtigen Knochen ausgebildet 
ist, eine knöcherne horizontale Scheidewand besteht. In der 
oberen Etage der Bulla befindet sich das Trommelfell. Sie ent- 
spricht demgemäss der unteren Abtheilung bei den drei niederen 
Säugern und die untere Kammer der Bulla ist einer grossen 
pneumatischen Zelle am Boden der Paukenhöhle gleich zu er- 
achten, wie sie in wechselnder Ausbildung auch in dem Keller 
der menschlichen Trommelhöhle vorkommen. 

An den bei den Raub- und Nagethieren zur Bulla ent- 
wiekelten Paukenring erinnert das Os tympanicum des Schuppen- 
thiers. Ganz kurz wird von Kopetsch!) erwähnt, dass das 


1) Kopetsch, Ueber das Foramen iugulare spurium und den 
Canalis (meatus) temporalis am Schädel der Säugethiere. Inaug.-Diss. 
Königsberg 1896. 

Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 53, 40 


614 R. Eschweiler: 


Os tympanicum bei Manis aufgetrieben sei. Ich brauche hier 
nur auf das beim Resume der Serie von Manis Gesagte zu ver- 
weisen. Im Gegensatz zu dem Verhalten bei der Katze ist 
jedoch das so ausgedehnte Os tympanicum nicht zur Vergrösserung 
des pneumatischen Raums der Paukenhöhle verwandt, sondern 
es birgt in seiner Höhlung ein merkwürdiges Organ, den mit 8 
bezeichneten Schwellkörper der Abbildungen. Es wurde schon 
vorher darauf hingewiesen, dass sein Füllungszustand sowohl 
das Lumen des äussern Gehörgangs, wie das der Paukenhöhle 
beeinflussen muss. Ganz besonders bemerkenswerth ist aber sein 
Einfluss auf die Spannung des Trommeltells. 

Wenn wir uns den Schwellkörper als geschlossenen Hohl- 
ring vorstellen, der die proximale Cirkumferenz des Gehörgangs 
umgiebt, so inserirt das Trommelfell an der der Paukenhöhle 
zugewendeten Seite dieses Hohlrings.. Durch die Füllung des 
Schwellkörpers wird nun in folgender Weise die Spannung des 
Trommelfells verändert. Wenn der Schwellkörper sich mit Blut 
füllt, so kann er sich nur nach zwei Seiten hin ausdehnen und 
zwar nach dem Centrum des Gehörgangslumens hin und in die 
Paukenhöhle hinein ; nach allen andern Seiten hin ist er von 
Os tympanicum umgeben. Es wird also der Insertionsring des 
Trommelfells in die Paukenhöhle hinein verschoben und zugleich 
eoncentrisch verengt, somit das Trommelfell entspannt. 
Während die Bewegung in die Paukenhöhle hinein zweifellos 
erfolgen muss, bin ich mir wohl bewusst, dass der Einfluss auf die 
Spannung der Membran ein unberechenbarer sein wird, wenn die 
Füllung des Schwellgewebes ungleichmässig erfolgte, oder letzteres 
in seinen verschiedenen Abschnitten verschieden dehnbar wäre. 
Am wahrscheinlichsten ist jedoch die Erschlaffung des Trommel- 
fells bei Erektion des Schwellkörpers. 

Jedenfalls haben wir in ihm einen Apparat, welcher die 
Spannung des Trommelfells beeinflusst und in gewissem Sinne 
einen Tensor tympani ersetzen kann. Nun fehlt aber bei Manis 
der Musculus tensor tympani, und das verdickte Bindegewebs- 
polster auf der medialen Labyrinthwand scheint darauf hinzu- 
weisen, dass ein Muskel hier verloren gegangen ist. Die Stelle, 
wo sich das Bindegewebe befindet, entspricht der Lage nach 
genau dem Ursprungsgebiet des Tensor tymp. von Echidna. 
Aber ein hier befindlicher Muskel würde eine ganz perverse 


ER 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 615 


Funktion ausüben, wie aus den nachfolgenden Betrachtungen hervor- 
gehen soll. Zur Erläuterung mögen Figur 9, Tafel XXVI, Figur 
15, Tafel XXVI, und Figur 18 und 19, Tafel XXVII dienen. 

Wenn sich der Tensor tympani kontrahiert, so wird bei 
Ornithorhynchus und Eehidna der Stapes in erster Linie eine 
Hebelbewegung machen in dem Sinne, dass sein Köpfchen nach 
unten rückt. Der Drehpunkt liegt dort, wo die Fussplatte den 
unteren Rand der Fenestra ovalis berührt. Gleichzeitig wird der 
Steigbügel auch etwas in das ovale Fenster hineingedrängt aus 
drei Gründen: Erstens liegt der Ursprung des Muskels mehr 
medial, als die Insertion am Hammer. Zweitens wirkt der 
Zug des Muskels an einem einarmigen Hebel, an dessen einem 
Ende der Stapes befestigt ist, und dessen anderes Ende, das 
Hypomochlion, dort liegt, wo die Pars tensa des Trommelfells 
in die Pars flaceida übergeht. Dieser einarmige Hebel wird 
gebildet von dem bis zur Artikulation mit Ambossfortsatz und 
Stapes gradlinigen Hammer. Der Amboss spielt bei der Con- 
struktion der Gehörknöchelchenkette eine sehr unwesentliche 
Rolle, da er nur das hinterste Ende seines Processus posterior 
nach Art eines Os lentieulare zwischen Steigbügel nnd Hammer 
einschiebt. Bei der Gradlinigkeit der Kette wird die den Stapes 
ins Fenster drückende Wirkung des Muskels dadurch gewahrt, 
dass die Kette als einarmiger Hebel wirkt, dass also Stapes- 
ansatz und Muskelinsertion über der Drehungsaxe des Hammers 
liegen. Wenn die Insertion des Tensor tympani unter letzterer 
stattfindet, so wird der Stapes aus seinem Fenster heraus- 
gerissen, wenn nicht besondere Vorkehrungen getroffen sind, 
um das zu verhindern. Beim Menschen liegt der Ansatz des 
Tensors unter der Drehungsaxe des Hammers, aber der 
Steigbügelansatz an der Gehörknöchelchenkette liegt noch 
tiefer, weil letztere geknickt ist. Demnach ist, da 
die Gehörknöchelehen in toto schwingen, auch beim Menschen 
ein einarmiger Hebel in Wirkung, dessen Drehpunkt zu oberst 
liest, dann folgt nach unten von ihm die Insertion des Museulus 
tensor tympani und noch mehr nach unten der Endpunkt des 
langen Ambossfortsatzes. 

Bei Manis nun läge der Ansatz des Tensor tympani dicht 
unter der Drehaxe des Hammers (Figur 19), also ein Verhalten, 
welches dem bei höheren Thieren ähnlich ist. Auch die Kette 


616 R. Esehweiler: 


der Gehörknöchelehen ist gekniekt, wobei der Amboss schon eine 
wesentliche Rolle spielt; aber der Steigbügel ist nicht tief genug 
gerückt, d.h. der absteigende Schenkel der Gehörknöchelchen- 
kette ist nicht lang genug, dass Stapes und Muskelinsertion auf 
dieselbe Seite des Hebels kämen. So würde ein funktions- 
tüchtiger Muskel bei Manis den Steigbügel aus dem ovalen 
Fenster herausziehen. Bei Manis sind die bei höheren Säuge- 
thieren bestehenden Verhältnisse angebahnt, aber nicht zur 
Durchführung gelangt; die Umbiegung der Gehörknöchelchenkette 
hat nicht Sehritt gehalten mit dem Herabrücken der Muskelin- 
sertion, und dem ist der Muskel zum Opfer gefallen. Ob nun 
die Adduktion des Steigbügels durch das Funktioniren des Schwell- 
körpers gewahrt ist, konnte auf Grund der Schnittserie nicht 
ermittelt werden. Die Hebelbewegung des Stapes dagegen, 
welche als vorzugsweise Wirkung des Tensor bei Ornithorhyn- 
chus und Eehidna angesehen werden muss, ist garantirt durch 
den gut entwickelten Musculus stapedius, welcher bei 
Schnabelthier und Eehidna fehlt. Auf Tafel XXVII 
ist nur die Sehne des Musculus stapedias in Figur 17 sichtbar. 
Der Muskel selbst befindet sich iv den rückwärts gelegenen 
Sehnitten nahe benachbart dem Querschnitt des Nervus facialis. 

Bei Ornithorhynehus und Echidna ist offenbar der Mus- 
culus stapedius gar nicht angelegt worden, denn es befindet 
sich nichts, was als degenerirter Muskel aufgefasst werden 
könnte. 

Der Musculus tensor tympani zeigt bei den beschriebenen 
Thierspecies ein sehr verschiedenes Verhalten. Alle zu Anfang 
dieser Arbeit als möglich genannten Typen finden sich und zwar: 

Bei Ornithorhynehus ein zweibäuchiger unmittelbar auch 
dem Rachen angehöriger Muskel. 

Bei Echidna der auf einen Felsenbeinbauch beschränkte 
Muskel. 

Bei Manis gar kein Tensor resp. ein degenerirter Felsen- 
beinbauch desselben. 

Bei Mus ein Tensor tympani, der theils vom Felsenbein, 
theils von der Tuba entspringt. 


Bei Felis dom. ein nicht mit der Tuba zusammenhängender 
Muskel. 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln etc. 61T 


Ausserdem endlich beim Menschen ein vorwiegend von der 
Tuba entspringender Tensor tympani. 

Den Befund beim Schnabelthier darf man wohl als den 
ursprünglichen ansehen, da sich ja die Paukenhöhle durch Aus- 
stülpung des Rachenlumens bildet und somit bei Ormnithorhynchus 
gewissermaassen die unterste Stufe dieser Ausbildung vorhanden ist. 

Es ist ersichtlich, dass in aufsteigender Entwicklungsreihe 
— soweit wenigstens die untersuchten Thiere erkennen lassen 
— keine in einer bestimmten Richtung fortschreitende Entwick- 
lung des Musculus tensor tympani vor sich gegangen ist. 

Der Muskel ist sowohl seiner Lage wie seiner Verlaufs- 
richtung nach in wechselnder Form ausgebildet und zwar werden 
die Varietäten erstens unter Einwirkung der Trennung von 
Paukenhöhle und Rachen, zweitens unter Einwirkung der Lage- 
veränderungen ausgebildet, welche das Gehörorgan zum Rachen 
und welche die einzelnen Theile des Gehörorgans zu einander 
erleiden. Wir sehen, wie auf der untersten Stufe ein Theil des 
Muskels auf das Felsenbein beschränkt ist, ein anderer direkt 
in den Rachen hineinreicht und mit der Muskulatur, welche an 
der hinteren Choanenöffnung den Rachen auskleiden hilft, unzer- 
trennlich zusammenhängt. Der sog. Felsenbeinbauch und der 
Rachenbauch sind aber nicht differente Theile, von denen der 
eine dem Rachen, der andere dem Gehörorgan zugetheilt ist, 
sondern bei der sehr unvollständigen Trennung von Rachen- und 
Paukenhöhle sind beide als Rachenmuskeln anzusehen, von denen 
der eine am Felsenbein entspringt, weil dieses unmittelbar an 
die Rachenwand heranreicht. 

Wenn sich nun im Lauf der phylogenetischen Entwieklung 
das Gehörorgan und damit das Felsenbein vom Rachen entfernt, 
so macht der Felsenbeinbauch die Wanderung mit und wird 
ganz ins Mittelohr verlegt, wo er nun auf der Labyrinthwand 
seinen Platz findet; der Rachenbauch dagegen wird in die Länge 
gezogen, kommt, wie früher bemerkt, in nahe Beziehung zur 
Tube, welche dem zum Kanal ausgezogenen Eingang in den Re- 
eessus tympanicus pharyngis entspricht. Diese Beziehung zur 
Tuba wird der Rachenbauch des Tensor tympani behalten, so 
lange die Lage der Tuba derart ist, dass ein mit ihr zusammen- 
hängender Muskel unbeschadet seiner Funktion mit dem am 
Hammer befindlichen Insertionspunkt verbunden bleiben kann. 


618 R. Eschweiler: 


Bis zu einem gewissen Grade macht also dieser Bauch eine 
Wanderung der Tuba mit. Wenn aber die Verbindung mit dem 
Hammer nicht gewahrt werden kann, so degenerirt der Rachen- 
bauch, der nunmehr Tubenbauch zu nennen ist, und der Felsen- 
beinbauch tritt an seine Stelle; dieser ist ja von der Lage der 
Tuba unabhängig. 

Ein prägnantes Beispiel hierfür scheint mir Echidna darzu- 
bieten. Hier liegt die Tubenmündung an der lateralen 
Paukenhöhlenwand nahe dem Trommelfellrande Ein mit der 
Tube zusammenhängender Muskel müsste demgemäss quer durch 
die Paukenhöhle, oder über die innere Trommelfellfläche hinweg 
verlaufen, um seine Insertion am Hammer zu bewerkstelligen. 
Demgemäss finden wir hier nur den Felsenbeinbauch. 

Wenn Tuben- und Felsenbeinbauch in Konkurrenz treten, 
so kommt es zu Verhältnissen, wie sie bei der Maus gefunden 
werden: ein Felsenbeinbauch empfängt Verstärkungsfasern von 
der Tuba her. Bei der Katze ist der Zusammenhang mit der 
Tuba vollständig verloren gegangen. Der Felsenbeinbauch ist 
ausserordentlich mächtig entwickelt, greift aber noch auf den 
Theil des Keilbeins über, welcher den Canalis tubarius abschliesst 
(siehe die osteologische Beschreibung) und verräth somit noch 
seine verloren gegangenen Beziehungen zum Rachen. Ob die 
im beschreibenden Theil besprochene Andeutung einer Zwei- 
bauchigkeit auf eine Vereinigung zweier Muskelbäuche hinweist, 
glaube ich nicht annehmen zu können. 

Beim Menschen ist der Felsenbeinbauch fast völlig unter- 
drückt. Ich sage fast völlig, denn ich halte mit Zucker- 
kandl!) die Fossa ceochlearis für ein Aequivalent der bei Felis 
dom. beschriebenen Fossa muscularis maior und die in der Fossa 
cochlearis entspringenden Fasern für den Rest eines Felsenbein- 
bauchs. Der Tubenbauch dagegen ist sehr gut ausgebildet und 
reicht besonders weit nach dem Rachen hin, ja es ist sogar in 
vielen Fällen nicht nur eine Verbindung des Tensor tympani 
mit dem Tensor veli palatini durch eine Art Zwischensehne vor- 
handen, sondern es gehen sogar Muskelfasern aus dem einen 
Muskel in den anderen über. Es ist das ein Zurückgreifen auf 
ursprüngliche Verhältnisse, wie es von den untersuchten Thieren 


1) Zuckerkandl, Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 20, S. 119. 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 619 


nur noch bei der Maus gefunden wurde. Auch bei Mus ist 
zwischen dem von der Tube rachenwärts verlaufenden Muskel 
(m der Figur21, Tafel XXVII)und dem Tensor tympani (t derselben 
Figur) ein schmales Bindegewebsbündel D eingeschaltet. Der bei 
der Katze mit S bezeichnete breite Bindegewebsstreifen entspricht 
offenbar dem Faserbündel 5 bei Mus; indess findet eine Verbin- 
dung des ersteren mit dem Tensor tympani nicht statt, indem 
sich zwischen beide die Tubenmündung einschiebt. 

Wir sehen demgemäss wie die Lage der Tube, besonders 
der Tubenmündung zur Paukenhöhle auf die verschiedenartige 
Ausbildung des Tubenbauchs vom Tensor tympani einen Einfluss 
ausübt; die Varietäten in der Lage der Tubenmündung aber 
hängen zweifellos mit den Lage-Veränderungen zusammen, welche 
die einzelnen Theile der Paukenhöhle erleiden. Die wichtigste 
dieser Lage-Veränderungen ist die Veschmelzung beider Pauken- 
abschnitte unter gleichzeitigem Herabrücken der oberen Trommel- 
höhlenetage. Die Richtung, in welcher diese Verschiebung erfolgt, 
ist zunächst von oben nach unten. Dadurch rückt der Steig- 
bügel sammt den Paukenfenstern herab in die Höhe des Trommel- 
fell. Die Kette der Gehörknöchelchen wird dabei umgeknickt 
und eventuell so in ihrer mechanischen Funktion verändert, dass 
die Zugwirkung eines Tensors verändert werden muss, falls nicht 
eine peverse Aktion derselben zustande kommen soll. 

Ausser der Verschiebung von oben nach unten hat auch 
eine solche von vorne nach hinten stattgefunden. Der Steigbügel 
ist dadurch nicht nur nach unten, sondern auch nach hinten ge- 
rückt und der ursprünglich nach vorn gelegene Amboss ist mit 
seinem Körper zwischen Hammer und Steigbügel interponirt. 

Bei diesen Veschiebungen, zu deren besserer Erkenntniss 
noch ein genaueres Studium der osteologischen Verhältnisse bei 
niederen Säugethierspezies nöthig ist, wurde auch im selben 
Sinne die Tubenmündung verschoben und zwar von unten nach 
oben und von hinten nach vorne. Aus der Serienbeschreibung 
ist bekannt, dass bei Manis und Echidna die Tuba am hinteren 
(kaudalwärts gelegenen) Pol der Paukenhöhle und am Boden 
derselben einmündet. Bei den höheren Säugethieren und beim 
Menschen liegt das Ostium tympanieum tubae am vorderen 
Winkel des Mittelohrs und hoch über dem Boden desselben. Mit 
dieser Verlagerung des Tubenostiums wird auch innerhalb der 


620 R. Eschweiler: 


vorher normirten Grenzen der Tubenbauch des Tensor tympani 
verlegt. Als Punetum fixum erscheint stets der Ansatz des Mus- 
kels am Hammer, wenn auch geringe Verschiebungen der Inser- 
tion bei der eventuell veränderten Mechanik der Gehörknöchel- 
chen eintreten. 

Auch der Felsenbeinbauch kann natürlich Lageverände- 
rungen unterliegen. Dabei ist er von der Einmündungsstelle der 
Tuba unabhängig und folgt vielmehr nur etwaigen Drehungen 
des Felsenbeines, dem er zugehört. 

Ich glaube indess, dass derartige Vorgänge eine nebensäch- 
liche Rolle spielen bei der Gestaltung des Musculus tensor tym- 
pani und dass im wesentlichen zwei Faktoren den Muskel mor- 
phologisch beeinflussen, nämlich erstens die Coneurrenz von Tuben- 
und Felsenbeinbauch und zweitens die Dislokation des ersteren, 
beide bedingt durch osteologische Verschiebungen der einzelnen 
Abschnitte des Mittelohrs. In einer späteren Arbeit hoffe ich 
näher darauf eingehen zu können, wie diese Verschiebungen 
durch die mächtige Entwicklung der Gross- und Kleinhirnhemi- 
sphären herbeigeführt werden. 


Die vorliegende Arbeit ist im anatomischen Institut zu 
Bonn ausgeführt. Herr Geheimrath von la Valette 
St. George stellte mir in liberalster Weise einen Arbeitsplatz 
zur Verfügung. Herrn Professor Nussbaum bin ich für 
seine Anregung und Unterstützung verpflichtet, zugleich auch 
Herrn eand. med. Schorlemmer für die Anfertigung der 
beigegebenen mikrophotographischen Abbildungen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVY—XXVII. 
Tafel XXV. 

Fig. 1. Nach Zuckerkandl aus dem Archiv für Ohrenheilkunde Bd. 
XXIII, rechte Kopfhälfte von Ornithorhynchus paradoxus, me- 
diale Seite. X Schädelhöhle, N Choanenrohr, O Nasenhöhle, 
PH Pharynx. 

Fig. 2. Recessus tympanicus pharyngis des Schnabelthiers mit Um- 
gebung. *ı. ch Choane, oe Oesophagus (losgelöst), r. £. Re- 
cessus tympanicus pharyngis, z Zunge. 

Fig. 3. Dasselbe, um eine horizontal-transversale Axe gedreht, um 
das Ostium attiei zu zeigen. 


Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 621 


Fig. 4. Dasselbe nach Entfernung der Schleimhaut in der Umgebung 


des Recessus tympanieus. £ Trommelfellrest, m, m’ Muskel- 
bäuche. 


Tafel XXV1. 


Schnittserie von Ornithorhynchus paradoxus (Fig. 5—9), und Echidna 


Fig 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


0, 


11. 


13. 


14. 


hystrix (Fig. 10—14). 
Schnitt 16. a ein durch Abhebung der Drüsen- und Muskel- 
schicht von der Unterlage entstandener Hohlraum (Kunst- 
produkt). © Schädelhöhle, D, D’ Drüsen, F' Felsenbein, M. A. E. 
äusserer Gehörgang, m Muskelfasern, P Paukenhöhle, Ph Pha- 
rynx, 7Tp Trommelfell, £ erste Fasern des Musculus tensor tym- 
pani. 
Schnitt 25. 5b der Raum, welcher die Communikation von 
Pharynx und Paukenhöhle vermittelt. Sonst dieselben Bezeich- 
nungen wie vorher. ZL Labyrinth, M Hammer. 
Schnitt 28. s Sehne des Musculus tensor tympani. Sonst wie 
oben. 
Schnitt 58. { Felsenbeinbauch des Tensor tympani. Sonst 
wie oben. 
Schnitt 66. J Amboss, St Steigbügel. Sonst wie oben. 


. Nach Zuckerkandl aus dem Archiv für Ohrenheilkunde 


Bd. XXIII; linke Koptfhälfte von Echidna hystrix, mediale 
Seite. X Schädelhöhle, @ Gaumen, 5 Septum nasale, N 
hinterer Nasenraum, Ph Pharynx, o. ph. t. Ostium pharyngeum 
tubae. 

Querschnitt durch die Umgebung der Tuba nahe dem pharyn- 
gealen Ostium. D Drüsen, f derbes Bindegewebe, m Muskel- 
bündel, 7’ Tubenlumen. 


. Schnitt 59 der Serie. F. F. Felsenbein, Z Labyrinth, 2 Lumen, 


welches dem unteren Abschnitt der Paukenhöhle angehört, 
m Muskulatur (Längsschnitt), n. f. nervus facialis, N Nische 
für den Ursprung des Musculus tensor tympani, P/ oberer 
Absehnitt der Paukenhöhle, PH Pharynx, s Septum der Pau- 
kenhöhle, T Tuba, 7’ Tubenknorpel, ? erste Fasern des Mus- 
eulus tensor tympanl. 

Schnitt 78. J Ambossfortsatz, M Hammer, M. 4. E. äusserer 
Gehörgang, P unterer Abschnitt der Paukenhöhle, s Sehne 
des Musculus tensor tympani und Septum der Paukenhöhle, 
Tp Trommelfell. Sonst dieselben Bezeichnungen wie bei Fig. 12. 
Schnitt 129. m’ Muskel im Querschnitt. Sonst dieselben Be- 
zeichnungen wie bei Fig. 12. 


Tafel XXVI. 


Manis javanica (Fig. 15—19) und Mus museulus (Fig. 20—25). 


15. 


Gaumenregion eines sagittalen Schädeldurchschnittes !/,. F 
Felsenbeinkante an der Innenfläche der Schädelbasis, N Cho- 


»x6, 


AT. 


18; 


a9. 


ID 
| 


1O 
[0 ©) 


2, 


. 80. 


Eschweiler: Zur vergleichenden Anatomie der Muskeln ete. 


anenrohr, o. ph. t. Ostium pharyngeum tubae, p. d. harter 
Gaumen, p. m. weicher Gaumen, Zons. Tonsille, Z Zunge. 
Schnitt 16 der Serie. € Raum innerhalb der vom Os squamo- 
sum gebildeten Schädelwand, D Ceruminaldrüsen, F Felsen- 
bein, g ein Ganglion, n. f. Nervus facialis, o. ph. Ostium pha- 
ryngeum (tubae), o. £. Ostinm tympanicum (tubae), P Pauken- 
höhle, S Schwellkörper, Sq Os squamosum, T Tuba, TK Tuben- 
knorpel, Ty Os tympanicum. 

Schnitt 45. f. o. Fenestra ovalis, Z Labyrinth, m Tuben- 
muskulatur, M. A. E. äusserer Gehörgang, stp Sehne des 
Musculus stapedius, 7’p Trommelfell. Die sonstigen Bezeich- 
nungen wie bei Fig. 16. 

Ansicht von der Umgebung des ovalen Fensters in Schnitt 54 
(stärker vergrössert). J Amboss, o. !. Os lenticulare, $Stp. 
Steigbügel. Die sonstigen Bezeichnungen wie bei Fig. 16 u. 17. 
Schnitt 84. Cl Schnecke, M Hammer, n Bindegewebslage auf 
der medialen Paukenhöhlenwand, s Septum der Paukenhöhle. 


. Schnitt 12 der Serie. B Bulla ossea, Cr Schädelgrund, F 


Felsenbein(-kante), X Kuppelraum der Paukenhöhle, Z Laby- 
rinth, M Hammer, P Paukenhöhle, U Unterkieferkopf. 


. Schnitt 18. 5b Bindegewebe, m Tubenmuskulatur, £ Musculus 


tensor tympani, 7 Tube, 7p Trommelfell. Die sonstigen Be- 
zeichnungen wie in Fig. 20. 


. Schnitt 20. gg Ganglion genieuli, rn. f. Nervus facialis. Sonst 


wie vorher. 


. Schnitt 23. k Deckknochen, M. A. E. äusserer Gehörgang. 
. Schnitt 26. CT Schnecke, s Beginn der Sehne des Musculus 


tensor t., V Vestibulum. Sonst wie vorher. 
Schnitt 31. s Sehne des Musculus tensor t.,, Stp Steigbügel. 
Sonst wie oben. 

Tafel XXVIII. 


Felis domestica. 


. Schnitt 31. F Felsenbein, Z von Drüsen umgebenes Lumen, 


M Hammer, ? Musculus tensor tympani, P Paukenhöhle. 


. Schnitt 45. I Amboss, n Nerv des Musculus tensor tympani, 


Sph Os sphenoidale, © Gefäss. Sonst wie oben. 


. Schnitt 51. B Bulla ossea, f Processus bullae faleiformis, g 


Ganglion, mm Rachenmuskulatur, S Sehnenstreifen, 2 geson- 
derte Muskelportion von Musculus tensor tympani. 

Schnitt 75. 5 laterales Tubenlumen, %. k Tubenknorpel, wel- 
cher das mediale Tubenlumen umgiebt, s Bindegewebsstreifen 
von k k‘ ausgehend. 

Schnitt 83. %’ Rest des Tubenknorpels, n. f. Nervus facialis, 
s Sehne des Musculus tensor tympani, 2 Bauch des Musculus 
tensor tympani, ph Ostium pharyngeum tubae. 


623 


(Aus dem pathologischen Laboratorium der Universität Turin. 
Director: Prof. G. Bizzozero.) 


Ueber die Blutbildung bei der Pricke. 


Von 


Maurizio Ascoli. 


Hierzu Tafel XXIX. 

Die Ansichten über den Ursprung der rothen Blutkörper- 
chen (von den frühesten Embryonalperioden abgesehen) sind ge- 
theilt; zwei Meinungen sind besonders vertreten: auf der einen 
Seite wird ihre Entstehung durch Umwandlung von Leucoeyten 
behauptet, auf der anderen ihre Abstammung von anderen, prä- 
existirenden rothen Blutkörperchen angenommen. 

Eine feste Grundlage erhielt letztere Ansicht durch den für 
mehrere Klassen der Wirbelthiere geführten Nachweis einer Ver- 
mehrung der Erythroeythen durch Mitose, und diese Thatsache 
giebt uns das Recht jede andere Annahme zurückzuweisen, sofern 
sie nicht durch ganz unanfechtbare Belege gestützt erscheint. 

Neumann und Bizzozero gebührt das Verdienst, diesen 
Nachweis, was die Säugethiere anbelangt — unabhängig von 
einander —, geliefert zu haben; sie stellten fest, dass sich, beim 
erwachsenen Individuum, die Vermehrung der rothen Blutkörper- 
chen im Knochenmark localisirt, und dass man in diesem junge, 
gekernte Erythrocythen, sowie Bilder indirecter Theilung der- 
selben vorfindet. 

Im Laufe weiterer Untersuchungen kamen Bizzozero 
und Torre!) zu folgenden Ergebnissen: 

„a) Bei allen erwachsenen Wirbelthieren findet eine fort- 
währende Neubildung rother Blutkörperchen durch indireete 


1) Bizzozero und Torre, Ueber die Entstehung der rothen 
Blutkörperchen bei den verschiedenen Wirbelthierklassen. Virchow’s 
Arch. f. path. Anatomie Bd. 95. 1884. 


624 Maurizio Asecoli: 


Theilung der vorhandenen jugendlichen Formen rother Blutkör- 
perchen statt. 

b) Bei allen erwachsenen Wirbelthieren sind specielle Or- 
gane vorhanden, welche als Herde zu betrachten sind, in welchen 
die Bildung neuer rother Blutkörperchen vorzugsweise von statten 
geht. Als solche Organe fungiren: bei den Säugern, den Vögeln, 
den Reptilien und den schwanzlosen Amphibien das Knochen- 
mark, bei den geschwänzten Amphibien die Milz; bei den Fischen 
ausser der Milz auch noch jenes Iymphoide Parenchym, welches 
bei ihnen einen mehr oder weniger grossen Theil der Niere 
einnimmt. 

c) Bei den niederen Wirbelthieren (Reptilien, Amphibien 
und Fischen) zeigt das eireulirende Blut diejenige Eigenthümlich- 
keit, die es im embryonalen Zustande bei allen Wirbelthieren 
aufweist: es enthält nämlich eine grössere oder geringere An- 
zahl junger rother Blutkörperchen und in indireeter Theilung 
begriffener Formen; aber beiderlei Elemente finden sich stets in 
bedeutend kleinerer Menge als in den Organen, welche bei den 
betreffenden Thierordnungen als Bildungsstätte der rothen Blut- 
körperchen dienen. 

d) Dieser Nachklang sozusagen des Embryonalzustandes 
des Blutes wird viel mehr ausgesprochen bei Thieren, welehe 
wiederholten Blutentziehungen unterworfen wurden, und wird da- 
gegen undeutlicher oder schwindet gänzlich unter denjenigen Be- 
dingungen (Mangel oder Unzulänglichkeit der Nahrung, Gefangen- 
schaft u. dgl.), welche eine Abnahme der allgemeinen Thätig- 
keit des Organismus mit sich bringen.“ 

Ueber die Blutbildung bei den Cyelostomen standen —- 
meines Wissens — bis vor kurzer Zeit Beobachtungen aus, bis 
auf eine Mittheilung von Bizzozerot), welche feststellte, dass 
bei der Larve von Petromyzon im Iymphoiden Gewebe der Spiral- 
falte des Darmes beständig Leucocyten in den verschiedenen 
Stadien der Karyokinese anzutreffen sind, weshalb die genannte 
Spiralfalte als hämatopoetisches Organ aufzufassen ist. 

Neuerdings hat sich Dr. E. Giglio-Tos mit diesem 
Gegenstande ausführlich in zwei Arbeiten „Ueber die Blutzellen 


1) Bizzozero, G., Sulle glirand. tubul. del tubo gastro-euter. 
Nota V, Atti R. Accad. Sceiense Torino. 1892, 


Ueber die Blutbildung bei der Pricke. 625 


der Prieke“!) und „Ueber die Blutbilduug bei der Pricke*?) — 
welch’ letztere sich jedoch auf ihr Studium bei der Larve 
(ammocoetes branchialis-Querder) beschränkt — beschäftigt. Auf 
Grund dieser Untersuchungen behauptet Verf. die Abstammung 
der rothen Blutkörperchen von einer speciellen Art Leucoeyten 
(Erythroblasten) und giebt eine Beschreibung ihrer Umwandlung 
in Erythrocythen im Iymphoiden Gewebe der Spiralfalte; des 
weiteren giebt er an, in den zahlreichen beobachteten Präparaten 
keine Mitose rother Blutkörperchen getroffen zu haben und 
schliesst daraufhin geradewegs eine Vermehrung derselben aus. Er 
äussert sich diesbezüglich wie folgt!) (S. 13): „Die eireulirenden 
Erythroblasten vermehren sich nie durch indireete Theilung; viel- 
leicht, aber selten durch direete Theilung. Die Erythrocythen 
vermehren sich nie.“ Betreffs der Leucocyten kommt Dr. Giglio- 
Tos, unter anderen, zu diesem Schlusse!) (S. 22): „Die Leuco- 
blasten (farblose Zellen, von welchen nach seiner Meinung die 
Leucocyten abstammen) vermehren sich (im Kreislaufe) durch 
direete Theilung, nie durch indireete.“ Später in der zweiten 
Arbeit?) (S. 16) sagt er: „Diese Elemente (Mutterzellen, hämo- 
eytogene Zellen, Erythroblasten und Leucoblasten) theilen sich durch 
Mitose, solange sie sich im Strome der Spiralfalte befinden.“ Dar- 
aus geht hervor, dass sich die Leucoblasten nach dem V. in 
verschiedener Weise vermehren, je nachdem sie noch in den 
Maschen des Parenchyms liegen oder frei im Blute eireuliren. — 
In den Leucoeyten findet er nur eine amitotische Theilung des 
Kernes, ohne darauffolgende Theilung des Zellleibes. 

Der Umstand, dass nach Giglio-Tos bei den Neunaugen 
die Blutbildung in einer Weise von Statten geht, welche von der 
bei den anderen Wirbelthieren nachgewiesenen abweicht, liess 
eine Nachprüfung seiner Befunde wünschenswerth erscheinen. 
Thatsächlich haben seine Angaben die Aufmerksamkeit des Zoolog. 
Centralblattes auf sich gelenkt, welches in dem Referate über 
die erstgenannte Arbeit!) keinem besonders günstigen Urtheile 
zuzuneigen scheint. 

Auf Anregung des Herrn Prof. Bizzozero — welchem 


1) Giglio-Tos E., Sulle cellule del saupre della lampreda. Accad. 
Reale d. Science di Torino. 1895/96. 

2) Giglio-TosE., L’ematopoesi nella lJampreda. Accad. Reale d. 
Scienee di Torino. 1896/97. 


626 Maurizio Aseoli: 


ich sowie auch seinem Assistenten Dr. Sacerdotti für ihre 
wohlwollenden Rathschläge meinen herzlichen Dank ausspreche — 
habe ich das Studium der Herkunft der Blutelemente von Petro- 
myzon Planeri wieder aufgenommen. 

Ich muss an dieser Stelle hervorheben, dass ich bei diesen 
Untersuchungen die Vorsicht gebrauchte, mich nieht auf das 
Studium von Präparaten zu beschränken, die von Thieren 
stammten, die, wie die gewöhnlich auf dem Markte vorkommenden, 
schon seit einigen Tagen gefischt, darauf kürzere oder längere 
Zeit in der Gefangenschaft verweilt hatten; es ist unter solchen, 
von ihrer gewöhnlichen Lebensweise wesentlich abweichenden 
Verhältnissen anzunehmen, dass der Stoffwechsel so zarter Thiere 
herabgesetzt und die an diesen gebundenen Processe nicht mehr 
so leicht zu studiren sind. Ich dehnte deshalb meine Nachfor- 
schungen auch aufsolche Thiere aus, die ich soeben eingefangen 
hatte und fixirte auf der Stelle das ihnen entzogene Blut oder 
Gewebsstücke, oder ich brachte das ganze Thier in die Fixations- 
flüssigkeit. 

Meine Nachforschungen bezogen sich zu allererst auf die 
Larve und waren zunächst auf das interstitielle Gewebe der 
Niere gerichtet. Die mit Hämatoxylin gefärbten Präparate des 
in Zenker’scher Flüssigkeit fixirten Organs zeigen uns — wie 
aus der Figur 1 der Tafel XXIX hervorgeht — Bilder in- 
direeter Theilung in den Leucoeyten, welche in grosser Anzahl 
in den Maschen des zwischen den Nierenkanälchen eingeschaltenen 
Iymphoiden Gewebes eingeschlossen sind. Diese Verschmelzung 
eines secernirenden Organs mit einem Iymphoiden umgiebt huf- 
eisenförmig den Darm. Die angedeuteten Formen sind an den freien 
Enden dieses Hufeisens besonders zahlreich; je mehr wir uns dem 
Mittelstücke nähern, um so spärlicher werden Iymphoide Substanz 
und Nierenkanälchen, indem sie allmählich durch Fett und ge- 
wöhnliche Blutgefässe ersetzt werden. Das Vorkommen dieser 
Theilungsvorgänge ist constant; sie werden manchmal in so 
grosser Zahl angetroffen, dass ich his 4 in einem Beobachtungs- 
felde (homog. Imm. Reichert !/,,, Oc. 4) zählen konnte. Dar- 
aus können wir also den Schluss ziehen, dass dieses Iymphoide 
Gewebe an der Produktion der Leucocyten betheiligt ist. 

Nach Feststellung dieser Thatsache wandte ich mich dem 
Studium des eireulirenden Blutes zu. Ich fertigte nach der ge- 


Ueber die Blutbildung bei der Pricke. 627 


bräuchlichen Methode Deckglastrockenpräparate an, die ich nach 
Nikiforoff in einer Mischung von Alkohol und Aether zu 
gleichen Theilen fixirte; die Färbung geschah durch Hämato- 
xylin. 

Auch eine oberflächliche Besichtigung dieser unter den 
oben erwähnten günstigen Verhältnissen erhaltenen Präparate 
lehrt, dass die Blutzellen der Gegenstand einer lebhaften Regene- 
ration sein müssen; dies beweisen : der verschiedene Hämoglobin- 
gehalt der einzelnen Blutkörperchen; das Vorkommen einer an- 
sehnlichen Zahl junger Erythrocythen (die man daran erkennt, 
dass sie aus einem verhältnissmässig grossen Kerne bestehen, 
den eine dünne Zone hämoglobinhaltigen Protoplasmas umgiebt); 
endlich das constante Vorkommen in Mitose begriffener Formen. 

Da es sich um junge Erythrocythen handelt, deren Hämo- 
globingehalt manchmal spärlich ist, bediente ich mich, um ihre 
Verschiedenheit von den Leucoeyten besser hervortreten zu lassen, 
der Doppelfärbungen mit Hämatoxylin-Eosin, Hämatoxylin-Pikrin- 
säure, der Methode von Foä und der dreifachen Färbung mit 
Hämatoxylin, Rubin und Helianthin nach Kultschitzky. 
Bei der grösseren Affinität der rothen Blutkörperchen zu Eosin 
und Pikrinsäure kann man sie bei diesem Vorgehen mit Leucocyten 
_ keineswegs verwechseln; mit der Methode von Foäa (Fixirung 
in 1°/, Osmiumsäure, Färbung in verdünnter Methylenblaulösung 
(3°—4‘) — darauf 5° in einer 1°/, Chromsäurelösung) nehmen 
die Erythroceythen einen smaragdgrünen Ton an, ihre Kerne sind 
blau, jene der ungefärbt bleibenden Leucocyten violett. Auch 
mit der Methode von Kultscehitzky erhielt ich gute Resul- 
tate; die Erythrocythen treten in ihrer rothen Färbung deutlich 
hervor; die Leucoeyten sind gelb oder orange gefärbt. 

In der Figur 2, 3, 4 sind einige in indireeter Theilung 
begriffene rothe Blutkörperchen aus nach den eben erwähnten 
Methoden erhaltenen Präparaten wiedergegeben; die Art ihrer 
Färbung stellt die Eigenthümlichkeiten der Erythrocythen in 
ein klares Licht. 

Um mich bei der Art und Weise der bei den Neunaugen 
gebräuchlichen Blutentnahme zu vergewissern, dass diese 
Theilungsbilder sicher aus dem eireulirenden Blute stammen und 
nicht irgendwie aus den Gewebsmaschen herausgetreten sind, 
bediente ich mich feiner, nach den erwähnten Methoden gefärbter 


628 Maurizio Aseoli: 


Querschnitte des in Zenker’scher Flüssigkeit oder ın Sublimat- 
Kochsalzlösungen fixirten Thieres; ihr Studium zeigte mir eben- 
falls rothe Blutkörperchen in den verschiedenen Stadien der 
Karyokinese; die Figur 5 und 6 stellen ihrer zwei, im Lumen 
von Kiemengefässen sich befindend, dar. 

Aber nicht nur die rothen, auch die weissen Blutkörperchen 
vermehren sich im Kreislaufe durch indirecete Theilung, eine 
Eigenschaft, welche die Neunaugen mit anderen Klassen der 
Wirbelthiere gemeinsam haben; dafür liefern die Bilder sich 
mitotisch theilender Leucocyten Belege, denen ich im Studium 
verschiedener Präparate begegnet bin, und deren eine die Figur 7 
darstellt; auch hier bestätigte die Controlle an Querschnitten ihre 
Anwesenheit im Innern der Blutgefässe. 

Diesen im Frühjahr und Sommer ausgeführten Unter- 
suchungen, in welchen Jahreszeiten im Koth der Gewässer, wo 
die Neunaugen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nur Querder 
zu finden sind, liess ich im Winter solche über das erwachsene 
Thier folgen, um zu prüfen, ob bei diesem die Blutbildung in 
derselben Weise vor sich geht. 

In den untersuchten Exemplaren fand ich — in Ueberein- 
stimmung mit der Zeit meiner Beobachtungen und dem Ent- 


wickelungseyclus dieser Art — die Bauchhöhle von Eiern, | 


respective Samen erfüllt, mit einer entsprechend allmählich fort- 
schreitenden Reduktion des Darmes und der Niere, in denen 
der Iymphoide Theil bis zum gänzlichen Schwunde atrophirt. 

Nun geht, nach der Meinung der Mehrzahl der Autoren, 
Petromyzon Plaueri nach vollendetem Fortpflanzungsgeschäfte 
unter, und man darf wohl die erwähnten Atrophien, sowie die 
von mir in anderen Organen beobachteten regressiven Ver- 
änderungen mit dieser Aufopferung des Individuums zur Erhaltung 
der Art in Zusammenhang bringen. 

Obwohl nun die Intensität des Stoffwechsels durch die 
auseinandergesetzten Bedingungen bedeutend beeinträchtigt sein 
muss, gelang es mir nichtsdestoweniger, wiewohl freilich nur 
selten, Karyokinesen (auch im Lumen der Blutgefässe) sowohl 
an rothen als an weissen Blutkörperchen aufzufinden. Einige 
derselben habe ich aufgenommen und sind dieselben in der 
Tafel wiedergegeben. Ich muss jedoch bemerken, dass ich in 
einem Falle einer massenhaften Anzahl in indireeter Theilung 


u PU ee 


u 


Ueber die Blutbildung bei der Pricke. 629 


begriffener Leucoeyten begegnete; dieser Befund, den ich als 
Leukämie zu bezeichnen mich versucht fühle, war so auffallend, 
dass man ohne Mühe Gesichtsfelder mit 10—15 Mitosen auf- 
finden Konnte. 

Daraus geht also hervor, dass beim erwachsenen Thiere 
die Blutbildung auf derselben Weise wie bei der Larve erfolgt. 
Sie vollzieht sich in einer Weise, die sich nicht wesentlich von 
der bei anderen Wirbelthieren beobachteten unterscheidet und 
kann als die niedrigste Stufe der verschiedenen bei der Evolution 
der Blutbildung beobachteten und sich allmählich eomplieirenden 
Processe angesehen werden. Eine Localisation in besonderen 
Organen hat nur für die Leucocyten statt. Das eirculirende 
Blut, dessen Bedeutung bei der Bildung der rothen Blutkörper- 
chen bis zum völligen Verschwinden abnimmt, je mehr wir uns 
den höheren Wirbelthieren nähern, ist bei den Neunaugen die 
wichtigste Bildungsstätte der Erythrocythen. 

Da nun jedoch von mehreren Seiten noch an den Theorien 
festgehalten wird, nach welchen die rothen Blutkörperchen von 
Leucocyten abstammen, sei es mir im Anschluss an obige Unter- 
suchungen erlaubt, an die Schlussworte des Prof. Bizzozero 
im Anhange zur angeführten Arbeit zu erinnern, umsomehr als 
sie den oben ausgeführten Verhältnissen ganz angepasst er- 
scheinen. Nachdem er die verschiedenen Hypothesen über die 
Herkunft der rothen Blutkörperchen geprüft und einer eingehenden 
Kritik unterzogen, drückt er sich folgendermaassen aus: 

„So lauten die Ergebnisse der direeten Beobachtung, und 
sie scheinen mir den Schluss zu rechtfertigen, dass bisher keine 
andere Vermehrungsweise der rothen Blutkörperchen, als nur die 
dureh indireete Theilung, mit der in der Wissenschaft erforder- 
liehen Strenge erwiesen worden ist. Was man sonst über 
andere Entstehungsweisen schreibt, sind blosse Hypothesen; zu 
solchen würde man nur dann seine Zuflucht nehmen müssen, 
wenn das Produkt der Theilung ungenügend erschiene die täg- 
liehen Verluste zu decken, welche das Blut an rothen körperlichen 
Elementen erfährt. Indessen sind wir zur Zeit ausser Stande, 
dieses Verhältniss zwischen Produktion und Verbrauch der rothen 
Blutkörperchen zu prüfen, indem wir keine Mittel besitzen, die 
Zahl der täglich untergehenden und die der täglich produeirten 
Blutkörperehen zu bestimmen. In dieser Hinsicht liegen jedoch 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 53, 41 


630 Maurizio Aseoli: 


einige Thatsachen vor, welche die Richtigkeit der indirecten 
Theilung beweisen.“ Diese Thatsachen, die ich mich hier kurz 
zusammenzufassen beschränke, sind: 

„Die bedeutende Zahl, in welcher die karyokinetischen 
Formen auch unter normalen Bedingungen angetroffen werden; 
die Geschwindigkeit, mit welcher die Theilung erfolgt: 

der constante Wechsel der Zahl der karyokinetischen Ele- 
mente, je nach dem grösseren oder geringeren Bedarf des Orga- 
nismus nach rothen Blutkörperchen ; 

der Umstand, dass von den ersten Phasen des Embryonal- 
lebens an es keine Lebensperiode giebt, wo die Karyokinesis der 
rothen Blutkörperchen fehlt.“ 

Und schliesst folgendermaassen: 

„Nachdem ich auf diese Weise die Intensität und Con- 
tinuität des Theilungsprocesses der rothen Blutkörperchen beim 
erwachsenen Thiere festgestellt habe, kann und will ich — das 
mag hier wiederholt werden — keineswegs ausdrücklich die 
Möglichkeit ausschliessen, dass die genannten Elemente, den 
oben besprochenen Hypothesen gemäss, vielleicht auch noch auf 
anderen Wegen entständen. Ich weiss nur zu gut, dass in den 
Beobachtungswissenschaften die strenge Begründnng einer Negation 
unmöglich ist. Indessen glaube ich, dass es zu nichts führt, 
weiter von diesen Hypothesen zu reden, so lange ihre Vertreter 
nicht die Nothwendigkeit derselben erwiesen, oder doch besser 
überzeugende Gründe zu dessen Gunsten vorgebracht haben 
werden, als sie es bisher gethan haben.“ 

Jetzt, wo der Beweis des beständigen Vorkommens der 
indireeten Theilung bei den rothen Blutkörperchen der Neun- 
augen geliefert ist, sind die angeführten Worte auch für sie 
vollständig giltig. 

Die Hypothese von Giglio-Tos über die Abstammung der 
Erythroeythen von farblosen Erythroblasten ist nicht nöthig; seine 
Behauptungen, dass sich die Erythroeythen nie und die weissen 
Blutzellen nieht im Kreislauf durch indireete Theilung vermehren, 
sind nicht bestätigt. 

Die auseinandergesetzten Untersuchnngen rasch übersehend, 
gehen aus denselben folgende Schlüsse hervor: 

„Bei der Prieke findet die Bildung sowohl der weissen, 
als auch der rothen Blutkörperchen durch indireete Theilung 


a 


Ueber die Blutbildung bei der Pricke. 631 


entsprechender Formen junger, weisser und rother Blutkörper- 
chen statt; 
ausser der schon von Bizzozero in der Spiralfalte er- 
wiesenen Vermehrung der Leucocyten ist eine solche durch Mitose 
im Iymphoiden Gewebe der Niere und im Kreislaufe anzutreffen ; 
die Formen indirecter Theilung rother Blutkörperehen habe 
ich nur im eirculirenden Blute angetroffen.“ 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX. 


Die Fig. 1, 3, 6, 7, 3 sind mit der homog. Imm. Reichert Y/ıs, 

Oeul. Nr. 2 beobachtet; die Fig. 2 u.5 mit demselben Obj., Ocul. Nr. 4. 

Fig. 1. Querschnitt aus Petromyzon-Niere. Zenker’sche Fixirungs- 

flüssigkeit; a rothes Blutkörperchen, b Leucocyt in Mitose 
begriffen, «€ Nierenkanälchen. 

Fig. 2, 3, 4. Deckglastrocken-Präparate von Blut von Petromyzon- 
Larven; a rothes Blutkörperchen sich durch Mitose theilend, 
b weisse Blutkörperchen. 

‚6. Querschnitte von Petromyzonlarven aus der Gegend der 
Kiemengefässe; a Endothel der Kiemengefässe, b sich thei- 
lende rothe Blutkörperchen. 

Deckglastrocken-Präparat von Blut einer Petromyzonlarve; 
a rothes Blutkörperchen, b Karyokinese eines Leucocytes. 
Fig. 8. Erwachsenes Petromyzon; a rothes Blutkörperchen, b und e 

Leucocyten, alle 3 in Mitose begriffen, aus Deckglastrocken- 
Präparaten; d rothes Blutkörperchen, in einem weiten Kiemen- 
gefässe beobachtet, sich durch Mitose thbeilend (aus einem 
Schnitte aus einem in Zenker'’scher Flüssigkeit fixirten 

Stücke). 


Ei 
gg 
[S}1 


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(7 
-] 


632 


(Aus dem I]. anatom. Institut zu Berlin.) 


Die obere Trigeminuswurzel. 


Von 


Dr. Michael Terterjanz. 


Hierzu Tafel XXX. 

In der Anatomie des Centralnervensystems knüpft sich an 
dieobere Trigeminuswurzel, Radix descendens 
der Autoren, eine vielfach erörterte und verschieden beantwortete 
Frage betreffend sowohl die Ursprungszellen dieser Wurzel 
als auch die peripherische Verbindung derselben. 

Es erschien demnach angezeigt, mittelst neuer Untersuchungen 
diese Frage einer befriedigenden Lösung entgegenzuführen, und 
übernahm ich es auf Anregung von Prof. Waldeyer, dem 
ich an dieser Stelle verbindlichsten Dank sage, diese Untersu- 
chungen anzustellen. 

Ich zerlege das zu behandelnde Thema in zwei Theile: 

I. Die Ursprungszellen der absteigenden Quintus- 
wurzel; wir fragen hier nach der morphologischen Bedeutung und 
dem Typus der so charakteristischen „blasigen“ Zellen. 

II. Die bislang nur auf Vermuthung sich stützende periphe- 
rische Verbindung der oberen Trigeminuswurzel im Gaumen mit 
dem Musculus tensor veli palatini (vielleicht auch mit dem Mus- 
eulus tensor tympani). Wir werfen hier die Frage auf, ob dieser 
Muskel von den genannten oberen Quintusfasern thatsächlich 
innervirt wird, und welche Beweise wir eventuell dafür haben. 


I. Ueber die morphologische 
Beschaffenheit der Ursprungszellen der &beren 
Trigeminuswurzel. 


Wir kennen heute sicher den centralen Verlauf der abstei- 
senden Trigeminuswurzel im Mittelhirn, ihre topographischen 
Lagebeziehungen zu den benachbarten Organen und schliesslich 
ihre Verbindung mit den bekannten „vesienlösen* Ursprungszellen, 


Die obere Trigeminuswurzel. 633 


welche im centralen Höhlengrau, an dessen lateralem Rande, 
ihren Sitz haben. 

Die vordere (kleinere, motorische) Quintuswurzel, Portio minor, 
indem sie zusammen mit der grossen sensiblen Wurzel, Portio major, 
in die Brückenmasse von unten dorsal-median- und rückwärts ein- 
tritt, beschreibt anfangs einen unbedeutenden Bogen, mit der Con- 
vexität nach vorne gewandt. Man sieht sie in dieser Lage in mehrere 
Fascikel ausstrahlen, welche aisbald zu ihrem motorischen Zellterrito- 
rium sich begeben. Es ist das der untere motorische Quintuskern !), 
der unter dem lateralen Winkel des vierten Ventrikels tief vom Locus 
eoeruleus ventralwärts eingelagert ist. Eine nähere Besprechung dieses 
motorischen Hauptkernes und der mit ihm in Beziehung stehenden 
Faserbündel liegt nicht in unserer Absicht. 

Aus dem Innern der Varol’s-Brücke, da, wo gerade die moto- 
rischen Bündel mit der breiten Fasermasse der sensiblen Trigeminus- 
wurzel zusammenkommen, treten Faserzüge hervor, welche, von unten 
nach oben und vorn und ein klein wenig lateralwärts durchziehend, 
umbiegen, wobei sie in diesem Verlaufe einen nahezu ellipsoiden 
Bogen beschreiben. Diese Faserzüge, indem sie unterhalb des Klein- 
hirnschenkels durchpassiren, kreuzen sich spitzwinklig mit der von 
oben herabkommenden Faserausstrahlung des Corpus restiforme und 
begeben sich so nach vorn in den Winkel des vierten Ventrikels, zu 
der oberhalb vom Locus coeruleus liegenden Substantia ferruginea. 
Es ist dies der untere Abschnitt der absteigenden Quin- 
tuswurzel?), welche hier in dem genannten lateralen Winkel zu einem 
starken kompakten Faserbündel sich zusammenschliesst, beziehentlich 
von hier aus distalwärts in Zügen ausstrahlt. Diese Verhältnisse kann 
man in den gewöhnlichen Schnitt-Präparaten leicht finden. 

Henle (13) und Forel (8) kommt das Verdienst zu, diesen 
Verlauf der oberen Quintuswurzel auf der eben geschilderten Strecke 
klargelegt zu haben. Henle (13) liess aus dem lateralen Winkel der 
grauen Substanz, wo die Substantia ferruginea liegt, drei Faserzüge 
ausstrahlen, von denen der eine, äussere, nach distaler Umbiegung 
oberhalb des motorischen Hauptkernes (Nucl. masticatorius) direkt in 
die motorische Wurzel, Portio minor, eintritt; der zweite, mittlere, 


1) Motorischer Trigeminuskern, oberer Trigeminuskern von 
Stilling (26), Trigeminuskern von Stieda (23), Nucleus trigemini 
von Henie (13), Noyau moteur ou masticateur von Duval (4), moto- 
rischer Trigeminuskern von W. Krause (14). 

2) Aeussere Quintuswurzei yon Meynert (17), aufsteigende oder 
obere sensible Trigeminuswurzel von W. Krause (14), untere Ab- 
theilung der centralen Bahn des Trochlearis von Stilling (26), Troch- 
learis von Deiters (6) und Stieda (24), trophische Wurzel des Trige- 
minus von Merkel (19), vordere oder obere Trigeminuswurzel von 
Henle (13). 


634 Michael Terterjanz: 


Faserzug zieht bogenförmig zum motorischen Hauptkern, wo er sich 
zum Theil in den Kern selbst einsenkt, zum Theil jedoch wieder in 
die motorische Wurzel, Portio minor, übergeht. Was das dritte, innere 
Faserbündel anbelangt, so sah er dies merkwürdiger Weise nach hinten 
durchziehen, gradlinig unter dem Boden des vierten Ventrikels; wohin, 
blieb unbekannt. 

Auch eine weitere Frage wurde lange Zeit discutirt, nämlich die, 
ob die gesammten oberen Wurzelfasern des Quintus sich ausschliess- 
lich in die kleinere motorische Wurzel fortsetzen, oder ob sie auch noch 
Faserzüge in die sensible Wurzel schicken. Diese Frage war offenbar 
von principieller Wichtigkeit, sowohl in anatomischer als auch in physio- 
logischer Beziehung; es haben auch fast alle Forscher bei der Unter- 
suchung der Verhältnisse des Trigeminus ihre Aufmerksamkeit darauf 
gelenkt. Indessen sind die Meinungen über diese Streitfrage noch 
ausserordentlich verschieden. 

Henle (13), der sich zuerst mit der alten Stilling’schen 
Darstellung (untere Abtheilung der centralen Bahn des Trochlearis von 
Stilling (26)) vertraut gemacht hatte, liess die fraglichen centralen 
Wurzelfasern sammt den kugelförmig aussehenden Ursprungszellen 
mit den Nerven des vierten Paares zusammenhängen und bezeichnete 
sie als „hintere Trochleariswurzel“; er hat sich aber später in der 
zweiten Auflage seiner AnatomieMeynert(17, 18) angeschlossen 
und die Zugehörigkeit dieser Wurzelfasern zum Trigeminus anerkannt. 
Er beobachtete, wie bereits erwähnt, zwar den Uebergang der abstei- 
senden Quintuswurzel in den motorischen Wurzelstamm, äusserte sich 
aber nicht bestimmt in Betreff einer partiellen Verbindung mit der 


sensiblen Trigeminuswurzel, während die meisten Autoren — Forel 
(8), von Kölliker (15), Ramön y Cajal (21), van Gehuchten (10), 
Obersteiner (20), Schwalbe (22), Lugaro (16) — eine vollständige 


Verbindung der absteigenden Trigeminuswurzel mit der motorischen 
Wurzel des Quintus, Portio minor, behaupten, wenn auch die Ansichten 
der genannten Forscher über die Natur der Axeneylinderfortsätze, so- 
wie über die Gestaltung der Ursprungszellen des hier in Frage ste- 
henden Nervenstranges nicht dieselben sind. 

Anderer Ansicht sind Mey .nert (17,18), Merkel ({19), W. Krause 
(14) und Bechterew (2). So zum Beispiel sind Krause’s Beobach- 
tungen mit denen der oben angeführten Forscher zwar insofern über- 
einstimmend, als sie die Art und Weise des centralen Faserverlaufes 
betreffen; auch der histologische Bau der nervösen Fortsätze ist von 
ihm richtig gesehen worden: sie sind dick und doppelcontourirt. Allein 
er lässt die starken, doppelteontourirten Axencylinder aus bipolaren 
Zellen abstaımmen, also aus Zellelementen, welche ihrer Form nach 
sensiblen entsprechen. So heisst es nach ihm: „aufsteigende oder obere 
sensible Trigeminuswurzel, welche in den sensiblen Hauptstamm des 
Quintus eintritt.“ 

Merkel’s (19) Angaben über die morphologischen Verhältnisse 


{ 


Die obere Trigeminuswurzel. 635 


der absteigenden Quintuswurzel stimmen im allgemeinen mit denen 
Krause'’s (14) überein. Die eigenthümlich blasigen Zellen sind nach 
ihm bipolar, die absteigenden Nervenfasern hielt er für sensorisch 
und liess sie insgesammt der sensiblen Trigeminuswurzel sich bei- 
mischen. Merkel (19) ging aber noch weiter, und glaubte selbst eine 
peripherische Verbindung der oberen Quintuswurzel mit dem Ram. 
ophthalmieus auf physiologischem Wege nachweisen zu können. Er 
stellte auf Grund seiner Versuche!) eine eigene Theorie auf und 
reclamirte die absteigenden Quintusfasern als „die trophische Wurzel 
des Trigeminus“, eine Auffassung, welche alsbald von Eckhard (7) 
und zuletzt von von Kölliker (15) in Zweifel gezogen wurde. Ins- 
besondere aber widersprachen dieser Erklärung die physiologischen 
Versuche von Duval und Laborde (Journ. de l’Anat. et de la 
Phys. 1879, S. 512) (5). 

Meynert (17, 18) ist von den älteren Autoren derjenige ge- 
wesen, welcher die obere Quintuswurzel in ihrer wahren Zugehörig- 
keit entdeckte und somit die ferneren Beobachtungen in die richtige 
Bahn leitete. In der That liessen sich ja alle Forscher bis dahin von 
der Stilling'schen Auffassung führen, indem sie diesen Faserstrang 
als dem Trochlearis zugehörig ansahen (untere Abtheilung der centralen 
Bahn des Trochlearis von Stilling (26), Trochleariskern und -Wurzel 
von Stieda (23,24) und von Deiters (6); auchvon Kölliker und 
Henle?), waren bis zu Meynert’s Entdeckung derselben Ansicht, 
haben aber nachher sich Meynert angeschlossen). Heute, nachdem 
die wiederholten Untersuchungen von Forel (8, Huguenin (12), 
vonKölliker (15), Henle (13), van Gehuchten(10,Ramön 
y Cajal (21), Seh walbe (22), Krause (14, Obersteiner (20), 
Merkel (19) und anderer zu Gunsten von Meynert’s Angaben aus- 
gefallen sind, kann man die Frage nach der Zugehörigkeit der oberen 
Quintuswurzel als erledigt ansehen. 

Einen besonderen Nachdruck verliehen noch dieser Thatsache 
die interessanten an Maulwürfen vorgenommenen Versuche von M. 
Duval (4), welcher experimentell nachwies, dass der Patheticuskern 
in keiner Weise mit dem des oberen Trigeminus zusammenhängt, 
wenigstens bei diesen Thieren nicht, welche nur rudimentäre Augen 
besitzen: das Trochlearisgebiet ist bei diesen Geschöpfen klein, mit 
spärlichen Zellen versehen und für sich vollständig abgeschlossen, 
während der obere Trigeminuskern gut entwickelt hervortrat. Gegen- 
wärtig besteht unter den Autoren fast kein Bedenken mit einziger 
Ausnahme von Golgi (9), der die alte Stilling sche Ansicht noch 


1) Unvollständige Durchschneidung der sensiblen Trigeminus- 
wurzel bei Kaninchen, welche Ernährungszerstörungen im Bulbus zur 
Folge hatte [Merkel (19). 

2) Anmerkung: Stieda (23). 


636 Michael Terterjanz: 


auf das entschiedenste vertheidigt; von dieser Sonderstellung Golgi’s 
wird weiter unten noch die Rede sein. 

In Bezug auf die Herkunft der absteigenden Trige- 
minuswurzel giebt Meynert (17) folgende treffliche Darstel- 
lung: „Schon in dem oberen Zweihügel schliesst das centrale Höhlen- 
grau, ausser der medial gelegenen Ursprungsmasse motorischer 
Nervenwurzeln, auch eine lateral gelegene sensoriscehe Bahn 
ein, nämlich Quintuswurzeln. Diese entspringen hier am 
äussersten Saum des Grau um den Aquaeducetus Sylvii von Häufchen 
grosser blasenförmiger Zellen von 60 u Länge und 45—50 u Breite 
(Figur 249 V) und formiren nach und nach eine Kette von Bündel- 
querschnitten, welche der Aussenseite des diekwandigen Rohres der 
Wasserleitung in einen flachen Bogen geordnet, anliegen (Figur 250 
und 251,99: 

So hat Meynert (17) die Herleitung der absteigenden Quintus- 
fasern in ihrer wahren Situtation richtig erkannt; er stellte aber, wie 
man sieht, fälschlich die Vermuthung auf, dass die Ursprungszellen 
des oberen Quintusnerven sensorisch seien und dass die sämmt- 
lichen absteigenden Wurzelfasern, in drei Faserausstrahlungen herab- 
ziehend, in die sensible Trigeminuswurzel eintreten sollten. 

Er betrachtete somit die absteigenden Wurzelfasern als einen 
Bestandtheil seiner äusseren, grossen, sensorischenQuin- 
tuswurzel und unterschied dieselben im unteren Abschnitte des 
intracerebralen Verlaufes folgendermassen in drei Faserabtheilungen: 

1) Die äussere, absteigende Quintuswurzel, welche 
aus den blasenförmigen Ursprungszellen des oberen Zweihügels ent- 
springt. 

2) Die mittlere, absteigende Quintuswurzel; diese 
leitete er aus der Substantia ferruginea her, und es sollten diese Fasern 
einwärts zur Raphe unter Kreuzung durchziehen und in die Portio 
major Trigemini der entgegengesetzten Seite übertreten. 

3) Die innere Faserformation sollte nach Meynert’s 
Vermuthung aus den Längsbündeln der vorderen Brückenabtheilung 
(in Form von Fibrae rectae) hervorgehen. 

Die beiden letzten Fasersysteme sind durch die Untersuchungen 
von Forel (8) und Huguänin (I2) in Abrede gestellt worden. 
Dass aber Faserzüge aus der Substantia ferruginea dem absteigenden 
Quintus sich zugesellen, dürfte keinem Zweifel unterliegen. 

Meynert (17,18) hat den Verlauf seiner äusseren, ab- 
steigenden Faserabtheilung richtig beschrieben. Sie steigt 
in der That, wenn man eine Reihe von frontal gelegten Schnitten be- 
trachtet, im vorderen Vierhügel in ventral verlaufenden Bogenbündeln 
zur Mittellinie unterhalb des Fasciculus longitudinalis posterior, die 
untere Peripherie des rothen Haubenkernes durchziehend, herab und 
begiebt sich hinter der fontainenartigen Kreuzung nach jenem seit- 
lichen Winkel des Aquaeductus, wo sie in Q@uerschnittsebenen eine 


u a Gl ee ee 


Die obere Trigeminuswurzel. 637 


Kette von bogenförmig angeordneten Querbündeln darstellt. Weiter 
medullarwärts formirt sich dieser Querbündelschnitt anfangs halbmond- 
förmig und schliesslich in der unteren Gegend, wo die Substantia 
ferruginea liegt, zu einem runden kompakten Faserbündel, welches 
alsbald, nach einer kleinen Umbiegung, in breiter Form zur Austritts- 
ebene hinströmt. 

Meynert (17) behauptete, wie bereits erwähnt, eine Ver- 
bindung der absteigenden Quintuswurzel mit der sensiblen Trigeminus- 
wurzel. Diese Vermuthung Meynert' beruht, wie gesagt, auf 
Irrthum; er ging offenbar von dem Gedanken aus, wie er in seiner 
Abhandlung „Ueber die Bestandtheile der Vierhügel ete.* ausdrücklich 
hervorhob, dass diese Ursprungszellen des Quintus denen der Spinal- 
ganglien ihrer Form nach nahe stehen. 

Meynert sagt: „Da die Grösse der Zellen ihre motorische 
Natur nicht erweist, wie schon das bekannte Beispiel vom Acusticus- 
kern und nieht minder die Grösse der Zellen in den Spinalganglien 
darthut, so wird auch Gewicht auf ihre sonstige Gestaltung zu legen 
sein. Die Zellen, von denen die Rede ist, unterscheiden sich sehr von 
der Gestalt, der man in den Vorderhörnern des Rückenmarkes und 
z. B. im Hypoglossuskerne begegnet. Dort ist der Körper der Zelle 
verhältnissmässig klein, und seine Oberfläche geht in eine sich nicht 
plötzlich verdünnende Basis der Fortsätze über.“ 

„Anders bei den Spinalganglienzellen, wo die Fortsätze in so 
unvermitteltem Uebergang an die Zellenkörper stossen, wie der Stroh- 
halm an die Seifenblase. Mit diesem Verhältnisse der Theile stimmen 
nun die grossen Zellen überein, von denen aus der seitlichen Ecke des 
grauen Bodens Quintusfasern entstehen, und welche in Häufchen den 
inneren Rand der hinteren Trochleariswurzel Stilling’s in deren 
Verlaufe begleiten. Ein drittes Moment, das sie von den als motorisch 
festgestellten Zellen unterscheidet, ist ihre Armuth an Fortsätzen, sie 
nähern sich demnach durch Grösse, Gestalt und Zahl der Fortsätze 
den sensorischen Zellen der Spinalganglien.“ 


So gestalten sich aber die Verhältnisse der Zellen, wie 
wir sehen werden, durchaus nicht. 

Auch liessen meine Untersuchungen, wie ich schon kurz 
hier angeben will, keinerlei Verbindung der oberen Quintuswurzel 
mit der grossen sensiblen Quintuswurzel wahrnehmen und stimme 
ich hierin mit Ramön y Cajal (21), von Kölliker (15), 
van Gehuchten (10), Forel (8) und Lugaro (16) 
überein. 

Es existirt also weder eine vollständige Verbindung 
des absteigenden Quintusnerven mit der grossen sensiblen Trige- 
minuswurzel, wie Meynert (17, 18), Merkel (19), Krause 
(14) und Andere annahmen, noch eine partielle, wie Bech- 


638 Michael Terterjanz: 


terew (2) es will; gegen die Anschauung Bechterew’ er- 
klärt sich neuerdings auch Dr. Bregmann (1), ein Schüler 
von Obersteiner, in einer Ärbeit, wo der Verfasser Beweise 
liefert, welche auch eine partielle Verbindung entschieden wider- 
legen. 

Kein Anderer aber hat so präeise die richtige Natnr der 
absteigenden Quintusfasern klargelegt wie Ramön y Cajal 
(21), dessen Angaben ich deshalb nicht ohne Erwähnung vor- 
übergehen lassen darf: schon aus dem Grunde nicht, weil seine 
Beobachtungen uns auf Eigenthümlichkeiten der absteigenden 
(Quintusfasern aufmerksam machen, welche ein Interesse für die 
physiologische Beziehung erwecken. 

Nach der Beobachtung des spanischen Forschers nimmt 
die Zahl der Axencylinderfortsätze des oberen Quintus in ab- 
steigender Richtung zu; sie sind anfangs diek, werden aber 
nachher etwas dünner. Während ihres Verlaufes geben diese 
Axencylinder eine oder zwei feine Collateralen ab, welche zwi- 
schen den Ursprungszellen sich verzweigen. Der ganze ab- 
steigende Faserstrang mischt sich schliesslich in Bündeln mit 
dem motorischen Trigeminuskern (Nuel. masticatorius), unter 
Abgabe von zahlreichen Collateralen, welche daselbst zwischen 
den Zellen endigen und somit eime wichtige Verbindung her- 
stellen. Auch Lugaro (16) beobachtete dasselbe Verhältniss. 
Die meisten Axeneylinder senden nach Ramön y Cajal (21) 
zwei bis vier sich wiederholt verzweigende Collateralen aus, 
während andere sich nur in zwei nahezu gleiche Aeste theilen, 
sobald sie das Zellenterritorium des Kaukernes erreichen; der 
eine Ast tritt in den Kaukern ein und der andere geht in die 
motorische Trigeminuswurzel über. Diese Collateralen verlassen 
niemals das Gebiet des betreffenden Kaukemes, erfahren also 
keine Kreuzung in der Raphe. 

Ramön y Cajal (21) misst dieser morphologisehen 
Thatsache grosse Bedeutung bei, indem er sagt: „Nach unserer 
Meinung hat diese im ihrer Art einzige Stellung der motorischen 
Collateralen, die wir in den Facialis-, Oculomotorius- und Hypo- 
glossuswurzeln nicht gefunden haben und die man sehr selten 
in den vorderen Rückenmarkswurzeln findet, eine sehr grosse 
Bedeutung für die Erklärung der Rolle der Collateralen in der 
nervösen Leitung. Könnte man nicht die vollkommene Gleich- 


N 


Die obere Trigeminuswurzel. 639 


zeitigkeit der Bewegungen der vier Kaumuskeln dadurch erklären, 
dass die anfängliche Willenserregung, welche der Kern der ab- 
steigenden Wurzel aufnimmt, sich unvermeidlich sowohl in die 
Zellen dieses Kernes als auch in die des Hauptkernes fortpflanzt, 
und zwar vermöge dieser Collateralen? Diese und andere Bei- 
spiele bringen uns zu der Ueberzeugung, dass die motorischen 
Collateralen und vielleicht diejenigen aller Axencylinder die Auf- 
gabe haben, die von einer Zelle oder von einer kleinen Zellen- 
gruppe empfangene Erregung allen den anderen Elementen des- 
selben Kernes oder einer grösseren Gruppe derselben Art, in 
einem anderen Theile der grauen Substanz gelegen, zu über- 
mitteln. Demzufolge würde die nervöse cellulifuge Bewegung, 
die anfangs nur schwach ist, lawinenartig wachsen, je nach der 
Anzahl von Neuronen, die berührt werden und ihr Maximum 
beim Austreten der motorischen Wurzel erreichen. Wenn die 
Willenserregung nur auf einen bestimmten Muskel oder Nerven 
sich zu übertragen hat, so sind die Collateralen sehr spärlich 
oder bleiben ganz aus; dies ist der Fall in den Kernen des 
Hypoglossus und des Ocumolotorius. In solchen Fällen wird die 
Zahl der bei der Erregung in Thätigkeit gesetzten Zellen von 
der Anzahl der Fasern, welche der motorische Kern vom Pyra- 
midenbündel empfängt, oder von der Ausdehnung ihrer Veräste- 
lungen abhängig sein.“ 


Wenn ich nun zu meinen eigenen Untersuchungen übergehe, 
so komme ich, dem vorhin aufgestellten Plane gemäss, zuerst zu 
der Frage nach der morphologischen Beschaffenheit 
der Ursprungszellen desoberen Quintuskernes, 
welehe ihrer Form nach von den Autoren als „vesieulös“, 
„blasig aufgetrieben“ gekennzeichnet worden sind. 

Bezüglich dieser Frage sind die Ansichten der Autoren 
getheilt: 

Während Deiters (6), Stieda (23, 24, 25) und Golgi (9) diese 
Zellen fürmonopolarhalten, behaupten andere (Merkel (19), Krause 
(14)), dass die fraglichen Zellen bipolar seien, wobei einer von den 
zwei Fortsätzen den nervösen Axencylinder darstellen solle. Auch nach 
den Angaben von Lugaro (16) und Ramön y Cajal (21) sollen die 
Zellen des oberen Quintuskernes bald mit einem, bald mit zwei Fort- 
sätzen versehen sein. Gegen diese Ansichten erklärt sich nun neuer- 
dings entschieden von Kölliker (15), indem er diese Zellen als poly- 


640 Michael Terterjanz: 


polare ansieht. Er stützt sich auf ein Carminpräparat vom Menschen, 
welches grosse polypolare Ganglienzellen an der betreffenden Stelle 
zeigt. Hierzu bemerkt er, dass „die Grösse der Zellen, die Dicke der 
Axeneylinderfortsätze, der Anschluss an die Portio minor und die Un- 
möglichkeit einer andern Deutung“ für seine Ansicht sprächen. Die 
Grösse der Zellen hält er allerdings für wenig massgebend. In kurzen 
Worten ausgedrückt, sind diese polypolaren nervösen Elemente 
nach Kölliker’s Meinung motorische Zellen, von denen die abstei- 
senden Wurzelfasern des Quintus entspringen. 

Der Darstellung Kölliker’s schloss sich van Gehuchten (ll) 
an. Dieser Forscher fand bei 1 Tag alten Forellen, „que les cellules 
globuleuses de&cerites dans le cerveau moyen des mammiferes existent 
aussi dans le systeme nerveux central des poissons osseux. Elles y 
sont situces dans l’extr&mite anterieure du lobe optique.“ Weiter unten 
sagt van Gehuchten (11): „Les cellules globuleuses voisines de la 
racine superieure du trijumeau sont done, chez la truite, monopolaires 
ou bipolaires. 

Elles sont pourvues de prolongement eylindraxile. L’existence 
de prolongements protoplasmatiques A ces cellules vesieuleuses me£rite 
d’etre relevee d’une facon sp£ciale. Elle enleve toute valeur a l’ob- 
jeetion formulee par Golgi contre la theorie de la polarisation dyna- 
mique des el&ments nerveux.“ 

Ferner verfolgte er den Verlauf der Axencylinder, welche, unter 
Abgabe von kurzen Collateralen, nach aussen sich biegen und in die 
peripherische Wurzel des Trigeminus übergehen. Mit wenigen Worten 
sagt van Gehuchten (11) in seiner Schlussbetrachtung: „Le faisceau 
de fibres nerveuses appel&@ par les auteurs „racine superieure du nerf 
trijumeau“, appartient done en realite, au moins chez la truite, au nerf 
de la einquieme paire. Cette racine superieure constitue une racine 
motrice. Cette conclusion importante est en pleine concordance avec 
les previsions de Kölliker.“ 

Seit dieser Zeit hat sich Niemand weiter mit dieser Frage be- 
schäftigt. 

Ich nahm die Untersuchungen in weiterem Umfange an 
höheren Säugethieren wieder auf, zunächst an Kaninchen, Ratten, 
Katzen, Mäusen, Meerschweinchen und Hunden, schliesslich auch 
am Menschen. 

Dabei bediente ich mich folgender Methoden: 

1. Der Chrom-Silberbehandlung (langsame Methode Golgi’s). 

Hierauf kam es hauptsächlich an, weil keine andere, als 
die Silberfärbung in günstigen Fällen die Ausläufer der Nerven- 
zellen in so eklatanter Weise hervorbringt. 

2. Der Weigert-Pal’schen Hämatoxylinfärbung. 

3. Der üblichen Carminfärbung. 


ke A 


Die obere Trigeminuswurzel. 641 


4. Der Methylenblaufärbemethode nach Nissl. 

9. Der Chrom-Osmiumbehandlung nach Marchi. 

Die Thiere, an denen ich meine Untersuchungen anstellte, 
waren verschiedenen Alters. Ich wählte besonders jüngere 
Objekte, weil die Silberimprägnation gerade an solchen am besten 
gelingt. Die vorzüglichsten Silberpräparate lieferten mir drei 
Hunde, vier Tage alt, eine neugeborene Katze und ein erwach- 
senes Meerschweinchen, zwölf Monate alt. 

Bei einer weit grösseren Anzahl von embryonalen sowie 
erwachsenen Thieren, inclusive acht menschlichen Embryonen, 
gab mir das zu behandelnde Gehirnstück, die Vierhügelregion 
mit der Medulla oblongata, kein günstiges Resultat. Nur dieser 
Theil des Gehirns scheint gegen die Silberfärbung sich so spröde 
zu verhalten, ein Umstand, welcher auch von Kölliker und 
Golgi aufgefallen ist. 

Das Verfahren der mit gutem Erfolge behandelten Objekte 
war in der üblichen Weise durchgeführt worden. 

Von den drei erwähnten Thieren — Hunden, Katze und 
Meerschweinchen — war bei dem letzteren die Silberimprägnation 
am besten gelungen, so dass sie nichts zu wünschen übrig liess. 
In der That waren die sämmtlichen Zellengruppen des Mittel- 
hirnes vom oberen Ende der Vierhügelregion an medullarwärts 
bis an das verlängerte Mark von der Silberlösung getroffen. Da 
aber nicht immer alle Zellen einer und derselben Gruppe sich 
imprägniren, was häufig zu beobachten ist, so vermochte ich 
auch nicht schwarz gefärbte Nervenzellen im oberen Quintuskerne 
zu sehen, wo sie als grosse kugelige Zellen neben den gut 
imprägnirten am Rande des dieken Mittelhirnrohres hervortraten. 
Diese Eigenthümlichkeit hielt ich der Erwähnung für werth. 

Bei dem Studium meiner Präparate suchte ich mir nun be- 
züglich des Verhaltens der oberen Quintuszellen folgende Fragen 
zu beantworten: 

l. Wie sind die blasigen Ursprungszellen der absteigenden 
Quintuswurzel in Wirklichkeit beschaffen, und wie ist die allge- 
meine Situation derselben in ihrem Kerne? 

2. Besitzen die sämmtlichen blasenförmigen Zellen der ab- 
steigenden Quintuswurzel Protoplasmafortsätze, und wie gestalten 
sich dieselben ? 

3. Wie verhalten sich die Axencylinder dieser Elemente 


642 Michael Terterjanz: 


anfangs im Gebiete ihres Kernes, d.h. welche Richtungen neh- 
men die Axeneylinder, gemäss der zerstreuten Anordnung der 
Zellen, im Ursprungsniveau, bevor sie die longitudinale Bahn 
nach hinten einschlagen ? 

4. Welches sind die weiteren morphologischen Eigenthüm- 
lichkeiten dieser Zellen in Betreff ihrer Gestalt, Grösse und in- 
neren Structur? 

5. Wie stellen sich die Ansichten der Autoren über die 
Mono- und Bipolarität der fraglichen Zellen in Anbetracht dieser 
Ergebnisse ? 

Wie die Ergebnisse meiner Golgi- und sonstigen Präpa- 
rate auf das Klarste zeigen, sind die Ursprungszellen der Radix 
descendens sammt und sonders polypolar. Eine An- 
zahl von 43 gut imprägnirten Schnitten, welche sieh auf die 
Gegend zwischen der Austrittsebene des Quintus bis tief in 
die vorderen Erhebungen der Corpora quadrigemina hin 
erstrecken, überzeugen uns von der Richtigkeit dieser Thatsache. 
Hierzu gebe ieh zwei Schnitte, aus verschiedenen Theilen ent- 
nommen, naturgetreu abgebildet, in Figuren 1 und 4 wieder. 

Figur 1 stellt einen Frontalschnitt aus dem hinteren Zwei- 
hügel dar. Die Sylvische Wasserleitung, Ag, ist vom centralen 
Höhlengrau umrahmt, welches hier in grosser Ausdehnung mehr 
auf der basalen Seite des Kanales gelagert ist. Es treten, be- 
reits in Bündel formirt, die hinteren Längsbündel, Flp, auf. Die 
Bindearme, Brcj, liegen an diesem Präparate ventral vom Quin- 
tus, sieh: einwärts in der Brücke zur Mittellinie hin schiebend. 
Ihre Fasermasse ist bereits hier in Entbündlung begriffen. In 
der Mitte der beiden Erhebungen sind die Kerne der hinteren 
Zweihügel, NQp, deutlich zu sehen, an deren Aussenseite die 
Bündel der lateralen Schleife, Zml, verlaufen; ein Faserzug der 
Schleife umfasst jeden Kern von unten und innen, so dass die 
beiden Nuclei, N@Qp, in ihrer Lage vollständig eingekapselt er- 
scheinen. 

Die absteigenden Faserbündel des Quintus, Vd, befinden 
sich, hier annähernd halbmondförmig geordnet, an dem bekannten 
seitlichen Winkel, lateral vom Aquaeduetus Sylvii und unter- 
halb der oben erwähnten Kerne des hinteren Vierhügelpaares. 
Ein ziemlich rundliches Querschnittsfeld, ventral und ein klein 
wenig einwärts von den Quintusfasern gelegen, stellt die centralen 


Die obere Trigeminuswurzel. 645 


Trochlearisfasern, /V, dar, welche hier quer getroffen erscheinen. 
Es ist dies in dieser Querschnittsebene diejenige Stelle, wo die 
Faserbündel des vierten Paares mit denen der absteigenden 
Trigeminuswurzel sich kreuzen; sie erfahren hier eine Krüm- 
mung nach unten, um dann parallel mit dem Aquaeduetus 
sylvii weiter zu verlaufen. Man kann beobachten, wie gewisse 
Faserzüge des Quintus aus der unteren Partie umbiegen und um 
das Querschnittsfeld des vierten Nerven herum nach unten in 
der Brücke zur Austrittsebene ausstrahlen. 

Wir sehen ferner in Figur 1 die Zellen der substantia 
ferruginea abgebildet, sf; sie liegen dicht oberhalb des 
Bindearmes und zum Theil ziemlich weit lateral von den oberen 
Quintusfasern, wenigstens in diesem Schnitte und bei diesem 
Thiere (Meerschweinchen), weil die Bindearme hier bedeutend 
rascher vorrücken. 


Da ich auch an den Zellen der Substantia ferruginea 
einige neue Beobachtungen zu machen in der Lage war, und da 
diese Zellen zu der absteigenden Quintuswurzel in Beziehung 
treten, wie es von Meynert (17), Cramer (3) und Ober- 
steiner (20) richtig dargestellt ist, so muss ich auf diese 
Formation näher eingehen. Um aber den Gang der Betrachtung 
nicht zu unterbrechen, gebe ich dies Kapitel erst nach Abschluss 
der Darstellung über die absteigende Quintuswurzel. 


Verfolgen wir nun die Ursprungszellen der Radix descendens 
welche wir als polypolar bezeichnet hatten, weiter, und be- 
sprechen ihre Lagerung im Bereiche des Kernes. 

Diese Zellen begleiten den absteigenden Quintusstrang fast 
ununterbrochen in seinem intracerebralen Verlaufe vom vorderen 
Vierhügel an bis zum unteren motorischen Trigeminuskerne; sie 
bilden in ihrer Gesammtausdehnung kein abgeschlossenes einheit- 
liches Zellenterritorium, sondern zerfallen vielmehr in zahlreiche 
kleme Heerde, wenn ich mich so ausdrücken darf. Doch halten 
wir in unserer Betrachtung daran fest, dass wir ein gemeinsames 
Ursprungsgebiet vor uns haben. Die Zahl der Zellen nimmt in 
caudaler Richtung zu. Die Zellen liegen an den absteigenden 
Fasern zerstreut, bald lateral, bald medial von ihnen; sie treten 
in Nestern von 3 bis 5 Zellen oder ganz vereinsamt auf; so ist 


644 Michael Terterjanz: 


das allgemeine Bild dieser Zellensäule, wie wir es an Frontal- 
sehnitten kennen lernen. 

Die Anordnung der Zellen auf einem Querschnitte lässt 
sich bei näherer Betrachtung als eine dreifache Lagerung auf- 
fassen, welchem Umstande ich grosse Bedeutung beilege. Wir 
haben einmal die innere, mediane Zellenlage am äusseren 
Rande des centralen Graues einwärts von den queren Durch- 
schnitten der Faserbündel der absteigenden V-Wurzel („Quer- 
bündelsehnitt“ wollen wir dies kurz nennen); dann diejenigen 
Zellen, welche mitten zwischen den Fasern im Querbündel- 
schnitte selbst eingestreut liegen, und endlich eine äussere 
Schicht von Zellen, welehe lateral vom Q@uerbündelschnitte 
angeordnet sind. Ich hebe die drei Lagerungsstätten der Zellen 
aus dem Grunde hervor, weil von ihnen auch die anfängliche 
Richtung der Axeneylinder abhängig ist. Auf dieses Verhalten 
werden wir noch zurückkommen. 

Was die weitere Situtation dieses Ursprungsgebietes anbe- 
langt, so können wir noch folgendes angeben: 

Die Zellen sind in der Mehrzahl dieht am medialen 
Rande des Querbündels gelagert; einzelne liegen auch in der 
grauen Masse zerstreut. Man beobachtet diese Erscheinung noch 
auffälliger in den Präparaten aus der vorderen Region, wo die 
Zellen am äusseren Rande des Grau median vom Bündelquer- 
schnitte in einer bogenförmigen Reihe nahezu gleichmässig sich 
ordnen. Je weiter man zur Thalamusregion kommt, desto weiter 
dorsalwärts rücken die Zellen ; sie erreichen ihren höchsten Punkt 
im Niveau der hinteren Commissur, wann das centrale Höhlen- 
grau bereits die Sylvische Wasserleitung vollständig einge- 
schlossen hat. Auch hier in dieser Höhe findet man die Ur- 
sprungszellen einzeln liegen. Es ist dies in der Gegend der 
vorderen Corpora quadrigemina, wo das centrale Höhlengrau 
seine grösste Ausdehnung erreicht. 

Wir wenden uns zu der zweiten Frage. „Besitzen 
sämmtliche blasige Zellen Protoplasmafortsätze und 
wie gestalten sich diese ?* 

Die Zellen des absteigenden Quintuskernes sind an den 
nach Golgi behandelten Meerschweinchenpräparaten mit zahl- 
reichen Protoplasmafortsätzen versehen; nur sehr wenige Zellen 
machten an diesen Präparaten eine Ausnahme: sie blieben über- 


Die obere Trigeminuswurzel. 645 


haupt ganz ungefärbt zwischen den gut imprägnirten Elementen, 
und man konnte dann sehr deutlich ihre kugelige und blasig 
aufgetriebene Gestalt erkennen. 

Die nach Niss| und mit Alauncarınin gefärbten Präpa- 
rate von einem Kaninchen, einer Katze und Maus zeigten ab 
und zu ebenfalls grosse polypolare (multipolare) Ganglien- 
zellen; sie waren jedoch an den Carminpräparaten in grösserer 
Zahl als an den Nissl’schen sichtbar. 

In Figur 53 gebe ich einen nach Niss]l behandelten 
Schnitt. Carminpräparate wurden von mir nicht abgebildet, weil 
Kölliker (15) bereits ein solches vom Menschen gegeben hat. 
Die Figur 3 stellt einen Querschnitt aus der vorderen Vierhügel- 
region von einer erwachsenen Katze dar. Es ist gerade die 
Gegend, wo die beiden Oculomotoriuskerne auf dem ganzen 
Schnitte getroffen waren. In der Abbildung sind sie, da nur 
ein kleines Stück gegeben wurde, nicht zu sehen. 

Die Ursprungszellen der Radix descendens befinden sich 
dicht an dem quergetroffenen V-Faserbündel und zum Theil etwas 
einwärts im centralen Grau. Unter den vielen kugeligen Zellen 
sehen wir einige mit deutlich ausgeprägten protoplasmatischen 
Ausläufern, die bald, etwas weiter von den Zellen entfernt, sehr 
blass wurden; doch beweisen sie uns trotzdem nicht minder 
überzeugend die Multipolaritä. Einige Zellen zeigen sich in 
der blasenförmigen Gestalt. Es ist ja auch klar, dass die Zellen, 
wenn sie im Schnitte so gefasst werden, dass gerade kein Fort- 
satz mit getroffen ist, rundlich erscheinen müssen. Somit dürfen 
wir wohl behaupten, dass fast die sämmtlichen Ursprungs- 
zellen der Radix descendens protoplasmatische Aus- 
läufer besitzen, wenigstens bei reifen Individuen. 

Anders ist es bei den jüngeren Thhieren und solchen im 
embryonalen Zustande; es dürfte hier eine Abweichung bestehen, 
wie die Untersuchungen von Ramon y Cajal (21) und Lugaro 
(16) lehren; auch meine Silberpräparate von drei viertägigen 
Hunden weisen den Unterschied auf. 

Ueber die Art der Gestaltung der protoplasmatischen An- 
hänge kann man noch folgendes hinzufügen. 

Während die Fortsätze der Zellen bei den jüngeren Ob- 
jeeten im wesentlichen kurz und grob erscheinen, treten dieselben 
beim erwachsenen Thiere vollständig entwickelt hervor. Bezüg- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 53 42 


646 Michael Terterjanz: 


lich dieser Verhältnisse können uns die in Figur 1 mit a und a‘ 
bezeichneten Zellen zur Genüge überzeugen und ebenso diejenigen, 
welche in Figur 4 mit db und 5b‘ markirt sind. Die Zellen der 
Figur 4, von denen hier die Rede ist, liegen meist am Rande 
des centralen Grau; sie setzen sich bogenförmig dorsalwärts bis 
zur hinteren Commissur der Corpora quadrigemina fort. 

Der in Figur 4 abgebildete Schnitt stammt aus dem vor- 
deren Vierhügelpaare eines Meerschweinchens.. Unterhalb der 
Sylvi’schen Wasserleitung, an den hinteren Längsbündeln Flp, 
liegen die Zellen des Ocolomotoriuskernes, N/II. Die Wurzel- 
fasern des Oculomotorius, //Z, treten bereits in Zügen nach 
aussen aus. Ventral kommen die rothen Kerne der Haube zum 
Vorschein; an der dorsolateralen Seite der grauen Substanz ist 
der linke Kern der vorderen Vierhügel, N@a, angegeben. Es 
finden sich noch im Grau selbst, ziemlich einwärts, nahe 
der Innenfläche des Aquaeductus Sylvii, grosse multipolare 
Ganglienzellen, welche in mehreren Schnitten zu beobachten 
waren. Hier sind sie mit %& bezeichnet; diese Zellen dürfen 
nicht zu den Ursprungszellen der Radix descendens mitgerechnet 
werden, sie stehen höchst wahrscheinlich mit den Zellen des 
centralen Höhlengraukernes im Zusammenhange, welcher 
sich weiter cerebralwärts fortsetzt. Die eigentlichen Zellen des 
absteigenden Quintus sind hier in Figur 4 am Rande, etwas 
nach innen und mehr lateral von ihm und zwischen den Fasern 
eingelagert. 

Berücksichtigen wir nun besonders die protoplasmatischen 
Anhänge der fraglichen Zellen, so finden wir folgendes: sie sind 
bald diek, bald äusserst fein; sie verlaufen in der Umgebung 
der Zellkörper ganz unregelmässig nach verschiedenen Richtungen 
hin, wenigstens bei den meisten, wie man es sonst an typischen 
motorischen Zellen zu beobachten gewohnt ist. Diese Fortsätze 
verzweigen sich wiederholt. Oft sieht man mächtige Aeste nach 
der Peripherie hin zwischen den Zellen des Kemes der Zwei- 
hügel eingehen, nicht selten aber auch nach innen in die graue 
Substanz verlaufen. 

Bei der genaueren Beurtheilung der Ausläufer und der 
Zellgestalt dürfen wir auf zwei Formen dieser Elemente 
aufmerksam machen: die eine Form stellen Zellen dar von 
grossem, mehr oder wenig rundlichem Zellleibe mit zahlreichen, 


Die obere Trigeminuswurzel. 647 


langen, sich wiederholt verästelnden Anhängen; sie sind in allen 
Schnitten in der Mehrzahl vorhanden. 

Die zweite Zellform, der man in den Schnitten hier und 
da begegnet, unterscheidet sich durch einen auffallend kleineren 
Zellkörper, der vollständig kugelig erscheint; ihre Fortsätze sind 
nicht zahlreich, verhältnissmässig kürzer und am Zellleibe nahezu 
radiär angeordnet. Die beiden Zellformen sind in Figur 2 natur- 
getreu und vergrössert abgebildet. Die Zelle (A) stellt die erste 
Form dar; sie stammt aus der Figur 1 und ist die daselbst 
links mit a. bezeichnete Zelle, welche sich durch ihre Grösse 
und Gestalt von den übrigen unterscheidet. Die zweite Form 
(B) stellt eine Zelle aus Figur 4 dar, welche im Grau, ziemlich 
nahe am Rande, mit bx gekennzeichnet ist. Der Axeneylinder- 
fortsatz der Zellen erster Art ist sehr leicht zu finden, und ich 
habe ihn in mehreren Schnitten an vielen Zellen beobachtet, 
während er bei den Zellen zweiter Art in keinem Falle zu sehen 
war; er schien mir vermutblich noch zu fehlen, wie bei solchen 
Zellen, welehe noch nicht vollkommen entwickelt sind. Als 
besondere Merkmale möchte ich hervorheben: die Anhänge sind 
bei diesen Zellen entweder einfach oder in zwei — drei feine 
Aestchen getheilt; sie sind anfangs eine Strecke lang diek und 
am Zellleibe radiär geordnet, bevor die feineren Aestehen von 
den diekeren Ausläufern abgehen. 

Mit Bezug auf die weitere Frage, „welche Richtungen 
die Axencylinder des absteigenden Quintus im Niveau 
ihres Ursprungsgebietes nehmen“, lässt sich folgendes 
aussagen: 

Bis jetzt nahm man an, dass die Axeneylinder sich zum 
Aquaeductus Sylvii hin wendeten; sie sollten dann umbiegen und 
sich den longitudinal verlaufenden Fasern zugesellen; so hiess 
es wenigstens für die bipolaren Zellen im Sinne Merkel’s und 
Wikrause’s. 

Meine Beobachtungen bringen mich jedoch zu der Ueber- 
zeugung, dass die anfänglichen Richtungen der Axen- 
eylinder von der topographischen Lagerung der Nervenzellen 
selbst abhängen; und dem entsprechend lassen sich dreierlei 
Richtungen erkennen. 

Wenn die Zellen der Radix descendens am Rande des 
centralen Grau angeordnet sind, so nehmen die Axeneylinder 


648 Michael Terterjanz: 


derselben eine peripherische Richtung: sie verlaufen nur eine 
kurze Strecke bis zum Bündelquerschnitte und überschreiten 
niemals dessen Rand nach der Peripherie hin, sondern biegen 
sofort in die longitudinale Bahn der Gesammtfasern um. 

Liegen die Zellen aber zwischen den Fasern des Wurzel- 
bündels selbst, so findet man ihre Axeneylinder sofort distal, 
gleichsinnig mit dem Verlaufe der Wurzelfasern gerichtet. 

Anders wieder ist es bei den Zellen, welche sich auf der 
peripherischen Seite des Bündelquerschnittes befinden; hier be- 
obachten wir in der That die Richtung der Axeneylinder median- 
wärts zum Wurzelbündel, bezw. zum Aquaeductus Sylvii hin. 
In diesem Falle durchsetzen ab und zu die Axeneylinder den 
Querschnitt der V-Wurzel; sie wenden sich aber bald nach hinten 
und vereinigen sich mit den übrigen Fasern. 

In den Figg. 1 und 4 kann man sich über das Gesagte 
zur Genüge orientiren. 

Als vierte Frage waren die weiteren Eigenthümlichkeiten, 
die Grösse und die innere Structur der Ursprungszellen 
der Radix descendens Quinti zur Discussion gestellt worden. 

Die Grösse dieser Nervenzellen schwankt zwischen 40—80 u. 
Ihrer Gestalt nach kann man zwei Formen unterscheiden, wie 
wir bereits besprochen und in Figur 2 dargestellt haben. Was 
die innere Structur anbelangt, so sieht man zunächst im Proto- 
plasma um den grossen hellen Kern die groben Nissl'schen 
Schollen; dann kann man dazwischen noch äusserst feine Körn- 
chen wahrnehmen. Wie die Hämatoxylinpräparate nach Weigert 
und auch die Osmiumpräparate deutlich zeigen, ist das Proto- 
plasma der Ursprungszellen der oberen Quintuswurzel sowie das 
der Zellen der substantia ferruginea fein pigmentirt. Bei jüngeren 
Thieren ist das Pigment schwachgelb und meist nur spärlich ; 
dunkler nüaneirt und reichlicher ist es bei Erwachsenen. Die 
inenschlichen Zellen scheinen überhaupt auffallend stärker pig- 
mentirtzu sein; das Pigment war in den Zellen eines erwachsenen 
Menschen fast dunkelbraun. 

Ich bemerkte ferner eine Eigenthümlichkeit an einem Hä- 
matoxylinpräparate (Weigert) eines Hundes: in den hier blasig 
aussehenden Nervenzellen war das gelbbraune Pigment fast bei 
sämmtlichen Zellen an einem und denselben, nach der Peripherie 
zu gewandten Pole gelagert. Die Zellen waren am äusseren 


Die obere Trigeminuswurzel. 649 


Saume des centralen Grau angeordnet. Obwohl dies nur in 
einem Schnitte zu sehen war, so glaube ich doch nicht, dass 
diese Erscheinung auf pathologische Ursachen zurückzuführen sei. 
Vielleicht wäre diese Pigmentlage bei normalen Nervenzellen 
mit den Axeneylinder-Ursprüngen in Zusammenhang zu bringen, 
d. h. an der Stelle, wo die Axeneylinder von den Zellen aus- 
gehen, würde sich vielleicht auch das Pigment ansammeln und 
eventuell auch eine funktionelle Bedeutung haben. Doch, wie 
gesagt, war dies Verhalten nur in einem Präparate zu sehen; 
in den übrigen Fällen habe ich das Pigment bald an dem einen, 
bald an dem anderen Zellpole vorgefunden. 

Am Schlusse dieses anatomischen Absehnittes meiner Arbeit 
sehe ich mich veranlasst noch einmal auf Golgi’s abweichende 
Ansicht zurückzukommen, denn bei der grossen Bedeutung der 
Golgi’schen Arbeiten ziemt es sich, sobald man eine abweichende 
Ansicht zu vertreten hat, dieselbe nach allen Riehtungen hin 
wohl zu begründen. 

Wir haben gesehen, dass Golgi (9) behauptet, die soge- 
nannte obere Quintuswurzel gehöre in keiner Weise dem Trige- 
minus an, sondern dem Trochlearis, wie es Stilling (26) zu- 
erst dargestellt hatte. Golgi (9) beruft sich einerseits auf seine 
speciellen Untersuchungen und andererseits auf die Angaben 
hauptsächlich von Deiters (6), welcher schon im Jahre 1865 
diese Zellen genau studirt hat. Aus der ganzen Darstellung 
Golgi’s kommen hier drei Hauptpunkte in Betracht: 

a) Die Zugehörigkeit der Radix descendens quinti zum 
Trochlearis, 

b) der monopolare Charakter der Ursprungszellen, 

c) der Einwand, welchen Golgi (9), gestützt auf das 
scheinbare Fehlen der protoplasmatischen Fortsätze, gegen die 
dynamische Polarisationstheorie von Ramön y 
Cajal und van Gehuchten erhebt. 

Den ersten Punkt anlangend, darf ich dem Gesagten nur 
so viel hinzufügen, dass keiner, der den intracerebralen Faser- 
verlauf unseres Nervenstranges an lückenlosen Reihenschnitten 
verfolgt hat, eine andere Einsicht gewinnen wird, als ich sie 
hier vertreten habe. Auf Grund meiner Untersuchungen kann 
ich nur auf dem bestehen, was bereits von Kölliker (15), 
Lugaro(16), van Gehucehten (Il)undRamön y Cajal 


650 Michael Terterjanz: 


(21) sicher festgestellt haben, dass nämlich diein Rede 
stehende Nervenwurzel dem Trigeminus an- 
gehört. 

Treffend sagt vonKölliker(15): „Nur beiläufig erwähne 
ich, dass Golgi die Zellen, die durch Meynert zuerst mit 
Recht als der Radix descendens quinti angehörig er- 
kannt wurden, dem Trochlearis zuschreibt, eine Ansicht, von 
deren Unriehtigkeit Serienschnitte ihn bald überzeugen werden.“ 

Der zweite Punkt, worauf es uns hauptsächlich ankommt, 
ist die Monopolarität der blasig aussehenden Nervenzellen. Golgi 
begeht meines Erachtens einen Irrthum, indem er das isolirte 
Vorkommen einer Zellenkategorie im Centralorgane des Nerven- 
systems behauptet, das Vorkommen von Zellen mit nur einem 
einzigen Fortsatze; es soll dieses, ihm zufolge, grosse Bedeu- 
tung haben. Golgi stützt sich vorzugsweise auf Zerzupfungs- 
präparate und glaubt den monopolaren Charakter dieser Zellen 
als sieber festgestellt zu haben; es gelang ihm zwar nicht, bessere 
Resultate durch seine Silbermethode zu erzielen, doch meinte er 
auch hier in wenigen Fällen den einen Fortsatz nachgewiesen 
zu haben. 

Gegen die Beweiskraft der Nachweise Golgi’s erklärten 
sich von Kölliker (15) und van Gehuchten (11) und, 
wie wir sahen, bin ich in der Lage ihnen beipflicehten zu müssen, 
vgl. das vorhin eingehend Gegebene sowie die Abbildungen. 

Mit der monopolaren Beschaffenheit dieser Zellen fällt nun 
auch die an dieselbe geknüpfte theoretische Erläuterung Golgi’s 
(9), so dass ich nieht nöthig habe, dieselbe noch eingehender zu 
diseutiren. 

Nach Abschluss unserer Besprechung der cerebralen Theile 
der absteigenden V-Wurzel dürfte noch zu untersuchen sein, wel- 
cher von den motorischen Zellensäulen des Rückenmarkes die 
Ursprungszellen der genannten V-Wurzel entsprechen. Darf man 
annehmen, dass die Zellen des mastikatorischen Kernes den 
grossen motorischen Vorderhornzellen homolog und analog sind, 
so kann man vielleicht die Ursprungszellen der Radix descendens 
Quinti mit den seitlichen und mittleren motorischen Rückenmarks- 
zellen in Beziehung bringen. Für diese Annahme sprechen Ge- 
stalt, Grössenverhältnisse und Lagebeziehung der Zellen zum 
unteren motorischen Kerne (Nucleus masticatorius). 


Die obere Trigeiminuswurzel. 651 


Auch die Strangfasern der Radix descendens so wie die 
des Trochlearis unterliegen erheblichen Veränderungen in ihrer 
centralen Bahn durch Wachsthumsverhältnisse der Corpora quadri- 
gemina. Sie erleiden ungefähr dasselbe Schicksal, wie der Faci- 
alis, nur in umgekehrter Lage. Der letztere verlässt seinen Kern 
tief und spinalwärts, verläuft dann dorsal und nach vorn und 
wendet sich abseits zur Austrittsebene erst nach einer Kniekung 
und Umpbiegung unter dem Boden der Rautengrube, während 
die Wurzelbündel des absteigenden Quintus und die des Troch- 
learis weit cerebralwärts entspringen und nach nahezu gleichem 
Verlaufe nach hinten sich richten. Eine ähnliche Parallele in 
ihrem gegenseitigen Verhalten stellen der Abducens und Oeulo- 
motorius dar. 


Wir kommen nunmehr, in einem Anhange zu der vorstehen- 
den Besprechung der absteigenden V-Wurzel, auf diesubstantia 
ferruginea zurück (s. S. 643). 

Von besonderem Interesse erscheint, dass sich die kugeligen 
oder ovoiden Zellen der Substantia ferruginea durch 
die Silbermethode ebenso gut färben, wie die der absteigenden 
Trigeminuswurzel: sie sind vielstrahlig, mit einem Axeneylinder- 
fortsatze versehen und dürfen somit als echte multipolare 
Zellen angesehen werden. Erhebliche Unterschiede zwischen 
ihnen und den bekannteu typischen motorischen Zellen liegen 
nicht vor. Im allgemeinen sind diese Zellen mittleren Kalibers; 
ihr Zellleib ist rundlich gestaltet, bei vielen langgestreckt, spindel- 
förmig und auch ovoid. Diese Verhältnisse erklären sich meines 
Ermessens durch die localen Veränderungen dieses Gebietes, also 
durch Verschiebungen und Heranwachsen benachbarter Theile, 
welche eine derartige Gestaltung nur bei bestimmten Zellen und 
an bestimmten Stellen im Bereiche der Substantia ferruginea zur 
Folge haben können. Denn nicht alle Zellen sind hier langge- 
streckt, spindel- oder birnförmig gestaltet, sondern nur diejenigen, 
wie man an Silberpräparaten von Meerschweinchen deutlich sieht, 
welche durch das Heranwachsen der Bindearme aus ihrem Ur- 
sprungsgebiete dorsalwärts, zur Innenfläche des seitlichen Winkels 
des Aquaeductus, verschoben sind. Hier und auf der dorsalen 
Seite der Bindearme sehen wir in einem engen Raume eine An- 
zahl von Zellen der Substantia ferruginea in einfacher oder 


692 Michael Terterjanz: 


doppelter Reihe geordnet, und diese sind in der That auffallend 
langgestreckt, birn- und spindelförmig gestaltet, während die 
anderen, von diesem Engpasse bereits seitwärts liegenden als 
aequidimensionale multipolare Zellen hervortreten; selten beob- 
achtet man freilich auch solche von kugeligem Zellleibe; aber 
die Fortsätze fehlen durchaus nicht: sie sind bei den Zellen 
dieser Art in einer Zahl von zwei bis vier immer festzustellen; 
wenigstens war es so bei dem untersuchten erwachsenen Meer- 
schweinchen. Merkwürdig ist ferner, dass diese protoplasmatischen 
Anhänge, welche verhältnissmässig kurz und grob erscheinen, an 
dem kugeligen Zellkörper nahezu radiär geordnet sind, eine 
Eigenthümlichkeit, welche ich auch an gewissen Zellen im Ur- 
sprungskerne des absteigenden Quintus zu beobachten in der 
Lage war. Einiges hierüber habe ich bereits bei Besprechung 
der Ursprungszellen der Radix descendens quinti mitgetheilt und 
diese Zellform in Figur 2 B dargestellt (s. S. 646). 

Zellen dieser Art sind in der Substantia ferruginea und im 
oberen Quintuskerne jedoch nur spärlich vorhanden und von den 
übrigen vollkommen entwickelten Elementen dadurch unter- 
scheidbar, dass ihre Zellkörper kleiner und mehr kugelig sind. 
Die radiär gerichteten Ausläufer theilen sich in kurzer Ent- 
fernung vom Zellleibe in zwei oder drei Aestehen. Der Axen- 
eylinder scheint bei den Zellen dieser Art vollständig zu fehlen, 
oder er ist noch nicht zur Entwickelung gekommen, wenn wir 
uns dabei an die Annahme halten, dass die Protoplasmafortsätze 
vielleicht früher als der Axeneylinder sich entwickeln. Es ist 
ja auch denkbar, dass alle Anhänge der Zellen nicht mit einmal 
entstehen, sondern nach und nach, wobei gewisse Fortsätze den 
übrigen einer und derselben Zelle folgen, je nach der zeitigen 
funktionellen Bestimmung des Gesammtkernes. Diese Vermutbung 
scheint mir noch wahrscheinlicher in Anbetracht der vergleichenden 
Untersuchungen, welche Ramön y Cajal (21) an Mäuseem- 
bryonen und Mäusen angestellt hat. Dieser Forscher untersuchte 
nämlich die Ursprungszellen der Radix descendens quinti 
bei den genannten Thieren und glaubt den Nachweis führen zu 
können, dass die Zahl der protoplasmatischen Ausläufer der 
Zellen von den Entwickelungsstadien der Geschöpfe abhängig ist. 

Für die Richtigkeit dieser Ansicht von Ramön y Cajal 
(21) sprechen ohne Zweifel meine Silberpräparate von viertägigen 


Die obere Trigeminuswurzel. 653 


Hunden: bei diesen jüngeren, unreifen Individuen sind die Zellen 
der Substantia ferruginea und die des oberen Quintuskernes mit 
einem, zwei mitunter drei kurzen und groben Fortsätzen ver- 
sehen; oft fehlen letztere auch gänzlich. Dass dieser Befund 
auf einen Misserfolg der Schwarzfärbung zurückzuführen sei, 
kann man schwer annehmen, da diese Resultate mit denen von 
Ramön y Cajal (21) übereinstimmten. Anders lagen die 
Verhältnisse der Zellen der Substantia ferruginea bei dem er- 
wachsenen Meerschweinchen, wie wir bereits ausgeführt haben. 

Wie die Silberpräparate vom Meerschweinchen lehren, 
lassen die Zellen der Substantia ferruginea keinen Zweifel mehr 
über ihren morphologischen Charakter bestehen: sie sind multi- 
polar, wie die Golgi’sche Chromsilbermethode unzweifelhaft 
lehrte. Ihr Axeneylinder ist sehr leicht zu erkennen; man sieht 
ihn als einen äusserst feinen und glatten Fortsatz vom Zellleibe 
ausgehen; er stellt einen kurzen zugespitzten Stachel dar, wenig- 
stens in den Fällen, wo er vom Schnitte getroffen erscheint. 
Wo er aber sich eine Strecke lang verfolgen lässt, sieht man, 
dass der anfangs dünne Axeneylinder allmählich in eine diekere 
Faser übergeht. Ob er weiter wieder dünner wird, habe ich 
nicht beobachten können. Die Axeneylinder richten sich in 
breitem Faserstrome oberhalb des hinteren Längsbündels zur 
Raphe und begeben sich so unter Kreuzung in der Mittellinie 
nach der entgegengesetzten Seite, wie Meynert (17) ganz 
richtig dargestellt hat; sie verlaufen hier anfangs zwischen den 
hinteren Längsbündeln immer abseits und dorsal gerichtet und 
strahlen dann bogenförmig in deutlichen Zügen mit den ab- 
steigenden Quintusfasern zusammen in das Gebiet 
des Kaukernes aus. 

Ich glaube, Meynert (17) hatte vollständig Recht, seine 
„mittlere“ Faserabtheilung der oberen Trigeminuswurzel aus 
den Zellen der Substantia ferruginea herzuleiten. Diese Ansicht 
Meynert’s wurde von Huguenin (12) und Forel (9) be- 
stritten.. Gegen den Einwand dieser beiden Autoren und für die 
Richtigkeit der Meynert'schen Ansicht sprechen: 1. der richtig 
dargestellte Verlauf der Faserzüge; 2. der Anschluss derselben 
an die Radix descendens quinti auf der entgegengesetzten Seite 
und 3. die Multipolarität der Zellen der Substantia ferruginea, 
die ich festzustellen vermochte. Auch nach den Angaben von 


654 Michael Terterjanz: 


Cramer (3) und Obersteiner (20) soll die absteigende V- 
Wurzel Faserbündel empfangen, welche aus den Zellen der 
Substantia ferruginea der entgegengesetzten Seite entspringen. 


II. Ueber die peripherische Verbindung des oberen 
Quintusnerven mit dem Musculus tensor veli 
palatini. 


Nachdem von Kölliker (15) auf die Gründe aufmerksam 
gemacht hatte, welche für die motorische Natur der Radix des- 
cendens quinti sprechen, sagt er bezüglich ihrer peripherischen 
Verbindung Folgendes: „Welche Muskeln dieser Wurzel unter- 
stehen, ist freilich nicht von ferne zu errathen; doch darf man 
vielleicht an den Tensor veli palatini und den Tensor 
tympani denken, schwerlich an den Mylohyoideus und 
Biventer anterior.“ 

Um die Vermuthung Kölliker’s wenigstens für einen 
Muskel zu prüfen, suchten wir durch die Exstirpation des Mus- 
eulus tensor veli palatini eine aufsteigende Degeneration 
des betreffenden Nervenstranges zu erzielen und mit Hilfe der 
Marchi’schen Methode in den Centralorganen zu verfolgen, 
wohin dort diese Degeneration führt. Am geeignetsten schienen 
mir für diese Versuche junge Katzen zu sein, weil bei ihnen die 
Mundhöhle weit geöffnet werden kann, und weil sie operative 
Eingriffe gut vertragen. 

Nach vorheriger ÖOrientirung über die Lage des Muskels im 
Gaumen einer erwachsenen Katze, wurde die Operation an 9 Katzen 
sorgfältig vorgenommen. Das Herausschneiden des Musculus 
tensor veli palatini beim aetherisirten Thiere bot keine be- 
sondere Schwierigkeit, da der Hamulus pterygoideus, dem 
der Musculus tensor veli palatini anliegt, mit dem Finger leicht zu 
fühlen ist. Der weiche Gaumen wurde in der Gegend am Hamulus 
mit einem scharfen Messer eingeschnitten; die Blutung ist dabei un- 
bedeutend. So bald der Hamulus frei entgegentrat, wurde unter seiner 
Leitung der Muskel aufgesucht, dann mit einer starken Pincette gefasst 
und ausgerissen, wobei auch der Hamulus durch Scheerenschnitt mit 
entfernt wurde. Von der quergestreiften Natur des betreffenden 
Muskels haben wir uns an einem frischen Zerzupfungspräparate über- 
zeugt. Alle Thiere waren an der linken Seite operirt. 

Nach der Operation befanden sich die Thiere munter. Nach 
4—5 Tagen fingen bei einigen Thieren die Augen an, schwach zu 
eitern; entweder litten beide Augen oder nur das eine, und zwar bald 
das linke, bald das rechte. Die Eiterung war im allgemeinen uner- 


Die obere Trigeminuswurzel. 655 


heblich und nicht andauernd. Sonstige abnorme Zustände waren an den 
Augen nicht zu beobachten. Bei einigen Thieren stellte sich, wohl 
in Folge pyogener Infektion, auch ein eitriger Katarrh der Nasen- und 
Paukenhöhle ein. 

Die Thiere wurden nach verschiedenen Fristen getödtet. Nach 
vorsichtiger Herausnahme des Gehirnes trennte ich das Mittelhirn und 
die beiden Trigemini mit Ganglion Gasseri ab und behandelte 
dies Stück nach Marchi’s Vorschrift. 

Von den 9 Katzen gaben nur die ersten beiden keine 
günstigen Resultate; diese Thiere blieben nach der Operation 
nur 15 Tage am Leben. Die anderen wurden nach 20, 25, 26 
und spätestens 38 Tagen getödtet. Wie die Präparate von diesen 
Thieren zeigten, gab die Ausreissung des Musculus tensor veli 
palatini die Veranlassung zu einer aufsteigenden Degeneration 
im Trigeminusgebiete; ausgesprochene Veränderungen sahen wir 
schon an Schnitten vom Ganglion Gasseri im motorischen 
Trigeminusgebiete (Figur 5, mW); ferner waren die Faserzüge 
der Radix descendens quinti in ihrer Austrittsebene in der Brücke 
deutlich degenerirt. Endlich beobachteten wir an den Schnitten 
die charakteristischen Veränderungen der Wurzelfasern des ab- 
steigenden Quintus auf ihrer ganzen intracerebralen Bahn bis zu 
den vorderen Vierhügeln. 

Allein die Degeneration war, wie ich bemerken will, nicht 
bei allen Katzen die gleiche, und dieser Umstand hing durchaus 
nicht von der längeren oder kürzeren Zeit vor dem Tode ab. 
Es war zum Beispiel bei zwei Thieren, welche nur 20 und 25 
Tage am Leben blieben, eine starke, fast totale Degeneration 
eingetreten; der ganze motorische Trigeminus, selbst die Nervi 
Facialis, Trochlearis und Oeculomotorius waren auf beiden Seiten 
erheblich degenerirt. 

Selbstverständlich sind diese Fälle, als für die Entscheidung 
der Frage unbrauchbar, zu verwerfen. Hier müssen Nebenver- 
letzungen vorgekommen sein, vgl. auch die erwähnten Eiterungen. 

Anders war es bei den übrigen fünf Katzen, welche 20, 
26 und 38 Tage operirt lebten. Die sämmtlichen Schnitte von 
diesen Thieren wiesen eine nur mässige, auf den Trigeminus be- 
schränkte Degeneration auf. 

Zur Information über diese Ergebnisse sind zwei Abbildungen 
gegeben. Figur 5 stellt einen Längsschnitt durch das Ganglion 
Gasseri der operirten Seite dar. Hier sehen wir die moto- 


656 Michael Terterjanz: 


rische Trigeminuswurzel, mW, etwas schräg getroffen. Die 
eharakteristischen schwarzen Schollen oder Kügelchen sind auf 
der Sehnittfläche in mässiger Menge zu sehen, etwas stärker an 
der Peripherie angehäuft. Wir sind freilich noch nicht in der 
Lage, schon allein daraus eine direkte Beziehung der Radix des- 
cendens quinti zum Musculus tensor veli palatini zu constatiren. 

Betrachtet man jedoch die frontal gelegten Schnitte des 
Mittelhirns in den genannten Fällen cerebralwärts, so kann man 
an denselben mit besonderer Klarheit die Wurzelfasern des oberen 
Trigeminus verfolgen, bei denen in grosser Zahl die Degenera- 
tion eingetreten ist. Ein Schnitt durch die Region des vorderen 
Zweihügels von demselben Thiere, zu dem Figur 5 gehört, ist in 
Figur 6 abgebildet. Die querverlaufenden Fasern am Rande 
des centralen Höhlengraues stellen die Meynert'schen oberen 
Quintusfasern dar; sie ziehen zum Theil bogenförmig nach unten, 
durch das Gebiet der rothen Haubenkerne zur Mittellinie, wo 
die fontainenartige Kreuzung stattfindet. Wir sehen deutliche 
degenerative Veränderungen dieser Fasern, die im Bilde schwarz 
punktirt gezeichnet sind. An den Schnitten aus der höheren 
Region beobachtet man ab und zu noch degenerirte Fasern auch 
auf der rechten Seite, hier jedoch mindergradig. Dies wäre 
nicht auffällig, da die Radix descendens nicht alle ihre Fasern 
aus einer und derselben Seite bezieht. 

Auf Grund dieser Ergebnisse dürfen wir die Verbindung 
der Radix deseendens quinti mit dem Musculus ten- 
sor veli palatinialsim hohen Grade wahrschein- 
lich ansehen. Wir sind jedenfalls in der Lage, durch diesen 
Nachweis die Kölliker'sche Vermuthung, betreffend die peri- 
phere Verbindung der oberen Quintuswurzel, wenigstens für den 
Musculus tensor veli palatini wohl unterstützen zu 
können. 


Literatur-Verzeichniss. 

1. Bregmann, E., Ueber experimentelle aufsteigende Degeneration 
motorischer und sensibler Hirnnerven. Arbeiten aus dem Institut 
für Anatomie und Physiologie des Centralnervensystems an der 
Wiener Universität. Herausg. v. Prof. H. Obersteiner. Leipzig 
und Wien, 1892. S. 73. 


189) 


18. 


Die obere Trigeminuswurzel. 657 


VonBechterew, W., Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rücken- 
mark. Leipzig, 189. 

Cramer, A., Citat nach Merkel-Bonnet, Ergebnisse der Ana- 
tomie und Entwickelungsgesch., IV. Bd. 1894. p. 254. 

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Journal de l’Anatomie et de la Physiologie, 1878. 

Duval et Laborde, Journal de l’Anatomie et de la Physiologie, 
1879. S. 512. 

Deiters, O., Untersuchungen über das Gehirn und Rückenmark 
des Menschen und der Säugethiere. Braunschweig 1865. 
Eckhard, eitirt nach Schwalbe’s Lehrbuch der Neurologie, 
S. 680. 1881. 

Forel, eitirt nach Schwalbe’s Lehrbuch der Neurologie, S. 
680, 1881. 

Golgi, C., Untersuchungen über den feineren Bau des centralen 
und peripherischen Nervensystems. Jena, 1894. S. 261. 


. Van Gehuchten, Anatomie du Systeme Nerveux de l’homme 1897. 


II. Edit. 

Derselbe, De l’origine du pathetique et de la racine superieure 
du trijumeau. Bruxelles 1895. 

Huguenin, eitirt nach van Gehuchten, De l’origine du pathe- 
tique et de la racine superieure du trijumeau. Bruxelles 18%. 


. Henle, Handbuch der systematischen Anatomie, Bd. III, 2te 


Auflage 1879. 
Krause, W., Anatomie des Menschen. 1876. 


. von Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. Leip- 


zig, 1896. S. 286. 

Lugaro, E., Citat: Merkel-Bonnet, Ergebnisse der Anatomie 
und Entwickelungsgeschichte, IV. Bd. 1894. p. 254. 

Meynert, Th., vom Gehirne der Säugethiere. Stricker’s Hand- 
buch der Lehre von den Geweben des Menschen und der Thiere. 
II. Bd. Leipzig 1872. 

Derselbe, Studien über die Bestandtheile der Vierhügel, soweit 
sie in den nächst unterhalb gelegenen Querschnitten der Brücke 
gegeben sind. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 17. Bd. 1867. 


. Merkel, Fr., Die trophische Wurzel des Trigeminus. Unter- 


suchungen aus dem anatom. Institut zu Rostock. 1874. 


. Obersteiner, H., Anleitung beim Studium des Baues der nervösen 


Centralorgane. 2. Auflage. Leipzig und Wien 189. 

Ramön y Cajal, Apuntes para el estudio del Bulbo raquideo, 
cerebelo y origen de los nervios encefalicos. Madrid, 1895. 
Schwalbe, G., Lehrbuch der Neurologie. Erlangen 1881. 
Stieda, L., Ueber den Ursprung der spinalartigen Hirn-Nerven. 
2. Aufl. Separatabdr. Dorpat, 1873. 

Derselbe, Studien über das centrale Nervensystem der Wirbel- 
thiere. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 19. Bd. 1869. 


Fig. 


Fig. 


Michael Terterjanz: 


Derselbe, Studien über das centrale Nervensystem der Wirbel- 
thiere. Zeitschr. f. wiss. Zoolog. 20. 1870. 

Stilling, Untersuchungen über den Bau des Hirnknotens. 
Jena, 1846. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXX. 


Querschnitt durch das hintere Vierhügelpaar von einem ein- 
jährigen Meerschweinchen. — Ag Aquaeductus Sylvii, dessen 
Innenraum am dorsalen Spitzwinkel angesaınmeltes Blut ein- 
schliesst und ventral Kleinhirnwindungen durchsehen lässt. 
Die helle breite Zone um Ag ist die centrale graue Masse, in 
deren seitlichen Winkeln die quergetroffenen absteigenden 
Quintusfasern, V d, mit ihren multipolaren Zellen (a, a, a und 
a, a, a, gezeichnet sind. Abseits und ventral von den 
Elementen der Radix descendens sind die Zellen der Substantia 
ferruginea, sf, eingelagert. Ventral und ein klein wenig nach 
innen von diesen erscheinen die quergetroffenen Trochlea- 
risfasern, IV. Unterhalb des Aquaeductus, in der grauen 
Masse, befinden sich die Kerne des centralen Grau, Neg 
(Krause). Flp hintere Längsbündel. Brej Bindearme. An 
der dorsalen Hälfte der Figur sind zu sehen: Sgs Suleus 
corpor. quadrig. sagittalis, Qp hinteres Vierhügelpaar, N Qp 
Kern der hinteren Vierhügel, Zmi laterale Schleife. — Behand- 
lung nach Golgi. Vergrösserung des Schnittes 1:60, der ner- 
vösen Elemente 1:120. (Zeiss achrom.) 

zeigt zwei typische Zellformen, welche im Ursprungsgebiete 
des absteigenden Quintus vorkommen. Die grosse Ganglien- 
zelle, A, ist aus der Fig. 1 entnommen, und sie stellt daselbst 
die mit ax bezeichnete Zelle dar. Die zweite Zellform, B, 
stammt aus der Fig. 4, und ist links mit bx angegeben; 
ihre Fortsätze sind relativ kürzer und am runden Zellleibe 
nahezu radiär geordnet. Bei den Zellen dieser Art war der 
Axeneylinder nicht zu beobachten, während er bei der ersten 
Zellform sehr deutlich zu erkennen ist. Beide Zellformen sind 
naturgetreu bei 420facher Vergrösserung abgebildet. (Zeiss: 
Objeet D, Ocul. 4, Tubus 16.) 

Ein Theil eines Querschnittes aus dem vorderen Vierhügel- 
paare einer erwachsenen Katze. Behandlung nach Nissl. — 
Man sieht hier die blasenförmigen Ursprungszellen des Nerven- 
stranges, Vd, von denen die einen mit Protoplasmafortsätzen 
versehen sind. Die Zellen liegen medianwärts von den abstei- 
genden Quintusfasern, Vd, welche hier quergetroffen erscheinen 


Fig. 


Die obere Trigeminuswurzel. 659 


und den äusseren lateralen Rand des centralen Graues bilden. 
Die Zellen mit protoplasmatischen Anhängen in diesem Bilde 
sind von den kugeligen sehr leicht zu unterscheiden; die Fort- 
sätze sind anfangs deutlich erkennbar; sie werden aber nach 
kurzem Verlaufe äusserst blass (a). Vergrösserung: 420. (Zeiss, 
Object. D D, Ocul. 4, Tub. 16.) 
Querschnitt durch den vorderen Vierhügel. Aq Aquaeductus 
Sylvii, mit der breiten centralen grauen Masse umrahmt. 
Am lateralen Rande des Grau sitzen die mit b und b, bezeich- 
neten multipolaren Zellen der absteigenden Quintuswurzel, 
’d. Die im Grau zerstreut liegenden Zellen, k k k, gehören 
wahrscheinlich dem Kerne der centralen Substanz an. NIII, 
Kern des Oculomotorius. Austretende Oculomotoriusfasern 
III. — Flip, hintere Längsbündel. Brcj, rother Kern der Haube. 
Lm, mittlere Schleife. N@a, Kern des vorderen Vierhügel- 
paares. @a, vorderer Vierhügel. Sqgt, Suleus corp. quadrigem. 
transversus. ‚Sgs, Suleus corp. quadrig. sagittalis. Cga, hintere 
Kreuzungscommissur der vorderen Vierhügel. Vergrösserung 
1:60; Vergröss. der nervösen Elemente 1:120. 
Längsschnitt durch das Ganglion Gasseri. Wm, motorische 
Trigeminuswurzel, etwas schräg getroffen. 
Schnitt durch das vordere Vierhügelpaar einer Katze. Ag 
Aquaeductus. Sgs, Sulcus corporum quadrig. sagittalis. NIIT 
Nucleus des /II-Nerven. III, Oculomotoriusfasern. F, Forels 
ventrale Haubenkreuzung. M, Meynerts fontänenartige 
Haubenkreuzung. N. ig. Rother Haubenkern. Lm, mediale 
Schleife. Pp, Pes peduneuli. Flp, Fascieulus longitudinalis 
posterior. Vd, Degenerirte Fasern der absteigenden Quintus- 
wurzel theils quer getroffen, theils im Längsverlaufe. Behand- 
lung nach Marchi. Vergrösserung 1:60. (Zeiss.) 


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